Skip to main content

Full text of "Archiv für Kulturgeschichte"

See other formats


Arch. 

Kulturgesch 


.  y i  i^Lo  Ly  Google 


Digitized  by  Google 


Archiv 

s 

für 

Ku  1 1  u  r  -  Gesch  i  ch  te 

Herausgegeben  von 

Professor  Dr.  Georg  Steinhausen 

in  Cassel 


Fünfter  Band 


Beriin    Verlag  von  Alexander  Duncker  -  1907 


\ 


* 


Dfock  «DU  H«t»  Wllisch  fai  Owanflz. 


Digitized  by  Google 


Inhalt: 

Aufsätze:  Seite 

Die  Hauptwet;e  des  Nürnbert^isclien  Handels  im  Sp5(mitteia!ter. 

Von  Joh.  Müller    .    .   1 

Christian  Adolph  v.  A nackers  Beschreibung  seiner  Reise  von  Wien 

nach  I-issabon  (1730).    Mitjjeteilt  von  Th.  Renand       ...  24 

Der  Einfluß  der  Romantik  auf  die  Vertiefung  des  Nationalgefühls. 

Von  Fr,  Guntram  Schultheiß   55 

Skiz/en  von  der  ehemaligen  kursächsischen  Armee.    II.  III.  Von 

Bernhard  Wolf .    .    .    .    .  83,  187 

Die  Renaissance  in  Piacenza.   Von  Leo  Jordan  161 

Der  Einfluß  der  Juden  auf  die  Leipziger  Messen  in  früherer  Zeit. 

I.  II.   Von  Richard  Markgraf  216,  363 

Die  Jagd  des  Einhorns  in  Wort  und  Bild.   Von  F.  Kuntze  .   .   .  273 

Hamburger  Verkehrswesen  bis  zur  Mitte  des  17.  Jahrhunderts.  Von 

Alfred  KarU  311 

Die  tagebuchartigen  Aufzeichnungen  des  pfälzischen  Hofarztes 
Dr.  Johannes  Lange  über  seine  Reise  nach  Granada  im  Jahre 
1526.   Mitgeteilt  von  Adolf  Hasenclever   385 

Quellenstudien  zur  Geschichte  des  neueren  französischen  Einflusses 

auf  die  deutsche  Kultur.  I.   Von  Curt  Gebauer  440 

Frauenhäuser  und  freie  Frauen  in  Leipzig  im  Mittelalter.  Von 

Gustav  Wustmann  469 

Besprech  ungen: 

Elsenhans,    Kants  Rassentheorie   und    ihre  bleibende  Bedeutung 

( Rosen  feld)   113 

Herrmann,  Die  Geschichtsauffassung  Heinrich  Ludens  im  Lichte  der 

gleichzeitigen  geschiclitsphilosophischen  Strömungen  (Kosenfeld)  1 1 4 

Walhalla.  Bücherei  für  vaterländische  Geschichte.  Kunst  und  Kultur- 

geschichte.  1.  II  (Steintiausen)  115 

Heyck,  Deutsche  Geschichte.    Abt.  5-10  (Steinhausen)     .       .    .  117 

Lamprecht,  Deutsche  Geschichte.    VI.  VII,  1,  2  (Steinhausen)    .    .  120 

Arens,  Das  Tiroler  Volk  in  seinen  Weistümern  (I^uffer)    .    ...  125 

Hirn,  Geschichte  der  Tiroler  Landtage  1518-1525  (Liebe)    ...  127 

Reil.  Die  frühchristlichen  Darstellungen  der  Kreuzigung  Christi  (Lauffer)  1 27 

Stutz,  Die  kirchliche  Rechtsgeschichte  (Liebe)   130 

Günther,  Kepler  und  die  Theologie  (Liebe)   13Q 

Hartinann,    Sechs   Bücher    Üraunschweigischer  Tlieatergeschidite 

(Devrient)  "   131 


)Ogle 


Die  Kultur  der  Gegenwart.    I,  1  (Steinhausen)    249 

Sdindder,  Das  kausale  Denken  in  deatschen  Quellen  zur  Geschichte 

und  Literatur  des  10.,  11.  und  12.  Jahrhunderts  (Rosenfeld)  .  251 

Zaretzky,  Der  erste  Kölner  Zensurprozeß  (Bruchmfiller)   252 

Weltgeschichte,  herausg.  von  H.  F.  Hclniolt.   Bd.  VI  (Sieinhausen)  577 

Baumgarten,  Poland,  Wagner,  Die  hellenische  Kultur  (Liebenam)  .  378 

Roth,  Geschichte  des  Byzantinischen  Reiches  (Uebenam)   ....  381 

Basler  Biographien.  Bd.  II  (Bruchmfliler)   381 

Martin,  Deutsches  Badewesen  in  vergangenen  Tagen  (Hampe)   .  .  382 

Eisler,  Geschichte  der  Wissenschaften  (Kohfeldt)   483 

Marcus,  Die  allgemeine  Bildung  in  Vergangenheit,  Gegenwart  und 

Zukunft  (Kohiddt)     .   483 

Wustmann,  Qeschidtte  der  Stadt  Leipzig.  I  (Bruchmfiller)  ...  484 

,  NeujahrsbUitter  der  Bibliothek  und  des  Archivs  der  Stadt 

Leipzig.    I-IJI  (Stein1ni;sen)    486 

Schumann,  Verfassung  und  Verwaltung  des  Rates  in  Augsburg  von 

1276-1368  (J.  Müller)   488 

Jacobi,  Das  Weltgebäude  des  Kardinals  Nikolaus  v.  Cusa  (Kohfddt)  489 

Keller,  Joh.  Gottfried  Herder  und  die  Kultgesdlschaften  des  Hunu- 

nismns  (Kohfeldt)   489 

Boos,  Geschichte  der  Freimaurerei.    2.  Aufl.  (Briichinüller)    .    .    .  490 

Hense,  Die  Modifizierung  der  Maske  in  der  griechischen  Tragödie. 

2.  Aufl.  (Liebenam)   491 

Marlow  (L.  H.  Wolfram),  Faust.  Neu  herausg.  von  O.  Neurath 

(Legband)   492 

Kleine  Mitteilungen  und  Referate                         135,  254,  494 

Bibliographisches  152,  2b5,  503 


Digitized  by  Google 


Die  Hauptwege  des  Nfirnbergischen 
Handels  im  Spättnittelalter. 

Bb  Beitrag  zur  mittelalterlicheii  Verkehr^pographie. 

Von  JOHANNES  MÜLLER. 

L  Gestalt  des  StraSeDneties. 

Nflniberg  verdankt  seine  hohe  merkantile  Bedeutung  im 
Mittehlter  außer  seinem  hochentwickelten  Qewerbfleiß  vor  allem 
der  Ounst  seiner  Lage:  die  unter  den  Saliern  empoigt^kommene 
ostfränkische  Niederlassung  lag  gerade  an  der  Stelle,  wo  der 
Verkehr  vom  Mittelrhein  zu  den  Donauländem  sich  mit  den 
großen  südnördlichen  Verkehrslinien  kreuzic,  die  von  den  euro- 
päischen Stapclpl ätzen  des  Oricnthandcls,  von  Venedig  und  Genua, 
aus  über  Innsbruck  und  Augsburg  bzw.  Chur  und  Ulm  nach 
Thünngen -Sachsen  und  von  dort  die  Weser  und  Elbe  hinab 
zur  Nordsee  liefen.  Durch  Nürnberg  gingen  ferner  die  beiden 
Straßen,  welche  das  Gebiet  des  Oberrheins  (Neckarland  und 
Elsaß)  und  die  Schwei/:  sami  semeni  franz rsisch-burgundischen 
Hinterlande  mit  BohiTien  nebst  Schlesien  und  Polen  und  mit 
dem  sächsischen  tlbtal  verbanden. 

Nürnberg  konnte  bis  zur  Entdeckung  Amerikas  und  des 
Seeweges  nach  Ostindien,  d.  h.  solange  dem  Mitteimeer  und 
den  beiden  deutschen  Meeren,  der  Ost-  und  der  Nordsee, 
der  Vorrang  unter  den  Meeren  der  alten  Welt  verblieb,  in 
kommendeller  wie  in  rein  geographischer  Beziehung  als  Zentrum 
Europas  angesehen  werden.  Schlägt  man  nämlich  um  Nüm> 
beig  mit  einem  Radius  von  465  km  einen  Kreis,  so  li^n 

AtddT  Mr  lUHDisMdildifc.  V.  1 


Digitized  by  Google 


2 


Johannes  Müller. 


auf  der  Peripherie  desselben  die  Haupthandelsplät/e  jMittel- 
europas  im  Mittelalter,  V e n  e d  i  ,  Wien  bzw.  Preßbure;,  Bres- 
lau bzw.  Lissa  bei  Glogau,  Hamburg,  Brüssel  und  Genf 
bzw.  Lausanne  so  verteilt,  daß  dieselben  die  Ecken  eines  regulären 
Sechseckes  bilden.*)  Bemerkenswert  ist,  daß  dem  großen  mittel- 
europäischen Sechseck  Hamburg-  Lissa  -  Preßburg -Venedig-  Genf- 
Brüssel  ein  kleines  ostfränkisch-oberpfälzisches  Sechseck  entspricht, 
das  einem  Kreis  mit  dem  Zentrum  Nürnberg  eingeschrieben  ist» 
dessen  Radius  88  km,  also  etwa  ein  Fünftel  des  Radius 
des  mitteleufopftiadun  mißt  Die  Eckpunkte  dieses  ostfrtnkisch- 
oberpflUzisehen  Sechsecks,  des  engieren  Verkehr^gebietes  Nürnbergs, 
das  sich  von  der  Naab  bis  zur  Tauber  einerseits»  von  dem  oberen 
Main  bis  zum  Südiand  des  fränldscben  Jura  anderseits  erstreckte, 
sind  Koburg,  Kemnatfa,  R^nensburg  bzw.  Regenstauf,  Neubui^g  a.  D*, 
Ellwangen  und  Wttrzburg,  lauter  Orte,  die  die  Endpunkte  des  engeren 
Nürnberger  Verkehrsgebietes  auf  den  großen  Wdffaandelsstraßen 
nach  Nord,  Süd,  Nordost,  Südost,  Südwest  und  Nordwest  biklen. 

Die  regelmäßige,  sternförmige  Anordnung  der  drei  großen 
Weltfaandelsstnißen:  1.  Brüssel -Wien,  2.  Hamburg  «Venedig, 
3.  Breslau -Genf,  die  sich  in  Nümbeiig  kreuzten,  erklärt  sich 
also  ohne  weiteres  aus  der  symmetrischen  Lage  der  oben  genannten 
sechs  Welthandclsplätze  auf  der  Peripherie  des  Kreises,  der 
Mitteleuropa  aus  dem  Körper  Europas  herausschneidet. 

Zwischen  die  sechs  großen,  nach  den  1  laupt- Himmels- 
richtungen Nord -Süd,  Nordwest -Südost  und  Nordost  -  Südwest 
ausstrahlenden  Handelsstraßen  schoben  sich  nun  aber  noch 
sechs  Nebenstraßen  ein,  die  als  Halbieningsradien  der  von  den 
Hauptstraßen  eini^eschlossenen  Zentriwinkel  die  sechs  übrigen 
Himmelsrichtungen  nämlich  Ost- West,  Nordnordwest- SüdsQd- 
ost  und  Nordnordost- Südsüdwest  einhielten.  Das  mittelalter- 
liche Straßennetz  Nürnbergs  stellte  demnach  in  seiner  Totalitat 
ein  regelmäßiges  Zwölfeck  vor,  dessen  Diagonalen  sich  in 
Nümbergp  dem  Mittelpunkt  des  dem  ZwOUeck  umschriebenen 


^)  Eine  Unitfdnifllgkeit  in  der  fast  vollkoaimaien  Figur  ergibt  «ich  nur  durch 
die  etwtt  aadi  Sfidcn  Toichobeae  Lage  Bmlau,  an  dcsm  SicUe  Lim,  der  diametnle 
Oegoipaidrt  Liwami«,  tritt.  Bitib«  MUd  4en  Cegenpunkl  wm  Dijon,  dem  in  Mitld- 
•tier  «bcnfidl«  «Im  graSe  hoameRldte  Bednrtmig  nlna. 


Digitized  by  Google 


Die  Hauptwege  des  Nfirnbetgisclifill  Handeis  im  Spätmittelalter.  3 


Kreises,  unter  Winkeln  von  30®  schnitten.  Das  Zusammentreffen 
der  aus  den  verschiedenen  Himmelsrichtungen  nach  Nürnberg 
einmündenden  Stralkn  erfolge  in  der  Weise,  daB  sich  die 
drei  nach  Schwaben  ausstrahlenden  Straßen,  die  Rothenburger, 
die  Ulmer  und  die  Augsburger  am  Spittler  Tor,  die  drei  bay- 
rischen Straßen^  die  Münchener,  die  Lnndshuter  und  die  Regens- 
burger am  Frauentor,  die  böhmische  und  die  Vogtländer  Straße 
am  Laufer  Tor,  die  beiden  Thüringisch -sächsischen  Straßen,  die 
Leipziger  und  die  Erfurter,  am  Tiergärtner  Tor  und  die  beiden  fifln- 
kischen  Straßen,  die  Schweinfurter  und  die  Frankfurter,  am  Neuen 
Tor  vereinigten.  Es  war  also  die  an  dem  mittelalterlichen  Straßen* 
netz  NQmbergs  sonst  wahrzunehmende  Symmetrie  auch  insofern 
giewahrtf  als  in  jeden  der  zwei  Hauptteile  der  Stadt,  die  Lorenzer 
und  die  Sebalder  Seite,  sedis  Straßen  in  der  Wdse  einmflndeten« 
diB  auf  der  rechtodcfförmigen  Südseite  je  drd  Sinfien,  auf  der 
einem  Dreieck  ähnlidien  Nordseite  je  zwei  StniBen  2U  dnem 
Bfindel  «eh  vereinigten. 

Zu  bemerken  ist  bei  dieser  Obersidit  Aber  das  Nümbeiga* 
Staaßennelz  sogleich,  daß  die  Zusammenfttssung  je  zweier  Straßen* 
zikge  nicht  durchaus  erst  an  den  Toren  Nflnit)ergs,  sondern  teil- 
weise in  großen  Entfernungen  von  der  Stadt  erfolgte.  So 
vereinigte  sich  die  Erfurter  mit  der  Leipziger  Straße  schon  in 
Koburg,  die  Augsburger  und  die  Mflndiener  Straße  trafen  in 
WeiBenburg  i.  N.  zusammen;  die  Zahl  der  ot>en  angegebenen  zwölf 
Straßen,  die  in  Nürnberg  zusammentrafen,  verringert  sich  dadurch 
um  zwei.  Dafür  schoben  sich  nach  Westen  zwischen  die  Rothen- 
burger und  Ulmer  Straße  noch  die  Schwäbisch -Haller  Straße 
und  nach  Ostnordost  die  bei  Hersbruck  einniünclcnde  Straße  nach 
Nordbühmen  ein,  so  daß  sich  also  im  ganzen  doch  12  Handeis- 
sb:aßen  in  der  fränkischen  Handelsmetropole  vereinigten. 

Bei  besonders  frequentierten  Straßen,  wie  der  Frankfurter, 
der  Erfurter  und  der  Präger  Straße,  zeigte  sich  die  Frscheinung 
der  intermirtierenden  Doppelstraikn,  die  ihre  Frklänmg  einesteils 
in  den  gesteigerten  Verkehrsbedürfnissen  des  Handelsstandes, 
andemteils  in  den  Ansprüchen  mehrerer  an  den  Haupt- 
faandelszügen  interessierter  Territorialherren  auf  die  Ausübung 
des  sehr  eintriglichen  Oeldtsrechtes  findet    So  bildete  das 

1* 


L  lyu u-üd  by  Google 


4 


Johannes  MfiUer. 


Reditp  auf  der  großen  StiaBe  von  Nflrnberg  nach  Prankfurt 
mj^ctut  weit  geleiten  zu  dürfen,  fast  das  ganze  spätere 
Mitldalter  hindurch,  bis  in  den  Anbng  des  16.  Jahrhunderts 
hinein,  eine  Hauptquelle  der  zwischert  dem  Bistum  Würzburg 
und  dem  Hause  Brandenburg  obschwebenden  Geleitsstreitigkeiten. 
Würzburg  bestand  auf  Grund  der  in  kaiserlichen  Lehnsbriefen 
vorgezeichneteii  Keichs-  oder  Geleitsstraße  durch  sein  Gebiet  auf 
der  strikten  Durchtührung  des  Straßenzwanges  wenigstens  wäh- 
rend der  Meßzeiten,  d.  h.  eine  Woche  vor  und  nach  den 
beiden  Frankfurter  Messen,  während  Brandenburg  den  Grundsatz 
aufstellte,  daß  die  Straßen  frei  sein  und  die  Kaufieute  nicht  in 
das  Geleit  eines  Reichsstandes  gedrängt  werden  sollten.*) 

In  der  Tat  sind  die  Meßgüter  des  öfteren  statt  auf  der  Reichs- 
straße Nürnberg-Würzburg-Tauberbischofsheim  auf  der  Neben- 
straße Burcffarrnbach-  Windsheim  -  Uffenheim  -Aub- Simmringen - 
Tauberbischofsiieim  von  Nürnberg  nach  Frankfurt  hinahgee^angen, 
wodurch  nicht  nur  eine  beträchiiiche  Abkürzung  des  Reiseweges 
erreicht,  sondern  auch  die  Durchquerung  der  Gebiete  kleinerer 
Dynasten,  wie  der  Schenken  von  Limburg  und  der  Grafen  von 
Castell,  vermieden  wurde.') 

Ähnliche  territoriale  Verhältnisse  wie  bei  der  Frankfurter  Ge- 


leitsstraße lagen  bei  der  Erfurter  und  der  Prager  Straße  vor.  Die 
Erfurter  Straße,  die  bis  Eisfeid,  nördlich  von  Koburg,  zuerst 
Bamberger,  dann  Würzburger  und  Wettinisches  Gebiet  durchzogi 
spaltete  sich  von  Eisfeld  an  in  zwei  Aste,  die  Amt-Gehrener 
und  die  Ilmenau  er  Straße,  von  denen  die  erstere  durch  gräflich 
Schwarzburgisches,  die  zweite  durch  Hennebergisches  Gebiet 
ging.    Die  Rivaiittt  zwischen  diesen  beiden  gräflichen  Häusern 

1)  Vgl.  das  Nürnberger  Ratsbuch  Ib,  S  299.  (Nürnberger  Kreisarchiv).  Ant- 
wort des  Rates  von  NümberK  (dat.  1456,  f.  terHa  ante  Egidij)  auf  die  Werbung  des 
BiaadenbnrgUchen  Aratmaoiu  L.  v.  Eyb,  daß  es  den  Statthalter  des  Marlqp^eo  von  Branden- 
boqr  IM  befrende,  d«B  die  Fohflcute,  tfe  in  die  Pnnlrfiiiter  Mene  fdtren,  cediingt 
würden,  auf  den  StrnRen  und  in  dem  Geleit  der  Schenken  von  Limburg  7U  fahren:  der 
Rat  dränge  niemand,  in  diesem  oder  jenem  Geleit  zu  fahren,  äondem  werbe  nur  um  die 
Geleite,  «ie  es  von  alters  Herkommen  wäre;  welche  Straßen  die  KtuflOlte  Um  Habe  dOI 
Fnbrlcuten  anbefehlen  zu  fahren,  dabei  laste  es  der  Rat  bleiben. 

^  Vgl.  den  B«m1iI«B  det  WOrnberger  Rales  von  «3.  AngM  I45t.  Die  Ge- 
rannten sind  bcsandt  worden  und  mit  ihnen  ist  peredef  worden  von  der  Fürsten  und  Herren 
Geleit  wegen  in  die  h'rankfurtcr  Messe,  wie  imd  wo  man  hingeleiten  wolle,  als  auf 
Windsheini,  LIffenhcim,  Ubert;owe  und  für  das  Knebelers  Kreuz  Meile  U'cges  von  Simm- 
ringcn),  und  wird  der  Scbentoi  von  Limburg  Oeleit  zu  diesem  mal  unnötig.  Nürnbergs 
Rmbudi  tb,  &  94«  (Nintbergcr  Kidinrdiiv). 


4 


Digitized  by  Google 


Die  Haupt«^  des  NfirnbergiadieR  Handcb  im  SpItmittdiUir.  5 


war  fedenfills  die  Ursache^  daB  die  bdden  Tdlstrecken,  die  sich 
bei  Qöilitzliaiisen  unweit  Aimlidt  wieder  zu  einer  Straße  ver- 
einigten, dem  Veriwhr  zwischen  Erfurt  und  Nürnberg  dienten, 
wenn  auch  die  Amt -Gehrener  Straße  über  den  Kahlert-Paß 
wegen  ihrer  günstigeren  Teminveitiältnisse  an  Bedeutung  die 
sogenannte  »Frauenstraße«  über  Ilmenau  weit  übertraf.^) 

Die  Prager  Straße  teilte  sich  in  Sulzbach  zunächst  in 
zwei  Linien,  die  Hirschau  er  und  die  Am  berger  Straße^  von 
denen  die  erstere  die  Naab  bei  Wemberg,  die  zweite  das  Naabtal 
bei  Scfawarzenfeld  überschritt  Während  nun  die  Amberger  Straße 
mit  Benützung  des  Tales  der  Sdiwarzadi  über  Neunburg  v. 
Wald  und  Waldmünchen  nach  Taus  und  Pilsen  zog  und  sich 
hier  mit  dem  nördlichen  Aste  der  Prager  Straße  wieder  ver- 
einigte, spaltete  sich  dieser  nördliche  Stnkßenstrang  in  Hirschau 
in  zwei  Teile,  die  Waidhauser  und  die  Bärnauer  oder 
Tachauer  Straße,  die  bei  Kladrau,  westlich  von  Pilsen,  wieder 
zusammentrafen.  Die  Verteilung  des  Verkehrs  Nürnbergs  nach 
Böhmen  aut"  drei  Parallelblrecken  war  weniger  eine  Folge  der 
Rivalität  anrainender  Fürstenhäuser  —  von  den  pfalzischen  Wittels- 
bachern abgesehen,  kam  für  dieses  Gebiet  nur  noch  die  Land- 
grafschaft Leuchtenberg  in  Betracht  -  als  ein  Ergebnis  des  außer- 
ordentlich regen  Handels,  den  Nürnberg  besonders  vor  den 
Hussitenunruhen  nach  Böhmen  trieb. 

Die  Münchner  Straße,  die  in  ihrem  ersten  Abschnitt  mit  der 
Augsburger  Straße  zusammenfiel,,  spaltete  sich  bereits  in  Komburg 
in  zwei  Aste,  von  denen  der  westliche  oder  Hauptast  über  Roth 
(brandenburgisch),  Weißenburg  i.  N.  (reichsstädtisch)  und  Eich- 
städt nach  Neu  bürg  a.  D.  bzw.  Ingolstadt  verlief,  während  der 
östliche  Arm  über  das  zur  Pfalz  gehörige  Hilpoltstein  und  das 
bayrische  Arnsberg  an  der  Altmühl  seine  Richtung  auf  Ingolstadt 
zu  nahm.  Die  Benützung  der  beiden  Parallelstraßen  seitens  der 
Nürnberger  Kaufleute,  die  sich  aus  der  Korrespondenz  des  Nürn- 
beiger  Rates  mit  den  bayrischen  Herzogen  aus  dem  ersten  Drittel 
des  tS.  Jahrhunderts  erweisen  läßt,  erlclArt  sich  wiederum  weniger 


M  \T'  Ocrbing,  Die  PSsse  des  Thfiringcr  Waldes  in  ihrer  Bedeutuiiß  für  den  inner- 
deutKtien  Verkehr  and  das  deutsctae  StraflenneU.  (Mitteilung,  des  Vereins  für  Erdkunde 
m  Halle  a.  a.  Saale  1W4,  S.  1  ff.) 


Digitized  by  Google 


6 


Johannes  MfiUcr. 


«18  den  Bedflrfnissen  des  lokalen  Verkehrs  als  daiaiia^  dafi  der 
ettrige  Wettbewerb  zwischen  den  Brandenbuiiger  Markpafen  und 
den  Eichsttdter  Bischöfen  einerseils^  den  pfiUzischen  und  bayrischen 
Wittelsbacfaem  anderersdls  um  die  möglichst  intensive  AusnQlzung 
des  Qdeifsrecfates  den  lOmfleuten  das  Offenhalten  der  Wahl 
zwischen  den  beiden  Pknüldstreckeni  wenn  nicht  notwendig,  so 
dodi  sdir  lalsam  erschehien  lieB.^) 


II.  Der  Verlauf  der  einzelnen  Strafienzfige. 

1.  Die  drei  bayerischen  StraBen,  die  von  dem  an 
der  Sfldostecke  des  Nfimbeigischen  Rechtecks  gelegenen  Frauentor 
ausstrahlten,  zogen  innerhalb  des  Stadtgebietes  durch  die  West- 
hälfte des  Lorenzer  Waldes,  die  von  der  Rednitz,  der  Schwarzadi 
und  dem  Fiscfabach  umschlossen  wird.  Die  München  er  Straße, 
die  bis  Weißenburg  mit  der  Augsbuiger  zusammenfiel,  fitierschritt 
zwischen  Kofnbuig  und  Wendelstein  die  Schwarzach,  durchzog 
von  da  Ober  Rotii  zunächst  Ansbachiscfaes,  sodann  Eichstftdtisches 
(Pleinfeld),  Deulschherrisches  (Ellingen)  und  nochmals  Eich- 
städtisches (Eichstädt)  Gebiet  und  erreichte  mit  dem  bayerischen 
Neuburg  bzw.  Ingolstadt  die  Donau  und  von  da  fiber  MQnchen, 
Mittenwald,  Seefeld  und  Zirl  den  Inn.  Es  waren  also  im  wesent- 
lichen vier  Territorien,  die  diese  gerade  nach  Süden  verlaufende 
Straße  bis  zum  Alpenrand  durchschnitt,  eine  Erscheitnmg,  die  wir 
auch  an  dem  zweiten  nach  Süden  gerichteten  Verkehrsweg,  der 
Landshuter  Straße,  wahrnehmen  kunnen;  denn  auch  diese 
durchzog  von  Nürnberg  über  Freistadt  (pfälzisch),  Berching 
(Eichstädtisch),  Neustadt  a.  d,  D.  (twiyrisch)  bis  Salzburg  im 
ganzen  bloß  vier  Territorien:  die  Marke^rafschaft  Ansbach,  die 
Oberpfalz,  das  Eichstädtische  und  das  Herzogtum  Bayern.  Die 
Regensburger  Straße,  die  dritte  der  bayrischen  StraBen,  die 
an  Bedeutung  die  beiden  erstgenannten  bei  weitem  übertraf,  da 

•)  Vgl.  hierzu  dds  Dankschreiben  des  Nfirnberßcr  Rates  an  den  Herzog  Emst 
von  B«yem  n.  fi-r.  qu.  Quasimodigeniti  M34  auf  dessen  Mitteilung  von  der  Sicherung  de» 
Verttdus  anf  «kr  Hilpoltstdn-IngoUtfdter  Strafle  sdt  der  Einnahme  des  Schlosses  Anu- 
berg;  der  Rat  Mint  dte  Anffonternng  da  Hcnogt,  dca  Nlnboier  Kmftaatta  da«  ans* 
schließllchc  Befahren  der  Straße  nach  München  Aller  Arnsberg  n  tnpfdllca,  hUKdl,  aber 
entschieden  ab.  Nürnberg.  Briefbuch  X,  5. 


Digitized  by  Google 


Die  Hniptwege  des  Nümbergischen  Handels  im  Spätmittelalter. 


sie  den  iufierst  regen  Verkdir  Nflrabeis»  mit  den  Undern  an 
der  mittleren  Donau  vennittdte^  könnte  als  die  bayerische  Stnfie 
u/ai  Uox^  bezddinet  werden;  denn  sie  verlief  mit  Ausnahme 
ganz  kurzer  Strecken  in  den  Bistümern  Regensbmg  und  Passau 
Ober  Neumaikt,  Regensbuig,  Stiaubing  durchaus  im  Gebiet  der 
oberen  Pfalz  bzw.  Bayerns. 

2.  Die  schwäbischen  Strafien»  deren  es  mit  der  Augsburg- 
MQnchener  vier  waren,  durchzogen  samt  und  sonders  in  erster 
Linie  Mari^iflich-Ansbachisches  Gebiet,  sodann  die  sich  an- 
sdilieBenden  reicfassttdtischen  und  reichsgrSflicfaen  Territorien.  So 
führte  die  Augsburger  Straße  von  Wdßenbuig  nach  Donau- 
wörth fiber  Dietfurt  und  Monheim  durdi  Pappenhdmiscfaes  und 
bayerisdses  Gebiet,  die  Ulmer  Straße  von  Schwabach  über 
Günzenhausen  und  Ottiugen  durch  die  Graiscfaaft  Otlingen  nach 
Nördlingen,  die  Hall  er  Straße  Ober  Ansbach,  Teuchtwangen, 
Crailsheim,  Hall  durch  das  Gebiet  der  Reichsstadt  Hall  und  der 
Grafschaften  Hohenlohe  und  Württemberg  nach  Heilbronn,  die 
Rothenbu rgcr  Straße  ubcr  Rothenburg  und  durch  Hohen- 
lohisches  und  Dcuischordensgebiet  nadi  Neckarelz  und  sodann 
nach  Heidelberg  in  der  Kurpfalz. 

3.  An  den  mittleren  Rhein  und  nach  Hessen  führten,  von 
der  erst  von  Koburg  abzweigenden  Werratalstraße  abgesehen,  von 
Nürnberg  nur  zwei  Straßen,  die  große  Frankfurter  Handelsstraße 
und  die  über  Schweinfurt  ziehende  hessische  Straße.  Die  erstere, 
unstreitig  die  verkehrsreichste  unter  all  den  Straßen,  die  von 
Nürnberg  ausgingen,  ITihrle  über  Neustadt  a.  d.  A,  Würzburg, 
Tauberbischofsheim,  Miltenberg  und  Aschaffenburg  nach  Frank- 
furt, wobei  die  Strecke  Miltenberg- Frankfurt  sowohi  als  Land- 
wie  als  Wasserstraße  in  Betracht  kam;  da  das  Erzstift  Mainz  auf 
ürund  des  der  Stadt  Miltenberg  vom  Kaiser  Karl  IV.  verliehenen 
Stapel-  und  Niederlagsrechts  auf  der  Verladung  der  Nürnberger 
Güter  auf  die  Schiffe  der  Miltenl>erger  Schiffer  bestand.  Die 
hessische  Straße  zog  über  Höchstadt  a.  d.  Aisch  und  Schlüsselfdd 
nach  Schweinfurt  und  von  dort  über  Hammelburg  und  Brückenau 
nach  Fulda.  Während  die  Frankfurter  Straße  von  Nürnberg  bis 
Frankfurt  im  Spätmittelalter  sechs  verschiedene  Territorien  (das 
Marlfgrtflicfae,  die  Herrschaft  Limburg*  Speddeld,  die  Grafschaft 


Digitized  by  Google 


8 


Johannes  MOtlcr. 


Castdl,  das  Bistum  Wflnbung,  die  Qnifsdiaft  Wertheim  und  das 
Erzstift  Mainz)  durchzog,  berflhrte  die  hessische  StraBe  bis  Fulda 
nur  die  Stifter  Bamberg  und  Wfirzborg:. 

4.  Die  beiden  Fhuringer  Straßen,  die  Erfurter  und  die 
Leipziger,  zogen  bis  Kobur^  in  einem  Strang  nach  Norden; 
von  Kobuig  an  trat  dann  die  Spaltung  der  Nordsüdlinie  in  zwei 
Äste  derart  ein,  daß  die  Erfurter  Straße  über  Eisfeld,  Amt-Oehren 
bzw.  Ilmenau  und  Arnstadt  direkt  nördlich  nach  Erfurt  ging,  während 
die  Leipziger  Straße  den  Thüringer  Wald  in  der  Nordnordostrich- 
tung über  Neustadt,  Gräfenthal  und  Saalfeld  überschritt;  von  letzt- 
genanntem Ort  an  bis  Weißenfels  blieb  die  Leipziger  Straße  im 
Saaletal;  erst  von  da  wendete  sie  sich,  das  Tal  der  Saale  ver- 
lassend, in  nordöstlicher  Richtung  nach  Leipzig  zu. 

Auf  der  Leipziger,  Ulmer  und  Frankfurter  StraBe  wurden 
wegen  der  in  den  Handelszentren  Leipzig,  Nördlingen  und  Frank- 
furt alljährlich  stattfindenden  Messen  die  zu  den  Messen  ziehenden 
Kaufleute  mit  dem  »lebendigien  Geleite«  begleitet,  ein  Voig^mg; 
der  zum  Teil  unter  allerlei  feierlichen  Gebrauchen  sich  abspielte. 
Das  Geleit  auf  der  Frankfurter  und  Nördlinger  Straße  hatten  die 
oben  genannten  sechs  Standesherren;  auf  der  Leipziger  Straße 
wurde  das  Oeieitsrecht  durch  die  Markgrafen  von  Branden- 
burg, die  Fürstbisdiöfe  von  Bamberg  und  WOrzbui^g  (zwischen 
Gaßbach  bei  Bambeig  und  Gleußen  bei  Lichtenfels  war  Wurz- 
burgisches  Gebiet)  und  die  Landgrafen  von  Tharingen  und 
Markgrafen  von  Meißen  ausgeübt. 

5.  Die  Vogtländer  und  die  böhmische  Straße,  auch 
die  Bai  reuther  und  die  Frager  Straße  genannt,  hielten  genau 
die  Richtung  Nordost  und  Ost  ein.  Die  Bayreuther  Straße  ging 
über  Gräfenberg,  Pegnitz,  Baireuth,  Gefrees,  Hof  durch  fast  aus- 
schließlich Markgräfliches  Gebiet.  Von  Plauen  bis  Bischofswerda 
im  Sächsischen  verlief  die  Straße  parallel  mit  dem  Kamm  des 
sächsischen  Erzgebirges;  von  Bischofswerda  bis  Sagau  am  Bober 
gehörte  sie  dem  Gebiet  der  Oberlausitz  und  von  Sagau  an  dem 
des  Herzogs  von  Ologau  an. 

Die  böhmische  Straße  zog  in  gerader  östlicher  Richtung 
über  Hersbruck  bis  Sulzbach;  von  diesem  oberpfUziscfaen  Stadtchen 


Digitized  by  Google 


Die  Hauptvffe  des  NflrabetBlsdwii  Hjuidds  ün  SiAtniltldJdfer.  9 


an  teilte  sie  stdi  in  zwd  bzw.  drei  Linien,  einen  nördlichen  und 
einen  sOdliclien  Ast,  die  sich  in  Pilsen  wieder  vereinigten.  Der 
nördliche  Ast  verlief  über  Weinberg  und  Waidhaus  bzw.  Weiden 
und  Tacliau  nadi  Mies  und  von  da  nach  Pilsen;  der  sfidliche  Ast 
ging  filier  Arnberg^  Neuburg  vorm  Wald,  Waldmfinchen  nach  Taus 
und  von  da  nach  Pilsen.  Die  Territorien,  die  die  böhmische 
Shrafie  durchkreuzte,  waren  die  Oberpfolz  und  Böhmen. 


III.  Die  ZoUstattcn  und  die  Verkebrshöhc  einzelner  Straßen, 

a)  Anzahl  der  Zoll  Stätten. 

Paßt  man  nur  das  nShere  Verkehrsgebiet  Nfimbergs, 
das  Sfld-  und  Mitteldeutschland  mit  dem  Durchmesser  Nord- 
hausen-Nürnberg-Kufstein (Entfernung  ca.  460  km.)  umfaßt,  ins 
Auge,  so  ergeben  sich  als  Nachbargebiete  der  Reichsstadt  ver- 
hältnismäßig wenige  große  Reichsterritorien,  von  deren  gutem 
Willen  der  ungehinderte  1  landel  Nürnbergs  abhing:  im  Osten 
waren  es  die  bayerisch-pfälzischen  Länder  und  das  Königreich 
Böhmen,  im  Süden  die  Markgrafschaft  Ansbach  und  wiederum 
das  Herzogtum  Bayern,  im  Westen  die  Markgrafschaft  Ansbach, 
die  Hochstifter  Würzburg  und  Mainz,  die  Kurpfalz  und  die  Graf- 
schaft Württemberg,  im  Norden  das  Bistum  Bamberg,  die  Mark- 
grafschaft Baireuth  und  die  Wettinischcn  Lande.  Von  der  in 
diesen  größeren  Territorien  herrschenden  Rechtssicherheit  und 
der  darin  geübten  Zoll-  und  Handelspolitik  hing  demnach  in 
erster  Linie  die  Entfaltung  des  interurbanen  Verkehrs  Nürnher<^^s 
ab.  In  dieser  Erkenntnis  hatte  Nürnberg  auch  schon  fmher 
durch  handelspolitische  Verträge  sowohl  mit  den  benachbarten 
Reichsständen  als  auch  mit  weiter  entfernten  Mächten  den  Handel 
seiner  Bürger  sicher  zu  stellen  gesucht.  Solche  Verträge,  die 
Nürnberg  schon  um  die  Mitte  des  14.  Jahrhunderts,  1359  z.  B. 
mit  den  bayrischen  Herzogen  Stephan  I.  und  dessen  Söhnen 
Stephan  II.  und  Friedrich,  1563  mit  dem  Herzog  Rudolf  IV. 
von  Österreich  schloß,')  sicherten  den  Nümbeiiger  Bui]gem,  mit 


1)  Vgl.  Rott,  Oadbichte  da  NlmberBiKliai  Haadd*.  I.  91  md  4«. 


Digitized  by  Google 


10 


Jotaannes  Müller. 


Vorbehalt  der  Entrichtung  der  gewöhnlichen  Zölle  und  Geleits- 
gelder, die  Freiheit,  in  den  betreffenden  Gebieten  sicher  und 
ungehindert  zu  handeln,  und  versprachen  ihnen  zugleich,  daß  sie 
für  Vergehungen  ihrer  Faktoren,  Fuhrleute  und  Wagenknechte 
nicht  haften  sollten.  Mit  den  Bnuidenburger  Markgrafen,  deren 
Lande  das  Nürnberger  Gebiet  von  drei  Seiten  umklammerten, 
schloß  die  Stadt  in  den  Jahren  1386,  1453  und  1496  ganz 
besondere  Verträge,  durch  welche  nicht  nur  die  Zahl  der 
Brandenburger  Zollstätten,  sondern  auch  die  zollbaren  Waren 
und  der  Zolltarif  samt  dem  Qeldtsgeld  ein  fQr  allemal  festgestellt 
wurden.  Nach  diesen  drei  Verträgen  bestanden  im  Branden- 
burgischcn  37  Zollslitten  und  zwar  31  Hauptzollstttten  und 
6  Neben-  oder  Wcfarzollstätten,  welche  letztere  at>er  von  den 
Markgrafen  infolge  ihrer  Neuerwerbungen  in  Franlwn  noch 
um  eine  ganz  betiichtlidie  Anzahl  vermehrt  wurden,  so  daß  im 
15.  Jahrhundert  reidilich  ein  halbes  Hundert  ZoUstfttten  allein 
im  Brandenburgischen  vorhanden  war«^)  Von  diesen  mehr  als 
fünfzig  markgräflichen  ZoUstfttten  kam  fQr  den  großen,  interurbanen 
Verkehr  der  Nfimtieiger  Handdswdt  aber  nur  etwa  ein  Dritteil 
in  Betracht,  da  eben  der  Mehrzahl  dieser  Zollstatten,  obwohl  dem 
Namen  nach  in  den  Vertragen  als  Hauptzollslatten  bezeidine^  durdi 
ihre  Lage  an  minder  wichtigen  Verkehrsstrafien  nur  die  Punktion 
von  Nebenzollstitlen  zukam.  Pflr  den  Oflterverkehr  Nürnbergs  auf 
den  Hauptwegen  des  Nfimt>eigi8cfaett  Handds  hieb  SQd,  West 
und  Noid,  nach  wdchen  drd  Richtungen  Brandenburgisdies 
Gebiet  passiert  werden  mußte,  hatten  jeweilig  nur  die  zwei  Zoll- 
stätten größere  Bedeutung,  die  die  Anzollstätten  einerseits  gegen 
das  Gebiet  von  Nürnberg,  anderseits  gegen  das  Außengcbict 
der  Markgrafschaft  bildeten;  alle  übrigen,  dazwischen  und  seit- 
wärts von  den  Hauptvcrkchri,straßen  liegenden  Zollstätieii  kamen 
in  der  Hauptsache  nur  für  den  lokalen  Verkehr,  der  sich  be- 
sonders in  den  Jahrmärkten  konzentrierte,  in  Betracht.  Auf  die 
einzelnen  großen  Straßen  nach  Süden,  Westen  und  Norden  ver- 
teilt, stellen  sich  die  Hauptzoilstätten  des  markgrätlichen  Ge- 
bietes folgendermaßen  dar: 

>)  Ausführliche  Nachricht  von  Uen  Nfirnbcn^fdicii  ZoHprozcHcn  mit  den  Mark- 
pillicb^BnuidcBbarcisdun  liodifinU.  Hiniera.  ilt*. 


Digitized  by  Google 


Die  Hauptwege  des  Nürnbergischen  Handels  im  Spatmittcialter.  \  ] 


Straßen 

Amolhtilttn 

a\  innere 

äußere 

1 .  Regensburger  Straße 

Ochenbruck  bzw.Feucht 

Ober-Ferrieden 

z«  MUnCDeii-AugsDurger 

Schwand 

Roth 

t     1  Timor  QfraftA 

Schwabach 

Günzenhausen 

4    Hallpr  Strafip 

Ansbach 

Crailsheim 

5.  Rothenburger  Straße 

Amme  rndorf  bzw.  Neu- 

dorf 

Windelsbach 

6.  Frankfurter  Straße 

Fürth 

Neustadl  a.  d.  A. 

7.  Sdiweinfurter  Sinße 

Vach 

Pricfasenstadt 

8.  Erfiirt-Ldinigier  Straße 

Bruck  bzw.  Tennciilohe 

Btiersdoif 

9.  Baiieuiher  Straße 

Btireuth  bzw.  Pegnitz 

Hof 

Außer  diesen  brandeiiburgischen  Anzollstätien  wRitn  dann 
noch  die  zwei  bayerischen  Zollstätten  Freistadt  an  der  Lands- 
huter  und  I  auf  an  der  Prager  Straße  und  z^ei  Bamberger  Orte, 
Pottenstcm  und  Höchstadl,  als  innere  Anzolistätten  für  den  inter- 
Urbanen  Verkehr  Nürnbergs  von  Wichtigkeit 

Was  die  Lage  dieser  dreizehn  inneren  Anzolistätten  betrifft, 
so  befanden  sich  davon  sieben  unmittelbar  an  der  Grenze  des 
Nfimbeiser  Gebietes;  die  sechs  anderen  dagegen,  nAmlich  Ansbach, 
Neudorf,  HOchstadt,  Potlenstein,  Baireuth-  und  f reisladt  lagen 
von  der  Oebietsgrenze  Nflmbeigs  um  vier  und  noch  mehr  Meilen 
entfernt  was  sich  wohl  nur  darauf  zurflckfQhren  lABt,  daß  diesen 
sechs  Orten  als  den  NOmbeiig  nSher  gelegenen  größeren  An- 
^edlungen  wegen  ihrer  höheren  wirtschaftlichen  Bedeutung  auch 
die  Vereinnahmung  der  Zölle  zugewiesen  wurde. 

In  bezug  auf  die  Zahl  der  Zollstttten  dürfte  wohl  die 
Frankfurter  Straße  unter  alten  die  bestbedachte  gewesen  sein; 
denn  außer  den  beiden  brandenburgischen  Zollstätten  Fürth  und 

Neustadt  lassen  an  der  Frankfurttr  Straße  von  Nürnberg  bis 
Würzburg  im  ganzen  noch  sieben  Zollstätten,  nämlich  die  früher 
Hohenlohischen,  dann  Limburg-castellischen  ZollsUiticn  Lcinibach 
und  Mnrkt  Einersheim,  sodann  die  würz  burgischen  Zollstätten: 
Markt  Bibart,  Altiuannshausen,  Iphofen,  Kitzingen  und  Würzburg, 
Orte,  die  in  ganz  geringer  Entfernung  voneinander  lagen. 

Entsprechend  ihrer  geringeren  Verkehrsbedeutung  waren  auch 


Digitized  by  Google 


12 


Johannes  MfiUer. 


die  Rothenburger,  Schweinfurter,  Landshuter  und  Bairaither 
Straße  mit  einer  weit  geringqen  Zahl  von  Zollstttten  besetzt; 
innerhalb  derselben  Entfernung;  wie  sie  die  mit  neun  ZoUstitten 
versehene  Strecke  Nümberg-Würzburg  der  Frankfurter  Straße  dar- 
stellt, hatte  z.  B.  die  Schweinfurter  Straße  nur  vier  Zollstätten 
(Vach,  Hochstadt,  Schlüssclfeld,  Schweinfurt),  obwohl  der  Wechsel 
der  Tel  iitürien  auf  der  letzlgeiiannten  Slralie  ein  größerer  war  — 
viermal  wechselte  die  Schweinfurter  Straße  da  das  Staatsgebiet  — 
als  auf  der  gleichlangen  Strecke  der  Frankfurter  Straße. 

Übrigens  entschied  über  die  größeren  oder  geringeren 
Unkosten  beim  Transport  der  Kaufmanns^^fiter  nicht  bloß  die 
Anzahl  der  Zollstätten,  sondern  auch  die  Höhe  der  Zölle,  die 
im  Mittelalter  bekanntlich  außerordentlichen  Schwankungen  unter- 
worfen war.  So  differierte  z.  B,  der  Zoll  für  ein  Fuder  Franken- 
wein innerhalb  Würzburgischen  und  Brandenburgischen  Gebietes 
von  drei  Pfennigen  bis  zu  einem  Oulden.  Im  Brandenbuiigischen 
betrug  nämlich  der  Weinzoll  nur  drei  Pfennige,  im  Wfirz- 
buiigischen  einen  Oulden. 

b)  Verkehrshöhe  einzelner  Straßenzüge. 

Von  der  Verkehrshöhe  auf  den  einzelnen,  von  Nflmberg 
ausgehenden  Shnßen  eine  einigermaßen  richtige  Vorstellung  zu 
gewinnen,  ist  bei  dem  Mangel  an  Nachriditen  Ober  die  ZoU- 
dnnahmen  der  wichtigeren  Zollstätten  außerordentlich  schwer. 
Und  sind  uns  auch  solche  Nachrichten  ausnahmsweise  erhalten 
geblieben,  so  stellt  sich  sofort  die  weitere  ScliwiLii^keit  ein,  daß 
sich  unoige  lier  I'.untscheckigkeit  der  mittelalterlichen  Zoiltarife, 
bei  welchen  neben  dem  Wertzoll  der  Stückzoll  und  der  Zoll 
nach  den  Transportmitteln  besonders  in  Betracht  kamen,  aus  den 
angegebenen  Geldsummen  keine  Schlüsse  auf  die  Menge  und  Art 
der  Güter  ziehen  lassen.  In  den  für  die  mittelalterliche  Wirt- 
schaftsgeschichte sehr  wertvollen  Belegen  zu  den  Nürnberger 
Stadtrechnungen  ^)  linden  sich  aber  doch  einzelne  Notizen,  aus 


')  Die  Belejjc  nt  den  Nürnberger  Stadtrechnungen  finden  sich  im  Nürnberger 
Krciwchiv  vom  Jahre  147S  an  jahrgangsweise  in  verschnürten  Paketen  von  ziemlich  an- 
sehnlichen Dimendonoi,  die  «iedor  ans  Dnlaaden  von  Udneno  nktUm  oder  Zettd* 
bändda  besidieii. 


Digitized  by  Google 


Die  Hauptwege  des  Nfimbergischen  Handels  im  Spätmittelalter.  |$ 


wdclieti  sich  noldOrftige  Aufschlflsse  Ober  die  VericehrshOhe  der 
Ffinkfurter  und  der  Landshuter  Straße  in  besiininiten  Zeit- 
afascfanitten  gewinnen  lassen. 

Die  erste  der  hier  einschllgigen  Urkunden  ist  ein  Qddts- 
gelderverzeidinis  von  einer  brandenbuf^gisdien  ZoUslfttte  an  der 
Frankf  tt  rter  Straße  -  aller Wahisdidnlicbkeit  nadi  Neusladta.d.A. 
-  vom  Jahre  1446,  in  weldiem  neben  Angaben  aber  die  Oeldts- 
gekler,  die  von  den  aus  der  Frankfurter  Fastenmesse  im  Jahre 
1446  nach  Nflmberg  zu  Pferd  heimziehenden  Kaufleuten  boahlt 
wutden,  genaue  Angaben  Ober  die  Zahl  und  die  Eigentümer 
der  Wagenpferde  gemadit  werden,  die  aus  jener  Fastenmesse 
Lastwagen  nadi  Nfimbetg  fuhren.  Damadi  betrug  die  Zahl 
dieser  aus  der  Faslemnesse  1446  von  Frankfurt  heraufkommenden 
Wagenpferde  19S,  wozu  nodi  18  mit  sog.  Zentnergut  beladene 
Wagen  kamen,  die  tdls  mit  vier,  teils  mit  zwd  F^erden  bespannt 
waren.  Nimmt  man  nun,  wie  es  die  Regtl  bildde,  für  jeden 
Wagen  der  ersten  Art  als  Gespann  vier  Pferde  an,  so  ergibt 
sich  als  Gesaiiilzahl  ditser  aus  der  Messe  heimfahrenden  Wagen 
die  Zahl  67  (184-49). 

Einen  weiteren  Anhaltspunkt  lur  die  üioßc  der  I'rankfurter 
Meßkarawanen  im  15.  Jahrhundert  gewinnen  wir  aus  den  sog. 
Freßgeldervcrzeichnissen  dieses  Jahrhunderts,  speziell  aus  dem 
Freßgelderverzeichnis  vom  Jahre  1476.  Unter  Freßgeldern 
versteht  man  die  von  der  Nürnberger  Handeisweh  für  die  Meß- 
reisenden ffötgesetzten  Umlaß;en  zur  Bestreitung  der  Unkosten,, 
die  auf  Zehrung  und  Verclirung  für  die  Geleitsmannschaften 
gingen.  An  diesen  Freßgeidern,  die  nach  den  drei  Hauptwaren- 
gatturtj^en,  ^rolicn  und  feinen  Waren  und  Gewand,  von  den  Meß- 
reisenden in  der  Weise  erhoben  wurden,  daß  für  den  Zentner 
geringwertiger  Güter,  wie  Eisen,  Kupfer,  Schwefel,  Rot  usw., 
zwei  i^ennige,  für  den  Zentner  Feingut,  wie  Spezereien,  sechs 
Pfennige  und  für  den  Saum  (4  Ztr.)  Gewand  sechsundfünfzig 
Pfennige  erhoben  wurden,  gingen  in  der  Fastenmesse  1476 
folgende  Summen  ein:  für  Feingut  74  13  Pf.,  was  einer 
iVtenge  von  372  2^ntnem  entspricht,  für  grobe  Waren  1 96  9?  20  Pf., 
was  einer  Menge  von  2949  Zentnern  entspricht,  für  Gewand 
403     19  Pf.,  was  einer  Menge  von  21 6V«  Saum  (865  Ztr.> 


Digitized  by  Google 


14 


Johannes  Müller. 


entspricht.  Daraus  ergibt  sich,  wenn  man  als  Wagenladung 
20  Zentner  annimmt,  eme  Gesamtzahl  von  212  Wagen  oder 
für  eine  Meßkara\sane  106  Wagen,  so  daß  sich  der  Meßverkehr 
Nürnbergs  nach  Frankfurt  von  der  Mitte  des  15.  Jahrhunderts 
bis  zum  Ende  desselben  etwa  um  33  "/^  gesteigert  hätte,  für 
die  Verkehrshöhe  auf  der  Landshuter  Straße  endlich  geben  die 
ZoUeinnahmen  der  Nürnberger  Zollstätte  Röthenbach  bei  St  Wolf- 
gßng  vom  Jahre  1490  gewisse  Anhaltspunkte.  An  dieser  Nürn- 
berger Zollstätte,  an  d«r  ein  Wa^en  mit  Zentneiigutf  d.  h.  Wein, 
Salz  und  dergleichen,  zwei  Pfennige,  ein  Wagen  mit  landwirt- 
sdiafUtchen  Produkten  (Getreide,  Holz  usw.)  einen  Pfennig 
Zoll  bezahlte,  waren  von  Anfang  August  bis  Ende  Okiober 
des  Jahres  1490  pro  Monat  rund  27  (August  26  ff  2$  Pf^  Sep- 
tember  26  ff  20  Pf.,  Oktober  28  ff)  verdnnahnit  wurden.  Unter 
der  Annahme,  daß  die  Hilfte  der  monaHicfacn  Zolleinnahmen  von 
den  Zentneig^tem,  die  andere  HUfte  von  den  groben  Ofitem 
herkam,  wttrden  auf  der  Landshuter  Straße  durch  Rothen- 
bach  monatlich  202  Wagen  mit  Zentnergütem  und  405  Wagen 
mit  groben  QQIem  durchgegangen  sein,  ein  Verkehr,  der  in 
Anbetaidit  der  untergeordneten  Bedeutung  der  Landshuter  Sfaafie 
fOr  den  Nflmbeiger  Handel  für  mittelalterliche  Verhältnisse  immer- 
hin als  beachtenswert  erscheint.  Gegenüber  der  Verkehrshöhe 
der  großen  Eisenbahnlinien  unserer  Zeit  verschwinden  freilich 
diese  Wagenzahlen;  aber  ein  Vergleich  zwischen  der  Verkehrs- 
höhe der  mittelalterlichen  Landstraßen  und  der  neuzeitlichen 
Schienenstränge  kann  immer  nur  unter  gewissen  Voraussetzungen 
gezogen  werden. 


IV.  Die  NQmberger  Botenlöhne  im  Spätmitteialter. 

Ratsboten,  d.  h.  reitende  Boten,  die  die  Korrespondenz  des 
Nürnberger  Rates  mit  den  vofzüglichsten  NachbaislSdten  und 
-steaten  besofgten,  gab  es  seit  dem  Jahre  1449,  In  welchem  Jahre 
der  Markgrsfenkrieg  die  Aufstellung  von  vier  geschworenen  Boten 
notwendig  machte.    Neben  diesen  reitenden  Ratsboten  g^b  es  aber 


Digitized  by  Google 


Die  Hauptwege  des  Nfirabergischen  Handels  im  Spilmittelalter.  1 5 


schon  viel  früher  die  laufenden  Boten»  deien  sidi  die  Handels- 
leute zur  Beförderung  ihrer  Briefe,  fiberhaupt  zur  Erleichterung 

des  Handelsverkehrs  im  Spätmittelalter  allgemein  bedienten.  Meist 
verbanden  sich  mehrere  Handelsleute,  deren  Handel  sich  nach 

einer  Richtung  bewegte,  zu  einem  Konsortium  und  sorgten  gemein- 
schaftlich dafür,  daß  einige  Boten  den  Transport  ihrer  Briefe  und 
Päckclien  für  eine  bestimmte  Surtmie  Oeldes  übernahmen.  Im 
16.  Jahrhundert,  insbesondere  seit  dem  Jahre  1571,  in  welchem 
das  Nürnberger  Roten w-  sen  auf  Veranlassung  der  Vorsteher  des 
NumberjE:er  Handeisstündes  vom  Rate  detaillierte  Ordnungen  erhielt, 
war  (.las  fjrieipürto  durch  diese  Botenordnungen  auf  das  genaueste 
festgesetzt  Darnach  bekam  ein  Bote  bei  Entfernungen  unter 
18  Meilen  für  jede  Meile  zwei  Groschen;  bei  größeren  Ent- 
fern iinpjen  trat  eine  auf  Verabredung  des  Auftraggebers  und  des 
Boten  beruhende  Erhöhunt{  des  Normalbotcnlohnes  em,  Fiir 
solche  Rotengänp;e,  die  behufs  Kundschaftserbringung  von  einem 
Ort  gemacht  wurden  und  wobei  der  Bote  über  Tag  und  Nacht 
an  dem  betreffenden  Orte  aufgehalten  wurde,  sollten  für  jeden 
Tag  drei  Groschen  besonders  bezahlt  werden.') 

Solche  durch  die  Bolenonlnung  des  Jahres  1571  geschaffenen 
Besfimmungen  Aber  die  Botenlöhne  kannte  das  15.  Jahrhundert 
noch  nicht;  trotzdem  findet  sich  aber  in  der  Praxis  t>erei1s  die 
doppelte  Portotaxe  fQr  den  Nah-  und  den  Femverkehr,  insofern 
als  der  Lohn  der  NOmbeig^  Bolen  ffir  OSnge  nadi  Orten  der 
näheren  Umgebung,  nach  Meilen  auigmlinet,  bedeutend  ge- 
ringer war  als  der  Lohn  für  OSage  nacb  weiter  entfdrnten  Orten. 
Eine  Obenkfal  fiber  die  Botenlöhne  im  Nah-  und  Femverkehr  aus 
der  Mitte  des  15.  Jahrhunderts,  bei  welcher  die  Orte  auf  den 
Haupthandelsstraßen  in  möglichst  gleich  großen  Abständen  von 
Nürnberg  eingetragen  sind,  wird  die  Richtigkeit  der  hier  gemachten 
Aufstellung  ohne  weiteres  erkennen  lassen.*) 


>)  Vgl.  bicRn  die  Akten  des  Ninoiboser  Stsdtaidrivs  Aber  das  BoteavcMn,  Fanikd 
1175-iStS,  ImbeKNideie  FwlM  11M. 

I)  Die  Angaben  fiber  die  Botenlöhne  sind  den  Nnmberger  Stidliwiniailgen  wid 
zvar  Jahri^iifen  des  5.,  6.  und  7.  JahndiaU  des  15.  Jafarbunderts  entnommen.  Bezfiglidi 
det  Mfiaswcrt»  M  n  bemerken,  daß  dn  Pftuid  M  Pfennige  oder  20  Schilling  galt 


Digitized  by  Google 


16 


Ort 

Ent- 
fernung 

Botenlohn 

Taxe 

pro  Meile 

tn  Mpilm 

III  ivIdIWI 

CZ) 

Pf 

Baiersdorf 

4 

4 

8 

2 

Thflnngiscbe 

Bamberg 

10 

8 

1 

4 

und  SAdnische 

Koburg 

17 

6 

3 

Stnoe 

Erfurt 

25 

1 

12 

8 

1 

5 

Leipzig 

4   «  «  / 

34V, 

2 

6 

8 

5 

Gräfenberg 

4 

4 

8 

2 

.  Vogtländer 

Baireuth 

1 1 

11 

8 

\ 

V. 

Straße 

Plauen 

21 

1 

5 

8 

1 

3 

i  Zwickau 

25V, 

1 

8 

— 

1 

2 

1 

'  Hersbruck 

4 

4 

8 

2 

Böhmische  J 

Ambeiig 

9 

9 

6 

V. 

StraBe 

Pilsen 

28V« 

1 

18 

6 

5 

'  Prag 

42V, 

2 

15 

— 

1 

5 

RcBMtsburcier 
Straße 

Neumarkt 

Regensburg 

Piusau 

5 

13  V, 
31 

— 
— 
2 

5 
16 
7 

10 
4 

— 

1 
1 
1 

2 
3 
6 

Schwabach 

2 

— " 

2 

6 

1 

3 

Weißenburg 

8 

8 

2 

1 

V, 

Münchener 
StiaBe 

Eichstadt 
Neu  bürg 
InKül  Stadt 

1 1 

14 

14 

— 

1 1 

1  7 
19 

8 

— 

1 

\ 

Vk 
3 

4 

München  . 

25 

1 

15 

1 

5 

Innsbruck 

40V, 

3 

— 

— 

1 

6 

Augsburger  j 

weioenburg 

8 

8 

2 

V, 

Pappenhetm 

9V, 

— 

10 

6 

\ 

2 

Straoe  1 

Donauwörth 

13 

— 

15 

— 

1 

3 

Augsburg 

18 

1 

4 

4 

Ounzenhausen 

6 

7 

— 

\ 

2 

Ulmer  Straße 

Nordliiigen 
Ulm 

1 1 

19  V, 

■ 

1 

14 
6 

1 
1 

3 
4 

Konstanz 

35 

2 

15 



1 

7 

( 

Ansbach 

5 

— . 

5 

10 

1 

2 

HaUer  Sinße 

Hall 

Heilbronn 

13  V, 

19V, 

1 

17 

D 

6 

4 
4 

[ 

Straßburg 

43 

2 

16 

4 

Rothenburger  \ 
Straße  | 

Mergenthdm 

o 

13 

10 
16 

6 
4 

2 
3 

Heidelbei]g 

27 

1 

15 

4 

WürzbuiTJ 

12V. 

15 

2 

3 

Frankfurter  1 

Miltenberg 

20 

1 

7 

4 

Straße  1 

Frankfurt 

27V, 

1 

18 

4 

Mainz 

32 

2 

6 

5 

Digitized  by  Google 


Die  Hftttptwcge  des  Nflitibersisdien  Hindels  In  Spitnitlelaltcr.  1 7 


Aus  der  hier  gegebenen  Obersidit  ist  zu  entnehmen»  daS  im 
15.  Jahrhundert  die  Nikrabefger  Briefboienlöhne  im  ganzen  nach 
drei  TaiifBttM  abgestuft  waren.  Die  mindeste  Taxe  zu  einem 
Schilling  und  zwei  Pfennigen  ffir  eine  Meile  galt  fQr  den 

Nahverkehr,  d.  h.  fOr  einen  Umkreis  mit  einem  Halbmesser  von 

ca.  10— 12  Meilen,  wobei  allerdings  kleinere  Schwankungen  indem 
Tarifsätze  von  einem  Schilling  und  V«  Pfennig  bis  zu  einem 
Schilling  und  vier  Pfennigen  —  vorkamen,  ^ü^  Briefe,  die  an 
weiter  entfernte  Orte  beiordert  wurden,  bezahlte  man  um  die  Mitte 
des  15.  Jahrhunderts  pro  Meile  einen  Schilling  und  drei 
Pfennige,  ev.  einen  Schilling  und  vier  Pfennige,  wenn  die 
Entfernung  von  Nürnberg  nicht  iiber  25  bzw.  30  Meilen  betrug. 
Bei  ganz  großen  Entfernungen  endlich  stieg  der  Tarifsatz  für  eine 
Meile  auf  einen  Schilling  und  fünf  Pfennige,  ev.  einen 
Schilling  und  sechs  bis  sieben  Pfennige,  wie  die  in  der 
Übersicht  verzeichneten  Botenlöhne  für  Briefbeförderun^en  nach 
Passau,  Innsbruck  und  Konstanz  beweisen.  Den  dreifachen  Tarifsatz 
lassen  die  Botenlöhne  auf  den  sämtlichen  von  Nürnberg  aus- 
strahlenden Straßen  erkennen;  nur  die  sächsisch-meißensche 
Straße  macht  hiervon  eine  Ausnahme,  indem  auf  ihr  der 
Tarifsatz  für  den  Nahverkehr  demjenigen  für  den  hemverkehr 
vollständig  gleichkam.  Ob  hier  nur  ein  Zufall  obwaltet 
oder  ob  das  billigere  Briefporto  für  den  Fernverkehr  auf 
der  Meißener  Straße  auf  natürliche  Ursachen  zurückzuführen 
ist,  läßt  sich  nach  den  uns  zu  Gebote  stehenden  Nachrichten 
nicht  entscheiden. 

Im  ganzen  15.  Jahrhundert  scheinen  die  Botenlöhne  sich 
in  ziemlich  gleicher  Höhe  gehalten  zu  haben;  denn  die  Portis 
der  dreißig  Jahre  unterscheiden  sich  von  denen  der  siebzig^ 
Jahre  ganz  unwesentlich.  Veiigleicht  man  dagegen  die  Boten^ 
lohne  aus  dem  Anlang  des  16.  Jahrhunderts  mit  denen  des  Spftt- 
mittdalters»  so  etgibt  sich  fOr  die  eisleren  gegenüber  den  lelzteiett 
eine  ganz  bedeutende  Steigerung.  Die  Botenlöhne  waren  nämlich 
im  Anfang  des  16.  Jahrhunderts  gerade  doppelt  so  hoch  wie  um 
die  Mitte  des  1 5.  Jahrhunderts»  wie  sich  aus  der  hn  nachstehenden 
gemachten  Oegenflberstellung  detselben  fOr  verschiedene  Orte 
nach  den  Jahren  1458  und  1525  ersehen  Uißt 

Archiv  (ur  Kulturgeschichte.   V.  2 


Digitized  by  Google 


18 


Johannes  Müller. 


im  Jahre  1458  { 

im  Jahre  1S25 

Schill. 

Pf.  1 

Schill. 

Pf. 

Aug:sburg 

1 

4 

2 

3 

Ansbach 

c 

3 

1  U 

1  z 

Bamberg 

— 

10 

8 

1 

5 

Ditikdsbflhl 

1  1 

0 

1 

Eidisttdt 

1  1 

8 

1 

14 

Eger 

1 

3 

2 

Eßlingen 

1 

1  o 

o 

1  ti 

Frankfurt 

1 

1 8 

4 

Ku  Imbach 

1 0 

ft 
o 

2 

fi 

o 

Leipzig 

2 

6 

8 

4 

6 

5 

10 

10 

Neuburg 

17 

2 

7 

Rothen  b  11  ri^ 

10 

6 

1 

Schweinfurt 

17 

2 

Würzburg 

15 

2 

1 

10 

Ulm 

1 

6 

2 

6 

Zwidcau 

1 

8 

- 

2 

15 

Die  Botenlöhne  waren  also  im  16.  Jahrhundert  gegen 
früher  bedeutend  gestiegen,  der  Gewinn  davon  fiel  aber  nicht 
ausschließlich  den  Boten  zu,  sondern  kam  iwm  Teil  in  andere 
Hände.  Im  Laufe  des  16.  Jahrhunderts  war  nämlich,  wie  in 
anderen  großen  Handelsstädten,  so  auch  in  Nürnberg  dem  Boten- 
wesen eine  gute  Ordnung  gegeben  und  zur  Aufrechthaltung  der 
ganzen  Einrichtung  ein  von  dem  Rat  vereidigter  Botenknecht, 
später  Botenmeister  genannt,  eingesetzt  worden.  Dieser  Boten- 
knecht nun  erhielt  zu  seinem  Unterhalt  zunächst  für  jeden  ein- 
und  auslaufenden  Brief  von  dem  Adressaten  bzw.  Absender  eine 
Gebühr  von  4  Hellem,  außerdem  aber  von  jedem  Boten  für  jede 
vollendete  Reise  ein  Trinkgeld  von  etlichen  Groschen,  so  z.  B. 
für  die  Reise  von  NQmbeig  nach  Breslau  5  Groschen.  Zum 
Ersatz  für  solche  Auslagen  war  den  Boten  das  Neujahrwünschen 
und  das  Einsammeln  von  Neujahrogesdienken  bei  den  Kaufleuten 
crhiubt;  diese  Neujahrsgelder  wurden  von  den  für  das  Boten- 
wesen verordneten  Ratsherren  alljährlich  zur  Hälfte  unter  die 
Boten  und  den  Botenknecht  verteilt,  zur  Hälfte  zu  einem  Spar- 
pfennig für  erkruikte  und  invalide  Boten  admasaiert 


Digitized  by  Google 


Die  Hauptwege  des  Nürnbergischen  Handels  im  Spätinittelalter.  19 


V.  Die  Bedeotung  der  HUiii*  und  Donanstraße  fir  dca 
Handel  Nfirnbcv  Spätnittelaltcr. 

Bd  der  hohen  Entwicklung  der  Gewerbe  in  Nfimbeig  im 
spitecen  Mittelalter,  unter  weichen  wiederum  das  Metallgewerlie 
durch  seine  Leistungen  Aber  alle  anderm  Industriezweige  hervor- 
ngte,  muBte  dem  Nürnberger  Handelsstand  besonders  viel  daran 
gelegen  sein,  die  diesen  Gewerben  ndtigen  Rohstoffe  auf  mög- 
lichst  billige  Weise  herbeizuschalfien.  Der  billigt  Weg  hierffir  war 
aber  wie  auch  heute  noch  der  Wasserweg^  und  darum  sehen 
wir  die  beiden  schiffbaren  Str5me,  den  Main  und  die  Donau, 
die  von  Nürnberg  aus  verhältnismäßig  rasch  zu  erreichen  waren, 
von  der  Nürnberger  Handelswelt  im  Spätmittelalter  in  sehr  aus- 
giebiger Weise  benützt.  Zwar  war  die  Zahl  der  Zollstätten  an 
den  beiden  schiffbaren  Gewässern  noch  bedeutend  ,c;rülkM"  als  a.11 
den  entsprechenden  Verkehrswegen  zu  Land;  aber  der  Umstand, 
daß  die  Fracht  für  einen  Zentner  pro  Meile  zu  Wasser  nur 
etwa  den  dritten  Teil  der  Fracht  eines  Zentners  zu  Land  kostete, 
mußte  die  Kaufleute  immer  wieder  auf  die  Benützung  der  beiden 
Wasserwege  bei  der  Beförderung  von  Massenartikeln  hinweisen.*) 

Die  Massengüter,  die  damals  auf  dem  Wasserwege  über 
Bamberg  einerseits,  über  Regensburg  andererseits  nach  Nürnberg 
befördert  wurden,  waren  außer  üetreide,  Wein  und  Holz  vor 
allem  Metalle,  wie  Kupier,  Zinn,  Blei,  Messing  usw.,  ferner 
Erden,  wie  Alaun,  Schwefel,  Röt,  Kreide,  sodann  Wachs  und 
Papier.  An  Blei  ahein  sind  z.  B.  am  Anfanf.;  des  16.  Jahrhunderts 
jährlich  1 2  000  Zentner  von  den  Niederlanden  auf  F^hein  und  Main 
nach  Ekmberg  herauf  und  von  da  zu  Land  nach  Nürnberg  trans- 
portiert worden.  Nach  einer  im  Jahre  1532  vorgenommenen 
SdUUzungder  Ratsverordneten  Sigm.  Fürer,  Endres  Imhof  und  Mart 
Pfinzing  betrug  die  Gesamtmenge  der  jährlich  zwischen  Frank- 
furt und  Nürnberg  auf  dem  Main  ,hin-  und  hertransportierten 
adiweren  Oöter  30000  Zentner,  und  zwar  gingen  20  000  21entner 

1)  Im  Jahre  14«9  kostete  nach  den  Anglben  der  Nürnberger  Stadtrechnun^  (Nflmb. 
lüeisarchiv)  ein  Fuder  Bamberger  Wein  (ca,  24  Zentner)  aaf  dem  Main  von  S  tiMcinfurt 
bis  Bamberg  6  alte  Pfund,  d.  h.  180  Pfennige.  Da  die  Entfernung  von  Schveinfurt  nach 
Bambetf  7%  Mdicn  bdrigt,  so  kam  also  die  Fracht  eines  Zentners  auf  dem  Main  pro 
Meile  auf  einen  Pfennig  zu  stehen.  Bd  derselben  Weinsendung  kostete  der  Transport  einet 
Fuders  von  Bamberg  nach  Nflmberg  (Entfonnng  1]^  Mdlen)  2  Onldcn  oder  nach  damaligem 
Wcrti6Ptaid  M  Pf.,4.  i.     Pf.  DfePMMcbmZaibwrt tM Laad koM dcnunch  aui  Pf. 


Digitized  by  Google 


20 


Johannes  Mflller. 


tnf  dem  Main  nach  Nfirnberg  herauf  und  10000  Zentner  von 
Nürnbeiig  den  Main  hinab. 

Aus  Österreich  und  Ungarn  kamen  zu  Schiff  nach  Regens- 

bur^  große  Schiffsladungen  mit  Wein,^)  Eibenholz  usw.,  die  die 
Nürnberger  Kaufleuie  entweder  in  ihrer  Vaterstadt  in  den  Handel 
brachten  oder  von  da  in  andere  Teile  Deutschlands  und  der 
Naciibariänder  verschleißten. 

In  Anbetracht  dieses  regen  Güterverkehrs  auf  dem  Main 
und  der  Donau  ist  es  erklärlich,  daß  der  Rat  von  Nürnberg 
eifrigst  darauf  bedacht  war,  etwaige  Verkehrshemmungen  des 
Nürnberger  Handels  auf  den  beiden  Strömen  soweit  als  möglich 
hintanzuhaltcn.  Linter  den  den  Schiffsverkehr  hemmenden  Ein- 
richtungen standen  nun  neben  außergewöhnlichen  Zöllen,  gegen 
welche  die  Kaufleute  bei  der  Benützung  von  Wasserstraßen  zu- 
meist ganz  machtlos  waren,  obenan  die  Stapel-  und  Marktrechte^ 
die  einzelnen,  an  besonders  wichtigen  Knotenpunkten  des  Ver- 
kehrs gelegenen  Orten  verliehen  waren.  Am  Main  besaßen  ein 
solches  Stapelrecht  Bamberg,  Miltenberg  und  Frankfurt,  doch  mit 
dem  Unterschied,  daß  Bamberg  und  Frankfurt  nur  das  sog. 
Knmrecht  Qns  kranü),  d.  b.  das  Recht  der  Eihebung  eines 
Krangeldes  von  allen  durchgehenden  Waren,  ausübten,  wBhicnd 
das  zum  Erzbishim  Mainz  gehörige  Miltenberg  das  eigentliche 
Stapelrecht  (jus  emporii)  besaß,  welches  nicht  nur  das  Untschlags- 
recht,  d.  h.  die  Weiterverfrachtung  der  zugefQhrten  Güter  durch 
das  einheimische  Transporigewerbe,  sondern  auch  die  Pflicht  der 
Kaufleutcv  die  Waren  am  Stapetorle  auszubulen  und  innerhalb  einer 
gewissen  Zeit,  gewöhnlich  dreier  Tage,  fdlzubieten,  in  sich  schloß. 

An  der  mittleren  Donau  besaß  Passau  ein  auf  Wein  und 
SahE  beschränktes  Stapelrecht,')  Wien  dagegen  einen  auf  alle 
Warengattungen  sich  erstreckenden  Stapel,  vermöge  dessen  der 
Donauhandel  nach  dem  Orient  den  westeuropäischen  Kaufleuten 
völlig  gesperrt  werden  konnte.*)  Fiir  die  Nürnberger  Handels- 
weit, die  die  Donaustraße  von  Kegensburg  abwärts  benützte,  kam 

')  So  UcB  s.  E  der  Nürnberger  Handelsherr  Nikits  Groß  im  Jahre  1478  ein  Schiff 
mit  ÖMoiddier  Wein,  der  Rat  von  Nfirnberg  im  Jahre  1492  zvd  ScUfffe  ösIcmiGiNr 
Wdn  (19S  Pttder  haltend)  von  Wien  nadi  Regensburg  befördern. 

3)  M.  Mayrr,  Bayerns  Handel  im  Mittelaiter  und  in  der  Neuzeit,  S.  M. 

^  A.  Scimlic  Oodiidite  da  mitldaMeHidicn  Hindds  usw.,  I,  514. 


Digitized  by  Google 


Die  Hauptw^e  des  Nümbergischen  Handels  im  Spätm  ittelalter.  21 


infolge  dieser  weitgehenden   Privilegien  Wiens  fast  nur  der 

Import  aus  Österreich- Ungarn  und  den  unteren  Donau ländern 
in  Betracht,  während  bei  der  Maiiischif fahrt,  wie  oben  bemerkt, 
der  bedeutende  Güterverkehr  auch  auf  der  Ausfuhr  Nürnberger 
Industrieprodukte  (Blech-  und  Metallwaren)  nach  den  Rhein- 
landen und  den  Niederlanden  beruhte.  In  Anbetracht  dieses 
starken  Güterverkehrs  auf  dem  Main,  der  den  Verkehr  zu  Land 
bei  weitem  übertraf,  hätte  die  Nürnberger  Handelswelt  das  Milten- 
berger Stapelrecht  jedenfalls  sehr  unliebsam  empfunden,  .wenn 
dasselbe  mit  der  Strenge  und  Folgerichtigkeit  ausgeübt  worden 
wäre,  mit  der  es  bei  seiner  Verleihung  durch  Kaiser  Kari  IV. 
im  Jahre  1368  intendiert  worden  war.  Das  scheint  nun  aber 
zum  Glück  für  die  Nürnberger  Kaufleute  im  Mittelalter  nicht 
geschehen  7U  sein;  vielmehr  ist  aus  dem  Fehlen  von  Klagen 
der  Nürnberger  über  derarüge  Beeinträchügungen  ihres  Handels 
nach  Frankfurt  zu  schließen,  daß  das  Miltenberger  Stapelrecht 
von  der  Mainzer  Regierung  im  Mittelalter  sehr  lässig  gehandhabt 
worden  ist  Erst  die  Neuzeit,  und  zwar  der  Regieranssb^nn 
Kaiser  Karls  V.,  brachte  hierin  eine  Änderung,  indem  von  da  an 
seitens  des  Erzstiftes  Mainz  das  Miltenberger  Stapelrecht  emstlich 
durchgeführt  wurde,  wodurch  dann  der  Rat  von  Nürnberg  ge- 
zwungen wurde,  durch  Vertrage  bzw.  unverzinsliche  Darlehen 
an  Mainz  (1539  u.  1563)  sich  die  Öffnung  des  Mainstromes  bei 
Miltenbei^  zu  erkaufen.^) 

Im  MitteUdfer  waren  also  für  den  Handel  Nfimbeig^ 
weniger  die  Slapelrechte  einzelner  Orte  am  Main  und  an  der 
Donau  als  die  vielen  und  zum  Teil  hohen  Zölle  an  den  beiden 
Strömen  ttstig.  Der  Main  mit  seinen  zahlreichen  Uferslaaten 
und  -slaatchen,  deren  es  von  Bambeig  bis  Fnmlcfurt  gerade  ein 
Dutzend  waren,  nflmlich  die  Hochstifter  Bamberg,  Wüizbuiig  und 
Mainz,  die  Markgrafechaft  Brandenburg;  die  Grafschaften  Henne- 
berg, Castell,  Rieneck,  Wertheim  und  Hanau,  die  Herrschaft 
Limburg-Speckfeld  und  die  Abteien  Theres  und  Neustadt  a.  M., 
war  darin  der  Donau,  die  außer  den  beiden  Sliiieni  Regeuaburg 


1)  Vsi.  de»  Vcrtasen  AnfWi:  «Der  Kwpf  NfinboBi  nit  Kttnoalm  ua  die  fide 
Schiffahrt  auf  dem  Main  im  16  Jallffauldcrt^  UntcrlMltlliqpbktt  det  .FitnUidicn  Knte« 

190«,  Nr.  52,  54,  56,  58  und  60. 


Digitized  by  Google 


22 


Johannes  MfiUer. 


und  Passau  auf  ihrem  Mittellauf  nur  noch  die  Reichsstadt  Regens- 
burg und  die  Herzogtümer  Bayern  und  Österreich  berührte,  um 

ein  gutes  Stück  voraus.  Am  iMain  gab  es  im  leti^'ten  Jahrhundert 
des  Mittelalters  folgende  23  Zollstattcn,  an  denen  der  Zoll  fast 
ausnahmslos  nach  dem  Zentner  erhoben  wurde. 

WQrzburgische  Zollstätten: 
Eltmann  Karlstadt 
Haßfurt  Zollhaus 
Volkach  Oemünden 
Kitzingen  Rothenfels 
Ochsenflirt     Hombuig  a.  M. 
OberffaereSi  zur  Abtei  Theres 

Sdi^^rfurt}"^""^^^'«^'^^'  ZoU^tätten 

\MmA*         { iuüb  zur  Grafschaft  Gast  eil,  halb  zur  Hm^sdiaft 

maria*Dreit  [Limburg  Speckfeld  gehörig. 

Sh?**"^"**"}  ^^»eneckische  Zollstätten 
Neustädtlein,  zur  Abtei  Neustadt  a.  M.  gehörig. 
FrÄerg}  Werlhetmische  ZoOsütl» 

Mainzische  ZollstiUten: 

Stadtprozelten  Aschaffenbuig 
Miltenberg  Steinheim 
Klingenbog 

Kesselsladlf  zur  Grafschaft  Hanau  g^örig 

An  der  Donau  von  Regmburg  bis  Wien  lagen  im  späteren 

Mittelalter  16  Zollstätten. 

Regensburg,  reichsstädtische  ZoUstädte. 
Straubing  . 
Deggendorf  \  bayerisch 
Vilshofen  ' 
Passau,  bischöflich 

Österreichische  ZollsläMen. 
Aschach  Ybbs 

Linz         .  Hmmersdorf 

Stau  ff  n)  Stern  an  der  Brücken 

Mauthausen  oder  Enns  Achstein 

Grein  Wien 

Struden  oder  St  Nikola 


Digitized  by  Google 


Die  Hauptwege  des  Nflnibergischen  Handels  im  Spiünitlelalter.  23 


Die  Höhe  der  Zölle  wir  an  den  elnzdnen  Zdllstttlen  ebenso 
verschieden  wie  an  den  Landzollstttten;  an  den  2S  Mainzollstatten 
sdnrankt  z.  B.  der  Zoll  für  Zentaeignt  von  einem  Pfennig  bis 
zu  acht  Pfennigien.  Viel  drückender  aber  ab  diese  Verschieden- 
heiten der  ZoltroUen  dar  einzelnen  ZoUstttten  waren  die  von 
den  Zöllnern  geübten  willkfirlidien  Steigerungen  und  sonstigen 
Scliikanen ,  die  den  Kaufleuten  das  Leben  oft  recht  sauer  machten. 
Gerade  wegen  des  letzterwähnten  Mißstandes  mußte  der  Rat  von 
Nürnberg  häufig  eigene  Botschaften  an  diese  oder  jene  benachbarten 
Reichsstände  schicken,  um  wenigstens  den  ärgsten  Zollplackercien 
der  auf  ihren  Vorteil  nur  zu  sehr  bedachten  Zollpächter  einen 
Damm  zu  setzen.  Die  Berichte  dieser  Nürnberger  Ratsbot- 
schaften gewähren  oft  einen  überraschenden  Einbhck  in  die  da- 
maligen schwierigen  Verkehrsverhältnisse,  erfüllen  uns  aber  auch 
mit  Hochachtung  vor  dem  staatsmännischen  Weitblick  des  mittel- 
alterlichen Stadtregiments  Nürnbergs  einerseits,  vor  der  zähen 
Ausdauer  und  der  klugen  Umsicht  der  Nürnberger  Kaufleute 
andererseits,  die  das  immer  dichter  werdende  Netz  ihrer  weitver- 
zweigten Handelsverbmdungen  so  fest  zu  knüpfen  verstanden, 
daß  auch  nach  dem  Sinken  der  deutschen  Volkskraft  zu  Beginn 
der  Neuzeit  der  Nürnberger  Waren handel  einen  der  kraftvoller 
entwickelten  Zweige  des  von  schwerem  Siechtum  befallenen 
Baumes  des  deutschen  Handels  bildete. 


Digitized  by  Google 


Christian  Adolph  v.  Anackers 

Beschreibung  seiner  Reise  von  Wien  nach  Lissabon  (1730). 

Mitgddlt  von  TH.  RENAUD. 


Das  Reisetagebuch  des  hierrn  v.  Anacker,  dessen  ersten  Teil, 
die  Reise  von  Wien  nach  Lissabon,  wir  hier  abdrucken,  ist  im 
Besitz  der  Frau  Geh.  Rej^aerungsrat  Schricker  in  Straßburg,  einer 
Gfcborcnen  von  Anacker.  Der  zweite  Teil  bcliandelt  die  Heim- 
reise uher  Hamburg.  Warum  machte  die  vornehme  Reisegesell- 
schaft auf  der  Hinreise  den  großen  Umweg  zu  Land  über 
Amsterdam?  Wäre  es  nicbt  bequemer  gewesen,  von  Triest  aus 
durchs  mittelländische  Meer  zu  fahren?  Gewiß,  wenn  man  nicht 
die  -  Seeräuber  gefürchtet  hätte,  vor  denen  Europa  sogar  im 
atlantischen  Ozean  (vgl.  S.  51)  damals  noch  bangen  mußte!  Daß 
das  Reisen  zu  Land  im  18.  Jahrhundert  arg  beschwerlich  war, 
ist  ja  bekannt  Der  Reiter  oder  Fußgänger  hatte  es  besser  als 
die  Insassen  selbst  gut  ausgestatteter  Wagen.  Aber  was  unsere 
Gesellschaft  trotz  des  Reisemarschalls^  den  sie  bei  sich  hatte,  für 
Ungemach  ausstand,  geht  doch  wohl  weiter,  als  man  sich  insge* 
mein  vorstellt  Außerdem  ftüt  aus  den  anspruchslosen  Aufzeich- 
nungen des  Verfassers  auch  sonst  mancherlei  Licht  auf  die 
Kulturverhftitnisse  jener  Zeit 

Die  Satzzeichen  habe  ich  nach  unsem  Regeln  eingetragen. 


Digitized  by  Google 


AmchoB  B^KhrdlNtng  adner  Reue  von  Wien  nadi  Lteabon.  25 


Reiß- Beschreibung 

Von  mir 
Christian  Adolph  v.  Anacker, 
Ritter  des  HdL  Jacobi^) 
Verriditd  Anno  1730  d.  23.  Merz 
aus  Wienn  in  Oesterreich 
bis  Ußabon  in  Portugal, 
allwo  ich  d.  16.  May  anni  cjusdem 
arriviert  bin. 

AIB  ich  den  änderten  Merz  1730  gegen  Mittag  mit  meiner  vican 
freu  Mama,  Maria  Gara  v.  Anacker,  gebohme[n]  Arnold  v. 
Amoldsberg;  meines  Vaters  Christian  Adams  v.  Anacker,  Könis^. 
Pölnisch  und  Chur-S&chsischen  an  den  Wienner  Hof  Sub- 
sistirenden  Residenten  und  Rath  sei.  hinterlaßenen  Wittib,  welche 
als  K«nmer-Frau-)  bey  derKönigl.  May.  v.  Portugall,  gebohmen 
Erzherzogin  von  Oesterreich,  Maria  Anna,")  resolviret  wäre; 
aus  ihrer  Bduiusung  gegen  Mittag  zu  Monsieur  Stsß,  einem 
Vfittem  der  M"*  Isabelle  Lambrecht,  so  eben  an  dem  Portu- 
gesischem  I-Iof  als  Kammerdienerin  angenommen  wäre,  gefahren, 
seynd  wiir  allda  magnifiqiie  tradiret  worden,  allwo  unter  andern 
Hr.  V.  Eckhard,  Wienner  Stadt-Anwald,  und  Ilr.  v.  Alhtecht,  da- 
zumalil  resolvirter  Resident  an  Porlugesischen  Hof,  auch  speiseten. 
Nach  der  Taffei  seynd  wiir  aufgebrochen  und  in  Stadts-Wägen 
in  die  Leopold-stadt  gefahren.  Allda  warihettn  unserer  2  große*) 
Reiß-wägen,  in  welche  sich  aber  die  2  Dienstboten  mit  der  mit- 
genommenen Köchin  für  seine  May.  setzen  musten;  wiir  (ihrige 
aber  fuhren  in  2  chaisen,  jede  mit  4  1  Pferden  bespannet,  bis  in 
die  erste  Station,  nemlich  Lang-Engerstorff.*)  Bis  dahin  gäbe  e^JJJ^ 
uns  das  geleith  W  Staß  und  M""  Eckhard,  so  änderten  Tags 
mit  diesen  2  chaisen  nach  Wienn  retournitret.  !n  diesem  orth 
seynd  wiir  wohl  bewürthet  worden,  auch  ein  guth  Nacht-lager 
angetroffen.  Den  3'^"  dito  seynd  wiir  nach  eingenommenen 
frübe-stuck  und  nach  beurlaub-Nehmung  von  bemddten  2  Herren 

1)  Die  Anacker  gehören  zum  erblSnd.  österr.  AddMiUld.  —  Jikob  tdib  Sdnrart» 
ordexi,  portui^lestscher  Zivil-  und  Militär-Verdienstorden. 

2)  Hofdame. 

s)  Maria  Anna  jaflcpha,  Tocbter  Kaiser  Leopolds  K,  Sdiwesler  lüdaer  K«ris  VI., 
fib.  1683.  gest.  1754,  sdt  fm  Oenahlln  JoIimim  V.  von  Portugsl. 

')  Oriß. :  grossen, 
>>)  Lang-Engersdorf. 


Digitized  by  Google 


26 


Th;  Renaud. 


in  die  schwären  und  mit  unserer  Bagage  besdiwflhrten  wigen  gt- 
StodKMi  sessen  und  bis  Stocke rau  gefohren.  Wiir  hatten  g;uten  weg;  auch 
hier  in  einen  wohl  dngierichtden  QasttutuB  zu  Mittag  gespeiset 
Von  dar  aus  rfidden  wiir  forth  bey  schlimmen  und  gefthrh  Weeg 
wddmtorff  bis  Weicicerstorff allwo  wiir  paßable  beherberget  wurden.  Wiir 
waren  in  allen  8  Persohnen,  als:  JMeine  Mutter,  A.  A.  P. 
Leopoldus  Wezinger  S.  J.,  SO  als  beicht-Vatler  dahin  reisete,  M'^ 
Lamlnedit,  ich,  Hr.  Rdß-Commissarius  Oerardus  Harsdig^mb^ 
ehi  Holunder,  Mdner  Mutler  Mensch,  der  M^  Lamlmecht  Mensch 
und  die  Königl.  Köchin.  Wiir  fuhren  allzeit  in  diesen  2  wflgen, 
so  von  Fuhrmann  Penisch  waren,  welcher  für  diese  2  wägen 
von  Wienn  bis  Amsterdam  600  von  Hof  accordirter  maßen 
bekamme;  über  die  fuhrieuthe  aber  war  ein  Schaffer,  so  die 
Wägen,  rferdt  und  Kutscher  in  Coimnissioii  iiaüe. 

Den  4^  dito  haben  wiir  um  6  Uhr  frühe  diesen  Orth 

MaiBa  verlaßen  und  einen  sehr  schlechten  Weeg  bis  Maißa')  gehabt, 
an  diesem  orth  aber  ein  gutes  Mittag-Mahl  eingenommen,  und 
nach  genommenen  Caffee  setzten  wiir  unser  Reiß  des  Nachmittags 
forth.    Wiir  halten  großen  Schnee;  doch  erreichten  wiir  endlich 

Horn  die  wohlgebaute  Stadt  Horn,  in  welcher  wiir  ein  ß^utes  quartier 
antraffen  und  mit  guten  humeur  uns  zur  Ruhe  gaben. 

Den  5*"  dito  haben  wiir  uns  um  4  Uhr  wieder  aufge- 
macht, und  nach  ano;ehurter  Hl  Meß  seynd  wiir  bey  großen 

Bm«  Schnee  und  eini(j;cn  waRer-^ctahrcn  bis  F^riin^)  gefahren,  allda 
auch  zum  übiesten  em  pauvres  Würthsiiauß  gefunden.  Doch 
seynd  wiir  mit  aller  gelaßenheit  wegen  dem  iiblen  tractament 
Sdwmeiim  bey  viel  Kälte  und  Schnee  bis  Schwarzenau  gefahren.  Bevor 
wiir  in  das  Dorf!  gefahren,  hätten  wiir  bald  das  unglück,  in  den 
Bach  gestürzet  zu  werden,  une  dann  würklich  der  Wagen  tief 
gestecket.  Nach  welchem  Schrecken  wiir  ein  guthes  Nachtlager 
nothwendig  hätten  haben  sollen;  allein  es  war  ein  miserabler 
Orth,  der  Würth  mitsamt  dem  Hauß  nicht  Viel  werth. 

Den  6^^  dito  nach  genommenen  Caffte  fuhren  wir  um 
6  Uhr  forth;  wiir  hatten  guten  Weeg,  wurden  aber  dodi  ge- 
peitdt^)    Das  Mittagmahl  war  zu  Schrembs»*)  einem  Dorff, 

>)  aro6-U  vikeridorf.        *)  Mai$$au.        <)  Brunn.         *)  beuteln  =  schütteln. 
Sdiitins. 


Digitized  by  Google 


Anackers  Beschreibung  seiner  Reise  von  Wien  nach  Lissabon.  27 


eingenommen,  so  wohl  zugerichtet  war.  Nach  den  Tisch  rückten 
wiir  weiter  und  kamen  in  die  gränzen  des  Königreichs  Böheim. 
Bevor  wir  dahin  kamen,  hatten  wiir  einen  4  stund  langen  waldt 
zu  paßiren  und  zwar  bey  großen  Schnee,  Wind  und  Kälte. 
Endlich  kamen  wir  zu  SuchenthalP)  an,  wo  wir  gute  Zimmer  SadiendMii 
und  Kost,  auch  einen  freyndl.  würth  antraffen.  Allein  wiir 
erfuhren  Hey  all  unseren  fatigues,  daß  in  ganz  Böheim  verboten 
wäre  das  Meisch-Essen  und  wiir  wenig  dergl.  bekommen  würden» 
welches  uns  zimlich  constcrnirtc.  So  hätten  wiir  auch  keinen 
Wein  bekommen,  v/ofern  wiir  nicht  einen  von  Wienn  noch  hätten 
gehabt.  Allhier  hatten  auch  die  Zöllner  unsere  Ba,y;age  visitiren 
wollen,  allein  unser  Hr.  Commissarius  hatte  ihnen  die  Hoffnung 
benommen,  da  er  ihnen  darvor  eine  lange  Nasen  gezeiget 

Den  7*™  dito  seynd  wiir  mit  dem  Tag  in  die  Wägen  ge- 
sessen, und  weilen  kein  Einkehr  anzutreffen  wäre,  sind  wiir  bis 
3  Uhr  gefahren  und  in  das  feine  wohlgebaute  städle  Budweys  BaOm^ 
arrivire^  allda  das  Mittagmahl  und  Nachtmahl  zugleich  um  6  Uhr 
eingenommen,  so  techt  wohl  zubereilet  wäre,  nach  welchen  wir 
ein  wenig  die  Sladt  besehen  und  endlich  uns  bei  lustigem  humeur 
zur  Ruhe  auf  das  Strohe  begeben.  -  Wie  wir  in  dieses  Orth 
gefahren,  so  tfaat  ein  zerlumpter  Soldat,  so  die  Wacht  hatte,  so- 
gleich das  gewehr  presentiren  und  den  hutti  rücken,  und  nach 
gebrauch  dieser  Kays.  Stadt  sogleich  bey  den  BurgO'-Meister  die 
ankunfft  der  Kays.  WSgen  (dann  jeder  wag^  ein  gelb  und 
sdiwarzes  fiUinlem  vorausslecken  hatte)  andeuten.  Dieser  schidde 
2  mahl  zu  uns  einen  eben  deigl.  miserablen  Soldaten  mit  Befdili 
den  Kays.  Paß  zu  ihm  zu  bringen,  weil  er  nicht  glaubefe,  daß 
es  Kays.  Wägen  wären.  Als  diese  einfältige  Post*)  unsem  Hr.  Com- 
missaiio  die  Oall  in  die  Naßen  getrieben,  ließe  derselbe  dem  Hr. 
Buigienneisler  zurückh  melden,  Er  werde  gewis  nicht  kommen, 
sondern,  so  er  zweifelt,  soll  er  selber  in  Persohn  kommen  und 
die  Augen  in  PaB  stecken,  welche  Antworth  Hrn.  Buigermdster 
zur  Ruhe  gestellet,  daß  weder  Er  noch  wer  anderer  kommen. 

Den  8'*^"  dito,  da  die  liebe  Sonne  aufgienge,  seynd  vair 
bey  schönen,  warmen  Wetter  zu  Seises,*)  einem  zwar  schlechten  s*i«3 

>)  Suchenthal,  hart  «n  dar  bahtlKhcii  Ortiue.    <)  Botiduft.    ^  Sdie  (Sedlcc)? 


Digitized  by  Google 


28 


Th.  Rmud. 


Dorff,  doch  guten  WArflnhauß  abgestiegen,  aUwo  uns  die  vor 
die  Königin  mitgenommene  Kflcbin  gekochet,  so  auch  öfters  ge* 
schehen,  wann  die  wflrthin  nicht  viel  werth  wäre,  Madi  Usch 
haben  wiir  2  kleine  Mellen  gemacht  und  bey  Tag  in  den  kleinen 

FoMm    Städtl  Podnian*)  ankommen,  wo  wür  übernachtet    Dieser  Orth 
ist  schön  und  etwas  fest,  aber  gegen  Budweiß  nicht  zu  vergleichen. 

Den  9*^"  diio  haben  wiir  uns  um  6  Uhr  nach  einge- 
nommenen Frühestuck  aus  diesen  Orth  gemacht  und  einen  zwar 
schönen,  doch  fatalen  Tag  gehabt,  indem  der  große  Wagen  um- 
geworfen worden,  doch  also,  daß  nichts  in  das  Waßer,  in  welchem 
er  läge,  gefallen,  sondern  das  gestell,  auf  welchem  die  Bagage, 
läge  im  Waßer,  der  Kasten  aber  wäre  an  die  seiten-Felsen  ge- 
lehnet, daß  ohne  besonderen  schaden  alles  darvonkoniinen.  Aus 
diesem  Wagen  stiege  der  P.  Jesuit,  die  Mad"*  Lambrecht  und 
ihr  Mensch,  zuletzt  Hr.  Commissanus,  so  die  gröste  gefahr  hatte, 
dann  er  im  schlag  säße  und  die  finger  sich  an  den  Felsen,  wor- 
auf der  wagen  gefallen,  zerschunden.  Die  einzige  Sorg  wäre, 
ob  niciit  alle  Bagage  von  dem  Waßer  ruinirct  seye;  allein  da 
abends  alles  abgepacket  und  visitiret  wurde,  ist  alles  schadlos  ge- 
funden worden.  Die  Fuhrieuth  waren  betrübt  und  rufeten  öfters 
zu  Gott,  hohleten  auch  bauem  aus  den  Nächsten  Dorff,  so  auch 
kommen  und  mit  den  Fuhrleuthen  bis  an  die  Knie  in  waßer  ge- 
gangen, endlich  doch  den  Wagen  in  die  Höhe  gebracht  Meine 
Mutter  stunde  mit  mir  und  ihrem  Mensch  samt  der  Königl. 
Köchin  gegenüber  den  Waßer,  etwa  40  schritt  davon,  und  wäre 
Selbe  in  Sorgen,  wie  es  unsern  oben  so  schwehr  gepackten  wagen 
eigehen  würde,  weil  wiir  das  Waßer  zu  paßiren  hatten.  Allein 
unser  Kutscher  nähme  die  Reyhe*)  befier,  so  da6  wir  gufh  durch- 
paBireten.  Bald  darauf  hatten  wiir  einen  Engen,  steinigen  und 
Eysigten*)  Weeg,  in  welchen  der  andere  Wagen  wieder  zum 
fallen  kommen  wire,  wofern  er  nicht  von  3  Ptersohnen  erhalten 
worden  wire.  Weil  er  aber  mit  4  pferden  nicht  forthkommen 
kunte,  musten  2  pferd  von  unsern  Wagen  genommen  werden, 
auf  daß  er  aus  den  Klumpen  gebracht  werden  kunte.  Endlich 
zackcmfinit  scyud  wür  um  halber  2  Uhr  in  Zuck  ernthall  angekommen; 
aber  die  wQrthin  war  schlecht,  mithin  mußte  die  Königl.  Köchin 

I)  WodfllMi.       9  RkhUuif.      i)  vocialBL 


Digitized  by  Google 


Anackers  Beschreibung  sdner  Reise  von  Wien  nach  Utsabcm.  29 


kochen.  So  hatte  ich  auch  hier  zum  dritten  mahl  das  lieber  und 
wäre  sehr  kranit,  daß  ich  meiner  Mutter  großen  Kummer  machte, 
wdl  ich  es  auf  den  Weeg  schon  bekäme.  Auch  haben  wiir  unter 
Wdx  gesehen  das  schöne  Schloß  Wetzstein,  so  dem  Fflfst 
V.  Schwaizenbeiig  zugeh6ret  und  eines  untern  denen  Schönsten 
Schlößem  is^  so  Selber  hat  Wiu*  sind  auch  durch  dn  klein 
sOdl  Strackonitz*)  gefahren,  so  zwar  etwas  fest  aber  doch  kein 
große  Zierde  hat  Die  Herrschaft  Zuckemthall  aber,  so  auch 
ein  sehr  schönes  Schloß  hat,  gehöret  denen  P.  P.  Sodetetis  Jesu 
von  Olaitau.*)  Von  Zuckemthall  wolten  wiir  nach  der  Stadt 
Horashovitz fahren;  allein  es  überfQhle  uns  der  abend, 
welcher  uns  gezwungen,  zu  Hostitschik*)  zu  bleiben,  so  ein  HottttMidk 
dem  Collegio  zu  Glattau  zugehöriges  Dorf  ist,  wo  wir  guthe 
Zimmer  und  speisen  fanden,  nach  welchen  wir  Rosoglio*)  zu  uns 
nahmen  und  in  Gottes  Nahmen  uns  auf  das  liebe  stroh  begaben. 

Den  10**"  dito  haben  wiir  uns  wieder  frühe  auf  den  Weeg 
gemacht  und  bey  schöner  Zeit  auf  Mittag  in  den  Dorf  Aufleckh«)  Aufitdih 
In  einem  pauvren  Bauern-VVürÜis-Hauß  eingekehret,  allwo  weder 
Fisch,  noch  Schmalz  zu  haben  wäre.  Die  K'önigl.  Köchin  aber 
muste  doch  was  machen,  unseren  [iunger  zu  stillen.  Nach 
Tisch  suchten  wir  wieder  unsere  Wägen  und  fuhren  glucklich 
in  die  Kays.  Stadt  Olattau,  so  cm  schöner,  mit  vielen  Clösfern  OJattw 
gezierter  Orth  ist.  Weilen  wir  mittags  henthe  tu  Auficckh  mit 
Speisen  wenig  versehen  waren,  so  haben  wir  es  dem  abend  desto 
mehr  eingebracht,  auch  wohl  geruhet  Ich  aber  wäre  dieser 
Nacht  sehr  Kranck  und  Hatte  eine  solche  Hitze,  daß  meine  Frau 
Mama  glaubte^  ich  bekommete  ein  Hiziges  Fieber.  Meine  Frau 
Mama  ließe  mir  gleich  die  Medicin  machen,  deßen(!)  Reoept  sie 
von  Wienn  mit  hatte,  machte  auch  ihr  Anndacht  zu  den  großen 
Onaden-Bild,  so  in  der  Pforr-Kirchen  dieses  Orths  ist,  wohin 
selbe  mit  denen  übrigen  gienge  und  dieses  Frauen-Bild  sich  zu 
kfißen  geben  ließe;  ich  aber  bliebe  wegen  Kranckhdt  zu  Hauß. 

Den  11*"  reißelen  wiir  wieder  aus  Olattau,  aber  einen 
trüben  und  fatalen  Tag  und  Weeg^  indem  erstlich  Beede  WIgen 


>)  Strakonit*,  Stadt  mit  Pc/irksamt.  *)  Klattau.  »)  Horazdjowjtz  JcmjI. 
*)  Hosttofr  *)  iUlienischer  Likör  tos  Oraugdilfltai,  Früchten  und  Onrürzen. 
<)  ZmldnDV  CSnfIcdO. 


Digitized  by  Google 


I 


30  Th.  Renaud. 


von  einer  großen  anhöhe  bald  hätten  können  in  die  Moldau  (!) 
stürzen,  wann  selbe  nicht  von  4  starken  Kerlen  wtren  gehalten 
worden  und  wir  nicht  ausgestiegen  wftien.  Nach  diesen  hatten 
wir  so  enge»  mit  Eyfi  und  schnee  bedeckte  Hohl-Weege,  daß  die 
Wägen  offt  au!  die  gestfttle^)  aufgefahren  und  die  Axen  die  Felsen 
gestreifet  und  etL  mahl  mit  großer  mühe  deren  Menschen  und 
Pferden  haben  können  herausgebracht  werden.  Endlich  arrivirten 
stobnn  wir  doch  nach  so  vielen  ge&hren  zu  Stobra  11,*)  einem  Dorff. 
Das  Essen  war  paßable,  und  hatten  wir  alles  von  Olattau  mitge- 
nommen, weil  wir  erfuhren,  daß  in  Stobnül  es  eloid  zugehe. 
Nach  tisch  fuhren  wir  weiter,  und  wäre  uns  das  Wetter  sdir 
BbdMMdnits  favonble.  Abends  stiegen  wir  zu  Bischofsteinitz*)  ab,  dner 
Stadt  Wir  wurden  aber  hier,  respecüve  vor  dn')  Stadt,  schlecht 
bedienet  Da  wir  in  das  WQrtfashauß  kamen,  hatten  die  Bauern 
darinnen  wegen  dnem  Udnen  stüdd  Tabadc  einen  Handd,  so 
daß  sie  handgemdn  wurden.  Der  Wflrfli  wolte  Pried  madien, 
bekam  aber  auch  ein  paar  Maulschellen,*  mit  welchen  er  uns  ent- 
gegengienge  und,  ohne  was  daraus  zu  machen,  uns  fragte,  was  • 
wir  essen  wollen.  Wir  waren  aber  müdt  von  der  Reyß,  sagten: 
er  soll  geben,  was  er  hat,  giengen  zur  ruhe  und  lachten  noch  in 
Beth  über  des  Wurths  seine  Ohrfeigen. 

Den  12*",  weil  es  Sontag  wäre,  haben  wir  zu  Bischof- 
teinitz  unsere  Andacht  verrichtet.  Der  Hr.  Pater  Wezinger  laße 
die  hl.  Meeß,  und  nach  genonuuenen  Fruhe-stuckh  setzten  wir 
unser  Marche-Route  forth;  aber  sie  wäre  diesen  Tag  sehr  ge- 
fährlich. Doch  arrivirten  wir  mittags  nebst  gottl.  Hüif  zu 
WdtvSaiz  Weisen-Su iz/)  allwo  wir  in  einem  guten  Gasthauß  bewürthet 
wurden.  Dieses  Orth  gehöret  den  Oraff  v.  Zucker.  Allhier 
wolte  man  uns  kein  Fleisch  kochen,  weil  es  der  dasi^e  Hr. 
Haupt-Mann  verbothen  hatte.  Alß  aber  unser  Hr.  Commissarius 
selben  darum  besuchte,  hatte  er  es  mit  sehr  hoffiichcn  terminis 
erlaubet,  mit  beysctzen,  daß  die  Reysenden  von  diesen  betehl 
ausgenommen  seynd.  Auch  war  in  diesem  Würthshauß  ein  anders 
Weib,  so  aus  einem  andern  Dorff  wäre,  aber  dahin  gegangen, 


>)  auf  das  OrstcIIr?  (Oestitte  bedeutet  u.  a.  Damm,  so  vielleicht  auch  hier.  Vgl. 
Qrimm,  IV,  t,  3,  4205.  D.  RoL).  ^  Was  ist  gemeint?  ■)  Bischof trinitz,  Stadt  mit 
SchtoB  and  haUMM.      ^  fSr  ciofc      «)  Wdflduob. 


Digitized  by  Google 


AnaclRR  Beadirdbtmg  seiner  Reise  von  Wien  nadi  Usstbon.  3t 


um  hervofzugdi'n,^)  und  welches  zwey  andere  Weiber  begleiteten, 
wie  auch  eine  brave  gesunde  Dim  mit  einem  Mantel  auf  der 
Achsel  dirbey  war^  über  welchen  Mantel  wieder  wdßcs  Tuch 
mit  Spitzen  wäre»  worunter  sie  der  iCindt-Betherin  Ihr  Kxad  trüge. 
Diese  4  wdbs-bilder,  ohne  was  g^ieBen  zu  haben  auBerdem  Ifeben 
Brod^  haben  Brandt-Wein  und  noch  5  große  Krüg  Bier,  welche 
mehr  als  6  Wienner  Maaß  ausmachten,  getnincken,  worbey  sie  sehr 
lustig  wurden.  Meine  Frau  Mutter  ließe  sich  mit  diesen  Weibern 
in  einen  Discours  ein,  worbey  wir  ziemlich  lachen  muslen.  Nach- 
dem sie  forth  waren,  sagfte  man  uns,  daß  sie  eben  vor  einem 
Jahr  hervorgegangen  seye  und  sich  an  Bier  und  Brandtwein  so 
angetrunken,  daß  sie  in  nach  Hauße  gehen  das  Kind  von  dre| 
Wochen  verlohnen,  und  eine  aus  denen  Weibern  erfrohren  \<,äre, 
so  sie  nicht  von  leithen  gefunden  und  in  das  Würthshauß  wäre 
zunickgelragen  worden.  Um  3  Uhr  seynd  wir  wieder  zu  Wagen 
geseßen  und  mit  genommener  Vorspann  über  einen  sehr  Hohen 
berg  in  das  Dorff  Eysendorff-)  eingerückhet.  Das  nachtlager  Eysendorff 
hatten  wir  in  einem  schlechten  Bauern-Würthshauß.  Das  Eßen 
paßirte,  allein  wir  8  Personen  musten  uns  mit  einem  21immer 
behelfen;  wir  waren  aber  doch  gutes  Humeurs. 

Den  1 3^*^  dito  seynd  wir  mit  dem  Tapf  forth  gefahren 
und  aus  den  Königreich  Böhenn  in  das  Ffalz-Bayr.  gebuth 
übergetretten  und  zu  Mittag  in  dem  Neue[n]  Würthshauß,  ein  wirSitauB 
Vierti  stund  von  der  kleinen  Stadt  Forderaus^  (so  pfälzisch 
ist),  gewesen.  Vor  unserer  Ankunfft  ist  des  Nachts  der  Wurth 
gestorben,  so  Tags  vorhero  in  schlittenfahren  sich  eine  Rippen 
eingestoßen.  Den  todten  Mann  hatten  sie  im  Keller  geleget,  und 
wir  hatten  in  diesen  Zimmer  speisen  mäßen,  wo  er  gestorben. 
Als  wir  in  das  Zimmer  tratten,  fragte  meine  Frau  Mutter  gleich 
um  den  Würth;  aliein  da  safie  ein  junger  Flegel,  so  der  Sohn 
wäre,  und  dn  alter  Mann  am  Tisch.  An  stat^  daß  der  wilde 
Dieb  sagen  solte;,  er  SQre  es»  sezte  er  mit  aufgesezten  Hutfa  den 
Bier-Krug  ans  Maul  und  zöge  mit  gröster  gemachlicfakeit  heiaiis. 
Der  alte  aber  erzehlte  uns  die  ganze  afhure  von  den  WOrth. 


i)  in  der  Kirche  aU  KlndbcHcrin. 

I)  Elaoidorf  (mit  ZoUamt). 

1)  Wohl  der  MaiMIed«  VotamtiMS. 


Digitized  by  Google 


32 


Th.  Renaud. 


Auch  wäre  dieses  der  erste  lufhrisdie  Orth  gewesen,  allwo  wir 
anfiengen,  den  P.  Jesuit  (so  ohne  dem  von  Wicnn  aus  schon 
weltlich  gienge)  einen  Hr.  v.  Wezinger  zu  nennen.  Vor  unserer 
Ankunfft  wäre  diesen  Idthen  von  der  Stadt  Fordersus  alles  ge- 
sperret worden,  daß  wir  nicht  ein  refaies  Ttschtucb,  sondern  ein 
altes  lailach  auf  den  Tisch  hatten,  welches  meine  Fr.  Mutter  gßx 
glaubte  von  todten  zu  seyn.  Man  hatte  weder  Schüssel  und 
Dellei  noch  was  aiKleres,  sondern  alles,  \*^s  da  war,  war  krauß- 
lich,  und  waren  wir  froh,  da  wir  wieder  forthkammen.  Dieses 
Hauß  ist  ganz  allein  gelegen,  und  war  es  recht  forchtsam.  Die 
magden  waren  auch  unsauher,  dai>  die  Konigl.  Köchin  band  an- 
.  legen  muste.  So  ist  der  lodte  auch  bei  dem  Bicr-Vaß  in  Keller 
gelegen,  wovon  uns  das  Bier  gegeben  wurde.  Der  strich  land 
von  Böheim,  so  wir  durchgereiset,  ist  sehr  wohl  bewohnet,  mit 
schönen  Oüthern  u.  schlößem  gamiret  und  mit  unzahlbahren 
Fisch-teiichten')  versehen,  jedoch  vor  die  Reisende  nicht  zum 
Besten  eingerichtet,  theils  wegen  der  gar  zu  schlechten  Einkehr, 
theils  wegen  der  schonen  Höflichkeit;  dann  sie  ein  wenio;  belkr 
In  Wörthshäußern  als  die  Ochsen  Die  gefährlichkeiten  der 
Straßen  wegen  der  ailzuschlimmen  wecj^e  sind  nicht  auszu- 
sprechen. Meine  Frau  Mutter,  so  sich  gern  mit  diesen  leithen 
einluße,  fragte  sie  öfters,  ob  sie  all  ihr  lebtag  so  grob  gewesen, 
und  dabei  so  alt  worden.  Allein  sie  lachten,  und  wir  mußten  über 
meine  Mutter  lachen.  Nachdem  vieleicht  iceiner  seinen  Appeüt 
gestillet  haben  wird  in  diesen,  den  Nahmen  nach  Neuen,  in  der 
that  aber  baufälligen  alten  Würthshnuß,  ruckten  wir  in  das 
Pfalzische  Hohe  gebürg,  wo  sehr  tiefer  Schnee  und  scharfer  Luft 
wäre.  Auf  der  Höhe  wurde  uns  ein  schöner  Linden-Baum  ge- 
wiesen, der  ganz  allein  auf  dem  gebürg  branget,  so  daß  weith 
herum  kdn  anderer  Baum  zu  sehen  isL  Mas  s»gji,  daß  diesen 
Baum  ein  armer  verlafiener  Handwerks-Purscb  dngeselzet  habe; 
sind  auch  in  diesen  bäum  viel  f  00  Nahmen  eingeschnitten.  End- 
wcnbcif  lieh  bei  guthen  Abend  waren  wir  in  den  Markflecken  Wernberg 
angduiget  und  in  einem  wohlversehenen  OasthauS  abgestiegen, 
allwo  wir  guth  gdebet  und  zum  ersten  mahl  den  Nekarwdn 
getrunken.  Bey  diesem  guthen  Nachtmahl  veigsfien  wir  auf  das 

1)  künstlichen  Fischteichen. 


Digitized  by  Google 


Anackos  Bescfardbimg  sdncr  Reise  von  Wien  nicli  Uasabon.  33 


unapetitlidie  Neue  WflrtfasliauBi  wo  wir  Mitttg»  leyder  waren, 
und  waren  recht  lustige  welches  doch  vor  Iceinen  effect  des  Nelou'- 
weines  zu  halten,  sondern  unser  freydt  wäre,  wie  deren  Soldaten, 
so  in  einen  Tag  vergeßcn,  wann  sie  2  tSg  nichts  zu  essen  befcommen. 

Den  14^  dito  musten  wir  wieder  um  4  Uhr  auff;  bis 
wir  aber  uns  zusammenbrachten,  war  es  6  Uhr;  hatten  aber  dnen 
guten  Wecge  und  langten  Mittags  in  der  WeHberühmten  stedt 
Hirschau  bey  guten  Wetter  an,  wo  wir  wohl  mit  Fischen  be-  Hindhaa 
wfirthet  wurden;  dann  kein  Fleisdi  nldit  vofhanden  wäre.  Als 
wir  in  die  Stadt  fuhren,  empfangete  uns  der  Thurmer,  so  auf 
den  Stadt-Thum  in  die  trompeten  blasete.  Unter  den  blaßen 
aber  war  schon  ein  bub  als  envoy^  geschickt  um  ein  trinckgeld, 
so  neben  den  wagen  luffe,  bis  er  was  bekäme,  in  dieser  stadt 
haben  wir  nicht  wenig  gelachet,  weilen  der  Wurth  sehr  aufrichtig 
wäre  und  alle  Hirschauer-streiche  frey  erzehltt;,  als:  Von  den 
schwarz  Sameten  Ermel,  welchen  der  Bürgermeister  auf  den 
Rathhauß  anzulegen  pfleget,  so  ein  Rath  gehalten  wird,  und  mit 
diesen  Ermel  sich  ans  Fenster  lehnet,  daß  man  glaube,  er  habe 
ein  schwarz  Sammetes  Kley  i  an.  Item  das  Radt  auf  den  Stadt- 
Thurn,  mit  welchen  sie  den  Ochsen  auf-  und  abgezogen,  damit 
er  das  Graß  solte  freßen,  so  auf  den  Thum  gewachsen.  3tens 
der  Mühlstein,  so  vor  der  Stadt  Hirschau  lieget  und  von  dar 
nach  Amberg  3  Meyl  weith  hätte  sollen  geführet  werden,  und 
da  derselbe  zu  Amberg  hat  sollen  abgeladen  werden,  auf  den 
Wagen  nichts  gefunden  worden. 

Folgendes  ist  mit  unsern  Wurth,  so  unser  Mittagmahl  machte, 
vor  8  Jahren  arriviret,  wie  er  es  selbsten,  da  wir  ihn  preßirten, 
weil  wir  es  schon  in  vorigen  würthshauß  gehöret  hatten,  gestanden: 

Er  heurathete  seine  Frau  als  Wittib;  sie  hatte  mit  ihren 
ersten  Mann  14  Jahr  gelebet  und  kunte  selben  nicht  vergeßen. 
Als  dieser  ihr  anderter  Mann  eben  nicht  zu  Hauß  wäre,  kämmen 
2  Handwerks-Pursch  und  nahmen  einkchr.  Sie  fragte  selbe,  wo- 
her sie  kommeten;  einer  der  Purschen  sagte:  Von  Paris.  Die 
gute  Frau  verstainde  von  Paradeys  und  fragte  also  gleich:  ob  sie 
ihren  unüngst  verstorbenen  Mann  nicht  gesehen,  und  wie  es  ihn 
gehe.  Die  aigen  Vögel  erkannten  so  gleich  die  Simplidttt  des 
Weibs  und  sagten:  sie  bitten  diesen  Mann  gesehen,  und  daß 

Archiv  für  Kultnrfeschichte.  V.  3 


Digitized  by  Google 


34 


Tb.  Rentiid. 


selber  im  Päuadeys  Viel  erdulden  mbssc,  wdl  er  niclils  hätte 
anzulegen,  auch  es  Ihme  an  geldt  fdite,  um  welches  sie  eben 
fhigte.  Die  Frau  wäre  betrQbt  über  ihres  vorigen  Mannes  zu- 
stand und  fragte,  ob  sie  nicht  wieder  in  das  Paradeys  zurück- 
giengen.  Sie  sagten  ja.  Die  Frau  bathe  also,  etwas  mitzunehmen, 
und  als  die  Pursch  sich  anerbothen,  gäbe  sie  ihnen  10  alte 
Thaler  und  eU.  Ellen  Tuch  mit  bitte,  es  riditig  zu  flberliefem, 
und  denen  Purschen  gäbe  sie  zu  Essen  und  zu  trincken,  womit 
die  Pursch  abrdBeten.  Als  in  dn  paar  shind  der  Mann  nach 
hauß  käme,  erzehlte  selbem  die  Frau  den  ganzen  Veriauff  mit 
grOster  Freydt;  er  aber  wurde  zornig  Ober  diese  Einfklt;  sezet 
sich  zu  Pferd  und  reitet  diesen  Kerlen  nach.  Selbe  weiten  eben 
in  einen  waldt  gehen,  und  da  er  ihnen  zusprengete,  luffe  der, 
so  das  geldt  und  Tuch  hatte,  im  waldt,  der  andere  aber  bliebe 
stehen.  Da  der  Mann  bey  diesem  anlangete,  fragte  er  ihn,  ob 
er  nicht  2  Kerl  gesehen,  er  sagte:  ja,  sie  Seyen  in  diesen  waldt 
gegangen.  Der  stiege  von  Pferdt  und  bathe  dcti  Kerl,  er  möchte 
ihm  das  Pferdt  halten,  er  wolte  zu  fuß  in  waldt  liiiiemgehn  und 
suchen.  Er  thate  dieses;  da  aber  der  Mann  kaum  in  waldt  wäre, 
ritte  der  Kerl  mit  den  Pferdt  auch  davon.  Da  der  Mann  nie- 
mand in  wald  sähe,  Icehrete  er  um  und  wolte  sich  wieder  zu 
Pferdt  sezen  und  nach  hauß  reiten.  Allein  da  er  aus  den  waldt 
wäre,  wäre  der  Kerl  mit  den  Pferdt  auch  vor  den  Deitfel  gt- 
gangen;  niuste  also  mit  eigener  geicgenheit  nach  hauli  ziehen, 
und  sich  miteinander  ihrer  tmfait  trösten.  Der  Mann  sagte  so 
Cfar,  was  es  vor  ein  Pferdt  wnre,  und  was  es  ihme  p:ekostet;  er 
schämete  sich  doch  etwas,  weil  wiir  so  sehr  gelachet,  da  die  beede 
leuthe  alles  so  franchement  erzehlet  Und  diese  Unterhaltung 
hatten  wir  bey  Tisch.  Sie  erzehlten  auch,  daß  vor  8  Wochen 
die  HH.  v.  Hirschau  ein  Trachunent  angestellet  und  wegen  der 
Prooedence  vor  der  Tafel  einen  großen  streith  gehabt,  und  ist 
es  so  weith  gekommen,  daß  alle  und  jede  sich  bis  auf  das  Hembd 
ausgezogen,  von  dem  Stadtdiener  abwägen  laßen  und  sodann  den 
Rang  nach  eines  jeden  schwehre  und  gewicht  observiret.  Nach 
den  Tisch  hatten  wiir  nicht  gar  lang  zu  reisen,  bis  wir  nach 
HiiribMii    Hambach,*)  welches  ein  Marckt-flecken  ist,  gekommen.  Hier  be^ 

>>HilnbMfa. 


Digitized  by  Google 


Anadcers  Beschreibung  seiner  Reise  von  Wien  nach  Lissabon.  35 


Rdchl- 


kamen  wir  Frankner-  und  Rheinwein  aufgesezet,  aber  gar  idcine 
Maaß;  hatten  auch  abends  Fleisch  geessen;  dann  wir  nahmen, 
was  zu  bekommen  wäre. 

Den  15''"  dito  frühe  hatten  wir  einen  Harten  Wecge  an- 
getroffen, so  viel  Schnee  Matte,  daß  die  Pfcrdte  offt  sehr  tieff 
hinrinfuhlen.  Nach  diesen  war  ein  steiniger  Weeg,  dai'j  man 
glauben  hätte  sollen,  die  Räder  geheten  in  stucken.  Mittags 
langten  wir  zu  Hau p t-Manns- Hof , ^)  einen  nicht  unebnen 
Marckflecken  an  und  haben  in  einen  /war  luth.,  doch  wohl  ein- 
gerichteten Würths-Hauß  zu  Mittag  gespeißet.  Nachdem  wir 
unsere  Kräften  erhohk-t,  seynd  wir  durch  theils  beßeren,  iheiis 
bolk-ren  Wee^'  bis  Reich  Isch  wang,*)  einen  nach  Nürnberg  ge- 
hörigen Dorff,  gefahren,  allda  übernachtet  und  wohl  gelebet. 

Den  lö**^"  dito  fuhren  wir  mit  den  Ta^^  und  bcy  £njten 
Weeg  weg  und  kamen  um  1  Uhr  Mittags  m  Nürnberg  an.  Nürabeii 
Wir  hatten  mehr  Zuschauer  bey  dem  absteigen,  als  man  glauben 
wird.  Wir  logirten  in  der  (!)  Schwann  auf  den  Platz  und  speißeten 
um  3  Uhr.  Nach  diesen  giengen  wir  aus,  um  die  Stadt  zu  sehen. 
Die  leithe  luffen  zusammen,  uns  zu  sebeni  als  wann  wir  andere 
Menschen,  als  sie  wären.  Wir  blieben  auch  den  17^^  dito 
allda,  um  Rast- tag  zu  Halten.  Da  ließe  sich  meine  Frau  Mutter 
einen  Schuster  Hohlen.  Als  dieser  in  das  Zimmer  käme,  glaubte 
Selbe  aus  seiner  kleydung^  Es  seye  ein  abb6  od.  geisü.,  gienge 
ihme  entgegen  und  fugte,  was  zu  seinen  diensten  wäre.  So 
gdie  er  steh  den  Titui  eines  Schusters,  worauf  er  ihr  mit  samt 
seinen  schwarzen  Mantel,  Oberschli^  und  schwatzen  kleyd  die 
Maaß  nahmen  welches  wohl  uns  lächerlich  wäre.  So  gehen  auch 
die  Frauenzimmer,  so  in  der  klag^*)  mit  weißen  tfkchem  über  den 
Kopf,  welche  bis  auf  der  Erde  langen;  unten  aber  haben  sie 
dnen  schwarzen  Roddi;  die  Tflchcr  haben  sie  auf,  mt  die 
Faschen-Kinder^)  die  Ougeln.  Wir  fragten,  warum  dann  gar  so 
vid  leithe  klageten,  indeme  alle  augenblick  solche  Klaggeister  uns 
begegneten,  so  sagten  sie,  daß  sie  um  alle  leith  und  kinder 
klagen.  Auch  so  ein  todtes  kind  gebohren  wird,  so  khiget  die 
ganze  Freundschaft   Die  aber  diese  Trauer  nicht  Haben,  haben 


>)  Hartmannshof         i|  RddiaiJdlwmd« 

Scfameller,  1*,  779.   D.  Ked. 


•)  in  TiMcr. 


3* 


Digitized  by  Google 


36 


Th,  Renaud. 


eben  dergl.,  aber  grüne  Tücher,  mit  grön  seidenen  Spitzen  gar- 
niret.  Die  häuser  seynd  von  holz^)  und  gemahlen,  indem  sie 
viel  auf  die  Fresco-Malerey  halten. 

Den  18^  nach  genommenen  Fruhe-stuckh  fuhren  wir  aus 
Nürnberg,  allwo  unsere  Wägen  breitere  Axen  bekamen,  so  um 
•/«  breiter  als  die  vorige  waren.    Wir  hatten  guten  weeg  bis 

Botcfaendorff  Buschend o rf f , so  der  erste  orth  ist  in  Bareuth,  allda  miltag- 
mahlten  wir  paßabie.  Nach  Tisch  hatten  wir  üblen  weeg  und 
einen  langen  finstern  Wald  zu  paBiren,  daß  wir  bey  finsterer 

m*dflyß   ^^^^^       S  Bareuth:  Stadt  Neustadt  an  d.  Eyß»)  an- 

langten, allwo  wir  bey  einen  Wurth  abgewiesen,  bey  den  anderen 
aber  angenommen  und  wohl  bewürthet  wurden.  Allein  wir  wären 
bald  in  Zimmer  vor  Rauch  ersticket.  Diese  stadt  hat  ein  schönes 
Rathhauß  und  eine  schöne  Uhr,  die  alle  siundt,  Minuten,  Sol- 
stitia,  Monds-Anderung  und  mehr  dergl.  zeiget.  Auch  war  alU 
hier  sehr  xerdrußlich,  daß  die  Nachtwächter,  dn  sie  die  stund 
ausrufften,  jedes  mahl  Vorhero  mit  einem  großen  Kuhehorn  ein 
blasendes  zeichen  gegeben  und  nach  den  Ruffen  wieder  m  das 
horn  so  vil  stoß  gethan,  als  die  Uhr  geschlagen  hat,  wordurch 
unser  schlaf  sehr  turbiret  worden,  welchen  wir  doch  brauchten. 

Den  19*«"  dito  seynd  wir  zeitig  abgefahren,  und  wegen  dea 
Morastige  Weeg  haben  wir  vor  jeden  Wagen  2  Pferd  Vorspann 
genommen.  Mittags  spdßeten  wir  in  den  Catholischen  Marek-- 
flecken  Bibarth.*)  Dieser  orth  gehöret  nach  Würaburg.  Weilen 
es  eben  Sontag  und  das  Fest  des  Hl.  Josephi  wäre,  waren  wir 
um  11  Uhr  schon  hier,  allwo  uns  der  P.  Wezinger  Meeä  iaße. 
Nach  der  Dafel  seynd  wir  mit  wieder  genommener  Vorspana 
durch  vielen  Morast  bis  in  den  Iflneburgfischen*)  Marckflecken 

^^"CSm*'  Margeinersheim*)  gefahren,  wo  alles  lulh.  wäre.  Auf  äm 
Weeg  hatten  wir  anstoß  von  Bauern,  so  uns  anpackten,  weil 
unsere  FuhrieÜhe  einen  befiern  weeg  geüshren,  indeme  selbe  uns 
zwingen  wollen,  den  schlechten  zu  fuhren;  jedoch  da  sie  sich 
auf  das  Vorstellen,  daß  es  kays.  Wflg^  seyen,  nicht  be&iedigfen^ 
hat  man  sie  mit  gewalt  abweisen  mfißen,  und  in  unsem  Nacht- 
bgier  Hatten  wir  wohl  getebet 

>)  Fachverk.  Schon  Im  16.  Jahrhundert  fing  der  Steinbau  zu  fiber»icgcn  an.  Vgl. 
R^,  Nfimberg  (Berühmte  KuniMitten).  S.  76  ff.  *)  BuKhendorf.  •)  m  der  Altdi. 
«)  Marktbibart       >)  lümburgitdin?  D.  Red.        •)  Markt-Einersbeim. 


Digitized  by  Google 


Antcken  BcMbrettmng  idiicr  Rom  von  Wien  nach  UsBabon.  37 


Den  20*™  seynd  wir  mit  ilen  Tag  aufgebrochen  und 
ferneis  in  Fnuidcen  fortgerQcke^  auch  die  Gathl.  SchAnbomische 
Stadt  Qiskoff*)  wie  auch  die  Stadt  Magerna,*)  einen  zieml. 
schönen  Orth,  pafiirei  Endl  seynd  wir  in  die  Schönbomische 
Stadt  Kizingen  gekommen,  welches  Harth  an  Mayn*Flttß  ge-  laiiBfeti 
bauet  ist  und  ein  großer  Orth  ist  Allda  kamen  wir  um  9  Uhr 
an  und  nahmen  das  Mittagmahl  um  10  Uhr  ein.  Als  wir  kaum 
in  die  shiben  gekommen,  so  käme  die  Tieschler-Zunft  zusammen, 
dann  sie  mit  2  gesellen  einen  Handel  auszumachen  hatten.  Wir 
hatten  bey  Tisch  große  Unterhaltung  von  diesen  leithen,  um  ihre 
Poßen  anzuhören;  dann  wir  glaubten,  wir  würden  gar  ein  Faust- 
gefecht sehen.  In  diesen  orih  seynd  von  beeden  Religionen  Kirchen 
wie  auch  ein  dpucmer-Kloster  und  ein  Ürseliner-Fiaucn-Closter. 
Um  halber  12  Uhr  fuhren  wir  in  Nahmen  des  Herrn  mit  ge- 
nommener Vorspann  wieder  weiter,  und  um  5  Uhr  langten  wir 
zu  Würz  bürg  an,  allwo  wir  durch  die  ganze  Stadt  gefahren  und  Wfirzboi« 
bey  weißen  Schwann  eingekehret,  allwo  wir  von  den  Fenster  den 
ganzen  iWaynstrom  vor  aui^en  hatten  wie  auch  die  schöne 
steinerne  brücken  und  das  jenseits  Hoch  liec^ende  Schleid  In 
diesen  letztern  wohnet  der  hürst  nicht,  weil  es  zu  Moch,  sondern 
nur  ein  Commendant.  Kein  Jud  dörff  über  Nacht  allhier  bleiben, 
welches  auch  m  N Urenberg  ist;  dann  dorth  mäßen  sie  1  geben 
und  sodann  abends  heraus. 

Den  21  dito  seynd  wir  des  Morgens  gegen  6  Uhr  aus 
der  Stadt  gefahren  und  bis  in  den  großen  Marckflecken  Remling')  Remiing 
gefahren,  allda  zu  Mittag  gespetset*  An  appetit  manquirte  es 
niemahls,  waren  auch  lustig,  so  wir  in  die  quartier  kamen,  wann 
es  auch  noch  so  übel  gienge.  Obwohlen  hier  das  Zimmer 
schlecht  wäre,  so  wäre  doch  spdB  und  trankh  desto  beßer.  Nach- 
.  mittag  musten  wir  gleich  fortfa  und  kamen  in  den  Marckfleck 
Langfuhrt*)  an,  allwo  wir  Ober  den  Maynstrom  auf  einer  Pletten*) 
mit  Roß  und  Wagen  setzten,  allwo  wir  drey  schlechte  Buben  zu 
fegierer[n]  des  Schifft  Hatten.  Meine  Pr.  Mutter  forchte  sich  sehr, 
da  sie  den  ersten  Wagen  fdiren  sähe;  allein  weil  es  seyn  muBle^ 
so  gäbe  sie  sich  darein,  und  seynd  wir  alle,  Gotik>b!  ^flcM. 

*)  Ipbofen?        >)  Münbernhdm?        *)  Remlingen.        *)  Lengfurt 
i|  planes  ScUff,  Flbi«.  ScMkr,  1^  463. 


Digitized  by  Google 


38 


Th.  Rentod. 


t  überkommen.    Auf  den  Weg  bieher  sahen  wir  unterschied!. 

EMiMdi    Kloesler  und  schlöBer.  Nachts  trafen  wir  in  den  Dorf  Eselbach*) 
ein,  wo  wir  verblieben. 

Den  22^  Martij  haben  wir  den  7  staind  langen  Speßer* 
wald  pafiiret;  welcher  großen  schnee  Hatte,  und  wäre  uns  die 
ReyB  desto  schwerer,  weil  es  die  ganze  Nacht  und  Halben  Tag 
geschneyet  hatte,  nachmittag  aber  geregnet  Auch  hatten  wir  zu 
thun,  nebst  der  Vorspann  fortzukommen;  dann  der  Morast  wäre 
zu  groß,  durch  die  enge  Hohlweeg  zu  kommen.  Dieser  Speßer- 
Waldt  ist  auch  nicht  am  sichersten,  weßhalben  unser  bey  uns 
gewesenes  Gewehr  von  Hr.  Commißario  scharff  geladen  wurde, 
um  in  fall  der  Nüth  bereith  zu  seyn,  sich  zu  wehren.  Nach- 
dem wir  clwa  4  stund  gefahren,  kamen  wir  zu  den  Millen  im 

^otenniid  Wald  gelegenen  Post-  und  Mauth-Hauß,  allwo  wir  gespazirt 
Um  3  Uhr  suchten  wir  wieder  die  Wägen,  allwo  wir  über 
einen  gähen  Berg,  auch  durch  tieffen  Morast  gefahren,  daß  man 
öffters  die  Ax  nicht  gesehen.  Wir  hatten  in  einen  Wagten  9, 
in  andern  8  Pferdt  und  doch  zu  thun,  aus  dem  Morasl  zu 
kommen;  da  waren  wir  rechte  Morast-Götter  zu  nennen.  Wir 
wolten  auch  gern  in  der  Stadt  Aschaffenbur?^  bleiben;  allein 
der  Wörth  wäre  ein  solcher  Flegel,  als  wir  niemahls  antraffen, 
worauf  wir  noch  ein  Meyl  gefahren  und  in  den  Marckflecken 
Stoeteijidt    Stock hstadt*)  übernachtet. 

Den  23*'""  dito  nach  genommenen  A\ilch-Caffee  fuhren  wir 
bey  stäthen  Regen  durch  einen  zimlichen  Waldt  bis  in  den 

Hcta«Biiuim  Marckflecken  Heißenstamm,')  welcher  Orth  dem  schönbor- 
nischen  Stamm-Hauß  gehöret;  allda  Mittagmahlten  wir.  Nach 
Pnnchtartii  Tisch  fuhren  wir  bey  stäthen  Regen  bis  Franckfurth,  wo  wir 
noch  bey  tag  anlangten.  Meine  Frau  Mutter  wäre  frölich,  hier 
arrivirt  zu  seiyn,  weil  sie  glaubte,  Brief  von  Wienn  zu  bekommen, 
indeme  selbe  wohl  ein  halb  Duzent  unter  weg  nach  Wienn  ge- 
schrieben. Allein  es  fände  sich  nicht,  so  daß  sie  glaubte,  die 
Wienner  hätten  auf  uns  vergeBen.  Selbe  schickte  indefien  zu 
denen  Hr.  v.  Felden,  so  vor  diesem  bey  meinen  seel.  Vatter 
waren  in  Wienn.    Von  diesen  empfingen  wir  viel  Höfliches. 


<)  EndlMdi.        *)  SlocInlnlL  HmnIiidiii. 


Digitized  by  Google 


Antdcers  BesducRnav  seiner  Reiae  von  Wien  nach  Lissabon.  39 


Nicht  nur»  daß  wir  zu  ihrer  Mutter  kommen  sollen,  sondern  sie 
gaben  meiner  Mutter  auch  einen  addreB-Brief  nach  Amsterdam 
an  den  Hr.  v.  Felden,  einen  Ihrigien  Vetter,  welcher  Brief  meiner 
Mutler  recht  lieb  wäre.  In  dieser  Stadt  sind  viel  1000  Juden; 
}a  da  wir  abstiegen,  einzuquartieren,  so  waren  Ober  30  Juden 
da,  so  uns  phigten,  ihnen  was  abzulcaufen.  Unser  Hr.  G>m> 
nüBarius  aber  machte  ein  Ende  mit  den  spanischen  Rohr,  in- 
deme  man  sie  nicht  anders  los  wurde,  und  sie  sogar  in  das 
Zimmer  uns  kamen.  Die  sladt  ist  schön  und  groß,  die  Häuser 
von  Hohe  wie  zu  Nfimbei^g. 

Den  24^  dito,  nadidem  wir  um  10  Uhr  Mittags  ge- 
speiset,, sind  wir  um  halber  12  aus  Franckfurth  grreiset  Wiir 
sind  wegen  fiblen  Weeg  ganz  spath  in  den  sUdtlein  Königs- 
stein ^)  angekommen,  allwo  wir  wohl  bewOrthet  wurden.  Dieses  KMputM 
stadtl  hat  einen  Commendanten  und  40  Mann;  gehöret  nach  Maynz. 

Den  25**"  als  an  Hohen  Fest  der  Verkündigung  Mariae 
haben  wir  unser  Andacht  in  unsern  Reyß  Kleydcrn  bey  denen 
P.  P.  Cipucmern  samtlich  verrichtet,  nach  diesem  Caff^e  ge- 
nonimen  und  gegen  7  Uhr  forthgefahren;  haben  auch  einen 
beßern  Weeg  gehabt  und  endlich  in  den  Dorff  Esch  ankommen,  ewA 
allda  Mittagmahlet,  so  dem  Prinz  v.  Kaßau  -  Oranien  gehöret. 
Abends  langten  wir  in  den  ebendiesen  Prinzen  gehörigen  Dorff 
Taubern*)  an,  wo  wir  kein  Fleisch  bekamen.  Taubem 

Den  26*"'  Martij  fuhren  wir  vor  Sonnen- Aufgang  bis 
9  Uhr,  und  wegen  des  Sonntaj^s  musten  wir  der  cath.  Stadt 
Limburg  zufahren  und  allda  unserer  Andacht  abwarten;  allda  Limburg 
auch  gespeißet;  ist  ein  paßables  städtl,  nach  Maynz  gehörig.  Nach 
Tisch  eilten  wir  in  die  Wägen,  weil  uns  die  Hoffnung  gegeben 
wurde,  einen  schlechten  weeg  zu  haben.  So  wir  auch  erfahren. 
Dann  die  Straße  so  inpradicable  wäre,  daß  wir  glaubten,  Roß 
und  wagen  bleibe  im  Morast  stecken.  Endlich  erreichten  wir  das 
Dorff  Hunds-  A  n  gel    allwo  wir  geblieben,  aber  nicht  viel  fanden.  HuadMiitd 

Den  27**"  seynd  wir  mit  doppelter  Vorspann,  obschon 
durch  üblen  Weeg,  doch  glücklich  mittags  in  den  Dorf  Fröling*)  rtounc 
angekommen,  welches  würths>Hauß  miserable  zwar,  aber  doch 


»)  KlaigMKU      ^  DMbera.EiifiiitcB.       «)  Hnmtanfm.      ^  FtdUntn. 


Digitized  by  Google 


40 


Th.  Reniud. 


in  anschreiben  Verwegen  wäre.  -  Zur  Nachricht  dienet,  daß  dieser 
Orth  in  den  berühmt  und  übergroßen  Wester-Wald  lieget,  in 
welchen  Wald  wir  schon  gestern  nachmittag  eingetretten  und 
[welcher]  lauter  üblen  weeg  hat.  In  diesen  Wald  haben  wir 
noch  den  andern  tag  zu  tatiren  gehabt.  Nach  eingenommenen 
steren^) Mittagmahl  und  aufgenommener  starker  Vorspann  seynd  wir 
abermahl  durch  morastige  Weege  gereißet  und  abends  bey  großen 
Hixcnbach  Regen  in  den  Dorf  Hixenbach*)  eingetroffen,  all  wo  alles  in 
Würthshauß  unsauber  wäre.  Der  Würth  wäre  ein  Wittber  und 
woltc  mit  gcwald  meiner  Frau  Mutter  Magd  heurathen;  allein 
wir  hielten  ihn  vor  einen  üeckh,  versprachen  ihme  aber,  daß, 
SO  wir  in  3  od.  4  wochen  zurückkommen  werden,  sie  sein  Weib 
seyn  solle.  Dieses  ist  nun  der  4te  orth,  wo  man  bei  Caminen 
kochet,  und  ist  kein  Herth  zu  sehen.  Auch  seynd  die  Kuchdn 
so  schön  als  das  schönste  Zimmer;  man  siehet  kein  Irdenes  ge^ 
schier,  sondern  lauter  Kupfer,  Messing  und  Zinn,  und  dieses 
wohl  geputzet;  von  Irdenen  nichts  außer  PorceUin  und  Delfftcr 
Sesdiier.  Die  Raladindre  (diosche?]^  Hauben  floriien  starckh, 
weil  jedes  Bauern  Weib  derig^eidien  aufiiat;  die  wOrifasfnu  geht 
so  magnlflque,  daS  sich  zu  verwundem  ist 

Den  28****  dito  seynd  wir  in  das  WestphSlische  gerucket 
und  abermal  mit  starker  Voispann  durch  Monst  in  den  Dorf 
vqnbneh  Weyerbusch«)  angelanget,  aus  den  unangenehmen  Wester-Wald 
gekommen,  und  allda  gespeißet.  Nach  Tisch  bey  abermahlig 
genommener  Vorspann  hatten  wir  hdalen  Weeg;  allwo  wir  nicht 
nur  Stedten  geblieben,  sondern  auch  bald  in  einen  Qnüxn  ge* 
stürzet  wären  worden.  Nadidem  seynd  wir  bey  beBeren  Weeg 
oranvaid  in  den  aus  4  Häusern  bestandenen  Dorff  Qrünwald,*)  so  in 
Wald  dieses  Nahmens  lieget,  angekommen.  Wir  hatten  kein 
kleine  I  orchi,  Von  bösen  leithen  tiberfallen  zu  werden.  Das 
Zimmer  wäre  paiiable,  allein  das  Eßen  nianquirte.  Zu  nierker., 
daß  schon  2  tag,  da  wir  in  den  schmuzigen  Westphälischen 
reysen,  wir  keine  Kerzen  bekommen  und  unsere  Wachs-stöckh 
brennen  musten,  indeme  die  Würthshäuser  nur  lampen,  mit 

>)  Erklirung?         ^  Höchstenbach. 

^  Palatine,  ein  schmaler  Halspelz,  nadi  den  Hofdamen  der  pfälzischen  Prin- 
lenln  CUsab.  Charlotte :  .pfllzische  Mode".  Hier  Petz  h  a  u  b  e  n  ? 

IbcU  AltenkUdKB  i.  Wcsbnr.         i)  OrfiocmM.  Wdkr,  Kidi  AUaddidim. 


Digitized  by  Google 


Ameke»  BcsdmibUQg  aeiiiar  Reise  von  Wien  oadi  Lbsaboa.  41 


stinkenden  Odil  oder  fetten  angefüllel,  brennen  und  sie  in 
Zimmer  aufhenken.  Auch  seynd  in  diesen  ortiien  die  Häuser 
f&r  die  Engdn  gdMuet;  ja  wann  wir  die  wOrlh  noch  so  galant 
fanden,  so  Hatten  sie  doch  jenes  nich^  so  man  zu  sagen  pfleget: 
es  gehe  über  die  Lieb. 

Den  29^  dito  seynd  wir  ehender  als  die  Sonne  aufge- 
standen und  mit  Voispann  bis  2  stund  in  Moiast  gefahren.  Nach 
diesen  hatten  wir  guten  weeg  bis  Warth/)  wo  wir  Fasten-Speise  watui 
aßen  aus  Mangel  des  Fleisches;  dann  wir  aBen  bald  dieses^  bald 
jenes,  was  zu  bekommen  wäre,  auch  bisweilen  6,  7,  8,  bisweilen 
3  Speisen  oder  weniger.  Nach  tisch  fuhren  wir  bis  Frestorf! 
oder  hroß  -)  an  den  Sand.  Bevor  wir  allda  ankamen,  hatten  wir 
2  Flüß  zu  paßiren,  nemUch  den  Sickh^;  und  die  Aichen, *) 
welches  beede  mahl  glücklich  abiaufte. 

Den  30*"  seynd  wir  bey  guten  Weeg  bis  in  das  Dorff 
Pru^g*^)  r^ekommen,  wo  ein  schlecht  würthshauß  wäre  und  wir  Pmgg 
Fisch  und  Meiscli  aßen,  so  alles  sehr  elend  wäre.  AUhier  ver- 
kaufit  man  die  Westphällische  Brathwürst  Ehlenweis,  die  Ehlen 
ä  4  stuber  (so  6  Xr")  macht).  Wir  haben  auch  etliche  Ehlen  ge- 
kaufft.  Heuthe  Iriihi'  seynd  wir  in  Morast  ein  paarmahl  stecken 
geblieben,  und  muste  ein  Wagen  dem  andern  Plerdt  leihen.  So 
sind  auch  2  Waagen  gebrochen,  so  uns  kein  Freydt  wäre.  Nach 
Tisch  kamen  wir,  von  starken  Re^^en  begleitet,  in  das  Dorff 
Oblath,")  allwo  wir  übernachteL  Unterwegs  sahen  wir  die  sfadt  obimth 
Cölln,  wohin  wir  gern  wären;  allein  es  wäre  einen  halben  tag 
uns  außer  den  weeg  gewesen. 

Den  31*™  Martij  seynd  wir  zeitig  abgefahren,  und,  um  den 
beßem  weeg  zu  fahren,  wandten  wir  uns  gegen  den  schönen 
lustschloB  Penroth.")  Dieses  schloß  wurde  uns  aufgemachet 
und  ist  in  der  That  sehenswürdig;  es  gehöret  dem  Churffirsten 
V.  Pfalz.  Durch  diesen  weeg  sind  wir  vielem  Wasser  entgangeni 
so  auf  den  andern  zu  paBiren  gewesen  wäre.  Wir  fuhren  all- 
hier  durch  schöne  gärthcn,  all6en  und  wälder.  Als  wir  aber 
gegen  DäBeldorff  gefahren,  so  gtenge  ein  schwarzes  gewdlkh 
auf;  es  eriiebte  sich  ein  großer  Sturmwind  und  fühle  ein  ent- 

t)  Wvthe,  Hau,  Kreis  AUenkirchen.  *)  Troisdorf  (Siegkreis)?  *)  Si^. 
^  Agger.       ^  BiSck.         Krcoacr.         0|ilMleB.       ^  Boinlli. 


Digitized  by  Google 


42 


Th.  Remid« 


sdzlicher  Regen.  Wir  waren  in  sorgen,  daß  nicht  etwa  der 
Wind  unseni  WSgen  schaden  zulQge.  Die  Fuhrleuth  und  Pferd 
hatten  kaum  Athem  mehr,  und  haben  sie^  die  leutfae,  mit  den 

gesicht  ^ch  auf  die  Pferdte  geleget,  um  nicht  zu  ersticken.  Der 
DfiMdorff  Regen  luße  zwar  nach,  aber  der  Wind  dauerte  bis  Düßeldorff, 
allvvo  ein  gutes  Mittagmahl  uns  erquickte.  Diese  Stadt  hat  uns 
trefflich  gefahlen,  wiewohln  wir  nur  selbe  \n  cm-  und  ausfahren 
gesehen.  Auf  den  Platz  stiegen  wir  ab.  Die  Häuser  seynd  nicht 
von  Holz,  sondern  stein  und  nach  ziegelarth  gjemahlen.  Nach 
Tisch  fuhren  wir  in  Gottes  Nahmen  forth,  wiewohl  das  wetter 
noch  sehr  unfreundlich  wäre.  Ein  wagen  hätte  bald  das  un- 
giückh  gehabt,  in  Stadtgraben  zu  fallen;  dann  ein  Pferd  mit  den 
hintern  Füßen  schon  hinunter  über  die  Brucken  han^^ete,  welche 
kein  geländer  hatte.  Wir  fuhren  bis  in  die  Nacht  ffr.  Com- 
mißarius  nähme  sich  ein  Pferd  und  Reithknecht  auf  und  ritte 
gegen  abend  voraus,  ein  quartier  zu  bestellen.  Der  Schaffer,  so 
die  obsorg  über  Pferd,  Wagen  und  Knecht  hatte,  hatte  einen 
Rausch  und  käme  ihme  die  Envie  an,  den  Gallopirenden  Hr. 
Commißario  nachzusetzen,  kutschirtc  selbst  bey  den  andern  wagen 
und  führe  mit  den  gepackten  Wagen,  so  viel  die  Pferd  kunten 
getrietwn  werden,  Aber  alle  grlben.  Endlich  bliebe  er  in  einem 
Morast  stecken,  und  die  Deucel  gienge  entzwejr.  Er  stiege  ab^ 
lufie  den  wagen  mit  2  Knechten  in  ^ch  und  hoiilte  jfenen,  wo 
mein  Frau  Mutler  und  ich  wäre.  Selber  wäre  zwar  angst;  allein 
wer  wolte  einen  vollen  f uhrmann  zur  raison  bringen  können? 
Er  führte  uns  mit  mdglidister  geschwindigkeit  bey  einem  gnben 
gefährlich  vorbey,  veriieß  den  andern  wagen,  und  wir  kamen  in 
HMiBun  das  Dorff  Muckum,^)  allwo  leith  und  Fackeln  dem  andern 
Wagen  entgegengeschickt  wurden,  so  ganz  spath  anlangte.  Dar- 
in waren  wir  schlecht  in  WQrthshauß  versehen  worden.  Allda 
Qbemaditeten  wir.  In  der  Nacht  muste  eine  neue  Stange  ge- 
macht werden.  Hr.  Commißarius  gäbe  dem  schaffer  einen  Ver- 
weis und  nähme  ^ich  vor,  nicht  mehr  voraus  zu  ,^che^.  Des 
andern  lags,  da  der  schaffer  ausgeschlaffen,  deprecirte  er  und 
schützte  den  Rausch  vor. 


1)  SlodaHn,  Krdi  Rnhrort  Oiuckinffco?  D.  Red.) 


Digitized  by  Google 


Anackers  Beschreibung  seino*  Reise  von  Wien  nach  Lissabon.  43 


Den  1*«"  Aprilis  [l]730  seynd  wir  Morgens  bis  in  die 
Preußische  siadt  Dasburg')  gefahren,  aIh.vo  vviir  wohl  geesscn.  üusouxj 
Nachniitiag  fuhren  wir  weiter;  wir  hatten  schlechten  Weeg,  in- 
deme  wir  viel  waßer  zu  paßiren  hatten.  Auch  musten  wir  wieder 
über  den  Fluß  Roher*)  fahren,  hatten  auch  darbey  ein  elends 
wetter  und  starken  wind  mit  Regen  Auf  den  waßer  musten 
wir  umweeg  machen,  weil  das  waßer  sehr  groß  von  Regen  wäre 
und  grad  über  ohne  gefahr  nicht  hätten  können  überset7en. 
Abends  blieben  wir  in  den  Dorff  Hipstedt,'')  wo  wir  übernachtet.  Hipctntt 

Den  2*»  dilo  seynd  wir  zeitlich  aufgestanden,  um  in  die 
Stadt  Wesel  zu  kommen;  allein  wir  muslen  wegen  großen  waßer  w«ki 
sehr  umfihren,  so  daß  wir  erst  um  halber  2  ubr  nachmittag  in 
Wesel  dntraffien,  und  ob  es  schon  Palmsonntag  wäre,  so  kunten 
wir  doch  kein  Meß  mehr  böten.  Unterwegs  musten  wir  Aber 
den  Fluß  Lippe  schiffen,  wo  das  waßer  sehr  groß  wäre.  Man 
muß,  vor  einen  Wagen  flberzusetzen,  1  Jgi  50  Xr»  auch  offt 
1  J^'  Xr  zthlen;  ein  jeder  Fluß  hat  sein  Tax,  welches  recht 
viel  uns  gekostet  Wesel  ist  schön,  aber  reformirt;  seynd  auch 
ui  einem  solchen  wflrthshauß  abgestiegen.  AUhier  ist  der  M^ 
Lambrecht  ihr  Mutler  gewesen,  so  hierher  gerenet,  um  ihre 
Tochter  noch  zu  sehen. 

Den  3*™  dito  hatten  wir  in  Wesel  rasttag,  all  wo  wir  unsern 
vielfältiL'en  Reyßchaprin  ausschlief fen.  Gecken  Mitta^^  seynd  wir  auf 
die  iSaslionen  ;i^eo;an^eii,  um  das  Exercitium  der  Soldaten  anzusehen. 
Auf  daß  wir  dieses  desto  beßer  sclieten,  schickte  der  dasige  Hr. 
Obrist  und  Commendant  einen  ohizier  2  Mahlen  zti  uns,  wo- 
durch er  uns  complimentiren  und  einladen  tuße,  auf  den  Platz 
zu  kommen,  um  es  twfier  zu  sehen.  Wir  giengen  endlich,  und 
wir  wurden  von  allen  offiders  mit  distinction  begrüßet  und  com- 
plimentirt  Es  waren  drey  Regimenter  auf  den  Platz,  welche  da- 
zumahl  stark  exercirt  wurden,  weil  der  König  von  Preyßen,  dem 
diese  Stadt  gehöret,  dahin  nächstens  gekommen.  Die  Idth  g^e^ 
fühlen  uns;  die  schöne  Ordnung,  gleichheit,  geschicklich-  und  ge- 
schwindigkdt  derenselben  ist  nicht  auszusprechen.  Meiner  Mutter 
gefühlen  sie  sehr,  daß  sie  zu  Mittag  sagten  so  sie  ein  Kerl  wäre, 


>>  Diditnfc.  Rikr.         Wohl:  Hkifdd,  Kid»  RAmt 


Digitized  by  Google 


44 


Tb.  Rcntnd 


mfiste  sie .  dn  grenadier  darmtler  wetdm,  mit  einem  Wort:  es 

ist  weder  [an]  Wesel  noch  denen  Idtiien  was  auszustellen. 

Den  4'"'  dito  sind  wir  um  7  uhr  aus  Wesel  forth  und 
Yatdnineg  kamen  in  ein  elendes  städtl  Yssebuneg.*)  Der  Würth  wäre 
doch  Höflich;  wir  musten  mit  lautern  Ayern  und  Pfann-Kuchen 
vor  lieb  ncbnicn,  wozu  wir  tauten  Mof^ler  hatten.  Nach  dieser 
comptndicusen  Mahlzeit  ruckten  wir  weiter.  Wir  paßirten  bey 
der  kleinen  Stadt  Anhalt*)  Vorbey,  welche  kleine  Waßergräbcn 
und  von  grünen  Waßen*)  aufgeworfene  Wall  hat,  auf  welchen  an 
statt  der  stuckh  kleine  gartenspallier  sind.  Es  hat  ein  schönes 
Sdiloß,  wo  der  Fürst  v.  Anhalt  logiret.  Bey  diesem  Städtl  kam 
einer  zu  denen  Wägen,  deme  es  nidit  zustünde,  und  begehrte 
den  Kays.  Paß,  und  als  er  ilm  gegeben,  der  Hr.  Commißarius^ 
wddier  meynte^  es  mflBe  sein,  hat  der  Flegel  den  Faß  die  ISngste 
Zdt  gelesen  und  Hr.  Commißarium  mit  bloßen  Haupt  llngstens 
stehen  gelaßen.  Da  dieser  Bemhiuter  selben  völlig  gelesen, 
wiese  er  den  Hr.  Commiß.  mit  einem  alten  Weib  in  das  Schloß. 
Da  verstünde  Hr.  Commiß.  unredit  und  versetzte  selben  etliche 
streidi  mit  den  Rohr;  er  aber  luffie  darvon,  wortwy  wir  zimlich 
gdadiet  Nach  diesen  kämmen  wir  in  das  Holländische 
Territorium  und  fuhren  bis  8  uhr  bey  schönen  Mond-Liedit, 
Aadotans  da  wir  dann  in  den  Dorff  Anderburg^)  anlangten,  allwo  wir 
zum  ersten  Mahl  frische  Meerfisch  und  den  sQßen  Franzwdn 
bekammen;  diesen  letzteren  aber  kunten  wir  nicht  trinken.  Wir 
flbemaditeten  hier.  .  .  . 

Den  5**"  Apnlis  seynd  wir  mit  den  Tag  aufgestanden,  ob- 
wohlen  das  aufstehen  hart  gefallen  wegen  cicn  Camin-Feuer  und 
noch  dazu  bey  den  Dorf*)  (wie  sie  es  nennen),  daß  ist  gedörte 
Frden  Bis  dieser  7u  brennen  anfanget,  musten  wir  torth.  Wir 
fuhren  dieses  mahl  fast  durch  mehr  Waßer  als  Land,  dann  alle 
Wiesen  in  Waßer  waren,  daß  man  nicht  wüste,  ob  man  nicht 
etwa  in  einen  graben  fallet.  Ja,  es  muste  offt  ein  Knecht  mit 
dnen  Pferd  Voraus  reiten  und  das  Waßer  probiren.  Zu  Mittag 
OttstaK    waren  wir  in  der  holländischen  Stadt  Dusburg,*)  allda  wohl 

«Oinditdi  _________ 

')  Is^dburg. 

*)  Anholt,  Res.  des  Fürsten  Salm-Salm,  früher  Hauptort  der  StandesherrKliiil  Anholt» 
^  iUientlidwi.  D.  Red.        Tcrbon.  Tod.       ^  Duobatf. 


Digitized  by  Google 


Anadten  Besdncibang  sdner  Rdse  von  Wien  nach  Lissabon.  45 

gelcbet;  allein  wir  hatten  Vid  Verdrufi  wegen  den  Kays.  PaB, 
wekhen  sie  nicht  ericennen  woHen,  und  Verlangten  Von  unsem 
Sachen  3  pu  Cento,  oder  aber  wir  sollen  unsere  Bogege  zunidc> 
huaen,  bis  ein  von  den  HH.  Slaaten  anhingte^  weilen  wir 
noch  keinen  von  dem  Kays.  Hn  Gesandten  überkommen  Haben. 
Jedoch  hat  Hr.  CommiBarius»  so  als  ein  Holländer  die  sprach 
kunte^  die  sach  dahin  gelmch^  daß  es  mit  etl.  20  geschehen 
wäre»  auch  ein  Paß  erhalten  wurde.  Nach  tisch  wolten  wir 
weiter;  allein  die  Sdiiff-KiidKn  wäre  zerrifien  und  dte  Wißer 
so  starck  angdoffen,  daß  uns  der  schiffer  selbst  große  gefabr 
machte.  Blieben  also  auch  die  Nadit  hier.  Wir  musten  aber 
sehr  zornig  den  Würth  darüber  gemacht  haben,  weilen  wir  ihm 
vor  Mittag-  und  abend -eßen  ohne  den  Wein  37  zahlen 
inuslen,  da  doch  die  Helffic  zu  wenig  gar  nicht  gewesen  wäre. 

Den  6'"*  dito  musten  wir  über  den  Fluß  ÜhsP)  und 
schickten  erstlich  einen  Wagen  mit  denen  3  Dienstbothen  voraus 
um  5  uhr.  Wir  aber  fuhren  forth  um  7  uhr,  allwo  die  Pletten 
mnlckgekommen  wäre.  Wir  sahen  ein  kleines  meer  vor  uns 
und  hatten  1  stund  zu  fahren.  Als  der  Wagen  aus  der  Plette 
fahren  solte,  weil  es  etwas  gefährlich,  so  musten  wir  heraus 
steigen.  Wir  fuhren  sodann  ein  wenig  zurück  und  kamen  an 
ein  stadtli  wo  wir  durchgiengent  wie  auch  über  eine  kleine  wisen. 
Die  andern  wisen  waren  voll  waßer;  mithin  musten  wir  in  ein 
klein  Schiffl  uns  setzen  und  fuhren  ein  kleine  halbe  stund.  Unter- 
deßen  hatten  die  leithe  alle  9  Pferd  an  einen  Wagen  gespannet, 
um  selben  durch  das  waßer  zu  bringen,  nach  welchem  sie  den 
andern  hohleten.  Wir  giengen  wieder  etwa  ein  Viertl  stund;  da 
wäre  wieder  waßer,  und  wir  musten  wieder  ein  schiff  haben, 
in  welchen  wir  ein  V«  stund  gefahren.  Die  Wägen  hatten  zu 
thun,  durchzukommen,  worftbo*  stdi  die  leith  gewundert,  weil  sie 
viel  niedrigere  RSder  dann  die  Holländischen  hatten.  Nachdem 
wir  so  viel  waßer  gefahren  und  zu  land  gegangen,  fuhren  wir 
bey  4  stand  in  lauter  alltoi,  welche  so  schön  waren,  daß  wir 
hierdurch  alle  heuthige  fatalitftten  vergaßen,  und  darzu  hatten  wir 
einen  sehr  angenehmen  Tag.  Dergleichen  allte  von  40  bäumen 


t)  YMd. 


Digitized  by  Google 


46 


Th.  Raumd 


werden  nidit  überall  wie  hier  gesehen.^)  In  Wahrheit,  Holland 
ist  ein  recht  angoicAmes  land,  so  völlig  flach  und  keine  Berge 
Amhdm  hat  Wir  kamen  um  1  uhr  in  Arn  heim  an,  wo  wir  trefflich 
ge^ßet.  Nach  tisch  fuhren  wir  weiter  und  ruckten  abends  um 
OBBcfed  7  uhr  in  das  in  etlichen  Hausem  bestehende  Dorff  Q  flu  ekel  ^ 
ein,  allwo  wir  kein  sich  zum  besten  anlassende  Hertieig  Hatten. 
Die  Fenster  waren  von  spIegelgUser,  daß  Dach  strofa,  in  Zimmer 
poroelain,  die  Fenster  aber  schier  so  Hoch  als  das  Zimmer,  all- 
wo es  daher  zimlich  kalt  wäre. 

Den  7^  dito  seynd  wir  nadi  5  Uhr  auf  den  Weeg  ge- 
wesen, allwo  wir  über  lauter  Hayden  xu  fahren  hatten.  Da 
sahen  wir  keine  Ehlen-Hohe  Baume^  sahen  auch  kein  HauB  bis 
AMtaffli  Amersfurth,*)  wo  wir  paßable  lebten.  Nach  tisch  ruckten  wir 
wdter,  wo  wir  noch  bisweilen  wiBer,  doch  ohne  grofie  Gefahr 
FcDcr  paBirten.  Abends  haben  wir  das  kleine  Dorff  Feuer^)  erreiche^ 
allwo  wir  wieder  ein  Zimmer  mit  Poroelhun  hatten.  Der  wfitth 
hatte  an  seinen  Hosen  so  grofie  silbeigiescbhig^e  Knöpf,  dafi 
Jeder  gewis  etwa  2  bis  3  lofh  hatte.  Diese  Idthe  gaben  uns 
ein  Milch-Suppen  mit  Biscuit,  so  sehr  harth  ist  Sie,  die  wQrthin, 
goße  Milch  darauf,  was  sie  hatte.  Meine  Mutter  sagte,  es  seye 
zu  wenig  Vor  dieses  harte  Brod,  aliein  es  wäre  keine  mehr  fuer. 
Selbe  sähe  auch  in  dem  Camin  frische  Härmg;  die  niusteii 
Selber  gleich  herunter  und  mit  Butter  gebratten.  Wiewohl  wir 
sonst  nichts  hatten,  waren  wir  doch  zufrieden  und  dachten,  es 
seye  der  Chor- Freytag. 

Den  8*™  dito  seynd  wir  um  3  uhr  aufgestanden  und,  olme 
zu  frühcbiücken,  waren  wir  um  Vi  Vier  uhr  auf  der  Stralk,  wo 
es  noch  ganz  finster  wäre;  allein  wir  weiten  heuthe  noch  in 
Nörick  Amsterdam  seyn.  Um  8  Uhr  kamen  wir  nach  Nörick,"*) 
allwo  wir  ein  Schiff  (treckscheit),  und  ei^'cnthch  Postschiff  seyend, 
genommen,  welches  seine*)  eigene  stunden  hat,  abzugehen,  in  ein 
solches  schiff  käme  nnsre  Bagage  und  dann  wir.  Die  2  Kutschen 
nahmen  Urlaub;  wir  gaben  allen  leithen  trinckgelder,  und  waren 
wir  alle  betrübt,  sie  zu  verliehren,  weil  sie  sorgfältig  auf  uns 
waren.   In  diesem  schiff  saßen  wir  unter  einem  Tacb,  so  sauber 

>)  Die  Oegcnd  um  Arohdm  siU  th  die  UndsdufUicfa  schönste  in  Holland. 
Oliod?       i|  AwnlQoit      ^  VnfwlMe?      «}  Naiidoi?      ^  Or.:  Oitc. 


Digitized  by  Google 


Anackers  Bcschreibtung  sdner  Reise  von  Wien  nach  Lissabon.  47 


gemahlen  wäre.  Dieses  schiff  ziehet  1  Pferd,  so  am  Land 
hiuffe^  und  geht  das  Schiff  sehr  schnell;  es  wäre  ein  Freydt,  zu 
füllen  zwischen  den  land,  bey  vielen  gärten  und  schiffen  mit 
ihren  flaggen  vorbey.  Die  Dienstbothen  hatten  auch  ein  Zimmer. 
Meine  Mutter,  obwohl  es  kalt  wäre,  bliebe  nicht  darinnen,  sondern 
stiege  auf  das  schiff.  Wir  kamen  hernach  an  eine  schöne  siadi, 
wo  uns  die  bruckhe  aufgehoben  werden  musle,  und  Hr.  Com- 
mißarius  gienge  in  die  smdt,  brachte  uns  ayer  und  was  darzu 
nöthig  ist.  Unterdeßcn  fuhren  wir  bey  der  stadt  Vorbey  durch 
3  brücken.  Alsdann  warüieten  wir,  bis  sie  kamen  und  was  zum 
eßen  brachten.  Wir  waren  sehr  Vergnügt,  hatten  auch  guten 
Holländer  Butter  und  Brodt  von  unterschiedlicher  Gattung  auf 
dem  tisch.  Endlich  käme  die  schone  stadt  Amsterdam  in  unser  Amsterdam 
gesicht  Wir  fuhren  durch  ganz[e]  alleeti  von  schiffen  durch  den 
Canal  bis  an  das  Würthshauß,  so  bei  der  Duhle  m  der  Duhler- 
straße  wäre.  Diese  Stadl  ist  so  schön,  daß  sie  würdig  so  kann 
benennet  werden,  und  die  reisenden,  so  nicht  Amsterdam,  wo 
nicht  L^anz  hlolland,  c^esehen,  die  haben  was  großes  vergeßen. 
Wiir  iogirten  an  emem  schönen  orlh,  wo  alle  schiffe  paßiren 
musten,  und  an  land  sähe  man  die  wägen;  dann  in  der  mitten 
der  Canal,  an  deßen  ufer  all6en,  dann  beederseits  ein  Straß  ist. 
Hier  siehet  man  alle  Nationen,  alle  trachten  und  höret  alle 
sprachen.  Nur  die  von  Hohen  adel  und  Rath  dörffen  mit  Räder 
fahren,  die  übrigen,  wie  auch  die  lohnwägen,  haben  den  Kasten 
auf  einer  schlapfen  *)  mit  einem  Pfcrdt,  welches  der  neben  gehende 
Kerl  regieret,  und  dieses  darum,  damit  durch  die  RAder  die 
Bürsten,^)  auf  weichen  ganz  Holhind  stehet,  nicht  so  geschflttelt 
und  ruiniret  werden.  So  seynd  auch  in  Amsterdam  300  brüdcen 
Von  einer  seithe  zur  andern  Über  den  Canal  mit  eysemen  g^. 
linder,  und  in  der  Mitte  können  sfe  auffgezogen  werden,  damit 
dfe  schiff  mit  denen  Masfen  pafiiren  kOnnen.  Was  hier  zu  sehen 
ware^  ze^  man  uns  alles.  Die  Börse*)  ist  was  schönes.  Wiir 
sahen  auch  eine  groBe  uhr,  wo  alle  Sonnen-,  Mond-,  Jahisbiuff  und 
andere  figuren,  so  aus  und  ein  giengen,  trompeten,  blaseten, 
auch  exeitirten,  zu  sehen  waren.    Der  Perpenticul  wäre  die 

>)  Schldfc       >}  mit  scharfem  Om  bewadisener  Moocxnuid.  Orlnai,  II,  S5i. 
SdMClier.  I*.  m  1>.  Red.  Die  iMutfge  Bane  «n  Din  steht  cnt  tdt  tMS. 


Digitized  by  Google 


48 


Tb.  Rcnaud. 


Sonne,  so  die  äugen  rOhrete.  Die  Catholische  haben  nur  dne 
Kirch  hier,  wo  der  Prediger  mit  der  Canzel  von  der  Erde  her- 
auf kommet  und  nach  der  Predigt  wieder  binabsinicet  In  dieser 
Kirch  fragte  ein  an  der  thflr  stehender  Junger,  der  lOeyduiig  nach 
honneter  Mensch  die  tA^  Umbrecht  auf  fnuizOsiach,  ob  sie  ihr 
Uhr  h&tte.  Sie  erschracke»  sähe  darnach  und  huide  sie;  ant- 
worthefee  ihme  mit  Ja,  fragte  aber  um  die  ursach  seiner  frage. 
Er  replictrtei  es  gel«  schlimme  leuthe^  so  es  ofil  stehlen  in  dieser 
Kirch,  und  weil  er  sähe,  daß  sie  dn  auslSnderin,  so  wolle  er  sie 
warnen.  Die  machte  ihr  compliment,  und  wir  wißen  bis  heuthe 
nicht,  ob  es  nidit  sdbst  dn  spitzbub  gewesen,  in  denen  andern*) 
Kirchen,  so  hdmlich  seyn,  ministriren  bettschwcstem,  und  die 
Geistlichen,  in  spede  Jesuiten,  gehen  weldtlidi  mit*gdaiflpflen 
Ptruquen.  Wiir  haben  sdbst  3  derenselben  bey  unserm  tisch 
gehabt,  und  hat  dner  unserm  P.  Wenzinger  dne  Rays*Capdlen^ 
bis  Lißabon  gdiehen,  wovor  er  100  Rdi.  dngesetzet,  um  den 
andern  schadlos  zu  halten,  so  wiir  etwa  in  IMeer  unglOcfclich 
wiren.  In  Amsterdam  seynd  auch  2  Judisdie  Sinagogen,  dne 
Teutsche  und  ein  Portugesische;  wir  waren  in  beeden,  wo  wir 
des  lachens  über  der  Juden  grimacen  uns  nicht  enthalten  können. 

In  Amsterdam  blieben  wir  bis  20*™  april,  wo  in  der  Frühe 
unser  Bagage  abgehohlet  wurde  auf  einem  kleinen  Fahrzeug,  um 
selbe  am  Borth  des  großen  Schiffes,  welches  zur  ladung  Kais 
hatte,  zu  bringen.  Wir  \".aren  alle  reyßfertig,  aßen  noch  ein 
mahl  bei  Herrn  v.  Liperskofen  (so  uns  in  amsterdain  währender 
unserer  anwesenheit  viel  thien  erwiesen)  und  sezten  uns  nebst 
guter  Compagnic  in  ein  schön  lust-  oder  Jagdt-Schiff,  um  an 
unser  schiff  zu  fahren,  so  sich  die  Jungfrau  Dorothea  nennet. 
(Wir  musten  vor  eine  person  den  Capitain  ohne  Kost  geben 
100  ^t)*)  Meine  Frau  Mama  wäre  sehr  betrübt,  daß  sie  das 
L^nd,  auf  welchen  sie  <?:ehohrcii  und  bis  dato  gelebet,  quiUiren  • 
solte;  aHein  das  Schiff  gefuhle  ihr  doch,  und  besonders,  weilen 
alles  nett  und  sauber  wäre.  Das  Zminier  oder  Cajute  wäre  ge- 
mahlen, hatte  4  fenster,  auch  Viele  und  zwar  17  Kästen,  deren 

>)  katholischen. 

^  RaidMpellc;  Kirctoicait  nun  Maidaai  auf  der  Rdw,  im  •KapcUitttlai' 
^  Am  Rnde. 


Digitized  by  Google 


Anackers  Bcschrdbui^  seiner  Reise  von  Wien  nach  Lissabon.  49 


Wir  uns  bedienen  kunten.  Ein  Kasten  hatte  Porcellain,  wo  jedes 
stfickb  seinen  einschnitt  in  Holz  hstte,  daß  es  fest  stunde;  ein 
Kasten  wäre  so  groB,  daß  Meine  Frau  Mama  darinnen  schlaffen 
Icunle;  die  übrigen  musten  auf  dem  Cajute-boden  Itcgen,  die 
Köchin  im  schiff  bey  der  Bagage»  der  Geistliche  in  den  Gang 
der  Cajiite  in  einem  kleinen  Kasten;  Hr.  CommiBarius  Uige  im 
Kuff  ist  in  mitten  des  scfaiffs  eine  hatten  wo  auch  die  Kuchd 
ist  —  in  einem  Kasten,  wo  die  Boths>leuthe  schlaffen.  Einen 
Disch  hatten  wih-  in  Zhnmer,  so  fest  wäre  gemacht,  damit  er 
nicht  Aber  den  hauffen  geworffen  worden  in  den  Meer.  Als 
wiir  diese  eintheilung  des  scfalffes  gemacht  und  bey  einer  kleinen 
Soup^  lustig  waren,  kam  die  shind  an,  wo  unser  uns  begleitende 
Compagnie  sich  beurlauben  muste.  Da  sie  abgefahren,  Iflseten 
wiir  ihnen  die  stQckh,  so  ein  Ehrenzeichen  ist,  und  sie  hatten 
dne  halbe  shindt  nadi  Hauß  zu  hüiren.  Wiir  blieben  bis  spathen 
abend  auf  der  gallerie,  wo  wir  untersdiiedlidie  schiff  sahen  von 
allen  Nationen,  ja  einen  wald  von  lauter  schiffen. 

Den  21*"  frühe  waren  wiir  noch  im  Hafen  lustig,  machten 
anstalt  zum  Kochen,  dann  wir  guten  Vorrath  hatten  (dann  wiir 
von  Hr.  CömmiBario  provianthiret  worden).  Der  Capitain  muste 
nodi  an  das  bind  fahren  wegen  affairen.  Nachmittag  bekammen 
wiir  Besuch  Von  guten  freyndten,  und  von  diesen  lußen  wiir 
uns  fiberreden,  mit  ihnen  in  ihren  lustschiff  im  Hafen  spazieren 
zu  fahren.  Der  Tag  wäre  uns  gfinstt^  und  wiir  fuhren  in  dnen 
rechten  wald  von  schiffen  aller  Nationen,  wo  uns  die  Capitains 
allzdt  bq;raßeL  Da  wiir  ein  paar  stundt  so  gefahren,  stiegen 
wiir  wieder  fiber  den  Borth  unsers  Schiffes^  bedienten  unsere 
g^  mit  dner  Sdiiff-Soupte,  und  nadi  dieser  beurlaubten  wir 
uns^  lößeten  ihnen  auch  die  Stfiddi,  nachdem  sie  abgefahren  waren. 

Den  22**"  dito  käme  Morgens  der  Capitain  mit  seiner 
Frauen  und  2  Töchtern  am  Borth,  welche  letztere  2  rechte  Schön- 
heiten waren,  auch  nach  ihrer  landesarth  zwar  uns  wunderliche, 
doch  sehr  artige  und  nette  Kleyder-Tracht  hatten.  Sie  blieben 
ein  paar  shindt  im  Schiff;  endlich  beurlaubten  sie  sich,  und  wiir 
Hoben  gegen  Mittag  das  Ancker-Tau,  Segelten  auch  bey  zwar 
sdiwadien,  aber  doch  lavorablen  wind  aus  dem  Hafen  von 

AfdilT  «r  KdlntifkUfibte.  V.  4 


Digitized  by  Google 


50 


Th.  Renaud. 


Amsterdam»  von  wannen  bis  in  Texel  wiir  einen  K]oz*Mann*> 
(so  das  Sdiiff  sicher  wegen  denen  SandtUncken  aus  den  Hafen 
bringen  muB)  hatten.  Nach  tisch  sahen  wiir  kleine  Fischer-Schtfr 
fahren.  Der  Capitain  steckte  ein  Uein  fthnldn  aus»  so  dn 
Zeichen,  dafi  »e  uns  zuseglen  selten.  Er  fragte  sie  durch  das 
Redthom,  ob  sie  fische  haben,  wo  wiir  ihnen  dann  einige  ab- 
gekauffet^  auch  dnen  Meer-Kiebs,*)  welchen  man  Trabt  nennet^ 
so  groß  als  dn  Zinntdler;  hatte  kdnen  schwaif;  die  Scheeren 
waren  so  wie  dne  band  gros  und  die  fOs  dickh  wie  Uehie 
finger.  Unter  andern  sahen  wih*  bey  diesen  fischer  dn  Meer- 
spinnerin, so  dn  abscheuliches  Thier  ist  und  wie  ein  rundes 
stflckfa  wdchen  taig,  aber  schwarzlicht  auf  der  erden  läge.*)  Die 
Meerfische,  wiewohlen  sie  eben  aus  dem  Meer  kämmen» 
schmecketen  meiner  Frau  Mutter  doch  nicht 

Den  23**"  aprilis  wäre  meine  Frau  Mutter  schon  Kranckh 
und  ni Liste  ihr  Belli  Hüten  und  sich  mit  der  See-Kranckheit,  den 
Brechen,  unterhalten.  So  wäre  auch  das  Meer  sehr  unruhig, 
daß  wir  keine  Meeß  halten  haben  können. 

Den  24*™  als  am  S.  Georgij-Fest  wäre  das  Meer  et\\as 
stiller,  und  läse  der  P.  Wezinger  eine  Heil.  Meeß.  Meine  Mutter 
wäre  unter  selber  auf,  nach  deßen  Ende  aber  wäre  sie  wieder 
zu  Belhe  p^egangen. 

Den  2  5*"'  \\'are  das  wetter  paßable,  der  Wind  favorable, 
meine  Frau  Mutier  aber  i  nun  er  Kranckh. 

Den  2 6 Aprilis  frühe  kamen  wir  in  Tcxel  nn ,  wo 
sogleich  eine  flagge  ausgestecket  wurde.  Es  käme  ein  klein 
schiffl  mit  einem  Mann  am  Borth,  so  als  beschauer  die  Paß 
visitiren  muste.  Wiir  bekamen  hier  einen  andern  Kloz-Mann,  so 
uns  bis  in  Engl.  Canal  bringen  muste.  Heuthe  ist  der  Tag  an- 
genehm. Der  Hr.  Commißarius  führe  mit  den  Capitain  in  der 
Both  an  das  Land,  uro  mehr  victualien  einzukauffen,  und  be- 
stellte auch  allda  auf  morgen  dn  Mittagmaht  mit  der  Condition, 
so  wür  in  Hafen  bliebeten  aus  Mangel  des  Wind&  AUdn  wür 
kamen  nicht  an  das  land;  dann  den 

27^  dito  käme  so  guter  Ost-wind,  daB  wir  den  Ancker 
Hoben  und  aus  Texd  abfuhren.  Kamen  auch  den 

1)  Lote.         Tttdieakr^       ^  Qualle 


Anackers  Beschreibung  seiner  Reise  von  Wien  nach  Lissabon.  51 


28^*^"  dito  mit  diesen  wind  immer  mehr  in  See  und  den 
29101  ejusdem  in  Englischen  Canal,  wo  der  Kloz-Mann  auf 
sein  schiff  überstiege  und  abschied!  nähme.  Wir  sahen  recfater- 
hand  Engelland  und  linkerhand  Franckreich  liegen.  Wiir  waren 
bald  darauf  in  Spanischen  See,  wo  man  tag  und  nacht  forthfahren 
muste  und  nachts  keinen  ancker  werffen  können,  wie  bis  dato 
geschehen,  weil  man  keinen  Grundt  findet,  und  man  dieses  vor 
das  gröste  meer  haltet,  nemlich  der  Oceanus.  Wiir  musten  also 
den  alimächtigen  Gott  und  die  Wellen  walten  lafien.  (Zu  wissen, 
daß  in  See  die  schiffe  keine  flagge  ausstecken,  damit  die  See- 
räuber die  Nation  nicht  können,  sondern  grQne  Fähnlein.)')  Es 
dauerte  dieser  slarcke  wind  auch 

den  30^,  wo  der  Geistliche  kein  HL  Meeß  lesen  kunte. 
Abends  hatten  wiir  starcken  Contrairen  wind,  auch  etwas  Donner« 
Wetter,  so  horrible  auf  dem  Meer  anzusehen. 

Den  1  •»  May  lufie  die  stille  des  Meeres  uns  eine  Heil.  Mee6 
Hören.   Abends  hatten  wir  bis  Mitter-Nacht  Donner  und  Regen. 

Den  2*"*  May  triebe  uns  der  Wind  um  10  Meylen  /.urückh. 
Wir  traifeü  unterschiedliche  schiffe!  an.  Mit  3  spräche  der 
Capitain  durch  das  Redthorn,  wovon  tinni,  nach  Cadix,  eines 
nach  Livorno  und  eines  nach  Indien  gefahren.  Die  2  erstem 
unterredeten  sich  mit  uns,  einander  nicht  zu  verlaßen,  so  lang 
es  scyn  könnte,  damit  wiir  von  Seeräubern  sicherer  wären.  Eins- 
niahls  wäre  das  Meer  so  stille,  daß  einer  dieser  2  Capitainen 
seine  Both  auswarffe,  an  unscrn  Borth  schicketc  und  uns  auf 
emen  Thee  einladen  luße;  allein  meme  Fr.  Mutter  wäre  übel 
auf;  so  8:ienge  niemandt,  als  unser  Capitain  und  Hr.  Commibanus, 
wo  sie  nach  einer  Stundt  mit  beeden  Capitainen  /unickknmmen 
und  uns  eine  Flasche  Saure  Butter-Milch  und  ein  paar  Häring 
brachten.  Wiir  waren  lustig  und  hatten  zu  lachen,  daß  wiir  auf 
der  Hohen  See  Visiten  Bekommen,  indeme  es  selten  gehöret 
wird,  daß  man  in  Hohen  See  auf  der  Both  fahren  kann.  Es 
ist  ihnen  auch  etl.  mahl,  wiewohl  das  Meer  stille  wate,  eine 
Wellen  in  die  Both  gefallen,  daß  wiir,  die  wiir  von  unserer 
gallerie  zugesehen,  gcgUubet,  sie  s^en  schon  hin.  Allein  sie 

1)  Am  Rande. 

4* 


Digitized  by  Google 


52 


Th.  Renaud. 


wüsten  bald  das  waßer  auszuadtöf^n.  Oeg^  abendt  wurde  das 
Meer  gewöhnlicher  maßen  ungestimnier;  die  2  capilains  nahmen 
Urlaub  und  fuhren  jeder  an  seinen  Borth.  Wür  zohen  alle  abendt 
die  Seegel  ein,  damit  unser  schiff,  so  ein  guter  lauffer  wäre,  bey 
denen  andern  bliebe,  um  in  t|tl  der  Noth  einander  beizustehen. 

Den  3*^'  4^  und  5^  May  geschähe  dieses  allzeit,  wo 
wiir  immer  auf  guten  wind  fortnickelen. 

Den  6^  aber  fuhren  wiir  mit  vollen  wind,  und  wiir  redeten 
unserm  Capitain  zu,  sich  nicht  langer  aufhalten  zu  laßen,  sondern 
seinen  lauf  beschleinigen.  Er  thate  es,  nähme  durch  das  Redt- 
horn  von  denen  Schiffen  Urlaub,  und  wiir  bekammen  den 

7ten  abends  die  Portugesjschen  Küsten  zu  sehen. 

Dieses  Land  sahen  wir 

den  S^"^  May  wieder,  und  der  wind  war  paßable;  aber 

den  9*™  verloren  wiir  das  land,  sahen  auch  nichts  als 
Himmel  und  Waßer.    Endlich  wurde, 

den  10^^"  Mny,  der  wind  so  Contraire,  daß  wir  bis  zu 
denen  Canarischen  Insuln  Getrieben  worden,  woher  uns  auch 
etliche  Canari-Vögel  auf  die  Tau  flogen.  Wiir  fiengen  einen  und 
hielten  ihn  in  der  Cajute;  allein  er  crepirte  glücklich  und  wurde 
in  das  Meer  begraben. 

Den  1 1     continuirte  dieser  Contraire  wind  wie  auch 

den  ^2^'  so  daß  wiir  die  Veriafienen  2  Schiff  wieder 
sahen.   Diese  3  täg  und 

den  13*™  darzu  hatten  wiir  des  tags  kaum  4  Meyl  gemacht 
Endlich  schickte  der  gütige  Gott  uns  einen  geneigten  wind. 
(Diesen  wind  zeigten  an  die . . .  brein  fisch,  so  wiir  in  quantitftt 
gesehen,  welche  ihn  allzeit  andeuten.  Diese  fisch  können  nicht  ge- 
fmgen  werden,  weil  sie  sehr  geschwind  in  waßer.)  ^)  Und  wir  kamen 

den  14^  May  als  meines  Vatters  Seel.  und  meines  eygenen 
Nahmens  Tag  in  den  Canal  v.  Lißabon  oder  Tago.  Wiir  sahen 
beeders^ths  land,  so  mit  schlößem,Castdlen  und  Pomeranzengärten 
gamiret  wäre.  Die  Heuthige  nacht  tiaumete  meuier  Frau  Mutter, 
daß  Mein  Seel.  Vatter  selbige  an  der  Hand  aus  dem  schiff  an 
das  hmd  führe.   Der  Capitain  sagte:  Vielleicht  wird  dieser  träum 


1)  Am  Rmde. 


Digitized  by  Google 


Anackers  Beschreibung  seiner  Reise  von  Wien  nach  Lissabon.  53 


in  ehvas  wahr.  Und  in  der  that  ^vj^i^cn  Mittag  fanden  wiir  uns 
in  Tage.  Wiir  steckten  die  Flagge  aus,  ladeten  die  stuckh  und 
warfen  den  Anckher.  Es  käme  wieder  ein  Kloz-Mann  oder 
Pilotb,  mit  welchen  wiir 

den  1 5  May  mit  den  anbrechenden  tag  den  anckher 
zogen  und  mit  großer  gefahr,  weil  der  wind  sehr  vehement  wäre, 
der  Canal  aber  voller  Sandtbänckh,  gefahren,  so  daß  wiir  um 
9  uhr  Vormittag  vor  Lißabon  lagen,  den  Ancker  v^rffeten  und 
unsere  stuckh  löseten.  Wiir  sahen  zwar  land,  durfften  es  aber 
nicht  betretlen;  dann  es  kamen  unleiscbiedliche  comißarij,  die 
einen,  ob  wiir  keine  Verbothene  waaren  hatten,  andere^  ob  wiir 
gesandt  Diese  blieben  in  ihrem  Both,  und  wiir  musten  auf 
unser  gallerie  stehen,  wo  sie  von  weiten  uns  angieschauel,  so  uns 
schon  fScherlich  wäre.  Andere  kämmen,  so  den  Matrosen  allen 
Tobadc  wegnahmen.  Diese  waren  mit  uns  hOfflich;  unser  Rhein- 
wein wäre  ihnen  gegen  den  Portugesisdien  zu  sauer;  allehi  meme 
Fr.  Mutter  merkte  es,  warffe  in  jedes  gbiß  heimlich  ein  stQckl 
Zucker;  so  haben  sie  ihn  angenommen.  Die  Malrosen  lamentirten 
um  ihren  Tobadc;  allein  es  halffe  nichts.  Endlich  darff  der 
Capihun  und  Hr.  Gmimißarius»  der  erstere  wegen  denen  Kauf- 
leuthen,  an  die  das  schiff  addießiret,  und  der  letztere,  um  bey 
Hoff  unser  arrivo  zu  notifidren,  ans  land  fahren.  Um  5  uhr 
abends  kamen  ein  Königl.  Hof-Fourier,  ein  Teutscher,  auf  das 
schiff,  um  die  gewisheit  Sr.  May.  ^)  zu  überbringen,  ob  wiir  es 
wären.  Nachdem  er  die  Confirmation  nach  Hof  überbracht, 
schicketen  S.  May.  2  Cammerdienerinnen  mit  einer  Franc,  so 
eben*)  Canunerdienerin  wäre,  lauter  teuteche,  zu  uns,  um  uns 
tti  nahmen  Sr.  May.  zu  empfangen.  S.  May.  luße  uns  freynd- 
lich  grüßen,  auch  melden,  daß  ihr  unser  so  glückliche  Ankunfft 
sehr  lieb  seye,  und  morgen  werde  sie  uns  selber  sehen;  sollen 
also  hcuthe  noch  im  schiff  ausrasten.  Wiir  bedienten  sie  mit 
jenirn,  so  wiir  von  der  Keiß  übrig  hatten,  und  da  sie  mit 
den  Königl.  lustschiff  abgefahren,  löseten  wiir  ihnen  die  stuckh. 

Den  16*™  legten  wiir  andere  Kleyder  an,  und  um  12  uhr 
Mittags  käme  ein  Königl.  Lust-schiff  mit  denen  gestrigen  dreyen 

«)  Hier,  «iebB  Mscndai,  itt  MtOrikli  die  Kbügln  gandiit,  alw  Ihre        D.  Ked. 


Digitizec  uy  google 


54 


Th.  Renaud. 


Cammerdienerinnen,  uns  abzuhoblen.  Da  wiir  Von  Bordt  ge- 
fahren, luße  der  Capitain  wieder  die  stuckh  lösen,  und  wiir 
stief^^cn  an  das  land,  wo  S.  May,  cm-  und  aussteiget,  so  sie 
spazieren  fahret.  Wiir  wurden  durch  garten  geführet,  endhch  in 
ein  Königl.  Zimmer,  wo  der  A.  R.  P.  Carolus  Gallenteis  e  S.  J. 
Provinciae  Austriacae,  Sr.  May.  beicht-Vatter,  uns  empfangen. 
Endlich  kämme  S.  May.,^)  wo  wiir  zum  Handtkuß  und  audienz 
gelaßen  wurden.  Meine  Fr.  Mutter  als  Frau  führete  das  worUi, 
und  S.  May.  redete  auch  immer  mit  ihr.  S.  May.  wäre  aucli 
geg^n  mich  sehr  gnädig  und  nahmen  mich  ein  paar  mahl  beym 
g^dit  Bey  dieser  ersten  audienz  muste  S.  May.  und  wiir 
alle  lachen,  indeme  die  Köchin,  so  in  die  Königl.  Kuchel  mit- 
gekommen, aus  einfolt  zu  S.  May.  gesage^  da  sie  höchst  der- 
selben die  Handt  gekflßet:  »Ihre  May.  die  Kayserin  laßen  Euer 
May.  Viel  schönes  sag!en%  wodurch  ihr  Einfalt  jedermann  bald 
abgoiommen.  (Bey  dieser  audienz  haben  wiir  auch  die  Kayser- 
Uchen  Presente*)  überliefert,  so  wiir  von  Wienn  mithatten.)*) 
S.  May.  gienge  in  das  Cabinel^  und  wiir  musten  folgen.  Unter- 
defien  kam  der  P.  Wezinger,  welchen  ein  gespann  auf  einem 
andern  schiff  abgefaohlet  hatten  auch  an,  und  S.  May.  luBe  alle 
Prinzen  und  die  Cron-Princefiin  kommen,  um  ihnen  die  händ  zu 
kOSen.  In  Herausgehen  gratulirfen  uns  alle  Aber  unser  ankunfft 
und  offerirten  uns  ihre  Freyndschaft  Wiir  wurden  von  der 
1*"  Cammer- Frau  hi  ihr  Zimmer  geffthret,  wo  wir  aus  der 
Königl.  Kuchel  tradiret  worden,  weldies  uns  und  unsem  leuthen 
8  täg  geschehen,  wo  alle  Cammerdienerinnen  mitgespeißet,  bis 
jede  neue  angekommene  sich  eingerichtet.  Auch  haben  meine 
Fr.  Mutter  und  die  andern  erst  nach  14  tagen  anfangen  dörffen 
zu  dienen,  um  Zeit  zu  haben,  auszubacken  und  auszurasten. 
Ist  also  nichts  übrig,  als  dem  allmächtigen  Gott  schuldigsten 
Danckh  zu  sagen,  daß  selber  uns  eine  so  große  Reys  und  auf  selber 
so  Viel  waßer-  und  iands-gefahren  glücklich  hat  überstehen  laßen. 

>)  Johann  V.  1705-17SO,  Jesuitenschülcr,  vom  Plpt  rat  fMcUniom  bctildi  <Bs 
kum  bicr  nur  die  Kfinlgjn  gfmdnt  Min.  D.  Red.) 

Kirit  Vt.  1711-174«,  Teralhtt  mit  EUsihefli  Ouittfiie  von  Bnwnteimlt- 
Bbrnkenburg,  die  Eltern  MmU  Thcreila». 

•)  Am  Rande. 


Digilized  by  Google 


Der  Einfluß  der  Romantik 
auf  die  Vertiefung  des  Nationalgefühls. 

Von  f  a  GUNTRAM  SCHÜLTHEISS. 

Ab  Jahn  sein  Büchlein  vom  deutschen  Volkstum  nieder- 
schrieb und  drucken  ließ,  konnte  er  von  diesem  wie  von  emer 
halb  erloschenen  Sache  sprechen:  »immer  mehr  verschwindet  durch 
eigene  Sündenschuld  unsere  Volkstümlichkeit  oder  die  Deutschheit; 
so  müssen  wir  wenigstens  in  einer  Benennung  die  Rückerinne- 
rung  an  das  verlorene  Ebenbild  bewahren."  Es  ist  daran  wenig- 
stens so  viel  richtig,  daß  es  noch  keine  Wissenschaft  vom  deut- 
schen Volkstum  gab,  wenn  schon  viel  mehr  Ansätze  dazu,  als 
Jahn  fiberschauen  konntCp  und  es  gab  auch  schon  eine  gar  nicht 
zu  unterschätzende,  wenn  auch  nicht  herrschende  Geistesströmung, 
die  den  Gefühlswert  deutscher  Art  und  Geschichte  stärker  betonte 
als  die  Aufklärungszdt,  die  ja  unter  dem  Einfluß  englischer  und 
französischer  Auffassung  das  pnze  sog.  Mittelalter  in  tiefer 
Baitiard  versunken  erblidde.  Ist  doch  auch  noch  Schillers  histo- 
rische Bildung  so  verengt  geblieben.  Der  Wissenszweig,  den 
man  damals  als  deutsche  AltertOmer  bezeichnete,  als  NebenschöB- 
ling  vom  Baum  des  deutsdien  Humanismus  entsprossen,  grünte 
fori,  und  was  Hartmann  Schedel,  Sebastian  f ranck  und  Sebastian 
Mfioster,  Quad  von  KinckdlMch  und  Martin  Zdller  dem  Qber- 
lielerlen  gelehrten  Wissen  an  natu>naler  Empfindung  zugegeben 
haben,  das  war  trotz  altfränkischer  Steife  doch  noch  immer  ein 
SIfick  geistigen  Erbes,  das  von  Geschlecht  zu  Oeschlecht  fort- 
ging, wenn  es  auch  durch  neue  Erwerbung^  in  den  Hintergrund 
geschoben  oder,  wie  z.  E  Mflnslefs  Weltbuch  aus  dem  Hause 


Digitized  by  Google 


56 


Rr.  Omitnin  SdiuItheiA. 


des  Oelehrlen  in  das  des  Bürgers  beranteiigedrackl  wurde.  Klop> 
Stocks  Enthusiasmus  umwob  die  deulsche  VoizeiV  vor  allem  die 
ebenCtdIs  vom  Humanismus  wiedetigewonnene  Heldengestalt  des 
Arminius,  mit  dem  Strahlenkranz  einer  didiferischen  Phantasie^ 

die  ihre  Ideale  in  der  fernen  Vergangenheit  suchte;  was  daran 
und  noch  mehr  in  dem  Bemühen,  die  j^elehrte  nordische  Mytho- 
logie als  altes  deutsches  Volksgut  neu  beleben  zu  wollen,  leerer 
Klang  und  Übertreibung  war,  artete  im  » Bardengebrüll "  ge- 
schmackloser Nachahmung  aus  und  zerstörte  so  leider  Klopstocks 
Wirkung  zum  größten  Teile  wieder.  Die  Reaktion  war  stark 
genug,  um  auch  noch  Herders  und  Mösers  Fortschritte  in  der 
richtigen  Würdigung  der  deutschen  Vergangenheit  zur  Seite 
zu  drängen  wie  hätte  sonst  Adelung  bei  manni^achen  Ver- 
diensten um  die  deutsche  Schriftsprache  dem  deutschen  Altertum 
und  allem  Volkstümlichen  so  absprechend  und  geringschätzig 
gegenüberstehen  können,  daß  Seme  II  Älteste  Geschichte  der 
Deutschen,  ihrer  Sprache  und  Literatur  bis  zur  Völkerwanderung«, 
die  im  Jahre  1806  erschien,  als  giftige  Schmähschrift  auf  die 
ahen  Germanen  zu  charakterisieren  ist,  daß  er  die  altdeutsdie 
Dichtung  als  völlig  wertlos  bezeichnen  kann  und  auch  in  der 
Sprache  seiner  Zeit  mit  dem  Dünkel  gelehrter  Schulmeisteret 
das  Volkstümliche,  Naturwüchsige  wie  die  Sprichwörter  als  niedrig 
und  pöbelhaft  ablehnt  (Vgl.  Rudolf  Raumer,  Qeschicfate  der 
gemuinischen  Philologie^  1870,  S.  237  ff.) 

Wie  hell  strahlt  demgegenfiber  Jahns  Verdienst  um  die  Er- 
kenntnis des  Zusammenbanges  der  Vorzdt  mit  den  Aulg^n^ 
die  der  Umschwung  aller  Verhältnisse  stellte.  «Eine  Ahnung  vom 
Einstbesseren"  legt  er  sich  mit  Recht  bei;  viel  mehr  von  einer 
solchen  als  von  gründlicher  wissenschaftlicher  Vorbildung  aus- 
gehend memt  er;  »da  mag  es  gut  sein,  wenn  in  diesen  Völkemöten 
jemand  hinab  sich  wagt  in  die  Schattenwelt  der  Geschichte^  dort 
nach  einem  Ausweg  und  Ausgang  hiagt  und  auf  ihre  Sefaersprflche 
far  die  Zukunft  horcht.« 

Fast  ein  Jahrhundert  wissenschaftlichen  Forschens  und 
Sichtens  liegt  zwischen  Jahns  deutschem  Volkstum  und  dem  gleich- 
benannten Sammelwerk  Hans  Meyers,  das  sich  in  Umfang,  In- 
halt und  Ausstattung  zu  Jahns  Büchlein  verhält  wie  Deutschlands 


Der  Einfluß  der  Ronuuitik  auf  die  Vertiefung  des  Natioailg^fahb.  5  7 


heutige  Madifsldlung  zu  seiner  Lige  im  Jahre  1810.  Der 
wissenschafUiche  Stoff,  der  unter  das  Stichwort  deutsches  Volks- 
tum fUltf  hat  sich  seit  Jahn  so  gemehrt,  daß  darauf  sein  Satz 
zutrifft:  »wenn  Wissenschaften  hinge  fortgehaut  werden,  so  hluft 
sich  am  £nde  ein  Wissenstoff «  unter  dem  schon  das  bloße  Lesen 
erliegt,  die  Oelehrsamkett  nutzlos  umherwOhlt  -  zur  Anwendung 
kann  er  dann  gar  nicht  kommen.  Wer  den  Versuch  wagt,  aus 
vielen  zugenchteten  Einzelheiten  ein  verbundenes  Ganze  aufzu- 
stellen, wird  ehi  WcAlttter.« 

Jahn  wird  das  Recht  bleiben,  am  Anfang  des  Weges  als 
Pfadfinder  und  Zidzeiger  zu  stehen:  er  hat  das  BesdiwArungs- 
wort  gefunden  für  die  guten  Geister  der  Vergangenheit  unseres 
Volkes  und  sie  als  Nothelfer  angerufen  in  den  trüben  Zeiten 
seiner  Gegenwart  wie  für  die  Zukunft,  die  er  gläubigen  Sinnes 
erfaßte  und  111  seiner  Art  dann  auch  fördernd  und  geslaitend  vor- 
bereitet hat.  Auch  andere  haben  zugleich  mit  ihm  unter  dem 
Druck  der  Zeit  sich  bemüht,  zu  den  halb  verschütteten  oder  doch 
vergessenen  tiefsten  Quellen  deutschen  Wcsuns  Zugänge  zu  schaffen, 
mancher  gelehrter,  beredter  und  geistreicher  als  Jahn,  aber  ü-euer 
und  ehrlicher  keiner. 

Es  bedurfte  aber  nicht  erst  des  jähen  Zusammenbruches 
des  preußischen  Siiiates  seit  der  Schlacht  von  Jena  zur  tiefen 
Beunruhigung  der  Vaterlandsfrcunde.  Der  klägliche  Ausgang  des 
zweiten  Koalitionskrie,2:e'^,  die  uns::;eheuere  Machtsteigerung  Frank- 
reichs, die  vor  Aupen  liefj;ende  AutlusuniT  des  Reicbsverbandes 
drängten  doch  jedciii  Wcitci blickenden  (iic  ernste  f  rat^c  nach  der 
Zukunft  des  deutschen  Volkes  auf.  Ein  Schiller,  erfüllt  vom  Bewußt- 
sein der  nationalen  Bedeutung  seiner  dichterischen  Schöpfungen, 
vermochte  in  dem  Anspruch  des  deutschen  Geistes  und  der 
deutschen  Sprache  auf  die  Weltherrschaft  Trost  zu  finden  für  den 
Unteigimg  der  politischen  Einheitsfonnen  und  dann  den  Ent- 
wurf zu  ehier  Dichtung  in  diesem  Sinne  ruhig  in  seinem  Pulte 
liegen  zu  lassen.  Schwächere  Geister  —  schwächer  im  Vergleich 
mit  Schiller!  --  gaben  ihrem  Pessimismus  offen  Ausdruck,  so  Arndt 
in  seinem  »Geist  der  Zeit«  schon  vor  1806:  »Seit  zwei  Jahr- 
hunderten ist  Teutschland  der  blutige  Kampfplatz,  wo  ausgefbchten 
wird,  was  sich  bei  dem  Großmogul  und  bei  den  Eisktmos  angesponnen 


Digitized  by  Google 


SB 


Fr.  Oufiinin  Scfaidäidß. 


hat  Teulscfae  hat  man  gegen  Teulsche  bewaffhd,  Slidte  und  Under 
und  Sitten  zerstört  und  immer  sind  sie  durch  Fleiß  und  Zucht  wieder 
aufgestanden.  Aber  jedes  Ding  in  der  Welt  hat  sein  Maß,  wie  weit 
es  gehen  kann.  Wir  sind  jetzt  an  der  Grenze.  Ohne  alte  polttiache 
Haltung,  ohne  Teilnahme^  ohne  Liebe,  ohne  Hoffnung  steht  das 
Volk  endlich  gleicfagllltig  und  dumm  da.  Das  Etend  des  Krieges, 
die  Schmach  des  Fliedens,  der  Raub  des  Silbers  und  Qoldes» 
dte  Schändung  der  Weil>er  und  Jungfrauen,  das  Niederreißen  der 
Festungen,  der  Fremden  Hohn  und  der  Fürsten  Feigheit,  Trug 
und  Geiz  -  es  muß  endlich  wirken  und  wird  wirken  zu  unserem 
und  ihrem  Verderben.«  Daß  vollends  unter  dem  Eindruck  der 
vernichtenden  Niederlagen  Preußens  Arclienhol;',  der  Geschicht- 
schreiber des  Siebenjährigen  Krieges,  die  Bitürchtung  nieder- 
schrieb, es  möchte  selbst  die  deutsche  Sprache  untergehen,  ist 
kaum  mehr  eine  Steigerung  des  trüben  Pessimismus  Arndts. 

Damals  durfte  es  Romantik  heißen,  an  eine  bessere  Zukunft 
des  deutschen  Volkes  zu  glauben;  aus  dieser  Romantik  ist  die 
Wissenschaft  des  deutschen  Volkstums  hervorgegangen,  wenn  sie 
auch  an  frühere  Ansätze  wieder  ankiiü]}fen  konnte.  »Was  es  sei 
um  das  Gefühl  des  Vaterländischen,  ist  schmerzlich  und  tröstend 
zugleich  in  jener  Zeit  empfunden  worden,  als  die  ausginchende 
Weltherrschaft  alles  Nauonale  zu  ersticken  drohte.  Damals  suchten 
wir  in  den  tiefsten  Fasern  unseres  Daseins  die  Gewährschaft 
eines  eigentümlichen  Lebens  und  Bestandes*  —  so  hat  später 
Ludwig  Uhland  das  Verhältnis  bezeichnet. 

Die  Jugendbestrebungen  Herders  und  Goethes  in  dem 
Büchlein  »Von  deutscher  Art  und  Kunst*  (1773)  wurden  zuerst 
wieder  aufgenommen  durch  die  irHerzenscrgießungen  eines  kunst- 
liebenden Klosterbruders«  von  Heinrich  Wackenroder  1  797;  was 
Straftbutig  und  insbesondere  sein  Munster  für  Herder  und  Goethe 
gewesen,  das  wurde  den  Jüngeren  jetzt  Nürnberg,  es  erschien 
ihnen  gleichsam  als  fortlebendes  Pompeji  des  deutschen  Mittel- 
alters. »Nflmberg,  du  vormals  weltberühmte  Stadt!  Wie  gerne 
durchwanderte  ich  deine  krummen  Gassen;  mit  welcher  kindlichen 
Liebe  befaachtete  ich  deine  altvflterischen  Häuser  und  Kirchen, 
denen  die  feste  Spur  von  unserer  alten  vaterländischen  Kunst  einge- 
drückt ist    Wie  innig  lieb  idi  die  Bildungen  jener  Zeit,  die 


Digitized  by  Google 


Der  EinfluB  der  Romuitilt  nif  die  Vertiefung  des  Nationalgefflhls.  5  9 


eine  so  derbe,  kritftige  und  wihre  Spfache  Ähren.«  Und  ein 
SeifenstQck  zu  Goethes  Apotheose  des  Hans  Sachs  ist  der  Lob- 
preis Albrecht  Dürers,  als  des  Reigenführers  der  deutschen  Kunst, 

als  des  Ausdrucks  deutscher  Art  und  Empfindung:  „Als  Albrecht 
den  Pinsd  führte,  da  war  der  Deutsche  auf  dem  Volkcrschau- 
platz  unseres  Weltteils  noch  ein  eigentümlicher  und  ausgezeich- 
neter Charakter  von  festem  Bestände;  und  seinen  Bildern  ist 
nicht  nur  in  Oesichtsbildung  und  im  ganzen  Äußeren,  sondern 
auch  im  inneren  Geiste  dieses  ernsthafte,  gerade  und  kräftige 
Wesen  des  deutschen  Charakters  treu  und  deutlich  eingeprägt. 
In  unseren  Zeiten  ist  dieser  feslbesünimte  deutsche  Charakter  und 
ebenso  die  deutsche  Kunst  verloren  gegangen  .  .  Die  Periode 
der  eigenen  Kraft  ist  vorüber;  man  v^'ill  durch  ärmliches  Nach- 
ahmen und  klüf^elndes  Zusammensetzen  das  versagende  Talent 
erzwiii^^Tn.  '  Zurück  zu  Durer  als  dem  W'cl^w ciser  und  Erzieher 
-  der  Ruf  klingt  durch  diese  Zeilen.  So  iaiige  Dürers  Werke  leben, 
ist  er  ja  nicht  tot,  sondern  lebt  fort  als  Besitz  der  Nation.  »Um 
seinetwillen  ist  es  mir  lieb,  daß  ich  ein  Deutscher  bin." 

Auf  diesem  Wege  der  ZurOckgiewinnung  des  deutschen 
Volkstums,  als  des  geistigen  Erbes  der  Vergangoibd^  ist  dann 
•Des  Knaben  Wunderhorn,  Alte  deutsche  Lieder  von  Achim 
von  Arnim  und  Gemens  Brentano«  1 806  ein  Markstein  gieworden. 
Den  nationalen  Gewinn,  den  man  von  der  Renaissance  des  deut- 
schen Mittelalters  erwartete,  hat  wohl  am  schönsten  Qörres  t>e- 
zeicfanet  in  der  Vorrede  zu  seinen  »Teutschen  Volksbflchem« 
von  ISO 7.  Eine  Traumviston  fOhrt  ihn  zu  den  Helden,  die  um 
Barbarossa  im  Schofi  des  Bei^  sitzen,  Reinold  und  Siegfried, 
Karl  dem  Großen  und  Oktavianus,  Lionell  und  [Lorenz,  Heinrich 
dem  Löwen  und  Herzog  Emsi^  Wolfdietrich  und  Hagen.  »Was 
suchst  du  bei  den  Toten,  Fremdling     fragt  ihn  Barbarossa. 

»Ich  suche  das  Leben,  man  muß  tief  die  Brunnen  in  die 
Dürre  graben,  bis  man  auf  die  Quellen  stößt" 

»Das  Leben  ist  nichts  mehr  bei  uns,  wir  haben  es  als  Erbt 
euch  zurückgelassen,  ihr  habt  Übel  damit  hausgehalten.' 

»Dann  laß  aus  euren  Taten  von  neuem  den  Lebensgeist 
in  mich  ziehen.« 


Digitized  by  Google 


60 


Fr.  Guntram  Schultheiß. 


»Von  unseren  Taten  sind  die  Schatten  nur  uns  hinabgefolgt, 
willst  du  mit  ihnen  sprechen,  lies  in  diesen  Büchern." 

Arnim  und  Brentano  sowie  Görres  wirkten  wohl  mehr  an- 
regend durch  die  Beleuchtung,  die  sie  den  alten  Überlieferungen 
angedeihen  ließen,  aber  gerade  darauf  kam  es  in  dieser  durchaus 
literarisch-ästhetischen  Zeit  weh  mehr  an  als  auf  philologisch  gute 
Quellenausgaben.  Die  Volksmärchen  und  Volksbücher  zu  beleben 
hatte  schon  Tieck  versucht,  seine  romantischen  Zutaten,  das 
Spielen  mit  der  L'LxThcfcrimo:  war  immerhin  ge^en  die  franzö- 
sisch-lüsterne Modernisierung  des  Musäus  ein  Fortschritt,  aber 
doch  nur  in  falscher  Richtung.  Erst  den  Gebrüdern  Qrimm  ge- 
lang es  in  ihrer  Sammlung  der  deutschen  Märchen  (I.Rand  1812) 
das  Volkstümliche  treu  aufzufassen  und  wiederzugeben.  Damit 
war  im  Ton  und  Stil  erfüllt,  was  Jahn  zwei  Jahre  vorher  ge- 
fordert hatte:  »wer  die  deutschen  Volksmärchen  und  Sagen  er- 
zählen will,  darf  nicht  mit  Krankheiten  überladen,  wie  Musäus,  mu6 
einfiUtig  vortrage  wie  Stilling  und  hochgebildet  sein  wie  Goethe.« 

Worauf  es  ankam  bei  der  Belebung  des  Nationalgefühis^ 
das  erkannte  Jahn  sehr  scharf:  aber  wie  er  doch  kaum  der  Mann 
gewesen  wäre,  gieduldig  und  treu  die  volkstQmlichen  Überliefe- 
ningen  zu  sammeln,  so  ließ  er  es  auch  sonst  in  literarischen 
Dingen  bei  der  Anregung  bewenden.  Welcher  Deutsche,  meint 
er  in  seinem  Volkstum,  sollte  nicht  ein  vollendetes  Werk  aber 
die  Deutschheit  wünschen?  Dann  gibt  er  die  Inhaltsanzdgie  einer 
angeblich  vemicfateten  Handschrift,  die  in  der  Tat  alles  enthalten 
sollte^  was  dem  Zwecke  nationaler  Eriiauung  dienen  könnte. 
Freilich  wohl  mehr  in  Skizzen  und  Andeutungen  als  in  flQssiger 
Ausführung.  Als  einen  Abschnitt  nennt  da  Jahn  »VaterlSndische 
WanderungMi  mit  einer  veisinnlichenden  Reisekarte'.  Wie  das 
letztere  zu  verstehen,  bleibe  dahingestellt;  in  dem  Beisatz  Vater- 
ländisch Aber  liegt  ausgesprochen,  daß  es  sich  ffir  Jahn  um  etwas 
handelt,  was  die  massenhaften  Reisebesdirdbungen  des  18.  Jahr- 
hunderts eben  nidit  l>o1en,  um  Anregung  der  Empfindung  für 
deutsche  Eigenart  Denn  auch  in  den  Reisebeschreibungen, 
einem  bisher  nach  ihrer  rein  literarischen  Bedeutung  noch  fast 
gar  nicht  gewürdigten  Gebiet,  spiegeln  sich  die  wechselnden 
Strömungen  des  geistigen  Lebens;  freilich  gilt  das  nicht  sowohl 


Der  Einfluß  der  Romantik  auf  die  Vertief uqs  des  NationalceffQhls.  6 1 


von  den  eigentlichen  Reisebesdireibungen,  die  sich  nur  den  Zwede 
setzen,  geographische  Erkundungen  zu  fibermittdn,  als  von  der 
ungleich  größeren  Masse  der  rein  persönlichen  Berichte  von 

Reisen  auf  gebahnten  Pfaden.  So  steht  denn  das  literarisch  be- 
kannteste Stück  dieser  Gattung:  Lawrence  Sternes  Empfindsame 
Reise*  nach  rückwärts  und  vorwärts  in  literarhistorischem  Zu- 
sammenhang. Im  letzten  Abschnitt  des  \S.  Jahrhunderts  herrscht 
die  kritische  Reisebeschreibung;  man  braucht  nur  an  Johann 
Kaspar  Risbecks  „Briefe  eines  reisenden  Franzosen«  und  Fried- 
rich Nicolais  weitschweifige  Reise  durch  Deutschland  zu  denken 
—  das  abschreckende  Vorbild  des  reisenden  Ekriiners,  der  an 
alles,  was  ihm  vor  die  Augt-n  kommt,  den  Maßstab  seiner  ge- 
wohnten Umgebung  anlegt,  nicht  geniefkn,  sondern  kritisieren  will. 

Auch  auf  diesem  üebiet  koninit  den  Romantikern,  als  den 
Antipoden  der  verflachten  Aufklarung,  das  Verdienst  zu,  mit 
neuen  Augen  in  die  Welt  geblickt  zu  haben.  Während  seibst 
noch  Goethe,  der  Vielreisende,  seine  Aufzeichnungen  von  unter- 
wegs fest  nur  aus  dem  Gesichtspunkt  der  Belehrung  macht  -  abge- 
sehen natürlich  von  einzelnen  Stellen  der  italienischen  Reise  —,  findet 
Friedrich  Schl^el  ganz  neue  Töne  in  der  »Reise  nach  Frankreich« 
(abgedruckt  in  seiner  Zeitschrift  „Europa",  fruilcfurt  a.  M.  1806, 
1.  Band,  1.  Stück).  Von  der  Wartburg  liest  man:  »Schöneres 
habe  ich  in  Deutschland  Nichts  gesehen  als  diese  Buig  auf 
emem  einzelnen,  ehedem  ganz  waldumlorflnzten  Beige^  rundum 
von  Felsen  und  Tftlem  und  HQgdn  umschlossen  ...  der  An- 
blick des  Abends  ward  . . .  noch  verschönt  durch  den  Ruhm  des 
Namens  und  durch  die  Erinnerung  an  die  Zeiten,  da  die  Poesie 
hier  in  voller  Blüte  stand.  Nur  der  Rhein  hat  noch  einen 
ihnlichen  Eindruck  auf  mich  gemacht  Wenn  man  solche  Qegen- 
sttnde  sieht,  so  kann  man  nicht  umhin  sich  zu  erinnern,  was  die 
Deutschen  ehedem  waren,  da  der  Mann  noch  ein  Vaterhmd 
hatte.«  Es  fölgt  ein  Gedicht  auf  die  Ritterzeit  und  dann  die 
Stelle,  die  schon  Jahn  in  sdnem  Volkstum  zitiert:  »diese  Poesie 
(des  ritterlichen  Lebens)  ist  nun  verschwunden  und  auch  die  Tugend, 
die  mit  derselben  veiscfawisfert  war.  Statt  des  furor  tedesco, 
dessen  in  den  italiänischen  Dichtem  so  oft  erwfthnt  wird,  ist  nun 
die  Geduld  unsere  erste  Nationaltugend  geworden  und  nebst 


Digitized  by  Google 


62 


Fr.  Ounbim  Sdiultlidfl. 


dieser  die  Demut  zum  Qegensatz  jener  ehedem  herrschenden 
Gesinnung^  wegen  welcher  noch  zur  Zeit  Kaiser  Kßxi  des  Fflnflen 
ein  Spanier,  der  mit  ihm  dieses  Land  durchreiste,  die  Deutschen 
los  Seros  nennt 

Aber  was  uns  betrifft,  so  wollen  wir  fest  halten  an  dem 
Bilde  oder  vielmehr  an  der  Wahrheit  jener  großen  Zeiten  und 
uns  nidit  verwirren  lassen  durch  die  gegenwärtige  Armseligkeit, 
unter  weldier  dieses  große  Volk  nicht  weniger  eriiegt  wie  andere 
mhider  l)edeutende.  Vielleicht  wird  der  schlummernde 
Löwe  noch  einmal  erwachen,  und  vielleicht  wird,  wenn 
wir  es  auch  nicht  mehr  erleben  sollten,  die  künftige  Welt- 
gebchichlc  noch  voll  sein  von  den  Thaten  der  Deutschen." 

Nach  einer  kurzen  Musterung  der  deutschen  Geschichte, 
wobei  Schlegel  besonders  des  Wechsels  von  hohem  Aufschwung 
und  jähem  Absturz  gedenkt  wie  dann  der  Möglichkeit  eines 
schwedisch-deutschen  Kaisertums  unter  Gustav  Adolf,  der  Wieder- 
herstellung der  natürlichen  Einheit  der  nordischen  Nationen  mit 
dem  germanischen  Körper,  kommt  er  nochmals  auf  den  Rhein 
zu  spreclien.  uNirgends  werden  die  Erinnerungen  an  das,  was 
die  Deutschen  einst  waren  und  was  sie  seyn  könnten,  so  wach  als  am 
Rhein.  Der  Anblick  dieses  königlichen  Stromes  muß  jedes 
deutsche  Herz  mit  Wehniuth  erfüllen.  Wie  er  durch  Felsen  mit 
Riesenkraft  in  ungeheuerem  Sturz  herabfällt,  dann  mächtig  seine 
breiten  Wogen  durch  die  fruchtreichsten  Niederungen  wälzt,  um 
sich  endlich  in  das  flachere  Land  zu  verlieren  -  so  ist  er  das 
nur  zu  treue  Bild  unseres  Vaterlandes,  unserer  Geschichte  und 
unseres  Charakters." 

Der  deutsche  Rhein  —  dies  Motiv  erklingt  hier  zum  ersten 
Mal  hell  und  klar  in  unserem  Schrifttum!  Wohl  hatte  schon 
Fischart  in  seinem  »Olückhaften  Schiff"  die  mythologische  Vor- 
stellung des  Vaters  Rhein  neu  belebt,  aber  der  Folgezeit  erschien 
der  heriliche  Strom  doch  vor  allem  als  des  heiligen  Römischen 
Reiches  Pfaffengasse.  Das  liegt  doch  weit  ab  von  dem  Gefühls* 
wert  der  Verbindung  «der  deutsche  Rhein«.  Schlegel  seltsst  hat 
diese  Zusammenstellung  noch  gar  nicht;  aber  er  kommt  ihr  so 
nahe,  daB  der  Nächste  sie  hoffen  mußte.  Er  ahnt  die  Bedeutung; 
die  der  Rhein  schon  im  Mittelalter  fOr  die  deutsche  Geschichte 


DigitizedjDy  Google 


Der  Einfluß  der  Romantik  auf  die  Vertiefung  des  Nationalgeffihls.  63 


gehallt  hati  wie  sie  IC  W.  Nitzsch  voilQhil,  und  er  ahnt  eine  Zu- 
kunft die  der  Veiigangenheit  wfirdig  ist;  die  Gegenwart  bietet 
Schlegel  freilich  nur  das  Bild  der  Gesunkenheit  »Hier  wftre 
der  Ort*  —  er  meint  zunächst  Mainz  — ,  «wo  eine  Welt  zu- 
sammenkommen und  von  hier  aus  übersehen  und  gdenkt  werden 
können  wenn  nicht  eine  Barriere  die  sogenannte  Hauptstadt  um- 
schiftnkte^  sondeni  statt  der  unnatürlich  natürlichen  Grenze  und 
der  kUi^ich  zerrissenen  Einheit  der  Länder  und  Nationen  eine 
Kette  von  Burgen,  Städten  und  Dörfern  längst  dem  herr- 
lichen Strome  wiederum  ein  Ganzes  und  gleichsam  eine  größere 
Stadt  bUdelen,  als  würdiger  Mittelpunkt  eines  giflcMichen  Weltteils.« 

Der  Rhein  Deutsdihmds  Sfarom,  nicht  Deutschlands  Grenze 
-  was  uns  selbstverständlich  is^  dafür  mußte  Emst  Moritz 
Arndt  noch  mit  einer  weit  ausholenden  historischen  Darlegung 
eintreten;  der  Begriff  »deutscher  Rhein«  mußte  erst  eigens  mit 
geistigen  Waffen  gewonnen  werden,  wie  das  Land  links  des 
Rheines  mit  wirklichen  Waffen  von  Frankreich  zurückgenommen 
werden  mußte,  zum  größeren  Teil  1814,  zum  kleineren  dann  1870, 
unter  den  Klängen  der  Wacht  am  Rhein. 

Auch  ihr  Keim,  wie  der  der  ganzen  Dichhmg  uber  den 
Rhein  und  das  rheinische  Leben,  liegt  in  hricdncli  Schlegels 
Worten,  so  unscheinbar  diese  Zeitschrift  Europa  sich  darstellt. 
Der  überzeugende  Nachweis  des  Ursprungs  eines  Gedankens,  einer 
Vorstellung  und  vollends  eine  Staüstik  der  Verbreitung  läßt  sich 
dabei  freilich  nicht  beibringen.  Leichter  ist  das  möglich  in  der 
Behandlung^  mittelalterlicher  Quellen ;  mancher  Fall  liefert  auf  das 
schlagendste  den  Beweis,  daß  neue  Oednnken  -  sie  sind  ja 
lange  nicht  so  häufig,  als  die  lärmende  Liieraturjugend  uTinier 
,  wieder  "laubt  —  zuerst  von  Einem  gefunden  und  ausf^esproehen 
werden  müssen,  so  üppig  sie  dann  wuchern  und  sich  verbreiten 
mögen,  bis  der  unscheinbare  Keim  zum  weitschattenden  Baum 
sich  auswächst.  So  konnte  eine  der  zähesten  Qeschichtsfabeln 
des  Mittelalters,  die  Sage  vom  Ursprung  der  Franken  aus 
Troja,  zuriickverfolgt  werden  bis  auf  ein  Mißverständnis  eines 
Chronisten  des  7.  Jahrhunderts,  der  in  seine  Vorlage  etwas  von 
den  Franken  hineinlas  und  abschrieb,  was  gar  nicht  darin  stand. 
(VgL  Heeger,  Landauer  Gymnasialprogramm  von  1891.)  So  ver- 


Digitized  by  Google 


64 


Fr.  Guntram  Schultheiß. 


mochte  der  Schreiber  dieser  Zeilen,  seines  Wissens  zuerst,  nach- 
zuweisen, auf  welch  wunderlichem  Umweg  die  alldeutsche  Arndt- 
sche  Begriffsbestimmung  von  Deutschland:  »so.  weit  die  deutsche 
Zunge  klingt"  gefunden  worden  ist  —  nicht  früher  als  in  der 
Vorrede  Sebastian  Francks  zu  seiner  »Chronika  der  Deutschen'  1 538. 
(Vgl.  Globus»  Band  59,  Heft  18  und  19.) 

Fflr  neuere  Zeiten  aber  lassen  sich  derartige  Genealogien 
von  Gedanken  vid  schwieriger  feststellen.  Wie  die  Quellen,  aus 
denen  die  Bildung  selbst  mittdniiBiger  Schriftsteller  zusammen- 
rinnl^  doch  unglekfa  reicher  sind  als  im  Mittelalter  vor  der  Aus- 
dehnung des  Buchdrucks»  so  verwirren  sich  auch  die  geistigen 
Ffiden  des  Zusammenhanges  von  früher  und  spftter  ins  Unüber- 
sehbare. Seminaiarbeiten  und  Dokiordnserfaüonen  sind  auf  diesem 
weiten  Felde  kaum  zu  gewinnen»  da  erst  die  Belesenheit  des 
reiferen  Alters  und  fast  noch  mehr  der  Zufall  des  Findens  den 
Blick  öffnen  kann.  Aber  allmählich  wird  auch  hier  die  Wissen- 
schaft einen  Bestand  positiven  Wissens  anhäufen:  wie  Richard 
M.  Meyer,  auf  den  Bahnen  Bflcfamanns  fortschreitend,  dne  gunze 
Reihe  von  Schlagworten  bis  zu  ihrem  Ursprung  verfolgt  hat,  wie 
manche  Novellen motive  der  Weltliteratur  von  der  vergleichenden 
Literaturgeschichte  nach  allen  Seiten  in  Zusammenhang  gebracht 
worden  sind,  so  werden  später  auch  die  Inventarstücke  der 
historisch  -  politischen  Weltanschauung  der  verschiedenen  Zeit- 
räume in  exakter  Statistik  der  geistiefen  Entwicklung  ermittelt 
werden.  Es  wird  dann  auch  dem  rasch  arbeitenden  Journalisten 
nichts  derartiges  mehr  passieren,  wie  z.  B.  der  Wiener  Neuen 
freien  Presse  in  ihrem  Leitartikel  am  28.  Juni  1893,  wo  zu  lesen 
stand,  Bismarck  habe  einmal  erklärt,  Frankreich  sei  ein  wildes 
Land,  und  dann  den  Gedanken  erörtert,  daß  man  eine  wiäste 
Zone  zv.ischcn  Deutschland  und  Frankreich  herstellen  müsse. 
Diesen  Gedanken  hat  aber  nicht  Bismarck  ausgesprochen  wns 
doch  selbstverständlich  sein  s5llte!  ,  sondern  Friedrich  Ludwig  Jahn 
in  seinen  öffentlichen  Vorlesungen  zu  Berlin  1817  und  den 
wunderlichen  Vorschlag  in  dem  manchmal  krausen  Humor  seiner 
Spielerei  mit  abgelegenen  Wörtern  ausgesponnen;  ob  es  ihm 
voller  Emst  damit  gewesen,  bleibt  fraglich.  Daß  in  Jahn  ein  Stück 
Culenspiegd  steckte,  hat  schon  der  eine  und  andere  der  Zeit- 


Digitized  by  Google 


Der  Einfluß  der  Romintik  anf  die  Vertiefunf  des  NatioiudSefflhls.  65 


genossen  erkannt;  die  pedantisdie  Erasthaftigkdt,  mit  der  die 
fleißige  und  soigfiUtige  Biogrsipliie  Eulers  alle  Sdten&prflnge 
Jahns  auf  den  höheren  Ton  stimmt  wird  dieser  Sehe  jedenfalls 
nicht  ganz  gerecht  und  hat  ein  etwas  zu  sehr  idealisiertes  Bild 
gegeben»  das  noch  inuner  die  herrschende  AufErasung  ist  Im 
übrigen  hat  aber  Jahn  doch  mehr  geistigen  Einfluß  geflbl,  als 
z.  a  Treilschke  zugibt 

Anregungen  sind  oft  fruchtbarer  als  Leishingen,  das  gilt 
fßr  die  Bedeutung  der  Romantik  bei  der  Ehtwickhing  des  deut- 
schen Nationalgefühls  im  19.  Jahrhundert,  wie  überhaupt,  so  ganz 
besonders  auch  von  der  Einleitung  Tiecks  zum  1.  Bande  seines 
Phantasus  (1812).  Tieck  hatte  bereits  in  Berlin  den  Einfluß  Jahns 
und  seiner  Turner  vor  Augen,  den  Geist,  der  sich  im  Leben 
und  Treiben  riuf  dein  ersten  Turnplatz  in  der  Hasenhaide  aus- 
tobte und  in  dem  Satz  der  Tumgesetj^  kundgibt:  »Keiner  darf 
zur  l  urngemeinde  kommen,  der  wissentlich  Vtrkehrer  der  deut- 
schen Volkstümlichkeit  ist  und  Ausländerei  liebt,  lobt,  treibt  und 
l^eschonigt  "  Worin  diese  Volkstümlichkeit  bestand,  das  hätte 
nun  freilich  kaum  einer  der  Turner,  am  wenigsten  ein  Gymnasiast, 
einem  andern  begreiflich  machen  und  darstelien  können,  er  hätte 
dann  höchsten«;  auf  Jahns  Rüchlein  vom  deutschen  Volkstum 
hinweisen  müssen,  wo  aber  eben  das  Grundlegende  ausgefallen 
war.  Jahn  hat  die  Lücke  auch  später  nicht  ausgefüllt.  Tieck 
empfand  sie  sehr  wohl,  und  er  läßt  deshalb  die  Einleitung 
zum  Phantasus  ist  selbst  in  Novellenform  gekleidet  seinen 
Theodor  zu  Ernst  sagen:  „behüte  uns  überhaupt  nur  der  Himmel 
(wie  es  schon  hier  und  da  angeklungen  hat),  daß  dieselbe  Liebe 
und  Begeisterung,  die  ich  zwar  in  dir  als  etwas  Echtes  aner- 
kenne, nicht  die  Torheit  einer  jüngeren  Zeit  werde,  die  dich 
dann  mit  leeren  Übertreibungen  weit  überflügeln  möchte."  Emst 
—  es  ist  Tieck  selbst  -  hat  schon  vorher  der  tiefen  Eindrücke 
gedacht,  die  Nürnberg  in  ihm  hinterlassen,  »die  geliebte  Stadt,  in 
der  der  teure  Dürer  gearlieitet  hatte,  wo  die  Kirchen,  das  herrliche 
Rathaus^  so  nuuiche  Sammlungen  seiner  Spuren  bewahren",  jetzt  ent- 
wickelt er  den  liteianschen  Plan  einer  vaterländischen  Reisebe^ 
Schreibung,  in  der  Kenntnis  des  deutschen  Vaterhmdes  erblickt 
er  die  ErfQllung  der  patriotischen  Schwirmerd  mit  lebendigem 

AkUv  IBr  Kalttugeschicbte.  V.  5 


Digitized  by  Google 


66 


Inhalt:  «Wenn  nur  das  wahrhaft  Qute  und  Große  mehr  erkannt 
und  ins  Bewußtsein  gebncfat  mrd,  wenn  wir  nur  mehr  sammeln 
und  lernen,  jene  Vonirldle  der  neuen  Hoffart  ganz  ablegen  und 
die  Voizeit  und  also  das  Vaterland  wahrhafter  und  umigier  liebeUi 
so  kann  der  Nachteil  einer  sich  bald  erschöpfenden  Tochett  so 
g;ro8  nicht  werden.«  Mit  Scfairfe  und  völliger  Klarheit  wird 
dann  der  Oedanke  ausgef&hrt,  den  Jahn  nur  andeutet  mit  setner 
Kapitdaberscfatifl  »Vaterlindische  Wanderungen«  als  Teil  des  an- 
geblich von  ihm  verfaßten  und  verlorenen  »Denkbuches  fttr 
Deutsche«,  indem  Emst  berichtet: 

«In  jenen  jugendlichen  Tagen  geriet  ich  oft  in  die  wunder- 
lichste Stimmung,  wenn  ich  die  Beschreibungen  unseres  Vater- 
landes, die  gekannt  und  gerühmt  \s'aren,  und  v/elclic  auf  allge- 
mein angenommenen  Grundsätzen  beruhten,  mit  dem  Deutschland 
vergUch,  wie  ich  es  mit  meinen  Augen  und  Empfind uni^en  sah; 
je  mehr  ich  überlegte,  nachsann  und  zu  lernen  versuchte,  je  mehr 
wurde  ich  überzeugt,  es  sei  von  zwei  gan?.  verschiedenen  Ländern 
die  Frage,  ja  unser  Vaterland  sei  überall  so  unbelcannt  wie  ein 
tief  in  Asien  oder  Afrika  zu  entdeckendes  Reich.  .  .  .  Aul  diese 
Weise  büdete  sich  in  jenen  Stunden  m  mir  das  Ideal  einer 
Reisebeschreibung  durch  Deutschland,  das  mich  seitdem  gereizt 
hat,  einigte  Blätter  niederzuschreiben.  Was  unsere  Nation  an 
eigentümlicher  Malerei,  Skulptur  und  Architektur  besitzt,  welche 
Sitten  und  Verfassungen  jeder  Provinz  und  Stadt  eigen,  und  wie 
sie  entstanden,  zu  erforschen,  um  den  Mißverständnissen  der 
neueren  kleinlichen  Oeschichtschreiber  zu  begegnen;  welche 
Natur  jeden  Menschenstamm  umgibt,  ihn  bildet  und  von  ihm  ge- 
bildet wird:  alles  dieses  sollte  nun  in  einem  Kunstwerke  gelöst 
und  ausgeführt  werden.  Den  edlen  Stamm  der  Österreicher 
wollte  ich  gegen  den  Ungtimpf  jener  Tage  verteidigen,  die  in 
ihrem  fruchtbaren  Lande  und  hinter  reizenden  Bergen  den  alten 
Frohsinn  bewahren,  die  kriegerischen  und  frommgläubigen  Bayern 
loben,  die  freundlichen,  sinnvollen,  erfindungsreichen  Schwaben  im 
Garten  ihres  Landes  schildern,  von  denen  schon  ein  alter  Dichter  singt : 

Ich  hab  d^  Sdiwaben  Würdigkeit 
In  fremden  Landen  wohl  erfthreo, 

die  berührigen,  munteren  Franken  in  ihrer  romantischen,  vielfach 


Digitized  by  Google 


Der  Einfluß  der  Romantik  auf  die  Vertiefung  des  Nationaigetühis.  67 

wechselnden  Umgebung,  denen  damals  ihr  Bamberg  ein  deutsches 
Rom  war,  die  geistvollen  Völker  den  herrlichen  Rhein  hinunter, 
die  biederen  Hessen,  die  schönen  Thüringer,  deren  Waldgebirge 
noch  die  Gestalt  und  den  Blick  der  alten  Ritter  auibewahren, 
die  Niederdeutschen,  die  dem  treuherzigen  Holländer  und  starken 
Engländer  ähnlich  sind;  bei  jeder  merkwürdigen  Stelle  unserer 
vaterländischen  Erde  wollte  ich  an  die  alte  Geschichte  erinnern, 
und  so  dachte  ich  die  lieben  Täler  und  Gebirge  zu  durchwandern, 
unser  edles  Land,  einst  so  blühend  und  groü,  vom  Rhein  und 
der  Donau  und  alten  Sa^en  durchrauscht,  von  hohen  Bergen  und 
alten  Schlössern  und  deutschem  tapfern  Sinn  beschirmt.  Gewiß, 
wem  es  gelänge,  auf  solche  Weise  ein  geliebtes  Vaterland  zu 
schildern,  aus  den  unmittelbarsten  Gefühlen,  der  \s'ürde  ohne  alle 
Affektation  zugleich  ein  hinreißendes  Dichterwerk  ersonnen  hat}enl'' 
Ein  klassisches  Werk,  das  diesem  Ideal  entspricht,  das  ganze 
Deutschland  umfassend,  aus  einer  Feder  hervorgegangen,  besitzen 
wir  auch  heute  noch  nicht,  die  achtungswerten  Anläufe  und  Ver- 
suche dieser  Art,  von  Mendelssohns  Buch  »Das  germanische 
Europa"  an,  bleiben  durchweg  der  Geographie  näher  als  dem 
kflhnen  Wuri  des  Kunstwerkes,  ein  so  tüchtiges  Buch  auch 
z.  B.  Kutzens  »Deutsches  Land"  ist.  Noch  weniger  können 
sdbstveisttndlicb  Illustrations-  und  Prachtwerke^  wie  zuletzt 
Kürscfaneis  »Was  ist  des  Deutschen  Vaterhind',  an  dem  Maßslab 
Tiedcs  gemessen  werden,  denen  der  Ursprung  buchhftndleriscfaer 
Spekuhdion  zu  deutlich  anhaftet  Das  Beste  auf  dem  Gebiet  der 
Landes-  und  Volkskunde  sind  Schriften  engeren  Inhalts^  wie  z.  B. 
Himers*  Maiscfaenbuch,  wo  die  Heimatsliebe  eines  Dicfateis  und 
kemhaften  deutschen  Mannes  die  Feder  fQhrt  In  den  großen 
Sammelwerken  ist  vieles  Schöne  enthalten.  Dte  Aufgabe  aber» 
die  Tieck  einem  einzelnen  setzte^  ist  doch  gelöst  worden,  nur 
auf  andere  Weise:  indem  die  deutschen  Lesebücher  für  den 
höheren  Unterricht  all  das  zusammenstellten,  was  mit  der  Kenntnis 
des  Vaterhuides  die  Liebe  zum  Vateriande  in  die  empfilnglichen 
Seelen  der  Jugend  zu  pflanzen  geeignet  erschien.  aber  in 
den  Reisebeschreibungen  Über  Deutschland  nach  Tieck  ein  Hauch 
seines  Geistes  zu  spüren  ist,  wofdm  der  Schreibende  Überhaupt 
einen  höheren  Anlauf  nimmt,  das  beweist  sdion  die  Beliebtheit 

s* 


Digitized  by  Google 


68 


Rr.  Ounirtm  SdmlflieUI. 


des  Wortes  •Ronuntisdi«  für  die  Tfid  der  Bfldier  wie  in  der 
Aufhosung  deulscher  Landschaften.  Das  «Romantische  Westfalen« 

haben  Lewin  Schflcking  und  Ferdinand  Freiligrath  entdeckt  und 
beschrieben;  heute  entbehrt  keine  deutsche  Landschaft  des  litera- 
rischen Herolds.  All  das  ist  Ausläufer  der  Romantik,  die  aber 
nicht  sowohl  von  den  Romantikern  der  Literaturgeschichte  ge- 
machtworden ist,  sondern  als  der  Drang  nach  nationaler  Wieder- 
geburt die  Schlegel,  Tieck  usw.  in  ihren  Dienst  gezogen  und 
ihnen  Inspirationen  gegeben  hat. 

Die  Zeit  der  Freiheitskric^je  machte  aber  auch  ernsthafte 
Versuche,  die  nationale  Romantik,  das  Sehnen  nach  Wiedergeburt 
ins  tägliche  Leben  einzuführen.  Der  erfolgreichste  Versuch  dieser 
Art  ist  ja  das  Jahnsche  Turnen  gewesen,  wie  gerade  von  den 
Gegnern  bezeugt  wird;  eine  neue  Narrheit,  die  alte  Deutschheit 
v/ieder  aufbringen  zu  wollen,  föhrt  Jahn  selbst  als  deren  Äuße- 
rung auf.  Die  später  von  Steffens  behaupteten  Umtriebe  auf  den 
Turnplat/cn,  wo  \'on  den  altdeutschen  Hügeln  neben  der  jung- 
gepflanzten  Eiche  Unterredungen  gepflogen  würden  über  Volks- 
tum, Franzosenhaö,  Freiheit  und  Deutschtum  beschränkten  sich 
freilich  auf  recht  harmlose  Dinge.  Außer  der  Befehdung  der 
Fremdwörter  und  der  französischen  Sprache  als  vornehmer  Um- 
gangsspiache  in  Deutschland,  dann  der  Feier  von  Erinnerung»- 
tagen,  besonders  der  Schlacht  bei  Leipzig,  bjot  doch  nur  die 
Einführung  einer  besonderen  Turnkleidung  die  Handhabe  des 
Vorwurfs  der  Sektenbildung.  In  dem  Bestreben,  eine  deutsche 
Nationaltracht  einzufflhren,  begegnete  sich  Jahn  nur  mit  anderen^ 
er  hatte  sie  schon  in  seinem  Deutschen  Volkstum  gefoidert  Jahn 
selbst  ging  mit  Beispiel  voran  und  trug  seit  den  Befieiungs- 
kriegen  seinen  «deutschen  Rock«  mit  dem  breiten  umgelegten 
leinenen  Kragen,  den  dann  dte  Bunchenschaften  Qbemommen 
haben.  Emst  Moritz  Arndt  forderte  in  der  Schrift  »Ober  Sittel 
Mode  und  Kleidertracht*  Stiefdn  bis  zur  Kniebeugen  bei  feier- 
lichen Gelegenheiten  Schuhe,  Beinkleider  zwischen  zu  eng  und 
zu  weit,  ein  Wams  bis  HQfte  und  Elbogen  (d.  h.  Weste),  in 
kälterer  Jahreszeit  einen  alten  deutschen  Leibrock  bis  zur  HUfte  der 
Schenkel,  Oflrtel  oder  WehrgehSng,  kein  Halstuch,  fibeige- 
schlagenen  Hemdkragen,  bd  Festen  federhut  mit  Volksfarben t 


Digitized  by  Google 


Der  EinfluB  der  Romantik  aitf  die  Vcriiefniic  des  Natlomügefühls.  6  9 


Ebenso  tind  wohl  noch  mehr  regten  sich  solche  Wünsdie  ifir 
euie  weibliche  Nationaltracht  Von  Amalie  Imhof  etschien  ehie 
Schrift  «An  Tcutschhmds  Frauen  von  ehier  ihrer  Schwestern*, 
die  sich,  wie  Aber  die  Vcrruchthdt  des  Franzosentums,  die  Un- 
sitte und  den  »Tand*  in  französischer  Sitte,  Sprache  und  Mode 
und  für  die  Wiederbelebung  deutscher  Art  und  EinfaU,  so  auch 
über  „deutsche"  Volkstracht  für  die  Frauen  ausließ.  Der  «Rheinische 
Merkur  wandte  diesen  Bestrebungen  seine  Teilnahme  zu;  er  brachte 
auch  (1814,  Nr.  106)  die  Mitteilung,  preußische  Frauen  sännen 
über  den  Plan  einer  Nationaltracht  voll  Einfachheit  Eine  spätere 
Zuschrift  forderte  die  deutschen  Frauen  auf;  »Mögen  sie  sich  jetzt 
selbst  ein  Kleid  weben,  das  sie  von  der  Nacktheit  fremder  Sitte 
befreyt.  Was  jetzt  geschieht,  thut  die  freie  Wahl,  späterhin  würde 
es  das  Gesetz  befehlen.  Die  Tracht  des  Landes  ist  der  ehren- 
vollste Schmuck.  Sprache  und  Kleidung  be7eiehnen  die  Grenze; 
wer  teutsch  ist,  tragt  sich  nach  der  Sitte  seines  Landes."  Diese 
Drohung  mit  dem  Gesetz  ist  voller  Emst.  Jahn  hatte  sogar  die 
ausschweifende  Forderung  gestellt,  es  solle  keine  Handlung  Gültig- 
keit  haben  als  in  der  Volkstracht,  die  auch  bei  jeder  angestellten 
Zusammenkunft  auf  jedem  Gelage  und  in  der  Kirche  getragen 
werden  mflsse;  er  kann  sich  schon  auf  frühere  Vorschläge  zur 
Einführung  einer  Volkstracht  bis  zurück  auf  das  deutsche  Museum 
von  177S  beziehen,  also  schon  lange  vor  der  französischen 
Revolution  und  ihtei  Eingreifen  in  die  Mode.  Von  Oben  her 
wfinschen  dann,  ganz  im  Oeist  der  damaligen  Hoffnungssd^gkeit 
auf  die  Weisheit  der  hohen  Regierungen,  vencfatedene  I^ug- 
Schriften  eine  deutsche  Nationallracht  ehigefQhrt  Die  Regierungen 
oder  die  Fürsten  selbst  sollen  leisten,  was  Jahn  mit  den  Worten 
ausdrückt,  dne  Volksbacfat  müsse  nach  dem  Vorbild  des  Volkes 
in  sdner  Vollendung  mft  echtem  Volksstnn  und  hohem  Volk»- 
tumsgeist  erftinden  werden;  das  sd  mehr  als  dn  Schneiderling 
kOnne  und  em  Abfasser  von  Kleideioidnungenl  Wenigstens  auf 
dem  Gebiet  der  Frauentradit  dnd  diese  Ansprüche  nicht  ganz 
vergeblich  gemacht  worden:  nach  dner  Konespondenz  aus  dem 
Badisdien  im  Rhdnischen  Merkur  (1814,  Nr.  162)  hatten  dort 
die  OroBherzogin  und  die  Markgräfin  im  Streben  nach  einfacher 
Nationaltracht  ein  weißes  Kleid,  rotsamtenen  Oürld  und  dnfachen 


70 


fr,  Omilnm  Sdiidliidfi. 


Kopfjputz  voifj^sdibgöi  und  sich  selbst  enfsdiloeseni  fortui  so  zu 
cnchdnen.  Dem  Korrespondenten  oder  der  Koirespondentia 
aber  schwebt  eine  umfusende  Wiederbelebung  der  mitlelaller- 
lieben  Tnditen  vor.  vWirum  sieht*  -  so  fragt  er  -  »Niemand 
auf,  der  jene  acbiechten,  elenden  Pariser-Mode-Joumale^  die  zum 
Teil  in  unserer  Mitfe  erscheuien,  zu  veidringen  untermmmt  und 
eine  Sammlung  altteulscher  Trachten  in  monatlichen  Heflen  an« 
legt?  Altleulsche  OemAhldc,  Zeicbnungen,  Bildwerfce  enthalten 
einen  Schatz,  der  nicht  so  leicht  zu  erschöpfen  ist!'  Ganz  ohne 
Erfolg  blieben  solche  Anregungen  nicht  Ober  das  »Deutsche 
Peyerkleid  zur  Erinnerung  des  Einzuges  der  Deutschen  in  Paris 
vom  31.  März  1814,  eingeführt  von  deutschen  Frauen",  unter- 
richtete eine  in  Gotha  erschienene  Schrift.  Das  schwarze  Kleid 
mit  herzförmigem  Ausschnitt  kurz  t^e^'urtct,  mit  weißem  Stuart- 
kragen uiirde  auch  in  Frankfurt  am  Main  1814  zur  Feier  des 
Jahrestags  der  Leipziger  Schlacht  getragen  und  ebenso  in  Wien. 
Aber  die  Mode  siegte  doch  sofort  wieder.  Eher  noch  hat  das 
Festkleid  deutscher  Jungfrauen  heim  Siechest  inzu^^  m  Berlin  1871 
Spuren  in  der  Mode  der  nächsten  Jahre  hmterlassen;  in  dem 
tollen  Rejgen  tauchen  von  Zeit  zu  Zeit  auch  »altdeutsche"  Motive 
auf.  im  g:aiizen  aber  stehen  wir  der  Idee  einer  Nationaltracht, 
wie  sie  Jahn  und  Arndt  hep^eisterfe,  kühl  £^cf:;enüber;  der  Deutsche 
der  Gegenwart  uberiäBt  es  den  Magyaren,  Tschechen  und  Polen, 
ihre  nationale  Eitelkeit  durch  solche  Äußerlichkeiten  zu  nähren, 
seien  sie  nun  in  historischem  Zusammenhang  begründet,  wie  die 
magyarische  Magnaten-Gala,  in  die  sich  freilich  heutzutage  auch 
ganz  andere  Leute  stecken,  oder  nicht,  wie  die  tschechische 
Tschamara,  die  Erfindung  eines  Präger  Schneidermeisters,  der 
aus  dem  Rheinland  stammle  und  Hassenteufel  hieß,  eine  nationale 
Errungenschaft  vom  Wert  der  gefiUschten  Königinhofer  Hand- 
Schrift  Auf  eine  Nationaltiacht  ]c6nnen  wir  Deulachen  um  so 
leichter  verzichten,  als  wir  die  Auswahl  unter  verschiedenen  hfttten, 
wenn  wir  einmal  bei  der  Veigangenhdt  Anleihen  aufnehmen  wolHen. 
Der  historisch  berechtigte  Kern  in  dem  Oedanlcengang  jahnsi 
Arndts  usw.  aber  hat  ohnehin  sehie  Lebenskraft  bewfthrl,  er  liegt 
den  mehrfach  begrflndeten  Vereinen  zur  Erhalhing  der  Volkstrachten 
zugrunde.  Es  entspricht  unserem  NationalgefQhl  viel  besser,  sich 


biymzed  by  Google 


Der  Einflufi  der  Romantik  tu!  die  Vertiefung  des  Nationaigeffihts.  7 1 


an  der  Ffllle  der  Entwiddimg  zu  erfreuen  «Is  der  Uniformie- 
rung nadizujflgen. 

Nur  im  VorflbeigdMn  sd  da*  Versuche  g^dadi^  die  natio- 
nale Einheit  durch  besondere  Vereine  zu  fordern,  die  »teulschen 
Qeaelhchaften*,  die  nach  den  Freiheitskriegen  besonders  im 
Rheinland  entstanden,  aber  bald  der  Reaktion  zum  Opfer  fielen, 
wie  die  Turnplätze  und  die  Burschenschaft;  der  Gedanke  einer 
politischen  Ftthrung  Preufiens  in  Deutschhmd  scheint  hier  zuerst 
hl  engeren  Kreben  veriiandelt  worden  zu  sein;  als  nSdisle  Auf- 
gabe galt  ihnen  die  Pflege  der  Muttersprache  und  die  Ausmerzung 
des  Französischen  als  Umgang^pradie. 

In  innigem  Zusammenhang  mit  der  Romantik  steht  wieder 
die  starker  hervortretende  Hinwendung  zu  dem  Erbe  unserer 
mittelalterlichen  Kunst.  Die  Anregung  dazu  gaben  die  Gebrüder 
Boisseree  mit  ihrer  großen  Samnilung,  die  seit  1810  in  Heidel- 
berg untergebracht  war,  und  mit  ihren  Studien  und  Arbeiten  über 
den  Kölner  Dom.  Es  war  die  stärkste  Förderung,  daß  Qoethe 
sich  öffentlich  im  2.  Teil  von  Dichtung  und  Wahrheit  1812  für 
die  Bestrebungen  der  Boisseree  ausgesprochen  und  ihnen  durch 
die  Erinnerung  an  seine  Straßburger  Tage  und  die  Beschaitigung 
mit  dem  Münster  Vorschub  geleistet  hat.  Die  Sammlung  der 
Gemälde  besichtigte  er  dann  eingehend  in  den  Tagen  vom 
24.  September  bis  10,  Oktober  1814  als  Gast  Sulpiz  Boissciies 
in  Heidelberg.  Nicht  ganz  leicht  hat  Goethe  den  Rückweg  zu 
den  Stimmungen  seiner  Jugend  gefunden,  in  einem  Brief  an  den 
Grafen  Reinhard  vom  14.  Mai  1810  steht  noch:  *Am  Wunder- 
barsten kommt  mir  dabei  der  deutsche  Patriotismus  vor,  der 
diese  offenbar  sarazenische  Pflanze  (die  gptische  Baukunst)  als 
aus  seinem  Grund  und  Boden  entsprungen  gern  darstellen  möchte.« 
Das  Eis  seiner  Zurückhaltung  schmolz  dann  erst  durch  den  Ver- 
kehr mit  Sulpiz  Boisseree  wUirend  dessen  Aufenthalts  in  Weimar 
vom  2.  bis  13.  Mai  I8II. 

Den  kühnen  Oedanken  der  Vollendung  des  Kölner 
Doms  aber  zu  hastn  und  auszuspiedien,  konnte  doch  erst  der  natio- 
nale Aufschwung  der  Freihdlskriege  den  Mut  geben.  Ein  kutzer 
Aufsatz  im  Rhdniscfaen  Merkur  (1 81 4,  Nr.  1 51),  nicht  unteneichnet, 
aber  unverkennbar  von  Sulpiz  Boisser6e  herrflhrend,  gedenkt  der 


Digitized  by  Google 


72  ^r.  Ountram  Schultheiß. 


mancherlei  Vorschläge  zur  Verschönerung  und  Verherrh'chung 
Deutsclilands,  die  nach  dessen  Befreiung  gemacht  worden  seien. 
«Die  Riesensäule  soll,  aus  ihrer  tausendiähngen  Ruhe  aufgerüttelt, 
nach  dem  Schlachtfeld  an  der  Flbe  wandern,  herrlirhe  Tempei- 
werke  sollen  sich  dort  erheben  und  große  Wasserwerke  Teutsch- 
land durchziehen,  der  Rhein  soll  auf  allen  seinen  Inseln  Bilder 
und  Säulen  hegen",  doch  sei  das  alles  nur  Nachahmung  der 
Franzosen.  Erst  sei  die  innere  tinigung-  zu  betreiben.  Dann 
werde  das  Leben  sich  am  liebsten  der  Vergangenheit  zuwenden, 
eben  weil  es  seine  Eitelkeit  [ist  als  Akkusativ  zu  fassen]  nicht 
suche,  und  das  unvollendet  Gelassene  vollenden  und  ergänzen 
wollen,  indem  es  dasselbe  wie  ein  heiliges  Vemificfatnis  betrachte, 
den  späten  Enkeln  zur  Vollziehung  hingegeben. 

»Ein  solches  Vermächtnis  ist  der  Dom  in  Köln,  und  ist 
auch  in  uns  die  teutsche  Ehre  wieder  aufgerichtet,  wir  können 
nicht  mit  Ehren  ein  ander  prunkend  Werk  beginnen,  bis  wir 
dieses  zu  seinem  Ende  gehittcht  und  den  Bau  vollends  ausgeführt 
haben.  Wahrlich,  Herr  von  Koteebue,  Weinbrenner,  Wadeking 
und,  «rie  sie  alle  heißen,  die  mit  PISnen  zu  Monumenten  sich 
abgegieben,  Schöneres,  Tüchtigeres,  Herrlicheres  werden  sie  nicht 
ersinnen  als  dieses  in  höchster  Künsttichkdt  etnbchste  Werk. 
In  seiner  trfimmerhaften  UnvoUendung,  in  seiner  Verlassenheit 
ist  es  dn  Bild  gewesen  von  TeulscfaUuid  seit  der  Sprach-  und 
Oedanfcenverwirrung;  so  werde  es  dann  auch  ein  Symbol  des 
neuen  Reiche«,  das  wir  bauen  wollen.«  Von  aller  Phanlaatik 
frd,  bescheidet  sich  der  Schluß,  das  sei  nicht  das  Werk  eines 
Mensdienalters,  noch  könne  es  der  Armut  angemutet  werden; 
darum  hiermit  die  erste  Anregung. 

Goethe  hat  zwei  Jahre  später  in  seuier  Zeitschrift  »Ober 
Kunst  und  Altertum  in  den  Rhein-  und  Mayn-Gegenden«  die 
Frage  nochmals  aufgenommen,  ob  nicht  jetzt  der  günstigste  Zeit- 
punkt sei,  an  den  Fortbau  eines  solchen  Werkes  zu  denken. 
Aber  noch  länger  als  ein  Menschenalter  dauerte  es,  bis  der  Grund- 
stein zum  Fortbau  geleimt  werden  konnte,  nach  dem  neuen  Auf- 
schwung des  deutschen  NalionalL^efidils,  den  das  Jahr  1S40  ge- 
bracht hat  nnt  der  Thronbesteigung  1  nednch  Wilhelms  IV.  und 
der  literarischen  Abwehr  des  französischen  Geschreis  nach  der 


Digitized  by  Google 


Der  EinflnB  der  Romaniilc  auf  die  Vertiefung  des  NUionalgeftUils.  7  3 


RlMüigreiize.  Friedrich  Wilhdm  IV.  luUte  »eh  schon  1814 
ffir  den  Oedanken  des  Ausbuies  begeistert;  er  bestttigte  mit 
Freude  das  Statut  des  Dombauvereins  am  8.  Denmber  1841. 

•Der  Dom!  der  Dom!  der  deutsche  Dom! 
Wer  hilft  den  KMncr  Dom  mis  bau'n?» 
So  nah  und  fern  der  Zeitemtrom 

Erdonnert  durch  die  deutschen  Qau'n, 
Es  ist  ein  Zn?^      ist  ein  Schill 
Wie  ein  gewalt  ger  Wogensch  wall. 
Wer  zählt  der  Hände  Legion, 
In  denen  Opferheller  glänzt? 
Die  liederldänge  wer,  die  schon 
Das  Echo  dieses  Rufe  cfglnzt? 

(Droste  von  Hfilsbofl) 

Die  Vorliebe  der  Wortführer  der  Romantik  für  das  Mittel- 
aller,  wte  sie  sdir  deutlich  die  oben  angeführte  Stelle  aus  Frie- 
drich Schlegels  Europa  Über  die  Wartburg  zeigt,  entsprang  nicht 
wissenschafilichen  Interessen,  sondern  Bedfirfhissen  des  Qemfite 
und  Eindrücken  poetischer  Anschauung^  sie  lag  deshalb  auch  gar 
nicht  in  der  geraden  Linie  der  Entwicklung  der  geschichtlichen 
Fachstudien,  sondern  war  eine  völlige  Abkehr  von  den  zu  Ende 
des  18.  Jahrhunderts  herrschenden  Auffassungen,  wie  sie  auch 
noch  Schüler  mit  bestechender  Rhetorik  vertritt.  Unter  dem  Ge- 
sichtspunkt einer  Erziehung  des  Menschengeschlechts,  die,  mit  dem 
größten  Maßstab  messend,  ganzen  Völkern  und  langen  Zeit- 
räumen nur  die  Bestimmung  zuweist,  Mittel  zu  sein  ohne  selb- 
ständigen Lebenswert  und  nur  zu  einem  Zweck,  den  spate  Gene- 
rationen erreichen,  überspannt  der  Historiker  Schiller  den  un- 
glücklich gewählten  Namen  Mittelalter  zu  einem  geschichtsphilo- 
sophischen  Mißbrauch.  »Eine  traurige  Nacht,  die  alle  Köpfe  ver- 
finstert, häng^  über  Europa  herab,  und  nur  wenige  Lichtfunken 
fliegen  auf,  das  nachgelassene  Dunkel  desto  schrecklicher  zu 
zeigen.  Die  ewi^e  Ordniino;  scheint  von  dem  Steuer  der  Welt 
geflohen  oder,  indem  sie  ein  entle.c:cncs  Ziel  verfolgt,  das  gegen- 
wärtige Geschlecht  aufgegeben  zu  haben.  .  .  Mußte  das  Menschen- 
geschlecht notwendig  die  traurige  Zeitstrecke  vom  vierten  bis  zum 
sechzehnten  Jahrhundert  durchlaufen?" 

Dieser  Auffassung  g^enüber  sind  August  Wilhdm  Schlegels 


Digitized  by  Google 


74 


Fr.  Ounfram  Sdiidtheifi. 


Voricsitngeii  zu  Beiiin  1802  Aber  das  Mittelalter  (abg«dradct  in 
Friedridi  Schlegels  Deutschem  Museum  Bd.  2,  Wien  1S12)  eine 
förniBdie  Apologie  desselben.  »Man  enthalte  sich  nur  einstweilen, 
bis  wir  diese  Dinge  nSher  kennen  lernen»  nach  dem  Beispiel  der 
neumodtscfaen  Qeschichlsenlsteller  das  Rittertum  für  eine  Fratze 
und  die  mönchische  Mystik  und  SchokBÜk  ffir  eine  dunkle  unver- 
stftndliche  Barbarey  zu  halten.''  Den  ritterlichen  Geist  nennt 
Schlegel  eine  mehr  als  glänzende,  wahrhaft  entzOdcende  und  Ins- 
her  in  der  Oesdiichte  bebfnellose  Erscheinung.  Solche  Verherr- 
lichung des  Mittehdiers  entsprang  freilich  mehr  der  Sehnsucht 
nach  einem  Volksleben,  das  von  Poesie  getrinkt  sein  sollte,  nm 
den  Stimmungen  der  Romantiker  zu  entsprechen,  als  einem 
begründeten  Wissen  von  den  Zustanden  des  Mittelalters. 

Aus  solchen  Stimmungen  heraus  erwuchs  aber  doch  auch  das 
tiefere  Interesse  an  der  deutschen  Vorzeit,  das  den  rein  j^elehrten 
Studien  zu  Müfe  kommen  mußte,  um  eine  deutsche  Geschichts- 
wissenschaft und  eine  deutsche  Philologie  zu  schaffen. 

Was  schon  die  Humanisten  begonnen  hatten,  die  Auf- 
spfirung  und  Herausgabe  von  Quellenschriften  zur  Geschichte 
des  deutschen  Mittelalters,  was  schon  Jahn  forderte  unter  Hinweis 
auf  den  Neudruck  des  Lambert  von  Hersfcld  durch  Krause 
(Halle  1  7  97),  das  hat  die  Gesellschaft  für  ältere  deutsche  Ge- 
schieh ts  künde  im  weitesten  Umfanj^  sich  zur  Aufgabe  gesetzt.  Es 
bedurfte  eines  Mannes,  wie  es  der  Freiherr  vom  Stein  war,  um 
die  deutschen  Gelehrten  unter  einen  Hut  zu  brmgen,  und  selbst 
ihm,  der  als  Reichsritter  die  regierenden  Fürsten  als  seines- 
gleichen zu  betrachten  gewohnt  war,  die  nur  der  Zufall  der 
letzten  Zeiten  des  heiligen  Römischen  Reiches  hoch  emporge- 
tragen, fiel  es  nicht  leicht,  die  immer  neu  sich  erhebenden  Hinder- 
nisse aus  dem  Wege  zu  räumen.  «Seit  meinem  Zurücktreten 
aus  den  öffentlichen  Verhältnissen  beschäftigte  mich  der  Wunsch, 
den  Geschmack  an  deutscher  Geschichte  zu  beleben,  ihr  gründ- 
h'ches  Studium  zu  erleichtem  und  hierdurch  zur  Erhaltung  der 
Liebe  zum  gemeinsamen  Vaterland  und  dem  Gedächteis  unserer 
großen  Vorfahren  beizutragen«,  so  schrieb  Stein  später  an  den 
Bischof  von  Hildesheim.  Der  von  Bflchler,  dem  ersten  Geschäfts* 
fOhrer  der  am  20.  Januar  1819  förmlich  konstituierten  Gesellschaft, 


Digitized  by  Google 


Der  EinfliiB  der  Romantik  üif  die  Vcrliehing  des  Natioiialsef9]ils.  7  5 


voisiesdilagene  WaMspnidi  Sanctus  amor  patriae  dat  animum, 
die  lidUge  Liebe  zum  Vaterland  gibt  den  Mul^  enlspracfa  Steins 
AufGusung.  Wie  sehr  es  notwendig  war,  die  deutsche  Oeschtdits- 
scfareibung  und  Oesdiichtsaufhusung  auf  festere  Qnindlagen  zu 
stellen  als  bisher  -  nicht  nur  für  das  wiasensduftttche,  sondern 
auch  fDr  das  nationalpolitische  Interesse  das  bezeugen  unter 
anderem  die  wundeiticfaen  Versuche^  einen  bayrischen  PlartUaihulfr* 
mns  theoretisch  zu  stützen  und  praktisdi  zu  pflegen.  Die  Ab> 
stammung  der  Bayern  von  den  keltischen  Bojern  war  ja  keine 
neue  Erfindung,  schon  Aneas  Silvias  führt  sie  vor  und  läßt  um 
ihretwillen  die  Bojer  aus  Pannonien  nach  Norikum  ziehen.  Wie 
aus  den  keltischen  Bojern  der  kerndeutsche  Stamm  der  Bayern 
geworden  sein  sollte,  macht  ihm  so  wenig  Skrupeln  als  seinen 
Nachtretem;  Aventin  hingegen  erklärt,  darin  wie  sonst  vielfach  in  der 
Auffassung  der  Geschichte  selbständig,  schon  die  Bojer  als  Ger- 
manen. Für  den  Verfasser  einer  Flugschrift  von  1  7  84  »Vom 
Kationalcharakter  der  Baiern",  wohl  Westenrieder,  gilt  es  wieder 
als  ausgemacht,  da[j  die  Bojer  von  den  alten  Kelten  stammen. 
Es  entsprach  vollends  den  Stimmungen  der  Rheinbundszeit, 
einerseits  die  bayrische  Geschichte  in  die  fernste  Vergangenheit 
zurückzuführen ,  indem  man  die  Meldentaten  der  Rojer- 
könige  Bcllovcsus  und  Sigovesus  für  sie  in  Anspruch  nahm,  und 
andererseits  konnte  die  angebliche  Abstammung  der  Bayern  von 
den  keltischen  Bojern  das  politische  Bündnis  mit  den  gleichfalls 
von  Keilen  entsprossenen  Franzosen  rechtfertigen.  Direkt  ausge- 
sprachen  ist  das  ja  auch  nicht  in  dem  wunderlichen  Buch  des  Herrn 
von  Pallhausen,  Mitgliedes  der  bayrischen  Akademie  der  Wissen- 
schaften »Garibald,  der  erste  König  Bojariens",  aber  doch 
zwischen  den  Zeilen  der  gelehrten  Anmerkungen  zu  lesen.  Im 
gleichen  Jahre  mit  Jahns  deutschem  Volkstum  1810  erschienen, 
ist  es  in  jeder  Hinsicht  dessen  Gegenstück,  der  Versuch  einer 
BegrOndung  des  Partikularismus  durch  das  Kehricht  einer  After- 
gelehnamkdi,  die  in  der  Vergangenheit  nicht  forscht^  aber  stöbert^ 
ob  sie  Belege  finde  für  vorgehißte  Meinungen.  Mu6  doch  selbst 
die  apokzy^e  Notiz,  daß  Kaiser  Friedrich  der  Rotbart  bei  dem 
dritten  Kreuzzug  in  Armenien  Völker  gehnoffen  hätte,  qui  sermone 
boioo  ntebantur,  -  in  Wirklichkeit  nur  die  Anpassung  der  filteren, 


Digitized  by  Google 


76 


f¥.  Guntram  ScfauItlieiB. 


sdhon  duicfa  das  Annolied  bezeugten  Oesdiich(sEid)d  voa  der 
Auswindcning  der  Bayern  aus  Annenien  —  ab  Beleg  dafür 
dienen,  daß  die  Bayern  noch  am  Ende  des  12.  Jahriiunderts  in 
der  Hauptsache  Icettisch  gesprochen  hitten;  denn  die  it90  in 
Klehitsien  gefundenen  Volker  seien  Oalater,  Nachkommen  der 
alten  Stammesbrüder  der  Bojer  oder  Bayern.  So  verschroben 
das  alles  ist,  hat  es  doch  seine  symptomatische  Bedeutung  für 
die  Zeit  Der  Rezensent  des  Buches  in  der  Oberdeutschen  Lüe- 
raturzeitung,  die  im  königlich  bayrischen  Zdtungskontor  erschien, 
also  eine  Art  offiziellen  Blattes  war,  sprach  mit  dem  feurigen 
BeiMl  auch  den  Wunsch  aus,  es  möchte  dieses  bayrische  Epos 
in  den  vateillndischen  Schtden  gelesen  weiden,  stett  hexametrischer 
Romane  Aber  die  Leiden  und  Freuden  von  AotorsliuniHenl 
Dieser  Rezensent  war  der  Herr  von  Aretin,  Direktor  der  Hof-  und 
Staatsbibliothek,  der  nicht  lange  vorher  in  derselben  Zeitschrift 
sich  dahin  geäußert  hatte:  »Man  soll  alle  Mittel  anwenden, 
um  den  Nationalcharakler  der  Bayern  zu  steigern,  auszubilden. 
Überhaupt  alles,  was  dazu  dient,  sie  von  anderen  Nationen 
zu  unterscheiden,  wird  auch  dazu  dienen,  die  Dauer  ihrer 
Selbständigkeit  zu  sichern.  Selbst  Kleinigkeiten  sind  hierin  von 
Wichtigkeit,  und  es  war  gewiß  eine  glückliche  Idee  der  bay- 
rischen Regierung,  daß  sie  eine  Nationalkokarde  eingeführt. 
Die  timiuhrung  einer  Nationalkieidung  würde  zuverlässig  mit 
noch  j^rößercr  Kraft  wirken.  Man  glaube  nicht.  Bayern  sei  von 
einem  zu  geringen  Umfang,  um  ein  besonderes  Reich  tu  bilden. 
Denn  groß  oder  klein  ist  nicht,  was  auf  der  Landkarte  so  scheint. 
Der  Geist  entscheidet.  Jedes  Volk  ist,  wozu  es  sich  macht,  und 
meist  am  vortrefflichsten  das,  welches  sich  nicht  versäumen  darf." 

Der  fortwirkende  Einfluß  dieser  Anschauungen  und  die  kühne 
Erweiterung  der  bayrischen  Geschichte  in  die  Vorzeit  zurück  er- 
lag aber  nicht  sofort,  als  in  den  höheren  Regionen  der  Wissen- 
Schaft  für  solche  Träumereien  kein  Rückhalt  mehr  gesucht  werden 
konnte.  Trotz  des  Widerspruchs,  den  Mannert  sofort  erhoben 
hatte,  sickerte  die  Erkenntnis  der  Sprachwissenschaft  und  Ge- 
schichtsforschung über  die  Anfänge  der  bayrischen  Geschichte 
doch  nur  so  langsam  in  die  unteren  Regionen,  daß  die  Bojer 
in  SchuIbQchem  f&r  Gymnasien  und  Volksschulen  noch  lange 


Digitized  by  Google 


Der  Einfluß  der  Romantik  auf  die  Vertiefung  des  Nationaigefühls.  77 


fort  spukten  und  in  Tausenden  von  Köpfen  sich  festsetzten  als 
die  Ahnen  der  Bayern.  Felix  Dahn  berichtete  gelegentlich  davon, 
wie  ihm  noch  während  seines  Aufenthaltes  in  Wurzburg  em  neu- 
erschienenes Schulbuch  von  einem  Schulinspektor  vor  Augen 
gekommen  sei,  in  dem  die  alten  Fabeln  von  den  Heldentaten  der 
bayrischen  Fürsten  Bellovesus  und  Sigovesus  in  aller  Sicherheit 
auftraten;  erst  auf  sein  Betreiben  hätte  das  Ministerium  die  Be- 
nutzung in  den  Schulen  untersagl. 

Auf  solchem  Hintergründe  erscheint  die  nationale  Bedeutung 
der  Bemühungen  des  Freiherrn  vom  Stein  und  seiner  Oesellschaft 
für  ältere  deutsche  Geschichtskunde  um  die  Monunienta  (jer- 
maniae  historica  im  volleren  Lichte;  und  ebenso  die  Hindernisse 
der  Oleichgültigkeit  und  offenen  Abneigung.  Immer  wieder  be- 
klagt sich  Stein  in  seinem  Briefwechsel  über  die  Bevorzugung 
naturhistorischer  Forschungen.  „Während  die  bayrische  Regierung 
für  ein  deutsches  geschichtliches  Werk  nichts  tut,  erscheint  auf 
ihre  Kosten  die  Geschichte  der  brasilianischen  Affen  und  weit- 
ohrigen  Fledermäuse.*  Der  einflußreiche  Qentz  erklärte  Pertz  bei 
dessen  Besuch  am  23.  August  1823  zu  Baden  bei  Wien,  »dem 
Kaiser  sei  das  Entstehen  dieser  Oesellschaft  unmöglich  angenehm 
gewesen;  zu  viele  Erfahrungen  rechtfertigten  den  voriäufigen 
Verdacht  gegen  alles,  was  jetzt  als  Gesellschaft  oder  Vereinig[ung 
auftrete.  Auf  Begünstigung  habe  die  Oesellschaft  nicht  zu  rechnen, 
sie  werde  nie  gern  gesehen  werden.«  (Steins  Leben  von  Pertz 
S.  583.)  Und  das  alles  trotz  der  Empfehlung  durch  den  Bundes- 
tag an  sftmÜiGhe  Regierungen  zur  Unterstützung  auch  durch  Qdd- 
bdtilge  (am  23.  August  1S23,  ebenda  S.  527).  Erst  alhnflhlich,  seit 
1834,  dann  vollständiger  seit  1845  verpflichteten  sich  auf  wieder- 
holte Empfehlung  des  Bundes  die  deutschen  Regierungen  zu 
regelmflSigen  Jahresbeiträgen! 

Es  ist  weder  mOglich  mit  Rfidcsicht  auf  den  zur  VerfQgung 
stehenden  Raum  noch  auch  nOtig;  nUier  auf  das  trotz  aller 
äußeren  Beengtheit  rasch  fortschreitende  Wachshtm  des  Wissens 
vom  deutschen  Volkstum  in  Geschichtsforschung  und  Germa- 
nistik einzugehen.  Sind  doch  für  die  BefhtchUing  und  Vertiefung 
unseres  HaHonalgeftthls  nodi  mehr  als  die  Einzelergebnisse  der 
Forschung  die  Versuche  der  Zusammenfassung  in  daistdlenden 


Digitized  by  Google 


78 


Rr.  Ountiam  SchulÜidB. 


Werten  mafigdxnd  g^rden.  So  steht  Ruimen  Oachichte  der 
Hohensinifieti  noch  mit  der  Romantik  in  direktem  Zuaammcnhangp 
ihr  liefer  Einfluß  ist  dadurch  nicht  vermindert,  daß  die  kritische 
Forschung  mandics  auazusetzen  hatte.  Und  der  letzte  Ausrufer 
der  Romantik,  die  sich  am  MitiebiUer  vor  altem  erbauen  und 
b^ieistem  wollte,  Ist  Oiesebrechts  Qesdiidite  der  deutschen  Ksiser* 
zeit  die  ihre  offen  ausgespfXKhene  Aufgabe  noch  besser  erfüllt 
hätte,  wenn  nicht  die  Gründlichkeit  den  Fortgang  gelähmt  hätte. 
Die  breiteste  Wirkung  hat  Gustav  Freytag  mit  seinen  Bildern 
aus  der  deutschen  Vergangenheit  und  seinen  Ahnen  erreicht,  weil 
ihm  der  Wurf  des  SchrifislcUers  ebenso  eignete  wie  das  üeschick, 
auch  mil  noch  nicht  von  allen  Seiten  behauenen  und  geglätteten 
Bausteinen  etwas  Ganzes  zu  machen.  Ein  großartiges,  aber  doch  ab- 
schreckendes Bospsei  des  Gegenteils  ist  Müllenhofts  deutsche  Alter- 
tumskunde gewurden.  Siesüllte  die  Nation  -  SO  kündigte  die  Vorrede 
zum  1 .  Band  1  87  0  an  Selbsterkenntnis  lehren  und  durch  das  Ver- 
ständnis der  Vergangenheit  den  rechten  Weg  der  Zukunftzeigen.  »Die 
Altertumskunde  lehrt,  daß  die  Nation  nur  entstanden  ist  und  ihre 
erste  geschichtliche  Bestimmung,  den  Kampf  mit  dem  römischen 
Weltreich,  nur  bestanden  hatte  durch  die  Macht  eines  Ideals,  das 
in  ihr  herrschend  wurde.  Und  ebenso  ist  gewiß,  daß  ihre  Zu- 
kunft davon  abhängt,  daß  wiederum  ein  Ideal,  das  Ergebnis  ihrer 
bisherigen  Entwicklung,  mit  klarem  Bewußtsein  erfaßt  wird.« 

Nie  ist  eine  hohe  Aufgabe  unbehilflicher  angepackt  worden, 
als  es  Mijllenhoff  getan  hat  Vor  lauter  Bäumen  liat  er  schon 
gleich  bei  der  Ausführung  den  Wald  nicht  mehr  gesehen.  Die 
Nition  schrumpft  dabei  zu  dem  Dutzend  Fachgenossen  zusammen, 
vor  deren  kritischen  Augen  die  Steine  mühsam  gebrochen,  aber 
kaum  mehr  noch  behauen  werden.  Jüngeren  Minden  überließ 
er,  aus  seinem  Material  das  Werk  fortzusetzen.  Was  ihm  vor- 
schwebte, ist  daraus  erst  lecfat  nicht  geworden. 

Versagen  müssen  wir  uns  auch  den  Nachweis,  wie  der  Ein> 
Iluß  der  Romantik  und  der  von  ihr  ausgehenden  Beschifdgung 
mit  der  Voizeit  in  Dichtung,  bildender  Kunst  und  Musik  fort- 
gewiilct  hat.  Daß  weder  Bandds  Arminius  im  Teutoburger 
Wald  noch  Ridiard  Wagners  I^ng  der  Nibelungen  aus  geistiger 
üneugung  entspringen  konnten,  wenn  auch  erst  die  Lebensfüile 


Digitized  by  Google 


Dar  Einfluß  der  Romanuk  aut  die  Vertietung  des  Nationaigeiuhls.  79 


der  Persönlichkeit  aus  den  Anregungen  der  nationalen  Entwick- 
lung heraus  das  Neue  und  GroSe  zu  schaffen  und  zu  bilden 
vermag,  bedarf  nur  des  Hinweises. 

Das  1  9.  Jahrhundert  ist  uns  Deutsclien  vor  allem  ein  Jahr- 
hundert der  Erfüllung  geworden.  Aber  in  dieser  Erfüllung  liegen 
selbst  wieder  neue  Keime,  neue  Ideale,  neue  Anregungen  aller 
Art  Gerade  durch  die  Gründung  des  neuen  deutschen  Reiches^ 
durch  die  scharfe  Absonderung  des  Kernes  der  Nation  von  den 
locker  angeschlossenen  Teilen  mußte  die  geistige  Anziehungskraft 
dieses  Kernes  auf  die  abgesprengten  Bruchstücke  wachsen,  das 
Interesse  an  dem  Deutschtum  außerhalb  des  Reiches  wärmer 
werden.  Diese  Wirkung  hat  sich  in  den  letzten  Jahren  des 
f9.  Jahrhunderts  zuerst  starker  bemerkbar  gemacht  und  ist  als 
dessen  Erbe  ins  neue  Jahrhundert  fibergegangeUi  als  Antrieb  neuer 
EntwicMungeUi  die  im  Dunkel  der  Zukunft  liegen«  Wie  zu  Be- 
ginn des  f  9.  Jahrhunderts  unter  dem  Drude  der  Fremdherrschaft 
das  deutsche  Volk  nicht  nur  in  seiner  trüben  Oegenwari;  sondern 
auch  in  der  Zukunft  lebten  nach  Oncfcens  schönem  Wort,  so  auch 
wieder  zu  Beginn  des  20.  Jahrhunderts;  und  wenn  wir  auch  den 
Wqr  noch  nicht  erkennen,  der  uns  zu  einer  gröfieren  Zukunft  als 
Nation  führen  kann,  so  dienen  wir  ihr  doch  am  besten  dadurch, 
daß  wir,  so  viel  an  uns  ist,  das  deutsche  Reidi  ausbauen  als  das 
Kemwerk  unserer  Volksait,  als  Hort  des  Friedens  und  der  Wohl- , 
fiJirl,  ab  Vorbild  für  die  Menschheit  in  Wissenschaft  und  Oesithing. 

Und  endlich  darf  man  auch  den  Stammbaum  der  modernen 
Rassen theorien  wohl  zurückverfolgen  auf  die  Koniantik  des  be- 
ginnenden 19.  Jahrhunderts,  auf  Jahn,  Arndt,  Fichte  u.  a. 

Der  Begriff  der  Menschheit  hat  für  uns  einen  anderen 
Inhalt  gewonnen,  als  den  ihm  das  Jahrhundert  der  Aufklarung 
gab.  Es  gilt  uns  nicht  mehr  als  das  Ziel,  Weltbürger  zu  werden 
und  darüber  das  eigene  Volkstum  preiszugeben.  Wir  lächeln 
über  Verse  wie  den  bekannten: 

Christ,  Jude,  Heid'  und  Hottentott 
Sie  beten  all  zu  einem  Oott, 

und  wir  glauben  nicht  mehr  an  das  Vorurteil  von  der  Gleich- 
wertigkeit aller  Völker,  nicht  an  die  Entwicklung  der  Kultur  zu 
unterschiedsloser  Gleichförmigkeit    Der  Begriff  des  Volkstums 


Digitized  by  Google 


80 


Fr.  Guntram  Schultheiß. 


hat  far  uns  einen  tieferen  Hintergrund  erhalten,  als  Jahn  ihn 
sehen  konnte.  Der  neue  Begriff  der  Rssse^  hervmgeguigen  aus 
der  anthropologischen  Foiscbung^  hat  zunftchst  der  fiüheren  Auf- 
fassung des  deutschen  Volicstums  als  geschlossener  Einheit  Ab- 
bruch gebin,  aber  er  trennt  sich  doch  für  uns  nicht  von  dem 
Volkshim  und  dem  Gang  seiner  Geschichte  —  wie  fQr  die 
Franzosen  oder  die  Ilaliener,  sondern  er  bekriftigt  den  Anspruch, 
den  vor  100  Jahren  Fichte  zum  Kern  sdnes  Gedankenaufbaues 
in  den  Reden  an  die  deutsche  Nation  gemacht  hat,  daß  das 
deutsche  Volk  noch  immer  dn  Urvolk  sei,  ein  Anspruch,  der 
sich  freilich  modifiziert  durch  den  Hinweis,  daß  nicht  alle  heutigen 
Deutschen  von  gleicher  Abkunft  sein  können,  da  ein  guter  Tdl 
von  ihnen  in  den  Undem  wohnt,  die  früher  zum  Römischen 
Rdch  gehört  haben,  von  deren  frflherer  Bevölkerung  Reste  zurfidc- 
geblieben  sein  müssen;  und  wenn  sie  auch  geistig  vom  Ger- 
manentum aufgesogen  seien,  so  daure  doch  der  Idbliche  Einfluß 
der  Mischung  fort  und  biete  die  nächstliegende  Erklärung  des 
anthropologischen  Abstandes  des  heutigen  deutbcheu  Volkstums 
von  dem  Germanentum  der  Urzeit. 

Aber  trotz  der  großen  Sicherheit,  mit  der  die  Vorkämpfer 
derneuen  Rassen ps^chologie  auftreten,  mit  der  sie  jeden  Einwand 
als  Ausfluß  der  Rückblandigkeit,  wenn  nicht  gar  der  angeborenen, 
selbst  wieder  rassenhaften  Verblendung  und  Unfähigkeit  ablehnen 
oder  -  was  ja  noch  bequemer  ist  ~  einfach  imponieren,  trotz 
der  anscheinenden  Einfachheit  und  Klarheit  ihrer  Theorien  schwankt 
doch  der  kühne  Aufbau  noch  allzusehr  in  den  Grundlagen,  um 
den  weitesten  Kreisen  schon  als  Ergebnis  der  W  issenschaft  vor- 
geführt werden  zu  dürfen.  Mit  dem  Schlagwort  der  Rasse  wird 
viel  literarischer  Unfug  getrieben.  Hat  man  früher  schon  von 
Richard  Wagners  oder  Schillers  Keitentum  lesen  können,  so 
muß  vollends  Gobineau  wie  Nietzsche  in  ungeschulten  Köpfen 
heillose  Verwirrung  anrichten.  Hingegen  die  Bezeichnung  des 
dunkelhaarigen  kurzköpfigen  Bestandteils  der  jetzigen  Deutschen 
wie  anderer  europäischer  Völker  indogermanischer  Sprache  als 
Turanier  oder  gar  Mongolen,  muß  schwere  Bedenken  erregen, 
denn  er  schiebt  schon  unter,  was  noch  jedes  Beweises  ermangelt, 
daß  der  Ähnlichkeit  oder  Gleichheit  körperiicher  Merkmale  räum* 


Digitized  by  Google 


Der  EinfluS  der  Romantik  «nf  die  Vcrttcfunf  des  NationalgefQhb.  81 


lieh  getrennter  Bevölkerungen  die  [AhnUdikett  oder  Oleidiheit 
der  eebtigen  AusstittnnK  nidi  dem  Oeselz  stener  Vererbung 
zur  Seite  stehe. 

Zwischen  dem  naturhfstorisdKn  Begriff  der  Risie  und  der 

modernen  Rassenpsychologie  glhnt  nodi  eine  Kluft»  die  nidit  die 

Wissenschaft  überbräckt,  sondern  nur  die  Begriffsdichtung. 

Gewiß  bedeutet  die  Betrachtung  der  Geschichte  unter  dem 

Gesichtspunkt  des  blutigen  oder  des  schleichenden  Kampfes  der 
Rassen  ein  fruchtbares,  wissenschaftliches  Prinzip,  und  in  diesem 
Sinne  verdient  Qobineaus  Werk  über  die  Ungleichheit  der  Rassen 
unbefangene  Anerkennung.')  Nur  ist  dieser  Gesichtspunkt  nicht 
SO  durchaus  neu,  wie  mancher  glaubt;  die  französische  Revolution 
hat  schon  Katharina  II.  von  Rußland  als  Auflehnung  des  Kelten- 
tiinis  gegen  das  Frankentum  betrachtet,  und  für  die  Völker- 
wanderung und  die  germanische  Eroberung  des  Römischen  Reiches 
ist  das  ethnologische  Moment  schon  vor  Gobineaus  Bekanntwerden 
oft  genug  behandelt  worden.  Immerhin  bleibt  es  Gobineaus 
Verdienst,  das  Pnn/.ip  in  der  Einseitigkeit  vorgeführt  zu  haben, 
die  allein  Eindruck  auf  weitere  Kreise  machen  kann.  Die  an- 
thropologische Grundthcorie  Gobineaus,  die  Statuierung  von  drei 
primären  Rassen,  die  Gebundenheit  höherer  Befähigung  an  die 
weiße  Rasse  und  die  Abstufung  nach  dem  wechselnden  Mischungs- 
verhältnis muß  heute  schon  als  Oberholt  bezeichnet  werden.  Die 
Verhältnisse  sind  viel  verwickelter,  und  für  die  Erklärung  der 
verschiedenen  Volkscharaktere  gebührt  der  sozialen  Entwicklung 
eine  weit  eingehendere  Würdigung,  als  die  rein  anthropologische 
Auffassung  vermeint  Der  heutige  Aufschwung  der  Japaner,  um 
nur  ein  Beispiel  zu  nennen,  muß  den  überraschen,  der  die  gelbe 
Rasse  als  starr  konservatives  Element  zu  behachten  gewöhnt  ist; 
und  doch  hat  bei  ihnen  das  Lehnswesen  denselben  Einfluß  geübt 
wie  in  unserem  MittelaUer,  aus  der  Kaste  der  Zweischwerter- 

•)  AU  Einffihning  in  die  Gedankenwelt  üobmeaus  verdient  Kretzers  Biographie 
•Joscf^  ArUiur  Oraf  von  Oobincaa*,  Leipzig  1902  bei  Hermann  Seemann  Nadif .  empfohlen 
IB  Verden.  Einca  knappen  und  MirrdcbCB  ObeiMick  der  Probleme  giM  Heinrich 
Drlttmant  In  den  Bncb  •Ruae  nnd  Mlllea",  Beriin  iMS  bd  Johanne«  Mde.  DcflacOien 
Votmen  »Keltentom*  und  .\C'ahIverwaniit^chaften  der  deatschcn  Blutmischung"  entbehren 
Tü  sdir  der  positiven  ethnologischen  OrundUge,  um  eigentliche  Belehrung  zu  geben.  Sehr 
2u  Unrecht  sind  Penkas  von  solider  Oelehrsanikeit  strotzende  BQcher  Origines  Ariacae 
ia«3  nnd  Herkunft  der  Arier  tM6  von  den  Bonfihnncen  der  AnUnfer  Oobineani  In  den 
Stliallcn  2edifln{t  worden. 

Archiv  für  Kulturgeschichte.  V.  5 


Digitized  by  Google 


82 


Fr.  Owitnun  Schultheiß. 


mftnner  hat  das  neue  Japan  das  Material  für  einen  Offiziensland 
erhalten  wie  Pieufien  aus  sdnem  Junkertum;  die  Obernahme 
der  curopAischen  Kultur  hat  sich  ohne  Blutmischung  mit  Europäern 
genuKht  Aber  auch  der  genealogische  Zusammenhang  der  Urrsssen 
wird  im  Fortgang  der  exakten  Wissenschaft  ein  ganz  anderes  Qesicfat 
gewinnen;  die  jängst  von  Klaatsch  gezeigte  Reihe  Australier  - 
Aino  -  Nordeuropäer,  in  der  zweiten  Hälfte  der  Gleichung 
schon  von  Topinard  gefunden,  verbindet  die  fernsten  Glieder 
einer  Entwicklung  in  bestechender  Hypothese;  der  Endpunkt  im 
Germanentum  als  der  höchsten  Blüte  des  Menschentums  ist  dabei 
freilich  nicht  das  Erbe  rassenhafter  Urbefilhigung,  sondern  das 
Ergebnis  ungeheurer  Mühen  und  Gefahren  der  Anpassung  und 
beständigen  hoiizüchtung.  Gegenüber  solchen  Perspektiven  ist 
das  Ariertum  als  sprachliche  Einheit  eine  flüchtige  Erscheinung 
und  kann  als  abgeschlossene  Rasse  nicht  festgehalten  werden, 
wie  dies  am  schroffsten  Penka  vertritt.  Den  Begriff  des  Volks- 
charakters über  den  erziehenden  Einfluß  des  geselligen  Zusammen- 
hanges hinaus  zurück  in  die  natiirhistorische  Genealogie  der 
Rasse  zu  führen,  ist  ein  Spielen  mit  Begriffen,  nicht  Wissenschaft 


Digitized  by  Google 


Skizzen 

von  der  ehemaligen  knrsächsischen  Armee. 

Von  BERNHARD  WOLF. 


II. 

Das  Dienstregleaient  für  die  kursächsische  Infanterie 

von  Jahre  1753. 

Die  kursAchsisdie  Armee  erhielt  1704  besondere  Exerzier- 
beslininiungeii,  die  sich  aber  ziemlich  eng  an  die  »Anleitung  zur 
DrUlkunst«  des  Marschalls  Sdiftning  anlehnten;  mit  einem  setb- 
sttndigen  sidisischen  Exerzierreglement  haben  wir  es  also  hier 

noch  nicht  zu  tun.  Später  richtete  man  sich  nach  dem  »Reglement 
über  ein  kaiserliches  Regiment  zu  Fuß*  des  General-Feldmarschall- 
Leutnants  Regal,  welches  das  «Exerzitium  sowohl  mit  der  Flinten 
als  Musketen  und  Schwcinsfedcr  wie  auch  dem  Kurzgewehr, 
beides  nach  dem  Kommando  und  denen  Trommelstreichen «  ent- 
hielt. In  der  1  734  in  Nürnberg  erschienenen  zweiten  verbesserten 
Auflage  wurde  das  »bei  denen  Königlich  Polnischen  und  Kur- 
sachsischen  Truppen  eingeführte  Exerzitium"  ausdrücklich  berück- 
sichtigt Diese  Vorschriften  scheinen  bis  1751  in  Kraft  geblieben 
zu  sein,  wo  die  kursächsische  Infanterie  endlich  ein  belbständiges, 
von  Friedrich  Au^nist  Graf  Rutowski  bestäti^es  Exerzierrc^^lement 
erhielt,  das  |:^egcnüber  dem  von  1  734  einen  ganz  wesentlichen 
Fortschritt  bezeichnet.  Von  viel  größerer  Redeuhing  ist  aber  das 
zwei  Jahre  später  herausgegebene  Reglement,  das,  nachdem  es 
am  31.  Dezember  1  752  durch  Augustus  Rex  genehmigt  worden 
war,  1753  bei  der  venvittibten  Königlichen  Hofbuchdruckerin 

6* 


Digitized  by  Google 


84 


Bernhard  Wolf. 


Stößelin  in  Dresden  erschien  und  folgenden  Titel  föhrt:  «Ihro 
Köuigl.  Majestät  in  Polen  und  Kurfürstl.  Durchlaucht  zu  Sachsen 
usw.  allergnädigst  approbiertes  Dienstreglement  im  Lande  und  im 
Felde  vor  Dero  Infanterieregimenter.«  Es  zählt  nicht  weniger  als 
763  Seiten  und  enthält  alles  für  den  Garnison-  und  Felddienst 
Wissenswerte,  ist  also  eine  Art  Kompendium  der  Kriegswissen- 
schaft überhaupt.  Da^e^en  bietet  das  im  Jahre  1  7  76  in  neuer 
Auflage  erschienene  Reglement,  das  im  folgenden  wiederholt  zum 
Vergleiche  herangezogen  werden  wird,  nur  die  Exerziervorschrifien. 
Auch  die  icursächsische  Kavallerie  erhielt  1753  ein  besonderes 
Exerzierreglement;  dagegen  hatte  sich  die  Artillerie  zu  einer  selb- 
ständigen Waffe  noch  nicht  entwickelt,  sie  erscheint  in  engem 
Verbände  mit  der  Infanterie.  —  Von  hohem  Interesse  ist  be- 
sondere der  erste  Teil  des  Dienstreglements  vom  Jahre  1  753,  in 
dem  »von  dem  innerlichen  Stand  und  Dienst  eines  Regimentes 
Infanterie,  und  was  dem  anhängig  ist«,  gehandelt  wird.  Es  wird 
darin  von  dem  Pflichtenkreise  der  Offiziere  in  einer  Weise  ge- 
sprochen« die  uns  förmlich  in  Erstaunen  setzt;  wir  finden  darin 
Anschauungen  zum  Ausdruck  gebrach^  die  zum  Teil  heute  noch 
volle  Betechtigung  haben  und  darum  wert  sind,  der  Vergessen- 
heit entrissen  zu  werden.  Aus  ihnen  geht  hervor,  daß  der  Ver- 
fasser ein  Mann  von  tiefer  geistiger  und  militärischer  Bildung 
und  von  der  hohen  Bedeutung  des  Offizierstandes  erfOUt  gewesen 
sein  muß.  Freilich  wird  man  dabei  immer  im  Auge  behalten 
mflssen,  daß  damals  die  Offizierstellen  fast  ausschließlich  in  den 
Händen  eines  privilegierten  Standes  lagen,  und  daß  die  JMannschaften 
teils  geworbräe,  teils  gewaltsam  zum  Dienste  gepreßte  Leute 
waren,  die  nur  durdi  unerbittliche  Strenge  in  Zucht  gehalten 
werden  konnten.  Schon  die  Einleitung  läßt  uns  den  Geist  ahnen, 
der  den  ereten,  in  mancher  Beziehung  wichtigsten  Teil  des 
Reglements  durchweht  Es  heißt  da:  .Die  Pflichten  eines  Sol- 
daten sind  unzählig;  seine  Lebenszeit  ist  zu  kurz,  sie  einzusehen; 
die  größte  Fähigkeit  ist  nicht  hinlänglich,  sie  alle  zu  erfOlIen. 
Der  Soldatenstand  besteht  aus  Offiziers  und  OemeineiL  Beider 
Pflichten,  beider  IHandlungen  haben  den  Befehl  ihres  Landes- 
lierm  oder  das  allgemeine  Beste  zum  Endzweck.  Beide  haben 
ihre  Grundsätze,  es  wird  für  die  Offiziers  die  Ehre,  für  die 


Digitized  by  Google 


SUzzen  von  der  diemaUgm  kuniciisisclien  Armee.  8S 


Oemdiieii  der  Oehonam  und  die  Treue  bestimint,  wdl  ohne 
Oehorsam  tju  nichls»  ohne  Treue  nichts  ErsprieBtiches  getan  wird. 
Die  Ehre  wird  mit  Recht  als  der  Grundsatz  eines  Offizien  an- 
gesehen. Der  Add  ist  deshalb  errichtet  und  geehrt  worden, 
wdl  die  ersten  Ritter  oder  Edelleule  Offiziers  gewesen  und  ohne 
Ehre  der  Offiziersluid  und  der  Adel  blo6e  Namen  sind.  Es 
soll  den  Offizier  nichts  reizen  als  die  Ehre«  die  ihre  eigene 
Belohnung  mit  sich  führt,  der  Soldat  aber  wird  durch  Lohn  und 
Furcht  getrieben  und  zurückgehalten.  Aus  der  Ehre  fließt  die 
Unerschrockenheit  in  der  Gefahr,  der  Eifer,  Fähigkeit  und  Er- 
fahrung zu  crlan.geii,  die  Mochachtung  ^egen  die  Höheren,  die 
Bescheidenheit  gegen  Seinesgleichen,  die  Leutseligkeit  gegen  die 
Oeringeren,  die  Mäßigung  gegen  die  Fehlenden,  die  Geduld 
gegen  die  irrenden.  Die  Regeln,  Mittel  und  Wege,  die  man 
beim  Soldaten  anzuwenden  pflegt,  werden  die  Manneszucht  oder 
Disziplin  genannt.  Diese  Zucht  heißt  ihn  tun,  was  befühlen,  und 
lassen,  was  verboten  ist  Die  Mannszucht  ist  lediglich  für  den 
Soldaten  gemacht,  aus  ihr  ist  seine  Schuldigkeit  wie  des  Offiziers 
seine  aus  der  Ehre  herzuleiten.  Der  Offizier  tut  sich  hervor, 
nicht  weil  es  befohlen,  sondern  weil  anders  zu  tun  seiner  Ehre 
nachteilig  ist.  Er  verdient  nicht,  diesen  Namen  zu  führen,  wenn 
er  durch  die  scharfe  Disziphn  ang;etricben  werden  inijßte,  seinen 
Pflichten  ein  Genüge  zu  tun."  Die  Einleitung  schließt  mit  der 
Bemerkung,  daß  sich  niemand  hat  rühmen  können,  alle  Pflichten 
des  Soidatenstandes  gekannt  und  alle  seine  Obliegenheiten  aus- 
geübt zu  haben.  Die  größte  Fähigkeit  besteht  darin,  die  wenigsten 
und  kleinsten  Fehler  zu  t>egehen.  »Der  schlechteste  Soldat  ist 
dn  Offizier  ohne  Ehre  und  ein  Gemeiner  ohne  Zucht«  Schon 
aus  diesen  einleitenden  Ausführungen  erkennt  man  den  grellen 
Gegensatz,  der  zwischen  Offizieren  und  Gemeinen  bestand. 

Der  erste  Abschnitt  spricht  mit  Recht  von  der  Ordnung. 
Sie  ist  die  Seele  aller  vemfinfligen  Handlungen,  die  Unordnung 
dagegen  in  allen  Ständen  die  Uraache  oder  die  OeOhrtin  des 
Untergianges,  in  keinem  aber  geffthrlicher  und  verderblicher  als 
wie  im  Soldatensfamde.  Ein  Regiment  ohne  Ordnung  ist  ein 
verlchtlicher  Haufe  zusammengerotteter  Leuten  ohne  Zuch^  ohne 
Mut  und  ohne  Starke.  Die  Ordnung  ist  die  einzige  Bewegungskraft 


Digitized  by  Google 


86 


Bernhard  Wolf. 


des  Dienstes  und  dkser  der  Endzweck  eines  jeden  Reglements. 
Dantis  folgt»  daß  die  geringste  Übertretung  der  votgescbriebenen 
Ordnung  auch  in  Sachen,  die  Klehiig^ieiten  zu  sdn  schdnen, 
ebenso  gefiOirlicfa  als  strafbar  ist  Ein  weiteres  Kapitel  handelt 
von  der  Disziplin,  die  allerdings  nur  für  den  gemeinen  Soldaten 
gemadit  ist,  da  der  Offizier  in  allen  seinen  Handlungen  einzig 
von  der  Ehre  geleitet  wird.  Die  Disziplin  besteht  in  der  strengsten 
Ordnung,  alle  Befehle  behende  und  ohne  Widerrede  auszuführen, 
und  in  der  unausbleiblichen  Züchtung  der  Übertreter.  Sie 
whxi  weniger  durch  Überzeugung  als  durch  Furdit  und  Schirfe 
zuwege  gebracht  Der  Soldat  soll  nicht  nur  Dienstkenntnis  und 
die  nötige  FertiglGeit  in  den  Exerzitien  besitzen  (mechanische 
Disziplin),  man  verUingt  auch  von  ihm,  daß  er  ehi  chrisUicher, 
gezogener,  bescheidener  und  sittsamer  Bürger  sd.  Die  Treue 
gegen  seinen  Landesherm  und  der  Oehmun  gegen  seine  Oberen 
sollen  in  ihm  gepaart  sein  mit  der  Redlichkeit  (moralische 
Disziplin).  Unchristliche,  zu  Verbrechen  geneigte  und  mit  groben 
Lastern  behaftete  Unteroffiziere  und  Gemeine  sollen  durch  schwere 
Leibesstralen  gebessert  oder  vom  Regiment  gejagt  werden.  Leute, 
die  sich  im  Herrendienste  toll  und  voll  finden  lassen,  haben  die 
Strafe  der  Spießniten  zu  erwarten,  solche,  die  zu  Diebereien 
neigen,  schafft  man  am  besten  beizeiten  weg.  Widerspenstigkeit 
wird  bei  Unteroffizieren  mit  Degradation,  bei  den  Gemeinen 
»mit  Spiefkuten  angesehen*.  Ist  die  Widersetzung  mit  Drohen 
des  Stockes,  des  Gewehre  oder  gar  mit  Tätlichkeiten  verbunden, 
so  soll  der  Übertreter  vor  das  Kriegsgericht  gestellt  und  vor  den 
Kopf  geschossen  werden.  Im  Trünke  exzedierende  Soldaten 
sollen  von  den  Vorgesetzten  nicht  mit  Stockschlägen  gezüchtigt, 
sondern  auf  die  Wache  gebracht,  wohlgezogcnc  Unteroffiziere 
und  Oememe  aber  so  viel  als  möglich  aufgemuntert,  höflich  und 
leutselig  gehalten  werden.  Als  der  beste  Grenadier  und  Musketier 
gilt  derjenige,  der  seine  Montierungs-  und  Armaturstücke  in 
gutem  Zustand  hält  und  den  unaufhörlichen  Vorsatz  hat,  alles, 
was  ihm  t>efohIen  und  »gelernt*  wird,  unverdrossen  zu  tun. 
Wenn  ein  solcher  alle  seine  Pflichten  erfüllt,  hat  er  mit  Recht 
die  Ehrbegierde  erlangt,  zu  den  höchsten  Kriegschargen  erhoben 
werden  zu  können. 


Digitized  by  Google 


SUzzen  von  der  chonaligen  kursftchslschen  Anoee. 


87 


Aus  den  besten,  bravsten  und  geschtcklesleii  Soldaien  werden 
die  Korporale,  aus  den  erfabiensten  Korporalen  die  Sergeanten 
auseevftfalt  Sie  mfiasen  unverdrossen,  aufgeweckt,  ernsthaft  und 
von  guter  F&brung,  treu  und  redlichen  OemQtes,  munter,  gesund  und 
flOiig  sein,  Strapazen  auszuhalten,  und  mit  der  Feder  umgehen 
können.  Mit  den  Soldaten  dürfen  sie  sich  nicht  gemein  machen, 
für  ihre  Korporalschaften  haben  sie  treu  zu  sorgen,  daß  es  diesen 
nicht  an  Brot  fehlt.  Säufer,  Spieler,  üble  Wirte  und  RüSüneuie 
sind  von  der  Beförderung  ausgeschlossen. 

Zu  einem  Peldwebel  niulü  ein  besonders  geschicktes  Subjekt 
ausgesucht  werden.  Durch  ihn  geht  der  Dienst  der  ganzen 
Kompagnie.  Über  die  Unteroffiziere  hat  er  keine  tätliche  Autorität, 
doch  muß  er  sich  bei  ihnen  ein  Ansehen  zu  schaffen  wissen. 
Lignel  sich  ein  tüchtiger  Feldwebel  zum  Offi/icr,  so  kann  ihn 
der  Oberst  zum  Leutnant  vorschlagen  und  alsdann  vomehmhch 
die  Adjutantengeschäfte  von  ihm  versehen  lassen. 

Wie  die  Disziplin  die  Ordnung  zur  Voraussetzung  hat,  so 
bildet  diese  auch  die  Grundlage  der  Subordination,  ohne  die 
„gloneuse  Actiones"  des  Soldatenstandes  unmöglich  sind,  Alles, 
was  nicht  direkt  wider  den  Herrendienst  läuft,  ist  recht,  sobald 
es  befohlen  ist.  Derjenige,  der  einen  Befehl  erhält,  hat  nicht 
nach  der  Räson  der  Ordre  zu  fragen,  er  hat  den  Befehl  nur 
auszuführen;  die  Verantwortung  hat  allein  der,  der  ihn  gibt 
Danun  ist  es  auch  nicht  erlaubt,  seinen  Vorgesetzten  wegen  eines 
gegebenen  Befehles  zur  Rede  zu  setzen.  Das  sollen  sich  be- 
sonders  die  jungen,  angehenden  Subaltemoffiziere  gesagt  sein 
lassen,  weil  eine  unüberlegte,  unzeitige  Lebhaftiglceit  oder  Un- 
aufmerksamkeit in  deigieicfaen  Fällen  ihre  Fortune  und  Ehre  in 
Gefahr  setzen  kann. 

Disziplin  und  Subordination  können  auch,  wie  jede  an  sich 
gute  Einridiüing,  miSbraucht  werden.  Die  Disziplin  wird  miß» 
brauch^  wenn  sie  in  eine  tynuinische  BedrOdcung  ausartet.  Unter- 
offiziere und  Gemeine  sollen  als  Soldaten  und  Menschen,  aber 
nidbt  ab  OaleerensUaven  und  Bestien  gezogen  und  gezflchtigt 
werden.  Daher  wird  das  viehische,  unbesonnene  Scfabigen  und 
Stofien  als  ein  Mißbrauch  der  Disziplin  ausdrficldicfa  verboten; 
denn  ein  solches  unveniOnfliges  Verfahren  ist  nur  eine  Whtung 


Digitized  by  Google 


88 


Bemhanl  Volf  . 


der  Wut'tttid  nicht  des  Dieinleifen»  es  maclit  ans  den  Soldaten 
nicfals  «to  unglficklidie  Skkven  und  Deserteure.  Die  Subotdination 
wird  ferner  mifibniudit,  wenn  sidi  die  höheren  Offiziere  den 
niederai  gegenaber  undemlicber  oder  gar  ehrenrflhtiger  Aus- 
drflcke  bedienen,  weil  nichts  so  leicht  zu  vefkteen  ist  als  die 
Ehre  eines  Offizien.  Die  Autorität  wird  miObiaucht»  wenn  ein 
Kommandant  in  Gegenwart  eines  höheren  Offiziers  seine  Unter- 
gebenen allzu  hart  anUßt  oder  die  Unteroffiziere  und  Gemeinen, 
wenn  es  nicht  ausdrfiddich  von  den  Höheren  angeordnet  ist, 
mit  Stockschlägen  Obel  traktiert.  Auch  der  Oberst  oder  der 
General  als  Chef  eines  Regiments  kann  seine  Autorität  miß- 
brauchen, wenn  er  ohne  Grund  dem  Oberstleutnant  oder  Oberst 
nichts  anvertrauen  will.  Wie  nun  im  Herrendicnste  einzig  und 
allein  die  Subordination  und  die  Furcht  befiehlt,  so  soll  außer 
dem  Dienste  nur  die  Hochachtung  und  Liebe  herrschen.  Diese 
Moderation  verhütet,  daß  der  Gemeine  viehisch,  der  Unteroffizier 
tyrannisch,  der  Offizier  niederträchtig  behandelt  wird.  Den 
Offizieren  soll  zwar  nichts  übersehen  werden,  außer  dem  Dienste 
aber  sind  sie  als  Leute  von  Stande  und  Verdiensten  in  des 
Obersten  Gesellschaft  wie  Kameraden  zu  behandeln. 

Aus  dem  rechten  Gebrauch  der  Autorität  entsteht  die 
Harmonie,  die  ungezwungene  und  zufriedene  Ubereinstimnuino; 
eines  Offizierkorps  zum  Besten  des  Dienstes  und  zur  thrc  des 
Regiments.  Die  Harmonie  wird  geschaffen  und  erhalten,  wenn 
jeder  tut,  was  ihm  zukommt,  und  wenn  keinem  zugemutet  wird, 
etwas  zu  tun,  was  seine  Funktion  und  die  Billigkeit  nicht  von 
ihm  begehrt.  Daraus  folgt  die  Liebe  zum  Dienste,  die  sich  nicht 
nur  in  dem  Eifer  zeigt,  mit  dem  ein  jeder  seine  Pflicht  erfüllt, 
sondern  auch  darinp  daß  der  Offizier  sich  weiter  bildet  »durch 
die  nützliche  Lesung  und  Meditation  derer  Reglements  und  anderer 
von  dem  Handwerk  handelnden  guten  Bücher«.  Nicht  die  Zeit, 
die  ein  Offizier  in  einer  Charge  zugebracht  hat,  macht  ihn  ftWg, 
eine  höhere  zu  beldeiden,  sondern  die  gute  Anwendung  der  Zeit; 
denn  wer  sich  lediglich  auf  die  Pflichten  seiner  Funldion  be- 
schrftnld,  ist  an  sidi  nicht  geeignet,  eine  höhere  zu  erlangen. 
Gewarnt  wird  vor  Selbstübeischfttzung.  Ein  damit  behafteter 
Offizier  soll  sich  nicht  wundem,  wenn  ihm  nichts  anvertraut 


Digitized  by  Google 


Skizzen  von  der  ehemaligen  kursächsischen  Armee.  g9 


wird.  Strebsamen  Offizieren  soll  allemal  erlaubt  werden, 
zur  Ausbildung  ihrer  guten  Taienie  den  Feidzügen  bei  fremden 
Armeen  beizuwohnen. 

Der  folgende  Abschnitt  liandelt  vom  Ehrgefühl,  das  sich  in 
den  Handlungen  zeigt,  die  zum  Ruhme  des  Landesherrn  und 
zum  allgemeinen  Resten  beitragen.  Es  reizt  einen  jeden,  der 
von  ihm  erfüllt  ist,  besonders  aber  den  Adel,  zum  Soldatenstande, 
da  dieser  das  einzige  Handwerk  für  Leute  von  hoher  Geburt 
ist  Aber  ebenso  veranlaßt  es  einen,  dieses  gloriose  Handwerk 
zu  verlassen,  wenn  er  durch  unverdiente  Übergehung  in  der 
Rcfurderung  oder  auf  eine  andere  Art  verletzt  wird,  ohne  daß 
er  sich  etwas  vorzuwerfen  hat.  Das  Ehrgefühl  gebietet,  dem  Leben 
die  Schuldigkeit,  d.  h.  die  Pflicht,  vorzuziehen,  das  Leben  selbst 
aber  gegebenen  Falles  für  nichts  zu  achten.  Es  gibt  jedoch  auch 
etn  falsches  Ehrgefühl.  Es  besteht  in  dem  Glauben,  daß  uns 
andere  nicht  so  hoch  schätzen  wie  wir  uns  selbst,  oder  daß  wir 
andere  geringer  achten,  als  sie  sind.  Aus  diesem  Mißtrauen 
entsteht  Streiten  und  Balgen.  Der  Oberst  aber  hat  die  Pflicht,  alle 
Raufereien,  Wein-  und  Bierhtadel,  die  nicht  das  Ehrgefühl, 
sondern  den  Trunk  zum  Beweggründe  haben,  sah  äußerste  zu 
reprimieien;  ausgesprochene  HIndelsucher  und  Sftufer  sollen  bei 
keinem  Regimente  geduldet  werden.  Diese  schlechten  AfOren 
werden  vermieden,  wenn  die  Offiziere  die  unansttndigen  Spiel- 
und  Wdnhtuser  nicht  besuchen,  auch  die  Oebrihicfae  der  guten 
Lebensart  mehr  annehmen  als  den  ungeschliffenen  Corps  de 
Qardes-Ton  d.  h.  Wacfastubenton.  Kein  Offizier  darf  fiber  sich 
ergeben  kssen,  was  das  wahre  Ehrgefühl  verletzt  Seine  Ehre, 
dfe  Ehre  des  Dienstes  und  die  stillschweigenden  Gesetze  der* 
selben  schrdben  ihm  vor,  wie  er  sich  in  derartigen  Fällen 
zu  verhalten  hat 

Weiter  wird  gehandelt  von  den  Vorurteilen.  Jeder  Truppen- 
teil muß  zu  seiner  Tflditigkeit  gutes  Vertrauen  haben,  woraus 
aber  nicht  folgt,  daß  er  die  anderen  Armeen  und  Regimenter  für 
verächtlich  hält.  Der  g^emeine  Soldat  soll  glauben,  daß  kein 
Feind  seiner  Tapferkeit  und  Ürdnuni?;  widerstehen  könne,  der 
Offizier  jcdüch  muß  von  diesem  Glauben  weit  entfernt  sein. 
Er  soll  weder  Furcht  noch  Verachtung  bei  sich  spüren  lassen; 


Digrtized  by  Google 


90 


Bernhard  WoU. 


es  ist  aber  für  einen  denkenden  Offizier  ein  lächerliches  und  ge- 
fährliches Vorurteil,  wenn  er  (;^laubt,  daß  die  Gebräuche  und  Manöver, 
die  er  kennt,  allein  die  besten  und  keine  anderen  seiner  Auf- 
merksamkeit w  ürdig  seien.  Besonders  wird  auf  das  Vorurteil  der 
Anciennitat  hintrcwtesen,  das  alle  Ehrbeg'ierde  und  Applikation 
authebt.  Denn  man  kann  m  vielen  Jahren  sehr  wenig  und  sehr 
nachlässig  gedient  und  noch  weniger  gelernt,  erfahren  und  voll- 
bracht haben;  also  nicht  die  Jahre  zeichnen  den  Offizier  aus, 
sondern  sein  Fleiß,  seine  Erfahrung  und  die  gute  Anwendung 
^ner  natürlichen  Gaben.  Ein  feuriger,  erhabener  und  durch- 
dringender Geist  ist  in  kurzer  Zeit  zu  großen  Sachen  fähig,  da- 
gegen können  langsame,  trage  und  schläfrige  Geister  nur  mit 
vieler  MQhei  Arbeit  und  Fleiß  kaum  zu  den  kleinsten  Begriffen 
gelangen.  Darum  mfissen  die  ersteren  zum  Besten  des  Dienstes 
notwendig  herangezogen  und  »employieret"  werden.  Diese  Aus* 
Zeichnung  soll  aber  die  anderen  billigerweise  vielmehr  aufmuntern 
als  verdrießlich  machen.  Femer  wild  darauf  htngewieseni  daß 
ein  zum  Obersten  oder  Oenenl  beföiderler  Offizier  zwar  alle 
erforderliche  Tapferkeit,  Ertehrung  und  Geschicklichkeit  besitzt, 
und  doch  wird  man  bei  milittrischen  Unternehmungen  unter 
ihnen  eine  Auswahl  treffen  mfissen,  je  nachdem  dazu  Aktivität 
Feuer  und  alle  mögliche  Lebhaftigkeit  des  Körpers  oder  größte 
Voisicht,  Erfahrung,  reifliche  Oberlegung  und  politische  Klugheit 
erforderlich  sind.  Darum  muß  es  dem  Höchstkommandierenden 
im  Interesse  des  Dienstes  gestattet  sein,  unter  den  Offizieren  die 
geeignetsten  und  tflchtig^len  auszuwählen,  ohne  daß  sich  einer 
dadurch  verletzt  zu  ffihlen  braucht;  denn  niemand  wird  soviel 
Eigenliebe  haben,  daß  er,  alle  Talente  zu  besitzen,  vermeinen 
sollte.  Ein  anderes  Vorurteil  ist  es,  wenn  die  Infanterie  der 
Kavallerie  oder  diese  der  Infanterie  von  einem  Oeneral  aus 
keinem  anderen  Grunde  vorgezogen  wird,  als  weil  er  bei  der 
einen  oder  anderen  dient  oder  zu  dienen  angefangen  hat.  Aber 
alle  Korps  haben  nur  den  Ruhm  des  Herrschers  und  seiner  Waffen 
zum  Endzweck,  keins  hat  vor  dem  anderen  einen  wesentlichen 
Vorzug.  Um  einen  häufig  vorkonmienden  Rangstreit  zwischen 
Infanterie  und  Kavallerie  zu  beseitigen,  wird  daher  ein  für  alle- 
mal iestgesetzt,  daß  ohne  Rucksicht  auf  die  Anciennitat  des 


Digitized  by  Google 


Sldzzen  von  der  ehemaligoi  kursächsischen  Armee. 


9! 


Regiments  in  der  Garnison  oder  in  einem  mit  Mauern  und 
Toren  verschlossenen  Orte  die  Infanterie,  in  offenen  Plätzen  oder 
im  freien  Felde  die  Kavallerie  den  Ehrenposten  zu  fordern  hat. 
Die  Artillerie  ist  der  Infanierie  gleichzuachten.  Wo  Reiter  und 
Dragoner  zusammenliegen,  gehört  den  Draj^onern  der  Ehren- 
posten. Zu  den  Vorurteilen  gehört  es  auch,  wenn  zu  üeneral- 
adjutanten  die  Offiziere  ohne  Unterschied  und  öfters  junge, 
unerfahrene  Subjekte  bestimmt  werden.  Die  Aufgaben  eines 
Oeneraladjutanten  sind  aber  so  mannigfach,  daß  dazu  nur  Offiziere 
mit  viel  Erfahrung  bestimmt  werden  sollen;  denn  durch  mangel- 
hafte Berichte  eines  jungen,  unerfahrenen  Offiziers  wird  oft  der 
Erfolg  einer  Unternehmung  gehindert,  ja  der  Verlust  einer  Schlacht 
verursacht  Und  ein  Vorurteil  ist  es  schließlich,  wenn  ein  Kom- 
mandant bald  zu  viel,  bald  zu  wenig  wagL  Derjenige»  der  alle 
möglichen  Fälle  ausgrflbelt  und  mehr  das,  was  er  vermeiden,  als 
daa^  was  er  tun  soll,  erforschen  will,  wird  im  Soldatenhandwerk 
wenig  ausrichten.  Auch  der  fehlt,  der  ohne  Kopf  und  Disposition 
nur  fechten  und  nicht  denken  will,  doch  ist  es  besser,  viel  als 
wenig  Feuer  haben.  Der  gr6fite  Fehler  aber  eines  jeden  Chefo 
ist  die  Schwiche,  lidnen  endlichen  Entecbluß  fassen  zu  können. 

Das  den  inneren  Dienst  abschUefiende  Kapitel  handelt  vom 
Korpsgeist  Darunter  wird  verstanden  das  gegründete  Vertnuien, 
das  dn  Regiment  m  sdne  Ordnung  EinigkdV  Unerschrocken- 
heit  und  bereits  erworbene  Ehre  und  Reputation  setzt  Einem 
solchen  Korps  fehlt  nur  die  Qdegenheit  sich  «uszuzdchnen;  es 
ist  fast  dne  mechanische  Unmöglichkdt,  daß  der  Erfolg  aus-  - 
bidben  kann.  Die  besten  Soldaten  können  zwar  geschbigen,  aber 
nicht  verzagt  und  kldnmfitig  gemacht  werden.  Sind  sie  durch 
dnen  flblen  Zufall  oder  durch  überlegene  Macht  genötigt  worden, 
dch  zurückzuziehen,  so  zeigt  sidi  der  Korpsgeist  darin,  daß 
Offiziere  und  Qemdne  »die  feurige  Begierde  reize^  ihre  Revanche 
zu  haben".  Eine  solche  Gesinnung  sich  zu  erwerben,  soll  sich 
jedes  Regiment  eifrigst  angelegen  sein  lassen. 

Im  allgemeinen  sind  es  also  treffhche  üedanken,  die  wir 
hier  ausgesprochen  tmden,  freilich  beziehen  sie  sich  nur  auf  das 
Offizierkorps,  der  gemeine  Maiin  findet  darin  keine  Beachtung. 
Daß  dieser  auch  sein  Ehrgefühl  hat,  daß  er  auch  von  höheren 


Digitized  by  Google 


92 


Bernhard  Wolf. 


Ideen  erfüllt  sein  kann,  daß  durch  den  Militärdienst  der  Charakter 
gebildet  werden  soll,  sind  für  jene  Zeiten  unfaßliche  Gedanken. 
Daher  erklärt  sieh  auch  die  brutale  Behandlung  des  Soldaten, 
der  eben  nur  durch  Belohnung  oder  Strafe  zur  Erfüllung  seiner 
Pflichten  angehaUen  werden  kann. 

Auf  diese  allgemeinen  Ausführungen  fol^  das  eigentliche 
Exerzierreglement,  das  r^von  dem  äußerlichen  Stande  und  Dienst 
derer  Regimenter  Infanterie  beim  txerzieren"  handelt  Darüber 
eingehend  zu  berichten,  die  zahlreichen,  häufig  recht  umständ- 
lichen Griffe  und  Bewegungen  vorzuführen,  würde  zu  weit  gehen« 
Ich  b^nüge  mich  daher  damit,  einzelne  Punkte  aus  dem  Regie» 
mcnt,  die  der  Erwähnung  wert  erscheinen,  herjinszuheben 

Jeder  neu  eingetretene  Soldat  wurde  zunächst  verpflichtet. 
Unter  Verpflichtung:  verstand  man  den  ungezwungenen  Eid,  den 
jeder  Rekrut  zur  Fahne  ablegte  und  dadurch  angelobte,  die  ihm 
voigelttenen  und  erklärten  Kriegsartikel  unverbrüchluih  zu  lullen, 
die  versprochene  Treue  und  gehoname  Dienste  zu  tetsteui  dazu 
Leib  und  Leben  »aufzusetzen«  und  den  voigeschriebenen  Strafen 
auf  Oberhehing  sich  zu  unterwerfen. 

Der  Eid  wurde  vor  der  Fahne  in  die  Hand  des  Auditeurs 
abgelegt,  weil  die  Fahne,  unter  welcher  der  Soldat  seine  Treue 
bezeugen  und  folglich  Leib  und  Leben,  Out  und  Blut  zum 
Dienste  des  Landesherm  aufopfern  soll,  als  die  stumme  Zeugin 
seines  Eides  anzusehen  ist  .Dieses  mufi  denen  neuen  Soldaten 
wohl  imprimiereV  die  Ehrerbietaing  gegen  die  Fahnen  in  ihm 
hervorgebracht  und  er  ausdraddich  bedeutet  werden,  daß  die 
Veriassung  der  Fahne  oder  die  nicht  geleistete  Herstellung  bei 
derselben  das  grOßte  Verbrechen  und  der  Verlust  derselben 
die  größte  Sdiancfe  sei."  Darum  sind  auch  die  den  Fahnen  zu 
leistenden  Honneurs  nicht  zu  negligieren. 

Nach  der  Verpflichtung  wird  der  Soldat  »ajustiert«,  d.  h. 
er  erhält  die  Leibes-  und  Beimontierung:  Hut,  Halsbinde,  Rock 
und  Kamisol,  Beinkleider,  Gamaschen,  Patrontasche,  Pallasch- 
gehenk;  später  wurden  ihm  als  Armaturstücke  Flinte,  Bajonett, 
Pallasch  und  Krätzer  zugewiesen.  Die  Ausbildung  erfolgte,  wie 
das  Reglement  von  1  776  lehrt,  in  drei  Absätzen:  1.  ohne  jede 
Ausrüstung,  2.  mit  Patrontasche  nebst  Pallaschgehenk  und  Bajonett, 


Digitized  by  Google 


Skizzen  von  der  ehemaligen  kursächsischen  Armee.  93 

3.  mit  Gewehr  und  aiifgeschlosseneni  Bajonett.  Dem  Soldaten 
wurde  eine  ansehnliche  Stellung  beigebracht,  die  ihm  seinem 
Heinde  gegenüber  ein  resolutes,  respektables  und  determiniertes 
Ansehen  geben  sollte.  Um  solche  zu  erlangen,  wurde  der  Mann 
von  unten  auf  gerichtet,  doch  war  die  früher  üblich  gewesene 
Dressur  an  einer  Wand  oder  einem  Brett  später  verboten.  Die 
Absätze  standen  eine  Handbreit  auseinander  (nach  dem  Reglement 
von  1776  stehen  sie  jedoch  dicht  nebeneinander),  die  Fußspitzen 
Wären  nach  auswirts  gerichtet,  von  Ballen  zu  Ballen  etwa  zehn 
Zoll.  Der  Bauch  sollte  nicht  vorwärts  strotzen,  der  Kopf  nicht 
nach  der  Seite  hängen,  »als  welches  sehr  traurig  und  mitleidige 
aber  nicht  munter,  resolut  und  nach  einem  Soldatenir  aussieht«. 
Das  Augie  muß  stair  stehen,  das  Kinn  angezog^  werden,  daß 
sdbigies  nicht  nebst  der  Nase  in  die  Luft  und  m  die  Höhe 
stehe,  auch  nicht  auf  der  Brust  liege.  War  der  Mann  seines 
Körpers  etwas  mächtig  geworden,  folgten  die  Wendung^.  Sie 
wurden  mit  steifen  Knien  und  unter  Erhebung  der  Fußspilzen 
ausgeführt.  Es  war  hierbei  darauf  zu  achten,  daß  der  Soldat 
den  Unterleib  und  Htniem  nicht  zurackatredcte  noch  den  Bauch 
hervorsfanotzte  und  das  Kreuz  einbog.  Ganze  Wendungen  er< 
folgten  mit  rechlsumkehrt  Auch  der  militärische  Oruß  wurde 
in  dieser  Periode  der  Ausbildung  gelemi  OegrQßt  wurde  von 
Unteroffizieren  und  Gemeinen,  wenn  sie  weder  das  Bandolier 
noch  das  Oewdir  trugen,  durch  Abziehen  des  Hutes  mit  der 
fechten  oder  Ihiken  Hand,  jedoch  ohne  Verbeugung  des  Leibes. 
Kamen  beim  Exerzieren  Fdiler  vor,  so  solHe  zuerst  Geiindigkeit 
und  Geduld,  half  dieses  aber  nichts,  die  größte  Schärfe  ange 
wendet  werden.  Unaufmerksame  Leute  und  schlechte  Exerzierer 
wurden  angemerkt  und  naclimittags  durch  einen  Üflizier  oder 
Unteroffizier  besonders  exerziert 

Diese  Dressur  dauerte  mindestens  vier  bis  sechs  Wochen, 
worauf  die  zweite  Periode  der  Ausbildung  folgte,  bei  der  der 
Soldat  mit  Patrontasche,  De^en-  oder  Pallaschgehenk  und  Bajonett 
ausgerüstet  war.  Um  möglichste  Oleichmäßigkeit  zu  erzielen, 
waren  vor  dem  Beginn  der  Ausbildun^}^  von  jeder  Kompagnie 
ein  Subaltcrnoffizier,  zwei  Unteroffiziere  und  vier  der  besten  und 
geschicktesten  Leute  beim  Stabe  durch  den  Major  vier  Wochen 


Digitized  by  Google 


94 


Bernhard  Wolf. 


lang  einexerziert  worden.  Vor  allem  wurde  der  Marsch  geübt. 
Die  Föße  wurden  mit  steifen  Knien,  aber  nicht  hoch  gehoben, 
„damit  das  Gleichgewicht  des  Körpers  nicht  znrfickfalle".  Die 
f  i:fjs[Mtzeii  strichen  an  der  Erde  hin,  die  Fersen  waren  an- 
gezogen. Man  unterschied  vier  Schrittarten:  1.  Den  Chargier- 
schritt, ""/s  Hresdner  f^Ile  lang,  80  in  der  Minute.  2.  Den 
Ordinärschritt,  eine  Dresdner  Elle  lang,  ebenfalls  80  in  der 
Minute.  Er  kam  in  Anwendung  bei  Parademärschen  und 
allen  Bewegungen,  wenn  nichts  anderes  befohlen  war.  3.  Den 
Dublierschritt,  eine  Dresdner  Elle  lang,  140  in  der  Minute. 
4.  Den  Deployierschritt  beim  Marsche  seitwärts,  etwa  eine  Dresdner 
Elle  lang.  Der  zurückgebliebene  Fuß  wurde  hierbei  vor  dem 
seitwärts  gesetzten  dicht  vorbeigezogen  und  mit  der  Ferse  eine 
Hand  breit  von  dem  Ballen,  jedoch  in  die  nämliche  Linie  gesetzt. 
Audi  auf  der  Gasse  sollte  der  Soldat  mit  festem  Leibe  und 
steifen  Knien,  ohne  die  Arme  zu  scbleudenii  mit  Anstand  gehen. 

Schließlich  erhielt  der  Soldat  das  Gewehr  mit  aufge^ 
schlossenem  Bajonett  Der  Kolben  ruhte  in  der  linken  Hand 
und  wurde  an  den  Oberschenkel  angedrfickt,  eine  Tragurt,  die 
sicher  nicht  gunz  leicht  zu  erlernen  war.  Nachdem  die  Wendungen 
und  der  Marsch  mit  dem  Gewehr  geübt  waren,  folgten  die  Griffe. 
Sie  sind  sehr  zahlreich,  waren  freilich  auch  teilweise  bedingt 
durch  die  Umslftndlichkeit  des  Ladens.  Näher  auf  sie  einzugehen, 
erscheint  überflüssig;  nur  einzelne  mög^n  erwflhnt  werden.  Sehr 
häufig  wurde  präsentiert^  wie  es  scheint,  nach  jeder  Gruppe  von 
Griffen.  Das  Präsentieren  lernte  der  Soldat  daher  auch  zuerst. 
Es  wurde  in  der  noch  heute  üblichen  Weise  ausgeführt,  der 
rechte  Fuß  jedoch  zurückgestellt,  so  daß  Absatz  dicht  hinter  Absatz 
zu  stehen  kam.  Wurde  die  Chargierung  nur  geübt,  so  gingen 
folgende  Griffe  voraus:  Präsentiert's  Gewehr!  Schultert's  Gewehr! 
Maclit  euch  fertig!  Hierbei  wurde  das  Gewehr  wie  beim 
Präsentieren  gehalten,  zugleich  aber  der  Hahn  gespannt  und 
der  rechte  FuIj  eine  gute  Spanne  hinter  den  linken  zurückgestellt. 
Es  folgte  nun  das  Kommando:  Schlagt  an.  Feuer!  worauf  jeder 
von  selbst  das  Gewehr  flach  nahm  und  die  eigentliche  Chargierung 
begfann.  Sie  wurde  auf  folgende  Konimandos  ausgeführt:  Hahn 
in  Kuh!    Ergreift  die  Patron!    Die  rechte  Hand  schlug  kurz, 


Digitized  by  Google 


Sld2zen  von  der  ehemaligen  kursächsischen  Armee. 


95 


schnell  und  stark  auf  den  Patrontaschendeckel,  ergriff  die 
Patrone  und  brachte  sie  an  den  Mund,  wobei  sie  bis  ins  Pulver, 
•das  solches  den  Leuten  bis  ins  Maul«  kam,  abgebissen  wurde. 
Es  schlössen  sich  nun  folgende  Kommandos  an:  Pulver  auf  die 
Pfonn!  Schließt  die  PCuin!  Patrone  hi  Lauf!  Zieht  aus  den 
Ladstock!  Lad't!  Den  Ladstock  an  seinen  Ort!  Schulterfs  Ge- 
wehr! worauf  wieder  zum  Anschlag  flbergegüngen  weiden  konnte; 
Beim  Exerzieren  im  Bataillon  erfolgte  die  Chargierung  in  wesent- 
lich kOrzerer  Zeit  Auf  das  Kommando:  Habt  acht!  Bataillon 
soll  laden!  rückte  das  zweite  Glied  einen,  das  dritte  zwei  ordinäre 
Schritte  rechts  seitwSrIs  auf  die  Lfldcen.  Alles  blieb  »stockstill« 
stehen,  bis  kommandiert  wurde:  Gewehr  flach!  Lad't!  Darauf 
lud  jeder  so  schnell  als  möglich,  und  ohne  zwischen  den  einzelnen 
Griffen  einen  Halt  zu  machen,  sein  Gewehr.  Die  Sokkten 
brachten  es  durch  fortgesetzten  Drill  zu  chier  erstaunlichen 
Schnelligkeit,  alle  Truppen  jener  Zäi  aber  wurden  unstreitig 
durch  die  Preußen  übertroffen,  die  seit  1 740  nach  Einführung 
des  eisernen  I-adestodres  durch  den  alten  Dessauer  vier-  bis  fünf- 
mal in  der  Minute  feuerten.   Später  lernten  sie  es  noch  schneller. 

Unter  den  l'eucrarten  ist  zu  crwiihnen  das  Feuer  glieder- 
weise. Es  erfolgte  auü  Kummando,  das  erste  Glied  kniete  nieder. 
Beim  Abfeuern  wurde  stark  in  den  Abzug  gerissen,  auf  ein 
genaues  Zielen  und  Abkommen  wurde  also  nicht  gesehen.  Dann 
das  sogen.  Heckenfeuer,  das  iolgcndt-Tmaßen  ausgeführt  wurde. 
Zwei  Rotten  vnni  rechten  Flügel  rückten  auf  das  Kommando: 
Chargiert!  Marsch!  fünf  Dublierschritte  mit  dem  Offizier  vor, 
wobei  sie  zugleich  zwei  Glieder  bildeten,  und  feuerten  dann. 
Reim  Kommando:  Feuer!  machten  sich  die  zwei  nächsten  Rotten 
fertig,  um  auf  Marsch!  dasselbe  .Wanover  auszuführen,  während 
die  Rotten,  die  gefeuert  hatten,  mit  rechtsumkehrt  an  ihre  Plätze 
rückten  und  die  Gewehre  von  selbst  aufs  neue  luden.  Auf 
diese  Weise  ermöglichte  man  es,  daß  von  einer  Abteilung  immer 
sechs  Mann  schießen  konnten.  —  Ein  t>esonderes  Kapitel  des 
Reglements  handelt  vom  VUctorienschießen.  Es  gab  zwei  Arten 
davon:  die  OenenUdechaige  und  das  Lauffeuer;  in  beiden  Fällen 
wurde  hoch  angeschlagen.  Im  ersten  Falle  lautete  das  Kommando: 
Hatrt  acht,  eine  Oeneraldechaige  zu  gelten!   Das  ganze  Bataillon 


Digitized  by  Google 


96 


Bcrobard  WoU. 


macht  euch  fertig!  Hoch  schlagt  an!  Feuer!  Nach  jeder  Salve 
schlugen  und  bliesen  die  auf  den  FlOgeln  stehenden  Tamboure 
und  Pfdfer  »ganz  kurz".  Beim  Lauffeuer  wendete  jeder  Mann, 
wenn  er  angelegt  hatte  und  das  Schießen  vom  rechten  Flflgd 
beginnen  sollte,  das  Qesicht  nadi  rechli  und  schoß  sein  Gewehr 
ab,  sobald  der  Nebenmann  dies  getan  hatte.  Ein  Komnumdo 
erfolgte  hierbei  nicht,  der  ersten  Rotte  wurde  nur  dn  Zeichen 
giegebeni  wenn  sie  mit  Schicfien  beginnen  sollte.  Dieses  Viktorien* 
schie6en  war  audi  bd  der  Kavallerie  gebiiudtlich. 

Sollte  eine  Abteilung  ruhen»  so  erfolgte  das  Kommando: 
Stredcfs  Gewehr!  Die  Leute  machten  reditsum,  legten  die  Ge- 
wehre flach  auf  den  Boden  und  tialen  weg.  Die  Oberoffiziere 
pfbuizten  das  Sponton  vor  der  Front  auf,  die  Trommler  stellten 
ihre  Spiele  nieder,  die  Fahnenjunker  legten  die  Fahnen  darauf. 
Ertönte  der  Ruf:  Zu  Gewehr!  sprangen  die  Leute  auf,  traten  in 
Reih  und  Glied  und  nahmen  ihre  frQhere  Stellung  wieder  ein, 
worauf  nach  dem  Kommando:  Erhebt  das  Gewehr!  das  Exer- 
zieren fbrtgesetzt  wurde.  Wie  das  Lauffeuer,  so  hat  sidi  auch 
das  Strecken  des  Gewehrs  als  Redensart  in  der  deutschen  Sprache 
erhalten.  Man  hat  also  darunter  zu  verstehen,  daß  eine  Abtei- 
lung die  Gewehre  niederlegte,  um  sich  gefangen  zu  geben.  Wenn 
sonst  eine  Pause  im  Exerzieren  eintreten  sollte,  so  geschah  dies  auf 
das  Konunando:  Los!  Der  Mann  konnte  sich  rühren,  mußte  aber 
einen  Fuß  stehen  lassen,  um  die  Richtung  nicht  zu  verlieren.  Auf 
dasAvertissement:  Aufgepaßt!  brachte  er  Hut,  Degengehenk,  Patron- 
tasche usw.  in  Ordnung,  bei  Angegriffen!  wurde  weiter  exerziert. 

Bei  jeder  Kompagnie  befanden  sich  zwei  Zimmerleute,  denen 
der  kleinere  Pionierdienst  oblag.  Sie  mußten  »m  alle  dem,  was 
einem  Grenadier  oder  Musketier  zu  wissen  nötig,  gründhch  aus- 
gearbeitet" sein.  Das  Gewehr  trugen  sie  ohne  Bajonett  über- 
gehängt, die  Mündung  hinter  der  rechten  Schulter.  Die  Axt 
^^•urde  auf  der  imken  Schulter  getragen,  das  Eisen  ruhte  mit  vor- 
wartsgekehrter  Schneide  in  der  linken  Hand.  Griffe  wurden 
damit  nicht  gemacht,  sie  wurde  jedoch  vorwärts  in  die  Erde  ge- 
hauen, wenn  der  Soldat  das  Gewehr  bei  Fuß  oder  in  den  rechten 
Arm  nahm.  Zahlreich  sind  die  Griffe  mit  der  Fahne.  Salutiert 
wurde  damit,  wie  noch  heute  ablicb,  doch  wurde  sie  nicht  mit 


Digitized  by  Google 


Sldseit  von  der  diemaltgen  loinädisbcheii  Armee. 


97 


der  Spitze  nach  der  Erde  gesenkt,  sondern  horizontal  gehalten; 
dabei  aldUe  der  Fahnenjunlccr  den  rechten  Fuß  zurfldc  und 
wendete  sich  mit  dem  Leibe  nach  itchls.  Mit  der  Fahne  wurde 
auch  im  Marsche  salutiert 

Zum  Bestände  ehies  Infiuiierieregiments  gehörten  wflhrend 
des  19.  Jahrhunderts  in  der  Hegel  zwei  Kompagnien  Orenadiere, 
d.  h.  Leuten  die  bestimmt  waren,  Handgranaten  zu  werfen.  Diese 
Orenadiere,  bis  1 742  unter  die  Musketiere  verteilt,  dann  als  eigene 
Truppe  errichtet,  genossen  einen  besonderen  Vorzug.  Man  wählte 
dazu  iidie  ansehnlichsten,  stärksten,  dauerhaftesten  und  rainassierten 
(stämmigen)  Leute"  von  mindestens  7  5  Zoll.  Im  Regimente  standen 
sie  auf  den  Flügeln,  sie  holten  und  brachten  die  Fahnen  ab,  geleiteten 
einen  zum  Tode  verurteilten  Soldaten  auf  seinem  letzten  Gange 
und  wurden  beim  Sturmlaufen  und  «den  gefährlichsten  Aktionen 
gebraucht Befanden  sich  Grenadiere  bei  den  Wachmannschaften, 
so  bildeten  sie  auf  dem  rechten  Flügel  ein  Peloton  für  sich 
oder  standen  im  ersten  Oliede,  die  Musketiere  im  zweiten  und 
dritten.  Anstatt  des  Hutes  truEi^en  sie  große  Grenadiermutzen;  in 
der  großen  Patrontasche  führten  sie  drei  eiserne,  gefüllte,  fertige, 
mit  Blasen  verbundene  Granaten,  hölzerne  oder  gepappte  dagegen 
beim  Exerzieren.  Auf  der  Brust  hatten  sie  einen  blechernen 
Luntenberger,  um  die  glimmende  Lunte  vor  Nebel,  Regen  und 
Feuchtigkeit  wohl  zu  verwahren.  Besonders  große  Leute  finden 
wir  in  der  Leibgrenadiergarde.  An  diese  sollten  nach  einer  Ver- 
fügung vom  1 3.  März  1  743  die  Feldr^menter  ihre  großen 
Soldaten  abgeben.  Als  Entschädigung  erhielten  sie  für  einen 
Mann  von  76  Zoll  to,  von  77  Zoll  15  Taler,  für  jeden  Zoll 
mehr  5  Taler.  —  Die  Ausbildung  der  Orenadiere  war  im  all- 
g^dnen  der  der  Musketiere  gleich,  für  ihre  besondere  Aufgabe 
waren  aber  natürlich  auch  liesondere  Handgriffe  nötig.  Das  Ge- 
wehr hingen  sie  bdm  Werfäi  der  Qranaten,  nachdem  nach  links 
Armabsfautd  genommen  war.  Ober  die  Ibiice  Schulter.  Die  Kom- 
mandos hieizu  huiteten:  Faßt  den  Cordon  (Qewehrriemen)t  Werft 
das  Gewehr  über  die  linke  Schulter!  Faßt  die  Lunte!  Faßt 
die  Grenade!  öflhet  und  deckt  die  Grenadel  Hierixi  wuide 
die  Granate  geöffnet^  der  Daumen  auf  die  Brandr&hre  gelegt, 
der  rechte  Fuß  rOckwftrts  ausgesetzt  und  der  Leib  rechts  gewendet 

Afdüv  ffir  Knltnrgesdiidite.  V.  7 


Digitized  by  Google 


98 


Bernhard  Wolf. 


Blast  die  Lunte  ab!  Die  Lunte,  die  also  vor  dem  Exerzieren 
angezündet  worden  sein  miiij  und  im  Luntenberger  fort- 
gebrannt hat,  wurde  an  den  Mund  gebracht  und  stark  angeblasen. 
Zünd't  und  weiit  die  ürenade!  Nach  dem  Wurfe  wurde  der 
rechte  Fuß  beigesetzt  und  die  frühere  Front  wieder  hergestellt. 
Verberg  die  Lunte!  Sie  wurde  hierbei  in  den  Luntenberger 
gebracht  und  dieser  durch  den  Stöpsel  geschlossen.  War  dies 
geschehen,  wurde  das  Gewehr  wieder  geschultert. 

Die  Ausrüstung  der  Unteroffiziere  war  verschieden,  je  nach- 
dem sie  den  Grenadieren  oder  Musketieren  angehörten;  jene 
trugen  die  Fimte,  diese  das  sogenannte  Kurzgewehr,  eine  Art 
Offizierssponton  von  wenigstens  zwei  Metern  Lange.  Beiden 
Unteroffizierklassen  aber  gemeinsam  war  der  Stock,  der  gefürchtete 
Korporalstock,  ohne  den  ein  Unteroffizier  jener  Zeit  nicht  gedacht 
werden  kann.  Die  Tragart  desselben  war  etwas  verschieden.  Die 
Orenadierunteroffiziere  trugen  ihn,  wenn  sie  unter  dem  Gewehr 
standen,  am  dritten  Knopfloche  unter  der  linken  Rockklappe,  die 
der  Musketiere  unter  der  rechten  angehängt.  Die  Griffe  der 
ersteren  deckten  sich  fast  völlig  mit  denen  der  Gemeinen,  auch 
die  der  letzteren  entsprachen  den  Tempos  der  Gewehrgriffe. 

Bei  den  Grenadieren  führten  auch  die  Subaltemoffiziere 
Flinten  mit  dem  ajuslierten  Bajonett,  während  sie  bei  den  Muske- 
tieren den  Degen  trugen;  die  Oberoffiziere  waren  mit  dem  Sponton 
ausgerfisteL  Die  Qrenadieroffiziere  machten  nur  dnen  Teil  der 
Griffe  mit,  doch  salutierten  sie  mit  ihrem  Gewehre,  selbst  im 
Marsche,  ganz  nach  Art  der  andeien  Ofüziere.  Nach  dem  Prft- 
sentieren  legten  sie  die  linke  Hand,  im  Marsche  dagegen,  wo 
das  Gewehr  nach  dem  Griffe  in  den  linken  Arm  genommen 
wurde,  die  rechte  Hand  mit  »ausgestreckten  Fingern  und  Daumen' 
an  das  Blech  der  Mütze.  Die  Griffe  mit  dem  Degen  waren  im 
ganzen  die  noch  heute  üblichen,  beim  Prflsentieren  wurde  jedoch 
die  Klinge  etwas  weniger  gesenkt;  Meldungen  geschahen  mit  auf- 
genommenem Degen.  Das  Sponton  hielten  die  Oberoffiziere  im 
Stehen  mit  dem  rechten  gerade  ausgestreckten  Arm  senkrecht  nach 
der  rechten  Seite,  die  Hand  in  Schulterhöhe.  Beim  Salutieren, 
das  in  sieben  Zeiten  zerfiel,  wurde  die  Spitze  tief  zur  Erde  ge- 
senkt; der  Leib  wendete  sich  dabei  etwas  nach  rechts,  der  rechte 


Digrtized  by  Google 


SldzKii  von  der  ehemaligeii  knnldisbdiea  Amitt. 


99 


Fuß  trat  dnen  Schritt  hinter  den  linken.  Nadi  Beendigung  des 
Griffes  wnrde  mit  der  linken  Hand  der  Hut  abgenommen  und 
mit  natfirlich  gestrecktem  Arme  zur  linken  Seite  gehalten.  In 
gleicher  Weise  wurde  auch  im  Marsche  salutiert.  Bei  allen 
Griffen  verlangt  das  Reglement  von  den  Offizieren,  im  Stehen 
und  im  Maische  eine  nuiritere,  ungezwungene  und  wohigerichtete 
Leibessteilung  beizubehalten  und  alle  Tempos  mit  einem  gewissen 
guten  und  geschickten  Anstände  zu  machen;  auch  sollen  sie  dem- 
jenigen, vor  dem  salutiert  wird,  frei  und  munter  in  die  Augen 
sehen.  Das  Sponton  muß  übrigens  nach  1  753  aus  der  kur- 
sächsischen Armee  verschwunden  sein;  wahrend  nämlich  in  dem 
Reglement  dieses  Jahres  die  Handhabung  desselben  noch  ganz 
genau  angegeben  wird,  finden  wir  es  in  dem  vom  Jahre  1776 
nicht  mehr  erwähnt. 

Ein  eigentürnlK-her  Griff  war:  Zur  I.eiche  tragt's  Gewehr! 
der,  wie  ersichtlich,  bei  militärischen  Leichenbegängnissen  in  An- 
wendung kam.  Das  Gewehr  wurde  hierbei  von  der  rechten  Seite 
aus  so  gewendet,  daß  die  Mündung  nach  unten  gerichtet  war; 
dann  wurde  es  mit  wohl  erhobenem  Kolben  unter  den  linken 
Arm  gebracht  und  mit  dem  Ellbogen  natürlich  angedrückt.  Die 
Kolben  mußten  gh'ederweise  in  gerader  Linie  liegen,  so  daß  man 
durch  die  Bügel  hindurchsehen  konnte.  Dieser  Criif^  der  auch 
von  den  Grenadieroffizieren  mitgemacht  wurde,  ist  nach  1753 
ebenfalls  abgeschafft  worden;  im  Exerzierregiement  von  1776 
kommt  er  nicht  mehr  vor. 

•  Die  weitere  Ausbildung  beschiftigte  sich  nun  mit  den  Be- 
ivegungen  in  der  Kompagnie  und  im  Bataillon,  doch  sollen  auch 
hier  nur  einige  tiemerkenswerte  Punkte  herausgegriffen  vrerden. 
Die  Leute  wurden  vom  rechten  Flügel  aus  nach  der  QrOße 
rangiert.  Die  größten  kamen  h»  etste^  die  folgenden  ins  dritle^ 
die  kleinsten  ins  zweite  Glied.  Für  diese  Aufstellung  wurde  eine 
genaue  Rangierliste  angelegt,  die  jeder  Stabsoffizier,  jeder  Kapittn 
und  Subaltemoffizier  der  betreffenden  Kompagnie  erhielt.  Neu 
Eintretende  wurden  sofort  gemessen,  nach  ihrer  Or&Be  eingereiht 
und  in  die  Rangieriiste  eingetragen.  Richtung  und  Fühlung 
war  in  der  Kompagnie  nach  rechts,  im  Bataillon  nach  der  Mitte, 
wo  die  Fahne  stand.    Die  Aufstellung  war  dreigliedrig,  1733 

7* 


Digitized  by  Google 


100 


Bernhard  Wolf. 


war  sie  noch  viergliedrig  gewesen.  In  der  Paradestcllung  hatten 
die  Glieder  einen  Abstand  von  vier  Schritt,  die  Oft'i/iere  standen 
sechs  Schritte  vor  der  Front,  die  Unteroffiziere  einen  Schritt  hinter 
dem  dritten  Qliede,  die  sclilieöendcn  Offiziere  zwei  Schritte 
hinter  den  Unteroffizieren  Ikim  Exerzieren  waren  die  Glieder 
auf  Schrittlänge  aufgeschlossen 

Wenn  gestellt  wurde,  verlas  der  Feldwebel  die  Kompagnie, 
wobei  jeder  sein  Gewehr  schulterte.  Auf  das  Kommando  des 
Kapitäns:  Es  wird  Lrcsteüt!  brachte  der  Soldat  seinen  Anzug  in 
Ordnung  und  nahm  auf  das  weitere  Kommando:  Stellt  euch! 
den  ihm  angewiesenen  Platz  ein.  Die  Unteroffiziere  standen  hier- 
bei vor  der  Front,  Tambour,  Pfeifer  und  Zimmerleute  auf  dem 
rechten  Flügel.  Es  folgte  nun  gliederweise  die  Besicbtig;ung  der 
Leute.  War  bei  einem  Manne  etwas  nicht  in  Ordnung,  so  traf 
ihn  harte  Strafe;  denn  laut  Reglement  sollte  ihm  nichts  durch 
die  Fingier  gesehen  werden,  damit  er  Emst  verspüre  und  sich  zur 
Ordnung  gewöhne.  War  an  dem  vorgefundenen  Mangel  der 
KorponüschaftsfOhrer  acbuld,  »so  war  solches  bei  ihm  ohne  die 
alieigieringste  Nachsicht  äuh  allerschfafrie  zu  ahnden«.  Lag  die 
Schuld  an  beiden,  sollten  auch  beide  dafür  büßen.  Nadi  der  Durch* 
sieht  traten  die  Offiziere  mit  gezogenem  Deg^  der  Or&Be  nach  vor 
die  Reihe  der  Unteroffiziere,  der  ICapitln  stand  zehn  Schritte  vor 
dem  ersten  Oliede.  Auf  das  Kommando  des  Kapitäns:  Ober- 
und  Unteroffiziere  marschieren  auf  ihren  Posten,  Marsch!  nahmen 
sie  im  Dublierschritt  ihre  Plätze  dn.  Um  ihnen  das  Auffinden 
derselben  zu  erieichtem,  hoben  die  rechten  f^figdleute  der  Züge 
die  Hand  empor.  Der  Feldwebel  hatte  seinen  Platz  hinter  der 
Kompagnie,  um  da  auf  Ordnung  zu  sehen. 

Ehigdetlt  war  die  Kompagnie  stels  in  gerade  nie  in  un«- 
geracfe  ZOge.  In  der  Regd  waren  es  vier,  deren  rechte  flQgpl 
auf  dem  Marsche  von  den  vier  besten  Unteroffizieren  besetzt 
waren.  An  der  Spitze  einer  marschierenden  Kompagnie  befanden 
sich  die  Zimmerleute,  ihnen  folgten  die  Spielleute  und  der  Kapi- 
tän. Zur  Erleichtenini:^  der  Leute  war  es  auf  dem  Marsche  ge- 
stattet, die  Rollen  seitwärts  zu  lüften,  die  Zugs-  und  Oliederab- 
stände  mußten  jedoch  beibehalten  werden,  „damit  ein  Korps  im- 
stande sei,  sich  in  einem  Augenblicke  zu  formieren,  aufzumar> 


Digitized  by  Google 


SUnen  von  der  danaUgen  kunftdnlseiien  Armee.  ioi 


sdiieren  und  TSIe  211  bieten«.  Ein  Regiment  bestand  aus  zwei 
Grenadier-  und  zwölf  IMusketierkompagnien,  welche  zusammen 
drei  Bataillone  bildeten.  Die  vier  Kompagnien  eines  Bataillons 
standen  hintereinander,  das  erste  Bataillon  auf  dem  linken,  das 
zweite  auf  dem  rechten  Flügel.  Vor  dem  ersten  stand  die  erste, 
vor  dem  zweiten  die  zweite  Qrenadierkompagnie.  Die  drei  ersten 
Kompagnien  hatten  ihre  I'lätze  in  der  vordersten  Linie  der  Regi- 
mentsfront, hinter  den  Grenadieren.  Sie  führten  besondere  Namen: 
Lcibkonipagnie,  Obersten-  und  Oberstleutnantskompagnie. 

Jedes  Bataillon  wurde  in  vier  Divisionen,  jede  Division  in 
zwei  Halbdivisionen  eingeteilt.  Hatten  diese  mindestens  sechzehn 
Rotten,  so  wurden  sie  m  je  zwei  Pelotons  zerlegt,  so  daß  also 
das  Bataillon  sechzehn  Pelotons  zählte.  Die  Fahne  strind  in  der 
Mitte  des  Bataillons,  zwischen  der  vierten  und  fünften  Haiiv 
division.  Die  acht  besten  Unteroffiziere,  von  denen  besonders 
ein  gutes  Auge  verlangt  wurde,  bildeten  mit  dem  Fahnenjunker 
das  Fahnenpeloton. 

Feueiarten,  die  beim  Bataillon  oder  Regiment  in  Anwen- 
dung kamen,  gab  es  verschiedene.  Es  wurde  chargiert  mit  gjuizen 
und  halben  Divisionen,  mit  Pelotons,  mit  Halbbataillonen,  glieder- 
weise im  Avancieren  und  Retirieren.  Außerdem  wird  noch  das 
Kolonnenfeuer  erwflhnt,  angewendet  beim  Pissieren  eines  Dtöl^ 
wenn  das  Bataillon  abbredien  mußte.  Es  geschah  folgender- 
maßen: Die  Abteilung,  welche  gefeuert  hatten  machte  sofort  der 
nächsten  Platz,  teilte  sich,  ging  im  Dublierschritt  rechts  und  links 
an  der  Kolonne  zurtkcJ^  schwenkte  am  Ende  derselben  wieder  ein 
und  lud  hier  eist  aufi  neue  die  Gewehre. 

Hatte  sich  das  Bataillon  so  weit  an  den  Fdnd  hemnge» 
arbdlel,  daß  zum  Bajonettangriff  übergegangen  werden  konnte, 
so  wurde  zunlchst  noch  eine  Oenenddecharge  g^ben.  Dann 
ging  es  im  Dublieiscfaritt  zehn  bb  zwanzig  Schritte  ohne  Trommel- 
schhig  vor,  bis  der  Major  »determiniert*  Irommandierte:  Fftllfs 
Bajonett!  worauf  ein  kurzer  Abum  auf  der  Trommel  folgte.  Bei 
dieser  Gelegenheit  mußten  sich  die  hintersten  Glieder  dicht  an 
das  vorderste  halten,  um  dem  Einbrüche  so  viel  als  möglich 
Nachdruck  und  Ordnung  zu  geben. 

Die  Marsdibewegungen  im  Balaiiloii  und  ivegimenl,  die 


biyiiizuü  by  GoOgle 


102 


Bernhard  Wolf. 


Schwaikungen,  das  Aufmarschieren,  der  Front-  und  Kolonnen- 
marsch  sowie  die  Oliddioasverindeningien  zeigen  nichts  Be- 
nier]oenswerte&  Sie  erscheinen  uns  fiberaus  kQnstlidi,  dienten 
in  der  Hauptsache  Paradezwedcen  und  waren  oft  nur  dazu  be- 
stimmt^ dem  Auge  schöne  Formen  zu  bieten,  AufflUiig  ist  es 
iedenfaUsy  daß  das  Karree»  das  im  Reglement  von  1 753  noch  in 
zwei  Arten  vertreten  is^  in  dem  von  1776  nicht  mehr  erscheint 
Nicht  minder  auffallend  ist  es,  daß  wir  nirgends  auch  nur 
ein  Wort  von  einer  Ausbildung  im  ScbieBen  erwihnt  finden. 
Es  erkUrt  sich  dies  aber  sehr  einfach  daher,  daß  die  Kapitftne 
die  Kosten  fQr  die  Munition  aus  ihrer  Tasche  bezahlen  mußten 
und,  um  diese  zu  schonen,  diesen  ganzen  wichtigen  Dienstzweig 
Oberhaupt  vernachlässigten.  Ebenso  sind  Felddienstabungen  und 
Manöver  jener  Zeit  unbekannte  Dinge.  Das  zwölfte  Kapitel  des 
Reglements  von  1753  handelt  zwar  »von  allgemeinen  Grund- 
sätzen zu  Manceuvres*,  man  verstand  darunter  aber  nur  das 
Exerzieren  in  geschlossenen  Verbänden.  Nun  wurden  ja  allerdings 
die  Truppen  von  Zeit  zu  Zeit  zu  Übungen  in  Lagern  zusammen- 
gezogen, aber  auch  hier  überwog  viel  me!ir  der  Paradezweck  und 
die  kriegerische  Schaustellung  als  die  kriegsmäßige  Ausbildung. 
Allgemein  ist  in  dieser  Hinsicht  bekannt  das  Lustlagcr  von 
Zeithain  vom  Jahre  1730,  wo  die  gesamte  kursächsisclie  Armee 
in  der  Stärke  von  27  000  Mann  und  72  Geschützen  zu  einer 
glänzenden  Schaustellung  vereinigt  war.  Wenicfer  bekannt  durfte 
eine  in  gröberem  Stile  bei  Pillnitz  ab^^^ehaltene  Belagerungsubung 
sein,  die  ebenfalls  gewaltii^es  Autsehen  erregte  und  ungezählte 
Mengen  Schaulustiger  herbei iocK'te.  D.is  Freijrnis  fällt  in  den 
Juni  1  725,  und  es  verlohnt  sich  vielleicht,  kurz  darauf  einzugehen. 

Auf  dem  linken  Elbufer,  dem  Schloßgarten  von  Pillnitz  gegen- 
über, war  ein  Fort  errichtet,  das  von  Mannschaften  in  türkischem 
Habit,  auch  Janitscharen  genannt  --  man  lebte  ja  noch  im  Zeitalter 
der  Türkenkriege  die  auf  der  dort  l)efindlichen  Insel  lagerten,  in 
Posseß  genommen  worden  war.  Es  galt  nun,  dieses  nach  allen 
Regeln  der  Festungsbaukunst  aufgeführte  und  »mit  Ravelins, 
Bollwerken  und  allen  anderen  zur  Fortifikation  nötigen  Requisits 
angelegte"  Fort  zu  nehmen.  Zu  diesem  Zwecke  wurde  in  der 
NIhe  ein  Lager,  Campement,  abgesteckt,  in  das  Ende  JMai  die 


Dlgitized  by  Google 


Skizzen  von  der  ehemaligen  kursächsischen  Armee.         1 03 


zur  Belagerung  bestimnUen  Truppen  einrückten.  Am  1.  Juni 
besichtigte  der  Kuduisl  mit  dem  gesamten  Hofe,  der  hohen 
Oenerah'tät  und  allen  anwesenden  hohen  AUnistem,  Gesandten 
und  Kavalieren  dieses  in  schönster  Ordnung  angelegte  Lager, 
ebenso  die  in  Gewehr  stehende  Kavallerie  und  Infanterie  und 
zeigte  darüber  ein  sonderbares  Contentement.  Dann  nahmen 
die  hohen  Herrschaften  das  Fort  in  Augenschein  und  kehrten 
über  die  Inse!,  wo  die  türkisch  gekleidete  Armee  mit  ihrer  Janit- 
scharenmiisik  großes  Lärmen  machte,  nach  Pillnitz  zurück.  Am 
5.  Juni  nahm  das  militärische  General-  und  Haiiptexerziluim,  der- 
gleichen man  in  Sachsen  niemal cn  gesehen,  seinen  Anfang,  die 
Belagerer  rückten  zu  Wasser  und  zu  Lande  an  und  hatten  mit 
den  Türken,  welche  ausgefallen  waren,  ein  scharfes  Treffen  und 
Scharmützel,  bei  dem  bald  diese,  bald  jene  wichen.  Endlich 
faßten  die  Angreifer  festen  Fuß  und  eröffneten,  nachdem  durch 
Rekognoszierung  der  beste  Angriffspunkt  festgestellt  war,  die 
erste  Parallele.  Hierauf  wurden  Batterien  angelegt,  um  damit  die 
der  Belagerten  zu  ruinieren.  Am  10.  Juni  sollte  eine  Munitions- 
kolonne ins  Lager  gebracht  werden;  die  Türken  machten  jedoch 
dnen  Ausfall,  wurden  aber  von  der  Bedeckung,  die  sich  wendete, 
repoussieret  und  die  Munition  glücklich  ins  Lager  gierettei  Am 
folgenden  Tage  taten  die  Belagerten  abennals  einen  Ausfialli  trieben 
die  Angreifer,  die  sich  anfangs  sehr  desparet  gewehre^  in  die 
zweite  Fanllele  zurikck,  veisdiCttteten  diese  und  vernagelten  die 
dort  befindlichen  Kanonen.  Die  Türken  wutden  jedodi  abermals 
zurQdcgeworlen,  dte  Belagerer  stellten  die  zerstörten  Werke  wieder 
her,  so  daß  sie  am  14.  Juni  einen  Sturm  auf  die  Kontreeskarpe 
und  das  Ravdin  unternehmen  konnten,  der  auch  gelang.  Nunmehr 
worden  Batterien  zum  BrescheschieBen  gebaut  und  am  18.  Juni 
das  Feuer  mit  Mörsern,  Kanonen  und  halben  Kartaunen  begonnen, 
das  solchen  Erfolg  hatte,  daB  die  Belagerer  das  Fort  am  folgenden 
Tage  erstürmten.  Die  türkische  Garnison  sah  sich  genötigt,  auf 
einer  SchifRnrücke  auf  die  Insel  zurückzugehen.  Die  Brücke 
brachen  sie  hinter  sich  ab,  »wobei  zugleich  die  unter  einer  Edce 
des  Forts  angelegten  Minen  angezündet  und  fünfzehn  darauf 
ausgestellte  und  ausgestopfte,  mit  rechter  Montur  versehene 
Grenadiers  in  die  Lull  gesprenget  worden  sind".    Die  Belagerer 


Digitized  by  Google 


104 


Berahard  Wolf. 


schickten  sich  nun  90,  auch  die  Insel  zu  nehmen,  doch  warteten 
die  Tüiinn  den  Angriff  nicht  ab,  sondern  »haben  sich  im  Schüfe 
embarideiet  und  bei  ihrer  giewfthnlichen  Musik  retirieren  und 
davon  schiffen  wollen«.  Aber  die  i^vallerie  setzte  ihnen  nach 
und  hinderte  sie  am  Landen,  und  so  sind  denn  »solche  verkleidete 
Türken  letztlich  gezwungen  worden,  sich  als  Kriegsgefangene  zu 
eigeben*.  Zur  Feier  des  Sieges  wurde  am  22.  Juni  abends  g  Uhr 
dreimal  aus  allen  Kanonen  Viktoria  geschossen,  dazwischen  gab 
die  Kavallerie  und  Infanterie  gewAhuKchermaßen  Salven  ab,  und 
scblieBHch  wurde  um  1 1  Uhr  auf  der  erwähnten  Insel  zum  Zeichen 
des  erhaltenen  kompletten  Sieges  ein  Feuerwerk  abgebrannt  Ob 
dieses  Belaj^erungsnianöver,  das  gewiß  mit  sehr  erheblichen 
Kosten  ms  Werk  gesetzt  wurde,  größeren  iniiilarischen  Wert 
gdiabl  hat,  wage  ich  nicht  zu  entscheiden. 

Dieser  nach  Iccander  wiedergegebene  Bericht  findet  eine  sehr 
interessante  Bestätigung  durch  eine  Abhandlung  von  Hans 
Beschorner,  Die  Piilnitzer  Fest-  und  Manövertage,  Juni  1  725,  ver- 
öffentlicht in  dem  Organ  des  Gebir^vereins  für  die  sächsische 
Schweiz:  Über  Berg  und  Thal,  28.  Jaiirgan^,  Nr.  9.  Zugrunde  ge- 
legt sind  die  im  Oberhofmarschallarate,  im  Kriegsarchiv  und  im 
Hauptstaatsarcluv  beiiiidlichcn  Akten.  Nach  diesen  bildete  die  ge- 
schilderte Beiagerun.s^subung  einen  Teil  der  aroRarligefi  Festlich- 
keiten, die  August  der  Starke  bei  der  Vermählung  semer  Tochter 
Auguste  Constantia  Gräfin  von  Cosseli  mit  dem  Oberfaikenmeister 
Heinrich  Friedrich  Grafen  von  Friesen  veranstaltete.  Der  Gedanke 
zu  diesem  Manöver  stammte  vom  Könige  selbst,  »der  von  früher 
Jugend  auf  eine  ganz  besondere  Vorliebe  für  das  Kriegshandwerlc 
und  besonders  für  die  Belagerungskunst  hatte".  £s  sollte  auf  seinen 
ausdrücklichen  Wunsch  «dem  Ernste  gleichen  und  neben  dem 
Amüsement  zur  Informatiott  und  Instruktion  dienen*.  Der 
Übung  lag  nach  Beschomer  folgende  Idee  zugrunde:  Eine 
sächsische  Abteilung^  die  zu  einer  in  der  Türkei  kimpfenden 
Armee  gehörte^  erhielt  den  Auftrag,  die  an  der  Thanais  (Elbe) 
gelegne  Festung  Halk  Beckin,  in  der  ein  Bassa  A-trois-queues 
den  Oberbefehl  föhrle^  zu  erobern.  Die  KriegsroSBig^it  ging 
beim  Angriff  so  weit,  daß  selbst  Tote  und  Verwundete  markiert, 
Spicme  ausgeschidct  und  OeCuigene  gemacht  wurden«  So  wurde 


Digilized  by  Google 


SUaen  von  der  ehenudicen  knrrtdistidien  Annee. 


105 


z.  B.  am  8.  Juni  »dn  Odangener  aus  dem  Fort  vor  Ihro  Königliche 
Majcstt^  als  sie  bd  der  Tafd  wuen,  gebiadit  und  examinieret*, 
woduidi  der  Ho^geseUsdiafi  sidieriidi  nur,  wie  Ja  audi  tieabdditigt 
war,  ein  Amüsement  Iierdtet  werden  sollte.  Im  filmgen  vertief 
das  Manöver  in  der  gcsdiilderlen  Weise,  bis  am  19.  Juni  der 
Oenenüsturm  erfolgte.  Da  j*  vermHIds  Soutenierung  der  lOraonen  « 
die  St&rmenden  mit  größter  Herzfaafligkeit  vorgingen,  »so  konnte 
endlidi  der  Fdnd  ihren  sieghaften  und  geredifen  Waffen  nidit 
länger  widerstehen,  sondern  mußte  sdne  Festung  mit  Verlust 
unzählig  viel«*  Toten,  Blessierten  undOdangenen  ndsst  101  Canons 
und  6S  Mortters  veriassen«. 

Während  sidi  das  Reglement  von  1776  mit  dem  Exerzitium 
begnügt,  enthält  das  von  1753  noch  zwei  weitere,  ziemlich 
umfängliche  Kapitel  »vom  Dienst  im  leide  und  »vom  Dienst 
im  Lande  bei  der  Infanterie",  aus  denen  folgendes  erwähnenswert 
scheint.  Bei  der  Mobilisierung  wurde  allgemein  ein  erhöhtes 
Feldtraktament  gewährt  und  das  nötige  Geld  für  die  Anschaffung 
der  Bespannung  der  Provianiwagen  und  der  Packpferde  bewilligt, 
jede  Kompagnie  erhielt  vier  Pferde  für  den  Proviantwagen  und 
drei  zum  Transport  der  Zeltdecken  und  -Stangen  für  die  Mann- 
schaften und  der  GewThrmäntel,  die  also  auch  ins  Feld  mitgenommen 
wurden;  die  Zeltpfircke  mußten  die  Leute  selbst  tragen.  Die 
Medizinkästen  der  Kompagnien  und  Regimenter  wurden  von  den. 
Feldscheren  gefüllt,  ein  Stadt-  oder  Landphysikus  hatte  nachzusehen, 
daß  die  Medikamente  gut  und  in  der  erforderlichen  Menge 
vorhanden  waren.  AuBer  den  vorgeschriebenen  Montierungs-  und 
Equipierungsstücken  führte  der  Unteroffizier  vier,  der  Gemeine 
zwei  bis  drei  Hemden  mit  sich,  außerdem  jeder  eine  Zeltmütze. 
Nebelkappen,  Pelzmützen  und  Pelzhandschuh  waren  nicht  gestattet 
Die  Kompagnie  war  nach  der  Zahl  der  Zelte  in  Kameradschaften 
eingeteilt,  die  gemeinsam  kochten  und  die  Feldkessel,  Flaschen  und 
Zdtbeile  abwechselnd  trugen.  Ein  Regimentsfleischer,  dem  eine 
gewisse  Geldsumme  vorgeschossen  wurde,  lieferte  das  nötige  Fleisch 
zu  einer  vom  OeneraUudüeur  festgesetzten  Taxe,  »daß  der  Fleischer 
und  der  gemeine  Mann  dabei  bestehen  konnte".  Damit  sich  die 
I^meradschaften  mit  Speck,  Klse^  Butter,  Gewürz,  Zugemfise 
versehen,  auch  Bier,  Branntwein  und  Essig  haben  und  die  Offiziere 


Digitized  by  Google 


106 


Bemhanl  Wolf. 


gespeist  werden  konnten,  befimd  sich  beim  Slabe  und  bei  der 
Kompagnie  je  ein  Marintender,  der  adne  Waren  ebenfalls  zu  einem 
iestgesetzten,  mäßigen  Preise  verkaufen  mußte.  Er  wu*  auch  ver- 
pflichtet, dem  Obersten  und  Major,  den  Kapitänen  und  Adjutanten 
sowie  dem  Profos  eine  bestimmte  Abgabe,  Schutzgeld  oder  Stedi- 
mafi  genannt,  zu  entrichten.  »Damit  aber  der  Marketender  nicht 
genötigt  werde,  sich  an  dem  gemeinen  Manne  zu  erholen,  so 
sollen  diese  GeieclUigkeiteii  bei  Verlust  derselben  so  viel  möglich 
niüderieret  werden."  Wie  hoch  sich  tiicscs  Schutz^eld  belief,  ver- 
schweigt das  Reglement,  doch  bietet  das  von  Regal  einen  Anhalt, 
das  ja,  wie  erwähnt,  auch  eine  Zeitlang  bei  der  kiirsäclisi sehen 
Armee  in  Geltung  war.  Danach  erhielt  der  Major  vom  >\\arke- 
tender  monatlich  6  Gulden,  von  jedem  Stück  Vieh  5  Groschen  und 
die  Zungen,  die  also  wohl  als  Leckerbissen  galten,  oder  dafür  nach 
dessen  Belieben  ebenlaJis  5  Groschen.  An  den  Oberst  und  Oberst- 
wachtmeister mußten  die  Marketender  monatlich  12  Gulden  be- 
zahlen, außerdem  von  jedem  Ochsen  und  jeder  Kuh  1  Gulden. 
Was  die  Kapitäne,  Adjutanten  und  der  Profos  au  Schutzgeld  er- 
hielten, wird  nicht  gesagt,  jedenfalls  aber  hatte  der  Marketender 
ganz  beträchtliche  Abgaben  zu  leisten,  wofür  er  sich  nur  an  den 
Soldaten  schadlos  halten  konnte. 

Obwohl  das  Reglement  ganz  besonders  betontp  daß  bei 
einer  Armee  nichts  beschwerlicher  sei  als  die  Bagage,  so  war,  mit 
modernen  Verhältnissen  verglichen,  der  Troß  ungeheuer  groß. 
Es  wurden  nämlich  dem  Obersten  gestattet:  eine  Karosse,  eine 
Küchenkaiesche,  sechs  bis  acht  Packpfeide  oder  Esel,  vier  Reit- 
pferde, dem  Oberstleutnant:  eine  Paddealesche^  vier  Packpferde, 
drei  Reitpferde,  dem  Major:  eine  Kalesdie,  zwei  Pack-,  drei  Reit- 
pferde^ dem  Kapifin  vier  PAck-  und  drei  Reitpferde.  Sftmflichen 
Offizieren  war  es  ohne  besondere  Erlaubnis  verboten,  ihre  Ehe- 
konsortinnen  mit  ins  Feld  zu  nehmen,  dodi  konnten  liei  jeder 
Kompagnie  fünf  bis  sechs  Weiber,  »so  sich  zum  Waschen  und 
Krankenwarten  schicken«,  mitgenommen  werden.  Sie  wurden  auf 
dem  Marsche  vom  Profos  geführt.  Bezog  die  Armee  ein  Lager, 
so  stand  es  unter  dem  Befehle  des  Qeneralleutnanls  du  jour, 
dessen  Obliegenheiten  aufs  genaueste  angegeben  weiden.  Viel 
bedeutsamer  war  jedoch  die  Stellung  des  Qenendquartiermetsters, 


biymzed  by  Google 


Skizzen  von  der  efacnuligen  kurslchsischen  Annee. 


107 


die  Im  ganzen  der  des  heutigen  Oenerabiatischefe  entgeht 
«Seine  Chafige  ist  diejenige  von  der  'g;anzen  Armee,  die  am 
meisten  Arbd^  Aktivifll^  Erfiüirang  und  Klugheit  erfordert« 
Vornehmlich  wurde  von  ihm  veriangt  Kenntnis  des  Landes^  der 
Wege  und  der  besten  Karteni  mit  denen  er  versehen  aehi  mufif^ 
um  danuts  seine  EntsdilOsse  voriäufig  fassen  zu  Icftnnen.  Er 
bcsa0  »das  Oehdmnis  und  das  Vertrauen  des  Generals an  den 
er  lediglich  gewiesen  war.  Auch  die  Generaladjutanten  nahmen 
verantwortungsreiche  Stellungen  ein.  Sie  sollten  in  früheren 
Kampagnen  gelernt  haben,  von  einem  Tcrrain,  einer  Situation 
oder  Passage,  von  der  Postieriing  und  DisposUion  drr  Kcidwachen 
und  Infanlericposten  Rapport  abzustatten.  Unermüdet  hatten  sie 
sich  mit  allen  Wegen  und  Fußstegen,  Furten,  Brücken,  Dör- 
fern usw.  bekannt  zu  inachen,  um  ihre  Generäle  oder  deren  Brigaden 
lühren  zu  können;  zu  ihren  Aufgaben  gehörte  es  auch,  über 
die  Befehle,  Details,  Rapporte  und  Dispositionen,  die  durch  sie 
gegangen  waren,  richtige  Journale  zu  führen.  Neben  den  genannten 
Ofli/.ieren  und  dem  General wagenmeistei;  dessen  Obliegenheiten 
et)enfalls  genau  vorgeführt  werden,  sei  noch  der  Gencralgewaltige 
erwähnt,  der  als  Genern!profos  schon  bei  den  Landsknechten 
in  gefurch tetem  Ansehen  stand.  Auf  dem  Marsche,  oder  wenn 
er  sonst  ausging,  begleitete  ihn  eine  starke  Eskorte,  bestehend 
aus  einem  Leutnant,  zwei  Korporalen  und  vierundzwanzig  bis 
dreißig  Pferden.  Er  hatte  außerdem  einen  Feldprediger  und 
einen  Henker  bei  sich  und  war  instruiert,  wie  er  gegen  die 
Marodeure  verfahren  sollte.  Auf  dem  Marsche  war  er  an  den 
Generalmajor  du  jour,  mit  der  Instruktion  der  auszuübenden 
Justiz  an  den  Genenüauditeur  gewiesen.  Im  Hauptquartier  war 
er  dem  Generalquartiermeister  unterstellt  Zu  seinen  Visttierronden 
wurden  ihm  Mannschaften  gestellt,  um  etwa  Cxzedierende  in  Ver- 
haft  nehmen  zu  kOnnen.  Scfaliefilich  erhielt  er  noch  eine  be- 
sondere Instruktion,  was  für  eine  Ordnung  und  Polizei  er 
zur  Erleichterung  der  Zufuhr  für  die  Marketender,  Traiteure, 
Kaufleute  und  dergleichen  Personen  observieren  sollte. 

Es  folgen  nun  sehr  eingehende  Bestimmungen  über  die 
Einriditung  eines  Lagers,  über  Formierung  der  Wachen  u.  a.  m. 
Sehr  umsOndlich  verfuhr  man  nachts  bei  der  Visitierung  der 


Digitized  by  Google 


10S 


fienihani  Wolf. 


Wachen  und  Posten,  die  nach  Mitternacht  und  vor  der  Reveille 
erfolgte.  Der  Offizier  der  Ronde  nahm  von  der  Fahnenwache 
als  Begleitung  einen  Unteroffizier  und  vier  Mann  mit  sich.  Hatte 
er  sich  dem  Posten  vor  Gewehr  (im  Reglement  heißt  es  stets 
die  Post)  bis  auf  dreißig  Schritte  genähert,  so  rief  ihn  dieser  an. 
Der  Offizier  antwortete:  Ronde.  Die  Schildwache:  Steh,  Ronde! 
Gefreiter  heraus!  Wacht  ins  Gewehr!  Der  Gefreite  erschien  mit 
zwei  Mann,  forderte  mit  Präsentierung  des  Bajonetts  auf  die  Brust 
der  Ronde,  wflhrend  diese  die  Spitze  des  bloßen  Degens  auf  die 
Brust  des  Oefrdten  setzte^  das  Feldgiesduei  und  fragte  dann: 
Wer  tut  die  Ronde?  Hierauf  ging  er  mit  dem  RondeofGfier  auf 
die  Wadie  zu,  und  der  Unteroffizier  rief:  Wer  da!  Der  Offizier 
antwortete:  Kapitftn  von  der  Inspektion.  Der  Unteroffizier  ging 
nun  einige  Sdiritte  vor,  verlangte  »mit  Setzung  des  Kurzgewehrs 
auf  die  Brust  des  Offiziers  und  dieser  mit  Setzung  des  bto6en 
Degens  auf  die  Brust  des  Unteroffiziers«  nochmals  das  Fddge* 
schrei  und  gab  dann  die  Parole.  Nachdem  der  Offizier  die 
Wache  inspiziert  hatte,  brachte  ihn  der  Oefreite  zu  seiner  Be- 
gleitmannschaft zurfldc  Ohne  zweimaliges  Prisentieren  ging  es 
auch  bei  dieser  Gelegenheit  nicht  ab.  Mittags  und  mitternadits 
nach  der  Scharwache  traten  alle  Wachen  ins  Oewehr,  nahmen  die 
Hüte  ab  und  beteten  ein  Vaterunser;  dazu  wurde  Kirdienparade 
geschlagen.  Auch  sonst  wufde  im  Lager  fOr  die  religiöse  Erbauung 
der  Leute  gesorgt.  Zweimal  täglich,  vormittags  nach  Ablösen 
der  Wache  und  nachmittags  eine  Stunde  vor  der  Retraite,  fand 
Bctstiinde  statt,  zu  der  die  Mannschaften  in  bequeinem  Anzüge 
antraten.  Alle  Sonntage  nach  dem  Ablösen  der  Wachen  wurde 
vor  dem  Zelte  des  Obersten  Gotlisdienst  gehalten,  der  eine  Stunde 
nicht  überdauern  sollte;  alle  Ofiiziere  hatten  ihm  bci/uuolinen. 
Die  Gesänge  konnten  von  den  Hautboisten,  regelmäßig  Hautbois 
genannt,  begleitet  werden.  Dem  Feldprediger  war  es  erlaubt, 
nach  der  Predigt  ein  Retken  auszusetzen,  in  das  jeder  nach  Be- 
lieben etwas  einlegen  konnte. 

Um  nicht  zu  ausführlich  zu  werden,  müssen  die  folgenden 
Abschnitte  des  Reglements,  die  von  den  Fouragierungen,  Feld- 
wachen und  auswärtigen  Posten,  von  den  Detachements,  Parteien 
und  Postierungenf  von  den  Wagenkolonnen,  der  Bedeckung  der 


Digitized  by  Google 


SkfaM  ¥on  der  dienaUgn  kunldnisclun  Amwe.  109 


Bigigp  usw.  handdüi  flba^gvisen  werden,  dag^n  sind  dte 
»von  einer  Batailte"  hindelnden  Bemerkungen  enlBdiieden  einer 
EfwShnung  wert,  da  sie  die  ganze  Art  der  damaligen  Krieg- 
führung chanlrterisierai.  Es  heißt  da  wörtlich:  »Eine  Bataille 
ist  die  wichtigste  und  gdShrlichste  Kriegsoperation.  In  einem 
offenen  Lande  ohne  Festung  kann  der  Verlust  derselben  so 
dezisiv  sein,  daB  sie  selten  zu  wagen  und  niemals  zu  raten  ist 
Die  größten  Generals  stehen  billig  an,  sie  ohne  dringende 
Ursadien  zu  geben.  Alle  nur  erslnnlidie  gute  Anstalten  können 
den  Oewinst  nicht  versichern.  Ein  kleiner  Fehler,  ein  unver- 
meidlicher ZuM  kann  sie  verlierend  machen.  Es  ist  demnadi 
aus  dem  Oewinst  und  Verlust  einer  Bataille  von  denen  Ver- 
diensten des  Generals  kein  sicheres  Urteil  zu  ßllen.  Die  Kriegs- 
erfahrenen richten  ihn  nach  seinen  Anstalten  und  nicht  nach  dem 
glücklichen  oder  unglücklichen  Ausschlag  der  Aktion."  Und  an 
einer  anderen  Stelle:  »Es  ist  bewiesen,  daß  mehr  Kräfte  des 
Verstandes,  Standhaftigkeit,  Erfahrung  und  Geschicklichkeit  er- 
fordert werden,  eine  dezisive  Aktion  ohne  Verlust  zu  vermeiden  als 
zu  suchen.  Das  Meisterstück  eines  großen  Generals  ist,  den  End- 
zweck einer  Kampagne  durch  scharfsinnige  und  sichere  Manoeu- 
vres  ohne  Gefahr  zu  erhalten."  Die  Quintessenz  der  ganzen 
damaligen  Knegsweisheit  sehen  wir  hier  schwarz  auf  weiß  vor 
uns:  nicht  die  Entscheidung  durch  eine  Schlacht  suchen,  sondern 
die  Schlacht  vermeiden  und  durch  wohl  durchdachte  Bewei^um^en, 
worauf  ja  liberhaupt  das  ganze  Exerzitiuni  zuj^eschnittcn  war, 
Vorteile  über  den  Eeind  gewinnen.  »Der  Kern  der  wissenschaft- 
lichen Lehre  vom  Kriege  wurde*,  wie  v.  d.  Goltz,  Wissenschaft 
und  Militärwesen  sagt,  »nicht  mehr  in  der  Vernichtung  der  feind- 
lichen Streitkräfte,  sondern  in  fein  ersonnenen  Bewegungen 
gesucht*  Daher  war  auch  der  Eindruck  von  Friedrichs  des 
Großen  Erfolgen  so  gewaltig,  weil  er  sie  gerade  durch  diejenigen 
Mittel  erreichte,  die  man  damals  allgemein  für  verfehlt  hielt; 
denn  nicht  nur  in  Kursachsen  war  die  Meinung  vertreten,  daß 
geschicktes  und  kflnstliches  Manövrieren  der  einzige  Weg  sei, 
um  den  Kriegszweck  zu  erreichen.  MerkwQrdigerweise  gelangle 
dieses  System  nach  Friedrichs  Tode  selbst  in  Preu6en  wieder 
zur  Herrschaft,  und  es  blieb  hier  wie  anderwärts  bestehen,  bis  es 


Digitized  by  Google 


110 


Bomhanl  Wolf. 


in  der  Katastrophe  von  Jena,  in  die  ja  auch  die  Ininidisische 
Annee  verwickelt  war,  zerspiengt  wurde  und  der  pieufiische 
General  von  Ctausewitz  in  seinem  wissenschaftlich  wie  literarisch 
gleich  bedeutenden  Werke  «vom  Kriege«  die  bisher  üblich  ge- 
wesene pedantische  Manövrierfcunst  beseitigte  und  der  Kriegs- 
IQbrung  neue  zeigte. 

Der  vierte^  das  Reglement  abschlicBende  Teil:  Vom  Dienst 
im  Lande  bei  der  Infanterie  handelt  sehr  ausführlich  vom  Garnison* 
dienst,  der  im  ganzen,  wenn  auch  mit  der  dem  achtzdinlen  Jahr- 
hundert eigenen  Umständlichkeit  in  der  noch  heute  äblidien 
Form  ausgeübt  wurde.  Hinsichflidi  des  Anzuges  wiid  bestimmt, 
dafi  im  Sommer  und  an  Sonn-  und  Festtagen  in  weißen,  im 
Winter,  und  wenn  nichts  anderes  befohlen  ist,  in  schwarzen 
Gamaschen  auf  Wache  gezogen  werden  soll.  Die  Zahl  der  Wach- 
mannschallen erscheini  ziemlich  hoch.  So  wurden  z.  B.  in  Gar- 
nisonen in  der  Stärke  eines  Regiments  auf  die  Haupt^^ache 
kommandiert:  ein  Kapitän,  ein  Subalternoffizier,  mindestens  sechs 
Unteroffiziere,  ein  Pfeifer,  zwei  Tamboure,  achtzehn  Grenadiere 
und  fünfzig  bis  sechzig  Gemeine.  Zum  Teil  erklärt  es  sich  da- 
her, daß  außer  vor  dem  Obersten  auch  vor  den  drei  übrigen 
Stabsoffizieren,  dem  Oberstleutnant  und  den  beiden  Majoren, 
Posten  standen  und  diesen  sowohl  wie  den  beiden  i'Uijutanten 
Ordonnanzen  zugewiesen  waren 

Früh  um  nenn  Uhr  sammelten  sich  die  auf  Wache  kom- 
mandierten Mannschaften  jeder  Kompagnie  vor  dem  Quartier 
ihres  Kommandanten.  Hier  wurden  sie  durch  die  Offiziere  be- 
sichtigt, die  sie  auch  einige  Tempos,  d.  h.  Griffe  machen  ließen, 
besonders  diejenigen,  „die  in  der  Chargierung  vorfallen".  Ein 
Unteroffizier  führte  die  Leute  dann  vor  die  Wohnung  des  Majors, 
die  Kompagnieoffiziere  aber  ließen  unterwegs  einige  Male  linlcs 
und  rechts  schwenken,  »daß  die  Leute  darinnen  in  beständigier 
Übung  bleiben«.  Mittlerweile  hatten  sidi  audi  die  Offiziere  von 
der  Wadie  und  der  Inspektion  bei  den  Stabsoffizieren  gemeldet, 
und  die  gesamte  Wache  maischierle  nun  vor  dem  Quartier  des 
Obersten  auf.  Je  nachdem  dieser  es  bestimmte^  madite  die  Wadie 
noch  einige  Manöver  und  marschierte  einmal  oder  mehrere  Male 
mit  Mingendem  Spiele  in  Parade  herum,  oder  es  wurde  sofort 


Dlgltized  by  Google 
U         !  II 


Skizzen  von  der  ehemaligen  kursächsischen  Armee.  itl 


nach  Einteilung  der  Posten  zur  Ablösung  abmarschiert.  Diese 
erfolgte  im  ganzen  so,  wie  es  noch  heute  Brauch  ist.  Die  neue 
Wache  marschierte  entweder  links  von  der  alten  auf,  so  daß  also 
beide  Wachen  in  einer  Linie  standen,  oder  die  alte  verließ  ihren 
bisheriii;en  Platz  und  stellte  sich  der  neuen  g^e^enüber  auf.  Die 
Offiziere  nahmen  beim  Ablösen  vor  einander  die  Hüte  ab. 

Besondere  Bestimmungen,  zumal  in  Festungen,  erheischten 
die  Torwachen  hinsichtlich  der  Öffnung  und  Schließung  der 
Tore,  des  Herunterlassen s  der  Zugbrücken,  der  Barrieren  und 
Schlagbäume,  der  Behandlung  der  das  Tor  passierenden  Fremden. 

Bei  Tage  und  bei  gutem  Wetter  sollte  sich  die  Wache 
größtenteils  außerhalb  der  Stube  aufhalten,  um  beim  Herausnif 
hurtig  ins  Gewehr  treten  zu  können.  Niemand  durfte  sich  von 
der  Wache  entfernen  noch  nach  dem  Zapfienstreiche  beurlaubt 
weiden.  Wenn  dieser  geschlagen  war,  hatte  sich  jeder  seine 
Haare  —  es  war  die  Zeit  des  Zopfes  ~  wohl  einzuwickeln. 

Strenger  Aufsicht  waren  sdbstversttndlich  die  auf  der  Haupt* 
wache  untergebrachten  Arrestanten  unterworfen.  Die  Schild- 
wachen  hatten  darauf  zu  achten,  daß  sich  ihnen  niemand  näherte 
und  mit  ihnen  spradi.  «Sie  lassen  nicht  zu,  daß  sie  sich  besaufen." 
»Wenn  ein  Arrestant  an  einen  heimlichen  Ort  gebracht  wird,  soll  ein 
Korporal  und  zwei  Mann  mit  aufgestoßenem  Ehijonett  dabei  sein.« 

Oleich  nach  dem  Zapfenstreich  gingen  Patrouillen  in  alle 
Schenk-  und  Bierh&user  -  die  sog.  Bierpatrouillen  -  und  jagten 
die  gemeinen  SokUten  in  ihre  Quartiere.  Eine  Stunde  später 
geschah  dasselbe  nochmals,  und  dabei  wurde  alles,  was  sich  vom 
Regimente  betreten  ließ,  Unteroffizier,  Gemeiner  oder  Offiziers- 
knecht, arretiert  In  der  Nacht  wurden  die  Wachen  mehrmals 
revidiert;  Majore  und  Stabsoffiziere  konnten  die  Ronde  zu  Pferde 
tun,  mußten  aber,  wenn  sie  angerufen  wurden,  absteigen  ,,und 
die  hxaniination  zu  f  aß  erwarten«.  Die  Reveille  wurde  mit  an- 
brechendem Tage  geschlagen,  der  Zapfenstreich  vom  Oktober 
bis  April  um  acht,  die  übrigen  Monate  eine  halbe  bis  eine  Stunde 
später,  spätestens  aber  um  zehn  Uhr.  In  beiden  Fällen  trat  die 
Wache  ins  Gewehr.  Bei  f^euerlärm  blieb  auf  der  Hauptwache 
nur  ein  Unteroffizier  und  der  Posten  bei  den  Arrestanten,  an 
den  Toren  eine  Schildwadie  zurück,  alle  übrigen  gingen  in  die 


Digitized  by  Google 


112 


Bernhani  Wolf. 


Quartiere  und  holten  ihre  Sachen.  In  einer  Viertelstunde  mußten 
sie  wieder  auf  ihren  Posten  sein,  in  derselben  Zeit  hatte  sich  die 
Garnison  auf  dem  Alarmplatze  zu  sammeln.  Bei  großer  Oe&üir 
mußten  auch  sofort  die  Fahnen  geholt  werden.  Die  n<Migen 
Leute  wurden  zur  Hilfdcisbing  abgeschickt;  dabei  sollte  auf  die 
Sicherheit  dcrMontieningsiEammem  gedacht  und  weder  das  kurfürst- 
liche Interesse  noch  das  allgemeuie  Beste  veisiumt  werden.  Die 
Offiziere  sollten  die  ersten  auf  dem  Platze  sdn;  fehlten  sie  nach 
der  festgesetzten  Zeit,  hatten  sie  Arretur  zu  gewirtigen.  Fehlende 
Unteroffiziere  und  Qemdne  wurden  ebenfalls  arretiert,  Jene  auf 
die  Scfaildwache  gesetzt,  diese  zwölfmal  durch  200  Mann  Spieß- 
ruten gejagt 

Die  letzten  Absdinitte,  die  t)esonders  von  den  Strafen 
handeln,  werden  im  dritten  Teile  dieser  Skizzen  noch  ausfiOhr- 
lieh  zu  behandeln  sein.  Das  Reglement  schlieBt  mit  einigen 
Bemerkungen  darat)er,  wie  es  ausgaben  und  verwahrt  werden 
soll.  Jeder  Offizier  efhielt  es  sofort  bd  sehiem  Eintritte  in  dfe 
kursSchsische  Armee  aus  der  Hand  des  Obersten  zu  sehier 
»beständigen  Lektüre  und  Meditation«.  Er  hatte  die  Pflicht,  es 
wohl  zu  verwahren  und  keinem  Offizier  aus  fremden  Diensten 
oder  jeiiiaiidem,  dem  es  nicht  zu  wissen  und  zu  schert  nötig,  zu 
kommunizieren.  Abgehende  Offiziere  mußten  das  Reglement 
aushefern,  beurlaubte  es  dem  nächsten  Vorgesetzten  übergeben. 
Wer  es  verlor,  wurde  zur  Verantwortung  gezogen.  In  Kraft  ge- 
blieben ist  dieses  Exerzierreglement  von  1  753  bis  zum  Jahre  1810, 
wo  die  gewaltigen  politischen  Umwälzungen  eine  gründliche 
Umgestaltung  der  gesamten  Heereseinrichtungen  auch  in  Sachsen 
zur  Folge  hatten. 

(Schluß  folgt). 


Digitized  by  Google 


Besprechungen 


Theodor  riirtiliiiii,  Kints  Raatentheorie  und  ihn  bleibende  Be- 
deutung. Ein  Nacfatras  zur  Kuit-Oediditnisfeier.  Ldpadg»  W.  Cngelouuin, 

1904.   (52  S.) 

Bei  der  Bedeutung,  die  Kant  für  das  geistige  Leben  der  Gegenwart 
wieder  neu  zu  gewinnen  scheint,  ist  die  vorliegende,  klare  und  inhalts- 
reiche Schrift  für  uns  um  so  mehr  von  Interesse,  als  sie  an  einem,  heute 
lebhaft  erörterte  Fragen  beriihrenden  Problem  die  sonst  weniger  bnchtele 
Bedeutung  des  Philosophen  als  Naturwissenschaftler  für  die  Prinzipien 
der  Erforschung  und  Erklärung  der  Natur,  der  Welt,  behandelt.  Die 
Ra^entheorie  ist  für  den  Yerfr^sser  nur  der  Ausgangspunkt,  um  von  ihm 
ans  die  Onindzüge  der  Kantischen  Naturanschauung  zu  entwickeln.  Er 
stellt  den  Kantischen  Begriff  der  Rasse  im  Gegensatz  zu  verwandten  Be- 
griffen wie  Art,  Varietät  u.  a.  dar,  sowie  seine  Theorie  von  der  Lnt- 
stehung  der  (4)  verschiedenen  Menschennssen.  Das  Wesentliche  dieser 
Ansdiauung,  die  bleibende  Bedeutung  von  l^ts  Raasentiieorie,  liegt  aber 
in  dem  Verhältnis  von  JMeChanisnius  und  Teleologie,  von  Kausalerkllning 
und  Zweckbelrachtung.  Beide  Betrachtungsweisen  der  Dinge  laufen  ein- 
ander parallel;  aber  soweit  auch  die  mechanische  Erklärung  -  bei  immer 
fortschreitender  Forschung  und  Erkenntnis  -  zu  gehen  verm^?^^  letzten 
Endes  führt  unser  Vernunlibedurfms  zur  bctzung  von  Zwecken,  denen 
das  mechanisdie  Geschehen  dient;  «die  Anlage-  des  Wdtganzen  wird 
gedeutet  in  dn  Reich  der  Zwecke«.  Wie  sich  diese  umfassenden  Oe> 
danken  tus  seiner  Annahme  der  Entstehung  der  Ra^n  aus  einer  mensch- 
lichen Stammgattung,  in  der  —  nach  seinem  Begriff  der  Rasse  die  An- 
lage zu  allen  den  charakteristischen  Verschiedenlieiten  ursprünglich  vor- 
handen gedacht  werden  muß,  herausschälen,  kann  hier  nicht  u-eiter  ang^e- 
deulet  werden.  Es  liegt  aber  darm  die  Vorausnahme  dei  modernen 
Entwiddungslehre. 

Rosen  feld. 


Aiddv  Mr  KuHmieMlridile.  V.  8 


Digitized  by  Google 


114 


Desprachungeii. 


Franz  Hemnann,  Die  GeschichtsauffassuntT  Heinrich  Ludcns  im  Lichte 
der  gleichzeitigen  geschichts-philosophischen  Strömungen  (Oeschichtliclie 
Untersuchungen  herausg.  von  Karl  Lamprecht,  2.  Bd.,  3.  Heft).  Gotha, 
F.  A.  Perthes,  1904.  (IX  u.  125  S.) 

Der  Verteer  will  dantelleii,  wdcbe  Auffusmig  von  der  Geschichte 
in  Luden»  Psyche  sich  gebildet  hatte,  bedingt  durch  die  vonufgeguigenen 
geschichts-wissenschafttidien  Aufbssungen  und  die  neuen  Anschauungen 
der  Philosophen  und  Historiker  seiner  7e!f  So  bespricht  er  in  großen 
Zügen  -  und  daher  natürlich  viel  Bekanntes  und  Allgemeines  wieder- 
holend —  die  »psychisdie  Gesamthaltung«  des  »rationalistisch -individua- 
listischen" (d.  h.  der  Aufklärung),  des  «jungen  und  klassischen  sub- 
jelctivistischen«  Zeitalters  (d.  h.  der  Empfindsamiwit,  des  Sturmes  und 
Druiges  und  der  idasslschen  Llteraturepoche),  endlich  des  »absoluten 
Subjektivismus«  (d.  h.  der  Romaritik)  und  den  Ausdruck  dieser  sedtschen 
Qrundstimmungen  in  den  zeitgenössischen  geschichtlichen  Anschauungen 
mit  besonderer  Berücksichtigung  von  Herder,  Kant  und  Schelling.  Der 
letztere,  der  »typisclie  Repräsentant  nidit  nur  der  neuen  idealistischen 
Philosophie,  sondern  der  neuen  psychischen  Haltung  überhaupt",  ist  es 
nach  des  Verftosers  Darlegung,  dessen  Orandauffassung  vom  Wesen  der 
Oesdilf^te  (als  fortsdueitender  Offenbarung  des  Absoluten)  am  stärlcsten, 
ja  durchaus  Ludens  Auffassung  von  seiner  Wissenschaft  bestimmt  hat 
Nicht  ohne  Geschick  weiß  der  Verfasser  diesen  immer  aufs  neue  hervor- 
gehobenen „Reflex"  der  Schellingschen  Geschichtsphilosophie  in  Ludens 
allgemeiner  philosophischer  Grundansicht,  in  seinen  Meinungen  über  die 
Geschichte  als  Wissenschaft,  über  ihr  Verhältnis  zu  anderen  Erkenntnis- 
gebieten und  ilber  die  historische  Darstellung  aus  seinen  Schriften  zu 
belegen;  auch  andere  gleichzeitige  Geschichtsschreiber  desselben  Anschau- 
ungskreises zieht  er  häufig  heran. 

Wir  wollen  mit  dem  lebendig  imd  gewandt  geschriebenen  Büch- 
lein, das  von  Belescnheit  und  regem  philosophischen  Interesse  zeugt, 
nicht  im  einzelnen  rechten,  auch  den  Grundgedanken,  das  Andenken  an 
einen  heut  vergessenen,  einst  weit  bekannten  Geschichtsschreiber  dadurch 
zu  erneuern,  daß  uns  seine  Abhängigkeit  von  der  bewegenden  philo- 
sophischen IMtung  seiner  Zeit  -  einer  philosophisch  so  interessierten 
Zeit  seine  Einordnung  in  ihren  allgemeinen  Ansdiauungs-  und  Aus- 
druckskreis vorgeführt  wird,  durchaus  gelten  lassen.  Aber  kehren  wir 
nach  der  gewiß  anregenden  Lektüre  der  Schrift  zu  den  etwas  prätentiös 
klingenden  Sätzen  der  Einleitung  zurück,  die  uns  belehren,  daß  das  allein 
Erkennbare  in  der  Geschichte  nicht  das  Leben  der  Einzelperson,  sondern 
ihr  geistiger  Nachtaß  -  soweit  Überkommen  -  sei,  und  daß  die  nach 
demsellien  zu  vollziehende  Einordnung  der  Qnzelperson  in  die  «national- 
psychischen  üntwicklunpstufen*  allein  unanzweifelbsre,  nicht  mehr  hypo- 
thetische Frgebnisse  liefere,  so  liegt  es  nahe  zu  fragen,  ob  die  vorliegende 
Schrift  diesem  klangvollen  FYogramm  entspricht.  Äußerlich  gewiß.  Aber 


Digitized  by  Google 


Besprechungen. 


115 


lohnt  dann  die  bloöe  Einschachtelung  in  einen  Ismus  wirklich  die  Mühe? 
Der  sü  eiiiseitiy  prononcierle  Oedanke  hat  doch  seine  Gefahren  für  die 
Wahrheit,  audi  diese  Schrift  zeigt  es.  Das  System  der  Anschauung  Ludens 
nag  im  allgmiciiwn  richtig  erfiiBt  sein;  stutiig  wird  uns  madwn,  dafi 
dne  Wertung  der  einzelnen  Eraengnisse,  die  uns  den  ceMgen  NachlaB 
Ludens  bieten,  nach  ihrer  zeitlichen  Bedingtheit,  nach  ihrer  Stellung  in 
Ludens  eigener  Entwicklung  nicht  stattfindet.  Mit  derselben  Be>xeiskraft 
führt  der  Verfasser  aus  der  Vorrede  des  4.  Bandes  der  „Geschichte  des 
teutschen  Volkes"  den  Ausschnitt  an«;  dem  unp:edruckten ,  von  Luden 
selbst  so  ironisch  beiiandelten  Jugendaufsatz  wie  seine  spateren  Be- 
tiaditungai  dazu  an.  Der  Humor  der  kOstlicb  biedern  Unlerfialtung 
mtt  Johannes  Mfliler  muß  dabei  Idder  unter  den  Tisdi  fallen.  Und 
dazu  —  der  Verfasser  scheint  es  ja  selbst  zu  empfinden  — ,  was  Luden  so 
populär  gemacht  hat  (namentlich  seine  »Geschichte  des  teutschen  Volkes' 
und  seine  Vorlesungen  darüber),  der  nationale  Sinn,  die  volkstümliche 
Begeisterung,  das  hat  in  der  nach  des  Verfassers  Meinung  im  höchsten 
Oradc  iiarmonischen  Oesamtauffassung  Ludens  eigentlich  gar  kdnen  Platz, 
jedenfalls  hat  es  mit  der  philosophladicn  Fundamentierung  sdner  Oe> 
sdiidilaauffBasung,  von  der  diese  Sdirift  handdt,  hendidi  wenig  zu  tun. 
So  reicht  die  Einordnung  in  die  »nationalpsychische  Entviddungastufe' 
offenbar  nicht  recht  aus,  um  Wesen,  Geist  und  Wirkung  zu  erfassen.  — 
Und  schließlich  wird  der  so  Eingeordnete  zum  „typischen  Repräsentanten», 
in  diesciTi  Fall  »der  üeschichtsauffassung^  des  absoiuteti  Sui^jcktu  istnus". 
Wir  stellen  dahin,  ob  Luden  das  wirklich  ist,  und  ob  man  gar  noch  so- 
wohl Ranke  wie  Oervinus  «zum  TeH«  nut  üncr  OcsdiiditsauHnBung  auf 
ihm  vbasiercn«  lassen  kann.  Hier  sdidnt  die  antiindividualistisdie  Oe- 
sdüditsaufteung  des  Verfassers  ihrer  sdbst  zu  spotteni  ohne  es  zu  merken. 

Rosenfeld 


WalbaUa.   Bfldierd  fifar  vateriändlsdie  Oesdildite,  Konst  und 

Kulturgesdiidite,  begründet  und  herausgegeben  unter  Mitwirkung  von 
Historikern  und  Künstlern  von  Ulrich  Schmid.  Bd.  I  u.  IL  Mflndien, 

Oeorj^  D  W  Callwey,  1^05  und  vm.  (151  u.  21?  S.) 

Die  hertchtiL,Miiij.^  dieser  neuen,  nicht  al^  Zeitschrift,  sondern  als 
periodisch  ersdieinendes  Buch  gedacliteu  Publikation  liegt  in  ihrem  vater- 
ttndlsdicn  Onnkter  sowie  in  der  Absidit,  auf  wdtere  lOdse  zu  wirken, 
de  durdi  Hhilenkung  auf  die  nationale  Vergangenhdt,  auf  die  deutsdiett 
Leistungen  in  Kunst  und  Kultur  in  ihrer  nationalen  und  geadiiditlidien 
Bildung  zu  stärken.  Denn  ein  Bedürfnis  nach  einem  neuen  kunst- 
oder  kulturgeschichtlichen  wissenschaftlichen  Orj^^r^n  besteht  in  keiner 
Weise.  Jene  lobensuertc  Absicht  aber  mtiB  nocii  btÄser  dürch^^Tofuhrt 
werden,  als  es  in  den  beiden  vorliegenden  banden,  deren  Inhalt  im  übrigen 

8* 


Digitized  by  Google 


116 


Besprechungen. 


als  interessaat  und  vielseitig  anerkannt  Verden  soll,  godridtt.  Die  Bei- 

ti%e  bleiben  zum  Teil  etwas  hinter  dem  zurück,  was  man  von  einer 
sich  hohe  Ziele  ?-teckenden  Ptiblikation  fordern  soll.  Ich  urteile  so  in  der 
Voraussetzung,  daß  f  lerausgeber  und  Verleger  sich  nicht  mit  einem  mittel- 
mäßigen Niveau  begnügen  wollen,  ich  habe-  dabei  audi  keineswegs  das 
popularisicKBde  Bcmcnt  ab  minderwertig  un  Auge.  In  Gegenteil,  ich 
kfimilc  mir  AnfiAtse  lurvomgender  Factagckkrlcr  denken,  die  unter  Vcnidit 
auf  allen  Apparat  doch  auf  der  Höhe  der  heutigen  wiaBenschaftlichen 
Forschung  stehen  imd  zugleich  in  anziehender  Darstellung  weitere  Kreise 
belehren  und  vaterlandisch  erziehen  helfen.  Oerade  übrigens  der  einzige 
Beitrag  einer  Autontat,  allerdings  einer  älteren,  der  Beitrag  von  Alwin 
Schultz,  Zur  Geschichte  der  deutschen  Trachten,  in  dem  von  Sch.  öfter 
Qcsegles  nur  «iederiiolt  wird,  trilil  zwar  in  der  Darlegung  der  Schwicrif- 
keilen  und  de»  allzu  dt  hdcbst  unsidieren  Bodens  der  Kostfimgesdiichle 
durcliaus  das  föchtige,  würdigt  aber  viel  zu  wenig  die  seit  des  Verfassen- 
Zeiten  gemachten  Fortschritte,  läßt  insbesondere  die  Kenntnis  des  letzten 
Werkes  des  verstorbenen  Moriz  Heyne  (Fünf  bucher  deutscher  Hausalter- 
tümer, Bd  III,  Körperpflege  und  Kleidung)  vermissen  Auch  die  Bücher- 
schau, die  den  Leser  über  hervorragende  Erscheinungen  orientieren  soll, 
konnte  idi  mir  kodisleliender  denken.  Ober  das  keutige  Rcaensionswcsen, 
das  vielfiuk  ein  Unwesen  ist,  spricht  der  Henungeber  im  »Einisang«  des 
ersten  Bandes  einige  scharfe  Worte,  namentlich  über  die  ihm  verhaßten 
Anonymi.  Seine  eigenen  Besprechungen  sind  auch  von  dem  Ziel  getragen, 
Autoren  wie  Lesern  i^erccht  zu  werden.  Immerhin  vermißt  man  zuweilen 
die  \öll!^e  Beherrschung  des  betreffenden  Stoffes.  Es  mag  das  zum  Teil 
daran  liegen,  daß  der  Herausgeber  mit  einer  Ausnahme  allein  die  üc- 
spcechungen  geliefert  bat:  dies  zu  vermeiden,  wird  ihm  bd  grSflerer 
Mitarbeiterzabi  aUmihlidi  gelingen.  Ich  spreche  diese  Bcdenlien  aus, 
obwohl  meine  eigene  »Oeschichte  der  deutscken  Kultur«  in  dem  eisten 
Bande  höchst  anerkennend  besprochen  ist. 

Fine  besondere  Eigenart  der  «Walhalla"  liegt  in  der  Verbindung 
von  üeschichte  und  Kunst,  über  deren  engen  Zusammenhang  der  Heraus- 
geber sich  im  •Eingang"  näher  verbreitet  Wie  überhaupt  in  der  ganzen 
Art  der  »Walhalla«  Anklänge  an  die  Romantik  sich  finden,  so  erinnern 
wir  uns  auch'  hier  der  in  jener  Zeit,  z.  B.  auf  den  Titeln  von  Bfidieni 
und  2Mtschriften,  beliebten  Verbindung  von  »Geschichte  und  Kunst«. 

Für  den  die  Kunst  pflegenden  Teil  der  «Walhalla"  kommt  übrigens 
das  illustrative  Dement  in  Betracht,  dem  Herausgeber  und  Verleger  be- 
sondere Beachtung  geschenkt  haben.  Diese  gut  gelungenen  Reproduktionen 
von  Kunstwerken  werden  zur  Verbreitung  der  •  Walhalla"  sicher  beitragen. 

Ein  gewisses  Hemmnis  fflr  dne  ailgemdnere  Vertndtung  könnte 
Abrigcns  in  der  im  zwdten  Bande  etwas  hervortretenden,  für  Herausgeber 
und  Verleger  allerdings  naheliegenden  Bevorzugung  der  bayerischen  Ver- 
gangenheit gesehen  werden.  Doch  mag  das  ebenso  gut  als  fördertich  gelten 


Dlgltlzed  by  Google 


üe^>rediungeu. 


117 


könnet],  uin  zunächst  das  Intere^  eines  bestimmten  Tdlcs  dcs  PubUloyns 
für  das  neue  Unternehmen  zu  gewinnen. 

Zur  Chanlcteristik  desseibeii  muß  noch  an  Punkt  hervorgehoben 
wenden.  Der  Herausgeber  betont  flchr  einen  bciliiiiiiiieo  Stmdpwkt,  «den 
poiitiv<hriMliclwp*)  der  nnch  flni  der  •allein''  »rfditise*  M,  »om  ciii  wnhiciy 
objektives  Urteil  über  die  Oeschichte  der  Kultur  selbst  und  ioinit  andi  der 
deutschen  Kultur  zu  erzielen«.  Wenn  ich  mich  nicht  irre,  ist  der  Henus- 
gpber  KnthoHk,  und  mancher  Leser  wird  nach  dieser  Hervorhebung  des 
Slantlpunktes  eine  völlig  einseitige  Haltung-  des  neuen  Organs  fürchten. 
Von  einer  solchen  kann  mau  aber  auf  Grund  der  beiden  vorliegenden 
Stade  flidit  reden;  der  frd  denkende  Leser  viid  kann  geitSrt,  und  von 
«iacr  Polemik  in  dieser  Beddamg  ist  bisher  nidils  zu  spOren. 

Un  Aber  den  Inlialt  der  Binde  zu  orientieren,  seien  die  einnlnen 
Aufsätze  -  auf  zum  Teil  anfechtlMre  Einzelheiten  sei  hier  nicht  eingegangen  - 
genannt  Der  erste  Band  enthält  die  folgenden:  Wesen  und  Bedeutung 
der  deutschen  Mystik  von  Ernst  Degen,  Die  heutigen  Kunstzusiaiide  von 
jpranz  Wolter,  Franz  von  Leabada  von  demselben,  Zur  Oeschichte  der 
deutschen  Trachten  von  Alwhi  SchnUz»  Ans  dem  SchvanviUer  Voiks- 
Mbcn  von  j.  j.  Hoffniann,  Das  deutsche  Volksiicd  von  Ubich  Sdunid; 
der  zveite  Band  diese:  Agnes  die  Bemauerin  und  Herzog  Albredit  III. 
der  Gütige  von  Ulrich  Schmid,  Die  Schlacht  bei  Hoflach-AIIing  (1422) 
und  ihr  Denkmal  von  demselben,  Die  bayerischen  Köni?^e  und  die  Mün- 
chener Kunst  von  Marce!  Montandon,  Fritz  August  von  Kaulbach  von 
Franz  Wolter,  Albert  Welt«  von  Marcel  Montandon,  Die  Weltanschauung 
dv  Oermaneu  am  ihrer  Mythologie  von  Bnst  D^en,  Der  Kulturvert 
der  Oei'iuanen  von  Max  Kemmerich* 

Interessant  und  geeignet,  die  Leser  anzuregen,  ist  der  «Sammler«,  den 
in  der  Hauptaurhe  Ulrich  Schmid  zusammengestellt  hat.  Er  enthält  kleinere 
kunst-  und  kulturgeschichtliche  Mitteihm^en ,  zum  Teil  selbständiaer 
Forschung  kleine  Früchte,  zum  Teil  belehrende  /usammenstellunj:;en,  so 
Über  Grabdenkmäler,  mitteiaitcrltche  Schreiberspruche,  Baueni-Kaleiider, 
Textihnixiten  im  Mittelalter,  Aber  das  Bnhoni  und  seine  Bedeutung  in  der 
Knnsly  Johannes  O^lcr  von  lUiserdierK,  den  LAwen  als  Sinnbild  in  der 
Kunstf  dai  Cborgestflhl  in  dar  St  Martinskirche  zu  Memmingen  u.  a. 

Im  ganzen  glaube  ich,  dafi  die  »Walhalla*  bei  veiterer  VervoU<* 
kommniin^.  die  der  HeamgjdbtT  auch  durchaus  erstrebt,  ihren  Weg 
madien  wird. 

Qeorg  Steinhunaen. 


Ei.  Hcfck»  Dentaohe  Geschichte;  Volle, Staut,  Kulturund  geistiges 
Leben.   Abteilung  5-10  (Bd.  II  und  IH  komplett).   Bielefeld  und  Leipzig, 

Velhagen  &  Klasing,  toofS  (V!,  68b;  VIH,  t>SR  S  mit  Beilagen  u.  Karten). 
Bd  der  Anzeige  der  ersten  vier  Abteilungen  (vgl.  Archiv  IV,  t06  f.) 


Digitized  by  Google 


118  Besprechungen. 


wurde  hervorgdioben,  daß  die  politische  Geschichte  durchaus  im  Vorder- 
grund des  H^ckschen  Werkes  steht,  und  dafi  die  kulturgeschichtlichen 
Partien  in  da*  leider  hcigelinditen  Art  mebr  als  AnMnge  auftreten; 
doch  wunk  achon  auf  die  in  AUdlung  4  beginnende  Schildening:  «Zu» 
stände  und  Kultur  der  mittelalterlichen  Kaiserzeit'  hingewiesen  und  ihre 
Würdij^m^  bis  7.u  dem  Erscheinen  der  Fortsetzung  vorbehalten  Diese 
liegt  nun  jetzt  vor  und  veranlaßt  mich  zunächst,  wenigstens  für  das  Mittel- 
alter, zur  Einschränliung  des  oben  abgegebenen  Urteils.  Diese,  die  ersten 
254  Seiten  des  II.  Bandes  umfossende  Darstellung  der  mittelalterlichen 
Kultur  bildet  einen  wcsentlicben  und  sdbslindigen  Teil  des  ganzen  Werkes, 
und  für  das  spitere  Mittelalter  kommen  weitete  hundert  Selten  kultur- 
gCKlliditiicher  Darstellung  als  besonderes  Kapitel:  »Zustände  und  Be- 
wegungen im  Zeitalter  des  Wahlreiches"  (II,  402-  523)  hinzu.  Stiefmütter- 
lich wird  dagegen  wieder  die  Kulturgeschichte  der  Neuzeit  behandelt. 
Die  zehn  Seiten  zu  Anfang  des  III.  Bandes,  die  «die  Lage  nach  dem 
Westfälischen  frieden*,  die  zwölf,  die  (S.  316  f.)  »die  Abhängigkeit  und 
Vcndbstindigung  der  neueren  deutschen  Kultur  im  18.  Jahrhundert« 
zum  Qegenstsnd  haben,  und  die  vefatreuten  Bemetlningen»  die  In  den 
fast  ausschließlich  politisch-geschichtlichen  Abachnitten  des  ausgebenden 
Ii.  und  des  ganzen  III.  Bandes  stecken,  genfiq^en  rmhrhaftig  nicht,  um 
die  Fülle  der  kulturellen  Erscheinungen  und  Strömungen  des  spateren  lo., 
des  17.,  IS.  und  1 9.  Jahrhunderts  auch  nur  anzudeuten.  Von  der  Geschichte 
der  Sitten  und  der  äußeren  Lebenshaltung  ist  für  diese  Zeit  überhaupt 
kaum  die  Rede. 

Das  politische  Moment  liegt  dem  Veitaer  doch  recht  eigentlich 

am  Herzen,  insbesondere  das  nationalpolitlsctae,  weshalb  denn  auch  die 
dafür  so  wichtit^e  poh'tische  Geschichte  des  neunzehnten  Jnhrhunderts  am 
ausführlichsten  behandelt  wird.  Vaterländischer  Geist  durchgeht  über- 
haupt das  ganze  Buch,  und  die  frische  Art  des  Verfassers  weiß  diesen 
Geist  auf  den  Leser  zu  übertragen. 

Eigenartige  Auffisssung  und  Ausdrucksweise  sind  dem  Vcrteser 
«Ohl  im  ganien  zu  eigen,  aber  er  bringt  doch  kaum  etwas  wesentlich 
NdlO.  Auch  dn,  wo  er  das  zu  tun  gfambt,  haben  andere  schon  dasselbe 
ausgesprochen.  So  plädiert  er  II,  255  f.  dafür,  die  Neuzeit  erst  mit 
dem  Jahre  1648  beginnt  t,  /u  lassen,  und  meint,  dies  »erstmals  vor- 
zuschlagen". Indessen  haben  schon  viele  dagegen  polemisiert,  die  Neuzeit 
von  den  Entdeckungen  oder  der  Reformation  an  zu  datieren.  Schon  Treitsdike 
und  fteytag  wollten  den  Beginn  der  Neuzeit  in  die  Mitte  des  1 7.  Jahrhunderts 
legen.  L.  Keller  hat  bezflglich  der  geistigen  wie  der  politischen  Oeschicfate 
das  gleiche  Datum  für  den  Beginn  der  Neuzeit  fest  gestellt  wie  Heydt; 
V.  Helow  will  in  wirtschaftlicher  Hinsicht  die  Neuzeit  auch  erst  im  17  Jahr- 
hundert beginnen  lassen,  und  am  ausführlichsten  habe  ich  in  meiner 
»Geschichte  der  deutschen  Kultur"  (S.  504  und  579)  dai^egt,  dall  mit 
dem  bisherigen  B(^nn  der  »Neuzeit"  gebrochen  werden  müsse. 


biymzed  by  Google 


Besprediungen. 


119 


Im  flbrigen  beruht  natflrHch  da  Werk  wie  das  Hcydcsdie  seinem 
gpnaen  diankter  mwh  vesendich  auf  den  bisherigen  Fondiungen  und 

Darstellungen:  er  weiß  aber  alles  in  sdbständiger  Weise  und  anschaulich 
darzubieten  ArtderereHts  habe  ich  schon  bei  Besprechung  der  ersten 
Abteilungen  hervorgehoben,  daß  H.,  was  die  uns  hier  näher  interessierenden 
Itulturgeschichtlichen  Partien  betrifft,  der  neueren  und  neuesten  horschung 
nicht  immer  genfigend  gelolgt  ist  Auch  die  Erkenntnis  der  eigentlidien 
RichtiinieD  und  OnmdsMmungen  der  deutschen  Kulturentviddung  prtgt 
sich  nicht  genilgend  ans.  Der  Blidc  ffir  die  «ahriiaft  dianilcteristischen 
Zflge  der  Menschen  einer  bestimmten  Zeit  ist  bei  Heyck  nicht  geschärft 
genug,  die  Fähit^keit,  die  kulturelle  und  psychische  Oesnmthaltung  der 
verschiedenen  Zeiten  richtig  zu  entwickeln  und  darzustellen,  tritt  wenig 
zutage.  Freilich  sudit  er  z.  B.  die  germanische  Volksart  als  solche  zu 
erfassen  und  darzustellen.  Ein  späterer  Abschnitt  trägt  die  verhdBende 
BeKichnunK:  »Der  mittelalterliche  JMensch*  und  bringt  auch  mancherlei, 
aber  es  findet  sich  in  ihm  der  Satz  (II,  164):  »Fragen  wir  damadii 
wie  die  Deutschen  des  Mittelalters  menschlich  fühlten  und  dachten,  so 
erledif^  sich  die  Antwort  in  der  Hauptsache  durch  die  verschiedenen 
Kapitel  du-ses  ikiches^  (!!).  Bezüglich  des  s[iatercn  Mittelalters  äußert  er 
sich  in  dieser  Beziehung  so  (II,  506):  «Entbehriicher  und  auch  wiederum 
allzu  verwidtdt  ffir  eine  Zuaammenfusung  encheint  es  uns,  an  dieser 
Stelle  von  dem  Menschentum  der  Zeit  allgemduhin  zu  siwechen,  vie  wir 
es  fOr  die  frfllien  deuisdien  Jahrhunderte  im  ersten  Bande  vosucht 
haben."  Sehr  faflbsch  kann  man  z.  B.  den  Oeist  der  Zeiten  sidi  in  den 
jeweiligen  Vornamen  spiegeln  lassen.  Heyck  behandelt  die  Eigennamen  und 
(Hntstehung  der)  Familiennamen  summarisch  beim  Kapitel  vom  „mittelalter- 
lichen Menschen",  bringt  auch  gleich  die  spätere  Entwicklung  kurz  hinein: 
•wir  greifen  hier  etwas  vor,  um  das  Kapitd  zu  erledigen«  (II,  162).  Das 
ist  nicht  der  richtige  Standpunkt  Die,  wie  erwihnt,  am  ausfOhriidislen 
gehaltene  kultuigesdiichtlidie  Daistdlung  des  JMittdalten  hllt  audi  die 
JMenschen  der  verschiedenen  Perioden  viel  zu  wenig  auseinander.  Der 
große  Haupteinschnitt  de?  Mitteblfers  nnch  den  Kreuzzügen  ist  allerding? 
II,  249  richtig  erkannt  und  gut  diar;ikteriMert.  -  Die  Wichtigkeit  der 
früheren  und  späteren  fremden  Kultureinflusse  für  den  deutschen  Menschen 
ist  oft  scharf  betont,  aber  hier  ist  durchaus  ein  stärkeres  Eingehen  auf 
Bnadheiten  vonnMen,  wenn  dem  Leser  dn  B^ff  von  der  Wlrksamhdt 
dieser  Kultureinflfisse  aufgehen  soll.  Am  mosten  wlfd  da  nodi  für  die 
hnnzfisierte  Minnezeit  gebracht.  Die  Wichtigkeit  dieses  Moments  erkennt 
H.  sonst,  wie  gesagt,  wohl:  »Im  19  Jahrhiindert  erst",  heißt  es  (II,  402), 
.verläßt  das  deutsche  Volkstum,  in  sein  Jünglingsalter  (1?)  eintretend,  die 
Schulbank  der  vorunegend  fremden  Einflüsse." 

Auf  die  kulturgeschichtlichen  Hauptstücke,  die  oben  erwähnten 
Schilderungen  der  hoch-  und  spfttmlttehltcrlidicn  Kultur,  soll  iMzilglidi 
der  Einzdhetten,  von  denen  manche  anfechtbar  sind,  hier  nicht  ehi- 


Digltized  by  Google 


120 


gegangen  werden.  Dem  Kulturhistoriker  von  Fach  bieten  sie  kaum  etwas 
Besonderes,  dem  Laien,  für  den  sie  berechnet  sind,  gute  Belehrung. 
Einige  Gebiete  sind  mit  größerer  Ausführlichkeit  behandelt  als  andere 
ebenso  wichtige.  Die  Gruppierung  und  Verwertuag  des  vorgetragenen 
Stoffes  nAcbte  dar  Kenner  der  Zeit  oft  andcn  vfinscben.  öfter  auch 
doe  «eniger  vciiltdie  Aiifiiatiuic.  Bd  der  in  ihren  ersten  Zeiten  kanm 
besonders  einschneidenden  und  in  dieser  Beziehung  erst  später  wichtig«! 
Erfindung  der  Buchdruckerkunst  z.  B.  hätte  die  verhältnismäßige  Höhe 
der  bisherigen  Bücherherstelhmfr  durch  Abschreiben  hervorp^ehoben 
werden  sollen.  Bei  der  Darstellung  des  Mnmanismus  vermißt  man  die 
Erkenntnis  der  Wichtigkeit  der  Ka.nziei  für  seine  Ausbreitung.  Die 
Brüder  vom  gemdnsamen  Ldxo  baboi  für  den  Humanismus  nicht  die  Be- 
deutung gdiabt,  die  Heydc  mit  früheren  Darrteilungen  ihnen  zusdndbt 
Im  ganzen  richtet  sich  das  Werk,  wie  gesagt,  durduMls  an  die 
historisch  weniger  oder  gar  nicht  gebildeten  Kreise.  Voraussetzungen 
werden,  dem  Zid  der  eigentlich  populären  Literatur  entsprechend,  nicht 
gemacht,  die  Belehrung  geht  sopar  manchmal  sehr  ins  Elementare  herab 
(vgi.  Ii,  66  ff.)  Gerade  dies  wird  aber  weiteren  Kreisen  willkommen  sdn. 
Die  Belehrung  vird  cndUdi  auBoordendicb  gdSidcrt  duich  die  An- 
schanungi  die  die  flbersus  rddie  Ulnstntlve  Anasfaittung  gewährt.  Diese 
ist  in  der  Tat  zu  loben :  die  Leistungen  des  Verli^fes  in  dieser  Beziehung 
sind  ja  bekannt.  Oerade  die  Auswahl  gewisser  kulturgeschichtlich  lehr- 
reicher Abbildungen  (daß  sich  einige  mit  den  von  mrr  in  mdner  Oesdi. 
d.  d.  Kultur  zuerst  gebrachten  decken,  so  die  Bilder  aus  des  Petrus 
Scoiastica  Historia  und  einige  aus  dem  flämischen  Festkalender,  war 
kaum  zu  vermeiden)  soll  hier  besondos  anericannt  werden. 

Qeorg  Steinhausen. 


Ksri  Lampredrt,  Deutsche  Geschichte.  Der  ganzen  Reihe  Bd.  VI. 
VII,  1.  und  2.  Hälfte  <II.  Abteilung.  Neuere  Zeit.  Zeitalter  des 
individuellen  Seelenlebens.  Bd.  II.  III,  1.  und  2.  Haltte).  Freiburg  i.  Br., 
H.  Heyfdder.  1904/6.  (XVI,  482;  XV,  XIV,  873  S.) 

Nach  der  langen  Piuse  von  etwa  neun  Jahr»  hat  Lamfuecht  nun- 
mdir  die  Fortsetzung  sdner  Deutschen  Geschichte  wieder  aufgenommen, 
inzwischen  allerdings  die  bdden  Ergänzungsbände  «Zur  jüngsten  deutschen 
Vergangenheit"  erscheinen  lassen  (vgl.  darüber  dieses  Archiv  I,  361  ff.  und 
III,  88 ff.).  In  dieser  Pause  hat  er  sich  nun  auch  zu  einer  betiachtlicht. ti 
Erweiterung  seines  Werkes  entschlossen:  statt  der  ursprünglich  geplanten 
sechs  sollen  jetzt  zwölf  Binde  etsdttinen.  Er  liebt  es  ja,  vid  und  hiufig 
zu  sdirdben,  und  hat  nun  ausgiebig  Oelegenbdt  dazu.  Die  Folge 
ist  naturgemiB  bd  den  jetzt  vorliegenden  Bänden,  die  die  denfsdie  Ent- 
wicklung bis  etwa  1750  behandeln,  eine  breitere  Ausführung,  namentlich 
für  solche  Gebiete,  die  Ijunpredit,  ohne  Eadimsnn  darin  zu  sein,  doch  mit 


Digltized  by  Google 


Bcspndiuiigcii. 


121 


besoodcnr  Voilicbe  behandelt,  so  z.  a  für  die  OeacUclite  der  Musik 
oder  die  der  PliOosopliie;  Dagegen  hat  er  anderen  und  gerade  spedfisch 
ItiiHufgesdildiMdien  Qebieten  trotz  der  so  vid  breiteren  Anlage  nach  wie 

vor  wenig  oder  gar  keinen  Rmm  {»egönnt,  wie  der  Sitten (refchichtc,  der  Ge- 
schichte des  Volkslebens,  der  Oeselligkeit,  der  äulkren  Lebenshaltung  und 
Lebenseinnctitung;  es  sind  Gebiete,  auf  die  L  zum  Teil  mit  einem  gewissen 
Hochmut  herabsiebt.  Um  so  nachdrücklicher  soll  diese  tadelnswerte  Utebe 
hier  wieder  hecvoiieiioben  werden:  die  für  einzelne  dieser  Ocbiele,  z.  B.  die 
TrMMengesdndite,  sicii  findenden  kleinen  Absdinitte  goiOcen  tdcbt  Idi 
«erlange  hierfür  nicht  etwa  eine  ausführtiche  Notizenausschüttung  mehr  oder 
weniger  kompilatorischen  Charakters,  sondern  die  Entwicklung  dieser 
Dinge  im  Rahimn  der  allgemeinen  Kulturentvt'icklung  und  im  Zusammen- 
hang mit  der  Entwicklung  des  inneren  Menschen.  Man  könnte  den  Stand- 
punkt Ls  zu  der  Behandlung  jener  Gebiete  in  einem  Passus  des  1.  &■* 
gPnzang^ibandes  anf  S.  137  auag^drflckt  finden,  wo  er  sidi  bezflgücfa  der 
Nidrterwilinang  der  noch  in  der  Qegenwvt  fortwirkenden  Uteren  Kunst 
so  verteidigt:  »Dieses  Bodl  iiat  keinen  statistischen  Charakter,  sondern 
entwicklungsgeschichtlichen,  und  darum  interessiert  hier  nicht  alle^  und 
jedes  an  unserer  Zeit,  selbst  nicht  einmal  alles  Bcdoutcn<k,  sondt  iu  nur 
der  Inbegriff  derjenigen  Momente,  die  in  entscheidender  Weise  den  jüng- 
sten  Vorgang  der  Entwicklung  kenn2£ichnen.«  Nun  ist  dieser  Standpunkt 
aber  erstens  keineswegs  sonst  immer  von  L  angewandt,  und  zweitens  lassen 
sidt  auch  jene  OeUete  durchaus  von  diesem  Standpunkt  behandeln.  Im 
übrigen  liegt  die  Gefahr  nahe,  daß  ein  solcher  Standpunkt  zur  völligen  Sub- 
jektivität führt,  den  2>iten  und  dem  Zeitii^eist  nicht  gerecht  wird,  vor  allem 
die  wichtigen  Unterströmungen,  die  immer  neben  den  auffallenden,  die 
Zeit  beherrschenden  Richtungen  einhergehen  und  meist  den  späteren  Wandel 
vorbereiten,  überhaupt  außer  acht  läßt. 

Werden  jene  keineswegs  gleichgaitigen  Oefaiete  mit  ehicr  an- 
zwdfelhafien  Einsdtigkdt  stiefmfitlerUch  behandelt  -  auch  die  Geschichte 
der  Hexenverfoigttng  z.  B.  whd  recht  kurz  abgemacht  (VI,  87/8)  -,  so 
vird  andererseits  dem  naiven  Leser  in  den  vorliegenden  Bänden,  fast 
noch  mehr  wie  in  den  früheren,  gerade  eine  außerordentliche  Viel- 
seitigkeit des  Verfassers  auffallen,  die  er  zu  rühmen  geneigt  sein  wird; 
aber  auch  der  urteilsfähige  Leser  wird  den  weiten  Horizont  und  die 
mannigfachen  höheren  Interessen  anerkennen  milssen.  Philosophie,  Musik, 
Aialerei  z.  B.  werden  hier  in  einer  Weise  behandelt,  wie  man  es  bisher 
von  einem  Historiker  nicht  gewöhnt  war.  Lamprecht  besitzt  eine  rasche 
A^iftiahmefähigkeit  und  anch  die  Gabe,  das  durch  Lektüre,  oft  wohl  sehr 
rasche  Lektüre,  Aufgenommene  alsbald  mehr  oder  weniger  subjektiv  ge- 
färbt in  seiner  Art  darzustellen.  Die  Einfügung  in  den  Rahmen  der  von 
ihm  als  richtig  angenommenen  Entwicklung  geht  nun  natürlich  ohne  Ge- 
wallaimkeiten  nicht  ab,  und  oft  eiigibt  sich  eine  völlige  Schiefheit  der  Auf« 
fosung,  die  mit  den  wirktidien  Resultaten  der  fachmftßigen  Forschung, 


DIgitIzed  by  Google 


122 


Bespraehttneen. 


etwa  der  Philosophie-  oder  Kunstgeschichte,  keineswe;^  in  Einklang  zu 
bringen  ist.  Man  hat  oft  das  sehr  wcnic:  wohltuende  üefühl,  jetzt  kommt 
der  große  Historiker  Lamprecht  tirui  ztigl  erst  mal  den  Kärrnern,  den 
J~achieuten,  deren  Arbeit  er  gnadig  anmnimt,  wie  ihr  üebiei  »entwicklungs- 
geschichtlich'  danustellen  ist  Im  Onuide  bldbt  er  aber  ffuiz  von  Ihnai 
abhingig.  In  den  Einzelheiten  verrlt  er  dabei,  daß  er  durchaus  nicht 
immer  die  Fortschritte  der  Fachforschung  verfolg  hat  und  manches  nicht 
weiß  und  nicht  kennt,  dessen  Kenntnis  mrin  er^-nrten  muß.  Um  ein  Beispiel 
aus  seiner  Darstellung  der  niederländischen  Malerei  zu  geben,  so  hält  er  noch 
bei  der  fälschlich  sogenannten  „Nacht  wnche"  Rembrandts  an  dem  „aus  dem 
Rahmen  der  NadUwaclie  heraus  brennenden  hackeilicht«  fest  (VI,  321), 
vihrend  doch  längst  erkannt  ist,  daß  die  Bdeuchtiuig  Tageslicht,  aller- 
dings eigenartiges  Rembrandtsches  TagesUdii  ist.  UnglaubUcfa  ist  die 
Nichterwähnung  Jan  Vermeers,  dessen  berühmte  Ansicht  von  Delft  z.  B. 
doch  gerade  in  Lamprechts  Darstellung  ^iTgen  der  \nindcrvollen  Licht- 
und  Luftbehandlnnt^  eine  ganz  besondea:^;  Hervorhebung  verdient  hätte. 

Die  Ausführlichkeit  der  kunstgeschichtlichen  und  anderer  Partien 
erkläri  schon,  daü  L.  mit  dem  früheren  knapperen  Rahmen  seines  Werkes 
nicht  auskommen  konnte;  Aber  auch  sonst  gieht  er  mit  dem  Raum  wenig 
haushälterisch  um;  insbesondere  liebt  er  es,  wie  schon  in  den  frfiheren 
und  den  Ergänzungsbänden,  lange  Rfidd>licke  auf  das  bisher  schon  Oii^ 
gestellte  einzufügen,  die  das  dem  Leser  gerade  Jjimprechts  nlimälilich  {^^^ 
nägend  bekannte  oft  bis  zum  Überdruß  wiederholen  und  variieren,  dabei 
gelegentlich  kleine  Abweichungen  gegen  die  frühere  Darstellung,  auch  Er- 
gänzungen hmeinnehmen,  um  etwa  eine  inzwischen  erschienene  Monographie 
mit  einem  rasch  hingeworfenen  Salz  oder  einer  kurzen  Andeutung  zu 
verwerten  oder  neu  voigetrsgenen  Anschauungen  (Breysig)  hie  und 
da  sidi  zu  nähern  (vgl.  den  ersten  Abschnitt  von  VII,  2).  Nicht  wenig 
Raum  nimmt  auch  die  von  Lamprecht  mit  größter  L'nbcfanRcnheit  breit 
eingefügte  niederländische  Entwicklung  in  Aiisprudi.  Hier  mag  wohl 
etwas  wie  eine  persönliche  Vorliebe  mit  hineinspielen,  und  ich  teile  diese 
Vorliebe.  Auf  der  anderen  Seite  ist  audi  diese  niederländische  Geschichte 
und  Kultnigesdiichte  für  die  blnnendeulscbe  in  dieser  Zdt  ungemein 
widitig.  Aber  die  völlig  ^dimäßige  Behandlung  der  »Niederlande« 
(nicht  etwa  Niederdeutschlands,  das  viel  mdv  hätte  berücksichtigt  werden 
sollen)  und  des  „inneren  Deutschlands«  in  politischer,  sozialer,  wirtschaft- 
licher, geistiger  und  künstlerischer  Beziehung  im  Rahmen  einer  deutschen 
ÜLbchichte  wird  nicht  überall  als  völlig  selbstverständlich  angesehen  werden. 
Dankenswert  sind  diese  Abschnitte  aber  immerhin. 

Bebmntiich  ist  Lamprecht  von  frfihefen  Kritikern  wiederholt  seine 
allzu  stsrke  Mdiängigkeit  von  anderen  Forschem  voigewoifeu  worden, 
und  auch  ich  habe  gelegentlich  diesen  Pimkt  (Ardliv  t  Kulturgesdiidite 
I,  362)  hrnihrt  Nicht,  daß  alles,  was  in  diesem  umfanrrpichen  Werke 
stehtf  nur  auf  Lamprechts  Forschungen  beruhe,  wird  verlangt  -  das  wäre 


Digitized  by  Google 


DcspracimnccD* 


123 


tBridit:  mtn  hat  sich  viehnebr  g^gen  eine  allni  wdt  geheiide,  zum  Tdt 
«Örtliche  Benutzung  anderer  Werice  gewindt,  aber  auch  gegni  das  Nicht- 

namhaftmachen  der  eigentlichen  Gewährsmänner  überhaupt.  In  dieser 
Bcziehimp^  wirkt  das  Werk  auf  das  große  Publikum,  femer  auch  auf  die 
Lehrer  unzweifelhaft  irreführend.  Es  werden  daher  KeleL,t'iitlich  An- 
schauungen als  solche  Lamprechts  zitiert,  deren  eigentlicher  Urheber  er 
gar  nicht  ist.  Ja,  selbst  ehisichtigen  und  Iccnntnisreidiett  Oelehrten  kann 
das  passieRn,  wie  denn  z.  B.  dnma]  Rieh.  M.  Meyer  (Deutsche  Rund- 
schau, Mii  1905)  ¥on  «jenem  nodi  keineswegs  überwundenen  Servilismus, 
den  Lamprecht  so  kräftig  betont",  spricht.  Diese  Betonung  findet  sich 
in  dem  vorliegenden  Bd.  V!I  atif  S  ^5  f.;  Ijimprecht  basiert  aber  in  die^ 
Partie  wesentlich  auf  den  Ausfuhrungen,  die  ir'n  in  meiner  Qesclüchte 
des  deutschen  Briefes  (Bd.  II,  1S91),  auch  in  kleineren  Aufsätzen,  z.  B.  dem 
Aber  »Die  Lebensanffusung  des  17.  Jahrhunderts*  gemadit  habe.  Das 
höchst  bezdchnende,  von  Lampfecfat  angefahrte  Zitat  aus  der  Politischen 
Schmiede  von  Bessel  (1672)  hat  er  von  mir  übernommen:  ich  habe  das 
Büchlein  seinerzeit  zufällig  in  Jena  gefunden.  Es  wäre  bei  dem  Charakter 
der  Lamprechtschen  Geschichte  natürlich  lächerlich,  zu  verlangen,  daß  über- 
all, u-o  r^mprecht  ein  bekanntes  Werk  benutzt  hat,  dasselbe  auch  j^enr^nnt 
wird.  Meine  .Geschichte  des  deutschen  Briefes"  z.  B.  ist  in  diesen  Banden 
mehrfach  (z.  B.  VI,  5  f.,  8,  S7,  loo;  VII,  7,  28,  43,  52 f.  u»  a.)  sichtlich 
benutzt,  soldie  SpezialaxMten  dfirfcn  aber  auch  den  allgemdneren 
Dantdlungen  als  Quellen  dienen,  ohne  jedesnnl  nach  Verdienst  ge- 
nannt zn  werden.  Etwas  anderes  ist  es  aber,  wenn  ganz  bestimmte,  für 
den  besonderen  Fall  wichtige  Arbeitsfrüchte  von  einem  anderen  ohne 
Nennung  desselben  nbt  nioinmen  werden.  Zu  solchen  Ai  beitsfrüchten  kann 
aucii  ane  von  einem  anderen  Forscher  zum  ersten  Mai  enidecklc  Quellen- 
stdle  dienen.  Eine  soldie  Stdie  ist  der  hOcfast  interessante,  von  mir  zum 
cnien  Mal  verwandte  und  häufiger  henrngCMgene  Fassus  aus  der  Ethogra- 
pfaia  mundi  des  Olorinus  ~  Lamprecht,  der  ihn  (VII,  6)  übernimmt,  schreibt» 
flöchtig  wie  häufig,  Olorinius,  und  seine  korrigierenden  Adjutanten  haben 
diese  Flüchtigkeit  natürlich  ebensowenig  gemerkt  wie  cht  a  den  Fehler  in 
Malleus  Malleficarum  (Lamprecht  VI,  87).  Jenen  Passus  liat  Lamprecht 
aus  meinem  Aufsatz  über  die  «Anfänge  des  französischen  Literatur  und 
Kultnrdnflusses  in  Deutschland  in  neuerer  Zdt«  (Zdtschrift  f.  vergleich. 
Uteraturgesdiichle  N.  F.  VII,  349ff.)  entnommen  (S.  372 f.).  Er  zitiert 
diesen  Aufsatz  allerdings  bei  seinem  Abschnitt  über  den  französischen 
Kulturcinfluß,  weil  er  ihn  in  diesem  Abschnitt  doch  zu  stark  benutzt,  um 
ihn  nicht  zu  nennen,  ;^uch  wohl  weil  er  betreffs  der  Benutzung  meiner  Ar- 
beiten inzwi<;rhen  durch  eine  Auseinandersetzung  über  eine  albnselir  mit 
einer  Ausfuhrung  von  mir  übercinstiramendc  Stelle  ni  euieiu  Ergänzungs- 
bande (vgl.  dieses  Afdilv  1, 362;  II,  109)  zu  genauerem  Verfahren  gemahnt 
wir  (so  wild  audi  Im  VII.  Bande  die  im  VI.  Bande  nicht  genannte 
■Ocacbidile  des  deutschen  Briefes«  wenigstens  dnmal  zitiert).  Die  StdIe 


Digitized  by  Google 


124 


BopredniiigBi« 


4e8  (Morintis  ^ler  wird  von  ihm  schon  vor  jenem  Zitat  aufpffihrt,  Ahrsens 
nicht  scharf  gmag  in  dem  Zusammenhang,  auf  den  sie  genäit  hinipcist, 
Yervertet  In^)esonclere  hätte  sie  ihn  auf  Mingel  semo'  Periodisierung  auf- 
merksam machen  können  (Anfang  einer  neuen  Kulturperiode,  vgl.  meine 
»Geschichte  der  deutschen  Kultur*  S.  567  f ).  Die  Erkenntnis,  daß  die 
meist  üblen  Erscheinungen,  die  für  das  17.  Jahrhundert  als  charak- 
teristisch angesehen  werden,  bereits  vor  dem  Beginn  des  Dreißigjährigen 
Krieges,  ja  auch  schon  zu  Ende  des  16.  Jahrhunderts  skfalbv  sind,  und 
dafi  dieser  Krieg  in  gewissen  Wirtaingen  flbcihaupt  flbeischitzt  whrd,  fehlt 
im  Übrigen  nicht  ganz  (vgl.  z.  B.  bezüglich  des  schon  Yiel  frOher  ehi- 
setzenden  wirtschaftlichen  Verfalls  VI,  340,  347,  360). 

Daß  Lamprecht  im  übrigen  auch  bei  Zitaten  aus  älteren  Quellen  zu- 
weilen den  neueren  Gewährsmann  zu  nennen  für  notwendig  hält,  zeigt  die 
(einzige)  Anführung  meiner  Geschichte  des  deutschen  Briefe  bei  einer 
(VH,  7)  fibcmommenen  BrleMeDe.  Es  ist  hn  tibdgen  gleichgültig,  wenn  etwa 
L.  (VII,  35)  einen  Satz  aus  den  chsrslderistischen  »Ratschligen  emer  Mutter 
an  ihre  adlige  Tochter  vom  Jahre  1794*  ohne  jede  weitere  Angabe  an- 
führt. Die  Stelle  hat  er  aus  einem  in  meiner  Oeschidite  des  deutschen 
Briefes  II,  345 f.  angeführten  Briefe  der  Friederike  von  Rieben,  der  mir  seiner- 
zeit von  privater  Seite  zur  Verfügung  gestellt  ist.  Noch  weniger  anfechtbar 
ist  die  Niciitncnnung  seiner  Quelle  bei  den  (VI,  53)  aus  meinem  Buch 
Attemommenen  Zitaten  aus  Wehe  und  Timasius.  Diese  sind  allgemeiner 
bekannt,  und  Lamprecht  brauchte  hier  sefaie  Vorlage  nicht  zu  nennen. 
Ich  habe  diese  Dinge  angeführt,  nicht  als  selbstgefälliger  Autor,  sondern 
weil  ich  in  diesen  Fällen  am  besten  Kontrolle  üben  konnte.  Ich  habe 
nicht  die  Zeit,  um  alle  übrigen  Lamprechtschen  Ausführungen  ähnlich 
auf  die  nicht  genannten  Oewihrsmänner  zu  prüfen,  erinnere  aber  an  das 
früher  von  anderen  Lamprecht  Vorgcwonene. 

Umprecht  khnt  belcsnntlidi  jede  sdche  Detailkritik  tti  alles  Detail, 
ob  daher,  ob  daher,  soll  ihm  ja  nur  dienen  im  Rahmen  seiner  eigenen 
großen  geschichtlichen  Konzeptionen.  Hier  liegt  aber  gerade  der  viiinde 
Punkt.  Die  Verquickung  gesicherter  geschichtlicher  Resultate  und  Er- 
kenntnisse mit  subjektiven  Anschauungen,  die  schillernde  Verwendimt^  ge- 
schichtlichen Details  oft  nach  Willkür  und  ohne  Rücksicht  auf  den  jedes- 
maligen ürad  der  V'cru  cndbarkdt  bringen  das  Werk  um  jede  ernsthafte, 
nachhaltige  Bedeutung.  Eine  Zusammentaung  der  Iridierigcn  geschicht- 
lichen, insbesondere  kulturgeschichtlichen  Arbeit  unter  ktaren  und  grofien 
Gesichtspunkten  hitle  ihren  Wert:  als  solche  kann  Lamprechts  Werk  nicht 
gelten,  weil  einerseits  gerade  da*  Unterbau  nicht  solide  genug  geart>eitet  ist, 
andererseits  die  Dtircliführung  seiner  Oestcbt'^punkte  häufig  zu  Schiefheiten 
und  Verkehrtheiten  führt.  Dazu  kommen  jene  Lücken.  Im  ganzen  bleibt 
Lamprecht  bei  dem  bisher  Gewonnenen  durchaus  stehen,  seine  Behandlung 
ist  eher  geeignet,  die  klare  Entwicklung  und  den  eigentlichen  Zusammen- 
hang der  IMnge  »i  verwirren.  Die  wirididi  treibenden  Viktoren  und  Str6- 


I 


Digltized  by  Google 
I— I  -I 


Besprechungen. 


125 


mongen  werden  wenigstens  zum  Teil  gar  nicht  erkannt  oder  in  hüscher 

Weise  behnndelt  fchnrakteristisch  für  die  mangelhafte  Komposition  des 
Werltes  ist  das  völlig  in  der  Luft  schwebende  Kapiiel  Ober  die  „fremden 
Kuitureinf hasse  im  16.  bis  18.  Jahrhundert").  Die  wirklich  bedeutenden 
und  richtigen  Auffassungen  in  den  vorliegenden  Bänden  sind  zum  aller- 
gröBlBD  Teil  aiidi  idum  frfllicr  ausgesprochen  und  begründet  woidav  lo 
die  Kcnnzeichoniig  der  Hensehaft  des  Venimdes  (des  •InteUektualistnus'', 
■Rationaüsmus")  und  die  der  späteren  Hcmdutft  des  Gefühls.  Auch  der 
Hatjptgesichtspunkt,  daß  wir  nn?  hei  den  vorlie^^erden  Bünden  im  »Zeit- 
alter des  individuellen  Seelenlebens"  befinden,  ist  Meder  neu  nocii  be- 
stritten. Von  allen  aufgestellten  Kulturzeitallein  Laiiiprechts  ist  gerade 
die  Identifizierung  der  Neuzeit  und  des  aufstrebenden  und  wachsenden 
Individualisnras  am  meisten  aaeriauuit,  aber  bereits  lange  vor  ihni  be- 
bauptet  und  nidigewicscn  worden.  Dennoch  soll  betont  «erden,  daS 
*  in  der  Beobachtung  und  Aufzeigung  individualistischer  Züge,  überhaupt 
in  dem  Einzelnachweis  des  Wachsens  des  individualistischen  Geistes,  ein 
Vorzug  des  vorliegenden  Werkes  besteht.  Ein  weiterer  Vorzug  hl  wie 
schon  betont,  der  weite  Horizont  und  die  Behandlung  mancher  der  land- 
läufigen Historie  femliegenden  Dinge. 

Georg  Steinhausen. 


Franz  Arens,  Das  Tiroler  Volk  in  seinen  Weistümern.  Fin  Reitm^y 
zur  deutschen  Kulturgeschichte,  (üeschichtliche  Untersuchungen  hrsg.  voo 
K.  Umprecht,  3.  Heft)  Gotha,  Fr.  A.  Perthes,  1904.  (XVI,  436  S.) 

Der  Verfasser  will  mit  dem  vorli^enden  Werke  einen  Beitrag  zu 
einer  Otscfaicfate  der  deutschen  Volksseele  Uefiem,  indem  er  die  Weia> 
tfimer,  speziell  die  reichhaltigen  Tiroler,  die  bislang  mehr  fflr  die  Oe* 
sdüdiie  der  materiellen  Kultur  ausgebeutet  sind,  für  seine  Zwecke  nutzbar 
zu  machen  sucht,  und  indem  er  in  der  gleichen  Absicht  neben  den  Weis- 
tünieni  auch  die  tirolischen  Sagen  und  Märchen  als  Quellen  heranzieht. 
Es  ist  das  in  der  Tat  eine  sehr  dankbare  Aufgabe,  aber  es  ist  auch  un- 
zweifelhaft eine  Aufgabe,  die  an  einen  Anfänger  -  das  Buch  ist  als 
Disiertation  entstanden  -  entschieden  zu  hohe  Anforderungen  stellt. 
Denn  eine  dcnrtige  Arlxit,  die  sich  auf  den  Orenigebieten  der  kultur- 
geschichtlichen ,  der  rechts-  und  wirtschaftsgesdiicfatlidien  und  der  philo- 
sophischen Betrachtungsweise  bewegt,  trügt  von  vornherein  sehr  ^roRc- 
Schwierigkeiten  in  sich,  deren  nur  ein  sehr  erfahrener  EachiT.ann  Herr 
werden  kann.  Man  muß  dem  Verfasser  aber  das  Zeugnis  aussteilen,  daß 
er  diese  Schwierigkeiten  mit  Fleiß  und  Geschick  zu  übo^inden  gesucht 
bat  Ehizdheltcn  verzeiht  man  ihm  dafib*  gern,  so  z.  R  venn  er  in  der 
Einleitung  (S.  VII)  sagt:  «Man  beginnt  erst  heute  nach  dem  Voigange* 
von  Lampredit  wieder  mit  vollerem  Bewußtsein  die  Volksseele  als  Grund> 
läge  des  ginzen  historischen  Geschehens  anzusehen««  ein  Ausspruch,  der 


Dlgltized  by  Google 


126 


Besprechungen. 


einerseits  mit  Unrecht  Lamprecht  als  einzigen  Pfadfinder  kulturgeschicht> 
h'cher  Forschung  erscheinen  laßt,  nnd  der  andererseits  -  indem  er  in  der 
Volksseele  die  einzij^e  Grundlage  cies  historischen  Geschehens  crbhckt  - 
die  eminente  histonsche  Bedeutung  überragender  Einzelpersönlichkeiten 
ganz  maßlos  unterschätzt.  Ähnlidi  steht  es  mit  des  Verfassers  Schluß- 
wort, diß  heute  die  Oochidile  der  deutscfaeii  Volkaseele  von  »untereii 
Besten«  entrebt  werde»  eine  Berocrkung»  bd  der  ein  fibdwoUender  Kritiker 
sich  wohl  kaum  einen  bc^aften  Zusatz  versagen  dürfte.  Schh'mmer  ist 
es  «^choTi  niit  der  sehr  langatmigen  und  vielfach  auch  nicht  recht  anschau- 
lic[i(  n  Ar  t  t'.cr  I 'arstellung,  die  zum  groIJen  Teil  darauf  beruht,  daß  Arens 
die  Quellen  selbst  fast  nie  zu  Worte  kommen  laßt,  sondern  nur  seine 
eigene  Auffassung  von  ihrem  Wesen  vorträgt  und  es  dem  Leser  überläßt, 
sich  die  Quellenstellen,  auf  die  er  in  den  Anmerlntncoi  verveist,  selbst 
zusunmenzusuchen.  Dte  Iddtte  Lesbarkeit  des  BudMS  wird  dadurdi 
beeinträchtigt,  eber^so  wie  Idder  auch  seine  Iddite  Benfitdxurheit  wegen 
des  mangelnden  Regist^i^  ^tn^k  zu  leiden  hnt 

Von  diesen  kleinen  Mangeln  k  diiicn  wir  getrost  absehen!  Ini 
ganzen  ist  es  dem  Verfasser  in  aneriicnncnswerter  Weise  gelungen,  auf 
Orund  der  oben  genannten  Quellen  das  Seelenleben  des  deutsch-tirolischen 
Landvolkes  wihrend  des  Mitldalten  und  der  zwei  eilten  Jahrhunderte  der 
Neuzeit  daizulegen.  in  welcher  Weise  das  gesdiefacn  ist,  llfit  sich  in 
einer  kurzen  Anzeige  nicht  einmal  andeutungsweise  wiedergeben ,  und  es 
bleibt  ein  sehr  mangelhafter  Notbehelf,  wenn  wir  uns  auf  die  Mitteilung 
beschränken,  die  sfhüeniich  ntjch  schon  aus  einem  flüchtigen  Blick  in 
das  Inhaltsverzeichnis  gewonnen  werden  kann,  daß  Arens  seinen  Stoff 
in  sieben  Abschnitte  zerl^  hat,  in  denen  er  nacheinander  die  äußeren 
Bedingungen  des  tirolisdien  Volksleben^  die  innere  Anlage  des  tirolisdien 
Volhstums,  die  Stellung  zur  Natur,  die  innere  Grundlegung  des  sozialen 
Lebens  und  -  nach  einer  kurzen  Mitteilung  über  Wertungen  -  das 
sittliche  Leben  und  das  Recht,  so  weit  es  sich  au?  den  Weistfimem  als 
zuverlä^iger  volkstümlicher  Quelle  ergibt,  zu  schildern  \crsiicht  Dabei 
hat  Arens  sich  nicht  auf  eine  einfache  Materialsanimlung  beschrankt, 
sondern  es  ist  --  wie  er  es  S.  435  selbst  ausdrückt  —  »versucht  worden, 
das  Material  geistig  zu  flberiilicken,  die  geschilderten  Erscheinungen  des 
Seetenlebens  nach  ihrer  inneren  Zusammengdtflrlgkrit  zu  ordnen,  sie 
untereinander  in  kausalen  Zusammenhang  zu  bringen,  Entwicklungen  zu 
konstatieren,  wo  es  möglich  war".  Ob  man  nun  das  Werk  als  eine 
Leistung  der  kulturgeschichtlichen  Forschung  oder  als  eine  solche  der 
historischen  Volkskunde  bezeichnen  will,  bleibt  gleidigültig.  Es  ist  eine  Ge- 
schichte der  bäuerUchen  Innenkultur  in  Tirol,  die  Anspruch  auf  Beachtung 
machen  kann,  eine  fleißige  und  fOr  einen  Anftnger  auffsllend  tie^ndige 
Arbeit,  die  auch  prinzipiell  insofern  nicht  ohne  Bedeutung  ist,  ab  sie  aufs 
neue  zeigt,  welch  reiche  wissenschaftliche  Ausbeute  bei  einer  systematischen 
Ourchforschung  selbst  beschränkter  QueUengebiete  gewonnen  werden  kann. 


Dlgitized  by  Google 


Desprachitogm* 


127 


Ein  Wort  $d  noch  gcslattet  zu  S.  159»  wo  es  nach  Atens  «1s 
ehpis  (snz  Auffallendes  bezdchnet  veiden  muß,  wenn  nadi  einer  Be- 

mertning  im  Weistume  von  Schenna  (1513)  die  Grenze  zweier  Ortschaften 
einem  Nachbar  mitten  durch  den  Herd  geht.  Arens  sieht  darin  einen 
gewissen  Gegensatz  zu  der  sonst  üblichen  Betonung  des  einen  ge- 
schlossenen FamiHenhauses.  Diese  >x-ird  aber  gar  nicht  dadurch  berührt. 
Vidmehr  findet  sich  die  Benutzung  eines  Herdes  als  Orenzbezeichnung 
auch  sonst  mehrfach  aus  dem  einfachen  Grunde,  weil  der  biuerlidie  Herd 
nicht  so  leicht  wie  an  Qrenzsirin  verrfldct  werden  konnte.  War  er  dodi 
im  primitiven  Wohnbau  durch  seine  unlösliche  Verbindung  mit  der  sdir 
umfangreichen  Rniichfanganlage  so  sehr  an  seine  Stelle  gefesselt,  d.iß  seine 
Verschiebung  nur  mit  einer  völligen  wirtschaftlichen  und  konstruktiven 
Umwälzung  des  Hausinnern  zu  erreichen,  ja,  man  kann  sagen,  für  die  volles- 
tflmliclie  Bauweise  üt)erhaupt  dn  Ding  der  Unmöglichkeit  war. 

Otto  Lauflei. 


F.  Hiro,  Geschichte  der  Tiroler  Ijindtage  1 518— 1525  (Erläuterungen 
und  Ergänztingen  zu  Janssens  Geschichte  des  deutschen  Volkes  IV,  5). 
Freiburg  i.  B.,  Herder,  1905.   (XI,  124  S.) 

Die  ständischen  Verhandlungen  vor  dem  Fkueriikricge  in  Tirol  sind 
von  Bedeutung,  weil  hier  auch  die  Bauern  eine  Vertretung  hatten  und 
mit  den  Bfirgern  eine  Oppositionspartei  bildeten,  die  dch  mdir  und  mehr 
ndikalen  Stai^mungen  tiberließ.  Deren  Hauptvertreter  waren  die  Schwazer 
Bergki  a]>p  Ti  r!eich  ihren  steirischen  Standesieenossen  nadi  der  D«^tellung 
Rabenlechners  (vgl.  Archiv  I,  487).  Das  rasch  um  sich  greifende  Luther- 
tum für  die  Volksstimmung  verantwortlich  zu  m neben,  bezeichnet  der  Ver- 
fasser als  nicht  angängig.  Den  Inhalt  der  auf  ürund  archivalisclien  Ma- 
terials geschilderten  pailafiiciUarjächen  Kämpfe  bilden  die  finanziellen  An- 
sprOche  des  Landeshcrm,  die  politischen  der  Landschaft.  Eine  Verschärfung 
cifuhr  der  Konflikt  infolge  der  Stärkung  der  Fflrstenmacht  durch  Kails  V. 
politische  Qffolge.  Die  Schroffheit  seines  Statthalters  Ferdinand  und  seines 
Hofrats,  besonders  des  Schatzmeisters  Salamanka,  gegenüber  den  stän- 
dischen Fordcnmgen  trieben  zu  gc\x'altsamer  l,ösung,  die  hier  bekanntlich 
zum  Vorteil  der  Bauern  ausschlug. 

ü.  Liebe. 


Joh  Reil,  Die  frühchristlichen  DriT^tellungen  der  Kreuzigung 
Christi  (Studien  über  christliche  Denkmäler  hrsi,.  von  Joh.  Ficker,  H.  2). 
Leipzig,  Dieterichsche  Verlags-Buchhandlung,  1904.  (X,  128  S.  mit 
6  Tafeln). 

Rfeil  behandelt  in  der  vorliegenden  Arbeit,  einer  Straßbuiger 
DtMrtation,  dss  Kraizigungririld  in  seinen  Anfingen  und  semer  Ent- 


12$ 


Besprechungen. 


Wicklung  in  der  fnihchristUcIien  Welt  bis  zur  Karolinp'erzeit.  Dabei  ist 
einerseits  das  liild  als  solches  betrachtet,  daneben  aber  i^t  es  auch  „als 
kunstlenscher  Niederschlag  der  populären  religiösen  Oedanken-  und  Ge- 
fahlsvelt  der  frühdnistUdien  Zeit  angesdieB  und  gewerlet  worden', 
d.  h.  die  Realien  sind  liier  als  loilturgeschiclitlicbe  Quelle  ausgenutzt 
ebenso  vie  sie  un^gelKliTt  «udi  wieder  ilure  Erldimig  aus  den  kultur- 
geschichtlichen Entwicklungen  heraus  gefunden  haben. 

Reil  ist  auf  diese  Weise  zu  folgenden  FrjTehni«^sen  g^elangt.  Der 
Kreuzestod  Christi  erscheint  im  Christentum  der  tjntchisch -römischen 
Welt  die  ersten  Jahrhunderte  hindurch  als  eine  unverstandene  Größe.  Die 
Gottheit  am  Kreuze  m  dem  antiicen  Empfinden  ein  Puvdoxon.  Man 
mufite  sich  daher  mit  dem  Kreuzestode  Christi  abfinden,  so  gut  es  eben 
ging.   Dabei  sind  das  Morgenhind  und  das  AbendUuid  verschiedene 

gc&Mgen,  und  diese  verschiedenartige  Wertschätzung  des  Gekreu- 
zigten im  populären  Christentum  <;piot;elt  sich  mich  iti  den  chri<;t!ichen 
Denkmälern  wieder.  Die  ersten  Spuren  des  K^euzi}4un^sbildc^  weisen 
nach  dem  Morgeniande,  und  zwar  scheint  es  in  Syrien  in  den  neu- 
tcstamentlicheo  BUderkrds  angereiht  wordai  zu  sein.  Freilich  findet  sich 
auch  hier  zunicbst  nur  eine  intensive  Kreusesverehrung,  wie  sie  schon 
am  Ende  des  4.  Jahrhunderts  in  den  Kirchen  und  bd  Prozessionen  in 
Antiochien  nachgewiesen  ist.  Die  heilige  Kreuzreliquie  in  Jerusalem  hatte 
in  den  Nacbharländern  früh/eititT  eine  besonders  lebhafte  Kreimerehninj,' 
befördert,  und  so  Schemen  die  Syrer  schon  im  6.  Jahrhundert  cl.is  Kreuz 
auch  zuerst  auf  den  Altar  gestellt  zu  haben,  während  es  im  Abendiande 
diesen  Platz  erst  endgültig  im  13.  Jahihundert  gefunden  hat  Dam  ge- 
winnt nun  aber  vom  6.  Jahrhundert  an,  und  rodir  noch  im  Laufe  des 
7.  Jahrhunderts,  der  Gekreuzigte  selbst  in  steigendem  Ma6e  das  Interesse. 
Die  Ereignisse  des  Lebens  Jesu  im  Bilde  darzustellen,  fand  man  an  den 
bcfreffenden  Stätten  des  heiligen  Landes  die  lebhafteste  Anregung,  und  so 
verniiittM  Iv  il,  daß  dort  auch  der  Prototyp  des  Kreuzigungsbildcs  ent- 
standen SCI.  Schon  in  d«"  zweiten  Hälfte  des  6.  Jahrhunderts  fand  der 
Pilger  auf  Golgatha  einen  werdenden  Typ  der  Kreuzigungsdarstellung 
abgebildet,  und  zwar  bestand  dieser  »erste  moigenUlndische  Typus*  aus 
dem  Kreuz  mit  dem  Medaillon  Christi  an  seiner  Spitze,  zu  btiden  Sdten 
die  Schächer  am  Pfahl  oder  Kreuz,  zu  welchen  Momenten  später  noch 
Sonne  und  Mond,  Johannes  und  Maria  hinzugeffigt  worden  «^ind. 

Von  hier  aus  ist  dann  die  Kntuicklung  weiter  gegangen.  Aus 
dem  Medaillon  wurde  erst  das  Brustbild,  schließlich  die  Voilfigur  Christi, 
und  so  entwickelt  sich  »der  zwdte  moigenlindische  (llaupt-)Typus«. 
Den  alten  aberkommenen  Komposttionseleroenten,  die  man  auch  ferner- 
hin beibehielt,  wurden  jetzt  noch  neue  hinzugefügt  in  Gestalt  von  Speer- 
träger, Schwammhalter  und  den  würfelnden  Soldaten,  denen  Reil  eine 
zweifellos  syrische  Herkunft  zuschreibt,  und  deren  Auftreten  er  ins  6.  Jahr- 
hundert verlegen  möchte.   Aber  alle  diese  Einzelheiten  scblieUen  sich 


Digitized  by  Google 


PftprwhwTgfWi 


129 


nicht  7TJ  einem  starren  Schema  zusammen,  sondern  ihre  Komposition 
wechselt,  und  die  einzelnen  Glieder  sind  in  eine  lebensvolle  Wechsel- 
wirkung zueinander  getreten  (S.  64  ff.).  Dieser  Haupttypus  der  morgen- 
ländischen Kreuzigungsdarstellung  hat  eine  ungeheuere  Verbreitung  auf 
kunstgewerblichen  Oegcnstiodcn  und  in  der  Aidimalerei  gefunden  - 
Rdl  gibl  eine  BcKhreibttng  der  erhtUoien  dnidiligigen  Denlonfller»  die 
man  auf  diese  Weise  zu  bequemer  Oberaicbt  geordnet  findet  auch 
ins  Abendland  ist  er  dngedrunfen,  und  Italien  hatte  er  tdlveise  fflr 
sich  erobert. 

Demp^egenüber  ist  die  Mitarbeit  des  Abendlandes  vor  der  karolin- 
gischen  Zeit  an  der  Schaffung  eines  Kreuzigungsbildes  gering.  Immerhin 
glanltt  Reil  auch  einen  -  zvar  wenig  verlMdleten  -  sdbstSndigqi 
•abcndündiscfaen  Kreuzigungstyp«  anndimm  zu  ksöonen,  für  den  er  seit 

dem  6.  Jahrhundert  Zeugnisse  beibringt«  und  den  er  duidi  die  nflchtevne 

Behandlung  des  nackten,  völü}^  aufj^estreckten  Körpers  einerseits  und 
durch  die  doketisierende  Christusgestalt  und  ihre  erhöiite  Stellung  anderer- 
seits charakterisiert  fuidet  Dieser  Typ  gehört  der  rönuschen  Kultursphäre 
des  Abendlandes  an,  neben  ihm  steht  hier  aber,  wie  Reil  aufführt 
(&  113  ff.),  noch  ehi  andcRr,  «der  Irlindiache  Typus«.  Dendbe  «inl  im 
vcaentlicben  besdchnet  durdi  den  aufrechten^  auigestredctent  lebendigen 
Christus  mit  dem  morgenländischen  Gesichtstyp,  angetan  mit  dem 
ärmellosen  oder  mit  Ärmeln  versehenen  Colobium,  das  tmtcr  irischer 
Hand  zu  verschlungenem  Bandwerk  geworden  ist;  ferner  durch  Speer- 
träger  und  Sclnvanimhalter  sowie  endlich  hier  und  da  durcli  zuei  Hngel 
über  den  KrcLizarnien  und  em  cxiei  zwei  Vögel  (Adler)  zu  liaupten 
QuIstL  Die  Figuren  von  Johannes  und  Maria  fehlen  in  den  cihallencn 
DenlBnikm  dieses  Typus  gtbudidi.  -  Mit  der  Karolingendt  actat  dann 
im  Abcndlande  die  Ausbildung  weiterer  selbständiger  Kompositionen  dn. 

Was  an  dem  vorliegenden  Buche  neben  dem  ikonographischen 
Interesse  für  uns  auch  in  prinzipieller  Hinsicht  bedeutsam  erscheint,  das 
ist  die  Art,  wie  die  Denkmäler  in  Beziehung?  gesetzt  sind  m  den  Schrift- 
queiien.  Dieselbe  ciiaraktensiert  in  ertreuliciier  Weise  die  Absichten, 
die  do-  Hcnusgeber  Job.  Uchcr  bd  den  »Studien  Aber  chiislllche  Dcnk- 
mfllcr«,  deren  zweites  Heft  Reils  Aibdt  bildet,  im  Auge  hat,  und  die  In 
dieser  hnltuigeschichtlichen  Zeitschrift  ganz  besonders  hervorgehoben 
werden  müssen.  Ficker  weist  mit  Recht  darauf  hin,  daß  die  bildlichen 
Denkmäler  lange  Zeit  gar  nicht  al«;  ge^^chichtliche  Quellen  vens-endct 
worden  sind  und  auch  heute  noch  bei  weitem  nicht  die  Beachtung  und 
Verwertung  finden,  die  sie  haben,  müssen.  Denn  die  Betrachtung^dse, 
die  ihnen  zugewendet  wird,  enchfipfl  sich  mit  der  istlietischen  Wflrdigung 
des  BlUworho^  wihiend  die  arefaiologische  und  geschichtliche  beiseite 
gestellt,  das  Inhaltliche  vernachlässigt  wird.  Demgegenüber  betont  Ficker 
mit  einer  Energie,  wie  sie  sonst  Idder  in  dieser  Hinsicht  nur  selten  sidi 
findet  den  wissenschaftlkfaen  Wert  der  archftologiscfaen  Behandlung,  In- 

Mhr  ttr  XMHMifeMhldite.  V.  9 


Digitized  by  Google 


130 


Bcqjrechuagen. 


den:  er  sagt:  »Die  Denkmäler  sind  zum  weitaus  größten  Tdle  ins  dem 
Bechnfnis  und  der  bildenden  Kraft  des  Volkes  hcmnsj^crachsen.  Das 
Volk  darum  ieiiren  sie  kermen,  die  Stimmungen  und  Sclminjruti^en  der 
Volkb^M  clc  lassen  sie  belausclien  ....  Damit  geben  sie  das  Verständnis  für 
die  bretle  Grundlage  aller  gesdiichtlichen  Entwicklung,  sie  führen  in  die 
Tiefe  zu  deren  Vuneln.  So  fOidcrt  ihr  Studium  das  kulturgeschlditlidie 
Vcnündnis  im  weitesten  Umfinige  und  im  hSdisten  Snne  und  dient 
damit  dner  Betrachtung  der  geschichtlichen  Entwicklung,  die  unserer 
Zeit  ebenso  nahe  Hegt,  wie  sie  vielfach  noch  viel  zu  kurz  kommt  "  Mit 
diesen  Worten  sind  die  Ziele  der  Archäologie  so  kurz  und  klar  gezeichnet, 
wie  es  besser  kaum  geschehen  kann,  und  in  ihrem  Sinne  sollen  in  den 
»Studien"  die  Fragen  der  christlichen  Archäologie  ihre  Behandlung  finden. 
Wir  Icfinnen  daher  dem  Herausgeber  zu  diesem  Unternehmen  nur  den 
besten  Erfolg  und  fleißige  Mitarbeiter  wflnscfaen,  dann  vire  zu  hoffen, 
daß  nach  diesem  Vorbilde  mit  der  Zeit  auch  die  übrigen,  bislang  noch 
so  vielfach  brachliegenden  Gebiete  der  Archäologie  ihre  sachgeroiSe 
Pflege  finden  würden. 

Otto  Lauffer. 


U.  Stntz,  Die  kirchliche  Rechtsgeschichte.  Stuttgart,  £nke,  1905. 
(55  S.) 

Diese  akademische  Rede  begründet  mit  einer  kurzen  Charakteristik 
der  bisherigen  Litentnr  die  Foidcmng,  mehr  als  bisher  die  historische 
Darstellung  von  der  systematüMfaen  zu  trennen.  Neben  der  FtMerung 

de  Recbt^;eschichte  erwartet  sie  davon  auch  eine  solche  für  die  Aus- 
gestaltung des  j^eltenden  Rechts  durch  die  Entlastung  von  historischem 
Ballast.  Zahlreiche  literarische  Anmerkungen  bringen  die  Unterlagen  für 
die  sehr  flüssig  geschriebenen  Ausführungen. 

O.  Liebe. 


L  Ofintiier,  Kepler  und  die  Theologie.  Ein  Stuck  Religions-  und 
Sittengeschichte  aus  dem  16.  und  17.  Jahrhundert.  Gießen,  1905.  Töpd- 
mann  (XVI,  144  S.). 

Die  menschlich  ergreifenden  und  erliebenden  ZQge  Im  Chankter- 

bilde  des  genialen  Forschers  unserer  Zelt  «fader  nihar  zu  bringen,  bt 

eine  schöne  Aufgabe,  aber  sie  ist  hier  nur  unvollkommen  gelöst  worden. 
Der  X  ciiasser  hat  sich  damit  bescheiden  wollen,  fiir  die  in  Übersetzung 
wiederg^ebenen  Stellen  aus  Keplers  Werken  und  Briefen,  die  sein  tief- 


Digitized  by  Google 


•  III! 


Bcsprechiingictt. 


131 


Td^tai  Cmpfiiideii  ofüenbueii.  die  liiognphlaGbe  Vcrtiiiidiiiig  zu  geben. 

Wrd  dadurch  auch  manches  in  Keplers  Werken  Vergrabene  allgemeinerer 
Kenntnis  erschlossen,  z.  B.  seine  Stellung  zur  Astrolofrie,  so  i^^t  die  Form 
doch  rtefit  schwerfällig,  und  die  Beziehungen  zu  den  herrschenden  Zeit- 
ansciiauungen  sind  nicht  soweit  vertieft,  um  den  Untertitel  zu  recht- 
fertigen. Ein  schönes  Jugendbildnis  des  Astronomen  ist  eine  interessante 
Beigabe  des  von  ehriidier  Begeitterung  sprechenden  Budies. 

O.  Liebe. 


Fritz  Hartmans,  Sechs  Bücher  BmunschweigischerTheateigeschidite. 

WolfenbGttel,  Zwißler,  1905.  (VIII,  683  S.) 

Ein  wirklich  sehr  amüsantes  und  auch  kulturgeschichtlich  interessantes 
Buch.  Nicht  daß  wir  vom  Leben  in  der  „leifen  Stadt  Brönsewik*  eben 
viel  zu  hören  bekämen.  »Ferrara  durch  seine  Fürsten  groß",  kommt 
uns  audi  hier  in  den  Sinn,  wo  von  den  hierzögen  Heinrich  Julius  und 
Anton  Ulridi  bis  zum  Diatnantenheneog  Kart  und  zum  Hersog  Wilhelm 
alles  Theaterieben  bald  zu  Nutz,  bald  auch  zum  Nachteil  der  Kunst  von 
der  Hofloge  abhing.  Die  Stimmungen  im  Braunschweiger  und  Wotfen- 
bütteler  Schlosse  spiegeln  sich  treulich  wieder  in  seiner  Theatergeschichte, 
und  es  ist  Fr.  Hartmann  gelungen,  unser  volles  Interesse  an  all  die 
Freuden  und  I  ciden  der  Komödianten  und  Mtjsiker  gefesselt  zu  halten. 
Was  steigen  da  lur  treffliche  Persönlichkeiten  der  Kunstgesdiichte  lebens- 
voll aus  den  CMbem  auf,  mit  wieviel  Uebe  sind  Gestalten  wie  der  Dicelclor 
FHedrich  Walther  oder  Karl  Kfldiy,  Kapellmeister  Franz  Abt  Mad.  Aurare 
Bflrsay  oder  das  Mfillerquartett  und  so  mancher  andere  uns  nahe  gebracht, 
und  auch  die  kürzeren  Charakteristiken  \orühergehender  Sterne  sind  fast 
alle  mit  sichatrr  Pinselführung  gemalt  und  deutlich  umrissen.  Ein  zu- 
verlässiges Namenregister  ermöglicht  das  Wiederfinden  all  der  Personen 
in  dem  nicht  leicht  zu  überblickenden  Verlaufe  der  Geschichte,  wie  sie 
Hartmann  darstellt. 

Wie  schade,  daB  der  Veifnaer  dieser  gnißen,  flelBigen  Aibdt  von 
vornherein  und  grandsitzttch  hsi  jedes  wissenschaftlich  kritische  Beiwerk 
hartnäckig  verschmfthtr  so  daB  uns  ein  Nachprüfen  der  historisdien  Wahrheit 
seiner  Überlieferungen  -  aus  seinem  Werke  wenigstens  -  unmöglich  ist. 

Seine  Quellenangaben  sind,  soweit  überhaufit  solche  da  sind,  f^anz  un- 
genügend. Dadurch  gibt  er  wohl  eine  hübsche,  anregende  Lektüre;  der 
theatergeschichtlichen  Forschung  erweist  er  nur  den  halben  Dienst.  Er 
ist  tich  dieses  Mangels  selbst  voll  t)ewofit  und  wappnet  sich  dagegoi 
mit  einem  stolzen  Worte  Macauhiys;  doch  bleibt  er  uns  eben  die  Nach- 
weise immer  wieder  schuldig,  ob  er  uns  wklich,  wie  das  der  grofie 
englische  Oeschichtsschreiber  vielleicht  von  sich  behaupten  kann,  »ein 

9' 


Digltized  by  Google 


13^ 


Dttptcphuqgep. 


treues  Bild  von  dem  Leben  der  Vorfahren*  ^ibt  Gewiß  ist  es  wünschens- 
wert, wie  die  Vorrede  sagt,  «daß  die  Theattr^ebchichte  sich  nicht  auf 
den  engen  Zirkel  der  Fachgeleiirtenschaft  beschninict,  sondern  sich  den 
großen  Kreis  der  Theaterfreunde  erobert* ;  in  OBtcr  linic  aber  adieint 
mir  docli  notMdlg,  daO  die.  f^dtgenomn  den  vesenlliciMn  Nutzen  vot| 
ciiiem  neuen  fvcliwerk  (es  nennt  sich  .Theatergeschidite,  nadi  den  Qudlen 
bearbeitet")  haben.  Es  wflrde  der  lebensvollen  Darstellung  der  Braun- 
schweiger Tbeater£^esch?chfe  wohl  keinen  Eintrag  getan  haben ,  wenn 
jedesmal  ein  knapper  bibliotrraphischer  Vermerk  die  genaue  Quellenangabe 
-  etwa  im  Anhang  -  gebracht  hätte.  Oewiß  zeichnet  sich  unsere  junge 
theaterhistorische  Forschung  noch  etwss  durdi  eine  F&üe  des  Mtbclien 
und  Ubiiogiipiiisdien  Appsfites  ans.  die  dem  Laien  Übeidrua  errccen 
mag.  Aber  sende  bd  einer  so  jungen  Disziplin  sind  die  meist  recht 
entlegenen  und  durda  kein  bibliographisches  Nachschlagewerk  von  der 
Art  Ooedeke?  erreichbaren  Fundstellen  mit  das  Wichtigste  der  ganzen 
Forschung.  Friiz  Hartmann  wird  das  bei  semen  fleißigen  Vorstudien 
selbst  emplunden  haben.  Nicht  um  eine  Gelehrtenraode  mitzumachen, 
sondern  weil  wir  als  wissenschaftUdie  Benutzer  sie  zur  Erkenntnis  der 
historischen  Qcsdiehnine  bnuicben,  verlangen  vir  bd  dnem  modernen 
WerlK  der  VGlasensdiaft  die  Belege  angegeben  zu  finden. 

Als  Zweck  seines  Buches  gibt  Hartnuinn  ein  Doppeltes  an :  »Einmal, 
dem  deutschen  Kunstfreund  zu  zeigen,  wie  sich  die  Fntwicklung  der  all- 
gemeinen deutschen  Bühne  in  da*  Entuicklung  einer  Sonderbuhne  spiegelt, 
zum  anderen  aber  auch,  den  hiesigen  [Braunschweigischen]  Geschichts- 
freund anzuleiten,  die  Vcrgangenhdt  unserer  Btlbne  nicht  isoliert,  sondern 
als  Teil  des  großen  Ganzen  zu  betrachten.«  Diesem  Doppelzvedse^  dem 
man  ftdlich  andi  gidch  zu  sehr  die  Rficksicht  auf  ein  breites  Publikum 
anmerkt,  ist  der  Verfasser  gut  gerecht  geworden.  Und  ah  Mittel  dazu  dient 
ihm  sicherlich  seine  lebensvolle  Darstenunpyjrf.  Allein  gerade  die  »feuille- 
tonistische  Tonart",  wie  er  es  seibsterkennend  nennt,  hat  m.  F.  seiner 
Darstellung  sehr  geschadet.  Er  tut  des  Guten  im  lebhaften  Anschauiich- 
machen  oft  zu  vid  und  zerstört  sich  so  sdne  Wirkung.  Dahin  ist  die 
Menge  salopper  Ausdrficke  zu  rechnen,  die  das  Biidi  oft  mehr  eigOlzlidi 
als  vornehm  machen.  So,  wenn  er  (S.  88  und  226)  von  »Manichiem*, 
•Pleitq;dem'  und  »unsichem  Kantonisten«  spricht,  audi  sonst  gern 
Modernes  in  die  Schilderung  älterer  Zeiten  verflicht.  So,  wenn  er  S.  10S 
raeint,  ^an  den  Braunschweiger  Texten«  aus  dem  Anfang  des  18.  Jahr- 
hunderts »fände  Herr  Roeren  selbst  mit  der  lex  Heinze-Brille  auf  der 
Nase  nicht  allzuviel  zu  beanstanden*.  Ahnlich  S.  362  Ober  Miqud; 
S.  284  nennt  er  gdstrddidnd  Küngemann  dnc  »dnunatische  Hldsd- 
mssdiine«,  S.  300  Friedr.  Walther  einen  •Vorläufer  jener  heutigen  Richt- 
kanoniere dramatischer  Schnellfeuerhaubitzen,  die  stantes  pede  in  uno 
iede?  Zeitereignis,  einerlei  ob  Dreyfußprozeß,  Pekinger  Oesandten-  oder 
Belgrader  Königsroord  zu  einem  theatralischen  Wurfgeschoß  machen«. 


Digitized  by  Google 


193 


Ole  Niin6nvepdrehung  ,Kurz-Bombardon«  für  Bemardon  soll  wohl  auch 
Wifz  (an  r«-e!  Stellen  im  Register').  S.  .527  sagt  er,  „Flotos  Ehrgeiz 
ging  höher,  als  den  i.eulen  die  nötige  Bettschwere  heranzuamüsieren." 
Derartige  Beispiele  geschmackloser  Stilblüten  ließen  sich  noch  verschiedene 
anführen.   Die  gt^ebenen  werden  genügen. 

Ein  lidtaro  Mittd  ibcr  zu  poputtrar  WAHning  des  Büches  sbUten, 
scHdot  es,  gle^  die'KapHdflbeftdiriften  sein.  Sie  sihd  graflenteOs  recht 
Cteldlt,  Uk  dem  Bestreben,  die  Neugierde  des  Lesers  zu  spannen.  Sie  sind 
nicht  ohne  Witz  ausgewählt.  Wäre  aber  nicht  besser,  sie  reifsten  den 
Inhalt  des  betreffenden  Kapitels  an,  anstatt  ihn  scherzhaft  geistreich  zu  ver- 
stecken' Was  soll  man  sich  bei  Oberschriften  denken,  die  etwa  ankündigen 
•Im  Reidi  des  Wunderlichen'-  (es  behandelt  den  Magister  Velten)  oder 
•OMkckvanscIiende  fteadendintenung''  (enthUt  die  ChindtterideruAg 
Anton  UMdn)  oder  »Mit  aHognidigslem  ftivilegio',  d»  ebensogut  auf 
alle  andern  Truppen  des  18.  Jahrhunderts  wie  auf  die  Neubersche  be- 
zogen werden  könnte  Auch  Überschriften  wie  ,,Ma5:^ere  Jahre"  (Döbbelin, 
Wäser),  »Ich  habe  noch  Berge  zu  übersteigen"  (Bondini,  Oroßmann),  der 
Thespiskarren"  (Döbbelin,  Tilly,  Mädel),  „Schwere  Not"  u.  ä.  wären 
einem  Sensatioiisronian  eines  Feuilletons  angemessener  als  einer  »Theater- 
gesdiidile*.  Die  Folge  davon  isl^  daS  nun  sich  in  dem  Buche  recht 
sdiwcr  zuredttfindet,  wenn  man  sich  nicht  den  SdiUssel  au  den  onhel- 
liaften  Rubren  herausgesucht  und  gemerkt  hat  Und  das  Ist  bedaiieriidi 
bd  einem  Buche,  das  eine  solche  Fülle  wertvollen  Matena!?  auch  für  die 
Forschung  cmsto"  Oelehrsamkeit  bir^t,  bedauerlich  für  den  Autor,  der 
seinen  Reichtum  nicht  übersichtlicher  und  nutzbringender  zu  verwerten 
versund,  und  für  die  entschieden  guten,  z.  T.  originalen  Quellen,  die  ihm 
zur  Verfügung  gestanden  liaben,  wie  die  grofie  Hiusleesche  ^mmlung 
bfarnischwdgiscfaer  ThesIcRettel,  wie  die  im  Sladlsrchiv  erhaltenen  KoUelc- 
taneen  Sacks  und  der  Theaterband  der  Personaliensammlung,  wie  der 
Nachlaß  Köchys  u.  a.  verstreute  Funde,  die  Hartmann  mit  Glück 
und  Geschick  entdeckt  und  herangezogen  hat.  Was  würde  es  aber  der 
von  ihm  ^Geforderten  und  z.  T.  geleisteten  «liebevollen  Versenkung  in  die 
Einzelheiten  und  lebhaften  Farbengebung"  göchadet  haben,  wenn  er  uns 
z.  B.  in  einem  Anhang  (wie  es  Kopp  CQr  Klingemanns  Nationaltheatcr 
getan  hat)  das  ganze  Repertoire  nach  der  fttusloschen  Sammlung  tabellen- 
artig ilbeisichtlich  geboten  hätte?  Nachträglich  whd  das  niemand  mehr 
machen  wollen,  und  wir  werden  auf  Hartmanns  zusammenfassende  Dar- 
stellung angewiesen  sein  und  seinen  Urteiloi  und  Angaben  blind  Glauben 
schenken  müssen. 

Die  alteren  Zeiten  der  Braunschweiger  iheaiergcscluchte,  von  den 
geisdidien  Spielen  und  dem  Rcnaisstncedrama  bis  zu  Klingemann,  sind 
bd  Hartmann  im  wesentlichen  gcschidrte  und  -  abgesdien  von  den 
crvihnten  Qeschmacklods^ten  -  ansehende  Zusammenstellung  der 
Ergebnisse  schon  vorhandener  Fbisdiungen;  die  Schilderung  der  Zeit  seit 


üiyiiizeü  by  Google 


134 


Bcsprodiun^icii* 


der  Mitte  des  1 9.  Jahrhunderts  beruht  zutoi  grofien  Teil  auf  mflndlicfaeii 
oder  adififUidieii  .Obcriicfeniiigen  Mitidxnder  oder  ihrer  Ancebflrigen. 
Das  gilt  besonders  von  der  Person  und  Tätigkeit  Köchy%  der  freilich  an 
einigen  Stellen,  besonders  im  Vergleich  mit  Klingemann,  etwas  überschätzt 
zu  sein  scheint.  Klingemann,  dessen  Porträt  mit  gutem  Rechte  vor  dem 
Titelblatt  des  ganzen  Buches  steht,  hätte  m.  E.  bedentender  aufgefaßt 
und  in  einem  großen  Bilde  beiiandelt  werden  können.  Er  ist  durch 
Vorgängerin  und  Nachfolger,  dann  ancii  durch  den  Diamantenherzog 
etwas  aus  dem  ihm  gebfihrendenMittelpunIcte  des  Werk»  geschoben  worden. 
Am  %en lösten  wertvoll  Ist  das  SdduBIßipitel,  das  in  ein  loses  Aufreihen 
all  der  Eintagserscheinungen  unserer  Zeit  ziemlich  kritiklos  zerbröckelt  und 
uns  dadurch  recht  unbefriedigt  aus  einem  Btiche  entläßt,  das  dem  Leser 
jedenfalls  viel  Schönes  und  Großes  zu  erzählen  wußte. 

Hans  Dcvrient. 


Digltized  by  Google 


Kieine  Mitteilungen  und  Referate. 


Linen  kurzen  Vortrag  über  die  Geschichtsauffassung  im 
Wandel  der  Zeit  und  ivir  vom  Standpunkt  des  gemäßigten  kathoUacben 
Historitas,  vcrOffentUdit  Max  Jansen  im  Hialoriacben  Jahrbuch  (XXVII, 
Heft  1>.  NatOilich  handelt  es  sich  gegen  den  Schlitfi  hin  wieder  aus- 
giebig um  den  unvermeidlichen  Lamprecht,  dessen  geringe  originale 
deutun^  vielen  Fnch^oesen  noch  immer  nicht  gen&gend  zum  Bewußt- 
sein gekouuTien  ist. 

Über  Anpassuiigsbedingungen  und  Entwicklungsmotive 
der  Kultur  handelt,  kflhn  systenmtiiieKnd,  L  Chalikiopoulos  tn  der 
Oeographischen  Zettachrift  (12.  Jahtig.,  Heft  7/8). 

In  der  Politisch -anthropologischen  Revue  (5.  Jahrg.,  Nr.  2)  sucht 
Karl  Jentsch  die  Begriffe  Kultur  und  Zivilisation  zu  bestimmen 
nnd  zu  erläutern,  Kultur  ist  ihm  nur  die  lebendige  Kultur,  die  »Seele  der 
menschlichen  Arbeit".  Der  heutigen  Welt  ist  Wiederherstellung  des 
Oleichgewichts  zwischen  Kultur  und  der  heute  übei^hätzten,  in  der  an- 
tiken Wdt  vcnditeten  Zivilisation  notwendig. 

Markus  Landau  will  in  einem  Anfisatz  Aber  den  Fortschritt 
in  der  Moral  (Beilage  zur  Allgemeinen  Zeitung,  1906,  Nr.  187/8) 
historisch  beweisen,  daß  »trotz  Buckle  und  Burckhardt  ...  die  Mensch- 
heit nicht  bloß  in  intellektueller,  «sondern  atjch  in  moralischer  Rp^iehunji; 
langsam,  aber  entschieden  fortschreitet":  »die  Menschen  des  dreißigsten 
Jahrhunderts  werden  sehr  wahrscheinlich  auf  einer  noch  höheren  Stufe 
der  Ocdttung  stehen  als  die  der  Gegenwart*. 

Ebie  auch  allgenieingcschichtlldi  wichtige  Fngt  betrifft  Muchs 
Aufints  fiber  die  Trugspiegelung  orientalischer  Kultur  in  den 
vorgeschichtlichen  Zeitaltern  Nordeuropas  (MitteUungen  der 
Anthropologischen  Oesellschaft  in  Wien,  XXXVI,  H.  3/4). 

Cber  Bronze  und  Eisen  t>ei  Homer  handelt  A.  Lang  in  der  Revue 
ardieologique  (4«  serie,  t.  VU,  mais/avril)  (Le  bronze  et  le  fer  dans 
Homire). 

Sehr  beachtenswert  ist  eine  Arlieit  A.  Conradys  Ober  Indischen 

Einfluß  in  China  im  4.  Jahrhundert  v.  Chr.  in  der  Zeitschrift  der 
Deutschen  Morgraländischen  Ocsellschaft  (Jg.  60,  Heft  2). 


Digitized  by  Google 


136 


Kldne  Mitteilungen  und  Refcnte. 


Aus  dem  Musec  beige  (1906,  no.  l)  notieren  vir  einen  Artikel 
N.  Hohlweins:  L'adrainistration  des  vUUges  ^gyptiens  k  1*6- 
poque  grtco-rontine. 

Ein  in  den  Travaux  de  l'acad^mie  nationtle  de  Reims  (vol.  117, 
t.  \)  erschienener  Aufsatz  von  de  Boris,  Cnract^re?  i!e  Scythes  et 
caracteres  de  Slavcs,  sucht  die  Identität  beider  Völker  zu  erweisen. 

Von  einseitig-katholischem  Standpunkt  aus  behandelt  O.  Schnfi- 
rer  in  der  Schweizerischen  Rundschau  (5.  Jahrg.,  Heft  4/6)  die  Stellung 
des  Mittelalters  in  der  Kulturetttwiclclung  und  beleuditet  in  den 
Historiscii-poUtiscIicn  Bttttem  (CXXXVII,  H.  11/12)  die  liistorisciien 
Ornndlagen  unserer  Kultur  (Romisdie  Kultur,  Oermanentum  und. 
von  Sch.  besonders  betont,  Christentum) 

in  der  Altbayerischen  Monatsschrift  (VI,  S)  handelt  L  Stein- 
berger  über  Verunglimpfungen  des  bayerischen  Volks- 
stammes in  früherer  Zeit 

Von  Beitifgen  aur  lolcalcn  deutschen  Kulturgesdiiclite  engihnen  wir: 
K.  Knebel,  Alt-Freiberg  im  Dunkel  der  Nacht  (Mitlrilumen 
von  Freiberger  Altertumsverein,  Heft  41),  Vogeler,  Beiträge  zur 
Soester  Kulturgeschichte  (Zeitschrift  des  Vereins  für  Oesch.  von 
Soest  etc.,  21),  A.  Sikora,  F  ro  n  !  e  i  ch  n  a  m  s  g  c  b  i  ä  uche  in  Alt- 
bozen, Beitr.  zur  Kulturgesch.  Tirols  aus  Akten  des  k.  k.  Statthaitetei- 
Archivs  (Zeitschrift  des  Ferdinandeums,  XUX,  301  - 

V.  Schmidt  handdt  in  den  Mitteilungen  des  Vereins  fOr  Oeidud. 
Deutschen  foi  Böhmen  <45.  Jg.,  Nr.  1)  Aber  Kulturelle  Bexiehutigen 
zwischen  Sfldböhmen  und  Passau. 

R.  F.  Kaind!  bietet  in  einem  Aufsat?  der  Reilnpje  zur  Allgem.  Zeitung 
(190b,  Nr.  184)  iibcr  Krakaus  B ezi eh  u  ii  f;  c  n  zu  Süddeutsch- 
land um  ISüü  einige  Nachrichten  über  Süddeutsche,  die  sidi  damals 
zahlreich  nach  Krakau,  einer  im  späteren  Mittelalter  und  weiterhin  dtu^- 
ausdculsdien  Stsdt,  wandten.  Ebunal  Uefien  sich  dort  NOmbagier,  deren 
Vaiemadt  einen  regen  HandeisvcriBehr  mit  Knksu  pSItgltit,  dauernd  nieder, 
Kaufleute,  Buchdrucker,  Kunstler,  Gelehrte.  Noch  zahbeiciNr  waren  die 
dort  eingewanderten  Rheinlfinder;  um  1  450  fand  dne  geKhldSsenc  Btt- 
Wanderung  mehrerer  Familien  nach  Krakau  statt. 

Als  »spärlichen  Auszug«  aus  einer  demnächst  herauszugetvenden 
«Geschidite  da*  Deutsdien  in  den  Karpathenlindem'  veröffentlicht  der- 
selbe Veiteer  in  derselben  Zeitschriit  (Nr  243)  einen  Aufmtz:  Die 
Deutschen  in  den  Karpathen  lindern  und  ihr  KuttureinfluB. 
Die  Stärke  dieses  Einflusses  wird  namentlich  durch  Lehnwörter  bcl^ 

Marc  Chassaigne  schildert  in  der  Revue  des  Stüdes  historiques 
(1906  mai/juin,  juillet/aoüt)  die  von  der  Obrigkeit  anc^ewandien  Mittel 
(Verproviantierung)  zur  Bekämpfung  der  Teuerung  in  {-"ans  im  IS.Jahrh. 
Essai  sur  l'ancienne  police  de  Paris:  l'approvision nement). 

Das  Bulletin  des  sdenoes  tonomiqucs  et  sociales  (190S)  bringt  eine 


Digitized  by  Google 


Kldne  Mittdltmgen  und  Referate. 


137 


Arbeit  von  L.  Risch  über  das  I.cbcn  in  einem  Dorf  in  der  Nähe  von 
Versailles  im  achtzehnten  Jahrluindert  (Thiverval  avant  1  a  revoiution 
OU  U  vie  privee  et  les  mceurs  d'im  village  des  environs  de  Versailles  au  1 8«  s.). 

Aus  der  Revue  de  Beigique  (1906,  Septembre)  tr«^nen  wir  den 
AufnlB  von  L  Valllatp  La  toclM  de  Oen^ve  sous  Templre 
fran^ais. 

KuHurgeschichtlich  interessant  ist  ein  Beitrag  von  C  Bamps  im 

Ancier  pays  de  Looz  ('\90'y,  nos.  8  h  10):  jn Element  d'tin  prntonotaire, 
benäider  de  la  catliedrale  de  Liege,  au  milicu  du  XVIII«  siede  sur  les 
moeurs  et  le  caract^re  des  Hasseltois. 

Von  den  städtisdien  Ordnungen  einer  kldnen  Stadt  im  Lüttidisdien 
handelt  J.  Ceyssens  tai  der  Zeltichrifl  Leodium  (1906,  no.  5):  Les 
uaages  et  riglements  I  Vis^  en  t43S. 

Für  die  Gesdiichte  itultureller  Berührungen  und  Verlcehrsbeziehungen 
kommt  der  Aufsat?  von  O  Tli-  1  iipsley  im  Jtililieft  der  Enj^lish  Hi- 
storical  Review:  The  f-Iemin^::s  in  Eastern  England  in  the  Reign 
of  Henry  II,  sowie  der  von  \r.  Nunziante,  Qli  Italiani  in  Ingiiil' 
terra  durante  i  secoli  XV  e  XVI  (l:  Nuova  Antologia,  fasc  831) 
in  Betnucht 

Ein  anonymer  Aufntz  der  Orenzboten  (65.  Jahiy.,  Nr.  30)  bdeuehtet 

die  Spanische  Kultur  im  achtzehnten  Jahrhundert  auf  Orund 
der  Arbeiten  de^  französischen  Gelehrten  Desdevises  du  Dezcrt,  nanMUt* 
lidl  des  3.  Bandes  seines  Werkes:  L'Espagne  sous  l'ancien  rct^ime. 

In  der  jetzt  von  K.  Lamprecht  herausgegebenen  »Allgemeinen 
Staatengeschichte'  (der  früheren  «Oeschichte  der  europäischen  Staaten«)  ist 
neuerdings  eine  zwdbftndige  Oescliielite  des  Rum  in  I  sollen  Vollces 
im  Rahmen  seiner  Staatsbildungen  von  dem  Bukarester  Univer- 
Sitätsprofessor  N.  Jorga  erschienen,  die  erste  vollständige  rumänische 
Geschichte  in  deutscher  Sprache  (Gotha,  Fr.  Andr.  Perthes,  Aktiengesell- 
schaft, 1905)  (XTV,  402;  XIII,  541  S.).  Qegenfiber  den  von  Haß  einer- 
seits, von  Eigendünkel  (im  Sinne  der  Auffassung  der  Rumänen  als  editer 
Nachfolger  der  Römer)  andererseits  diktierten  Darstellungen  der  rumä- 
nischen Gesdiichte  will  der  in  seinem  Vaterlande  hochangesehene  Mann, 
der  fiberali  fflr  das  Wahre  und  Oute  eintritt,  du  £rgelmis  einer  voror- 
teilsfrden  Betrachtung  der  authentischen  Qudlen  bieten.  Er  will  ferner 
die  Nation  sclbi^t  nl?  lebendiges  Wesen  betrachten  imd  ihren  inneren 
Werdct^nng  verfolgen,  nähert  sich  also  durchaus  der  kuiturgescluchtlichen 
Auffassung.  Das  verrät  auch  seine  Betonung  der  Kulturdnflusse.  Er 
möchte  »die  Einwirkungen,  die  andere  Völker  auf  die  itumSnen  ausgeübt 
haben,  vie  diejenigen,  die  von  Ihnen  ausgegangen  sind,. fite*  das  Vcr- 
stfndnis  der  WeHgescfaichte,  die  als  Knltuiigeschichte  gewiß  existiert,  nutibsr 
machen«.  So  verdient  das  Werk  die  ernste  Beachtung  auch  des  Kultnr- 
historikers.  Bezüglich  der  Ktilttireinflüsse  sei  z.  B.  auf  die  Ausführungen 
über  die  Wirksamkeit  der  übernommenen,  gegen  Ende  des  16.  Jahrhunderts 


DIgltIzed  by  Google 


138 


Kleine  Mtttdlungen  und  Reicfate. 


vofdlenden  slavisclien  Kultur,  auf  die  Benrarknnsen  fllser  die  nur  in  die 
Hofkreiae  dringende  tflridacbe  Mode,  du  Kapild  Aber  den  griediisclien  Ein* 
floß  seit  der  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahrhundert«,  der  aber  als  ein  durchaus 
nicht  allzutiefer  hingestellt  wird,  hingewies^-n.  Von  Wichtigkeit  ist  sodann 
der  zweite  Abschnitt  des  Werkes:  Wirtschaftliches  und  geistif^-cs  Leben  des 
rumänischen  Volkes,  insbcsoinJerc  das  Kapitel  über  die  rumänischen  Dörfer, 
obwohl  manciierki  lu  diesem  Abschnitt  nicht  haltbar  sein  dürfte.  Viel 
weniger  Beistimmendes  liBt  sidi  aber  von  der  eüinographisch-liislarisdien 
Einleitung  Aber  die  Bildung  des  öimänischen  Volkes  und  von  dem  ersten 
Abschnitt  des  Werkes  sagen.  Oberhaupt  nimmt  der  Wert  des  Werkes  mit  dem 
Eintritt  in  die  «jpnteren  Zeiten  immer  zu.  Eine  sehr  i.'in{:;ehendc  Behnnd- 
lung  oiahreti  vor  allciti  die  Zustände  der  Gegen  . r^irt.  Auf  etwa  1ÜU  Seiten 
werden  die  Bevölkern iu::szastande,  das  wirtscliaüliche  und  das  soziale, 
politische  und  kulturelle  Leben  der  Rumänen  der  Gegenwart  geschildert: 
Uer  Ucgt  die  beste  Leistung  des  Verfassers  vor. 

Aus  der  Calcutla  Reviev  (July  1906)  sei  ein  Aufimtz  von  J.  Mac- 
farlane  notiert:  Visit ors  to  Calcutta  in  the  18th  Century. 

Im  Band  XXXVI  der  Mitteilungen  der  Anthropologischen  Gesell- 
schaft zu  Wien  handelt  R.  Andree  über  den  Ursprung  der  ameri- 
kanischen Kulturen  und  wendet  sich  gegen  die  lange  herrschende 
Ansicht  von  dem  fremden  Ursprung  derselben.  Heute  habe  die  Forschung 
solche  Meinungen  -  er  ffibrt  sie  im  einidnen  vor  ~  beseitigt  Die  vor- 
handenen Analogien  mit  Kultufdementoi  und  Sitten  der  allen  Vdt  kämen 
gegenüber  den  ausgesprochenen  Unterschieden  nicht  in  Betracht.  Wie 
die  Menschen  autochthon  seien,  so  sei  auch  ihre  Kulturentwicklung  eine 
selbständige,  zumal  sie  außerordentlich  isoliert  waren.  „Warum  sollten 
die  fremden  Kulturträger  aus  allen  Weltenden  immer  nur  ein  einzelnes 
Oerät,  einen  einzelnen  religiösen  Brauch,  ein  einzelnes  Wort  nach  Amerika 
übertragen,  aber  die  allervichtipten  und  den  Amerikanern  notwendigen 
Dinge»  wie  Eisen  und  Haustiere,  unberücksichtigt  gdasien  haben.« 

In  dem  von  Wilhelm  UM  herausgegebenen  Sammelwerk  Teutonia 
ist  als  2.  Heft  eine  Abhandlung  von  Julius  von  Negelein,  Das  I'ferd 
im  arischen  Altertum  erschienen  (KönigsbCTg  i.  Pr.,  Gräfe  &  Unzer,19ÜS) 
(XXXVII,  179  S.),  die  wir  hier  ein  wenig  verspätet  zur  Anzeige  bringen. 
Die  höchst  fleißige  Arbeit  ist  zwar  auch  der  wirtschafts-,  sitten-  und  all- 
gemeingeschichtlichen Bedeutung  des  Pferdes  gewidmet^  mdur  noch  der 
mythologischen  Rolle  des  Tieres»  vor  allem  aber  der  Entwiddung  des  Pferde- 
opfers. Das  Buch  war  auch  »zunächst  als  Darstellung  und  Erklärung 
der  Zeremonien  de;  indischen  Roßopfer?  [repinnt  worden,  Muchs  aber  all- 
mählich immer  nu  lir  über  diese  seine  Anlage  hinaus.  Das  Verständnis 
des  indischen  Pferdeopfers  setzte  die  Kenntnis  dieses  Brauches  bei  den 
übrigen  arischen  Völkern  und  die  Rekonstruktion  des  letzteren  wiederum 
eine  Beobachtung  der  Rolle  voraus»  die  das  in  Betracht  kommende  Tier 
im  antiken  Kulturleben  überhaupt  spielte"    Der  VerCnser  brdlet  ein  in 


Dlgitized  by  Google 


Kleine  Mitteilungen  und  Referate. 


139 


jahrelangem  Studium  erarbeitetes»  von  aufieronlentUcher  Bdeaenheit  zey- 

gendes  Material,  das  sich  auch  VeJneswegs  auf  die  Indogermanen  be- 
schränkt, vor  !ms  nus;  sein  buch  wird  dem  Kulturhistoriker  vielfach  von 
Nutzen  sein  können.  Einen  Mangel,  die  nicht  völlig  genügende  Kenn- 
zeichnung wörtlicher  Entiehnungen  aus  anderen  Werken  hat  K.  Helm  in 
dn  Hcssiacheii  Blftttern  fOr  Volkskunde  (V,  Heft  i)  gerügt.  Doch  «dst 
J.  von  Negeleln  regdmäBig  in  den  Awnerktuisien  auf  das  betreffende 
Buch  hin:  es  gibt  .berühmte"  Historiter,  die  das  höchst  unt^angen  unter- 
lassen.  Einen  Einblick  in  das  Buch  map:  ^'^  kur?«  Referat  über  den 
Inhalt  geben.  Der  Stoff  ist  freilich  nicht  nnmcr  ^'liicklich  verteilt.  Der 
erste,  am  meisten  kulturgeschichtliche  Abschnitt.  Vicrd  und  Mensch  bnngt 
zunächst  das  Kapitel:  Roß  und  Reiter  (Held  und  Pferd),  behandelt  darin 
u.  a.  das  Pferd  in  der  Volksmedizin  aovie  die  Eigennamen  des  Pfeides; 
das  2.  Kapitel:  Pferd  Im  Kriege  besdiifligt  sich  audt  mit  dem  Pfeide- 
fleischessen;  das  i.  Kapitel:  der  Schimmel  ist  schoUi  wie  bereits  Partien  des 
1.  Kapitels,  wesentlich  von  mythologischem  Interesse  und  behandelt  u.  a. 
die  solare  Schimmelgotthcit  als  Zeitenordner.  Ganz  in  dieser  Richtung 
liegt  dann  der  zweite  Abschnitt:  Pferd  als  Gottheit  (1.  Pferd  als  Blitz- 
symbol [hier  wird  die  wilde  Jagd  mit  dem  Blitzroß  im  Oewittersturm  in 
Zusammenhang  gebracht,  hier  auch  die  kulturgieschicfatUdie. Bedeutung 
des  Hufes  und  des  Hufeisens  gestreift],  2.  Pferd  ab  WIndaymbol,  3.  Pferd 
als  Wassersymbol).  Der  dritte  (Haupt-)  Abschnitt:  Pferd  im  Kultus  be- 
handelt Zweck  und  Idee  des  Pferdeopfers  (es  soll  das  Menschenopfer  ver- 
treieii),  Idee  und  ünindziijj:  einer  Geschichte  des  indischen  Pferdeopfers, 
das  Pf erdeopfer  der  übrigen  antiken  Kulturen  und  das  Pferd  als  Orabmitgabe 
(hier  sei  auf  die  Theorie  der  Qrabmi^abe  aufmerksam  gemacht).  Wir 
«oUen  uns  nicht  auf  Einzelheiten,  deren  AuffMsung  uns  anfechtbar  er^ 
scheint,  einlassen,  vielmehr  die  charakteristischen  Schlußworte  des  Ver- 
fassers  anführoi:  »Wir  sahen,  «de  Pferd  und  Mensch  miteinander  ein 
Bündnis  eingingen,  und  wie  beide  zu  einer  Individualität  sich  zusammen- 
schlössen. Wir  betrachteten,  wie  das  Tier,  dessen  personliche  Vor/üj/e 
man  mimer  mehr  zu  schätzen  verstand,  nach  und  nach  zum  empinsciien 
Träger  abstrakter  Begriffe  wurde,  die  sein  Herr  allmählich  bilden  lernte, 
und  wie  es  dadurdi  in  dessen  rdigitan  und  sozhton  Leben  eine  Sonder* 
Stellung  sich  eroberte.  Wh*  stdllen  die  fieiiehungen  fest,  die  es  mit  jenen 
Begriffen  einerseits,  mit  dem  sie  verarbeitenden  Menschen  andererseits  ver- 
banden, lind  fanden  das  Zugeständnis  eines  Individnnlbewußtseins  als  das 
höchste  cU  in  Pferde  von  selten  des  Menschen  verliehene  Attribut.  Eben 
dieses  Attribut  aber  sahen  wir  als  das  späteste  Produkt  einer  Entwick- 
lung sich  uns  erschließen,  die  von  der  bloß  handwerksartigen  Verwendung 
unseres  Tieres  über  das  Stadium  der  einseitigen  Schätzung  einzelner  seiner 
EigentQmlichkdten  hinaus  zur  voUgflltigcn  Wertung  seiner  Persönlich- 
keit führte.'  Ausdrücklich  sei  noch  auf  die  guten  Register  aufmerksam 
gemacht,  die  die  interessante  und  venlienstUche  Arbeit  gut  erschließen. 


Digitized  by  Google 


140 


Kidne  Mitteilungen  und  Referate. 


Im  Archiv  für  Anthropologie  (N.  F.  V,  Heft  3/4)  veröffentlicht 
E.  K.  Blümml  (Oermanische  Totenlieder,  mit  besonderer  Be- 
rücksichtigung Tirols)  42  Tiroler  Totenlieder,  schickt  aber  auch  eine 
Qoehicfate  des  TottnHedci  ironm.  Er  fumddt  zuidldist  Aber  Totenlieder 
der  Indogehxmatn  und  besonder»  der  Oemunen  und  gibt  denn  eine 
Obersicht  über  die  veiteren  Sdiicksate  des  deutschen  Totenliedes  bis  auf 
unsere  Zeit,  bespricht  aber  zuvor  noch  das  altprnvcn/^ih'sche  Klagelied, 
die  altfranzösische  Totenklage  und  die  alttranzösjschcn  Regrets.  Denn 
diese  drei  enthalten  Motive,  welche  auch  in  den  deutschen  Totenliedern 
vorkommen.  Er  gedenkt  später  noch  kurz  der  Begräbnisgedichte  (Trauor- 
CBimini)  des  17.  JahrlnindertSf  die  aber  die  vollstOniUcihe  Totendldituns 
des  17.  und  18.  fdnlnnideris  nicht  veiter  t>eeinflussen.  Das  voUcstfim» 
liehe  Totenlied  lebt  bis  heute.  Bis  heute  werden  in  den  verschiedensten 
deutschen  Oeji^endcn  bei  der  Lcichcnwache,  \x5hrend  dCS  Leidlcnbei^Ulg- 
niaSCS  und  beim  Grabe  chonsche  I jeder  j^esungen. 

Das  Totenbrett,  einen  Überrest  des  bajuwarischen  Heiden« 
tu  ms  -  es  ist  eine  fast  nur  auf  den  Bayemstamm  beschränkte  Sitte  - 
behandelt  Stolz  in  der  ZeNscbrifl  für  österrdchische  Vollcslcunde  (1906, 
Hell  Wir  haben  Aber  den  Brauch  frflhe  geschicfatUdie  Belege,  die 
aber  verschiedene  Deutnng  zulassen.  Stolz  mdnt  ndt  andern,  daß  die 
Leichen  bei  den  Baiius^aren  mit  Brettern  überdeckt  ^x'are^,  sieht  den  Grund 
daf&r  jedoch  in  der  Absicht,  die  Wiederkehr  der  Toten  zu  verhindern 

M.  Höf] er,  der  neuerdings  die  Oebildbrote  zum  Gegenstande 
eingehender  Studien  gemacht  hat  (vgl.  dieses  Archiv  IV,  380  f.),  be- 
sprteht  jetzt  im  Archiv  fttr  Anthropologie  (V,  Heft  3/4)  das  Herz  als 
Oebtldbrot.  Er  icnfliifl  wieder  an  den  OpMutt  an.  Auch  das  Hene- 
essen  als  voliomedizinisches  antidämonisch»  Mittel  erldirt  sidi  daraus. 
-Wir  haben  es  mit  einer  der  vielfachen  abgeblaHten  Ablösungsformen  des 
ursprünglichen  Menschenopfers  zu  tun;  all  die  verschiedenen  Variationen 
bei  Verwendung  des  Tferherzens  stimmen  aber  darin  überein,  daß  der 
Genuß  solcher  lebenden  Herzen  wie  der  des  Menschenherzens  auch  über- 
natOriiche  göttergleiche  KrSfte  verieiht«  »Das  Herz  ab  Sitz  des  EjebcnSi 
der  Lebensicnift,  der  Gefühle  und  Triebe  mußte,  noch  heiß  veizehrt,  zum 
Mittel  der  Oegenliebeerweckung  werden.  Ais  Oebiidbrot  der  Deutschen 
hat  das  Herz  diese  Rolle  ebenfalls  übemojnmen.«  „Oerade  das  Herz  aber 
als  Oebiidbrot  ist  ein  Beweis  dafür,  daR  dr\^  Volk  das  Organmaterial 
seiner  Kultopfer  wechselte,  ohne  den  übernommenen  Glauben  an  die 
Wirksamkeit  desselben  aufzugeben.«  Die  nachweisbar  älteste  Zeichnung 
eines  herzförmigen  Qebildbroles  befindet  sich  auf  einem  Bild  von  Marco 
Marziale  aus  dem  Jahre  1440.  * 

Ein  Beitrag  zu  den  Mitteilungen  vom  Freiberger  Altertumsverdn 
(Heft  41,  S.  is'i  ")  von  Konrad  Knebel,  Ein  alter  Feuersegen,  ist 
deshalb  von  kulturhistorischem  Interesse,  weil  er  durch  eine  mitveröffent- 
lichte Verfügung  des  Herzogs  Ernst  August  von  Sachsen  (Weimar  1742) 


Digitized  by  Google 


Kleine  MitteUungen  und  Rcleiit«. 


141 


zeigt,  daß  der  bekannte  Glaube,  die  mit  solchen  Segen  beschriebenen 
Zettel,  Teller  etc.  vermöchten  Feuer  zu  löschen,  damals  in  der  vornehmen 
Oeselischaft  durchaus  geteilt  wurde.  Denn  die  Verfügung  bezieht  sich 
Ulf  äat  Voirätighaltung  und  Vervendung  solcher,  Teller. 

P.  Beck  vertffentlicbt  in  der  Zeitsdirift  der  OcseUschaft  für  Be- 
förderung der  Geschichts-,  Altertums-  und  VoUolniDde  von  Mbuig 
(XXI|  63-69)  den  Briefwechsel  zwischen  Schubart  und  Lavater 
über  den  Wundertäter  Oassner,  wonach  Lavster  (wie  ja  bekannt) 
an  demselben  Interesse  nahm,  während  Schubart  sich  durcbaii^  skeptisch 
verhielt 

Vpn  Begeisterung  für  das  »herrliche  Land  der  Schönheit,  das  heilige 
Lud  der  Wiedergeburt-,  lilr  ItsUen,  fOr  seine  groBe  Kunst  und  Utente 
getr^,  hat  Franz  Sandvofi  (Xanthippus)  eine  Rede  auf  Petrarca 
von  Öiostt^  Carducci  ihrem  wesentlidien  Inhalt  nach  deutsch  ep> 
sdieinen  lassen  (Weimar,  H.  Böhlaus  Nachfolger,  1005)  (25  S  ).  Dieser 
Nachklang  zur  Feier  des  600.  Geburtstages  Petrarcas  soll  , nicht  eigent- 
lich Übertragung  der  schonen  Rede  Carduccis  sein  (die  dieser  seinerzeit 
am  Grabe  Petrarcas  in  Arqua  gehalten  hat),  sondern  zugleich  der  Ausdruck 
penönlidier  EmpRndung  und  ErfUuung,  ohne  daß  der  Beirbeiter  besorgte^ 
damit  eine  RIschung  an  der  Vortage  zu  begehsn*.  Es  fragt  sidi,  ob  der 
Wirkung  der  Rede  Girduccis  auf  diese  Weise  gedient  ist. 

Mit  Paracelsus,  dem  »seltsamen,  wundcrbarüchen  Manne",  beschäftigt 
sich  F.  Strunz,  der  seine  Schriiten  vor  einiger  Zt-it  herausge^jcbcn  und 
sein  L^ben  geschildert  hat,  aufs  neue  in  einem  icurzen  lesenswerten  Aufsatz 
der  Chemiker-Zeitung  (1906,  Nr.  63):  Ein  Chemiker  der  deutschen 
Renaissance.  In  dem  Aufutz  wfatl  aber  vor  allem  die  allgemeine  Fngß 
erörtert:  »Wie  steht  die  Naturforschung  des  ftufacetsus  in  der  Geschichte 
der  geistigen  Kultur  seiner  Zeit?"  »Das  ist  sicher,  daß  sein  Leben  -  und 
es  ^  ar  das  Leben  eines  schlichten  Mannes,  der  nur  Wanderar^t  und  Wander- 
prediger sein  wollte  --  organisch  verknüpft  ist  mit  den  das  Selbstgefühl 
steigernden  Werten  der  deutschen  Renaissance,  und  daß  die  Begabung, 
die  diese  geistig  erregte  Zeit  in  Fülle  ausschüttete,  so  überreich  filier  ilm 
loun:  die  sonnige  Naturlirende  und  eneqiische  Bejahung  des  Lebem»  das 
Interesse  am  Mcaschen  und  an  den  Kiiften  seiner  Seelen  die  Kntilc  und 
Vcrfidnerung  aller  Lebensfragen,  die  religiöse  Ocmfltsvertiefung  und  gsnz 
besonders  auch  die  neue  Sinnlichkeit  der  Vernunft.« 

Als  Sonderabdruck  aus  dein  Jahrbuch  für  ÜKciDchte,  Sprache  und 
Literatur  Elsaß-Lothringens  ist  eine  Veröffentlichung  Adam  Klasserts, 
die  Edition  einer  für  das  Geistesleben  der  2Seit  bezdcbnenden  »antisemi- 
tischen Dichtung  Thomas  Murners«:  Entehrung  Maria  durch  die 
Juden  mit  den  Holsschnitlen  des  Strsfibuiger  Hupfuffschen  Druckes  er- 
schienen (Straßburg,  J.  H.  E.  Heitz,  1905)  (79  S.).  Es  handelt  sich  um 
einen  seltenen  Straßburger  Druck  ohne  Jahr,  der  seinerzeit  nnterdrückt 
zu  sein  scheint  Klassert  sucht  ausführlich  nachzuweisen,  daß  Mumer« 


DIgitIzed  by  Google 


142 


Kleine  Mittdiungen  und  Referate 


•der  bisher  -  sehr  zu  Unrecht  -  fast  unbestritten  als  Reuchltnist  sans 
phrase  und  Judenfreund  g-alt",  als  Aritor  der  Schrift,  deren  Prschdnungs- 
jahr  in  das  Jahr  1515  zu  setzen  sei,  angenommen  werden  kann.  Jedenfalls 
stimmen  wir  dem  Verfasser  bei,  daß  die  vorliegende  Sclirift  «in  sprach- 
licher, literar»  und  kulturgeschichtlicher  Hinsicht  des  Merkwürdigen  genug 
bietet»  um  eine  Herausgabe  zu  reditfertigen«.  Der  nadi  dem  Exemplar 
der  Michelstidter  Klrchenbibliothek  erfolgten  Edition  des  Textes  selbst 
sind  sorgfältige  Anmerkungen  hinzugefügt  worden.  Die  Sdirift  zerfällt 
in  zu'ei  Teile  »Auf  die  Geschichte  der  \'erspottung  und  Venriindiing 
eines  Marienbildes  durch  Juden  im  Hennegan  und  der  Bestrafung  des 
Freveis  folgt  der  lehrhafte  Teil,  dem  Holzschnitte  völlig  fehlen.  Hier 
sammelt  der  Verteer  alle  möglichen  Anklagen  gegen  die  Juden,  deren 
Bereditigung  er  oft  mit  venig  Logik  zu  erweisen  sucht,  und  fordert  Ver- 
tilgung der  Juden*. 

Als  ein  Beitrag  zur  Oeiste^ieschichte,  insbesondere  nach  des  Ver- 
fassers Ausdruck  als  ein  Beitrag  zur  »naturwissenschaftlichen  Kulturge- 
schichte" darf  das  Büchlein  von  Franz  Strunz,  Ober  die  Vorge- 
schichte und  die  Anfänge  der  Chemie,  eine  Einleitung  in  die 
Oeschichte  der  Chemie  des  Altertums,  (Leipzig  und  Wien,  Franz 
Deuticke.  1906;  IV,  69  S.)  vohl  bezeichnet  werden.  Gerade  die  Ge- 
schichte der  Chemie,  sagt  Strunz  ganz  richtig,  »ist  nicht  nur  einer  der 
kräftigsten  Zweige  der  Oeschichte  der  Naturwissenschaften  Oberhaupt, 
sondern  sie  ht  auch  ein  wesentliche^^  und  interessante^;  Bestand^tück  der 
grolicn  K'ulniii^'cschichte*.  Auf?erordentlich  wedjsclten  ireilich  Begriff 
und  Aulgabe  der  Chemie,  auch  »der  Typus  desjenigen,  der  diese  Natur- 
fonchung  betieibt«.  #Aus  dem  naiven  Praktiker  der  Frflhzett  des  Alter- 
tums wttfde  sllmihlich  ein  sinnender  Ntturphilosoph«,  dem  mittdalter- 
lidien  Oeist  entsprach  dann  «eine  romtntädie  Naturwissenschaft,  die  AI- 
Chemie  erblüht  aus  den  geretteten  Resten  antiker,  beziehungsweise  Aristo- 
telischer und  Platonischer  Metaphysik"  In  der  vorhegenden  Arbeit 
kommt  es  dem  Verfasser  «nur  auf  die  wichtigsten  naturwissenschaftlich- 
geschichtlichen  Entwicldungen  der  Frühzeit  an,  die  insbesondere  mehr 
diemiscb-praktische  und  da  wieder  vor  allem  metallurgische  Oebiele  streifen.* 
Nadi  einer  Einldtung  Aber  die  Entwicklung  der  Chemie  im  allgemeinen 
behandelt  er  Namen  und  Ursprung  der  Chemie,  die  Quellen  fUr  die  Oe> 
schichte  der  Chemie  im  Altertum  (hier  werden  auch  die  neueren  Dar- 
stellungen angeführt),  völkerpsycholop^ische  Voraussetzungen,  Handels- 
beziehnn^^en  und  -wet^e  und  als  Hauptabscli nitt  die  chemischen  Grund- 
lagen der  Metallurgie  un  Altertum,  die  aber  audi  nur  zusammenfassend 
behandelt  .und  nicht  kritisch  erOrtert  werden  sollen.  Dieser  Aßachnüt  hat 
aber  wfigien  der  Wicbtighdt  der  Metalle  und  ihrer  Verwendung  namentlicfa 
in  Hingeht  auf  die  Frühzeit  ein  besonderes  kulturgeschichtliches  Interesse. 
Dankenswert  ist  die  Beij^^ahe  einer  ziemlich  ausführiichen  Bibliographie: 
Literatur  zur  Geschichte  der  Chemie  des  Altertums. 


Digitized  by  Google 


Kleine  Mitteilungen  und  Refente. 


143 


Ober  d»  irar  IfteniseschicfatUdie  Interesse  hinaus  reicht  ein 
Aufsatz  von  Job.  Hoops  in  der  Deutschen  Rundachau  (32.  Jahi^.,  H.  11): 
Orientalische  Stoffe  In  der  englischen  Literatur.  H.l)eKicbnet 

mit  Recht  »eine  pragmatische  Geschichte  des  orientalischen  Elements  in 
den  abendländischen  Literaturen  als  Hn  DpsideriuiTi  der  Ziik-Linft«,  will 
selbst  aber  nur  eim  n  anspnichslosen  Beitrag  zur  Lösung  Problems 
geben,  .eine  Skizze  der  äuikren  Geschichte  der  orientalischen  Einflüsse 
in  der  englisdien  Literatur*. 

Ludwig  Keller  nicht  in  seiner  als  erweiterter  Abdruck  aus  den 
Monatsheften  derConieniu»-OcKlbGfaaft<Bd.XV)enchienenen  Abbandlung: 
Die  Schriften  des  Coraenius  und  das  Konstitutionenbuch 
(Berlin,  Weidrnnnn;  t5  S.)  neuerdings  festzustellen,  daß  die  Kon'-titiition 
von  1723  (neu bearbeitet  1738),  das  Grundgesetz  des  neuenglischen  üroß- 
iogensystems,  welch  letzteres  sich  seit  1717  unter  dem  neuen  Namen  der 
Sodety  of  Masons  ausbreitete,  keinesw^  original  ist,  vielmehr  die  beiden 
Verfuser,  englisdie  Oeistlidie,  «sich  in  wichtigen  Punkten  an  die  Schriften 
des  Comennis  angdebnt  haben«.  Diese  Ansduiuang  hat  bereits  Karl 
Christian  Ricdrich  Krause  eingehend  begründet,  sie  ist  aber  jetzt  von 
W.  Begemann  bestritten,  wogegen  Keller  nun  wieder  die  bezügHchen 
Ausfuhrtini^f n  Krauses  von  neuem  bekanntwerden  läßt  und  eine  erneute 
Prüfung  semer  Grunde  erieichtert. 

Aus  dem  3.  Heft  des  to.  Jahr^nges  der  Mitteilungen  der  Gesell- 
sdisft  ffir  deutsche  Eiaehttogs-  und  Schulgeschicfate  heben  wur  die  Arbeit 
von  Kahl  hervor:  Die  pidagogischen  Ansichten  in  den  Schriften 
deutscher  Rechtsphilosophen  und  Nationalökonomen  aus  dem 
Anfang  des  17.  Jahrhunderts.  Mehrere  dieser  Politiker  sind  nllerdings 
„über  die  Wiederholung  iilatonischer,  aristotelischer  und  pscudo- 
piutarchisciier  Gedanken  kaum  liiuaus}^ckommen".  »Auf  der  anderen 
Seite  aber  machte  sidi  das  Wehen  cuic^  neuen  Geistes  schon  vielfach 
bcmcrkbir.«  Man  suchte  den  Forderungen  der  Zeit  Rccbnung  zu  tragen, 
so  Keckcrmann,  Contzen  und  besonders  Bcsold.  »An  die  Stelle  der 
Bücherweisheit  tritt  das  Studium  des  Menschen  selbst."  -  In  demselben 
Heft  setzt  M.  Manitius  die  von  ihm  (vgl.  Archiv  IV,  3S1)  beijonnenen 
Zusammenstel Inneren  schulgeschichtlichen  Material'"-  aus  mittelalterlichen 
Bibliothekskatalogen  fort  (Zur  Oberlieferungsgcschichte  mittcl- 
aJiteriicher  Schuiauturen)  und  zwar  an  der  Hand  von  Eberhards 
Dichterkatalog  aus  dem  Laborintus. 

Das  Bulletin  pModique  de  b  Sodüi  ari^eoise  des  sdenoei^  lettres  etc. 
(i  10,  no.  6)  enthält  einen  erwähnenswerten  Aul^tz  von  J.  Decap, 
L'Instruction  publique  k  Mazires  (conte  de  Foix)  anx  XVII^  et 
.XVIIIe  siicles  d'apres  les  registres  des  d61it)^tions  munidpales,  das 
Bulletin  du  Comite  central  du  travail  industr.  (1905,  no.  22/3)  einen 
solchen  von  A.  Babeau,  L'enseignenieu t  professionnel  et 
m^nager  des  filles  aux  XVIle  et  XVIII«  siicles. 


Dlgltlzed  by  Google 


144 


KItiae  Mitleiiiiiigai  und  Refciite. 


M.  Manltivs  vertflienflicbt  in  der  Denbdien  Rundschau  ($2, 
Heft  1 1 ;  August)  einen  größerer  Bedeutung  entbehrenden  Üt)erbltck  über 
das  mittelalterliche  Schriftwesen  (Zur  Geschichte  des  Schreibens). 

In  der  Zeitschrift  für  Bücherfreunde  (10.  Jahrg.,  Heft  6)  handelt 
Joh.  V.  Kelle  kurz  über  Bibliotheken  und  Bücherpreise  im 
deutschen  Mittelalter,  ohne  Neues  zu  bringen. 

Das  Bulletin  du  cercle  arch^logique  de  Miüines  (t  XV)  bringt 
dne  Aibdt  von  P.  Verb ey den,  Les  relieurs  et  let  librtires  de 
Mftlines  du  XIV«  au  XVI«  si^cte 

Die  tcMrmerische  Liebe  des  Mittdalteis  Idtet  Paul  Hermant 
in  einem  Aufaatz  in  der  Revue  de  synth^  l^torique  (XII,  2)  (Le  sen- 
timent  amoureux  dans  la  litterature  medidvale)  aiis  der  hin- 
gebenden Unterordnung  des  raittelaUcrüchen  Menj.chen  her,  die  ebenso 
die  Hingabe  an  Oott  in  der  mittelalterlichen  Mystik  erkläre.  Überhaupt 
findet  er  mannigfache  Ahnlidikeiten  zvisdien  Mystik  und  Minne. 

Mit  der  n.  A.  fltar  die  Ausbildung  des  Hdtemmhnivichtigen  Abneigung 
des  MMelalten  gegen  dai  «eiblicbe  Oeidiledit  sdwint  sich  ebi 
Aufsatz  von  A.  O.  van  Hamel,  Middeleeuwsch  anti-feminitmc 
(De  Oids,  1906,  Februar)  zu  beschäftigen. 

Ein  Artikel  der  Preußischen  Jahrbücher  (CXXVI,  Heft  1)  von 
E  Consentius  über  die  Dienstboteni rage  im  alten  Berlin 
bringt  allerlei  Interessantes  über  Dienstbotenverhältnissc  auf  Grund  der 
Gesindeordnung  von  1718.  Ihre  Vorschriften  lassen  die  zahbeichen 
MiBslinde  erkennen,  die  beseitigt  veiden  sollten.  Einen  besonderen 
Himrefs  verdient  nocb  die  Schilderung  des  damaligen  Lakaien* 

Zur  Geschichte  der  Geselligkeit  tragen  bei  die  Aufsätze  von  O. 
Sommerfeldt  in  der  Altpreußischen  Monatsschrift  (N.  F.  XLIII,  Heft  2): 
Einladung  zu  einer  bei  Hofe  in  Königsberg  gefeierten  Adels- 
hochzeit 1590  und  von  K.  Ludwig  in  den  Mitteilungen  des  Verejus 
für  Geschichte  der  Deutschen  in  Böhmen  (45.  Jahrg.,  Nr.  1):  Fürstliche 
Oiste  und  Feste  in  Alt-Karlsbad. 

In  der  Zeitschrift  für  den  deutschen  Unterricht  (20.  Jahrg.,  H.  8) 
bespricht  Carl  Mfiller  das  Mariage-Spiel.  Er  geht  von  dem  Aus- 
losen von  Braut-  und  Ehepaaren  »auf  Zeit",  das  Goethe  als  amüsantes 
Spiel  in  seinem  und  der  Sch\vc^ter  rornelia  Freundeskreise  in  „Dichtung 
und  Wahrheit"  erwähnt,  aus  und  weist  ähnliche  Spiele  bereits  ein  reich- 
liches Menschenalter  früher  nach.  Es  kommt  auf  die  Valentinage  hinaus, 
die  doch  wohl  älter  ist.  Übrigens  »verdanken  wir  dem  Mariagespiel 
den  Ctavigo". 

Ober  Speise  und  Trank  in  Alt-Eger  handelt  IC  Siegl  in  der 
Zdbchrift  »Deutsche  Arbeit«  Qütrg.  S). 

Ans  der  Zdtschrift  ClasalGid  PhÜology  (vol.  I,  no.  3)  notieren 
wv  die  Arbeit  von  F.  B.  Tsrdell,  The  form  of  tbe  chlamys. 


Dlgitlzed  by  Google 


Kleine  Mitteilungen  und  Refente 


145 


Kurz  erwähnt  sei  ein  Artikel  des  »Daheim'  (Jihrg.  42,  Nr.  51)  von 

H.  Sendling,  Aus  der  Geschichte  des  Hutes 

Einen  neuen  Beitrag;  zur  Hausforschnnj^;  bietet  Murkos  Aufsatz 
in  den  Mitteilungen  der  Anthrofiologischen  Gc-sellschaft  in  Wien  (XXXVI, 
Heft  3/4):  Zur  Geschichte  des  volkstumlichen  Hauses  bei 
den  Sfldsliven. 

In  die  Einrichtung  dnes  vornehmen  Htuses,  aber  auch  in  das 
Pri\^tleben  des  Mittelalters  überhaupt  gewährt  ein  von  de  Brouwers 
im  Bulletin  de  la  Commission  royale  d'histoire  de  Belgiqiie  (1906,  no.  2) 
vwöffentlichtes  Inventar  gute  Einblicke:  Le  mobilier  d'Everard  IV. 
de  La  Mark,  ffrand  mayeur  de  Lie^e  14Q2— 1S3t. 

Von  ahnliciiem  Interesse  ist  eine  Publikation  j.  Biernatzkis  im 
22.  Heft  der  MitteUungen  der  Ocadlschaft  ffir  Kidcr  Stadlg^icbfe: 
Kieler  SchloBrecbnungen  1611  bis  1704;  das  Inventar  des 
ffirstlichen  Hauses  zu  Kiel  1654. 

Der  erste  Band  der  vom  Kunsthistorischen  Institut  in  Florenz 
heranspje^cbcncn  Itrilicnischcn  Forschungen  enthält  als  dritte  Studie  eine 
höchst  niteresisaiUe  Arbeit  von  Gustav  I  udwi^^  (unter  A^ituirkuii;^  von 
Fritz  Riütelen)  über  den  Venezianischen  iiausrat  zur  Zeit  der 
Renaissance  Urinindliclie  Nachrichten  und  nodi  voriiandcnes  sach- 
Ucbcs  Material  werden  hier  acharfännig  kombiniert.  Eine  wesentliche 
RoUe  spielen  die  Toiletten-  und  Kostfimgegenstande. 

Die  Revue  de  Gascogne  (1906,  mars)  bringt  einen  für  die  Aufwands- 
neigungen des  17.  Jahrhunderts  bezeichnenden  Aufsatz  von  E.  de  Lary 
de  Latour,  Comptes  des  funerailles  d'un  gentilhomme  gargon 
au  XVlie  siede. 

Aus  den  M&noires  de  Ui  Sod^  nationale  des  antiquaires  de 
Fruioe  (t  65)  sei  eine  Untersuchung  von  Rouquctte  erwShnt:  Recher- 
Ohes  sur  les  lanternes  romaines. 

Max  Buch n er  betont  in  einem  Aufsatz  über  das  Bogen- 
schießen (Globus,  XC,  Nr.  5/6)  die  Vielseitigkeit  des  Themas  und  das 
Interesse  verschiedenster  Forschun^^sgcbicte  daran, 

Die  Zeitschrift  für  histonsclie  Walteukunüe  (IV,  iielt  2)  bringt 
eine  Abhandlung  von  W.  Rose  Aber  Römisch -germanische 
Panzerhemden  (Alterhim,  ZeHalter  der  V<HlKiwindcning,  frfihes 
Mittdalter  bis  zur  Karolingeizeit). 

Mit  seiner  bekannten  Belesenheit  behandelt  Friedrich  Schneider 
fein  unterrichtend  in  Bd.  I  der  Mainzer  2>itschrift  einen  Prälatenstab 
des  18.  Jahrhunderts  aus  Kloster  Eberbach  im  Rheingau.  Er 
gibt  in  der  kurzen  Abhandlung  eine  ganze  Geschichte  der  Krückstäbe. 
Denn  dfe  Bcatimniung  jenes  Mlatenstabes  ist  nicbt  Idrchlidier,  sondon 
profaner  Art,  wenngleidi  er  mit  einer  reUgUteen  Darstellung  geschmfldct 
ist  und  aus  klösterlichem  Besitz  stammt  Im  fibrigcn  ist  dcndlie  als 
Eneugnis  deutscher  Kldnlcunst  beachtenswert 

AkUt  fSr  KoltiiriMlildite.  V.  10 


DIgitized  by  Google 


146 


Kleine  Mitteilungen  und  Referate. 


Zur  Frfihs^ichte  der  Luuhrirttchaft  sd,  obwohl  unsere  Zdlschrilt 
die  Prähistorie  Im  allgemeinen  ausschüeRt,  eine  Abhandlung  von 
A.  Schliz  in  den  Fundberichten  aus  Schwaben  (1905)  enx'ähnt:  die 
gallischen  Bauernhöfe  der  Früh-La  T^ne-Zeit  im  Neckargau 
und  ihr  Hausinventar. 

Die  gnindiieiTlidi-biticrticlKn  aozial-rechtlidien  Vcrhlttnine  der 
Breligne  in  neuerer  Zeit  behandelt  dnfdiend  H.  S^e  in  den  Annale» 
de  Bretagne  (t.  21,  no.  1/3)  (Les  classei  rnrales  cn  Bretagne  du 
XV|e  si^cle  i  la  r^volutinn  ) 

Eine  Ergänzung  dazu  bietet  der  Aufsatz  von  J.  Letaconnoux 
in  derselben  Zeitschrift  (t.  21,  no.  1):  Le  regime  de  la  corv^e  en 
Bretagne. 

Ein  intereaaanter  Aufsatz  von  J.  Reindl  in  der  Bdlage  zur  All- 
gemeinen  Zdtung  (1906»  Nr.  239)  handelt  von  den  ehemaligen  Rein- 
kulturen in  SQdbayern.  Den  Rückgang  vcranlaßte  namentlich  auch 
die  Einfuhr  bf>s$arer  Fieuidwdne  und  die  immer  mehr  überhandnehmende 

Bierproduktion. 

In  do"  Revue  d'histoirc  moderne  et  contemporaine  (t  VII,  no.  S> 
handdt  H.  Hauser  über  die  verschiedenen  Arten  der  Organisation 
der  geverblichen  Arbdt  im  alten  Fnuilorddi  (Des  divers  modcs  d'or- 
ganisatton  du  travail  dant  i'ancienne  France)  und  zwar  1.  von  der 

korporativen,  zünftigen,  geschworenen  Arbeit  (du  travail  en  jurande); 
2.  von  der  freien  Arbeit  (du  trnvaif  libre),  deren  erste  Entuncklung  kaum 
vor  dem  15.  Jahrhundert  bt-^innt,  d  e  jedoch  bis  zu  den  Edikten  von  1581 
und  1587  über«i(^  und  in  den  kiemen  Städten  und  auf  dem  Lande 
herrscht,  in  den  Städten  aber  den  obrigkdtlichen  Ordnungen  unterworfen 
ist  und  mehr  und  mehr  cxidusive  Formen  eishcbt;  3.  von  der  privilqiierten 
Aibdt  (du  travail  privil^^). 

Als  Heft  I  des  ersten  Bandes  der  Mittdlungen  aus  dem  Städtischm 
Museum  für  Völkerkunde  tu  Leipzig  ist  „eine  ethnographische  Studie" 
von  Hugo  Ephraim,  Uber  die  Entwicklung  der  Webetechnik 
und  ihre  Verbreitung  außerhalb  Europas  erschienen  (Leipzig, 
Karl  W.  Hiersemann,  1905;  VIII,  72  S.,  1  Karte,  auf  die  wir  hier  auf- 
merlsam  machen,  wdl  das  Thema  dn  bedeutendes,  frdlidi  vom  Veitaer 
nicht  betontes  kultuigeschiditliches  InteresBe  hat  C  stdit  die  groBen 
Grundzüge  der  Entwicklung  des  Webeappanls  in  vergldchender 
Eorschungsweise  dar,  d  h  er  verbindet  die  j.*eneti?che  (entwicklungs- 
geschichtliche, nicht  du-  Zt-itfolge,  sondern  die  Stufcuiolge  ins  Auge 
fassende)  und  die  beschreibende  Forschung.  Zunächst  werden  in  dankens- 
werter Wdse  die  Grundsätze  aller  Weberd  an  der  Hand  dnes  schematischen 
Webstuhles  erldXrt,  dann  der  Entwiddungsgang  der  Weberd  unteRUdit^ 
vdter  ihre  Verbidtung  auBerhalb  Europas  besprochen,  mit  BerOdc- 
dchtigung  der  verschiedenen  Entviddungsstadien  des  Webeapparates;  dann 
werden  die  ethnographischen  SchluBfolgerungen  entwickdt  und  endlich 


Digltized  by  Google 


Kleine  Mitteilungen  und  Referate. 


147 


die  Verbreitung  der  Weberei  außerhalb  turopas  kartographisch  dargestellt. 
Ui»  interassiert  hier  der  entvfcldungsgeschichtliche  Tdl;  wir  vermissen 
in  ihm  aber  doch  die  nähere,  dngdiendcre  Berflclcsichtigung  der  eigent- 
lichen Geschichte  der  Weberei.  Das  reichhaltige,  wirklich  historisdie 
Material  muß  doch  auch  für  den  Entuicklungshistoriker  das  größte 
Interesse  haben.  So  führt  fast  ausschließlich  der  Ethnograph  das  Wort, 
wobei  aber  doch  wieder  von  ethnologischer  Seite  die  genaue  kritische 
Detailverarbeitung  des  in  unseren  Museen  vorhandenen  einschlägigen 
Miteriab  vemiBt  worden  Ist  Immerhin  muß  die  Arbeit  in  ihren 
Resultaten  auch  vom  Kulturhistoriker,  ferner  vor  allem  vom  Kunsfliistoriker 
verwertet  werden.  Speziell  dem  Kunsthistoriker  möchte  der  Verfuser  auch 
bestimmte  Anregungen  zur  Lösung  wichtiger  Fragen  geb«i. 

Von  kleineren  gewerbsgeschichtlichen  Arbeiten  und  Mitteilunj^cn 
seien  foli^ende  erwähnt :  A.  Brachmann,  Soziale  Lage  der  Gewerbe- 
treibenden vor  und  nach  1  7  89  (Nord  und  Süd,  1906,  September); 
A.  Haase,  Das  Privilegium  der  Dessauer  Seilerinnung  (Mit- 
tdlungen  des  Vereins  lilr  Anhalt  Oesch.  und  AltertumsL,  1906,  $); 
£.  ßatzer,  Die  Satzungen  der  Bäcker-  und  Mflllerknecht- 
Bruderschaft  in  Offenburg  {Alemannia,  N.  F.  7,  2). 

A.  Hansays  Aufsatz  in  der  Revue  de  l'instruction  publique  en 
Belgique  (1905,  S):  Une  crise  industrielle  dans  fa  draperie 
hasseltoise  au  XVI«  si^cle  bestätigt  für  einen  Teil  des  Lütticher 
Gebiets  die  Ansichten,  die  Pirenne  Aber  die  Umwälzung  in  der  flau- 
drischen  Tuchindustrie  vorgetragen  hat  (vgl.  das  voilge  Heft  unseres 
Archivs,  S.  SOO). 

Erwähnt  sei  dabei  eine  Publikation  von  P.  Meyer  und  Ouigue 
in  der  Romania  (No.  139,  juillet  1906):*  Fragments  dU  Orand  Ii  vre 
d'uu  drapier  de  Lyon  1320-23. 

Zur  Industriegeschichte  sei  noch  notiert  die  Arbeit  A.  de  Saint- 
L6gers  in  den  Annales  de  l'Est  et  du  Nord  (1906,  no.  3/4):  La  rivalit^ 
industrielle  entre  la  vüle  de  Lille  et  le  plat  pays  et  Tarrft  du 
-consdl  de  1762,  relatif  au  droit  de  fabriques  dans  les  campagnes. 

Das  Bulletin  de  la  Soci^t^  d'histoire  et  d'archtol.  de  Oand  (1905, 
no.  7)  bringt  eine  auch  sozialgcschichtHch  interessante  Arbeit  von 
P.  Claeys,'  Les  associations  d'ouvriers  d^bardeurs  ou  porte-faix 
ä  üand  au  XYIIi«  si&cle. 

Zu  den  bereits  in  dieser  Zeitschrift  (IV,  Heft  2,  260)  nflher  ge- 
wflrdigten  AusfQhntngen,  die  Franz  Bastian  in  den  Fonchungen  zur 
Geschichte  Bayerns  (XIII,  Heft  4)  fibcr  die  Bedeutung  mittelalter- 
licher Zolltarife  als  Oeschichtsquellen  gemacht  hat,  bringen  die 
For<5chungen  (XIV,  Heft  1/2)  jetzt  eine  archivaüsche  Beilage:  einen 
Regcnsburi^er  Mauttarif  aus  dem  14.  Jahrhundert,  der  in  der  Tat  viel- 
seitige ticiehrung  gewahrt. 

Die  TransBctioos  of  the  Manchester  StatlatiGal  Sodety  (i9ü5/6) 

10* 


Digitized  by  Google 


148 


Kleine  Mitteilungen  und  Referate. 


enfhalten  einen  Aufsatz  von  A.  Poock  über  mittelalterlidie  Handels- 

gesdlschnften  fTrndc  socicties  in  the  rrtiddlc  apcs). 

A.  Huyskeiis  behandelt  im  81.  Heilder  Annalcn  des  Historischen 
Vereins  für  den  Niederrhein  die  Krisis  des  deutschen  Handels 
während  des  geldrischen  Erbfolgekrieges  1542/3. 

In  den  Verhandlungen  der  48.  Versammlung  deutscher  Philologen 
und  Sdiulminner  findet  sich  ein  Voiliig  von  Hitz Inrath  Ober  den 
Hamburger  Handel  im  18.  Jahrhundert. 

Das  Ruüetin  des  sciences  economiques  et  sodales  du  comit6  des 
travaux  historiques  et  scientifiques  (1905)  bringt  einen  Aufsatz  von 
Barrey  zur  Handelsgeschichte  von  Le  Havre  (Le  commerce  maritime 
duHavredu  Traitd  de  Paris  k  la  rupture  de  la  paix  d' Amiens  (1 763  - 1 803). 

Bn  kuraer  Artikel  des  Globus  (XQ  Nr.  13):  Handels- 
beziehungen zwischen  Japan  und  Mexilco  im  Beginne  des 
17.  Jahrhunderts  macht  auf  eine  bdangreiche  Arbeit  der  Amerikanistin 
Zelia  Nuttall  in  den  Veröffentlichungen  der  Kalifornischen  Universität 
(IV,  1906,  Nr.  1)  aufmerksam.  Auf  Gnmd  von  in  Spanien  und  Japan 
aufbewahrten  Urkunden  werden  hier  die  frühesten  geschichtlichen  Be- 
ziehungen zwischen  Mexiko  und  Japan  behandelt  »Schon  damals  treten 
Eifenflcfateleien  zwischen  den  auf  den  Philippinen  hemchenden  Spaniern, 
den  HolUndem  und  Portugiesen  auf,  die  sidi  !n  Japan  WetÜiewerb 
machen;  wir  sehen  damals  schon  einen  weiten  Blick  der  japanischen 
Herrscher,  die  die  Erzeugnisse  der  Fremde  an  sich  ziehen  möchten;  es 
spielen  aber  auch,  durch  die  Franziskaner  veranlaßt,  allerlei  politische 
und  propagandistische  Inlriguen  herein." 

Das  Bulletin  du  cerde  arch^ologique  de  Malines  (t  XV)  bringt 
einen  Aufsatz  von  J.  Laenen  Aber  die  lombardischen  Wecfaster  (Les 
Lombards  k  Malines  1295-1457),  deren  gegen  das  14.  Jahrhundert 
im  folgenden  bedeutend  gebesserte  Stellung  sich  aus  den  Bedürfnissen  des 
Handels  und  dem  konstanten  Gcld!>edr)rfnis  der  Fürsten  und  Städte  erklärt. 

A.Nugl  isch  beleuchtet  in  den  Jahrbüchern  für  Nationalökonomie  und 
Statistik  (Hl.  Folge,  XXXIl,  Heft  3)  die  Fntwickelung  des  Reichtums 
in  Konstanz  von  1388-1550  zahlenro&ßig.  »Hierdurch  tritt  die  Tatsache, 
daB  ihre  (der  Stadt  K.)  Bifite  bis  gegen  1460  gedauert  hat,  sUrfccr  hervor, 
als  es  bisher  geschildert  wurde;  so  daß  wir  einen  Beitrag  erhalten  zur  Be- 
kämpfung  der  kürzlich  aufgestellten  Behauptung  von  einem  weitgehenden 
NiederpanfT  der  deutschen  Städte  in  der  Zeit  von  1350  ndcr  1?00  an  " 

Sehr  lesenswert  sind  die  Aufsätze  des  Vicomte  Georges  d'Avenel 
in  der  Revue  des  dcux  mondes  (5<  Pir.,  t.  31,  livre  4;  32,  2;  33,  3,  34,  2): 
Les  Riehes  depuis  sept  cent  ans  (I.  Les  millionnaires  d'autrefois. 
n.  En  quoi  oonsistaient  les  andennes  fortunes.  III.  Soldes  ndUtakes, 
tnitemens  des  magistrats  et  des  prttres.  IV.  Fondionnaiics  de  l'^tat  et 
des  administrations  privte.). 

Einen  Beitrag  zur  Geschichte  der  städtischen  Pinanzveivaitung 


Digltized  by  Google 


Kleine  Mitteilungen  und  Referate. 


149 


veröffentlicht  H.  Becker  in  den  Mitteilungen  des  Vereins  lur  Anhaitische 
Oeicb.  tarn.  (1906,  3)  (Der  HAushalt  der  Stadt  Zerbst  1450»1S10). 
Eine  höchst  llelBige,  dabei  von  gesunder  Kritik  durchdningaie 

Arbeit  bietet  Alfred  Karll  im  XVIII.  Band  der  Zeitschrift:  .Aus  Aachens 
Vorzeit"  über  das  Aachener  Verkehrswesen  bis  zum  Ende  des 
14.  Jahrhunderts.  Mit  Recht  betont  er,  daß  wir  über  das  Verkehrs- 
wesen des  Mittelalters  aunemrdcntlich  wenig  wirklich  Sicheres  wissen,  unJ 
daü  gegenüber  den  Darslellungen  desselben  eine  gründUdie  Kritik  am 
Platze  iii  Anderendts  meint  er  richtige  da0  für  einidne  Stidte  auf 
Orund  allein  der  örtlichen  Quellen  nur  ganz  Iflckenhafte  Ergebnisse  zu 
erzielen  und  deshalb  durch  ausgid)ige  Benutzung  aiowftrtiger  Quellen 
die  örtlichen  Zustände  im  Zusammenhang  mit  der  Entwicklung  des 
gesamten  wirtschaftlichen  Lebens  darzustellen  seien.  So  zieht  er  denn 
auch  zu  seinen  Hauptquellen,  den  Aachener  Rechnunpen,  die  Stadt- 
rechnungen  anderer  wichtiger  Städte,  insbesondere  Hamburgs  (auch  für 
Fkinkfiirt  liegt  übrigens  einiges  Material  vor),  ausgiebig  heran.  Sind 
auch  mandie  Einzdlieiten  anfechtbar,  im  ganzen  verdient  das  Streben 
des  Verfassers,  ztt  einer  soliden  Fundamentierung  dieses  unsicheren  Ge- 
bietes beizutragen,  alle  Anerkennung.  Hervorgehoben  sei  die  allerdings 
nicht  genügend  bewiesene  Ansicht  des  Verfassers,  daß  im  14.  Jahrhundert 
in  Aachen  bereits  sei bstandige  Boten  für  eifrene  Gefahr  p'ereist  sind.  Im 
ganzen  meint  er  nadigewiesen  zu  haben,  »daii  nnt  dem  Aufblühen  der 

deubchen  Stfldtelailtur  auch  das  Verkditswcsen  einen  «esentlidien  Auf- 
schwung nahm,  daß  vor  dem  14.  Jahrhundert  die  Einrichtungen  ge- 
schaffen wurden,  die  sich  bis  zur  Einführung  der  Posten  fast  unverändert 
erhatten  haben".  Es  sind  der  Abhandlung  auch  eine  Itöhe  mittelaiter- 
Ucber  Botenabbildunsren  beig^eben. 

Von  Alfred  Karll  liegt  noch  ein  weiterer  Beitrag  zur  Verkehrs- 
geschichte, den  er  in  derselben  Zeitsclirift  (Bd.  XIX)  VCTöffeniijchte,  vor: 
Aachener  Reiseverkehr  im  Mittelalter.  Auch  hier  stützt  IC  sich 
«mentlich  auf  dasNibe  Material  «He  in  der  eben  erwihnten  Afbdt  und  bringt 
ebenfalls  einige  charakteristische  zeitgenössische  Illustrationen.  Er  be- 
handelt zunächst  die  (üblen)  Zustände  der  Straßen,  das  Oeleitswesen, 
weiter  die  Art  des  Reisens,  die  Rei?ennterkunft,  die  Pferde,  ihre  Be- 
schaffung und  Unterhaltung,  die  iJeisewagen  usw.  Jedenfalls  fand  im 
14.  J^hundert  ein  ziemlich  bedeutender  Reiseverkehr  in  den  Rhein- 
landcn  statt  tm  flbr^en  darf  wieder  an  die  ja  auch  sonst  häufiger 
nachgewiesene  Enchdnung  erinnert  werden,  daß  die  unbequemen  Verkehrs- 
zusUnde  des  Mittelalters  noch  bis  ins  19.  Jahrhundert  gedauert  hat>en. 

Beachtenswert  ist  die  Abhandlung  W.  Bauers  über  die  Taxis'sche 
Post  und  die  Beförderung  der  Briefe  Karls  V.  in  den  Jahren 
1523-1S2S  in  den  Mitteilungen  des  Instituts  für  österreichische 
Geschichtsforschung  (XXVII,  Heft  3).  B.  stellt  u.  a.  eine  VernutticrroUc 
von  Banlden  fes^  die  dem  Kaiser  in  Feindestand  ergeben  waren. 


Digltized  by  Google 


150 


Kldne  Mitteilungen  tind  ReCoiAe. 


Die  Mittdiiuigai  des  gesdiiditf-  tmd  iUertmmtPCTchendep  Veretos 
zu  Eisenbcig  (Heft  2i/22)  btingfin  einen  Bdlng  von  H.  L5be  zur 
Geschichte  der  Landstraßen  und  des  früheren  Oeleitswetens. 

im  Amtsbezirk  Eisenberg. 

Au?  da*  Zeitschrift  für  die  Geschichte  des  Oberrheins  (XXI,  Heft  3) 
ermähnen  wir  eine  i<ur7.e  Arbeit  J.  Beinerts  über  die  Straßburger 
Rheinfähre  im  Mittelalter. 

Eine  Notiz  von  £tienne  Cionzot  in  der  Revue  des  äudcs  nbe- 
laisiennes  (4«  «nn^  no.  2):  Marrons  l)esdiiftigt  sich  mit  AlpenflUneni 
des  16.  Jahrhunderts,  die  Reisende  und  ihr  Oepick  Aber  die  Alpen  von 
Piankreich  nach  Italien  führten. 

The  Indian  Antiquary  (1906,  July)  enthält  einen  Beitrag  von 
R.  C.  Temple,  The  Travels  of  Ruliarü  Bell  (and  John  Catnpbdi) 
in  the  East  Indies,  Persia  and  Palestine  1654-1670. 

Der  t)elamnte  Medizinhistoriker  Julius  Pa^el  hat  unter  dem 
Titd:  OrundriB  eines  Systems  der  Medizinischen  Knltur- 
geschichte  (nach  Vorlesung^  an  der  Berliner  Universität,  Winter- 
Semester  1904/5)  einen  beachtenswerten,  neuartigen  Versuch,  die  ärztliche 
Kultnrpeschtchte  systematisch  711  hej^reifen,  erscheinen  lassen  (Berlin  1905, 
S.  Karger  ;  1 12  S.)  Fs  handelt  sich  nicht  um  einen  Leitfaden  der  Geschichte 
de*  Medizin;  im  Gegenteil  ist  alles  Medizingeschichtiiche  ausgeschaltet,  das 
nicht  unnuttdbar  zum  System  als  soldiem  gAtirt  El  soll  »zum  cnlen  Male 
der  Venuch  gewagt  verden,  die  gesamte  Kultuigescbichte  der  Menschheit 
von  einem  Oesichts-  und  Angelpunkte  aus  zu  mustern,  nämlich  von  dem 
der  Medizin  aus*.  P.  verzichtet  dabei  auf  den  historisch-chronologisdien 
We^  der  Dirrchfühning',  so  mannigfache  Vorteile  dieser  auch  bietet.  Er 
wählt  den  systematischen,  schon  in  dem  Wunsche,  ein  System  der  ärzt- 
lichen Kultui^eschichte  überhaupt  zu  wagen.  Zerstücklung  und  Rubri- 
zioung  and  dabri  unvermeidlidi.  Die  Art  der  DurchfOhrung  verdeutlidit 
die  AnfOhrung  des  InhaUsveizeichniases.  P.  behandelt  nach  einer  Einleitung 
über  Begriff,  Plan  und  Zweck  der  medizinischen  Kulturgeschichte  die 
Theologie  in  der  Medizin ;  die  Homöopathie  und  die  mystischen  Rich- 
tungen des  IQ  Jahrhunderts,  Volksmedizin,  weibliche  Ärzte:  Medizin  in 
der  Theologie,  nu  li/mische  Religion;  Philosophie  in  der  Medizin;  Recht 
und  Medizin;  Medizin  und  Naturwissenschatten,  soziale  Medizin ;  Medizin 
In  der  Welt-  und  Staatengeschichte;  Medizin  und  Belletristik;  Medizui  und 
Dichtung;  Medizin  und  Kunst;  Qemlschtes,  Mediziner  als  Mathematil«v 
Statistiker,  Pädagogen,  geadelte  Mediziner  (!),  Mediziner  ab  Oatlen  von 
Prinzessinnen  und  hervorragenden  Schauspielerinnen (!),  hunder^flhrige 
Ärzte  (')  Ohne  Zweifel  gibt  P.'s  Buch  den  Beweis,  nein  wie  her- 
vorragender Faktor  die  Medizin  in  der  menschlichen  Kultur  ist",  und 
so  darf  sdn  Buch  vor  allem  auch  der  Beachtung  der  Kulturhistoriker 
empfohlen  werden.  Unser  Archiv  fflr  Kulturgeschichte  wird  übrigens 
auf  S.  88  versehentlich  als  Ardi.  f.  med.  Kultuigescfa.  zitiert 


Dlgltlzed  by  Google 


Kleine  Mitteilungen  und  Referate. 


151 


In  dem  Journal  of  the  Royal  Asiatic  Society  (1906,  2)  findet  sich  eine 
Arbeit  von  A.  F.  R.  Hoernle:  Studies  in  andient  Indian  Medecine. 

Eine  km,  aber  sehr  tflchtige  UntenudtuiiK  hat  Fredrik  Gr  An 
imjiiiits(1906,  Febniai)  über  die  fitesten  Spuren  der  Lepra  in  der 
altnorweeischen  Literatur  geliefert.  Die  älteste  Bezeichnung  für  sie 
ist  »hörundfall«,  aber  auch  Jikpr^"  kommt  schon  im  11.  Jahrhundert  vor. 

Ein  ganzer  Band  der  Travaux  de  l'academie  nationale  de  Reims 
{Vol.  117,  t  'i)  ist  einer  auf  archivalische  Studien  gestützten  Arbeit  von 
Paul  Hiidcnfinger  sur  la  Uproserie  de  Reims  du  XIU  au 
XVIlt  slicl  e  gewidmet  Der  Anhang  bringt  dne  Reibe  von  Dokumenten. 

Einen  neuen  beacbtensvcrten  Beitrag  anr  Ckadnchie  der  Mediain 
verftffcntlicht  K.  Baas  in  der  Zeitschrift  für  die  Oesdüchte  des  Ober- 
rhefns  (N  F  XXI,  Heft  3)  fiber  Heinrich  von  Lottffenberg  und 
sein  Gesu  rid  hf  itsregiment  (1429). 

Im  Schweizerischen  Archiv  für  Volkskunde  (10.  Jahrg.,  Heft  3/4) 
teilt  £.  Wyman  Rezepte  aus  üri  von  1716  bis  1724  mit 

Das  British  Mcdical  Journal  (1905,  Nov.  18)  enthUt  einen  Aufsatz 
von  N.  Moore  Aber  John  Mirfeld  (1393)  and  Medical  study  in 
London  during  the  middle  ages. 

Nach  Archivaren  teilt  O.  van  Dorslaer  im  RtiÜPtin  du  cercle 
archeologique  de  Maiines  (t.  XV)  einiges  über  Streitigkeiten  unter  den 
Ärzten  im  15.  Jahrhundert  mit  (^pisodes  de  la  vie  medicale  d  antan). 

Der  von  Vogel  er  in  der  Zeitschrift  des  Vereins  f.  d.  Oesch.  von 
Soest  u.  d.  Böide  (Hell  21)  verOffentliciite  Eid  eines  Wundarztes  in 
Soest  vom  Jahze  1390  bezieht  sidi  auf  die  Qehdmhaltung  von  allem, 
vas  dieser  bei  der  Behandlung  von  »gefangenen  Herren"  vernehmen  würden 

Das  Bremische  Jahrbuch  (XXI,  146  160)  bringl  für  die  Kultur- 
geschichte des17.  und  1  S.Jahrhunderts  interessante  Mitteilungen  aus  der 
Geschichte  des  bremischen  Medizinalwesens  von  W.  O.  Pocke. 

Von  N.  Moore  sei  noch  ein  weiterer  Beitrag  aus  dem  British 
Medical  Journal  (1905,  Nov.  25)  erwihnt:  Dr.  Edvard  Brovne 
(1644—1708)  and  the  education  of  physicians  in  London  in 
tbe  17*  Century. 

Auch  sittengeschichtliche  Details  enthält  eine  Arbeit  V.  du  Bleds 
in  der  Revue  gäiäale  (1906,  no.  5):  Les  medecins  et  la  soci^t^ 
fran<faise  avant  et  apr^s  1  789. 

Jos.  v.  Pleyel  gibt  in  der  Naturwissenschaftlichen  Wochenschrift 
(1906,  Nr.  44)  eine  kurze,  vor  allem  kultuigesdiicfatlich  interessante  Oe> 
sdddite  der  Zook)gischen  Qirten  (Zoologische  Oirten  und  natur- 
historische  Museen).  Diese  Institute  in  einhichster  Form  sind  eine 
der  ältesten  Erscheinenden  in  der  Kulturgeschichte  Der  erste  zoologische 
Oarten  im  vollsten  Sinne  des  Wortes,  der  in  Deutschland  gegründet 
wurde,  war  der  in  Bo-lin. 


Digitized  by  Google 


Bibliographisches« 


Israel  Smith  Cläre,  Sixty  centunes  ot  progress;  containing  a  record 
of  the  human  race  from  the  earliest  historical  period  to  the  present  time; 
embracing  a  general  survey  of  the  progress  of  niankind  in  national  and 
social  life.  8  vob.  Chicago.  —  H,  Kjmmur  (Herausgeber),  Der  Mensch 
u.  d.  Brde.  Die  Entstehung,  Oevinn.  n.  Verwertung  d.  Sdittze  d.  Erde 
als  Grundlagen  der  Kultur.  Bd.  I.  Berlin  (XU,  500  S.,  44  Beilagen).  — 
C.  Schmidt,  Übereinstimmung  d.  Völker  in  Anschauungen  u.  Gebräuchen. 
Progr.  Rcalg.  Breslau  (29  S.)  —  Die  Kultur  der  Gegenwart.  Ihre  Ent- 
wicklung und  ihre  Ziele.  Hrsg.  v.  Paiü  Hinneberg.  I.  Tl.,  1.  Abt.  Die 
allgemeinen  Grundlagen  der  Kultur  der  Gegenwart  Von  W.  Lexis, 
Ft  Paabm,  O.  Sdldppe  vom,  Lpz.  (XV,  671  S.)  —  #C  7%.  Heigel,  Biogr. 
und  kultuigcschicfatl.  Essays.  2.  Aufl.  Berlin  (VII,  337  S.)  ^  IT.  Mr. 
IT.  Landau,  Beiträge  zur  Altertumskunde  des  Orients.  V.  Babylonisches 
vom  Mittelmeer  -  Bes  als  Mcergreis  -  Das  Tor  v.  Rnmeli  -  Engonasin. 
Lpz.  (48  S.)  —  R.  Biasiitti,  Le  formazioni  storiche  del  mondo  antico: 
situazione  e  spazio  nelie  provincie  antropologiche  nel  mondo  antico.  Fi- 
renze  (XII,  91  p.)  —  K  Sdiimur,  Bilder  a.  d.  altrömischen  Leben.  Progr. 
Realg.  Magdebuig  (26  S.)  —  £.  BMi,  Römische  Altertuni8iaind&  3.  verb. 
Aufl.  (Sammlung  OMien.  4$).  Lefpae.  (173  S.)  —  /  HeUHi,  Vindonissa 

1.  Quellen  u.  Literatur.  Im  Auftr.  d.  Vindonissa-Kommission  zusammen- 
gestellt. Aarau  (112  S.,  ^T^i.,  1  Karte).  —  P.  Manfrin,  La  doiriina^ione 
romana  nella  Gran  Bretagna.  Vol.  II.  Roma  (4u5  p  )  üriech.  Ur- 
kunden der  Papyrussammlung  zu  Leipzig.  Band  1.  Mit  Beiträgen  von 
Vir.  meken  hi^g.  v.  Ladw.  Mittel,  Lpz.  (XII,  380  S.,  2  Taf.)  —  C.  H. 
Beeker,  Papyri  Schott-Rdnhaidt.  I  (VetOffentUdiungen  «.  d.  Heidelberger 
PHpyrus-Sammlung.  III).  Heidelbeig  (IX,  1 19  &,  12  Taf.)  -  F.  M.  Häek^ 
eodt,  Xypes  of  Celtic  Uüe  and  Art.  London.  —  Jul.  Cramer,  Die  Ver- 
fassungsgesch.  d.  Germanen  u  Kelten  F  Bcitr  ?..  verj^leich.  Alterttimsk. 
Berlin  (VIII,  208  S.)  —  K  Lamprecht,  Deutsche  üeschichte.  D.g.  R.  Bd.VII. 

2.  Hälfte;  VIII,  1.  u.  2.  H.  Freiburg  i.  Br.  (XIV,  397  - 873 ;  VIII,  IX,  729  S).  — 
E.  Heyck,  Deutsche  Geschichte.  Volk,  Staat,  Kultur  und  geistiges  Leben. 
Bd.  2  u.  3.  Bielefeld  (VI,  686  S.,15  Beil.,  1  Karte;  VIII,  658  S.,  16  Beil.,  2  K.) 


DIgltIzed  by  Google 


Biblioexaiihitches. 


153 


B.HaenddUj  Deutsche  Kultur  im  Zeitalter  des  30  jährigen  Krieges.  Leipzig 
(X,  464  S.)  —  F.Jostes,  Roland  in  Schimpf  n  Ernst.  Die  Lösung  des  Roland- 
rätsels  Dortmund  (40  S.)  —  Bilder  aus  dem  alten  Berlin  (,^3  Taf.  m.Text 
a.  d.  Rückseite  u.  III  S.  Text).  Berlin.  —  Er.  Neuhaus,  Die  brideiiaaiusche 
Kolonisatioo  im  WaiHie-  u.  Netaebrucb.  Nach  ardiival.  Quellen  dargest 
(Schriftelt  d.  Vereins  f.  Oescb.  d.  Neiimirk  Heft  18).  Landsberg  a.  W. 
(X,  376  S.)  —  H.  Schneider,  Die  Schweizer  Kolonie  i.  d.  Mark,  ein  länd- 
liches Kultnrbild      d.  17.  Jahrh.    Progr.  Wilh.  Gyran.    Berlin  (18  S.) 

—  Festgabe  zum  21  Vll,  1905,  Anton  Hagedorn  j^^cwidmet.  Hnmbnrt^ 
(III,  133  S.)  —  E.  Strassburger,  Gesch.  d.  Stadt  Ascliersleben.  A^ehers- 
kbeii  (XIII,  534  S.)  —  K.  HenningSf  Sagen  und  Erzählungen,  Volkskunde 
und  KnlturgieschiditUches  aus  dem  hannovenchen  Wcmllande;  Hrsg.  u. 
erweitert  v.  CaH  Tk.  Hmubigs,  Lflchov  <157  S.)  —  C.  Casstit  Die  Stadt 
Celle  zur  Zeit  Herzogs  Ernst  des  Bekenners.  Eilt  Zeit  und  Sittenbild  d. 
Jahre  15?0-1SS0  nach  zeitgenöss.  Aufzeichnimf^en.  Celle  (VII,  176  S.)  — 
Meppener  Urkiindenhiich,  hr;i^  v  H.  Wenker.  IV.  Teil.  Die  UrknTn!en 
der  Jahre  1l7ii  nsv  Prngr.  Meppen  (S.  2Ü9-352).  —  Rieh  Stappcr, 
Die  ältcbie  Agende  d.  Bistums  Münster.  Mit  Einleit  u.  Erläuter.  als  Bei- 
trag zur  Literatur-  u.  Kuiturgfsdiidite.  Mflnster  (VII,  147  S.,  4  Taf.)  — 
IC  WIM,  OeBch.  d.  Ftd-  u.  Retcfasstadt  Dortmund.  2.  (verb.  u.  verm.) 
AufL  Dortmund  (84  S.)  —  Beiträge  z.  Gesch.  d.  Stadt  Weilburg.  Fest- 
schrift. (Aus:  »Annalen  d.  Vcr.  f.  nassaii.  Altertumskunde  u.  Geschichte.") 
Wiesbaden  (V,  94  S.,  4  Taf.)  —  £".  Weinhold,  Chemnitz  und  Umgebung. 
Geschichtl.  Bilder  aus  alter  u.  neuer  Zeit.    Chemnitz  (\'l,  170  S.,  1  Taf.) 

—  Härtwig,  Altes  und  Neues  aus  Oschatz.  Oschatz  (73  S.)  —  Eberlein, 
Aus  d.  Vergangenheit  v.  OroS-Strehlitz.  OroftStrehlitz  (32  S.)  —  P.  Voigt, 
Aus  Lissas  enter  Biatezdt  2.  Aufl.  Ussa  (152  S.)  —  Qiämaim,  Die 
soziale  Oliedemn^  der  Bayern  zur  Zeit  des  Volksrechtes  (Abhandlungen 
a.  d.  staatswiss.  Seminar  zu  Straßburg  i.  E.  Heft  2u).  Straßbnrg  (XII^ 
330  S.)  —  Katalog  d.  histor.  Ausstellung  d.  Stadt  Nümberr  nuf  d.  Jubil.- 
Landes- Ausstellung  Nürnberg  1906.  Nürnberg  (460  S.)  —  P.  Dirr,  Aus 
Augsburgs  Vergangenheit.  Augsburg  (loo  S.)  L.  Eid,  Aus  Alt-Rosen- 
hdm.  Ausgev.  Studien  z.  Oesch.  u.  Votkslninde  Hr  Rosenheim  u.  sein 
Inntai.  In  3  Teilen.  Rosenheim  (Vllf,  S72,  2  u.  8  S.,  25  VollbUdtaf.)  — 
L,  Oehring,  Kulturgeschichtliche  Skizzen  aus  der  Derditesgadener  Ver> 
gangenheit.  Berchtesgaden  f?5  ?.)  —  B.  Bauer,  Vom  Bodensee.  Ver- 
gangenheit u.  Gegenwart.  Mit  besond.  Berücksicht.  der  Bodanhalbinscl, 
von  Reichenau  usw.  Radolfzell  (291  S  )  —  C.  Hoffmann,  L'Alsace  au 
XVIIIc  siecie  au  point  de  vue  historiquc,  judiciaire,  administrative,  6cono- 
mique,  intdlcchid,  sodal  et  rdigieux  p.  p.  A,  M.  P*  Ingold,  T.  1.  IL 
(Biblioth^ue  de  hi  Revue  d'Alsace.  IX.  X.)  Colmar  (XV,  747, 580  p.)  — 
H.  Frh.  Laagwerth  k.  Simmern,  Aus  Krieg  und  Frieden.  Kulturhtstor. 
Bilder  a.  e.  Familienarchiv.  Wiesbaden  (VII,  544  S.,  1  Stammtafel).  — 
K  Arendt,  Notizen  über  altluxemburg.  u.  alteifler  Sitten  u.  Oebräuche, 


DIgitized  by  Google 


154 


BibliogiMphigdiq. 


aus  alt.  Urk.  gesammelt.  Luxembtus  (70  S.)  —  E.  Langau,  Das  östliche 
Deutschböhmen.  Deutsche  Volkskunde  a  d  östl  RnhmeTi  6  Bd  ,  H  1  2. 
Braunau  (64  S.)  -  G.  Bondy,  Zur  Oesch.  d.  Juden  in  Böhmen,  Mähren 
u.  Schlesien  von  9u6  - 1620.  Herauf.,  vorbereit,  u.  ergänzt  v.  F.  Dworsky. 
2  Bde.  Prag  (XII,  1151  S.)  —  Die  Stadtrecbte  yon  frdbuzg  im  Uecht- 
taiu)  und  Arcondel-niens.  Y\ng,  v.  R,  ZtkiMtuur»  Innsbruck  (XXXV, 
159  S.).  —  ff.  OUtsdi,  Beitiige  zur  ilteren  Winterthurer  Vafusungs- 
geschichte.  Winterthur  (VI,  93  S.,  1  PI.)  —  T.  W.  Shore,  Origin  of  the 
Anglo-Saxnn  race  A  study  of  the  settlement  of  England  and  the  tribnl 
origin  of  the  old  Engl,  jjeople.  Ed.  by  T.  W.  and  L  E.  Shore.  I  ond. 
(424  p.)  —  P.  IV.  Joyce,  A  smailcr  Social  History  of  Ancienl  Ireland. 
London.  —  5.  and  B.  Wibb,  English  Local  Oovenunent  from  the  Revo- 
lution to  the  Atunidpal  Corporations  Act.  London  (XV,  664  p.)  ^ 
Chronides  of  London.  Editcd  with  introduction  tnd  notes  by  Ol  LeUk- 
bndge  Kmgsford.  Oxford  (Clarendon  Press),  1905  (XLVIII,  368  S., 
1  P!  )  —  A  History  of  Municipal  Government  in  Liverpool  from  the 
carliest  tunes  tü  the  Municipal  Reform  Act  of  1835.  Part  I:  A  Narrative 
Introduction  by  R.  Muir.  Part  II:  Coltection  of  Charters,  Leases  and 
olhcr  Documents  ed.  by  C.  R.  Wilson.  London.  W.  Hudson  and 
/  C.  TU^,  The  Records  of  the  City  <rf  Norwich.  VoK  L  London. 

—  M.  O.  WäUamsan,  Edinburgh.  Historical  and  topograph.  «ooount 
of  the  city.  London  (344  p.)  —  A.  J.  Beaton^  The  social  and  economic 
condition  of  the  Highlands  of  Scotland  since  1800.  London  (128  p  )  — 
A.  Oasquftf  Parish  life  in  mediri'v.')!  England.  London.  —  H  Tarne, 
Die  Entstehung  des  moderneu  hrankreich.  Autor,  deutsche  Bearbeitung 
von  L,  Kaisektr,  Bd.  III.  Das  nachrevolution.  Frankieidi.  2.  AbL 
2.  veiind.  Aufl.  Lpz.  PCXVI,  270  S.)  ^  V.  Du  Bltd,  U  toci«t«  fnn^ 
du  XVI«  au  XX«  slkle  5<  sMe:  XVIlIe  sikle  (Lei  magistrats  et  U  ioc 
frang.  Une  femme  premier  ministre.  Le  salon  de  U  marquise  de  Lambert. 
Mme  de  Tencin  l  a  cour  sous  Louis  XV  et  Louis  XVI).  Paris  (XXII, 
312  p.)  —  E.  Picot,  Les  Francis  italianisants  au  XVk  si^cle,  T.  I.  Paris 
(XI,  382  p.)  —  iM.  Roustan,  Les  philosophes  et  la  sodete  fran^aise  au 
XVIIIe  siide.  Ms  (459  p.)  —  //.  R.  YoHu,  Fnuioe  in  1802.  described 
in  a  series  of  Letten.  Nev  ed.  from  Lidy  Sykes.  London.  — 
O.  QttBUmä,  Au  pays  vendfeL  Dcsolption.  Histoire.  Langage.  Sitet 
et  Monuments.  Niort  (IV,  390  p.)  —  A.  Ledim^  Conhibution  au  tra- 
ditionnisme  pIcard,  baptemes,  mariagcs,  enterrements.  {Conferences  des 
Rosati  Picards  Aniiens.  18.)  Cayeux-sur-Ma-  (43  p.)  —  C  dt-  Ca  hm,  La 
Bretagne  au  XVI «  si^le.  (Extr.  de  la  Revue  de  Bretagne.)  Vannes 
(128  p.)  -  r.  Okey,  The  story  of  Paris,  III.  by  K  KMaH  (Medicval 
tovn  scries.)  London  (493  p.)  —  Histoire  gMale  de  P^s.  Invenlaire 
dei  registres  des  Insinuations  du  CbAtdet  de  Pluis,  rignes  de  Phkn^ofs  I« 
et  de  Henri  II  par  E.  Campardon  et  A.  Tuetey.   Paris  (XLVII,  1098  p.) 

—  Histoire  gto^  de  Paris.  Recudl  d'ades  notari^s  relatifs  k  l'Hist 


Dlgitized  by  Google 


BibliOfnq)iiiM]i«t. 


155 


de  Ms  et  de  9CS  environs  au  XVI«  sttek  pir  £1  Cejm^«^  T.  ]v 

(1498-1545)  Paris  (XL,  932  p  )  —  A.  de  Caiamu,  Histoire  de  la  ville 
d'Amiens.  T.  III.  Amiens  au  XIXc  siecle.  Amiens  (III,  473  p.)  — 
A  BhndeL,  Chirtres.  Petite  Histoire  d'une  vieille  cite.  Chartres  (VI, 
VW  [).)  —  A.  Chagny,  Bourg-en-Bresse  au  temps  de  la  domination  Sa- 
voisienne  (XV«  et  XVI  c  siecles).  Bourg  (79  p.)  —  F.  de  ö^lis,  Ville- 
oottvdlc  au  bon  vienx  temps.  Toaloiue  (178  p.)  —  A,  EoHt^  Essays 
npon  ^  hirtofy  of  Meaux  Abbey,  and  some  prindples  of  mcdittval 
tenure,  based  upon  considerations  of  Latin  chronides  of  Meaux  1150— 
1400.  London  (300  p.)  —  Cariulaire  de  la  vi1!c  de  Gand  (oorkondenboek 
der  stad  Gent)  p.  sous  ia  direct.  de  V.  Van  der  haeghen  et  H.  Pirenne. 
|irc  Sa-ie:  Comptes.  T.  II:  Uitleggingen  tot  de  gentschc  stads  en  bal- 
juwsrekeningen,  1280-1315.  Nagelaten  werk  van  /  Vuyl^ttke^  uitg.  door 
V,  Vau  der  Htugfim  en  A,  Vut  Wlawke,  II«  Sfrie:  Charles  et  docu- 
menb.  T.  I:  Uber  tnditionuDi  sancti  Peiri  Blandiniensls,  putd.  et  annot^ 
p.  Arnold  Fayen.  Oand  (III,  347  p.;  XIII,  311  p.)  -  Cartulaire  de  la 
commune  de  Dinant,  recueiUi  et  annote  pnr  Lt^on  Lahayr.  T.  VI  (1666 
— 1700).  Namur  (351  p.  et  1  pl.)  —  Fr.  Cornäore,  La  po[^o!azicne  dcÜo 
StatO  Romano  (1656-1901).  Roma  (288  p.)  —  //.  v.  Zwiedineck-Süden- 
horst,  Venedig;,  als  Weltmacht  u.  Weltstadt.  2.  Aufl.  (Monugr.  z.  Welt- 
gesdu  VIII.)  Bieleldd  (223  &)  —  Qla¥.  Mm  BtrMI^  Caibmissetfa  nd 
tempi  die  funmo  e  nd  tempj  che  sono.  Vol.  I.  Caltaniasetta  (475  p.)  — 
Ibn  Qubayr  (Ibn  Giobeir).  Via^gio  in  bpagna,  Sidlia,  Siria  e  Palestina, 
Mesopotamia,  Arabia,  Eritto  compiiito  ne!  sec.  XTT  Primn  traduzione 
fatta  suir originale  arabo  da  Celestino  Schiapanil!.  Roma  (XXVII, 
412  p.)  —  H.  Vamb/ry,  Westlicher  Kultureinlmli  im  Osten  Berlin  (VI, 
437  S.)  —  F.  fHnkus,  Studien  zur  Wirtschaftsstellung  der  Juden  vun  der 
VöllKrvanderunK  bb  zur  Nenatdt  Dias.  Bern  (56  S.)  —  Q,  Hetutüigi 
Die  Rdscbericbte  Ober  Sibirien  von  Herberstdn  bis  Ides.  Ldpdg  (IV, 
150  S.)  —  H.O,Keene,  History  of  India.  New  Ed.  2  vols.  London.  — 
J.  Foreman,  Philippinc  Irlands.  Political,  g^eographical,  ethnographicnl, 
social  and  cotnnicrciai  history.  ed.  London  (69?  p  )  —  H.C.  Camp- 
bell, Wisconsin  in  three  centuries,  1634  -1905:  Naiiative  of  three  cen- 
turies  in  the  maldng  of  an  Am^ican  Commonwealth,  illustr.  with  nu- 
nenms  engravings  of  historie  soenes  and  landmarks.  4  vols.  Nev  York 
(2000  p.)  —  T:  Waion,  Histoiy  of  fhe  town  of  Middleboro  <3late  of 
Massachusetts).  Boston  (724  p.)  —  Z..  v.  Schweder,  Wesen  u.  Ursprung 
der  Relif^ion,  ihre  Wurzeln  und  deren  Entfalttinp:  (Beiträge  zur  Weiter- 
entwicklung d.  christl.  Relig:ion.  Heft  1).  München  (39  S.)  —  P.  Herr- 
mann^  Deutsche  Mythologie  in  gemcinverst.  Darstellung.  2.  neubearb. 
Aufl.  Leipzig  (X,  445  S.)  —  W.  Fischer,  .AbCTglaube  aller  Zdten*. 
1.  Die  Oesch.  des  Teufds  (101  4  Taf.).  2.  Die  Gesch.  der  Btdilleiifd 
und  Dimonen  (95  S.,  3  TalF.).  3.  Dflmonisdie  Mittdvesen,  Vampir  und 
Wervolf,  in  Oesdi.  u.  Ssge  (103  S.,  3  Taf.)  Stuttgart  —  M,  Qtrkoidi, 


Digitized  by  Google 


156 


Bibliognqihischcs. 


Der  Aberglaube  in  d.  französischen  Novdle  d.  16.  Jahrh.  Diss.  Rostock 
(158  S.)  —  P  Thianrauriy  La  sorcellcric  au  ban  de  Rainonchamp  au 
XVIIe  siecle.  Reinireniont  (56  p.)  —  W.  H.  S.Jones,  Greek  morality 
in  relation  to  Institutions.  London.  —  Stephan^  Über  das  Buch  »Ii 
cortegiano"  von  Graf  Baidassar  di  Cistigüone,  ein  Beitrag  zur  Kenntnis 
der  Odefarsamtceit  und  Bildung  der  Reuissanoe.  Progr.  Luiscn-Oymn. 
Berlin  (33  S.)  —  Q.  Lo/tginatä  e  M.  Baedni,  La  lettemtura  italiam  ndla 
storia  della  cultura.  Vol.  L  IL  Firenzc  (XVII,  495  p.,  4  tav.,  500  p.)  — 
J.  Luchairt,  Essai  sur  l'^volution  intellectuelle  de  Tltalie  de  1815  a  1*^30. 
Paris  (XVII,  340  p.)  —  F.  Boarnand,  Hist.  de  la  Franc-Ma^nnerie  des 
origines  ä  la  fin  de  la  Revolution  fran^ise.  Paris  (304  p.)  —  H.  Weimer^ 
Ocscfa.  der  Pidagogik.  2.  verb.  Aufl.  (SammL  OMien.  145).  Leipzig 
(148  S.)  —  I.  Weniger,  Johannes  Kromayer.  Zwei  Schulsctariflen  von 
1629  u.  1640.  Progr.  Weimar  (15  S.)  —  R.  Steck,  Joh.  Rud.  Fischer  v. 
Bon  u.  s.  Beziehungen  zu  Pestalozzi  (Archiv  f.  schweizer.  Schulgesch.  I). 
Bern  (6?  S.)  —  N.  Touroff,  Jean  Pau!  al?  Pädac^oge.  Lausanne  (p5  S.)  — 
CV.  üeißkr,  Die  ji^dagog.  Anschauungen  L.  M.  Arndts  i.  Zusamrnenhang 
mit  seiner  Zeit.  Diss.  Leipzig  (41  S.)  —  F.  Pauisen,  Das  deutsche 
Bildungswesen  i.  sein,  gesch.  Cntwickdung.  (Aus  Natur  und  Oeistesvelt 
Bdch.  100.)  Leipzig  (IV,  192  S.)  —  Beftrice  zur  hessiadien  Sdnil-  und 
üniversltätsgesch.  Hn^.  v.  Wi  iXehi  und  A.  Messer.  1.  Bd.  1.  Heft 
Gießen  (128  S.)  —  Wetzstein,  Die  geschieht!.  Entwicklung  des  Realschul- 
wesens in  Deutschland.  Abschn.  I :  Die  Entsteh,  deutscher  Realschulen 
im  18.  Jh.  Progj.  Neustrehtz  (48  S.)  —  C.  W.  O  Weorhaupt,  Beiträge 
z.  Gesch.  d.  Wilhelin-üymnasiums  zu  Hamburg.  Haniburg  (63  S.,  2  Taf.) 
—  K  WdßmMtn,  Oesch.  der  Studienanslalt  Scfavdnfiirt  von  dem  Ende 
der  Reichsonmittelbarfceit  d.  Stadt  b.  z.  B^grfind.  d.  »Oymnas.  Ludovida- 
nura«  (1802-1834).  Schweinfurt  (49  S.)  —  /  Wuttig,  Gesch.  d.  stidt 
höher.  Töchterschule  zu  Dresden- Altstadt.  Festschrift.  Dresden  (87  S.)  — 
V.  Srhtt/fze,  Geschieh ts-  und  Kunstdenktnäler  der  Universität  Greifsvcald. 
Z.  43üjahr.  Jubelfeier  hrsg.  Greifswald  (III,  68  S.,  21  Taf.)  —  Akten  und 
Urkunden  d.  Univers.  Frankfurt  a.  G.  Heft  b:  Aus  dem  ersten  Jahrzehnt 
der  Universllftt  u.  die  ilteslen  Dekanatsbfldier  der  Juristen  u.  der  Mediziner. 
Festschrift,  hrsg.  v.  Oasi.  Baadt,  Breslau  (XX,  93  S.)  ^  H.HtmtUnk, 
Die  theologische  Fakultät  in  Tübingen  vor  der  Reformation  1477  —  1534. 
Tübingen  (VIII,  228  S)  —  E.  D^vaudj  L'^cole  primaire  fribourgeoise 
sotis  In  repnblique  helvctique  1748  -1803.  Freiburg  i.  Schw.  (179  S.)  — 
P.  Danthiiäe,  L'ecolc  primaire  dans  Ics  Basses-Alpcs  depuis  !a  r^volution 
jusqu'ä  nos  jours.  Digne  (362  p.,  1  carte).  —  A.  Grimal  et  Q.  Colomb, 
Cttit  ans  de  la  vie  d'un  oollegc  (1806-1906).  Essai  historique  sur  le 
ooll^  de  Luxe.  Lure  (253  p.)  —  A,  C  D§  Sekrwd,  Histoire  du  petit 
seminaire  de  RottleiB  pr6c6d^  d'unc  introduction  ou  coup  d'adl  sur  l'^tat 
de  l'enscigncment  moyen  dans  la  r6gion  correspondante  ä  la  Flandre  ocd- 
dentale  actuelle.  T.  1  (1S06-1830).  Rouiers  (VIII,  328  p.)  —  B,  C.  A» 


Digitized  by  Google 


Bibliographisches. 


157 


WinäUf  A  school  history  of  Warwickshire.  London  (236  p.)  —  Studies 
in  tbe  Histmy  tnd  Development  of  tfae  Uitiversity  of  Aberdeen,  ed.  by 
P./.  Andmon.  Lond.  R,  Bßieß,  A  irfpoktetis  tOrtfnele  MagyiröfBz^ii 
1540  -lg-.    (Der  Volksunterricht  in  Ungarn  bis  1540.)  Budapest 

(XXXVII,  SS8  p.)  —  E.  Q,Daff,  The  Printers,  Stationeis  and  Bookbinders 
of  Westminster  and  Londo?i  1476  -1535.  London.  —  Q.  Bres^  Deila 
Stamperia  e  di  altre  indiistnc  affini  in  Nizza  da!  149?  al  1S10.  Nlce 
(56  p.)  —  A.  Kopp,  Johann  Balhorn  (Druckerei  zu  Lübeck  1528-1603). 
Kritiscfa  beleuchtet  Lübeck  (44  S.)  —  Baudrier,  Bibliographie  lyonnaise. 
RedierdKs  sur  les  imprimemSk  llbraiies,  relieuis  et  fondeun  de  lettres  de 
Lyon  au  XVI«  si^e.  Piibl.  et  oontinu6es  par  /  Baudrier.  5«  säle.  Lyon 
(522  p.)  A.  de  la  Bourali^re^  L'imprimerie  et  la  librairie  ä  Poiticrs 
pendant  les  XVfIe  et  XVIIIe  siecles.  Paris  (IV,  512  p.)  —  Inventairc  de 
la  »librairie"  de  Philippe  le  Bon  (1420)  p.  p.  O.  Doutrepont.  Bruxelles 
(XLVIII,  \9\  p.)  —  Chr.  Mayer,  Uber  Kölner  Familiennamen  des  I2.jahrh. 
Progr.  KAIn-Nippes  (15  S.)  O.  SifipAr,  Die  Familiennamen  Bocholts» 
Mit  BerflcksicliL  d.  Umgegend  f.  d.  14.  Jahrb.  (Forts.)  Progr.  Bocholt 
(S.  53-92).  —  M,BahlerSf  Hildesheimer  Straßennamen  (Aus:  •Familienbl. 
d.  Hildesheimer  allg.  Ztg.)  Hildesheim  (40  S.)  —  H.  Gröhler,  Die  Ent- 
wickelung  französ.  Orts-  u.  Landschaftsnamen  aus  gallischen  Volksnamen. 
I^ocT.  hriedrichs-Gymn.  Breslau  (46  S.)  —  Ed.  Fuchs,  Die  Frau  in  der 
Karikatur.  München  (XII,  488  S.,  60  Beil.)  —  Loth.  Schmidt^  Frauen- 
briefe der  Renaissinoe  (Die  Kultur.  9).  Berlin  (69  S.)  —  F.BnmdiUone, 
Saggi  sulla  storia  della  oelcbrazione  de!  nwfaimonio  in  Italia.  Milano 
(XXIV,  574  p.)  —  G.  Mtdv,  Soziale  Bewegungen  und  Theorien  bis  zur 
modernen  Arbeiterbewegung.  3.  Aufl.  (Aus  Natur  u.  Oeisteswelt.  Bdch.  2), 
Leipzig  (iV,  162  S.)  —  E.  Rodocanachi,  Les  esclaves  en  Italic  du  XIII«  au 
XVI«  siecie  (Extr.  d.  1.  Revue  des  quest.  histor.)  Resan^n  (27  p.)  — 
W.  Kittie,  Freedom  versus  slaveiy  in  the  United  States  1619-1865. 
Chicago  (138  p.)  ^  Baroncss  Q.  Van  Zig^  van  Nyevtli,  Conrt  Life 
in  the  Dntch  RepuUic  1638  -  89.  Lond  —  I.  Bati^  U  vie  intime 
d'une  reine  de  France  au  XVII«  s.  Paris  (III,  570  p.)  —  Le  Centre  de 
I'amour  (PoHssonneries  du  bon  vieux  temps).  Embl^mes  XVII«  sikle; 
tabatid^  XVIII«  siWe.  Introduction  et  notes  par  John  Qrand-Carteret. 
Paris  (199  p.)  —  O.  Leibecke,  Der  verabredete  Zweikampf  i.  d.  altfranzös. 
Literatur.  Diss.  Qöttingen  (88  S.)  —  Jacob  Diu hesne,  Miettes  historiques. 
Le  tonmoi  de  Cfaauvency  en  1285.  Ailon  (14  p.)  —  E,  NUÜHtt-Rdder, 
Die  Beizjagd  und  der  Fislkensport  in  alfer  und  neuer  Zeit  Leipzig 
(45  S.,  1  Vollbild).  —  E.  VoUgruber,  Vom  Essen  und  vom  Trinken 
(Sammlung  gemeinnütziger  Vorträge.  Nr.  335/6).  Prag  (S.  131-162).  — 
R.  Meringer,  Das  deutsche  Haus  u.  s.  Hausrat  (Aus  Nntnr  n  Oeisteswelt. 
Bdch.  116).  Leipzig  (VIII,  111  S.)  — -  O.  Piper,  Burgenl  ui-dc.  Bauwesen 
u.  Oesch.  d.  Burgen  zunächst  innerhalb  des  deutschen  Spiadigebietes.  in 
2.  Aufl.  neu  ausgearb.  2.  HUfie.  MUndicn  (V-Xl,  S.  383-755).  — 


Digltized  by  Google 


158 


BibliognphlsclMS. 


W.  P^Uer,  Dts  altsichs.  Bauernhaus  i.  t.  geogr.  Vertireitung.  E  Bdtr.  z. 

dti)(  clien  Landes-  u.  Volkskunde.  Braunschw.  (XVIII,  258  S.,  6Taf,,  4  Kail) 

—  Das  Bauernhaus  im  Deutschen  Reiche  u.  in  seinen  Grenzgebieten.  Hrsg. 
V.  Verbände  deutscher  Architekten-  u.  Ingenieurvereine.  Mit  histor.-geogr. 
Einleitung  v.  Dietr.  Schäfer.  10,  (Schi.)  Lf.  (12Taf.  m.  IV  S.Text).  Mit 
i  exilieit.  (XIV,  331  S.)  Dresden.  —  Das  Bauernhaus  i.  Österreich-Ungarn 
u.  in  sdnoi  Oienzgebieten.  Hng.  v.  (toten*.  Ingoi*-  u*  ArdiHekL-VcRiti. 
5.  (Schi.)  LF.  (15  Taf.,  2  Bl.  Text).  Mit  Texthefl  (XVII,  22t  S.)  Dresden. 

—  y.  Hunziker,  Das  Schweizer  haus,  nach  seinen  landsdmftlidien  Formen 
und  seiner  geschichtlichen  Entwicklung  dargestellt.  4.  Abschn.:  Der 
Jura.  Mit  59  Autotyp.  u.  70  Qrundr.  Hrsg.  v.  C.  Jecklin.  Aarau  (IX, 
138  S/)  —  J.  Hunziker,  La  maison  suisse  d'apres  ses  formes  nistiqucs  et 
son  developpement  histonque.  Iraduction  frani^aise  pai  ireä.  BroüUt. 
3«  partie:  Les  Orlsons  y  oompris  Saixans,  (lasier  et  Olaris.  Avec  82  vues 
autolypiques  et  esquisses  de  plane.  Lauaanne.  Aamu  (VI,  S60  S.) 
L'Int^'eur  et  le  mobilier  du  chäteau  royal  de  Versailles  ä  la  date  (te  la 
Joumee  des  Düpes  f1630)  piibl  p.  E.  Couard.  Versailles  f5l  p^  —  Roabo, 
Le  meuble  ä  l'epoque  de  Louis  XVI  Texte  expiicatif,  d  un  Rccueil  de 
planches.  Paris  (27  p.)  --  G.  de  Wirmes,  Mobilier  et  Oardc-robe  Li  nne 
dame  bretonne  au  XVlllc  siede.  Saint-Brieuc  (S  p.)  —  P.  MacquouL, 
A  Histmy  of  English  Fumituie.  Vol. III.  Pulli.  Undon.  —  WMaOoek 
and  H,  T.  Wade,  Outllnes  of  Hie  evolution  of  veights  and  measuies  and 
the  metric  ^tem.  New  York  (II,  304  p.)  —  O.  Ruhiand,  System  der 
polit.  Ökonomie.  Bd.  I  u.  II.  Allgemeine  Volkswirtschaftslehre.  2.  Bd. 
Entwickelungsgeschichte  der  Völker.  Berlin  (IV,  406  S.)  —  /-*.  ßoissonnade, 
Les  etudes  relatives  ä  i  histoire  econoinique  de  la  Revolution  fran^aise 
(1789-1 804).  Paris  (168  p.)  —  P.  La/argu^  The  evolution  of  property 
front  savagery  to  dviUzation.  4^  ed.  New  York,  1905  (VI,  174  p.)  — 
Darstellungen  aus  der  Ocach.  der  Tedinik  der  Industrie  u.  Landwirtidiaft 
in  Bayern.  Festgabe  d.  kgl,  techn.  Hochschule  in  München  z.  Jahrhundert- 
feier. München  (XVII,  v:?  S  ,  21  Taf.)  —  R.  Cardio,  Eerste  invoer  van 
aardappels  in  Europa.  Kortnjk  {IV,  ISO  S.)  —  F.  Thiel,  Die  Lage  der 
süddeutschen  Bauern  nach  da- Mitte  des  13.  Jh.  (Auf  Grund  d.  FYedigten 
Bertholds  von  Regensburg.)  Progr.  Klosterneuburg  (30  S.)  —  O.H.Bnmdt, 
Der  Bauer  u.  d.  biuerl.  Lasten  im  Herzogt.  Sacbsen-Altenbuig  v.  17.  bis 
z.  19.  Jh.  (Oeschiditl.  Untenucbungen,  hrsg.  v.  Lamprecht.  Bd.  III,  Heft  4). 
Gotha  (X,  153  S.)  (Auch  Dissert.  Leipz.)  —  H.  S^e,  Les  classes  rurales 
en  Breta^rne  du  XVI?  siecle  ä  la  revolution.  Paris  fXXI,  54=?  p.)  — 
W.  A  Copiii^^rr,  I  he  Manors  of  Suffolk.  Lond.  —  Jos.  Kaiousek,  Rädy 
seisKe  a  instrukcc  hospodäi'sk^  (Böhmische  Dorfordnungen  u.  Wirtschafts- 
instruktionen, in  tschech.  u.  dtsch.  Sprache)  1627-1698.  (Archiv  Cesky. 
DU  XXHL)  Ptag  (600  S.)  —  S,  B.  Kfttd,  Das  Buch  vom  Fcanleenwein. 
Wflnb.  1905  (243  S.,  10  Farbendnickbikl.)  —  L.  Foumkt,  Vigncs  et  vins  de 
Bourgogne.  Docuroenti  pour  servir  de  oontribution  i  leur  histoire.  ie  Mt. 


Digltized  by  Google 


Bibliographisches. 


159 


Beaune  (29  p.)  —  £L  ¥,HaIie,  Baum woll Produktion  tt.  Pflanzungswirlsditft 
i.  d.  nordamer.  Südstaaten.  2. Tl.  Sezessionskrieg  u.  Rekonstruktion  Qrund- 
zCge  e.  Wirtschaftsgeschichte  der  Baumwollstaaten  von  1861  -  1880.  (Staats- 
u.  sozialwiss.  Forschungen.  XXVI.  Bd.,  1.  Heft.)  Lpz.  (XXVI,  669  S  )  — 
W.  Heering,  Bäume  u.  Wälder  Schleswig>Holsteins.  ti.  Beitrag  z.  Natur- 
u.  Kiilttiis«sdi.  d.  Pkovinz  [Ans:  «Schrifieii  de»  naturr.  Vor.  f.  Sditev^ 
HoMn«].  Kid  (192  22  Tif.)  C.  Bähkr,  Kidtuitistorisclws  fibcr 
Entstdnmg  und  Entwicklung  der  künstlichen  Fischzucht.  Die  Fischerei- 
zustände von  einst  u.  jetzt  in  Oraubündcn.  Schiers  (I,  27  p.)  —  L.  Zenker, 
Zur  Volkswirtschaft!.  Bedeutung  der  Lüneburger  Saline  für  die  Zeit  von 
950  — 1370  (Forschungen  z.  Oesch.  Niedersachsens  Bd.  I,  Heft  2)  Hannover 
(VI,  84  S.)  —  Chr.  Meyer,  Die  üesellenfrage  im  M.-A.  Zur  üe>cli.  des 
deuttdieii  Aibdtenlaiules  (Fhmkfurter  leitgviiiflfic  BroKhflren.  N.  F.  2S.  Bd., 
12.  Heft).  Hamm  (24  S.)  —  A.  V.  Ota/mis,  Les  andennes  Corpontions 
dijonnaises  (R^lements,  Statuts  et  Ordonnances)  (Publicatlon  de  la  soc 
bourguign.  de  g^ogr.  et  d'hist.).  Dijon  (516  p.)  —  E.  StaUy,  The  guüds 
of  Florence.  III.  aftcr  mininttjres  etc.  Lond.  (23,  622  p.)  —  Is.  Del  Lungü, 
Firenze  artigiana  nella  stnna  e  in  Dante.  Firenze  (104  p.)  —  E.Cn'vel/i, 
Disegno  storico  deiic  Industrie  tessili.  I.  Mondo  antico.  Torino  (163  p.) 

—  C  Bakdmam,  Das  Aufhommen  der  OroBindustrie  im  sichiisclicn  WoU- 
geipote  Aachen  (107  S.)  —  P.  Iwau,  Die  Ocsdiidite  des  Rochlilzer 
Tuchmadieriiandwerkes.  Dtss.  Rochlitz  (126  S.)  —  W.  Badtke,  ZurCnt- 
Wickelung  des  deutschen  Bäckeri^ewerbes.  Eine  wirtschaftsgesch. -Statist 
Studie.  Diss.  Lpz.  (95  S.)  —  R.  Hrlmrich,  üesch.  d.  Bäcker-Innung  zu 
Plauen.  Plauen  (I,  55  S.)  —  E  Hintze,  Die  Breslauer  Goldschmiede. 
Eine  archival.  Studie.  Hrsg.  vom  Verein  iur  das  Museum  schies.  Altert. 
Breslau  (VIII,  215  S.,  6  Taf.)  —  W,  Stkda,  Die  Ifienmisdie  Industrie  in 
Bayern  während  d.  XVIII.  Jh.  (Abhandlungen  d.  kgl,  sidis.  Oesdlsch.  d, 
Wissensch.  Pbil.-Hist  Kl.  Bd.  24,  Nr.  IV).  Lpz.  (VI»  256  S.)  —  Conite 
X.  de  Chayagnac  et  Marquis  de  OroUier,  Histoire  des  manufactures  fran- 
^ises  de  porcelaine.  Paris  (XXV'lIl,  967  p.)  —  W.  v.  Oechelhormer, 
Technisclie  Arbeit  einst  u.  jetzt.  Vortrag.  Berlin  (51  S.)  —  F.  M.  Feldhaus, 
Geschichte  d.  größten  technischen  Erfindungen  (Kulturgesch.  Bücherei.  6). 
KtHadienbroda  u.  Lpz.  (69  S.)  —  Af.O.  Sdimidi,  Ocsdi.  d.  WcHbandels 
(Aus  Natur  und  Oeistcswelt.  Bdch.ll8).  Lps.  (IV,  140  S.)  —  i4.  Sfiibs»^ 
Handelsgeschichte  der  romanischen  Völker  des  Mlttdmeergebiets  bis  zum 
Ende  der  Kreui'zfige  (Handbuch  d.  mtttelaltcrl.  u.  neueren  Gesch.  Abt.  III). 
München  (XIX,  816  S.)  —  J.  Kreiner,  Die  ältesten  u.  einfachsten  Handels- 
formen. Kulturgesch.  Abhandl.  mit  Analogien  aus  allen  Zeiten.  Progr. 
Budweis,  1905  (40  S.)  —  Cartulaire  de  l  ancienne  estaple  de  Bruges. 
Recueil  de  documents  oonoemant  le  oommeroe  Interieur  et  mariUmef  les 
rehitions  internationales  et  lliistoire  te»n(Hnique  de  oette  ville  par 
L.  OUUodts-van  Severen.  T.  III.  IV.  Bruges  (IV,  737  p.;  IV,  680  p.,  1  pl.) 

—  Wülutms,  Staple  Inn:  Customshouse^  wool  court,  and  Inn  of 


DIgitIzed  by  Google 


160 


Bibliographisches. 


Chancery.  Its  medisval  surroundings  and  associations.  Lond.  (222  p.)  — 
H,  Gilow,  Das  Berliner  Handeloh ulwcsen  d.  18.  Jh.  i.  Zusammenh.  m. 
d.  pädagogisch.  Bestrebungen  seiner  Zeit  dargestellt  (Monumenta  Oerm. 
Paedagogica.  Bd.  XXXV).  Berlin  (Xll,  342  S.,  t  Abb.)  —  Riezkr,  Über 
Finanzen  und  Monopole  im  alten  Otiechenland.  Zur  Theorie  n.  Oesch. 
d.  antiken  Stadtvlrtschafl.  Berlin  (98  S.)  —  M.  E.  HädeiduUii,  Stidtische 
Vermögenssteuern  im  M.-A.  Diss,  Lpz.  (110  S.)  —  O.  Mdtxing,  Das 
Bankhaus  der  Media  und  seine  Vorläufer  (Volkswirtsch.  u.  wirtschafts- 
gesch.  Abhandlungen.  Hrspf.  von  W.  Stieda.  N.  F.  6  Heft)  ]cm  (X, 
142  S.)  —  Banks  and  bankers  of  the  Keystone  State;  containin^  a  com- 
plete  history  of  the  banking  interests  of  Pennsylvania  ironi  ilie  Organi- 
zation Of  die  fint  bank  In  1780  1o  tiie  prasenttime.  Pittsburg  (5.  215  p.) 
—  Uvre  de  comples  de  Claade  delalMUbUe  (155S-1556).  Puhl,  avec 
des  notes  p.  le  comte  Reni dt  lA^iUi.  Rennes  (X,  195  p.)  —  Q.SeUo,  Olden- 
burgs Seeschiffahrt  in  alter  u.  neuer  Zeit  (Pfingstblättcr  d.  Hansisch.  Oesch.- 
Vereins.  2.  Blatt).  Lp?  (III,  68  S.)  —  W.  KUche,  Die  Schiffahrt  auf  der 
kuhr  und  Lippe  i.  18.  Jh.  Diss.  Göttingen  (178  S.)  —  M.  Neuhur^r, 
Gesch.  d.  Medizin.  Bd.  I,  Stuttg.  (VIII,  4ü8  S.)  —  Af.  Molkt,  La  nie- 
decine  cfaez  les  Graes  avant  Hippoaite  (460  av.  J.-C).  Baris  (2%  p.) 
K  Opäx,  Die  Medizin  im  Koran.  Stuttgart  (VlII,  92  S.)  —  Fr.  Laae, 
Ober  Krankenbehandlung  U.  Hdlknnde  i.  d.  Literatur  des  alten  Frank- 
reichs. Diss.  Oöttingen  (135  S.)  —  L.  Gautier,  La  m^decine  i  Geneve 
jusqii'ä  la  fin  du  dix-hMitiemc  sikle.  Oen^e  (XV,  696  S.)  —  Hervot, 
La  medecine  i-i  ]es  medecins  ä  Saint-Maio  1500-1820.  Preface  de  Ra- 
phael Blanchard.  Rennes  (247  p.)  —  /.  Artauä^  Contnbution  a  Thistoire 
de  Lyon.  Le  Bunan  de  ia  utAL  Une  menaoe  de  pcste  en  1579.  Tr6- 
voux  (28  p.)  —  N,  Nowombefgtl^,  Materialien  z.  Oesch.  d.  Medizin  in 
Rußland.  St.  Petersburg,  1905  (Russ.)  —  W.  H.  King,  History  of  ho- 
moBopathy  and  its  institutions  in  America;  thcir  foundeis,  benefactore, 
faculties,  officers,  hospitals,  alumni  etc  New  York,  1<^0=:  —  H.  Magnus, 
Paracelsus,  der  IJberarzt.  E.  km.  Studie  (Abhandhint^en  /.  t  j^-scli.  d.  Med. 
H.  16).  Breslau  \\S  S.)  —  O.  Kühn,  Die  Ärzte  i.  d.  Komödien  Molieres. 
Prpgr.  Ndße  (48  S.)  —  N.  J.  Angelescu,  Akten  und  Dokumente  aus  der 
Ocschidite  des  Apotiiekenvesens  in  den  nindniscben  Lftndcm.  Bukanstf 
1904  (189  S.)  —  H.  Ddaunay,  L'Hyci^ne  publique  ä  travert  les  Iges. 
Paris  (132  p.)  —  Alfr.  Mariiiiy  Deutsches  Badeleben  in  ver^ngenen 
Tagen.  Nebst  e.  Bcitr.  zur  Gesch.  d.  deutschen  Wasserheilkunde.  Jena 
<ll,  448  S.)  —  Fnuu  Qrqfv.Pocä,  Der  Fasan  in  Bayern.  München  (225  S.) 


Digitized  by  Google 


Die  Renaissance  in  Piacenza. 

Von  l£0  JORDAN. 


Man  wird  heute  nicht  satt,  die  Renaissance  in  ihren  Hocb- 
strömungen,  an  ihren  Zentren  zu  studieren.  Merkwürdig  genug. 
Die  Zeit  liegt  uns  in  manchem  so  fern.  Ihre  Ideale  sind  nicht 
die  unaenij  ihre  Lebensweise  ist  nicht  die  unsere,  vor  der  Nach- 
ahmung ihrer  Dichtung,  ihrer  Architektur  warnt  die  Moderne, 
weil  sie  in  ihrer  Eigenart  ein  Hemmschuh  der  Entwicklung  ist 

Und  dennoch  dies  Interesse!  Die  Affinität  liegt  eben  nicht 
in  den  Formen.  Weit  mehr  wie  das:  Im  Wesen  selbst,  in  der 
Kraft,  von  der  Tradition  abzuwdcfaen  und  dem  eigenen  Willen 
putz  zu  schaffen. 

Wo  wir  bei  uns  heute  hinschauen,  sehen  wir  ein  Stückchen 
hiervon.  Wo  wir  im  Quattrocento  und  Cinquecento  hinschauen, 
machen  wir  die  gleiche  Beobachtung.  In  f^om,  wie  in  Neapel, 
in  IHorenz,  mt  in  Venedig,  hört  man  auf  zu  sparen  und  sich  im 
Lebensgenüsse  einzuschränken,  hört  man  auf,  den  notwendigen, 
den  Unterhalt  schaffenden  Dingen  das  erste  Interesse  zuzuwenden. 
Alles  dem  Schönen  und  dem  Genüsse  Geweihte  ersieht  in  emer 
Ffllk^  wie  sie  seit  den  OUmztagen  Athens  nicht  gesehen. 

So  war  es  natflrllch  in  Piacenza  nicht  Die  Renaissance 
in  der  Provinz  kann  nicht  den  Glanz  der  Zentren  haben.  Hat 
sie  doch  auch  die  Mittel  der  Zentren  nicht  Sie  kann  auch  nicht 
die  geistige  Höhe  von  Neapel,  Rom,  geschweige  denn  FHorenz 
erreichen,  denn  auch  hierbei  spricht  das  Vermögen  ein  gewichtiges 
Wort  mit.  Zudem  ist  Piacenza  norditalienisch,  und  der  Nord- 
italiener ist  zu  praktisch,  um  gänzlich  den  Boden  des  wirtschaft- 
Arclüv  »r  Ktütursncbichte.  V.  11 


162 


Leo  Jordan. 


liehen  Lebens  zu  verlieren  und  sich  den  schönen  Kflnslen  in  die 
Arme  zu  werfen. 

Und  dennoch:  Auch  in  Piaoenza,  welche  Lebensfkeude, 
welche  Lust  am  Festefdem,  welche  Lust  an  schönen  Menschen- 
leibem  und  an  Farben.  Nidit  viel  raffiniertes  Kunstveratindnis» 
aber  eine  naive  Freude  am  heiteren  Lebensgenüsse,  trotz  der 
knappen  Mittel  des  Provinzstädtchens.  J.  C  Scaliger  ist  unser 
Gewährsmann:*) 

IN  PLACENTIAM. 

XTobilis  antiquo  porreda  FHacentia  muro 
Hüte  hostm,  hinc  rapidas  flumnis  arcä  aqaas, 
f^ttws  ürttsi  gtHs  stUttf  käari  std  dtdlbi  bucn: 
ißgtfiiKtif  itfifftfittf  vix  pttthinfuf  ^tts, 

I.  Die  gute  «He  ind  die  Mae  neae  Zelt,  Aoao  1390. 

Was  dem  verwöhnten  Cinquecentisten  zu  eng  und  zu  einfach 
ist,  war  dem  altväterlichen  Trecentisten,  dem  Liebhaber  der  guten 
alten  Zeit,  zu  fippig  und  zu  kostspielig.  Dem  Mönch  und  Geist- 
lichen erschien  die  erwachende  Let>ensfreude,  die  Ober  die  Oet>ote 
seiner  Weltverachtung  und  Asleese  rflcksichlslos  hinüberströmte, 
wie  lauter  Sünde.  Und  er  trat  gegen  sie  auf  in  Predigt  und 
Chroniic  Dort,  in  Florenz,  der  fanatische  Mönch  Oirolamo 
Savonarola,  allerorts  kldnere  Ödster,  die  deshalb  auch  nicht  ver- 
brannt wurden.  Die  dnen  mit  viel  Emst  und  Sachtichtodt,  die 
anderen  mit  verftcbtlicher  Oeste  und  beisehrlichen  Augldn.  Soldier- 
Id  erleben  wir  ja  auch. 

So  dner  war  bdspielswdse  jener  bqahrte  Geistliche  (ein 
OdsUicher  war  er  gewiß),  der*)  dem  Ckroniam  PtaeenHaum  dnen 
ansprechenden,  kulturhistorisch  höchst  interessanten  Anhang  bd- 
fQgte^  der  trotz  des  Predigertons  so  sachlich  ist,  daß  man  meinen 


>)  Aus  des  Benediktinerpaters  OKo  Aicber:  JVMw  y^titnim  äuetjßHmim, 
Salztmrx  1676,  S.  39.   Übersetzt  etwa: 

Alte  Maaern  umgeben  PUcentiu  ehrbare  Stitte, 
fioUvtrk  feien  den  Feiad,  geien  de»  Strooie»  Oemlt 
Innen  vdtt  tdten  dfe  Mme,  dodi  hnldlgt  dem  ftdtcrn  Oenwite 
Ein  verstindlge«  Volk,  wenn  auch  die  ArTittel  nur  knapp. 
*)  Unter  dem  Namen  des  Johannes  de  Mussis,  der  sich  bei  Gelegenheit 
nerade:  Si  tgo  J0hwu$  d*  Mtunt  ervii  PlmctHtmut  timitiUr  iftum  vidi  ft  cagnori  fier 

ttmgum  utH^  mmtt  «t  f»tL  OaS  CT  der  Vertener  iA,  i«t  «uch  Mitr«torl  tveifelluft. 
Vgl.  Scr^  Rtr.  n.  XVI.  443.  Dts  Mer  bcnsMe  S.  S7I-S*4. 


Die  Rouüsatnoe  in  Piacaiza. 


163 


könnte,  der  Verfasser  habe  dennoch  seine  Freude  an  dem  sträf- 
lichen Luxus  der  Zeitgenossen  gehabt,  ~  wenigstens  hat  er  ihn 
sehr  genau  studiert 

Mit  dem  Lobe  der  alten  Zeit  tieginnt  er: 
De  nuUbas  Rmas  JtaUae, 

Einfich  war  damals,  zur  Zdt  des  hochseligen  Kaisers 
Friedrich  IL  nSrnKcb,  der  bfiigerliche  Haushalt.  Mann  und  Frau 
afien  von  einem  Teller,  ein  oder  zwei  Trin^gefilBe  genfigten  der 
ganzen  Familie.^)  Geschnitzte  Tische  gab's  damals  noch  nicht 
Und  wenn  man  abends  speiste,  so  hielt  ein  Diener  oder  ein 
Knabe  eine  Fackel,  denn  Kerzen  kannte  man  noch  nicht 

Wenig  Fldachdle  Woche ;  Kohl  oderandereOemfisemit  Fleisch 
zusammengekocht  zum  prandmm;  nicht  alle  kannten  den  Wein. 

Aber  heute:  Da  werden  fremde  Weine  getninken.  Alle  fast 
sind  Trinker.  Die  Herren  Köchenmeister  stehen  hoch  in  Ehren, 
und  es  heißt;  „Unser  Gott  ist  unser  Magen!"  -  „Und  wenn 
die  Geistlichkeit  nicht  mit  tugendhaftem  Beispiel  voranginge, 
würde  unserer  Lüste  und  Vergnügungen  füglich  kein  Ende  sein.« 

Nach  dieser  allgemeinen  Einleitung,  die  wie  ein  gutes  Vor- 
gericht den  Appetit  auf  derbere  Kost  reizen  soll,  kommt  unser 
Weltverbesserer  auf  die  speziellen  Verhältnisse  seiner  Vaterstadt 
zu  sprechen.    Da  gibt  es  nun  vieles  auszusetzen. 

Wie  die  Galanterie  es  verlangt,  hat  das  schöne  Geschlecht 
und  seine  Putzsucht  den  Vortritt:  Scharlachtuch,  Goldbrokat, 
schwere  Seide  sind  die  ^gewöhnlichen  Stoffe,  die  unsere  Herrinnen 
tragen.  Und  7\\  einem  Kleide,  sei  dies  nun  ein  Cabanus.  ein 
Barillotus  oder  eine  Peliarda^)  (diese  Bezeichnungen  kehren  bei 
der  Jünglingskleidung  wieder),  kostet  so  ein  Stoff  von  25  bis  zu 
60  Dukaten.  Und  dabei  diese  Verschwendung!  Die  Ärmel 
werden  bausdiig  und  weit  getragen  und  bedecken  die  halbe  Hand, 
und  bei  nuinchen  schleift  ein  spitzer  Zipfel  bis  auf  den  Boden. 


1)  So  immer  im  Mittelaltar.  Aacli  bd  OariBihloii  CMM  Herr  vnd  Tbdidun  «w 
dncm  Teller.  Vgl.  hierüber  des  anribnlen  BonTCifa  da  Riva,  daes  mittelaltetflcheii 
.Knigge«,  .Fünfjt^  \ri  hlanständlgkclten  bd  Tische":  (Nach  Wiese  und  Prrc  poä  It. 
Literatur.)  »Du  darfst  nicht  Brot  in  den  Wein  stipfiai,  wenn  mit  dir  aus  demselben  Becher 
trinkt  fti  Bonvesin.  Wenn  jemand  im  Wdi  flsdiot  vill,  der  mit  mir  ans  einem  Becher 
trinkt»  «inle  ich  nach  nwhicm  Ocfalkn,  vam  ich  kOnnte,  nicht  mit  ihm  Irinhtt  . . , . 
Wer  nH  Fnaen  von  einem  Tdkr  tOt,  moB  ihnen  das  Fteiich  schneiden-  nsv. 

9  Vgl.  a  dm  AMdffMhen  Du  C*age. 


Digitizec  uy  google 


164 


Leo  Jofdan. 


Diese  Kleider  besetzen  sie  mit  Perien,  von  denen  die  Unze 
bis  zu  zehn  Dukaten  leostet  Um  den  Hals  am  Busenausscfanift 
(gtUa)  legen  sie  große,  brdle  Qoldbander  getade  wie  die  Hals- 
bänder (menifeni),  die  man  den  Hunden  anl^ 

Die  Goldgürtel  und  Armringe  wollen  wir  unsererseits  gnädig 
übergehen  und  kommen  zum  abschließenden  Urteil:  »Dennoch 
sind  solcherlei  Kleider  anständig,  denn  sie  verhüllen  den  Busen; 
da  gibt  es  aber  andere,  die  sogenannten  Ciprianen,  die  in 
weiten  halten  die  Beine  umwallen,  vom  Gurte!  aufwärts  aber  ganz 
enge  sind,  Quae  Ciprianae  habent  gulam  tarn  mignam,  quod 
ostenäuni  mammUlas,  <Sr  videlar,  quod  dictae  mamrniilae  velint 
exire  de  sinu  earum.  Dieses  Gewand  wäre  schön,  wenn  der 
Busenausschnitt  nicht  gar  so  groß  wäre!«  — 

Zum  Kopfschmuck  gehört  in  erster  Linie  die  TerzoUa.  Das 
sind  drei  Reihen  von  großen  Ferien  (bis  zu  dreihundert  werden 
gebraucht),  daher  der  Name,  Ihr  Wert  schwankt  zwischen  100 
und  125  Dukaten.  Fs  gibt  auch  noch  einiy;e  andere  Arten  des 
Kopfschmucks,  Spangen  und  Ketten,  die  mit  dem  Haar  verflochten 
werden,  die  sogenannten  BugoU,  die  man  jetzt  trägt. 

Kurze  pelzgefütterte  Mäntel,  schöne  Kettenbehänge  (fiitae) 
aus  roten  Korallen  oder  Bernstein,  sogenannte  fVii^NnslSfr  (Rosen* 
kränze)  vollenden  die  Toilette. 

Die  Matronen  tragen  das  nobile  mantum,  einen  weiten,  breiten 
Mantel,  der  faltig  bis  zur  Erde  reicht,  mit  rundem  Saum,  und 
vorne  der  ganzen  Unge  nach  offen  ist  Um  den  Hals  ist  er  mit 
vetgoldeten  Knöpfen  {poimUisJ  besetzt  und  meist  mit  Kragen  ver- 
sehen. Manche  Dame  hat  drei  verschiedene  solche  Mantel! 

Die  Witwen  tragen  sich  genau  so,  nur  sind  die  Qe- 
winder  dunkel  gehalten. 

Ober  die  M&nnerkleidung  ergebt  sich  unser  Oewihrs* 
mann  in  ihnlichen  Klagen.  Sie  tragen  der  der  Frauen  ent> 
sprechende  Oberkleidung,  deren  Kosten  zwischen  20  und  30  Du- 
katen beträgt.  Die  Beinkleider  sind  unanständig  kurz  und  eng^ 
,fqttcä  astendtuUmtdm  luOes,  smtmüeas,  Anumbnm  (kgenUalia?*. 
An  den  Fflßen  tragen  sie  geschnfirte  eaügas  depauno  und  als  Unter- 
kleidung ganz  enge  linnene  MombaUas,  also  wohl  »Unterhosen«. 

Im  Winter  tragen  sie  Kapuzen  (parvisalm  am  beeho  Umgo),, 


Digitized  by  Google 


Die  Renaisauioe  in  FiaoenaL 


165 


die  ganz  so  aussehen,  als  seien  sie  iu  Jm  (ctne  andere  Art  Kßr- 
puze),  so  klein  sind  sie  und  eng. 

Manche  tragen  Oürtel  und  Halsbänder,  alle  spitze  Schnabel- 
Schuhe.  Den  Bart  rasiert  man,  ULßt  dagegen  das  Haar  zu  einem 
groBen»  runden  Schöpfe  wachsen.  Das  heißt  man  ehie  Zanani. 

•  * 
• 

Hat  der  Chronist  das  Außere  seiner  Akteure  beschrieben, 
so  vereinigt  er  sie  nun,  um  zu  zeigen,  wie  sie  Feste  feiern,  wie 
sie  leben,  wie  Wohnungen  und  Geräte  beschaffen  sind.  »Leben 
tiin  die  Placentiner  Bürger  großartig,"  fährt  er  fort,  «hauptsächlich 
bei  Hochzeiten  und  Festen,  die  man  meist  auf  die  Art  veran- 
staltet, wie  hier  folgt"  -  Sollen  wir  dem  Leser  die  leckere 
Speisenfolge  eines  piacentinischen  Festmahls  versagen?  zumal 
so  ein  detailliertes  Renaissancemenu  zu  den  Seltenheiten  gehört? 

Aus  dem  Chronistengefüge  herausgenommen  und  in  unserer 
Art  gehalten,  würde  also  eine  Placentiner  Speisenfolge  im  XIV.  Jahr- 
hundert aufzuweisen  g^ehabt  haben: 

1.  Weiße  und  rote  Werne,  dazu  Zuckerkonfekt; 

2.  Kapaunbraten; 

3.  Gesottenes  Fleisch^)  mit  Mandelzuckersauce;-) 

•  .     4.  Am  Spieß  Gebratenes:  Kapaun,  Huhn  oder  Fasan,  Reb> 
huhn,  Hase,  Wildschwein,*)  Zicklein; 

5.  Torte  oder  Pudding  mit  Zuckerguß; 

6.  Früchte. 

»Dann  wäscht  man  sich  die  Hände,  und  bevor  die  Tafel 
aulgiehoben  wird,  gibt  man  zu  trinken  und  Zuckerkonfekt  und 
einen  Schlußtrunk." 

Das  ist  ein  Menu«  weiches  auch  wir  heute  nicht  ver- 
schmähen würden. 

•Pudding  mit  Zuckerguß "  ubersetzten  wir  zoncaias  cum 
tnuea  xnehari  desapra.  Zoneata  ist  eine  piacentinische  Spezialität, 

1)  camts  attdUas  u  D.O  Gange:  „«mM". 

I)  UiUtm  mutftmm  fHimm  cmnU  fr»  fmHM  tmjwr»  ad  immtriam  /aciam  dt  amatf 
d»U»  *t  tuchnro  et  ah'is  tonit  s^ci*hi$  tt  rthus.  I.umnia  }»t  nach  Du  Cangc:  „Fax^ 
iMUrma*%  heißt  hier  offenbar  .Saoce«.   Vtelteicht  ist  es  für  kutmü/mm  o.  i.  venchridboi. 

•)  rntt^Mmumi  it  fkigkimU»  Ebcr. 


Digitized  by  Google 


166 


Leo  JorcUn. 


und  auch  frazea  ist  sonst  nicht  belegt,  so  daß  der  Erklärung  cm 
gewisser  Spielraum  gelassen  ist.  Immerhin  müssen  diese  Zonaitae 
etwas  sehr  Gutes  gewesen  sein,  denn  nach  den  Piacentiner  Annalen 
des  Ripalta^)  griffen  1447  zwei  Söldner  des  Herzogs  Alexander 
wegen  eines  solchen  Kuchens  zu  den  Waffen. 

Natürlich  ist  dieses  Menu  auch  je  nach  Jahreszeit  und 
Oeschmack  veilnderlich.  So  geben  manche  pi  Beghin  des  Mahles 
ein  QebAdc  aus  Hern,  KIse  und  Milch,  mit  recht  viel  Zucker 
danuif,  -  also  IQteekuchen.  Im  Winter  machen  sie  »Qetaline'  aus 
Wild  oder  QeflQgel,  auch  aus  Kalbfleisch  oder  Fischen.  Oder  im 
Sommer  eine  Sülze  aus  verschiedenen  Fleischsorien  (wdariam). 

Bei  besonderen  Oelegenheiten  gibt  es  natürlich  auch  be- 
sondere Alten  von  Badewerken,  so  längliche  Kuchen')  aus  Teig 
mit  Käse,  Krokus  (Safran?),  Ingwer  und  anderen  Spezereien,  die 

man  am  zweiten  Festtage  einer  Hochzeit  reicht 

An  der  Spitze  steht  aber  die  Zeit,  in  der  man  am  besten 
zu  essen  pliegt  in  Italien,  -  die  Fastenzeit.  Da  kommen  die 
seltenen  und  teuren  Fischgerichte  an  die  Reihe,  und  wer  heute 
noch  Gelegenheit  hat,  an  solchem  Fasttag  in  einer  wohlhabenden 
italienischen  Familie  eingeladen  zu  werden,  der  wird  noch  manches- 
mal von  der  leckeren  Abwechselung  schwärmen,  die  man  mit 
Fischgerichten  erzielen  kann. 

Auch  diesmal  toinkt  man  erst  und  ifit  Konfekt  dazu.  Dann 
kommen  Feigen  mit  gescbUten  Manddn,  und  dann  Bieitfische  (?)^ 
mit  Pfeffeisauoe.  I^n  Reissuppe  mit  JMandelmilch,  Zucker  und 
Qewüizen,  und  darauf  Aal  in  dner  Sauoe.^)  Danuf  gibt  es  Hecht 
(idsm  Ladas)  mit  Essig  oder  Senfsauce,  die  mit  Wdn  und 
Spezerden  gekocht  worden  ist  Dahn  gibf  s  Nüsse  und  Früchte. 
Man  kann,  ghiube  ich,  datid  bestehen. 

Nicht  nur  bei  Festen  und  besonderen  Qdegenhdten  zdgle 
sidi  die  Zunahme  des  Reichtums  und  die  erwachende  Lebensfreude: 
auch  im  Alltagsld>en,  in  Haus  und  Oerilt  hatte  sich  idne  grofie 


>)MttratoH,  Script  Rer.  lt.  XX.      ^  ImgrUt  dt  pmUm.  ^fkeMtrmum^ 
l  allC^  WalflMli.  Vc|l.  Da  Gange:  Ow^icft.      ^  tmm  mtgm/m  uM»  fSmltm^Smaa, 


Digitized  by  Google 


Die  Renaissance  in  Piacenza. 


167 


Verfeinerung  bemerkbar  gemacbt:  »Die  PUcentiner«,  flUirt  unser 
Qifonjst  for^  »führen  heute  ein  herrliches,  wohlgeordnetes  und 
atuberes  Leben  und  brauchen  in  ihren  Häusern  besseres  Qerflt 
und  Oeschiir,  als  sie  es  vor  siebzig  Jahren  brauchten  (d.  h.  vor  1 320). 

Sie  haben  schönere  Wohnungen  als  danuls,  haben  in 
denselben  schöne  Kammern  und  Staiben  (im  ursprttnglichen 
Sinn  Omtimitae,  heizbare  Riume),  Temssen,^)  Höfe,  Brunnen, 
Olrten  und  Söller. 

Und  in  einem  Hause  sind  mehrere  Kamine  für  Feuer  und 
Rauch,  in  welchen  H&usem  in  früherer  Zeit  kein  einziger  zu 
Ünden  war.  Denn  damals  machte  man  nur  ein  Feuer  an,  mitten 
im  Hause  unter  der  Dachkuppel,  und  alle  Bewohner  Stenden  um 
dies  offene  Feuer,  und  hier  wurde  gekocht  Und  das  habe  idi 
zu  meiner  Zeit  selber  in  mehreren  Häusern  noch  gesehen. 

Damals  gab  es  auch  noch  keine  Brunnen  innerhalb  der 
Häuser,  oder  wenigstens  fast  keine,  und  wenig  Söller,  wenig  Höfe. 

In  Piacenza  iüt  die  hierischall  meist  an  einer  iafel  lur  sich 
in  der  Stube  oder  in  einer  Kammer  bei  einem  Peuer.  Das  Ge- 
sinde ißt  nach  ihnen  bei  einem  anderen  Feuer  oder  auch  meist 
in  der  Küche.    Zwei  essen  jedesmal  von  einem  Teller.  .  .  . 

Wo  vor  1320  ein  Gerät  gebraucht  wird,  braucht  man  nun 
deren  zwölf.  Und  das  kommt  von  den  Piacentiner  Kaufleuten, 
die  in  Frankreich,  in  Flandern  oder  in  Spanien  zu  reisen  pflegten 
oder  noch  pflegen. 

Die  Tafeln  sind  18  Unzen  breit  und  waren  früher  nicht 
breiter  wie  12!  Tischdecken  brauchen  sie,  die  früher  kaum  be- 
kannt waren^  Tassen,  Löffel  und  silberne  Gabeln,  Schüs«ieln  und 
Schüsseichen  aus  Steingut,  große  Tranchiermesser,  mit  denen  bei 
Tisch  vorgelegt  wird,  bronzene  Becken  usw. 

In  den  Schlafzimmern  Bettvorhänge  und  Gobelins,')  Kande- 
laber aus  Bronze  oder  Eisen.  Weiter  Fackeln,  Kerzen  und  anderes 
schönes  GerätCi  Geschirr  und  allerlei  sonstige  Dinge. 

All  dieses  ist  sehr  kostspielig. 


>)  Eine  ptaccnttoiKbc  SpczUlitit,  die  niur  hier  vorinomt:  ^«ra.  Vgl.'da  |ri«oea- 
tfnfldie»  Edikt  bd  Da  Ctnge:  „Ommt*  kmintt*,  S*nu    .  .  hiummtmi  .  .  .  ptmtrt  Mtr 

if»*m  her  am  vel  fentsir.i.    et  stratmm  ,  .  .  »ttidtm  i'ta  Imrgam  tt  longnm,  fHtu  e*rri^»t 

ftuuUmm  pr*Undit  txira  rnttrnm."  Also  sind  Offenbar  Terrassen  darunter  ta  verstdien. 


biyitized  by  Google 


168 


Leo  JofduL 


Deswegen  muß  man  auch  heule  gpvBe  Mitgiften  geben.  Und 
hier  ist  es  flbKch,  400  bis  600  Dukaten  zu  geben  und  mehr.  Und 
all  dies  geht  bei  der  Hochzeit  drauf,  für  das  Brautkleid  und  fftr 

das  Fest  ~  und  manchmal  reicht  es  nicht  einmal! 

Der  Bräutigam  seinerseits  noch  100  Dukaten  über  die 
Mitgift  aus,  für  Geschenke  und  Aufwand.  —  Daß  bei  solcherlei 
Ausgaben  unerlaubte  Gesdiäfte  gemacht  werden  müssen,  liegt  auf 
der  Hand.  Und  manche  haben  mittun  wollen  oder  müssen,  mehr 
als  sie  gekonnt,  und  haben  sich  ruiniert! 

So  gibt  eine  Familie  von  neun  Häuptern  nebst  zwei  Pferden 
im  Jahre  mindestens  300  Duk^^ten  aus.  Das  können  natürlich 
nur  wenige  aufbringen,  und  deshalb  gehen  viele  außer  Landes 
und  nehmen  einen  Dienst  an.  Oder  sie  beschäftigen  sich  im 
Handel  oder  leihen  Geld  aus. 

Doch  sind  dies  nur  Adlige,  Katifleute  und  rindere  gute 
alte  Familien  in  Piacenza,  die  so  leben  können,  wie  wir  es  be- 
schrieben haben,  Leute,  die  kein  Handwerk  treiben. 

Aber,  aber!  Auch  die  Handwerker  geben  mehr  aus,  als 
nötig,  besonders  für  Bekleidung  ihrer  selbst  und  ihrer  Gattinnen. 
Immerhin  erhält  der  Hände  Arbeit  stets  und  von  jeher  noch  alle, 
die  in  Ehren  leben  wollen.«' 


So  weit  unser  Chronist,  wie  wir  von  ihm  selbst  wissen, 
ein  alter  Mann  und  ein  rechter  Ijmdabr  iemporis  atU,  Ein 
Tadler  zwar,  aber,  wie  wir  schon  hervorgehoben,  ein  sehr  genauer 
Kenner  der  Sitten  seiner  Zeitgenossen. 

Ffir  die  iltere  Zeit  betont  er  einmal,  er  habe  die  offiene 
Feuersfelle  im  Piaoentitter  Hause  selbst  noch  gesehen.  Im  übrigen 
smd  seine  Mitteilungen  Ober  die  Vorzeit,  wie  er  selber  angili^ 
einem  anderen  Qefllge  entnommen:  Jl^jB/terliur  in  OuviUds 
eompüaih  per  Rfehctaiäum  de  Femuia . .  J"  Ja,  das  nach  dieser 
Einleitung  gebradite  Lob  der  guten  alten  Zeit  scheint  ein  Gemein- 
platz der  Chronisten  gewesen  zu  sein,  denn  es  findet  sidi  im 
selben  Worthmt  noch  wieder  in  dem  gleichen  Band  XV!  von 
Muratoris  Lebenswerk  innerhalb  des  Breviariam  italienischer  Ge- 
schichte, Kap.  II:  De  moribas  Italiconm.   (S.  259.) 

Eine  schlechte  Quelle  übrigens,  wenn  man  es  mit  der  Wahr- 


Digitized  by  Google 


Die  l%eiiaiMttioe  iti  Pftecnau  f  69 


Iiett  gienau  nehmen  will,  denn  es  ist  eher  eine  Idealisierang  als 
tine  Charakteristik  der  Zeiten  Friedrichs  II.  von  Hohenstaufen.*) 

DagKgOi  stammen  die  Nachrichten  flher  Piaoenza  und  die 
Lebensweise  dieser  Stadt  durchweg  aus  eigener  Anschauung^  und 
es  ist  belustigend,  wie  der  olfenbar  greise  Schreiber  genaue  Aus- 
kunft Ober  Speise  und  Trank,  Zubereitung  der  Saucen,  die  Ordnung 
bd  Oastmahlera  gibt,  wie  er  das  PAdikat  »schön«  einem  Kleide 
gibt,  gegen  das  er  predig^  genau  auf  das  Dekorum  hSIt  und  keine 
seiner  Tafelsdiikferungen  anders  lieschließt  als:  „AiUeguam  tatalae 
kmOitr,  dant  bihere,  &  confedam  zuchari,  db  post  bibm.  Nie  ist 
der  Schlußtrunk  vergessen,  und  es  scheint  uns,  auch  er  habe  ihn 
nie  ungcnossen  vorübergelassen,  wenn  er  auch  gegen  alle  (iiei>e 
guten  Dinge  eifert. 

Zu  seinem  Besten  sei  es  angenommen. 

n.  Eine  fürstliche  Mitgift  im  Jahre  im 

In  unserem  ersten  Kapitel  war  einmal  die  Rede  davon,  wie 
viel  größer  die  Mitgiften  geworden  seien  durch  die  Verfeinerung 
der  Lebensweise.  Können  wir  nun  auch  nicht  mit  der  Beschrei- 
bung einer  solchen  piacentinischen  Mitgift  aufwarten,  so  ist  doch 
das,  was  eine  Braut  aus  fürstlichem  Geblüte  fast  in  demselben 
Jahre  aus  dem  nahen  Mailand  nach  Fiankreidi  mitnahm,  zu  in- 
teressant, um  nicht  an  die  Stelle  gesetzt  zu  werden.  Ich  meine 
die  Mitgift  der  Valentina  Visconti,  der  späteren  Gattin  Ludwigs 
von  ValoiSi  Herzoge  von  Toumine,  der  Freundin  En  stäche 
Descharops»  der  sie  besungen  hat,  der  Christine  de  Pisan,  - 
der  Mutter  des  prachtvollen  Lyrikeis  Charles  d'OrUans. 

Der  VMobung  und  Brautfahrt  der  fQrrtlichen  Frau  hat 
Jules  Camus  eine  gründliche  Unterauchung  gewidmet:  £a  mum 
en  Fnmee  de  VaiaitUie  VIsamÜ,  Daehesse  ttOrtäaas,  et  Pinven- 
taire  de  ses  Jegfaax  apportis  de  LambanUe,  *)  Hier  werden  die  Ver- 
handlungen, die  zur  Che  fflhrten,  auf  Qrund  au^^dinfen  Quellen- 

1)  An  Tadtut'  OemuuiU  erinnert:  .DmulU  tiemchte  in  Italien  die  Trene.  Denn 
dn  MlddwB  konnte  mit  den  Sohne  des  Nediten  in  SO.  Jahre  In  dnem  Bette  sdihifen, 

ohne  Sünde  ...  Die  Frauen  waren  höchst  ehrbar  und  stellten  ^^ich  nicht  mit  überflüssiecnt 
Sdimttck  zur  Schau.  Keine  beinahe  brach  die  Ehe.  Heutzutage  stehen  sie  in  Fenstern 
mid  Tfiren,  wenn  üt  iddrt  «dter  dflrfen,  nnd  richlm  ndt  tnifallaMlem  Oebtn»  atlar 
Anin  auf  sich.* 

1)  In  MiitMmtm  ät  Starbt  »ßihmm,  XXXVI,  1900. 


Digitized  by  Google 


170 


Leo  Jordan. 


maleruls  besduiebefii  und  ein  fratizAsasches  Invenlar  der  Milgifl 
abgediudct  (S.  34-48.) 

Unserem  Zwecke  cnlspiediend,  halten  wir  uns  sowohl  an 
die  Beschreibung  des  itetieniscfaen  Gironisten  als  an  das  eben- 
falls erhaltene  toteinische  Inventar,  da  dies  die  italienischen  Namen 
der  geschilderten  Oegensttnde  enlfaUt,  die  Bemerloingen,  die  uns 
das  franzOsiscfae  Inventar  an  die  Hand  gibt,  .werden  wir  in 
Fußnoten  beifügen. 

»Johanni  1389  ging  die  erlauchte  Herrin  Valentina  Vis- 
conti von  Mailand  mit  o;roßem  Gefolge  von  Edeln  ans  der 
Lombardei  fort  und  reiste  nach  Frankreich  zu  ihrem  Bränti^^nm, 
dem  Her/Qg  von  der  Tourraine."  So  die  Annales  Mediolanenses 
im  Kapitel  CLL    (Muratori,  Rer.  It.  Script.  XVI,  S05.) 

Der  Fhekontrnkt  war,  wie  bei  Fürstlichkeiten  dnmnls  iiblich, 
durch  einen  Stellvertreter  des  Brautvaters,  Johann  Galeaz  Visconti, 
vor  dem  königlichen  Hofe  von  Frankreich  bereits  geschlossen 
worden,  und  nun  schrieb  der  Bräutigam  oder  JungvemiAhlte  den 
offiziellen  Einladungsbrief  an  seine  Auserwählte: 

•Ludwig;  des  Königs  von  Frankreich  Sohn,  Herzog  von 
der  Tourraine  usw.,  allen  Lesern  dieses  Briefes  seinen  Oruß! 

Wir  geben  bekannt,  daß  das,  was  im  Ehekontrakt,  der  in 
Gegenwart  meines  Herrn  des  Königs,  meiner  teueren  Oheime, 
der  Herzöge  von  Bourges  und  Buigund,  zwischen  uns  einerseits 
und  . . ,  dem  Stellvertreter  meines  Schwiegervaters  Johann  Oaleaz 
Visconti,  Heirn  von  Mailand  ete.,  und  meiner  Oattin  Valentina, 
seiner  Tochter,  andererseits  verhandelt  und  venbredet  wurde, 
nun  erfolge:')  dafi  der  genannte  Herr  Johann  Qaleaz,  unser 
Schwi^rvater,  die  genannte  Valentina,  unsere  Oattin,  uns  über- 
sende^ ,jbeite  MoJokOam,^  onuUam  A  JocalUms  mau&amf',  wie 
es  steh  für  sie  und  ihre  Ehre  geziemt  und  ständesgemftß  ist; 

Und  daß  im  Falle  einer  RQckgabe  der  Oesefameide  die 
Oepflogenheit  des  Königreichs  Frankreich  maßgebend  sei. 

Er  soll  sie  mit  entsprechendem  Oefolge  nebst  allen  Aus- 

»)  Vfrl  C  a  m  it  s  S  •?  :  dir  vorhergehenden  veitliufigm  Verhandlungen  S.  10  und  11. 
>)  .Wohl  mit  Juvclen  (etyiaologisch  ==jt>l7vjei  Spielzeug)  ausgestattet.'   Vgl.  afr. 


Die  Remtenoe  in  Piacenza. 


171 


lagen  bis  zur  Brücke  der  Stadt  Mäcon  schaffen  lassen,  wie  tiit 
Ehekontraid  bestimmt ,,,,  Und  soll  die  genannte  Valentina,  unsere 
Gattin,  mit  sich  bringen  die  unten  beschriebenen  Kleinodien, 
Edelsinne,  Perlen,  Gold-  und  SUbersachen  und  SchmuckstQcke  .... 
Von  diesen  haben  wir  der  Sicherheit  halber  und  zur  Unterstützung 
des  Gedichtnisses  ein  Inventar  aufnehmen  Unsen.  • 

Es  ist  nicht  ausdrücklich  gesagt,  daß  es  sich  um  die  Mit- 
gift handle^  die  Johann  Galeaz  seiner  Tochter  mitgab,  und  man 
kannte  dem  Wortbnit  nach  denken,  es  sei  eine  Brautgabe,  die  der 
BriUitigam  der  Valentina  geschickt  habe  und  nun  mit  ihr  zurück- 
erhalte. Dieser  Weg  wflre  nun  ein  sehr  umstindlicher  gewesen, 
und  es  ist  auch  ohne  Zweifel  nur  der  Umstand,  dafi  mit  ab- 
geschlossenem Ehekontrakt  die  Mitgift  bereits  dem  Herzog  von 
der  Tounaine  gehörte,  der  den  Wortlaut  diktiert  hat  Einen 
Beweis^  daß  es  sidi  um  die  mailftndische  Mitgift  handle,  eri> 
geben  die  Schlußworte:  «Alle  diese  Oeschmekle,  Kleinode  etc. 
wurden  in  der  Lombardei  auf  68,858  Dukaten  und  einiges  ge- 
schätzt, wie  uns  berichtet  wurde  durch  Information  und  Relation 
des  ansehnlichen  und  weisen  Herrn  Grafen  Polenti  usw.« 

Die  Worte:  ,,guüd  in  eveiitu  rcstitationts  Jocalium  consag- 
tudo  Regni  Franciae  debeat  observari"  gehen  also  bestimmt  auf 
eine  mögliche  Scheidung  und  Zurückgabe  der  Mitgift.  Romantisch 
war  ein  solcher  F.hebund,  trotz  feierlicher  Hochzeitsreise  und 
fürstlichem  Gepränge,  eben  nicht.') 

Das  Inventar  der  Mitgift  handelt  von  Schmuck  und  Prunk- 
stücken, einer  Ausstattung  an  Kleidern,  einigen  wenigen  Buchern 
und  Gemälden,  der  Schlafzimmergamitur,  allem  Nötigen  für  eine 
Hauskapelle,  Tischgerät  u,  dergl.  mehr  und  füllt  sieben  lange 
Spalten  bei  Muratori,  15  Seiten  bei  Camus. 

Wir  beschränken  uns  darauf,  dasjenige  hervorzuheben,  was 

für  Kunst,  Kunstgewerbe,  für  Bildung  und  Kultur  von  Wichtig« 

keit  scheint.    Da  den  technischen  Ausdrücken  bei  uns  oft  keine 

Vorstellung  entspricht,  sie  dazu  oft  &aai  eigtjßxiva  sind,  mösaen 

wir  sie  oftmals  belassen. 

*  « 


1)  Nach  dem  Kontfakt  hat  man  aus  verschiedenen  Gründen  zwd  Jahre  verstreichen 
IMMR  Mi  cor  Hodivit  Cum  Iq^t  dkM  Oribide  S.  I9ff.  dur. 


Digitized  by  Google 


172 


Leo  J<mlai]. 


Wenn  das  Inventar  eines  beweist,  so  ist  es  die  herrschende 
Stellung  des  Kunstgewerbes:  Unzählige  Figuren  aus  Gold 
und  Silber  werden  genannt,  meist  mit  irgend  einem  Zweck  ver- 
bunden und  meist  irgend  em  Tier  darstellend. 

Ein  Halsband  besteht  aus  19  weißen  Täubchen  aus  Gold 
mit  dner  Taube  in  der  Mitte,  von  Ooldstrahlen  umgeben,  mit 
einem  Rubin  auf  der  Brust,  ein  anderes  aus  Herzen  und  UHen, 
die  mit  Steinen  besetzt  sind. 

Mantel-  und  Oewandspangen  (Broschen)  hat>en  die 
Formen  von  zwei  Lilien  und  sind  mit  Baiassen,  Saphiren  und 
Perlen  besetzt  Eine  andere  hat  die  Gestalt  einer  weißen  Hirsch* 
kub.  Eine  dritte  stellt  eine  Frau  dar,  die  Harfe  spieÜ  Eine  vierte 
eine  Hirsdikuh  mit  Kalb.  Andere  stdien  einen  Pdihan,  zwo 
Täubchen,  dn  Tabernakel  mit  Heiligenfiguren,  dn  Vdlclien  aus 
violettem  Email  auf  Qold  und  deiigleidien  mehr  dar. 

Auch  die  Gefäße  bieten  der  Phantasie  weitesten  Spidraum, 
Flache  Oefilß^  ob  aus  Eddmetall,  ob  aus  Porzdhm,  haben  im 
Innern  stets  irgend  dne  Daistellung  (am  openigüs).  Der  Deckel- 
griff besteht  in  dner  Rose  oder  deigtddien.  Zwd  Bacüe  (brdte 
Schalen)  aus  vergoldetem  Silber  mit  dner  Rose  im  Relief  zeigen 
Tiere  und  Mensdiengruppen  (gropos)  innerhalb  von  Blumen. 
Ein  fQr  den  Altar  bestimmles  Bedten  (badMa)  hat  eUien  zise- 
lierten Rand  mit  Tieren  und  Buchslaben.  Audi  das  Wappen 
der  Visconti  figuriert  öfter,  meist  nur  ad  arma  bezeichnet,  ein 
paarmal:  ad  viperam. 

Zahlreiche  silberne  Trinkbecher  zeigen  ähnliche  Gebilde, 
Tiere  und  Pflanzen,  Köpfe  in  Relief,  Kronen,  Wappen.  Eine 
ganze  Anzahl  Trinkgefäße  haben  die  Form  eines  Schiffs  und 
sind  deshalb  einfach  navis  genannt,  ein  Brauch,  den  v^r  auch  im 
alten  Frankreich  truhzeilig  nachweisen  können.  Besonders  oft 
findet  sich  auf  dem  Boden  des  Tellers  oder  Trinkgefäßes  das 
Haupt  des  hl.  Ambrubius,  das  Zeichen  speziell  mailändischer 
Herkunft;  denn  Ambrosius  ist  der  Schutzpatron  der  Stadt, 

Interessant  sind  die  überaus  häufigen  griechischen  In- 
schriften an  Gefäßen:  Bocalia  cum  literis  Graecis  werden  ge- 
nannt und  ebenso  weiterhin  zwei  Bottiche  aus  vergoldetem  Silber, 
ein  vergoldetes  Pfefferbüchschen  (bussoiaj,  TrinkgeMe:  Oaarda- 


Digitized  by  Google 

I 


Die  Renaissance  in  Piacenza. 


173 


manxariae  com  duabas  testis  leonum,  &  senatum  iataliata  ad 

lUteras  Qraecas  df  alüs  opemgüs.  Ebenso  eine  Navis  und  Becher. 

Die  Inschriften  der  Schmuckstücke  dagegen  sind  aus- 
nahmslos französische  Devisen,  wie  sie  im  Mittelalter  beliebt 
waren.  Ein  silberner  Oiirtel  trägt  auf  herabhängenden  Metall- 
stücken (Camus  S.  35*)  jedesmal  die  Inschrift; 

Loyaute  passe  tout, 
die  im  italienischen  Texte  verlesen  wurde;  Loy  antepasse  lout. 
Das  Halsband  aus  19  Täubchen; 

A  bon  droit. 

Die  Hirschkuh  hat  ein  Zettelchen,  wohl  im  Munde: 

Pias  hau  lt. 

Man  erinnert  sich  des  feinen  Porträts  des  Bronzino  in 
der  Tribuna  der  Uffizien.  Auch  dort  ist  au!  dem  Halsbande 
eine  französische  Devise: 

fin  amour  dun. 

Ähnliches  läßt  sich  über  die  Stickerden  sagen.  Es  w^ar 
offenbar  eine  große  Anzahl  fein  gearbeiteter  Stücke  darunter. 
So  eine  Planeta,  eine  Decke,  die  zu  kirchlichen  Zwecken  be- 
nutzt wurde;  sie  bestand  aus  Goldbrokat  auf  rotem  Felde,*)  und 
darauf  waren  Uywen  und  andere  Tiere  gewirkt 

Eine  andere  gobelinartig^  Decke  oder  Tapete  (porommtum), 
die  zur  Sddafzimmergiuiiitur  gehört,  ist  aus  Karmoisin-Ooldstoff 
und  mit  Löwen,  Hirschen,  Blumen  und  Blättern  bestickt  Eine 
rote  Sddendecke^  auf  dem  Rahmen  (?)  gestickt  '(eeionini  kiboruU 
ad  ramam)  mit  Naddstickeret,*)  zeigt  zwei  Damen,  einen  Jilng- 
ting,  Quellen,  Bäume  und  Blumen  im  Felde.  Nodi  einige  andere 
Gobelins  und  Stickereien  sind  nach  dem  keimenden  Renaissance^ 
g^sdimack  mit  menschlichen  Figuren  bedeckt  Die  meisten  aber 
zeigen  noch  nach  mittelalterlichem  Geschmack  Tierbihler.  Ober- 
haupt besieht  die  Scblafidmmereinrichtung  im  «resentlichen  aus 
Dedcen,  dazu  Kissen  und  Betthimmd. 

Auch  die  für  die  Hauskapelle  bestimmten  Einrichtungs- 
gegenstände geben  zu  keinerlei  besonderen  Bemerkungen  Anlaß. 
Es  sind  ebenfalls  meist  Decken-  oder  Tapetenstücke  aus  dem 

1)  oii  cofat  gefertigt,   co^.  Du  Gange:  Kufen  (Weberausdruck). 

*) /oiificatA,  Du  Gange;  „O^ 4tcm /tctum" ^ G a m u s Nr.  \ 33 ;  „c/utm^r* d*  taim^. 


Digitized  by  Google 


174 


Leo  Jordan. 


Priestcromat:  Stolen,  Kappe,  Überwurf,  dann  Kissen,  Pult,  Spangen 
für  das  Pluviale,  Schreine,  ein  heiliger  Stein, 

Eine  sehr  geringe  Rolle  spielt  die  Toilette  der  Braut 
Ob  man  die  Anschaffungen,  wie  man  heute  tun  würde,  erst  in 
Paris  machen  wollte?  Die  Garderobe  umfaßt  ein  Scharlach- 
gewand (Cotardita  de  ^ranaj,^)  mit  Blumen  und  Perlen  besät, 
zwei  weitere  Gewänder,  schwarz  und  grün  mit  ähnlichen 
Stickereien ,  ein  gleiches  aus  violettem  Scharlach  (pavonacii) 
mit  Goklpläticheii  'ad  rasteüos  auiij^)  mit  PerlenrosetteHf^)  ein 
gleiches  aus  Samniet. 

Dann  zwei  Hupelanden  (eme  Art  Mantel),  die  eine  scharlach- 
rot, die  andere  aus  violettem  Scharlach,  um  den  Hals  geblümt, 
mit  gewissen  Blättern,  Rosen,  Blüten  (oder  Knöpfen?)  auf  dem 
linken  Ärmel  usw. 

Wäsche,  Schuhwerk  u.  dergL  ist  offenbar  nidit  aufgienoinnieR. 

• 

Und  nun  nach  allen  diesen  Ooldklemodten,  nach  allen  diesen 
Stickereien,  Oewflndem,  Broschen,  Ringen,  was  bekam  die  lom- 
bardische POrstetttoditer  an  geistig  oder  kOnsÜeriscfa  Wertvollem 
mit?   Herzlich  wenig! 

Von  bildender  Kunst:  Eine  vergoldete  Jungfrau  Maria  mit 
Kind,  Statue  oder  Statuette,  der  Fuß  mit  allen  möglichen 
Bildwerken.  (Camus  Nr.  108  mit  Angabe  des  Gewichts.)  Zwei 
Paar  vergoldete  .Engel.  Keine  Oemälde.  Denn  der  einzige  mit 
Mafestas  -  thronende  Madonna  -  tiezeichnete  Gegenstand: 

S.  808.  M^fesku  umt  ad  rnodurn  anim  ^fitkU  tarn  balassit 
Vi  äe.  &  ßgaris  iAmAos  Mte^  «| 

kann  der  Form  nach  (»in  Gestalt  eines  Gebetbuchs«)  nkht  mit* 
zählen  und  ist  wohl  Miniaturarbeit  Was  eine  Pax  ist  vermag 
ich  nicht  zu  sagen,  aber  ein  Gemälde  ist  es  wohl  kaum. 
 S.  812,  Fue  mna  nova,  pa»  ana  antiqua,*^ 

>)  Camus  Nr.  I33ff. :  »MMr  A«n«r«.  S.  4S>.Ralie  «HO  cowle»  attrte  &  bttaUle 
ou  4  Jape  flottaate.* 

S)  tftnmir  A  rmitmnx  ttmr  de  Cks^pr«.*  Cantll«  Nr.  143. 

")  ,.semi4  dt  rosti  tl  dt  f'umffi.  J,-  r<-'Ui  ,V  cHtt  et  im  nrJBrfilf-**  (Nf*  14S.) 
«)  Camus  Nr.  70:  „Item  h»  ta6Uau  d  or  a  JafOH  de  Uvre.** 

^  Cum»  Nr.  114,  11 S:  „item  ume  petiU  fais  iütrie  a  un  cructfix  -rmrfflWj  - 

/«MM/  «KM  mmttf  um  0H€€,**  -  Das  französische  Regittar  hat  oocb  eine  U.  Margareihe  aM 
Beraaldii  (?),  die  an  dner  Schlange  hervorspringt,  die  anf  dneni  SUbmockd  «itit:  m» 

ymagt  tTam^rt  dt  Saintt  Marg^itntr  :vj,?,crAtm  dn  graSCa  OcBlMe  OdCT  dW  SÄttitaad 
»ni  Elfenbein  (Nr.  87 :  un  grmnt  t^tiieau  »fjfvetre.) 


L.iijiu<_L;d  by  Google 


Die  Renaissance  in  Piacenza« 


175 


Der  Zahl  nach  steht  es  etwas  weniger  Idägltcii  mit  den 
Büchern.    Aber  der  Inhalt' 

1.  Ein  Buch  mit  Mariengebeten  (officiolum),  die  Deckel 
(assides)  vergoldet,  mit  Perlen  und  gewissen  Steinen, 
mit  der  Jungfrau  Maria  eingeschnitzt  Auf  der  einen 
Seite  eine  Verkündigung,  auf  der  anderen:  In  firtneipto* 

2.  Ein  gleiches  Gebetbuch  mit  Seide  überzogen,  dtter 
Silberrose  darauf  und  einer  großen  Perle. 

3.  Ein  drittes  in  deutscher  Sprache,  und  ein  viertes. 
Auch  ein  Buchdeckel  figuriert  gesondert  für  sich.   Er  be- 

stdit  aus  vetgoldetem  Silber  und  trägt  ein  Kruzifix  und  Heiligen- 
figuren. Nach  Camus  (85)  wiegt  er  4  Marie,  6  Unzen,  S  Ster- 
ling. Es  folgt: 

4.  Ein  Psalter  in  Goldbrokat  gebunden. 

5.  Eine  Cyprianuslegende  (UbeUas  SaaeH  Cyprkmi)  in 
rote  Seide  gebunden. 

6.  Ein  Bfichlein  mit  deutschen  Versen;  nach  Camus  hat 
sie  dies  verstehen  kOnnen. 

7.  Das  Buch  des  Herrn  Johannes  de  Mandeville.^) 

Und  damit  ist  das  Ende  erreicht  Vier  Gebetbücher,  da- 
von eins  deutsch;  vier  andere  Bücher,  davon  wieder  eins 
deutsch.  Ob  man  wirklich  annehmen  darf,  daß  die  Braut 
Deutsch  \erstand,  und  diese  Bücher  ihr  nicht  nur,  um  zu  füllen, 
milgegebe n  w u  n\  c n  ? 

Im  übriyjt'n  noch  ein  Psalter,  eine  I,e,t,a-n  de '-)  und  die 
phantastische,  nie  erlebte  Reisegeschichte  des  Johannes  von 
Mandeville,  die  sich  im  Mittelalter  großer  Beliebtheit  erfreute, 
in  Wirklichkeit  aber  selbst  die  angeblich  gehabte  Audienz  beim 
Sultan  gestohlen  hat,  wie  noch  kürzlich  der  ausgezeichnete  Folk- 
lorist V.  Chauvin  nachgewiesen  hat^ 

Kein  Dante,  kein  Petrarca,  kein  Boccaccio,  echtes  Mittel- 
alter. Dagegen  fehlen  nicht:  zwei  Bretter  mit  Schachfiguren  und 
Trick-Tracksteinen  (mertUis). 

>)  Nach  Camus  S.  39*  befindet  sich  dieser  Manderill«  nun  in  Modena. 
^  Nich  dem  französischen  Texte  kommt  noch  hin/u 

91.   tUm  tu€  tmirt  itvrt  eu  tst  U  strvitt  Satnt  Am^rvue,  catcvert  d*  mrr  ^iatu 

(«-  Sdradudcder}. 
UM*—**        *  Mmdtum  m  Sg/fif.  WaOonla,  Oktober  iMS. 


Digitizec  uy  google 


176 


Leo  jordifl. 


So  behäK  noch  hundertfatiSEig  Jahre  spiler  Seal  ige  r  recht, 
und  sein  Spruch  gilt  auch  auf  die  übrige  Lombardei,  die  Haupt* 
sladt,  den  FQrstenhof  bezogen: 

Üfffw  0itts!  ffffts  sdUif  iMßrt  dttfito  üutt. 

Bewnnderungswfirdig  ist  nur  die  Bildung^fihigkdt  dieser 
Prinzessin,  die  auf  dem  neuen  Boden  größten  Einfluß  gewinn, 
die  Freundin  und  die  Mutter  von  Dichtem  wurde. 

III.  Ein  Streit  am  das  Rcdi^  ta  DoUortltd  zn  vcrldhcfl. 

Anno  1471. 

Bei  dem  geringen  Niveau  der  Bildung  im  Pfacentinischen 
nhnmt  hauptsächlich  ehis  wunder:  Piacenza  hatte  eine  Universität. 
Und  zwar  nicht  eine  Universität  von  gestern!  Wenn  wir  den 
Annales  Piacentini  des  Albertus  de  Ripalta/)  eines  nicht  un- 
bedeutenden Humanisten,  der  das  Werk  seines  Vaters»  Antonius 
fortsetzte,  folgen,  so  ist  es  Papst  Innozenz  IV.  (1243  1254) 
gewesen,  dem  die  Hochschule  ihre  Privilegien  verdankt.  Die 
Verleihung  dieser  Privilegien  aber  hatte  in  blumigem  Latein 
folgendermaßen  gelautet: 

»Innozenz,  der  Oberhirte  und  Sklave  aller  Sklaven  Ooftes, 
dem  ehrwürdigen  Bruder  Bischof,  seinen  gelu  Itten  Söhnen,  dem 
Klerus  und  dem  piacentinischen  Volke  seinen  Gruß!  Und 
apostolischen  Segen! 

Dieweil  uns  das  Herz  eures  Landes  teuer  ist,  so  wollen 
wir  gern  erlauben,  daß  dortselbst  jene  Studien  in  der  Literatur 
getrieben  werden,  in  welchen  Josephus  (der  ICirchenvater?)  mit 
feinem  Verständnis  geheimnisvolle  Dinge  zu  erklären  wußte^ 
daß  dortselbst  das  Silber  der  Beredsamkeit  die  Quellen  seiner 
Adern  eröffne  und  ein  Ort  sei,  an  dem  das  Oold  der  Weisheit 
sich  zahlreich  versammle. 

Wir  glauben  und  sind  davon  fiberzeugt,  daß  hieraus  der 
Stadt  selber  nicht  geringe  Ehre  erwachsen  wird  und  sie,  geistlich 
wie  weltlich  gesprochen,  willkommene  Vorteile  daraus  ziehen 
Jcann.  Und  deshalb  gewShren  wir  nicht  allein  um  deiner 
Vorstellungen  willen,  Bruder  Bischof,  der  du  uns  eindringlich 
darum  ersucht  hast,  sondern  aus  reinem  Interesse  an  der 

>)  Muratori,  Script.  Rer.  U.  XX,  932  ff. 


Digitized  by  Google 


Die  RmiaaMOe  in  Piacema. 


177 


Cntwidduiig  der  Stedt  daß  dn  generale  Stadium ,  dne 
Univeislttf,  dort  bdridxn  werden  daß  zu  der  Stadt  dne  zahl- 
reidie  Menge  von  Minnem  zusammenströme,  um  mit  Ver- 
gnügen das  Wasser  aus  den  Qudlen  des  Erlösers  zu  sdiöpfen, 
daß  dortselbst  ein  Turm  Davids  eibaut  werde  mit  allen  Sdiiefi- 
sduulen,  aus  dem  nidit  bloß  tausend  Sdiilde  starren,  sondern 
alle,  starken  Waffen  dazu. 

Und  so  bestimmen  wir,  daß  alle  Doktoren  und  Skolaren, 
in  weldier  Fakultät  der  genannten  Stadt  sie  audi  studieren,  die- 
selben Privilegien,  Ablässe  (indulgentiis),  Freiheiten  und  Befreiun^^ 
von  Abgaben  (immunitatibus)  genießen,  wie  die  Pariser  oder 
die  btudenten  anderer  Universitäten, 

Niemandem  aber  sei  es  gestattet,  diese  Seite  von  unserem 
Erlasse  zu  brechen  oder  mit  frechem  Wagemut  ihr  entgegenzu- 
treten usw.  Gegeben  zu  Lyon.  Im  Februar  des  fünften  Jahres 
unseres  Pontifikats." 

„Et  Jmt  Anno  1242" ,  fugt  der  Chronist  wohl  irrtümlich 
hinzu,  da  un<;  die  Berechnung  in  das  fahr  1248  brine^,  Diese 
päpstliche  Bulle  wurde  mitsamt  dem  Siegel  in  einer  Truhe  in  der 
Hauptkirche  von  Piacenza  wohl  verwahrt. 

Die  iicngci^ründctc  Universität  aber  blühte  auf,  und  wie 
Ripalta  den  uns  verlorenen  Chroniken  des  Ro  ff  red  us  entnimmt, 
war  es  ein  feiner  und  ausgezeichneter  Glossator  namens  Roglerius, 
dessen  Tätigkeit  als  ordentlicher  Professor  (onUitarii  kgitj  über- 
liefert ist  In  den  folgenden  Zeiten  sind,  wie  wir  demnächst 
sehen  werden,  unter  den  Schülern  und  Lehrern  der  Alma  Mater 
gewesen:  Papst  Gregor  X.  (1271  -  1276),  eine  Anzahl  Juristen, 
Theologen,  Mediziner  und  von  Humanisten:  Laurentius  Valia 
und  Antonius  Cornazzanus. 

Zu  Ripaltas  Zeit  aber,  das  ist  in  der  zweiten  Hälfte  des 
Quattotxsento,  lasen  72  Professoren  an  der  Universitlt,  deren 
Namen,  lUtig^t  und  Gehalt  uns  der  Chronist  erhalten  hat,  dne 
Tatsache^  die  auch  Jakob  Burck Hardt  in  seiner  Kultur  der 
Renaissance  nicht  Gbetsah. 

Der  Löwenanteil  fiUlt  natürlich  der  theologisch -juristischen 
Abteilung  zu.  Hier  lesen  38  Doktoren  ttber  folgqide  Materien: 
Ober  das  Deattam  zwei  Professoren,  Aber  die  Deenialkn  liest 

Aidüv  für  tOilturgeschichte.  V.  12 


Digitized  by  Google 


178 


Leo  Jordan. 


Oualtrino  de  Tatiis  ordinarü  und  zwd  andere  neben  ihm. 
Sextutn  Clementinantm'^)  lesen  vier  Herren,  von  denen  einer  den 
Doktortiiel  nicht  hat. 

&  folgen  der  Codix  anßmulas  (4),  ii^arüaiam^  (8),  das 
V^amen  (7),  der  Coäat  (8).  Was  mit  diesen  letzten  allgemeinen 
Bezeichnunsen  gemeint  is^  wird  so  leicht  nicht  festzustellen  sein; 
ebensowenig  wie  man  im  Laufe  der  Jahre  wissen  wird,  was 
heute  der  »Plötz«  und  was  vor  ffinfeig  Jahren  »Meidinger*  war. 

Von  den  übrigen  Fächern  tritt  die  Physik  und  Arithmetik 
(Practica)  direkt  hinter  die  geistlichen:  16  Lehrer  lesen  über 
Physik  und  6  über  Mathematik,  drei  über  Astrologie,  von  denen 
einer  auch  die  Philosophie  einschließt.  Mit  Aristotelischer  Phi- 
losophie befassen  sich  dagegen  wiederum  drei. 

Aber  der  Humanismus!   Es  wird  gegeben  an  Gehalt: 

M.Johanni  de  Cremona  legenü  Auäores  .  .  .  1.  17,  6,  8. 
M.  Fhäippo  dt  Rffpo  Ugßnti  Danton  &  Audores  L  5,  6,  8. 

Oleich  darauf  kommen  noch  ein  Astrologe,  mehrere  Physiker 
und  Mathematiker  und  unmittelbar  sich  anschließend  die  Pedelle: 
Jokamii  dt  BaitfUäs  d  Amtmio  de  MaUi  gmemäbas  Bidälit 

Dann  liest  noch  ein  früher  dem  Ärztekollegium  Angehörender 
(olim  artistamm  et  medicormn)  über  Seneca,  ein  Cremonese  über 
Orammaiik,  Logik,  Rhetorik  und  Philosophie,  die  beiden  letzten 
über  Chirur^ne  und  Kotariatswesen.  —  Die  Theologen  sind  mit 
sechs  Ausnahmen  alle  Doktoren,  die  Philosophen  nebst  Anhang 
Magister.  Alle,  die  solche  Titel  nicht  haben,  trae^cn  fast  aus- 
nahmslos nachweisbar  aristokratische  Piaccntiner  Namen,  nämlich: 

Raphael  de  Fulgosiis, 
Johannes  de  Anguissolis, 
Bartholomaeus  de  Lando  u.  a.  m. 

Der  letzteren  Familie  widmet  das  Chronieon  PkuenÜnoM 
(Muratori  XVI,  564)  in  seinem  Anhang  ein  Kapitel:  ,J>e 
pFiae^fiis  et  twbilUatibiis  tthmm  de  Lando",  wonadi  diese 

')  Die  Cltmtntintt*  sind  nach  Du  Can  ge  eine  DekreUUensamailmg  VOQ  CICBNni  V. 
und  bilden  den  7.  Band  der  DtcrttaUt.   Vgl.  Ou  Gange:  Stximt. 
^  RwfaUfcpdi  «.  Dtt  Ginge. 


Digitized  by  Google 


Die  ReniteaiKe  in  Piaoniai. 


179 


Familie  an  einem  Platz  gewolint  hitie,  der  andedo^)  genannt 
wflrde,  daher  der  Name  de  tAnäo.  -  Die  tkbrigen  Namen  sind 
ebenda  auf  &  566  unter  dem  Knegaadel:  Dornas  miäians 
Miails  PüteaiättB  zu  finden. 

Man  äelrt,  daß  auc&  die  Univeisitlt  darauf  hielt,  die  Namen 
der  hervorragenden  Familien  der  Stadt  in  ihrem  Personalver- 
zeichnis zu  haben,  wogegen  die  meisten  dieser  Nicht- Doktoren 
mit  dem  niedrigsten  Satze  von  4  Lire  im  Monat  zufrieden  waren. 

Mit  diesem  monatlichen  Anfaiigsgelialt  von  4  Lire  (die 
alte  Livra  zu  zwanzig  Ovoschtn  -  Soldi,  der  Groschen  zu  zwölf 
Pfennig  Denarii)  mußten  sich  zweiundzwanzig  Lehrer  aller 
Fächer  begnügen.  Gehälter  von  5  Lire  beziehen  zwei  Theologen, 
von  6  Lire  sechs  verschiedene  Herren,  von  8  Lire  zehn  weitere, 
darunter  der  Notar  und  die  Pedelle. 

11  Lire  bezieht  der  Chirurg;  13  Lire  ist  wieder  ein  Satz, 
bei  dem  acht  verschiedene  F.mpfänger  7\\  verzeichnen  sind.  Der 
Grammatiker  und  Logiklehrcr  erhalt  1 7  Lire,  die  einzigen,  bei  denen 
vermerkt  ist,  daß  sie  ordinaric  lesen,  deren  26,  nämlich  fünf  Personen. 

Höhere  Gehälter  beziehen  nur  !irht,  sicherlich  ehrwürdige 
Herren:  je  einer  36  und  40  Lire,  je  zwei  53  und  66  Lire.  Der 
Doktor  Baldus  de  Perusio,  der  Codex  Ordinarius  liest,  erhält 
164  Lire,  wogegen  in  der  philosophischen  Fakultät  der  einzige, 
der  mehr  wie  26  Lire  bezieht,  auch  das  höchste  Gehalt  von  allen  hat: 

Magristro  Marsilio  de  Sanrtd  Sophiä 
legenti  Phisicam  orüinariam 
Computiiti'i  piüsione  domus      1.  I7u,  6,  H. 
Die  monatliche  Zulage  vun  6  Groschen  und  8  Pfennigen 
findet  sich  noch  bei  dreizehn  anderen  üehaltsklassen;  ebenso 
häufig  erscheint  die  Zulage  von  13  Groschen  4  Pfennigen  (1 2  mal). 
Vielleicht  haben  wir  hier  in  einen  W  ohnungszuschuß  (pensio  äornus?) 
oder  ähnliches  zu  sehen;  ein  Zeugnis  dafür,  daß  die  »Buden* 
damals  nicht  so  viel  in  Groschen  kosteten  als  heute  in  Mark. 

Natürlich  darf  man,  emsthaft  gesprochen,  überhaupt  unseren 
Maßstab  nicht  an  diese  Gehälter  anlegen,  selbst  wenn  einige  derselben 
100  Lire  überscli reiten.   In  ihrem  Werte  kann  man  die  Pfennige 

als  Groschen  betrachten  und  den  Wert  der  Lire  verzehnfachen. 

*  • 

  — ■ — '  « 

>)  ^  Am^tiu.  Vgl.  hicräber  Horning  in  ZtMhr.  f.  ronun.  Philologie,  IMS. 

12» 


Digitized  by  Google 


180 


Leo  Jordui. 


Die  Studien,  die  an  dieser  Universität  getrieben  wurden, 
stimmen  «iffaUend  zu  dem  übrigen  Piaoenza  dieser  Zeit.  In 
ßiims  et  aiübas  war  man  elwas  radcständig,  der  scholastisdie 
Lebrplan  herrschte  noch;  Humanistenficher  lasen  nur  zwei  Ma- 
gisterp von  denen  ^ner  das  Oefaalt  eines  ordenfUdien  Professors 
erhielt  Wenn  man  diese  paar  Franken  monatlich  mit  dem  ver- 
gleicht, was  ein  Humanist  von  Namen  zu  beziehen  pflegte,  so 
muß  man  wohl  zu  dem  Resultet  kommen,  Johannes  von  Cremona 
und  Philipp  von  Regio  seien  nicht  gerade  Leuchten  dieser 
neuen  Fftdier  gewesen. 

Aber  was  zieht  in  alten  und  neuen  Tagen  den  Studenten 
mehr  an,  berühmte  Professoren  oder  das  heitere,  bunte  Let>en 
eines  leichten  Völkchens»  hübsche,  nicht  abweisende  Bürgermfidchen, 
bequeme  Examina?  -  Die  Steeitfrage  ist  noch  nicht  gelöst  Doch 
haben  wir  Zeugnisse  dafür,  daß  durch  das  gesdUge  Piaoentiner 
Leben,  nebst  Toiletten  und  freigebigen  Gastmählern  die  angenehme 
Hochschule  eine  Lieblingsstätte  der  Musensohne,  speziell  der 
höheren  beniester  war,  und  die  verstehen  bich  ja  erst  richtig  auf 
die  Wahl  einer  geeigneten  Lehr-  und  Wirkungsstätte. 

So  ist  in  der  zweiten  Hälfte  des  Quattrocento  Piaccnza 

eine  blühende  Universitätsstadt  gewesen,  die  ihren  Studenten 

vielerlei  Reize  bot  und  von  ihnen  hinwiederum  Bereiciierung  des 

geselligen  Lebens  und  des  Säckels  erfuhr.  Aber  wie  auch  heute: 

Es  kann  der  Frömmste  nicht  in  Frietlen  bleit>en, 
Wenn  es  dem  bösen  Nachbar  nicht  gefällt! 

Dieser  böse  Nachbar  war,  figürlich  gesprochen,  der  Brotneid, 
und  tatsächlich  die  unferne  Kollegin  Pavia,  der  die  Studenten 
ausgingen,  weil  alles  nach  Piacenza  zog.  Und  damit  das  anders 
würde  und  die  Musensöhne,  wenn  nicht  gutwillig,  so  doch  unter 
Anwendung  von  Staatsgewalt,  an  der  Hochschule  Pavia  wieder 
Geschmack  bekämen,  hatte  der  Paveser  Professor,  Doktor  Antonius 
de  Lunate  dem  Geheimen  Rate  der  Regierung  in  Mailand 
folgendes  unterbreitet:  Die  Piacentiner Herren  Professoren  bebügen 
sich  sündhaft,  indem  sie  einem  jeden  den  Doktorgrad  nach- 
würfen. Das  seien  keine  Doktoren,  das  seien  falsche  Doktoren, 
die  so  doktorierten,  und  sie  seien  nach  heizoglichen  Dekreten 
der  Sh-afe  verfallen. 


Digitized  by  Google 


Die  Remuaatioe  in  Piacenai, 


181 


Das  Privileg,  das  Papst  Innozenz  IV.  der  Universitti  Piacenza 
gegeben,  sei,  wie  ausdrflcklich  gesagt,  verliehen  den  äoeenädas, 
A  sekalaiibtts  in  qaammque  fiuaUaie  säulattibas.  Aber  Icann 
man  das  »dozieren"  nennen,  wo  kein  Shtdium  gauntk  der 
litterae  zu  finden  ist?  Hoäk  non  docent,  com  non  sU  stu* 
diam  generale  Uttemram. 

Der  Humanismus  tritt  e^egen  die  Scholastik  auf!  Gegen 
die  Vernachlässigung  der  litterae.  Leider  bleibt  der  Geschmack 
nicht  rein,  und  die  gähnende  Leere  im  Paveser  Geldbeutel  steigert 
den  Ausbruch  des  Ärgers  um  ein  Bedeutendes: 

»Unsere  Professoren  in  Pavia«,  fährt  er  fort,  »leihen  Ocld 
aus  und  Bücher  (an  die  Studenten  nämlich!),  -  andere  heimsen 
die  Zinsen  ein !  Ganz  schandbar  ist  es,  daß  von  dem,  was  Pavia 
in  heißem  Bemühen  und  schlaflosen  Nächten  gesät,  Piacenza 
di?  Fracht  ernte!« 

Daraufhin  stellte  genannter  Antonius  de  Lunate  den  grau- 
samen Antrag,  daß  der  Piaoentiner  Universität  das  Privil^  des 
Doktorierens  einfach  entzogen  würde. .  Und  reichte  Antrag  und 
Vollmacht  schriftlich  ein,  die  von  dem  in  Pavia  allmächtigen 
Cichus  unterschrieben  war,  der  bald  darauf  (1480)  von  Hand 
des  Henkers  fiel.  Hierbei  sagt  Ripalta  über  ihn:  »Göttliches  und 
menschliches  habe  er  gleichmäßig  skrupellos  behandelt,  so  daß  es 
zu  Lebzeiten  von  ihm  hieß: 

Cichus  erat  dives,  sapiens,  Patriaeque  patronus, 
Egregiusque  Pater,  lumen,  deais  Urbis  dk  Orbis  usw. 

Unmittelbar  nach  seinem  Tode  aber  hieß  es  ohne  Säumen: 

Cichus  traf  Carhit^,  pesff's,  saevusque  ProcusteSf 
impittS,  immanis,  nequam,  patriaeque  ruina.'* 

Hiernach  schmeckt  nun  auch  einigermaßen  die  Intrige,  die 
gegen  die  Schwesteraniveisittt  gerichtet  war.  War  ihm  solcher- 
lei innerhalb  Pavias  wohl  gelungen,  so  ging  es  in  Mailand  nicht 
so  gUtt  Die  Universittt  von  Piacxnza  schickte  zur  Verteidigung 
ihrer  PrivUegien  am  14.  Mäiz  1471  elien  unseren  Chronisten 
Albert  Ripalta,  und  der  wußte  in  ansprechender  Rede  dem  Mai- 
ttndtschen  Senate  die  intimen  Absichten  der  Herren  aus  f^via 
und  den  Wert  der  Universität  Piacenza  Mar  zu  machen. 


Digitized  by  Google 


182 


Leo  Jofdan. 


Seine  Redeaberlautete^  um  dn  wenigiesgeküizltfölg^ndennafieti : 

HodimOgende  Herren  und  Patrizier! 

Soweit  ich  habe  verstehen  und  behalten  Icönnen,  hat  der 
ansehnliche  Herr  und  Doktor  Antonius  von  Lunate  im  Namen 
und  als  Gesandter  der  Professoren  von  Pavia  allerlei  hier  ver- 
handelt, das  von  der  Wahrheit  hirtimdweit  entfernt  ist;  worauf  idi 
aber,  wenn  mir  nur  Zdt  gelassen  wird  und  Eure  Herrlidikdtett 
mir  dn  gnädiges  Ohr  Idhen  mög^n  -  woran  idi  bd  Eurer  tief- 
wurzdnden  Mensdilidikdt  nidit  zwdfle,  -  Punkt  fOr  Punkt  zu 
antworten  versuchen  w»xle. 

So  möchte  ich  vonb,  zu  Schutz  und  Verteidigung  unserer 
Stätte  und  unseres  ehrwflrdigen  Kollegiums,  vorausschicken,  dafi 
wir  nicht  nur  ein  Privileg  von  Papst  Innozenz  IV.  besitzen,  das 
nun  übe:  220  Jahre  Piacenza  verliehen  worden  ist,  sondern  diese 
zweihundert  und  mehr  Jahre  hinduich  hat  dies  Privileg  Kraft 
gehabt,  blühten  die  Sludicn  in  unserer  guten  Sia  ii  IMacenza  .  .  .  . 
Und  weiter,  im  Laufe  der  Zeiten  bis  auf  den  lieutii^en  Tag,  vor 
dem  Dekret  des  Nikolaus  Pizzinino,  zu  Zeiten  des  Dekrets  und 
nach  ihm,  waren  wir  stets  sozusagen  »im  Besitze"  des  Dokiorierens; 
eine  so  lange  Zeit  also,  deren  Anfang  außerhalb  des  Bereichs 
aller  Erinnerung  liegt,  daß  das  Privileg  wohl  seine  Kraft  und 
Gültigkeit  enviesen  hat. 

Und  nun  zu  dem  anderen  Punkt,  da  ergibt  sich  aus  dem 
Gesagten,  daß  unsere  Professoren  recht  tun,  den  Dokiorlitei  je 
nach  Wissen  und  Intelligenz  zu  verleihen,  da  sie  Ansehen,  Privileg 
und  Gesetz  für  sich  haben;  daß  diejenigen,  die  bei  uns  doktorieren, 
wahre  Doktoren  sind,  daß  sie  Examina  und  schwere  Prüfungen 
überstanden  haben,  schwerere,  weit  schwerere  als  beispielsweise 
in  Pavia,  daß  sie  keineswegs  ohne  Salz  (insulse)  ihr  Examen 
bestehen,  nein!  -  mit  doppeltem  Salze,  scientiaesäHuieteonseientiae, 
der  Würze  des  Wissens  und  des  Gewissens. . .  . 

Daß  aber  unser  Privilegium  lauten  solle  und  verliehen  sei 
allen  docentibus,  dazu  bemerke  ich  nur:  Daran  ist  entweder  der 
Schreiber  schuld,  der  ihnen  dies  abschrieb,  oder  aber  -  die 
Herren  Dodores  Papienses,  die  es  vorbrachten,  haben  es  ge- 
tischt Denn  unser  Privilegium  lautet:  Omnibus  Doctoriöus 
<t'  Seholaribits  ete.,.. 


Digitized  by  Google 


Die  Rfniiannoe  in  Piacema. 


183 


Was  nun  das  Dekret  des  Nikolaus  Pizanino  anbetrifft,  will 
ich  mich  nidit  in  einen  Streit  darüber  einlassen,  ob  es  gilt  oder 
nidit,  denn  es  nimmt  uns  ja  kein  Tfipfelchen  von  unserem  Recht, 
eher  unterstützt  es  uns.  »Kein  Shident«',  heißt  es,  »soll  eine  andere 
Hochschule  besuchen  zur  Erlangung  des  Dokfoisrades,  wo  nicht 
dn  vollkommenes  Kollegium  zu  finden  ist'  Aber  in  unserer 
Stadt  gibt  CS  kein  vollkommenes  Kollegium,  sondern  das  volU 
kommenste,  wo  doch  beide  FakuHiten  niitmehr«fie35  Professoren 
vertreten  sind,*)  stsrk  an  Geist  und  AutoritiU^  rdch  an  Kennt- 
nissen und  Erfahrung,  aus  deren  Hinden  so  viele  hochgelehrte 
MSnner  jeder  Wissenschaft  und  FakuHflt  hervorgegangen  sind,  daß 
mir  nur  die  Zelt  fehlt,  sie  hier  alle  namhaft  zu  machen. 

Ein  Piacentiner  war  jener  alte  Glossator,  der  in  Montpellier 
Line  üelliicht;  Summu  herausgab  (Bo (z^lcri  u s?) ,  ebenso  Pyleus 
de  Bagarottis,  gleichfalls  Glossator,  bagarolusde  Bagarottis, 
Ugolinus  de  Fontana,  Papst  Gregor  X.,  ein  Mann  von 
wunderbarer  Frömmigkeit  und  Weisheit,  der  den  größten  Teil 
der  Dekretalien  von  Papst  Sextus  herausgab,  Bartholomaeus 
und  Ricardas  von  Saliceto,  zwei  Leuchten  dieser  Welt, 
Raphael  Fulgosius,  seinerzeit  ein  König  in  der  Gesetzeskunde, 
Philippus  Caxola,  Bartholomaeus  Baratieri,  zu  unserer  Zeit 
Konsul  und  Patritius,  heute  Christop  Horns  de  Nicellis,  ehi 
feiner  üelehrter,  aber  von  den  aücrfeinstcn,  der  in  Turin  Vor- 
lesungen häh.  ÜK'Sc  alle  sind  im  kirchlichen  und  weltlichen 
Rechte,  ein  jeder  zu  seiner  Zeit,  wahre  Leuchten  gewesen. 

In  der  Theologie  aber  haben  wir  Johannes  de  Suzano, 
in  den  sieben  freien  Künsten  auf  der  Höhe  aller  Gelehrsamkeit 
und  zu  seiner  Zeit  erste  Autorität  in  theologischen  Fragen,  sodann 
Emmiricius  de  Ziliano,  Matthaeus  de  Ripalta,  einen  Mann, 
der  in  der  Heiligen  Schrift  seinesgleichen  sucht,  Apollonius 
Blancus,  zu  unseren  Zeiten  einer  der  gewissenhaftesten  und  vor- 
züglichsten Prediger  und  auch  als  Schriftsteller  ausgezeichnet 

Was  soll  ich  noch  Ober  Wilhelmus  de  Saliceto  sagen,  der 
in  der  Medizin  ein  zweiter  Avicenna  ist,  was  fiber  den  aus- 
gezddinelen  Albertinus  de  Salto?  Zu  schweigen  von  den 
Rednern  und  Dichtem,  verflossenen  und  Zeilgenossen:  Laurentius 

>)  JSr  titnpt«  m/Mt*  rtPtt^mimr  fkuftum  InqpMB  fmiHfut  AwiMw«. 


Digitized  by  Google 


184 


Leo  jorÖMi. 


Valla,  üabiicl  Fontana  I'aver,  der  in  Mailand  liest,  Gregor 
Valla,  der  in  Pavia  liest,  ausgezeichnete  Latinisten  und  Graccisten, 
Gervasius  Botacius,  im  heroischen  Verse  ein  zweiter  Vergil, 
Antonius  Cornazzänus,  in  der  Vulgärdichtung  ein  zweiter 
Dante  oder  Petrarca. 

in  der  Grammatik  schließlich  Rolandus  de  Regulo,  der 
in  dieser  Lehrmeisterin  aller  Wissenschaften  (in  ipsa  cmtUam 
sdentiarum  magistra)  ein  Buch  von  wunderbarem  Können  und 
Geist  verfaßt  liat,  das  die  Bücher  aller  anderen  Grammatiker  an 
Wissen»  Feinheit  und  Oetehrsamkeit  hinter  sich  läßt 

Was  nun  Herr  Antonius  de  Lunate  aüetzt  bemerkt  hat, 
dafi  nämlich  die  Herren  Professoren  in  Pavia  den  Studenten 
Bücher  und  Qdd  borgten  und  andere  die  Zinsen  davon  ein- 
steckten, so  ist  dies,  wenn  ich  es  recht  bedenke,  nicfals  anderes^ 
als  die  Habsucht,  den  Oeiz  und  die  wucherischen  Gdüste  der 
Herren  Professoren  ins  Treffen  fflhren.  Denn  für  zwei  oder  drei 
Dukaten,  die  sie  borgten,  verlangen  sie  zehn  f^orin  Zinsen  und 
für  Bflcher  im  Werte  von  vier  oder  sieben  Florbi  wollen  sie 
sechzehn  Lire.  Wie  unehrlich  ein  solches  Verfahren  nach  mensch- 
lichem und  göttlichem  Rechte  ist,  das  verstehen  Eure  Herrlich- 
keiten daraus  am  besten,  daß  sogar  im  heidnischen  Rechte  der 
Wucher  unerlaubt  ist 

Und  dann  bitte  ich  wohl  zu  beachten,  daß,  wenn  unser 
Privileg  uns  genommen  wird,  nicht  nur  der  Stadt  Piacenza  Un- 
recht geschieht,  sondern  ganz  Italien!  Würde  doch  der  Weg 
zur  Weisheit  den  Mittellosen  versperrt  werden.  Denn  es  gibt 
viele  Studenten  in  den  Gymnasien  Latiums,  deren  üaben  die 
Besciuänktheit  der  Mittel  entgegensteht,  die  aber  stark  an  Geist 
und  an  Wissen  sind,  die  in  harter  Arbeit  unlrr  Schweiß  und 
Nachtwachen  in  der  geistigen  Palästra  sich  tummeln,  mit  der 
einzigen  Hoffnung^:  Wenn  sie  den  Doktorgrad  auch  nicht  in 
Favia  erreichen  können,  wo  die  Habgier  unter  den  Professoren 
herrscht  und  soviel  überflüssige  Ausgaben  fällig  sind,  -  so  doch 
in  Piacenza.  Dort  ist  man  dem  Fremden  wohlgesinnt,  dank 
der  Menschlichkeit  und  dem  Wohlwollen  seiner  Professoren;  dort 
erhält  man  den  Doktorgrad  nach  einem  gewichtigen  Examen  um 
die  mäßige  Ausgabe  von  50  Lire. 


Digitized  by  Google 


Die  Renaissance  in  Piacenza. 


Und  um  mich  selber  als  Beispiel  anzuführen,  der  ich  fast 
alle  Universittten  Italiens  besucht  habe,  bei  Kälte  und  Hitze, 
Regen  und  Schnee»  mit  hdßem  Bemflhen:  wenn  ich  geübte,  ich 
könnte  nur  in  Pavia  mit  jener  ungeheueren  Ausgabe  doktorieteni 
so  wttrde  ich»  da  die  Mittel  in  dieser  teueren  Kriegszeit  nidit  aus- 
leidtfen,  den  Büchern,  wohl  oder  fibel,  den  Rücken  kehren  mflssen. 

Aber  nun  will  ich  nicht  länger  Euren  Herrlichkeiten  mit 
meiner  Rede  listig  fallen;  kurzum»  es  möge  auch  Eure  Ansicht 
sein,  daß»  nachdem  Pavia  durch  seine  Universität  dick  und 
fett  geworden  und  Piacenza  eine  Entschädigung  wohl  verdient 
hat,  Ihr,  hohe  Väter,  das  Stadium  Qeneraie  nach  Piacenza 
verlegt  Denn  die  Studenten  von  Pavia,  Bologna,  Ferrara 
wünschten  und  wünschen  eninial,  hier  ihre  Studien  zu  be- 
festigen, weil  die  Stadt  ihnen  bequem  liegt,  wohlhabend  ist  und 
den  Auswärtigen  wohlgesinnt. 

Und  dann  möge  gehen,  wer  mag,  um  in  Pavia  gegen  ein 
»mäßiges"  Entgeh  zu  doktorieren!  Und  wir  werden  sie  nicht 
belastigen,  wie  sie  uns  aus  Geiz  belästigt  haben. 

Wenn  dies  Eure  Herrlichi<eiten  tun,  so  wird,  wie  es  an  der 
Zeit  ist,  die  Stadt  Piacenza,  berühmt  durch  ihre  Gelehrsamkeit,  nun 
aber  dem  Ruin  nahe,  wieder  aufblühen,  die  Einkünfte  der  herzog- 
lichen Kammer  sich  vermehren  und  unser  Dank  ein  ewiger  sein. 

Es  ist  weiter  nicht  notwendig,  zu  dieser  Kontrovers- 
rede einen  Kommentar  zu  schreiben.  Die  V^erhältnisse  liegen 
ganz  klar:  Pavia  hatte  das  Recht  des  mailändischen  Studium 
Generale.  Es  nützte  dasselbe  weidlich  aus,  indem  es  den  Stu- 
denten so  viel  Geld  wie  möglich  abnahm.  Daher  gingen 
die  Studenten  scharenweise  nach  Piacenza,  wo  beide  Fakultäten 
gut  besetzt  waren  und  man  um  50  Lire  doktorierte.  Infolge- 
dessen und  sich  auf  das  Privileg  des  Studium  OenenUe  stützend, 
suchte  Pavia  der  Konkurrentin  dieses  Recht  streitig  zu  machen. 

Die  Rede  des  Albert  Ripalta  nun,  die  gegen  die  plumpen 
Angriffe  der  Paveser  leichtes  Spiel  hatte,  ze^  wohl  im  allgemeinen 
einen  der  Wahrheit  entsprechenden  Tatbestand.  Das  pApstItche 
Privileg  konnte  nicht  durch  iigend  eine  Klausel  aufgehoben 
werden.  Wenn  sich  auch  unter  den  Professoren  und  Schfliem 


Digitized  by  Google 


186 


Leo  Jordan. 


kein  /.v  t  iter  Avicenna  oder  Maro  fand,  wenn  auch  dir  Fpitheta: 
„Suo  tempore  iegum  Monarcham^',  „non  perfectum  imo  per- 
fectissUnum" f  „subtiUssimum" ,  „acutissimumf*  jene  rhetorische  Vor- 
liebe für  Superlative  zeigt,  die  der  Italiener  noch  heute  hat,  — 
so  sind  dennoch  Namen  wie  Lorenzo  Valla  und  Antonio 
Cornazzano  zu  ihrer  Zeit  von  ausgezeichnetem  Klang  gewesen. 
Der  Behandlung  der  Geldfni^  schließlich  kann  man  Verve  und 
Humor  nicht  absprechen. 

So  wurde  denn  auch  nach  dreitägiger  Verhandlung  der  An- 
sicht des  Ripalta  zugestimmt,  und  „Antonius  MUes  et  Dacior, 
Papiae  L^atas,  mußte  unverrichteter  Sache  die  FlAte  wieder  in 
den  Sack  stecken  und  absieben.« 

Ripalta  at>er  kebrte  nach  Piacenza  heim,  nachdem  er  einen 
Aufwand  von  etwas  Aber  21  Lire  unterw^  gemacht,  und  wurde  mit 
Feierlichkeit  und  Freude  von  dem  dankbaren  Kollegium  empfangen. 

Hierauf  aber  wurde  die  neubestttigte  (?)  Bulle  aus  dem 
Jahre  1399,  die  Herzog  Johann  Oaleaz  gegeben  hatten  auf  öffent- 
lichem Platze  verlesen:  »Daß  in  Piacenza  ein  gmeaUe  siadiam 
sei,  d.  h.  beider  Rechte,  des  kanonischen  wie  des  bfligeriicfaen, 
der  Medizin,  Philosophie  und  freien  Kfinste  und  aller  anderen 
Wissenschaften,  daß  dieses  Studium  und  seine  Studenten,  die 
Doktoren,  Rektoren,  Bachalaurii,  Pedelle^  Offidales  und  Ministri, 
Famuli  und  ihre  Familien  . . .  alle  Freiheiten  und  Privilegien 
genössen,  wie  die  entsprechenden  in  Paris,  Padua,  Bologna,  Ox- 
ford, Orleans,  Montpellier,  Pavia,  Perugia  u.  a.  m. 

Und  daß  wir  alle  diese  Doktoren ,  Rekt(3rcn,  Scholaren  usw., 
ihre  Familien,  Famuli,  Diener,  die  Schulen,  1  iausci  und  l  iospizien 
in  unseren  speziellen  Schutz  aufnehmen. 

Gegeben  zu  Beli^iocoso  atn  I.  Januar  1399." 

»Aus  allem  vorstehenden",  schließt  Ripalta,  »können  wir  die 
herzoglichen,  kaiserlichen  (Wenzeslaus!),  bischöflichen  Privilegien 
des  Generale  Studium  zu  Piacenza  entnehmen  und  die  Lehrer, 
die  dortselbst  gelehrt  haben.  Mögen  die  von  Pavia  darum  ihreh 
Mund  halten  und  lernen,  das  Unrecht  zu  scheuen."^) 

>)  über  Intfrcmnlr  Bartrebungen  der  Universität  Padua,  sich  eine  Lehrkraft  zu  er- 
balloiiProtaMm  «nntai  nsr  aaf  Zdt  ufeücllt),  lidie  ifmt»  Aivk.  VtmH»  IM«.  S.  141. 


Digitized  by  Google 


Skizzen 

von  der  ehemaligen  kursächsischen  Armee. 

Von  BERNHARD  WOLF. 


in. 

Das  MfliÜrsericlitewcwn.  Strafen. 

An  der  Spitze  der  gesamten  militari^erichtlichen  Angelegen- 
heiten der  kursachbischen  Armee  stand  das  Generalkriegsgericht, 
dem  durch  das  Kriegsgerichtsreglement  vom  23.  Januar  1788 
»zu  desto  stracklicher  Handhabung  der  Gerechtigkeit  und  Be- 
schleunigung der  Sachen  bei  den  Militärgerichten«  die  Form 
eines  ordentlichen  Justizkollegiums  gegeben  wurde.  Zweck  dieser 
Neuerung  war,  manche  ,.ans  ticr  Kollision  der  Zivil-  und  Mili- 
tärgerichtsbarkeit ciitstxiridene  Weiterung  abzuschneiden,  beider 
Grenzen  durch  ein  besonderes  Regulativ  zu  bestimmen  und  zu- 
gleich eine  Vorschrift  wegen  des  Verfahrens  in  den  bei  denen 
Kriegsgerichten  anhängigen  Sachen  zu  erteilen."  Das  Präsidium 
des  Oeneralkriegsgerichts  lag  in  den  Händen  eines  Generals,  den 
Vorsitz  führte  jederzeit  der  Genenüauditeur,  neben  dem  noch 
drei  Kriegsgerichtsitte  angestellt  waren.  Beständig  zu  diesem 
Gerichte  deputiert  waren  zwei  Hof-  und  Justitienräte  aus  der 
Landesregieruiig  und  zwei  Appellationsräte,  die  dann  in  Tätig- 
keit traten,  wenn  wider  die  von  dem  Gerichte  eröffneten  Er- 
kenntnisse und  erteilten  Resolutionen  Liuterungen  (läutern  bedeutet 
in  der  älteren  Reditsspracfae  »einen  graueren,  besseren  Rechts- 
spruch nachsuchen*)  und  Appelbdionen  vorkamen  oder  Vor- 
stellungjen gegen  das  Verfahren  des  Oeneralkriegsgerichts  selbst 
eingereicht  wurden,  »damit  die  Entscheidung  dieser  Sachen  durch 


Digltized  by  Google 


188 


Bernhard  Wotf. 


ein  hinünglidi  besdztes  Kollegium  erfolge«.  Die  Ausfertigung 
der  Urteile  gesdiah  im  Namen  des  OeneFalkriegsgeridils  unter 
des  Prfl^denten  Unterschrift;  war  dieser  alniresend  oder  sonst 
behindert,  trat  an  seine  Stelle  der  Generalauditeur  oder  in  dessen 
Behinderung  der  jedesmal  Vorsitzende  Rat 

Dem  Oeneraikriegsgericht  unterstellt  waren  die  R^ments- 
geridite,  för  die  rechtschaffene,  der  Rechte  genugsam  kundige, 
auch  sonst  hinlänglich  geschidcte  Auditeure  zur  Verwaltung  der 
Justiz  bestellt  werden  sollten.  Diese  waren  hinsichtlich  ihres 
Amtes  und  ihrer  Person  der  beständigen  Aufsicht  und  alleinigen 
Gerichtsbarkeit  des  Gencialkriegsgerichls  unterstellt,  im  übrigen 
aber  den  Chefs  und  Kommandeuren  der  Regimenter  und  ihren 
sonstigen  Oberen  subordiniert. 

Der  MiHtärgerichtsbarkeit  waren  alle  diejenigen  Personen 
unterworfen,  die  zu  wirklichen  Kriegsdiensten  angenommen  und 
nicht  verabschiedet,  aus  den  Listen  gestrichen  oder  kassiert  waren, 
dazu  die  Frauen  und  Kinder  der  Stabs-  und  Oberoffiziere,  so- 
lange die  the  bestand  und  sie  keinen  eii^enen  Hausstand  hatten, 
die  Dienstboten  der  Stabs-  und  Uberoffiziere,  die  sicii  bei  ihren 
Personen  befanden,  schließlich  die  Weiber  und  Kinder  der  Unter- 
offiziere und  üemeincn,  wenn  sie  ihren  Männern  und  Vätern 
zum  Regimente  folgten  und  sich  daselbst  wesentlich  aufhielten. 
Wurden  diese  dem  Militärgericht  unterstellten  Personen  vor  ein 
Zivilgericht  geladen,  so  konnten  sie  ohne  Nachteil  »außen  bleiben", 
hatten  jedoch,  um  kein  vergebliches  Verfahren  zu  veranlassen, 
dem  Richter  ihren  Ausnahmezustand  anzuzeigen;  stellten  sie  sich 
aber  aus  Unkenntnis  des  ihnen  zukommenden  befreiten  Ge- 
richtsstandes vor  dem  Zivilrichter,  dann  sollte  das  vor  einem 
solchen  Gericht  Verhandelte  niemals  für  rechtst>eständig  an- 
gesehen werden  noch  einige  rechtliche  Wirkung  haben.  Mit 
dem  30.  Tage  nach  dem  Tode  ihrer  Ehemänner  und  Vftter 
traten  die  hinterUesenen  Frauen  und  IQnder  unter  die  Gerichts- 
barkeit derjenigen  Zivilobrigkeit,  der  die  Verstorbenen  unterstellt 
gewesen  sein  warden,  falls  sie  in  Ehren  verabschiedet  worden  wiren. 

Die  Justiz  über  ieiditere  Vergehen  der  Unteroffiziere  und 
Gemeinen  lag  in  den  Händen  des  Obersten  und  des  Auditeurs: 
»ohne  weitläufigen  Prozeß  und  Besetzung  eines  Kriegsgerichts*. 


Digilizod  by 


Sldzzen  von  der  diemaliceii  ktinidisiscbai  Annee.        1 89 


Beide  bildeten  das  Regimentsgericht,  dem  alle  Militttpeisonen 
bis  zum  Kapittn  dnsdilieBHdi  unterstanden.  Die  Stabsoffiziere 
gehörten  unter  das  Oeneralkriegsgcricht;  in  Fftllen,  wo  Qefohr 
im  Verzuge  war,  konnte- ein  Stabsoffizier  Jedoch  auch  vom  Re- 
gimentskommandeur arretiert  werden,  es  muBte  aber  bierflber 
sofort  an  den  General  Meldung  erfolgen.  Schwere  Verbrechen, 
besonders  solche,  bei  denen  es  sich  um  Ehren-  und  Lebensstrafen 
handelte,  gehörten  vor  das  Forum  eines  Kriegsgerichts. 

Bei  Verhören  von  Unteroffizieren  und  üenieinen  waren  nach 
dem  Kriegsgerichtsrcglement  von  1789  ein  Offizier  und  zwei 
Unteroffiziere  Beisitzer,  bei  solchen  von  Offizieren  salkn  drei 
Offiziere,  von  denen  einer  entweder  einen  höheren  (  irad  haben 
oder  doch  im  Dienste  älter  sein  mußte  als  der  zu  Vernelimende. 
Die  Offiziere  erschienen  hierbei  in  Feldbinde,  aber  ohne  Stock. 
Der  Arrestant  wurde  durch  einen  Gefreiten  und  vier  Mann  in 
Begleitung  des  Profosen  und,  wenn  er  geschlossen  war,  auch  des 
Steckenknechtes  zum  Verhör  gebracht.  Ftn  Offizier  wurde  nie- 
mals geschlossen,  außer  wenn  sein  Prozeß  kriminell  wnr.  Fr 
wurde  durch  den  Adjutanten  und  einen  Unteroffizier  von  der 
Wache  vorgeführt;  beim  Verhör  durfte  er  sich  setzen.  Die  Seiten- 
gewehre der  Unteroffiziere  und  Gemeinen  -  *die  Abnehmung 
des  Seitengewehrs  ist  bei  der  Miliz  allemal  ein  Zeichen  des 
Arrestes«  -  befanden  sich  beim  Adjutanten,  die  Degen  der 
Offiziere  bei  den  Fahnen  oder  dem  Kommandeur.  Alle  Un- 
kosten, die  aus  der  Verwaltung  der  Justiz  entstanden,  bei  Unter- 
suchungen, Anwendung  der  Tortur  -  auf  diese  wurde  nur  selten 
erkannt  da  sie  die  Leute  zum  Dienst  auf  Lebenszeit  untüchtig 
machte  bei  VolUtreckung  der  Todesstrafe  und  sonst  hatte  der 
Obmi  zu  tiestreiten;  die  Offiziere  jedodi,  die  wegen  Untreue^ 
Verkftfzung  der  Unteigebenen  an  ihrem  Solde,  wegen  Schulden, 
Injurien  und  anderer  Verbrechen  angeldagt  waren,  bezahlten  die 
Oerichtskosten  aus  ihrer  Tasche.  Ein  auf  wenige  Tage  arretierter 
Offizwr  verbrachte  seinen  Arrest  beim  Adjutanten;  M  längerem 
Arrest  wurde  er  auf  der  Haupt-  oder  Stabswache  untergebracht 
Erforderte  die  gegen  einen  Kapittn  schwebende  Untersuchung 
längere  Zeit,  80  wurde  ihm  efaie  Wache  von  einem  Unteroffizier 
und  zwei  bis  vier  Mann  ins  Quartier  g^eben,  die  er  in  Schuld- 


Digitized  by  Google 


190 


Bernhard  Wolf. 


Sachen  selbst  zu  bezahlen  hatte;  einen  kürzeren  Arrest  verbrachte 
auch  er  beim  Adjutanten.  Arretierte  Offiziere  marschierten  auf 
dem  Marsche  mit  der  Fahnenwache;  ihnen  wurden  auch  die 
Steine  von  den  Pistolen  abgeschraubt,  es  war  ihnen  aber  erlaubt, 
unter  der  Aufsicht  eines  Offiziers  oder  Profosen  zu  reiten.  Ein 
Gemeiner,  der  im  Arrest  war,  erhielt  täglich  einen  Groschen  zu 
seiner  Verpflegung.  Nach  seiner  Entlassung  aus  dem  Arrest  wurde 
ihm  zwar  die  LOhnung  berechnet,  doch  mußte  er  dem  Profos 
vier  Groschen  bezahlen,  acht  Groschen  dagegen,  wenn  er  ge- 
schlossen gewesen  war.  Der  OberschuB  der  Löhnung  wurde 
fOr  den  Fall,  daß  der  Delinquent  am  Leben  gestaaft  wurde,  setner 
Frau  und  seinen  Kindern  ausgezahlt  Offiziere  bekamen  nur  die 
Hüfte  ihres  Traktamentes.  Subaltemoffiziere,  die  auf  der  Wache 
in  Arrest  gewesen  waren,  hatten  sich  bei  dem  Profos  mit  einem 
Taler,  K^pitflne  mit  zwd  Talern,  Unteroffiziere  mit  acht  Groschen 
abzufinden.  Der  Adjutant  'genoB  von  den  in  Arrest  gewesenen 
Offizieren  »seiner  gehabten  Bemühung  wegen  sein  gewöhn^ 
licfaes  Douoeur«,  dessen  Höhe  leider  nicht  angegeben  wird. 

Gegen  fahnenflüchtige  Ober-  und  Unteroffiziere  und  Ge- 
meine wurde  auf  Befehl  des  Generals  der  Ediktalprozeß  eröffnet. 
Dreimal  von  14  zu  14  Tagen  wurde  die  Vorladung,  persönlich 
zu  erscheinen,  im  Stabsquartier  an  drei  verschiedeiien  Orten,  vor 
des  Obersten  Wohtutng  und  auf  den  öffentlichen  Plätzen  durch 
den  Fourier  laut  und  deutlich  abgelesen.  Dieser  war  begleitet 
von  einem  Kommando,  bestehend  aus  ein»m  Subalternen,  zwei 
Unteroffizieren,  einem  Tambour  und  24  Mann.  Beim  Verlesen 
der  Zitation  wurde  ein  Kreis  geschlossen  und  präsentiert;  der 
Tanibour  rührte  die  Trommel.  Handelte  es  sich  um  desertierte 
Oberoffiziere,  dann  wurden  deren  Verwandte  von  der  bevor- 
stehenden Fdiktalzitation  benachrichtigt  und  auft^cfordert,  den  Be- 
treffenden, falls  sie  ihren  Aufenthnltsort  wüljtcn,  unt^csäunit  Mit- 
teilung zu  machen  und  sie  zur  Vermeidung  der  ihnen  drohenden 
Beschimpfung  zur  Rückkehr  zu  ermahnen. 

Nicht  unwichtig  sind  die  Bestimmungen,  die  sich  auf  die 
Schuldverhältnisse  der  Militärpersonen  beziehen.  Wenn  ein 
Stabs-  oder  Oberoffizier  einen  ausgestellten  Wechsel  nicht  binnen 
längstens  vier  Wochen  bezahlen  konnte  so  wurde  er  mit  Arrest 


Digitized  by  Google 


Skizzen  von  der  ehemaligen  kursächsischen  Armee.  fQf 


bestraft,  konnte  er  auch  binnen  drei  Monaten  nach  erfolgter  Arretur 
nicht  zahlen,  so  verlor  er  seine  Charge,  wurde  mit  einem  Ab- 
schiede versehen  und  der  Zivilobrigkeit  ausgeliefert  Den  Subal- 
ternen war  es  überhaupt  verboten,  ohne  Wissen  ihres  Komman- 
deurs Wechsel  auszustellen.  Bei  kleinen  Schulden  Vk^urde  ein 
Drittel  ihres  Traktamentes  zurückbehalten,  bei  solchen  über  hundert 
Taler  erhielten  sie  eine  Frist  von  drei  jMonaten.  In  dieser  Zeit 
hatten  sie  mit  ihren  Gläubigem  ein  Abkommen  vu  treffen, 
widrigenfalls  mit  ihnen  wie  mit  den  Oberoffi/icren  verfahren 
wurde.  Wechselbriefe,  die  etwa  von  IJnteroffi/'ieren  und  Gemeinen 
ausgestellt  wurden,  galten  nur  als  Schuldverschreibungen,  unterlagen 
also  dem  Wechselrechte  nicht.  Die  Aussteller  konnten,  falls  sie 
bewegliches  oder  unbewegliches  Vermögen  besaßen,  zur  Be- 
zahlung ihrer  Schulden  angehalten  werden;  ihre  Löhnung  wurde 
ihnen  zwar  nicht  gekürzt,  aber  sie  waren  wegen  ihrer  Leicht- 
sinnigkeit, Schulden  zu  machen,  die  sie  zu  bezahlen  nicht  im- 
stande waren,  mit  Degradation  oder  auch  L^besstrafe  anzusehen. 

Ein  Kriegsgericht  oder  Kriegsrecht  wurde  nur  über  Offiziere, 
Unteroffiziere  und  Gemeine  gehalten,  nicht  aber  über  deren  Weil)er 
und  Kinder  oder  Offiziersicnechte,  auch  nicht  Ql>er  solche,  die 
nur  ihres  Amtes  und  ihrer  Hantierung  wegen  der  Milittrgeridils- 
barkeit  unterworfen  waren.  Das  Verbrechen,  worOlier  erkannt 
werden  sollte,  muBte  vollkommen  untersucht  sein;  es  durfte  nichts 
als  der  Spruch  oder  das  Erkenntnis  fehlen,  »weil  das  Kriegs- 
gericht nicht  zur  Untersuchung,  sondern  zum  Spruche  nieder- 
gesetzt wird«.  Vorsitzender  des  Kriegsgerichts  bei  einem  Regi- 
roente  war  der  Oberstleutnant  Es  waren  sieben  oder  mindestens 
fünf  Stimmen  erforderlich.  Da  von  den  Beisitzem  oder  Assessoren 
je  zwei  und  zwei  eine  Stimme  hatten,  mufi  also  ein  Kriegsgericht 
aus  vierzehn  oder  zehn  Personen  bestanden  haben.  Es  meldete 
sich  nach  dem  Zusammenhitt  beim  Obersten;  die  Offiziere  er- 
schienen in  völliger  Montierung  mit  Fddbinden,  die  Unteroffiziere 
und  Oememen  mit  völligem  Lederwerk.  Jeder  Beisitzer  fflhrle 
sein  PeiscfaafI  bei  dch,  die  Gemeinen  mußten  lesen  und  schreiben 
können.  Bei  einem  Kriegsrecht  über  SubaltemofRziere  saßen 
keine  Gemeinen,  bei  einem  solchen  über  Kapitäne  waren  auch 
Sergeanten  Beisitzer.    Wie  bei  den  Vernehmungen,  so  erschien 


192 


Bernhard  Wolf. 


beim  Kriegsgerichte  selbst  der  Angeklagte  ungeschlossen  Fr 
konnte  die  Beisitzer,  gegen  die  er  etwas  Erhebliches  einzuwenden 
hatte,  ablehnen.  Kein  Kapitän  noch  Subalternoffizier  durfte  in 
■dncm  Kriegsgerichte  sitzen,  in  dem  über  einen  Mann  ihrer 
Kompagnie  geurteih  wurde.  In  Gegenwart  des  Inquisiten  wurden 
dann  die  Richter  durch  den  Auditciir  „mit  dem  gewöhnlichen 
Richtereide  beleget,  daß  sie  nämlich  nach  bestem  Wissen,  Ge- 
wissen, Verstände  und  also  urteilen  wollen,  wie  sie  es  dereinst 
an  jenem  großen  Gerichtstage  gegen  Gotf,  den  gierechten  Richter, 
4er  (!)  hohen  Obrigkeit  und  alle  Menschen,  vor  der  Ehre  der 
Welt  und  in  ihrem  eigenen  Gewissen  sich  zu  verantworten  ge- 
trauen«. Der  Urteilsspruch  erfolgte  nach  Stimmenmdirheit;  konnten 
sich  der  PrSses  und  der  Auditeur  «ihrer  Stimme  halber"  nicht  ver- 
einigen, dann  wurde  kein  Urteil  ausgesprochen,  sondern  sämtliche 
Vota  der  hohen  Generalität  überrdchi  In  rein  militäriacfaen 
Vergehen  fand  keine  Verteidigung  statt;  doch  hatten  die  Leiter 
der  Verhandlung  »um  so  mehrem  FleiB  in  Erforschung  und 
Erwägung  aller  zu  des  Inquisiten  Verteidigung  gereichenden  Um- 
stände sorgßltigst  anzuwenden  und  solche  genau  und  umständ- 
lich in  den  Akten  zu  bemerken,  mithin  was  zu  Erforschung  der 
Wahrheit  und  zu  Verteidigung  des  Angeschuldigten  ein  gewissen- 
hafter und  erfahrener  Richter  vorkommenden  Umständen  nach 
nötig  finden  dürfte,  denen  Rechten  gemäß  von  selbst  zu  be- 
obachten." Eine  Berufung  an  eine  höhere  Instanz  gab  es 
•ebenfalls  nicht 

Wenn  das  Urteil  von  allen  Teilnehmern  des  Kriegsgerichts 
unterschrieben,  besiegelt  und  nochmals  vorgelesen  war,  wurde 
es  zur  Bestätigung  eingesandt,  sämtlichen  Beteiligten  aber  Still- 
schweigen auferlegt:  -aüc  Kriegsicclitc  werden  in  continenti  zur 
Confirmalion  eingesendet,  inmitlelsi  aber  der  Kriegs- Kechts-Con- 
sessus,  imposito  silentio,  dimittiret."  Sobald  das  bestätigte  Urteil 
zuruckijxlangte,  wurde  es  dem  Verurteilten  in  Gegenwart  des  Vor- 
sitzenden und  einiger  Beisitzer  bekannt  gemacht;  ein  Todesurteil 
wurde  spätestens  nach  drei  Tagen  vollstreckt.  Von  der  Urteilsver- 
kündigung  an  konnte  solch  Delinquent  auf  des  Obersten  Unkosten 
mit  Speise  und  Trank  versehen  werden,  niemand  als  ein  Geistlicher 
seiner  Religion  hatte  ZuUritt  zu  ihm,  um  ihn  zum  Tode  vorzubereiten. 


Dlgitized  by  Google 


Skizzen  von  der  ebemaligen  kun&chsiscfaen  Armee. 


193 


Im  Felde  trat  an  die  Stelle  des  KriegSi^rkhts  das  Stand- 
fechte  bezeichnet  als  ein  iudicium  summarissimum  criminale,  bei 
dem  ein  wesentlich  al^gekürztes  Verfahren  beobachtet  wurde. 
Der  Name  kommt  daher,  daß  die  Richter  hierbei  Stenden,  nichts 
wie  bei  oidentlichen  Kriegsgeriditeiv  saßen.  Der  Verbrecher 
muBte  entweder  auf  handhafier  Tat  ertappt  oder  sdnes  Ver- 
brediens  so  voUsUndig  überftthrt  worden  sein,  daB  es  einer 
weilUhtfieen  Untersuchung  nicht  beduifte.  Auch  durfte  das  Ver- 
gehen nicht  vcialtel;  sondern  zwischen  dessen  Verfltmng  und 
der  daiiuf  folgenden  Bestrshing  höchstens  ehi  Zeitraum  von 
34  Stunden  verstrichen  seht.  Denn  «die  geschwinde  Vollstredmng 
eines  oder  mehreren  Exempds,  zum  allgemeinen  Schrecken,  ist 
der  Endzweck«  des  Standiechts.  Die  Besetzung  eines  solchen 
war  diesdlie  wie  bei  einem  Kriegsgericht,  doch  konnten  die  Bei- 
sitzer ganz  iMliebig  dazu  gezogen  werden,  wie  sie  dem  Major, 
Auditeur  oder  Adjutanten  gerade  zu  Gesicht  kamen.  Einem 
Stendredite  über  einen  Unteroffizier  oder  Gemeinen  konnte 
nötigen  Falles  ein  Kapitän  präsidieren;  ebenso  durften  dabei 
Offiziere  auch  über  Mannschaften  ihrer  eigenen  Kompagnie  als 
Richter  fungieren.  Zu  gleicher  Zeit,  wenn  das  Gericht  zusammen- 
trat, wurde  die  zur  Bedeckung  der  voraussichtlichen  Exekution 
nötige  Mannschaft  kommandiert,  deren  Stärke  mindestens  200  Mann 
betrug.  Diebe  bildeten  einen  Kreis,  in  den  sich  der  Präsfö,  der 
Auditeur  und  die  übrigen  Richter  nach  ihrem  Charakter  und 
I^nge  stellten.  Der  Auditeur  eröffnet  sodann  den  H«chiem  den 
Grund  der  Zusammenherufung  und  vereidigt  sie,  der  Präses 
zieht  den  Dei^^en,  \K'ahrend  der  Auditeur  „überlaut"  ruft:  «Wer 
ist,  der  Recht  begehret?^"  Der  Profos  erschemt  hierauf  mit  dem 
Delinquenten  vor  dem  Gericht,  erhebt  seine  Anklage  und  bittet, 
vdaß  ein  löbliches  Standrecht  hierüber  ergehen  lasse,  was  Rechtens 
sei*.  Der  Ankläger  wird  nun  mit  seiner  Klage,  der  Beklagte  mit 
seiner  »Entschuldigung  und  Widerspruch  so  lange  gehöret,  bis 
das  ludidum  des  Facti  halber  genugsam  versichert,  und  die  wahre 
Beschaffenheit  der  Umstände  und  die  Richtiglceit  oder  Gültigkeit 
des  Bekl^en  Entsdiuldigung  hinlänglich  eingesehen''  ist.  Dann 
tritt  der  Profos  mit  dem  Delinquenten  wieder  ab,  der  Auditeur 
wiederholt  noch  einmal  des  Angeklagten  Verbrechen  imd  dessen 

ArtUv  fflr  KflUafindildite.  V.  13 


Digitized  by  Google 


194 


Bernhard  Wolf. 


Umsttnde  und  erinnert  dabei  das  Gericht  an  die  in  den  Artikeln 
•  »auf  solches  Verbrechen  gesetzte  Strafe«.  Der  Km  wird  nun- 
mehr geöffnet,  der  Prtses  bringt  seinen  Degen  in  die  Scheide, 
und  die  Richter  ziehen  sich  khfisenweise  zurfid^  um  das  Urteil 
zu  fassen.  Chargenwetse,  von  unten  anfangend,  teilen  sie  es  dem 
Prises  und  Auditeur  mit,  welche  die  Strde  nach  den  abg^ 
gebenen  Voten  festsetzen.  Der  Gerichtshof  tritt  nun  wieder  zu- 
sammen, alle  Mitglieder  desselben,  außer  dem  Auditeur,  ziehen 
die  Degen,  der  Delinquent  whd  vom  Plofbs  wieder  in  den  Kreis 
gebracht,  und  der  Piftses  vethfindigt  ihm  sein  Urteil  mit  folgen* 
den  Worten:  »Auf  sattsame  Erkundigung  ddnes  Veriwechens 
(eigenes  Oestftndnis,  satlsame  OberiQhrung)  wirst  du  N.  N.  vom 
N.  N.  Regiment  hiermit  durch  gegenwftrtiges  Standrecht  von 
rechtswegen  zum  Strange  (Arkebusade)  verurteilt,  wekhe  Strafe 
sogleich  an  dir  vollzogen  werden  soll.«  Der  Auditeur  brach 
hierauf  ein  ihm  vom  Profos  gereichtes  Stäbchen  und  warf  es  dem 
Verurteilten  vor  die  Pulk  als  Zeichen,  dalj  das  Todesurteil  voll- 
streckt werden  konnte,  ȟber  den  Maletikanten  also  sagend:  (jott 
wolle  deiner  Seele  gnädig  sein"  (Regal).  Der  Delinquent  erhielt 
nun  einen  Geistlichen  »zur  kurzlichen  Praparation,  auch  wo 
möglich  zur  Beichte  und  Kommunion  ,  das  Urteil  wurde  durch 
einen  Kapitän  und  Leutnant  nebst  dem  Auditeur  dem  Regiments- 
kommandeur zur  Bestätigung  überbrachi;  war  der  komman- 
diert nde  General  in  der  Nähe,  auch  diesem.  Den  Fähnrichen 
konnte  in  diesem  Falle  erlaubt  werden,  für  den  Verbrecher  zu 
bitten.  Wurde  das  Urteil,  was  in  der  Reti:el  geschah,  bestätigt, 
erfolgte  sofort  die  Exekution.  Wenn  sich  das  Regiment  wirklich 
auf  dem  Marsche  befand  und  der  Körper  des  Hingerichteten 
nicht  vor  Sonnenuntergang  begraben  werden  konnte,  dann  wurde 
»nur  das  Deliktum  des  Exekutierten  auf  einen  Zettel  geschrieben 
und  dem  Gehenkten  auf  die  Brust  geheftet".  - 

Die  in  der  kursächsischen  Armee  üblichen  Strafen  waren 
ziemlich  mannigfaltig.  Am  häufigsten  angewendet  wurde  die  Prügel- 
strafe, die  aber  auch  in  allen  übrigen  Heeren  in  ausgiebiger 
Weise  gehandhabt  wurde.  »Die  Soldaten  durch  SchUge  in  der 
Zucht  zu  halten«,  sagt  LoCn,  der  Soldat  oder  Kriegsstand,  »ist  bei 
uns  Deutschen  so  gemein,  daB  man  nicht  leicht  ein  hundert 


Digitized  by  Google 


Skiseen  von  der  efaemaligien  kimichsisdien  Amwe.        i  95 


Soldaten  aufadehen  sieht,  darunter  nicht  einige  PrQgel  bdiommen. 
Macht  einer  eine  ungleiche  Bewegung;  setzt  er  den  Fuß  nicht 
recht,  slOBt  ihn  ein  Ideines  Ungemach  an,  fehlet  ihm  ein  Knopf 
an  seinem  Kleide,  so  blitzet  ihn  der  Offizier  mit  feurigen  Augen 

an,  die  Schläge  kommen  darauf  über  ihn  wie  ein  Donnerwetter.« 
Darum  konnte  man  auf  allen  Lxerziei platzen  das  Jammer-  und 
Schmerzensgeschrei  der  Geprügelten  vernehmen.  Das  nach  unseren 
heutigen  Begriffen  Bedenkliche  hierbei  war,  daß  den  Unteroffi- 
zieren das  Recht  der  körperlichen  Züchtigung  offiziell  einge- 
räumt war,  und  daß  sie  selbst  der  gleichen  Strafe  unterworfen 
werden  konnten.  Nach  dem  Dienstreglement  von  1  753  hatte  ein 
Unteroffizier  das  Recht,  einem  Gemeinen  sechs  bis  acht  Hiebe 
mit  dem  Stocke  zu  geben,  dem  Leutnant  und  Fähnrich  waren 
zwölf  Hiebe,  dem  Kapitän  aber  ^^ar  dreißig:  gestattet,  so  daß  es 
also  ein  Soldat,  wenn  er  einen  ungunstigen  Tap  hatte,  bis  auf 
fünfzig  Streiche  bring:cn  konnte,  hinem  Unteroffizier  konnten 
von  einem  Subalternoffizier  zwölf,  von  dem  Kapitän  25  Streiche 
mit  dem  Degen  gegeben  werden,  eine  Strafe,  die  man  mit  Fuchteln 
bezeichnete,  und  die  also  eigentlich  bedeutet,  jemanden  mit  der 
flachen  Klinge  schlagen.  Ein  Unteroffizier,  der  sehr  liederliche 
Streiche  machte,  durfte  aber  auch  mit  dem  Stocke  gezüchtigt  werden. 

Die  sonstigen  schweren  Strafen,  mit  denen  die  Soldaten 
belegt  werden  konnten,  zerfielen  in  Leibes-,  Ehren-  und  Lebens- 
strafen,  die  i^ibesstoafen  wieder  in  ganeine  und  peinliche.  Die 
gemeinen  Ldbessbafen  wurden  nidit  durch  ein  Kriegsgericht^ 
sondern  durdi  den  R^'mentskonunandeur  im  Einvernehmen 
mit  dem  Auditeur  bestimmt  Dazu  gehörten:  1.  Leidliches  Oe- 
fibignis  entweder  in  Eisen  und  Banden  -  auch  kreuzwetses 
SchlieBen  findet  sich  -  oder  ohne  solche,  bei  Wasser  und  Brot 
oder  ordenflicher  Arrestanten -Verpflegung;  die  tflgiich  einen 
Groschen  betavg.  2.  Das  Kurzgewehr-  und  Hintentragen  und 
das  Reiten  auf  dem  hdlzenien  Pferde^  bei  der  Infanterie.  Dies 
war  ein  hölzemesi  scharfkantiges  Brettergerüst,  auf  dem  die  Obel- 
Iflter  zwei,  vier  und  mehr  Stunden  des  Tages»  manchmal  auch 
mehrere  Tage  hinterdnander  sitzen  mußten.  Zur  Verschftrfung 
der  Strafe  wurden  den  Betreffenden  bisweilen  nodi  Gewichte  an 
die  Beine  gehängt   Dieses  Shafmitlel  erscheint  auch  unter  dem 

13« 


Digitized  by  Google 


196 


Bonbanl  Wolf. 


Namen  des  hölzernen  Esels,  doch  hörten  die  Soldaten  hölzernes 
'  Pferd  lieber.  3.  Das  Sattel-,  Küraß-  und  Manteltragen,  bei  der 
Kavallerie.  Wahrscheinlich  haben  wir  es  im  letzteren  Falle  mit 
hölzernen  Strafwerkzenge  zu  tun,  nach  der  Ähnlichkeit  mit 
einem  Mantd  nach  spanischem  Sdinitte  so  genannt;  in  dessen 
Boden  sich  ehie  Öffnung  befindi  durch  die  der  Kopf  beim 
Tilgen  gesteckt  wurde.  4.  Das  Reiten  auf  den  Stflcken,  wobei 
den  Soldaten  manchmal  noch  Kugeln  an  den  Beinen  befestigt 
wurden,  das  Granaten-  und  Kugettmgen,  die  Stunnhaube,  bd  der 
Artillerie.  Unter  der  Sturmhaube  liaben  wir  uns  jedenfalls  einen 
besonders  sdiweien  Metadlhelm  zu  denken.  In  einer  deveschen 
Redilsoidnung  heiBt  es  nlmlich:  »Bd  den  großen  Jagden  ist 
auch  dn  jagdvogt,  so  die  rebeUiscfaen  Bauern  sdilieBeii  und  den 
andern  Vobrechem  die  Sturmhautw  aufsetzen  mufi.«  Außer  den 
Kugdn  und  Onuiaten  wurden  von  den  Artilleristen  auch  Doppd- 
haken,  Schaufdn  und  Hauen  zur  Strafe  getragen.  5.  Das  Stehen 
am  Pfahle,  wie  es  scheint,  eine  empfindliche  Strafe,  bestimmt 
für  Reiter  oder  auch  Unteroffiziere  bei  der  Infanterie.  Der 
Delinquent  wurde  entweder  mit  einer  Hand  oder  mit  beiden 
Händen  an  einem  Pfahle  -ganz  hoch  hinauf  geschlossen",  während 
die  Fuße  auf  zwei  aus  dem  Boden  hervorragenden  zugespitzten 
Pfählen  standen,  »welches  sowohl  Händen  als  Tußen  sehr  un- 
bequem fallt."  Diese  Strafe  ist  dargestellt  bei  von  Fleming, 
Der  vollkommene  teutsche  Soldat;  wiedergegeben  bei  Liebe,  der 
Soldat  in  der  deutschen  Vergangenheit  S.  105.  6.  Das  Spannen 
der  Soidatenweibcr  in  die  Fiedel,  ein  stärkeres  Brett  mit  drei 
Ausschnitten  für  den  Hals  und  die  beiden  Unterarme.  Sie  mußten, 
eingespannt  in  das  Straf instrument,  vor  der  Hauptwache  herum- 
gehen oder  wurden  damit  auch  an  das  hölzerne  Pferd  ange- 
schlossen. Die  Strafe  der  Fiedel  wurde  verhängt  bei  Belddi- 
gungen,  Zänkereien  oder  geringen  Diebstählen,  i» Diese  Zdchen 
der  Militärjustiz'',  zu  denen  noch  der  Galgen  kam,  hatten  m 
denjenigen  Städten,  denen  die  Obergeridite  verliehen  waren,  die 
Obrigkeiten  auf  ihre  Kosten  errichten  zu  lassen  und  in  gutem 
Zustande  zu  erhalten.  Sie  befanden  sich  sftmtlidi  au!  dem  Markte^ 
die  Bestrafungen  waren  also  öffentlidi. 

Pdnlidie  Strafen  konnten  nur  durdi  dn  Kriegsgeridit  er» 


Digitized  by  Google 


SUoen  von  der  diefotligen  kunichsiscfaen  Annee. 


197 


kuint  werden.  Unter  ihnen  spielte  das  Oassen^  oder  SpieBroten* 
laiifetti  «der  imseflUirtidiere^  aber  weniger  ehrenvolle  Überrest 
des  Rechts  der  hingen  SpteBe'  ans  der  Landskneditszeit,  eine 
hervornigende  Rolle.  &  kam  bei  den  verschiedensten  mOitS* 
rischen  Vergehen  zur  Anwendung;  da  es  }e  nach  der  Schwere 
derseltwn  verschärft  werden  konnte.  Sicher  aber  war  es  eine 
barinrische  Straffe  und  um  so  tiedenklicher,  da  sie  durdi  des 
Ddmquenten  eigene  Kamenden  vollstreckt  wurde.  Olddiwohl 
finden  wir  das  Oassenlattlen  Ixi  allen  deutschen  Heeren  in  Oe* 
tmittch.  Warum  es  Regal  bei  seinem  Regimente  dngefOhrt  hat, 
sagt  er  selbst  auf  S.  158  seines  mehrerwähnten  Reglements. 
Er  hat  sich  für  diese  Strafe  entschieden,  nachdem  er  bemerkt 
hatte,  daß  durch  die  Korporale  die  Soldaten  krumm  und  lahm, 
auch  wohl,  wenn  sie  ungeschickterweise  über  den  Kopf  getroffen, 
gar  töricht  oder  taub  geschlagen  und  zum  Herrendienste  un- 
tauglich gemacht  worden  seien.  Er  spricht  die  Ansicht  aus, 
deren  Richtigkeit  ihm  wohl  niemand  bestreiten  dürfte,  daß  sich 
ein  ehrliebender  Soldat  vor  dem  Gassen  laufen  mehr  als  vor  dem 
Prügeln  scheue.  Geradezu  zynisch  aber  ist  es,  wenn  er  hinzu- 
fü^-  .Zudem  ist  es  der  Wirtschaft  noch  am  besten,  weil  dadurch 
die  schlechte  Montur  nicht  gerinc^en  Schaden  leidet«,  was  in  dieser 
Verbmdung  doch  wohl  nur  heißen  kann,  nicht  den  geringsten 
Sdiaden  leidet. 

Bei  der  kursächsischen  Armee,  wo  wir  die  erwähnte  Strafe 
ebenfalls  schon  frühzeitig  finden,  war  es  dem  Obersten  «zur 
besseren  Eriudtung  der  Disziplin"  gestattet,  einen  Gemeinen,  die 
überhaupt  nur  dieser  Strafe  unterworfen  werden  Iconnten,  viermal 
durch  200  Mann  « Spitzruten''  laufen  zu  lassen;  sonst  betrug  die 
Zahl  der  Gänge,  die  ein  Verurteilter  zu  tun  hatte,  in  der  Regel 
sechs.  Die  Spießruten  hatten  diejenigen  zu  gewärtigen,  die  Ihr 
Gewehr  verloren  oder  ihre  Montur  verkauften  (zwölfnuü  durch 
200  Mann).  Ferner  wer  sich  nach  dem  Zapfensbeiche  auf  der 
StniBe  betreten  lieft,  brennendes  Lidit  und  Tabakspfeife  in  die 
Sdilafkammer  mit  sich  nahm  oder  Patronen  darin  verfertigte, 
einen  nach  Dresden  kommenden  fremden  Soldaten  beherfoeigte, 
wer  ohne  Vorwissen  eines  ordentlichen  Meisters  als  Maurer  oder 
Ztmmennann  den  Einwohnern  Dresdens  etwas  bauten  in  öffent- 


Digitized  by  Google 


'198  Bernhard  Wolf. 


lidieii  Huren-  und  Spielhäusem  betroffen  wurde,  bei  entstehendem 
Alarm  Diebstahl  b^ng,  den  Urlaub  über  einen  Monat  überscbrit^ 
sich  ohne  Vorwissen  seiner  Vorgesetzten  verlobte^  wer  gegen 
Fremde,  Einheimische  oder  Rciseiidc,  besonders  aber  gegen  die 
Wirte  Oewalttttlglceiten  beging,  gegen  die  Voigeselzten  wider- 
spenstig war,  wer  als  Posten  im  Felde  das  Gewehr  w^Icgte  oder 
sich  von  der  Reserve  entfernte,  nach  einer  Aktion  ohne  Gewehr 
gefunden  wurde  (zwölfmal  durch  200  Mann),  bei  Werbungen 
sich  des  Eigennutzes  oder  der  Gelderpressung  schuldig  machte^ 
schlieBlich  wer  die  Vorepannbauem,  Knechte  oder  Pferde  übel 
traktierte  und  letztere  fibertrieb.  Man  sieht  hieraus,  daß  die 
Strafe  des  Gsssenlaufiens  fQr  die  veischiedensten  Vergehen  in 
Anwendung  kam. 

Auf  Spießrutenhwfen  wurde  auch  erkannt  in  FUlen,  in 
denen  wir  eine  andere  Strafe  erwarten  sollten.  So  wurde  z.  B. 
nur  mit  sechsmal  Oassenlaufen  ein  Musketier  bestraf^  der  aus 
Leichtsinn  mit  dem  Gewehr  eines  Kamenufen,  das  er  fllr  nicht 
geladen  gehalten,  eine  Frau  erschossen  hatte. 

Sollte  die  Strafe  des  Gassenlaufens  an  einem  Soldaten  voll- 
streckt werden,  so  trat  ein  Kommando,  bestehend  aus  einem 
Major  zu  seinen  Obliegenheiten  gehörte  die  \'ollstrcckung 
jeder  Exekution  - ,  zwei  Kapitänen,  sechs  bis  sieben  Subaltern- 
offizieren, einundz\\'anzig  Unteroffizieren,  sechs  Tambouren  und 
200  Mann  zusainnien,  und  zwar  ohne  Bajonett.  Im  Quartier 
des  Auditeurs,  wo  die  Sitzungen  des  Regimcntsgenchts  statt- 
fanden, wurde  dem  Delinquenten  das  Urteil  in  Gegenwart  zweier 
Offiziere  bekannt  gemacht.  Dann  marschierte  das  Kommando 
nach  dem  Exekutionsplatze,  wo  es  m  Linie  aufmarschierte  und 
zwei  Glieder  formierte.  Hierauf  machte  das  erste  Glied  rechts- 
umkehrt, so  daß  also  eine  Gasse  j^ebildet  wurde,  cJie  T.imboure 
marschierten  nach  den  Flügeln,  und  die  Mannschaften  nahmen 
das  Gewehr  in  den  linken  Arm,  um  den  rechten  frei  zu  haben. 
Der  Steckenknecht  ging  nun  durch  die  Gasse  und  teilte  die 
Ruten  -  es  wurden  Weidenruten  verwendet  -  aus.  Mittlerweile 
wurde  der  Arrestant  durch  einen  Korporal,  den  Profos  und  vier 
Mann  auf  den  rechten  FlQger  gebnuJit,  losgeschlossen  und  zurecht 
gemach!^  d.  b.  ihm  der  Oberkörper  entblößt  War  alles  fertig» 


Digitized  by  Google 


Skizzen  von  da*  chenaUgen  Inmieiisisclien  Annee.        1 99 


SO  lockte  einer  der  auf  dem  linken  Flfigd  aufgestellten  Tamboure, 
der  Delinquent  wurde  in  die  Gasse  eingelassen  und  alle  Trommler 
schlugen,  einesteils  um  das  Marschtempo  anzugeben,  besonders 
aber  vrohl»  um  das  Klagegeschrei  des  GeschUigenen  zu  fiber- 
Mnen.  Der  unverwQsfliche  Soldatenhumor  hatte  auch  fQr  diese 
grausame  Prozedur  einen  Vers  gedichtet,  aus  dessen  Rhythmus 
deutlich  das  Tempo,  nach  dem  die  Tamboure  schlugen,  heraus- 
zuhören ist.  Er  lautet:  »Warum  bist  du  fortgelaufen?  Darum 
mußt  du  Gassen  laufen,  darum  bist  du  hier."  Während  der 
Exekution  riit  der  Major  vor,  der  Adjutant  hinter  der  Front  und 
gaben  acht,  daß  die  Leute  »recht«  zuhieben.  Falls  der  Arrestant 
ein  zu  schnelles  Tempo  einschlug,  ging  ein  Unteroffizier  mit 
verkehrtem  Kurzgewehr  vor  ihm  her.  Nach  der  Strafvollstreckung 
erfolgte  das  Kommando;  Ruten  weg!  Das  Gewehr  beim  Fuß! 
Schultert  das  Gewehr!  worauf  das  dritte  Glied  wiederhergestellt 
wurde.  Nach  Regals  Reglement  schlugen  die  Soldaten  die 
Ruten  dreimal  an  das  Gewehr  und  warfen  sie  hinter  sich,  eine 
symbolische  Handlung,  die  wohl  andeutete,  daß  damit  auch  die 
Erinnerung  an  die  grausame  Strafe,  die  sie  soeben  an  einem 
ihrer  Kameraden  vollzogen  hatten,  abp;ctan  sein  sollte.  Schließ- 
lich wurde  der  Arrestant  auf  die  Wache  gebracht;  hier  mußte 
»ihm  der  Regimentsfeldscher  nach  erheischender  Notdurft  zur 
Ader  lassen,  auch  durch  die  Kompagniefeldschers,  so  lange  es 
nötig,  mit  Einschmieren  zu  traktieren  unvergessen  sein«. 

Die  Strafe  des  Oassenlaufens  findet  sich  auch  bei  der 
Kavallerie,  nur  mit  dem  Unterschiede,  daß  man  hier  anstatt  der 
Weidenruten  Steigriemen,  Vorderzeuge,  am  gewöhnlichsten  aber 
Packriemen,  eine  halbe  Elle  lang  gebunden,  benutzte.  Von  dem 
Strafmittel  nannte  man  daher  das  ganze  Verfahren  »Steigleder* 
laufen«!  das  im  übrigen  g^z  so  wie  bei  der  Infanterie  verlief. 
Die  Diagoßtf  wurden  wie  Infanteristen  behandelt  Wie  schon 
erwihnt,  war  dte  Zahl  der  Gänge,  die  ein  Verurteilter  durch  die 
Oasse  zu  machen  hatte,  je  nach  der  Schwere  des  Veigehens  ver- 
schieden, so  daß  die  Straft  unter  Umständen  auf  mehrere  Tage 
verteilt  werden  mußte.  In  O.  Freytegs  Bildem  aus  der  deutschen 
Veiiguigenheit  schildert  ein  preußischer  Soldat  als  Augenzeuge 
ein  derartiges  Shafverfahren  also:  »Wir  mußten  sehen,  wie  man 


200 


Bernhard  Wolf. 


Deserteure  durch  200  Mann  achtmal  die  lange  Gasse  auf  und 
ab  Spießruten  laufen  ließ,  bis  sie  atemlos  hinsanken  und  am 
anderen  Tagie  aufs  neue  dian  mußten,  bis  Fetzen  geronnenen 
Blutes  ihnen  Ober  die  Hosen  herabhingen.*  Nach  Aichenholz» 
OemUde  der  preußischen  Armee  vor  und  in  dem  Siebenjihrigen 
Kriege,  war  in  Preußen  »sedismal  die  geringste  und  sechsunddreißig- 
mal  die  höchste  Zahl  dieser  schmerzvollen  Wanderungen.  Die  letztere 
Strafe  hieß:  auf  Leben  und  Tod  und  war  auf  drei  Tage  verteilt, 
da  denn  am  letzten  Tage  mit  dem  Verbrecher  auch  zugleich  der 
Sarg  auf  die  Faiade  gebracht  wurde*.  In  Kursadisen  ist  man 
fltier  die  Zahl  vieründzwanzig,  wie  es  scheint,  nidit  hinausgegangen. 

Zu  den  peinlichen  Shafen  gehörte  auch  der  SfaiupenschUig^ 
der  ebenfells  stets  durch  dn  Kriegsrecht  ericannt  werden  mußte. 
An  einem  Soldaten  wurde  er  allerdings  nur  selten  vc^lstaieckt 
irwegen  der  anklebenden  Infamie«^  die  man  der  Todesstrafe  gleich 
erachtete,  und  weil  der  also  Bestrafte  zu  ferneren  Herrendiensten 
untüchtig  gemacht  wurde.  Gleichwohl  mulite  diese  Strafe  aus- 
gesprochen werden,  wenn  das  Vergehen  so  schandlich  war,  daß 
es  durch  eine  Militärstrafe  nicht  gesühnt  werden  konnte.  Dann 
wurde  der  Missetäter  vor  öffentlich  gestellter  Wachtparade  zum 
Schelmen  gemacht,  indem  ihn  der  Scliarfrichter  dreimal  unter 
Schlägen  um  die  Justiz,  d.  i.  den  Galgen,  herum-  und  aus  der 
Stadt  hinausjagte.  In  der  Regel  war  damit  auch  die  Verweisung 
aus  sämtlichen  kurfürstlichen  und  inkorporierten  Landen  ver- 
bunden. Häufiger  wurde  der  Staupenschla,{^  an  \\'eibs[)ersoneri 
vollstreckt,  besonders  dann,  wenn  sie  einen  Soldaten  zur  Deser- 
tion verleiteten.  Zuvor  wurden  sie  an  den  Pranger  gestellt  «mit 
Anhängung  einer  Beschreibung  ihres  Unternehmens",  bisweilen 
folgte  dem  Staiipenschlage  auch  noch  die  Landesverweisung,  die 
aber  auch  ohne  jene  Strafe  verfügt  wurde.  Der  Mann  konnte 
seinem  Eheweibe  folgen;  war  er  aber  ein  tüchtiger  Soldat,  so 
geschah  es  zuweilen,  um  ihn  »im  Dienste  zu  konservieren*,  daß 
die  Frau,  gegebenen  Falles  samt  ihren  Kindern,  ins  Zuchthaus 
nach  Wald  heim  gebracht  Nviirde. 

Körperlichen  Züchtigungen  anderer  Art  war  der  Soldat 
nicht  unterworfien,  dieser  Fall  t»t  nur  ein,  wenn  er  sich  durch 
eine  Handlung  ehrlos  gemacht  hatte.  So  wurde  im  Jahre  1743 


Dlgitized  by  Google 


Sidzaen  von  der  ehemaligai  kiinfldisischen  Armee. 


201 


z,  B.  ein  Miisketo',  »der  auf  den  Sdiinderkanen  gesprungen 
wsr  und  insOndigst  um  Dienste  angehalten  hatte,  vor  öffentlicher 

Wachtparade,  fernerhin  neben  ehrliebenden  Leuten  in  dem 
Soldatenstande  zu  dienen,  unwürdig  gemacht,  seines  Verbrechens 
halber  von  dem  Steckenknecht  durch  Ruten  in  dem  Marterkeller 
nachdrücklich  gepeitscht  und  über  dieses  noch  auf  ein  Jahr  lang 
auf  den  Festungsbau  gebracht".  Dieser  Festungsbau  ist  zwar 
keine  ausschließliche  Militärstrafe,  auf  ihn  wird  aber  bei  militä- 
rischen Vergehen  so  häufig  erkannt,  daß  es  angebracht  er- 
scheint, seiner  in  Kürze  zu  gedenken.  Das  Festungsbaugefängnis 
befand  sich  in  Dresden;  die  Räume,  in  denen  die  Gefangenen 
untergebracht  waren,  lassen  unterirdisch,  nur  die  Krankenstube 
war  über  der  F.rde.  Die  Strät'hiige  waren  in  drei  Klassen  geteilt. 
Die  erste  bestnnd  „aus  denen  g;an/  infamen  Deh"nquenten,  ver- 
leimten Dieben  (jedenfalls  nbelberüchtif^te ,  rückfallige  Diebe), 
Kirchen-  und  Straßenräubern,  Mordbrennern,  falschen  Münzern, 
Spitzbuben,  Zigeunern  und  anderem  Gesindel,  da  keine  Besserung 
zu  hoffen,  die  Delicta  aber  nicht  gestanden,  sondern  die  Gradus 
der  Tortur  ausgehalten,  und  bei  denen  die  völlige  Überweisung 
nicht  vorhanden«.  Sie  wurden  am  härtesten  eingesch'miedet  und 
zu  den  schwersten  Arbeiten  verwendet  in  die  zweite  Klasse 
gehörten  diejenigen,  »die  zwar  nicht  ganz  intimer  Weise,  jedoch 
aber  sonst  auf  eine  boshafte  Art  gesündigt  haben,  und  welche 
anderer  Verbrechen  halber,  als  Ehebrudis,  Lenodnit  (Kuppelei), 
Blutschande,  harter  Injurien  und  dergldchen  mehr  mit  Staupen- 
schlagen  und  Landesverweisung  zu  bestrafen  wiren«.  Statt  zu 
Staupenschlag  und  ewiger  Landesverweisung  leonnten  Soldaten 
zu  einer  dreijihrigen,  statt  zu  zwdjshriger  Landesverweisung  zu 
einer  einmonatigen  Pestungsbaustiafe  zweiter  Klasse  verurteilt 
werden.  Der  dritten  Klasse  waren  diejenigen  zugewiesen,  «die 
weder  durch  infame  noch  andere  boshafte  Vertirecfaen,  sondern 
dufth  cttlpöse  Vergehungen  in  die  Baustrafe  vcriSatlen  waren,  als 
durch  VerfQhrung,  Jugend,  dringende  Armu^  Bettelei  usw." 
Besonders  solche  Deserteure  wurden  zum  Festungsbau  ver- 
urteilt, die  »etwas  Gültiges  zu  ihrer  Entschuldigung  anführen 
und  desfalls  nicht  mit  dem  Strange«  bestraft  werden  konnten, 
für  dte  aber  die  Spießruten  »zu  gelinde*  waren.  Bei  ihrer  Ein- 


üiyiiizeü  by  Google 


202 


Bernhard  Wolf. 


Keferung  wtiiden  die  StrSflinge  ein  geschmiedet,  d.  h.  sie  erhieiten 
an  einem  Beine  einen  eisernen  ^ng,  woran  sich  vorn  und 
hinten  wieder  Ringe  befanden,  die  beim  Gehen  kla|iperten.  Nach 
etwaigen  Fluchtversuchen  wurde  ihnen  ein  Halseisen  mit  einem 
langen  eisernen  Horn  angelegt,  wohl  auch  Handeisen  und  dn 
zweites  Fußeisen.  Dos  Einsdimiedegeld  betrug  in  der  eisten 
Klasse  3  Tater  8  Groschen,  in  der  zweiten  2  Taler  12  Groschen, 
in  der  dritten  1  Taler  8  Groschen.  Es  mußte  von  der  Zivil- 
Obrigkeit  entrichtet  werden;  für  Soldaten  wurde  nichts  gezahlt 
»Wann  hingegen  ein  Regiment  oder  andere  Unterobrigkeif^  in« 
gleichen  die  Anverwandten  einen  auf  dem  Feshingsbau  Gesessenen, 
so  die  Zeit  ausgehalten,  los  haben  wollen,  so  mfissen  dieselben 
oder  der  Delinquent  selbst  das  Ausschmiedcgdd  an  2  Talern 
12  Groschen  erlegen.«  Das  Leben  dieser  Sträflinge  in  ihren 
unterirdisdien  RSumen  lomn  man  fost  als  tierisch  bezdchnen. 
Zur  Nahrung  bekamen  sie  nur  Wasser  und  Brot,  wöchentlich 
etwas  Salz.  Wenn  sie  Geld  hatten,  durften  sie  sich  Kofent,  Bier 
oder,  was  sie  sonst  wollten,  anschaffen.  Vorübergehende  bettelten 
sie  um  Ainio:>cn  an,  .rdavon  sie  sich  hcniaciiinals  etwas  zu  gute 
tun".  Jährlich  bekamen  sie  einen  langen  grauen  Tuchrock  und 
Hemden,  um  nicht  bloß  zu  gehen.  Mit  stumpfen  Sagen  mußten 
sie  Steine,  Marmor  oder  Jaspis,  vonemanderschneiden,  Kanonen 
putzen  oder  bei  Hof-,  Festungs-  und  Militärgebäuden  Baumaterial 
herbeischaffen.  Ertappte  man  einen  bei  verbotener  Korrespondenz, 
oder  machte  er  sich  eines  neuen  Vergehens  schuldig,  so  wurde 
er  mit  beiden  Händen  an  eine  Säule  K^'^'^iilo^sen  und  vom 
Steckenknecht  nu!  einer  starken  Karbatsche  gestraft.  Solche 
Soldaten,  die  das  Leben  venvirkt  hatten,  aber  zu  lehenslänglichem 
Festungsbau  begnadigt  worden  waren,  konnten  gebrandmarkt 
werden,  »damit  sie,  wenn  sie  sich  etwan  losmachen,  desto  kennt- 
licher sein  mögen".  Die  Brandmarkung  geschah  auf  der  Stirn, 
dem  Rücken  oder  unten  an  einer  Hand,  nwo  die  wenigsten 
Flechsen  liegen  und  folglich  keine  Lähmung  zu  besorgen,  den- 
noch aber  wohl  wahrzunehmen  ist«.  Je  nach  der  zuerkanntetti 
aber  eriassenen  Todessh-afe  hatte  das  Bruidzeichen  die  Form 
eines  Schwertes,  Rades  oder  Galgens. 

Wenn  Iccander  in  seiner  sächsischen  Kemchronik,  dem 


Digitized  by  Google 


Skizzen  von  der  ehemaligen  kursächsischen  Armee. 


203 


vorstehende  Schildeniiig  enUiommen  is^  erwfthnt,  einem  Deserteur 
seien  1705  auf  dem  Neumarkte  in  Dresden  unter  der  Justiz 
beide  Ohren  abgeschnitten  und  diese  mit  zwei  Nägeln  an  den 
Galgen  genagelt  worden,  worauf  der  Schinderknecht  den  also 
Abgestraften  zum  Tore  hinausgeführt  und  forigejagt  habe,  so 
dfiifte  diese  Art  der  Bestrafung  für  Desertion  anststt  des  Shwtges 
zu  den  Ausnahmen  zu  rechnen  sein.  Denn  das  Abschneiden 
der  Nase  und  der  Ohren  hatte  nach  dem  Duellmandat  §  1$ 
einzig  und  allein  bei  denjenigen  zu  erfolgen,  »die  sich  um 
Gewinstes  willen  gebrauchen  ließen,  andere  auszuprugeln  und  zu 
kaibatscfaen«.  Wohl  aber  tritt  uns  noch  ein  anderes  mittelalter- 
liches Verfahren  entgegen,  nach  dem  einem  Soldaten,  der  sich 
»mit  Tätlichkeiten  seinem  Offizier  im  Kommando  und  Dienst 
widersetzte",  vor  der  Hinrichtung  die  rechte  Hand,  mit  der  er 
sich  vergangen  halte,  abgehauen  wurde.  Zwei  derartige  lalle 
kamen  1713  und  1743  vor.  -  Damit  dürfte  das  etwas  grausige 
Kapitel  der  jx  mlichen  Soldatenstrafen  erschöpft  sein. 

Wir  wenden  uns  nun  zu  den  Ehrenstrafen.  Sie  zerfielen  in 
solche,  durch  welche  einer  nur  an  seiner  Ehre  gekränkt  und  «auf 
einen  niedrigeren  Dienst  heruntergesetzt",  zweitens  in  solche,  durch 
welche  einer  gänzlich  ehrlos  und  zum  Schelm  gemacht  wurde.  Zu 
den  ersleren  gehörte  das  Setzen  auf  die  Schild  wache.  Offiziere  und 
Unteroffiziere  verloren  während  der  Dauer  ihres  Aufenthaltes 
daselbst  ihre  Charge  und  das  damit  verbundene  Einkommen. 
Sie  erhielten  nur  den  Sold  eines  Gemeinen,  das  übrige  fiel,  wenn 
man  einen  Fall,  der  erwähnt  wird,  verallgemeinern  darf,  der 
Invalidenkasse  anheim.  Die  gänzliche  Entsetzung  von  einer 
Charge,  die  Kassation,  bei  Unteroffizieren  Degradation,  trat  ein 
bei  Erpressungen,  »Geldschneidereien",  Verkürzung  der  den 
Untergebenen  zustehenden  Qebühmisse,  Subordinationsveiig;ehen, 
bei  nicht  getaner  Schuldigkeit  vor  dem  Feinde;  femer  wenn  sich 
im  Felde  Offiaiere  oder  Unteroffiziere  bei  der  Reserve  vom 
Rcgimente  entfernten,  wenn  sie  sich  bei  der  Werbung  des  Eigen- 
nutzes und  der  Odderpressung  schuldig  machten,  oder  wenn 
dn  Offizier  dnen  Mann  sdner  Kompagnie  zu  Privatdiensten  oder 
zur  Wartung  der  Proviant-  oder  der  dgenen  Pferde  gebraudite. 
Zu  den  Ehrenstrafen  ist  auch  zu  rechnen,  wenn  Reiter,  die  sich 


204 


Bernhaiü  Wolf. 


vom  üaigen  losgespielt  hatten,  eine  Zeitlang  ohne  Sporen  reiten 
mußten,  ein  Fall,  der  im  Jahre  1  706  vorkam,  oder  wenn  eine 
Truppe,  die  »in  Schlachten,  Attaken  oder  Defensionen  flüchtig 
gieworden«  war,  dazu  venirtdit  wurde,  das  Lager  zu  reinigen 
und  außerhalb  desselben  zu  kampieren. 

Die  stärkste  Ehrenstrafe  war  die  Chrlosmachung  cum  infamia, 
wodurch  der  Missetäter  weiterer  Dienste  für  unwürdig  erklAtt 
wurde.  Diese  Strafe  konnte  wegen  verschiedener  schwerer  Vetgehen 
als  Betrug,  Unterschlagung,  Verkürzung  der  den  Unteigebenen  zu- 
kommenden Oetiflfamisse  verhfingt  werden,  besonders  aber  trat  sie 
ein  bei  Deserteuren  und  solchen  Kri^gefimgenen,  die  auf  ihr  Wort 
entlassen  worden,  aber  nicht  wiedeigelcommen  waren,  bei  flüchtigen 
Duellanten  und  Provokanten.  Die  Namen  der  Schuldigen,  die  auf 
einer  Blechtafd  eingegraben  waren,  wurden  im  Beisein  eines  Kom- 
mandos von  200  Mann  durch  den  Henker  an  den  Qalgen  g^schlag^. 
Früher  hatte  man  (nach  Regals  Reglement)  die  Namen  mit  großen 
Buchstaben  auf  Peigament  geschrieben,  >damit  es  desto  länger  wegen 
Ungewitlers  bestehe«,  doch  erwies  sidi  dieses  Material  als  nicht 
dauerhaft  genug,  weshalb  man  schlieBIich  Blechlafeln  wShIte.  Der 
Nachrichter  erhielt  für  das  Anschlagen  eines  Bleches  1 6  Groschen» 
fOr  zwei  zusammengelötete  Btedie,  ohne  Rücksicht  auf  die  Zahl 
der  darauf  stehenden  Namen,  1  Taler  8  Groschen.  Wurde  aber 
die  Ehrlosmachung  an  der  Person  selbst  vorgenommen,  so  ge- 
schah dies  öffentlich  und  unter  folgenden  Z  crcinonien*  n  daß 
nämlich  nach  kürzlich  beschehener  Deklaration  der  Infamie  der 
Stecl<enknecht  den  Delinquenten  aus  dem  Kreise  mit  dem  huße 
stößet  (daher  erklärt  sich  die  Redensart  jemanden  ausstoßen) 
der  Scharfrichter  ihn  darauf  ergreifet,  seinen  Degen  zerbricht, 
die  Stücken  ihm  auf  beiden  Seiten  um  den  Kopf  herum 
schmeißet,  sodann  vor  die  Füße  wirft  und  auf  ewig,  nach  zu- 
vörderst geleistetem  Urfeden,  des  Lrandes  verweiset." 

Der  Fhrlosmachitng  gegenüber  stellen  wir  ffiq^üch  die  Ehr- 
lichmachung,  für  welches  gute  deutsche  Wort  durchaus  über- 
flüssigerweise heutzutage  der  Ausdruck  Rehabilitierung  getreten 
ist  Darunter  verstand  man  .»diejenige  gewöhnliche  Handlung 
bei  der  Miliz,  vermöge  \\  elcher  derjenige,  der  durch  ein  Ver- 
brechen oder  unehriiche  Hantierung  seine  Ehre  verloren,  selbige 


Skizzen  von  der  ehemaii]^en  kursach^ischen  Annee. 


205 


durch  Schwenkung  der  halme  oder  SUiidarte  über  sich  wieder 
erlanget".  Da  sowohl  die  SUafe  der  Ehrlosigkeit  wie  »der 
Ersatz  der  Ehre"  durch  ein  richterliches  Urteil  ausgesprochen 
wurde,  so  konnte  auch  die  Ehrlichinachuug  „oiine  der  Generalität 
Vorwissen  und  desfalls  geschehene  Anfrage  nicht  erfolgen«.  Diese 
trat  besonders  ein  bei  wiedererlangten  Deserteuren,  deren  Namen 
an  den  Galgen  geschlagen  worden  waren.  Ein  besetztes  Kriegs- 
recht  hatte  zunächst  die  Entfernung,  »das  Aushauen  der  Namen 
auf  dem  Bleche  auszusprechen  und  dadurch  die  Schuldigen  von 
der  durch  Anheftung  ihrer  Namen  an  die  Justiz  aufgelegten 
Infamie  zu  befreien;  es  folgte  dann  eine  Militärstrafe,  in  der 
Regel  Gassenlaufen,  worauf  erst  die  eigentliche  Ehrlichmachung 
durch  Schwenken  der  Fahne  über  dem  Betreffenden  eintreten 
konnte.  Die  Entfernung  des  Namens  auf  dem  Bleche  geschah  mit 
großer  Feierlichkeit  Eine  Abteilung  Soldaten  stellte  sich  im  Kreiae 
um  den  Oalgen  herum,  alsdann  v.'urde  »die  Order  zur  Abnahme  und 
der  Pardon  für  den  Deserteur  öffentlich  verlesen,  das  Blech,  worauf 
der  Name  des  Deserteurs  gestanden,  abgenommen,  solches  zer* 
schnitten  und  weg-  oder  ins  Wasser  geworfen,  Aber  alles  aber 
vom  AndHenr  dne  Regishitur  gefertigt*.  War  der  Deserteur  bei 
seiner  Ehrlichmachung  selbst  g^genwirtlg^  so  stand  der  Fihnrich 
mit  der  Fahne  in  der  Mitte  des  Kreises^  der  Deserteur  ging  hin- 
ein und  kniete  links  von  der  Fahne  nieder.  Der  Auditeur  verlas 
das  Prodama  weg^  der  anbefohlenen  Ehrlichmachung^  worauf 
die  Fahne  dreimal,  im  Namen  ihrer  königlichen  Majcsü^  der 
hohen  Qenenlittt  und  des  Regiments  Ober  dem  Delinquenten 
geschwungen  und  ihm  damit  sein  ehrlicher  Name  wiedergegeben 
wurde.  Wenn  der  Deserteur  bei  der  «Aushauung  des  Namens 
an  der  Justiz«,  was  mit  Hammer  und  Meißel  geschah,  nicht  gegen- 
wärtig war,  so  konnte  die  erfolgte  Ehrlichmachung  auch  nur 
durch  Regimentsbefehl  bekannt  gegeben  werden.  Nkht  nötig 
war  sie,  wenn  der  FahnenflOchtige  auf  Qnind  ehies  Oeneral- 
pardons  aus  freien  Stücken  zurückgekehrt  war. 

Infolge  des  militärischen  Standesbewußtseins,  das  bei  hoch 
und  niedrig  aufs  schärlste  ausgebildet  war  und  in  gradezu  pein- 
licher Weise  gepflegt  wurde,  lud  einer  schon  den  Makel  der  Un- 
ehrlichkeit auf  sich  und  wurde  zum  Sciielni,  wenn  er  wider 


206 


Bemhaxd  Wolf. 


Wissen  und  Willen  nni  einem  unehrlichen  Menschen,  z.  B.  dem 
Scharfrichter  oder  einem  setner  Knechte,  getrunken,  eine  diesen 
gehörige  Sache  berührt,  einen  Hund  unversehens  mit  einem  Steine, 
Stocke  oder  Fuße  »tot  geschmissen  oder  andere  dergleichen  Fatalität 
gehabt"  hatte:  er  mußte  ciann  wieder  ehrlich  gemacht  wctcIlh. 
Diese  »ungereimten  Präjudizien"  ließ  man  nach  dem  Reglement 
von  1753  zwar  fallen,  doch  kam  die  Zeremonie  des  Fhrlich- 
machens  dann  und  wann  noch  vor.  Unbedingt  notwendig  aber 
war  sie,  wenn  ein  Stecken kn echt,  der  zu  den  unehrlichen  Leuten 
gehörte,  den  Wunsch  hegte,  Soldat  zu  werden.  Für  diese  For- 
malität iiab  CS  eine  £!:an7  bestimmte  N  orschrift,  die,  weil  sie  knltür- 
historisch  interessant  ist,  im  Wortlaute  mitgeteilt  werden  mag. 
„Es  werden  vom  Regimente  200-300  Mann  mit  den  nötigen 
Oberoffizieren,  Unteroffizieren  und  Tambouren  kommandiert  und 
davon  ein  Bataillon  formiert.  Die  Leibfahne  wird  von  dem 
ältesten  Fähnrich,  wie  gewöhnlich,  vor  dem  Zentrum  des  Bataillons 
geführt.  Der  Major  lißt  da?  Gewehr  schultern  und  einen 
Kreis  formieren.  Wenn  er  formiert  ist,  tritt  der  Fähnrich  mit 
der  Leibfahne  und  der  Adjutant,  mit  einem  Regimentshut  und 
Seitengewehr  versehen,  zu  dem  Major.  Der  Auditeur  verliest  die 
der  Ehritdimachung  halber  an  das  Regiment  etg^ngene  Order, 
der  Stecicenknecht  kommt  auf  allen  Vieren  in  den  Kreis  gekrochen. 
Der  Major  fragt  ihn:  ,Was  ist  dein  Begehr?  Er  antwortet:  Jch 
bitte  um  Gottes  willen  um  meinen  ehrlichen  Namen/  Der  Major 
«agt  dem  Regiment,  daß  gegenwStliger  Mensch  seinen  elenden 
Zustand  verlassen  und  dem  Könige  und  Vaterlande  als  ein  ehr- 
licher Kerl  zu  dienen  verUmge,  vorher  aber  um  Gottes  willen 
um  seinen  ehrlichen  Namen  bitte.  Er  t)efngt  das  Regiment^  ob 
sie  dawider  etwas  einzuwenden  haben  oder  ihren  BeiiUt  durch 
deutliches  Jawort  von  sich  geben  wollten.  Wenn  das  erfolgt, 
sagt  der  Major  Supplilouiten:  ,Es  soll  dir  deine  Bitte  gewflhrt 
werden.'  Er  Iflßt  das  Gewehr  piisentieren  und  befiehlt  dem 
Fähnrich,  Supplikanten  ehriich  zu  machen.  Der  Fähnrich  naht 
sich  mit  der  Fahne  außer  dem  Schuh,  giebt  dem  Supplikanten 
drei  Stöße  auf  das  Hinterteil  des  Kopfes  und  sagt  beim  ersten: 
,Im  Namen  Ihro  Königlichen  Majestät',  beim  zweiten  r  ,Im  Namen 
•der  hohen  üeneralitat',  beim  diiUen:  ,ini  iNauien  des  löblichen 


SkizKn  von  der  ehemaligen  kinsidisisclKii  Armeei 


207 


Rcjgimenls  wird  dir  dan  ehrlicher  Name  gegdwn'.,  Supplilont 
$teht  auf,  kQ8t  dem  Major  den  Steigbügel,  neigt  sich  gegen  die 
Fahne  und  das  Regiment,  und  wenn  ihm  von  dem  Adjutanten 
der  Hut  aufgesetzt  und  der  Pallasch  umgeschnallt  worden,  ver- 
mahnt der  Major  den  neuen  Soldaten,  die  ihm  von  der  Generalität 
und  deni  Regiment  erzeigte  Gnade  durch  sein  Wohlverhalten 
zu  erkennen,  verbietet  dem  Regiment,  daß  niemand  sich  unter- 
stehen soll,  ihm  seinen  vorigen  Stand  vorzuwerfen,  läßt  das  Ge- 
wehr schultern,  den  Kreis  öffnen  und  das  Regiment  oder  die 
dazu  kommandierte  Mannschaft  einrücken,  die  Fahne  mit  gewohn- 
licher Zeremonie  wieder  wegbringen,  und  die  Leute  werden  ab- 
gedankt; worauf  der  ehrlich  gemachte  Mensch  wie  c^ev.nhnlich 
zur  Fahne  verpflichtet  werden  und  der  Auditeur  über  den  ganzen 
Actum  die  Ret^istratur  verfertigen  kann.  Ein  dergleichen  Actus 
kann,  ohne  bei  der  Generalität  vorher  deshalb  angefraij^t  zu  haben, 
nicht  vorgenommen  werden."  In  ganz  derselben  Weise  wurde 
die  Ehriichmachung  bei  der  Kavallerie  vorgenommen.  Sie  war 
in  dieser  Form  auch  anderwärts  gebräuchlich,  z.  B.  in  der  bay- 
rischen und  österreichischen  Armee.  Hier  nahm  derjenige,  der 
ehrlich  gemacht  werden  sollte,  den  Hut  »in  das  Maul"  und  kroch 
rückwärts  auf  HiUlden  und  Füßen  vor  die  Kompagnie,  warf  wohl 
audi  seinen  alten  Hut  über  den  Kreis  der  ihn  umgebenden  Soldaten. 

Die  Todesstrafe  wurde  an  einem  Soldaten  bei  militärischen 
Verbredien  durch  den  Strang  oder  die  Arlcebusade^  d.h.  durch 
ErscbieBen  vollsiredct;  Verbrechen  anderer  Art  dagegen  wurden 
nach  den  sonst  geilenden  rechtlichen  Bestimmungeni  z.  B.  noch 
nach  Karls  des  Fflnften  peinlicher  Halsgerichtsordnung  durch 
Schwerte  Rwl|  Diebsgalg^,  Feuer,  Vierteilen  usw.  geahndet  Der 
Tod  am  Oalgen  war  die  gewöhnliche  Strafe  fflr  Deserteure,  doch 
hatten  diese  dabei  den  Vorzug,  an  den  Soldateng^dgen  gehenkt 
zu  werden,  der  aus  einer  hölzernen  Säule  und  einem  oben  an> 
gebrachten  Querholze  bestand,  während  der  sonst  gebräuchliche 
Oalgen  drei  gemauerte  Säulen  hatte,  die  oben  durch  Balken  ver- 
bunden waren.  Der  Körper  des  Gehenkten  wurde  am  Abend 
wieder  abgenommen  und  beerdigt,  dagegen  blieb  er  am  Diebs- 
galgen  bis  zum  At»Eall  hängen.  Im  Felde  und  auf  dem  Marsche 
begnügte  man  sich  mit  einer  einfachen  Holzsäule,  doch  starben 


208 


Bcrahird  Wdf. 


die  Delinquenten  dann  schwerer  und  unter  gr06ercn  Maricni 
als  am  Oalgen.  Zur  Exdnition  wurde  dn  Kommando  in  der 
gewöhnlidien  Sttrke  von  200  Mann  nebsl  «igdiör^^ 
Offizieren,  Unteroffizieren  und  Tambouren  gesteUl;  dagegen  dn 
ganzes  Regimen^  wenn  mehrere  zuglddi  die  Todesstnfe  zu  er- 
leiden hatten.  Den  Bdehl  hatte  der  Major,  der  stets  vom 
mente  des  Verbiediers  sein  muBte.  Er  hatte  das  Urteil  «nadi 
dem  bucfasttblidien  Inhalte"  zu  voUstredten  und  durfte  sidi  durch 
«kdnen  unvenehenen  Zufdl,  Onadenifen  des  Volkes  oder  Auf- 
lauf usw."  daran  hindern  lassen,  »es  wäre  denn,  daB  ddi  auf 
eine  fast  nicht  zu  vermutende  Art  ganz  offenbare  Indicia  von  der 
Unschuld  des  Verurteilten  zu  Tage  legten".  Nur  in  diesem 
Falle  konnte  er  von  der  Vollstreckung  des  Todesurteils  Abstand 
nehmen,  es  mußte  jedocli  sofort  hiervon  durch  den  Auditeur  an 
den  Regimentsküniinandeur  mündlich  Meldung  erfolgen. 

Wenn  das  Komniando  auf  deni  Richtplatze  angekommen 
war,  wurde  ein  Kreis  gebildet  und  der  Verurteilte  durch  den 
Adjutanten,  einen  Offizier,  zwei  Unteroffiziere  und  achtzehn  Gre- 
nadiere hineingeführt;  der  Profos,  ein  Steckenknecht  und  der 
Geistliche  begleiteten  ihn.  Hierauf  las  der  Auditeur  nochmals 
unter  präsentiertem  Gewehr  das  Urteil  vor,  dann  waltete  der 
Henker  seines  Amtes.  -  Befand  sich  die  Justiz  außerhalb  der 
Stadt,  so  wurde  abends  ein  Gefreiter  und  vier  Mann  komman- 
diert, die  niemanden  an  den  Galgen  herankommen  lassen  durften, 
hauptsächlich  aber  den  Nachrichter  und  seine  Gehilfen  schützen 
sollten.  Bei  Vollstreckung  des  Urteils  in  der  Stadt  stand  vbis 
zur  Abnehmung  des  armen  Sünders"  dne  Schildwache  an  der 
Justiz,  den  Pöbel  abzuwehren;  denn  bekanntlich  wurde  mit  dem 
Körper  dnes  Gehenkten  dlerhand  abeigläubiscber  Unfug  getrieben. 

Wenn  sidi  Soldaten,  dte  wegen  Fahnenfludit  oder  dnes 
anderen  Verbrechens  zum  Tode  verurtdlt  waren,  der  Strafe  durdi 
die  Fludit  entzogen,  so  wurden  ihre  Namen,  wie  berdte  erwlhn^ 
an  den  Odgen  gesdilagen,  oder  es  trat  die  Exekution  in  efRgpe 
dn,  indem  ihr  Bildnis  an  den  Galgen  gehenkt  wurde.  Es 
dürfte  dch  bd  diesem  Verfiriiren  wohl  kaum  um  dn  lebens- 
wahres Abbild  der  Verurteilten  gduuuldt  haben  -  wo  bitte  man 
dn  soldies  audi  in  jener  Zeit  hernehmen  sollen?  - ,  sondern  wahr- 


Skizzen  von  der  ebemiUgdi  kureächsiscben  Aimce. 


209 


scheinlich  um  ein  Soldatenbild  überhaupt.  Um  den  Missetater 
jedoch  genauer  zu  kennzeichnen,  wurde  in  dem  Urteil  in  der 
Regel  noch  besonders  verfügt,  daß  sein  Name,  und  warum  er 
zum  Galgen  verurteilt  sei,  unter  das  Bild  gesdmebai  werden 
solle.  Im  übrigen  verfuhr  man  genau  so  wie  bei  einer  v^rklichen 
Exekution.  Ein  Unteroffizier  und  acht  Gemeine  holten  von  der 
Hauptv^che  »die  in  effigie  allda  befindlichen  Delinquenten«  ab, 
zwei  Unteroffiziere  trugen  sie  in  den  Kreis,  den  das  Kommando 
um  die  Justiz  gebildet  hatte,  und  übergaben  sie  dem  Profos» 
Nach  Veftesang  des  Urteils  stieß  dieser  »derer  Delinquenten 
BtUnisse  mit  ihren  Namen,  die  voriiero  an  einer  Letter  bei  der 
Justiz  gewesen,  mit  dem  Fuße«  um.  Der  Knecht  des  Scharfikhiera 
fltiemahm  sie  und  hing  sie  am  Galgen  auf,  »worauf  der  ge- 
schlossene Kreis  hinwiederum  gefiffbet  und  solchergeslalt  der  Exe- 
kutionsakt geendigt  worden*.  So  geschehen  in  Dresden  i.  J.  1 7 1 7. 

SpMer  ¥nirde  die  Strafe  des  Hflngens  Ar  Fahnenflucht  in 
Baugefuigenschaft  verwandelt;  das  kann  aber  nicht  schon  171S 
geschehen  sein,  wie  von  Schuster  und  Frsncke  behauptet  wird, 
da  sich  in  späterer  Zeit  noch  mdufsch  kriegsgerichtliche  Urteile 
finden,  hi  denen  fQr  jenes  Veigehen  auf  den  Strang  erkannt 
wird.  Tatsicblich  ist  der  Oa^  als  SoMatenstnfe  erst  duicfa 
eine  Ordonnanz  v.J.  1804  abgieschafft  worden;  hi  Oebraudi  war 
er  allerdings  sdion  vor  dieser  Zeit  nicht  mehr. 

Die  Arkebusade  fand  statt  bei  tätlicher  Widersetzlichkeit 
gegen  einen  Vorgesetzten  oder  bei  Vergehen  im  Felde,  z.  B.  wenn 
einer  vor  dem  Feinde  seine  Schukiigkeit  nicht  getan  hatte,  wenn 
die  Knechte  Pferd  und  Wagen  im  Stiche  ließen,  die  Pferde  aus- 
spannten und  davonritten  oder  plünderten.  Pjisweilen  erscheint 
die  Kugel  als  eine  Milderung  der  Strafe  am  Galgen:  wenn  man 
jemand  aus  einer  Parti kular-Onad  von  des  Henkers  Hand  befreit", 
heißt  es  bei  Regal.  Der  Verurteilte  hatte  das  Recht,  sich  einen 
aus  semen  Kameraden  auszuwählen,  der  ihm  die  Augen  verband. 
Zum  Feuern  wurden  sechs  alle,  versuchte  Leute  kommandier^ 
die  sechs  Scliritte  von  dem  Dehnquenten,  der  niederkniete,  Auf- 
stellung nahmen.  Auf  das  Kommando  des  Majors  —  früher 
hatte  er  nur  mit  dem  Stocke  ein  Zeichen  gegeben  -  feuerten 
drei  Mann  zu^^ich.  Nach  einem  älteren  Brauche  zielten  zwei 
ArUv  ür  XUfHtieMlitdite.  V.  14 


Digitizec  uy  google 


210 


Bonhinl  Wotf. 


von  ihnen  aufs  Hen,  einer  auf  die  Stirn.  Die  andern  drei  mußten 
sich  fertig  nubchen,  »dem  Delinquenten,  wenn  er  noch  nicht  tot 
ist,  die  Flinte  auf  die  Brust  zu  setzen«.  Die  Leicfae  wurde  sofort 
in  den  auf  dem  Platze  liefindlidien  Sarg  gelegt  und,  »wie  es 
das  Urleil  oder  der  Befehl  mit  sich  brachte«,  bceidigL 

Die  Dezimierung  trat  ein,  wenn  Regimenter  das  Qewdur 
wegwarfen  und,  ohne  sich  von  den  Offizieren  halten  zu  hosen, 
davonliefen.  Dieses  »Spielen  ums  Leben"  geschah  durch  Wflrfd, 
nicht  aber  »vermittelst  Ziehung  gemachter  Lose*.  Die  übrigen 
wurden  mit  Spießruten  bestraft,  nach  einem  kriegsgerichtlicfaen 
Urteil  von  1706  sechsmal  durch  300  Mann.  Auch  sonst  konnte 
um  das  Leben  gewürfelt  werden,  wenn  sich  mehrere  desselben 
Vergehens  schuldig  gemacht  hatten,  aber  nur  an  einem  ein 
Exempel  statuiert  werden  sollte. 

Bisweilen  kam  es  vor,  daß  ein  Delinquent  begnadigt  wurde 
und  nur  „die  Todesangst  ausstehen"  niulite.  In  diesem  Falle 
wurde  alles  wie  bei  einer  richtigen  Exekution  »mit  gewöhnlichen 
Solennitaten"  vorbereitet,  der  Verurteilte  kniete  mit  verbundenen 
Augen  «zum  zu  eru  arten  den  Schuß"  nieder,  der  Major  ließ  fertig 
machen,  worauf  nacii  dem  Kommando:  habt  acht!  dem  Betref- 
fenden die  Begnadigung  zugerufen  und  dann  vorgelesen  wurde. 
Wurde  ein  Missetäter  unter  dem  Oalgen  begnadigt,  so  durfte 
nicht  eher  Pardon  gerufen  werden,  als  bis  ihn  der  Geistliche 
eingesegnet  hatte.  Wenn  es  nötig  erschien,  mußte  ihm  der  Feld- 
scher die  Ader  öffnen.  Nachdem  sich  der  Begnadigte  von  dem 
Schrecken  erholt  hatte,  wurde  an  ihm  in  der  Regel  eine  ver- 
schärfte Strafe  durch  Spießruten  vollstreckt.  So  begnadigte  1742 
Johann  Adolf  Herzog  zu  Sachsen -Weißenfels,  weil  er  »das  über- 
nommene Kommando  nicht  gerne  mit  Vergießung  Menschenblutes 
antreten«  wollte,  einen  zum  Tode  verurteilten  Musketier  zur  Aus- 
stehung der  Todesangst  und  zu  sechzehnmaligem  Qassenlaufen 
durch  300  Mann,  was  freilich  einem  Zutodcgeprilgeltwerden  fiast 
gleichkam.  Daraus  erkttrt  es  sich  auch,  daS  manche  die  Begna- 
digung nicht  annahmen,  sondern  die  Vollstreckung  der  Todes- 
strafe veriangten.  Dieser  Fall  ereignete  sich  z.  B.  1745.  Dem 
Verbingen  des  MInquenten  wurde  freilich  nicht  stattgegeben, 
sondern  er  wurde,  «weil  er  in  der  menschlichen  Oesellschaft 


SUzzen  von  der  ehemaligen  kursächsischen  Armee.        2 1 1 


nicht  viel  nfiize  sein  dütfte«,  ohne  Gassenlaufen  bis  auf  weitere 
Verordnung  in  die  zweite  Klasse  des  Festungsbaues  gebracht, 
eine  Strafe,  die  erforderlichen  Falles  mit  üewail  aii  ihm  voll- 
streckt werden  sollte. 

Auch  die  Kadetten  —  die  Errichtung  einer  »Kompagnie 
adliger  Kadets"  fällt  m  das  jähr  1692  -  waren  als  die  künftigen 
Offiziere  der  Armee  den  militärischen  Strafen  unterworfen.  Alle 
Sonn-  und  Festtage  mußten  sie  dem  öffentlichen  Gottesdienste 
«mit  aller  Devotion  bis  zu  Ende  beiwohnen  und  durften  sich 
nicht  in  Sciiankhäiisern  oder  anderen  ungebührlichen  Orten  be- 
treten lassen  i,bei  Vermeidung  des  Pfahlstehens,  Gefängnis  bei 
Wasser  und  Brot,  Abzug  vom  Traktament,  auch  wohl  gar  der 
Kassation".  Wer  sich  im  erstercn  Falle,  den  Gottesdienst  be- 
treffend, verging,  mußte  den  achten  Teil  seine  Gage  oder  zwölf 
Groschen  ad  pios  usus  erlegen ;  wegen  Sakramentierens,  d.h.  Fluchens» 
wurde  er  vier  Wochen  im  Gefängnis  bei  Wasser  und  Brot  ge- 
halten, wegen  Gotteslästerung  aber  vor  ein  Kriegsrecht  gestellt 
und  nach  Befinden  an  Ehre,  Leib  und  Leben  gestraft  Auf  un- 
erlaubte Entfernung  aus  der  Festung,  also  aus  Dresden,  stand 
dreitägiges  Pfahlstehen,  jeden  Tag  vier  Stunden,  ebenso  auf  Aus- 
bleiben über  den  Zapfenstreich;  Übersteigen  der  Festung  wurde 
kriegsgerichtiich  bestraft  Saufen  und  Spielen  war  bei  Verlust 
eines  h^ben  Monateiraktamenls,  Hurerei  bei  harter  Leibessfaafe^ 
ja  Kassation  verboten.  Wurde  bei  den  Kadetten  «eine  aus- 
schweifende AuffQhning«  hinsichtlich  der  Subordination  oder  in 
ihrer  Lebensart  vernierkt,  oder  wurden  unter  ihnen  »ungebfihr- 
licfae  Händel  angesponnen*,  so  sollte  dem  Urheber  nach  Be- 
schaffenheit des  Vergehens  *die  Montur  ausgezogen,  sein  Name 
aus  denen  Listen  gestrichen  und  er  von  dem  Korps  weggeji^ 
oder  auf  die  Festungen  bei  Wasser  und  Brot  in  Haft  gebfadtt 
werden«.  Mit  Kassation,  auch  harter  Leil)es-  und  Ge&ngnkshafe 
sollte  derjenige  belegt  werden,  der  sich  unterstand,  »einen  ge- 
schliffenen D^n  zu  f&hren  oder  zu  hegen«. 

Wenn  sdilieSlich  noch  das  Duellmandat  von  1706,  er- 
neuert 1712  und  1737,  mit  einigen  Worten  erwähnt  wird,  so 
steht  dies  ja  nicht  in  unmittelbarer  Bezidiung  zum  Thema,  da 
auch  der  Zivilstand  davon  betroffen  wurde,  aber  eine  kurze  Be- 

14* 


212 


Bernhard  Wolf. 


spicdiung  desselben  eiBchemt  insofern  gerechtfertigl,  ab  geiade 
MiUttrpersonen  am  mdsten  mit  ihm  in  Konflikt  geraten  adn 
dflrffeen.  Denn  die  Duellwnl^  noch  ein  tranriger  Obenest  ans 
der  Zeit  der  Landsknechte^  war  unter  den  Soklaten  in  den  ersten 
jahnehnten  des  18.  Jahthunderls  sehr  groB;  gienihrt  wurde  sie 
durch  den  ins  flbertriebene  entwickelten  Begriff  emer  besonderen 
milittrisdien  Ehre  bei  allen,  die  der  Armee  angehörten.  Es 
duellierten  sich  ntmlich  nicht  etwa  nur  Offizieiei  auch  Unteroffiziere, 
sdbst  Gemeine  suchten  ihre  whUicfa  oder  vermdnllich  verletzte  Ehre 
mit  der  Waffe  in  der  Hand  wiederhenustellen.  1 772  forderte  dn 
Leutnant  sogar  sdnen  dgenen  Bruder  zum  Zweikampfe  heraus. 
Man  dudlierte  sich  zu  Roß  und  zu  Fuß,  mit  Pistolen  und  Degen. 
Hierbei  hatten  sidi  die  aus  dem  Dreißigjährigen  Kriege  stam< 
menden  Gebräuche  noch  lebendig  erhalten.  Wie  G.  Freytag  erzählt, 
gaben  sich  die  Gegner  vor  dem  Beginn  des  Zweikampfes  die 
Hände,  umarmten  sich  wohl  auch  und  verziehen  einander  im 
voraus  ihren  ctuaigen  Tod.  Wer  fromm  war,  gmg  vorher  ZU 
Beichte  und  Abend nuihl.  Es  kam  auch  vor,  daß  derjenige,  der 
tödlichen  Ausgang  wollte,  scmen  Mantel  auf  die  Erde  breitete 
oder  mit  dem  Degen  ein  Viereck,  als  Hinweis  auf  das  Grab, 
auf  den  Boden  zeichnete.  Daraus  nun,  daß  man  es  für  nötig 
hielt,  besondere  Gesetze  gegen  die  Duelle  zu  erlassen,  läßt  sich 
auf  ihr  häufiges  Vorkonmien  schließen,  und  daraus  erklären  sich 
jedenfalls  auch  die  überaus  harten  Strafen,  mit  denen  diejenigen 
bedroht  wurden,  die  get^en  das  Gesetz  handelten.  Kursachsen 
stand  darin  aber  nicht  etwa  allem:  auch  in  anderen  Staaten,  in 
Preußen  und  Österreich,  ging  man  mit  derselben  Strenge  gegen 
die  Duellanten  vor,  die  Rauflust  muß  also  allgemein  gewesen  sein. 

Man  mag  sich  nun  zur  Duellfrage  stellen,  wie  man  will, 
auf  keinen  Fall  wird  man  die  zum  Teil  schimpflichen  Strafen, 
mit  denen  die  Zuwiderhandelnden  bedroht  wurden,  billigen  können. 
Schon  die  Herausforderung  zum  Duell  —  es  wird  deutsch  als 
Selbstrache  bezeichnet  -  wurde  mit  einem,  zwei,  vier,  sechs  Jahren 
Ge&ngnis  oder  Feshingsbau,  der  wirkliche  Zweikampf»  wenn  er 
»ohne  Entleibung«  vor  sich  gegangen  war,  mit  acht-  oder  zehn- 
jährigem Oeftngnis  oder  mit  Feshingsbau  bestraft  Wer  seinen 
Gegner  gelötet  hatte  -  bezeichnenderweise  wird  er  un  Mandat 


Sldscii  vM  der  cimitliscB  knuicliiiitAcn  Araiecv 


213 


Mörder  genuint  -  wurde  nach  Zeiteediung  des  Degens  mit  dem 
Schwerte  gerichtet  oder  zum  Tode  am  Qalgen  verurteilt.  Diese 
Strafe  wurde  sogar  an  dem  Oebliet>enen  vollstreckt;  der  Nach- 
richter schaffte  den  Leichnam  weg  und  hing  ihn  an  den  Galgen, 
woran  er  bis  zum  Abfall  blieb.  »Dies  geschieht  dergestalt",  heißt 
es  in  §  40  des  Duellmandats,  „daß  der  Entleibte  dem  Nachrichter 
in  Gegenwart  eines  Unteroffiziers  und  sechs  Mann  von  einem 
anderen  Unteroffizier  übergeben  und  solcher,  nachdem  er  ad 
locum  iudicii  gebracht,  von  dem  Henker  in  den  hierzu  komman- 
dierten Kreis  getragen  und  aufgehenkt  wird."  Daß  dies  wirklich 
geschah,  erzählt  Iccander  in  seiner  mehrfach  ePA'ähnten  Kern- 
chronik. Danach  wurde  1718  in  Freiberg  ein  Soldat,  der  seinen 
Kameraden  im  Diieü  erstochen  hatte,  an  den  öffentlichen  Galgen 
gehenkt,  der  Entleibte  aber  in  einem  Sacke  ,;ihm  an  der  Seite  des 
(jalgens  zugleich  adiungieret".  Dasselbe  geschah  1  720  in  Torp^au, 
wo  zur  Exekution  zwei  volle  Regimenter  kommandiert  wuiden. 
Diese  schimpfliche  Strafe  trat  nicht  ein,  wenn  der  Getötete  »von 
Add  oder  selbiger  Privilegien  teilhaftig"  war;  ebenso  waren  davon 
ausgenommen  alle  in  wirklichen  Diensten  stehenden  und  ehren- 
voll verabschiedeten  Oberoffiziere  bis  auf  den  Adjutanten,  Kornett 
und  Fähnrich  einschließlich,  solange  die  Verabschiedeten  nicht 
»gemeine  t)fligerliche  und  Bauemnahning"  trieben.  Fiel  einer  von 
den  Genannten  im  Duell,  ao  wurde  der  Leichnam  »außerhalb 
des  Kirchhofe  oder  an  dem  Ort,  wo  die  Misselftler  hingelegt 
werden,  durch  den  Totengräber  in  der  Stille  begraben«.  Bis- 
weilen traf  aber  auch  eine  Milderung  der  vorgesehenen  Shafe 
ein,  oder  die  Untersuchung  wurde  nledergeschlagai  oder  der 
Übertreter  Oberhaupt  begnadigt 

Fifichtige  Duellanten,  die  ihren  Gegner  getötet  halten, 
wurden  steckbrieflich  verfolgt  und  durch  Ediktalverfahren  vor- 
gdftden.  Erschienen  sie  nicht,  dann  wurden  sie  für  infam  erklärt 
und  ihr  Bildnis  mit  Daruntersetzung  des  Namens  an  den  Oalgen 
gehenkt  Aller  hotz  aller  schweren  Strafandrohungen  kamen 
doch  fortgiesetzt  Übertretungen  des  Duellmandates  vor;  ausgerottet 
wurde  auch  hierdurch  das  Übd  keineswegs^ 

Neben  den  Zweikämpfen  waren  die  sogenannten  Renoonta«s 
an  der  Tagesordnung.   Sie  entsprangen  bisweilen  dienstlichen 


214 


B«-nhard  Wolf. 


Differenzen,  in  der  Regel  aber  waren  sie  eine  Folge  des  über- 
mäßigen Genusses  geistiger  Getränke.  Auch  hierbei  zeigte  sich 
die  ganze  ungebundene  Wildheit  des  Soldaicnlebens  jener  Zeil; 
stets  war  man  zu  schneller  Tat  bereit;  rasch  waren  die  Degen 
gezogen,  und  so  endigten  dergleichen  Zwistigkeitcn  fast  immer 
mit  blutiger  Verwundung,  nicht  selten  mit  dem  Tode  des  einen 
oder  des  anderen  hadernden  Teiles.  Diejenigen,  die  sich  eines 
solchen  Vergehens  schuldig  machten,  wurden  im  Duellmandat 
mit  halbjährigem  (1706)  bis  einjährigem  (1712)  Gefängnis  be- 
droht; tand  emc  F.ntleibune^  statt,  so  wurde  der  Fall  nach  dem 
-im  gemeinen  Recht  vorgeschriebenen  modo  procedendi  und  der 
darin  festgesetzten  Strafe"  abgeurteilt.  Ein  bei  einer  derartigen 
Gelegenheit  Getöteter  wurde  außerhalb  des  Friedhofs  oder  auf 
dem  Kirchhofe  da,  wo  die  Missetäter  lagen,  in  der  Stille  beerdigt; 
eine  Beschimpfung,  wie  sie  bei  einem  im  Duell  Gefallenen  üblich 
war,  fand  also  nicht  statt.  Daher  erklärt  es  sich  auch,  daß  man 
Zweikämpfe  »unter  dem  Scheine  der  Rencontres  zu  verstecken" 
sudite^  um  so  die  harten»  im  Duellmandat  festgesetzten  Strafen 
zu  vermeiden. 

Vergegenwflrtigen  wir  uns  zum  Sdilusse  noch  einmal  die 
kursäcbsisdie  Armeen  wie  wir  sie  hinsichilich  ihrer  Etigänzung, 
ihrer  inneren  Einrichtungen  und  ihres  Exerzitiums  kennen  gelernt 
haben,  so  wird  man  zu  der  Überzeugung  kommen,  daß  es  mit  ihr 
in  bezug  auf  Mensdienmaterial  und  Ausbildung  nicht  schlecht  be- 
stellt gewesen  sein  kann.  Das  witxl  auch  von  einer  Seite  be- 
stätig^ deren  Urteil  in  dieser  Beziehung  besonders  wertvoll  ist 
In  dem  Werke:  Die  Kriege  Friedrichs  des  Orofien,  heraus- 
gegeben vom  Großen  Oeneralstabe,  heißt  es  nftmlich  1, 1,  S.  100: 
»Die  sächsische  Infanterie  war  mit  großer  Sorgfrit  ausgebildet 
und  taictisch  sehr  gut  geschult  Erreidite  sie  auch  nicht  die 
hohen  Friedensleistungen  der  preußischen  Nachbarurmee,  so  flt>er- 
traf  sie  doch  an  Manneszudit  und  Qefechtswert  die  Fußtruppen 
aller  sonstigen  Heere.  Die  Kavallerie  war  in  guter  Verfassung 
und  in  Ausbildung  und  Kampfwert  jeder  anderen  Reiterei  eben- 
bürtig. Die  sächsische  Armee  zeichnete  sich  durch  ein  sehr 
tüchtiges  Offizierkorps  aus.**  In  ähnlichem  Sinne  urteilte  der 
französische  Marschall  Belleisle,  mdem  er  sich,  aiä  er  im  Früh- 


^  .  .  l  y  Google 


Skizzen  von  der  diemaligen  kindchsadien  Armee. 


215 


jabr  1741  das  kursiciisisdie  Heer  gesehen  haMe,  dahin  lufierte, 
daß  König  August  »Ober  buter  schöne  und  gut  exerzierte 
Truppen«  verfQge. 

Ihre  Tfiditigkeit  bewies  denn  auch  die  kursldisisciit  Armee 
in  den  Kämpfen,  an  denen  sie  im  18.  Jahrhundert  teilnahm. 
Es  war  ihr  ja  nicht  oft  vergönnt,  den  Sieg  an  ihre  Fahnen  zu 
heften,  aber  bd  jeder  Qel^;enhett  hat  sie  im  vollslen  Maße 
ihre  Schuldigkeit  getan  und  dem  sächsischen  Namen  jederzeit 
Eiire  gemaclit 


Digitized  by  Google 


Der  Einfluß  der  Juden 
auf  die  Leipziger  Messen  in  f rütierer  Zeit 

Von  RICHARD  MARKGRAF. 


1. 

Es  ist  dne  historische  Tatsache^  dafi  die  Handdsslidte  von 
alters  her  auf  die  Juden  eine  starice  Anziefaung^lcnft  ausge&bt 
haben.  Auch  die  Handelsmetropole  Leipzig  lenldie  schon  zdlig 
das  Interesse  des  jfidtschen  Elements  auf  sich.  Vor  allem  fOhrlen 
die  Messen  viele  Juden  nach  Leipzig.  Dieser  besondere  Umstand 
sowie  die  Bedeutung  und  Beurteilung  der  Juden  im  altgemeinen 
lassen  es  vielleicht  berechtigt  und  interessant  erscfadnen» die 
Geschichte  der  jüdischen  Meßfiersnten  in  Leipzig  einer  Be- 
teaditung  zu  unteiziehen. 

Was  ich  hier  biete,  gründet  sich  zum  großen  Teil  auf  un- 
gedruckte  Akten  des  Ratsarchivs  in  Leipzig,  zum  Teil  stützen  sich 
meine  Ausführungen  auf  Hasses  umfassendes  Werk;  Geschichte 
der  Leipziger  Messen. 

Ich  gedenke  in  den  nachfolgenden  Zeilen  vornehmlich  das 
Volkswirtschaftlich-Statistische  und  Handelspolitische 
aus  der  Geschichte  der  jOdisclien  iMeßiieranten  in  Leipzig  zu  bieten. 

Da  das  Ratsarchiv  erst  vom  Jahre  1675  an  statistische  Nach- 
richten über  die  Meßjuden  in  Leipzig  bringt,  so  war  ich  genötigt, 
dieses  Jahr  als  Ausgangspunkt  meiner  historischen  Betrachtung 
zu  nehmen.  Als  Endpunkt  habe  ich  das  Jahr  1839  gewählt,  weil 
in  diesem  Jahre  der  erste  Jude  in  Leipzig  das  Rürgen  echt  cr- 
hno^e  und  dadurch  nicht  nur  die  Geschichte  der  Juden  in  Leipzig 
einen  gewissen  Abschluß  fand,  sondern  auch  die  Verhältnisse 
der  jüdischen  Meßfieranten  sich  günstiger  gestalteten. 


Der  Einfluß  der  Juden  auf  die  Leipziger  Messen  in  früherer  Zeit  I.  217 


Wann  die  ersten  Juden  auf  der  Leipziger  Messe  erschienen 
sind,  last  sich  mit  Bestimmlheit  leider  nicht  angeben.  Höchst 
wahrscheinlich  haben  sie  sich  unter  Dietrich  von  Lindsbeig,  also 
in  der  zweiten  HUfte  des  13.  Jahihunderis»  zum  eisten  A4ale  in 
Leipzig  eingefunden.  Einmal  spricht  daftkr  der  Umstand,  daß 
Didrich  in  seinem  Lande  eine  von  seinem  Vater  f&r  MeiBen 
gegebene  liberale  Judenordnung,  nach  welcher  den  Juden  zu  Qe- 
tellcn  der  Markttag  vom  Sonnabend  auf  den  Freitag  veriegt  wurden 
bestätigte.  Sodann  stellte  Dietrich  der  Stadt  Uipzig  einen  Handels, 
schutzbrief  aus,  Uiut  dessen  er  alle  Kaufleute,  woher  sie  auch 
waren,  und  was  sie  auch  sein  moditen,  vor  Bedrückung  und 
Beraubung  zu  schützen  versprach.  Endlich  wurde  Leipzig  da- 
mals -  und  nicht  zum  geringsten  durch  die  besondere  Fürsorge 
des  Landesfürsten  -  der  Mittelpunkt  vieler  blühender  Handelsstädte. 

Wahrscheinlich  ließen  sich  unter  Dietrich  \'ün  Landsberg 
auch  Juden  dauernd  in  Leipzig  nieder.  Zu  dieser  Annahme 
berechtigt  die  Tatsache,  daß  die  Juden  überhaupt  in  den  Städten 
Meißens  frühzeitig  Zuflucht  süchte{i  und  selbst  in  Orten  sich  an- 
siedelten, die  im  Handel  Leipzig  nachstanden.  Sichere  Kunde 
über  die  seßhaften  Juden  in  Leipzig  gibt  jedoch  erst  eine  Nach- 
richt aus  dem  Jahre  13  59  Nach  derselben  hatten  die  Juden 
damals  eine  geschützt  gelegene  üasse,  die  sogenannte  Judenburg 
als  Wohnstätte  inne.  Sie  begann  an  der  Barfußmühle  und  zog 
sich  längs  der  Pleiße  bis  zum  Naundörfchen  hin.  An  ihrem  Ein- 
gänge befand  sich  eine  besondere  Pforte. 

Unter  Dietrich  von  Landsberg  erfreuten  sich  sowohl  die 
ansässigen  Juden  als  auch  die  jüdischen  Meßfieranten 
ganz  derselben  Rechte  wie  die  christlichen  Kaufleute.  Diese 
OleichsteUung  wfthrte  jedoch  nur  bis  in  die  Mitte  des  14.  Jahr- 
hunderts. Als  nämlich  im  Jahre  1350  in  Leipzig  die  Pest  arg 
wütete,  wurden  die  Juden  der  Brunnenvergiftung  beschuldigt  und 
infolgedessen  aus  der  Stadt  vertrieben.  Nur  die  sogenannten 
Hofjuden  waren  in  dieser  Zeit  den  Verfolgungen  nicht  aus- 
gesetzt; denn  sie  erfreuten  sich  des  tandesherrlichen  Schutzes, 
wie  z.  E  die  im  Jahre  1364  m  Leipzig  aufgenommenen  HoQuden 
Benjamin,  Samson  und  Aaron  und  die  im  Jahre  1430  in  Leipzig 
sefihaft  gewordenen  HoQuden  Abraham  und  Jordan.  Nach  dem 


218 


Rjchard  Markgraf. 


Jahre  1436  dehnte  sich  jedoch  die  Verfolgung  auch  auf  die  Hof* 
juden  aus,  indem  in  dieser  Zeit  der  Hofjude  Abraham  und  sein 
Schwiegersohn  Jordan  trotz  eines  ihnen  vom  Herzog  Wilhdm  im 
Jahre  1436  ausgestellten  Schutzbriefes  inhaftiert  wurden.  Ehre 
Freilassung  erfolgte  nur  unter  »ewiger*  Verzicbtieistung  auf  alle 
ihre  Habe,  unter  Zahlung  von  4000  »Schock  neue  Sdiildtgle 
Groschen  Freibeiigier  Münze'  an  den  Herzog  Wilhdm  und  unter 
Ausbändigung  aller  Briefe,  die  sie  von  letzterem  und  von  der 
»gnädige  Frauen  von  Sachsen«  in  den  HSnden  hatten,  gleichviel 
ob  sie  Geldschulden  oder  andere  Dinge  betrafen.  Audi  mußten 
Abraham  und  Jordan  die  Briefe  der  fürstlidien  Rtte,  wddie  auf 
Oeldsdiuld  fflr  deren  Person  lauteten,  herausgeben.  Nicht  zurOck- 
entattete  Briefe  sollten  allerwSrIs  »kraftlos  und  tot  sdn*. 

W^n  der  zahlrdchen  Verfolgungen  sind  die  Juden  wahr- 
sdidnlich  auf  lange  Zdt  Leipzig  fern  geblieben.  Für  diese  An- 
nahme spricht  vor  allem  die  eigentümliche  Tatsadie,  daß  das 
Ldpziger  Ralsarchhr  zweihundert  Jahre  hing  über  die  Juden  in 
Leipzig  schweigt.  Erst  vom  Jahre  1 664  an  bringt  es  wieder  dies- 
bezügliche Nachrichten.  Da  jedoch  dieselben  sowie  auch  die 
Aktenstücke  aus  den  folgenden  Jahren  bis  zum  Siebenjäh ritreti 
Kriege  nur  über  Meßjuden  Kunde  geben,  so  muß  man  an- 
nehmen, daß  in  jener  Zeit  kein  Jude  in  Leipzig  seßhaft  war. 
Wahrscheinlich  herrschte  damals  in  Leipzig  gegen  das  jüdische 
Element  noch  immer  eine  gewisse  Abneigung.  Auch  war  das 
Verhältnis  der  Juden  zum  Landesfürsten  nicht  besonders  günstig, 
insofern  die  Juden  relativ  höher  besteuert  waren  als  die 
Christen.  Jeder  jüdische  Mcßfierant  war  verpflichtet,  für  seine 
Person  an  die  Stadtgerichte  i'/^  Taler  zu  7ahlen  wovon  ein 
•Gewisses"  als  Äquivalent  für  das  .Marktrecht  an  die  kurfürstliche 
Kasse  ah/ugcbcn  'Aar,  bemei  mußten  die  Juden,  welche  Güter 
nach  Leipzig  brachten,  auf  der  Wage  vom  Werte  ihrer  Waren 
je  1  Prozent  Zoll  an  den  Kurfürsten  und  an  den  Rat  entrichten. 

Nur  in  bezug  auf  die  Akzise,  d.  i.  die  Abgabe  auf  der  Stadt- 
wage für  die  verkauften  Meßgüter,  waren  die  Juden  den  Christen 
jfgldchtraktiert«.  Jeder,  ob  Christ  oder  Jude,  zahlte  für  1 00  Taler 
Erlös  aus  verkauften  Waren  fünfundzwanzig  Groschen  Abgabe. 
Da  sich  aber  die  christtichen  Kaufleute  über  die  Höhe  dieser 


Der  Eiiiflu0d«rjtidcn  auf  die  Ldfiziga' Messen  in  fnUicrerZdt  I.  219 


Steuer  beim  Rate  beschwerten,  so  ermäßigte  man  ihnen  die  Akzise 
auf  16  Groschen.  Den  Juden  dagegen  ließ  man  diese  Zollermä- 
Biguttg  nicht  zuteil  werden;  und  so  wurde  auch  in  diesem  Punkte 
zwischen  Christen  und  Juden  dn  Unterschied  herbeigeführt 

Um  in  bezug  auf  Alczise  und  andere  Abgaben  eine  Oldch- 
stdlung  mit  den  christlichen  Kaufleuten  zu  erlangen,  wandten 
sich  die  MeBjuden  am  13.  Januar  1664  an  den  Kurf  Arsten. 
Dieser  ging  wider  Erwarten  auf  ihre  Petition  ein  und  verlangte 
von  sachkundigen  Leipziger  Bürgern  ein  Gutachten.  Die  zu 
diesem  Zwecke  erwflhlte  Kommission  sprach  sich  ffir  Oleich- 
Stellung  aus,  ein  Beweis,  dafi  die  Gesinnung  der  Leipziger 
Bürger  gegen  die  MeBjuden  eine  wohlwollende  geworden  war. 

Da  vom  Kurffirsten  keine  Resolution  erfolgte,  so 
wiederholten  die  Juden  ihr  Gesuch  und  verfehlten  dabei  nicht,  zu 
liemerken,  daB  die  Erfüllung  ihrer  Bitte  in  semem  Interesse  liege, 
indem  »hernach  die  Handlung  von  ihnen  anher  stftrker  getrieben  und 
so  die  Intraden  Sr.  Kurfürstlichen  Durchlaucht«  vermehrt  würden. 

Darauf  forderte  der  Kurfürst  am  9.  August  1664  hierüber 
ein  üutachten  vom  Kate  zu  Leipzig,  Derselbe  war  der  Ansicht, 
daß  es  für  den  Leipziger  Handel  /utniglicher  sei,  wenn  man 
Christen  und  Juden  gleichmäßig  besteuere.  Auch  müßten 
die  Juden  bereits  auf  ihre  Person  einen  ziemlich  hohen  Zoll  ent- 
richten, so  daß  eine  weitere  Belastung  derselben  mit  Abgaben 
nicht  nur  eine  Schwächung  des  Handels,  sondern  auch  allerhand 
Betrügereien  der  Juden  zur  Foli^^e  haben  könnte. 

Trotz  zweimaliger  Begutachtung  kam  es  zu  keiner  kurfürst- 
lichen Resolution.  Die  Besteuerung  der  Juden  blieb  nicht  nur 
dieselbe  \^ic  bisher,  sondern  orestaltete  sich  sosjar  noch  un- 
günstiger, indem  die  Juden  außer  der  hohen  Akzise  zwei-,  ja  drei- 
bis  viermal  höhere  Wagegelder  als  die  Christen  zu  entrichten  hatten. 

Diese  ungünstige  Lage  veranlaßte  die  Juden,  den  Rat  um 
Ffirsprache  beim  Kurfürsten  zu  ersuchen.  Als  Grund  für  Er- 
nUlBigung  der  Wagegelder  führten  sie  an,  daß  sie  beträchtlichen 
Personalzöllen  unterworfen  wären,  besonders  zu  den  Leipziger 
Messen  achi  Taler  Schutz-  und  Qeleitsgeld  abstatten  müßten^ 
infolgedessen  von  dem  Besuche  der  Leipziger  Märkte  nur  Schaden 
bitten  und  öfters  »kaum  das  Maul  davon  bringen  konnten«. 


220 


Richard  Markgraf. 


Zugleich  erinnerten  sie  daran,  daß  betreffs  der  Akzise  Johann 
Oeoig  ].  keinen  Unterschied  zwischen  Juden  und  Christen  ge- 
kannt habe,  und  daß  sie  auch  bereits  von  Johann  Qeorg  II.  den 
Bescheid  erhalten  hätten,  daß  man  sie  in  diesem  Punkte  den 
Christen  wieder  gleich  behandeln  werde. 

Da  der  Rat  auf  diese  Petition  -  wahrscheinlich  infolg? 
der  Zuradchaltung  des  Kurfürsten  -  bis  zum  13.  Mai  1665 
keinen  Besdieid  gab,  so  wiederholten  die  Juden  ihr  Gesuch, 
worauf  der  Kurfttrst  dasselbe  nach  abermaliger  Bcgulachiung  des 
Rutes  unter  folgenden  Bedingungen  endlich  gienefamigle: 

1.  Jeder  Jude  hat  den  ersten  Tag  nach  semer  Ankunft  auf 
der  Wage  oder  auf  dem  Rsthause  zu  melden,  welches 
der'  Zweck  seines  Kommens  sei. 

2.  Jeder  Jude  muß  Aber  alle  Waren,  weldie  er  du-  oder 
ausfahren  will,  Auskunft  geben.  Nicht  deklarierte  Oflter 
verfallen  dem  Ride. 

3.  Die  Juden,  welche  mit  Juwelen  handeln  und  davon  fOr 
1500  bis  2000  Taler  verkaufen,  smd  verpflidttet,  einen 
Teil  des  Gewinnes  an  den  Rat  zu  zahlen;  bei  Beträgen 
von  mehr  als  2000  Talern  erhöht  sich  die  Abgabe  pro  100 
auf  ^/j  Taler.  Zu  dieser  Abgabe  seien  sie  auch  dann  ver- 
pflichtet, wenn  die  Juwelen  an  den  Landesfürsten,  an 
dessen  Hofstaat  oder  «an  andere  große  Herren«  verkauft 
wurden,  oder  wenn  die  Juden  sie  nur  auf  Lieferung  ge- 
kauft hätten. 

4.  Auch  diejenigen  Juden,  welche  »mäkeln",  haben  auf  der 
Wage  ein  »  Gewisses**  zu  entrichten. 

Damit  war  die  Frage  bezüglich  der  Meßakzise  der  Juden 
erk'dif;t.  Doch  leckte  die  kurfflrstlichr  Entscheidung  durch  die 
Bedingun.L^eii,  unter  denen  sie  erfol<^'te,  den  Keim  /ii  einem  nt-uen 
Streite  in  dem  handelspolitischen  Leben  der  jüdischen  Mcßfierantcn, 
zu  dem  Streite  um  die  Kontrolle  der  Meßjuden.  Genährt  wurde 
derselbe  besonders  durch  die  Dreistigkeit,  mit  der  einzelne  jfidische 
Kaufleute  die  KontrolltMStinimungen  zu  umgehen  suchten.  So 
z.  B,  unterliefien  manche,  sich  am  Tage  nach  ihrer  Ankunft  bei 
den  zur  Wage  deputierten  Herren  anzumelden.  Auch  zahlten 
viele  ihre  Gebähren  nicht 


Dar  Einfluß  dcrjuden  auf  dteLdpcigv  Mosen  in  fraherer  Zeit  I.  221 


Die  Folge  davon  war,  daß  der  W,  der  bisher  im  Verein 
mit  den  chfistiidien  iCuifleuten  bei  dem  KurfQrsten  Fttrsprache 
eingelegt  hatte^  die  Kontrolle  der  Juden  versdiirfie.  Jeder  Jude 
liatle  sidi  von  nlchsfer  Oslcrmene  an  bd  seiner  Anloinft  unter 
dem  Tore  beim  ZiUluer  zu  mdden,  von  diesem  einen  ToneeUel 
zu  entnelimen  und  damit  binnen  24  Stunden  auf  der  Wage  zu 
erKhetnen  und  dort  den  wahren  Zwedc  seines  Kommens  anzu- 
geben. Auch  erhielt  jeder  Jude  bei  Erlegung  des  Schutzgeldes 
einen  Abgabezettel,  den  er  jederzeit  bei  sich  tiagen,  bei  seiner 
Abreise  aber  nach  bezahlter  Gebühr  laut  eines  im  Jahre  1668 
mit  den  Meßjuden  festgesetzten  Rezesses  abliefern  sollte,  um  dafür 
den  gewöhnlichen  Passierzettel  in  tniplang  zu  nehmen.  Verstöße 
gegen  diese  Verordnungen  sollten  mit  20  Talern  Strafe  und  »nach 
befundenen  Umständen  noch  härter  angesehen  werden«. 

Die  Juden  wußten  aber  auch  diese  Bestimmungen  zu  um- 
gehen,  und  so  erließ  der  Kurfürst  am  2.  Oktober  1682  eine  neue, 
umfangreiche  Verordnung,  welche  die  Juden  noch  schärferer  Kon- 
trolle als  bisher  untersteilte.  Jeder  Jude  mußte  sich  binnen 
24  Stunden  nach  seiner  Ankunft  bei  den  Wagedeputierten  an- 
nielden  und  dabei  berichten,  woher  er  komme,  was  sein  Tun  und 
Handel  sei,  ob  er  einen  Kompagnon  habe,  wer  dieser  sei,  und 
wo  er  logieren  wolle  Ferner  sollte  jeder  Jude  innerhalb  bestimmter 
Zeit  bei  den  Stadtgerichten  sich  melden  und  sein  Schutzgeld 
daselbst  entrichten.  Im  Unterlassungsfälle  träfe  ihn  eine  Strafe 
von  20  Taiem.  Sodann  sollten  die  Juden  mit  Ausnahme  der 
Roßtäuscher  nur  in  der  inneren  Stadt  Wohnung  nehmen,  die 
Roßtäuscher  aber  wies  man  an,  vor  der  Stadt  bei  ihren  Pferden 
zu  bleiben.  EndUcfa  sollte  jeder  jüdische  Meßfienmt  von  seiner 
Obrigkeit  ein  Attest  beibringen,  daß  er  Handelsmann  oder  Kiflmer 
sei  und  hier  mindestens  ffir  600  Taler  Waren  einkaufe.  Wer 
ohne  Attest  die  Leipziger  Messe  besuche,  der  solle  nicht  bloß  mit 
Inhaftierung  auf  eigene  Kosten  bestraft  werden,  sondern  auch  des 
Handels  nach  Leipadg  veriustig  geben. 

Trotz  dieser  scharfen  Kontrolle  und  der  hohen  Akzise  war 
und  blieb  der  Anteil  der  Juden  an  dem  Meßhandel  ein  großer. 
Einen  Beweis  hierfür  bietet  zunächst  die  Frequenz  der  Jfldiscfaen 
Meßfieranten.  Bereits  die  ersten  Aufoeichnungen  Aber  dieselbe 


222 


Richard  Markgraf. 


geben  einen  deutlichen  Beweis  von  dem  steten  Anwachsen  des 
jüdischen  Elements  auf  den  Messen. 

Die  Zahl  der  jüdischen  Meßfienuiten  betrug  innerhalb  der 
Jahre  1675  bis  1680  durchschnittlich  415.  In  dem  nächsten  Jahr- 
zehnt stieg  sie  im  Durchschnitt  auf  4S8  oder  1 7  Prozent  und  in 
den  Jahren  1691  bis  1700  sogar  auf  834  oder  70  Prozent  Diese 
auffallende  Zunahme  hatte  ihren  Grund  darin,  daß  auf  den  Dreifilg- 
jährigen  Krieg»  der  den  MeBhandd  fast  ganz  vernichtet  hatte,  eine 
lange  Friedenszeit  folgte^  in  der  die  Handelsstnifien  wieder  her- 
gestellt und  festere  Rechtsverhältnisse  geschaffen  wuiden.  Besonders 
stark  wurden  die  Messen  von  den  polnischen  Juden  frequentieft 
Die  Ursache  dieser  Erscheinung  ist  in  der  geographischen  Lage 
Polens  zu  suchen,  derzufolge  Polen  angewiesen  war,  den  Handel 
des  Westens  mit  dem  Osten  zu  vermitteln.  Im  Jahre  1680  er- 
schien zur  Michaelisincsse  nur  ein  Jude,  und  zwar  ein  Diener, 
weil  kurz  vor  der  Messe  in  der  Sudt  die  Pesl  wütete.  Die  ge- 
ringe Frequenz  der  jüdischen  Fieranten  auf  den  Messen  des 
näclisten  Jahres  ist  ebenfalls  auf  das  Auftreten  jener  Seuche  zurück- 
zuführen. Eine  Vergleichung  der  Zahl  der  Juden  mit  der  der 
christlichen  Kauflcute  ist  in  dieser  Periode  nicht  möglich,  da  die 
archivalischen  Quellen  erst  von  der  Ostermesse  1  7  56  an  staüsiische 
Nachrichten  über  die  Christen  auf  den  Messen  enthalten.  Aus 
der  Zeit  vor  1  675  fehlen  alle  Anhaltepunkle,  aus  denen  man  auf 
die  Teilnahme  des  jüdischen  Fdements  an  den  Messen  schiießcn 
könnte,  tbenso  haben  sich  über  den  Besuch  der  Neujahrsmessen 
keine  Nachrichten  auffinden  lassen.  Vielleicht  waren  diese  Messen 
für  die  Juden,  wenigstens  für  die  ausländischen,  nur  von  geringer 
Bedeutung,  oder  die  Beschaffenheit  der  Verkehrswege  zur  Winters- 
zeit  machte  ihnen  den  Besuch  dieser  Messen  unmöglich. 

Das  auffallende  Anwachsen  der  Meßjuden  in  den  Jahren  1 696, 
t697  und  1698  ist  wahrscheinlich  einerseits  auf  den  sich  immer 
mehr  steigernden  Umsatz  in  französischen  Waren,  die  von  jeder- 
mann g!em  gekauft  wurden,  Und  andererseits  auf  die  Einwanderung 
französischer  Hugenotten  zurückzuführen.  Die  letzteren  tntgien 
ganz  besonders  zur  Blüte  des  Leipzigs  Handels  und  der  Leipzigier 
Indushrie  bei,  namentlich  auf  dem  Gebiete  der  Qold-  und  Silber- 
spinnerei, der  Posamentiererei  und  der  Handschuhhbriication. 


Der  EfarfluB  der  Juden  auf  die  Leipziger  Messen  in  früherer  Zeit.  I.  22  5 


Sehr  auffallend  in  bezug  auf  den  Meßverkehr  der  Juden  in 
der  ersten  Hälfte  des  18.  Jahrhunderts  erscheint  im  Vergleich 
zur  zweiten  Hälfte  des  1  7.  Jahrhunderts  die  hohe  Zahl  der  Weiber, 
Diener,  Makler  und  iMusikanten.  Wahrscheinlich  entsprachen 
deren  An^ben  nicht  immer  der  Wahrheit,  sondern  es  schmuggelten 
sich  viele  i  landelsjuden  in  der  angeblichen  Eigenschaft  von  Be- 
dienten etc.  mit  ein.  Besonders  genug  waren  die  Michaelis- 
messen 1706  und  1713  besucht  Der  geringe  Besuch  der 
Michaelis  messe  1706  dürfte  darauf  zurückzuführen  sein,  daß 
August  der  Starke  im  September  dieses  Jahres  das  Land  dem 
Feinde  (den  Schweden)  preisgab  und  infolgedessen  die  Kaufleute 
für  die  Sicherheit  ihrer  Waren  keine  (jarantie  hatten,  wäfirend 
der  noch  dürftigere  Besuch  der  Michaelismesse  1713  durch  die 
damals  in  der  Stadt  grassierende  Pest  seine  Erklärung  findet. 
Bezüglich  des  Fernbleibens  der  Juden  auf  den  Neujahrsmessen 
innerhalb  dieses  Zeitraumes  scheinen  noch  dieselben  OrQnde  ob- 
zuwalten wie  im  vorherigelienden  Jahrhundert 

Im  allgemeinen  zeigten  die  Juden  im  neuen  Jahrhundert 
einen  regen  Anteil  an  den  Meßgeschäften.  Im  ersten  Jahrzehnt 
des  18.  Jahrhunderts  wuchs  ihre  Zahl  um  2,40  Prozent,  im  zweiten 
Jahrzehnt  jedoch  fiel  sie  um  9,95  Prozent  In  den  Jahren  1721 
bis  1 730  nahm  sie  wieder  bedeutend  zu,  namlidi  um  16,91  Prozent 
Im  vierten  Jahrzehnt,  1731  bis  1740,  verminderte  sie  sich  um 
2,78  Prozent;  und  in  den  Jahren  1741  bis  1748  fiel  sie  noch 
betidchtlicher,  nämlich  um  18,99  Prozent  Sie  stand  sonach  in  der 
Mitte  des  18.  Jahrhunderls  um  12,41  Prozent  tiefer  als  zu 
Ende  des  1 7.  Jahrhunderts.  -  Oberblicken  wir  die  gesamte  Ent- 
wicklung der  Frequenz  der  MeBjuden  wahrend  der  Jahre  1675 
bis  1748,  so  zeigt  sich,  daß  in  der  Zeit  von  1675  bis  1710  die 
Zahl  der  MeBjuden  stetig  wuchs.  Ihr  Wachstum  behiig  nicht 
weniger  als  90,50  Prozent  In  den  vier  folgenden  Jahrzehnten 
dagegen  war  sie  bedeutenden  Schwankungen  unterworfen.  Am 
geringsten  waren  die  Messen  in  den  Jahren  1675  bis  1680  be- 
sucht, am  stärksten  in  der  Zeit  von  1721  bis  1730.  Im  Durch- 
schnitt kamen  zu  den  Oster-  und  Michaelismessen  der  Jahre 
1675  bis  1748  nicht  weniger  als  750  jüdische  Händler.  Die 
Frequenz  der  Meßjuden  war  demnach  gegenüber  der  21ahl  der 


224 


Rjcfaud  Markgraf. 


jOdischen  MeBfienuiten  im  Jahre  1675  durcfaschaitttidi  uro  111,36 
Prozent,  also  um  mehr  ab  das  DoppeHe  gewachsen. 

Der  Aufschwung  des  jüdischen  Mefivettehrs  im  ersten 
Jahrzehnt  des  18.  Jahrhunderts  hatte  seinen  Omnd  darin,  daß  in 
Leipzig  die  Geld-  und  VerkdirsverhIltaisBe  bessere  waren  ab  in 
der  Meßstadt  f nuilcfurt  a.  d.  Oder.  Selbst  der  Noidiscfae  Krieg 
-  1  700  bis  1721  -  wirkte  seltsamerweise  fördernd  auf  den  MeÖ- 
verkehr  ein,  da  einesteiis  der  Schvvedenkönig  Karl  XII.  den 
Kaufleuten  Schutz  zusagte  und  andemteils  die  Stadt  Leipzig  zu 
der  Ver|)flcgung  und  der  neuen  Ausrüstung  der  sctiwedischen 
Armee  bedeutend  beitrug. 

Der  auffallende  Ruckgang  des  Meßverkehrs  der  Juden  vom 
Jahre  171t  an  lag  darin  begründet,  daß  infolge  Verdachts  der 
Kontagion  die  Fuhren  ans  Schlesien  gehemmt  und  selten  über 
die  Grenze  gelassen  wurden,  sowie  daß  in  Frankfurt  und  Fkeslau 
die  Polen,  sowohl  Juden  als  Christen,  avantajeiert  und  jene  diesen 
gleich  gestellt  wurden,  tndlich  behandelte  man  in  Sachsen  und 
selbst  in  Leipzig  die  jüdischen  MeBfieranten  aus  Polen  wie  ■Bettel- 
juden" und  belegte  sie  mit  hohem  Zoll. 

Das  Steigen  des  jüdischen  Meßverkehrs  im  dritten  Jahrzehnt 
und  das  Stagnieren  desselben  in  dem  folgenden  Jahrzehnt  liatte 
seinen  Grund  in  der  durch  den  französischen  Hof  hervorgerufenen 
und  begünstigten  Nachfrage  nach  Luxusgegenständen,  während 
die  bedeutende  Abnahme  in  dem  fünften  Jahrzehnt  ihre  Erklärung 
in  der  harten  Kriegsführung  Friedrichs  des  Großen  findet,  der 
wShrend  des  ersten  und  zweiten  Schlesiachen  Krieges  alle  Waren 
mit  Beschlag  belegte. 

Ober  die  jüdischen  Handelsleute  auf  den  Messen  der  Jahre 
1749  bis  1755  fehlt  leider  jede  Nachricht  Auch  während  der 
letzten  Kad  Jahre  des  Siebenjihrigen  Kriege  (1758-1763)  und 
in  dem  Jahre  nadi  dem  Friedensschlüsse  (1764)  zeigt  sich  aber- 
mals eine  unausfOUbare  Lücke.  Nur  Ober  die  MeSjuden  innerhalb 
der  ersten  beiden  Kriegsjahre  findet  sich  Material  vor,  und  zwar 
geben  die  Tabellen  von  jetzt  ab  auBer  der  Frequenz  das  Domizil 
<ier  jüdischen  MeBbesuchcr  mit  an.  Auch  ist  die  Zahl  der  MeB- 
juden  mit  der  der  dirisülchen  Kaufleute  in  FuvUde  gestellt 
Auf  der  Ostermesse  1756  betrug  die  Zahl  der  MeBjuden  484» 


Der  Einfluß  der  Juden  auf  die  Le^gcrMoBOi  in  frfiherarZeit  I.  225 


also  ungefiUir  den  fQnften  Teil  von  der  Zahl  der  christlichen 
Meßfieranlen  und  16,24  Prozent  vom  gesamten  Mefiverkehr.  tm 
Veigleidi  zu  der  Frequenz  der  jfidiscfaen  lOuifleute  auf  der  Oster- 
mesae  1 748  war  das  jfidische  Element  um  9,26  Prozent  gewachsen. 
Im  Jahre  1757  jedoch  verminderte  sich  der  Veriiehr  der  MeBjuden 
um  227  oder  46,9  Prozent,  wflhrend  die  Zahl  der  christlichen 
Kaufleute  von  2496  auf  1690  fiel,  also  um  nur  32,3  Prozent 
zurückging;  die  Frequenz  der  jüdischen  Händler  nahm  demnach 
um  14,6  Prozent  mehr  ab  als  die  der  christlichen  Mefifleiinten, 
ein  Beweis,  daß  die  Juden  in  unsicheren  Zeiten  mehr  Vorsicht 
an  den  Tag  legten  als  die  christlichen  Kaufleute.  Wahrscheinlich 
ging  infolge  der  harten  KriegsfOhrung  Preußens  der  Meßverkehr 
von  Kriegsjahr  zu  Kriegsjahr  noch  weiter  zurück. 

Nach  dem  Siebenjährigen  Kriege,  im  Jahre  1765,  betrug  auf 
der  Michaeiismesse  die  Zahl  der  Alelijudcn  276  oder  4,53  Prozent 
von  der  der  christlichen  Kaufleute  und  4,34  Prozent  vom  ge- 
samten Meßvirkchr.  Auf  der  Ostermesse  1  766  zeigt  das  jüdische 
Element  der  Frequenz  im  Jahre  1  756  c^egenüber  eine  Zunahme 
von  10,12  Prozent.  Das  Zahlenverhaltnis  der  jüdischen  und  der 
christlichen  Meßfieranten  war  im  Jahre  1766  eins  zu  zelm.  In 
den  Jahren  1  767  bis  1  769  fiel  die  Frequenz  der  Meßjuden  um  147 
oder  12,87  Prozent,  die  2^hl  der  christlichen  Kaufleute  jedoch 
um  2173  oder  19,79  Prozent,  also  um  6,92  Prozent  mehr  als 
die  der  Juden.  Der  gesamte  Meßverkehr  nahm  um  19,14  Prozent 
ab.  Zu  diesem  auffallenden  Rück  gange  des  Meßverkehrs  trugen 
vor  allem  die  österreichischen  und  brandenburgischen 
Einfuhrverbote  (1768)  bei  sowie  die  Abgaben  an  die  Leip> 
ziger  Leihekasse.  Zur  Abzahlung  der  Kriegsschulden  war 
nämlich  dem  Leipziger  Rate  die  Erhebung  gewisser  Abgaben 
gestattet  worden.  Diese  Steuern  wurden  neben  den  bisherigen 
Abgabe  3"  Geleite,  an  die  Wage  und  Landalczise  er- 
holxn  und  bestanden  darin,  daß  man  auf  die  ein*  und  aus- 
gebenden Waren  im  Werte  von  zwei  Talern  pro  Zentner 
2  Prozent  und  auf  Waren  im  Werte  von  vier  Talern  und  mehr 
1  Prozent  erhob.  Auch  führte  die  Erhebung  der  Abgat>en  an 
die  Leihekasse  zu  Plackereien,  weshalb  gldchfalls  viele  Meßfiennten 
dem  Leipziger  Handel  fem  blieben.  Vornehmlich  vermißte  man 

Aidrfv  «r  Knltnisnclitdite.  V.  IS 


226 


Richird  Markgraf* 


die  Kaufleute,  welche  mit  fremdländischen,  ins  Gewicht  fallenden 
Waren,  wie  z.  B.  mit  russischen  Juchten  und  Talg,  mit  Zeug  und 
Leinwand,  handelten.  Dieselben  brachten  während  dieser  Zeit 
ihre  Handelsgegenslftnde  auf  auswärtigen  Lagern,  t)esonders  in 
Läneburg,  Magdeburg  und  Bremen,  zum  Verkauf. 

In  den  Jahren  1770  bis  1779  waren  die  Messen  durch- 
schnitttlch  von  1652  Juden  und  8597  Christen  besucht  Die  Zahl 
der  jfldiscfaen  Mefifieranten  bebiig  demnadi  19,21  Prozent  von 
der  der  christlichen  Kaufleute;  sie  stieg  innerhalb  zehn  Jahren  um 
60,08  Prozent,  während  die  Zahl  der  chrisIHdien  M^fieranten 
um  7,99  Prozent  und  infolgedessen  der  Oesamtvericehr  um 
1,21  Prozent  zurückging.  Das  Anwachsen  des  jüdischen  Elements 
hatte  seine  Ursache  vor  allem  in  den  hohen  Zöllen  des  preuftischen 
Meßakziselarifs  vom  5.  Mai  1772,  demzufolge  sich  insbesondere 
die  jüdischen  Handelsleute  aus  Böhmen  und  Polen  den  Leipziger 
Messen  wieder  zuwandten.  Sdlsamerweise  wirkte  auch  der 
Russisdi-TÜrldsdie  Krieg  (i  768  bis  1774)  nicht  hindernd  auf  den 
Meßverkehr  ein.  Femer  ließ  man  den  auslandischen  Juden  auf 
ihrer  Reise  in  Sachsen  eine  gute  Behandlung  angedeihen,  was 
viele  ermunterte,  sich  ihre  Waren  persönlich  in  Leipzig  zu  holen. 
In  Frankfurt  a.  O.  dagegen  waren  während  dieses  Jahrzehnts  die 
Messen  äußerst  schlecht  besucht,  da  die  Regie  Friedrichs  des 
Großen,  um  die  inländische  Industnc  zu  heben,  mit  äußerster 
Schärfe  bei  Einfiüjr  auslaiidischer  Waren  ^ehaiidhabt  wurde. 

Ganz  ini  Gegensatz  zu  der  hohen  Frequenz  der  jüdischen 
Mändler  während  der  siebziger  Jahre  steht  die  des  nächsten  Jahr- 
zehnts von  1780  bis  1  789.  In  dieser  Zeit  verminderte  sich  das 
jüdische  Element  um  nicht  weniger  als  5  79  Meßficranten  oder 
35,05  Prozent,  die  Zahl  der  christlichen  Kaufleute  dagegen  ver- 
mehrte sich  um  ein  geringes,  nämlich  um  41  Meßfieranten  oder 
0,48  Prozent,  der  gesamte  Meßverkehr  nahm  abermals  und  zwar 
um  5,25  Prozent  ab.  Die  Ursache  der  Verminderung  der 
Zahl  der  jüdischen  Meßfieranten  lag  darin,  daß  zu  Anfang  der 
achtziger  Jahre  die  jaden  aus  dem  Norden,  wie  z.  B.  aus  Berlin, 
Hamburg  und  Brandenburg,  dem  Handelsplatze  Leipzig  aus  nicht 
zu  ermittelnden  Ursachen  fem  blieben.  Sodann  trugen  zu  dem 
Rückgange  des  jüdischen  Meßverkehrs  auch  die  Juden  aus  den 


Der  Bnflttdderjuden  auf  «He  Leipziger  Messen  in  firflherer  Zeit  I.  227 


fäntlidi  sädistsdieii  Landen  nnd  aus  Kunsadisen  bd|  indem  sich 
diese  wegen  der  in  Leipzig  außer  Kurs  gesetzten  Karld'or,  Max- 
d'or  und  Laubtaler  nach  Frankfurt  a.  M.  wandten.  Femer  tat 
Frankfurt  a.  M.  der  Meßstadt  Leipzig  bedeutenden  Abbruch, 
indem  die  Meßfieranten  zu  Frankfurt  a.  M.  auf  jedes  Kollo 
fremden  Meßgutes  beim  Eingänge  nur  4  5  Kreuzer  Keichsgclcl  zu 
entrichten  hatten.  Endlich  zeichnete  sich  Frankfurt  a.  M.  auch 
durch  größere  Handelsfreiheit  und  billigere  Lebensweise  vor 
Leipzig  aus.  Nur  die  polnischen  Juden  kamen  im  Durchschnitt 
in  derselben  Stärke  wie  bisher,  sie  hatten  an  dem  oben  erwähnten 
Minus  keinen  Anteil.  Wenn  auch  zu  Anfang:  der  achtziger  Jahre 
infoige  Geldmangels  und  einer  neuen  Kleiderordnung  in  Polen 
sowie  infolge  verschärfter  Zollrevision  an  der  polnischen  Grenze 
viele  Juden  Leipzig  nicht  besuchten,  so  nahm  doch  ihre  Zahl 
Ende  der  achtziger  Jahre  wieder  bedeutend  zu.  Ja,  sie  erreichte 
sogar  1789  eine  nie  dagewesene  Höhe. 

Das  nächste  Jahrzehnt,  1790  bis  1  799,  brachte  ein  aber- 
maliges Sinken  der  Meßfrequenz  um  4,65  Prozent.  Die  Ursache 
hierzu  lag  diesmal  in  der  schwachen  Beteiligung  der  christlichen 
Kauflcutc,  deren  Zahl  sich  um  852  oder  9,86  Prozent  verminderte. 
Die  Frequenz  der  Meßjuden  dagegen  erstarkte  auffallend,  nämlich 
um  400  Personen  oder  37,32  Prozent.  Nächst  den  polnischen 
Juden  kamen  insbesondere  zahlreiche  Juden  aus  Preußisch- 
Scblesien,  aus  Berlin,  Hamburg,  Österreichisch-Schlesien,  Rußland 
und  Kursachsen.  Die  wesentlichsten  Orflnde  fflr  das  Anwadisen 
der  Meßjuden  waren  folgende«  Fürs  erste  erleiditerte  der  zwischen 
Rußhnd  und  Schweden  geschlossene  Friede  -  1 792  -  die  Ein- 
fuhr von  Rohstoffen  aus  Rußbind,  fürs  zweite  wirkte  das  zwischen 
Österreich  und  der  Türkei  andauernde  Einvernehmen  gOnstig  auf 
den  Leipziger  Meßverkehr  ein,  indem  es  den  im  Südosten 
wohnenden  Juden  gestattete,  ungehindert  die  Leipziger  Messen  zu 
besuchen.  Im  weiteren  trieben  auch  die  mannigfaltigen  Ein- 
schränkungen, welche  die  preußische  Regierung  dem  Handel 
In  Danzig  mehrere  Jahre  hindurch  auferlegte,  viele  Polen 
und  Russen  nach  Leipzig.  Selbst  die  polnischen  Unruhen  und 
die  Teilungen  Polens  (1793  und  1795)  sowie  die  Einfahrung 
des  russischen  Zollsystems  und  Wareneinfuhrverbotes  in  dem 

15» 


228 


Richvd  Marlqjnf . 


Riißhuid  einverleibten  Teile  Polens  schwteliten  die  Frequenz  der 
polnisdien  Juden  nicht  merkUdi.  Nur  die  ruasisciien  Juden 
blieben  wSbrend  dieser  Zeit  den  Messen  fem.  Belebend  auf  den 
MeBverkehr  wirkte  vor  allem  aucb  die  hohe  BlQie  der  sächsischen 
Exportindustrie;  insbesondere  lockte  diese  viele  jüdische  Hindier 
aus  dem  Norden  an.  Endlich  war  auch  der  Seekrieg  zwischen 
Holbnd  und  England  -  1793  -  für  den  Leipziger  MefNiandel 
mittelbar  von  Nutzen,  insofern  während  desselben  Hamburig  sich 
des  holländischen  Handels  bemächtigte  und  mit  Leipzig  in  leb- 
hafte Verbindung  trat 

Eine  weitere  und  zugleich  äußeist  auffallende  Zunahme  des 
jüdischen  Elements  auf  den  Messen  brachte  das  erbte  Jahrzehnt 
im  19.  Jahrhundert.  Wahrend  die  Beteiligung  der  christlichen 
Kaufleute  an  den  Messen  durchschnittlich  fast  die  gleiche  blieb 
wie  in  den  Jahren  1  780  bis  1799  -  sie  wuchs  nur  um  2,66  Pro- 
zent stieg  die  Zahl  der  iMeßjuden  um  1897  oder  128,7  7  Prozent; 
sie  betrug  infolgedessen  3. HO  Fieranten  oder  42,14  Prozent,  also 
fast  die  Hälfte  von  der  Frequenz  der  christlichen  Kaufleute  (7  993) 
und  war  somit  der  Hauptfaktor  für  das  Anwachsen  des  gesamten 
Meßverkehrs  um  22,72  Pro7ent.  Wesentlich  war  die  Zunahme 
des  jüdischen  Elements  aus  Polen,  Rußland,  Schlesien  und  Berlin. 
Der  Orund  hierzu  lag  einerseits  in  dem  Verbote  der  preußischen 
Regierung  (1800),  in  Frankfurt  a.  O.  fremde  halbseidene  und 
baumwollene  Waren  etc  einzuführen,  und  andererseits  in  der  Auf- 
hebung des  russischen  Einfuhrverbotes.  Auch  wirkte  der  lebhafte 
Verkehr  auf  den  Berditschewer  Messen,  auf  welchen  die  polnischen 
Juden  die  in  Leipzig  gekauften  Waren  zu  vertreiben  pflegten, 
vorteilhaft  auf  den  Leipdg^r  MeBverkehr  dn.  Selbst  in  den 
Kriegsjahren  1806  und  1807  wurden  die  Messen  von  den  poU 
nischen  und  russischen  Juden  durdisdinitUich  gut  besucht,  da 
dieselben  von  den  Kri^g^reignissen  wenig  oder  zu  spit  unfter* 
richtet  waren.  Auffallend  gering  war  nur  die  Ostermesse  1807 
von  den  Juden  frequentiert  Doch  hatte  dies  seinen  Orund  we^ 
niger  in  dem  FranzOsisch-PreuBiscfaen  Kriege  als  vielmehr  in  dem 
starken  Besuche  der  Naumbuigier  Messe,  Nicht  nur  aus  Rußland 
und  Polen,  sondern  auch  aus  Sfldpreußen  und  Schiesten  ftnden 
sich  in  Naumburg  mehr  Klufer  ab  hi  Leipzig  ein.  Noch  mehr 


.  kiui^  .-.  l  y  Google 


Der  Einfluß  der  Juden  auf  die  Leipziger  Messen  in  früherer  Zeit  I.  229 


als  die  Naumbur^er  Messe  schädicrte  die  Kontinentalsperre  den 
Leipziger  MeBhandel.  Vor  allem  hält  sie  in  den  Jahren  1807 
und  1808  einen  Teil  der  Hamburger  Juden  von  den  Messen  fern. 

In  der  Zeit  von  1810  bis  1819  vermehrte  sich  die  Zahl 
der  Meßjuderi  um  nicht  weniger  als  1  526  oder  45,28  Prozent. 
Auch  die  Frequenz  der  christlichen  Kaufleute  erstarkte  bedeutend. 
Sie  stiep[  um  63  7  3  oder  79,23  Prozent.  Die  rege  Teilnahme 
sowohl  der  Juden  wie  der  Christen  an  den  Messen  erhöhte  den 
Gesamtverkehr  um  69,51  Prozent  Besonders  zahlreich  erschienen 
die  Meßjuden  aus  Polen,  österreichisch^Scfalesien  und  Preußisch- 
Schlesien,  Westfalen,  Provinz  Sadisett,  Berlin  und  Hamburg. 
Sdbst  die  Ostermesse  I812  war  von  den  Juden  aus  dem  Osten 
zahlreich  besucht,  nachdem  sich  dieselben  über  die  Verschonung 
Leipzigs  mit  Durchmärschen  und  Einquartierungen  vergewissert 
hatten.  Die  Messen  von  1813  und  insbesondere  die  Michaelis- 
messe  dieses  Jahres  waren  infolge  des  nahen  Kriegsschauplatzes 
von  Juden  und  Christen  ftuBerst  schwach  besucht  IMit  Eintritt 
des  Friedens  und  der  Neuordnung  der  staatlichen  VeihUtnisse, 
der  vcitaderlen  Stellung  Preußens  und  Polens  zu  Sachsen  kamen 
fQr  die  Leipziger  Messen  wieder  bessere  Zeiten.  Namenfllch  er- 
schienen von  jetzt  an  die  Juden  aus  Deutschland  zahlreich.  Aus 
Rußland  kamen  auffallend  wenig  jüdische  MeBfieranten,  da  der 
russische  Wechselkurs  niedrig  stand,  Rußhind  sich  der  Einfuhr 
fremder  Waren  verschloß  und  durch  eine  verschlrfle  Grenzkontrolle 
der  Schmuggelhandel  der  Juden  bedeutend  erschwert  wurde. 

In  den  Jahren  1820  bis  1829  ging  die  Beteiligung  der 
Juden  an  den  Messen  bedeutend  zurück;  sie  verminderte  sidi  um 
1149  nenmten  oder  23,47  Prozent  Die  der  Christen  dagegen 
wudis  abermals  betrichtlichf  nlmlich  um  5942  Personen  oder 
41,50  Prozent,  so  daß  die  Zahl  der  Juden  nur  18,45  Prozent  von 
der  der  Christen  ausmachte.  Der  Oesamtverkehr  auf  den  Messen 
stieg  um  24,88  Prozent.  Die  Ursache  der  Verminderung  des  Meß- 
verkehrs seitens  der  Juden  \i\<r  in  dfi-n  Zollplackcrcjcn,  denen  die 
jüdischen  Meßfieranten  aus  Kuliiand,  Polen  und  Österreich  an 
den  Grenzen  dieser  Länder  ausgesetzt  waren.  Auf  der  andern 
Seite  trug  auch  der  Fortschritt  der  in-  und  ausländischen  Industrie 
nicht  wenig  zur  Abnahme  des  jüdischen  Elements  auf  den  Leipziger 


i^iyiii^Lü  by  google 


230 


Richard  Markgraf. 


Messen  bei.  Nur  der  Handelsverkehr  mit  Polen  und  Rußland 
wfirde  infolge  der  geringen  Oewerbtätigkeit  dieser  Länder  noch 
g^ume  Zeit  gedauert  haben,  wenn  Rußland  den  Vertcehr  nicht 
durch  ein  hartes  Prohibitivsystem  giewallsam  gehemmt  hätte. 

Im  nächsten  Jahrzehnt  -  1830  bis  1S39  -  steigerte  sich 
der  MeBverIcehr  wieder  und  zwar  um  25,50  Prozent  Vor 
allem  wuchs  das  j&dische  Element  wieder  in  hohem  Maße;  es 
stieg  um  2697  Pereonen  oder  71,97  Prozent,  während  das  christ- 
liche Clement  um  3437  Mefifieranten  oder  16,93  Prozent  zunahm. 
Die  Zahl  der  jadischen  Handelsleute  -  6444  -  betrug  infolge- 
dessen 27,14  Prozent  von  der  der  christlichen  Kaufleufe-  23  745  - 
und  21,35  Prozent  vom  gesamten  Mefiverkehr  -  30 189  Der 
Zuwachs  des  jüdischen  Elements  verteilte  sich  besonders  auf  die 
Juden  aus  Polen,  Posen,  Qalizien,  aus  der  Tfirkei,  aus  Berlin, 
Hamtmiig  und  auf  die  Juden  aus  den  deutschen  Ländern,  Ost- 
und  Westpreußen,  Provinz  Sachsen,  Preußisch-Schlesien,  Braun- 
schweig, hfessen,  Thüringen  und  Bayern.  Günstig  auf  den  Meß- 
verkehr der  Juden  wirkte  zunächst  der  zwischen  Rußland  und  der 
Türkei  wiederhergestellte  Friede  (1830).  Hauptsächlich  aber 
brachie  der  tinliili  Sachsens  in  den  Zollverein  (1834)  ein  neues 
frisches  Leben  in  die  Leipziger  Messen.  Leipzigs  domi- 
nierende Stellung  als  Melistadt  trat  immer  mehr  hervor. 
Juden,  welche  sonst  die  Messen  in  Frankfurt  a.  O.  und  Frank- 
furt a.  M.  besucht  hatten,  schlössen  jetzt  ihre  Geschäfte  in  Leipzig 
ab.  Nur  die  Juden  aus  Rußland  blieben  wie  in  den  beiden 
vorhergehenden  Jahrzehnten  -  den  Leipziger  Messen  fern,  da 
Rußland  sich  immer  mehr  durch  Prohibitivzölle  vom  Welt- 
handel abschloß. 

Überblicken  wir  die  Entwicklung  der  Meßfrequenz  der 
Juden  innerhalb  der  Jahre  1  766  bis  1839,  so  zeigt  sich,  daß  die 
Messen  durchschnittiich  von  3185  jüdischen  und  13  005  christ- 
lichen Meßfieranten  besucht  waren  Die  Zahl  der  Juden  betrug 
demnach  24,49  Prozent,  also  beinahe  den  vierten  Teil  von  der 
der  christlichen  Kaufleute.  Am  niedrigsten  stand  die  Frequenz 
der  Meßjuden  in  den  Jahren  1  767  bis  1769  und  am  höchsten 
in  derzeit  von  1830  bis  1839.  Sie  wuchs  während  des  ganzen 
Zeitraumes  -  1766  bis  1839  -  um  2033  Personen  oder 


Der  Einfluß  der  Juden  auf  die  Leipziger  Messen  In  früherer  Zdt  I.  231 


1 78,02  Promit;  die  Frequenz  des  chiistlkfaen  Elemenls  dagegen 
nahm  daidischnittlich  nur  um  18,53  Prozent  zu.  Stellt  man  die 
Frequenz  der  Juden  im  letzten  Jahrzehnt  —  1830  bis  1839  -  in 
Parallele  zu  der  Zahl  der  jOdlschen  Meßfienmten  im  Jahre  1766, 
80  ergibt  sich  fOr  die  Frequenz  sogar  ein  Plus  von  464,27  Pro- 
zent, wShrend  das  christliche  Element  in  dieser  Zeit  nur  eine 
Zunahme  von  116,11  Prozent  aufweist 

Nicht  minder  lehrrddi  wie  die  Entwicklung  der  Frequenz 
der  jadischen  MeBfieranten  und  deren  Verhältnis  zu  der  Zahl  der 
christlichen  Kaufleute  ist  die  Statistik  aber  die  Heimat  der  Meß- 
juden. Nächst  den  nMlichen  und  östlichen  Provinzen  Deutsch- 
bmds  sandte  während  der  Jahre  1756  bis  1839  fast  immer  Polen 
die  meisten  jadischen  MeBfieranten. 

Zu  Anfang  des  Siebenjährigen  Krieges  waren  die  Messen 
fast  ausschließlich  von  jüdischen  Händlern  aus  Deutschland  be- 
sucht, nämlich  von  Juden  aus  den  preiiliischen  Proi,!n/eii  und 
aus  Kursachsen.  Ausländische  Juden  kamen  v  or  allem  aus  Böhmen 
und  Holland;  außerUcni  schickten  Ungarn  uiui  die  usterreichischen 
Erblande  jüdische  MeBfieranten.  Nach  dem  Siebenjährigen  Kriege 
stellten  sich  auch  Juden  aus  Frankreich,  England  und  der  Türkei 
in  Leipzig  em.  Aus  dem  Süden  Deutschlands  schickten  um  diese 
Zeit  die  Städte  Nürnberg  und  Fürth  judische  Fieranten  zur  Messe. 
Von  den  deutschen  Städten  im  Westen,  Norden  und  Osten  waren 
besonders  Frankfurt  a,  M.,  Berlin,  Magdeburg,  Hamburg  und 
Danzig  durch  jüdische  Händler  vertreten,  (n  den  Jahren  1  770  bis 
1779  fanden  sich  Juden  aus  Rußland  und  Dänemark  ein.  Im 
folgenden  Jahrzehnt  kamen  zum  ersten  Male  schweizerische  Juden 
zur  Leipziger  Messe. 

Mit  Beginn  des  1 9.  Jahrhunderts  erschienen  auf  den  Messen 
auch  Juden  aus  der  Walachei,  aus  Macedonien  und  Griechenland. 
Aus  Mitteldeutschland  schickten  Reuß  und  Gera  zum  ersten  Mate 
jüdische  Meßfieranten.  In  dem  zweiten  Jahrzehnt  des  19.  Jahr- 
hunderts schlössen  sich  der  großen  2^hl  der  norddeutschen 
Städte,  aus  welchen  jüdische  Fieranten  zur  Leipziger  Messe  kamen, 
Lfibeck  und  Bremen  an.  Mit  dem  Jahre  1 820  sandten  auch  viele 
Linder  und  Stfldie  im  Westen  und  Süden  Deutschlands  Meßjuden 
nach  Leipzig.  Während  aus  diesem  Teile  Deutschlands  bisher 


2J2 


Richild  Mariqpif. 


Diir  Frankfurt  a.  M.  und  die  bayerischen  Sfidte  Nfimbeis  und 
Fflrih  durch  jfidische  Meßfieranten  in  Leipzig  vertreten  waren, 
Icamen  jetzt  auch  jüdische  HSndler  aus  anderen  Städten  Bayerns, 
ferner  aus  Hessen,  aus  der  Rheinprovinz,  aus  Baden  und  Wfirttem- 
barg.  Die  Zahl  der  auBerdeutsdien  Lflnder  vergrößerte  sich  durch 
den  Anschluß  von.Qalizien.  Auf  der  Neu jahrsmesse  1821  erschien 
sogv  ein  jüdischer  Meßfienmt  aus  Amerika.  In  dem  vierten 
Dezennium  des  19.  Jahrhunderts  -  1830  bis  1839  -  erweiterte 
sich  das  Handelsgebiet  Leipzigs  abermals»  insofern  in  Deutsdiiand 
die  Stadt  Augsburg  und  von  den  außerdeutscfaen  Undem  Schweden 
und  Norwegen  jüdische  Meßfieranten  nach  Leipzig  schickten. 

DciiUichei  als  die  Verkehrsstatistik  spricht  für  den  großen 
Anteil  der  Juden  an  dem  Meßhandel  die  Höhe  der  Ein-  und 
Verkäufe,  die  sie  in  Leipzig  bewirkten.  Wohl  sind  die  vor- 
handenen Nachrichten  über  tlie  von  den  jüdischen  Meßlieranten 
eingekauften  und  \ erkauften  Waren  außerordentlich  dürftig;  denn 
die  Akten  des  Leipziger  Ratsarchivs  enüialten  bis  zum  Jahre  1839 
diesbezügliche  Angaben  nur  über  die  Zeit  von  1  7  72  bis  1  775. 
Nichtsdestoweniger  ist  dieses  Material  in  Verbindung  mit  einer 
Tabelle  über  die  Wage!j,e]der,  welche  die  Jnden  für  die  während 
der  Jahre  1781  bis  1820  eingekauften  und  verkauften  Waren  ent- 
richtet haben,  reich  ^enng,  um  einen  Überblick  über  den  Anteil 
der  Handelsjuden  an  den  Leipziger  Messen  zu  gewinnen. 

Was  zunächst  den  Einkauf  betrifft,  so  zeigt  sich  ein  großer 
Unterschied  zwischen  den  Einkäufen  der  ausländischen,  also 
der  nichtsächsischen  Juden  und  den  Einkäufen  der  inländischen 
Juden.  Während  die  inländischen  Juden  ihre  Einkäufe  auf  wenige 
Warenarten  ausdehnten,  nämlich  nur  auf  Schnittwaren,  Leinwand, 
Kraniwaren,  seidene  und  baumwollene  Waren,  Barchent,  Tabak, 
Kurzwaren,  Bänder  und  Materialwaren^  erstreckten  sich  die  Einkäufe 
der  ausländischen  Juden  auf  vierzig  bis  sechzig  Warengattnngen. 
So  kauften  die  ausländischen  Juden  auf  der  Michaelismcsse  1772 
wollene^  leinene  und  baumwollene  Waren,  femer  Schnitt-,  Kram- 
und  Rauchwaren,  sodann  Kanevas»  Kathm,  Fischbein,  Schnüre, 
Game,  fertige  KQrschnerwaren,  Sammet,  Seidenwaren,  Blonden, 
Sttthlrohre^  Knöpf^  Kurzwaren,  Zeuge,  Qabmteriewaren,  Sohlen-, 
rSnd'  und  Kaltileder,  Juchten,  Hanf,  Nflnibetger  Waren,  Hand- 


Der  Einfluß  derjud«!  auf  die  Leipziger  MewnüifirfihererZdt  L  233 


sdiuhcv  Rhabarber,  Siärkei  PoneUan  und  Bandwaren.  Auf  den 
Messen  der  ii2di$ten  3  Jahre  traten  als  neue  Kaufobjelde  hinzu: 
Spiegel,  St6cke^  alte  Kleider,  Dosen,  Korallen,  Kappen,  KameloUs, 
Gewehre^  Schweizer  Waren,  Zwirn,  Oörlitzer  Tuche,  Uhren,  be- 
druckte Fbnelle,  Tabak,  lOücao,  Kanten,  Binder  und  Material- 
waren. Nach  der  Durchschnittsberechnung  Ober  die  auf 
den  Messen  von  1773  bis  1775  von  den  auswärtigen  Juden 
bewirkten  Einkaufe  ergibt  sich,  dafi  dte  jadischen  Ftenmten  jähr- 
lich ffir  499975,33  Taler  Waren  eingekauft  haben.  Ober  die 
drei  Messen  des  Jahres  1 7  72  läßt  sich  keine  Durchschnitlsberechnung 
aufweiten,  da  die  Nachrichten  Ober  die  Neujahrsmesse  und  die 
Ostennesse  fehlen;  doch  ist  anzunehmen,  daß  die  genannten 
Messen  den  folgenden  der  siebziger  Jahre  nicht  wesentlich  nach- 
standen, da  der  Gesamtwert  des  Einkaufs  cHif  der  Micliaelismesse 
1772  fast  dieselbe  Höhe  erreichte  wie  auf  der  Ostermesse  1773. 
Insgesamt  kauften  die  Juckn  auf  der  Michaelismesse  1  772  für 
144  519  Taler  Waren  ein,  währriui  die  Einkäufe  auf  der  nächsten 
Ostemiesse  174  575  Taler  betrugen.  Für  die  obige  Annahme 
betreffs  der  Einkäufe  der  Juden  auf  der  Neujahrs-  und  Oster- 
messe 1  772  spricht  auch  der  Umstand,  daß  die  Frequenz  der 
jüdischen  Fieranten  auf  diesen  Messen  stärker  war  als  im 
Jahre  177.''l.  Am  umfangreichsten  war  auf  allen  Messen  der 
Einkauf  von  wollenen  Waren;  dann  folgte  in  bezug  auf 
Quantität  der  Einkauf  von  Schnitt-,  Kram-  und  Baum woll waren, 
darnach  der  von  Leinwand,  von  Seiden-  und  Nürnberger  Waren, 
endlich  der  Einkauf  von  fertigen  Kürschnerwaren,  Rauchwaren 
und  Tuchen.  Von  dem  Durchschnittswerte  kommen  auf  diese 
angeführten  10  Warengattungen  429  711,66  Taler  oder  S5,95  Pro- 
zent; so  daß  für  die  anderen  eingekauften  Meßarttkelnur  14,05  Pro- 
zent fibrig  bleiben,  die  sich  wesentlich  auf  Kurzwaren,  Galanterie- 
waren, Kanevas»  Kattain,  Kafl^  Zucker  und  Indigo  verteilen. 
Nach  dem  Werte  fallen  von  den  499  975,33  Talern 


auf  wollene  Waren   28,32  Prozent 

»  Schnittwaren    18,62  » 

V  Kram  waren  9,41  • 

»  baumwollene  Waren  9,17  • 

»  Leinwand   7,31  • 


234 


Richard  Markgni 


auf  Sddenband  und  seidene  Wattn  .     4,75  Prozent 

V  Nfiraberger  Waren  2,65  » 

»  fertige  Kürschnerwaren  ....     2,24  > 

V  Rauchwaren  1,75  • 

und  •  verschiedene  Tuche  1,73  > 

Nach  der  Durchschnitlsberecfanung  Aber  die  von  den  aus- 
lindischen  Juden  eingelcauften  Waren  auf  den  Neujahrsmessen 
1773  bis  1775  und  den  drei  Oster*  und  Michaelismessen  des 
genannten  Zeitraumes  eigibt  sich  ferner,  daß  die  Einkäufe  auf 
den  Neujahrsmessen  die  Höhe  von  77  785  Talern,  die  EsnkSufe 
auf  den  Ostermessen  dagegen  die  Höhe  von  212216  Talern  und 
die  Einkaufe  auf  den  Mtchaelismessen  die  Höhe  von  210  307  Talern 
erreichten.  Somit  wurden  auf  den  Ostermcssen  die  bedeutendsten, 
auf  den  Neujahrsmessen  dagegen  die  geringsten  Einkäufe  bewirkt, 
während  die  Michaelismessen  den  Ostermessen  fast  gleichkamen; 
sie  standen  den  Ostermessen  nur  um  0,9  Prozent  nach. 

Einen  nicht  ganz  unwesentlichen  Anteil  an  den  umfang- 
reichen Einkuuirn  ilrr  ausiaiidischen  Juden  mag  dit:  niedrige 
Meßakzise,  die  Abgabe  auf  der  Stadlwage  für  das  Verwiegen  der 
gekauften  Meßgüter,  gehabt  haben;  dieselbe  betrug  ein  halbes 
Prozent  vom  Werte  der  Waren,  das  ist  dem  Durchschnut  nach 
pro  Jahr  nur  7499  Taler. 

Daß  die  Einkaufe  der  inländischen  Juden,  d.  i.  der  im 
Kurfürstentum  Sachsen  v/ohnenden,  die  für  das  Ver\\-iegen  der 
Meßgüter  ebenfalls  bloß  em  halbes  Prozent  vom  Werte  als  Ab- 
^be  entrichteten,  26,6  mal  weniger  betrugen  als  die  Finkäufe 
der  ausländischen  Juden,  ist  ohne  Zweifel  auf  ihre  i^enn^a''  Zahl 
zurückzuführen;  denn  die  Menge  der  hmkaute  mehrt  oder  mmdert 
sich  in  annähernder  Weise  wie  die  Zahl  der  Meßfieranten.  Der 
Wert  der  Einkäufe  der  inländischen  Juden  innerhalb  des  in  Frage 
stehenden  Zeitat>schnittes  betrug  im  ganzen  40  975  Taler,  d.  i. 
durchschnittlich  pro  Jahr  13  658,33  Taler.  Wie  die  Quantität 
der  Einkäufe,  so  war  auch  die  Zahl  der  eingekauften  Waren- 
arten sehr  gering.  Die  größten  Einkäufe  machten  die  in- 
ländischen Juden  in  Schnitt«  und  Wollwaren,  ihre  Höhe  betrug  nach 
der  Durchschnitlsberechnung  64,55  Prozent,  so  daß  auf  die 
andern  Gegenstände,  auf  die  Kram-  und  Seidenwaren,  auf  Kuiz- 


Der  Einfluß  der  Jvden  auf  die  I^pzigerMcswii  in  froherer  Zeit  I.  235 


und  Batimwollwarett,  auf  Bardieiiit  Binder,  Tabak  und  Material- 
waren nur  35,45  Prozent  entfielen.  Nach  dem  Werte  Icamen  im 
Durchschnitt  von  den  13658,33  Talern  pro  Jahr 

auf  Schnittwaren   35,20  Prozent 

I»  wollene  Waren   29,35  » 

,f    Kramwaren  13,27  • 

»    Stideiiwaren  13,14  » 

m    Kurzwaren   2,69  » 

II    Materialwaren   1,47  » 

„    Baumvvollwaren  1,22  » 

n    Barchent   1,22  » 

«    Bänder   1,22  » 

und  »   Tabak  gleichfalls   1,22  «, 

Vergleicht  man  die  Einkäufe  der  Juden  mit  ihren  Ver- 
käufen, so  zeigt  sich  eine  .^j^an?  bedeutende  Differenz.  Während 
der  jährliche  Durchschnitt  der  tinkäiife  sich  auf  513  633,66  Taler 
belief,  bezifferte  sich  der  Verkauf  durchschnittlich  nur  auf 
109  376,16  Taler,  er  blieb  also  um  78,70  Prozent  hinter  den 
Einkäufen  zurüdc.  Diese  geringen  Verkäufe  hatten  ihre  Ursache 
in  der  höheren  MeBakzise,  die  t  Prozent  des  Wertes  der  ein- 
geführten Meßgüter  betrug,  und  zum  andern  in  den  nicht  un- 
bedeutenden Schutzzöllen,  die  bei  der  Einfuhr  fremder  Stoffe  zu 
entrichten  waren.  Trotz  dieser  drückenden  und  beschwerlichen 
Abgaben  bei  der  Einfuhr  fremder  Stoffe  steigerte  sich  die  Menge 
der  verkauften  MeBgfiter.  Dies  hfttte  aber  nicht  der  Fall  sein 
können,  wenn  nicht  die  Nachfrage  eine  größere  gieworden  wflre. 
Den  höchsten  Umsatz  erzielten  die  Handelnden  in  Kattun,  in 
Rliuchwaren  und  in  Geweben  von  Seide  und  Halbseide,  sodann 
in  dem  Verkaufe  von  Leinwand,  Bomasin,  Rohr,  Indigo,  Zucker 
und  Kaffee,  Baumwollwaren  und  Oam.  Nach  der  Durchadinitts- 
berechnung  betrug  der  Verkauf  dieser  zehn  Warenarten  auf  den 
Messen  1774  und  1775  jährlich  103248,5  Taler  oder  86,1 1  Pro- 
zent, 80  daß  fflr  die  anderen  VerkaufsarÜkd,  d.  i.  fQr  Galanterie- 
waren, Spitzen,  Zeuge,  Kleider,  Tuche,  Sammete,  Kanten,  BAnder, 
Zwirne,  Hflte,  Tressen,  Korallen,  Perlen,  Pretiosen,  Tee,  Kakao, 
Reis»  Baumöl,  Berliner  BUiu,  Lade,  Pedi,  Pottasche,  Leder,  Fisdi- 
bein,  Bast,  Federn,  Stöcke,  Tapeten,  Rhabarber  und  Tabak  nur 


236 


Richard  Markgraf. 


1 3,89  Prozent  übrig  bleiben.  Die  Verkäufe  auf  den  sechs  Messen 
der  beiden  Jahre  1772  und  1773  entziehen  sich  einer  Durch- 
schnittsberechnung; da  für  das  erstere  Jahr  das  Material  über  die 
Michaelisniesse  mangelL  Nichtsdestoweniger  ist  aus  den  lücken- 
haften Angaben  ersichtlich^  daß  der  Anfong  eines  sich  steigernden 
Absatzes  in  den  Jahren  1772  und  1773  liegt,  denn  1772  wurden 
in  der  Michaelisniesse  fQr  28397  Taler  Waren  verkauft  und  auf 
der  Neujahrs-  und  Ostermesse  1773  für  61  765  Taler.  In  den 
nächsten  fünf  Jahren,  1776  bis  1780,  wurden  die  Einkäufe  der 
mit  Fretpässen  versehenen  Juden  -  die  drei  Messen  jedes  Jahres 
zusammengenommen  -  bd  den  Juden  aus  Polen  mit  ungefiUir 
300000  Talern  pro  Jahr,  bei  den  jüdischen  Händlern  aus  dem 
Königreiche  Preußen  mit  über  100000  Talern,  bei  den  Juden 
aus  Österreich  mit  etwa  80000  Talern,  zusammen  mit  etwa 
500000  Talern,  und  bei  den  Juden  ohne  Freipässe  zusammen 
mit  200000  Talern  berechneL  Wahisdieinlidi  sind  sie  aber  be- 
deutend höher  gewesen,  da  man  bei  der  Wageexpedition,  zur 
Schonung  des  polnischen  Handels,  die  Werte  der  ein-  und  aus- 
gehenden Guter  so  zu  buchen  pflegte,  daß  die  ang^ebenen 
Werte  bei  den  meisten  Artikeln  kaum  den  vierten  Teil  des 
wahren  Wertes  erreichten.  Auch  widersprechen  der  niedrigen 
Wertangabe  in  den  Tabellen  für  die  von  den  Juden  eingeführten 
Waren  die  .Meßberichte  der  Konimerziendeputation,  nach  denen 
die  in  „nordischen  Produkten"  bestehenden  Zahlungsmittel  der 
polnischen  Juden  sich  allein  auf  mehrere  hunderttausend  Taler 
belaufen  haben. 

überblickt  man  den  Warenverkehr  der  Juden,  so  zeigt 
sich,  daß  er  in  den  siebziger  Jahren  bedeutciul  zunahm.  Während 
in  den  Jahren  1  773  bis  1775  die  Verkäufe  der  jüdischen  Händler 
durchschnittlich  109  376  Taler  und  ihre  Finkäufe  513  633  Taler 
betrugen,  bezifferten  sich  in  den  Jahren  i7  Si  bis  1790  die  Ver- 
käufe der  Juden  im  Durchschnitt  auf  25 1  233  Taler  und  ihre 
Einkäufe  auf  107  02  t  Taler.  Auf  den  Neujahrsmessen  verkauften 
sie  durchschnittlich  für  28  650  Taler,  auf  den  Ostermessen  fQr 
101  720  Taier  und  auf  den  Michaelismessen  für  114863  Taler. 

Ein  wesentlicher  Qrund  fQr  den  betrachtlichen  Aufschwung 
der  jüdischen  MeBgeschifte  lag  hauptsächlich  in  der  bereits  er- 


Der  Einfluß  derjuden  auf  die  Leipziger  Messen  in  früherer  Zeit  I.  237 


wähnten  Einrichtung  der  Meßjudenpässe  (1772).  Die  größten 
Einkäufe  machten  die  Juden  aus  Polen,  dann  die  aus  Rußland, 
Griechenland.  Holland  und  Hamburg.  Die  Einkäufe  der  Polen 
steigerten  sich  \on  Jahr  zu  Jahr,  während  die  Einkäufe  der  Russen 
schwächer  w  urden  und  sich  erst  um  1 785  wieder  iioben.  Auf 
der  Neujahrs  messe  i78i  sollen  die  polnischen  Juden,  die  üssaer 
und  Brodyer,  teils  auf  ihren  eigenen,  teils  auf  gemieteten  Wagen, 
an  4000  Zentner  verladen  haben,  uo\on  las  meiste  in  wollenen 
und  baumwollenen  Waren  aus  sächsischen  .Manufakturen  bestand. 
Auch  handelten  die  Polen  wenig  auf  Kredit.  Sie  /  ihiten  meist 
mit  barem  Oelde  oder  guten  Assignalionen.  Beträchtliche  Finkäiife 
machten  die  polnischen  Juden  besonders  in  den  jähren  1  7  8  8  bis 
1790,  während  der  Handel  mit  den  russischen  Juden  von  1785 
an  nicht  nur  an  Ausdehnung,  sondern  auch  an  Solidität  gewann 
und  selbst  durch  den  Russisch -Türkischen  Krieg  nicht  beein- 
trächtigt werden  konnte.  Der  Angesehenste  unter  ihnen,  Nathan 
Chaim  aus  Szklow  bei  Mohilew,  war  den  Messen  ferngeblieben, 
da  er  das  Feldlazarett  der  russischen  Armee  zu  besorgen  hatte. 
Die  russischen  Juden  benutzten  damals  als  Zahlungsmittel  auch 
Landesprodukte^  besonders  Talg  und  Pelzwerk.  Ein  russischer 
Jude  kaufte  unter  anderm  in  einer  Messe  15  Millionen  Iserlohner 
NIhnadeln  im  Werte  von  8000  Talern. 

Mit  dem  Jahre  1784  begannen  auch  die  griechischen 
Juden,  deren  Handelsgebiet  die  ganze  TQricd  umfafite,  bedeutende 
Einkftufe  zu  machen.  Von  1 787  an  ging  jedoch  infolge  des  Russisch- 
Türkischen  Krieges  ihre  Handelsttitgkeit  in  Leipzig  sehr  zurück. 

Die  holländischen  Juden  zeigten  zu  Anfang  der  achtsiger 
Jahre  infolge  des  Engliscib-Honindischen  Seekrieges  vrenig  Kauf- 
lust, wozu  auch  die  inneren  Unruhen  und  der  Umstand  bettrugen, 
daß  die  von  den  holländischen  Juden  bisher  in  Menge  gekauften 
baumwollenen  Stoffe  beträchtlich  im  Preise  stiegen  und  schwer 
wieder  zu  verkaufen  waren,  wie  denn  der  PreisaufMfahig  30  bis 
40  Prozent  betrug. 

Die  Hamburger  Juden,  welche  sich  die  flble  Lage  Hol- 
lands zunutze  machten,  indem  sie  die  bisher  über  Holland  und 
England  gegangenen  Geschäfte  nach  Hamburg  zogen,  kauften 
insbesondere  I  uchc,  Chemnitzer  baumwollene  Waren  und  andere 


Digitizec  uy  google 


218 


Richaid  Martsnf. 


filr  NorcUunenlai  btiuchlMre  Artikel,  wie  lOeider,  Hemden,  StieH 
Sdnihe,  Schoddeinwuid  und  Matroaenleiiiwuid. 

Audi  in  dem  nlcbsten  Jahizehn^  1791  bb  1800,  gestalteten 
sich  die  MeBgescfaäfle  der  joden  im  l>ttrcfa9cluütt  gOnsttg.  Zwar 
verminderte  sich  der  Verlcauf  um  7959  Taler  oder  3,20  Pnnent; 
doch  stieg  der  Einkauf  um  nidit  weniger  als  74  498  Taler  oder 
10,50  Prozent.  Das  bedeutendste  Wachstum  zeigten  durch- 
bchniitlicii  die  flinkaiiie  auf  den  Osleinicssen.  Crnem  durch  ver- 
schiedene Umstände  herbeigeführten  Rückgange  der  Meßgeschäfte 
folgte  1795  eine  auffallende  lebhafte  Besserung,  besonders  im 
Absatz  von  sächsischen  Tuchen,  Halbtuchen,  Kaschmiren  und 
Musselinen.  Die  pohiischen  Juden,  welche  sich  1794  zum  Teil 
insolvent  erklärten,  dabei  aber  teilweise  es  auf  Über^wteilung  ihrer 
Leipziger  Gläubiger  abgesehen  und  Bevollmächtigte  zum  Ausgleich 
nach  Leipzig  i^eschickt  hatten,  erschienen  wieder  und  bezahlten 
nicht  nur  ihre  Schulden,  sondern  brachten  auch  bedeutende 
Mittel  zum  Bareinkauf  mit.  Auch  alle  übrij^en  jüdischen  Meß- 
fieranten  zeigten  große  Kauflust,  wie  denn  ein  einziger  türkischer 
Jude  für  100000  Taler  Rauchwaren  einkaufte.  Die  Ostermesse 
und  die  Michaeüsmesse  vom  Jahre  1800  zeichneten  sich  durch 
besonders  starke  Einkäufe  aus  (465  683  Taler  und  563  979 
Taler).  Leipzigs  dominierende  Stellung  als  Meßstadt 
für  den  Norden  Europas  zeigte  sich  damals  deutlicher 
als  je  zuvor. 

Im  ersten  Jahrzehnt  des  1 9.  Jahrhunderts  trat  sie  noch  sicht> 
barer  zutage.  Die  Meßgeschäfte  der  Juden  nahmen  wesentlichen 
Aufschwung  insbesondere  durch  das  Verbot  der  preußischen 
Regie,  fremde  Waren  auf  den  Messen  zu  Frankfurt  a.  O.  zu  ver- 
kaufen, sowie  durch  den  preuBischen  Erlafi^  der  die  heimliche  Ein- 
schleppung  der  in  Leipzig  gekauften  Waren  in  die  preuBischen 
Staaten  erschweren  sollte.  Besondeis  schlössen  auch  die  jfldischen 
Kleinhändler,  welche  man  ihres  eigentQmlichen  RetsegepAchs  wegen 
»Sadcjuden"  nannte,  ansehnliche  Qesdifllte  gegen  bu*  mit  Leipzig 
ab.  Sie  kauften  hauptsächlich  solche  Waren,  deren  Vertrieb  in 
Frankhirt  a.  O.  verboten  war.  Nicht  minder  lebhaft  gestalteten 
sich  die  Mcfigeachlfte  der  Juden  aus  Brody,  der  WahKhei  und 
der  Moldau,  sowie  aus  Griechenland  und  aus  der  TOrfcel  Der 


i^'iLjuiz-uü  by  VjOOQte 


Da- Einfluß  der  Juden  auf  die  Leipziger  Meaiai  in  frfihcrer  Zeit  I.  239 


Handel  der  jfidbdien  Meßfieranten  stand  in  vollster  BIflte;  die 
Klufer  waren  rdchlich  mit  klingender  Münze  und  anderen  Zah- 
lungsmitteln versehen.  Die  Kauflust  der  Juden  war  so  grofi,  daß 
die  vorhandenen  Warenvontte  nicht  ausreichten.  Insbesondere 
war  nach  Leinwand,  Tuchen  und  bedruckten  Kathinen  slarke 
Nadifrage.  Den  größten  Vorteil  hieraus  zogen  die  slchsiscfaen 
Landmanufakhiren.  Es  schien  sogar,  als  wolle  sich  der  engMsche 
Warenhandel  mehr  und  mehr  nach  Leipzig  ziehen,  da  Napoleon 
denselben  fan  Westen  Europas  durch  die  Kontinentalsperre  immer 
mehr  umspannte  und  ihn  selbst  in  Frankfurt  a.  M.  zu  verhindern 
suchte.  Doch  warf  die  Kontinentalsperre  bald  auch  über  die 
Leipziger  Messen  ihre  kalten  Schatten.  Bereits  1806  machten 
sich  in  Leipzig  die  üblen  Folgen  dieses  eisernen  Verbotes  fulilbar, 
indem  die  zur  Messe  aus  Lnglatid  versciiriebeneii  baumwollenen 
und  schafwollenen  Waren  sowie  die  englischen  Eisen-,  Kurz-  und 
Rauchwaren  zum  größten  Teil  ausblieben  und  die  Käufei  aus 
Rußland,  Polen  etc.,  welche  von  den  neuesten  politischen  Verhält- 
nissen zwischen  Preußen  und  England  keine  Kenntnis  erlangt  hatten, 
die  gewünschten  Einkaufe  in  den  genannten  Artikeln  nicht  bewirken 
konnten.  Größeren  Absatz  fanden  nur  Waren,  die  als  Kriegs- 
und  Feldbedürfnisse  betrachtet  werden  konnten,  wie  gemeine  und 
mittlere  Tuche,  Leder  und  lederne  Waren  sowie  gewöluilichc  Lein- 
wand. Erst  nach  dem  Frieden  von  Tilsit  (7.  und  8.  Juli  1807) 
wurden  die  Metägeschäfte  wieder  lebhafter.  Die  starke  Nachfrage 
der  judischen  Meßfieranten  aus  dem  Osten  nach  englischen  Waren 
wirkte  bei  der  Fortdauer  der  Kontinentalsperre  außerordentlich 
belebend  auf  die  deutsche,  namentlich  sachsische  und  auf  die 
Schweizer  Industrie.  I  eiclcr  sielite  sich  bei  den  Juden  und  Christen 
aus  deutschen  Landern  sehr  bald  Oeldmangei  ein.  Auch  schä- 
digten der  Krieg  Österreichs  mit  Napoleon  -  1809  und 
der  ungünstige  Verlauf  der  Berditschewer  Messen  die  Geschäfte 
der  jüdischen  Meßfieranten  aus  dem  Osten.  Die  Messen  im 
Jahre  1810  dagegen  fielen  äußerst  glänzend  aus.  Trotz  der  guten 
Hoffnungen,  welche  daraus  erwuchsen,  verminderte  sich  der 
Warenumsatz  auf  den  Messen  in  den  folgenden  Jahren  von  1811 
bis  1813  ganz  auffallend.  Im  Jahre  1812  betrugen  die  Verkäufe 
der  jüdischen  Händler  kaum  10  000  Taler,  und  die  Einkäufe  er- 


Digitized  by  Google 


240 


Richard  Markgraf. 


reichten  nicht  euimal  die  Höhe  von  3000  Talern.  Erst  nach  der 
Aücbaelismesse  1813  nahmen  die  Meßfi^hftfte  der  Juden  wieder 
zu.  Ihren  Höhqsunkt  erreichten  sie  1818.  In  diesem  Jahre  ver- 
kauften die  Juden  insgesamt  fßr  329  760  Taler  Waren.  Ihre  Ein- 
laufe beliefen  sich  auf  nicht  weniger  als  2007  002  Taler.  Im 
Durdischnttt  verkauften  die  jfldtschen  Fieranten  auf  den  drei 
Messen  innerhalb  der  zehn  Jahre  1811  bis  1820  für  38614 
Taler,  80820  Taler  und  94588  Taler.  Die  Abnahme  der  Ver- 
käufe gegeuQber  den  Verktufen  wfthrend  der  Jahre  1801  bis  1810 
bezifferte  sich  auf  159632  Taler  oder  42,7  Prozent 

Die  Einkäufe  der  jüdischen  Me6fienmtcn  betrugen  von  181 1 
bis  1820  auf  den  Neujahrsmessen  260740  Talerp  den  Oster* 
messen  495715  Taler  und  den  Michadhrniessen  453301  Taler, 
im  Qesamtdurchschnitt  also  1 209757  Taler;  sie  standen  hinter  den 
Einkaufen  während  der  Jahre  1801  bis  1810  um  106131  Taler 
oder  8,1  Prozent  zurück.  Nur  der  bisher  vielbeklagtc  und 
bekämpfte  Durciiganjirshandel  der  judischen  Meßfieranlen  wurde 
im  zweiten  Jahrzehnt  des  1 9.  Jahrhunderts  lebhafter.  Der  Waren- 
durchgang durch  die  Stadt  war  am  stärksten  in  den  Neujahrs- 
messen: er  betrug  durchschnittlich  3955  Taler,  während  er  auf 
den  Osternie^sen  nur  die  Höhe  von  828  Talern  und  auf  den 
Michael ismesscn  die  von  1968  Talern  erreichte,  im  Gesnmt- 
durchschnitt  bezifferte  sich  der  Wert  der  durchgehenden 
oder  zum  Versand  auf  andere  Messen  bestimmten  Waren 
auf  67  52  Taler. 

Die  Hauptgrimde  für  den  auffallenden  Rfickg;ang  der  Meß- 
geschäfte in  den  Jahren  1811  bis  1813  lagen  einerseits  in  der 
strengen  Handhabung  der  Kontinentalsperre  und  deren  Ausdehnung 
auf  den  Norden  und  Osten  Europas  und  andererseits  in  dem 
Sinken  der  österreichischen  und  russischen  Wertpapiere.  Sodann 
verfOgte  die  ganze  Zahl  der  Käufer  nur  über  wenig  bare  Mittel 
und  beanspruchte  zu  hohen  Kredit  Auch  scheuchte  der  Bnmd 
von  Moskau  und  der  Kanonendonner  um  Leipzig  manchen 
nordischen  Kftufer  zurüdc  Erst  mit  dem  Eintritt  des  Friedens 
gehnigte  der  Leipziger  Mefihandd  wieder  zu  neuer  BlQle.  Die  . 
MeBgeschifle  der  Juden  wie  der  Christen  belounen  von  dieser 
Zeit  an  auch  ein  anderes  OeprSge  und  zwar  msofem,  als  an  die 


Der  Einfluß  der  Juden  auf  die  Leipziger  Maaen  in  firflherer  Zdi  l  241 


Stelle  des  Hatidds  im  großen  der  Kleinhandel  trat,  und  die 
bedeutendsten  Qeschlfle  nidit  mehr,  wie  früher,  von  fremd- 
landischen,  sondern  von  deutschen  Juden  abgeschlossen  wurden. 
Femer  nahm  der  auch  aufler  den  Messen  betriebene  Tnuisito- 

handel  in  Leipzig  bedeutend  zu  und  verminderte  die  MeßgeschSfte 

der  jüdischen  Fieranten.  In  den  Monaten  April  und  Mai  waren 
allein  525  Wagen  Kaufmannsgüter  ohne  Aufenthalt  durch  Leipzig 
gegangen.  Endlich  tai  der  immer  mehr  erstarkende  Leipziger 
Piatzhaiidel  dem  Warenverkehr  der  Juden  großen  Abbruch. 

Einen  neuen  und  zugleich  sehr  bedeutenden  Aufschwung 
des  Meßhandels  der  Juden  brachte  der  Eintritt  Sachsens  in  den 
deutschen  Zollverein  im  Jahre  1834.  Von  da  an  wurde  auch  die 
Statistik  über  den  Warenverkehr  eine  zuverlässigere.  Nach  dem 
Zollregister  über  die  C)stcnr!es<>e  183  7  wurden  auf  dieser  Messe 
in  den  Packkammern  55  2  1  Zentner  netto  expediert,  darunter  im 
besondern  4623  Zentner  bau inv.o Nene,  626  wollene,  151  seidene 
und  halbseidene  und  48  Zentner  Kur/waren,  wovon  die  judischen 
Händler  allein  3  70?  Zentner  Ausgangsreviston  gestellt  hatten. 

Stellt  man  die  Entwickiungsmomente  des  Warenumsatzes 
der  Juden  auf  den  Leipziger  Messen,  wie  sie  sich  auf  Grund  der 
Tabelle  über  die  Wagegelder  der  Meßjuden  in  den  Jahren  1781 
bis  1820  ergeben,  übersichtlich  zusammen,  so  ergibt  sich,  daß 
in  der  Zeit  von  1781  bis  1820  die  Verkäufe  der  jüdischen 
Meßfieranten  auf  den  Neujahrsmessen  durchschnittlich  33663  Taler, 
auf  den  Ostermessen  110970  Taler,  auf  den  Michaelismessen 
125  914  Taler  und  auf  allen  drei  Messen  270547  Taler  be^ 
t«8!en.  Sie  wuchsen  auf  den  Neujahrsmessen  im  Durchschnitt 
um  5013  Taler  oder  17,5  Ptozenl;  auf  den  Ostermessen  um 
3250  Taler  oder  3  Prozent  und  auf  den  Michaelismessen  um 
11051  Taler  oder  9,7  Prozenl,  und  auf  allen  drd  Messen  um 
19313  Taler  oder  7,7  Prozent  Am  auffrilendsten  war  demnach 
die  Zunahme  der  Veihlufe  auf  den  Neujahrsmessen.  Die  Ein* 
klufe  beliefen  sich  auf  den  Neujahrsmessen  durchschnittlich  auf 
191507  Taler,  auf  den  Ostermessen  auf  434750  Taler,  auf  den 
Michaelismesaen  auf  402267  Taler  und  auf  allen  drei  Messen 
auf  1028547  Taler.  Sie  wuchsen  auf  den  Neujahrsmessen 
um  63467  Taler  oder  49,6  Prozent,  auf  den  Ostermessen  um 

Archiv  für  KulturgcKbicbte.  V. 


Digitized  by  Google 


242 


Ridiini  M»li«nl 


117783  Taler  oder  37,1  Prozenl,  auf  den  Midutdismessen  um 
140276  Taler  oder  53,6  Prcnent  und  auf  alten  drei  Messen  um 
321 526  Taler  oder  51,7  Prozent  Die  Einldufe  der  jfldisclien  Mefi- 
fienuiten  hatten  sich  demnach  innerhalb  vierzig  Jahren  verdoppelt 

Vergleicht  man  die  Zunahme  und  Abnahme  des  WareiK 
umsalzes  der  Juden  auf  den  Leipziger  Messen  mh  der  Entwick- 
lung der  Zahl  der  jfldischen  tttndler,  so  zeigt  sich,  dafi  die  Zu- 
nahme und  Abnahme  der  Frequenz  der  Fieruilen  nicht  immer 
audi  eine  Vermehrung  oder  Venninderung  des  Warenverkdus 
zur  Folge  hatte.  Wahrend  in  den  Jahren  1791  bis  1800  die 
Frequenz  um  46,5  Prozent  stieg,  wudisen  die  Einkäufe  um 
10,5  Prozent;  die  Verkäufe  dagegen  gingen  um  3,2  Prozent 
zurück.  Begründet  lag  die  im  Vergleich  zur  Zunahme  der  Fre- 
quenz klein  erscheinende  Steigerung  der  Einkäufe  zunäclist  in 
der  jEjeringen  Teihiahme,  beziehentlich  schwachen  Kauflust  der 
jüdischen  Aleßfieranten  aus  Rußland  während  der  ersten  Hälfte 
öts  Jahrzehnts  sowie  in  dem  Fortbleiben  der  griechischen  Juden, 
die  bisher  wenij[^er  durch  ihre  Zahl  als  vielmehr  durch  ihre  be- 
deutenden tm kaufe  den  Meßhande!  belebt  hatten.  Dazu  kam  noch 
der  mißliche  Umstand,  daß  die  übrigen  jüdischen  MeBfieranten 
infolge  schwachen  Kredits  nur  geringe  Geschäfte  abschlössen. 

!n  den  Jahren  1801  bis  I8t0  gestaltete  sich  das  Verhältnis 
zwischen  dem  Wachstum  der  Frequenz  und  der  Zunahme  des 
Warenrimsatzcs  hedeiJtend  j^lnstiger.  Während  die  Frequenz  sich 
reichlich  verdoppelte,  vermehrten  sich  die  Einkäufe  beinahe  um 
die  Hälfte,  die  Verkäufe  stiegen  sogar  um  53  Prozent.  Gewiß 
wären  die  Meßgeschäfte  noch  gunstiger  ausg^ftUten,  wenn  nicht 
die  Kontinentalsperre  ihnen  Schranken  gezogen  hätte.  Vor 
allem  hielt  sie  viele  Juden  aus  Hamburg  und  anderen  nord- 
deutschen Städten  1806  und  1807  -  von  den  Messen  fiemi 
so  daß  die  zahlreich  erschienenen  Juden  aus  dem  Osten  ihre  ge^ 
planten  Einkäufe  in  englischen  Waren  nur  zum  kleinsten  Teil 
ausfuhren  konnten.  Auch  war  die  deutsche,  beziehentlich  sftch* 
sische  Industrie  infolge  Mangels  an  klingender  Mflnze  und  wegen 
allgemeiner  Teuerung  der  Lebensmittel  nicht  imstende,  das  un- 
natüriidie  Verhältnis  zwischen  Nachfrage  und  Angebot  durdi  eine 
stärkere  und  zugleich  billige  Produktion  vollsttndig  auszugleichen. 


Der  Einfloß  der  Juden  auf  die  LdpKicer  Messen  in  frfiherer  Zeit.  I.  243 


Die  verhäHnismifiig  größte  Ungleichheit  in  der  Entwiddung 
der  Frequenz  und  des  Warenverkehrs  der  MeBjuden  brachten 
die  Jahre  1811  bis  1830.  In  dieser  Zeit  gingen  die  Einicäufe 
um  8  Prozent  und  die  Verkäufe  um  nicht  weniger  als  42  Prozent 
zurüdc,  trotzdem  sich  die  Frequenz  der  Meßjuden  um  50  Prozent 
vermehrte.  Ihren  Grund  hatte  diese  auffällige  trschcinun^^  haupt- 
sächlich in  der  Abnahme  des  jüdischen  Großhandels  und  der 
Zunahme  des  judischen  Kleinhandels.  Nachteilig  auf  die  Ein- 
und  Verkäufe  der  Juden  wirkte  zu  Anfang  des  Jahrzehnts  auch 
die  strengere  Handhabung  der  Kontinentalsperre  und  deren  immer 
w  eitere  Ausdehnung  nach  dem  Norden  und  Osten  Europas.  Im  Ge- 
sanitdurchschnilt  vermehrten  sich  die  Einkäufe  der  Meßjuden  inner- 
halb der  Jaiire  1791  bis  1S20  um  die  Hälfte  und  die  Verkäufe  um 
7,8  Prozent,  während  die  Frequenz  sich  reichlich  verdreifachte. 

Trotz  der  ii;roRcn  Vorteile,  die  der  Handelsplatz  l  eipzigf  durch 
die  rege  Beteiligung  der  Juden  an  den  Messen  gev.ann,  dauerten 
die  Beschränkungen  des  jüdischen  Flements  im  hiandel,  wie 
sie  der  Kurfürst  im  Einvernehmen  mit  dem  Rate  1682  gegeben 
hatte,  fort  im  Laufe  der  Zeit  erfuhren  sie  sogar  eine  nicht 
unbedeutende  Erweiterung.  Angeregt  wurde  sie  von  den 
Leipziger  Kramern  und  Kaufleuten,  die  sich  durch  das  Gebaren 
der  jüdischen  Meßfieranten  und  durch  deren  auffallende  Zunahme 
in  ihrem  Handel  gefährdet  sahen  und  infolgedessen  dahin  m 
wirken  suchten,  daß  man  den  Juden  das  Feilhalten  in  offenen 
Gewölben  verbiete.  Zu  diesem  Zwecke  wandten  sie  sich  am 
24.  Februar  1687  mit  der  Bitte  an  den  Rai,  er  möchte  gegen 
die  Juden  ein  diesbezflgliches  Verbot  erlassen.  In  der  Begründung 
ihres  Gesuches  sprachen  sie  die  Befürchtung  aus^  daß  ohne  diese 
Beschiftnkung  »sowohl  fremde  als  einheimische  Handelsleute  ge- 
nötigt sein  würden,  die  Augen  bei  guter  Zeit  aufeuhin  und  sich 
Heber  anderswohin  zu  wenden,  als  bei  diesen  üblen,  gefthrlichen 
Nachbarn  den  Ruin  zu  erwarten«;  denn  es  sd  einem  ehrlichen 
Christen,  der  bestehen  wolle,  unmöglich,  seine  Waren  zu  dem- 
selben Preise  zu  verkaufen  wie  ein  Jude.  Dieser  kaufe  seine 
Waren  »oftmals,  wo  nicht  mefarenteils^  per  fu  et  nefss  und  durch 
vieUaitige,  einem  Christen  nicht  wohhmständigie  Umschläge«  der- 
gestalt ein,  daß  er  sie  wohl  ohne  seinen  Schaden  um  die  Hälfte 

16« 


244 


Richmi  Muiignif. 


billiger  verionifen  könne  als  der  Oirtst  Hierbei  bnuiche  man 
gar  nicht  zu  g!edenken  «der  guiz  unversdiämten  Art  und  Weiae^ 
mit  der  die  Juden  jeden,  der  das  Auaaehen  eines  Landmannes 
hat,  auf  freier  Oasse  anredeUi  mit  in  die  Uden  und  Oewötbe 
zielten  und  zum  Kaufen  veridlen«.  Audi  nihmen  de  dlerhand 
Lumpen  an,  deren  Vertiteb  mehr  auf  den  TrOdd  als  in  die 
HandetafewOlbe  oder  auf  die  Messe  gehöre  und  darum  dnes 
ehriidien,  durisUidien  Kaufmannes  unwflidig  sei. 

Da  anf  diese  Anklage  kdne  beliflfdlidie  Maßnahme  gegen 
die  jüdisdien  MeBfienuiten  erfolgte,  so  trieben  diese  ihre  Handels* 
gesdiäfte  in  der  alten  Weise  weiter  und  fuhren  fort,  ihren  Handel 
sogar  an  Sonn-  und  Festtagen  zu  lietrdben,  wie  aus  einer  neuen 
Besdiwerde  der  Kaufleute  ersichtlich  ist.  Am  3.  Mftrz  1687 
wandten  sich  nämlich  letztere  an  den  Ra^  er  möchte  den  Handel 
der  Juden  an  Sonn-  und  Festtagen  überhaupt  verbieten  und 
sie  an  dergleichen  Tagen  ohne  dringende  Not  nicht  aus  ihren 
Quartieren  gehen  lassen. 

Diesem  Wunsche  Schlüssen  sich  auch  die  Tuch- 
hflndler  an.  In  ihrem  Schreiben  vom  4.  März  168  7  sagen  sie 
unter  anderem,  daß,  wetin  den  Juden  fernerhin  öffentliche  Ge- 
wölbe aufzumachen  gestattet  werden  sollte,  «jedweder  rechtschaffene 
Kauf-  und  1  iandwcrksmann  Scheu  tragen  wurde,  nach  Leipzig 
zu  handeln,  und  infolgedessen  das  liebe  Leipzig  sein  Kleinod 
und  seine  Krone,  den  Handel,  unbemerkt  in  kurzer  Zeit  vollends 
verliere.*  Um  diesen  Übelständen  und  den  für  den  Leipziger 
Handel  daraus  erwachsenden  Gefahren  in  Zukunft  vorzubeugen, 
verordnete  der  Rat  am  7.  März  1  687,  daß  kein  Jude  -  aus- 
genommen der  Federjude  -  ein  Gewölbe  gegen  die  Gasse 
haben  dürfe.  Zuwiderhandlungen  würden  mit  »einhundert 
Reichstalern  und  nach  Befinden  mit  einer  andern  höheren  Strafe" 
geahndet  werden.^) 

Die  Verordnung  des  Rates  hatte  zur  Folge,  daß  sich  die 
Juden  am  24.  April  1687  an  den  Kurfürsten  Johann  Geory  flL 
wandten.  Die  Petenten  klagten,  -sie  könnten  nicht  begreifen, 
warum  ihnen  das  Halten  offener  Gewölbe  verboten  sei,  da  ihnen 

1)  Attdi  ta  Fnuikfdrt  a.  M.  w  den  |«dai  daa  FdlhaMa  in  oHm  Onttloi  «tr- 
bolai.  Vgl.  Schnipiwr-Anidl,  Jldlacte  Inlcfknn  n  Ende  des  17.  JahilnmdMli,  S.  4. 


Digrtized  by  Google 


Der  Einfluß  derjuden  auf  die  LdpsIgcrMcswn  in  frflhcnr  Zeit  f.  245 


dieses  doch  in  fnmkftiit  a.  O.,  in  Bnunsdiweig  und  anderen 
Stapel«  und  Handelsplätzen  gestattet  sei.  Aufierdem  mflBten  sie 
ja  fftr  die  Ware^  welche  sie  einführten,  auf  der  Akzis-  und  Wage- 
einnähme  an  2^11  ehi  QroBes  abtragen.«  Wenn  sie  kein  »öffent- 
liches« Gewölbe  halten  dtUHen,  könnten  sie  audi  die  Messe  nicht 
«bauen*.  Dadurch  «rürde  aber  Mdem  kurfürstlichen  Interesse 
ehi  meikliches  aligdien  und  der  Bfligersduift  in  Leipzig  ein 
großer  Schaden  entstehen«. 

Der  Rat  teilte  darauf  dem  Kurfürsten  -  wahrscheinlich  auf 
dessen  Ersuchen  -  in  einem  Schreiben  (datiert  vom  18.  Juh'  1687) 
die  oben  erwähnte  Verordnung  vom  7.  März  mit  und  gab  zugleich 
die  Gründe  an,  warum  er  die  Juden  angewiesen  habe,  sich  in 
den  alten  Schranken  zu  halten  und  unter  den  christlichen 
Kaufleuten  kein  Gewölbe  gegen  die  Gasse  zu  öffnen. 

Trotz  der  Einwände  des  Rates  hielt  der  Kurfürst  die  Maß- 
regel nicht  für  begründet  und  erlaubte  daher  den  Juden 
in  einem  Schreiben  vom  6.  Oktober  1687,  in  der  Reichsstraße 
und  „andern  mehr  abgelegenen  Gassen"  Gewölbe  aufzutun; 
dabei  sollten  sie  sich  jedoch  „alles  Ausschneidens  und  Einzelverkaufs, 
auch  aller  ungebührlichen  Ränke  und  Händel"  gänzlich  enthalten. 

Wie  ans  alledem  hervorgeht,  war  das  Verhalten  der  in 
dieser  hrage  beteiligten  Parteien  zum  Teil  sehr  schwankend. 
Während  wir  den  Kurfürsten  geneigt  sehen,  auf  die  Seite  der 
Juden  zu  treten,  sieht  sich  der  Rat  zu  einer  eigentümlichen 
Mittelstellung  verurteilt  Eine  entschiedene  Stellung  in  dieser 
Frage  nimmt  nur  die  christliche  Kaufmannschaft  ein.  Sie 
erachtet  es  für  nötig,  den  Rat  auf  den  unehrlichen  Handel  vieler 
Juden  und  auf  die  jüdische  Gleichgültigkeit  gegen  Bestimmungen 
der  Behörde  sowie  auf  die  daraus  für  die  Leipziger  Kaufmann- 
sdiaf^  die  Messen  und  die  Stadt  Leipzig  überhaupt  erwachsenden 
Gefahren  auhnerksam  zu  madien.  Die  Meßjuden  dagegen  suchten 
sich  die  Ounst  des  Landesfarsten  zu  sichern,  indem  sie  ihn  auf 
den  Verlust  an  Steuern  hinwiesen,  den  er  durch  ihr  Fernbleiben 
von  den  Leipziger  Messen  haben  wfirde. 

Die  unerwartete  kurftlrstliche  Begünstigung  der 
Juden  eneugte  bei  den  christlichen  Kaufleuten  einen  neuen 
Shsrm  der  Entrostung.  Bereits  am  10.  Oktober  1687  richteten 


246 


Ridiard  Markgral. 


sie  an  den  Rat  die  Bitte,  derselbe  wolle  alle  Juden,  welche  zur 
Michaelisrnesse  mit  Waren  in  offenen  Gewölben  feilgehatten  h&tten, 
nachdrücklich  bestrafen. 

Endlich  traten  sogar  fremde  christliche  Kaufleute 
für  ihre  Kollegen  in  Leipzig  ein  und  geißelten  in  einem  Schreiben 
an  den  Leipziger  Stadtrat  mit  scharfen  Worten  das  Tun  und 
Treiben  der  jüdischen  Meßfienuiten.  AnderwSrts,  so  meinten  sie» 
verführe  num  mit  den  Juden  viel  strenger  als  in  Leipzig.  So 
bestände  z.  B.  in  dem  mit  Ldpag  >oertterenden«  Braunschweig 
die  hdlsame  Ordnung,  daß  die  Juden  kein  offenes  QewOIbe  bei 
den  Christen  haben  dürften.  In  Augsburg  würde  kein  Jude 
ohne  Entrichtung  einer  gewissen  Geldsumme  in  die  Stadt  gebssen. 
Audi  dürfte  er  daselbst  nicht  Ober  Nacht  bleiben,  ja  nicht  einmal 
ohne  Wache  auf  der  Gasse  sich  sehen  hssen.  Zu  Frankfurt  a.  M., 
wo  die  Messen  blo6  wegen  der  vielen  allda  sich  aufhaltenden 
Juden  in  merklichen  Rückg^g  geraten  seien,  bitten  ehemals 
die  Juden  »ch  auch  unterstandeni  Gewölbe  au8erhalb  ihrer  Gasse 
zu  halten.  Nachdem  man  aber  des  Schadens  gewahr  geworden, 
hätte  sie  der  Magistrat  mit  scharfer  Verordnung  wieder  in  ihre 
Gasse  gewiesen.  Aber  leider  in  Leipzig  laufe  das  Judenvolk 
nach  seinem  Gefallen  an  Sonn-  und  Festtagen,  an  denen  jeder 
christliche  Handelsmann  sein  Gewölbe  geschlossen  halte,  in  der 
Stadt  herum,  locke  diesen  und  jenen  mit  sich  und  mißbrauche 
der  Christen  Freiheit  zu  seiner  «desto  größeren  Schinderei  und 
zu  seinem  Wucher  .  In  Hamburg,  so  sagen  sie  weiter,  wären 
längst  alle  polnischen  und  deutschen  Juden  durch  ordentlichen 
Biiri^eibcschluß  „bannisiert",  so  daß  sie  sich  nach  Altona  hätten 
V  enden  müssen.  Auf  den  Lyon  er  Messen  würde  kein  einziger 
Jude  ^^eduldet,  und  in  Paris  konnte  sich  ein  Jude  kaum  ohne 
Leben  so  efilir  melden.  Prag  wäre  seiner  Lage  halber  die  vor- 
trefflichste Handelsstadt,  wenn  darin  die  Juden  nicht  so  überhand 
genommen  und  verursacht  hätten,  daß  der  Handel  daselbst  tot 
und  erstorben  liepe  Nicht  weniger  als  Prag  empfinde  Breslau 
das  jüdische  Tun  und  ireiben. 

infolge  der  zögernden  Stellungnahme  des  Rates  in  dieser 
Frage  erreichte  die  Erbitterung  gegen  die  Juden  eine  solche 
Höhe,  daß  die  chrisüiciien  Kaufleute  zur  Selbsthilfe  griffen.  Man 


Der  Einfluß  der  Juden  auf  die  Leipziger  Messen  in  früherer  Zeit.  I.  247 


»verhöhnte,  warf,  schlug  und  begoß"  die  Juden.  Die  Oewalt- 
tiltigkdten  nahmen  btld  so  flbcrband,  daß  der  Rat  sich  genötigt 
sah,  diifdi  ein  Verbot  dagegen  einzuscfardlen.  Zugleich  erachtete 
er  es  aber  auch  ffir  angebncht,  den  Kurfürsten  zu  bitten,  jener 
Verordnung  vom  7.  Mtrz  16S7  wieder  Rechtskraft  zu  verleihen. 
Der  KurfQist  ging  jedoch  nicht  auf  das  Gesuch  ein,  gcstittete 
vielmehr  den  Juden  aufs  neue,  wie  eine  Petition  derselben  vom 
1.  MIrz  1689  beweist,  in  der  RdcfassttaBe  und  »andern  der- 
gleichen Gassen"  offene  Gew51t>e  zu  halten. 

Von  jetzt  an  stehen  zwei  Parteien  einander  gegenüber,  Rat 
und  chrisfliche  Kaufleute  auf  der  einen  und  die  von  dem  Kur- 
fürsten geschützten  Juden  auf  der  andern  Seite.  Infolge  des  alier- 
maligen  Eintretens  des  Kurfürsien  für  die  Juden  richteten  die 
christlichen  Kaufleute  die  Bitte  an  den  Rat,  derselbe  »wolle  bei 
der  Hohen  Kurfürstlichen  Landesobrigkeit  es  dahin  vermitteln^ 
daß  das  erwähnte  Judenvolk  mit  seinem  unrechtmäßigen  und  der 
ganzen  christlichen  Kaufmannschaft  höchst  präjudicieriichen  Er- 
suclien  SLlinurstracks  abgewiesen  und  auch  ferner  in  seinen  ge- 
wissen Schranken  L^ciialten  weide  Doch  auch  diese  Eingabe 
der  christHchen  Kauileule  brachte  die  Trage  bezüglich  der  offenen 
(lev.albe  ihrer  Lösung  im  Sinne  der  Petenten  nicht  näher;  im 
Gegenteil,  der  Kurfürst  erweiterte  sogar  das  Dekret 
vom  Jahre  1687,  indem  er  in  einem  Schreiben  vom  12.  Februar 
1697  dem  Rate  l^eiahl,  sowohl  dem  zum  kurfursthchen  Hofjuden 
ernannten  Rchrend  Lehmann  aus  H  a  I  b  c  r  s  tadt  ^)  als  auch 
dem  hannoverischen  Hofjuden  Löffmann  Berentz  nebst  dessen 
beiden  Söhnen  tu  gestatten,  «während  dt^r  Me'^se  offene  Gewölbe 
zu  halten  und  von  ihrer  Ware  nicht  mehr  als  andere  Kauf- 
leute zu  entrichten". 

Die  kurfürstliche  Qunst  gab  dem  Streite  über  die  offenen 
Gewölbe  nur  neue  Nahrung,  so  daß  sich  derselbe  in  gleicher 
Stärke  aus  dem  17.  ins  1 8.  Jahrhundert  fortpflanzte.  Dazu  kam, 
daß  auch  die  Kontrolle  der  Juden  nicht  an  Schärfe  verlor.  Jeder 
jüdische  Meßfierant,  der  nach  Leipzig  kam,  erhielt  am  äußersten 
Tore  vom  Torschreiber  einen  numerierten  Toizettel,  auf  den  sein 

>}  Vgl.  Der  polniKhe  Resident  Bereoti  LdiiDJUui,  der  Suromvater  der  isnelitischen 
RcHgUNHCHiMiiMle  n  Dntdn.  Von  tdiicm  Ur^Ur-EnlMl  EntI  Ldunau. 


Digitized  by  Google 


248 


Richard  Markgraf. 


Name  sowie  der  seines  Weibes,  Dieners  und  KnechteSi  ferner 
Tag  und  Stunde  seiner  Ankunft  und  seine  Wohnung  von  dem 
Torsdiraber  geschrieben  waren.  Dann  meldete  sich  der  Jude  im 
innem  Sladttore  bdm  Zöllner,  der  anf  dem  Zettel  ebenfalte  die 
Stunde  der  Anmeldung  bemerkte  und  dieselbe  in  sem  Manual 
eintrug.  Von  hier  mußte  der  Jude  bei  Vermeidung  von  24  Taler 
Strafe  binnen  24  Stunden  mit  dem  erhaltenen  Zettel  zuerst  auf 
der  Ratswagie  und  dann  beim  Stadtgerichte  sich  meiden.  Der 

eines  durchreisenden  Juden  wurde  mit  der  Bemerkung 
•Passieret  Wage  N.«  verschen;  auf  den  Pafi  eines  MeBjuden  da- 
gegen acfarid>  man  die  Worte  vOibt  sich  zu  Redit  an.* 

Was  die  Dauer  ihres  Aufenthaltes  betrifft;  so  durften  die 
jtldisdien  MeBfienmten  nur  bis  zum  Schluß  der  Messe  in  Leipzig 
verweilen.  Ihre  Wohnung  hatten  sie  in  der  bereits  erwihnten 
Judcngnse  am  fHeischerplatze  zu  nehmen.  Vom  Jahre  1704  an 
aber  wies  man  ihnen  den  Brilhl  als  Aufenthaltsort  an.*)  Vor 
ihrer  Abreise  von  Leipzig  mußten  die  Juden  auf  dem  Stadtgerichte 
die  Pisse  abholen,  dieselben  auf  der  Wage  vorieg^  und  daselbst 
ihre  «Abfertigung«  in  Empfang  nehmen.*) 

Nicht  minder  drOchend  als  diese  Kontrolle  empfanden  zu  An- 
fang des  1 8.  Jahrhunderts  die  jüdischen  Meßfieranten  die  Waren- 
zOHe  und  Personalsleuem,  die  sie  in  Leipzig  zu  zahlen  hatten. 
Einer  mäßigen  Besteuerung  erfkcuten  sich  nur  die  mit  iCammer- 
pfissen  versehenen  Juden.  Diese  brauchten  vom  Werte  der  Waren, 
die  sie  zur  Messe  ein-  und  ausführten,  nur  7t  Prozent  abzugeben, 
welche  Summe  »halb  dem  Hate  und  halb  zur  landesherrlichen 
Portion«  gerechnet  wurde. 

(Schluß  lölgt.) 

1)  Vgl.  OSatiier,  Kirchliche  Ziisdnile  In  Ldpzig,  S.  12. 

^  Eiaer  ttnUdm  B€Mf«dHigm|  wtn»  die  fremden  Juden  «ach  in  Fmkfart  «.M. 
Mtanlcllt  kaBmdem  berimd  duelbit  dfe  Batfmmnni;,  daß  die  jOditelMn  Mcflfknurteii 
firjede  Nacht,  die  sie  in  der  Judengasso  'i(  i  hn(fn.  ,>n  dm  Torschrdbcr  6  Pf.  zu  zahlen 
hatten.  Femer  Jeder  Jode,  der  an  Sonn-  oder  f  eiertagen  durch  das  Tor  ging,  ver- 
pfliditet,  an  den  Torsdntfbcr  1  Ouldcn  a  artrichten.  Vgl.  Orth,  Ausfahrliche  Abhand- 
lung von  den  bofioilcB  mpn  Rdchiiimwii  w  Ui  der  MdtmMi  rnnkfiut  a.  M.  jilirlkli 
gehallBD  «odcii,  S.  «n  «.  M*. 


Digitized  by  Google 


Besprechungen. 


Die  Kultur  der  OeCCOwart,  ihre  Lnlwickiung  und  ihre  Zick. 
HcnuQgegiebcn  von  Patd  Hinneberg.  Teil  I,  Abt  1:  W.  Lexis, 
Fr,  Paulsen,  O.Schöppa,  A.  Matthias,  H-Oaudlg,  O.  Kersclien- 
Steiner,  W.  v.  Dyck,  L  Pallat.  K.  Kräpelin,  J  Lessing, 
O.  N.  Witt,  O.  Göhler,  P.  Schlenther.  K.  Bücher,  R.  Pietsch- 
mann,  F.  Milkau,  H.  Diels,  Die  Aligeme  iRn  Grundlagen  der  Kultur 
der  OQ[enwart.    Berlin  und  Leipzig,  B.  O.  ieubner,  1906.  (XV,  671  S.) 

Der  vorliegende  Band  leitet  eine  j^roß  angelegte  neue  Enzyklopädie 
des  Wissens  und  Könnens  der  Gegenwart  —  daß  es  sich  um  eine  solche 
handelt,  lifit  sich  aus  dem  Tilel  nicht  ohne  ivdteres  entnehmen  —  in 
wliefllteher  Weise  ein.  Ober  die  Anlage  des  gsnaen  Unternehmens 
kann  idi  hier  nur  kurz  berichten:  aber  gerade  dieser  Band  virft  auf  die 
Art  der  Durchführung  des  Oesamtwerkes  ein  bezeichnendes  Licht.  Vor 
allem  hat  es  der  Herausgeber  seiner  Absicht  gemäß  verstanden,  für  die 
einzelnen  Gebiete  —  denn  ohne  Arbeitsteihinj^  läßt  sich  ein  solches 
Unternehmen  seibstverständiich  nicht  mehr  durdifUhren  ~  hervorragende, 
oner  den  navomgcnosien«  venrcier  oes  üetreiieuuen  racnes  zu  geinnnen. 
Auch  efai  anderes  Ziel,  die  QemdnvcvBtSndlicfakeit  der  Daislettung,  die 
aber  doch  eine  gewählte  S|Hache  in  sich  schließen  soll,  ut  durdiaus 
erreicht  Es  fragt  sich  indes,  ob  der  Verzicht  auf  jeden  Apparat  und  die 
Beschränki!n^  auf  wenip;e  Literaturangaben  am  Sdiluß  beute  noch  das 
Ideal  des  wißbegierigen  Publikums  ist. 

Der  vorli<^;ende  Band  ist  nur  zum  geringsten  Teil  als  Einleitung 
fttr  das  gsna  Werk  anzusehen.  Als  aokfae  kann  vielmehr  nur  der  erste, 
von  Leds  herrflhrende  Abschnitt  über  dss  Wesen  der  Kultur  gelten.  Die 
flbf^ien  Abschnitte  bdnndeln  zum  Tdl  bereits  bestimmte  Fächer,  freilich 
solche,  die  eine  allgemdnere  Bedeutung  haben.  Sie  betreffen  die  Hilfs- 
mittel der  Kultüf,  die  Vermitthinpsorfranlsationen  und  -Finrichtnnpen: 
ihre  Behandlung  gehört  aho  immerhin  in  einen  .nllj^^ememen  Band.  So 
werden  im  zweiten  Abschnitt  das  moderne  ßüdungswesen«  im  dritten  die 
wichtigsten  Bildungsmittd  (Schulen  und  Hochschulen,  Museen,  Aus- 
stellungen, die  Musik  [ditt  idpitd  flült  ebenso  wie  dss  folgende  an  dieser 
Stdie  dodi  auf,  zumal  Tdl  I,  Abt  12  .Die  Musik«  besonden  darMen 


250 


Besprechungen. 


soll],  das  Theater,  das  Zeitungswesen,  das  Buch,  die  BiblioÜidcen),  im 
vierten  die  Orgrin'^ntifin  dvr  Wissenschaft  behandelt. 

Fast  diirchvieg  betreftVii  die  Kapitel  des  ersten  Bandes  Stoffe,  die, 
sobald  sie  geschichtlich  behandelt  sind,  durchaus  in  das  Ressort  des 
Kulturhistorikers  gehören,  also  das  Biidungswesen,  das  Zeitungs-,  das 
Buchwesen  usw.  In  der  Tit  ist  nun  auch  dem  Ptognmm  des  Unter- 
nehmens gemäß  die  giescfaichtliciie  Entwicklung  jedes  Gebietes  regdmifiig^ 
zuweilen  allerdings  etwas  zu  kurz,  berückddltigt,  und  SO  wird  denn  dieser 
Band  gerade  den  Kulturhistonker  besonders  interessieren  Freilich  sind 
uns  von  Männern  wie  Paulsen,  ücr  iiber  das  Biidungswesen,  oder  Bucher, 
der  Uber  das  Zeitungswesen  orientiert,  ihre  ausführiicheren  früheren  ge- 
scfaiditlidicn  Darlegungen  —  von  den  z.  T.  Itritisdien,  eingehenden  Aus- 
fahrungen  filier  die  Zustände  der  Gegenwart,  die  bei  allen  Abschnitten 
natiuiich  eine  große  Rolle  spielen,  sdicn  wir  hier  ab  —  bereits  genügend 
vertraut,  so  daß  wir  hier  kaum  Neues  hören.  Aber  es  kam  dem  Heraus- 
geber auch  nicht  darauf  an,  dem  Fachmann  Belehrung  zu  geben,  sondern 
vom  Spezialisten  das  größere  FHiblikum  sachverständig  und  gefällig  unter« 
richten  zu  lassen. 

Von  deentlicb  kultuigieschicfatitchem  Interesse  Ist  vor  allem  die 
gut  geschriebene  Einleitung  von  W.  Lexis  fiber  das  Wesen  der  Kultm; 
in  der  er  über  die  Grundlagen  und  Bedingungen  sowie  die  Entwicklung 
der  Kulttir  und  über  die  Kultur  des  U>  Jahrhunderts  handelt.  Besondere 
Neues  und  Überraschendes  für  den  Ketiner  bringt  er  nicht;  aber  die 
Straffe  Zusammenfassung  und  systematische  Gruppierung  des  Stoffes  sowie 
die  gelungene  Herausarbeitung  des  Wesentlichen  lassen  neben  guten  Oe- 
danken im  ehudnen  die  Lektfire  dieses  Abschnitts  gmde  für  unsere  Leser 
empfehlenswert  erscheinen.  Wir  vermisBen  in  ihm  allerdinp  die  Berfidt* 
siditigung  der  Entwicklung  der  Sitten,  des  gesellschaftlichen  und  häuslichen 
Lebens,  der  Lehmshaltung  usw  ,  vor  .illem  auch  die  der  gemütlichen  und 
Gefühlsentwicklung  sowie  drr  tics  ( ic^chnncks,  (  icbicie,  die  zuweilen  ein 
besseres  Spiegelbild  der  KuUurentwicidung  gewähren  können  als  Religion, 
Utentnr  und  Kunst,  Wissensdiaft  und  Tedmih,  Vcffsssung  und  Wiitsdialt 

Überhaupt  sdidnen  jene  Oelriete  auch  dem  Herausgeber  nicht 
gerade  ans  Herz  gewachsen  zu  sein.  In  dem  Programm  des  Ocssmt* 
Unternehmens  hat  die  Sittengeschichte  sowie  die  innere  Bildungs (Gefühls-) 
geschichte  keinen  Platz  gefunden.  Sie  verdient  .iher  einen  solchen,  in 
Teil  II,  Abt.  3—5  (Staat  und  Gesellschaft)  wird  uii  bebten  Fall  nur  dn 
kleiner  Teil  dieses  Gebietes  berücksichtigt  werden  können. 

Von  den  viden  treffUdien  EinaebnsfQhningen  mdcbte  idi  an  dieser 
SIdle  schlieBUdi  diejenigen  hervoihd»en,  die  Psulsen  in  dem  Absdinitt: 
Die  geisteswissenschaftliche  Hochschulausbildung  über  die  Folgen  6e& 
deutsamen  Wandels  macht,  der  sich  im  19.  Jahrhundert  von  der  dogma- 
tischen und  absolutistischen  Denkweise  zur  historischen  und  relativistischen 
vollzogen  hat.  Uro  keinen  Preis  möchte  er  auf  diese  große  Errungenschaft, 


Digitized  by  Google 


Octprachuligjen. 


251 


den  uhistorisdiai  Sinn"  vendditeo.  Aber  er  Icennzdchnet  scharf  die  Obel 

und  Schviengfceiten  im  heutigen  Geistesleben,  die  sich  aus  diesem  Wandd 
ergeben  haben,  vor  allem  die  traurigen  Folgen  des  Sp>ezialistentunis,  den 
Mangel  an  Geschlossenheit  der  Anschauung,  das  unablässige  Indiebreite- 
wachsen  des  blotfes,  das  Grenzenlose  des  Materials,  das  in  der  Zukunft 
unerträgiich  sdn  wird.  »Die  enthusiastische  Arbeitsfrcudigiceit,  womit  das 
junge  19.  Jahrhundert  an  die  philologische  und  historische  Fotschung 
ging,  ist  vidfach  einer  müden,  resignierten  Stimmung  gewichen.*  »Das 
Verian^n  nach  Idiendigen,  starken  und  tiefen  Oedanken,  nach  persön- 
lichen Oberzeugungen ,  nach  einem  Glauben  regt  sich  überall. ...  wir 
können  nicht  leben  von  der  Wissenschaft,  von  der  Historie,  von  der  Kritik, 
von  der  Qucllensammlung,  von  der  ,AndaclU  zum  KU  tun'.  kurz  von 
dem,  was  nun  in  jüngster  Zeit  den  ,Qroßbetrieb  der  Wisscnsduii  nennt, 
und  TO  hl  Wahilieit  der  Fabrikbetrieb  ist«  Wo  ist  das  Heilmittel? 
Oe«riß  nicht,  wie  gesagt,  der  Verzicht  auf  den  Historismus,  auf  die  Er> 
fauigung  historischer  Perspektive,  die  m.  E  allein  den  gebildeten  Menschen 
ausmacht.  Paulsen  weist  vielmehr  auf  die  Bedeutung,  die  die  Wieder- 
belebung des  phi1o*^ophischen  Sinnes  erhalten  kann,  und  femer  -  und 
das  möchte  ich  hier  besonders  liervorhebcn  —  auf  die  Abstol Wm  ;.^  iles 
Nichtigen  hin.  »Vielleicht  hat  sich  die  historische  Forschung  an  diesem 
Afflkt  irreführen  lassen  durch  die  in  der  Naturforschung  gerechtfertigte 
JMaxime:  nichts  gering  zu  achten.«  »Oer  Historiker  muß  den  Mut  zur 
Auslese  haben.«  Ich  gbuibe,  man  kann  diese  Forderung  in  gewissem 
Sinne  für  unsere  Forderung  einer  viel  größeren  B^ichtung  der  Kultur^ 
gesrhichte  {gegenüber  der  politischen  Geschichte  verwerten.  Vieles,  an 
de^.st  Ti  genaue  Erforschung  mancher  politische  Historiker,  aber  eb>enso 
mancher  Kirdienhistoriker,  Rechtshistoriker,  wenigstens  alle,  die  nur  äußere 
Geschichte  treiben,  —  von  dem  Kram  mancher  Philologen  zu  schwetgeii 
—  oft  ihr  ganzes  Leben  gesetzt  haben,  ist  nichtig,  ist  tote  Spreu,  ist  für 
alle  Zukunft  gleichgültig.  Dem  »Trieb,  zum  Wesentlichen,  Wichtigen 
und  Lebendigen  zu  kommen«,  kann  die  Kulturgeschichte,  wohlverstanden 
die  wissenschaftlich  betriebene^  in  viel  höherem  Grade  frerecht  werden. 

Georg  Steinhausen. 


Hcnwun  Sdmcider»  Das  kftusate  Denken  in  deutschen  Quellen 
zur  Geschichte  und  Literatur  des  10.,  11.  und  12.  Jahrhunderts.  (Ge- 
schichtliche Untersuchungen,  herauag.  von  Kart  Lampredit  IL  Bd.  4.  Heft.) 
Gotha,  Perthes,  r^05    fin  S) 

Die  Schrift  stellt  einen  Versuch  dar,  an  deutschen  Quellen  des 
frühen  Mittelalters  einen  allgemeinen  psychologischen  Entwicklungsgang 
nachzuweisen,  die  Entwicklung  des  ursächlichen  Denkens  von  der  naiven 
Annahme  eines  bestindigen  Eingreifens  außerwdtlicher,  göttlicher  Ursachen 
in  den  Weltlauf  bis  zur  Ausbildung  der  Idee  eines  geordneten  göttlichen 


252 


Besprechungen. 


Wellplaus,  die  die  Gottheit  aus  dem  Alltagsleben  über  die  Wolken  rückt  und 
des  bcBtSndigen  Bemfilieiis  an  dßzdne  Zwedtt  fiberiid»!  Der  Volmer 
siebt  in  diesem  Wandel  des  Kausalittlsgedanken  zugleich  die  innerlidie 

Durchdringung  des  germanischen  Volksgeistes  mit  der  christlichen  Welt- 
anschauung. Noch  im  1 0.  Jahrhundert  ist  das  Verhältnis  zwischen  beiden 
ziemlich  äu(krlich;  der  Gott  des  Christentums  und  die  Äußerungen 
seiner  Allmacht  treten  in  den  Quellen  dieser  Zeit  mehr  formelhaft  auf. 
Die  kluniazcnsische  Bew^ung  macht  das  Verhältnis  zu  diesem  Oott  zu 
einem  innigeren,  persönlicheren;  die  Schreiber  empfinden  sich,  ihre  Person, 
den  ihnen  nflchslstdienden  Kreis  der  Umwelt  in  besonderem  Maße  von 
der  göttlichen  Fürsorge  bedacht.  Nach  einer  kurzen  Reaktion  gegen  den 
ersten  Ansturm  tler  kluniazensischen  Hingebung  zieht  der  Investiturstreit 
die  Gottheit  vollends  in  den  Kampf  der  Parteien  selbst  hinein.  Aber  im 
12.  Jahrhundert  sehen  wir  in  ein:^e!n?n  hervorragenden  Persönlichkeiten 
das  klunjazensische  Denken  überwunden,  ersetzt  durch  den  Gedanken 
einer  göttlichen  Wdtordnung,  die  der  unmittelbaren  Eingriffe,  der  Wunder, 
nicht  mehr  bedarf.  So  trennt  sich  hier  die  hdhcre  Bildung  der  oberen 
sozialen  Schichten,  die  hdflsch-ritterliche  Kultur,  von  den  von  der  Geist- 
lichkeit beherrschten  niederen  Massen.  Der  erste  umfangreiche  Teil 
schildert  diese  Veränderungen  der  Auffassung  an  zahlreichen  Quellcn- 
schnttstellern  der  einzelnen  Perioden,  deren  Ansichten  über  die  kausale 
Bedingtheit  berichteter  Ereignisse  und  deren  gesamte  Vorstellungen  des 
Weltsystems  einzeln  eingebender  untersucht  «erden«  Ein  zwefter,  ungleich 
kitazercr  Teil  faßt  die  Ergebnisse  ^stematisch  zusammen  und  sucht  die 
psychologischen  Grundlagen  zu  erläutern,  auf  denen  ladtk  itiese  Verinde- 
rungen,  die  Weiterbildung  der  Vorstellung  des  Verhältnisse  des  Menschen 
zur  Gottheit,  vollziehen  konnten,  den  Fortschritt  des  Denkens  und  der 
sittlichen  Anschauung,  der  darin  liegt. 

Diese  Untersuchungen  iüiiren  zu  tirgebnissen ,  die  denen  der 
DisBcrIntion  von  Oeoig  EUinger  Aber  das  Vertalltnis  von  Wahrheit  und 
Lüge  zur  fiüentlichen  Meinung  im  10.  bis  12.  Jahrhundert  parallel  sind; 
liegt  dort  der  Schwerpunkt  ganz  auf  der  moralischen  Seite,  so  ist  es  hier 
vorzugsweise  die  Entwicklung  der  logischen  Tätigkeiten,  die  den  Verlssser 
an  den  Autoren  des  Mhen  Mittelalters  interessiert. 

Rosenfeld. 


Otto  Zaretzky,  Der  erste  Kölner  ZemurproxtB,  ein  Beitrag  zur 

Kölner  Geschichte  und  Inkunabelkunde  mit  einer  Nachbildung  des 
Dialoj^us  sTipcr  libertate  ecclesia«;ttcrt  1477  (Veröffentlichungen  der  Stadt- 
bibliüthck  III  Köln,  Beiheft  6.)  Köln  i9o6,  Verlag  der  M.  Du  Mont-Schau- 
bcrgschen  Buchliandlung.    (124  Seiten.) 

Mit  großem  Fleiße  und  peinlichster  Akribie,  die  sich  in  da-  Fülle 
der  den  Beveisstoff  aus  allen  Winkeln  herbeiholenden  und  das  Thema 


BesjMnechungen. 


255 


von  aHcn  Sehen  bdeucfatenden  Anmerkungen  besonders  zum  Ausdruck 
bringen,  htt  der  Verfasser  hier  einen  Bdtng  nicht  nur  zur  Qcschicbte 

der  Zensur,  sondern  vor  allem  auch  zur  Geschichte  des  deutschen  Buch- 
drucks geliefert.  Der  Oegenstnnd  dieses  ersten,  im  Inhre  1478  spielenden 
Kölner  Zensurprozesses  und  ciie  in  hn  vernickelten  Personen  waren  bisher 
unbekannt.  2^retzky  weist  nacii,  daii  die  Schrift,  um  die  es  sich  handelte, 
der  Dialogus  super  libertate  ecclesiastica  war,  verfaßt  von  dem  Dechanten 
«n  St.  Andren  in  K<Un,  tfdnridi  Unknunn,  herausgegeben  von  den 
Mfinzmeister  firwin  von  St^  und  gedruckt  1477  in  Kdln  mit  Typen, 
die  Eigentum  des  Nikolaus  Ooetz  von  Schlettstadt  waren.  Dieser  Nach- 
veh.  der  bis  ins  einzelne  unter  Heranholung  aller  urkundlichen  Hilfs- 
mittel, die  das  reiche  Kölnische  Stadtarchiv  an  die  Hand  gibt,  geführt 
wird,  ist  kuiturUislonsch  insofern  besondeis  bemerkenswert,  als  die  Macht, 
die  hier  zum  ersten  Male  Zensur  fibt  und  dn  lästiges  Erzeugnis  der 
jungen  Buchdruckerfcunst  in  Köln  ai  unterdrficken  vemicht,  nicht  die 
geistliche,  sondern  die  weltliche,  nämlich  der  Rat  der  Stadt  Köln  ist  Auf 
die  Einzelheiten  des  Falls  und  den  speziellen  Anlaß  zur  Abfassung  und 
Veröffentlichung  des  Dialogus,  die  in  den  Reibereien  zwischen  der  Geist- 
lichkeit und  dem  Rat  wegen  der  Beschneiduiig  der  alten  wirtschaftlichen 
Privilegien  der  ersteren  (der  Freiheit  vom  sog.  Mahlpfennig,  des  steuerfreien 
Weinannchanks  etc.)  dnith  den  KtA  zu  suchen  dnd,  und  die  Zaretzlcy  sdir 
eingdiend  in  dem  ersten  Tdl  sdner  Schrift  untenucht,  Imudit  hier  nicht 
niher  eingegangen  zu  werden.  Bemerkt  sei  hier  nur,  daß  der  Dialogus, 
wie  Zaretzky  darlegt,  ein  recht  interessantes  Dokument  zur  inneren  Ge- 
schichte Kölns  für  die  Zeit  während  und  nach  Beendigung  des  Biirp^iin- 
dischen  Krieg»,  in  der  die  städtische  Finanzlage  in  arge  Bedrängnis 
geraten  war,  bildet  luid  den  ersten  bekannten  Versuch  darstellt,  die  neue 
Kunst  des  Buchdrucks  in  Köln  in  den  Klnpfen  des  öfientlidien  Ldiens 
auaainfitzen.  Dem  ersten  darstdlenden  Teil  fOgt  der  Vertuser  dann  27 
auf  den  Fall  bezügliche  Urkunden  aus  dem  Historischen  Ardiiv  dar 
Stadt  Köln  an.  Dnran  schließt  sich  der  Text  des  Dialogus  und  die 
für  die  Ocschiclite  des  Buchdrucks  xnchtii^c  typrij^nphische  Nachbildung 
des  Dialogus  nach  einem  Exemplar  der  Kölner  bladtbibliothek.  Dieser 
ist  noch  die  Nachbildung  der  eiMen  Seite  des  Angustinus  De  sanda 
vvginitate  nach  dem  Exemplare  der  Mfindiener  Hof-  und  Staatsbibliothek 
vorangestellt,  der  gleich  dem  Dialogus  und  zwei  weiteren  Werken,  wie 
Zaretzky  beweist,  mit  den  Typen  des  Nilcobtus  Ooetz  von  Schlettstadt 
in  Köln  gedrudct  ist 

W.  Bruchmüller. 


Digrtized  by  Google 


Kleine  Mitteilungen  und  Referate. 


Die  neue,  sechste  Auflage  von  Meyers  GroRem  Konversation^- 
Lexikon,  dem  wirklich  vortrefflichen  „Nachschlagewerk  des  all^emfincn 
Wissens",  (Leipzig  und  Wien,  Bibliographisches  Institut)  schreitet  rüstig 
fort  Es  liegen  uns  die  Bände  13—15,  die  die  Stidiwortc  Lyrik  Ms 
PlakiMrifien  umfusen,  iR  der  bekannten  gedi^encn  Aualattang  und. 
mit  dem  reichen,  den  Text  veranschauli^enden,  zum  Teil  känstlerisch 
schönen  Illustrationsmaterial  vor.  Wir  haben  die  Vorzüge  des  Werkes, 
die  seinen  Gebrauch  auch  gelehrten  Kreisen  zur  Feststellung  äußerer 
Daten  usw.  oder  entlegenerer  Dinge  unentbehrlich  machen,  bereits  mehr- 
fach hervorgehoben,  weisen  auch  wiederholt  auf  die  guten  i-iieraturangaben 
bd  den  dafür  geeigneten  Artikeln  hin.  Von  unaeran  Ocbid  nttieriicgiendcfl 
Artikdn  seien  aus  den  vorii^gendcn  Binden  die  folgenden  genwnt,  die 
zum  Teil  zeigen,  daß  auch  verstecktere  Materien  berücksichtigt  sind: 
Mahlzeit,  Maife^^t,  MSnnerhIuser,  Männerkindbett,  Maschine,  Maske,  Messen 
(Handelsmessen),  Wetallzeit,  Metzgerpoc;ten,  Minnehöfe  (deren  Existenz 
riditig  als  Fhantasiegebilde  hingestellt  wird),  Mittelalter  (hier  hätten  neuere 
Ansduuungen,  die  das  Ende  des  MiHdaltars  eist  in  das  17.  Jahrhundert 
legen,  wenigstens  erwihnt  venlen  sollen;  vgl  dieses  Archiv  V,  118), 
Möbel,  Mflhlen,  Mumien,  Münzwesen,  Musik,  Mythologie,  Natuigefflld 
(die  kurz  gegebene  Geschichte  desselben  folgt  nicht  genügend  den  neueren 
kulturgeschichtlichen  Darstellungen  dieser  Materie),  Nordische  Kultur, 
C)kktilii'>nu;  Op€T,  Opfer,  Orden,  Ornament,  Papier,  Perücke,  Pfalil« 
bauten,  Pilug. 

Ulrich  Wendt  sucht  in  dnem  kunm  Eteai:  Technische 
Ursachen  ->  soziale  Wirlcungen  (Zdlidirift  fOr  Sozialwissenschaft. 
Jahrg.  9,  Hefl  lO/tl)  den  gewaltigen  Einfluß  der  technischen  Fortschritte 

auf  die  soziale  und  auch  kulturelle  Entwicklung,  ohne  Z  Acifcl  f; bertreibend, 
darzutun.  «Daß  die  Technik  unentwickelt  war",  heilet  es,  ,d.irin  im 
Altertum  die  Not\(cndigkeit  der  Sklaverei.  Sobald  die  Technik  sich  ge- 
hoben hatte,  trat  im  Handwerk  der  Prozeß  der  Frdiassung  ein.«  Und 
weitere  Folgen  knüpften  sich  daran.  Illach  Wendt  ist  fiberhanpt  die 
Technik  diejenige  Betätigungsform  der  menschlichen  Natur,  aus  welcher 
die  Kultur  in  erster  Linie  hervorgeht,  in  zweiter  Linie  dann  die  Van- 
edlung  des  menschlichen  Geschlechts. 


Digitized  by  Google 


Kleine  Mlttdlungen  and  Referate; 


255 


In  der  Beilage  zur  Allgemeinen  Zeitung  (1907,  Heft  1/2}  veröffent- 
lidit  H.  Bulle  seine  &langer  Antrittsrede  über  Homer  und  die 
mykenisch-griecbische  Kultur.  »Sdionzu  Be8tnndes2.Jaln1tuseQds 

blühte  auf  Kreta  eine  Kultur,  die  an  künstlerischer  Höhe  weit  über  dem 
steht,  'W'a?  j^leichzeitifT  in  Mesopotamien  und  Ägypten  ^elei^tet  wird  "  Dfe 
Karer  sind  die  Scliojner  du^er  Kultur.  »Um  die  Mitte  des  2.  Jahrtausends 
verbreitet  sich  der  Einfluß  Kretas  über  das  ganze  Ägäische  Meer;  am 
intensivsten  kommt  die  Ostkfiste  Griechenlands  unter  seinen  Bann,  wo 
die  griediisdicn  Sttmme,  die  vir  unter  dem  liomeriscfaen  Sanunelnamen 
der  Adiier  zussmraenÜMen,  «ch  dem  Zauber  dieser  Kultur  ergaben,  aber 
nicht  ohne  in  Bauknnst  und  Lebensgewohnheit  die  aus  einer  ehemaligen 
nördlichen  Heimat  mitgebrachten  Eigentümlichkeiten  7ii  be\rnhren  "  Bei 
ihnen,  die  in  den  Zuständen  ritterlicher  Feudalherrschaft  ieben,  blüht  der 
Heldengesang,  so  in  Tiryns  und  Mykenä.  Ab  sie  den  von  Norden 
kommenden  Dorem  weichen  müssen,  ziehen  die  Nachkommen  jener 
mykenischen  Könige  nach  Kleinasien:  mit  ihnen  «andern  die  alten 
Heldenlieder.  Neuer  Stoff  sIrBmt  hinzu.  »Nun  erstehen  die  groflen 
Dichter,  die  alle  diese  verschiedenartige  Stoffe  zu  großen  Sagenkomplexen 
zusammenschweißen."  Aber  alles,  was  schon  zu  künstlerischer  Abrundung 
gelangt  ist,  wird  bewahrt:  »ihr  Dichten  ist  mehr  ein  immer  erneutes  Um- 
gießen, nicht  ein  völliges  Neugestalten.  So  werden  viele  Grundzüge  der 
alten  Kultursphire  und  manche  charakteristische  Einzelheit  festgehalten. 
Und  die  homerischen  Gedichte  sind,  In  diesem  Sinne  au^aBt,  doch 
eine  Spiegelung  jener  rajrloenisdien  Kulturbiflte.*  «Homer  an  der  Wende 
zweier  Zeiten,  ab  Vollender  jener  frfihgriechischen  Vorblüte,  als  Anr^|er 
und  Leiter  einer  noch  größeren  neuen  Zeit,  das  ist  die  Erkenntnis,  die 
die  Archäologie  beisteuert  zu  der  Erforschung  diesfö  Problems." 

in  seiner  bekannten  anr^enden  Weise  gibt  Gaston  Boissier  in 
der  Revue  des  deux  mondes  (Se  Pfr.,  t.  XXXVI,  livr.  4;  XXXVII,  livr.  1) 
dne  Geschichte  des  Begriffisder  humanitas  (A  propos  d'un  mot  latin. 
Comment  les  Romains  ont  connu  Vhumaniii^,  Natürlich  ist 
der  Begriff  der  Humanität  kein  Produkt  römisdien  Geistes,  dem  er  etgent> 
lieh  widerspricht  vielmehr  den  Römern  von  den  Griechen  fiberkommen. 
Oerade  dieser  lk'L;ntf  muß  Gelegenheit  geben  zu  einer  Schilderung  des 
griechischen  Kulturemflusses.  B.  skizziert  auch  die  Geschichte  dieses  Ein- 
flusses, der  mit  Uvius  Andronicus  (der  durch  Schule  und  Schauspiel 
virkte)  beginnt,  dann  hd  seinem  Wachsen  Opposition  findet  (bei 
Pbiitos  eriiennbar),  bis  ihm  Sdpio  Aemilianns,  ein  römischer  Patriot  und 
doch  begeisterter  Hellenist,  durch  sein  leuchtendes  Beispiel  zum  Siege 
verhüft.  Nun  erst  konnte  der  Becjiff  der  btimanitas  durch  die  ersten 
römischen  Geister  definitiv  geprägt  und  formuliert  «erden  Dieser  Ikijritf 
ist  aber  für  alle  Folgezeit  wichtig  geworden.  »Scipion  i:milicn,  Ciceron 
et  les  autres  ont  travaill6  pour  nous."  Von  der  humanitas  hätten  die 
vlatdnitehen  Nationen«  ihre  Kultur  hemiteiten. 


256 


Kleine  AAitteilungen  und  Referate. 


In  deii  Preußischen  Jahrbüchern  (CXXVli,  Heft  1)  (^ibt  j.  Geficken 
«tue  nidit  flUe  latltnisndiiditlklie  SMae  fibcr  die  VelUnscIiaiiiing 
spltantiker  Zeit.   Von  dncm  völligen  Verfall  der  guuen  antiken 

Kultur  läßt  sich  nidit  reden.  »Wohl  aber  ist  für  die  zwei  ersten  nadh- 
christlichen  Jahrhunderte  -  diese  will  G.  im  Aussdinitte  behandeln  ~ 
bei  den  Griechen  und  spfiter  auch  bef  den  Römern  ein  starker  geistiger 
Rückgang  wahmehnihir  '  „Die  Abneigung  gegen  die  wi^nschaftltche 
Arbeit,  gegen  die  eigentliche  Spekulation,  die  stete  Betonung  der  Moral 
nnd  der  religiösen  Betncfatung  kenmeichnet  an»  bcstai  Teile  die  beiden 
ersten  nadicitriBtllchen  Jahriiunderte.« 

Auf  dem  Gebiet  der  deutschen  Kultufgeachidlte  ist  namentlidi 
wieder  über  Arbeiten  lokaler  Natur  zu  berichten.  Allgemeinere  Bedeutung 
hat  ein  Aufsatz  Heinrich  Meiers  Ober  die  Beziehung  Braun- 
schweigs  zu  den  natiirHcheii  Richtungen  der  mittelalter- 
lichen Handeisstraßen  \Braunschweigisches  Magazin,  1906,  Nr.  11). 
Aitf  Qnind  der  Pline  des  Bnunsdiweigisdien  Uitandenbuches»  Bd.  in,  nnd 
der  Quellen  sdgt  M.  die  Entstehung  der  AUsladt  aus  dflrfUdien  Ansied- 
lungen  an  den  sechs  alten  Handdsfahrstraßen.  Die  Vermehrung  dieser 
Ansiedlungen  infolge  des  zunehmenden  Handels  verwischte  dann  den 
dörflichen  Charakter. 

Weiter  seien  folgende  Arbeiten  notiert:  M.  Hoff  mann,  Be- 
schreibung Lübecks  aus  der  Zeit  um  15 SS  (Mitteilungen  des  Vereins 
f.  tflb.  Gesch.,  XI,  111^22);  A.  Warschauer,  Aus  den  Posener 
Stadtrechnungen,  bes.  des  16.  Jahitunderts  (ZeMsdirift  d.  hlstor. 
Gesellschaft  Posen,  XX,  249—92);  Detlefsen,  Die  städtische  Ent- 
wicklung Glückstadts  unter  Christian  IV.  (Zeitschrift  der  Gesellschaft 
f.  Schlesw.-Holst.  Oesch  ,  Rd.  XXXVl);  O  l  iebe,  Eichsfelder  Zu- 
stände im  großen  Kriege  (Mühlliäuser  üeschichtsblätter,  Jg.  7); 
Reibstein,  Beschreibung  des  Amts  Möckern  aus  dem  Jahre  164u 
(aesch.-Blitter  f.  Magdebuig,  XL,  220--42);  S.  Rosenfeld,  Zustand 
des  Amts  Loburg  im  30jährigen  Kriege.  (Ebenda,  24S— 50.) 

Zwd  «esentlidi  kultuigescfaichtlidi  gefärbte  Oesdikfatsbilder  ans 
der  •  Franzosenzeit"  veröffentlicht  Curt  Gebauer  in  derselben  Zdtsdirift 
(190S,  Heft  1  und  i"Oh  Heft  2).  Die  Stimmungsbilder  aus  den 
Tagen  des  Königreichs  Westfalen,  gezeichnet  nach  Magdeburger 
Aichivaiien,  Zeitungen  usw.,  eigeben  das  den  Menschenkenner  nicht  übcr- 
nflchende  Resultat,  da8  die  Magdebuigci  Bevölkerung  die  französische 
FienidhcrrKhaft  keincsvegs  mit  dem  patriotischen  OroU  trug,  den  man 
gemeinhin  voraussetzt.  OewiB  ist  darauf  auch  »dne  gewisse  Uuge  Ver- 
söhnungspoUdk  der  franzfisbchen  Partei'  von  Einfluß  gevesen;  die  Hin- 
neigung zu  der  neuen  Ordnung;:  ist  ferner  -durch  die  neuen,  von  den 
Emtngenschaften  der  Revolution  insiiiricrlcn  und  durch  die  französische 
Herrschaft  in  Deutschland  verbreiteten  gesetzgeberischen  Gedanken,  vornan 
<lnich  des  «cstftlische  Grundgesetz,  die  Konstitution,«  erldirlidi.  Der 


Kleine  Mitteilmigen  und  Reilente. 


257 


zwdte  Aufritz:  Das  französische  Element  im  Thetterleben 
Magdeburgs  ▼fthrend  der  Fremdherrschaft  (Ende  1806  bis  1814) 

zeigt,  daß  von  einem  Aufnötigen  französischer  Stilcke  nicht  die  Rede  sein 
kann,  daß  überhaupt  die  Zahl  der  in  M.  autgeführten  französischen  Stucke 
im  Verhältnis  zu  dem  deutschen  Repertoire  nur  eine  ziemlich  geringe 
war.  Ancb  die  Prüfung  der  in  deutscher  Sprache  aufgeführten  franzo- 
sischen  Stflcke  im  Reperi^  des  deutschen  Schauspieles  ergibt  nur  einen 
geringen  Einfluß  der  fruizfisischen  HemdiaÜ  Di^nsen  Qbten  die  Gast* 
spide  französischer  Kfinstter  in  Magdeburg  doch  stärkeren  Einfluß.  Im 
altgemeinen  tritt  übrigens  durchweg  das  fnuizflsisdie  Scbaus|iiel  hinler 
der  französischen  Oper  fast  ijan/  7urOck. 

Kulturgeschichtlich  bemerkenswert  ist  ein  Aufsatz  von  A.  Hassel- 
blatt in  der  Baltischen  Monatsschrift  (1906,  H.  8/9):  Züge  aus  unserer 
provinziellen  Physiognomie  vor  zwei  M^nschenaltern. 

Efwihnt  seien  ferner  folgende  Beitilce  zw  snßcnlenlidien  loloikn 
Knltmieichichte:  L  Knappert,  Uit  het  Leidsche  volkleven  in  d. 
aanvartf^  d.  1b  eeu w  (Handelingen  etc  v.  d.  Maatsch.  d.  Ncderl.  I.etter- 
kuiule  te  l  eiden,  1904/5,  Mededel.,  3—28);  H.  Poetgens,  Souvenirs 
de  V  erviers  ancien  (Bulletin  de  la  soc.  vervietoise  d  archeol. 
et  dliist.,  1906,  no.  7);  W.  Grote,  Das  London  zur  Zeit  der 
Königin  Elisabeth  in  deutscher  Beleuchtung  (Die  neueren 
Sjprufaen,  XIV,  Heft  8/9). 

•  Ziemlich  reichlich,  wie  heigdmcht,  fließen  die  Mitteilungen  fiber 
Heyenprozesse,  leider  meist  rw^  späterer  Zeit,  in  der  sich  immer  daselbe 
Bild  bietet,  wahrend  das  interessantesle  Kapitel  doch  das  der  Fntstehung 
der  Hexoivertolgung  bildet.  Es  berichtet  K.  v.  Kauffungen  über  Mühl- 
häuser Hexenprozesse  aus  den  Jahren  1659  und  1660  in  Jahrg.  7 
der  Mfihlfaättser  OescfaichtabUltler,  A.  Dettling  ausführilch  Uber  die 
schwyzerischen  Hexenprozesse  in  Heft  15  der  Mitteiinngen  des 
Historischen  Vereins  des  Kantons  Scbuyz.  A.  En  giert  veröffentlicht  in 
den  Hessischen  Blättern  für  Volkskunde  (V,  H.  2/3)  als  Kleinen  Bei- 
trag 7iir  (ieschichte  der  Hexenprozesse  ein  Gedicht  aus  einem 
Einblattdruck  der  Münchener  Hof-  und  Staatsbibliothek  »von  einem 
Schultheißen  Hans  Fleischbein  von  Schaffheym",  dem  die  Erstattung  einer 
Anzeige  gegen  Hexereiverdichtige  um  1629  zugrunde  liegt  Auch  aus 
IlaUen  liegt  ein  einschUgiger  Beitrag  von  A.  Cerlinl,  Uns  strega 
reggiana  e  il  suo  processo  (Studi  storici,  XV,  1)  vor. 

O.  Schutte  teilt  in  der  Zeitschrift  des  Vereins  f.  Volkskunde 
XV,  isof  )  Zauberse^^u'n  des  1h.  Jahrhunderts  aus  dem  Oigicht- 
boecke  im  Braunschweiger  Stadtarchive  mit. 

Wesentlich  geschichtlich  ist  auch  die  fleißige  Art>eit  von  Franz 
Kaumanns  über  den  Adlerstein  als  Hilfsmittel  bei  der  Oeburt 
(Hessische  Blitler  f.  VoUnkunde,  V,  H.  2/3).  Ei*  bringt  fßr  die  schon 
Im  AUerhim  wiederholt  erwUinle  Sitte,  den  in  schweren  OeburfsuMcn 


Aitfv  «r  KBUnifCMlilcM»  V. 


17 


258 


Kleine  Mitteilungen  und  Keterate. 


liegenden  Frauen  durch  Aiilnnden  des  Adlersteines  Erleuhlening  zu 
verschaffen,  allfö  wichtige  Material  aus  der  antiken  wie  der  mitteialtcr- 
lichen  und  späteren  Literatur  und  fügt  zum  Schluß  diiige  Auszüge  tus 
dner  einchlägigen  Speziakbliandliiiig  von  Job.  ümrenthis  Busch  (Läpdg 
1665)  hinzu.  Als  Oegiuar  jenes  Ofauibens  nennt  Biusdi  unter  einer  Meinen 
Zahl  vor  allen  den  bekannten  Oesner,  der  sidi  sehr  energisch  gegen 
•diesen  maßlosen  Aberglauben"  äußert. 

O.  Günther  berichtet  in  den  Mitteilungen  des  Westpreußischen 
Geschieh  tsverei  ns  (V,  26f)  vom  Gesundbeten  in  Danztg  16SS. 

P.  Mitzschke  macht  in  dem  Sonntagsbtatt  der  Dorfzeitung 
(1906,  Nr  44)  auf  zwei  Stellen  in  der  Ininstieschichtllch  bereits  wieder- 
holt  gewfirdiglen  Pnchthandschrift  der  Stnttgvter  Bibliotbek,  dem  sogen. 
Landgrafenpsalterium  aufmerksam,  die  das  älteste  Kirchengebet 
fQr  einen  thüringischen  Fürsten,  den  Jjuidgrafen  Hermann 
(1190—1217),  bilden. 

P.  Barth  setzt  nach  einer  Pause  seine  auch  kultur-  und  sozial' 
geschichtlich  interessante  Geschichte  der  Erziehung  in  soziolo- 
gischer Beleuchtung  in  einem  5«  Bdtng  fort  (Viertdjahnscbfifl  f. 
wiisensch.  Philosophie  und  Soziologie,  N.  F.  V,  4.) 

Eine  in  den  M^langes  de  bi  ficulte  Orientale,  Universite  Saint- 
Joseph,  Beyrouth,  t.  I,  erschienene,  uns  nichr  zugängliche  Arbeit  von 
A.  Mallon,  Une  ecole  de  savants  egyptiens  au  moyen  äge,  sei 
hier  dem  Titel  nach  erwähnt. 

Aus  den  Mitteilungen  der  OcsellschafI  ffir  deutsche  Endehungs» 
und  Sdiulgcscbicbte  (16.  Jg.,  Heft  4)  heben  wir  einen  lodtuigadiichdich 
allgemein  interessanten  Aufsatz  von  Hermann  Lorenz  filier  die  Lehr- 
mittel und  Handarbeiten  des  Basedowschen  Phitanthro- 
pin';  hen'or  Demselben  sind  12  Tafeln  mit  Abbildim^en  der  wichtic^sten 
in  Dessau  noch  heute  vorhandenen  KV^te  (25  üeretisiande)  beigefügt, 
ts  sind  dies  u.  a.  das  iModell  eines  Kriegsschiffs,  einer  Festung,  von  I*f1ug 
und  Egge,  eines  Kranes,  eines  Pumpwerks,  eine  Chinesenfigur  usv(. 
Ihrer  Verzeidmnng  und  Beschreibung  wird  dne  quellenmlBige  &firlerung 
Ober  die  Entwicklung  der  Basedowschen  Etzichungigedattken,  soweit  sie 
Lehrmittel  und  Handfertigkeit  betreffen,  vorausgeschickt.  (1.  Die  Emp- 
fehlung de?  Snchunterrichts  durch  Basedow.  2.  Plan  der  I  chrnittd- 
sammlungcn  und  der  Edukationshandlung.  3.  Die  aus  den  Philanthropin- 
schriflen  und  Akten  nachweisbaren  Lehrmittel;  ihre  Verwendung.  4.  Der 
Handfertigkeitsunterricht  des  Basedowschen  Philanthropins.) 

Von  schulgesdiiditlidien  Axbeiten  seien  die  folgenden  genannt: 
O.  Rfickert,  Schulwesen  nm  das  Jahr  1558  {JMx  d,  HisL  VcretaiB 
Dillingen,  XVIII,  13S/5);  L  Lefebvre,  Note  sur  l'enseignement 
du  latin  et  l*'s  jeuv  en  langue  latine  dans  les  ecoles  de  Lille 
au  XVlP  si^clc  {Annales  de  l'Est  et  du  Nord,  \'J0ü,  no.  4);  J.  A  ,  I  >n- 
seignement  public  ä  Liege  en  1795  (Chron.  ardi6ol.  du  pays  de 


Kleine  Mittaluiigfn  und  Referate. 


259 


Liege,  1906,  no.  9);  Th.  Wotschke,  Die  Posener  Pfarrschule  von 
Maria  Magdalena  im  5.— 6.  Jahrzehnt  des  16.  Jahrhunderts  (Histor 
Monatsbi Itter  f.  Posen,  VI,  142  5);  J.  W.  Noväk,  Die  Schulordnung 
des  deutschen  »Gymnasium  illustre'  bei  St.  Saivator  in  Prag 
(Altstadt)  (Jahrtmcfa  der  QcBcllsdiaft  f.  d.  Ocsdi.  d.  Protcsdntismiw  fn 
Östenefch,  27.  Jahng.). 

Mehr  sittengeschichth'ches  Interesse  bat  die  Arbeit  von  Jos.  Wils, 
Les  d^penses  d  un  etudia  nt  ä  l'universit^  de  Louvain  (1448— 53), 
in  den  Analcctes  de  l'hist.  eccles.  de  la  Bel|?ique  (XXXIl,  4). 

Zur  (it-schichte  der  Bibh'otheken  im  Altertum  liefert  R.  Cagnat 
in  den  Menioires  de  1  acadenue  des  inscriptions  et  belles-lettres  (t.  XXXVlll) 
dnen  wichtigen  Beitrag  (Les  biblioth^ues  tnuniclpales  dans 
Tempire  romain). 

Aitsdem  4.  Abschnitt  der  lehnddien  Untersuchungen  R.  Meringers 
in  den  Indogermanischen  Forschungen  (XIX,  5):  Worte  und  Sachen 
seien  die  Ausfuhrungen  über  das  Schlittenhaus  hervorgehoben,  die  die 
frühe  Bauweise  in  vergleichender  Weise  beiiandeln. 

O.  V.  Zingerle  sdiildert  in  der  Zeitschrift  des  f-crdiiundeuins 
(XLIX,  26S— 300)  die  Einricbtung  der  Wohnräume  tirolischer 
Herrcnhiuser  im  15.  Jahrhundert 

H.  Beh  len  verbreitet  sich  in  den  Annalen  des  Vereins  f.  Nassauiscfae 
Altert  u.  Gesch.  (XXXV,  237—63)  über  das  nassauische  Bauernhaus. 

Alfred  Sitte  beginnt  in  den  Berichten  und  Mitfeilimjyen  des 
AUauimsvcreins  zu  Wien  (XL.  Bd.,  1.  Hälfle)  eine  kulturgeschichtlich 
bemerkcnswa le  und  iieißig  gearbeitete  archivalische  Publikation:  Aus 
den  Inventarien  des  Schlosses  zu  Pottendorf  erscheinen  zu  hissen. 
ZuBlcfast  liegt  allerdings  nur  die  historische  Einleitung  vor,  die  Schloß 
und  Herr«:haft  Pottendorf  (in  Niederösterreich)  bis  zum  Jahre  1665, 
weiter  währentl  des  Graf  F.  Nädasdysclien  Besitzes,  Schloß  Pottendorf  als 
kaiserlichen  Kaninierbesitz  1670—1702  und  die  Veräußerung  der  Graf 
Nädasdyschen  iMobilien  behandelt.  Von  Wichtigkeit  ist  insbesondere  die 
Zeit  des  Grafen  Nädasdy,  eines  der  hervorragendsten  Männer  Ungarns,  der 
1670  in  einen  aubehcnentgenden  Hocfavemtsproiefi  verstrickt  und  1671 
bi  Wien  hingerichtet  wurde.  Er  war  dn  großer  Kunstfreund  und  i¥eund 
der  Wissenschaften,  der  selbst  schrieb  (Mausoleum  der  ungarisdien 
Könige)  und  auch  eine  eigene  Druckerei  im  Schlosse  hatte;  über  die 
Pottendorfer  Drucke  verbreitet  sich  Sitte,  der  darüber  schon  früher  ge- 
schrieben hat.  eiiit^chenda-.  »Die  im  11.  Teil  zur  Veroitentlichung  gelan- 
genden Inventare,  welche  nach  der  Verhaftung  Nädasdys  aufgenommen 
wurden,  geben  uns  so  recht  dn  lebendiges  Bild  eines  nicht  nur  an  Geld, 
sondern  auch  an  Ods!  und  KunstUebe  rdchen  Mannes.«  Jetzt  ist  alles 
aerstreut,  »die  OemUdesamnilung,  die  Rflstkammer  mit  ihnen  Sdteobdten, 
der  Schatz  der  Kapdle,  die  pnchtigen  Prunkwaffen  und  Gewänder,  die 
Sammlungen  von  antihen  Mfinzen  und  Kupferstichen,  die  Kristallglte 

17* 


260 


Kleine  Mittdlungoi  und  Referate. 


die  Bibliothek  und  die  Druckerei,  die  Handschnftensammlungf,  die  Samm- 
lung von  Ranüten,  die  prächtige  Innendekoration  und  Einrichtung  etc." 
Über  die  Schatzkammer  Nädasdys  hat  Sitte,  der  mit  ähnlichen  Arbeiten 
sich  boeils  meliifiKii  vodicnt  gemadit  hat,  übrigens  badtt  im  XXXIV. 
und  XXXV.  Binde  d«ndbcn  Zeitschrift  gehmdelt  Dtmals  hat  er  bereHs 
das  kunst-  wie  kulturgeschichtlich  sehr  intenwmte  Schätzungsinventar 
über  die  »Ciainodien,  Oolt,  Silt>er  unnd  andern  Sachen«,  d.  h.  auch  über 
kostbare  Stoffe,  Kleidungsstücke,  Pelzsachen,  Teppiche  ti^w.  sowie  iiber 
kunstreiche  Kuriositäten  und  die  Oemälde  veröffentlicht  (nach  Archivahen 
des  Reichsiinanzministeriums). 

Die  BttHer  für  vergleichende  RedriiviMemch.  o.  VoUnr.  (1906,  5/6) 
enthalten  einen  Aufntz  von  R.  Thnrnvald  fibcr  die  Stellung  der 
Frau  im  alten  Babylonien  und  die  allgemeinen  Orenxen  der 
Rechtsstellung  der  Frau. 

Ein  serbisch-byzantinischer  Verlobungsring  ist  der 
Gegenstand  der  interessanten  Ausführungen  K.  Krumbachers  in  den 
Sitzungsberichten  der  bayer.  Akademie  der  Wissensch.  (1906,  Heft  3, 
421-452).  Dieser  Rtog  stellt  das  ehaige  Betspiel  dar,  wo  ein  Ring  ans> 
drOddidi  durch  die  Inschrift  als  Veriobungving  beieichnet  wfad.  Es 
handelt  sich  um  die  Verlobung  des  Serbenhcmehen  Stephan  Radosfaiv 
mit  der  griechischen  Kaisertochter  Anna  Komnena  um  1230.  Der  Ge- 
lehrte, der  Krumbacher  auf  den  Ring  aufmerksam  machte,  war  Prälat 
Frielrich  Schneider  in  Mainz  (vgl.  Mainzer  Journal,  1407,  Nr.  18). 

Über  Landesfürstliche  üeburts-,  Vermähiungs-  und 
Todesanzeigen  im  15.  Jahrhundert  macht  O.  Richter  ht  den 
Dresdner  Ocschichtsblitlem  (1906,  Kr.  2)  MitteUungen. 

Aus  den  Rheinischen  OescbidrtsbÜtteni  (VIII,  111--19)  notieren 
wir  einen  Aufsatz  von  F.  Hauptmann,  Eine  schöne  Leich. 
Kulturbild  aus  dem  jfllicher  Land  aus  der  2.  Hilfte  des 
IS.  Jahrhunderts. 

In  doi  »Studien  aus  Kunst  und  beschichte*,  einer  prachtigen 
Festschrift,  die  dem  trefflidien  und  um  die  Ocschichts-  wie  Kunst- 
gcschichtsfonchung  sehr  verdienten  Mainzer  Domlopitnhur,  Prftlat 
Friedrich  Schneider  zum  siebzigsten  Geburtstag  gewidmet  ist  nnd 
an  der  Männer  wie  Schulte,  Finke,  Lichtwark,  Bode,  Carl  Neumann, 
Lessing,  Strzygowski  mitgearbeitet  haben,  findet  sich  ein  speziell  kultur- 
geschichtlich interKsanter  Beitrag  von  Erwin  Henslcr  über  das 
Königreich  zu  Mainz,  d.  h.  über  ein  merkwürdiges,  aber  für  die 
Voraeit  chandderistisches  «nlbTisches  Fest«  am  kurfOntlichen  Hofe  zu 
Mafoiz.  Man  machte  da  im  heiteren  Spiel  die  Untergebenen  zu  Vor- 
gesetzten, den  Herrn  zum  Diener.  »Am  Dreikönigstag  jeden  Jahres  Int 
die  Mainzer  R^erungskanzlei  zusammen,  um  das  ,Königreich  zu  Mainz' 
m  errichten.  Ursprünglich  wohl  auf  die  Kanzlei  beschränkt,  dehnte  ^ich 
das  Königrach  rasch  auf  weitere  Kreise  aus,  so  daß  bald  der  ganze 


Kldne  Mittdlungai  und  Refierate. 


261 


Hofhält  und  die  gcsimte  ZentndvcnndtunK  daran  beteiligt  wireo.  Vom 
Kurfünten  bis  zum  letzten  ,Hundquiig'  wurden  alle  tatsldiiidi  am  Hofe 

bestehenden  Amter  unter  ihren  wirklichen  Inhabern  verlost.  .  .  .  Am 
Aschermittudch  erreichte  das  Spiel  sein  Fndp  "  Auf  Oründ  eine«;  Akten- 
bandes des  Würzburger  Kreisarchivs  J^rotocolia  Deren  von  Alten  Zeiten 
her  auf  hiesiger  Regierungs-Cantzley  gewöhnlich  gezogenen  Königreichen. 
Pro  Anno  1617—1775'  gibt  Hensler  nach  einer  lehrreichen  Einleitung 
Qlxr  die  Oetdüdite  solcher  Königreiche  überhaupt  Nlhercs  Über  den 
Mainzer  Brauch  und  seine  Entwlddung.  Genauer  sind  vir  nur  Aber  das 
Jahr  174$  unterrichtet. 

Über  Kurfürstliche  Verordnungen  betr.  die  Karnevals- 
bciustigun gen  berichtet  Lapcr  in  der  Trierer  Chronik  (N.  F.  II,  30/2). 

In  der  »Beilage  zur  Allgemeinen  Zeitung"  (1906,  Nr.  255)  erörtert 
G.  K.  L.  Huberti  de'  Dalberg  die  Frage,  wie  Hubertus  als  Tages- 
hdliger  des  S.  November  in  den  Kalender  gekommen  ist,  wie  er  ilber- 
haupt  zu  der  Rolle  als  Schutzpatron  der  JSger  kommt  (Der  wirkliche 
und  der  heutige  St.  Hubertus.)  Er  bringt  mancherlei  Material  dafflr 
bei,  Haß  Hubertus  mit  Eustachius  verment^  is*,  daß,  abfresehcn  vor  der 
nächsten  Umgcbunt;  der  Ardennen,  sich  überhaupt  die  Rolle  des  Hubertus 
als  Schutzpatron  der  Jäger  erst  ziemlich  spät  verbreitet  hat.  In  Nr.  257 
derselben  Zeitschrift  weist  Eb.  Nestle  aber  darauf  hin,  daß  der  Verfasser 
die  grQndKdisle  Arbeit  Aber  St  Hubertusi,  nlrolich  die  Acta  Sandonim, 
nicht  benutzt  hat,  und  in  Nr.  260  Emst  Kuhn  auf  die  liieren  Foischungen 
von  J.  G.  Th.  Grässe  und  namentlich  von  H.  Gaidoz  (La  rage  et  St 
Hilbert)  Kuhn  stellt  a!s  jet^t  sicheres  Ergebnis  hin,  „erstens  drrß  die 
Hubertusfeier  einen  alten  heidni  eben  Opferbrauch  fortsetzt,  zweitens  daß 
St.  Hubertus  erst  aus  einem  Beschützer  gegen  die  Tollwut  zum  Patron 
der  Jäger  geworden,  endlich  daß  das  Wunder  vom  kreuztragenden 
Hinch  ecrt  aus  der  Legende  von  St  Eustathius  oder  St  Eustachius  auf 
St  Hubertus  Obertragen  worden  ist' 

Aus  den  Oeschtchtsblättem  f.  Magdeburg  (XL,  178—94)  erwähnen 
wir  den  Aufsatz  von  Ed.  Ausfeld,  Die  letzten  Wölfe  und  Wolfs- 
jagden im  Gebiete  des  Herzogtums  Magdeburg. 

Zur  Geschichte  des  Schützenwe^ns  tragen  die  Aufsatze  von 
A.  Bücbi,  Schießwesen  und  Schützenfeste  in  frdburg  Iiis  zur  Mitte  des 
15.  Jahrhunderts»  in  den  Ireibuiscr  Oescfaichtsblittem  (XII,  t52— 70)  und 
von  R.  Hofmann,  Ältestes  Zwickauer  ArmbrustschieBen  1489, 
in  den  Mitteilungen  des  Altertumsvereins  Zwickau  (VIII,  40-59)  bei. 

In  der  Monatsschrift  „Deutschland"  (Heft  50.  1Q06,  Nov.)  berichtet 
Ernst  Consentiiis  nach  Akten  des  Berliner  Geheim cii  Staatsarchivs 
über  die  Affäre  eines  polnischen  Edelmanns,  die  ein  merkwürdiges  Licht 
auf  die  Zustände  um  1700  wirit  (Ein  Kultur-  und  Sittenbild  aus 
d  em  1 8.  J  ah  rhu  ndert).  Bei  dem  Jubilium  der  ÜniveniHt  Fifankfurt  a.  O. 
I706fibemichte  ein  ziemlich  abenteuerlicher  nobilis  polonus  dem  König 


262 


Kleine  Mitteilungen  und  Referate. 


medrich  I.  von  Preußen  eine  Bittschrift,  der  Kdnig  möge  ihm  gegen 
einen  zur  Zeit  in  Frankfurt  lebenden  Juden  helfen,  der  des  Klägers 
Tochter  verführt  und  sitzen  gelassen  habe.  Diese  sei  mit  ihrer  Mutter 
aus  Polen  über  Memel  nach  Ani-^tfidim  entführt:  er  sei  ihnen  nach« 
gereist,  sei  dort  von  den  Juden  gewalbani  zuui  Judcmum  gebracht; 
trotnlem  habe  ein  utderer  seine  ftau  geheintet  und  jener  dritte  Jude 
die  Tochter  hinteiigBngen.  C.  teilt  die  Unteisuchungsakten  mit:  die 
Sache  blieb  unerledigt 

In  den  Sitziinjjsberichten  der  K.  Preuß.  Akademie  der  Wissen- 
schaften (1906,  Nr.  48)  handelt  O.  Schmoller  über  die  Entstehung 
der  öffentlichen  Haushalte,  haupt'^ächiich  in  den  Territorial- 
und  Mittelstaaten  vom  13.  bis  17.  Jahrhundert,  und  stellt  zunächst 
den  Gegensatz  dieser  wesentlich  geldirirtschafllichen  oder  geldwirtschaft- 
lidier  Zusammenfiesut^  zugtnglidien  Haushalte  zu  den  älteren  auf 
Naturalwirtschaft  gegründeten  fest.  Hofhalt  und  Steatshaushalt  fielen 
al>er  noch  zusammen.  Nach  einer  Darlegung  der  Verwendungszwecke 
der  Einkünfte  wird  vor  allem  untersucht,  wie  weit  der  Umfang  dieser 
Haushalte  nach  den  Quellen  festzustellen  ist,  und  durch  Umrechnung  der 
brauchbaren  Zahlenangaben  in  das  heutige  Geld  die  Möglichkeit  der 
Vergleichung  der  Finanzkritfte  der  Maaten  nnd  der  Entvicldung  der» 
sell)en  voigeführt. 

Die  wirtschaftliche  Leistungsfähigkeit  deutscher  Städte 
im  Mittelalter  sucht  A.  Nuglisch  in  einer  also  betitelten  Abhandlung 
in  der  Zeitschrift  für  Sn^ir^lwissenschaft  (Jahrg.  9,  Heft  6/8)  auf  Grund 
einer  Reihe  neuerer  Arbeiten  einer  richtigen  Einschätzung  näher  zu  bringen. 
Er  stellt  fest,  »welches  das  Vermögen  der  einzelnen  Bürger  (so  von 
Konstanz,  Ravensburg,  Augsburg,  Basel,  Eßlingen,  Hall,  Kolmar,  Schlett- 
stadt)  nnd  der  Oesamthelt  war,  wie  hodi  also  die  Sunnnen  sich  belletai, 
durch  die  das  deutsche  BOrgertum  im  späteren  Mittelalter  zu  Macht  und 
Ansehen  gelangte.  Daran  wird  sich  dann  die  Bedeutung  anderer  über- 
lieferter und  bekannter  Angaben  z.  R.  über  die  I  eistungsfähigkeft  Hes 
Kaisers,  der  Fürsten,  des  Papstes  usw.  messen  las<:en  und  sich  so  ein 
Verständnis  für  viele  Größenverhältnissc  des  mittelalterlichen  Wirtschafts- 
lebens gewinnen  fa«en.«  Hervorgehoben  sei  das  Ergebnis,  »daB  das 
deutsche  Bflrgertum  infolge  des  AuCschwungs  des  Handds  seine  erste 
große  Blüte  \on  etwa  1300  bis  gegen  1480  erlebt:  in  dieser  Zeit  waren 
große,  rasch  anwachsende  Vermögen  an  vielen  Orten  entstanden."  Im 
ganzen  ist  die  reistiingsfähigkeit  der  Städte  sehr  hoch  anzuschlagen. 

Die  Wald  Ordnung  Max  I.  vom  Jahre  1511  für  den 
Wienerwalü  behandelt  Pensch  in  der  Österr.  Forst-  und  Jagds^tung 
(1906,  Nr.  44.) 

Zur  Geschichte  des  Oeweibes  und  der  Industrie  seien  folgende 

Arbeiten  notiert;  H.  Willers,  Die  römische  .Messingindustrie  in 
Nieder-Oermanien,  ihre  Fabrikate  und  ihr  Ausfuht^iet  (Rhein» 


Kleine  Mittdiungen  und  Refente. 


263 


Museum  f.  Philol.,  N.  F.  LXII,  H.  1);  J.  BrurriTn,  Das  Zunftwesen  in 
Nassau-Oranien  (Nassovia,  1906,  S.  250  2);  Meiners,  Die  bergische 
Industrie  während  der  Fremdherrschaft  (18Ü6— 1813)  mit  be- 
sonderer Berücksichtigung  Elberfelds  (Monatsschrift  d.  Beig.  Geschichts- 
Vcrelns,  1906,  16—39);  P.  Boissonnade,  La  restauration  et  le  d^- 
veloppementdel'indnstrie  cn  Languedoc  au  tempsdeColbert 
(Annalcs  du  Midi,  no.  72,  Oct  1906);  W.  H.  Pricc,  On  the  beginning 
of  the  cotton  indu$try  in  England  (The  Quart  Journ.  of  Economics, 

vol.  XX,  nn,  4). 

in  der  Zeitsciirift  für  Sozialwissenschaft  (Jahrg.  9,  Heft  10—12) 
behandelt  Richard  Lasch  das  Marktwesen  auf  den  primitiven 
Kulturstufen.  Er  geht  davon  aus,  »daß  diese  Handebfomif  insbe- 
sondere mit  R0dc»cht  auf  ihre  Abkunft  und  ihr  Vorkommen  bei  den 
primitiven  Völkern,  im  allgemeinen  bisher  doch  weniger  beachtet  geblieben 
ist  und  das  diesbezügliche  Materinl  in  aller  VolIständij7kcit  noch  nie  ver- 
arbeitet wurde"  »Große,  ethnographisch  sehr  wichtige  Gebiete,  wie 
Indonesien,  Anitrika,  sind  vom  Gesichtspunkte  des  Marktwesens  bisher 
nicht  betrachtet  worden.«  L  hofft,  »daß  die  dort  vorfindlichen  (!)  sehr 
beachtenswerten  Ansätze  zu  einem  geregelten  Marktleben  dazu  beitragen 
kennen,  auch  Klaibcit  fiber  manchen  dunklen  Punkt  in  der  Entstehung^ 
geschichte  der  Markteinrichtungen  der  indogermanischen  Kulturvölker  zu 
verbreiten."  Nach  einführenden  Bemerkungen  nber  die  beiclen  Richtungen 
des  primitiven  Handels,  den  Männer-  und  hrauenhandel,  und  den  sogen, 
stummen  oder  Dcpothandel,  der  aber  keineswegs  die  Urform  alles  Markt- 
verkehrs sei,  gibt  L.  einen  Üt>erblick  über  die  Verbreitung  des  Markt- 
«esens  von  geographlsdten  und  etfinologischen  Oesichtspunklen  aus  sowie 
fiber  das  zeitliche  Auftreten  des  Markthandels.  Sodann  werden  die 
Wesenszfige  dieser  Handelsform  näher  dargdegt,  von  denen  zwei,  das 
Dominieren  der  Frauen  als  Marktparteien  und  das  X'orwiegen  der  Lebens- 
mittel unter  den  zum  Austausche  bestimmten  Waren  schon  in  den 
vorhergehenden  Ausführungen  berührt  waren.  Aus  den  Schluß- 
bemerkungen seien  folgende  Sätze  hervorgehoben.  Es  sei  auffällig,  «daß 
ein  so  bedeutender  kultureller  f^ortschritti  wie  ihn  die  Erfhidung  des 
Markthandeb  bedeutet^  schon  auf  veildItnisniaBig  niederer  Zivilisations- 
stufe  gemacht  worden  ist  Bedenken  wir  aber  anderseits  den  enormen 
Wert  des  ^erej^eltpn  Marktverkehrs  für  das  wirtschaftliche  und  soziale 
Leben  der  Mensdiheit,  seine  erziehliche  Bedeutung  in  ethischer  und  recht- 
licher Beziehung,  so  müssen  wir  es  nur  zu  b^eiflich  finden,  daß  der 
Wert  der  Institution  selbst  von  dem  ungeschulten,  sonst  wenig  vorsorg- 
lichen Geiste  des  Wilden  erkannt  und  für  seine  Zwecke  ausgenützt  wurde.« 
»Nicht  hodi  genug  können  aber  nun  die  sittlichen  und  rechtlldien  Ideen 
und  VofStelluogen  angeschlagen  werden,  welche  aus  dem  Marktverkehr » 
sich  ergeben  und  von  dort  aus  Gemeingut  des  Volksbevt  iißtM'ins  werden. 
Die  B^ffe  des  Friedens,  der  Gastfreundschaft  und  Humanität  gegen 


264 


Kleine  Mitteilungen  und  Referate. 


ntnide  vQiden  ohne  das  Handeln  und  speziell  das  Marktleben  niemab 
gesdiaffen,  erfaßt  und  in  Handlungen  umgesetzt  worden  sein." 

Aus  den  Schriften  des  Vereins  f.  Gesch.  des  Bodensees  (Heft  35) 
notieren  wir  den  kurzen  Beitrag  von  K.  Schwärzler,  Zur  Geschichte 
aer  Märitte  der  Bodenseegegend. 

In  der  Revue  des  deux  mondcs  (5«  t  XXXVII,  Uvr.  1  et  3) 
setzt  Vioomte  Georges d'Avenel  seine  hier  ixreits enribnte interessante 
Aufsatzreihe:  Les  Riehes  depuis  se p  t  cents  ans  fort  und  erSrtert  unter 
reichen  Zahlenangaben  aiesmal  die  Entwicklung  der  Honorare  der  Ärzte 
und  Künstler  (Honornires  des  profcssions  lib^üks. M^decißS  et  Cbinugiens. 
Honoraires  des  arlistes,  peintres  et  sculpteurs). 

R.  Jordan  bringt  in  den  Müblbäuser  Oeschiditsblatieni  (Jahrg.  7) 
Nachrichten  über  die  MBhIhausen  in  Thüringen  berührenden 
PoststraBen. 

In  der  Revue  des  questions  scienlifiqiies  (avril-juillet  1906) 
findet  sich  eine  Reihe  von  Arbeiten  fiber  die  Häfen  und  ihre  uirtschaft- 
liche  Bedeutung  (Les  Ports  et  leur  fonction  ^conomique),  rum 
Teil  g^eschichtlich  pjclialtcii,  so  die  Beiträge  von  H.  Francotte  (Grece 
aiicieuue)  und  G.  Leckhout  (Brugc»  au  moyen  äge). 

Ein  Artikel  von  KOrber  ther  neue  Inschriften  des  Mainzer 
Museums  in  der  ZcHscfarifl  des  Vereins  zur  Eiforschuns  der  rfaein. 
Ocsch.  usv.  In  Mainz  (IV,  4)  behandelt  die  Inschriften  auf  einigen  rOmischen 
Augenarztstempeln,  die  für  die  Geschichte  der  Augenkranidiciten  und  der 
dagegen  angewandten  Mittel  nutzbar  gemacht  werden 

In  den  Mitteilungen  des  Vereins  f.  Hamburg.  Gt  s^h  (XXV,  76—92) 
handelt  Th.  Schräder  über  den  »schwarzen  lud"  in  ilaniburg,in 
den  MAnolres  de  la  sod^t^  d'änulation  du  Doubs  (7e  afrle,  t  X)  Llmon 
aber  MaBnahmen  gingen  die  Pest  in  Besang  (Les  Mesures  contre  ta 
peste  k  Besannen  au  XVI«  si^cle). 

Aus  der  Altpreußischen  Monatsschrift  (N.  F.  XLIU,  H.  3)  erwähnen  wir 
einen  Artikel  von  S.Meyer,  Zi:r  Arzneikunde  d.  17.  Jahrhunderts. 

Eine  Geschichte  von  Karlsbad  und  seiner  Kur  gibt  Fr.  Kuglers 
AufsaLz:  Kur-  und  Badewesen  von  Karlsbad  (Unser  Lgerland, 
Jg.  10,  Nr.  4/5).  Auch  die  Mitteilungen  von  R.  Kraufi  In  der  Zeüsdnifl 
für  die  Geschichte  des  Oberrheins  (N*  F.  XXI,  H.  4)  zur  Geschichte 
der  drei  Renchbider  Oriest}ach,  Petersthal  und  Antogast  unter 
württembergischer  Herrschaft  (1.  Hälfte  des  17.  Jahrhunderts)  haben  erbeb* 
liebes  kulturgeschichtliches  Interesse. 

In  der  Deutschen  medizinischen  Woclicnschrift  (1906,  Nr.  22)  schildert 
A.  Gottstein  Berliner  iiygienische  Zustände  vor  100  Jahren. 

Aus  denAdtilgen  z.  Gesch.  d.  Stiftes  Weiden  (IX,  126—93)  notieren 
vir:  Werden  er  Beiträge  zur  Geschichte  des  Kurpfuschertums 
im  18.  Jahrhundert  von  O.  Kranz. 


Bibliographisches. 


K-  Lasswitz,  Was  ist  Kultur?  Ein  Vortrag.  Leipzij^  (3?  S.)  — 
L.F.  Wardf  The  psychic  factors  of  ctviltzab'on.  2.  ed.  Boston  p  ) 
L.  ChalikiopouloSf  Landschatb-,  Wirtscbafts-,  Oesellschafts-,  Kulturtypen. 
Oeogr.  Sldzzm.  Leipzig  (X,  III  S.)  —  L.-F.  Pm-Riven,  The  evolution 
of  cttltitre  and  oChcr  osays  ed.  by  /  L,  Mym,  London.  (252  p.)  — > 
A.  Frk,  V.  Schwager-Lerchenfeld,  Kulturgeschichte.  Werden  und  Vctgehen 
im  Völkerleben.  2  Bde.  Mit  41  Taf.  Wien  (VIII,  648;  644  S.)  —  H.  Kmtmtr 
(Herausgeber),  Der  Mensch  und  die  Erde.  Die  Entstehung,  Gewinnung 
und  Verwertung  der  Schätze  der  trde  als  Onindlag^en  der  Kultur.  Bd.  II. 
Berlin  (Xill,  515  S.,  44  Bdl.)  —  A.  Parmentier,  Album  historique,  publ. 
soüi  la  direction  de  £  Lanan».  T.  IV:  U  XVIIIe  et  le  XDC«  sKde. 
Ms  (307  p.)  —  V,  Hfdbtrz  Kolturhlstorlskt  förettsningar.  VI.  Kon- 
tagsperiodens  kulturhistoria.  (K.-O.  d.  Kreuadige.)  Kjob.  (588  S.)  — 
//.  Ranke,  Babylonian  1^1  and  business  documents  from  the  time  of 
the  first  dynasty  of  Babylon  chiefly  from  Sippar  71  pl.  of  atitojraph. 
texts  and  13  pl.  of  haUtone  illustrat.  (The  Babylonian  Lxpedition  of  the 
Univcrsity  of  Pennsylv.  A.  Vol.VI.l.)  Philadelphia  (Erlangen)  (IX,79S.) 

—  I#.  Hii^  Die  Indogemanen.  Ihre  Vcrindi,  ihre  Uriicnnat  und  ihre 
Kultur.  2.  (SchluA-)  Bd.  Straßbuig  (V,  &  409-772,  m.  4  K.)  Fiusia 
de  Coulanges,  Der  antike  Staat  Studie  Ober  Kultus,  Recht  und  Einrich- 
tungen Griechenlands  und  Roms.  Übers,  v.  P.  Wdß.  Berlin  (XI,  479  S.) 

—  E.  Prato,  Storia  della  cultura  ^eca  (Biblioteca  de^rli  studenti,  n.  1-19  50). 
Livomo  (144  p.)  —  H.  Bergstedt,  Kort  grekisk  kulturhistoria.  Sthm. 
(18b  S.)  —  Vig.  Inama,  Anlichita  greche  pubbliche,  sacre  e  private.  Mi- 
lano  (XXV,  224  p.,  19  tav.)  —  H.Jordan,  Topographie  d.  Stadt  Rom  im 
Altertum.  Bd.  I,  $.  Abi  Beaib.  v.  CAr.  HvHsm,  Berün  (XXIV,  709  S., 
11  Taf.)  —  F.  V.  Dahn,  FDrapcji,  eine  heilenist.  Stadt  in  Italien.  (Aus 
Natur  und  Oeisteswdt.  Bdch.  114.)  Lpz.  (IV,  115  S.)  —  Studies  in  the 
Histon,'  and  Art  of  the  E.istem  Provnnces  of  the  Roman  empire  cd.  by 
IT.  AI.  Ramsay.    Aberdeeii  (verkäufl.  nur  London)  (XV[  391  S.,  1 1  Taf.) 

—  A.  Bludauj  Juden  u.  Judenverfolgungen  im  alten  Alexandria.  Münster 
(V,  128  S.)  —  F,  IMberg,  Kirken  og  Samhindet  i  den  cldre  Middd- 


Digitized  by  Google 


266 


Bibliographisches. 


alder  (Kristendommen  og  den  sociale  Udvikling.  II).  Kjobenh.  (l7o  S.) 

—  A.  Baumstarkf  Abendländ.  Palästinapilger  des  ersten  Jahrtausends  u. 
ihre  Berichte.  Eine  kultinsesch.  Sldzze:  Kdln  (VI,  S7  S.)  —  Die  Reisen 
des  Venezitners  Marco  Polo  im  13.  Jahifa.  Beaib.  u.  hi^*  v.  H,  Lemke 
(Bibliothek  wertvoller  Memoiren.  Bd.  I).  Hamburg  (543  S.)  —  L.  Nardin, 
Jacques  Foillet,  imprimetir,  libraire  et  papetier  (1554—1619).  Ses  pere- 
grinations  ä  Lyon,  Ooncve,  Constance,  Bäle,  Coiircellcs-Ies-Montb^liard, 
Besan^-on  et  Montbeluird,  d  apres  des  documcnts  in&lits.  Avec  l'inven- 
taire  de  ses  biens,  le  catalogue  dteill£  de  sa  libndfie  etc.  Fsris  (2^7  p.) 

—  Journal  de  vqyage  de  Montiigne^  publik  avec  une  introduction,  des 
notes,  une  table  des  noms  propres  et  la  traduction  du  texte  italicn  per 
/..  Laufrey.  Paris  (539  p.)  Des  Grafen  Simon  VI  zm  Lippe  lage- 
buch  über  seine  Qesandtschaf tsreise  zu  dem  Herzog  von  Prjrmn  u.  nach 
den  Niederlanden  15^1 — 92  .  .  .  hrsg.  v.  L.  Schmitz- Kallfnberg.  [Aus: 
Mitteilungen  a.  d.  Lipp.  Gesch.  u.  Landeskunde.]  Münster  (41  S.)  — 
HWflMn  LUhgow,  The  totill  Discoune  of  the  Rare  Adventures  and  Paine- 
fuU  Peregrinations  of  l<Nig  Nineteene  Yeares  Travayics  from  Soothmd  to 
the  most  famous  King^omes  in  Europe,  Asia,  and  Affrica.  New  ed. 
Glasgow.  -  /C  Z.<7my9rrrA/,  Deutsche  Geschichte.  D.  g  R.  III.Rd  ?  dnrch- 
ges.  Aufl.  Frcibnrg  i.  B.  (XVIII,  437  S.)  —  F.  Dreyer,  Deutsdie  Knltur- 
gesch.  V.  d.  äitest.  Zeiten  b.  z.  Gegenwart.  Als  Grundlage  f.  d.  Unterr. 
i.  d.  deutsch.  Oesch.  l)earb.  Nach  d.  Tode  d.  Verf.  hrsg.  v./  Meyer^Wimmer. 
3.  Tl.  2.  Aufl.  Langensalza  (VIII,  397  5.)  —  Die  Altcrtfimer  unserer  heid- 
nischen Vorzeit  Hrsg.  v.  d.  Direktton  d.  rOm^-germ.  ZentnJmuseums  in 
Mainz.  V.  Bd.  7.  Heft.  Mainz  (S.  201—230  u.  6  Taf.)  —  B.  Heil,  Die 
deutschen  St.ldte  u.  Bürger  im  M,-A.  2.  verb.  Aufl.  (Aus  Natur  u.  Geistes- 
welt. Bdch.  43.)  Lpz.  (VI,  164  S.)  ^  A.  Erbe,  Historische  Städtebilder 
aus  Holland  u.  Niederdeutschiand.  (Aus  Natur  u.  Qeisteswelt.  Bdch.  117.) 
Leipzig  (IV,  104  S.)  —  A,  Soth,  Das  Hcnogtum  Sdiksvig  i.  s.  ethno- 
graphischen  u.  nationalen  EntwicMung.  III.  Abt  Halle  (VIII,  S10  S.) 

—  F.  Lüders,  Bilder  aus  Alt-Hamburg.  Jugenderinnerungen.  Hamburg 
(145  S.)  —  M.  Buhlen,  A!t-^-fildrshciITl.  E.  Auswahl  ortsgesch.  Vorträge. 
Hildesh.  (IV,  1^4  S.)  —  W.  Dassel,  Zur  Gesch.  d.  Grundherrschaft  üeber- 
wasser  von  der  Reformation  d.  Klosters  i.  letzten  Drittel  d.  XV.  Jh.  b.  z. 
Ende  d.  30j.  Krieges.  Münster  (IV,  44  S.)  —  O.  Lutze,  Aus  Sondcrs- 
hausens  Vergangoiheit  E  Beitrag  z.  Kultur-  u.  Sittengesch.  fraherer 
Jahrhunderte.  II.  Bd.  Lf.  1  u.  2.  Sondershausen  (56  S.  m.  6  Taf.)  — 
H.  Schotte,  Rammetbuiger  Chronik.  Gesch.  d.  alten  Mansfeldischen  Amtes 
Rammelburg  u.  der  zu  ihm  gehörigen  Flecken,  Dörfer  u.  Güter  Wipnra, 
Abberode  usw.  Halle  (XH,  4o^  S.)  —  Codex  diplomaticus  Lusatiae  su- 
pcrioris  III,  enth.  die  ältesten  üorlitzer  Ratsrechnungen  bis  1419.  Hr§g. 
V.  R,Jedit  2.  Heft  1)91'<'1399.  OMitz  (S.  1S5-32S).  —  H.  Wtttdt, 
Vom  Mittelalter  zur  Stfldteofdnung.  Umrisse  d.  Verndtuimcsch.  Bi«s- 
laus.   (Erweitert.  Abdr.  &  im  Vereine  f.  Oesch.  Schlesiens  geh.  »Jahr- 


Digitized  by  Google 


Biblioc^iphtsdies. 


267 


hundertvortrags«.)  Breslau  (32  S.)  —  Volkskunde  im  Breisgau.  Hrs^^.  v. 
Bfldtschen  Verein  für  Volkskunde  durch  Friedrich  Pf  äff.  Frei  bürg  i.  B. 
(189  S.)  —  E.  Gotheüiy  Der  Breisgau  unto"  Maria  Theresia  u.  Josepli  II. 
(Neujahisbtttter  d.  bad.  histor.  Kommissioii.  N.  F.  10.)  Hdddberg  (III, 
130  &)  —  £  y.  RoOi,  Bon  i.  Xltl.  u.  XIV.  Jh.  Ndist  e.  Rückblick  a. 
d.  Voflgeschichte  d.  Stadt.  Mit  einem  Stadtplan  v.  1583.  Bern  (IV, 
1S3  S.)  —  R.  F.  Kaf'nd!,  Oe^rh  d.  Deutschen  in  den  Karpathcnländem. 
Bd.  1,  Gesch.  d.  Deutschen  in  Oalizien  bis  1772.  Mit  1  Karte,  (AUg. 
Staatengesch.  3.  Abt.  8.  Werk.  1.  Bd.  (Ii.  76.J)  Gotha  (XXII,  369  S.)  — 
P.  J.  Blok,  Oeschiedenis  van  het  Nederlandsche  Volk.  Ded  VII.  Leiden. 

/  £1  Barker,  The  rise  and  decUne  of  the  Neüieilands.  A  polltlcal  «id 
economic  iiistoiy  cCc.  London  PCIV,  478  p.)  —  H.  Pirmne,  Geschichte 
Belgiens  Übers,  v.  F.  Arnheim.  Bd.  5.  (Allg.  Staatengesch,  i  .Abt. 
30.  Werk.  3.  Bd.  (Lf.  77.J)  Gotha  (XXI,  606  S.)  --  A  Hornnet,  Toumai 
et  leToumaisis  au  XVI«"  siecle  au  point  de  vnc  politique  et  social.  fPxtr. 
des  Memoires  p.  p.  1.  classe  d.  lettres  etc.  de  l'acad.  roy.  de  Belgique. 
N.S.  T.  I  .]  Bnixellci  (418  p.  et  1  carte).  —  t.  WaUmaim,  Die  Oermanen 
in  Fhmkretch.  Eine  Untersuchung  flb.  d.  Einfluß  d.  german.  Rasse  auf 
d.  Gesch.  u.  Kultur  Frankreichs.  Jena  (VlII,  1S1  S.)  -  O.  Stenger,  La 
Societe  frani^aise  pendant  le  consulat.  .S«*  serie:  tes  Beaux-Arts;  la  Gastro- 
nomie. Paris  (XXIV,  339  p.)  —  K-  Schirmacher,  Deutschland  u.  Frank- 
reich seit  IS  Jahren.  K.  Beitr.  z.  Kulturgesch.  (Die  Kultur.  Bd.  15 '16  ) 
Berlin  (Hb  S.)  —  P.  G.  hamertonf  Paris  in  üld  and  Present  Times. 
New  ed.  London  (356  p.)  —  L,  de  Lawtc  de  Laboiie^  Ms  sous  Na- 
pollon.  T.  3.  La  Cour  et  ta  Ville;  la  Vie  et  la  Mort.  Paris  (II,  391  p.) 

-  Blason  populaiie  de  la  Picardic.  Didons  et  Sobriquets,  Contcs  et 
Legendes,  l^sages,  Coutumes  et  Traditions  recueillis  p.  Alrius  Ledint.  T.  I. 
Paris  (2S4  p.)  —  J.  B.  Bardtn,  Histoire  du  pays  de  Septeine  (Isere),  de- 
puis  scs  origines  jusqu  ä  nos  jours,  2«  W.  Vienne  (XV,  388  p.)  —  E.  Bories, 
Histoire  du  canton  de  Meulan,  comprenant  Thistorique  de  ses  vingt  com- 
munes  depuis  les  origines  jusqu'i  nos  jours.  Amiens  (768  p.,  30  pl.)  — 
C.  Origoire,  Histoire  du  canton  de  Montmarand.  Moulins  (253  p.)  — 
E.  Maugis,  Recherches  sur  les  transformations  du  regime  politique  et 
social  de  la  ville  d'Amiens,  des  origines  de  la  Commune  k  la  fin  du  XVIe  s. 
(ttudes  d'histoire  municif^le.  T.  2 )  Paris  (XXVII,  6()2  p.)  —  Archivcs 
municipaies  de  Bayonne.  Delib6rations  du  Corps  de  ville.  Registres  fran- 
«ais.  T.'2  (1580—1600).  Bayonne  (VII,  608  p.)  —  A.  CoiUm  füC  U- 
gamäk,  Hist.  de  Nogent'l'Aftault.  Nogent-l'Artault  (Alsne)  (251  p.)  — 
E.  Bodtitf  Histoire  de  Salnt-Savin-de-BIaye  ä  travers  les  ägcs.  Blayc 
(XV,  423  p.)  —  F.  Lorin.  Rambomllet.  U  ville,  le  chäteau.  Ses  hAtcs. 
(768— 1 '»Ob.)  Documents  historiques.  Paris  (432  p.)  —  L.  Bossebcruf, 
Le  chäteau  de  Chaumont  dans  I  histoire  et  Ics  arts.  Tours  (XVI,  576  p.) 

—  L.  CharUuuUf  L  induence  fran^ise  en  Angleterre  au  XVII«  s.  La  vie 
sodale.  £tude  sur  les  rdations  sociales  de  la  Fnince  et  de  TAngleterre, 


Dlgitized  by  Google 


268 


BiblioenplUsdics. 


Nrtout  dans  la  acoondc  moilii  du  XVII  e  sitele.  (Thhe.)  Rvis  QCVII, 
241  p.)  —  M.  B*Syngf,  A  Short  histoiy  off  social  life  in  England.  Land. 

(424  p.)  —  /  AslAm,  The  davn  of  the  i^th  Century  in  England.  A  so- 
cial Sketch  of  times.  5th  ed.  London  (4%  p.)  —  T  F  Johnson,  Glimpses 
of  Ancient  Lt  icester.  2^  ed.  London.  ■ —  Memorials  of  Old  Shropshire 
ed.  by  T.  Auden.  London.  —  H.  Q.  Graham,  The  social  life  of  Scot- 
Und  in  the  eighteenth  Century.  Lond.  (558  p.)  —  W.  T.  Fy/e,  Edinburgh 
undcr  Sir  Walter  Scott  Lond.  (71, 514  p.)  —  O.  SdUU^  Der  gn>Be  Maisch 
der  Renaissanoe.  Bonn  (71 S.)  —  Enf.  MSntg,  Flovenoe  et  la  Toscane  <Pty- 
sag:es  et  Monuments,  MoeuiB  et  Souvenirs  historiqnci)*  Nonv.  fd,  Pans 
(VI,  444  p.)  O.  Qasperoni,  Storia  e  \ita  romagnola  nel  sec.  XVI 
(1519-  1545).  (Bibiiotecn  storica  deila  Romagna  No.  1.)  Jesi  (181  p.)  — 
H.  Orothtf  Zur  Landcskuüde  von  Rumänien.  Kulturgeschichtliches  und 
Wutschaftliches.  (Angewandte  Geographie.  lU.  Serie,  1.)  Halle  (XV, 
127  S.»  4  Kail  etc.)  —  Eag.  ZM,  Russische  Kultuibilder.  Cricbnisse 
und  &innerungen.  2.  AuR.  Berlin  (XX,  303  p.)  —  Alctenstfldoe  u.  Ur- 
kunden Geschichte  d.  Stadt  Riga  1710-1740.  Hrsg.  a.  d.  NadiL  des 
Dr.  A.  Buchholtz  durch  A.  v.  Bulmerincq.  Bd.  3.  Chroniken  u  andere 
Nachrichten  a.  d.  Zeit  v.  1710  1740  Riga  (IX,  452  S  )  —  A.V.  W.Jackson, 
Persia  past  and  present:  a  book  of  travel  and  rei>careh.  London  u.  New 
York  (XXXI,  471  p.)  —  C/l-SA^m/^,  Western  Tibet  and  the  British  border- 
land,  the  saoed  country  of  Hindus  and  Buddhists;  vith  an  aocoimt  of 
the  govcmm.,  rdigion  and  customs  of  its  peoples.  London  (XVil,  S76pl) 
—  £.  B.  HwMUt  Benares,  the  sacred  dty;  sketches  of  Hindu  life  and 
religion.  New  York,  1905  (XIII,  226  p.)  —  H.  B  Huibert,  The  passinp 
of  Korea  ühjstr.  New  York  (XII,  473  p.)  -  Marquis  de  La  Mazeitere, 
Le  Japuii.  Histoire  et  Civilisation.  3  vols.  Paris  (CXXXV,  575,  411, 
627  p.)  —  ^.  NavilUf  La  religion  des  anciens  Egyptiens.  Six  Conferences 
üiltes  au  colUige  de  Fkanee  en  1905.  (Annales  da  nusfe  Oninct  Biblio- 
th^ue  de  vutgarisation.  T.  23.)  Rufs  (III,  27S  p.)  —  £.  Siecke,  Drachen- 
kampfe.  Untersuchungen  zur  indogerman.  Sagenkunde.  (MyÜlolog.  Biblio- 
thek Bd.  1,  Heft  1).  I  pz  (12?  S.)  —  E.  Mogk,  German  Mythologie 
(Samml.  Gö«;chen.  15).  Lpz.  (129  S.)  —  E  M.  Kronjeld,  Der  Weihnacht^ 
bäum,  liolaiiik  u.  Gesch.  d.  Weihnacht^rüns.  Seine  Beziehungen  zu 
Volksglauben,  Mythos,  Kulturgesch.,  Sage,  Sitte  u.  Dichtung.  Oldenbg. 
(VI  11,  233  S.)  —  O.  Psychologie  da  Vollodidltung.   Lpz.  (VI, 

432  S.)  —  KflMr,  Oeach.  d.  litenuischett  Lebens  vom  Altertum  Iiis 
auf  d.  Gegenwart.  Tl.  I.  Grundlegung.  l.  Halfabd.  Oera-Unteimhaus 
(XVI,  10S  S.,  8  Taf.)  —  y.  E.  Sandys,  History  of  dassical  scholarship 
from  the  6^  Century  b.  C  to  the  end  of  the  middle  ages.  2«J  ed.  Cam- 
bridge. —  J.  A.  Endreim,  Honorius  Augusfodunensis.  Beitrag  z.  Gesch. 
d.  geist.  Lebens  i.  M.  Jh.  Kempten  (XII,  tiv  S.)  —  Analecta  recentiora 
ad  Irisloriam  renasoentium  hi  Hnngaria  Utlenumm  spectantia.  Ex  varils 
fontibi»  hausta  cum  commcntariis  ed.  Sieph,  thgtHls,  Budapest  (43t  S.) 


^  .  .  l  y  Google 


269 


^  t.  Bngit,  Oesch.  d.  Itluminatai-Oniois.  &  Btitns  z.  Codi.  Bayerns. 
VoiseKlL,  Orfindang  (1776),  B«deh.  zur  Mnunund  ete.  ete.  Berlin 

(X,  467  S.)  —  P.  Latent,  Le  Romantisme  franqais.  Essai  sur  la  r6vo- 
lution  dans  les  sentiments  et  dans  les  id6es  au  XIX*  ?.  Pnri?  H.Scherer^ 
Die  PadaK'oj^ik  i.  ihr.  Entwickl.  i.  Zusammenh.  mit  d.  Kultur-  u.  Geistes- 
leben usw.  Bd.  II.  Die  Pädagogik  als  Wissenschaft  von  Pestalozzi  b.  z. 
Oi^[enwart.  Abt.  1 :  Die  Entwickl.  d.  Kultur-  u.  Geisteslebens.  Leipzig 
(XXf  416  S.)  —  /  BaUuy  Die  moralischen  Enaenhamcns  in  Altproven- 
allslEiiett.  E  Beltr.  z.  Eniehttag»-  ii*  Sitlengesdi.  SAdfnuilacidis.  Pkügr. 
Warburg  (29  S.)  —  O.  Maass,  Die  pidagog.  Ideale  des  jungen  Herder. 
Progr.  Rastenbiirg  (45  p)  —  P  Machair,  Die  Fntwickelung  d.  öffentl. 
Schulwesens  d.  alten  Provinzen  des  preiiil  Staates  v.  1816-1901.  Prosr. 
Ratibor  (24  S.,  1  Tab.)  —  F.  Weigl^  Schulzustände  Bayerns  bei  s.  Erhebung 
z,  Königreich  (Pädagog.  Zeitfragen.  Bd.  II,  1.  Heft  7).  München  (64  S.)  — 
C.  P.  B.  Mangrur,  Gesch.  d.  Leipziger  XllniBdBdilifen.  Nach  archival. 
'  Qudlen.  (Schriften  d.  Ver.  f.  d.  Oesch.  Ldpziek  VIU.)  Lpc.  (VIII,  232  S.) 

—  R.  Brode,  Die  Friedrichs- Universität  zu  Halle.  2  Jahrhunderte  deut- 
scher Oeistesgeschichte.  Halle  (IV,  6S  S)  —  /_  Vi^,  L'Fnseigmernent 
superieur  ä  Toulouse  de  1793  ä  1810.  (Extr.  du  Recueii  de  la  Legislation 
de  Toulouse.)  Toulouse  (42  p.)  —  V.  Branis,  La  facult^  de  droit  de 
l'Universite  de  Louvain  ä  travers  dnq  siMes  (1429-1906).  Esqulsse 
Mslorique.  Louvahi  (XIII,  216  p.)  —  S.  F.  H.  Maekay,  Die  Entaridd. 
des  schottischen  StaatMchnlvesens.  Diss.  Jena  (t15  p.)  ~  C  FnuMüt 
Thwü^,  A  history  of  higher  education  in  America.  New  York  (XIII,  501  p.) 

—  J.Lawler,  Book  Auctions  in  England  in  17'^  Century,  1676 —1700.  Pop. 
ed.  Lond  (2m6  p  )  M.  Schön/eld,  Proeve  ec^ner  kritische  Verzameling 
van  Oermaansche  Volks-  en  Persoonsnanien,  voorkomende  in  de  litteraire 
en  monumentale  Overlevering  der  Grieksche  en  Romeinsche  Oudliciu. 
Diss.  Groningen  (XXV,  126  S.)  —  A  Maydom,  Beiträge  z.  Deutung  u. 
Beurteihing  d.  «eibl.  Vornamen.  [Aua:  Festschr.  z.  2$j.  jnbelfeier  d.  siidt 
Lehrerinn.-Sem.  zu  Thorn.]  Thom  (37  S.)  —  C.  Carstens,  Beiträge  zur 
Gesch.  d  bremischen  Fnmüiennnmen  Diss.  Marbnrr^  (158  5.)  —  Inscrip- 
tions  in  the  Old  British  Cemctery  of  1  etrhorn  transcribed  by  G  Aiilner- 
Gibson-CuUum  and  F.  C.  Macauiey.  Lond.  —  Efter ladle  Papirer  fra  den 
Reventlowske  familienkreds  i  tidsrummet  177ü— 1827  udg.  ved  L.  Bobi. 
Bd.  VII.  Kjobenh.  (LI,  563  S.)  —  Wilh.  u.  Caroline  v.  Humboldt.in  ihren 
Briefen.  Hng.  v.  A,  r.  Sydom,  Bd.  II.  1791-1808.  Berlin  (VIII,  307  S., 
2  Bildn.)  —  H.  Hägard-ViUard,  Lebenserinnerungen.  Ein  Bürger  zweier 
Welten.  1835—1900.  Berlin  (VIII,  528  S.,  8  Taf.)  —  O.  E.  Roy,  Sou- 
vcnirs  (1823—1906).  Nanc^  (345  p.)  F.  Awdry,  A  country  gentlcman 
of  the  nineteenth  Century.  Memoir  of  thc  Rt.  Hon.  Sir  Will,  heathwte. 
1801—1881.  London  (224  p.)  —  C  f  raschätij  Diario  del  principe  don 
Agpatino  Chigi  dal  1830  al  1855,'  preoednio  da  un  saggio  di  curioaiti 
slofiche  intomo  la  vita  e  h  sodeÄ  romana  del  primo  trentennio  del 


.  k)  i^  .  j  i.  y  Google 


270 


Bibliographisches. 


secolo  XIX.  Parte  I.  II.  Roma  (205,  160  p  )  Ffsie  C/cws  Parsons, 
The  family:  an  ethnoj^raphical  and  historical  outline  with  dcscnptivc  notcs, 
planned  as  a  text-book  ior  the  use  of  College  lecturers  etc.  New  Vörie  &  Lond. 
<XXV,  389  p.)  —  T.  F.  TkistUon  Dyer,  Folklore  of  women  is  IHuslnted 
by  l^iendary  and  traditionaiy  ttles,  folk-rhynKS,  piovefbitl  sayingii  super' 
stitions  etc.  Chicago  (XVI,  254  p.)  —  Lu  Raeco  Laaria,  La  donna  ndla 
storia  del  diritto  e  nella  storia  della  civiltä:  studio  giuridico-sociale-  Na> 
\yo\\  (55  p.)  —  Edm.  w.  Jules  de  Qoneourt^  Die  Frauen  im  IS.  Jh  .'.Bd. 
(Autor.  Obertrag.,  besorgt  v.  P.  Prina)  Lpz.  (V'II,  276  S.)  —  F.  Ht'lbtng^ 
Qesch.  d.  weibl.  Untreue.  Berlin  (2ö8  S.)  —  R.  Wossiälo,  Mecklenburg. 
VolksQbarliefeniflgm.  Bd.  III:  Kinderwtung  u.  Kindenntdit  Wismar 
(IX,  XIX,  453,  10  5.)  —  A.  Dabany,  Histoire  amodotique  des  alimoils. 
Btfis  (270  p.)  —  /  Lmoine,  La  oorporation  des  boulangos  et  le  pain 
ä  b-avers  l'histoire  et  la  tnditioii  populaire.  Frameries  (16  p.)  —  P.  E, 
Girody  I.es  subsistances  en  Bourgogne  et  particuli^rement  k  Dijon  ä  la  fin 
du  XVIIK-  siWe  (1774-  1789).  Dijon  (a-e,  XXIII,  147  p.)  —  A.  Rosen- 
berg, Gesch.  d.  Kostüms.  Bd.  I,  Li.  2/3.  Berlin.  —  D,  C.  Calthrop, 
£nglish  C^ostume.  Vol.  III.  Tudor  and  Stuart.  London.  —  Mn,  Aria, 
Costtttne:  f^ndfut,  historical,  and  thealrical.  Lond.  F,  WUUtr,  Die 
Kamme  aller  Zcitcit  von  der  Steinzeit  b.  z.  Gegenwart  Eine  SamraL  v. 
Abbild,  m.  erläut  Text.  Lpz.  (84  Taf.  m.  12  S.  T.)  —  A.  Qrenier,  Habl- 
tations  gaii1ol«^<s  et  Villas  iatines  dans  la  cit6  dts  Mikliomatrices.  ttude 
sur  le  devclupjiLüiLiit  de  la  civilisation  gallo-romaine  dans  une  province 
gauloise.  (Bibl.  de  l  ecolc  des  hautes  etudes.  Sciences  hist.  et  phü.  Fase  157.) 
Paris  (199  p.)  —  Chr.  Ranck,  Kulturgesch.  d.  deutschen  Bauernhauses. 
(Aus  Natur  u.  Oeisteswelt  Bdch.  121.)  Lpz.  (VIII,  103  S.)  —  M,  Sekmäi- 
tkai,  Histolre  de  la  maison  runde  en  Bdgique  et  dans  Ics  oontrte  voi* 
sines.  1.  et  2.  parties.  (Extr.  des  Annaies  de  la  Soc.  d'arch.  de  Bruxelles, 
livr.  3/4  de  1905  et  12  de  1006).  Bruxelles  {IV,  17  et  113  p.)  ^  IT'.  Men, 
Mittelalterliche  BurganlaKcn  u.  Wehrbauten  des  Kanton^  Aargau.  9.  Li. 
Aarau.  —  F.  Hirscit^  Konstanzer  Häuserbuch.  Festschrift.  Hrsg.  v.  d. 
Stadtgemeinde.  Bd.  I.  Bauwesen  u.  Häuserbau.  Heidelberg  (XV,  284  S.) 
~  A,  QrUtbadtt  Das  deutsche  Rathaus  d.  Renaissance,  ßeriin  (XI,  162  S.) 

—  H.  Bagiur,  Handbuch  der  bürgert.  Kunstalterttimer  in  Deutscbhuid. 
2  BSnde.  Leipzig  (VIII,  644  S.)  —  Inventaire  du  chäteau  de  Montrood 
MDLXXV.  Tours  (129  p.)  —  f  .  Hof/mann  u.  B.  Zöl/fel,  Beiträge  zur 
ülockenkunde  des  Hcssenlandes.  Mit  30  Taf.  (Zeitschr.  d.  Vereins  f.  Iiess. 
Gesch.  N.  F.  XV.  Suppi.)  Kassel  (VII,  28  S.)  —  F.  Uldall,  Danmarks 
niiddelalüerlige  Kirkeklokker.  Kjobenh.  (LI,  327  S.)  —  /  /  Raven, 
The  belb  of  England,  lllustr.  Lond.  (354  p.)  —  Alfr.  Meyer,  Das  Kultur- 
historische in  .Le  Mysttre  du  täbgtt  d'Qrito".  Diss.  Lpz.  (IV,  195  S.) 

—  Giovanni  Todaro,  II  tipo  ideale  del  cortigiano  nel  Cinquecento.  Vlt- 
toria  (140  p.)  —  O.  V.  Gerstfeldt,  Hochzeitsfeste  d.  Renaissance  in  Italien 
(Führer  z.  Kunst  6).  Eßlingen  (11,  il  S.)  —  /  Kemp,  Z.  Gesch.  d.  Kölner 


Bibliogfiphisches. 


271 


Fastnacht  [Aus  »Ztscbr.  f.  rhdn.  u.  vcstf.  Volicskunde*.]  Qberfeld  (36  S.) 

—  C  O.  Harper,  The  old  inns  of  Old  England.  2  vols.  London.  — 
E.  V.  MoeUer,  Die  Elcndenbrüderschaften.  E.  Beitrag  z.  Gesch.  d.  Fremden- 
fürsorge im  M.-A.  Leipzig  (III,  176  S.)  —  G  de  MaroUes,  Langage  et 
Termes  de  v^nerie.  Etüde  bist.,  philol.  et  critique.  Paris  (III.  S47  p.)  — 
A.  Couättf  Der  gerichtliche  Zweikampf  im  altfranzös.  Prozeß  u.  sein  Über- 
gang zum  iDOdenuti  Privatrvdkampf.  TL  L  Mit  dn.  Vorwoi^  von  Jos, 
KMer.  Berlin  (XVIÜ,  169  S.)  —  //.  Kßpp,  Das  LocbgeOngnis,  Tortur 
u.  Richtung  in  Alt-Nfimberg.  Nürnberg  (84  S.,  2  Taf.)  —  E.  P.  Evans, 
The  Criminal  Prosecution  and  Capital  Punishment  of  Animals.  London 

S )  —  C.  BarbagaUo,  Contributo  alla  storia  cconomica  dell'  antichitä. 
Roma  (VIII,  87  p.)  —  F.  C  Huber,  SO  Jahre  deutschen  Wirtschaftslebens. 
Stuttgart  (1 3<)  S.)  —  W.  Upmeyer,  Die  Minden-Ravensbergische  Eigentums- 
Qrdnung  von  1741.  (Bettiäg^  f.  d.  Ooch.  Niedcnadisens  u.  Westfalens. 
H.  5.)  HiUeslieim  <1 49  S.)  —  DtOt,  The  eoonomic  histoiy  of  India  under 
the  early  British  Rule.  2d  ed.  Lond.  (460  p.)  —  R.  Daii,  The  economic 
history  of  India  in  the  Victorian  ag^  2^  ed.  Lond.  (650  p.)  —  W.  Fläseh' 
mann,  Altgcrman.  u.  altrömische  Agrarverhältnisse  in  ihren  Beziehungen 
u.  Gegensätzen.  Eine  agrarhistor.  Untersuch.  Leipzig  (VIII,  13b  S.)  — 
FL  Thidf  Die  Lage  der  suddeutsciien  Bauern  nach  der  Mitte  des  13.  Jh. 
(Auf  Grund  der  taliglni  Bertholds  von  Rcgensburg.)  Progr.  Kloster- 
neuburg (30  S.)  —  Österreich.  Urbare.  Hrsg.  v.  d.  lois.  Akad.  d.  Wiss, 
HL  Abt.  Urbare  geistl.  Orundbcrrschaflen.  Bd.  \.  Die  Urb.  d.  Bene- 
diktinerstiftes  Göttwcig  von  1302  bis  1S36.  Bcarb.  \ .  A.  F.  Fiusks.  Wien 
(CCLXXXII,668S.)  —  H.Wimbfnky,  Eine  obersteirische  Bauemgemeinde 
in  ihrer  wirtschaftl.  Entwicklung.  1498-1899.  Tl.  1.  Graz  (\ail.  132  S., 
1  Karte,  2  Taf.)  —  A.  Knops,  Die  Aufhebung  der  Leibeigenschaft  (Eigen- 
behörigkdt)  im  nördl.  Mfinsterlande  (Münstersche  Beiträge  z.  Geschidits- 
fofscb.  N.  F.  IX).  Mftnster  (VII,  110  S.)  (auch  Diss.  Münster  [63  S.j)  — 
E.  VUebergh,  De  landeUjl«  bevolking  der  Kempen  gedurende  de 
XIX«  eeuw.  Bijdrage  tot  de  economische  geschiedenis.  Brüssel  (192  bldz.« 
1  kaart.)  —  H.  Prciiß,  Die  Entwicklung  des  deutschen  Städtewesens. 
Bd.  1    Entwicklungsgesch.  d.  dtsch.  Städteverfa^ung.   Lpz.   (XII,  379  S.) 

—  Kämmerer,  Die  Techaik  der  Lasienförderung  einst  u.  jetzt.  Eine 
Studie  üb.  d.  Entwickig.  d.  Hebemaschinen  u.  ihren  EinfluB  auf  Wirt- 
schaftsleben u.  Kulturgeschichte.  München  (VIII,  262  &)  —  C  v,  7y$Mka, 
Handwerk  und  Handwerker  in  Bayern  im  18.  Jh.  E  wirtschaftsgesch. 
Studie  über  d.  bayer.  Gevc erbeverfass.  im  IS.  Jh.  München  (X,  116  S.)  — 

Badtke,  Zm  Fntwickel.  d.  deutschen  Bäckergewerbes.  E.  wirtsciiafts- 
gescii. -Statist.  Studie.  (Samml.  nationalök.  u.  statist.  Abh.  d,  Staats«-. 
Seminars  zu  Halle,  52).  Jena  (VII,  216  S.)  -~  A.  ti.  Stirling,  A  sketch  ot 
Scottish  industrial  and  social  history  in  the  18^  and  19U>  centuries. 
London  (VlII,  225  p.)  —  K  /  Ley,  Zur  Oesch.  u.  ättest  Entwicbdung 
der  Sicgerländer  Stahl-  u.  Eisen-Industaie.  E.  Beitr.  z.  WirtschaftsOeseh. 


272 


Bibliographisches. 


d.  Si^g^riaitfles.  Diss.  Münster  (48  S.)  —  W,  Hammerschmidt,  Gesdl.  <L 

Baiimvoüindiistrie  in  Rtißhnd  vor  der  Baiiernemanzipation  (Abhandl.  a. 
d.  staatsw.  Seminar  zu  Straßb.  i.  E.  H  21).  Straßh.  (XIV,  124  S.) — 
(P Astier,  La  Jabnque  royale  de  tapi^eries  de  la  villc  de  Naples  (1738-99). 
Le  Mans  (VIII,  36  p.)  —  Ja.  ElUot  DefeiHuig^  History  oi  the  luniber  in- 
dustay  of  America.  New  York.  (559  p.)  —  M*  Sdsmum,  Ocsch.  d.  Kölner 
Handebkiinmer.  Bd.I.  Köln  9  Tal)-- Die  Ent- 

wicklung des  Wuenhandels  in  Österreich.  E.  Beitrag  z.  Wirtschaftspolitik 
d.  Absolutismus.  (Erweit.  Sond.-Abdr.  aus  «Zcitschr.  f.  Volksorirtschaft, 
Sozialpol.  u.  Verwait.*)  Wien  (82  S  )  —  A.  L.  Simon,  The  history  of  the 
wine  trade  in  England.  Vol.  I.  Lond  (400  p.)  —  W.  t oster,  The  EngHsh 
factorics  in  India  1618-21.  Oxford  (XLVIl,  379  p.)  -  L.  GauUiier,  Les 
Lombufds  dam  les  Deux-Bourgognes.  (BIU.  de  Tteole  des  hantes  ICiidcs. 
Rae.  156)  Ms  (Xm,  400  p.)  —  Af.  dardkO,  I  banchieri  cbni  in  Hreme 
nel  secolo  XV  e  il  monte  di  pWÜ  fondato  da  Gir.  Savonarola:  appunti 
di  storia  economica.  Borgo  S.  Lorenzo  (103,  CXIX  p.)  —  F.  Haaß,  Die 
Gesch.  d.  Postwesens  v,  Altertum  b.  i.  d.  Neuzeit.  Volkstüml.  dargestellt. 
(Deutsche  Postbücherei.  Bd.  2-4.)  Berlin  (VII!,  192  S.)  —  Teod.  Holm, 
Sveriges  allniänna  postväsen.  Et  försok  tili  svensk  posthistoria.  Sthm. 
(192  S.)  —  H,  Bmum,  Not^B  Pbsttriilofje  1720-1814.  Kristiania 
(XI,  543  S.)  £.  K^uhUuIm,  Die  Ocsdi.  des  DamfifiMbifiBhrtBbetfkbes 
auf  dem  Bodensee.  Innsbruck  (VII,  614  S.)  —  M.  Hamilton,  Incubation 
Or  the  eure  of  disease  in  pagan  temples  and  Christian  churchs  London 
(IV,  227  p.)  —  F.  Dörbeck,  Gesch.  d.  Pestepidemien  )n  Rußland  v.  d. 
Gründung  d,  Reiches  b.  auf  die  Gegenwart.  (Abhandlungen  z.  Gesch. 
d.  Medizin.  Heft  18.)  Breslau  (Vü,  220  S.)  —  CU.  Gabriel  Mareschal  de 
Bünt,  Georges  Mareschal,  Sdgnenr  de  Blftvn;  Chinifiglcn  et  ConfkICDt 
de  Lonii  XIV  (16S8-1796).  Fsris  (600  p.)  —  H,  rmadU^  Un  n^dcdn 
du  XVIlIe  si^lc.  Thiodore  Tronchin  (1 709  - 1 781)  d'aprts  des  documents 
inedits.  Paris  (III,  423  p.)  -  IF.  Tait,  A  History  of  Haslar  Hospital. 
Lond.  —  H.-A.  Wauthüz,  1  t-s  ambulances  et  les  ambulanciers  ä  travers 
les  siicics.  Hist.  des  blesses  mihtaires  chez  tous  les  penples  etc  Preface 
par  le  Cte.  d'Haussonville.  Bruxelles  (XII,  258  p).  —  F..  RoUanä,  Flore 
popuhdre  Ott  Histoire  naturelle  dA  plantes  dans  lenn  lappoits  avce  la 
linguistique  et  le  folUoie.  T.  6.  Piwls  (Sil  p.) 


BeriditlguRg. 

Auf  S.  535  des  IV.  Bandes  des  Archivs  ist  Z.  13  v.  o.  statt  1761: 
1791  ZU  lesen;  auf  S.  160  des  V.  Bandes  Z.  3  v.  u.  statt  BsdcicbeR: 


Die  Jagd  des  Einhorns  in  Wort  und  Bild. 

Von  FRANZ  KUNTZE. 


Im  oberen  Treppenhause  der  Hofbibliothek  zu  Weimar 
hängen  drei  Gemälde,  die,  wenn  auch  im  ganzen  von  beschei- 
denem Kunstwert,  doch  in  kunst-  und  literargeschichllicher  Hin- 
sicht bcdciiisaiii  sind.  Es  sind  sogenannte  Einhornbilder,  d.  h. 
Darstellungen  der  Vcrkuiidigunfj  und  Menschwerdung,  wobei 
Christus  durch  das  Einhorn  verkörpert  ist,  während  der  Engel 
Gabriel  in  der  Maske  des  Jägers  auftritt.  Dieser  hält  an  der 
Leine  vier  Hunde,  die  das  Einhorn  verfolgen,  welches  sich  in 
den  Schoß  der  Maria  flüchtet.  Sie  sitzt  in  dem  hortus  con- 
clusus  (Hohelied  4,12)  neben  der  porta  clausa  (Ezechiel  44,1  ff.) 
und  umfaßt  schützend  und  liebkosend  das  Horn  des  gejagten 
Tieres.  Der  Jäger  stößt  in  das  Horn,  aus  dem  ein  Spruchband 
mit  dem  himmlischen  Oniß  hervorquillt.  Oben  in  den  Wolken 
Gott  Vater,  während  die  verschiedenen  Attribute  der  Maria,  das 
l  eil  Gideons,  die  urna  aurca  mit  dem  .Manna  (Exod.  16,14), 
der  fons  signatus  (Hrliclud  4,12),  die  Rute  Aarons  (Numeri  17), 
der  elfenbeinerne  lurm  (Hohelied  7,4)  oder  der  Turm  Davids 
(Hohel.  4,  4),  der  [intens  aquarum  viventium  (Hohel.  4, 1  5)  usw. 
mit  mehr  oder  mincicr  großer  Vollständigkeit  über  die  1  lache 
der  Gemälde  verteilt  sind.  Dazu  noch  einzehie  nuf  die  Maria 
bezügliche  Sprüche,  wie  sicut  lilium  inter  spinas  (Hohelied  2,  2) 
oder  veni,  auster,  perila  ortum  et  fluant  aromata  (Hohelied  4,16). 
Die  Bilder  stammen  aus  verschiedenen  Zeiten  und  sind  von  sehr 
verschiedenem  Wert,  weichen  auch  in  der  Ausführung  voneinander 
ab.  Das  größte  von  ihnen,  das  AiUttdstück  eines  drdflügligen 
Altarbildes,  das  sich  dem  Beschauer,  wenn  er  den  ersten  Absatz 

Atddv  m  Knltarsnclilchle.  V.  18 


Digitized  by  Google 


274 


Franz  Kuntze. 


der  Obertreppe  erstiegen  hat,  mit  aller  Deutlichkeit  darstellt,  ge- 
hört nach  Lehfeldt  der  altkölnisdien  Schule  an,  so  daß  seine 
Entstehung  in  den  Ausgang  des  14.  Jahrhunderts  zu  setzen  wire. 
Natürlich  ist  es  wie  alle  derartigten  GemSlde  vorzugsweise  auf 
dekorative  Wirloing  berechnet  und  die  Daistdlung  konventionell. 
Aber  die  Einzelheiten  sind  sauber  herausgearbeitet  und  manch- 
mal nicht  ohne  individuellen  Reiz.  So  ist  der  Kopf  der  Maria 
und  namentlich  auch  der  des  jugendlichen  Jlg^  mit  seinem 
blondgelockten  Haar  von  zartem,  gefiUligem  Ausdruck,  die  Hflnde 
der  Jungfiau  sind  von  besonderer  Feinheit,  das  Einhorn  ist 
kleiner  als  sonst  und  übetaus  zierlich  und  schlank  daigestelll^ 
ebenso  auch  die  Hunde.  Ldder  ist  das  Bild  stark  beschidigt, 
so  dafi  die  Embleme  der  Maria  nur  teilweise  zu  erioennen  sind. 
Aber  die  Hauptfiguren,  auch  das  Haupt  Oottvateis,  dessen  Halb- 
figur oben  in  den  Wolken  zur  Linken  des  Beschauers  erscheint, 
sind  wohl  erhallen. 

Das  zweite  Bild  hängt  leider  so,  daß  man  es  mit  bloßem 
AuL^e  kaum  erkennen  kann.  Iis  maij  etwa  liiindert  Jahre  spater 
entbtanden  sein  ab  cias  erste,  es  sieht  ihm  in  der  Ausführung 
der  tinzeldmgp  nach  und  ist  von  sehr  dunklem  Farbenton. 
Außer  dem  zahheichen  Beiwerk  erscheint,  wie  auf  dem  ersten 
Bilde,  die  Gestalt  Gottvaters,  dazu  aber  noch  der  heilige  Geist 
in  Gestalt  einer  Taube,  die  mit  dem  Schnabel  das  Maupt  der 
Maria  beriihrt.  Und  ihr  folgt  in  einiger  Entfernung  das  Christus- 
kind, das  Kreuz  tragend,  8:leichsam  schuimmend  in  den  Strahlen, 
die  von  Gottvater  ausgehen  und  die  Taube  noch  treffen.  Übri- 
gens ist  das  Bild  gut  erhalten.  Schon  Vulpius  hat  in  den 
Curiositaten  (6,  t33)  eme  Beschreibung  davon  gegeben  samt  einer 
Tafel  mit  einer  Abbildung,  die  bei  Miliin:  Voyages  dans  Ics 
provinces  du  midi  de  la  France  wiederholt  ist. 

Das  dritte  Bild  ist  eine  schlecht  erhaltene  handwerksmäßige 
Schilderei  von  erstaunlich  dürftiger,  ja  roher  Technik  und  in 
gröblicher  Weise  übermalt  Bäurisch  plump  ist  das  Gesicht  der 
Maria  wie  das  des  Jägers,  der  mit  einem  ungestaltenen  Flügel- 
paar ausgestattet  ist,  das  Einhorn  vollends  ein  bis  zur  Unkennt- 
lichkeit entstelltes  Monstrum.  Die  Zahl  der  Hunde  ist  auf  allen 
drei  Bildern  vier,  und  sie  sind  durch  SprucbbAnder  als  TrSg^r 


.  kiui^  .-.  l  y  Google 


Die  Jagd  des  Einlion»  in  U^ort  «od  Bild. 


275 


der  Namen  Fax,  Miaerioordia,  Veritas  und  lustitta  bezdchnel^ 
worüber  apäler  noch  melir  zu  sagen  ist. 

Der  Q^nstand  ist  bekanntlich  in  der  bildenden  Kunst 
vielfach  behandelt  worden,  weniger  häufig  von  der  Dichtung; 
wenn  sie  ihn  auch  keineswegs  verschmäht  hat,  wie  denn  ja  Dich- 
tung und  bildende  Kunst  im  Mittelalter  in  enger  Beziehung  zu- 
einander stehen.^)  Ehe  wir  jedoch  darauf  eingehen,  wird  es 
geraten  sein,  die  Frage  aufeuwerfen,  wie  es  kommt,  daß  aus  der 
Einhomlegende  eine  so  wunderliche  Allegorie  herausgesponnen 
ist,  wie  sie  in  den  oben  beschriebenen  Bildern  zutage  tritt 

Aus  der  Einhornlegende,  sage  ich;  denn  eine  Legende, 
genau  genommen  ein  Mythos  ist  es,  da  eine  Spezies  Einhorn 
nicht  existiert,  wiewohl  man  lange  an  die  Existenz  desselben  ge- 
glaubt hat  Noch  Friedrich  Mfinter,  der  im  Jahre  1 825  das  wert- 
volle Buch  über  die  Sinnbilder  der  alten  Christen  verfaßt  hat, 
hält  daran  fest,  iiachcicni  diircli  die  Berichte  von  Reisetideii  der 
beträchtlich  ins  Wanken  geratene  Glaube  an  das  Dasein  eines 
einhornigen  Tieres  -  schon  Linne  und  Cuvier  haben  ihn  ver- 
worfen -  wieder  neu  befestigt  \vzr.  Auch  Gelehrte  wie  Grösse 
und,  wie  ich  irgendwo  geieseii  liabe,  der  Franzose  Cahier  wollen 
von  diesem  Glauben  nicht  recht  lassen,  und  noch  im  Jahre  1867 
bemerkt  der  üstpreuße  Bergau  in  seiner  Abhandlung:  »Die  Jagd 
des  Einhorns"  mit  Berufung  auf  die  Enzyklopädie  von  Ersch 
und  Gruber:  „Das  Einhorn,  em  pferdeartif^es  Tier  usw.,  soll  im 
Innern  Afrikas  leben."  Aber  die  Nachrichten,  welche  in  der  Mitte 
des  verflossenen  Jahrhunderts  über  die  Existenz  eines  südafrika- 
nischen Einhorns  —  angeblich  einer  Antilopenart  -  verbreitet 
worden  sind,  beruhen  ebenso  auf  Täuschung  wie  diejenigen,  die 
neuerdings  über  ein  aus  Tibet  nach  Europa  importiertes  ein- 
horniges  Tier  in  die  Welt  gegangen  sind.') 

1)  S.  dariber  PiUMr  in  den  N.  J«lnfeb.f.d.  Uan.  Alt,  OeMh. «.  Pid.,  Jdirg.  VII, 
195  ff.  (19««). 

>)  Dn  Oliaben  u  dae  lapniHltKlie  ehdiömige  Antilopenart  «fderlegt  Selmce  Im 

Daheim  1906  (43).  Audi  was  unlän^:=t  Hamburg;«- BlStter  über  l  imn  in  Hakenbecks  Tier- 
park befindlichen  etnhöroigen  Schafbock  aus  Tibet  berichtet  haben,  l»t  irrig.  Es  handelt 
«ich,  wie  mir  ein  SachWlSndiger,  Herr  Dr.  Alexander  Sokolo«sk)r  fn  Haoibttrs.  gfitisst 
mitteilt,  um  Verwadiwiifea.  Die  bdden  Hörner  tanfen  itntai  «it  der  Wuzd  in  dne»  »• 
«unmen,  trennen  sich  aber  vieder  in  der  Splte.  Eine  Abnonnfllt,  die  in  Tibet  htnffi; 
vorkommen  soll  Ahnlich  mag  es  sich  auch  mit  dem  einhömigen  Widder  in  ilen  Herden 
des  Pcnlücs  verhalten  haben,  v<mi  dm  Plutardi,  die  aooderbare  ErUinuig  des  Anaxaggras 
kianfBiend  (Perid.  VI),  bcridttet  -  «an  aaden  an  der  SmIk  ctwat  Wehm  ist 

18* 


276 


Htm.  Kuntze. 


Die  Kunde  von  dem  fabdlutHeii  Tier  rdcht  belanntüdi 
weit  ins  Altertum  zurück.  Zwei  ausfQhrliche  Beridile  in  grie- 
chischer Sprache  liegen  uns  vor.  Der  ältere  findet  sich  beim 
Ktesias;*)  er  ist  ohne  wesentliche  Verlndeningen  wiederholt  in 
der  nahini  «nimalium  Allans  (IV,  52).  Danach  gab  es  hi  Asien 
eine  Art  von  Esdn,  die  den  Pfaden  glichen,  aber  etwas  grßfier 
waren,  von  weißer  Fart>e,  aber  purpurrotem  Kopf  und  bkuen 
Augen.  Auf  der  Stirn  hatten  sie  ein  spitzes  Horn  von  der  Unge 
etner  Elle,  dessen  unterer  Teil  wdB  war,  wihrend  der  mittlere 
schwarz,  der  obere  purpurrot  erschien.  Das  Tier  Ist  sehr  stark, 
heifit  es  weiter,  und  so  schnell,  dafi  es  von  keinem  Verfolger 
eingeholt  wird.  Wird  es  angegriffen,  setzt  es  sich  zur  Wehr  und 
kftmpft  namentlich  für  die  Jungen  mit  Huf,  Horn  und  Biß. 
Lebend  kann  es  nicht  gefangen  werden,  aber  man  erlegt  es  mit 
Pfeil  und  Wurfgeschoß  nicht  des  ungenießbaren  f^eisches,  son- 
dern der  Hufe  und  des  Homes  wegen.  Aus  diesem  wird  dn 
wichtiges  Hdlndttel  gewonnen,  sei  es,  daß  man  daraus  wie  aus 
einem  Becher  trinkt,  sei  es,  daß  Schabstfickdien  dessdben  mit 
Wdn  oder  Wasso*  gemischt  genossen  werden.  Gegen  Krämpfe 
und  Veiglfhing  ist  es  besonders  wirksam.  So  KtesMS. 

Der  zwdte  Bericht  geht  höchst  wahfsdidnllch  auf  den 
Megasthenes  zurück,  der  als  Gesandter  des  Sdeukos  Nikator 
(t  280  V.  Chr.)  Indien  besucht  und  seine  Beobachtungen  in 
einem  größeren  Werke,  'Ivdixd  wie  die  Schrift  des  Ktesias  ge- 
nannt, niedergelegt  hat.  Das  Werk  ist  verloren,  aber  Auszüge 
sind  davon  erhalten;  den  Bericht  des  Autors  über  das  Einhorn 
hat  ebenfalls  Älian  in  der  Tiergeschichte  wiedergegeben  (XVI,  20). 
Hier  heißt  das  Tier  geradezu  uoroxFon)^  oder  auch  KaQxdL,ow(K 
(Starkgürtel),  es  hat  die  Größe  und  die  iWahne  eines  ausge- 
wachsenen Pferdes  und  gelbliches  Haar,  ist  außerordentlich 
schnell,  hat  Füße,  die  denen  eines  Elefanten  gleichen,  und  den 
Schwanz  eines  Schweines.  Zwischen  den  Augen  ragt  in  natür- 
hchen  Windungen  ein  Horn  von  schwarzer  Farbe  hervor.  Seine 
Stimme  ist  überaus  laut  und  mißtönend.  Die  Kraft  seines  Körpers 
tst  groß,  die  seines  Hornes  geradezu  unwiderstehhch.  Gegen 


*)  Ktesi»'  PnfnMnte  (Bihc)  S54,  51. 


Digitized  by  Google 


Die  Jagd  des  Einhorns  in  Wort  und  Bild. 


277 


andere  Tiere  ist  es  friedfertig  und  sanft,  gegen  seinesgleichen 
aber,  gegen  die  Weibchen  nicht  minder  als  gegen  die  Männchen, 
von  beispielloser  Wildheit,  und  es  kämpft  ergrimmt  bis  zu  seinem 
oder  des  Widersachers  Tode.  Nur  zur  Zeit  der  Paarung  erlischt 
seine  Wut  gegen  das  Weibchen,  kehrt  jedoch  nach  Ablauf  der 
Brunstzeit  mit  gleicher  Heftiglceit  zurück.  Das  Tier  liebt  die 
Einsamkeit  und  sucht  stets  entlegene  Weideplätze.  Ein  auage* 
wachsenes  Einhorn  ist  noch  niemals  gefangen  worden.  Die  ge- 
fiingpnen  Jungen  des  Tieres  werden  dem  Könige  der  Prasier, 
eines  im  Norden  Indiens  am  Ganges  hausenden  Volkes,  gebracht 
Das  heißt,  wenn  man  es  modern  ausdrücken  will,  der  Fang  des 
Tieres  war  ein  Regal. 

Man  sieht,  die  beiden  Berichte  weichen  stark  voneinander 
ab.  Im  ersten  wird  ganz  besonders  die  Beschaffenheit  des  Homes 
und  seine  Bniudibariceit  für  Heilzwecke  hervoigehoben,  in  dem 
andern  wird  die  gellende  Stimme  des  Tieres,  seine  Liebe  zur 
Einsamkeit  sem  seltsames  Verhalten  gegen  die  Tiere  seiner  Gat- 
tung betont.  Gemeinsam  ist  bekien  Berichten  die  Angabe  Aber 
die  Starke,  die  Schnelligkeit,  die  Wildheit,  die  Kampflust  des 
Tieres,  gänzlich  verschieden  dagegen  die  Beschreibung  des  Kör- 
pers. Es  ist  daher  ungewiß,  ob  sich  die  beiden  Berichte  auf 
ein  Tier,  etwa  das  Rhinozeros,  oder  auf  mehrere  t)eziehen.  Auch 
die  Entstehung  der  einzelnen  Angaben  ist  unkontrollierbar.  Sicher 
ist  wohl  80  viel,  daß  die  beiden  Berichterstatter  ihre  Nachrichten 
von  Eingeborenen  erhalten  und  sie  gutgläubig  nadierzShIt  haben. 
Kritik  war  bekanntlich  die  starice  Seite  der  Alten  nicht  Man 
erinnert  sich  leicht  an  die  Cunosen  Jagdgeschichten  von  dem  em- 
hömigen  Rinde  und  dem  gelenklosen  Elch,  die  CSsar  sich  in 
Gallien  hat  aufbinden  lassen. 

Aus  diesen  beiden  Berichten  haben  die  SpAterai  geschöpft. 
Die  Notiz  des  Aristoteles  (histor.  animal.  II,  i)  über  die  ehi- 
hömigen  und  einhufigen  äsd  Indiens  geht  wohl  auf  Ktesias 
zuriidc,  wahrend  Strabo  (Oeogr.XV,7lO  Dfibner)  den  Megasthenes 
zitiert  als  den  Autor,  der  von  einhufigen  Pfdden  mit  Hirsch- 
köpfen  zu  erzählen  wisse.  Beide  Berichte  kennt  Plinius.  Er 
erwähnt  (nat  bist  XI,  255)  den  indischen  Esel,  der  einhufig  ist 
und  Fußknöchel  (talos)  -  äoTQdyaXoi  sagt  Ktesias  -  hat,  aber 


Digitized  by  Google 


278  Fnnz  Kuntze. 

an  anderer  Stelle  gibt  er  einen  Auszug  aus  dem  Beiidit  des 

Megasthenes.  »Der  Monoceros«,  sagt  er  VIII,  76,  »ist  ein  Tier 
von  außerordentlicher  Wildheit;  es  gleicht  dem  Pferde,  hat  aber 
einen  Hirschkopf,  Elefiiiitenfuße  und  den  Schwanz  eines  Schweines. 
Seine  Stimme  ist  ein  schreckliches  Oebrüll ;  mitten  auf  der  Stirn 
hat  es  ein  zwei  Ellen  langes  Horn.  Man  erzählt,  daß  es  nicht 
lebendig  gefangen  werden  könne.«*)  Dem  Plinius  folgt  dann,  wie 
immer,  sein  getreuer  Solinus  in  seinen  Denkwürdigkeiten  (52,  39), 
während  Philostrat,  was  er  im  Leben  des  Apollontus  von  Tyana 
(III,  2)  Über  die  einhömigen  indischen  Esel  erzählt,  aus  beiden 
Berichten  ziisammentreschweißt  hat 

Aus  diesen  Quellen,  hauptsächlich  dem  Plinius,  Solinus  und 
Älian,  ist  die  Weisheit  geflossen,  die  in  der  Literatur  des  Mittel- 
alters über  die  Natur  des  interessanten  Fabeltieres  nbp^elnf^ert  ist.*) 
Die  Theologen,  die  Naturforschrr,  die  Kompiiatoren  und  Ver- 
fasser der  zahlreichen  Lnzykiopädien  und  Sammelwerke  haben 
zusammengetragen,  was  sie  fanden,  haben  ihre  Vorgänger  benutzt 
und  ausgeschrieben,  ihre  Vorlagen  oft  durch  fremde  Zuflüsse 
erweitert  und  ausgeschmückt.  Vor  allem  interessierte  man  sich 
für  die  Stärke,  die  Schnelligkeit,  die  Wildheit  des  Tieres,  für  den 
gießlhrlichen  Stoß  seines  Horns,  für  seinen  Hang  zur  Einsamkeit 
und  seine  Streitlust.  Und  indem  man  das  Einhorn  mit  dem 
Rhinozeros  identifizierte,  von  dessen  Feindschaft  und  Kämpfen 
mit  dem  Elefanten  die  Alten  mancherlei  zu  berichten  wußten 
(z.  B.  Plinius»  nat  hist  Vli],7i),  fibeitrug  man  auch  diesen  Zug 
auf  das  einhOrnige  Fabeltier.  Bekannter  ist  freilich  die  Feind- 
schaft des  Einhorns  mit  dem  Ldwen»  die  jedenfalls  aus  dem 
f^en  Orient  stammt;  sind  doch  auf  assyrischen  und  persischen 
Denkmälern,  besonders  einem  Basrelief  in  Ptersepolis,  Darstellungen 
von  KImpfien  des  Löwen  mit  dem  Einhorn  entdeckt  worden.*) 


>)  Dal  riiiuus  wie  Aristoteles  außerdem  noch  den  Or>x  kennt,  ein  einhömige«  Tier 
Mit  geqMUenem  Huf,  sei  hier  kurz  erwälint 

<)  Die  auf  du  Euüioni  bctüi^idie  liaiee  Uteratur  tut  mit  luheni  cnchöpfendcr 
Orfindlldifcelt  sestminelt  Carl  Coha  In  tdaen  beiden  Abhandlungen:  Zar  llterariKhen 
Or-ri ::  :hte  des  F.inhorn.s  (Ulssenschaftlicbe  Beilage  tmo  JiltKlbericM  der  cUleB  «ttdtftchen 
Realschule  zu  Berlin,  I  1896,  II  1897). 

BiovD  hÄ  in  ecteer  Schrtfl  The  wiloorae  da»  IURk  tob  DJmim  tnnuM»- 
gestellt.  Fr  deutet  dtrsen  Kampf  als  Altecorie.  indem  CT  in  dem  LAwtn  das  S{ymbal  der 
Sonne,  in  dem  Einhorn  das  des  Mondes  erblicltt. 


Die  Jagd  des  Einhorns  in  Wort  und  Bild. 


279 


Man  fabelte^  daß  der  Löwe  den  wfltenden  Gegner  in  der  Nähe 
eines  Baumes  erwarte  und  dann  plötzlich  ausweiche  oder  hinter 
dem  Baume  Deckung  suche^  so  daB  das  Einhorn,  ihn  verfehlend, 
das  Horn  mit  rasendem  Stoß  in  den  Baum  bohre  und  so,  da  es 

sich  nicht  losmachen  könne,  die  Beute  des  Löwen  werde.')  Diese 

Fabel  hat  Spenser  (Fairy  Queen  II,  v.  10  ff.)  zu  einem  Gleichnis 
benutzt,  und  auch  Shakespeare,  der  auch  sonst  ein  paarmal  des 
Einhorns  Erwähnung  tut,  spielt  darauf  an.*)  In  einem  von 
Brown  (a.  a.  O.  S.  84)  angeführten  Zitat  aus  Chapmans  Bussy 
d'Ambois  ist  es  ein  Juwelier,  der  dem  Tier  seines  Hornes  wegen 
auflauert  und  sich  hinter  dem  Baume  zu  bergen  sucht,  während 
im  deutschen  Märchen  das  tapfere  Schneiderlein  als  Widerpart 
des  Einhorns  auftritt.  Der  Juwelier  wird  von  dem  Horn  des 
Gegners  aufgespießt;  dem  Schneiderlein  glückt  die  üst,  und  er 
fängt  das  Tier.  '') 

Nicht  minder  tiefe  Spuren  hat  der  Glaube  an  die  Heilkraft 
des  Hornes  hmterlassen.  Auch  das  ist  dann  vielfach  ubertrieben 
worden,  ja  der  Trank  aus  einem  Einhornbecher  wurde  geradezu 
als  eine  Panazee  wider  alle  möglichen  Schädlichkeiten,  Krankheit, 
Gift,  Wunden  und  Feuersgefahr  angesehen.  Das  glaubte  man 
wenigstens,  wie  Philostrat  in  der  Lel}ensgeschichte  des  ApoUonius 
von  Tyana  (III,  2)  angibt,  in  Indien.   Freilich  will  Apollontus 


*)  Die  Fabel  findet  sich  in  dieser  Oeftalt  nachireislich  in  dem  «OKcn.  Briefe  des 
Fiieiteri  Jobaooes  aa  den  Kaiser  von  Rom  und  den  König  von  Frankrdcb,  also  in  der 
zveittn  HlKte  des  tl.  Jaibrliniderte  («.  Qriaw:  Bdtr.  rar  Llteralur  «.  Sige  de«  Mlttddtert. 

S.  6E)    '^>b  sie  im  Abendlandc  noch  früher  vorkomnit,  Ist  fraglich.  Nun  stehen  I  r-rr  tmd 
Einhorn  einaiidcr  ^Is  Wappcnhaltcr  friedlich  gegenüber  im  Wappen  der  Krone  Ejigiands. 
Znm  Wappentier  ist  das  Finhorn  gleich  anderen  Fabeltieren  schon  im  .Mittelalter  geworden. 
Et  diente  aauMicbst  als  Schildzeiclien  und  wird  als  solches  in  mittelalterlichen  Oedichtcn 
■whrheb  crwilmt.  Ah  Wappen  wr  t»  bctondcra  In  den  Punilicn  des  TlrarKras  bdlcM, 
auch  der  Thurganer  Dietmar  vnn  Ai<;f  hat  es  geführt.   Auch  viele  englische  Familien  halten 
das  l:inhorn  im  Wappen,  darunter  der  Dichter  Chaucer.   Von  regierenden  Häusern  haben 
es  die  Markgrafen  von  Este  und  die  Könige  von  Schottland  angenommen;  von  hier  aus  ist 
CS  dann  ins  engllsdie  Wappen  gelangt.  Schließlich  mag  ervibnt  werden,  daß  anch  Sctaiiler» 
Addwappen  doi  Oberkfb  eines  Clnhoms  nlgt.  Mdir  dvflber  bei  Cohn,  II,  tt;  Sft» 
S)  I  can  oversway  him,  for  he  loves  to  hear 
That  unicomes  may  bctrayed  with  trees, 
«et  Decfns  Im  Jidlos  Otoir,  II,  i. 

S)  In  der  orientalisch  -  buddhistischen  Parabel,  die  durch  Rückerts  ErzShlung  »Der 
Mann  im  Syrerland"  ■weithin  bekannt  gc-«'orden  ist,  ist  das  den  Mann  verfolgende  Tier  dn 
Elefant,  der  aber  später  durch  das  F.inhoni  ersetzt  wird.  So  in  der  ersten  deutschen  f'assung 
der  Qesdiichte,  wie  sie  in  Rudolf  von  Ems'  Legende  Barlaam  und  Josaphat  (116  ff.  Pfeiffer) 
vorliegt,  die  ms  Joüuumes  Dsnuseeira*  geMMIpft  Ist.  Dss  ist  oft  McbCRihtt  vonkn,  nnler 
aniit-rn  auch  von  Hugo  vvn  Trimberg  im  RcPBCr  (v.  3348411.).  Erst  Rfldiert  hat  aiMtitt 
des  Linhums  ein  Kamel  eingeführt. 


280 


Franz  Kuntze. 


an  die  Sacbe  nicht  recht  glauben,  wenigstens  dann  erst,  wenn  er 
dnen  unsterblichen  König  von  Indien  -  denn  nur  diese  hatten 
ja  nach  Megasthenes  das  Recht  des  Cinhomfanges  -  kennen 
gelernt  habe.  Qu^ubig  wie  immer  übernahm  dann  das  Mittel- 
alter die  Oberlieferung  des  Altertums.  Und  wie  fest  dieser 
Ohiube  stand,  erhellt  unter  anderm  aus  der  kuriosen  Geschichte, 
die  Johann  von  Hesse  in  der  lafdnischett  Beschreibung  seiner 
Wallfahrt  nach  Jerusalem  (1389)  erzählt,  Das  Wasser  des 
Flusses  Mara  (Moses  II,  1 5,  23)  -  heißt  es  dort  —  werde  noch 
immer  von  bdsen  Tieren  vergiftet  Aber  des  Motgens  in  der 
Frflhe,  wenn  die  Sonne  aufgegangen  sei,  komme  das  Emhom, 
tauche  sein  Horn  in  den  Flu6  und  vertreibe  das  Qtft,  damit  die 
andern  Tiere  daraus  trinken  könnten.  Der  Mann  muß  ein  arger 
Schwindler  gewesen  sein,  oder  es  ist  Autosuggestion  im  Spiel; 
er  schließt  nimlich  seine  Crzlhlung  mit  den  Worten,  was  er  be- 
richte, habe  er  mit  eigenen  Augen  gesehen.  In  Wahrheit  wird 
er  die  Geschichte  aus  Europa  mitgebracht  haben,  wo  sie  längst 
literarisch  bekannt  war,  und  er  wird  dann  in  Palästina  gesehen 
haben,  \\  is  er  sehen  wollte.  Auch  diese  Geschichte  ist  dann 
namenilich  m  lialien  mehrmals  nacherzählt  worden,  daher  die 
Devise,  die  ein  Einhorn  zeigte  das  sein  Horn  ins  Wasser  steckt, 
mit  dem  Motto:  venena  pello. *)  Diese  Vorstellungen  dauerten 
lange  fort,  ja  nach  dem  Ablauf  des  Mittelalters  im  1  5.  und  1 0.Jahr- 
hundert scheint  ihre  suggestive  Kraft  noch  gestiegen  zu  sein. 
Reiche  l  eute,  besonders  Fürstlichkeiten,  kauften  die  angeblichen 
Hörner  des  wunderbaren  Tieres  -  in  Wirklichkeit  waren  es  die 
Stoßzähne  des  Narwals  -  zu  hohen  und  höchsten  l-'reiscii  und 
legten  sich  Sammlungen  davon  an ;  es  wurden  auch  Becher, 
Löffel  und  anderes  Tischgerät  daraus  verfertigt  Qesner  in  der 
historia  aniinaliuni  erzählt  davon,  und  der  Däne  Bartholinus  hat 
in  seiner  Schrift  De  unicornu  ein  ganzes  Museum  solcher  Rari- 
täten zusammengestellt  So  kam  es,  daß  das  Wort  Einhorn 
geradezu  für  Becher  gebraucht  wurde,  wie  in  folgender,  von 
Lexer  im  mhd.  Wörterbuch  angeführten  Stelle  der  Mooumenta 

1)  Koloff:  Die  taiadufte  and  tymboliachc  TicrieMMdite  det  MlHctaltm.  in 
RWUIMD  Taschenbuch  IV,  VIII,  225. 

»)  Auch  Bernardo  Tasso,  Torquatos  Vater,  führte  diese  Oevise  mit  dem  Motto: 
tate  iltlat  pdle.  S.  Coba,  I,  9. 


.  kiui^  .-.  l  y  Google 


Die  Jagd  des  Einhorns  in  Wort  und  Bild. 


281 


Habsbufstca  aus  den  siebziger  Jahna  des  1 5.  Jahrhunderts:  gegen 
den  kaiser  was  ein  credenz,  daruff  stunden  800  stuck  s^ber- 
gesdiirre  und  auf  jeder  seifen  der  credenz  steckten  drei  ein- 
horn  vast  lang.    Und  noch  Andreas  Gryphius  sagt: 

Noch  indenk  jene  Nacht, 
Da  wir  in  iauter  Lust  und  Wonne  fast  versunken 
Die  Bban'  des  besten  Weins  ans  OoM  und  Einhorn  trunken. 

(D.W.  111,205.) 

Jetzt  gehört  das  Tier  und  die  Heilkraft  seines  Horns  der  Legende 
an;  aber  ein  Rudiment  des  alten  Glaubens  ist  noch  übrig:  neben 
dem  Hirsch,  dem  Löwen  und  dem  Elefanten  erscheint  auch  das 
Einhorn  als  Wahrzeichen  der  Apotheken  und  Pharmazien. 
Sdimeller  führt  im  Bayerischen  Wörterbuch  eine  Steüe  ans  Abra- 
ham a  Santa  Clara  an,  woraus  henorgeht,  daß  diesem  schon 
eine  Apotheke  zum  weißen  Pinliürn  bekannt  war. 

Aber  mit  alledem  kommen  wir  unserm  eigentlichen  Ziel 
nicht  näher.  Denn  was  haben  die  vorstehenden  Ausführungen 
mit  der  himmlischen  Jagd  des  Einhorns  und  ihren  bildlichen 
Darstellungen  zu  schaffen?  Wir  habtn  diese  Seitenwege  auch 
nur  bis  zu  Ende  verfolgt,  weil  sie  eintgie  interessante  Ausblicke 
gewährten  auf  die  Tiefe  der  Einflüsse,  welche  die  Einhom- 
legende  nach  verschiedenen  Richtungen  auf  die  Kultur  des 
Abendlandes  geübt  hat  Um  auf  den  rechten  Weg  zu  kommen, 
^müssen  wir  umkehren  und  ein  gieraumes  Stfick  der  durch- 
messenen  Bahn  zurflckverfolgen. 

Im  zweiten  Jahrhundert  nadi  Christi  Qebiul  entsteht  eine 
sonderbare  Liten(turgalhin&  deren  Eizeugnisse  unter  dem  Namen 
der  Physiologi  bekannt  geworden  sind«  »Der  Physiologus  ist', 
sagt  Lauchert  in  seinem  grundlegenden  Buche:  Geschichte  des 
Physiologus,  S*  46,  »eine  popuUr-theologische  Schriftp  welche  in 
all^rischer  Anlehnung  an  Tiereigenschaflen  die  wicfatigsfen  Sätze 
der  christlichen  Obiubenslehre  zum  Ausdruck  bringt  und  andere 
Tierdgenscfaaften  als  nachzuahmende  oder  abschreckende  Beispiele 
den  Menschen  ffir  ihren  Lebenswandel  mahnend  und  bdehiend 
vorhSIt«  Es  sind  wahrscheinlich  alte,  bereHs  in  Tierbfichem  ver* 
einigte  Geschichten,  die  den  Onindstock  der  Sammlung  bilden, 
und  mit  Vorliebe  wurden  gerade  die  märchenhaften  Eigenschaften, 


282 


Franz  Kuntze. 


die  man  bdcumten  Tieren  wie  unbekannten  Fabelwesen  zuschrieb, 
fflr  die  Erzflhiungen  benutzt  So  erzihlte  man  vom  L6wen,  daß 
er  seine  Spur  mit  seinem  Schwanz  verwische^  daß  er  mit  offenen 
Augen  scfaUdie,  daß  er  sein  junges  mit  seinem  Atem  anblase^ 
damit  es  zum  Leben  erwache;  von  dem  Panther,  daß  sein  Wofal- 
geruch  alle  Tiere  heranlocke;  von  dem  Phönix,  daß  er  sich  ver- 
brenne und  aus  der  Asche  wieder  erstehe  usw.  Hellenistisches 
Gut  ist  hier  mit  altem  orientalischen  Erbe  verschmolzen,  und  die 
Heimstätte  der  Sammlung  ist  ohne  Zweifel  die  Zentrale  der  helle- 
nistischen Literatur,  nämlich  Alexandria.  Mit  dem  Worte  cpr^nio- 
xöyoc,  das  ist  Naturfor^rher  —  der  Titel  des  Buches  ist  den 
stehenden  Wendungen  6  <pvüioX6yos  keyn  oder  H:nt  entnommen 
—  war  zunächst  Aristoteles  |?emeint,  dessen  Name  sction  früh 
eine  typische  Bedeutung  gewonnen  iiat;  ini  Mittehilter  dachte  man 
dabei  vielfach  an  Salomo.  Daß  die  Sammlung  bald  eine  der 
t)elicbtesten,  vielleicht  die  allerbeliebteste  Schrift  wurde,  ist  bei  der 
Vorliebe  des  Mittelalters  für  alles  1  heologische  und  Allegorische 
leicht  befrei  Ii  ich.  Das  Buch  ist  wohl  in  alle  Sprachen  der  da- 
mals bekannten  Well  ubersetzt  worden  und  für  die  zahlreichen 
Tierbücher  oder  Bestiarien  des  Mittelalters  benutzt  worden.  Von 
Syrien,  Äthiopien  und  Arabien  bis  zum  fernen  Island  finden  wir 
seine  Spuren,  in  Deutschland  allein  sind  drei  Bearbeitungen,  die 
letzte  davon  in  Versen,  zustande  gekommen.  Und  wie  oft  ist  der 
Physiologus  zitiert  worden  ! 

Von  dem  Finhorn  meldet  der  älteste  griechische  Fhysio- 
loerus  nun  folrrendcs ;  ,.Das  Einhorn  ist  ein  kleines  Tier,  es  ist 
einem  Fiock  ähnlich  und  von  großer  Wildheit  (^nntvTmm'  rrarf) 
Wegen  seiner  großen  Wildheit  kann  kein  jSger  ihm  beikonimen. 
In  der  Mitte  des  Kopfes  hat  es  ein  Horn.  Wie  es  gefangen 
wird,  soll  jetzt  erzählt  werden.  Wo  es  sich  aufhält,  da  läßt  man 
eine  reine,  schön  gekleidete  Jungfrau  sich  niedersetzen.  Dann 
springt  das  Tier  in  den  Schoß  (ik  xbv  x6lnov)  der  Jungfrau.  Sie 
fängt  es,  es  folgt  ihr,  und  sie  bringt  es  dem  König  in  seinen  Palast." 
Und  nun  kommt  die  Auslegung.  Das  Einhorn  ist  Christus,  das 
Horn  des  Heils»  den  die  englischen  Mächte  nicht  halten  konnten,') 

I)  Die  Lehre  von  den  englischen  Michten  gehört  der  ilteren  Onosi»  an.  Danach 
itt  nidit  Om  der  Sciiöpler  md  Ikfcwricltcr  4er  Wdt,  tondcfn  die  von  ibm  lacnt  ge* 


Digitized  by  Google 


Die  Jagd  des  Linhorns  in  Wort  und  Bild. 


283 


und  der  daher  in  den  Leib  der  Maria  einging,  „so  daß  das  Wort 
Fleisch  ward  und  unter  uns  wohnte".  Dasselbe  berichtet  so  ziem- 
lich mit  denselben  Worten,  aber  ohne  die  Beziehung  auf  die 
Menschwerdung  Christi  der  Verfasser  des  unter  dem  Nnmen  des 
Eusthatios  überlieferten  Kommentnrs  zur  Schöpfungsgeschichte 
(Htvanieron)  Er  hat  hier  wie  anderswo  den  Physiologus  be- 
nutzt und  ausgeschrieben.'') 

Man  sieht,  in  diesem  Berichte  liegt  eine  Umschnieizung 
und  Erweitern rii;  der  aus  dem  Altertum  stammenden  Überlieferung 
vor.  Stehen  geblichen  ist  eigentlich  nur  die  charakteristische 
Wildheit  des  Tieres  und  die  Aiiirabe  -  ein  wenior  umgebildet 
freilich  daß  es  in  den  i^alast  des  Königs  gefuhrt  werde. 
Aber  das  Einhorn  gleicht  nicht  mehr  einem  i^ferde,  sondern 
einem  Ziegenbock,  und  vollends  neu  ist  der  phantastische  Zug, 
daß  zum  Fangen  des  Tieres  eine  reine  Jungfrau  erforderlich 
sei.  Das  ist  natürlich  die  Wurzel,  aus  der  sich  schließlich  die 
Vorstellung  von  der  himmlischen  Jagd  entwickelt  hat  Um  so 
wichtiger  ist  es  zu  wissen,  woher  dieses  neue,  überraschende 
Motiv  stammt. 

Schon  längst  hat  man  auf  die  oben  zitierte,  im  zweiten 
Bericht  des  Älian  (Megasthenes)  enthaltene  Notiz  hingewiesen, 
daß  das  Einhorn  in  der  Brunstzeit  seine  Wildheit  gegen  das 
Weibchen  ablege,  und  diese  als  die  Quelle  der  in  Rede  stehenden 
Metamorphose  angesehen.  Auch  Lauchert  hat  sich  dieser  Mei- 
nung  angeschlossen.  Aber  Cohn  hält  diese  Umdeutung  einer 
durch  die  Natur  des  Vorganges  bedingten,  noch  dazu  vorflber- 
gehenden  Eigenschaft  und  ihre  Verwandlung  in  einen  dauernden 
Charakterzug  nicht  fflr  wahrscheinlich  und  meint,  der  fragliche 
Zug  könne  vielleicht  aus  einer  orientalischen  Quelle  stammen. 
Ist  das  Argument  auch  nicht  durchschlagend  -  denn  die  Sage 
springt  bekanntlich  oft  in  der  willkfirlicfasten  Weise  mit  der  Ober> 
lieferung  um  so  hat  er  viellcicfat  in  diesem  Falle  doch  recht. 
'Den  richtigen  Weg  zur  Lösung  der  Frage  hat,  wie  es  scheint, 
F.  W.  K.  Mtliler  gewiesen,  da  er  in  einer  eigenen  Abhandlung  die 

schaffeiifn  himmlisch«!  Mächte.  Erst  nach  ihrer  Miliregiening  vurde  die  Sendung  Christi 
notwendig,  die  rrfui^n.  an  4)e  mdgdUtt  Otämmg  der  Weit  «fcdcriienmldlai.  Sidw 
Untcbert  a.  a.  O.  S.  49. 

1)  Lradiert  &  7S,  94. 


Digitized  by  Google 


284 


Franz  Kuntaee. 


Aufmerksamkeit  auf  eine  mittelalterliche  japanische  Oper  gelenlct 
hat,  deren  Hauptperson  der  Ikkaku  sennin,  d.  t.  der  Zauberer 
Einhorn,  ist^)  Die  Sache  ist  so  interessant,  daß  es  wert  ist, 
dabei  etwas  länger  zu  verweilen,  als  Ifir  unsem  Zweck  gerade 
notwendig  ist 

Der  Zauberer  Einhorn  hält  die  Drachen  in  ihrer  Höhle 
verschlossen,  so  daß  monatelang  kein  Regen  filllt  Da  beschließt 
der  König  des  Landes,  daß  die  FQrstitt  Senda,  gleich  ate  ob  sie 
eine  verirrte  Pilgerin  wSre,  den  Zauberer  aufsuchen  scrfle.  Von 
ihrer  Schönheit  berauscht,  werde  der  Asket  seine  Leidenschafts- 
losigkeit und  damit  seine  Zauberkraft  einbüßen.  Und  so  geschieht 
es.  Von  einem  Waki,  d.  i.  einem  Beamten,  begleitet,  macht  sich 
die  Senda  bunin  auf  den  Weg,  und  nach  längerer  Wanderung 
finden  sie  die  Hfitte,  wo  der  Zauberer  des  Talttachs  reine  Wellen 
in  Krüge  sammelt  und  im  Kessel  der  bbuen  Berge  Wolken 
siedet,  sich  Uibend  an  des  Ahorns  Anblick,  der  einstens  grfln 
am  Betigbach  stand,  jetzt  aber  rot  im  Herbstsdimuck  prangt 
Die  Wanderer  bitten  um  ein  Unterkommen  fOr  die  Nacht,  worauf 
der  Zauberer  aus  seiner  Hütte  hervortritt: 

»Das  Haupt  umgibt 
Ihm  grünlich  Haar, 
Ein  Hirschhorn  ist 
Der  Stirn  entsprossen.« 

Nun  bieten  sie  ihm  Wein,  den  er  zuerst  ablehnt,  aber  schließlich 
doch  annimmt,  als  er  hört,  daß  eine  Dame  ihn  kredenzen  wolle. 
»Lieblich  ist  des  Bechers  Anblick«,  sagt  die  Schöne,  und  als  sie 
nun  gar  beginnt;  im  Tanze  ihr  ahomfarbenesOewand  zu  schwingen, 
da  vertiert  der  Asket  die  Besinnung,  und  der  Chor  spricht: 
»Zum  Klange  der  Saiten  Zur  Seite  jetzt  breitet 


Der  Zauberer  aber  ist  berauscht  tu  Boden  gesunken.  Da  kommen 
die  Diachen  tobend  aus  ihrer  Höhle,  und  der  Draciienfürst  erklM 


Zu  schwanken  beginnt  er, 
Im  Kreise  zu  tanmeln, 


Und  Flötenspiel 


Beim  kreisenden  Becher 

Umstrickt  ihm  die  Sinne 

Das  schöne  \X'eih 


Den  Armd  er  aus, 
Vom  Rausche  bezwungen.  - 
froh  eilt  dann  die  FQrstin 

Auf  einsamem  Bergpfad 
Mit  ilireni  Begleiter 
Zur  Hauptstadt  zurück.* 


()  In  der  FcsMhrift  fSr  Bislira  (Berlin  1S96).  S,  51$  H. 


Die  Jagd  des  Etnboros  in  Wort  und  Bild. 


285 


dem  giehörnten  Eremiten,  daß  er,  weil  er  sich  von  der  Sinnen- 
lust habe  fibermannen  lassen,  seine  Zauberkraft  verloren  habe. 
Zuletzt  spricht  wieder  der  Chor: 

»Fassungslos  steht  der  Zauberer  da,      Kraftlos  endlich 

doch  Stfirzt  er  zu  Boden. 

Jetzt  tt»  der  Scheide  Freudig  zerteilt  der  Dradienifirst  dis 

Reißt  er  das  scharfe  Sdiwcrt,  Qewölk. 

Goldumpanrert  Mit  Donner  und  Blitzen  füllt  er  den 

Streckt  ilnn  der  Drachenfürst  Luftraum, 

Die  pcrlen^eschmückte  Reichlichen  Regen  läßt  er  jetzt  strömen. 

Klinge  entgegen.  Zum  Meerpaiaste 

Kune  Zeit  nur  ^urfidc  dann  dlt  er. 

Währet  der  Zweikampf.  Von  vdBen  schlumenden 

Bald  wankt  der  Zaubrer.  Wogen  getragen." 

Die  hier  dramatisierte  Geschichte,  wovon  es  mehrere  Va- 
rianten, auch  eine  til>etani8cfae  gibt,  stammt  aus  Indien;  auch  im 
Mahabfaarata  kommt  eine  Version  derselben  vor.  Das  Oiund- 
motiv  ist  natürlich  immer  das  gleiche:  der  Zauberer  Einhorn, 
oder  wie  er  sonst  bezeichnet  wird,  unterliegt  den  Reizen  eines 
schönen  Weibes  und  wird  ganz  wie  das  Einhorn  im  Physiologus 
von  der  Schönen  in  die  Königsstadt  gebracht  In  einer  indischen 
Version  trägt  er  sogar  das  Weib  auf  seinen  Sdiultem  dahin  - 
ein  Motiv,  das  man  aus  der  ebenfalls  aus  dem  Orient  stammenden, 
weit  verbreiteten  und  vielfach  variierten  Geschichte  vom  Aristoteles 
und  der  Phyliis  kennt.  Daraui  kommt  es  hier  freilich  nicht  an; 
aber  nach  den  vorstehenden  Ausfuiuungen  ist  es  nicht  unwahr- 
scheinlicli,  dai;  die  Lüihornsage,  wie  sie  ursprunglich  aus  Indien 
sLaninii,  auch  das  neue  Motiv  aus  Indien  bezogen  hat. 

Unklar  bleibt  freilich  die  Verwandlung  der  Pferdegestalt  in 
den  Ziegenbock.  Stammt  sie  ebenfalls  aus  dem  Orient  und  hat 
etwa  der  oben  erwähnte,  neuerdings  in  Europa  als  Wundertier 
gezeigte  tibetanische  Schn^bnck  mit  den  verwachsenen  Hörnern 
schon  iruhzeitig  seinen  Schauen  m  die  Euihornlegendc  geworfen  ? 
Oder  hat  ein  kritischer  Kopf,  dem  die  Vorstellung,  daß  ein  Tier 
von  der  Größe  eines  Pferdes  in  den  Schoß  einer  Jungfrau 
springe  und  von  dieser  gefangen  fortgeführt  werde,  allzu  ver- 
wegen dünkte,  den  Wandel  herbeigeführt,  indem  er  auf  den 
Einfall  kam,  durch  die  Einführung  des  Ideineren,  aber  wehrhaften, 


Digrtized  by  Google 


286 


Franz  Kuntze. 


überdies  als  brünstig  bekannten  Herdentieres  die  Proportionen 
des  Wildes  und  der  Jdgerin  besser  auszugleichen?    Non  liquet 

Mit  diesen  Zügen  ausgestattet  ist  nun  die  Einhornlegende 
abermals  durch  die  Welt  gegangen.  Die  Physiologie  die  Bestiarien, 
die  AuszQge  in  Sammelwerken^  Diditangen  und  andern  Schriften 
haben  sie  verbreitet  Natürlich,  wie  das  bei  einer  solchen  durch 
weite  Rlume  und  Zeiten  hindurch  gehenden  Wanderung  nicht 
anders  sein  kann,  mit  zahlreichen  größeren  oder  kleineren  Va- 
rianten. Manchmal  wird  die  Reinheit,  manchmal  die  Schönheit 
der  Jungfrau  atSrker  betont  Hildegard,  die  Äbtissin  des  Klosleis 
auf  dem  Ru]>pertsbefge  bei  Bingen  (f  tl79),  bemerid,  daß  die 
Jungfrauen,  die  das  Tier  fangen  sollten,  vornehm  und  gebildet 
(nec  non  rusticae),  außerdem  nicht  ganz  erwachsen,  sondern 
moderatae  adolescentiae,  also  Backfische  sein  mfissen.')  Und  der 
Byzantiner  Tzetzes*)  weiß  gar  zu  berichten,  daß  man,  um  das 
Einhorn  zu  fangen,  einen  starken  Jflngling  in  schön  duftende 
Frauenklekler  stecke,  was  eine  Iddit  erkUIrliche  Nuance  ist  Was 
das  Tier  anzieht,  ist  bald  die  Schönheit,  bald  die  Sanftmut,  bakl 
die  Reinheit  der  Jungfrau,  bald  der  Duft,  der  von  ihr  ausgeht  - 
so  bei  Tzelzes  und  im  Waldensischen  Physiologus  (per  !a  do^r 
e  per  l'odor  de  la  vergenela).  Nach  einigen  Berichten  erwflrmt 
(jiBQiMhwwM  schon  bei  P5.  Eusthatlos)  oder  liebkost  die  jung- 
fran  das  Tier,  welches  in  ihrem  Sdioße  spielt  oder  elnsdittft 
Der  alte  Zug,  daß  das  gefangene  Einhorn  in  den  Palast  des 
Königs  geführt  wird,  ist  im  äthiopischen  Physiologus  dahin 
variiert,  daß  die  Jungfrau  dem  König  das  Tier  als  Geschenk,  üm 
ihm  zu  huldigen,  darbringt  und  dafür  große  Reichtümer  be- 
kommt. Anderswo  heißt  es  freilich,  die  Jungfrau  führe  das  ge- 
fangene Tier,  wohin  sie  wolle.  Zuletzt  koiniuen  noch  die  Jäger 
hinzu,  die  das  Tier  fangen  oder  KAtn;  in  den  eben  erwähnten 
Versen  des  Tzetzes  hcil)t  es,  daii  die  Jäger  das  giftstillende  Horn 
abhauen  und  das  verstümmelte  Tier  laufen  lassen.  Weitere  Va- 
rianten anzuführen  ist  überflüssig. 

Viel  wichtiger  als  dies  alles  ist  die  FragCj  wie  es  möglich 


>)  In  der  Sdnrifl:  SiiUllitalni  dlvenmint  Natniamii  Cmtanatain  Llbri  IX.  Die 
stelle  ««mich  bei  Cohn,  I.  2*. 

^  AUuidw,  V,  399«. 


Digitized  by  Google 


Die  Jagd  des.  Einhorns  in  Wort  und  Bild. 


287 


war,  das  Einhorn  als  ein  Symbol  Christi  aufzufassen  und  seine 
Gefangennahme  durch  die  Jungfrau  auf  die  Menschwerdung  zu 
beziehen.  Hier  machte  sich  ein  neuer  Zufluß  geltend,  der  aus 
der  Bibel  stammt  Aiian  erinnert  sich,  daß  im  ersten  Teile  der 
Lutherbibel  mehrmals  von  einem  als  Einhorn  bezeichneten  Tier 
die  Rede  ist:  es  ist  das  Rem  des  hebräischen  Textes,  ein 
Wort,  das  in  der  Septuaginta  durch  fiovoxegw^,  in  der  Vulgata 
durch  rhinooeros  wiedergegeben  wird.  ,.Hilf  mir  aus  dem  Rachen 
des  LOwen  und  errette  mich  vor  den  Einhörnern",  heißt  es 
Psalm  22, 22*  «Meinest  du,  das  Einhorn  werde  dir  dienen  und 
bleiben  an  deiner  Krippe?  Kannst  du  ihm  ein  jodi  anknüpfen, 
die  Furchen  zu  machen,  daß  es  hinter  dir  bracbe  in  OrOnden?' 
Hiob  39,  9, 10.  Oder:  »Seine  Herrlichkeit  (nämlich  josefo)  ist 
wie  ein  erstgeborener  Ochse  und  seine  HOmer  sind  des  Einhorns 
Hömer;  mit  denselben  wird  er  die  Völker  stoßen  zu  Haufen  bis 
an  des  Landes  Ende.'  (Deuteron.  33, 17.)  Anderswo  (Numeri 
23,  22—24,  8)  ist  von  der  Freudigkeit  des  Einhorns  die  Rede. 
At)er  die  Stellen  Qlxrwiegen,  in  denen  das  Einhorn  als  ein  Tier 
von  besonderer  StSrke  und  Wildheit  gedacht  ist  Und  so  ist  es 
denn  kein  Wunder,  daß  von  der  bibelkundigen  Pfthistik  das  mit  so 
aufbllenden  Eigenschaften  ausgestattete  Tier  zu  allerlei  Vergleichen 
herbeigezogen  wurde  -  Vergleichen  in  gutem  und  flblem  Sinne. 
So  wurden  alle  Feinde  der  Kirche  mit  dem  wilden,  unbezähm- 
baren Einhorn  verglichen,  zunächst  die  Heiden,  dann  aber  auch 
und  zwar  mit  Vorliebe  die  Juden,  weil  sie  den  Heiland  gekreuzigt 
und  sich  den  Hcilswalirheiten  widerseizt  haben,  aucli  voller  Hoch- 
mut aui  die  Einheit  ihres  Gesetzes  vertrauen  wie  das  tiinhorn 
auf  sein  Horn.  Und  wenn  keiner  die  junge  Kirche  Christi 
schwerer  bedroht  hat  als  Saulus,  so  lag  es  nahe,  auch  ihn  unter 
dem  Bilde  des  Einhorns  vorzustellen.  Das  hat  z.  B.  Papst 
Gregor  I.  getan,  er  nennt  ihn,  das  Rem  der  Bibel  mit  dem 
HovöxnjiiK  des  Physiologus  zusammenwerfend,  nach  der  Vulgata 
das  Khmozeros,  dessen  Wildheit  aüe  Jä^er  fürchten,  führt  dann 
aber  mit  weiterem  Hinblick  auf  die  Ph\ siologuslegende  aus,  wie 
der  wutende  V^erfolger  Christi  plötzUcli  durch  die  göttliche  Weis- 
heit, die  ihm  das  Geheimnis  der  Menschwerdung  offenbarte,  wie 
das  Einhorn  von  der  Jungfrau  gezähmt  und  der  Taufe  zugeführt 


288 


Franz  Kuntze. 


worden  sei.^)  Zuletzt  wird  der  gr^te  Feind  der  Christenheif 
und  der  Typus  alles  Bösen,  der  Satan,  mit  dem  Einhorn  veiglichen. 

Aber  die  Stärke,  wenn  sie  der  Wildheit  entbehrt,  kann  auch 
wohltätig  und  heilbringend  sein.  Und  so  wurde  denn  die  Stärke 
des  Einhorns  auch  in  ganz  entgegengesetztem  Sinne  g^utet 
und  auf  Christus,  den  mächtigen  Eriöser  der  Menschheit,  be> 
zogen«  So  heiSt  es  schon  in  der  davis  des  heiligen  Melito 
(2.  Hälfte  des  2.  Jahrhunderls):  mofioceros,  hoc  est  unicomis^ 
Christais,  und  der  heilige  Basilius  (338-399)  lehrt,  Christus 
werde  der  Sohn  der  Einhörner  (vi6g  fiovcau^mv)  genannt,  weil 
er  die  Lasier  bestrafe  und  die  vertierte  Macht  der  Menschen  zu 
Händigen  berufen  sei,  während  er  w^en  seines  Oplertodes  als 
Lamm  bezeichnet  werde.*)  Und  die  Beziehung  auf  Christus 
wurde  noch  befestigt  durch  weitere  Allegorien,  Linmal  winde 
die  auch  im  Physiologus  angezogene  Stelle  Lukas  \,  69:  ».und  er 
hat  uns  aufgerichtet  ein  Horn  des  Heils  (yJoaz  nniTtjniag)  im 
Hause  Davids"  auf  das  Einhorn  bezogen;  sodann  erscheint  das 
Horn  des  Tieres  schon  im  zweiten  Jahrhundert  ~  zuerst  nach- 
weisbar bei  Justmus  Alarlyr  -  als  Symbol  des  Kreuzes,  sei  es 
des  ganzen  Stammes  oder  wenigstens  der  über  die  Arme  her\'or- 
ragenden  Spitze,  sei  es  des  aus  der  Mitte  vorspringenden  Pflockes, 
worauf  die  üekreiizif^ten  rittlings  saßen.  Der  letztere  ist  auch 
geradezu  als  Einhorn  (umcorms)  bezeichnet  worden.'')  Beide 
Vorstellungen  wuchsen  eine  Zeitlang  nebeneinander  fort,  bis  die 
zweite  altmählich  wieder  verschwand.  Dagegen  hat  sich  das  erste 
dieser  Motive,  nämlich  die  Gleichung  Einhorn  =  Christus,  in 
der  Bildersprache  des  Mittelalters  behauptet.  Daß  das  Rem  der 
Bibel  so  völlig  mit  dem  fiov6xfQ(oQ  der  griechischen  Ül}erlieferung 
verwuchs,  ist  eben  erst  hervorgehoben. 

Trat  nun  Jemand  mit  solchen  Synit>olen  im  Kopf  an  die 
Geschichte  von  dem  Fange  des  Einhorns  durch  die  Jungfrau 
heran,  so  eigab  sich  die  Allegorie  ganz  von  selbst  Ist  Christus 


t)  Die  Stelle  wörtlidl  M  Cohn,  II,  iO,  der  «ndi  die  «adcm  hkriier  fdOriaca 

Belege  verzeichnet  hat. 

Bdde  Stelten  bd  Cohn,  II,  4. 

1  Siehe  Münter:  Sinnbilder,  5.  4^;  Kraus:  Realcnzyklopädic  des  christl  Altertums, 
I,  397;  Cohn.  II,  12.  Oic  als  unicomis  bezeichneten  Pflöcke  sieht  man  deutlich  auf  Klingers 
großen  Oemlld^  «ddwt  den  Hdliad  mit  dm  bdda  Sfindeni  im  Kmne  dtntdlt 


Die  Jagd  des  Einhorns  in  Wort  und  Bitd. 


2S9 


das  Einhorn,  so  wird  die  reine  Jungfrau,  die  es  fängt,  als  Maria 
gedacht,  und  die  Flucht  des  Einhorns  in  ihren  Schoß  bedeutet 
die  Menschwerdung:  Christi.  Da  müssen  dann  die  Jäger,  die 
nach  den  späteren  Versionen  der  Plnsiologuslegende  das  Einhorn 
fangen  oder  töten,  als  die  Juden  erscheinen,  die  das  edle  Wild 
zur  Strecke  gebracht  haben,  wobei  dann  freilich  der  Widersinn 
unbeachtet  bleibt,  daß  sie  so  den  Lrloser  töten,  noch  ehe  er  ge- 
boren ist  Und  es  wird  nicht  besser,  sondern  noch  schlimmer, 
wenn  es  später  in  den  Auslegungen  der  Physiologuslegende  wie 
z.  B.  in  der  Naturlehre  Konrads  von  Megenberg  heißt: 
(also  nach  seiner  üehnrt,  später)  wart  er  (Christus)  gevangen 
von  den  scharpfen  jegern,  von  den  Juden,  unt  wart  lasterlichen 
getoet  von  in",  weil  nun  ein  klaffender  Widerspruch  zwischen 
Text  und  Glosse  sich  auftut. 

Dann  aber  wird  die  Vorstellung  von  dem  Fange  des  Ein- 
horns gründlich  umgestaltet.  Statt  der  Tötung  aus  dem  Hinter- 
halt tritt  ein  neues,  im  Mittelalter  überaus  beliebtes  Motiv  auf, 
das  der  Jagd.  Der  auf  das  Wild  lauernde  und  das  wehrlose 
tückisch  abfangende  Speerträger  oder  Bogenschütze  wird  ersetzt 
durch  den  Jäger,  der  das  Tier  verfolgt  und  das  fliehende  dem 
SchoBe  der  Jungfrau  zutreibt.  Der  verfolgende  Jäger  ist  zunächst 
Oott  selbst,  durch  dessen  Ratschluß  die  Menschwerdung  sich 
vollzieht  und  der  deswegen  auch  als  der  Himmelsjäger  bezeichnet 
wird;  dann  aber  tritt  der  Engel  Gabriel  auf  den  Plan,  der  von 
Gott  als  seinem  Herrn  abgesandt  wird  oder  mit  ihm  zusammen 
jagt  Aus  seinem  Horn  läßt  er  in  demselben  Moment  den 
himmlischen  Gru6  ertönen,  wo  das  Einhorn  im  Schöße  der 
Jungfrau  liegt,  das  heißt  Verkündigung  und  Empflingnis  fallen, 
wie  die  alte  Kirche  lehrt,  zusammen.  Die  weitere  Folge  der 
Vorstellung  von  der  himmlischen  Jagd  ist  die,  daß  dem  Jäger 
eine  Meute  zugesellt  wird,  die  aus  der  typischen  Vierzahl  besteht 
Die  herkömmlichen,  oben  sdion  angeführten  Namen  der  Hunde 
veritas,  iustitia,  misericordia,  pox  stammen  aus  Psalm  S5,11  und 
29,  25,  und  ihre  Anwendung  auf  die  Meute  des  Jägers  hat  eine 
besondere  Veianbissung.  Bernhard  von  Clairveaux  hat  eine  Fabel 
ersonnen  oder  mitteilt,  wonach  die  Menschen  die  durch  die 
oben  stehenden  vier  Worte  bezeichneten  Tugenden  einst  besessen, 

Archiv  tür  Kulturgeschichte.  V.  19 


Digitized  by  Google 


290 


Fnnz  Kimtie. 


aber  durch  ihre  Schuld  verloren  haben.  Nun  sind  sie  der  Oe- 
rechtigkeit  und  der  Wahrheit  verfallen,  die  sie  auch  stnden 
wollen,  aber  das  andere  Schwesternpaar,  die  Barmheiztgkeit  und 
die  Friedsamkdt,  nimmt  sich  der  Schuldbdadenen  an.  Der  Streit 
wild  entechieden  durch  das  salomonische  Urteil  des  höchsten 
Richters,  d.  i.  Oottes  des  Sohnes.  Er  schreibt  mit  dem  Finger 
auf  die  Erde:  »es  geschehe  ein  guter  Tod«,  das  helBt:  es  sterbe 
einer,  der  dem  Tode  nichts  schuldig  ist.  So  kommt  Gottes  Sohn 
als  Heiland  auf  die  Erde,  und  die  Gerechtigkeit  und  die  Fried- 
samkeit  versöhnen  und  küssen  sich.  Um  allen  vier  Tugenden 
zu  genügen,  hat  also  die  göttliche  Gnade  das  Erlösungswerk 
vollbracht,  und  darum  sind  sie  bei  der  Menschwerdung  beteiligt') 
Daß  man  freilich  keinen  Anstand  nahm,  sie  als  Hunde  verkörpert 
zu  denken,  kommt  uns  als  ein  überkühner  Sprung  der  Phantasie 
vor;  aber  wesentlich  gemildert  wird  das  Wunderliche  dieser  Vor- 
stellung, wenn  wir  bedenken,  daß  es  im  Mittelalter  ein  gewöhn- 
licher Brauch  war,  Hunde  mit  den  Namen  abstrakter  Begriffe, 
wie  triuwe,  lust,  staete,  leid,  nit  usw.,  zu  benennen.-)  Zu  aller- 
letzt tritt  j?:nr  der  Gedanke,  daß  Jesus  das  Einhorn  bedeutet,  mehr 
oder  \vt'niij;er  in  den  Schatten.  Maria  selbst  wird  als  unicornis 
bezeichnet,  wie  denn  auch  die  andern  Tiere,  die  eigentlich  Sinn- 
bilder Jesu  sind,  besonders  Löwe,  Pelikan  und  Phönix,  auf  die 
Gottesmutter  bezogen  werden.') 

>)  Oer  Streit  der  vier  Tugenden  ist  auf  vielen  Miniaturen  dargestellt,  am  besten  in 
einer  Handschrift  der  Turiner  Bibliothek  vom  Jahre  1476.  Man  sieht  Oottrater  umgeben 
von  Eoffebi  in  der  Mitte  Üivoncnd.  Anf  Jeder  Seile  ftdien  zvd  «dblidie  Flgnico,  die 
dnrdh  Spraddilnder  alt  InilHi«  vuä  Verlies,  Pttc  und  Mfeertoordla  beiefdmet  ivcrden. 
Ober  das  Oanre  handelt  Piper:  Der  Ratschluß  der  Mm-chwcrdung  und  Erlösung  Evan- 
peliiches  Jahrbuch  1899,  &  17  ff.  -  In  späterer  Zeit  wurde  diese  Parabel  auch  mit  der 
Dnhomsagc  verkoppelt  Ein  Vater  -  so  erzihlte  man  -  hat  zvei  Söhne ;  der  eine  tötet 
ekk  ad  bat,  der  andere  venmadet  sich  anf  den  Tod.  Dana  raft  er  die  Hilfe  seiaes  Vaters 
an.  Deiam  Ratget>er  kaben  Mtfleld  und  «enden  ilcli  an  die  Baraihertlf  kett  dci  Königs 
mit  di  r  niftc  e  möge  ein  AfTt  gesucht  wrrdrr..  Diese  beschliefJen,  dan  das  Blut  des  Ein- 
horns ulHi  die  Wunden  des  Kranken  gestrichen  werde.  Um  es  zu  fangen,  soll  eine  schöne 
Jungfrau  in  eine  Au  oder  in  einen  Oarten  gesetzt  werden.  AU  das  geschehen  ist,  werden 
vier  Hunde  paamdee  mtMnmfnfrlwimflt,  am  dat  Tier  der  Jungfrau  zum  treiben;  ein 
LeMnmd,  .vulgariter  iKHiefnni,  toll  ca  anfjafm.  So  vfftf  datCMHwn  gefangen.  Nnn  die 
Glosse:  Der  Sohn  dir  sich  tötet,  ist  Lnzifer,  der  sich  durch  seine  Hoffart  zugrunde  ge- 
richtet bat,  der  andere  ist  Adam  und  sein  Geschlecht.  Die  vier  Hunde  tragen  die  Namen  der 
vier  Tagenden  Bernhards  von  Clairveaux,  das  Ldthündlein  istdieLidse.  So  ungefähr  steht's 
In  dem  alten  Erbauungsbuche:  .Der  beschlossen  Oart  des  RotenkianU  Marie«  (VI,  Blatt  9). 

ff  Wackemagel:  Kl.  Schriften,  III,  83. 

*)  Es  ist  interessant  zu  sehen,  vie  diese  Symbolik  sich  bis  ins  Uferlose  verliert. 
Nicht  nar  dieae  and  andere  Tiere  werden  zu  Sinnbildern  der  Matia  cemadtt;  aach  nn- 
iiUlie  andeve  OefenaHnde  «cnfcn  Ihr  zugedgnct  Maria  lal  die  Sonne,  der  Mond,  die 


Die  Jagd  des  Einhorns  in  Wort  und  Bild. 


291 


Diese  Entwicklung  haben  die  Künste,  die  Dichtung  wie 
die  Plastik,  die  Malerei  und  das  Kunstgewerbe^  Schritt  für  Schritt 
begleitet,  oder  besser  gesagt:  ihre  eben  sldzzierlen  Phasen  sind 
im  wesentlichen  aus  der  Dichtung  und  der  bildenden  Kunst  des 
Mittelalters  abstrshiert.  Es  versteht  sich  von  selbst,  daß  diese 
Reihe  nicht  abliuft  wie  eine  Schnur  oder  wie  die  Glieder  einer 
Kette,  so  daß  der  jüngere  Typus  den  altem  einfach  ablöste  und 
ersetzte.  Im  Oegenteit,  lange  noch  erhält  sich  das  Alte,  wenn 
schon  eine  neue  Form  aufgekommen  ist  Zwei  oder  mehrere 
Typen  bestehen  zunächst  nebeneinander,  bis  zuletzt  der  eine  - 
es  braucht  nicht  gerade  der  letzte  zu  sein  ~  die  Oberhand  be- 
hält; das  ist  ein  für  jede  geschichtliche  Entwicklung  geltender 
Satz.  Überdies  hat  man  noch  damit  zu  rechnen,  daß  namenflich 
in  Malerei  und  Kunstgeweibe  ältere,  ja  veraltete  Vorlagen  nicht 
selten  absidiflich  erneuert  werden. 

Die  Teilnahme  der  Dichtung  an  der  Einhomlegende  ist  im 
Grunde  nur  bescheiden  und  nicht  gerade  früh.  Zuerst  mag  das 
Alexanderlied,  welches  dem  Anfang  des  12.  Jahrhunderts  an- 
gehört, des  Tieres  Erwähnung  tun  (v.  5578  ff.).  In  dem  Briefe 
an  seine  Mutter  Olympia  nennt  Alexander  unter  den  Geschenken, 
di-n  ausländischen  Tieren  besonders,  die  er  von  der  Königin  er- 
hallen hat,  auch  ein  Monoceros,  ein  seltenes  Tier,  das  den  Kar- 
funkel trägt  -  ein  bekannter  Auswuchs  der  Sage  -  und  sich 
vor  der  Jungfrau  niederlegt.    Und  dann  heißt  es  weiter: 

dir  zuo  ne  fmmet  nehein  jaget, 
man  sol  ez  vähen  mit  einer  maget; 
sin  gehurne  daz  ist  treisam, 
dS  ne  mac  ntwit  vor  t>cstin. 

Ftwa  hundert  Jahre  später  beschreibt  Rudolf  von  Ems  in  seiner 
Weitchionik  (v.  464  ff. )  das  Einhorn  im  \vesentlichen  nach  f'linius, 
berichtet  den  hang  durch  die  Jungfrau  und  fügt  die  auch  sonst 
vorkommende  Variante  hinzu,  daß,  wenn  die  zum  Fange  aus- 

Erde,  die  Morgenrftte,  das  Feld,  die  Arche,  der  Thron,  das  Hatis,  dJe  Treppe,  dieKtmmer; 
h\c  ist  die  Palme,  d'ic  Zeder,  der  Rebstock,  crt  (.Mh.n;:ii  u^'t  .  kurz,  sie  ist  ein  P.mtheon 
gevorden,  das  alle  segensreichen  und  vohltätigen  Kräfte  im  Himmel  und  auf  Erden  ein- 
fcUicBt.  Und  gleicfa  den  Abbreviaturen  Maria  Unicomis.  Maria  Leo  usw.  kamen  audi 
zihligt  andere  Tie  Maria  luna,  Maria  terra,  Maria  petra,  Maria  thalamns,  Maria  apothcca  usw. 
in  Umlauf.  Eine  unübersehbare  Menge  solcher  Symbole  findet  man  zusammenfestdlt  io 
«ten  cb«  craftamoi  Bache:  «Der  bodilotM»  Oart  de»  Rotcnkmls  MMte". 

19» 


292 


Franz  Kuntze. 


ersehene  Jungfrau  nicht  rein  sei,  das  Tier  sie,  ihre  Falschheit 
rächend,  mit  seinem  Horn  durchbohre.  In  höfischen  Gedichten 
wird  manchmal  auf  den  Fang  des  Einhorns  durch  die  Jungfrau 
angespielt,  und  der  Bamberger  Rektor  Hugo  von  Trimbcrg  ver- 
sichert im  Renner  (v.  19  296 ff  ),  die  Geschichte  von  dem  Ein- 
horn, das  von  der  Jungfrau  gefangen  werde,  sei  allbekannt  und 
solle  nicht  bis  zum  Überdruß  wiederholt  werden.  Romanische 
Dichter  vergleichen  sich  gern  mit  dem  Einhorn,  das  von  einer 
Jungfrau  angezogen  und  gefe^elt  wird,  wie  sie  selbst  dem  Lieb- 
reiz ihrer  Schönen  erliegen.*)  Das  hat  in  Deutschland  Burkart 
von  Hohenfels,  ein  Zeitgenosse  Kaiser  Friedrichs  11^  nachgeahmt, 
indem  er  sagt: 

der  einhürn  in  megede  schöze 
glt  dur  kiusche  stnen  Up. 
dem  wilde  idi  midi  vol  gendze, 
stt  ein  reine  sadic  «tp 
midi  vexdobeL*) 

Und  ein  Nachklang  dieser  Allegorie  findet  sich  noch  in  einem 

spftten,  mit  allerlei  Inventarstflcten  des  Marienkultus  verbrämten 

Minneliedei  worin  es  heißt: 

Du  bist  mein  Freud',  mdn  Trost,  man  Olfick. 
Mich  lockt  dein'  süße  Zunge 

Wie  auch  der  Jungfrau  klares  Singen, 
Das  Einhorn  kommt  mit  Springen, 
Legt  ihr  das  Haupt  in  Schoß 
Und  schläft  ganz  kummerlos. ') 

Die  Version  von  dem  Tode  des  Einhorns  durch  die  Hand 

des  Jägers  kennt  W'oUram  von  Eschenbach.  Im  Parzival  (613,  22  ff.) 

beklagt  Oigeluse  den  frühen  Tod  ihres  geliebten  Cidegast,  indem 

sie  ihn  der  triuwe  ein  monocirus  nennt  und  hinzufügt: 

da/  tier  die  megede  solten  klagen, 
ez  wirt  durch  reinikeit  crslagen. 

Nun  folgt  die  ümdeutung  der  Legende  durch  die  Be- 
ziehung auf  die  Menschwerdung.  Darauf  zielen  die  Verse  Kon- 
rads von  Würzburg  im  Ave  Maria,  Str.  32:  *) 

«)  Siehe  Lauchert  S.  186, 190.       i)  MSH.  T,  202 

^  In  des  Knaben  Wnnderhorn  (S.  797,  Rfidam).  Das  Singen  der  Jungfrau  ist  dn 
Zug,  da  ich  in  Uteicn Qncllen  nUtt  mide;  «dhl  aber  «trd  In  cinm  grledUsdia Flqnfe» 
logns  dH  Tier  durch  den  iOttig  von  MnstUnslniDientai  uigdockt  {t,  dhn,  I, 

4)  MSH.  III,  342. 


Digitized  by  Google 


Die  Jagd  des  Einhorns  In  Wort  und  BiM. 


293 


des  himels  einhflme, 

den  des  niht  verdrdK,  er  begunde  gihen 

und  liez  sich  vahen 

bi  dir,  zartiu  maget,  durch  diu  guete. ') 

Aber  dieser  einfache  Typus  wird  bald  zurückgedrängt  durch 
die  Vonteilung  von  der  himmlischen  Jagd.  Konrad  von  Wflrz- 
hvTg  sinicht  das  noch  sehr  allgemein  und  farblos  aus  in  den  Versen: 

man  jagete  dich  Af  Iduscfae  grdz, 
als  ez  dtns  valer  minne  erbÖt, 

des  suchfestu  der  mqgede  sdiöz, 

alsam  der  wilde  einhüm  in  siner'ndt  * 

ze  der  juncfrouwen  fliuhet^*) 

Aber  derselbe  Dichter  hat  in  der  goldenen  Schmiede,  jenem 
Lobgedicht  auf  die  Jungfrau  Maria,  das  sich  zu  einem  Hymnus 
auf  die  Menschwerdung  erweitert,  das  Bild  von  der  himmlischen 
Jagd  breit  ausgemalt  und  dadurch  diesen  Typus^  wenn  nicht  ge- 
schaffeUi  aber  doch  durch  ein  klassisches  Muster  festgdegL  Aller- 
dings ist  bei  ihm  der  Jiger  noch  Oottvater,  nicht  der  Eng^ 
Gabriel.   Ich  setze  die  Stelle  (v.  257  ff.)  ganz  hierher: 

du  bist  genant  von  schulden  ze  numeger  sfinden  walde, 

ein  roaget  aller  megede^  dö  nam  ez,  vrouwe,  sine  vlnht 

du  vienge  an  eim  gcgq^cde  zuo  dir,  vil  saelden  riebe  vruht, 

des  himels  einhüme,  iint  slouf  in  dinen  biioscn, 
der  wart  in  daz  gedürne  (die  Domen)     der  ane  mannes  gruosen 

dirre  wilden  werlt  gejaget  ist  lüter  unde  iiehtgevar. 

und  suochte,  keis4^rlichiu  maget,  Christ  Jesus,  den  din  Up  gebar, 

in  diner  sdiAz  vil  sanftes  leger.  der  leite  sidi  in  dlne  scbdz, 

idi  meine  dö  der  himeljeger,  dö  des  vater  minne  grAz 

dem  undertto  diu  rtdie  sint,  in  jagete  zuo  der  erden, 

jagte  sin  einbomez  kint  er  suchte  dtne  vcerden 

üf  erden  nach  gewinne.  kiusche  lüter  unde  glänz, 

dö  in  diu  wäre  minne  din  reine  staete  unmäzen  ganz 

trdp  her  nider  balde  böt  im  ze  vrOuden  volleist. 

Ungefähr  um  die  gleiche  Zeit  behandelt  der  Falii  Liide  Rume- 
iand  den  Gegenstand.'^)    Der  schildert  zunächst  die  gewaltige 


1)  Andane  Stdka  bei  Landiert  S.  176-2».  Eine  SteHe  ms  Hdnridi  von  Laafcn« 
bert;  zitiert  Piper  a.  a.  O.  S.  S9.  Der  Mimcr  letzt  cimiul  tlatl  de»  Cinhafw  das  Hann 
(Hermelin)  MSH.  II,  2^7.  Natflrlldi  kennt  anck  Hngp  von.  Trimbcia  in  der  oben  an- 
gefährten  Stelie  die  Allegorie. 

n  MSH.  II,  3U.      I)  MSH.  II,  3M. 


Digitized  by  Google 


294 


fnm.  Kuntze. 


Kraft  des  Tieres  und  die  vergeblichen  Versudie  der  Jäger,  es  zu 

fangen.  Freiwillig  legt  es  sich  einem  edlen,  reinen  Weibe  in  den 
Schoß.  Aber  ein  Jäger  ersticht  das  Tier.  Dann  aber  heißt  es, 
Gott  habe,  sich  der  Welt  erbarmend,  seinen  Sohn  in  den  Schoß 
der  reinen  Jungfrau  gejagt,  und  diese  habe  ihn  zur  Welt  gebracht, 
damit  er  nach  des  Vaters  Ratschluß  noch  weitere  dreißig  Jahre 
gejagt  werde.  Eine  gedankenlose  Verlcoppeiung  der  Physiologiis- 
lf^[ende  mit  der  himmlischen  Jagd. 

Auch  im  Volksliede  treffen  wir  auf  die  Vonstellung  von 
der  Himnielsjagd.  So  in  einem  in  seiner  Art  nicht  üblen  Stücke 
der  »Bergkreien",  das  ist  eine  Sammlung  von  Liedern,  die  im 
16.  Jahrhundert  von  Bergleuten  gesungen  wurden.')  Nach  einem 
zweistrophigen  Eingang,  worin  nach  der  Weise  der  iMmnedichtung 
die  Wonne  des  Frühlings  mit  seinem  Blumenflor  und  Nachti^llen- 
gesang  Icurz  beschneben  wird,  heißt  es  weiter: 

der  jeger  nara  des  klanges  eben  war, 

er  pp_pf(i  dem  Einhorn  g^antz  lieblich  und  offen  war 

der  üinhorn  wost  sich  edle,  er  wost  Sich  gantz  hochgepom: 

Gott  hat  ihn  auserkoren. 

Der  Einhorn  wost  sich  edle,  er  wost  sich  weis» 
er  hilft  sich  eben  anff  einen  schmalen  steiij, 
wie  das  ihn  kern  man  autt  erden  solle  fallen, 
CS  «er  denn  zumal  dn  seuberiiches  jungfrauldn. 

Nu  höret  wunder  ding  und  die  sein  gros! 
für  freüden  schwang  er  sich  Maria  der  Jungfrau  wol  ynn  die  achos^ 
ihr  freud  und  die  vaid  gros  

Da  war  er  recht  als  ein  lemelein 
und  gepar  sicfa  Matit  zu  Wdhenaditen  ynn  loldcr  xdt, 
es  hatte  gcachudt, 

und  zuletzt  folgt  die  Erklärung  der  Allegorie. 

Wer  jedoch  der  Jäger  ist,  Gott  oder  der  Engel,  wird  nicht 
angegeben,  und  es  ist  müßig  danach  zu  fragen,  welcher  Version 
der  Dichter  gefolgt  ist  Wer  die  Sache  kannte,  mochte  das 
deuten,  wie  er  wollte.  Umgekehrt  wird  in  einem  andern  Volksliede 
Gott  als  der  Jäger  nicht  geradezu  genannt,  aber  doch  als  solcher 
indirekt  hingestellt,  da  Gabriel  als  sein  Helfer  bezeichnet  wird, 


>)  Neudnicke  d.  Litteraturv.  d  XVi.  a.  XVII.  Jabrh.  Nr.  99,  S.  31. 


Die  Jagd  des  Eittborns  in  Wort  und  Bild.  29$ 


wlhreiid  von  dem  g!ejagten  Wilde  Qbeiliaupt  nicht  die  Rede  ist 
Es  ist  das  ein  öfter  gedrucktes  und  viel  zitiertes^  ins  Oeisttidie 
umgedeutetes  Jflgerliedp  dessen  Anfug  lautet: 

Es  vollf  gut  Jäger  jagen,  Der  Jiger,  den  ich  mdne^ 

Wollt  jagen  auf  HimnelhOhBf  Da*  ist  uns  «ohlhelcannt. 

Wer  begegnet  ihm  auf  der  Heiden,  Er  jagt  mit  dnem  Engel, 

JMaria  die  Jungfrau  schön.  Gabriel  ist  er  genannt 

Der  Jäger  blies  in  sein  Hönddn, 

Es  lautet  also  wohl : 
Oefijrüßet  seist  du,  Maria, 
Dti  bist  aller  Gnaden  voll. 

An  den  himmlischen  Qn\l'>  schließt  s5ch  dann  die  Ver- 
kündigung an,  worauf  die  demütige  Erwiderung  der  Maria  und 
die  Angabe  folgt,  dati  sie  den  Heiland  in  sich  aufnimmt.  Man 
sieht,  die  Handlung  der  Jagd  ist  hier  so  gut  wie  ausgeschaltet 
und  die  Jägerei  nur  noch  Maske.  Der  Jäger  -  ist  es  Oott  oder 
Gabriel?  -  stößt  ins  Horn  und  läßt  den  himmlischen  Gruß 
ertönen;  die  Worte  der  Verkündigung  spricht  vollends  nicht  der 
figer,  sondern  mit  abgeworfener  Maske  der  Engel  des  Evange- 
liums. Offenbar  war  dem  Verfasser  der  Kontrafaktur  der  ur* 
sprflngliche  Sinn  der  himmlischen  Jagd  nicht  mehr  deutlich. 

Allen  den  angeführten  Gedichten  aber  fehlt  das  Motiv  von 
der  Jagdmeute.  Das  findet  sich,  soviel  ich  sehe,  nur  in  einem 
Meistergesang  des  16.  Jahrhunderts,  einem  überaus  dürftigen 
Machwerk,  das  noch  dazu  in  ganz  verwahrloster  Oeslalt  über- 
liefert ist^)   Der  Anfang  lautet: 

Ein  FM,  der  hat  g^agd  lange  Zit 

Fem  unde  wit 

Ein  stark  wildes  einhom, 

Dazu  hett  er  erkoren 

Ein  jegor  dug  von  Sinne  weiß 

Wol  vor  fünf  tusend  loreo 

Und  auch  vier  Hund,  die  vorn  schnell, 

Die  tribend  mit  gewalde. 

Kein  Jäger,  hdBt  es  dann  weiter,  sdbst  wenn  er  vier  Hunde 
hatte,  konnte  das  grimmige  Tier  Cuigoi.  Da  ttßt  der  FOnt  im 
Jagdrevier  eme  Jungfrau  »wol  bekidt  mit  rdnikdt'  sidi  seteen. 

>)  Bä  Fitcfacr:  TypognpUMiie  SdtnhdkB,  4.  IMm^  S.liafr. 


Digitized  by  Google 


296 


Franz  Kuntze: 


Als  der  Jäger  zu  blasen  beginnt,  singt  sie  mit  süßer  Stimme,^) 
worauf  das  Tier  sich  neigt,  in  ihren  Schoß  springt  und  gefangen 
wird.  Nun  folgt  die  Auslegung.  Der  Fürst  ist  Gott  in  seiner 
Majestät,  das  Einhorn  ist  der  Sohn,  die  vier  Hunde  sind  »Bar- 
mung, die  hat  das  best  geton",  Gerechtigkeit,  Friede  und  Wahr- 
heit, der  blasende  Engel  ist  der  Jäger  Gabriel.  Aus  seinem  Horn 
erklingt  der  englische  GruB  ave  gratia  plena,  und  die  Jungfrau 
singt  mit  lieblicher  Stimme  das  ecce  andlla  domini  etc.  Diesem 
Sange  kann  das  Tier  nicht  widerstehen,  es  wird  zu  einem  Lämm- 
lein, welches  hernach  der  Welt  Sünde  trägt  Den  Schluß  bildet 
eine  langatmige  Anrufung  der  Maria,  die  mit  allen  möglichen 
Symbolen  und  Phrasen  der  Marienlegenden  ausg^tattet  ist.  Es 
ist  ein  buntes  Oemisch  von  Motiven,  da  die  Einhomleg^nde  des 
Riysiologus,  die  himmlische  Jagd  und  die  ganze  Symbolik  des 
Marienkultus  zusammengeschweißt  sind. 

Nimmt  die  Einhomlegende  in  der  Dichtung  einen  verhält- 
nismäßig geringen  Raum  ein,  so  ist  sie  dagegen  zu  einem  Liet>- 
lingsvorwurf  der  bildenden  Kunst  geworden,  ja  ein  grttndlicher 
Kenner  der  mittelalterlichen  Ikonographie*)  bemerkt  einmal,  sie 
sei  zu  einem  ständigen  Inventarstück  der  kirchlichen  wie  der 
Pruiankiinst.  der  ernsten  wie  der  grotesken,  geworden.  Und 
schon  darum  ist  es  unmöglich,  in  dem  Rahmen  einer  Abhandlung 
tiefer  auf  die  Sache  einzugehen;  wnr  müssen  uns  darauf  be- 
schränken, die  wichtigsten  und  bekanntesten  der  hierher  gehörigen 
Darstelhmgen  zu  notieren  und  flüchtig  zu  beleuchten.  Man  fmdet 
die  Einzelfigur  des  tuihorns  als  Miniatur,  femerauf  liturgischen  Ge- 
wändern und  auf  Kapitalen  sowie  in  der  Krümmung  von  Bischofs- 
stäben, hier  gewöhnlich  neben  oder  mit  einem  Kreuze  wie  sonst 
auch  das  Lamm;  es  ist  in  diesen  Fällen  wohl  als  Symbol  Christi 
gedacht. ')  Wahrscheinlich  wf^^cn  des  ihm  schon  im  Altertum 
ZH 'gesprochenen  Hanges  zur  tinsamkeit  (s.  oben)  wurde  e«^  zum 
Sinnbild  des  klösterlichen  Lebens  und  kam  so  in  das  Wappen 
des  Klosters  Fulda.  Als  solches  trägt  es  auf  einem  Bilde  Troandus» 


*)  Siehe  nbcn  S.  2;':,  Anm.  ?. 

V.  Antoaievicz ;  Roman.  Forschungen  V,  296. 

An  bcVannlmtea  UH  dfr  EUntaiBitib  4ct  Kkwtara  WM»,  denen  BciHt  dem 
Orflndcr  des  Kloelen,  Stimiitt  oder  dem  Bonllitiae  ingetdititiien  worden  iet. 


Die  J$g^  des  Einhorns  in  Wort  und  Bild. 


297 


der  Stifter  des  Klosters  Holzkirchen,  einer  Filiale  von  Fulda, 
während  die  Miniatur  einer  Handschrift  Ratger,  den  Abt  von 
Fulda,  darstellt,  wie  er  ein  Einhorn  in  eine  Herde  Schafe  treibt  - 
dies  deutiich  eine  Allegorie  streng  gehandhabter  Klostefzucht. 

Aber  dies  alles  ist  nur  das  Vorspiel  zu  den  Darstellungen 
des  Einhornfanges.  Dieser  ist  nach  seiner  ältesten  Fassung,  der- 
jenigen nämlich,  die  bei  Eusthatios  und  in  den  älteren  Physio- 
iogi  vorliegt,  wie  es  scheint,  nur  selten  dargestellt;  Cohn  ver- 
zeichnet nur  vier  Beispiele,  von  denen  jedoch  das  eine,  das  einem 
französischen  besliaire  angehört  und  bei  Cahier:  Melanges  d'ar- 
cheologie  etc.  {Ii,  PI.  XXI)  wiedergegeben  ist,  wohl  ausscheiden 
muß,  da  hier  hinter  dem  Einhorn  die  Halbfigur  eines  mit  einem 
Knüttel  bewaffneten  Mannes  sichtbar  ist,  die  doch  wohl  den  Jäger 
bedeuten  soll.  Vm\  was  das  zwciic  Bcjbpiel  betrifft,  das  bei  Bock 
(Geschichte  der  Htiirj^ischen  Gewänder  des  .Wittelalters,  HI, Tafel  VI) 
reproduzierte  üewebe  auf  dem  Bezug  emes  Alfnrkissens,  so  ist  es 
nicht  ganz  klar,  ob  die  das  Einhorn  autnehmende  weibliche 
Figur  als  eine  profane  zu  denken  oder  nicht  vielmehr  anf  die 
Maria  zu  deuten  ist.  Die  Dame  sitzt  jedenfalls  in  einem  mn- 
zäunten  Garten,  und  sie  hat  ein  Kreuz  auf  der  Brust;  aber  frei- 
lich, der  überaus  seltsame,  höchst  weltliche  Kopfputz  der  Figur*) 
scheint  die  Beziehung  auf  die  Gottesmutter  zu  verbieten.  Das 
dritte  Beispiel  aber,  das  Gemälde  des  Annibale  Carracci  im  Pa- 
lazzo  Farnese  kommt  hier  kaum  in  Betracht,  wenigstens  bleibt  es 
als  das  Werk  eines  Malers  der  Renaissancezcit,  der  doch  wohl 
mit  bewußter  Absicht  ein  altes  Motiv  aufgegriffen  und  ausgeführt 
liat,  außerhalb  der  hier  zu  schildernden  Entwicklungsreihe.  So 
bliebe  als  einwandfreier  Zeuge  für  die  bildliche  Darstellung  des 
fraglichen  Typus  im  Mittelalter  nur  eine  Schnitzerei  am  Chor- 
gestühl der  Maulbronner  Klosterkirche,  die,  wie  Riggenbach  in 
den  Mitteilungen  der  K.  K.  Zentraikommission  z.  Erf.  u.  Erh.  der 
Bdkm.  (Vlil,  254)  mitteilt,  das  Einhorn  im  SdioBe  der  Jungfrau 


>)  Siehe  Munter :  Sinnbiliier,  S.  ■♦3. 

*)  Ancb  in  anderen  Profandantelliuifen  der  Legende  failco  die  Fnuen  durch  ver- 
wegenen Kop^tx  «iif,  bcMmder«  anf  einer  MMator  einer  Handadirift  der  Bodl^ami  «is 

dem  13.  Jahrhtindcrt  htl  T-aining:  Srnbo!«,  PI  I.X'WIV  Hoch  jcfr^rt  diese  Kom- 

position vegen  des  darauf  dargestellten  Jügers  zum  zweiten  Tj-pus  der  Legende  von  der 
Einbofnjtfd. 


Digitized  by  Google 


29S 


Fnmz  Kunta. 


darstellt  Und  auch  dies  Beispiel  ist  verhiltnismäßig  jung,  da 
das  genannte  Chorgestühl  dem  15.  Jahrhundert  angehört 

Viel  hftuftger  sind  die  Bildwerke^  in  denen  neben  der  Jung« 
frau  auch,  um  das  Wild  abzufangen,  der  JSger  erscheint.  Sie 
finden  sich  in  Physiologushandschriften,  auf  Kirchenstühlen, 
Pfetlcm  und  Kapittlen,  auf  Friesen,  Stickereien  und  Geweben, 
auf  den  so  beliebten  Elfienbeinkistehen  (ooffrelsX  worin  die  Damen 
ihre  Schmucksachen  aufbewahrteUf  und  andern  Qegenslinden. 
Und  zwar  in  Deutschland  wie  in  Engbmd  und  Frankreicfa.  Daft 
es  hier  an  Nuancen  nicht  fehll;  versteht  sich  von  selbst  Unter* 
schiede  zeigen  sich  in  der  Bekleidung  des  Weibes,  namentlich 
auch  in  dem  hödist  individuell  bdundelten  Kopfputz  (s.  S.  297, 
Anm.  2),  wie  in  der  Bewafhiung  des  Jägers,  der  gewöhnlich  einen 
Spieß,  manchmal  auch  einen  Bogen  fahrt  Zuweiten  sind  es 
auch  zwei  Jäger  stett  eines.  Das  Einhorn  gleicht  bald  einem 
Ziegenbock  -  nach  der  Angabc  des  Physiologus  -  bald,  na- 
.menUich  in  spiteren  DarstelUingen,  einem  Pfcidcfaen  mit  ge- 
spaltenen Hufen,  manchmal  auch  anderen  Geschöpfen.  Bemerkens- 
wert ist  die  Behandlung  des  Motivs  auf  einem  Fries  im  StraBburger 
MOnsler.*)  Da  ist  das  Bild  in  zwei  Szenen  zerlegt:  die  eine 
zeigt,  wie  das  Einhorn  sich  auf  den  Hinterfüßen  drohend  gegen 
einen  Bewaffneten  erhebt,  der  den  Angrifl  des  Tieres  mit  ein- 
gelegter Lanze  abwehrt;  die  andere  bietet  die  gewöhnliche  Dnr- 
steilung:  das  Einhorn,  im  Schöße  kler  Jungfrau  liegend,  wird  von 
dem  Jäger  mit  dem  Spieße  erstochen.  Offenbar  will  die  erste 
Szene  die  Vorgeschichte,  gleichsam  die  Exposition,  der  zweiten 
geben :  sie  führt  das  tünhom  vor,  wie  es  in  seiner  natürlichen 
Wildheit  allen  Angreifern  trotzt;  erst  der  Anblick  der  Jungfrau 
macht  es  zahm,  wie  es  die  zweite  Szene  darstellt  Sehr  inter- 
essant ist,  daß  die  Tötuno;  des  Einhorns  auf  den  erwähnten 
Elfenbcinkästchen  stets  mit  der  S^ene  aus  Tristan  und  Isolde  ver- 
bunden ist,  wo  die  Liebenden  von  König  Marke  belauscht  \Nerden. 
Was  bedeutet  aber  die  Verbindung  dieser  scheinbar  so  hetero- 
genen Vorwürfe?  Antoniewicz *)  findet  darin  eine  Symbolik,  die 
den  Gegensatz  zwischen  irdischer  und  himmlischer  Liebe  aus- 

1)  Bd  CRUcr-Mirtta,  Nomdlct  M«l«B«e»:  CurloiHlt  «qpHirieMtt  t»,  $*. 
1)  *.  a.  O.  V,  H4ff. 


Die  Jagd  des  Einhorns  in  Wort  und  Bild. 


299 


drfldieii  soll.  Cohn  verwirft  die  L'mdeutung  !ns  Geistliche  und 
meint,  es  solle  durch  beide  Darstellungen  nur  die  Macht  des 
Weibes  verkörpert  werden.  Aber  was  bedeuten  dann  -  in  dem 
einen  wie  in  dem  andern  Falle  -  die  Nebenfiguren?  Der 
lauschende  König  und  der  lauernde  Jäger  -  sie  sind  doch  beide 
nicht  bloß  zur  Staffage  da;  wie  sie  an  der  äußeren  Handlung 
offenbar  wesentlichen  Anteil  nehmen,  müssen  sie  auch  für  die 
Allegorie  -  wenn  wirklich  eine  solche  vorliegt  -  Sinn  und 
Bedeutung  haben.  Allein  welchen  Sinn?  Wollten  etwa  die  l^iidner 
der  beiden  Szenen  das  alte  Motiv:  wie  liebe  mit  leide  ze  jüngest 
lönen  kan  durch  ein  paar  typische  Beispiele  veranschaulichen? 

Mehrfach  kommentiert  und  ebenfalls  nicht  völlig  aufgeklärt 
ist  die  Darstellung  unseres  Vorwurfs  auf  einer  Emailplatte,  die, 
dem  14.  Jahrhundert  angehörig,  aus  Rheinhessen  stammt,  aber 
sich  jetzt  im  Bayerischen  Museum  in  München  befindet.  Schneider 
hat  im  Anzeiger  für  Kunde  der  deutschen  Vorzeit  (18S3,  Sp.  133) 
das  Bildwerk  beschrieben,  und  ich  setze  seine  Worte  unverändert 
hierher:  «Auf  einer  kreisrunden  Emailplatte  von  etwa  6  cm 
Durchmesser  sitzt  zur  Rechten  des  Beschauers  eine  jugendliche 
Frauengestilt  Von  der  Linken  eilt  das  Einhorn  auf  sie  zu  und 
hat  sich  mit  Kopf  und  Vorderldb  auf  ihren  SchoB  gdegt  Hinter 
dem  Einhorn  erhebt  sich  dn  Baum,  darauf  eine  männliche  Oe- 
stalty  die  von  rflckwftrts  mit  der  Lanze  gegen  das  Tier  ausholt 
und  ihm  eine  Verwundung  bdbrmgt;  dieselbe  ist  hinler  dem 
BUtt  durch'  einen  Blutfleck  angedeutet  und  durch  diese  Stdie 
als  tödlldi  gekennzeidinet  Die  Jungfrau  legt  schützend  die  Linke 
auf  das  Tier  und  erhdit  mit  der  Rechten  hoch  empor  dne  flache, 
tdlenuHge  Schale.«  Scfandder  erblickt  in  der  Danlellung  dne 
höchst  sublime  Allegorie.  Der  Jiger  im  Baum,  mdnt  er,  sd  der 
Satsn,  der  diabolus  homidda,  der  den  Eriöaer  tOte^  die  Jungfrau 
aber  JMaria,  die,  als  Verkörperung  der  Kirche  gedacht,  das  Blut 
des  Einh(Hii8,  d.  i.  des  Hdlands^  auffange  und  somit  den  der 
Wdt  durch  die  Erlösung  zutdl  gewordenen  gQtÜichen  Onaden- 
sdiatz  in  Besitz  nehme.  Essenwdn  dagegen  faßt  den  Verfölger 
auf  dem  Baum  als  die  Verkörperung  der  caritB  auf,  wozu  ihn 


9  a.  i.  O. 


Digitized  by  Google 


300 


Franz  Kuntze. 


die  Ähnlichkeit  des  Figarchens  mit  typischen  Darstellungen  des 
als  Jüngling  gedachten  französischen  Amour  bestimmt  hat  Allein 
ganz  abgesehen  von  der  abstrusen  Phantastik  dieses  Gedankens^) 
-  muß  man  in  der  Komposition  durchaus  eine  allegorische  Szene 
erblicken?  Kann  man  besonders  glauben,  daß  es  möglich  sei, 
mit  hoch  emporgehobener  Schale  das  Blüt  des  am  Boden  Uegetiden 
Tieres  aufzufangen,  auch  wenn  dasselbe  emporspritzt?  Auch 
Cohn  (II,  19)  bezweifdt  die  Allegorie,  weiß  aber  weder  mit  dem 
Jäger  auf  dem  Baum  noch  mit  der  Schale  in  der  Hand  des 
Weibes  etwas,  anzufangen.  Nun  findet  man  aber  öfter  auf  den 
Bildwerken,  welche  die  Tötung  des  Einhorns  darstellen,  einen 
Baum,  auch  wohl  zwei,  wie  ich  denke  die  Schutzwehr  des  JIgers, 
hinter  der  er  gestanden  hat,  bis  der  geeignete  Moment,  hervor- 
zubrechen und  die  Waffe  zu  gebrauchen,  gekommen  ist  Wenn 
diese  Deutung  richtig  ist,  so  ist  nicht  einzusehen,  weshalb  der 
Weidmann  nicht  einmal,  anstatt  hinter  dem  Stamme  des  Baumes 
zu  lauem,  sich  in  dessen  Zweigen  versteckt  halten  und  von  hier 
aus  das  Tier  abfangen  soll.  So  scheint  auch  Antoniewicz  die 
Sacl'jc  aulzufassen,  wenn  er  sagt,  der  Jä^^er  stehe  oder  sei  im 
Baume  verbf)r;4L'n. -)  Schwieriger  ist  ireilicl:  die  Deutung  der 
Schale.  Wenn  m.ui  aber  ui  der  Szene  auf  den  oben  ePA'ahiiten 
Elfenbeinkabtchcu  den  ringartigen  Gegenstand,  den  die  weibliche 
Figur  in  der  Rechten  hält,  für  einen  Rosenkranz  gehalten  hat, 
den  sie  dem  Jäger  Oberreicht,  so  konnte  man  sich  versucht  fühlen, 
auch  die  Schale  in  ähnlicher  W^eise  zu  deuten:  man  könnte  auf 
den  Gedanken  kotntnen,  daß  sie  mit  Wein  gefüllt  und  für  den 
glücklichen  Weidmann  bestimmt  sei.  Freilich  wurde  dann  die 
Linke  der  Jungfrau  das  Einhorn  nicht,  um  es  zu  schützen,  son- 
dern um  es  festzuhalten  berühren.  Überdies  ist  die  Voraussetzung 
dieser  Erklärung  -  nämlich  die  Deutung  des  Kranzes  oder  was 
es  sonst  für  ein  Gegenstand  ist  -  höchst  fraglich;  kurz,  die 
Sache  ist  nicht  klar,  und  die  vorgetragene  Vermutung  kann  nur 
als  ein  Einfall  gelten,  der  nicht  viel  besser,  aber  auch  vielleicht 
nicht  viel  schiechter  sein  mag  als  andere. 

1)  Daß  die  lOrdie  fifter  als  \\\-ih,  das,  einen  Becher  in  der  Hand  lultend,  unter  dem 
Kreaze  Mebt,  dargestellt  iHrd,  meist  im  Ocgensilz  zur  SyiMcof^  die  mit  zesbrodimm 
Speer  oder  Bmmer  eradteint,  Ixiveist  ffir  den  vorHesoMlni  PaJl  ntdit  vM. 

^  a.  a.O. 


Die  Jagd  des  Einhorns  in  Wort  und  Bild. 


301 


Bildliche  Darstellungen,  wo  der  Fang  des  Einhorns  durch 
die  Jungfrau  unzweideutig  als  Symbol  der  Verkündigung  und 
Menschwerdung  aufzufassen  ist,  sind,  wenn  nicht  der  himmlische 
Jäger  mit  seiner  Meute  auftritt,  selten.  Ich  habe  nur  ein  Beispiel 
gefunden,  nämüch  das  Bildwerk  auf  einem  getriebenen  Becher 
NürnhiTt^^cr  I  Icrkunft.^)  Da  liegt  das  Einhorn  wie  gewöhnlich  im 
Schoiie  der  Jungfrau,  während  uber  ihr  der  heilige  Geist  schwebt 
und  links  von  ihr  ein  geflügelter  Engel  steht,  Gabriel  natürlich, 
der  die  Verkündigung  bringt.  Da  das  Bild  dem  16.  Jahrhundert 
angehört,  mag  es  Wiederholung  einer  älteren  Vorlage  sem.  -) 

Den  Übergang  zur  Darstellung^  der  himmlischen  Jagd  haben 
wir  in  einer  Miniatur,  die  sich  in  cineTn  Antiphonar  des  Klosters 
Einsiedeln  befindet  und  nach  Piper  aus  dem  12.  Jahrhundert 
stammt.  Da  erblickt  man  außer  dem  Einhorn  im  Schöße  der 
Maria  den  Engel  Gabriel,  der  vor  ihr  kniet  und,  indem  er  mit 
der  Linken  das  Horn  hält,  blasend  den  himmlischen  Gruß  daraus 
hervorgehen  läßt.')  Hier  fehlt  der  Jagdspieß  und  die  Meute, 
der  Engel  ist  also  nicht  deutlich  als  Jäger  charakterisiert,  hat  aber 
doch  schon  ein  Attribut  des  Jägers,  das  Horn.  Vollständig  durch- 
geführt ist  aber  die  Allegorie  auf  einer  Stickerei  des  13.  Jahr- 
hunderts. Maria  sitzt  im  Glorienschein,  das  Einhorn  liebkosend, 
zur  Rechten,  ihr  gegenüber  der  Engel  ohne  Flügel,  durch  Lanze 
und  Horn  als  Jäger  charakterisiert  Zwischen  beiden  ist  ein 
Becken,  aus  dessen  Mitte  sich  die  leuchterartige  Fortsetzung  des 
Unterbaues  erhebt;  auf  ihrer  Spitze  hat  sich  eine  Taube,  das 
Symbol  des  heiligen  Geistes  und  damit  auch  der  Menschwerdung, 
niedergelassen;  dies  wie  auf  vielen  der  gewöhnlichen  Verkündi- 
gungen. Einige  stilisierte  BAumchen  und  Blumen  bezeidinen  den 
Garten.  Nur  drei,  nicht  vier  Hunde  hält  der  Jäg^r  an  der  Leine, 
und  man  liest  auf  ihren  Leibern  die  Namen  Charitas,  veritas, 
humilitas.  Raumverhaltnisse  und  Symmefaie  sind  ansprechend, 


1)  V.  Antonic»ic7  a.  a.  O.  S  2S6,  Aiua. 
^  SIdie  Piper,  Evangd.  Jahrbuch,  99»  S.  37. 
Ob  die  .symbollidM  Dmteltaiif  d»  eagKtdwn  OniBa  mit  den  Einhorn«,  lUe 

sich  als  VC'andgemäldc  in  der  alten  Schloßkirche  zu  Nävi»  im  Wipptale  an  der  Brennerbahn- 
Linie  befindet  und,  wie  £>etzei  (Christi.  Ikonographie,  I,  i6t  Anm.)  angibt,  von  Dcngkr 
CKildienschinuck,  Neue  Folge,  Heft  12,  S.  14)  behandelt  ist,  hierher  oder  schon  zum  folgenden 
Tjnpn  gehört,  vemug  ich  nicht  «1  cntodidden,  «dl  mir  die  gcoMotc  Zdtsdirift  Idder 
■lebt  zugänglich  i«t 


Digitized  by  Google 


302 


Franz  Kuntze. 


das  Einhoni  namenllich  nicht  zu  groß,  und,  wodurch  das  BUd 
woblhiend  gegoi  die  große  Menge  der  gleichartigen  Darstellungen 
aus  spftterer  Zeit  abstichti  es  fehlen  alle  die  unoigpnisdien 
Zutaten,  die  Symbole  und  Sprflche,  also  der  ganze  fiber> 
flüssige  Knm,  der  gewöhnlich  den  Eindruck  stört  ^  Wenn  aber 
Kraus  in  dem  Jäger  die  Verkörperung  Gottvaters  hat  sehen 
wollen,  um  die  Dreieinigkeit  in  das  Bild  hineinzubringen,  so  ist 
das  gewiß  ein  Irrtum.  Der  Jäger  ist  hier  wie  sonst  der  ^ngel 
Qabrid,  Kraus  hat  sich  offenbar  verleiten  hssen  durch  die  oben 
zitierte  Schilderung  der  goldenen  Schmiede,  da  seiner  Meinung 
nach  die  Stickerei  dem  Texte  Konrads  von  Wfirzburg  am  ge- 
nauesten entspricht,  was  jedoch  nicht  mehr  und  nicht  weniger 
als  bei  anderen  Darstellungen  dieses  Typus  zutrifft 

Nun  folgt  die  ansehnliche  Oruppe  der  zur  Wanddekoralion 
bestimmten  Qentiüde,  meist  Altarbikler.  Man  findet  sie  nur  in 
Deutschland  mit  Ausnahme  eines  einzigen,  bald  zu  besprechenden 
Beispiels,  wie  äberhaupt  biklliche  Darstdiungen  der  hhnmlischen 
Jagd  mit  einziger  Ausnahme  des  eben  erwähnten  Falles  nur  in 
Deutschland  anzutreffen  sind.  Da  sind  zunächst  die  beiden 
Wandgemälde  in  den  Ruinen  des  Schlosses  Auffenstein  bei  Matrei 
in  Tirol,  die  von  Liell  im  Katholik  (1880)  ausführlich  beschrieben 
sind.  Das  eine  stellt  den  Jäger  mit  der  Meute  dar,  das  andere 
zeigt  die  Maria  mit  dem  Einhorn  im  hortus  conclnsus.  Die 
Zahl  12  04,  die  sich  auf  beiden  Bildern  befindet,  deutet  nach 
Liell  die  Enlstchungszeit  an.  Nach  der  Zerstörung  des  Schlosses 
(1438)  sind  die  Gemälde  arg  beschädigt  und  im  Jahre  171S 
schlecht  restauriert  worden.  Das  sind,  wie  es  scheint,  gut  be- 
glaubigte Talsachen  und  namentlich  die  beiden  letzten  dieser  An- 
gaben gewiß  einwandfrei.  Anders  steht  es  jedoch  mit  der  Da- 
tierung der  Gemälde.  Es  fragt  sich  wirklich,  ob  man  mit  Liell 
die  Herstellung  derselben  bis  in  den  Anfang  des  1 3.  Jahrhunderts 
hinaufrücken  darf.  Die  Bilder  zeigen  durchaus  den  Typus  einer 
späteren  ZeiL  Da  ist  nicht  bloß  der  Jäger  mit  den  vier  Hunden 


>)  Abbilduns  bei  Kraus:  Die  christlfdie  Kunst  in  ihren  Anfingen,  S.  316.  Cohn 
hat  schon  bemerkt,  daß  dem  Tiere  das  Horn  fehlt,  und  vermutet,  die  Stickerei  sei  beeinflußt 
worden  durch  das  Schnitz  werk  der  Johann  iskirche  in  Gmünd,  wo  statt  des  Einhorns  sich  ein 
Hirsch  (Hindin?),  von  Jäj;er  und  Meute  verfolgt,  in  den  Schoß  der  Jungfrau  flächtet.  Aber 
du  Horn  fetalt  mcb  andcnvo*  z.  B.  anf  dem  Schnitt  in  don  betchlofwa  Oiit  d.  Ro$.  Mar. 


Digitized  by  Google 


Die  Jagd  des  Einhorns  in  Wort  und  Bild. 


303 


und  Maria  im  hortus  conclusus,  da  sind  auch  die  fiblichen  Sym- 
bole des  Marienkultus  zu  sehen:  der  brennende  Dornbusch,  das 
Fell  Gideons,  die  goldene  Urne  mit  Manna,  die  Rute  Aarons, 
die  porta  aurea,  der  Turm  Davids,  dann  die  Gottesstadt  Nazareth 
mit  iliren  Tiirmcn,  in  den  Wolken  die  Dreieinigkeit,  außerdem 
eine  Anzahl  der  sonst  üblichen  Spruche.  lirwägt  man  endlich, 
daß  sogar  Pelikan  und  Löwe  auf  dem  einen  der  Bilder  an- 
gebracht sind,  die  wir  oben  bereits  als  unirugliciie  Anzeichen  der 
Spätzeit  erkannt  haben,  so  möchte  man  glauben,  daß  die  Her- 
stellung der  Gemälde  nicht  in  den  Anfang,  sondern  ans  Ende 
der  ganzen  Entwicklung  zu  setzen  sei.  Kurz,  die  Datierung 
Liells  hat  einen  tüchtigen  Haken  -  es  sei  denn  etwa,  daß  die 
erwähnten  Symbole  und  Zutaten  ganz  oder  teilweise  der  Restau- 
ration  ihren  Ursprung  verdanken. 

Die  andern  hierher  gehörigen  Bildwerke  befmden  sich 
sämtlich  in  Mitteldeutschland  und  zwar  in  einer  Zone,  die  von 
der  Lausitz  durch  Thüringen  bis  nach  Braunschwcig  reicht.  Da 
ist  ein  Gemälde  in  Görlitz,  da  ist  das  große,  interessante  Altar- 
bild in  der  Vorhalle  des  Domes  zu  Merseburg,  da  sind  ferner 
die  schon  erwähnten  Weimarschen  Büder,  ein  andere?  in  der 
Kirche  zu  Großkochber^^,  vier  in  Erfurt,')  dazu  das  grolie  Altar- 
bild im  Dom  zu  Braunschweig,  endlich  das  geschnitzte  Aitarwerk 
in  Gotha,  das  aus  dem  ehemals  als  Wallfahrtsort  stark  besuchten 
Kloster  Grimmenthal  im  Meiningenschen  stammt.'^)  Zu  diesen 
gesellt  sich  als  einzige  außerdeutsche  die  Darstellung  auf  dem 
berühmten  Altarbiide  in  der  Magdalenenkirche  zu  Aix,  die  man 
lange  irrtümlich  fOr  du  Werk  des  Königs  Ren^  gehalten  hat;^) 
nicht  als  ob  sie,  wie  man  aus  manchen  kurzen  Angaben  ent- 
nehmen könnte,  die  Mittelfläche  füllte  -  dort  sieht  man  Moses» 
wie  er  halb  geblendet  zum  brennenden  Busch  aufschaut,  aus  dem 
Maria  mit  dem  Jesuskinde  hervortaucht,  und  den  Eogiel  Gabriel 


>)  Das  eine,  »ehr  beachtentwerte,  aot  dem  Ende  des  14.  oder  Anfang  des  15.  Jahr- 
hunderts, hängt  im  Chor  des  Dones,  du  andere  sehr  unvorteilhaft  «igebncht,  vcil  in  der 
Dunkelheit  kaum  sichtbar,  an  einem  Pfeiler  des  Schiff«,  die  letzten  beiden,  minderwertig;? 
Scfaildereien,  tind  exkommunixiert:  das  eine  befindet  sich  im  Dienstzimmer  des  Dom- 
propstet,  das  «adcrt  nicht  gut  lutvcnllcnterveise  in  der  Roaqjdkammcr  der  NcawerUdithe. 

•)  E«!  hingt  jcfrt  im  Dienstzimmer  de?  .Mu'n!m<;dir?*Vtor5. 
^  £$  stammt  vahrscbeinlich  aus  der  burgundischen  Schule.   Siebe  v.  Seydlitz  in: 
DcaUdie  Rmtfidini  (i904)^  XXI,  i«s. 


Digitized  by  Google 


304 


Fnuiz  Kuntze. 


als  Gottesboten,  eine  Verkfindigung  ganz  besonderer  Art 
sondern  sie  bildet  dje  Verzierung  der  beiden  Zwicket  fiber  dem 
Hauptbilde:  links  befindet  sieh  der  Jäger  mit  seinen  Hunden  -  es 

sind  hier  wie  sonst  manchmal  nur  drei  -  und  mit  der  Lanze 

bewaffnet,  rechts  ihm  gegenüber  die  Maria  mit  dem  Einhorn.') 

Dazu  kommen  noch  andere  Darstellungen  der  himmlischen 
Jagd,  von  dL-nen  ich  die  nenne,  die  mir  bekannt  gev.nrdeii  sind; 
vor  allem  eine  Stickerei  aut  einem  jetzt  verlorenen  Altarbehange, 
der  sich  ehemals  in  der  Kirche  zu  Oberlahnstein  befand;  eine 
Leinwandstickerei  auf  einem  Kissenüberzug  im  Besitz  des  Bürger- 
meisters Thewalt  in  Köln;  ein  Metalischnitt,  aufgeklebt  auf  dem 
innem  Deckel  eines  in  der  A\arienkirche  zu  Danzig  gefundenen 
Manuskriptes  der  Vulgata;  ein  farbiger  Holzschnitt  in  dem  schon 
mehrmals  genannten  Buche  -Der  beschlossen  Gart  des  Rosenkr. 
Marie";  zwei  Holzschnitte  auf  den  Titelblättern  der  beiden  Nürn- 
berger Einzeldnicke  des  oben  erwaliruen  V^olksliedes :  es  wollt  gut 
Jäger  jagen;  endlich  die  angeblich  von  Lukas  Cranach,  in  Wirk- 
lichkeit von  dem  Nürnberger  Jakob  Elßncr  ausgeführte  Miniatur 
am  Rande  eines  Blattes  des  auf  der  Universitätsbibliothek  zu  Jena 
befindlichen  Evangelistariums.*) 

>)  Die  Bilder  sind  gn  iltcnteiis  brschrieben  Torden  oder  in  Abbildungm  vorhanden. 
Da»  Oörlitaer  hat  Pocfaek  beaprochcn  im  Nencn  Lansftziacii.  Magaiin  1832,  daa  Mcndmr|er 
bdbandelt  amfiDirlfdi  Otte  fn  den  Kenen  Mittellangen  des  HillrfiigfscIt'SIdidaclwn  Vereins, 

V,  116  ff.,  anncrdem  Skizze  divnn  nebst  Erläuterung  in  den  Bau-  und  Kun-tdcnkmälcm 
der  Provinz  Sachsen  (Kreis  Merseburg,  S.  137  ff.)-  Die  Weimarächcn  und  das  Üroßkocbberger 
Oemilde  bespricht  Lehfeldt  in  den  Bau-  und  Kunstdenkmälem  Thüringens,  Heft  VI  (1889) 
-  Valpius'  MitteUting  in  den  CnrioaUlten  ist  schon  erviimt  - ;  das  Bmutadnrtigiadie 
Ribbentrop  (Beschrdbung  der  Stadt  Bnunscfaveig),  vledefliolt  von  Vulpius  a.  a.  O.;  das 
Ootbaer  Altarvcrk  ist  ohne  ncsdirt  ib;in;j  abi^cbildct  in  Riidolphis  Oofha  diplomatica,  T.  II. 
Von  dem  Bilde  in  der  Kathcdralt-  /w  Ai\  gibt  A\illin:  Voyages  dans  Ic«  provinc«  du  midi 
dein  France»  S.  345  (P.  XLIX)  Kcproduklion  und  Ucichrcihung.  Von  den  lirfurtcr  Bildern 
kenne  ich  keine  Bcacbictbong.  Das  eine  im  Qior  des  Domes  befindliche  vird  in  den 
•Bau-  und  Kunsldenlaidneni  der  Provinz  Sadiwn*  (Kreis  Erfurt)  genannt,  aber  nidit  be> 
schrieben.  Und  doch  Ist  es  cit:cnarti>:  und  intcrLSsnnt.  Das  Gemälde  hebt  sich  von  einem 
Goldgründe  ab,  dessen  Farbe  dm  groik,  mit  gewaltigen  Sätzen  aut  die  Jungfrau  zuspringende 
Einhorn  bewahrt.  Der  Jiger  hat  Horn  und  Lanze,  aber  nur  zwei  Hunde.  Der  hortus  con- 
dusus  ist  angedeutet  durdi  dne  Reibe  bocbngendcr  Binme.  In  dner  Wolke  Oottvater  und, 
von  ihm  ausgehend,  das  Chritllrinddien,  Im  Begriff  ddi  anf  die  Maria  herabzntenleen.  Da» 
neben  eine  (iriippe  von  Engeln,  l'bcrdies  ganz  eiKtnartic  zu  beiden  Seilen  der  Maria  im 
Hintergrunde  eine  Reihe  heiliger  Jungfrauen.  Das  Oemäldc  ist  das  Mitteistück  eines  drei- 
flflglil^  Altaiwerks. 

•)  Eine  farbige  Nachbildung  der  Oberlahnsteiner  Stickerei  hat  Schneider  verfiffent- 
lichl  in  den  Annalcn  des  Vereins  für  Nassauischc  Altertumskunde  usw.,  XX,  T  U;  die  Kölner 
Leln«"andstickcrci  kenne  ich  au>  einer  Photographie,  die  mir  Herr  Prof.  v.  U'cifVtibach  in 
Ldpzig  gütigst  zur  Verf&guag  gestellt  hat;  der  Danziger  Metallsdinitt  ist  besprodien  von 
Bergan  in  der  AttpftttBisebett  MonafsMte-..  IV.  m.  Die  BnicMivcke  VMkaliede»  tae> 
finden  sich  in  der  Berliner  Bibliothek.  Da^  Bildchen  de«  Jcncntcr  Evangdicnbndlf  er- 
wähnt Piper:  Mythol.  u.  Symbolik  der  dir.  Kunst,  1,  it>9. 


Die  Jagd  des  Einhorns  in  Wort  und  Bild. 


305 


Unter  den  eben  aufgeführten  Bildwerken  ist  namentlich  die 
Oberiahnsteiner  Stickerei,  die  nach  Schneider  dem  Anfange  tles 
16.  Jahrhunderts  angehört,  zu  beachten.  Auf  rotem  Grunde  hebt 
sich  der  hortus  conchisus  ab,  der  von  einer  weißen,  mit  Zinnen 
gekrönten  ovalen  iMauer  umgeben  ist.  Auf  dem  grünen  Rasen, 
aus  dem  ein  üppiger  Plor  von  Blumen  entsprief^t,  wahrend  an 
jeder  Seite  sich  ein  mit  vielen  Bluten  gesclunucktes  Baumchen 
erhebt,  alles  in  feiner  Stilisierung  ausgeführt,  erblickt  man  die 
beiden  Hauptfiguren,  Maria  mit  dem  Glorienschein  in  reichem 
Brokatmantel,  ihr  gegenüber  den  geflügelten  Jäger  in  weißem 
Unterkleide  und  blauem  sternbesäten  Mantel.  Er  hält  die  vier 
Hunde  an  der  Leine,  kleine  Windspiele,  die  lustig  auf  dem  Rasen 
heramspringen,  und  stößt  wie  gewöhnlich  ins  Horn,  hat  aber 
keinen  Spieß.  Die  Haltung  der  beiden  Figuren  ist  konventionell, 
etwas  steif  und  unfrei;  mit  auffallendem  Ungeschick  ist  das  gelbe 
Einhorn  behandelt,  dessen  Hinterleib  nicht  auf  dem  Rasen  zu 
liegen,  sondern  in  der  Luft  zu  schweben  scheint  Über  der 
Mauer  des  Gartens  finden  wir  in  ziemlich  symmetrischer  An- 
ordnung eine  Anzahl  der  üblichen  Embleme:  in  der  Mitte  die 
Rute  Aarons  inmitten  ihrer  Genossen,  aus  deren  Blfltenkelch  die 
Taube  hervorkommt^  auf  der  rechten  Seite  Gott  im  brennenden 
Busch  und  den  knienden  Moses,  auf  der  Imken  Gideon  auf  den 
Knien  vor  dem  Fcül,  dazwischen  den  fons  signatus  und  die  uma 
aurea.  In  den  Bftumen  wie  auf  den  Zinnen  der  Mauer  sitzen 
Vög^L  Das  Ganze  macht  einen  feinen,  man  mödite  sagen  fest- 
lichen Eindruck,  ja,  der  zierliche  Blumenschmuck  auf  dem  grünen 
Rasenteppich,  die  phantastischen  Bäume  samt  den  Vögeln  darin 
muten  uns  an  wie  der  Naturdnguig  eines  Minneliedes. 

Alle  diese  Bildwerke  erzählen  die  Jagd  des  Einhorns  nach 
demselben  Schema,  aber  doch  mit  roannigfiwhen  Varianten  hln- 
sicfatlicfa  der  Einzelding^  Und  zwar  beziehen  sich  die  Nuancen, 
abgesehen  von  den  unwesentlicheß  Nebendingien,  der  Auswahl, 
der  Anordnung  und  Behandlung  des  Beiwerks,  hauptsächlich  auf 
die  Dantellung  der  Jagdmeute  und  der  teils  als  Zuschauer,  teils 
als  Teilnehmer  des  Vorganges  gedachten  Gottheit 

Daß  die  Vierzahl  der  Hunde  mit  der  Farabel  Bernhards 
von  Churveaux  zusammenhängt,  ist  oben  dargetan,  sie  ist  daher 

Archiv  fär  KaUnrgescbichte.  V.  20 


Digitized  by  Google 


306 


Fruiz  Kuntze. 


wesentlich.  Wenn  sich  also  auf  dner  der  Darstellungen  weniger 
Hunde  befinden,  drei  oder  zwei  oder  wie  auf  dem  OörlHzer  Bild 
^r  nur  einer,  so  könnte  nuui  versucht  sein,  mit  Piper  zu  glauben, 
daß  die  Künstler  den  Sfain  jener  Pandxl  und  die  Bedeutung  der 
Vierzahl  nicht  mehr  verstuiden  hfltten  oder  dUfdi  Phdzmangel 
beschränkt  waren.  Das  letztere  trifft  auch  in  einigen  Pillen  un- 
zweifelhaft zu,  namentlich  da,  wo  die  Namen  der  fehlenden  Hunde 
wie  auf  dem  (jorlitzcr  Bilde  ebenfalls  angegeben  sind.*)  Anders 
aber  scheint  die  Sache  zu  liegen,  wenn  sich  eine  Dreizahl  von 
Hunden  findet.  Schon  daß  sie  häufiger  vorkommt,  gibt  zu 
denken.  Auf  der  oben  beschriebenen  Krausschen  Stickerei,  einer 
der  ältesten  Darstellungen  der  himmlischen  Jagd,  die  wir  besitzen, 
war  für  emen  vierten  Hund  zweifellos  Platz,  und  von  einem 
JV^angel  an  Verständnis  für  die  durch  die  Vierzahl  ausgedrückte 
Allegorie  kann  schon  wegen  der  Früh  zeit  des  Rüdes  nicht  die 
Rede  sein;  auch  sind  die  Namen  der  Munde  veritas,  Charitas, 
humilitas,  wenn  auch  wohl  aus  der  Parabel  Bernhards  abgeleitet, 
doch  offenbar  mit  allem  Bedacht  variiert.  Ein  gedankenloser 
Nachahmer  hatte  wahrscheinhch  drei  von  den  Namen  der  Vorlage 
behalten  und  den  vierten  einfach  fallen  lassen.  Auch  auf  der 
oben  erwähnten  Kölner  L^inwandstickerei  ist  die  Dreizahl  der 
Hunde  offenbar  nicfat  Zufall,  sondern  Absicht,  es  fehlte  auch  hier 
nicht  an  Platz  für  einen  vierten.  Die  übenus  Mrinzig^n  Tierchen  ^) 
stehen,  was  hier  gleich  bemerkt  werden  mag,  auf  der  unteren  Borte 
der  Stickerei  und  nehmen  an  der  vorgestellten  Handlung  nicht  den 
mindesten  Anteil,  sondern  sind  lediglich  als  Ornament  angebracht, 
eine  dgentflmliche  Variation,  die  Oott  weiß  welcher  Laune  ent> 
sprangen  sein  mag.  Unter  den  Tierchen  aber  liest  man  die 
chaFskteristiscfaen  Namen  fides^  spes,  Caritas.  Und  diese  Namen 
finden  sich  auch  auf  dem  sdiönen  Erfurter  AUarbiid,  aber  so, 
daB,  da  der  Jiger  offenbar  aus  Platzmangel  nur  zwei  Hunde 
fahrt,  auf  dem  Leibe  des  einen  die  Worte  fides  und  spes,  auf 


>)  EbcnM  tteht**  wdi  mft  dem  HoltMliiiHt  In  dm  bacMoNen  Oirt  Mn  «Mit 

zwd  Hunde  voll-jt.^ntli^,  von  clrm  dritten  nt;r  dir  Hüfte,  Kopf  tind  Vnrdrrlrih  f"?  fehlte 
offentNU'  an  kaum.  Die  trkiarung  aber  ncnm  die  Namen  der  vier  Hunde  nach  der  Farabd, 
dun  noch  ein  stöberlin  (s.  oben). 

>)  Dm  zur  Linken  über  dem  Worte  fidet  ai  denkende  Tischen  ist  mit  bloßen 
Aagie  nf  da-  Photographie  nidit  «ahndimter.  FcUt  ea  ttn  aacfa  aaf  dem  Origioal? 


Dk  Jagd  des  Einhorns  in  Wort  und  Bild. 


307 


dem  des  andern  das  Wort  Caritas  steht.  Das  ist  ein  deutlicher 
Beweis,  daß  dem  Künstler  die  Trias  der  Hunde  samt  den  er- 
wähnten Namen  bekannt  und  geläufig  w:ir  Es  ist  also  kaum 
fraglicii,  daß  die  Dreizahl  der  Hunde  einen  selbständigen  Typus 
bildete,  der  möglicherweise  älter  ist  als  die  Vierzahi,  aber  später 
von  dieser  durch  den  Einfluß  der  Parabel  Bernhards  zuräck- 
gedrängt  worden  ist  Als  Namen  der  Trias  boten  sich  die  Worte, 
die  bekanntlich  den  Schluß  des  13.  Korintherbriefes  bilden, 
gleichstra  von  selbst  dar.  Zu  dem  gleichen  Ergebnis  kommt 
flbrigens  auch  Cohn  (II,  21),  obwohl  er  weder  das  Erfurter  Bild 
noch  die  Kölner  Stickerei  kennt 

Sehr  verschieden  ist  auch  die  Darstellung  der  Gottheit,  die 
nur  seilen  ganz  fehlt  Sie  wird  zunächst  repräsentiert  durch  die 
Taube  als  das  Sinnbild  des  heiligen  Geistes,  der  nach  Lukas  I,  35 
in  erster  Linie  bei  der  Menschwerdung  wirksam  ist  Dann  tritt 
Gottvater  in  dte  Szene  ein,  sein  Halbbild  zeigt  sich  in  den  Wolken 
oder  in  einer  Glorie  von  Engeln.  Zuweilen  ist  auch  die  Trinittt 
daiigestellt,  wie  auf  dem  Auffensteiner  Gemälde,  wo  man  nach 
Liell  zwischen  Gottvater  und  Sohn  die  Taube  eitUckL  Eine  be» 
sondere,  schon  erwihnte  Nuance  ist  die,  da0,  von  Gottvater  aus- 
gehend, das  Qiristkind  oder,  was  dasselbe  is^  der  Logos  in  einem 
Lichtstreifen  auf  die  Maria  herabschwebt,  wie  das  auf  dem  Merse- 
burger und  dem  Etlurter  AHarbitde  der  Fall  ist  Ebenso,  wie 
schon  bemerict,  auf  dem  einen  der  Wetntaischen  Bilder  und 
auf  dem  Danziger  Melallsdinitt,  nur  daß  hier  noch  die  Taube^ 
das  Haupt  der  Maria  berOhrend,  hinzukommt  Lauter  Variationen, 
die  mehr  oder  minder  oft  auf  den  vori>ildUchen  VerkOndigungs- 
bildem,  namentlich  der  Iteliener,  vorkommen*^) 

Daß  die  Maria  flbendl  sitzend  darg^Ut  ist  bnmcht  kaum 
gesagt  zu  weiden.  Nur  die  Kölner  Lemwandstickerei,  sovtel  ich 
sehe,  weicht  davon  ab:  Maria  steht  -  wie  fibrigens  ebenfalls 
auf  froheren  Vcridlndigungen  gewOhntichen  Stils  -,  ihr  gegen- 
über ohne  Spieß  und  Meute  der  Eng^l  mit  dem  Horn  in  der 
Hand,  zwei  eckige,  wte  aus  Holz  geschnitzte  Figuren,  ww  es 
sdieint,  die  Reproduktion  einer  ilteren  Vorhige.  Bgeiaa^  ist 


>)  Sidie  Detzd,  CbruU.  Ikonogr.,  I,  170,  71. 

20» 


Digitized  by  Google 


308  Franz  Kuntze. 


auch  die  oben  erwähnte  Darstellung  der  Jenenser  Miniatur.  Hier 
erscheinen  anstatt  des  als  Jäger  maskierten  Engels  zwei  geflügelte 
Genien;  der  eine  hält  eine  Ijinze  und  führt  die  Htmde  an  der 
Leine,  der  andere  stößt  ins  Horn.  ^)  Das  niedliche  Bildchen  ist 
mit  Ranken  eingefaßt,  alles  störende  Beiwerk  fehlt.  Eine  Kom- 
position, die  durch  Originalität  der  Erfindung  und  kecke  Frische 
der  Ausführung  alle  Konkurrenten  weit  hinter  sich  läßt 

Von  der  Übertragung  der  ursprünglich  allein  für  Christus 
gdtenden  Symbole  auf  die  Gottesmutter  ist  oben  schon  die  Rede 
gewesen,  auch  erwähnt,  daß  Löwe  und  Pelikan  auf  dem  Auffen- 
Steiner  Bilde  angebracht  sind.  Viel  weiter  aber  ist  in  der  An- 
Wendung  dieser  spielerischen  Sinnbilder  der  Steinmetz  gegangen, 
der  das  Orimmenthaler  Altarbild  veriertigt  hat.  Hier  sieht  man 
ebenfalls  -  unweit  des  Jägers  -  das  Bild  des  Löwen  und  dar- 
über die  Inschrift  Maria  Leo;  hoch  oben  unter  dem  Rande  zwischen 
dem  Zeichen  der  Stella  maris  und  dem  der  Sonne  mit  der  In- 
schrift dara  ut  sol  liest  man  ohne  Bild  die  Worte  Maria  Phoenix. 
Ober  dem  Berge,  der  sich  im  Hintergründe  erhebti  steht  ge- 
schrieben Maria  Aquila,  und  mehr  in  der  Mitte,  filier  dem  Bilde 
des  speculum  sine  macnla,  was  hier  die  Hauptsache  ist,  Maria 
unioomis.  Natfirlich  fehlt  auch  der  Pelikui  nicht;  er  ist  aber» 
indem  er  sich  mit  seinem  Schnabel  die  Brust  öffnet  und  die  unter 
ihm  zappdnden  Jungen  trinkt,  so  deutlich  charakterisiert,  daft 
eine  Inschrift  nicht  vonnöten  war.*) 

Wir  sind  eigentlich  am  Ende  unserer  Obersicht  Nur  einen 
flflchtigen  Blick  wollen  wir  zum  Schluß  noch  auf  einen  Sdten- 
trieb  der  Sage  werfen,  um  so  mehr,  da  er  sich  elienso  krtftig 
entwickelt  hat  irie  die  andern  SchOBIinge  derselben.  Man  wesB, 
daß  das  Einhorn  auch  als  Symbol  der  Keuschheit  gilt.  Nicht 
lange  nach  seinem  Eintritt  in  die  abendländische  Literatur  muß 
diese  Auffassung  aufgekommen  sein;  sagt  doch  schon  Beda: 


>)  Pipers  Beschreibung  (Mytbol.  d.  dir.  K.  a.  a.  O.)  itt  aicM  pttn. 

s)  Anch  fii  der  Dtdrthnist  fehlen  die  Amltie  ra  dtevr  VerwMdwiag  der  SfvMe 
nicht.  In  dem  ABC-Ldch  (MSH.  III,  468  a)  wird  Maria  nicht  nur  die  geblümte  Rute  Aaroi» 
genaimt,  sondern  es  heißt  auch,  daß  sie  uns  rufen  möge,  wie  der  Löwe  tut,  uns  speisen 
Böge  wie  der  Phönix,  uns  ansehen  möge  wie  der  Strauß  usw.  Auch  das  Einhorn  fdilt  in 
dkNT  Rdhe  oicM,  i«t  aber  doch  alclit  cendem  als  Bild  der  Maria  gedacht.  Vldindir 
idfll  et  IM  nun  nadi  der  bcrfctamlidien  Weite,  daB  die  Jungfraa  et  tagen  möge. 


Digitized  by  Google 


Die  jKgd  des  Einhorns  in  Wort  und  Bild. 


309 


unicornis  est  «nimal  castissimum.*)  Sie  ist  die  natfldiche  Kon- 
sequenz der  Legende.  Ein  Wesen,  sei  es  Mensdi  oder  Tier, 
welches  sich  von  einer  reinen  Jungfrau  so  angezogen  fühlt,  daß 
es  seine  natflrlidie  Wildheit  ablegt  und  von  ihr  ge^mt  wird, 
muB  selbst  wohl  die  Eigenschaft  besitzen,  durch  die  es  angdockt 
wird,  und  es  war  daher  nur  die  folgeriditige  Weiterbildung  der 
Legende,  wenn  dem  Einhorn  die  Keuschheit  als  Attribut  -  einige 
Ausnahmen  bestätigen  nur  die  Regel  -  beigelegt  wutde.  Das 
meint  auch  die  oben  angeführte  Stelle  aus  dem  Parzival :  ez  wirt 
durch  reinikeit  erslagen.  In  der  bildenden  Kunst  ist  die  Dar- 
stellung der  Keuschheit  als  eines  Weibes,  das  auf  einem  Einhorn 
reitet  oder  auf  einem  von  Einhörnern  gezogenen  Wagen  sitzt, 
typisch  geworden.  So  namentlich  in  dem  Kampf  der  Tugenden 
und  der  Laster,  einem  beliebten  Thema  des  A\ii!clalters,  das  in 
Wort  und  Bild  dargestellt  worden  ist.  In  der  sich  an  französische 
Miniaturen  anlehnenden  »Note  wider  den  Teufel",  wo  dieser 
Kampf  geschildert  wird,  reitet  die  Keuschheit  in  Gestalt  einer 
Jungfrau,  die  einen  mit  drei  Lilien  geschmückten  Helm  trägt,  auf 
einem  Einhorn.')  Sind  so  auch  die  unter  dem  Namen  la  Licome 
bekannten  Bilderteppiche  des  berühmten  Cduny-Museums  in  Paris, 
die  eine  Jungffrau  und  ein  Einhorn  zeigen,  zu  deuten?  Man  tut 
das  gewöhnlich,  indem  man  annimmt,  das  Einhorn  sei  ein  Symbol 
der  Tugenden  jener  Dame,  aus  deren  Leben  Szenen  vorgetührt 
würden.^)  Oder  sind  sie,  wie  netierdint^s  ge:nißert  worden,  die 
Illustrationen  zu  einem  verschollenen  Märchen,  das  von  der 
Koni.^stochter  und  einem  Einhorn  handelt?**)  Wie  dem  auch 
sein  nnig,  das  ist  gewiß,  daß  das  Einhorn  als  ständiger  Begleiter 
gewisser  Heiliger,  des  Cyprian  und  des  Firmian  und  vor  allem 
der  Justjna,  als  Sinnbild  der  Keuschheit  gilt.  Wer  kennt  nicht 
das  prächtige  Gemälde  Moretos  im  Wiener  Belvederc,  wo  die 
Heilige,  eine  fast  überschlanke  Gestalt  mit  dem  fein  modellierten 
Kopfe,  inmitten  einer  Landschaft  steht,  in  der  auf  der  einen 


>)  siehe  Cohn  II,  26 

«)  Sieht  Laudiert,  S.  216;  die  Stelle  würiiich  bei  Cohn,  11,  26. 

>)  qui  passe  pour  le  Symbole  de  la  chastetf,  de  Ift  ffOR*  Ct  de  1«  trMenc^  MBtCiin 
Kalalog  des  Clcnv-MtJ^evnij;  siehe  Cohn,  II,  27. 

«)  Siehe  Marie  Luise  Becker:  .BildertqjpidK*  in  Westemuuuu  Monatsheften« 
XCVIU  (IMO»  M7> 


Digitized  by  Google 


310 


Fhmz  Kuntze. 


Seite  ein  schneeweißes,  deutlich  als  Pferd  charakterisiertes  Einhorn 
ruht,  während  auf  der  andern  ein  Venetianischer  Nobile  kniet? 

Nach  dem  Ablauf  der  Renalssancezeit  ist  das  Einhorn  ffir 
die  Kunst  gestoiben,  selbst  die  Romantik  hat  es  nidit  zu  neuem 
Leben  erweckt  Aber  ein  Oetslesverwandter  der  Romantik  hat 
es  uns  vor  einigen  Jahrzehnten  wieder  voigeführt,  indem  er  das 
alte  Motiv  des  auf  dem  Tiere  reitenden  Weibes  erneuert,  aber 
durchaus  umgeschaffen  hat  Böddin  gesellt  das  wunderbare 
ralxlwesen  der  Nymphe  zu,  die  das  tiefe  Sdiweigen  der  Wald- 
einsamkeit verkörpern  soll.  Mit  großen,  geheimnisvollen  Augen 
blicken  beide  den  Beschauer  an,  zwei  Wesen  aus  der  wunder- 
vollen Märchenwelt,  die  der  Pinsel  d^  Meisters  so  gern  vor 
unsern  Blicken  aubteigen  läßt 


Digitized  by 


Hamburger  Verkehrswesen 
bis  zur  Mitte  des  17.  Jahrhunderts. 

Von  ALFRED  KARLL 


Nicht  nur  auf  geistigen:  und  wirtscliafllichem  Gebiet,  sondern 
auch  im  Bereich  des  Verkehrswesens  hat  die  Kirche  im  Mittel- 
alter eine  wichtige  Rolle  gespielt.  Das  Schriftwesen  befand  sich 
vorwiegend  in  ihren  Händen,  an  den  Höfen  wirkten  Geistliche 
als  Schriftkundige,  ja  sogar  der  Beförderungsdienst  wurde  teil- 
weise von  ihnen  wahrgenommen.  Noch  in  späteren  Zeiten,  wo 
es  gewiß  nicht  an  anderen  Absendungsgelegenheiten  mangelte, 
findet  man  Geistliche  als  Überbringer  von  Briefen.  Auch  in  den 
Hamburger  Kämmereirechnungen  sind  eine  Anzahl  von  Ausg^iben 
enthalten,  die  auf  diese  Tätigkeit  hinweisen.^) 

Im  frühen  Mittelalter  ist  die  Person  des  Boten  vielfach  noch 
mit  dem  Inhalt  des  Briefes  vertraut  Des  Überbringer  richtet 
nebenbei  andere  Anftrige  aua.  Vollständig  gietrennt  wurden  die 
Eigenschaften  als  Briefbote  und  als  Beauftragter  erst  ziemlich  spät 
Eine  nicht  unwesentliche  Rolle  spielte  dabei  der  Wedise]  der 
Personen  während  der  Dauer  der  Beförderung.  Sobnge  der 
Bote  'bis  zum  Bestimmungsort  reiste,  konnte  er  mancherlei  Auf- 

  • 

«)  1350:  fratri  Wulftiardo  in  Ftisiam  5  in  2  ^  -  1361:  Makoni  Busch  pro  cx- 
pensis  monadit  Zegheberge,  qui  domino  NicoUo  comiti  portavit  iitcras.  -  1375:  10  ^ 
cnidam  dcria),  qui  portavit  littem  versus  curiam  Rofluuum.  -  i  379:  32  /?  cuidara  monadio, 
mmdo  damini  Ottonis  duds  Bmnsvicensis.  -  Mn  i  3  ^  M  fi  cnidiin  derico  portanti 
mtas  litms  versus  mriam  Romanam.  -  Die  Angaben  b\%  Tvm  Jahre  1562  sind  Im  folßenden 
Koppmanns  K.in";:iicrriri-i;hr. uiij^cn  der  Stadl  Ha;i;t;ur}:;,  Antjahcii  .th^  drn  J.iSiier;  1S':3 
bis  1614  den  Originalrcctinungen  im  Ardüv  der  fretcn  und  Hansestadt  Hamburg  entnommen«. 


Digitized  by  Google 


312 


Alfred  KarlL 


träge  ausführen,  Erkundigungen  einziehen,  Mtttetluiigai  machen, 
die  man  aus  Voisidit  dem  Papier  nicht  anvertrauen  wollte.  Mit 
der  Einführung  postmfifiiger  Einrichtungen  wurde  der  Brief- 
verkehr unpersönlicher,  an  die  Stelle  des  Vertrauens  zu  dem 
Boten  trat  das  auf  die  Zuverlässigkeit  der  Organisation.  Indessen 
zdgen  gerade  die  Hamburger  Einrichtungen,  daß  keineswegs 
immer  unter  den  primitiveren  Verhiitnissen  ein  persönlicher  Ver- 
kehr zwischen  dem  Boten  und  dem  Absender  stattfand. 

Der  doppelte  Charakter  der  Briefboten  ist  besonders  aus 
den  Briefen  der  Geistliciiiceii  erkennbar.  Einige  Beispiele  mögen 
als  Beweis  dafür  dienen. 

In  einem  Schreiben  des  Erzbischofs  Adalbert  von  Bremen 
an  den  Abt  von  Corvey  (1065)  heißt  es  am  Schluß:') 

»Nuncium  tuum  in  proxima  estate  nobis  dirigito;  per  quem 
et  cartam  omnia  haec,  sdticet  altemam  memoriam  et  fratemitatis 
titulum,  continentem  destinare  memento.  Per  ipsum  autem  reliquias 
tibi  eiusdem  sancti  patris  nostri  Ansgarii  et  translationem  mittemus.* 

Eine  Stelle  der  ProzeBaklen  des  Hambuiger  gegen  das 
Bremer  Domkapitel  (1219-1222)  hiutet:*) 

«Contra  quos  procuiator  Hamenburgensis  excepit,  quod 
cum  nieiuni  allei^^nenl  generalem  nec  specificarent  aliquem,  non 
essent  audiendi,  niaxime  cum  nec  illum  probarent  nec  nundus 
ipsorum  fidem  vellet  facere  de  metu .... 

Qui  iterum  ad  diem  illum  iitteras  et  simplioem  nundum 
roiserunt  in  hac  forma . . . 

Die  FUle,  in  »denen  Boten  geistlichen  Standes  lediglich 
zur  Beförderung  von  Briefen  verwendet  wurden,  sind  nicht 
genule  zahlreich. 

Hierbei  ist  aber  ein  anderer  Umstand  zu  beachten,  die 
Unsicherheit  der  StniBen.  Wenn  nSmlich  dem  Boten  der  Brief 
unterwegs  abgenommen  wurde,  so  konnte  er  den  Inhalt  wenigstens 
noch  mundlich  bestellen.  Wie  böse  es  damals  auf  den  Wegen 
in  Norddeutschland  aussah,  zeigt  folp:ender  Abschnitt  der  Statuten 
des  päpstlichen  Legaten  Johannes  aus  dem  Jahre  1207:*) 

>)  Lappenbctg,  H«dMi|ff  UitandoklMdi»  S.  9S.     >t  Ltppeaberg  i.  t.  O.  S.  ats. 

1)  a.  a.  O.  S.  693. 


Digitized  by  Google 


Hambiuiger  Verkdirsvesen  bis  mr  Mitte  des  1 7.  Jahrhitnderts.  313 


»Contn  impcditores  nunctorum  Icgatorum  vd  ddegatonim: 

Si  quis  in  tanti  ]>roruperit  fiiroris  audadatn,  quod  nundos 
Icgatonim  sedts  apostolice  de  latere  missorum  ab  ipab  seu  ardii- 
episcoporam  aut  episcoponim  vel  delegatonim  capere  vel  verberare 
aut  eos  spoliare  seu  Uttens  auferre  seu  dilaniare  aut  alios  aut 
alium  publice  vel  occulte  aut  quomodolibet  impedire  presump- 
serit,  ipso  l'acto  siiu  excommunicacionis  sentencia  innodati,  t^indem 
penam  nichilominiis  incurrere  volumus,  qui  venientes  ad  curiani 
eorundem  et  abinde  redeuiues  eos  in  personis  offenderet  vcl  eos 
bonis  eorum,  que  secum  haberent,  occulte  vel  publice  spoliaret.« 

Wenn  man  sich  nicht  scheute,  den  Boten  der  hohen 
Geistlichkeit  die  Erriete  fortzunehmen  und  zu  zerreißen,  so 
kann  man  sich  ungefähr  einen  Begriff  machen,  wie  es  gewöhn- 
lichen Reisenden  unterwegs  ergangen  sein  mag.  In  den  Statuten 
des  Kardinals  Guido  auf  dem  Konzil  zu  Bremen  (1266)  war 
wohl  die  Verletzung  der  Geistlichen,  nicht  aber  die  Abnahme  der 
Briefe  mit  Strafe  bdegt,  die  Versdiärfung  wird  sidier  nidit  ohne 
begründete  Veranlassung  erfolgt  sein. 

Die  höhere  Odstiidikeit  hatte  sdion  in  früher  Zeit  f Or  die 
Beförderung  ihrer  Briefsdutften  dgene  Uufer  in  ihren  Diensten.*) 
In  den  Hambuiger  Klmmereiredinung^n  spiden  diese  Boten  dne 
nicht  unbedeutende  Rolle.  Allerdings  wird  in  den  Redtnungen 
erst  im  15.  Jahrhundert  die  dnwandsfrde  Benennung  vcursor* 
gebraucht,  so  daß  man,  da  das  Wort  «nundus«  sehr  versdiradene 
Bedeutung  haben  kann,  gewisse  Bedenken  hegen  möchte,  diese 
nundi  ab  »Uufer«  anzusdien.  Anderersdts  }edodi  sind  die 
Läufer  an  den  Hofhaltungen  der  höheren  Geistlichkeit  sonst  im 
14,  Jahrhundert  schon  überall  vertreten,  und  es  werden  in  den 
Hamburger  Kämmereirechnungen,  wie  wir  oben  gesehen  haben, 
die  Boten  geistlichen  Standes  als  solclie  besonders  bezeichnet. 
Die  Anwendung  der  Ausdrücke  »nuncius"  und  »cursor"  ist  über- 
haupt eine  t^anz  willkürliche;  denn  die  cursores  der  Stadt  Hamburg 
werden  gelegentlich  auch  als  nuncii  aufgeführt. 

In  den  älteren  Rechnungen  werden  Boten  geistlicher  Herren 
aus  Lübeck,  Bremen,  Verden,  Osnabrück,  Trier,  ja  sogar  von  der 

>)  vgl.  Kar  II,  Aacbeoer  Verkehrswesen  bis  zum  Ende  «ies  U.  jAhrbunderts.  Aus 
AadMM  VocMit.  lt.  jilwKHig,  S.  «$  ff. 


Digitized  by  Google 


3t4 


Alfred  Karll. 


Insel  Oesel  erwähnt.^)  Auch  der  Läufer  des  Papstes  erschien  in 
Hamburig  und  beförderte  Briefschaften  des  Senats  nach  Rom.*) 
Ich  habe  in  meiner  Darstellung  des  Aachener  Verkehrs- 
wesens den  Nachweis  erbracht,  daß  im  Rheinland  fast  jeder  Ritter, 
mindestens  aber  jeder  Fürst  einen  oder  mehrere  Briefboten  in 
seinen  Diensten  hatte.  Dies  wird  durch  die  Hamburger  IQbnmeret* 
rechnung^n  für  die  dortige  Q^;end  in  vollem  Umfange  bestitigt 
Nihere  Angidwn  über  (lieae  Boten  können  u.  a.  zu  wetteren 
Forschungen  auf  dem  Gebiet  der  Veilcehr^gieschichte  Anregung 
geben;  ich  möchte  deshalb  die  wichtig^len  Persönlidikeiten,  die 
solche  Uufer  nach  Hamburg  sandten,  hier  aufführen: 

1350  Graf  von  Schauniburg  (Schutzherr  von  liainburg),  1483  ein 

reiiendcr  und  zwei  andere  Boten. 
1350  Herzog  von  Lüneburg,   157  4  vereideter  Bote  Cristoffer 

Rorchmann. 
1350  Herzoe:  Wilhehn  von  Braunschweig. 

1350  Herzog  von  Sachsen,  1352  Mcrzog  von  Sachsen  (der  allere), 
1371  Herzog  Wenzel  und  Herzog  Albert  von  Sachsen. 
1579  vereideter  Bote  Valentin  Weidener  aus  Dresden. 

135  7  Graf  von  Hoya. 

1370  Herzogin  von  Schleswig. 

1370  Herzog  von  Schwerin.   1583  reitender  Bote; 

1371  Oraf  von  Oldenburg. 
1386  Königin  von  Norwegen. 

(Die  Rechnungen  von  1388  bis  1460  sind  verbrannt) 
1467  Markgraf  Emst  von  Meißen. 

1472  Markgraf  von  Brandenburg.   1528  reitender  Bote, 

1473  Heizog  von  Burgund. 

1474  Qrlfin  von  Ostfriesland. 
1474  König  von  Dänemark. 

Wenn  auch  die  Zahl  dieser  Boten  nicht  unbedeutend  war, 
so  liegt  doch  auf  der  Hand,  daß  der  Hamburger  Rat  sich  mit 

»)  1351:  nuncio  episcopi  I.ubicensis  3  /f  -  m-^I  :  nuncio  doinli.i  ri  tfridi  episcopi 
Bremeniis  3  ß.  -  1371/2:  nnndo  rpi&cupi  Verdeosis;  nuncio  domini  archiqjiKopi  Brcmcasis. 
-  1374:  10/?  nuncio  domin i  q)iscopi  Osiitensis.  >  14»:  l/TcanorlcplaeoplOHMbnigaiilt. - 
M74:  8  ß  cnnori  «rchicpiscopi  Trcvcrcnsis. 

*)  146S:  4  ^  12  ^  in  4  flotcois  Rcncnubu  datU  Muco  conort  |Mpe  id  por- 
tandum  certas  IHkrat  d  proccww  ta  cmt  Tibbclieii  Wlfm  et  AmoMl  de  Hegdk  «cnat 
Romanua  oiriaai. 


Digitized  by  Google 


HamlNiiieer  Verltdiiswcscn  bis  zur  Milte  des  17.  Jahrliitnderis.  315 


denrtig!en  Oelcgenheitsbefördeningieii  durch  fremde  Läufer  nicht 
begnfigien  konnte,  sondern  eigener  Einrichtungen  für  den  Brief* 
verkehr  bedurfte. 

Die  Entwicklung  des  Verkehrswesens  in  den  Sadten  ist 
wahrscheinlich  in  der  Weise  vor  sich  gingen,  daß  ursprünglich 
die  gewappneten  Diener  zu  den  Botenreisen  verwendet  wurden, 
daß  man  schließlich  dnen  oder  mehrere  von  ihnen  vorzugsweise 
zu  diesem  Zweck  heranzog,  und  daß  endlich  feste  Uuferstellen 
eingeriditet  wurden.  Idi  habe  bis  jetzt  nicht  ermitteln  können, 
wann  derartige  Uufer  zuerst  in  den  Städten  angestellt  wurden; 
vermuüfch  wird  es  auch  nie  gelingen,  diese  Frage  zu  lösen,  wdl 
Stadtrechnungen  aus  jenen  Üten  fehlen.  Im  14.  Jahrhundert 
waren  städtische  Boten  in  vielen,  wahrscheinlich  in  allen  be- 
deutenderen Städten  angestellt  Für  Hamburg  ist  es  sogar  mög- 
lich, eine  Lauferstelle  schon  im  Jahre  1258  nachzuweisen.  In 
dem  Stadterbebuch  (Liber  aclorum  coram  consulibus  in  resignatione 
hereditatum  de  anno  1248)  befindet  sich  unter  dem  Jahre  1258 
tolgende  ßuchuiig: 

«Nos  consules  resignavimus  Borghardo,  nundo  nostro, 
aream,  quam  habuit  Gerricus  camifex,  in  perpetuum,  tali  inter- 
posita  condicione,  quod  aniuiatim  solvat  de  ipsa  area  tres  iiiarcas 
denariorum ;  si  autem  ipsam  predictam  domum  vendere  conügent, 
nobis  consulibus  primo  exibebit." 

Diese  Eintragung  ist  durchstrichen.  Im  Jahre  1265  lautet  ein 
anderer  Posten:  »Dominus  Lodewicus  tenetur  Borchardo,  servo  con- 
sulum,  XL  et  VI  marcis,  pro  quibns  pobuit  ei  hereditatem  suam 
in  twigetha,  iuxta  Heinricum,  qui  dicitur  ledege,  quos  solvet 
Feliciani.«  Borchard  wird  hier  zum  Unterschied  von  einem 
Manne  gleichen  Namens  (Olwardi  filius)  ausdrücklich  «scrvus 
consulum"  genannt. 

Hierzu  ist  folgendes  zu  bemerken. 

ist  so  gut  wie  zweifellos,  daß  r.nuncius  noster"  und 
»servus  consulum"  sich  auf  eine  und  dieselbe  Person  beziehen. 
Borchard  war  nicht  ein  Beamter,  der  als  Beauftragter  des  Rats 
zu  reisen  pflegte,  sondern  ein  gewöhnlicher  Stadtdiener,  ein 
Läufer.  Das  Haus,  denn  um  ein  solches  handelt  es  sich,  wie 
das  Wort  »domus*  als  Ergänzung  zu  »area«  txweist,  sollte  dem 


Digitized  by  Google 


316 


Alfred  Karil. 


Boten  verkauft  werden,  aber  mit  einer  Hypothek,  oder  vielmehr 
einer  Grundrente,  und  mit  einem  Vorkaufsrecht  der  Stadt  be- 
lastet bleiben.  Die  Übei]g;abe  »in  perpetuum«  spricht  gegen  die 
Annahme,  dafi  das  Haus  etwa  eine  Dienstwohnung  ffir  den 
Läufer  gewesen  sei;  denn  in  solchem  Falle  würde  die  Ober- 
weisung des  Grundstocks  vermutlidi  nicht  länger  als  auf  Lebens- 
zeit geschehen  sdn>) 

Bis  zum  Jahre  1350,  mit  dem  die  Hambuiger  Kbnmerei- 
redinungien  beginnen,  fehlen  weitere  Nachrichien  Qt)er  die 
städtischen  Utufer.  In  diesen  Rechnungen  jedoch  fhidet  man 
wichtige  AufecbIQsse  Otxr  das  Hamburger  Veilcehrswesen.  Leider 
ist  eine  größere  Zahl  von  Ausgaberechnungen  bei  dem  großen 
Brande  (1842)  durch  Feuer  vernichtet,  und  die  von  Schräder 
Uiid  Laurent  gefertiutca  AuszÜL^e  enthalten  wenig  Angaben  über 
diesen  kulturgeschichtlich  hoch  bedeutsamen  Gegenstand.  Die 
Lücken  in  meiner  Darstellung  für  die  Zeit  von  1351  -  1369, 
1388-  1460  und  1  501  -  1  521  sind  hierauf  zurückzuführen. 

Während  in  anderen  Städten  die  amtliche  Eigenschaft  der 
Boten  manchmal  in  den  Hintergrund  trat,  waren  die  Hamburger 
Läufer  einzig  und  allein  Beamte  der  Stadt.  Allerdings  hat  der 
Senat  die  Benutzung  seiner  Verkehrseinrichtungen  nicht  nur  ge> 
duldet,  sondern  sogar  begünstigt;  wahrscheinlich,  um  den  Bolen 
einen  Nebenerwerb  zu  ermöglichen. 

Die  Heranziehung  der  städtischen  Läufer  fOr  die  Zwecke 
von  Privatpersonen  ist  in  folgenden  Fällen  nachweisbar. 

In  dem  Handlungsbuch  des  Video  von  Qddersen  befindet 
sich  eine  wahrscheinlich  aus  dem  Jahre  1375  herrOhrende  Ein- 
tragung, die  nur  in  diesem  Sinne  ausgelegt  werden  kann.  In 
einem  Verzeichnis  der  Teilzahlungen,  die  ein  Salzv.cdeler  liuigei, 
Beneke  Maken,  auf  eine  Schuld  leistete,  wird  nämlich  erwähnt: 

»item  dedit  1  m  quam  dedit  Oheriaco  qui  [est]  servus 
dominorum  nostrorum.« 

Dieser  Gerlach  ist  zweifellos  der  Hamburger  Ratsläufer 
Oherlacus  Oldenborch,  der  von  1370-1378  in  einer  Botenstelle 

>)  Laurent,  Aachener  Stadtredinungcu  aus  dem  14.  Jahrhundert,  S.  38S,  22.  1391  :  dt 
neiste  darby  hat  Leonart  der  tieede  knddit  lad  En  ad  mpi  ftvctt,  as  laofle  Ine  lefft 
(variier  Jilirlidic  Reatc). 


Digitized  by  Google 


Hamburger  Verkehrswesen  bis  zur  Mitte  des  1 7.  Jahrhunderts.  317 


beschäftigt  wurde.  Hieraus  folgt,  ciaß  die  Ratsboten  auch  für 
die  Kaufleute  Aufträge,  so^r  Geldbeforderung  übernahmen 

Selbst  im  Jahre  1  549,  also  zu  einer  Zeit,  wo  genügend 
sonstige  Gelegenheiten  zur  Absendung  von  Briefen  vorhanden 
waren,  ließ  der  Senat  von  Privatleuten,  die  den  städtischen  Boten 
Andreas  Stössel  für  ihre  Rechmm^^  ntif  Reisen  geschickt  hatten, 
den  Botenlohn  einsammeln,  ein  Beweis,  daß  er  gioz  mit  dieser 
Nebentätigkeit  einverstanden  war.') 

In  der  Regel  aber  waren  die  städtischen  Läufer  nicht  nur 
voll  beschäftigt,  sondern  man  mußte  außerdem  zahlreiche  andere 
Personen  im  Botendienst  verwenden.  Zuerst  waren  dies  sonstige 
Stadtdiener,  später  besonders  fOr  diesen  Zweck  angemietete 
selbständige  Boten. 

Die  Zahl  der  eigentlichen  Uufcrstellen  wechselte  im  Laufe 
der  Zeit  1350-1369  bestamd  nur  eine  Stelle,  1370-1378 
waren  zwei  vorhanden,  1379-  1387  eine,  1461-1500  zwei, 
1522-1533  zwei,  1534-1538  drei,  1539-1546  zwd,  1547 
vier,  1 548  - 1620  zwei.  Koppmann  bezeichnet  die  beiden  Läufer 
Hehmann  und  Westhof  audi  nach  dem  Jahre  1547  als  cursores; 
sie  waren  jedoch  zu  diesem  Zeitpunkt,  welcher  durch  nur  vor- 
läufige Vermehrung  der  Stellen  als  Übergangszeit  gekennzeichnet 
wird,  Hausdiener  geworden,')  Dies  kann  durch  den  Wegfall 
einer  Gehaltserhöhung,  wie  sie  den  anderen  Boten  bewilligt  wurde, 
vorzugsweise  aber  durch  die  vom  Jahre  1563  ab  genauere 
Buchung  nachgewiesen  werden.*) 

Die  Läufer  erhielten  ein  festes  Gehalt  von  der  Stadt,  welches 
in  vierteljährlichen  Raten  -  Ostern,  Johannis,  Michaelis,  Weih- 
nachten -  gezahlt  wurde.  Bis  zum  Jahre  1387  betrug  es  4  Ä*, 
wurde  zwischen  1388  und  1461  auf  8  9t,  1556  auf  16  §  und 
1557  auf  32  ff  erhöht  Derartige  plötzliche  Steigerungen  um 
400  Prozent,  wie  sie  von  1555  bis  1557  stattfanden,  mfissen  be- 

•)  1549:  1  ^  11  /I  collata  ad  merctdttu  Andre«  Stoesscl  missi  per  alius  in  Labekam. 
1)  a.  I.  O. 

i|  In  ckn  Verxddmimn  de»  Silbergoduncides  der  Huabtus^  Kinuaerd  vcrdcn 
«Uber  lS6t  ttnd  iS7t  nar  .t  tBlmu  bid«  tan«"  aufgeführt. 

*)  \'nn  dt  ab  »erden  Heitmann  und  Westhof  ausdrficklidi  Hausdiener,  Stunnann 
und  Stoessel  ab  Boten  aafgezetchod.  Übrigens  wurden  in  Hanibuig  dte  Boten  auch  nicht 
zur  Reinigung  der  Plätze  nad  nr  Mistabfuhr  herangezogen  (I55i :  1  ^  12  ß  pro  cerevista 
cbibita  in  pui^tione  fori  equomin  soluta  Henningo  Hdtnini ;  3  g  9  ^  pra  devdicndts 
•iercorUn»  e  moote  donata  Henningo  Heitnun). 


Digitized  by  Google 


318 


Alfred  Karli. 


sondere  Ursachen  gehabt  haben,  die  vielleicht  auf  einen  Wegfall 
sonstiger  Nebeneinnahmen  hindeuten. 

Außer  dem  Gehalt  bezogen  die  Boten  entweder  freie  Woh- 
nung oder  einen  Mietezuschuß,  der  sich  ursprünglich  auf  etwas 
mehr  als  ein  Drittel  des  Gehalts  belief  (1^4^.  Bei  der  Er- 
höhung: der  Besoldung  auf  8  V  stieg  das  Wohnunja^sgeld  auf  die 
Hälfte,  um  später  (1556)  wieder  auf  ein  Viertel  des  Gehalts  zu 
sinken,  interessant  ist  übrigens,  daß  der  Ausdruck  ». Wohnungs- 
geldzuschuß" des  modernen  Beamtenrechts  in  den  Kammerei- 
rechnungen des  15.  Jahrhunderts  schon  in  wortgetreuer  Über- 
setzung -Sübsidium  hure"  vorkommt. 

tine  besondere  Vergütung  von  7V9  V  5  ß  erhielt  der  Läufer 
Sturmann  im  Jahre  1560  »ad  solutionem  hurae  domus  suae«. 
Die  übliche  Mietsentschidigung  wurde  neben  diesem  Betrage  ge- 
währt. Auch  war  eine  ausdnickliche  Genehmigung  des  Senats 
notwendig  (jussu  consulum).  Der  Ausgabeposten  ist  nicht  ohne 
weiteres  verständlich.  Solutio  hat  den  doppelten  Sinn  »Auflösung* 
[hier  schwerlich !  D.  Red.]  und  »Bezahlung«,  die  letztere  Bedeutung 
ist  unwahrscheinlich,  weil  der  Bote  zur  Entrichtung  seiner  Miete 
ja  den  WohnungszuschuS  erhielt  Wenn  Sturmann  aber  das 
MielsverhAltnis  lösen  sollte,  und  die  Kosten  dafür  vom  Senat 
getragen  wurden,  vielleicht,  weil  er  näher  am  Rathause  wohnen 
sollte,  so  hätte  man  ein  Beispiel  der  Entschädigung  ffir  doppelt 
giezahlte  Wohnungsmiete^  wie  sie  heutnitaigie  bei  Versetzung  von 
Beamten  dem  Staate  zur  Last  fillli  Man  sieht,  es  ist  eben  alles 
schon  dagewesen! 

Unter  Umstanden  bestritt  die  Stadt  die  Ausgaben  für  die 
Beerdigung  der  Läufer,^)  in  einem  Falte  wurde  auch  ein 
Teil  der  Kosten  des  Begrittmisses  eines  fremden  Boten,  den 
der  Tod  auf  Hamburger  Gebiet  ereilt  hatte,  durch  die  Stadt- 
kftmmerei  enhichtet*) 

Die  Lftufer  wurden,  elienso  wie  alle  flbr^en  Mitglieder  der 
lUilsdienerschaft  (familia),  fOr  slldtische  Rechnung  gekleidet 
Die  Farbe  des  Tuches,  ursprQngllch  grau,  wedtselte  im  Lauf  der 

I)  1386:  14  Elcro  ad  temm  H«delrrie,  qu&ndo  in  reditu  fuit  sabmersus.  -  33^ 
|VIO  foneralibus  Ekri  cursoris. 

1477:  t%^9fi  Wtchmaoao  VM  der  Vedile  in  nMdivai  pro  aqmltnni OhcnuxU 
cnnorit  pwraitonm  hnm  Thcntoiiice  in  Bncfit  loMcalhnn  lile  ddtanetf. 


Digrtized  by  Google 


Hambiu^er  Verkehrswesen  bis  zur  Mitte  des  1 7.  Jahrhunderts.    3 1 9 


Zeit;  im  1 5.  Jahrhundert  wurde  rotes  und  graues  Tuch  getragen.*) 
Da  21  Stücke  Tuch  rote  und  nur  4  graue  Farbe  zeigten,  so  war 
der  überwiegende  Bestandteil  der  Kleidung  rot.  Jedenfalls  ist 
das  Verhältnis  der  beiden  Mengen  derartig,  daß  eine  Zwei- 
teilung der  Farben,  wie  sie  von  Ennen  für  Ki)ln  behauptet 
worden  ist,  in  Hamburg  so  gut  wie  aiistjcschlosscn  erscheint. 
Vom  Jahre  1528  ab  erhielten  die  reitenden  Diener  (faniuli  equestres) 
besondere  Kleidung  fürSoninicr  und  Winter;  die  Läufer  scheinen 
demnach  die  gleiche  Tracht  während  des  ganzen  Jahres  bei- 
behalten zu  haben.  Später  (1  563  -  1620)  zahlte  man  ihnen  je 
10  Mark  -  eine  X'icrtcijalirsbesoldung  -  für  ihre  Kleidung  und 
gab  ihnen  außerdem  1  m  8  für  2  Ellen  Hornschen  Tuches. 
Im  Jahre  1540  wurden  für  46  Ratsdiener,  jedenfalls  auch  für  die 
Läufer,  Kleider  von  außergewöhnlicher  Ausstattung  geliefert,  jedoch 
wurde  daran  die  Bedingung  geknüpft,  daß  hieraus  nicht  etwa  ein 
Gewohnheitsrecht  abgeleitet  werden  dürfe.*)  Einigie  Betrflgie  für 
die  Kleidung  des  Läufers  Elents  van  der  Bulkow  in  den  Jahren 
1380,  1383  und  1384  stimmen  nicht  ganz  miteinander  überein 
{2^  4  27«  ^);  es  wurde  also  damals,  wie  es  auch  in  Aachen 
geschah,  noch  die  Kleidung  oder  das  Tuch  dazu  geliefert  während 
spAter  in  der  Hauptsache  nur  entsprechende  Barbeträge  vergütet 
wurden/*)  Für  Scbufaweric  bewilligte  die  Stadt  vom  Jahre  1461 
ab  einen  Betrag  von  5,  später  von  8  ß.  Ob  die  Boten  gerüstet 
waren,  geht  aus  den  Rechnungen  nicht  hervor.  Die  Läufer 
trugen  das  im  MittelaUer  und  noch  in  späterer  Zdt  allgemein 
fiblicfae  Botenateeichen.')  Es  bestand  im  14.  Jahrhundert  aus 
Leder  und  wurde  an  einem  Riemen  um  den  Hals  gefangen.*) 
Das  hierzu  verwendete  Leder  wurde  besonders  zubereite^*)  ver- 
mutlidi  geglättet,  dann  mit  dem  Wappen  der  Stadt  bemalt^  und 
endlich  gefunißi^  Die  Ausführung  des  Wappens  war  anscheinend 

•)  1490:  tfi9      pro  21  pannis  colorttls  rabds.   14  ^  16  /?  pro  4  paT  ri  j  ^^rysds 
Valsradrnsibus. 

■)  69     pro  factnra  famnlonim  equestrium  et  alioram  ministroruin  civitatis  46  vcs- 
q:iuc  fcspectu  colorts  in  manids  insati  cMoB  Jwta  «ontai  hK  vlee  tolaül  iml^  Hb 
tenci  M  posthac  in  consaetadiacm  ac  jns  vocdnr  ac  convertattir. 

*)  1547:  5  S  12    pro  Tcsttto  annJ  4«  soltita  Andree  Stosel  tabdiario  nostro. 

*)  \  g"   K'arll  a.  a.  O.  S.  89  ff .  (DarU  ^nmg  sc;:ier  Ansicht,  diii  die  Bezeichnungen  für 
die  Bricfbehilter  zu  solchen  für  die  Abzeichen  geworden  sind.  D.  Red.)  U72:  2  ß  pro 

breefvath  unde  remen.  ^  1 3S3 :  8  ^j^  ad  pret^>anifldiim  breefvat  0  1367:  ddem  (Bertnuaoto 
pictori)  4  ß  pro  dqiictione  des  breefvathes  Oherlaci  cnnoito.  1373:  BcrtimiiBO  pklori 
t    vor  cn  brehrath  itode  zadelvathe  to  fomissende. 


Digitized  by  Google 


320 


* 

Alfred  Karil. 


besondeis  kflnsflcrisdi,  da  der  AUdermetster  diese  Arbeiten  (auch  das 
Firnissen)  stets  persönlich  ausfähren  mußte,  während  man  z.  B. 

das  Firnissen  der  Bilder  am  Millemtor  seinen  Gesellen  überließ. 

Im  IS.  Jahrhundert  hatte  man  statt  der  l.ederabzeichen 
silberne  Schildchen  eingeführt.*)  Sie  trugen  ebenfalls  das  Wappen 
der  Stadt;  dasselbe  wurde  jedoch  wahrscheinlich  besonders  an- 
gefertigt, auf  dem  silbernen  Schild  angelötet  und  das  Ganze,  an 
einer  Kette  befestigt»  an  der  Brust  getragen.*) 

Außer  den  eigentlicfaen  Läufern  eilitelten  auch  di^enigien 
Glieder  der  Ratsdienerschaft,  die  im  Auftragje  des  Rats  aushilfs- 
weise zum  Briefbeförderungsdienst  herangezogen  wurden,  ähnliche;, 
aber  einfacher  hergestellte  Abzeichen.  Dies  war  z,  B.  der  Htthner- 
vogt  (advocatus  puUorum),  dessen  Abzeichen  (vexillum)  aus- 
drüddich  erwähnt  wird.  Im  15.  Jahrhundert  war  eine  größere 
Zahl  von  Botenabzeichen  im  Qebraudi:  1467  ist  von  10,  1477 
von  21  und  1495  sogar  von  zwei  Dutzend  die  Rede.')  Schon 
der  geringe  Betrag  von  1  ^'  \4  ß  für  24  Stück,  wonach  jedes 
davon  noch  nicht  1 7«  ^  kostete,  während  im  Jahre  1488  für  die 
Änderung  eines  silbernen  Abzeichens  2  15  ß  gezahlt  wurde, 
weist  darauf  hin,  daß  diese  Aushilfsstücke  nicht  aus  edlem 
Metali  hergestellt  waren. 

Für  die  Läufer  des  Königes  von  Dänemark  wurden  ebenfalls 
von  dvJ  Stadt  silberne  Botenab/eichcn  beschafft.  Dies  geschah 
zum  erstenmal  im  Jahre  1461,  wahrscheinlich  aus  Anlaß  der  im 
vorhergehenden  Jahre  erfolgten  Anerkennung  des  Königs  als  Graf 
von  Holstein.*)  Da  zu  dieser  Zeit  nur  zwei  Läufer  in  Hamburg 
angestellt  waren,  dagegen  3  Abzeichen  mit  dem  Wappen  bemalt 
wurden,  kann  es  sich  nur  um  die  Boten  des  Königs  handeln, 
obwohl  die  Buchung  der  Kämmeieirechnung  dies  nicht  aus- 
drücklich erwlhni    Sonst  müßte  man  in  der  Anwendung  des 

*)  14B1 ;  3  £  Oiderico  Rezen  ex  parte  pixIdU  argcntee.  -  UM:  2  S  pro  re> 
fonmtloM  Cttjwdm  pixldis  argoitee  pro  cnnoribu.  ->  t49S:  10  ß  ptetoil  pro eoHi cHpeb 
tfucnlentibtu  canortbus. 

>)  t6l3:  Vor  dnc  badenbu&sc  Dirig  Utenoark  bm  Vor  dat  wapen  3m  7^. 

Vor  de  Kcde  tmitß. 

<  fi  pi«. . . .  «t  dccen  «vis  püddalttmi  mwcionua;  2^4^  Hinrico  FoniElioff 
pro  S1  pfaridfbas  dcpieSc  com  «mtt  dvltafit  id  «Mm  cnnonnn ;  i  ^  i4  ^  pro  2  donya 
ptsidun  dnervicntium  pro  cursoribus. 

4)  1461 :  1  ^  Jolumni  Bornoiuuuie  pro  tribus  pixidibo«  aim  annu  regis  Dank  sd 
BMUD  cortonun. 


Digitized  by  Google 


Hamburger  Verkehrswesen  bis  zur  Mitte  des  1 7.  Jtfarhunderts.   32 1 


königüchen  Wappens  eine  AufmerknmlceU  gegtn  den  Fflisten 
erblicken  oder  aber  annehmen,  daß  man  einen  besonderen  Zweck 
damit  verfolgte.  Denn  im  Juhre  1533  wurde  für  einen  dinisdien 
Boten,  der  mit  Briefen  des  Königs  zugunsten  der  Stadt  nach 
dem  Kunmergericht  reiste,  ein  besonders  Icostbares  silbernes  Ab- 
zeichen mit  dem  Icöniglidien  Wappen  für  Rechnung  Hamburgs 
angesdiaffL*)  In  diesem  Jahre  fimd  Obrigens  ein  hodioffizieller 
Besuch  des  Königs  in  Hamburg  statt,  mit  dem  die  Absend  110^^ 
des  Boten  zweifellos  in  Zusammenhang  steht.  Der  Betrag  von 
19  ^  16  p'  lur  das  Abzeichen  ist  auffallend  hoch,  spielt  aber  bei 
den  sonstigen  Riesensummen,  die  der  Besuch  verschlang,  kaum 
eine  Rolle.  Im  Jahre  1527  wurden  für  ein  anderes  Abzeichen 
für  die  dänischen  Boten  nur  2  h  1 5  gezahlt.'-)  Aus  der  Form 
der  Buchung  in  der  Kämmereirechnung  scheint  mir  hervorzu- 
gehen, daß  dieses  Abzeichen  in  Hambüren  aufbewahrt  und  den 
Läufern  des  Königs  von  Dänemark  übergeben  wurde,  w'enn  sie 
Aufträge  im  Interesse  Hamburgs  auszuführen  hatten.  Wäre  das 
nicht  der  Fall,  so  wurde  der  Kämmerer  nicht  den  Singular  »pro 
pixide"  mit  dem  Plural  «nuntiorum  regis"  verbunden  haben.  Diese 
Verwendung  von  Abzeichen  mit  dem  Wappen  eines  Fürsten  zum 
Zweck  der  Empfehlung  einer  Stadt  habe  ich  in  anderen  Orten 
bisher  nirgends  gefunden. 

Oldch  allen  fibrigen  Stadtdienem  waren  die  Hamburger 
Läufer  vereidigt  Die  föimmereirechnungen  geben  hierQber  erst 
im  Anfang  des  1 6.  Jahrhunderls  Auskunft,')  es  ist  aber  zweifellos, 
daß  dieser  Brauch  weit  älteren  Datums  ist  Die  älteste,  noch 
vorhandene  Eidesnorm  stammt  aus  dem  Jahre  1 608.  Der  Eid 
wurde  in  feierlicher  Senatssilzung^)  abL;eleistet  und  liatle  folgende 
Fassung:  «Ick  lavc  und  schwere  tho  üodt  dem  Almechtigen,  dat 
ick  einem  Erbaren  Rahde  und  dusser  Stadt  wil  trövv  und  holt, 
und  des  Rahts  und  der  Borger  tröwer  und  williger  dener  sin, 
tho  water  und  tho  lande,  und  wat  mi  vam  Rade,  oder  van  wegen 
des  Rahdes  t>efahlen  wirt,  uththorichtende,  bi  nachte  oder  bi  dage, 

1)  1S38:  19  £  16  /f  pro  signo  argenteo  dondni  regis  Danie,  qood  gestahit  lllld* 
larius  missus  cum  littcfit  In  Inwm  dvitati«  ad  jwUchna  cuane  inpcriali«  «  regte  m 
inajciUte  acripti». 

^  1S27: 2  S  ISilMliitalNridtOitoipp  pro  piiMe  nontioniin  regis  et  priadph  mttri. 
9  1SM:  1  S  11  ^  LttdSdoo  m«tk>  Jwito ...       ^  in  pleno  MBatn. 

Afcblv  fflr  KnMnuetdikMe.  V.  21 


Digitized  by  Google 


322 


MUrd  KarlL 


dat  ick  bi  demsulvcn  gdrewHch  und  uprichiig  handelen  will;  wil 
odc  den  brache^)  mit  allen  flüe  innuhnen  und  darbi  kdn  under- 
achleuf  gebniken,  sondern  redüicfa  und  uprichiig  darmit  handelen; 
wen  ick  ock  van  w^gen  eines  Erbarn  Rades  badenwis  werde 
vorschicket»  wil  ick  meine  anbeislene  gewerwe  getrewlich  vor- 
richten, mine  anbefalene  breve  mit  Site  bestellen  und  nha  aller 
mogelicheit  mi  damha  richten,  dat  ick  foidolich  wedder  tho 
husz  gelangen  und  minen  heren  bescheit  einbringen  möge,  und 
sunsten  alles  dohn,  wat  einem  getreuwen  dener  und  baden  tiio- 
behoret.    Alsz  mir  Gott . . .  .« 

Die  Form  des  Eides  ist  so  s^ehalten,  daß  er  auch  von  den 
übrigen  Gliedern  der  Ratsdienerschaft,  die  außer  den  l-äufern  zur 
Verrichtung  von  Botendiensten  herangezogen  wurden,  abgeleistet 
werden  konnte.  Da  nun  seit  dem  Ende  des  15.  Jahrhunderts 
eine  solche  Mitwirkung  fast  niemals  eintraf  sondern  selbständige 
Boten  zur  Aushilfe  verwendet  wurden,  so  muß  die  vorstehende 
Fassung  des  Eides  aus  einer  bedeutend  älteren  Zeit  herriihren 
als  diese  Protokollierung. 

Gleich  den  flbrigen  Ralsdienem  bezogen  die  Läufer  im 
falle  der  Dienstunföhigkelt  ein  Ruhegehalt,  welches  nach  der 
Dauer  der  Dienstzeit  abgestuft  gewesen  zu  sein  scheint  Wenigstens 
betrug  die  Pension  des  Läufers  Herbert  (1370)  ein  Vierte!  des 

früheren  Einkommens,  während  sich  bei  dem  Boten  Ludolf  Meyger 
in  den  Jahren  1479  bis  1484  das  Verhältnis  wie  5:2  stellte. 
Die  Zahlung  von  Ruhegehältern  kam  nicht  häufig  vor,  \veil  die 
Läufer  m  andere,  besser  besoldete  Stellen  aufrückten  oder  wenigstens 
einen  minder  anstrengenden  Posten  erhielten,  den  sie  bis  ans 
Lebensende  versehen  konnten.  Das  Verhältnis  des  Hamburger 
Senats  zu  seinen  Beamten  war  jederzeit  ein  überaus  wohl- 
wollendes; die  Beamten  haben  nie  über  unzurdchende  Bezahlung 
zu  klagen  gehabt 

Auch  sonst  bei  Kiankheiteui  besonderen  Ldshingen  usw. 
gab  man  gern  und  reichlich,  ebenso  wie  man  eine  fast  zu  offene 
Hand  fOr  Zigeuner,  Invaliden  aus  Portugal,  ffir  Kämpfer  aus  den 
Tflrkenkriegen  und  andere  Bettler  hatte.  Die  Vergütungen  an  die 

1)  Die  Steife. 


Digitized  by  Google 


Hamburger  Verkehrswesen  bis  zur  Mitte  des  1 7.  Jahrhunderts.  323 


Boten  waren  verschiedener  Art;  teils  wurden  sie  für  Fastnachts- 
mahlzeiten,  tür  besondere  Aufträge/)  iiriLjewöhnliche  Anstrengungen 
auf  der  Reise,*)  für  Verluste  untenvegs,*)  teils  für  Rippenbrüche 
im  Dienste  der  Stadt,*)  sonstige  Verletzungen*^)  und  Kranklieiten*) 
gewährt.  Die  Unterstützungen  nahmen  bei  schwereren  Krank- 
heiten eine  beträchtHche  Hohe  an;  der  Bote  Stoessel  z.  B.  erhielt^ 
als  er  bettlägerig  war,  i  'tt  2  ß,        ^2  ß  und  24 

Den  Boten  drohten  auf  ihren  Reisen  mancherlei  Gefahren. 
Nicht  immer  waren  es  nur  Naturereignisse  wie  z.  B.  die  Über- 
schwemmung; die  dem  L&ufer  Elerus  van  der  Bnlkow  den  Tod 
bradite,  sondern  hauplsichliGh  der  StnBennub,  der  in  der  Ham- 
burger und  LQbedier  Gegend  in  geradezu  endirediender  Weise 
sein  Unwesen  trieb.  Wie  gewOhnlicfa  damals  die  Beraubung  von 
Uufem  war,  sieht  man  am  besten  daraus,  daB  die  Boten  ihrer- 
seits hiennts  Kapital  schlugen  und  eine  angebliche  Ausplünderung 
als  schätzbare  Einnahmequelle  zu  verwerten  wußten.  Die  Ham- 
burger KImmerer  waren  deshalb  recht  miBtnmisdi  und  setzten 
der  Eintragung  der  Entschidigungssumme  des  dfleren  einige  Worte 
hhizu,  weldie  die  Ohuibwfirdigkeit  des  Boten  in  einem  zweifel- 
haften Lichte  erachdnen  lassen.  Alle  Strenge  der  aufgebrachten 
Raisherren»  dte  im  Jahre  1464  sogar  46  grofie  Nägel  kaufen 
ließen,  um  die  Köpfe  der  Räuber  als  abschreckendes  Beispiel  an- 
zunageln,") die  sttndige  Obetwachung  der  Staaßen  durch  den 
Ausreitervogi  und  seine  Mannschaften*)  htelten  das  Gesindel  nicht 
davon  ab»  die  Warenzüge  zu  fltierfBllen  und  Tuch  oder,  was  sonst 


t>  1SM;  tfi  4ß  donrti  «ant  SimoBl  Stimn»  ad  fttfeHter  riU  «wiHiIwro  ofH- 

Cinn  CKSequendum. 

I)  1465:  t  fi  ddem  (Jobanni  Munster)  pro  laboribiu  itincrum. 

i)  imt  11  ß  Obertaco  im»  deiwtftit.  -  14M;  1«  ß  Cliteo  KaUiaffe  im  idm 

OnilMft,  quando  nii!5iif  ftiH  vtr^ii^  Magdcborgh. 

*)  H69:  1  «(t'  Tiderico  Resen  in  subsidium  mcdendi  cerlas  cosus  cx  tnalo  evntn  io 
Mgodo  dviUtii  lesas  et  fnictas. 

•)  1 S6S :  Noch  do  solvest  gevoi  Symen  Staennann  tho  behoff  synen  voedt  (FdB) 
tho  helcnde,  dar  he  feyl  an  gekregen,  do  he  van  Rades  wegen  na  Kopenhagen  was,  is  1  m. 

8)  1  373:  Oherlaco  i  m,  cum  infinnabatur  Lubeke.  -  H76:  16  /i  Tiderico  lopcr  ex 
mcU  tibi  in  cgritadioe  soa  donati.  -  (493:  10  ß  Oherd  Briacknminc  de  giatu  ad  in- 
flmUAlEBi  ^wi  Inddlt  fcfoMndmi« 

1)  1SS6:  3^2^  donata  sant  Andrea  Stosscl  nur.rtio  civli;iri-;  In  Ictto  dcaimbtntL 
1SS7:  1  S  fl  ^  4oMla  Mat  Andre«  StoMcl  nnncüo  egrotanti;  24  ^  »oluta  et  dooata 
AmInc  SIomcL 

»)  UG4:  2  ^'6/?  pro  46  cbvt^  niagnis  ow  iiMtbos  «tttn  flNrwrtcqiHaipolliton^ 

*)  T380  z.  B.  11  solche  Expedtüonai. 

21* 


Digitized  by  Google 


324 


Alfred  Karll. 


aui  den  Wagen  lag,  zu  rauben.^)  Der  Kampf  mit  den  Wege- 
lagerern, die  sich  zu  ganzen  Banden  zusammengeschlossen,  artete 
zeilweise  sogar  zu  einem  förmlichen  Kriege  aus;  In  einem  Falle 
dauerte  eine  solche  Unternehmung  länger  als  zehn  Jahre,  und  die 
Hamburger  wurden  mit  blutigen  Köpfen  heimgeschickt  -) 

Nicht  viel  be^r,  als  die  berufsmäßigen  Straßenräuber  be- 
nahmen sich  die  entlassenen  Landsknechte,  die  solange  sengend 
und  plündernd  im  Lande  umherzogen,  bis  eine  neue  Fehde  ihnen 
Gelegenheit  bot,  ihre  überschüssigen  Kräfte  anderweit  zu  ver- 
werten.^) Die  Überfalle  durch  Räuber^  denen  es  auf  einen  Mord 
mehr  oder  weniger  keineswegs  ankam,  sind  im  14.,  15.  und 
16.  Jahrhundert  an  der  Tagesordnung;*)  selbst  in  allernächster 
Nähe  von  Hamburg  waren  die  Boten  ihres  Lebens  nicht  sicher.*)  - 

Ein  richtige  Bild  von  dem  Umfang  des  Hamburger  ßrief- 
verkehrs  kann  man  nur  dawi  govinnen,  wenn  man  berücksichtigt, 
daß  außer  den  Läufern  noch  andere  Personen  im  Briefbeförde- 
nmgsdienst  verwendet  wurden;  denn  die  Zahl  der  eigentlichen 
Läufer  stand  in  keinem  Verhältnis  zu  den  wirklich  ausgefQhrlen 
Reisen.  Welchen  Um&ng  der  Briefverkehr  des  Hambutg^  Rates 
im  14.  Jahrhundert  angienommen  hatte,  g^ht  daraus  hervor,  daß 
von  Hamburg  1550,  1370  und  1371  98,  127  und  147  Bolen 
ausgesdiidd  wurden.  Dabei  mufi  beachtet  werden,  daß  die 
Hambuiiger  Ratsherren  im  allgemeinen  nicht  dazu  neigten,  un- 
nötze  Schreibereien  zu  veranlassen,  und  daß  natQrlicfa  die  Zahl 
der  Sendung^  größer  ist  als  die  der  Botengänge,  da  dem  Boten 
in  der  Regel  mehrere  Briefe  mitgegeben  wurden.  Der  größere 

i>  1469:  4 ß  NIooUo  Wtdmw  mi«o  «d  oqilonuulaai  cerim  npiom»  qiii  q^cndam 
CBimn  Lnbicsuciii  cnn  puntls  InvtMnutl«  Ab  co  ocrtot  imiiiot  iiplaiici> 

*)  1488;  35  4  ^  cetlis  nostris  wtelliiibus  pro  eorum  armis  et  aliis  divcrsis  rebus 
dqjcrüiUä  in  conflictu  habito  cum  Üunthcro  et  aliis  stratilatibus.  -  1  4  Nicoiao  van 
Smcrten  capitaneo  nostro  pro  certis  »rmis,  vtilgariter  Khenen,  deperdJÜ  hl  conflictu  cum 
Ounfbero  et  «Iii«  stnttlatibas.  -  I489  :  23  t»  ^  Hinrico  Aterndorpp  pro  divcrsis  vnl- 
«ertbot  reRdendli  et  refoniMUs«  vlddlod  anle  Ladenborgh,  Clawes  Jcgcr  ac  ClMcs  VM 
SMCrten  nostris  satellitibo«  vulneratis  supra  Wunnckenbrock  per  Qunther  et  suos. 

s)  1S60:  6  ^  pro  sumptibas  Friderid  Hoyers  et  aliquot  satellitum  emissoram  ad 
coercendos  lantzknechtios  nistids  in  pagis  vldnis  dam  na  inferrntes;  7  ^  pro  snmptu 
satelUbtm  emissoram  «d  explonmlos  ImtUknecbtk»  rastid«  in  pagis  vidnis  damu  inferoitcs. 

^  1374:  Martlao  de  Bnamik  t  m,  Flaadiiam,  AemtlelredMiime,  Slmtiutt  et  EmeAa, 
d  teil  qmUitat  in  via,  et  littene  fuerunt  sib!  abhte  -  '^74  nrierlaco  V)  ß  pro  ablatisifU 
fai  Frida.  —  1545:  i     iO  /f  cnidani  tabcllario  clectoris  Saxomac  spoliato.  -  u.  a.  m. 

»)  1537:  7  ^8/?  pro  predo  et  expensis  Dirici  Timmermans  tabellarit  mttsi  cum 
Hitils  aenatiis  ad  domiuun  mardiioncm  priadpem  dectorem  Brandeabargtinciii»  tpX  in 
nditn  prape  Deifentoq»  qioUabBlDr  et  adio  voliiBibiitnrt  qiiod  inde  acctperit  mortem. 


Digitized  by  Google 


HatnbuiiSer  Vcrkduswesen  bis  zur  Mitte  des  1 7.  Jahrhunderts.  325 


Teil  der  Reisen  ging  zwar,  wie  überall,  nach  den  benachbarten 
Städten,  es  kamen  aber  auch  weite  Reisen  vor.^) 

Neben  den  Laufern  wurde  noch  eine  oroliere  Anzahl  von 
Stadtdienern  auf  Reisen  geschickt,  denen  man  außer  ihrer  Amts- 
bezeichnung den  Titel  »cursor«  beilegte.  Dies  hat  Koppmann 
wahrscheinhch  dazu  veranlaßt,  den  Schiagbaumschheßer  Tymmo 
von  Bramstedt-)  unter  die  eigentlichen  Läufer  aufzunehmen.  Außer 
dem  schon  genannten  Hiihnervogt  rcisien  in  erster  Linie  dieser 
Baumschheßer,  ferner  der  Schreiber  und  der  Baumeister.*)  Sehr 
häufig  wurden  auch  die  reitenden  Diener  ausgeschickt  Der  Ge- 
legenheitsverkehr war  gering.*)  Die  reitenden  Diener  machten 
berittene  Briefboten  entbehrlich;  sie  fOhrten  noch  im  16.  Jahr- 
hundert weite  Reisen  aus,*^)  \nirden  aucii  wiederholt  dazu  ver- 
wendet, auf  der  Reise  begriffene  Läufer  unterwegs  zu  erreichen.^ 

Nachdem  die  Zahl  der  selbständigen  Boten  im  16.  Jahr- 
hundert mehr  und  mehr  gewachsen  war,  ging  man  dazu  Über, 
diese  in  weitgiehendstem  Maße  zur  Vermittelung  des  Briefver- 
kehrs heranzuziehen.  Die  zuverlissigslen  unter  ihnen  liefi  man 
später  in  die  Läuferstellen  einrücken,  ein  sehr  praktisches  Ver- 
fahren, da  es  so  niemals  an  sachkundigen  Bewerbern  fehlte.  Nach- 
weisbar gelir)rten  \'or  ihrem  Diensteintritt  die  Läuier  Pibtman, 
Heitman,  S/lobueni,  Maidelandl  und  Dethleits  zu  dieser  Klasse. 

Aber  auch  fremde,  auf  der  Durchreise  Hamburg  berührende 
Boten  l)esorgten  Briefe  für  den  Senat,  insbesondere  die  Lübecker 
Läufer  und  die  Boten  des  hansischen  Kontors  in  Brflgge^  die 

■ 

1)  13S0:  Hcynoni  Mauketbrod  12  ß  in  Frisiam.  -  1351:  Item  4  m  prcter  4 /f 
Marketbrodo  la  Hollandiam.  -  1358:  Petro  50/}  Amstelredamtne  et  Brabandam  ad  duoeai 
Hollandle.  -  13€1 :  Thiderico  10  ^,  cum  fuJt  Dordrad  (Dordredit)  et  stellt  in  illis  partibu» 
11  septimanis.  -  1365:  Hennekino  Hunrevoghet  4  §  8  /*,  versus  Flandriam,  tcrram  Wesl- 
taUe  cum  litteris  cesareis:  cidem  4  ft*  versus  Magdeborch  et  Pragam  u.  a.  m 

*i  19S5:  ad  vcsUtus  et  Tytnmonis  cursori»  et  boomslater  4  ^  2Vi^  t  «fc. 

13M:  (mricr  canera)  Beniardo  scriptori  tfi,-  19S7:  Aliwrto  mi^cltlro «Inwtai« 
3     versus  Oruverhorde. 

4)  1350:  cuidani  aniige  5  ß,  Steghe.  -  1474:  6  ß  uni  naate  pro  littera  transmissa 
cidem  comitisse  (Ostfrisie).  -  1S32:  i  bosmanno  ad  terram  Hadderie.  -  1539:  12  //  pro 
alario  nmte  mtei  cum  litteris  in  Haitioitii.  -  I60t:  Noch  einem  Kmttidier  vor  des  R«kt 
brew  4  oct  na  lfib[eck|  4 

»)  1S48:  61  >,  9  pro  sumptu  Mitthiac  Vinckm  f.iimili  equcstris  cum  litteris  in 
causa  maiedicti  Interim  misso  .id  cacsaieam  majestatcm  Augustam  U  indeltcorum.  -  1549: 
14  S  16  /:}  Ulrico  cum  literis  in  CopeiiliifUi  tannlo  cquestri. 

•)  1543:  6  ^4/}  Jodoco  Tilleman  revocanti  Albcrtum  tabelHonem  miszum  ad  re- 
ginam  Mariam.  -  1544:  12  V  pro  sumptu  Frantz  Raven  misso  x^rsus  Spiram  ad  obviandum 
Henainfo  caiwii  cm  miMimo  ctodofto  Swiortt 


Digitized  by  Google 


326 


Alfred  Kn« 


durch  ihren  amflidicn  Charakter  gienflgaide  Sicherheit  boten.*) 
Als  dinn  spSter  die  Hambui^ser  KaufmannsSltesten  eine  eigene 
Botenanslalt  gegrOndct  hatten,  vertraute  man  auch  dieser  die 
Briefe  an,  ohne  daB  damit  die  Absendung  der  RatsUufer  auf- 
gehört li&tte.  Leider  bissen  dte  Rechnungen  in  joier  Zeit  die 
einzelnen  Summen  vidfuh  zu  größeren  Betragen  zusammen,  wo- 
durch genaue  Feslsteliungen  unmöglich  gemacht  weiden. 

Die  Art  und  Weise  der  Berechnung  der  Botenlöhne  ist  in  der 
ilteren  Zeit  schwierig  festzustellen.*)  Vom  Jahre  1 563  ab,  wo  die 
Rechnungen  ausführlicher  werden,  erhielten  die  Llufer  ein  festes 
Meilengield  von  Sfi  und  eine  Oberlagergebühr,  deren  Höhe  in 
einzelnen  Orten  ungteich  war;  sie  betrug  täglich  Sfi  3  ^  in 
Speier,  Prag  und  Groningen,  4  ^  in  Bremen,  Bremervörde,  Emden, 
Hildesheim,  Lübeck  und  WolfenbOtteL  Der  Berechnung  wurden 
folgende  Entfemungstufen  zugrunde  gelegt: 

Von  Hamburg  nach  Bremen         15  Meilen 
«        »  y    Celle  17  » 

m        tf  n    Emden  30  n 

»        »  I*    Frederikshavn  46  » 

»        »  »    Lübeck  10  » 

MV  m    Prag  70  u 

»        w  m    Ritzebüttel      16  » 

mm  m    Speier  72  » 

»  Wolfenbüttel  24 
Um  Ubervorteilungen  seitens  der  Boten  zu  verhindern,  hatte 
man  angeordnet,  daß  sie  eine  Bescheinigung  über  die  Dauer  des 
Aufenthalts  am  Fkstiinmungsort  zurückbringen  mußten;  ein  solcher 
Zettel,  eine  Bescheinigung  des  Dr.  Bödelmann  aus  dem  Jahre 
1598,  ist  zufällig  erhalten  geblieben.^) 

1)  i9St:  nondo  LaMeensl  «crntt  ntndrlan  iß.  -  i373:  nundo  ddOManonui 

de  Bruggis  vcnicnti  de  I  utul-t  i  ^.  —  1462:  curscri  I  u!  icfnsi,  qul  ivil  vcflM  Bkhib. 
—  1  578:  dem  lübschen  badcii  l>etalt,  SO  nach  Haiborch  gcvcsoi  isth,  Im  *ß. 

*)  Eißgchoid,  auch  unter  Berücksichtigong  der  Hamburger  Verhiltnisse  babc  icb 
dioen  Ocscastaad  in  miner  Otntclfang  dn  AadMMr  VcritdmwMeiu  bto  am  Ende  <k» 
14.  Jahrhmidertt  bcfianddt. 

•)  Sic  lautet;  Von  den  Fliinvestcn,  Hochgelcrten,  Fürsii:h!i;;cn,  A  tiib.ui-n  v.nAi  Hoch- 
veisen  Herrn  Bui|{cindster  undt  Rhat  der  Sut  Hamburg  i&t  gegen  wcrtigcr  Bot  HaiisOeUof 
mit  schreiben  alm  Dcndbcn  Advooten  undt  ProkunUoren  haltend  den  28ten  Juny  alhier 
vol  ihnkoomcB«  wHlt  vi  dtto  fcsn  atend  vidcninb  ab^'rfrriirrt ,  auch  solches  sioet 
■imtlrilto  lad  «tfton  von  «ir»  Doktor  JoIubb  Bfiddinan.  ^e^^cfi«  trüge  UrUtund  ander 
mdacrliindtttbieiliilionUiBiBflnldktwonln.  Si|i»lMiii»|alyA»MJohttBOddiwnDr. 


Digrtized  by  Google 


Haxnbur|;er  Verkehrswesen  bis  zur  Mitte  des  17.  Jahrhunderts.  327 


Den  fremden  Boten,  die  Briefe  für  den  Rat  überbrachten, 

wurde  ein  Trinkgeld  gewährt,  das  im  i  4.  Jahrhundert  gjewöhnlich 
3  ß  betrug,  spater  aber  sehr  verschieden  war.  Ausschlaggebend 
für  die  Bemessung  derartiger  Vergütungen  waren  gewisse  Neben- 
unislande,  wie  die  Überbringung  einer  besonders  erfreulichen 
Nachricht,')  einer  Hochzeilseinladung,')  eines  Geschenks.^)  Wieder- 
holt bezahlte  man  die  Kosten  für  die  Verpflegung  der  von  Fürsten 
und  Städten  abgeschickten  Läufer.  Da  in  einem  derartigen  Falle 
die  Entschädigung  an  einen  Hambursrer  Roten  gezahlt  wurde, 
scheint  der  fremde  Laufe r  bei  diesem  abgestiegen  zu  sein;*)  bei 
anderer  Gelegenheit  wurde  die  Summe  an  eine  Gasthausbesitzerin 
entrichtet.'*!  Zuerst  kommt  die  Verausgabung  solcher  Verpflegungs- 
kosten im  Jahre  136  7  vor,  wo  ein  Bote  des  Kaisers  im  Oast- 
hause  untergebracht  uurde.^) 

Was  nun  die  Dienstverriditungoi  der  Hamburger  Ratsbotea 
anlangt,  so  bestanden  diese  zwar  in  erster  Linie  in  der  Beförde^ 
rang  und  Bestellung  von  Briefen,  Oeldem,  Akten  und  ähnlicher 
Gegenstände,  doch  wurde  im  Jahre  1376  der  Läufer  Qerlacfa  auch 
mit  der  Oberbringung  eines  Pferdes  betraut^  Aufierdcm  führten 
die  Bolen  gerichtliche  Ziiationen,  LoakQndigungen  von  Renten 
aus;  aberfaaupt  nahmen  sie  nebenbei  die  Stellung  eines  Gerichts* 
dieners  ein.  Deshalb  findet  sich  auch  in  der  Eidesformel  eine 
Bestimmung;  die  auf  diese  Tätigkdt  Bezug  nimmt  Eine  Henm- 
ziehttng  der  Boten  zu  Geriditsdiensten  kommt  nicht  nur  in 
Hambuig;  sondern  auch  in  anderen  Städten,  z.  B.  in  Aachen,  vor. 


i)  154S:  3  g  donata  tabelUrio  pro  evangelio  capSfltllit  tfad*  Bnmtvkensis  incen- 
diaiiL  Troiz  ikr  TroctenheU  der  Aanba  in  dca  Kianadndmniiai  qikgdt  lidi  dk 
SttnuBwic  der  Klnincnf  oft  rctht  deoHtdi  vlcdcf« 

*)  1SS5:  1 u  ß  donau  sunt  ntincio  dodt StWMiac declotla,  qoi  ilteltt  UienM,  ia 
q^bnt  scnattts  Invitabatur  ad  nuptias  casdem. 

*)  1S73:  einem  badm  Ourries  Moller,  wclck  van  Tonxas  N.  an  einen  Erb-  Radt  mit 
dm  bofee  gonlt. . .  tor  vorehringe  den  bidCD  iielkitf  4 m. 

•)  1531:  Vl^ß  Wessel  Becker  pro  sumptn  unius  curson's  Lnbirm«;?«. 

1545:  16     1  ^  pro  sumptn  cnrsoris  cicctoris  Brandenhurgen&it  toluta  Anne 

HiMlein. 

B)  1367 :  1     pro  MnptUn»  et  cxpcmdt  mmdl  domini  impentoris  ia  hoqiido  Hin» 

lice  Hoyseri. 

n  1376:  10/?  Ohcrlacü  curs^ri,  q«i  reduxif  illiim  cquum,  qui  fuit  Ics.i-  Ii;  :!!ri  rcy-.i, 
(ptando  captus  fuit  fur,  qui  furatratur  preposito  in  Utersten  2  eqaos.  Der  Bote  des  Kammer- 
ferichts  verkaufte  geicsentlich  ein  Pferd  als  Zugtier.  1S75:  den  28  may  hefth  der  Her  boi|^ 
aieisler  Her  Everth  Moller  dem  hejf»erljli«>  iuuBeftaden  afgeiwflii  qrn  pcrtii  for  dem  kaowr- 
«aceo,  leostet  10  daler,  ys  20  m. 


Digitized  by  Google 


328 


Alfred  Karll. 


Dort  gingen  die  Läufer  sogir  mit  den  Oeridilsdienem  durch  alle 
Wirtschaften,  um  Messeistechereien  zu  verhindern. 

Die  Boten  des  Hamburger  Rats  haben  ihre  TätiglGat  noch 
lange  Zeit  hindurch  ausgeübt  Für  den  allgemeinen  Briefverkehr 
der  Stadt  waren  sie  jedodi  hödistens  im  Mittelalter  von  Bedeutung. 

Wenn  der  Senat  seine  Läufer  gelegentlich  auch  dem  Publikum 
zur  Verfügung  stelUc,  so  konnte  eine  Benutzung  derartiger  Be- 
förderungsgelegenheiten im  16.  Jahrhundert,  wo  ein  lebhafter 
Briefwechsel  bestand,  unmöglich  allen  Ansprüchen  genügen.  Der 
Verkehr  sucht  sich  in  der  Regel  dem  Bedürfnis  aiizupassen. 
Daher  fanden  sich  Personen,  die  für  eigene  Rechnung  Boten- 
gänge auslührlen.  Diese  selbständigen  Boten  waren  im  1 6.  Jahr- 
hundert sehr  zahlreich,  ein  Beweis,  daß  die  Läufer  der  Städte, 
Korporationen  und  f-ürsten  allein  den  Briefverkehr  nicht  zu  be- 
wältigen vermochten,  und  daß  auch  die  sonstigen  zufälligen  Be- 
förderungsgelegenheiten nicht  ausreichten,  um  allen  Ansprüchen 
gerecht  zu  werden.  In  der  Literatur  des  Verkehrswesens  ist  man 
mit  diesen  selbständigen  Boten  sehr  übet  umgegangen.  Aus  einigen 
ungünstigen  satirischen  Versen  der  Zeitgenossen  ist  gefolgert 
woideHi  daß  diese  Boten  wenig  oder  gar  nichts  gelaugt  haben. 
Nun  ist  es  mit  solchen  Ergfissen  immer  eine  eig^e  Sache,  sie 
greifen  einzelne,  besonders  krasse  Fälle  heraus  und  fibeigehen 
das  Oute.  Venülgemeinert  man  dieses  Urteil,  so  erhält  man  ein 
völlig  verzerrtes  Zeitbild,  gerade,  als  wenn  man  sich  in  einem 
Hohlspiegel  betrachten  wfirde.  Diese  Boten  waren  aber  keines- 
wegs so  schlimm  wie  ihr  Ruf.  Das  beweist  am  besten  die  Tat- 
sache, daß  der  Hamburger  Senat  aus  ihnen  seine  Läufer  'wählte. 
Gebummelt  und  gestohlen  hat  mancher  Bote  gewiß,  aber  war 
denn  auch  sonst  alles  damals  eitel  Hingabe  und  Pflichterfüllung? 
Das  Gute  wird  totgeschwiegen,  das  Schlechte  getadelt,  das  liegt 
in  der  menschlichen  Natur. 

Leider  sind  aus  älterer  Zeit  über  die  selbständigen  Boten 
wenig  urkundliche  Nachrichten  erhalten.  Vorhanden  waren  sie 
im  15.  Jahrhundert  zweifellos,  im  14.  höchst  wahrscheinlich.*) 
Die  Hamburger  Kämmereirechnungen  sind  aber  nicht  ausführlich 

>)  K«rU  a. «.  O.  S.  104. 


Digitized  by  Google 


Hamburger  Verkehrsvesen  bis  zur  Mitte  des  17.  Jahrhunderts.  329 


genug,  um  daraus  bestimmte  SchlQsse  ztt  ziehen.  Hödistens 
könnte  der  Ausgabeposten;  „6  ß  cuidam  cursori  dati  versus  Utrecht 
iter  accipere  volenti"')  auf  einen  selbständigen  Boten  bezogen 
werden.  Wie  zahlreich  diese  Läuier  aber  schon  in  der  ersten 
Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  waren,  ist  daraus  zu  ersehen,  daß 
der  Senat  in  der  Zeit  von  1  537  bis  i546  nicht  weniger  als  34 
verschiedene  selbständige  Roten  zur  Briefbeforderung  verwendete. 
Natürlich  war  die  Zahl  selbst  noch  erheblich  höher. 

Die  bessere  Gelegenheit,  die  auch  tür  Privatpersonen  zum 
Austausch  von  Briefen  geboten  war,  wie  überhaupt  das  Bedürfnis 
nadi  dnem  brieflichen  Gedankenaustausch,  führten  zu  dieser  Zeit 
einen  regen  Briefwechsel  herbei.*)  Ein  Lübecker")  Einwohner, 
Mathias  Mulich,  erhielt  z.  B.  im  Jahre  1523  in  rein  privaten  An* 
gielegenheiten  28  Briefe.  Die  fieförderungszeit  solcher  Sendungen 
zwischen  Lübeck  und  NQrnbeig  betrug  damals  11,  14  und 
16  Tage^  im  Winter  in  einem  Falle  sogar  einen  vollen  Monat, 
was  aber  durch  besondere  Umstände  hervorgerufen  zu  sein 
scheint  Berfkcksichtigt  man,  daß  selbst  nach  Einrichtung  der 
Postverbindung  Hamburg- Köln  ein  Brief  bis  zum  Jahre  1645 
noch  9  Tage  gebrauchte,  um  von  Frankfurt  a.  M.  nach  Hamburg 
zu  gelangen,  so  wird  man  der  Leistung  des  Boten,  der  122  Jahre 
früher  den  Weg  zwischen  Nürnberg  und  Lübeck  in  11  Tagen 
zurücklegte,  Anerkennung  nicht  versagen  dürfen. 

Die  Hamburger  nutzten  übrigens  die  biiirichtungen  des 
kaufmännischen  Geld-  und  Kreditwesens  auch  für  die  Abrechnung 
mit  den  Privatboten  aus.  Einer  von  ihnen  erhielt  das  Reisegeld 
unterwegs  durch  Giroübenveisung,*)  ein  anderer  eine  Summe 
durch  Wechsel.*)  Die  Bankhäuser  selbst  besorgten  gelegentlich 
auch  Briefe*^)  für  den  Rat. 

Ein  Reisezettel  des  selbständigen  Boten  Mathäus  Rram  aus 
dem  Jahre  1542  ist  im  Hamburger  Staatsarchiv  noch  erhalten.') 

1)  1473.        i)  Stelnhsnsen,  Oesdi.  4.  dcotsch.  Briefes,  I,  m.        ^  ZcHsdirtft 

dn  Verein»  für  Lübeck.  Geschichte,  U,  296  fr. 

*)  1522:  cunori  versus  Nuremberge  ad  Romanam  curiiun  per  banchuin  trans- 
CribOHlU  Sf?  6/?. 

fi)  1 983 :  Rerendt  Woltken  den  baden,  so  in  Engeludt  is.  dp  sytt  «vcnchrivmt 

betlulet  ahn  Andreas  Berenns  de  Older  up  ein  vesselbriff,  is  Mm. 

^  1  523:  banthario  Lubicensi  pro  littcris  ex  urbe  per  bancham  transinissis. 

1)  Ich  babc  denselben  veröffentlicht  und  besprochen  in  den  Blättern  für  Post  und 
Tdegtaphie. 


Digitized  by  Google 


AUkcd  Karll 


Brun  reiste  von  Hamburg  über  Zwolle^  Amsterdam,  Dordrechl, 

Oudenbosch,  Bergen  op  Zoom,  Veere  auf  Seeland  nach  Antwerpen 

und  zurück  über  Dordrecht,  Amsterdam,  Kampen.  Die  Reise 
wurde  teils  zu  Wasser,  teils  zu  Wagen  oder  zu  Pferde  ausgeführt. 
Die  Beförderungsdauer  ist  sehr  knapp;  denn  Bram  legte  den  Weg 
von  Hamburg  bis  Amsterdam  in  5  Tagen  zurück,  eine  p;anz 
außerordentliche  Leistung,  die  es  rechtfertigte,  daß  der  Bote  uiri 
ein  besonderes  Belobigungsschreiben  bat.  Die  recht  elegante 
Handschrift  des  Bram  läßt  iinschuer  erkennen,  daß  er  keineswc^gs 
etwz  zu  den  ungebildeten  Leuten  geborte.  Wie  man  aus  einer 
Buchung  der  Kämmereirechnungen  sieht,  befaßten  sich  die  selb- 
ständigen Boten  außer  mit  der  Brief-  und  Oeldbeförderung  mit 
der  Fortschaffung  von  frachtgütem.')  Wahrscheinlich  werden  sie 
auch  Personen  mitgenommen  haben. 

• 

Allen  diesen  BefÖrdcrungsgelegenheiten  fehlte  aber  die  Regel* 

mäßigkeit,  und  hierdurch  unterscheiden  sie  sich  wesentlich  von 
den  vollkomnienercn  postalischen  Einrichtungen  späterer  Zeit. 
Allerdings  muß  ich  hier  erst  feststellen,  was  ich  unter  postalischer 
Beförderung  verstehe;  denn  meine  Ansicht  weicht  von  der  land- 
läufigen nicht  unwesentlich  ab.  Die  unerquicklichen  Reibereien 
zwischen  der  Taxisschen  Post  und  den  Botenanstalten  haben  dazu 
geführt,  zwischen  beiden  Parteien  einen  künstlichen  Unterschied 
zu  konstruieren  und  die  Botenanstaltcn  als  die  Träger  des  Zopfes^ 
die  Posten  als  die  des  Fortschritts  hinzustellen.  Bis  zu  einem 
gewissen  Orade  ist  diese  Unterscheidung  gewiß  berechtigt,  nur 
ist  keineswegs  die  Einführung  der  Taxisschen  Reitposten,  die 
lediglich  einen  technischen  Fortschritt  bedeutet,  sondern  die  Zen- 
tralisation des  Verkehrswesens  das  wirldich  Auaschlaggebende,  was 
den  Posten  eine  so  große  Bedeutung  verliehen  hat  Und  dieser 
Fortschritt  war,  wie  ich  noch  zeigen  werden  sehr  wohl  auch  aus 
den  alten  Formen  heraus  möglich.  Man  wird  deshalb  u.  E  auch 
den  Botenanstalten  den  postalischen  Charakter  nicht  absprechen 
dürfen.    Übrigens  ist  die  Auffassung  des  Bcgriftes  «Post«  als 

>)  1568:  den  «  Mnv  hctalth  Hlnrick  van  Hattinck  dem  baden  na  vormeldi'nck  »iiter 
rekcscbop,  »o  dath  gudth  na  Wene  an  foergt  nnde  ungelth  gekostb,  tho  den  148  m  Iß,  so 
cme  mitincM  ün,  i»  dü  wi  cm  nodi  hdiben  »t  bctallh,  H39m^j^, 


Digitized  by  Google 


Hambuiser  VgheiiwwaMi  bte  zur  Mitte  dts  17.  Jiliriitiikterts.    3  3 1 


Ehiriditang  mit  Wechsel  der  BcfMcmng^mittel  flberhaupt  nicht 
baltbsr,  weil  eine  große  Anzahl  moderner  Posten  danach  gar 
nicht  als  solche  anzusehen  wftre.  Die  juristische  Anfbssung  hat 
deshalb  den  Wechsel  der  Beförderungsmittel  als  unwesentlich  aus- 
geschieden, die  Gemeinnützigkeit  und  die  regelmäßige  Abgangs- 
und Ankunftszeit  vielmehr  als  entscheidend  angesehen.  In  der 
Literatur  des  Verkehrswesens  ist  dieser  Maßstab  jedoch  noch 
nicht  angelegt  worden. 

Ich  halte  es  überhaupt  für  einen  Fehler,  auf  den  Ausdruck 
»Post*  gegenüber  dem  Botenwesen  so  besonderen  Wert  zu  legen. 
Ein  wirklicher  Einschnitt  erfolgt  im  Kulturleben  niemals,  alles  ist 
Entwicklung,  Fortschritt,  manchmal  auch  Rückschritt;  wesentlich 
vom  historischen  Standpunkt  ist  nur,  ww  die  Einrichtungen  be- 
schaffen waren,  ob  sie  den  Bedürfnissen  entsprochen  hat>en,  und 
wie  sich  der  Übergang  von  einer  Zeit  in  die  andere  vollzogen 
hat  Schließlich  ist  der  Untergang  der  städtischen  Botenanstalten 
keineswegs  überall  ein  Sieg  höherer  Kulturfonnen,  sondern  häufig 
nur  der  Sieg  der  großen  Territorialgewalten  über  die  politisch 
Sdiwichcren  gewesen.  Das  soll  man  nicht  außer  acht  haata, 
wenn  man  ein  Urteil  fiUlen  will. 

Dies  liaf  vor  allem  zu  bei  der  Verkehrsanstel^  die  am  Ende 
des  16.  Jahrfaunderls  in  Hamburg  gegründet  wurden  und  die  sich 
in  ihren  Resten  sdange  erhalten  hat,  bis  sie  vom  Hamburger 
Staat  Obemommen  tiad  fortgesetzt  wurden  Bevor  ich  auf  diese 
Qrihidung  niher  eingehe^  muß  ich  die  Entwicklung  des  kauf- 
männischen Briefverkehrs  in  Hamburg  in  der  vorbeigehenden 
Zeit  schildern. 

Bereits  im  14.  Jahrhundert  findet  man  in  den  Kämnierei- 
rechnungen  Ausgnbcpostcn,  die  vermutlich  kaufmännische  Bolen 
betreffen.*)  Jedenfalls  hatte  damals  da>  hansische  Kontor  in  Brii^i^e 
Läufer  in  seinen  Diensten.*)  Wenn  auch  diese  Boten  nicht 
eigentlich  als  kaufmännische  Boten  anzusehen  sind,  weil  das 
hansische  Kontor  eine  Art  Verwaltungsbehörde  war,  so  ist  doch 


>)  1370:  nuncio  Thtderici  de  Rij-n  nii  '.nm  n-ndn  de  Flandria. 

>)  1973:  naatio  aldcnnannorum  de  fimggis  vcnienti  de  Lubeke  1 1».  -  1378:  6ß 
MDKio  ceonimiilt  luomoil»  la  Fliadiii. 


Dig'itized  by  Goc^^^Ic 


332 


Alf  rad  KaiiL 


zwetfellos  von  ihnen  ein  erheblicher  Teil  der  kanfminnisdien 
Korrespondenz  zwischen  Hamburg  und  Flandern  befördert 
worden.  Diese  Boten  erschienen  in  Hamburg  sehr  h&ufig»  be- 
sonders im  15.  Jahrhundert*)  Auch  ein  Läufer  des  Stahlbofe 
in  London  wird  in  den  Rechnungen  erwflhnt*) 

Das  flandrische  Kontor  der  Hansa  ist  überhaupt  von  wesent- 
lichem Einfluß  auf  den  Briefverkehr  Hamburgs  gewesen.  Ich 
muß  daher  mit  einigen  Worten  auf  die  Veränderungen  eine^ehen, 
die  sich  im  Lauf  der  Zeit  mit  dieser  Niederlassung  vollzogen  haben. 

Ursprünglich  befand  sich  das  hansische  Kontor  in  Brügge. 
Nachdem  später  das  Verhältnis  zwisdien  der  Hansa  und  dieser 
Sladt  wenig  erfreulich  geworden  war,  gab  die  Sperrung  des  Hafens 
Sluys  durch  Kaiser  Friedrich  III.  den  äußeren  Anhiß  zur  Ver- 
legung des  hansischen  Kontors  nach  Antwerpen.  Bis  zum  Ende 
des  16.  Jahrhunderts  blieb  diese  Stadt  der  Sitz  der  deutschen 
Hansa,  die  nach  dem  neuen  Aufenthalt  das  Andenken  an  ihren 
früheren  Sitz  mit  hinfibemahm.')  Als  im  Jahre  1585  Antwerpen 
an  den  Herzog  von  Parma  fibetgeben  werden  mußte,  trat 
Amsterdam,  wohin  der  Handel  vor  der  spanischen  Herrschaft 
flflchtete,  das  Erbe  von  Antwerpen  an.  Diese  Veränderungen  in 
den  Handelsbeziehungen  der  Hansa  sowie  die  sonstigen  politischen 
Ereignisse  waren  naturgemäß  für  die  Gestaltung  des  Briefverkehrs 
nach  jenen  Landern  ebenfalls  sehr  wichtig. 

Glücklicherweise  können  wir  uns  ein  anschauliches  Bild 
von  dem  Umfang  und  der  üestaltung  des  Briefverkehrs  eines 
Hamburger  Kaufmanns  machen,  der  eine  Zweigniederlassung 
seines  Hamburger  Geschäftshauses  in  Antwerpen  leitete.  In  der 
Hamburger  Kommerz- Bibliothek  ist  nämlich  im  Original  das 
Handlungsbuch  des  Kaufmanns  Schröder  in  Antwerpen  erhalten. 
Dieser  empfing  in  der  Zeit  von  April  bis  Dezember  t553  folgende 
Brief-  und  Geldsendungen: 

1)  z.  B.  1  i63 :  iß  cursori  oldemunnorum  de  f  Uodrii.  -  4 /i  uni  nuncio  oUkr- 
aunnoram  de  Flaiidria.  —  3  caraori  oldennniionitii  dt  Plandrti.  "40  iraado  «opoMn» 
MHIini  de  Bnij:is.  -  i  -'  .■^  rnrsiori  olilcrmannorum  Hp  Flandria. 

*)  146B.  4|/^  iaidaiii  cuTiuri  cuptnjuinorutu  Lundonis  in  Anglia  rcsidcntium, 
*i  Noch  1578  unterzeichnete  das  Kontor:  .Aldemihan  und  kavfmhans  Raeth  der 
BnigKiiGhcB  deutKhen  Hiosse  ttio  Wnacn  Antfavarpen  taMcreode  Confbori«.*  (Schreiben 
von  t$.  t,  iitt  an  die  KNftBuiinlllHten  ta  ffuljaiv:  Aiddv  d*  Bönemlten  Dl.  I?;  Sinti* 
artihiv  Hanbvif  . 


Digitized  by  Google 


Hamburger  Verkehrswesen  bis  zur  Mitte  des  1 7.  Jahrhunderts.  333 


1  ag  cier 
Ankunft 

Gegen- 
Stand 

AmM  1 

Aiiis^abeori 

Tag  der 
Ankunft 

Gegen- 
stand 

1 

Aufrabeort 

2  Ann! 

Hflfiiliiiffiar 
i  lunuiuif 

27 

15.  > 

M 

V 

10  luli 

Brief 

1 

■ 

I nndon 

MV«  H 

# 

0 

17 

1 

1  I  d  1 1  .  IHl  I  ^ 

29.  >f 

H 

ff 

26 

Geldbeutet 

1 
• 

AmsitTfiani 

fk  Mai 

m 

A  tn  cf  M"H  m 

lU.  /\Ug. 

Rn>f 
onci 

a 
0 

iiämüurg 

Via  0 

# 

IV*  • 

• 

1 
1 

/\U4S>«CI  UitlU 

• 

Brief 

V 

IV.  IT 

0 

Qddbeute] 

%#^ni  w  u  VOM 

V 

IQ.  m 

VlClUt/CUlCl 

1 
1 

9,  m 

V 

19  . 

Brief 

1 

Hambunr 

9  . 

Brief 

21 

• 

9 

I  ntiHnti 

17 

1  laUiL/Lll  \^ 

TO 

-    •  1» 

• 

ruinioutg 

S.  luni 

')  •» 

1 

w 

e  _ 
■ 

'  1 
• 

1 

» 

12.  • 

12 

IC  w 

1 
1 

nulsm  umu 

12.  • 

V 

Amsterdam 

24  » 

1 

1 

if 

18.  m 

24 

Rri#f 

1 

1 

"» 

9 

n 

2<S 

• 

1 
1 

J  1  a  1  j  1 1  f  Ui  1^ 

28.  » 

M 
m 

Amsterdam 

12  Okt 

M 

28  . 

Geldbeutel 

V 

17 

V 

0 

KimilKliror 

28.  » 

Brief 

London 

23.  • 

M 

1 

Amsterdam 

2.  Juli 

• 

Amsterdam 

10.  Nov. 

Ii 

1 

London 

5.  • 

* 

Hamburg 

14.  ff 

II 

1 

• 

5.  » 

Amsterdam 

14.  ff 

Wechsel 

1 

• 

5.  • 

Geldbeutel 

1» 

22.  Dez. 

Brief 

1 

7.  . 

Brief 

Hamburg 

22.  , 

Wechsel 

1 

n 

9.  w 

• 

Amsterdam 

28.  . 

Brief 

1 

Hamburg 

9.  . 

Oddbentel 

• 

31.  , 

» 

1 

London 

Obertrag  j271 

Summe  61; 

Von  diesen  61  Sendungen  entfallen  auf  Briefe  47,  auf  Geld- 
beutel 12,  auf  Wechsel  2.  Nach  den  Aufgabeorten  geordnefp  kamen 
aus  Hamburg  24  Briefe,  1  Geldbeutel;  aus  Amsterdam  15  Briefe, 
1 1  Geldbeutel;  aus  London  8  Briefe,  2  Wechsel.  Der  Versand 
baren  Geldes  zwischen  nahe  gelegenen  Orten  war  anscheinend 
damals  noch  ziemlich  umfangreich,  sehr  gering  aber  zwischen 
entfernteren  Orten,  wo  man  jedenfalls  der  Gtroflberweisung  den 
Vorzug  gab.  Die  Überbringer  sind  nicht  immer  genannt;  die 
Sendungen  aus  Amsterdam  werden  in  der  Regel  von  dortigen 
■  Boten,  dnmal  durch  einen  Fuhrmann  fiberbracht  Ffir  die  Briefe 


Digitized  by  Google 


334 


Alfred  Kaill. 


ans  Hstmbuiie:  febleii  denrüge  Angaben,  nur  von  den  Sendungen 
am  22.  August  wird  erwfthnt  daß  ein  Brief  und  der  Geldbeutel 
durch  die  Schiffer  Tonniß  Widchoff  und  Juigien  van  Buchten 
befördert  wurden. 

Im  übrigen  finden  sich  einige  Angaben  über  den  Briefver« 
kehr  in  der  ersten  Hälfte  des  16.  Jahrhunderts  in  den  Papieren 
der  Börscnalten.  Leider  ist  von  dem  Archiv  der  Börsenalten 
nur  ein  Bruchteil  erhalten,  es  befinden  sich  aber  in  der  Komnierz- 
l)ibliothek  Auszüge,  die  vor  dem  Brande  von  1842  hergestellt  sind 
und  als  durchaus  zuverlässige  Quelle  angesehen  werden  können. 
Man  sieht  aus  diesen  Auizeichnungen,  daß  blondere  Boten  zur 
Beförderung  der  Briefe  gewohiilicii  nicht  angenommen  vt'urden, 
sondern  daß  man  jede  sich  darbietende  Gelegenheit  zur  Fort- 
schaffung der  Sendungen  auszunutzen  pflegte.  Immerhin  war 
man  doch  wiederholt  gezwungen,  die  Unkosten  für  einen  be- 
sonderen Boten  zu  tragen,  wenn  eine  Gelegenheit  zur  Mitbeförde- 
rung fehlte  oder  die  Angelegenheit  keinen  Aufschub  vertrug. 
Besonders  kennzeichnend  für  die  Art  des  damaligen  V  erkehrs  ist 
folgende  Notiz  aus  dem  Jahre  1525:  »de  Lübecker  senden  enen 
Baden  an  den  HltIol^  von  Geldern,  und  ennnern,  wo  man  der 
Ohrten  wat  to  verrichten  hndde,  könne  es  mit  selbem  geschehen". 
Durch  solche  üelegeniieiten  wurde  es  niö}j;hch,  daß  z,  B.  1526 
füi  einen  Brief  nach  Schottland  nicht  mehr  als  6  ß  Porto  zu 
entrichten  war.^) 

Gegen  Ende  des  16.  Jahrhunderts  war  der  kaufmännische 
Briefverkehr  m  Hamburg  so  umfangreich  geworden,  daß  man 
daran  denken  mußte,  regelmäßige  und  unbedingt  zuverlässige  Be- 
forderungsgelegenheiten  zu  schaffen. 

Der  Ursprung  der  neuen  Verkehrsanstalt  ist  später  durch  die 
Vorsteher  der  Hamburger  Post  mit  einer  Legende  umwoben  worden, 
die  sogar  noch  über  ihren  Zweck  hinausgegangen  ist,  indem  sie  in 
der  einen  oder  anderen  Form  in  alten  Publikationen  über  das 
Hamburger  Postwesen  Platz  {gefunden  hat;  es  entstand  nämlich  der 
Mythus  der  Gründung  der  Botenanstalt  durch  die  Handelsg^- 

ISIS  Mr  dMi  Britf  wdi  ftMbmptn  topt  wntß. 


Digitized  by  Google 


Hambuimv  Verkdifwesen  bis  zur  Mitte  des  1 7.  Jahriiunderb.  335 


Schäften.  Diese  OesdiichtsfiUschung  -  denn  um  eine  solche 
handelt  es  steh«  weil  die  Böisenalten  den  Beweis  des  Oegenteib 
von  dem,  was  sie  behaupteten,  selbst  in  Hflnden  hatten  -  hatte 
damals  einen  besonderen  Zweck;  es  galt,  die  Rechte  auf  das  Post- 
wesen, die  man  in  Wirklichkeit  nicht  besaß,  gegen  Angriffe  zu 
verteidigen,  und  das  geschah  eben  so  nachdrücklich,  als  man  es 
vermochte.  Für  die  Geschichte  sind  diese  Streitigkeiten  ganz 
belanglos.*)  Es  genügt,  hier  festzustellen,  daß  die  Gründung  der 
Botenkurse  in  Hamburg  nicht  von  den  Gesellschaften  der  Flandern-, 
Schonen-  und  Englandsfahrer  ausgegangen,  sondern  lediglich  den 
Kaufmannsältesten  zuzuschreiben  ist 

Diese  Alter!eute,  die  im  Anfange  des  1 6.  Jahrhunderts  ein- 
gesetzt waren,  um  die  gemeinschaftlichen  Interessen  des  Kauf- 
nuuuistandes  zu  fördern,  legten  im  Jahre  1570  den  Grundstein 
zur  einheitlichen  Oestaitung  des  Verkehrswesens:  sie  richteten 
zuerst  einen  regelmäßigen  Botenkurs  nach  Antwerpen,  der  damals 
noch  mächtigsten  Stadt  der  flandrischen  Provinzen,  ein.  Bald 
daiauf  folgte  eine  Anzahl  anderer  wicht^  Verbindungen. 

Wenn  auch  anfangs  vielleidit  nicht  die  Absicht  yodag,  auf 
dem  Gebiet  des  Botenwesens  dn  einheitliches  Ganze  zu  schaffen, 
so  IflBt  sich  doch  andererseits  nicht  verkennen,  daB  die  Vorsteher 
der  Hamburger  Kaufmannschaft  in  verhiltnismäBig  kuner  Zelt 
hervorragende  Erfolge  erzielten.  Erleichtert  wurden  diese  Be- 
strebungen durch  die  Fühlung»  welche  die  Alterleute  mit  den 
Kaufleuten  lutten.  jeder  Verbesserungsvorschfaig  konnte  deshalb 
leicht  bertkdcskiitigt  werden. 

Die  Leiter  des  Botenwesens  führten  die  von  ihnen  getroffenen 
Anordnungen  mit  großer  Energie  durch,  und,  was  besonders 
anzuerkennen  ist,  es  blieb  stets  für  sie  die  Rücksicht  auf  das  all- 
genieiiie  Wohl  ausschlaggebend,  gleichviel,  ob  dadurch  ihr  per- 
sönlicher Einflui^  geschmälert  wurde  oder  nicht.  Bei  den  fremden 
Städten,  mit  denen  die  Botenkurse  gemeinschaftlich  unternommen 
wurden,  findet  man  häufig  das  Gegenteil  dieser  ^großzügigen  Ver- 
kehrspolitik.    Ich  werde  das  im  einzelnen  noch  nachweisen. 

Durch  Energie  und  Nachgiebigkeit  zugleich  gelang  es  den 

n  Sie  fUlcn  «in  ricttgcs  AkMlIcii ;  PKotocoUam  cdd  AcHi  Esb^adicUOm  in 
SMhai  DcpililonMi  cmln  ptdaite  BOnmltea.  17M.  Slidt<8ibliodMlt  Ha^bws. 


Digitized  by  Google 


336 


Alfred  KirlL 


Alterleuten  in  kuner  Frist,  Hambui^g;  mit  allen  wichtigen  Handeb* 
platzen  durch  Botenkurse  zu  verbinden,  diese  verschiedenen  Ver- 
kehrslinien zu  einem  großen  Netz  zu  vereinigen  und  durch  die 
Pünktlichkeit,  die  auf  den  Kursen  aufrecht  eriudten  wurde^  das 
Vertrauen  aller  t)efeiligten  Kreise  zu  erringen  und  zu  erhalten. 
Dtr  schnelle  Aufschwung  des  Briefverkehrs  in  damaliger  Zeit  ist 
neben  der  Taxisschen  Post  nicht  unwesentlich  der  zielbewußten 
Titigkeit  der  Hamburger  Kaufmannsältesten  zuzuschreiben. 

Wie  streng  auf  die  pünktliche  Verrichtung  der  Botendienste 
gehalten  wurden  zeigen  die  außerordentlich  hohen  Strafen,  die 
wegen  Dienstvemadilissigungcn  den  Boten  auferlegt  wurden; 
nicht  selten  trat  sogar  Entlassung  ein.  Dk  Papiere  der  Alferleute 
enthalten  in  den  Jahren  1574  bis  1585  Ober  dieißig  fllle,  hi 
denen  die  Boten  mit  Strafen  belegt  wurden.  Im  Jahre  I60g 
mußte  sogar  jeder  der  Danziger  Boten  15  Reicfastaler  Strafe 
zahlen,  weil  die  Amsterdamer  Kaufleute  über  ihre  Nachlässigkeit 
geklagt  hatten.  Diese  Strafe  war  so  hart,  daß  die  Boten  in  einer 
Eingabe  um  Rückzahlung  des  Betrages  vorstellig  wurden. 

Ebenso  wie  die  Alterleute  scharf  gegen  jede  Vernachlässigung 
der  ObliegenlicMtcn  ihrer  Laoten  vorgingen,  so  nahüica  sie  auch 
nur  (ianu  Riu-ksicht  auf  deren  Person,  werDi  die  Interessen  der 
Kaulniannschaft  nicht  dadurch  beeinträchtigt  wurden.  Als  die 
Alterleute  sich  später  » Börsenalte"  nannten,  und  das  Postwesen 
als  Monopol  auszubeuten  verstanden,  wurde  dies  freilich  anders. 
Auch  die  von  den  P^orsenalten  vertretene  Ansicht,  das  Botenwesen 
sei  nicht  zum  Nutzen  des  Publikums  geschaffen,  steht  in  schroffem 
Gegensatz  zu  den  früher  geltenden  Anschauungen  ihrer  Vor- 
gänger. Der  Senat  nahm  zu  der  neuen  Verkehrsanstalt  die  Stellung 
einer  Aufsichtsbehörde  ein.  Er  unterzog  besonders  wichtit^e  An- 
ordnunjren  der  Alterleute  einer  Prüfung  und  behielt  sich  deren 
Genehmigung,  insbesondere  die  der  {iolenordnimgen,  vor.  Die 
Alterleute  waren  vermöge  ihrer  Stellung  im  öffentlichen  Leben 
in  ständiger  Fühlung  mn  den  leitenden  Kreisen;  ernstliche  Mei- 
nungsverschiedenheiten werden  niso  wohl  selten  entstnnden  sein. 
Der  Senat  griff,  soweit  die  Archivalien  Auskunft  geben,  nur  bei 
erheblichen  Streitigkeiten  der  Alterleute  mit  den  Boten  und  zur 
Vermittlung  mit  den  obersten  Behörden  anderer  Städte  ein. 


Digitized  by  Google 


Hamburger  Verkehrswesen  bis  zur  Mitte  des  1 7.  Jahrhunderts.  337 


Die  ersltn  regelmäßigen  Boten  wurden  von  den  Kaufmanns- 
ältesten im  Jahre  1  5  70  angenommen.  Entweder  schon  bei  dieser 
Annahme  oder  wenigstens  sehr  bald  darauf  wurde  auch  eine 
Botenordnung  für  die  nach  Westen  reisenden  Boten  festgesetzt. 
Die  in  der  Literatur  vertretene  Ansicht,  daß  in  dei  Botenordnung 
von  1  580  (richtiger  1582)  die  erste  1  cstlegung  der  Bestimmungen 
erfolgt  sei,^)  ist  nicht  zutreffend.  In  einer  Urkunde  vom  16.  August 
157S^)  heißt  es  nämlich  u.a.: 

»Thom  veerden  schal  he  vermöge  der  Ordenihge,  de  von 
einem  Erbarn  Hochwisen  R^de  und  Olderluden  des  Kopmans 
bestellet»  thom  weinigsten  vor  veerhundert  daler  borg^  tfao 
stellende  vorplichtet  syn.* 

Hier  ist  also  bereits  1578  von  einer  goneinschaftUch  vom 
Rat  und  den  Alterleuten  aufgiestellten  Bofenordnung  die  Rede, 
deren  Bestimmungen  schon  in  Kraft  getreten  waren.  Die  Ur- 
kunde enthält  den  vorläufigen  Abschluß  des  Disziplinarverfishrens 
gegen  den  widerspenstigst  Boten  Albert  Ronnenbergp  der  sich 
überhaupt  bei  jeder  Gelegenheit  unliebsam  hervortat  und  später^ 
wegen  seines  ungebührlichen  Betragens  gegen  einen  Voigiesetzten 
entlassen  wurde.  Ronnenbeig  hatte  sich  in  Antwerpen  mancherlei 
Übergriffe  und  Nachlässigkeiten  zuschulden  kommen  lassen.  Die 
Alterleute  wollten  ihn  deshalb  vom  Amte  suspendieren  und  be- 
strafen. Der  Bote  beschwerte  sich  jedoch  beim  Senat,  worauf 
dieser  eine  Untersuchungskommission  einsetzte.  Hierbei  schnitt 
Ronnenberg  so  schlecht  ab,  daß  er  zu  Kreuze  kriechen  mußte. 
Die  Bedingungen  der  Vergleichsverhandlungen  gewähren  ein 
interessantes  Bild  eines  solchen  Disziplinarverfahrens.  Ich  möchte 
daher  etwas  näher  auf  diesen  Vergleich  ein^^chcn. 

Zuerst  wird  darin  festgestellt,  daß  Ronnenberg  auf  Grund 
-eines  Befehls  der  Alterleute  der  deutschen  Hanse  in  Antwerpen 
von  dem  Sekretär  des  Osterschen  Hauses  verklagt  worden  ist, 
und  daß  die  Alterleute  in  Hamburg  auch  sonst  allerlei  Klagen 
über  ihn  vernommen  hätten.  Sie  würden  mithin  alle  Veranlassung 
gehabt  haben,  dem  Boten  das  Abzeichen  abzunehmen  und  ihn 
zu  entlassen.    Da  sich  aber  eine  Anzahl  von  Kaufleuten  fQr 

>)  Ardiiv  für  Post  und  Tdcgrapbie.  1888,  Nr.  8.  Die  Botenordnung  Ut  dort 
jbffcdfwitt.       «)  Archiv  der  Bönenalkn  Bl.  tt;  Sttttaatdilv  Haabwf.       ■)  1S79. 

Archiv  für  Kulturgodiicbte.   V.  22 


Digitized  by  Google 


338 


Alfred  Karll. 


Ronnenberg  vewendel  hätten,  so  wolle  man  ihm  seine  Über- 
griffe unter  folgenden  Bedingungen  verzeihen: 

1.  Solle  Ronnenberg  die  Kaufmannsältesten  in  Hamburg 
und  Antwerpen  um  Gottes  willen  bitten,  daß  sie  ihm  seine 
Ungebühriichkeiten  und  Übertretungen  verzeihen  mögen; 

2.  Solle  er  dne  Strafe  zahlen  und  bis  dabin  von  den  Reisen 
ausgiesdilossen  werden; 

3.  Solle  er  geloben,  daß  er  in  Zuloinft  den  I^fleuiten  ebr- 
licb  und  treu  dienen  wQrdc^  widrigenfalls  er  bestraft  oder  bd 
Vorkommnissen  von  Bedeutung  entlassen  werden  solle; 

4.  Habe  er  fRr  mindestens  400  Taler  einen  Bürgen  zu  stellen. 

Außer  dieser  Anp^elegenheit  hatten  noch  sonstige  U beistände 
gezcigl,  daß  die  alte  Botenordniing  nicht  mehr  ausreichte;  die 
Senatskommission  löste  sich  daher  noch  nicht  auf,  sondern  unter- 
zog auch  die  Abänderungsvorschläge  einer  Prüfung.^)  Die  Alter- 
leute hatten  schon  am  10.  Juli  1578  einen  verbesserten  Entwurf 
zur  Botenordnung  verfaßt,  der  nach  der  bisherigen  Annahme 
1580  vom  Rat  »revidiert  und  konfirmiert*  sein  soll.*)  Dieser 
Entwurf,  der  mit  der  im  Ronnenbergschen  Vertrage  erwftbnten 
Botenordnung  nicht  identisch  sein  kann,  weil  darin  von  einer 
t)ereits  bestätigten  Ordnung  die  Rede  ist,  wurde  in  Wirklichkeit 
im  Jahre  1580  von  der  Kommission  geprüft,  1582  in  der  von 
dieser  festgestellten  Form  vom  Senat  bestätigt  und  unmittelbar 
darauf  durch  den  Sekretär  Twestreng  in  das  Fundationsbuch  der 
KaufmannsUtesten  eingetragen.  Die  Oberschrift  dieser  Boten- 
otdnung^  die  offenbar  von  Twestreng  herrfihrt:  «Ordnung  dorch 
de  Olderlude  des  gemeinen  Kopmanns  mit  Bewilligung  dnes 
Eibam  Rades  gesidlet,  wo  idt  mit  den  gesdiwamen  Baden,  de 
nha  Westen  reisen,  kunfftig  sdull  geholden  werden«,  und  der 
unter  dem  Text  stehende  Vermerk:  «Adum  ex  oommissione 
spedabilis  senatus  A*  1S80'  habdi  die  Vordatierung  um  2  Jahre 
hervoigerufen,  obwohl  die  in  der  Ordnung  gebraudilen  Worte: 
vWan  dusae  vorgesdirevenen  Artikel,  van  Einem  EriMum  Rude  be- 


>)  Die  strafe,  die  in  der  Urkunde  nicht  angegeben  ist,  betrug  10  Talcr. 
^  Wcnigitcitt  sind  dk  Mitglieder  bddcr  KommiMiOBCD  dk  glddwn. 
t  Ronfc,  Die  fott  md  Telegraphle  In  Hudnrg. 


Digitized  by  Google 


Hamburger  Verkehrswesen  bis  zur  Mitte  des  1 7.  Jahrhunderts.  339 


vulbordet,  conscntiret  und  bewilliget,  alß  "  deutlich  zeigen, 

daß  das  Datum  nur  für  den  Kotnmissionsbeschluß  gültig  ist 

Die  wesentlichen  Fhinkte  der  Botenordnung  von  1582|  gie* 
wissermaßen  die  Grundlage  der  Verkehrsanstalt  der  B^^isen- 
alten,  sind  folgende: 

1.  Jeder  nach  Westen  reisende  Bote  soll  eine  Vertrauens- 
wflrdige  Person  und  von  gutem  Ruf  sein,  auch  muß  er 
vom  Senat  und  den  Atterieuten  als  geeignet  fllr  sein 
Amt  angesehen  werden; 

2.  Der  Bote  muß  dem  Rat  und  den  Alterleuten  geloben, 
den  Kaufli'uten  und  einem  jeden,  der  ihn  gebrauchen 
will,  treu  und  aufrichtig  zu  dienen; 

3.  Es  soll  niemand  als  Bote  angenommen  werden,  der  nicht 
schreiben  und  lesen  kann;  jeder  .Bote  soll  wenigstens 
fQr  400  Taler  Bfiig^diaft  Idsten  und  sein  Abwichen 
vom  Senat  mit  Wissen  und  Willen  der  Kaufmannsaitesten 
durch  den  iltesten  wortführenden  Bfligermdster  erhalten; 

4.  Soll  jeder  Bote  genau  sdne  Reihenfolg«  bei  der  Abreise 
einhalten.   Sonst  drohen  2  Taler  Strafe  oder  Verbot  zu 

reisen,  bis  die  Strafe  erlegt  ist. 
Die  übrigen  Bestini niungen  sind  weniger  wichtiger  Natur. 

Die  Botenordnung  von  1  582  blieb  eine  Reihe  von  jähren 
für  die  nach  Amsterdam  reisenden  Boten  m  Kraft,  bis  neue  Über- 
griffe der  Boten  eine  Anzahl  von  Kaufleuten  so  aufbrachten,  daß 
sie  andere  Leute  zur  Briefbefördening  annehmen  wollten.  Die 
folge  war,  daß  die  Alterleute  im  Jahre  1607  eine  allgemeine 
und  erweiterte  Ordnung  drucken  ließen.  Sie  bestand  aus  einem 
Patent  mit  der  eigentlichen  Botenordnung^  einem  Verzeichnis  der 
Attkunfls-  und  Abgimgstag^  und  aus  einem  Patent,  welches  den 
Tag  der  Ankunft  der  Boten  enthielt  und  wöchentlicb  an  der  Börse 
ausgehfingt  wurde.  Dies  war  also  eine  Art  •Postbericht",  wie  er 
heute  noch  auf  jedem  Postamt  aushängt 

Diese  Botenordnung  wurde  1627  revidiert  und  abermals 
gedruckt;  sie  enthielt  u.  a.  die  Zeit  der  Abreise  und  Ankunft  der 
Kölnischen  (Antwerpener),  Amsterdamer,  Cmdener,  Danziger, 
Leipziger,  Kopenhagener,  Lfinebufgcr  und  LObecker  Boten,  ffir 

22* 

Digitized  by  Google 


340 


Alfred  Karii. 


einzelne  dieser  Kurse  waren  noch  besondere  Ordnungen  vor- 
banden.   Ein  weiterer  Neudruck  erfolgte  im  Jahre  1641. 

Wie  man  aus  der  Ordnung  von  1582  sehen  kann,  waren 
die  Anforderungen,  die  an  die  Bewerber  bei  der  Annahme  zu 
Boten  gestellt  wurden,  für  damalige  Verhältnisse  nicht  gering. 
Diesem  Umstände  wird  es  auch  wohl  zuzuschreiben  sein,  daß, 
abgesehen  von  dem  einträglichen  Amsterdamer  Kurse,  nicht  selten 
Leute  felilten,  die  bereit  waren,  die  mühsamen  Reisen  auszuführen. 
Die  Ansprüche  durften  indessen  nicht  herabgesetzt  werden,  weil 
die  Boten  eine  Vertrauensstellung  bekleideten,  eine  große  Verant- 
wortung trugen,  auch  gegebenenfalls  Mut  und  Entschlossenheit 
zeigen  mußten.  Eine  Bürgschaftsleistung  war  nötig,  weil  die 
Kaufmannsftltesten  für  Verluste  haftpflichtig  waren  und  ihrerseits 
die  Boten  regreßpflichtig  machten.  Die  Büigschaft  betrug  400  Taler, 
bei  den  Danziger  Boten  zuerst  nur  300,  bei  den  Leipziger  Boten 
100  Taler;  sie  war  auch  bei  Beschäftigung  auf  Probe  erforderlich. 
Verluste  von  Wertsendungen  kamen  wiederholt  vor.  So  verlor 
z.  B.  1608  der  Kopenhagener  Bote  Timmerman  unterwegs  Dia* 
manten,  die  er  in  Dänemark  erhatten  hatte.  Die  Alterleute  einigten 
sich  mit  dem  Absender  und  zahlten  ihm  eine  Entschädigung  von 
1 70  Mark,  weil  der  Bote  »vor  Grflmen"  gestorben  war  und  dessen 
Witwe  kein  Vermögen  besaß.  Bei  einer  anderen  Gelegenheit 
kamen  die  Alterleute  naditrfiglich  zu  ihrem  Oelde,  weil  der  Bote 
durch  eine  Erbschaft  Vermögen  erwarb.  Die  Bfiigschaft  gßlt 
offenbar  nur  für  die  Dauer  der  DienstEeit  Hieraus  erklärt  sich, 
daß  die  Alterleute  nach  dem  Ausscheiden  oder  dem  Tode  des 
Boten  den  Bürgen  nicht  in  Anspruch  nahmen. 

Nach  der  Annahme  des  Boten  wurde  dieser  in  fderiicher 
Senatssitzung  vereidigt   Der  Eid  lautete:^) 

•Ick  Uwe  und  schwere  tho  Qodt  dem  Almechtigen,  dat  kk 
einem  Erbam  Rade  und  dusser  Stadt  vermöge  mines  geleisleden 
borgerlichen  ehltes  «dU  tniw  und  holt  sin  und  bliven,  und  dar 
ick  in  dussem  minen  denste  etwes  erfaren  worde,  dat  ick  idt  ge- 
truwlich  will  vormdden,  dat  wedder  dusse  Stadt  sin  mochte,  dat  ick 
ock  Eines  Erbam  Rhats  und  der  Burgeschop  und  gemein  handt- 

')  Der  Wortl.iiit  rührt  aus  dem  Jahre  I6t4  her,  entspricht  aber  dem  1S95  abgeleisteten 
Eide.  Original  im  Staatsarchiv  zu  Hambuig:  »Eid- Buch  subiedo  Judice  JuramoitorBiB'. 


Digitized  by  Google 


Hambnisar  Verkebiswcsen  bb  zar  Mitte  des  1 7.  Jahrhunderts.  34 1 


terendcn  Kopmans  williger  und  getniwer  dener  sin  wil  bdde  tho 
Water  und  tho  Landen  der  verordneten  Olderlueden  des  gienieinen 
Kopmans  befekh  in  acht  hebben  und  de  bieve  und  geldt,  oder  wat 

mi  sonst  averthobringen  befahlen  wert,  tho  rechter  Tidt  an  ehre  stede 

bringen,  averantworden  und  darbi  keine  vertoch  oder  \  crsumenisse 
gebruken,  sonder  einen  jedem  richtigen  beschcidt  dhou  und  nii  in 
allen  anbefahlen  saken  uprichtig,  redlich  und  flitig  verholden.« 

Bei  der  Vereidigung  erhielt  der  Bote  von  dem  präsidierenden 
Bürgermeister  ein  silbernes  Abzeichen,  die  »Busse",  welche  mit 
einem  Wappen  geschmückt  war.^)   Die  Kosten  für  diese  Schildchen 
wurden  von  der  Hamburger  Kämmerei  bestritten.*)  Die  Verleihung  . 
fand  anscheinend  nur  an  die  Antwerpener  (Kölner)  Boten  statt 

Ursprflngltch  genossen  die  Boten  keine  besonderen  Vor- 
rechte. Als  sich  aber  bald  nach  Einrichtung  des  Antwerpener 
Botenkurses  in  Hamburg  eine  blühende  Konkurrenz  entwickelte^ 
und  oft  recht  fragwürdige  Elemente  ihr  möglichstes  taten,  den 
regelmäßigen  Boten  die  Briefe  fortzuschnappen,  sahen  sich  die 
Alterleute  gezwungen,  ihren  Boten  ein  Monopol  einzuräumen. 
Diese  AAaljiegel  war  um  so  gerecliüertigtcr,  als  die  Festsetzung 
l>estimmter  Abgangstage  die  Hamburger  Boten  weniger  konkurrenz- 
fähig machte.  Solange  ein  Monopol  nicht  bestand,  nahmen  selbst 
die  Kaufleute  des  billigeren  Portos  wegen  » andere  vorlepene 
uthlendische  Kerels,  de  ebnen  mit  grotspreckent  de  Mund  smeren«, 
an.    Deshalb  wurde  in  der  Botenordnung  von  1582  festgesetzt: 

»Schall  kein  Extraordinarie  Baden  Sick  vordristen,  eine  Reise 
na  Amsterdam  edder  Andorpen  anthonehmen,  so  ferne  de  Baden, 
so  Einem  Erbam  Kade  und  Kopmans  Olderiuden  geschwaren, 
inheimisch  und  sich  desulvigen  tho  reisende  nicht  worden  weigern.« 

Nach  dieser  Zeit  hörten  die  Klagen  der  regelmäßigen  Boten 
auf,  weil  die  Kaufleute  sich  ausschlteBiich  der  einheimischen 
Boten  bedienten. 

Trotz  dieses  Monopols  war  die  Lage  der  Kaufmannsboten. 

1)  Vcnnutiich  mit  dem  dcT  AHerlorfc:  cbi  iMibcr  Adkr  «nd  da  kilbes  dicHSmiflef 

SUdttor  auf  gddltem  Felde. 

>)  KliiiiiKrri>Recbmiii|r  1574 ;  ».  Seploaber.  Härmen  Bflrtwlt  bctalrt  vor  dne  «nlvm 

Badcnbtttse .  de  Jochim  Kock  dem  Raden,  wclckeren  ein  Frb,  Radt  vor  einen  Badeti  dem 
gemenen  Kopmannc  up  Andorpen  to  denende  heft  angenamen,  is  gtgeven  vorden,  widit 
7  lot  min.  Vt . .     It  mit  nukdon  Sm  t9ß. 


Digitized  by  Google 


342 


Alfred  Kiurll 


in  der  ersten  Zeit  nicht  günstig.  Ihre  Einnahme,  das  Briefgeld, 
war  wegen  der  geringen  Zahl  der  Briefe  nicht  bedeutend.  Die 
Alterleute  mußten  deshalb  mehrfach  Zuschüsse  gewähren,  weil 
das  aufkommende  Porto  nicht  einmal  die  Auslagen  deckte.^) 

Solange  die  Boten  die  Annahme  und  die  BesleUmig  der 
Sendungen  selbst  besorgten,  selbst  noch,  als  ein  Postmeister  für 
diesen  Zweck  angenommen  war,  verblieb  ihnen  das  dnkommende 
Briefgeld.  Dann  wudiscn  die  Einnahmen  aber  derartig,  daß  man 

den  Boten  nur  einen  Teil  davon  fiberiieß,  während  der  Rest  teils 
dem  Postmeister,  teils  den  Alterieuten  zufloß.  Dieses  Anteilsystem, 
welches  nicht  ohne  Nachteile  war,  wurde  auch  später  beibehalten. 
Der  Amsterdamer  Botendienst  wurde  dadurch  zu  einer  ergiebigen 
und  vielbegehrten  Einnahmequelle. 

Als  die  Einkünfte  noch  ti;eringer  waren,  gingen  die  Boten 
aus  bescheidenen  Verhältnissen  hervor.  Immerhin  waren  es  keine 
hergelaufenen  Leute,  wie  später  behauptet  worden  ist,  sondern 
man  berücksichtigte  nur  solche  Bewerber,  die  wirklich  zu  den 
Diensten  geeignet  waren.  Zum  größten  Teil  wurden  frühere 
selbständige  Boten,  aber  auch  Handwerker  und  Leute  aus  ähn- 
lichen Berufezweigen  angenommen.  Die  Angabe^  die  Boten 
wohnten  (1592)  in  Kellern  und  Kammern,  ist  bei  den 
Wohnungsverhaltnissen  Alt-Hambnigs  noch  kein  Beweis  dafOr, 
daß  die  Bolen  aus  sehr  Irmlichen  VeridUtnisBen  hervoixhigen. 
Für  Personen  «ex  fece  plebis«  würden  die  Kaufleute  sidier  keine 
Bfiig^cfaaft  geleistet  haben. 

Bis  zur  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  verrichteten  die  Bolen 
die  Reisen  persönlich,  wenn  sie  auch  manchmal  Knechts  zur 
Aushilfe  heranzogen.  Derartige  Gehilfen  wurden  von  ihnen 
bezahlt  und  standen  zu  den  Alterieuten  in  keinem  festen  Dienst- 
verhältnis; sie  werden  nur  auf  dem  Ainsterdamer  und  Danziger 
Kurs  erwähnt  und  scheinen  in  den  größeren  Städten  die  Geschälte 
der  späteren  i^jstnieister  ausgeübt  zu  haben.  So  sprechen  die 
Bolen  im  Jahre  1  5  77  von  ihrem  „tho  Andtwerpen  gewesen  Dhener 
Fransz,  welcher  itzo  Fugitivus  unde  tho  Wesel  sich  enthoit,  mit 

1)  z.  B.  1585:  3.  April.  Dick  Frescn  d«m  Baden  to  Hfilpe  tincr  ReUe  tu  Andorp 
«od  Seeland  verehret  2  m,  dcuylr  lie  sick  beklagL-tU-  dit  SO  Oddtt  UMl  fil«fe  nidlt 
haddc  bekamen,  dtt  he  de  Unkosting  der  Rdae  stahn  künde. 


Digitized  by  Googl 


Hambuiver  Vcrkehnvesen  bis  zur  Mitte  des  1 7.  Jahrinioderls.  345 


hemdkiceii  Pncticiten  van  den  Kopluden,  darmit  he  dorch  uns 
belauidt  worden  isz,  up  Wesel  und  so  votdhin  anhero  Ixsciiaffei' 

Etwa  bis  zum  Jahre  t591  vertrat  die  Börse  die  Stelle  eines 
Postamts.  Hier  nahmen  die  Boten  die  Briefe  entgegen,  händigten 
den  Kaufleuten  die  mitgebrachten  Sendungen  aus  und  begannen 
von  dort  auch  ihre  Reisen.  Jeder  von  ihnen  hatte  in  der  Börse 
ein  Brett  liangen,  an  weichem  er  einige  Tage  vor  seiner  Abreise^) 
einen  Zettel  mit  der  Abgangszeit  und  dem  Ziel  seiner  Reise  an- 
heften mußte.  Sobald  ein  Bote  von  den  Aiterleuten  entlassen  v'.  urde, 
entfernte  man  auch  das  für  ihn  bestimmte  Brett  in  der  Börse. 
Es  war  also  offenbar  mit  dem  Namen  des  Boten  versehen.  Die 
Zettel  waren  von  jeher  Gegenstand  des  Angriffs  unbefugter  Kon- 
kurrenten; die  von  Antwerpen  nach  Danzig  reisenden  Boten  rissen 
mit  Vorliebe  die  Zettel  ihrer  Hamburger  Kollegen  ab,  um  mög- 
lichst viele  Briefe  zu  erhallen.  Auch  andere  Kunstgriffe  waren 
beliebt.  So  wollte  z.  B.  der  Hamburger  Bote  Johann  Wichman 
im  Jahre  1609  von  Amsterdam  nic!it  rechtzeitig  abreisen.  Als 
ihn  die  dortigen  Alterleute  hierzu  auffordern  ließen,  fuhr  er 
scheinbar  aus  der  Stadt  heraus,  ließ  sich  aber  wieder  an  den 
Deich  setzen,  kam  zum  Tor  herein  und  ging  heimlidi  in  seine 
Herberge.  Dort  nahm  er  am  anderen  Morgen  noch  so  viel  Briefe 
als  möglich  in  Empfang  und  trat  dann  erst  seine  Reise  an. 

Die  Alterleute  in  Hambuig  hatten,  um  derartige  Vorlcomm- 
nisse  zu  verhindern,  den  Börsenimecht  beaufinigl,  Abgang  und 
Anlninft  der  Boten  zu  fiberwachen.  Eine  derartige  Anordnung 
war  sehr  zweckmftBig;  «eil  der  BOrsenImecht  ohnehin  in  der  Börse 
anwesend  sein  und  den  Kaufleuten  Besdieid  geben  muBle^  wann 
die  Boten  abreisten  und  ankamen;  außerdem  hatte  er  die  Boten  zu 
rechter  Zeit  abzurufen  und  erhielt  daffir  von  ihnen  ein  Trinkgeld.*) 

Als  Börsenknecht  wurde  bis  zum  Jahre  159S  von  den 
Kaufmannsalterieuten  ein  Handweilier,  Schiffer  oder  ein  zuver- 
lässiger Mann  aus  einer  ähnlichen  Berufsart  gewShlt.   In  diesem 

Jahr  machten  29  Kaufleute  in  einer  Eingabe  den  Vorschlag,  das 
Amt  einem  früheren  Boten  zu  übertragen,  der  die  Kaufleute  kenne 

')  vom  30.  junl  1576  ab  vier  Tnj^c  vnrhr-  *)  In  fibrigctt  mußte  tT  die  Bettler 
und  RattenSnco:  von  der  Börse  fernhalten,  die  KÄume  rdnigcn,  im  Winter  bei  Olätte 


Digitized  by  Google 


344 


Alfred  Karll. 


und  von  den  Rdsen  Bescheid  wisae.  Die  Alterieute  kamen  der 
Aufforderung  nach  und  erwählten  an  Stdie  des  ennordelen  Böraen- 
ImechtB  den  bisherigen  Boten  Hans  von  Vogeden.  Seine  Er- 
nennung führte  zu  einem  Streit  mit  den  Oewandsdineidern,  die 
es  1605  durchsetzten,  daß  sie  sich  bei  der  Wahl  beteiligen  iconnfen. 
Die  Kontrolle  über  die  Boten  blieb  dem  Börsenknecht  auch  dann, 
als  deren  eigentliche  Abfertigung  in  einem  besonderen  Hause, 
der  Post,  statthmd 

Man  hat  behauptet,  es  habe  im  Jahre  1517  ein  altes  Post- 
haus am  „Orimm"  bestanden,  ja  schon  vorher  sei  der  erste  Ver- 
sammln ngsori  der  Boten  ein  Gebäude  der  »Ober-Oesellschaft  der 
England  lahrer«  und  der  »Nieder-Gesellschaft  der  Schonenfahrer« 
in  der  Pelzerstraße  gewesen.')   Diese  angeblichen  Postämter  sind 
Phantasiegebilde.   In  den  Archivaiien  wird  bis  1  590  stets  erwähnt, 
daß  die  Boten  die  Sendungen  in  ihren  Herbergen  und  an  der 
Börse  in  Fmpfanrr  nahmen.    Das  Gebäude  der  beiden  Gesell- 
schaften kann  aber  schon  deshalb  kern  Postamt  gewesen  sein,  weil 
es  gar  nicht  ein  Grundstück  sein  konnte,  sondern  aus  zwei  baulich 
voneinander  getrennten  Gebäuden  hätte  bestehen  müssen;  denn 
die  Benennungen  »Ober«-  und  .i Nieder «-Oesellschaft  rühren  ge- 
rade daher,  daß  das  eine  Haus  am  oberen,  das  andere  am 
unteren  Ende  der  Pelzerstraße  stand. 

Der  erste  von  den  Alterleuten  eingesetzte  Postmeister  hatte^ 
wenn  auch  anlangs  ohne  ihr  Wissen,  einen  VoigSnger.  Die 
Hambuiger  Boten  hatten  nftmlich,  weil  sie  die  Kaufleute  nicht 
alle  kannten,  mit  der  Annahme  und  Bestellung  der  -Sendungen 
eine  andere  Person,  Hinrich  von  Cölln,  betraut  Dieser  Post* 
meister,  noch  «Schreiber«  genannt,  wird  zwischen  1570  und 
1577  von  den  Boten  angenommen  sein,  da  sie  zu  dieser  Zeit 
auch  in  Antwerpen  einen  Gehilfen,  den  schon  erwähnten  Diener 
Franz,  hatten.  Am  7.  September  1590  wurde  Hinrich  von  Cölln 
durch  die  Alterleute  abgesetzt;  sei  es,  daß  er,  wie  ihm  vorge- 
worfen wurde,  sich  mancherlei  Unregelmäßigkeiten  hatte  zuschulden 
kommen  lassen,  sei  es,  daß  die  Ältesten  der  Kaufmannschaft  er- 
kannt hatten,  wie  fördernd  ein  von  ihnen  eingesetzter  Postmeister 

>)  Aitidv  Mr  Poit  und  Ttlcgraphle  1S76.  S.  54t.  ^  R«aBe,  Die  Piwt  wni  T<te- 
frafibiti  In  Hanhiif . 


Digitized  by  Google 


Hamburger  Verkehrswesen  bis  zur  Mitte  des  1 7.  Jahrhunderts.  345 


auf  die  Entwicklung  des  Verkehrswesens  einwirken  konnte.  Sie 
übertrugen  das  Amt  des  früheren  Schreibers,  zuerst  versuchs- 
weise, dem  Hein  Schnudi.  Dieser  mußte  an  Eidesstatt  ver- 
sichern, er  wolle 

1.  eine  richtige  Charte  machen  und  das  Geld  den  Boten 
sofort  aushändigen; 

2.  keine  l\r\de  gegen  Geschenk  zurückhalten,  sobald  die 
Charta  angeschlagen;  • 

3.  nur  das  ordentliche  Briefgeld  erheben; 

4.  keinem  durch  die  Finger  sehen  und  die  Briefe  den  Boten 
rechtzeitig  übergeben; 

5.  die  unrichtige  Abreise  der  Boten  dem  präsidierenden 
Altermann  sofort  melden. 

■ 

Falls  er  dnem  von  diesen  Punkten  nicht  nadikommen  wfirde, 
sollte  er  das  erstemal  drei»  das  zweitemal  sechs  Taler  Strafe  zahlen 
und  im  Wiederholungsfall  aus  dem  Dienst  enthissen  werden. 

Aus  diesen  Bestimmungen  geht  hervor»  daß  damals  tat- 
sScfalich  dn  Postamt  nach  unseren  modernen  Begriffen  eingerichtet 
wurde;  denn  der  Postmeister  hatte  sowohl  Annahme^  Au^giabe 
und  Abfertigung  der  Briefe  zu  besoi^gien  ab  auch  die  Boten  zu 
fiberwachen.  Auch  der  Umstand,  daß  er  nicht  etwa  nur  die 
Briefe  den  Boten  übergab,  sondern  auch  einen  eigentlichen  Karten- 
schluß zu  fertigen,  also  die  Briefe  in  eine  besondere  Liste  ein- 
zutragen hatte,  ist  dabei  von  Bedeutung.  In  dieser  Karte  wurden 
die  Stniiuiigcn  unter  Angabe  des  Empfangers  und  des  Frankos 
oder  Portos  vermerkt.  Sobald  der  Postmeister  die  Sendungen 
auf  Grund  der  Karte  übernommen  hatte,  ging  die  Verantwort- 
lichkeit auf  ihn  über.  Die  Karte  wurde  anfangs  in  Urschrift  an 
der  Börse  angeschlagen,  damit  die  Kaufieute  sehen  konnten,  ob 
Briefe  oder  Pakete  für  sie  eingegangen  waren.  Als  der  Verkehr 
sich  dann  zum  l^osthause  hinzog,  heftete  der  Postmeister  nur  eine 
Abschrift  in  semem  Hause  an. 

Als  Entschädigung  für  seine  Mühe,  für  die  Hergabe  der 
Räumlichkeiten  und  den  Verbrauch  an  Feuerung  und  l  icht  er- 
hielt der  Postmeister  von  den  Boten  eine  Vergütung;^)  spater 

tj  Im  Jahre  I6ia  bd  Jeder  ReUe  9ß  üb. 


Digitized  by  Google 


546 


Alfred  Karll. 


wurde  ihm  dn  Anteil  an  dem  aufkommenden  Briefgdd  zuge- 
standen. Außerdem  schuf  er  sich  eine  Einnahme  durch  Ver- 
miehmg  von  Sddafiiumen  an  die  fremden  Boten,  die  allerding» 
wenig  Neigung  zeigten,  bei  ihm  zu  wohnen.  Hauptsidilidi 
fQrchteten  sie,  von  dem  Postmeister  in  ihren  Einnahmen  vericüizt 
zu  werden,  und  sie  befreundeten  sich  erst  nach  längerer  Zdt 
damit,  die  Sendungen  im  Posthause  abzuliefern.  Auch  mochten 
sie  wohl  mit  Recht  annehmen,  daß  sie  nach  und  nach  in  eine 
abhängigere  Stellung  geraten  würden.  Für  die  Alterleute  war  in- 
dessen ausüclilaggebend,  daß  die  tmrichtung  des  Postamts  die 
Auiliefening  der  Sendungen  erleichterte,  daß  die  Klagen  über  zu 
hohe  Befürderungsgebuhren  aufhörten,  und  daß  eine  wirk>aiTie 
Kontrolle  über  die  Boten  ausgeübt  werden  konnte.  Deshalb 
hielten  sie  mit  Nachdruck  darauf,  daß  die  Briefe  beim  Postamt 
abgeliefert  wurden,  und  urUerdruckten  jeden  Widerstand  der  Boten. 

Als  der  Nachfolger  des  Schmidt^)  im  Jahre  I6t8  starb, 
übertrugen  die  Alterleute  auf  Fürsprache  fast  sämtlicher  Kaufleute 
das  Postmeisteramt  der  Witwe,  die  es  erst  allein  verwaltete,  dann 
sich  aber  wieder  verheiratete.  Ihr  Mann^)  starb  im  Jahre  1641. 
Nach  seinem  Tode  stellte  sie  den  Alterleuten  vor,  sie  habe  ihre 
zwei  Töchter  fleißig  in  den  Geschäften  des  Postmeisters  unter- 
richte^ und  bat,  man  möge  eine  «qualiflderte*  Person,  die  eine 
Ihrer  Töchter  heirate,  zu  diesem  Amte  wihlen.  Von  83  Kanf- 
leuten  wurde  ihr  Gesuch  unterstOtzt,  wahrscheinlich,  weil  man 
auf  diese  Weise  einen  Wechsel  in  der  Lage  des  Posthauses  ver- 
hindern wollte.  Die  Alterleute  gingen  auf  diesen  Vorschbig  ein, 
man  hatte  also  eine  Erbfolge  in  der  weiblichen  Linie.  Der  Er- 
wihlte^  Diehich  Oerbrand,  wurde  noch  in  demselben  Jahre  ver- 
pflichtet; ihm  wurde  später*)  auch  das  Amt  eines  Branden- 
burgischen  Postmeisters  übertragen. 

Wenden  wir  uns  nun  der  Entwicklung  des  Betriebes  auf 
den  einzelnen  Kursen  zu: 

L  Hamburg -Antwerpen  (Köln). 

Vor  dem  Jahre  1 5  70  schehit  die  Korrespondenz  nach  Fbndent 
durch  die  von  Antwerpen  nach  Dan^  reisenden  Boten  vermitlelt 


Digitized  by  Google 


Hambuigcr  VericdmMMii  bis  zur  Mitte  des  17.  Jaltrliiiiiderte.  347 


za  San.  Diese  setzten  ihre  Reisen  noch  fort»  als  die  Hamburger 
KaufmannsUtesten  in  diesem  Jahre  vier  Boten*)  annahmen,  welche 
die  Reisen  nadi  Antwerpen  in  regelmäßiger  Folge  und  an  festen 
Abgangstagen  ausflUiren  sollten;  vier  Jahre  spftter  kam  noch  ein 
fünfter  Bote*)  hinzu.  Auch  das  aufblühende  Amsterdam  sandte 
zu  dieser  Zeit  Boten  nach  Hamburg  und  Antwerpen.  Im  Jahre 
1585,  als  der  Handelsverkehr  von  Antwerpen  nach  Amsterdam 
abgelenkt  wurde,  stellten  die  Antwerpener  und  die  Hamburger 
Boten  ihre  Reisen  zwischen  beiden  Städten  ein;  die  letzteren, 
die  über  Linien  und  Amsterdam  nach  Antwerpen  zu  reisen 
pflegten,  erscheinen  im  folgenden  Jahre  plötzlich  als  Kölner  Boten. 
Die  Korrespondenz  nach  Antwerpen  wurde  Über  Köln  geleitet 
und  von  dort  aus  weiterbeförderL 

Zu  diesem  Zeitpunkt  wurde  eine  besondere  Botenordnung 
ffir  den  Kölner  Kurs  festgesetzt»  wonach  die  Reisen  I4ti^g  hn 
Sommer  in  7,  im  Winter  in  9  Tagen  zu  FnB  aufgeführt  werden 
sollten.  Vorher  hatte  ein  in  Köln  ansässiger  selbständiger  Bote') 
allein  die  Reisen  zwischen  Köln  und  Hamburg  zurflckgelegt  Der 
Kölner  Rat  folgte  dem  Beispiel  der  Hamburger  Alterleute  und 
nahm  vier  Boten  an;  eine  tiinfte  Steile  wurde  dem  früheren  Boten 
übertragen.  Die  Reisen  Iconnten  also  wechselseitig  zwischen  beiden 
Städten  stattfinden.  Die  Kölnischen  Boten  leisteten  den  Eid  auf 
die  Hamburger  Botenordnung  und  lügten  sich  nach  vergeblichem 
Widerstand  dem  von  den  Alterleuten  eingesetzten  Postmeister. 
Die  Strafgewalt  lag  in  den  Händen  des  Kölner  Rats  und  der 
Hamburger  A!ter!eute,  sie  wurde  aber  in  Hamburg  weit  schärfer 
gehandhabt  als  in  Köln, 

Als  auf  der  Strecke  zwischen  Köln  und  Antwerpen  infolge 
des  Vorgehens  des  Postmeisters  Henot  die  Pakete  der  Boten  ge- 
öffnet wurden,  schrieben  die  Alterleute  dies  der  UnzuverUssigkeH 
der  Köhler  Boten  zu  und  schlugen  vor,  auch  in  Köln  einen 
Postmeister  einzusetzen,  jedoch  ohne  Erfolg.  In  der  in  Köln  da- 
mals (1591)  aufgestellten  Botenordnung  wurde  nur  vorgesehen, 
eine  Raisperson  habe  darüber  zu  wachen,  daß  eröffnete  Briefe 


1)  Hans  HauunsB,  Albert  Ronnenberg,  Haas  van  der  Landouv,  Martin  Kxoger. 
«I  JocUoi  KMdL       I)  Hinrtcli  KicMpcnMtar. 


Digitized  by  Google 


348 


Alfred  KarlL 


nicht  von  jedermann  durchgelesen,  sondern  in  der  Kanzlet  auf» 
bewaüift  werden  sollten.  Die  Hamburger  Alterleute  erhielten  von 
dem  Treiben  des  Henot  erst  im  Jahie  1598  Kenntnis. 

Nachdem  in  Hamburg  wiederholt  mit  dem  Reisetag  ge- 
wechselt war,  gab  man  1609  den  Kölnischen  Botenkurs  ganz  auf, 
und  ließ  die  Boten  über  Amsterdam  nadi  Antwerpen  reisen. 
Bald  darauf  wurden  auch  diese  Reisen  eingestellt  und  die  Sen«- 
düngen  nur  bis  Amsterdam  durch  Hambuigo'  Boten  befördert 
Den  Reisezettel  eines  über  Amsterdam  nadt  Antwerpen  reisenden 
Boten,  der  eine  sehr  eingehende  Schilderung  der  Reise  gibt,  habe 
ich  bereits  besprochen.')  Da  der  Zettel  aber  eine  ^Toße  Bedeutung 
hai  und  eine  Seilenheil  ist,  gebe  ich  den  Wurlkui  hier  wieder: 

1.  Blatt  -  linke  Seite. 

He  is  uth  Antwerpen  gereiset  den  

unde  qwam  heim  den  

Dith  is  Berent  VeBell  sin  Reisezedel  van  Hamborch  up 
Andtwerpen  und  wedder  her. 

Sen  dach  tumi  [?  D.  Red.],*)  was  de  13.  December  1609. 
is  he  van  Hamborch  affgereiset  Und  qwam  wedder  den  —  • 
January  a*  1610. 

Hc  br;ichic  breve  van  Antwerpen,  schriwen  van  den  31.  De- 
cember. So  hadden  se  en  7  dage  in  Antwerpen  laten  up 
beschede  wachten. 

Berent  sine  Unkosten  sin  65  gülden  unde  mark  dorch- 
einander  unde  1 4  ß,  dartho  heffe  men  ehme  vor  sine  möge  und 
arbeit  uth  unde  tho  hüs,  dat  he  in  alles  bekumpt  80  m. 

1.  Blatt  -  rechte  Seite. 
Freundliche,  leve  fadder.  Dewille  gy  begeren,  dat  idc  de 
unkosting  upzelen  schall,  so  stddt  Idt  hier  alles,  up  dat  g>  mi 

hermidt  nicht  fordracken  mögen. 

Erstlick  fan  Hamborch  bct  tho  Weddel  tho  farende  .        iO  ß 

des  avendes  for  kost  und  ber   5  » 

tho  hovetgelde   1  • 

i)  Blitter  für  Posf  und  TdcgrqiUc,  ZdMirift  der  hfihcica  Port-  mid  Tdcinphai* 
beatnten.  I.  Jahiguig,  Nr.  20. 

^  Soll  w6tl  hdflen :  Den  dack  .  .     Sonata^  könnt  nickt  Hi  Fng/tt  der  1S.  Do. 
«w  dn  MHtvodi.  D.  Red. 


Digitized  by  Googl 


Hamburger  Verkehrswesen  bis  zur  Mitte  des  1 7.  Jahrhunderts.  349 


fan  WedeP)  tho  Staue  tho  farende  tho  ever*)     .    .  6 

dar  for  kost  und  ber   .    .   7  • 

fann  Stade  tho  Vorde')  tho  forlon   10  » 

des  avendes  for  kost  und  ber   7  j» 

fann  Forde  betto  Breme*)  tho  forlon   26  if 

thor  mollen  fortert  und  for  fuer*)   4  » 

fan  dar  thor  Borch*')  forterfi]    ........  6  » 

fan  dar  tho  Bremen  fortert   6  » 

fan  Breul en  tho  Oelmehorst  tho  forlone     ....  4  ■ 

dar  fortert   2  « 

fan  dar  tho  Wilshusen  ^)  tho  forende   6  • 

forteret  for  kost  und  ber   6  » 

fan  Wilhusen  bet  thor  Klockenborcb^)  for  forlon     .  9  » 

forteret  for  für  unde  kost  u.  ber   4  » 

fan  der  Klockenborch  tho  Lonne*)  for  forlon  ...  10  » 

for  für   1  * 

fan  Lonne  bette  tho  Haselunde^*)  tho  forgelde    .  .  10  • 

dar  fortert  und  für   5 

Summa  9  m  2  ß 

2.  Blatt 

fan  Haselunden  betto  Lingen  for  forlon    .    .  12  stufer 

dar  fortert  for  kost  und  ber   7  » 

fan  Lingen  bet  thom  Neigenhuse^^)  tho  forlon  33  » 

dar  fortert  und  thor  fere   8  ■ 

fan  Neigenhuse  bet  thom  Hardenbarge^^)  for 

forlon   23  n 

dar  forteret   4  » 

fan  Hardenberge  bette  tho  Zullc")  tho  forlone  34  » 

dar  fortiret   12» 

fan  Zulie  betto  Ammesforde tho  torlone  .  54  » 

fan  Ammersforde  betto  Utrick**)  for  forlon  .  14  » 

dar  forteret   6  » 


i)  Wedel  bei  Blankenese.  *)  ein  auf  der  Elbe  gebriucbliches  rabrzeng. 

*^  BicmcrvSrde.        Bicnai.     ^  FcncnnK.      «)  Bui«  (Bedric  Bretncn).     ^  WildÄ- 

haii?cn.  »)  Kloppcnhurg,  «)  Löningen.  "0  Haselünne.  ")  NntcolHW  In  Wcit> 
falcn.      »>  Haidaibcrg.         ZwoUe.      ")  Amersfoort.      '»)  Utrecht 


Digitized  by  Google 


350 


Alfred  IMl. 


fan  Utrick  ihor  Um*)  ...  w  ...  .  12  stufer 

fan  der  farre  tho  Dorfe*)  tho  schepe  for  foren  40  » 

dar  fortcret   12» 

fan  Dorte  bette  thom  Oldenbustke^)  tho  schepe  18  » 

dar  forteret   9  » 

fan  den  Oldenbustke  bette  thom  Achterbrocke  (?) 

Üio  forione  und  de  mi  den  wech  wissede  34 

forteret   7  >» 

fan  Achterbrock  tho  Andtwerpen  tho  forlon  .  12  „ 


Summa  iß  18  guid.  3  stufer 
3.  Blatt 

Darmidt  quam  ick  tlio  Andtwarpen  und  lach 
dar  7  dage  stille,  dat  se  mi  upholden. 
Da  terde  kk  ider  dach  eine  maltidt,  dar 

miste  ick  for  geven  

und  denn  thor  harbarge  for  für  und  zumme 

ein  iringkciu  her  beleyfick,  do  ick  reisede 

der  maget  tho  bergelde  

Fan  Andtwarpen  wedderumme  tho  Breidall*) 

tho  forione  

dar  toneret  

fan  Bredall  tho  Gelernbarch*)  for  forlon  ,  , 

dar  forteret  2  maltidt  

fan  Qeterenbarcb  up  Oorkum  *)  tho  schepe  for 

farent  

dar  forteret  

Fan  dar  wolde  ick  in  de  richte  dorch  na 

Ainnem,^  na  Nimwegen,  na  Bummel*) 

und  konnde  dar  nennmandt  dorch  hm 

wegen  des  watfers  und  des  ises.  Denn 

idt  Wolde  nicht  hoklen  ock  nicht  brecke. 

Moste  also  weder  hm  Oorkum  up  Utrick 

to  schepe,  koste  mi  3  guld. 


*)  Fähre.      *)  Dordredit     >)  Oudenboscta.      «)  Breda.     >)  OctTtruidciibergh. 
^  Oorincbem  (Ooicitn).     >)  Anlieiai.     9  Bommd. 


12  sbifa- 

6  guld. 

4  . 

2  guld. 

12  • 

18  • 

24  • 

2  gttki. 

8  . 


Digitized  by 


Hamburger  Volucluwesen  bis  nur  Mitte  des  17.  Jahrhundert».  351 

forteret  dar   7  Stüter 

fan  dar  na  Ammesforde  for  faren   ....  6  » 

dar  forteret   7  » 

fan  Ammesforde  ihü  Üllespedt^)  tho  forlone  .    2  guid. 

dar  forteret   10» 

Summe  is  1 9  guld.  1 6  stufer 

4.  Blatt  -  linke  Seite. 

fan  Blespedt  iho  Zulle  for  forlon  ein  fladi*) 

und  den  1.  de  mi  den  wech  wisende  .  28  stufer 
lan  ZiiUc  thor  Ai  meshost  (?)  de  mi  den  wech 

wisende   24  » 

dar  forteret   10  » 

fan  Armeshost  geredcn  tho  perde,  koste  1  Daler  is  30  » 

bet  thom  Hardenbarch 
fan  Hardenbarch  thom  Neigenhuse  gereden  vor 

en  perdt  und  de  mi  den  wech  wisende   2  guld. 

forteret  dar   69 

fan  Neigenhuse  tho  Ungen  tho  forione    .   .  24  * 

dar  forteret   6  « 

fan  Linolen  tho  Haselunde  tho  forlone     .   .  16  » 

dar  für  und  eine  kenne  ber')   4  » 

fan  Haselunde  tho  Lonne  tho  forlone  ...  16  > 

for  für  unde  unnist   2  « 

fan  Lonne  thor  Klockcnborch  for  förlon  .   .  15  » 

fan  Qockenbordi  tho  Wilfihusen  tho  forlone  18  » 

dar  forteret   6  » 

Summa  is  1 2  guld.  5  stufer 

4.  Blatt  -  rechte  Seite. 

fan  Wilßhusen  bet  tho  Bremen  tho  forlone   ...  12  ^ 

forteret  tfiom  tome   •  6» 

fan  Bremen  betto  Forde  tho  forlone   26  * 

thor  Boich  forteret   5  » 


*)  Elteqwet         clae  Sbccke  Wega.     <)  dne  Kanne  Bier. 


Digitized  by  Google 


352 


Alf  rad  Kadi 


♦  ß 

Mit   I  VIUC  UCUU  <3mUv   IUI  tVlIVIl 

■  V  ir 

12  w 

fan  Stade  betto  Wedd  tho  ever 

for  hren  de  man 

II  m 

tho  Wedel  fortcret  .... 

6  » 

fan  Wedel  na  Haiiiborch  gegeven 

tho  forlon  .    .  . 

8  er 

Summa  iß  6  jui 

4  ß 

Hinip  hebe  ick  endtfangen  6  dicke  daler,  den  daler  udt- 
gegeven  for  52  stufer,  6  enkelde^)  Rickesdaler,  den  daler 
udtgegeven  for  48  stufer. 

Fan  18  breven  endtfangen  6  gülden,  den  gülden  20  stu., 
fan  ein  den  knsken(?)  endtfangen  1  daler. 

Der  Bote  berührte  also  folgende  Orte  auf  seiner  Reise: 
Hamburg,  Wedel,  Stade,  Bremervörde,  Burg  (Bez.  Bremen), 
Bremen,  Delmenhorst,  Wildeshausen,  Kloppenburg,  Löningen, 
Haselünne,  Lingen,  Neuenhaus  (Westfolen),  Hardenberg,  ZwoUe, 
Amersfoort,  Utrecht,  Dordrecht,  Oudenbosch,  Aditerbrock  (?), 
Antwerpen,  Breda,  Qertruidenberg,  Gorcum,  Utrecht,  Amersfocrfp 
EUespeet,  Zwolle,  Armesbost  (?),  und  von  da  ab  dieselben  Orte^ 
wie  auf  der  Hinreise. 

Wessel  war  demnach   einer  der  ersten   Boten,  welche 

anstatt  nach  Köln  auf  dem  Wege  über  Liugen  nach  Ant- 
werpen reisten. 

Der  Kölner  Botenkurs  mußte  aufgegeben  werden,  weil 
die  Hamburger  Alterleute  infolge  des  Vorgehens  des  Kaiserlichen 
Postmeisters  Johann  von  Coesfeld  den  Weg  über  Köln  nicht 
mehr  benutzen  konnten.  Dieser,  der  Nachfolger  Henots,  setzte 
das  Werk  seines  Vorgängers  fort  und  zwang  die  Hamburger 
Boten  auf  Grund  kaiserlicher  Mandate,  die  Briefe  an  ihn  auszu- 
liefern. Die  Alterleute  beförderten  nunmehr  die  Sendungen  nach 
Köln  auf  dem  Wege  aber  Prankfurt  a.  tA.  Die  Verzögerung^ 
die  hierdurch  eintrat^  begilnstigte  die  Einrichtung  einer  Kaiserlichen 
Post  zwischen  Köhl  und  Hambuiig  und  die  Gründung  des  erslen 
fremden  Püslamts  in  Hamburg. 


t)  diudnc. 


Digitized  by  Google 


Hamlntiger  Verkdinvaen  bb  zur  Mitte  da  17.  Jabriiiiiulerts.   3  53 


II.  Hamburg^  -  Frankfurt  a.  M. 

Der  Botenkurs  zwischen  Hamburg  und  Frankfurt,  auf  den  die 
Korrespondenz  nach  Köln  nunmehr  überging,  war  im  jähre  1586 
von  den  Frankfurter  Kaufleuten  eingerichtet  und  hatte  seitdem 
unter  ihrer  Verwaltung  gestanden.  Die  Hamburger  Alterleute 
hatten  nur  eine  Aufsicht  über  die  Boten  ausgeübt 

Da  man  jetzt  in  Hamburg  ein  besonderes  Interesse  daran 
hatte,  die  Boten  an  feste  Bestimmungen  zu  binden  und  der  Kon- 
trolle des  Postmeisters  zu  unterstellen,  so  wurde  im  Jahre  1609 
eine  Botenordnung  festgiesetzt  Die  drei  Frankfurter  Boten  wurden 
von  den  Hamburger  Bfirgiemieistern  aufgefordertr  sidi  eidlich  auf 
diese  Botenordnung  zu  verpflichten.  Sie  baten  sich  drei  Wochen 
Bedenkzeit  aus»  eine  Frist,  die  in  Fiankfurt  dazu  benutzt  wurden 
schleunigst  einen  Nachtrag  zur  doftigen  Botenordnung  zu  ver- 
fassen. Die  Forderungen  der  Alterleute  waren  darin  berfick- 
sichtigt;  diese  mischten  sich  deshalb  nicht  mehr  in  die  Ange- 
legenheit Denn  es  kam  ihnen  wen^  darauf  an,  die  BotensteUen 
zu  vermehren,  als  eine  schnelle  und  sichere  Beförderung  der 
Sendungen  herbeizuführen.  Die  beiden  von  ihnen  angenommenen 
Boten  setzten  die  Reisen  nicht  fort.  Der  von  den  Frankfurter 
Kaufleuten  zum  Verwalter  des  Butenwesens  eingesetzte  Albrecht 
Kleinhans  fertigte  auch  nach  dieser  Zeit  in  Hamburg  die  Frank- 
furter Boten  ab.*) 

Spatestens  .i4egen  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  iinterlaj^  der 
Frankfurter  Uotenkurs»  der  über  Stade  und  Bremen  führte,  der 
Kaiserlichen  Post 

III.  Hamburg  (Lüneburg)  -  Braunschweig  —  Nürnberg. 

Nicht  anders  ging  es  den  zwischen  Hamburg  und  Braun- 
schweig reisenden  Boten,  die  im  Jahre  1579  schon  in  Hamburg 
genannt  werden.  Die  Braunschweiger  Kaufleute^  von  denen  dieser 
Kurs  eingerichtet  war,  blieben  längere  Zeit  hindurch  im  Besitz 
desselben,  nachdem  die  Hamburger  Alterleute  auf  Wunsch  der 
Bnoinschweiger  Kaufleute  von  der  Annahme  eines  eigenen  Boten 


<)  Andi  der  Saut  bomizte  diew  Befördenmgsgdqsenhdt.  Klmnefci-IlednraiiK  161S: 
t»  kUf  Alb.  lOchÜMMMD  vor  brich  nnd  andere  sadM  von  Speicr  imBfl.  -  IS.  Jtttf 

ArUv  ttr  KallMieMhldhle.  V.  21 


Digitized  by  Google 


354 


Alfred  KarlL 


abgesehen  hatten.*)  Später,  im  Jahre  1645,  sidtten  sie  jedodi 
einen  Boten,  der  abwechselnd  mit  den  beiden  Braunschweiger 
Boten  die  Reisen  ausführte,  ein.  Interessant  bei  allen  diesen 
Verhandlungen  ist  der  Gegensatz  der  Anschauungsweise  Hani> 
burgs  gegenüber  der  anderer  Städte:  Hier  das  Bestreben,  das  Ver- 
kehrswesen in  fortschrittlichem  Sinne  zu  heben,  ohne  Rucksicht 
aiii  den  Vorteil  oder  Nachteil  für  die  eigenen  I'^oten,  dort  das 
Festhalten  an  dem  Bestehenden,  die  Sorge  luj  die  bmnahmen 
der  Boten.  Die  Braunschweiger  Kaufleute  und  Krämer  z.  B.  waren 
der  Ansicht,  daß  eine  Neuerung  „selten  was  nützliches  wirket«, 
ein  recht  beschränkter  Standpunkt,  der  von  den  großzügigen 
Verwaltungsgrund Sätzen  der  Hamburger  Alterleute  seltsam  absticht. 

Die  Braunschweiger  Boten  wurden  auf  ihren  Reisen  von 
Nürnberger  Boten  begleitet.  Als  man  in  Hamburg  diese  Boten 
früher  abfertigen  wollte,  um  eine  weitere  Beförderungsgelegenlieit 
zu  schaffen,  wurde  in  Braunschweig  Einspruch  erhoben,  weil 
durch  die  Änderung  die  Einnahmen  der  dortigen  Boten  ge- 
schmälert werden  könnten.  Die  Schwierigkeiten,  auf  welche  die 
Altericute  in  fremden  Städten  stießen,  xs.ir  der  Krebsschaden  des 
ganzen  Verwaltungssystems.  Denn,  da  alles  auf  Vereinbarung 
und  Entgegenkommen  beruhte,  die  Ansichten  über  die  Zweckmäßig- 
keit aber  sehr  verschieden  waren,  so  scheiterten  die  Verbesse- 
rungen oft  an  der  Engherzigkeit,  Beschränktheit  und  Kurzsichtigkeit 
Dadurch  bot  man  den  Staatsposten,  die  unter  zentralisierter  Leitung 
standen,  eine  Handhabe,  um  den  Verkehr,  sei  es  durch  diplo- 
matische Einwirkung,  sei  es  durch  Gewalt  oder  Konkurrenz,  an 
sich  zu  bringen.  Wo  der  Einfluß  der  Hamburger  zielbewußten 
Leitung  aber  überwog,  ist  es  selbst  den  Taxisschen  Posten  oft 
nicht  gelungen,  das  Terrain  allein  zu  behaupten.  Das  warz.  B. 
bei  dem  Lünebuiiger  und  Emdener  Kurse  der  FalL 

IV.  Ham bürg  -  Leipzig. 

Die  Herstellung  einer  regelmäßigen  Verbindung  mit  Leipzig 
war  für  den  Handelsverkehr  sehr  wichtig,  zumal  auf  diesem  Wege 
auch  die  Sendungen  nach  Breslau  befördert  werden  konnten.  Die 
erste  Anregung  ging  von  einigen  Leipziger  Kaulleuten  aus,  die 


Digitized  by  Google 


Hamburger  Verkehrswesen  bis  zur  Mitte  des  1 7.  Jahrhunderts.  355 


im  Jahre  1593  den  tnlwurf  zu  einer  Botenordnung  nach  Ham- 
burg sandten.  Hier  hatte  man  bereits  zwei  Jahre  früher  ver- 
anlaßt, daß  die  nach  Leipzig  reisenden  Boten  feste  Abgangszeiten 
innehalten  mußten.  Nach  mehrfachen  Verhandlungen  einigten 
sich  die  Alterleute  mit  den  Leipziger  Kaufleuten  dahin,  daß  je 
zwei  Boten  aus  Hamburg  die  Reisen  ausführen  sollten.  Jeder 
von  ihnen  sollte  die  Sendungen  in  einem  geschlossenen  Felleisen 
bis  Gorleben  beiordem  und  die  Satteltasche  dort  mit  dem  ent- 
gegenkommenden Boten  auslauschen.*) 

Kurze  Zeit  hindurch  wurden  die  Reisen  in  dieser  Weise 
verrichtet,  bis  mehrere  Kaufleute,  die  anschemend  bei  der  Auf- 
stellung der  Bolenordnung  nicht  beteiligt  waren,  bei  dem  Leip- 
ziger Rat  vorstellig  wurden.  Dieser  ließ  sämtliche  Kauflente 
vorladen  und  forderte  sie  zu  einer  schriftlichen  Aufkning  auf, 
ob  man  das  Botenwesen  anders  einrichten  wolle  oder  nicht.  Die 
Kaufleute  schlugen  vor,  man  solle  in  Leipzig  drei  Boten  an- 
nehmen und  nach  Hamburg  durchlaufen  lassen.  Trotz  des 
energischen  Widerspruchs  der  Hamburger  Verwaltung  entschied 
man  sich  für  diese  Maßregel  und  schickte  den  Hamburger  Boten, 
der  sich  gerade  in  Leipsig  aufhielt,  einfach  ohne  Briefe  zurück. 
Die  Hamburger,  die  sonst  vielleicht  nachgegeben  hätten,  waren 
über  dieses  rücksichtslose  Vorgehen  so  empört,  daß  sie  mit  gleicher 
Münze  zahlten  und  die  Leipziger  Boten  ebenfalls  ohne  Sendungen 
heimschickten.  Nunmehr  mußte  man  in  Leipzig  nachgeben.  Vom 
Jahre  1595  ab  wurden  die  Reisen  zwischen  beiden  Städten  ab- 
wechselnd von  den  beiderseitigen  Boten  verrichtet 

Infolge  Cinrichhing  einer  Postverbindung  zwischen  Hambuig 
und  Breslau  Aber  Berlin  im  Jahre  1657  verior  der  Kurs  wesentlich 
an  Bedeutung;  er  befond  sidi  aber  noch  1675  in  den  Hfinden 
der  Hamburger  Börsenalten,  die  von  dem  Postmeister  Lüdeis  für 
1 1  Karten  nach  Leipzig  das  hübsche  Sümmchen  von  1 300  Mark 
damaliger  Wlhrung  erhielten. 

V.  Hamburg  -  Emden. 

Das  Jahr  der  Einrichtung  dieses  Kurses  kann  nicht  mehr 
genau  festgestellt  werden.   In  einem  Schrriben  der  Emdener  Alter- 

9  tvmaiimmg  mm  i.  S«L  im. 

2i* 


Digitized  by  Google 


356 


AIM  KttU. 


leuie  aus  dem  Jahre  1592  wird  erwähnt,  daS  die  Boten  vor  ge- 
raumer Zeit  nach  und  nach  angenommen  seien.  Man  wird 
den  Zeitpunlct  also  wohl  spätestens  in  die  Mitte  der  achtziger 
Jahie  verlegen  IcOnnen. 

Die  Zahl  der  Bolen  betrag  1591  vier:  drei  wurden  von 
Emden,  einer  von  Hamhutig  gestellt  Später  wurde  auf  Veran- 
lassung der  Hamburger  eine  Stelle  in  Emden  eingezogen  (1593) 
und  die  Zahl  der  Hamburger  Boten  auf  zwei  erhöht. 

Der  Emdener  Kurs  blieb  bis  zum  1 9.  Jahrhundert  im  Be- 
sitz der  Börsenalten;  noch  bei  Übergabe  der  Post  an  den  Ham- 
burger Staat  war  von  einem  Emdener  Boten  die  Rede. 

VL  Hamburg- Kopenhagen. 

Die  Verbindung  zwischen  Hamburg  und  den  nordischen 
Königreichen  war  am  Ende  des  16.  Jahrhunderts  noch  sehr  mangel- 
haft. Ein  von  dem  späteren  König  Karl  IX.  von  Schweden  in 
Stockholm  am  31.  August  1594  an  den  Hamburger  Rat  abge- 
s^uuiTer  Hrief  ^elan^e  z.  B.  erst  am  23.  September  in  die  Hände 
des  Hamburger  Senats,  obwohl  die  Beförderung  im  Sommer  statt- 
fand.') Es  entsprach  daher  einem  wirkhchen  Bedürfnis,  daß  im 
Jahre  1602  eine  regelmäßige  Verbindung  nach  dem  Norden  durch 
die  Alterieute  eingerichtet  wurde. 

Die  Boten  schlugen  je  nach  der  Jahrt;szeit  einen  verschiedenen 
Weg  ein.  Im  Winter  reisten  sie  über  Rendsburg,  Elensburg, 
Odense  und  Kopenhagen  nach  Helsingor;  von  dort  niis  wurden 
die  Sendungen  nach  Schweden  durch  eine  Mittelsperson  weiter- 
geschafft Im  Sommer  benutzten  sie  den  Weg  über  Segeberg, 
Hdligenhafen,  Laaland,  Vordingborg  und  Kopenhagen. 

Der  dänische  Postkurs,  der  von  der  Krone  Dänemark  im 
Jahre  1 624  eingerichtet  wurde,^)  tat  den  Hamburger  Boten  großen 
Abbruch.  Der  Bote  Dirck  Kümhert  bekam  1629  nur  20  Briefe 
für  eine  Reise^  und  ein  in  Kopenhagen  wohnender  Bote,  der  mit 
den  Hamburgern  abwechselte,  erübrigte  dabei  so  wenig,  daß  er 
jede  andere  Arbeit,  die  sich  ihm  bot,  annehmen  mußte.  Obwohl 
die  Hamburger  Alterleute  die  Reisen  mit  erheblichen  Kosten  fort- 

')  Original  mit  Notiz  über  die  Ankuntt  iiu  Hamburger  Staatsarchiv  (Archiv  der 

BSneulten)-       •>  Im  Onmde  nlditi  mdsrat  alt  dne  Art  Boknkan. 


Digitized  by  Go 


Huntmrpr  Vorkiclifswcseii  Us  zur  Mitte  des  17.  Jilifhuiiderts» 


^6 


setzen  ließen,  erlagen  sie  doch,  und  mußten  damit  zufrieden  sein, 

daß  das  Amt  des  danischen  Postmeisters  dem  Dietrich  Gerbrand 
übertragen  wurde.  Die  Ursache  dieses  jMißerfol^s  lag  auch  hier 
nicht  an  der  Mangelhaftigkeit  der  EinrichtLin^en,  sondern  an  der 
Macht  des  Königs  von  Dänemark,  der  seinen  Willen  einfach 
mit  Gewalt  durchsetzte. 

Eine  andere  Beförderungsgelegenheit  nach  dem  Norden  bot 
sich  Ober  Lübeck  und  von  dort  ab  weiter  auf  dem  Seewege. 
Der  Botenkurs  nach  Lübeck  war  im  Jahre  1592  eingerichtet 
worden  und  stand  unter  der  Aufsicht  der  Hamburger  Alterleute 
sowie  des  Kollegiums  der  Scbonenfalsrer  in  Lübeck.*)  Dieser  Kurs 
blieb  auch  spSler  im  Besitz  der  Mterleute. 

VIL  Hamburg  -  Amsterdam. 

Dieser  Botenkurs  ist  für  Hamburg  stets  von  größter  Wichtig- 
keit gewesen.     Ursprünglich  war  der  Briefverkehr  nach  den 

Niederlanden  durch  die  nach  Antwerpen  reisenden  Boten  ver- 
mittelt worden.  Als  diese  ihre  Reisen  einstellen  mniiten,  viel- 
leicht schon  etwas  eher,*)  entschloß  man  sich,  zwischen  Amsterdam 
und  Hamburg  besondere  Botengänge  einzurichten. 

Der  großartige  Aufschwung  des  Handels  in  Amsterdam 
rief  einen  regen  Verkehr  zwischen  beiden  Städten  hervor.  Infolge- 
dessen wurde  der  Botenkurs  Hamburg  -  Amsterdam  eine  der 
entwickeltsten  und  einträglichsten  Verbindungen.  Die  große 
Schnelligkeit,  mit  der  die  Boten  reisten,  die  Regelmäßigkeit,  die 
ihnen  die  Beschaffung  von  Fuhrmitteln  erleichterte,*)  sowie  der 
kriegerische  Schutz,  der  ihnen  in  unruhigen  Zeiten  gewährt  wufde,^) 
brachten  es  mit  sich,  daß  die  nach  Amsterdam  reisenden  Kauf- 
leute sich  ihnen  anschlössen.  Der  Wagen  der  Amsterdamer  Boten 
wurde  bald  eine  Art  Postkutsche,  die  erhebliche  Nebeneinnahmen 
schuf.  Diese  Reiseart  war  für  damalige  Zeiten  überhaupt  ver- 
hältnismäßig günstig,  wenn  auch  infolge  der  kriegerischen  Er- 


>)  Oemeinschaftliche  Botenordnung  vom  i.  März  1625. 
*)  Der  gpamie  Zd^ninld  ist  am  den  Arcbivalicn  nicbt  mehr  zu  ermitteln. 
^  Die  Ftehrtciite  hMtrn  ttdi  far  Zeit  der  Animitft  der  Bolen  mit  fliren  Fahrwerlieii 

bereif 

*)  1614  z.  B.  4  Musketiere.  Allerdings  lieUcn  sich  diese  in  der  Orafschait  ücnthcim 
WH  7  Rcftarn  ohne  Oefonrchr  betwingat. 


Digitized  by  Google 


558 


Alfred  Karil. 


dgnisse  FkWt,  wie  im  Jabre  1645,  vorkamen,  wo  die  Boten  und 
Passagiere  in  Ermangetung  eines  Wagens  mit  Sack  und  Päick  von 
Zeven  nach  Buxtehude  laufen  muSten. 

Abgesehen  von  den  Störun^^en  durch  Truppen märsche  während 
des  Niederländischen  und  des  Dreißigjährigen  Krieges,  hatten  die 
Boten  nicht  selten  mit  der  Ungunst  der  Wege  und  des  Wetters 
zu  kämpfen.  Besonders  in  Holland  kam  es  wegen  der  eigen- 
tumlichen Bodenbeschaffenheit  gewiß  häufig  vor,  daß  die  Boteo 
ihren  Weg  ändern  mußten  »fan  wegen  des  watters  und  des  ises 
denn  idt  wolde  nicht  holden  ock  nicht  brecke«. 

Bn  Zwischenfall  anderer  Art  ereignete  sich  im  Jahre  1595. 
Als  der  Bote  ntailich  auf  der  S^lfiahrt  von  Harlingen  nach 
Amsteidam  durch  einen  heftigen  Sturm  aufgehalten  wurde  und 
mit  dreitägiger  Verspätung  vor  Amsterdam  ankam,  mußte  er  zwei 
Tage  vor  der  Stadt  liegen  bleiben,  weil  man  die  Tore  nicht  öff- 
nete, um  einen  aus  dem  Gefäaguis  entsprungenen  Verbrecher 
besser  suchen  zu  können! 

Die  Reisen  fanden  einmal  wöchentlich  an  bestimmten,  aber 
oft  veränderten  Abgangstagen  statt,  bis  die  Amsterdamer  Kauf* 
mannsältesten  im  Jahre  1596  den  Versuch  machten,  eine  zwei- 
malige  Verbindung  mit  Hamburg  herzustellen.  Sie  hatten  wunder- 
barerweise  keinen  Erfolg,  weil  die  Amsterdamer  Kaufleute,  anstatt 
der  Verbesserung  zuzustimmen,  Klage  darOber  führten,  weil  es 
ihnen  zu  mühsam  falle,  zweimal  in  der  Woche  zu  schreiben! 

Die  Boten  reisten,  sobald  sie  den  geraden  Weg  benutzen 
konnten,  über  Wedel,  Stade,  Bremervörde,')  Bremen,  Lmgen  und 
Amersfoort,  sonst  von  Bremen  über  Apen,  Emden  und  Groningen.*) 
Als  die  Amsterdamer  Boten  im  Jahre  1606  Lingen  nicht  pas- 
sieren konnten,  und  bei  der  Reise  über  Emden  die  Briefe  durch 
verschiedene  Hände  ginf^^en  und  oft  18  bis  20  Tage  untenvegs 
waren,  nahmen  die  Ailerleute  m  Hamburg  vier  i»extraordinarie« 
Boten  an,  die  für  jene  die  Reise  verrichteten  Dies  gab  Anlaß 
zu  einem  vierjährigen  Streit  Nachdem  man  nämlich  in  Amsterdam 


>)  D«r  ZoUtwamte  in  Bremervörde  hielt  tttag  dinof,  daß  die  Bolen  flidrt  ctm 
Aber  Zeven  rdita  and  so  den  Zoll  umgingen. 
4  Von  1M7  ib  iber  ZnUlami. 


Digitized  by  Googl 


Hambluger  Verkehrswesen  fob  zur  Mitte  des  1 7.  Jahrhunderts.  359 


fQr  die  dortigen  Boten  Pfisse*)  fiber  Lingeii  ausgewirld  hatte 
behidlen  die  Hamburger  Alterieute  die  außergewöhnlichen  Boten 
int  Dienst,  um  zweimal  wöchentlidie  Reisen  nach  Amsterdam 
dnzufOhren.  In  Amsterdam  war  man  einer  Vermehrung  der  Be- 
förderungsgelegenheiten ohnehin  abgeneigt;  die  Änderung,  die  den 
Anteil  beider  Städte  am  Verlcehrswesen  etheblich  versdiieben 
mußte,  stieß  deshalb  auf  großen  Widerstand.  Die  Hamburger 
hielten  trotzdem  an  ihrem  Plan  fest,  weil  sie  eine  wöchentlich 
zweimalige  Reise  durchsetzen  und  der  Nachlässigkeit  der  schon 
anspruchsvoll  gewordenen  regchnäßigen  Boten  entgegentreten 
wollten.  Auch  wünschten  sie  der  Vermittlung  der  Boten  von 
Süide')  enthoben  zu  sein. 

Die  vorgeschlagene  Vermehrung  der  Verbindungen  bedeutete 
entschieden  einen  großen  Fortschritt;  denn  der  günstige  Anschluß, 
der  hierdurch  an  die  anderen  Botenkurse  erreicht  wurde,  er- 
möglichte eine  weit  schnellere  Beförderung  der  Durchgangs- 
sendungen als  bisher.^)  Um  so  unverständlicher  ist  das  Verhalten 
der  Amsterdamer  Alterieute,  die  sich  von  22  Kaufleuten  be- 
scheinigen ließen,  daß  die  neuen  Boten  ganz  überflüssig  wären. 
Dies  Verfahren  war  sehr  einfach;  es  fanden  sich  also  leicht 
31  Kaufleule,  die  in  Hamburg  gerade  das  üegenteil  bescheinigten. 
Als  man  mit  Vernuntigrunden  nicht  mehr  durchkam,  versuchte 
man  es  in  Amsterdam  mit  Totschweigen,  brach  unter  offenbar 
nichtigen  Grfinden  die  Verhandlungen  mit  dem  Hamburger  Be- 
auftragten ab  und  begnügte  sich  damit,  von  Zeit  zu  Zeit  gegen 
die  neuen  Boten  zu  protesüeren.  Erst  als  der  Aiiisterdamer  Rat 
sich  in  die  Angelegenheit  mischte,  nahm  man  zwei  neue  Boten 
an  und  verstand  sich  zu  einer  Vermehrung  der  Reisen.  Die  vier 
Boten  sollten  mit  diesen  beiden  so  abwechseln,  daß  auf  jeden  Ham- 
burger Boten  nur  eine,  auf  jeden  Amsterdamer  zwei  Reisen  in  der- 
selben Zeit  fielen.  Obschon  diese  Abmachung  nicht  vorteilhaft  fQr 
Hamburg  war,  gaben  die  dortigen  Alterieute  doch  ilue  Zustimmung. 

>)  Auch  die  Hamburgrr  Boten  führten  Pässe  bd  ticb.  Es  wurden  z.  B.  1S83  dner, 
iS8S  Ms  IS87  je  vier,  i  $83  fünf  Pässe  für  die  aadi  kmtkfim  idwJai  Bof  «Mgcfcrtlgt 
9  ScM  istd  Site  der  cncIUcbm  Krafkak.  _ 
^  Z>  6.  honnle  dii  Brief,  nlt  (Hcnii  neuen  Boten  im  Somubnd  aoi  Amlcrdm 
■bgesandt  wurde  und  Mittwochs  in  Himburg  dntraf,  dem  Danziger  Boten  noch  nach  Lübeck 
oadiscModt  werden.  Es  ist  äbrigen«  interessant,  ni  sehen,  wie  die  Anschlüsse  von  den 
Altericoten  vu  AbMWhuif  von  SptlttnphirtaHdiUMai  aatflamtzt  worden. 


Dig'itized  by  Goo^^Ie 


360  Alfred  KarlL 


VIII.  Hamburg  -  Danzig. 

Ursprünglich  waren  die  Reisen  zwischen  Antwerpen  und 
Danztg  durch  Boten  aus  Antwerpen  ausigieführt  worden.  Mit  der 
Übersiedelung  des  hansischen  Kontors  nach  Amsterdam  gin^^  der 
Danziger  Kurs  auf  diese  Stadt  über;  daneben  reisten  manchmal 
auch  Emdener  Boten  bis  Danzig. 

Alle  diese  Boten  verkehrten  jedoch  sehr  unregelmäßigb  Eine 
Verbesserung  fiat  erst  dann  ein,  als  die  Hamburger  Alterleute 
1 593  drei  vereidigte  und  hautionsfiUiige  Boten  annahmen,  die  auf 
dem  Wege  zwischen  Hamburg  und  Stettin  die  Orte  LQbeck, 
Wismar,  Rostock,  Demmin,  AnkUim  und.Uedcermfinde  berQhren 
und  14tägig  verkehren  sollten. 

Audi  die  anderen  Boten,  die  vorl&ufig  ihre  Re^  fort- 
setzten, wurden  von  den  Alterleuten  nutzbar  gemacht.  Sobald 
der  Postmeister  nämlich  8  bis  10  Briefe  nach  Danzig  hatte  und 
kurz  vorlier  ein  regelmäßiger  Bote  abgegangen  war,  wurden  die 
Sendungen  in  einem  versiegelten  Umschlag  von  Hamburg  oder 
Lübeck  aus  nach  Danzig  nachgeschickt. 

Die  billige  Beförderung  der  Briefe  auf  dem  Seewege  tat 
den  Boten  im  Sommer  Abbruch.  Man  suchte  deshalb  die  Kauf- 
leute  zu  veranlassen,  ihre  Sendungen  auch  im  Sommer  über  I^and 
zu  befördern.')  Nicht  minder  nachteilig'  waren  die  Reisen  Amster- 
damer Boten  nach  Danzig  zu  Martini  und  während  des  Thomer 
Marktes^  der  regsten  Geschäftszeit  im  Osten.*) 

Vom  Jahre  1  597  ab  reiste  jeden  Montag  einer  der  Boten 
nach  Danzig.^)  1625  einigte  man  sich  mit  Danzig  dahin,  daß  die 
Reisen  von  beiden  Orten  nur  noch  bis  Stettin  stattfinden  sollten, 
und  daß  ein  Poshndster  in  dieser  Stadt  eingesetzt  werden  sollte. 
Gleichseitig  war  beabsichtigt,  Reitposten  einzuführen,  ein  Pbm, 
der  in  letzter  Stande  scheiterte.*)  Trotzdem  wurde  der  Post- 
meister In  Stettin  eingesetzt.*)    Eist  15  Jahre  spAter  entschloß 

I)  Hierauf  wird  auch  die  Bestimmung  der  Amtterdamcr  Botototdaung  zieloi,  die 
für  Briefe,  «ddie  von  Sdriffem  oder  Kauncoten  den  Boten  znr  Bcftdlnng  Im  Orte  fibcr- 

geben  wurden,  die  hohe  Oebühr  von  3  Stöbern  feitoetsle.  Du  Pofto  ttr  dncn  Brief  von 
Danxig  nach  Amsterdam  betrug  nur  4  Sttllw. 

^)  Sic  «nirden  zur  F.rzielung  ßleichnuißiger  Postvtrbindungen  eingestellt. 

S)  Voa  1597  ab  4  Boten.  Ihre  Herbofe  in  Danzig  war  der  «Vcrlofcne  Sohn". 

^  Die  OrAnde  dafir  thid  ntdrt  befcanaf. 

»)  Der  von  ihm  nhgeteistete  Fid  spricht  von  Hambvi|er  md  Danziger  PoatrdicrTi, 
zeigt  also  der  Form  nach  deutlich  die  geplante  Neuerung. 


Digitized  by  Googl 


Hamburger  Verkehrswesen  bis  zur  Mitte  des  1 7.  Jahrhunderts.    36 1 


man  sich,  die  Reitposten  zwischen  Danzig  und  Stettin  einzu- 
richten, während  von  dort  nach  Hamburg  die  Boten  in  bisheriger 
Weise  verkehrten.  Selbst  die  Begünstigungen,  welche  die 
schwedische  Regieriinfr  den  Boten  erweisen  wollte,  weil  ihr  aus 
politischen  üründen  viel  an  der  Einführung  der  Reitposten  ge- 
legen war,  übten  nicht  die  beabsichtigte  Wirkung  aus.  Elxnso 
mißlang  der  Versuch  des  kaiserlichen  Postmeisters  Samigliano  in 
Hamburg,  eine  reitende  Post  nach  Danzig  einzurichten,  um  die 
Alterieute  so  aus  ihrem  Besitz  zu  drängen.  Man  sah  jedoch  in 
Hamburg  ein,  daß  die  Einführung  der  Reitposten  nicht  Ulngier 
hinauszuschieben  war,  und  einigte  sich  im  Jahre  1648  mit  Danzig 
dahin,  diese  Beförderungsart  auf  die  Strecke  Hamburg  -  Stettin 
auszudehnen.  Im  Anschluß  daran  u-urde  eine  gleichartige  Ver- 
bindung auf  dem  Kurse  Hamburg  -  Amsterdam  hergestellt. 

Obgleich  in  den  letzten  Jahren  nur  die  Ungleichheit  der 
Entfernungen  Hamburg  -  Stettin  und  Stettin  -  Danzig  sowie  sonstige 
Mdnungsverschiedenhcitett  eineii  entscheidenden  Schritt  verhindert 
hatten,  so  bestand  doch  unverkennbar  in  Hamburg  eine  grund- 
sätzliche Abneigung  gegen  die  Reitposten.  Dieser  Ständpunkt 
der  sonst  so  fortschrittlich  gesinnten  Alterleute  ist  nur  dann  ver- 
sttttdlkh,  wenn  man  bedenkt,  daß  mit  der  Einführung  der  Reit- 
posten zwar  eine  Beschleunigung  in  der  Oberkunft  der  Briefe 
erzielt  wurde,  daß  die  Änderung  aber  auch  gewisse  Nachteile  im 
Gefolge  hatte.  Man  verior  mit  den  faüirenden  Boten  gewisser- 
maßen eine  Personen-  und  OQteipost  Auch  mancher  wertvolle 
Anschluß  ging  verlofcn;  denn  die  Boten  hatten  sich  bisher  an 
den  Zwischenorten  einige  Zeit  aufgehalten.  WIhrend  dieser  Zeit 
konnten  die  im  Orte  ansissigen  Kaufleute  die  von  jenen  mit- 
gebrachte Korrespondenz  bearbeiten  und  den  Boten  vor  der  Weiter- 
reise noch  Briefe  für  die  weitergelegenen  StSdte  mllgeben,  in  denen 
die  von  Hamburg  oder  Amsterdam  mitgeteilten  Börsennotizen 
schon  berUckskhtigt  waren.  Das  fiel  nun  fort  Man  kcrnnte  in 
Zukunft  erst  die  nlchste  Post  hierfOr  benutzen.  Für  Sfldte  wie 
Lübeck,  Wismar,  Rostock  war  dies  ein  empfindlicher  Obelstand, 
der  erst  später  durch  Vermehrung  der  Postverbindungen  ausge- 
glichen wurde.  Im  Grunde  lag  die  Sache  also  so,  daß  den  Kauf- 
leuten durch  die  politischen  Ereignisse  und  durch  die  Konkurrenz 


Digitized  by  Google 


362 


Alfred  KariL 


der  Staa<sp06ten  Einrichtungen  aufgedrängt  wurden,  die  -  voraber- 
gehend wenigstens  -  eher  Nachteil  als  Nutzen  fflr  sie  brachten. 

Denn  daß  die  Alterleute  keineswegs  kurzsichtig  und  kleinlich 
handelten,  sieht  man  daraus,  daß  sie  sofort  auch  auf  der  Strecke 

Hamburg  Amsterdam  die  Reitposten  einführten,  was  sie  sicher 
hinausgeschoben  h;itten,  \\ are  es  ihnen  nur  darauf  angekoiiinicn, 
solange  als  luugiich  an  dtn  alten  Einrichtungen  festzuhalten. 

In  der  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  hatte  das  Hamburger 
Postwesen  seinen  Höhepunkt  schon  überschritten.  Die  folgende 
Zeit  war  eine  Periode  langsamen,  aber  unaufhaltsamen  Verfalls. 
Die  Leitung  der  Verkehrsanstalt  ging  an  andere  Männer  über,  die 
für  die  Allgemeinheit  nichts,  für  ihren  eigenen  Geldbeutel  desto 
mehr  übrig  hatten.  Die  großzügige  Verwaltung  ihrer  Vorgänger 
wich  einem  kleinlichen  Monopolsystem.  Dieser  Wechsel  hatte 
seinen  Grund  darin,  daß  die  späteren  Leiter  des  Postwesens  wohl 
den  Namen  mit  den  Gründern  der  Verkehrsanstalt  gemeinsam 
hatten,  aber  die  Eigenschaft  als  Vorsteher  der  Kaufmannschaft 
nicht  mehr  besaßen.  Immerhin  gelang  es  ihnen,  allen  Anfeindimtjcn 
zum  Trotz,  ihre  Selbständigkeit  zu  bewahren.  Erst  im  19.  Jahr- 
hundert stellten  sie  ihre  Tätigkeit  ein,  weil  der  Hamburgische 
Staat  ihre  Verkehrseinrichtungen  übernahm,  um  sie  zur  Staats- 
post umzuwandeln. 

Die  Entwicklung  des  Hamburger  Verkehrswesens  hat  eine 
besondere  Bedeutung  für  die  Kulturgeschichte,  weil  die  Be- 
fördeningseinrichtungen  aus  dem  Rotenwesen  hervorge^ngen 
sind  und  sich  allen  Wandlungen  der  Jahrhunderte  angepaßt  haben, 
während  sonst  das  Botenwesen  in  der  Regel  nach  kurzem  oder 
längerem  Kampf  von  den  Posten  unterdrückt  wurde. 


Digitized  by  Google 


Der  Einfluß  der  Juden 
auf  die  Leipziger  Messen  in  früherer  Zeit 

Von  RICHARD  MARKGRAF. 


II. 

Weniger  gftnstig  war  die  Besteuerung  der  Juden,  die  sich 
im  Besitze  von  Ein  kauf  spftssen  befanden.  Sie  bnucbten  zwar 
für  dngelcaufte  Waren  -  und  insofern  waren  sie  den  diristen 
gletdigestdlt  —  pro  100  Taler  nur  12  Qrosdien  auf  der  Wage 
zu  zahlen,  wddie  Summe  zur  HUfle  dem  RMe  und  zur  anderen 
HSifte  der  kurfürstlichen  Kasse  anheimfiel,  mußten  aber  außerdem 
vom  Werte  der  Waren,  die  sie  zum  Verkauf  nach  Leipzig  brachten, 
1  Prozent  entrichten. 

Am  höchsten  beliefen  sich  dte  Abgaben  der  Juden, 
die  weder  Kammer-  noch  EinkaufepSsse  bei  sich  fahrten  und 
darum  Voll ju den  gienannt  wurden.  Von  diesen  mußte  jeder 
Judenherr  6  Taler,  jede  Frau  sowie  jeder  Diener  oder  Knecht 
3  Taler  auf  der  Wage  abgeben  oder  sich  verpflichten,  auf  der 
Messe  beim  »Ein-  oder  Ausgange«  f&r  600  resp.  300  Taler 
Waren  einzukaufen,  in  welchem  Falle  man  pro  100  einen  Taler 
forderte.  Diese  Steuern  flössen  zur  HSlfte  dem  Landesherm  und 
zur  HSIfte  dem  Rate  zu.  Außerdem  erhielt  das  Stadtgericht  von 
jedem  Judenherm  4,  von  jedem  Judendiener  2  Taler.  In 
Summa  betrug  demnach  der  »Leibzoll'  eines  Volljuden  in  Leipzig 
10  Taler  4  Groschen. 

Vergleichen  wir  die  Höhe  der  Steuern,  die  die  jüdischen 
Meßfieranten  im  i  s  Jahrhundert  zu  entrichten  hatten,  mit  der 
Hohe  der  Steuern  im  vorhergehenden  Jahrhundert,  so  finden  wir, 
daß  sich  die  Abgaben  der  Juden  trotz  der  Zunahme 


Digitized  by  Google 


364 


Richard  Markgraf. 


ihres  Warenumsatzes  nicht  verändert  haben.  Auch  war 
die  Stellung  der  christlichen  Kaufmannschaft,  des  Rates 
und  des  Kurfürsten  zu  den  Juden  noch  die  gleiche  wie 
zu  Ende  des  vorigen  Jahrhunderts.  Dies  beweist  am  deut- 
lichsten folgende  Tatsache.  Am  20.  Mai  1718  denunzierten  sämt- 
liche Krarnenneister  einen  Juden,  der  in  einem  Hause  der  Reichs- 
straße ein  offenes  Gewölbe  hatte.  Da  dies  den  Juden  laut  der 
oben  erwähnten  Judenordnung  (16R2)  vom  Rate  bei  tOO  Taler 
Strafe  \-erbotcn  war,  so  baten  die  Krnmermcister,  die  Sache  sofort 
untersuchen  zu  lassen  und  im  Cbertretiinosfalle  den  Juden  zu 
bestrafen.  Darauf  begab  sich  der  » Unter- Marictvoigt"  Mathes 
Künzel  in  das  Steigersche  i-iaus  auf  der  Reichsstraße.  Hier  fand 
er  in  der  Tat,  daß  ein  Jude  in  einem  nach  der  Straße  zu  ge- 
legenen Gewölbe  Damaste  und  Kleider  verkaufte.  Der  betreffende 
Jude  erschien  auf  Vorladung  und  sagte,  er  heiße  Bernd  Lehmann 
jun.  und  sei  des  »Residenten  Lehmanns"  Sohn.  In  bezug  auf 
das  Hnlfen  eines  offenen  Gewölbes  befragt,  antwortete  er,  er  habe 
einen  allergnädigsten  Befehl,  vermöge  dessen  ihm  in  Meßzeiten 
dn  offenes  Gewölbe  mit  Waren  zu  halten  nachgelassen  sei.  Nach- 
dem Bernd  Lehmann  jun.  noch  eine  Abschrift  von  dem  erwähnten 
Befehle  zur  Einsicht  vorgelegt  hatte,  wurde  die  Angelegenheit 
als  erledigt  betrachtet 

Allein  der  Streit  Ober  die  offenen  Gewölbe  ruhte  nur  kurze 
Zeü  Bereits  im  Jahre  1 722  brach  er  von  neuem  aus.  Mit  ihm 
zugleich  begann  der  Streit  über  den  Hausierhandel  Veran* 
lassung  dazu  gaben  die  Juden  den  Krämern  und  Kaufleuten 
Leipzigs  dadurch,  daß  »e  den  Meßhandel  Ober  die  ^selzlidie 
Frist  ausdehnten  und  auch  ohne  Erlaubnis  Hauaerhandel  trieben. 
Am  20.  April  1723  verordnete  daher  der  R^t,  dafi  den  hau- 
sierenden Juden  die  Ware  durch  die  Sladtknedite  weggenommen 
werden  solle.  Doch  scheint  dieses  Veriiot  auf  die  Juden  wenig 
Eindruck  gemacht  zu  haben;  denn  schon  tags  darauf  wurden 
sedis  Juden,  die  hausieren  gegangen,  in  obiger  Weise  bestraft 
Auch  hatten  einige  derselben  bei  ihrer  Festnahme  versucht,  durdi 
Bestechung  der  Oeriditsknechfe  sich  der  S/tnh  zu  entziehen.  So 
bot  z.  B.  Philipp  Moses,  ein  Jude  aus  Köthen,  dem  Oerichis- 
knecbt  vier  Groschen  sechs  Pfennige,  »damit  er  ihn  gehen  lassen 


Digitized  by  Google 


Der  Einfluß  der  Juden  auf  die  Ldpciser  Messen  In  frfiherer  Zdt  II.  365 


möchte«.  Mehrere  Juden,  die  infolge  Hausierens  vom  Stadtgerichte 
vorgeladen  wurden,  sagten  aus,  daB  ae  nicht  hausieren  gewesen 
seien,  sondern  »von  einem  freniden  Herrn  bestellt  worden  wiren'. 

Zum  Schlüsse  jeder  Verhandlung  wurde  gesagt,  »es  solle  die 

Sache  noch  weiter  untersucht  werden".  Am  nächsten  Tage  (dem 
23.  April  1723)  gab  man  den  hausierenden  Juden  unter  aus- 
drücklicher Verwarnung  die  ihnen  weggenommene  Ware  zurück. 

Ungefähr  ein  Jahr  später  gestattete  der  Kurfürst  den  Juden, 
während  der  ersten  Meßwoche  Hausierhandel  zu  treiben,  indem 
er  den  Leipziger  Rat  veranlaßte,  den  Petenten  auf  der  Akzis> 
einnähme  die  erforderlichen  Zettel  für  die  genannte  Zeit  auszu- 
händigen. Die  Juden  machten  von  der  Gnade  Augusts  des  Starken 
den  ausgiebigsten  Gebrauch.  Sie  eröffneten  nidit  nur  «im  Brühl, 
sondern  auch  in  der  Reichssbafie  an  den  gelegensten  Orten  und 
neben  den  cbristlicfaen  Kaufleuten  groBe,  mit  allerhand  kosOiaren 
und  gemeinen  Waren  angefüllte  Gewölbe«.  Auch  erlaubten  sie 
sich,  an  Sonn-  und  Festtagen  im  ganzen  und  einzelnen  zu  ver» 
kaufen,  die  Waren  auf  der  Straße  und  in  den  Häusern  fnlzu- 
bieten  und  «seihst  noch  hmge  nach  Schluß  der  Messe  damit 
zu  kontinuieren«. 

Infolge  dieses  Mißbrauches  der  kurfürstlichen  Gnade  brachten 
die  Juden  ihren  eigenen  Schutzherrn  gegen  sich  auf,  so  daß  August 
der  Starke  das  am  7.  März  1731  gegebene  und  am  20.  April 
erweiterte  und  an  der  Börse  affigierte  Patent  betreffs  des  Handels 
der  Juden  in  Leipzig  am  3.  September  desselben  Jahres  zurück- 
zog und  das  Reskript  dahin  erweiterte,  daß  die  Juden  keine  Ge- 
wölbe gegen  die  Gassen  haben  noch  des  Sonn-  und  Feiertags 
handeln  und  verkaufen  dürften  sowie  des  einzehien  Ausschnittes, 
Ausniessens,  des  Hausierens  und  Verkaufs  in  der  Zahlwocbe  und 
hernach  gänzlich  sich  enthalten  sollten. 

Zirka  dreißig  Jahre  teng  verstummten  dte  Petitkmen  um 
Beschränkung  der  Juden  im  Handel.  Erst  als  Ldpdg  durch  den 
Siebenjährigen  Krieg  finanziell  sehr  geschädigt  worden  war,*) 
machte  sich  das  jfidische  Element  wieder  in  ziemlich  aufbllender 
Weise  bemerkbar.   Insbesondere  trat  von  jetzt  an  wieder  das 

^  Dl^  KM  BIMniBaim,  GocUcUe  der  Ldpctger  Kmner-Iiinmg;  S.  I3'f. 


Digitized  by  Google 


366 


Richard  Mirkgnd 


Bestreben  der  Juden  offen  zutage,  sich  in  Leipzig  dauernd 
niederzulassen.  Bereits  während  des  Krieges  hatten  sich  viele 
Juden  unter  Angabe  eines  fingierten  Berufes  «nach  Leipzig  ge- 
schlichen, steh  mit  Oddumsalz  zu  schaffen  gemacht  und  in  ganz 
frecher  Weise«  Handel  getrieben.  Kein  Wunder,  daß  die  Kiamer 
und  lOmfleute  am  26.  AUrz  1763  von  neuem  gegen  die  Juden« 
Schaft  beim  Rate  vorstellig  wurden,  worauf  der  Rat  am  6.  April 
1  763  die  sich  in  Leipzig  aufhaltenden  jüdischen  Händler  zur 
sofortigen  Abreise  auflorderte.  Im  Falle  des  Ungehorsams  würden 
ihnen  die  Waren  konfisziert  und  gegen  sie  selbst  Zwangsmaß- 
regeln angewandt  werden. 

Doch  auch  dieser  ernste  Erlaß  scheint  auf  die  Juden  keinen 
Eindruck  gemacht  zu  haben;  denn  bereits  am  12.  Dezember  1763 
baten  Deputierte  der  Kramer,  Kauf-  und  Handelsleute,  die  in  der 
Verordnung  vom  6.  April  1763  angedrohten  Zwangsmaßregeln 
zur  Ausführung  zu  bringen.  Die  jüdischen  Händler,  wie  z.  B. 
der  Münzjude  Levi,  femer  Aaron  Levi,  Israel  Pheubius,  Hirsch 
Moses  und  Daniel  Jod,  kehrten  sich  jedoch  nicht  an  das  Gebot 
der  Ausweisung.  Am  15.  August  1766  hielten  sich  U,  am 
9.  September  12  und  am  30.  Oktober  desselben  Jahres  11  Juden 
außer  der  Zeit  der  Messe  in  Leipzig  auf.  Da  dies  gegen  Jene 
Verordnung  verstieß^  so  baten  Deputieite  der  Knuner,  lOiuf- 
und  Handelsleute  abermals  um  Wegweisung  der  jüdischen 
Händler,  die  in  der  angeblichen  Eigenschaft  von  Bedienten 
sich  eingeschmuggelt  hatten,  im  Grunde  aber  des  Handels 
wegen  nach  Leipzig  gekommen  wären.  NamentUch  Ixiten  sie  um 
Entfernung  eines  gewissen  Feibisch,  der  »offenbar  verschiedene 
Handels-Negotia  betreibe«. 

Auch  die  Goldschmiedeinnung  hielt  es  für  nötig,  in 
einem  Schreiben  beim  Rate  (am  16.  Juli  1767)  gegen  das  Tun 
und  Treiben  der  Juden  vorsteliig  zu  werden  und  ihn  um  deren 
Ausweisung  zu  bitten.  Die  Petenten  klagten,  daß  die  Juden  in 
und  außer  den  iWessen  offene  Läden  im  Brühl  hätten  und  durch 
ihren  Handel  nicht  bloß  die  Goldsdiimede,  sondern  auch  das 
Publikum  und  den  Lnndcsuirsten  schädigten.  Den  Goldschmieden 
entzögen  sie  durch  ihre  Metalleinkäufe  viele  Gold-  und  Silber- 
waren, Ja  selbst  Juwelen.   Das  Publikum  würde  von  den  Juden 


Digitized  by  Googl 


Der  EinflttS  der  Juden  auf  die  Leipziger  Messen  in  früherer  Zeit  II.  567 


dadurch  benadilriügt,  daB  viele  Juden  gestohlene  Sadten  auf- 
lauften.  Das  hindesherrliche  Interesse  litte  insofern,  als  die  Juden, 
wie  aus  den  Büchern  der  Wardeincn  zu  ersehen  sei,  gemfinztes 

Geld  einschmölzen,  Silber  einkauften  und  außer  Land  schafften. 
Zur  Unterstützung  ihrer  Beschwerde  beriefen  sich  die  Gold- 
schmiede auf  den  ihnen  vom  Kurfürsten  bestätigten  lunungs- 
artikel,  laut  dessen  niemand,  er  sei  denn  ein  Goldschmied,  in 
Leipzig  außer  der  Meßzcit  Gold  oder  Silber  abtreiben,  legieren 
und  schmelzen  noch  Juwelen  m  offenen  Läden  auslegen  oder  in 
Wirtshäusern  verkaufen  dürfte. 

Um  dem  Rate  em  möglichst  vollkommenes  Bild  von  dem 
schädlichen  Einflüsse  der  damaligen  jüdischen  Meßfieranten  zu 
entrollen,  ließen  die  Kauf-  und  Handelsleute  ihrer  zweiten  Petition 
eine  dritte  folgen,  in  der  sie  die  Juden  anklagten,  daß  ihr  »Oe» 
werbe«  g^ßtenteils  in  Wucher  bestände.  Für  keinen  Ort  aber 
wSre  dieser  von  so  unbeschreiblichem  Schaden  wie  fQr  die  stark 
frequentierte  Univeraittt  Leipzig.  uDie  Juden«,  so  sagten  die 
Petenten  in  der  BegrQndung  ihrer  Beschwerdeschrift  «bcgflnstigen 
und  unterstQtzen  jugiendtiche  Gemflter  durch  wucherische  Vor* 
Schüsse  in  ihren  Ausschweifungen  und  sind  dadurch  oft  Ursache, 
daß  junge  Leute  nicht  nur  von  ihrem  eigentlichen  Zweck  abge- 
IDhr^  sondern  oft  auch  ganz  unglflcklicfa  gemacht  werden.  Auch 
verleiten  manche  Juden  nicht  selten  Handelsdiener  und  Jungen, 
Marfcthellier  und  andere  Diensflwten  zur  Untreue,  Dieberei  und 
Partiererei,  nehmen  von  ihnen  gestohlene  Sachen  an,  verkaufen 
sie  heimlich  oder  schaffen  sie  auswärts,  wozu  sie  durch  ihre  Be- 
kanntschaft und  Verbindung  mit  den  Juden  der  angrenzenden 
Länder  gar  gute  Gelegenheit  haben.« 

Infolge  dieser  wiederholten  harten  Anklagen  sah  sich  der 
Rat  (am  21.  Dezember  1  767)  abermals  genötigt,  durch  das  Stadt- 
gericht die  seit  letzter  Messe  hier  weilenden  Juden  mit  Aus- 
nnhme  der  »in  der  Verordnung  \'om  November  n.  c.  crenannten 
Personen  Gert  Levi  und  Baruch  Aaron  Levi  sowie  deren  Familien 
nebst  dem  alten  Schuldiener  Hirsch  Moses*  zum  Verlassen 
der  Stadt  anzuhalten. 

Das  Stadtgericht  zögerte  jedoch  mit  der  Ausführung  der 
Verordnung^  und  so  blieben  die  jadischen  Meßfieranten  ruhig 


Digitized  by  Google 


368  Ridniü  Murkgnf. 


in  Ldpzig  wohnen  und  trieben  ihnn  Handel  ungeslArt  weiter.  i 
Offenbar  hofften  sle^  auf  diese  Weise  allmählich  das  Recht  der 
Ansftssigkeit  zu  erlangen. 

Einen  ebenso  untrüglichen  Beweis  fflr  das  Bestreben  der 
Juden,  sich  in  Leipzig  dauernd  niederzulassen,  gaben  die 
jüdischen  Meßh'eranten  durch  ihr  Verhalten  gegen  das  Ratspatent 
vom  13.  März  1  7  52,  nach  welchem  den  zur  Messe  kommenden 
fremden  Kaufleuten  erlaubt  war,  ihre  Waren  Montags  vor  Ein-  [ 
läutung  der  Oster-  und  Michaelismesse  und  am  vierten  Tage 
nach  Weihnachten  auszupacken.    Die  Juden  öffneten  ihre   Ge-  ^ 
wölbe  bereits  vor  der  gesetzlichen  Zeit  und  verkauften,  als  ob 
die  Messe  schon  begonnen  halte.   Dadurch  gaben  sie  den  christ- 
lichen Kaufieuten  abermals  Anlaß,  den  Rat  zu  ersuchen,  den 
jüdischen  Meßfieranten  den  längeren  Aufenthalt  in  Leipzig  zu 
untersagen.    Zugleich  baten  sie  auch  den  Rat,  diese  Maßregd 
nicht  auf  Baruch  Aaren  Levi  und  Salomon  Spiro  auszudehnen,  i 
da  diese  beiden  sowohl  während  des  Siebenjährigen  Krieges  als 
auch  nach  Ausgang  desselben  durch  Vorstreckung  beträchtlicher 
Geldsummen  der  Stadt  ersprießliche  Dienste  geleistet  hätten. 

Der  Rat  scheint  in  Rfidcsidit  auf  das  Wohlwollen  des  Kur- 
fürsten, das  dieser  gegen  die  Juden  bekundete,  nicht  zur  Voll- 
streckung seiner  Strahindrohung  von  fünbig  Talent  geschritten 
zu  sein.  Zu  dieser  Annahme  berechtigt  eine  Bemerkung  der 
Leipziger  Kramerdeputierten  in  einem  Schreiben  an  den  Rat  vom 
24.  September  1766.  Die  Qesuchstellcr  baten,  der  Rat  müßt 
durch  wirkliche  Beshafung  derer,  die  dawider  handelten,  die  Ver- 
ordnung vom  13.  März  1752  wirksam  machen  und  aufrecht  er- 
halten, damit  es  kund  werde,  daß  es  mit  dieser  Veranstaltung  | 
ernstlich  gemeint  sei.  Da  das  erwähnte  Patent  vergriffen  war, 
so  nahm  man  am  13.  September  1  76  7  auf  AnUag  der  Kramer- 
innung einen  Neudruck  desselben  vor.  Zu  einer  Einhändigung 
des  Patents  an  die  fremden  Kaufleute  aber  konnte  sich  der  Rat  I 
vorläufig  nicht  entschließen.  Erst  im  September  1  7  69  erfolgte 
auf  ein  abermaliges  Bittschreiben  der  Kramer  und  Kautleule  die  | 
■  Distribution"  von  Gewölbe  zu  Gewölbe.  ^ 

Die  jüdischen   Meßfieranten    ließen  jedoch   infolge  der 
zögernden  Stellungnahme  des  Rates  das  Patent  unbeachtet  i 


Digitized  by  Google 


DerBnfluBderJiidfliiiifdkl^pKigvMesaatmlrfihcpa-Zdi  II.  359 


Und  80  sahen  sich  am  12.  Septemher  1776  die  Knmer  und 
Kaufleute  abermals  g^ötist  den  Rat  um  Ausgabe  des  Avertisse- 
ments  vor  Eintritt  der  bevorstehenden  Messe  zu  ersuchen,  Se 
erboten  sich  sogar»  die  Druckkosten  zu  tragen,  wenn  einer  ihrer 
Aubeher  bei  der  Verteilung  des  Patents  Anleitung  geben  dürfte, 
bei  welchen  Personen  die  eigenhändige  Abgabe  desselben  be- 
sonders nötig  sein  möchte. 

Das  Patent  wurde  an  zwei  Ecken  des  Brühls  und  zwar  an 
der  Ecke  der  Katharinenstraße  und  an  der  Halleschen  Straße  auf 
zwei  Tafeln  bekannt  gegeben.  Doch  hinderte  auch  diese  augen- 
fällige Bekanntmachung  die  Juden  keineswegs,  die  Messe  vor 
der  festgesetzten  Zeit  zu  beginnen.  Sie  eröffneten  die  Ge- 
wölbe, wie  aus  einem  Schreiben  der  Kürschner  an  den  Rat  vom 
26.  April  1781  zu  ersehen  ist,  sogar  drei  Wochen  vor  Ein- 
läutung der  Messe.  Kein  Wunder,  daß  die  Klagen  der  Kramer 
und  Kaufleute  gegen  die  Juden  nicht  verstummen  wollten.  Sie 
dauerten  nachweislich  fort  bis  zum  Jahre  1788.  In  diesem  Jahre 
baten  die  Krämer  abermals  um  Verteilung  des  Avertissemenls» 
da  wieder  gegen  dasselbe  gehandelt  und  dadurch  der  Kaufmann- 
schaft bei  den  ohnehin  schlechten  Zeiten  großer  Schaden  zu- 
gefügt worden  wftre.  Der  Orund  dieses  Übelstandes  UIge  nach 
Ansicht  der  Kramer  und  Kaufleute  vielleicht  in  dem  Alter  des 
Patents.  Darum  baten  sie  um  Neudruck  der  Verordnung,  um 
Bekanntmachung  derselben  in  den  Leipziger  Zeitungen  und  um 
Einhändigung  der  Verfügung  an  die  Torscfardberi  damit  diese 
jedem  fremden  Kaufmann  oder  Falnikanten  bd  seiner  Ankunft 
ein  Exemplar  überreichen  könnten. 

Am  1 5.  September  1 788  erneuerte  der  Rat  das  Patent  und 
zwar  mit  folgendem  Zusätze:  »Da  leuler  bisher  wahrzunehmen 
gewesen  ist,  daß  dieser  Anordnung  vielfach  zuwider  gehandelt 
worden,  so  hält  der  Rat  es  für  nötig,  dieselbe  hierdurch  zu 
wiederholen  in  der  Erwartung,  daß  sie  hinfort  genauer  als  bis- 
her befolgt  werde  und  der  Rat  nicht  zur  Vollstreckung  der 
in  dem  Patente  angedrohten  Strafe  von  SO  Taiern  sich  veran- 
laßt sehen  mög^e." 

Etwas  empfmdlich  scheint  diese  Verordnung  die  Juden  doch 
berührt  zu  haben;  denn  bereits  am  26.  September  1 788  wurden 

ArMt  Ar  KnMuiiadilcfalB.  V.  24 


Digitized  by  Google 


370 


Richard  Miri^pif. 


l 

I 


einige  jüdische  Rauchwarenhändler  weg^en  derselben  beim  Rak 
vorstellig.  Die  Petenten  glaubten,  daß  ihnen  durch  jene  Verord- 
nung ein  nicht  wieder  zu  ersetzender  Schade  zugef&gt  werden  da 
ihre  festzusammengescbnflrte^  weitgefOhrte  und  von  der  Sonne 
warm  gewordene  Ware^  wenn  man  sie  nicht  gleich  auspacke^  aus- 
klopfe und  sortiere^  »dem  Wurmfntße  und  anderer  Ungelcgenlieit« 
ausgesetzt  sein  würde.  Dflrfe  das  Auspacken  erst  nach  Ein- 
Iftutung  der  Messe  geschehen,  so  würden  sie  damit  die  ^^uize 
erste  MeOwoche  zubringen,  wahrend  sie  doch  in  dieser  Zeit 
verkaufen  möchten. 

Da  der  Rat  den  jüdischen  Petenten  kein  Gehör  schenkte, 
so  ignorierten  sie  die  Verordnung  und  trieben  ihren  Handel  in 
derselben  Weise  weiter.  Wahrscheinlich  hoifieii  sie  durch  landes- 
herrliche Gunst  auch  diesmal  straffrei  auszugehen.  Und  hierin 
haben  sie  sich  vielleicht  nicht  getauscht,  wenigstens  findet  sich 
keine  gegenteilic^^e  Nachricht  vor. 

Trotzdem  die  jüdischen  Meßficrantcn  beim  Rate  weniij;  Ent- 
gegenkommen zu  hoffen  hatten,  hielten  sie  doch  an  läcin  Be- 
streben zäh  fest,  in  Leipzig  seßhaft  zu  werden.    Ein  neuer 
sprechender  Beweis  hierfür  ist  die  seit  dem  Ende  des  18.  Jahr- 
hunderts immer  stirker  werdende  Zahl  ihrer  an  den  Rat  ge- 
richteten Petitionen,  worin  sie  um  Erlaubnis  zur  Nieder- 
lassung baten.   Vielleicht  gaben  sie  sich  hierbei  der  Hoffnung 
hin,  daß  ein  rechtliches  Mittel  eher  zum  Ziele  fahre  als  die 
Nichtbeachtung  gesetzlicher  Verordnungen.   Der  Rat  fand  jedoch 
Iceinen  g^flgenden  Orund,  den  Petenten  Oehdr  zu  schenken,  und 
bescfaied  aile  ihre  Gesuche  alischUgig.  Niditsdestowemger  setzten 
sich  von  1 788  an  verschiedene  jüdische  MeBfieranten  in  Leipzig 
fest,  und  der  Rat  sah  sich  in  Rildcsicht  auf  den  giegen  die  Juden 
gQnstig  gesinnten  Landesfarslen  außerstande»  deren  Ausweisung 
zu  bewirken.  Sie  wohnten  von  Jetzt  ab  nicht  nur  in  der  inneren 
Stadt,  sondern  auch  in  den  VorsOdten  und  hatten  ihre  Hmdds- 
gewGlbe  am  Ende  des  18.  Jahrhunderts  und  in  den  ersten  drei 
Dezennien  des  19.  Jahrhunderts  nicht  bloß  im  Brühl  und  in  den 
unteren   rcilen  dci   Riucr-,  Nikolai-  und  Reichsstraüe,  sondern 
überall,  wo  es  ihnen  beliebte. 

Von  dem  Bestreben  der  Juden,  immer  festeren  Fuß  in 


Digitized  by  Google 


Der  Einfluß  derjiidcn  auf  die  Leipziger  Messen  {nfr&hcrarZdi  II.  371 


Ldpzig  zu  hssm,  zeugt  aucli  der  Umstand,  daß  sie  im  Jahre  ISI8 

ati  den  Landesherm  die  Bitte  rfchteten,  zünftige  Hand- 
werke erlernen  zu  dürfen.  Der  Landesherr  entsprach  am 
20.  Juli  1818  ihrem  Wunsche;  allein  am  2ü.  Oktober  1819  ent- 
zog er  ihnen  auf  Drängen  der  christlichen  Handwerivcrinnungen 
die  Erlaubnis  wieder.*) 

Die  Juden  scheinen  diese  herbe  Bloßstellung  bitter  emp- 
funden zu  haben;  denn  mehr  als  ein  Jahrzehnt  verging,  ehe  sie 
Mut  fanden,  mit  der  Frage  der  Niederlassung  und  dem  Bestreben, 
ungehindert  Handel  und  Qewertie  treiben  zu  können,  wieder 
hervoizutaeten.  Erst  nachdem  Sachsen  eine  Verfassung  erhalten 
halte,  wagten  sie  diese  Forderungen  wieder  geltend  zu  machen. 
Auf  die  in  der  Konstihitlon  ausgesprochene  Gleichstellung 
aller  Olieder  des  Steates  sich  berufend,  unterbreiteten  sie  im 
Jahre  1833  der  ersten  konstitutionellen  Ständeveisammlung  in 
Dresden  eine  Petition  um  bflrgerliche  Oleichstellung  mit 
den  Christen.*) 

Anfangs  fand  dieselbe  weni^^  Anklang.  Obg:leich  der  lYo- 
fessor  Krug  aus  Leipzig  in  der  Sitzunt^  der  ersten  Kammer  am 
1.  März  sich  der  Juden  warm  annahm  und  infolgedessen  die 
Bittschrift  der  dritten  Deputation  zur  Begutachtung  überwiesen 
wurde,  ging  man  doch  nicht  auf  die  Wünsche  der  Petenten  ein, 
da  man  der  Ansicht  war,  daß  der  Emanzipation  der  Juden 
ihre  moralische  Verbesserung  vorausgehen  mttsse.*) 

Trotz  dieser  Bedingung  wurde  die  Angelegenheit,  wie  ein 
Schreiben  der  Königlichen  Landesdirektion  vom  28.  November 

1834  an  den  Rat  beweist,  nicht  ad  acta  gelegt.  Die  Königliche 
Behörde  wünschte  zu  wissen: 

1.  ob  die  israelitischen  Kinder  in  Leipzig  bisher  Erlaubnis 
zur  Erlernung  zunftmäßiger  Gewerbe  erhalten  hätten, 

2.  ob  die  Bestimmung  fQr  die  Leipziger  Juden  noch 
existiere,  welche  denselben  verbot,  in  den  Vorstädten  zu 
wohnen,  und 

1)  Sidori,  Geschichte  der  Jaden  ia  SMhwn.  S.  105. 
s;  vgl.  Sidori  a.  a.  O.  S.  III. 

i)  FUtb^  OeKUcMe  da  Katttuk»  niid  des  KBnlpcIdN  SaduMii,  I,  495. 

24» 


Digitized  by  Google 


372 


Richard  Marlcgiaf. 


3.  ob  die  Juden  in  Ldpseig  vom  Betriebe  der  Speise-  und 
Schankwirlsdiafteii  ausgeschlossen  wiren. 

Hierauf  antwortete  am  26.  Mfln  1835  der  Rat  durch  den 
Stadtrat  Friedrich  Mililer  m  einem  Sdireibenp*)  dem  er  zu- 
gleich sein  Gutachten  anfügte,  daß  die  Juden  ihre  Wohnungen 
und  Handdsriiume  ganz  nach  Belieben  wfthlen  konnten.  BczOg- 
lidi  der  Beschränkung  im  Gewerbe  teilte  er  mit;  daß  die  Juden 
vom  Betriebe  zünftiger  Gewerbe  ausgeschlossen  wären,  ferner, 
daß  die  in  Leipzig  wohnenden  Juden  außer  der  Messe  nur  Klein- 
handel und  die  fremden  Juden  nur  während  einer  Woche  der 
Messe  diesen  betreiben  dürften.    Die  Ausschließung  der  Juden 
vom  zünftigen  Gi'\vL'rbe  läge  darin  begründet,  daß  ein  jüdischer 
Lehrling  bei  seiner  Autnahme  in  die  Lehre  eines  Taufzeugnisses 
oder  eines  ausführlichen  Geburtsbriefes  bedürfe.    Auch  müßte 
man  der  bekaniiteti  llrsachen  gedenken,  welche  die  Meister  der 
Aufnahme  eines  jüdischen  Lehrlings  abgeneigt  machten.    Am  Be- 
triebe unzünftiger  Gewerbe  seien  die  Juden  nicht  gehindert,  doch 
hätten  sie  bisher  keine  besondere  Neigung  dazu  gezeigt  Vor  allem 
besäßen  sie  eine  unüberwindliche  Scheu  vor  Gewerben,  welche 
körperliche  Anstrengung  erfordern.    Einmal  nur  bitte  sich  ein 
Jude  zur  Fabrikation  von  Zigarren  bequemt^  jedoch  nur,  um  unter 
dem  Deckmantel  eigener  Fabrikation  die  Gelegenheit  zum  Handel 
zu  erlangen.   In  bezug  auf  die  Gleichstellung  der  Juden  mit 
den  Christen  sprach  sich  Stadtrat  MQIler  gegen  eine  sofortige 
Bewilligung  derselben  aus.  Zunächst  solte  man  den  Juden  nur 
im  Gewerbe  einige  Rechte  zugestehen.  Im  einzelnen  wünschte  er, 

1.  daß  jeder  Jude,  wenn  er  sich  selbständig  machen  wolle, 
also  bei  seiner  Alundigwerdiuig  und  bei  seiner  Verhei- 
ratung, die  Erlaubnis  der  Regierungsbehörde  vorlege, 

2.  dürfe  kein  Jude  vom  Besuche  christlicher  Schulen  aus- 
geschlossen sein.  Würde  der  Unterricht  von  Juden  er- 
teilt, so  müßte  er  durch  Christen  beaufsichtigt  werden, 

3.  bewillige  man  den  Juden  die  Aufnahme  in  Innungen, 
deren  Gewerbe  den  Handel  ausschliefie, 

4.  wäre  es  von  Vorteil,  wenn  die  Staatsregierung  dem 

»)  L.  It-A.   LI,  91,  S.  5  tt. 


Digitized  by  Googl 


Der  Einfluß  der  Juden  auf  die  Leipziger  Messen  in  früherer  Zeit.  II.  373 


Meister,  der  einen  jüclisc!ien  Knaben  in  die  Lehre  niinnit, 
eine  ansehnliche  Prämie  gewähre;  denn  ohne  bedeutende 
Belohnung  würde  sich  ein  Meister  schwerlich  dazu  ver- 
stehen, dem  Lehrlinge  die  jüdischen  Sitten  und  Ge- 
bräuche zu  gestatten.  Von  dem  Rechte  eines  Meisters^ 
Lehrlinge  und  Gesellen  halten  zu  dürfen,  mflsse  der 
Jude  ausgeschlossen  bleiben.  Diese  Bestimmung  hätte 
vieUciGht  den  Nuten,  daß  der  Jude  ein  Handwerk  wihle^ 
bei  dessen  Betrieb  er  auch  schon  als  QeseHe  einen  eigenen 
Heid  haben  könne.  Da  dieser  Vorteil  besonders  bei 
Handwerken  vorhanden  sei,  die  Körperknrft  in  Anspruch 
nähmen,  so  wflrde  zugteich  auch  der  dem  Juden  dgen- 
tamlidien  Verweichlichung  entgegengearbdtet  Femer 
dflrfe  der  Jude  nicht  zum  Handweilc  der  Schlosser  und 
Schornsteinfeger  zugelassen  werden.  Im  Handel  seien 
dem  Juden  auf  keinen  Fall  weitere  Rechte  als  bisher 
einzuräumen. 

Wie  der  Rat,  so  entschied  sich  auch  das  Stadlverord- 
netenkoUegium  in  zwei  aufeinander  folgenden  Plenarsitzungen 
(am  20.  und  29.  Juli  1836)  mit  großer  Stimmenmehrheit  Regen 
eine  sofortige  bürgeriiche  Gleichslellung  der  Juden  mit  den 
Christen  Die  Stadtverordneten  waren  der  Ansicht,  daß  die  Juden 
einen  bess  rcn  Unterricht  und  eine  bessere  Erziehung  "[cniclkn 
müßten,  elie  man  ihnen  ohne  Nachteil  für  die  christlichen  F^e- 
wohner  dauernde  Aufnahme  in  die  Stadt  und  das  volle  Bürger- 
recht gewähren  könne.  Die  Zulassung  jüdischer  Lehrlinge  zur 
Erlernung  eines  Handwerkes  sei  unbedenklich,  sofern  das  Hand- 
werk nicht  zu  denjenigen  gehöre,  mit  denen  ein  Handel  ver- 
bunden sei,  so  lange  ferner  kein  Handwerker  gezwungen  wüide^ 
Lehrlinge  anzunehmen,  die  während  der  Lehrzeit  nicht  von  ihren 
jfldischen  Qebrftuchen  bissen  wollten,  und  sobald  der  jQdlscfae 
Lehrling  nicht  eine  geringere  Schulbildung  aufweise  als  der 
christliche.  Jfidischen  Oesellen,  welche  die  erforderlichen  Kennt- 
nisse und  Fertigkeiten  besäßen,  kdnnte  das  Meisterrecht  erteilt 
werden.  Bei  Verehelichung  und  Selbstandigmadiung  sollte  jeder 
Jude  die  zuständige  Behörde  um  Genehmigung  ersuchen. 

Endlich  fb^  ids  letztes  Gutachten  aber  dte  Verbesserung 


Digitized  by  Google 


374  Richard  AVarkgraf. 


der  bürgerlichen  Verhältnisse  der  Juden  das  von  den  Herren 
Franz  Brunner  und  Albert  Dufour  am  19.  Juh  1836  an 
das  Ratspienum  eingegebene  Schreiben,  dessen  umfansreicher  In- 
halt, in  Kürze  wiederpfegeben,  folgender  ist:  Läßt  man  jüdische 
Glaubensgenossen  /um  Handel  zu,  so  muÖ  man  ihnen  auch  die 
Gewerbe  freigeben,     Hs  ist  eine  unbegründete  Furcht,  daß  die 
Juden  den  Erwerb  der  Handwerker  schmälern  würden,  besonders 
wenn  man  die  geringe  Anzahl  der  sächsischen  Juden  ins  Auge 
faßt   Auch  gestatte  man  den  Juden  die  Erwerbung  von  Grund- 
besitz.   Der  Grund  und  Boden  ist  es»  welcher  den  Menschen 
anzieht  und  ihn  am  meisten  vereddt   Der  fleißige,  geschickte 
und  ordentliche  Christ  wiid  übrigens  niemals  die  Konkurrenz 
der  Juden  zu  fflrchten  haben,  einen  unfleiBigen,  ungeschicklen 
und  unordenüicfaen  Mann  wird  aber  eine  solche  Konkurrenz  an- 
spornen, seine  g^nze  Kraft  zur  Verbesserung  seines  Geschäfts 
einzusetzen.  Bei  der  Wichtigkeit  dieses  Oegienslandes  -  denn  es 
handelt  ach  um  das  Wohl  mehrerer  hundert  sächsischer  Unter- 
tanen —  wäre  es  vielleicht  angebracht,  die  angegebenen  Qrflnde 
eingehender  darzul^en,  doch  befOrditen  die  Petenten,  hierdurch 
zu  wdtliufig  zu  werden;  auch  glauben  sie,  da6  das  bisher  Ge- 
sagte die  Behörden  überzeugen  und  veranlassen  werde,  das  edle 
Prinzip  des  größten  Stacitsnianncs  iler  Zeil,  des  Freiherrn  von  Stein, 
-  politische  und  religiöse  Freiheit  für  die  ganze  Welt  —  auch 
in  dieser  Anp^eleprenheit  zur  Geltung  zu  bringen. 

Dieser  Fürsprache  war  vielleicht  mit  zu  danken,  daß  die 
Beschlüsse  der  beiden  Kammern  des  Landtages  Ober  die  streitigen 
Punkte  zugunsten  der  Juden  ausfielen.  In  der  Hauptsaclie 
wurden  die  Verhaltnisse  der  Juden  durch  zwei  Gesetze  geregelt. 
Das  erste,  gegeben  am  18.  Mai  1837,  gestattete  den  jüdischen 
Glaubensgenossen  in  Leipzig,  sich  in  einer  Religionsgemeinde  zu 
vereinigen  und  als  solche  für  den  gemeinschaftlichen  Gottesdienst 
ein  Geblude  anzukaufen.^)  Das  zweite  Gesetz,  erfassen  am 
11.  August  IS38,  ordnete  die  bürgerlichen  Verhältnisse  der 
Juden.  Laut  desselben  wurde  den  in  Leipzig  wohnenden  Juden 
der  dauernde  Aufenthalt  gestattet.   Unter  den  66  Juden,  welche 


*)  Oetettbtatt  von  Jahre  »97»  Si  <6. 


Digitized  by  Googl 


Der  Einfluß  derjuden  auf  die  Leipzigar Messen  in  früherer  Zeit  II.  375 


1835  bereits  in  Leipzig  außer  der  Meßzeit  anwesend  waren, 
befanden  sich  zwei  Doktoren  der  Medizin,  ein  Schächter  und 
Lehrer,  ein  Kantor,  zwei  Großhändler,  drei  Wechsler,  ein  Kra- 
watten- und  Modewarenfabrikant,  ein  Tabak-  und  Zigarrenhändler, 
ein  Bücherantiquar,  zwei  Dolmetscher  und  Meßmäkler,  ein  Lotterie- 
kollekteur,  ein  Speisewirt,  eine  Speisewirtin,  zwei  Strickerinnen, 
zwei  Näherinnen  und  eine  Trödlerin  und  Leichenfrau. 

Die  Niederlassung  fremder  Juden  bedurfte  der  Ge- 
nehmigung des  Ministeriums  des  Innern.  Den  seßhaften  Juden 
gewährte  man  das  Bürgerrecht,  jedoch  mit  Ausnahme  der  stadt- 
obrigkeitlichen und  politischen  Rechte.  Femer  durfte  jeder  Jude 
nach  freier  Wahl  ein  Gewerbe  treiben,  nur  der  Klein-,  Aus- 
schnitt-, Schacher-  und  Trödelhandel,  das  Halten  von  Apotheken, 
der  Betrieb  von  Gast-,  Speise-  und  Schankwirtschaften  sowie 
das  Bnmntweinbrennen  blieb  ihnen  untersagL  Die  Zahl  der 
jüdischen  Meister  sollte  nie  das  Verhältnis  der  jfldischen  zur 
christtichen  Bevölkerung  fibeisteigen.  Als  Lehrlinge  durfte  der 
jfldisdie  Meister  nur  jüdische  Knaben  annehmen;  auch  war  er 
verpflichtet,  nur  selbstgefertigte  Ware  zu  verkaufen.  Endlich  stand 
jedem  Juden  frei,  in  Leipzig  ein  Gnindstflck  zu  erwerben,  jedoch 
durfte  er  dasselbe  nicht  vor  Abbuf  von  zehn  Jahren  verftußem. 
Nur  bei  Eintritt  einer  Erbteilung  trat  diese  Bestimmung  außer  KrafL 

Die  erste  Anwendung  fand  das  Oesetz  in  Leipzig  am 
7.  Januar  1839,  indem  an  diesem  Tage  der  Jude  Salomon  Veit 
das  Bürgerrecht  erlangte.  Damit  waten  die  Juden  in  ihrem 
Bestreben  einen  bedeutenden  Schritt  vorwärts  gekommen.  Ste 
sahen  sidi  nicht  nur  dem  Zustande,  stillschweigend  geduldet  zu 
sein,  entrückt,  sondern  erfreuten  sich  auch  im  Handel  und  Gewerbe 
teilweise  derselben  Rechte  wie  ihre  christlichen  Mitbürger.  Ihre 
volle  bürgerliche  Gldchstellung  mit  den  Christen  sollte  jedoch 
einer  späteren  Zeit  vorbehalten  bleiben. 

Oberblicken  wir  noch  einmal  die  Geschichte  der  Juden 
auf  den  Messen  in  Leipzig  von  1675  bis  1839,  so  ergibt  sich, 
daß  die  jüdischen  Fieranten  in  hohem  Maße  belebend  und 
fördernd  auf  den  Leipziger  Meßhandel  eingewirkt  haben.  Be- 
lebend und  fördernd  wirkten  sie  fürs  erste  durch  die  Größe  ihrer 
Einkäufe,  indem  sie  dadurcii  /ahlreidie  Kauileuie  aus  den  ver- 


376 


Richard  Markgraf. 


schiedensten  Ländern  nach  Leipzig  zogen  und  vornehmlich  der 
Sächsischen  Industrie  einen  reichen  Absatz  verschafften.  Fürs 
zweite  wirkten  sie  fördernd  auf  die  Meßgeschäfte  durch  die 
Mannigfaltigkeit  ihrer  Einkäufe,  insofern  sie  dadurch  den  Meß- 
handei  immer  vielseitiger  gestalteten  und  die  Industrie,  besonders 
die  inländische^  zu  immer  größerer  Mannigfiltigkeit  in  der  Pro- 
duktion anspornten.  Auf  vielen  Messen  waren  die  Juden  wc;geii 
ihrer  verschiedenen  und  umfangreichen  Einkäufe  sogar  ausschlag- 
gebend.   Belebend  und  fördernd  auf  die  JMefigieadiäfle  wirkfeo 
die  jüdischen  Kaufleute  weiter  auch  durch  ihre  reichen  Zahlungs- 
mittel in  klingender  Mfinze,  guten  Anweisungen  und  gern  ge- 
kauften ausländischen  Rohstoffen.  Endlich  förderten  sie  den  Meß- 
handel auch  durch  ihre  sich  stetig  steigernden  Veridluf^,  indem 
sie  dadurch  die  christlichen  Kaufleute  zum  Wettbewerb  drängten 
und  die  Industrie  zu  immer  größerer  Vervollkommnung  nötigten. 


Digitized  by  Google 


Besprechungen. 


Weltgcschkfate.   Unter  Mitarbeit  von  Th.  Achelis,  Geoiig:  Adler  usw. 

herausg^eben  von  H.ins  F.  Helmolt,  Bd  VI:  Mitteleuropa  und  Nord- 
europa. Von  Karl  Wcule,  Joseph  Giri^ciibohn,  Ed.  Heyck,  Karl  Pauli  f» 
Hans  F.  Helmolt,  Richard  Malirenholtz,  NX  jihelm  Walther,  Richard  Mayr, 
Clemens  Klein,  Hans  Schjöth  und  Alexander  Tille.  Mit  7  Karten,  9  Ta- 
feln u.  t6  Beilagen.  Leipzig  und  Wien,  Bibliographisdies  Institut,  1906. 
(XVin,  630  S.) 

Das  beionnte  Unternehmen  Helmolts  ist  nun  glOddich  zu  Ende 

geführt  worden:  es  soll  nur  noch  ein  Ergänzungsband  erscheinen,  der  u.  a. 
das  gerade  für  das  vorliegende  Werk  sehr  notwendige  Gesamtr^ster 
brim^en  so!!  Denn  der  Durchschnittsbenutzer  wird  sich  trotz  aller  be- 
gründenden und  rechtfertigenden  Darlegungen  Helmolts  über  seine  An- 
ordnung doch  nicht  so  leicht  und  rasch  in  dem  Werk  zuroihtfindeni  als 
der  Herausgeber  meint.  Ich  mödite  dabei  keineswegs  über  die  Rinzipien 
des  Onindplans  mit  dem  Hemusgeber  rechten.  Idi  glaube  nur,  daß  man 
auch  bei  Annahme  seiner  Hauptprinzipien  vielfach  zu  einer  vorteilhafteren 
und  manischeren  Anordnung  hätte  kommen  können.  Weiter  sei  bei  dem 
jetzt  erreichten  Abschluß  des  Werkes  hervorj^ü hoben  -  und  das  geht  vor 
allem  die  von  unserer  Zeitschrift  vertretenen  Interessen  an  -,  daß  unbe- 
schadet der  Anerkennung  einer  Reihe  von  kulturgeschichtlich  gehaltenen 
Partien  die  Kulturgesdiichte  im  ganzen  doch  bei  veitem  nidit  die  Berfick- 
siditigung  gefunden  hat;  die  man  fordern  mufi.  Und  drittens  ist  trotz  der 
geographischen  Orientierung  des  Ganzen  der  (I,  18  f.)  mit  vollem  Recht 
betonte  Zusammenhang  zwischen  dem  Leben  vrie  der  Entwicklung  eines 
Volkes  und  dem  Roden,  auf  dem  es  wohnt,  durchaus  tiicht  von  allen 
Mitarbeitern  in  ihrer  geschichtlichen  Darstellnnq'  benucksichtigt  worden. 
Hier  lag  in.  E.  eine  der  interes'^  iTit*.stoii  /ViifL-al  cn  lier  neuen  Weltgeschichte 
vor:  sie  ist  von  manchen  Mitarbeitern,  wie  gesagt,  gar  nicht  erkannt. 

Um  nun  auf  den  vorliegenden  Band  zu  kommen,  so  bestätigt 
dieser  das  eben  Behauptete  auch  seineiseits.  Daiflber,  daB  »Italien  vom 
6.  bis  ins  14.  Jahrhundert«  in  diesem,  Mittel-  und  Nordeuropa  behan- 
ddnden  Bande  untergebracht  ist,  hat  sich  der  Herausgeber  aufklärend 
atisgesprochen  Fr  hätte  dann  aber  diesen  Abschnitt  hinter  den  vierten 
(Bildung  der  Romanen)  stellen  sollen.  Der  Abschnitt  über  die  deuteche 
Kolonisation  hätte  doch  wohl,  wie  der  Herausgeber  selbst  halb  zugibt, 
auf  den  II.  Abschnitt  (Die  Deutschen  bis  zur  Mitte  des  14.  Jahrhunderts) 
folgen  mfiasen.  Abschnitt  VI  (Westliche  Ent&ltung  des  Quistentums) 
und  IX  (Die  KieuzzQge)  hätten  m.  E.  sehr  wohl  nebeneinander  stehen 


Dlgitized  by  Google 


37B 


Besprechungen. 


können.  -  Ein  Beispiel  für  die  nicht  genügende  Berücksichtigung  der 
Kultuigcbciiichte  bietet  im  vorliegenden  Bande  in  besonders  auffalligem 
Orade  die  Ailwit  von  Heyck  Ober  die  Deutschen  bis  zur  Milte  des 
14.  Jahrhunderts,  von  einigen  Partien  in  dem  Abschnitt  fiber  die  Utesie 
Zeit  abgesdien.  Nebenbei  gesagt,  wundert  es  mich,  daß  Heyck,  der  eben 
im  Vclhagen  und  Klasingschen  Verlage  eine  Deutsche  Geschichte  ver- 
öffentlicht hat,  für  das  vorliegende  Unternehmen  gleichfalls  zu  einer  Dar- 
stellung der  Deutschen  Geschichte  aufgefordert  wurde.  Heyck  geht  nun  in 
seiner  Bevorzugung  der  politischen  Geschichte  so  weit,  daß  der  Heraus- 
geber, der  sich  nach  der  Vorrede  doch  sonst  um  die  Icleinstcn  EHngt^ 
Stilfiragen,  FrcmdvOrteriieBcitigung  usw.  gekümmert  hat,  dafSr  mit  veranl- 
wörtlich  zu  machen  ist  Warum  finden  sich  denn  in  dem  Beitia^  fiber 
frankreich  Kapitel  wie  »Die  Kultur  im  Reiche  Karls  des  Großen* 
-  dieses  Kapitel  ergänzt  auch  für  die  deutschen  Verhältnisse  einiger- 
maßen die  Lücke  bei  Heyck        „Recht,  Unterricht  und  Verwaltung*, 
»das  Stadtewesen«,  »Residenz,  Hof  und  Ade!",  »Die  französische  Gesell- 
schaft im  11.  bis  13.  Jahrhundert*?  -  Den  dritten  I^nkt  aber,  die 
Aufzeigung  der  Zusammenhfinge  zwischen  Boden  und  Geschichte,  finde 
ich  nur  in  einem  einzigen  der  Bdtrige  niher  berfldcsichtigtf  in  dem 
eisten:  »Die  geschichtiiche  Bedeutung  der  Ostsee«,  dn  wenig  auch  noA 
in  der  geographischen  Einleitung  zum  XI.  Abschnitt:  OroBlMritannien  und 
Irland  und  in  derjenigen  zum  X.:  Der  germanische  Norden. 

Doch  genug  der  Einwände,    ihre  Berechtiguni^  uird  nicht  zu  be- 
streiten sein,  aber  sie  gehen  aus  wohlwollendem  Interesse  an  dem  >X'erk 
hervor.    Und  wenn  es  euimal  zu  einer  Neubeaibeitunji  kommt,  durien 
sie  vielteicht  ebenso  wie  manche  hi  den  Besprechungen  der  firfiheKB 
Binde  voigebrachten  Dinge  seitens  des  Herausgebers  zum  Vorteil  des 
Werkes  Berfickstchtigung  ervarten.  Jetzt,  hd  dem  eigentlichen  AbschluB 
des  Ganzen,  ist  es  richtig,  vor  allem  auf  die  Vorzflge  der  Gesamtlcistnng 
hinzuweisen,  und  wenn  auch  die  ?7  Mttarhfiter  nicht  drrchweg.  wie  es 
im  Prospekt  zu  dem  vorliegenden  Bande  heißt,  »wissenschaftliche  Krnfte 
ersten  Ranges"  sind,  so  haben  sich  doch  alle  mit  Eifer  ihrer  Antrabe 
gewidmet  und  cmige  treffliches  geleistet,    für  Vertieluug  de:i  ge:>cliicht- 
lidien  Wissens  und  Erweiterung  des  geschichtiichen  Horizonts  in  «der 
weiten  Welt  des  gebildeten  Laien*,  auf  die  das  ganze  Werk  in  eisler 
Linie  zugeschnitten  ist,  wird  es  ohne  Zweifel  die  besten  Dienste  leisten. 
Die  Fachkreise  aber  werden  vor  allem  den  Versuch,  eine  wirkliche  Uni- 
versalgeschichte zu  bieten,  die  Beseitigung  der  heri^ebrachten  Beschränkung 
auf  bestimmte  Völker  und  Erdgebiete,  also  wiederum  jene  Erweiterung  des 
geschichtlichen  Horizonts,  zu  würdigen  wissen. 

Georg  Steinhausen. 


Bte  hcUeaisdic  Knitnr.  Dargestellt  von  Fritz  Baum  garten  (Fici> 
burgi.  B.),  Fruiz  Poland  (Dresden),  Richard  Wagner  (Dresden).  Mit 


Digitized  by  Googl 


B^prechungen. 


379 


7  farbigen  Tafein,  2  Karten  und  gegen  400  Abbildungen  im  Text  und 
auf  2  Doppeltafeln.  Leipzig,  B.  0.  Teubner,  1905.  (X,  491  S.) 

Eine  zusammcnfräende  Dantelluns  der  gnechtocheii  und  römischen' 
Kultur,  unter  Verwertung  der  gesicherten  Eigebnisse  der  Foischung,  In 
weiterem  Umfange,  als  es  bisher  von  anderer  Seite  geschehen  ist,  zu 
schaffen,  haben  die  drei  genannten  Gelehrten  sich  vereinigt  und  im  ersten 
Band,  der  in  sich  vöHig  abgeschiossen  ist,  die  hellenische  Knlttir  von 
ihren  Anfängen  bis  zum  Abschluß  ihrer  selbständi??en  Entwicklung  in 
der  Zeit  Alexanders  des  Groben  behandelt,  einem  zweiten  die  Schilderung 
der  Kultur  des  Hellenismus  und  des  Römervolkes  vorbehalten.  Das  Buch 
ist  zunichst  für  die  Freunde  des  Altertums  unter  den  Gebildeten  und 
für  den  Unterricht  in  den  Oberklassen  der  höheren  Schulen  bestimmt 
Die  Verfasser  verhehlen  sich  nicht,  daß  die  Anschauungen  und  Strömungen 
in  unseren  Tagen,  \ro  weite  Krdsc  jener  wunderbaren  dahingesiinkenen 
antiken  Welt  K^f'^^'s^i-'ig.  ja  feindlich  gegenüberstehen,  einem  solchen 
Unternehmen  nichi  sonderlich  geneigt  zu  sein  scheinen.    Ist  doch  auch 
in  der  «  isscnschaftlidien  Betrachtung  der  Antike  eine  bedeutsame  Wandlung 
vor  sich  gegangen:  das  jahrhundertebuig  nur  zu  willig  geglaubte  Dogma 
von  efaiem  gottbegnadeten  Idealvoik  der  Hellenen,  dis  krsit  seines  Genius 
sich  in  gdidmnisvoller  Weise  mühelos  zur  höchsten  Vollendung  empor- 
geschwungen, wurde  beseitigt,  seitdem  die  Forschung  die  primitiven 
Wurzeln  dieser  Kraft  freigelegt  hat.  Uner«;chüttcrt  ist  aber  gerade  deshalb 
die  Tatsache  geblieben,  daß  die  Völker  des  klassischen  Altenunis  eine  in 
ihrer  stetigen  Entwicklung  und  in  ihrer  schließlich  erreichten  Höhe  einzig 
dastehende  Kultur  besessen  haben,  die  nach  wie  vor  eine  Mauptgrundlage 
unserer  heutigen  Kultur  bildet  Mit  Recht  ist  daher  dem  Veriie  der 
bebnnte  Aussprudi  Jean  Riuls  als  Geleitsspruch  vorgesctet;  «Die  jetzige 
Menschheit  versänke  uneigründlich  tief,  wenn  nicht  die  Jugend  durch 
den  stillen  Tempel  der  großen  alten  Zeiten  und  Menschen  (ten  Durchgang 
zum  Jahrmarkt  des  späteren  Lebens  nähme  " 

Was  die  Verfasser  in  gemeinsamer  Arbeit  geleistet  haben,  verdient 
die  wärmste  Anerkennung,  denn  sie  sind  ihrer  gewiß  nicht  leichten  Auf- 
gabe voll  gerecht  geworden  und  verstehen  mit  sicherem,  maßvollem  Urteil 
die  wichtigsten  Oesichlspuniite  herauszuheben  und  Idar  damtsidten.  Daß 
hie  und  da  der  Zusammenhang  in  der  Auffiusung  nicht  ganz  gewahrt 
werden  konnte,  ist  begreiflich  und  für  das  Werk  im  gan2«n  nicht  wesent^ 
lieh  störend.  Poland  hat  Staat,  Leben  und  Götterverehrung,  Baumgarten 
die  bildende  Ki)n«.t,  \X  agner  die  geistige  Entwicklung  und  dns  Schrifttum 
behandelt.  Gegliedert  ist  das  Buch  in  die  Abschnitte:  Einkitimg  (Land 
und  Leute,  Sprache  und  Religion),  das  griechische  Altertum  (mykenische 
Zeit,  von  Baumgarten  allein  bearbeitet),  Mittelalter  (1000  —500,  in  zwei 
gleich  lange  Perioden  zerlegt),  die  Blütezeit  (500-300),  innerhalb  der 
letzteren  beiden  nach  den  genannten  Gesichtspunkten.  Auf  Einzelheiten 
diungehen,  hie  und  da  eine  abweichende  Ansicht  zu  begriinden,  bt  hier 


Digitized  by  Google 


380 


Besprechungen. 


■ 

I 


nicht  der  Ort;  ich  beschränke  mich  auf  einige  allgemeinere  Bemerkungen. 
Sehr  gelungen  ist  Baumgartens  Abriß  der  mykenisdien  Kultur;  die  Ein- 
«irfcung  des  Orients  vird  auf  das  rechte  Ma8  beschrinkt  «In  dieser 
Zeit  war  Oriechenland  znm  mindesten  ebenso  sdir  gebend  als  emp&msciid 

. . .  wir  haben  es  mit  der  ersten  Blüte  jenes  Kunstvermfisens  zu  ton,  das 

durch  die  Dorische  Wanderung  und  die  mit  ihr  ztisammenhän^ndcn 
Umwälzungen  eine  Zeitlang  erstickt  wtirde  das  dann  iber  einige 

Jahrhunderte  spaier  sich  wieder  auf  sich  selbst  besaun  und  neue,  sch-^^e 
Blüten  trieb."    Der  Gang  der  staatlichen  Entwicklung  ist  von  Poiand 
Idar  gezddinetf  die  knappen  AusfQhiungen  fibcr  die  wirtsdiaftliciicB 
Zustände,  namentiich  die  venigen  Seiten  fiber  die  hdleniscfae  Rdi^oSr 
bedfirfen  jedoch  einer  f^ndlichcn  Unurbcitung  und  «esenttidicfli  Er«  | 
Weiterung.    Vortrefflich  gelungen  sind  die  von  Baumgarten  verfaßten 
Abschnitte  über  die  bildende  Kunst.   A11crdint:<^  ist  e?  wohl  die  dankbarste 
Aufgabe  in  einem  solchen  Werke,  an  einem  in  großartiger  Mannigfaltig- 
keit mitgeteilten  AnschaimnL^smaterial  die  Denkmäler  hellenischer  Baukunst 
und  Plastik  zu  interprciicic:i    üauniganen  hat  vermöge  seiner  reichen 
Sachloindc  die  nicht  genügen  Schvierigkdten,  das  Rechte  auszuviiilcii, 
fibcnninden,  in  den  vielen  Strdfirsgen  mit  wohlerwogenem,  bcsoancnem 
Urteil  sich  getnfiert  und  eine  lebensvolle,  begeisterte  und  hoffentlidi  attdi 
begeisternde  Schilderung  der  unvergänglichen  Größe  von  Athen  gegeben. 
Wagners  Darstellung  der  geistigen  Entfaltung  des  Hellenentiims  muß 
ebenfalls  als  eine  gediegene  Leistung  gelten.    Die  Würdigung  Homert 
und  seiner  Kunst  ist  mit  groiiem  Geschick  entworfen;  in  der  berühmten 
Frage  wird  ein  vermittelnder  Standpunkt  vertreten.   In  den  Abschnitten 
über  lyrische  PMe  sind  Übersetzungen  zumeist  ans  Oeibels  prflchtieem 
Uassischen  Uederintdi  eingieflochten.  Bakchytides'  Dichtung,  wie  sie  in 
den  1897  gefundenen  Liedern  uns  entgegentritt,  Pindais  gewaltiger  Sang, 
die  drei  großen  Tragiker,  Aristophanes'  Kunst  werden  mit  feinem  Ver-  I 
•^In.ndnis  charakterisiert,  Herodots  ei^zis^'\rti^^e  Bedenttint^  \!nd  die  n'onu-  i 
mentale  Größe  von  Thukydides'  Werk  nut  wenig  Strichen  zutreiiend 
gezeichnet;  Xenophon  ist  doch  wohl  zu  naciisichtig  beurteilt,  bokrates  i 
dagegen  unterschätzt,  Deniosthenes'  sittliche  Größe  aber  mit  warmen  | 
Worten  hervorgehoben,  in  die  Gedankenwelt  des  Plato  und  Aristoteles 
trotz  der  gebotenen  KOrze  ein  Blidc  er5f!nct.  -  Ea  würde  sich,  meines 
Emchtens,  bei  einer  Idlnftigen  Auflage  empfehlen,  nicht  ganz,  wie  jetzt  i 
grundsätzlich,  auf  Quellenangaben  und  Nennung  von  früheren  wissen» 
schaftüchen  Arbeiten  zu  verzichten   sondern  einige  wichtigere  I.iterntnr- 
nach weise  denen  an  die  Hand  zu  geben,  die  auf  einzelnen  Gebieten  1 
weitere  Belehning  suchen. 

Ein  erstaunlich  reicher,  mit  Sorgfalt  ausgewählter  Schmuck  von  I 
Bildern,  unter  denen  auch  weniger  beltannte  und  neu  entdedtte  berfldE- 
sicbtigt  sind,  femer,  was  durchaus  zu  billigen  ist,  Rekonstrulitioiien  von 
Monumenten  nicht  fehlen,  ziert  daa  schöne  Werig  um  deawn  gttnzende 


Digitized  by  Google 


BesprachungeD. 


381 


Ausstattung  die  Verlagsbuchhandlung  sich  ein  großes  Verdientt  ervorben 
hat  Ich  wünsche  dem  Buche,  das  ab  Ganzes  genommen  allen  Lobes 
wert  ist,  die  weiteste  Verbreitung  in  den  Kreisen»  fOr  die  es  in  errter 

Linie  die  Verfasser  geschrieben  haben:  unter  den  Gebildeten,  die  der 

Antike  erfreulicherueise  ein  nicht  geringes  Interesse  entgegenbringen,  und 
bei  der  Jugend  auf  den  höhert-ii  ^ciiulen,  wo  freilich  Sinn  und  Ver- 
ständnis für  Bedeutung  der  klasst>chen  Kulturuelt  im  Emporganpe  des 
Mensciiengesciilechts  immer  mehr  und,  uie  es  scheint,  unaufliaitsam 
dafainschwindet 

W.  Li  eben  am. 


IC  Rott,  Geschichte  des  Byzantinischen  Reiches.  Leipzig,  Oflscben, 
1904.  (128  S.)   (Sammlung  Göschen  Nr.  190.) 

Die  nicht  leichte  Aufgabe,  in  einem  schmalen  Bändchen  von 
128  Seiten  die  mehr  denn  tausendjährige  Geschichte  des  oströmischen 
Reiches  im  Abriß  zu  schildern,  ist  Roth  in  anerkennenswerter  Weise  ge- 
glückt. Die  Darstellung  baut  aui  den  größeren  Werken  von  Hertzberg 
und  Qeizer,  oft  in  w&rtiicher  Anlehnung,  sich  auf;  mit  Geschick  wird 
aber  das  für  einen  größeren  Leserkreis  Wesentlicbe  In  einer  so  langen 
Entwicklung  herausgehoben,  sowohl  in  dem  äußeren  Veriaufe  der  Er- 
eignisse wie  in  den  kuttuiseschichtlichen  Vorgängen.  Die  einzelnen 
Regierungen  sind  in  kurzer  Übersicht  behandelt.  Nach  dem  ersten 
Abschnitt,  Zeit  vor  justinian,  ist  eine  nllt^en^eine  Charakteristik  des  Reiches 
eingeschoben;  kulturhistorische  Skizzch  werden  vor  dem  Kapitel  über  die 
syrischen  (isaurischen),  nach  dem  über  die  armenischen  (makedonischen) 
Kaiser  und  am  Schluß  gegeben. 

Die  nach  so  vidcn  Sdten  nfitzltche  OlSschenscfae  Sammlung  hat 
durch  Roths  Schrift  eine  sehr  erwünschte  Erweiterung  erfahren.  Die 
wissenschaftliche  Durchforschung  der  Schicksale  des  ostrßmischen 
Reiches  hat  in  den  letzten  zwanzig  Jahren  tintcr  Führunp^  und  steter 
Anregung  K.  Krumbachcrs  gewiß  vordem  niclit  geahnte  Fortschritte 
gemacht,  aber  die  gewaltigen  Verdienste  des  byzantinischen  Kaisertums 
um  die  Kuhur  des  Ostens,  um  den  Schutz  des  Westens  gegen  die  Über- 
flutung durch  die  Slaven  und  den  Islam  werden  auch  von  Historikern  oft 
nicht  genug  bti  der  univenalgeschichtlidien  Betrachtung  berikcksichtigt, 
die  Schattenseiten  des  autokratischen  Regiments  aber,  des  verkommenen, 
intriganten  Hoflebens  mit  Vorliebe  betont.  Die  mit  maßvollem  Urteil 
abwägende  Darstellung  Roths  verdient  auch  deshalb  weitere  Verbreitung. 

W.  Liebenam. 


■aller  BiegrapUcnt  herausgegä)en  von  Freunden  vaterlandisdier 

Geschichte.  Zweiter  Band.  Basel,  1904,  Benno  Schwabe  (VII,  320  Seiten). 
Der  vorliegende  zweite  Band  der  Basler  Biographien  cnthiUt  drei 


Dlgltlzed  by  Google 


3S2 


BesprechttiiS9i> 


Arbeiten,  die  in  der  Schildoiing  der  Wirksamkeit  ihres  Helden  auch  ein 
bedeutsames  Stück  Baster  und  sctawetzerischer  Geschichte  und  zvar  aus  den 
verschiedensten  Zeitepochen  behandeln.  Die  erste  der  Arbeiten  hat  Albert 
Burckhaidt-Finslcr  zum  Verfasser  und  zum  Gegenstand  den  Bischof  zn 
Basel,  Heinrich  von  Neuenburg  (1262-1274),  den  letzten  Basler  Kirchen- 
fürsten des  Mittelalters,  der  eine  große,  selbständige  politische  Rolle  jre- 
spielt  hat,  in  seinen  Machtkämpfen  um  die  Ausdehnimg^  und  Abrun diiny 
seines  Herrschaftsgebietes  am  Oberrhein  aber  mit  dem  ebeniails  in  diesen 
Gebieten  nach  der  Vorherrschaft  strebenden  Grafen  Rudolf  von  Habs- 
buiig  zusammenstieB  und  diesem  nach  dessen  Königswahl  1275  endgültig 
unterlag.  Hierin  sucht  der  Biograph  Heinrichs  von  Neuenbürg  den  Grund 
für  die  mangelhafte  Territorialgestaltung  des  Basler  Gebietes  und  die  Ur- 
sache dafür,  daß  Basel  nicht  auch  die  politische  Herrschaft  über  die 
Landschaften  des  Sund-  und  Breisgaues,  des  FrickUls  und  der  Gebiete 
an  Ergolz  und  Birs  bis  zum  Bieler  See  erhalten  hat,  für  die  Basel  in 
wirtschsftlidier  und  geistiger  Hinsidit  den  Mittdpunlit  bildet  Trotz 
seiner  Niederlage  nach  aufien  Ist  aber  der  Bischof  för  die  wtüat  Ent- 
wicklung Basels  von  weitreichender  Bedeutung  geworden.  Burddiaxdt- 
Hnsler  fuhrt  die  gewaltige  Macht-  und  Kraftentfaltung  der  Stadt  Basel 
im  14.  Jahrhundt Tt  darauf  zurück,  dali  Heinrich  von  Neuenburg,  um  sidi 
für  seine  Kämpfe  mit  Rudolf  von  Habsburg  einen  Rückhalt  zu  schaffen, 
durch  eine  Reihe  gesetzgeberischer  Maßnahmen  die  Kräfte  der  Basier 
BürgcisdMft  zu  «edcen  und  zu  fordern  verstand.  Mit  der  Biographie 
des  Bfixgenneisters  Theodor  Brandt  führt  uns  Ferd.  Holzach  in  die  ver- 
worrenen Zeiten  des  Interims  und  des  Schmalkaldischen  Krieges,  in  denen 
es  Basels  Bestreben  nach  außen  xrar,  nach  Möglichkeit  eine  neutrale 
Stelhm}/  zu  wahren.  Der  einflußreichste  Leiter  dieser  Politik  war  Theodor 
Brandl,  dem  es  auch  gelang,  in  geschickt  vermittelnder  Rolle  die  innere 
Entwicklung  der  Stadt  trotz  der  sdurfen  Ocgensitze  in  ruhigen  Bahnen 
zu  halten.  Die  dritte,  ausffihrlichste  Arbeit  des  Bandes  von  F.  Mangold 
endlich  ist  dem  Bankdirektor  Johann  Jakob  Speiser  gewidmet,  der  eine 
ganz  her\'orragcndc  Rolle  in  tier  wirtschaftspnlitist  hen  Geschichte  der 
Schweiz  um  die  Mitte  des  19.  Jahrhunderts  gespielt  hat,  und  dessen  Name 
mit  allen  groikn,  damals  die  Schweiz  bewegenden  Fragen  dieses  Gebietes, 
wie  die  Regelung  der  Zollfrag^  der  Münzreform,  der  Schweizerischen 
Zentndbahn  etc,  aufis  engste  vericnflpft  ist.  Die  Mangoidscbe  Aibdt  be- 
sitzt damit  für  den  sdiweizerischen  Whtsdiaftshistcmher  ganz  allgemeine 
Bedeutung.  W.  Bruchmfiller. 

Alfred  Martin,  Deutsches  Badev-cscn  m  ver{T;iPG:enen  Tagen  nebst 
einem  Beiü^age  zur  Geschichte  der  deutsciien  Wasserheil künde.  Mit 
159  Abbildungen  nach  alten  Holzschnitten  und  Kupferstichen.  Verlegt 
bd  Eugen  Diederid»  in  Jena,  1906  (448  S^. 

Vor  allem  seit  der  Begründung  zahlreicfaer  loluler  Ocsdiicht»- 


Digitized  by  Google 


383 


vereiiie  im  Laufe  des  vorigen  Jahrhunderts,  denen  sich  in  neuester  Zdt 
die  voltslnindlichen  Vereine  mit  ihren  VerSffentUchnngen  angeschlossen 
haben,  sind  Bände  auf  Bände  mit  Beiträgen  auch  zur  Kulturgesdiidite 
der  einzelnen  Gebiete  und  Orte  gefällt  worden.  Allein  zu  einer  Ver- 
einigung des  weit  zerstreuten  Materials,  zum  Entwerfen  eines  Gesamtbildes, 
zur  lichtvollen  Aufzeigung  der  Fntwicklung  auch  nur  innerhalb  der 
deutschen  Grenzen  ist  es  nur  für  wenige  Erscheinungen  oder  Gegenstände 
bisher  gekommen.  Und  doch  vQrden  erst  solche  Zusammenfassungen 
wiederum  die  sichere  OnindUige  filr  ein  tieferes  kulturgescbiditliches 
Erlcennen,  für  dne  klare  Einsicht  in  das  innere  Wesen  und  das  Werden 
der  Dinge,  in  die  Verschiedenheit  der  Stämme  und  Landschaften  und  die 
aus  Naturanlagen  und  äußerem  Geschehen  gleichmäßig  herzuleitenden 
Gründe  für  diese  Verschiedenheit  abgeben  können 

Auch  für  den  wichtigen  Zweien  der  deutschen  Altertumskunde 
und  Kulturgeschichte,  den  das  Badewesen  in  seinem  ganzen  Umfange 
darstellt,  fehlt  es  zwar  nicht  an  historischen  Abhandlungen,  Mitteilungen, 
Splittern  aller  Art,  von  der  schwer  zu  fibersdicnden  eigenüidien  balneo- 
loeiscfaen  Literatur  ganz  zu  schwdgen:  aber  dn  Kompendium,  das  uns 
in  zuverlässiger  Weise  fiber  alles  Wissenswerte  auf  dem  Gebiete  unter- 
richtet hätte,  besnßen  wir  bis  vor  kiirrem  noch  nicht.  Erst  das  vor 
einigen  Monaten  erschienene,  oben  näher  bezeichnete  Budl  von  Alfred 
Martin  hat  diese  Lücke  in  dankt-nswerter  Weise  ausgefüllt. 

Der  Verfasser  des  »Deutsciieii  badewesens  in  vergangenen  Tagen" 
ist  Arzt,  was  sebwm  Werhe  bd  den  vidfiUtigen  nahen  Beziehungen  des 
behanddten  Stoffes  zur  Hdlkunde  ohne  Zwdfel  außerordentlich  zustatten 
gekommen  ist.  Denn  nur  dn  Medianer  von  Beruf  konnte  viden  der 
uns  fiberliderten  Tatsachen  und  Zustände  das  richtige  Verstlndnis  ent* 
gegenbringen,  die  Verj,^anf_^enheit  mit  der  Gegenwart  zu  einer  Einheit 
verknüpfen,  Freilicii  wurde  es  andererseits  dem  Verfasser  gleichwohl 
nicht  gelungen  sein,  den  Entwicklungsgang,  den  das  gesamte  Badewesen 
in  Deutschland  von  den  Urzdten  an  genommen  hat,  in  so  trefflicher 
und  dnwandffder  Weisen  wie  es  geschdien  ist;  an  der  Hand  der  Qudlen 
darzutegen,  wenn  sdnem  medizinischen  Wissen  nicht  dfe  genaueste  Ver- 
trautheit mit  eben  jenen  Quellen  samt  der  einschlägigen  litentur  und 
gründliche  historische  wie  auch  sprachliche  Kenntnisse  zur  Seite  gestanden 
hätten.  Und  ganz  besonders  ist  daneben  noch  die  ausgedehnte  Kenntnis 
der  Denkmäler  und  der  uns  aus  den  früheren  Zeiten  überkommenen 
bildlichen  Darstellungen  rühmend  hervorzuheben,  der  Martins  Buch  seine 
Riehe  Ausstattung  mit  sorgfältig  ausgewählten,  zum  Teil  erstmalig  ver- 
fiflentlichten  und  zumeist  sdur  lehrrddien  AUHldungen  verdankt 

In  dieser  Vorführung  dnes  wdtschichtigen  Materiab,  in  dem  2.  B. 
auch  die  auf  das  Badewesen  bezüglichen  Stellen  aus  älteren  und  neueren 
Dichtem  und  Schriftstellern  nicht  fehlen  und  gelegentlich  sogar  auf  noch 
nicht  durch  den  Druck  aUgemdn  zu^ngiich  gemachte  Qudlen  Bezug 


Dlgitlzed  by  Google 


3S4  Besprechungen.  I 

genommen  vird  (vgl.  etwa  S.  77:  Akten  der  ZOrichcr  Bidcriade),  sovie 
in  der  kritischen  Sichtung  dieses  Materiah  scheint  mh*  der  Hanplvtrt  I 
des  Martinscfaen  Werkes  zu  beruhen.  Daß  dabd  das  Badevesen  in  seiner  ' 
weitesten  Bedeutung  gefaßt  ist,  uns  das  Buch  daher  nidit  nur  fibcr  die 

verschiedensten  Arten  von  Bädern  und  ihren  Fntwicklungsgan«',  fib^  alle  i 
mit  dem  Baden  zusammenhängenden  Sitten  und  Unsitten,    über  das  | 
Badergewerbe  samt  kurzer  Geschichte  der  einschlägigen  Realien  (W  erk-  i 
zeuge,  Geräte,  Hautverschönerungsmittel  usw.),  ferner  über  das  Baden  zu 
Heilzweckenr  die  Kaltwasseriiehandittng,  Trinkkuren,  kurz  filxr  die  gestaute 
Hydrotherapie  von  ihren  Anfingen  bis  in  die  jflngste  Vefgangenlieit  in 
anschaulicher  und  bei  der  Quellenmäßigiieit  des  Gebotenen  kaum  je  er- 
müdender Weise  unterrichtet,  sondern  z.  B.  auch  die  wirtschaftlichen  oder 
kulturollen  Triebkräfte  (S.  196  Steigerung  der  Holzpreise,  S.  204  ff.  Ein- 
fluß der  Seuchen  usf.),  ferner  Badekleidung  und  BadelektOre,  Schwimmen  j 
und  Hilfsapparate   zum  Schwimmen,  Verschicken  des  MineralNi^assers  I 
(S.  258ff.)  u.  a.  m.  in  den  Kreis  der  Betrachtung  einbezogen  worden  sind,  | 
dafOr  wild  man  dem  Ver&sser  nur  Dank  wissen.  Auch  stört  es  bei  dem  | 
Kompendienchaiakter  des  Buches  nicht  eben  sehr,  wenn  sich  hin  und  | 
wieder  beträchtliche  Abschnitte  einer  Quellenschrift,  wie  S.  53  ff.  des  y 
Nikolaus  Wynmann  Dialog  »Colymbetes"  in  Gustav  Freytags  Cbersef2urg^, 
S.  239ff.  Poggios  und  S.  310  ff.  Pantaleons  Bericht  über  Baden  im 
Aargau,  S.  288  ff.  des  Metobius  Schrift  über  Pyrmont  von  155c).  unmittel- 
bar in  die  Darstellung  inseriert  finden,  obwohl  ein  soiciies  Vertahreii  der 
letzteren  allerdings  nicht  zum  Vorteil  gereicht  hat,  fOr  eine  Uanre  Dis- 
position, eine  txssere  Ökonomie  der  ganzen  Anlage  Oberhaupt  wohl  noch 
manches  bitte  geschehen  können.  Einige  Wiederholui^en  wfirden  sich 
dadurch  leicht  haben  vermdden,  das  Fehlen  eines  Sachregisters  nebdi  1 
den  gut  gearbeiteten  Namen-  und  Ortsregistern  eher  haben  verschmerzen 
lassen.    Ebenso  wäre  die  Wiedergabe  des  Mittelhochdeutsdien,  das  etwas 
gar  zu  ungleich  (bald  sind  Längezeichen  auf  die  langen  Vokale  gesetzt, 
bald  fehlen  sie,  usf.)  und  gelegentlich  auch  fehlerhaft  (S.  227  ist  in  den 
Versen  aus  Neidharts  •Graserin«  stett  »mit  iren«:  «nit  irren«  zu  lesen  usv4 
ausgefallen  ist,  wohl  noch  einer  Revision  zu  unterziehen  gewesen.  Aud 
sonst  ließen  sich  im  einzelnen  noch  mancherlei  gcringfilgigere  Bedenken 
und  Beanstandungen  (Bartholomäus  Zeitblom  ist  z.  B.  gewiß  nicht  als  der  ) 
Meister  des  bekannten  mittelalterlichen  Hausbuches  nnziisehen,  wie  S.  250 
als  wahrscheinlich  bezeichnet  wird,  usw.)  geltend  maclien,  auf  die  ich 
hier  jedoch,  da  solche  kleinen  AUngel  den  eigentlichen  Wert  des  Martin-  i 
sehen  Buches  in  keiner  Weise  beeinträchtigen,  nicht  weiter  eingehe.  I 

Lobend  sei  endlich  noch  die  vortrefffidie  typographische  Ausatettaiv 
des  Werkes  hervoigehoben,  durch  die  der  Verleger  seinen  wohl  bc|;rfindeten 
Ruf  als  erfolgreicher  Voridmpfer  einer  zweckentsprechenden,  sinn-  uixl 
gesdimackvoUen  Budiausstettung  aufi  neue  bewährt  hat 

Theodor  Hampe. 


Dlgitlzed  by  Google 


Die  ü^ebifcliartigen  Aufzeichnungen  des  {rfiblschen 

Hofarztes  Dr  Johannes  Lange 

Aber  seine  Reise  nach  Granada  im  Jahre  1526. 

Mitgeteilt  und  erläutert  von  ADOLF  HASENCLEVER. 


Auf  den  folgen cicn  Blätfern  veröffentliche  ich  eine  Reise- 
beschreibung aus  dem  1 6,  Jahrhundert,  welche  uns  an  der  Hand 
tagebuchartiger  Aufzeichnungen  von  Neumarkt  in  der  Oberpfalz 
nach  Heidelberg,  von  dort  durch  Lothringen,  Frankreich  und 
Spanien  nach  Oranada  an  das  Hoflager  Kaiser  Karls  V.  fülirt; 
nach  nur  I4tägigeni  Aufenthalte  in  der  ehemaligen  Residenz  der 
Maurenkönige  wird  die  Rückreise  angetreten,  die  zum  Teil  dieselbe 
Route  einschlägt  wie  die  Hinreise,  stellenweise  aber  auch,  besonders 
in  Spanien,  von  dieser  abweicht. 

Der  Verfasser  dieses  Berichtes  ist  der  Leibarzt  Pfalzgraf 
Friedrichs»  des  spateren  Kurfürsten  Friedrich  IL  von  der  Pfolz 
(1544-1556),  Dr.  Johannes  Lange    aus  Lfiwoiberg  in  Schlesien, 


')  über  Joh.  Ungc.  geb.  1485,  gest.  21.  Jon!  1565  in  Hddelberg:,  vgl.  den  Artikel 
von  E.  Ourlt  in  der  Allg.  deutechen  Diogr.  (i883  ,  X\  II,  :  •  ,  vi  uich  die  einschlägige 
Literatur  angegeben  ist  —  Einige  Ergänzungen  und  Berichtigungen  bietet  Erler:  Matrikel 
der  UniversiUt  Ldpiig  II,  4S4,  m,  St4;  III,  9$7,  sovieBd.  Wlnckelnaan:  Urlnmdeabadider 
Universität  Heidelberg  fHrideIhrrj: '  PS6)  II,  ?  100,  Nr.906 :  ?2.  November  1545,  .Johannes  Lange 
von  Lemberg,  der  freien  Kuriii  uau  beider  artznei  doktor,  schreibt  dem  Kurl.  (Friedrich  II. 
von  der  Pf.ilz),  daß  er,  seinem  Wunsch  gemäß,  eine  Reformation  der  Universität  Hridel- 
berg  schriftlich  verfa6t  habe,  und  überreicht  diadbe  znr  cventuelieii  vetteren  VcrhetKnuu;.* 
-  Ntch  Jtk.  WiHc:  die  denlMlwi  Ptttaer  Huidsdiriflca  der  UBivenHUsbtUlolhek  nt 
Heidelberg  des  16.  u.  17.  Jahrh.  befindet  steh  dort  Cod.  Pal.  Qerm.  VIII,  34  ein  Brief 
Dr.  Langes  an  Karffirst  Friedrich  III.  von  der  Pfalz,  d.  d.  Heidelberg  24.  April  1564  über 
die  Krankheit  des  Pfalq^raicn,  ebenso  noch  einige  medizinische  Rezepte  iMgt»  fibcr  die 
Konat,  das  Leben  n  verlinfera;  y^,  ebenda  ResMcr  v.  Langet  Job. 

ArUv  nr  KnltmieMhidile.  V.  25 


Digitized  by  Google 


386 


Adolf  Hasendever. 


als  medizinischer  Gelehrter  eine  sehr  bekannte  und  geachtete 
Persönlichkeit,  insbesondere  durch  seine  früher  viel  gelesenen 
und  nachgeahmten  epistolae  medicinales,^)  das  erste  derartige 
Werk  in  Deutschland. 

Der  Wert  der  hier  veröffentlichten  Reiseschilderung  liegt 
fast  durchaus  auf  kulturgeschichtlichem  Gebiete;  was  wir  Neues 
an  historischen  Notizen  zur  Zeitgeschichte  erfahren,  ist  ganz  gc- 
ringfugigi  zumal  ein  anderer  Teilnehmer  an  dieser  Reise,  der 
l)ekannte  Annalist  Hubertus  Thomas  Leodius  in  seinem  Werk 
fiber  Kurfürst  Friedrich  II.  von  der  Pfalz,*)  dem  Charakter  seiner 
Biographie  entsprechend,  die  Fahrt  seines  Herrn  nach  Qranada 
und  die  Erlebnisse  während  derselben  in  den  historischen  Zu- 
sammenhang der  Zeitgeschichte  bereits  eingereiht  hat. 

Hier  sei  gleich  eine  Frage  kurz  gestreift,  welche  insbesondere 
für  die  quellenkritische  Bewertung  von  Leodius'  Werk  von 
Interesse  ist:  hat  er  bei  der  Redigterung  seiner  Biographie  die 
Aufzeichnungen  Langes,  welche  ihm  bei  seiner  Stellung  in  der 
kuipfälzischen  Kanzlet  jederzeit  leicht  zugänglich  waren,  benutzt? 
Mit  Entschiedenheit  nach  der  einen  oder  anderen  Richtung  hin 
läßt  diese  Frage  sich  nicht  beantworten;  die  Möglichkeit  einer 
Benutzung  liegt  immerhin  vor,  besonders  eine  Vergleichung  der 
Beschreibung  von  Granada  bei  unseren  beiden  Autoren  macht 
die  Annahme,  daß  Leodius  von  Lange  abhängig  ist,  nicht  un- 
wahrscheinlich, freilich  ebenso  gut  bleibt  die  Möglichkeit  bestehen, 
daß  beide,  da  die  Gewährsmänner,  von  denen  sie  bei  ihrer 
Unkenntnis  mit  der  Landessprache  über  die  spanischen  Verhält- 


>)  Medidnaliom  Epistolanim  lafscdliuiea  varfa  ae  ran  cam  eniditlone,  iam  rernm 

scitu  di<;nissimarum  cxplicatione  reff rfrt !  nt  cnntm  Icctio  non  soliini  Medicinac,  ^cd  omnis 
etiam  Naturalis  historiar  studiosis  plurimuin  sil  cir.nlumemi  allatura.  I).  loanne  I  riugio 
LL';iibeig-ii,  illu,;ri^s.  l'ri;iLi[iiim  Palatinoriiin  Rluiii  ttc.  iWcdico,  autorc  U.i^ilc.R".  Per 
loannem  Uporiniim.  Ohne  Jahr.  Nach  Ourlt  in  ADfi  erschien  die  erste  Auflage  in  Basd 
15S4.  Ich  benutze  du  Exemplar  der  Kgl.  Bibliothek  zu  BeHln,  wo  auf  dem  Racken  des 
Einbandcs  .Basih  1554*  eingedruckt  ist.  -  Eine  zweite,  wesentlich  vermehrte  Au<;E:.ibc  der 
epistolae  mcdicinalcs  crsdiicn:  ..Francofurdi  Apud  Hered<s  Aiulresc  Wecheli.  CLiudium 
Mnmium  et  Innr.n.  Aiibiivini,"  1589,  herausficgebcn  von  Nicol.ius  Keusnenis  luri-^cniisitltus. 
nCum  Indicc  reniin  et  verborum  copiosissimo."  Vgl.  über  diese  Ausgabe  ADD  a.a.O.  — 
Es  wire  meines  Erachtens  eine  sehr  dankbare  Aufgabe,  die  Wettinadttiitltig  ^Bcacs  vid 
gereisten  Arztes  auf  Orund  seiner  epistolae  ucdidnales  einmal  des  Nibem  n  sUzzicreB. 
Vgl.  unten  S.  •♦?3,  Anm.  1. 

')  -.Annalium  de  ut.i  c;  rv!r:>  gestis  llhistrissiini  Principis  Fridcrici  II  Electoris 
Palatini  Libri  XIV.  Au Uiorc  Huber to  Thoma  Leodio,  etasdem  Con&iliaho.*  Frankfurt  a.  M. 
1624.  -  Fernerhin  zitieit  Uodins.  -  Die  RdsdxschKlbaiic  des  Leodlns  befindet  deh 
LeoditU  «.  t.  O.  S.  95<*II5. 


Digitized  by  Google 


Die  tigebucbartigien  Aufzeichnung!«!  des  Dr.  Joiiannes  Linge.  3S7 


nisse  und  Kulturzuslände  unferridifet  wurden,  die  gleichen  waren, 
auf  deren  Berichte  hin,  ein  jeder  fQr  sich,  ihre  Aufzeichnungen 
genuKht  und  danach  später  ihre  Erlebnisse  und  Erfahrungen 
ganz  unabhängig  voneinander  niedei^eschrieben  haben. 

Der  Wert  des  hier  \  etuiientlichten  Tagebuches  liegt,  wie 
bereits  erwähnt,  nach  der  kiiUurgeschichiiichen  Seite  hin;  für  die 
Flora  der  durchwanderten  Länder,  für  den  Reichtum  des 
Bodens  an  landwirtschafth"chen  Erträgnissen  hat  unser  Verfasser 
ein  offenes  Auge.  Besonderes  Interesse  beanspruchen  die  zu- 
sammenfassenden l<uluirhistorischen  l 'berblicke  über  die  KuHiir- 
^rustände  in  den  einzelnen  Ländern;  man  sieht,  welchen  Gefahren 
und  Entbehrungen  sich  damals  die  Deutschen,  auch  Personen 
fürstlichen  Standes^  auszusetzen  hatten,  wenn  sie  ihren  ICaiser  in 
seinen  fernen  spanischen  Erblanden  aufsuchen  wollten;  gerade 
für  die  Geschichte  des  Reisens  im  16.  Jahrhundert,  ein  Kapitel, 
an  welchem  die  amtlichen  Relationen  meistens  stillschweigend  oder 
doch,  ohne  sich  auf  Einzelheiten  einzulassen,  vorübergehen,  ent- 
hält unser  Bericht  manche  schätzenswerte  Notiz. 

Dr.  Langes  Stellung  zur  religiösen  Frage  scheint  wie  die- 
jenige seines  Herrn,  wie  auch  seines  Reisebegleiters  Leodius»  keine 
bestimmt  ausgeprägte  gewesen  zu  sein;  äußerlich  ist  er  noch 

ein  Anhänger  der  alten  Lehre,  aber  sein  Auge  ist  bereits  ge- 
schärft für  die  großen  Gebrechen  seiner  Kirche.  Nicht  ohne  Teil- 
ii.ihnie  verfolgi  er  die  neue  Richtung;  charakteristisch  ist  in  dieser 
Hinsicht  seine  Beurteilung  Brigonnets,  des  Bischofs  von  Meaux, 
und  des  Vorgehens  der  Sorbonne  gegen  ihn. 

Die  Heimat  des  Verfassers  ist  Schlesien,  die  Gegend  jedoch, 
an  der  sein  Herz  hängt,  ist  das  kleine  Ländchen  seines  Herrn, 
die  Oberpfalz  und  die  umliegenden  Reichsstädte.  Immer  wieder, 
wenn  er  die  Cröße  fremder  Städte  und  Flecken  erläutern  will, 
greift  er  auf  die  geographischen  Zustände  dieses  Ländchens  zurück; 
die  Ortschaften  Amberg  und  Neumarkt  sind  für  ihn  die  Maßbe- 
griffe, nach  denen  er  die  Größe  anderer  Städte  bestimmt;  für 
bevölkertere  Kommunen  werden  Nürnberg  und  manchmal  auch 
Augsburg  herangezogen. 

Für  den  Statistiker  sind  diese  Angaben  ja  kein  geradezu 

25» 


Digitized  by  Google 


388 


Adolf  Hasenclever. 


ideales  Material,  nach  dem  sich  genaue  Berechnungen  anstellen 
ließen;  denn  nicht  nur  wissen  wir  noch  nicht  genau,  wie  groß 
jene  Flecken  in  der  Oberpfalz  damals  waren,  sondern  noch  mehr: 
was  unser  Verfasser  angibt,  sind  immerhin  nur  Schätzungswerte, 
sie  geben  den  Lintlnick  wieder,  welchen  ein  betreffende  Ort  bei 
dem  meist  nur  ganz  kurzen  Aufenthalt  du:  den  Reisenden  ocinachthat. 

Die  eigenhändige  Aufzeichnung  Dr.  Langes  ist  nicht  mehr 
auf  uns  gekommen;  die  Handschrift,  welcher  diese  Veröffent- 
lichung entnommen  ist,^)  ist  eine  sauber  geschriebene  Kanzlisten- 
handschrift, niedergeschrieben,  wie  eine  Notiz  auf  dem  Titelblatt  er- 
giebt,  im  Jahre  1 528,  wie  ich  annehmen  möchte,  entweder  als  Vorbe- 
reitung für  eine  Drucklegung  -  die  Hervorhebung  der  Namen 
von  Personen  und  Städten  durch  rote  Buchstaben  oder  durch 
mehr  oder  weniger  willkürlich  ausgeführte  Einrahmung  dieser 
Namen  in  rote  und  schwarze  Kreise  scheint  mir  darauf  hinzu- 
weisen oder  die  Handschrift  war  eine  vielleicht  für  Pfalzgraf 
Friedrich  veranstaltete  Prachtausgabe.*)  Soweit  ich  durch  An- 
fragen und  persönliche  Nachforschungen  *)  habe  ermitteln  Icönnen, 
ist  eine  Veröffentlichung  dieser  Reisebeschreibung  bisher  nicht 
erfolgtf  und  sollte  sie  erfolgt  sein,  so  sind  die  Exemplare  des 
ersten  Druckes  heutzutage  verschollen. 

Da  die  Handschrift  nicht  Originalniederschrift  des  Verfassers 
ist,  sondern  von  Kanzlistenhand  herrührt,  habe  ich  die  überdies 
nicht  einheitlich  durchgeführte  Orthographie  -  selbstverständlich 
nicht  bei  Städte-  und  Peisonennamen  -  der  heute  allgemein 
geltenden  Editionspiaxis  von  Urkunden  aus  jener  Zeit  angepaßt 


1)  Aas  diKm  SnnMlband  der  Unlvcnftttsblblicrthdc  ai  Hdddben;;  vgl.  Jakol» 

Vt'ille:  die  deutschen  pfäl/cr  H.-üidsc^iriftcn  des  16.  und  17.  Jahrhunderts.  Cod  Pal.  Oerm.  i?7 ; 
Pap.  XVI.  J.-ihrh.,         Blatter  [ii.  I-lIl  leer)  2».    1  mit  der  alten  Re/eichnunR  C  115.  - 
Der  Vcr»altunK  'Itr  riiiversit.it<ihiblii>tliek  zu  Hcidelher^;  sei  an  dieser  Stelle  für  die  grolV 
BereitwilUgkcit,  mit  welcher  sie  mir  die  Benutzung  der  Handschrift  durch  Übersendtuig 
nadi  Hall«  crnflf^dite,  mein  verMadlidister  Dank  aittKeaprodien. 

2)  Ocgcn  diese  Annahme  könnte  man  allerdinni  einwenden,  d.ifi  die  Handschrift 
ohne  irgend  einen  ersichtiicfaen  Omnd  und  ohne  jede  Schlu8t>einerlatng  ganz  plötzlich 
aU>ric]it,  bevor  die  Reiaemlai  den  AtofpatgßfmM  fhm  FakH  wieder  cndcbt  lutttett. 

-)  Bei  R-  Foulch^-Delbo^e :  F^iblio>ir.i]ihic  des  vcj).ii:es  cn  I-sp.iffTie  et  cn  Portug.il 
(Paris  1896)  S.  26 ff.  ist  unter  den  Kci&en  Pfalzgraf  Friedrichs  diejenige  von  1526  nur  io 
der  ScMMerang  des  Hnbertu  ThoimM  Leodlw  enriUiirt. 


Digitized  by  Google 


Die  tagebudiartigen  Aufodchiiinigai  des  Dr.  Johannes  Lange.  3^9 


«VfEtydniiis  des  wtgi  neii 
gnediger  her  hertiog  Fridcrlch 
umht  ntywr  f.  g.  hofgesinde 
1526.  Jar  ia  tlispania  zmt 
KayserHchcr  na :  t  zogen  md 
wie  es  ioen  ergangen  ist*^ 

1528. 

Got  gibt  got  ninibt 
W.  Sinderstetter. 


Anno  Tausent  funffhundert  und  im  sechsundzwentzigisten 
Jare  ist  der  durchleuditig  hochgeborn  Fürst  und  herre,  Herr 
hertzog  Friderich  Pfallz[gjrave  bev  Rhein  und  hertzoge  in  Bayrn, 
unser  gnädiger  herr,  durch  merckliche  Ursachen  seiner  fürstlichen 
gnaden  Landtschaff  nutz  und  ander  herren  anligende  beswerdnus 
betrctfendc  verursacht,^)  am  dritten  Tage  des  nionats  marcy  mit 
disen  hiernach  geschriben  seiner  F.  G.  Räte  und  dienern  zum 
Neuenmargkte,  im  Norgkau  gelegen,  gegen  Granathen  in  Hispo> 
niam  disen  verzaichetten  wege  durch  Teutz-Nacion,  Franckreich, 
Castanien,*)  Pasha,  Pashaia,  Castilien  und  ander  Tayl  Hisponier 
Landts  zu  kayserlicher  Maycstat  gerithen. 

Friderich,  Pfaltzgrave  Bey  Rhein,  hertzog  in  Bairn. 

Der  wuigeborn  herr,  herr  Georg  vou  Falckenslein,  frey  und 

herr  zu  Maydeck,*)  Rate  und  diener. 
der  ernvest  Junckher  Wolff  von  Mülheim,  Marschalck. 

^  Ober  FrMttdit  Dtwemifliid«  tar  Rebe  vgl.  W.  Pritdaabarg:  Dtr  Rddnlig 

ta  Speier  1526  (Berlin  1887)  S.  it7ff..  bes.  S.  123  und  124,  Anni.  i,  !?oirie  Rodriguez- Villa : 
El  Emperador  Carlo$  V  >-  &a  cortc  (15^2-1539),  Madrid  1903-05,  S.  327.  1.  Er  habe  ge- 
hört, daß  der  Kaiser  gesagt  habe,  er  habe  Macltt,  die  Pfalzgrafen  zu  bestrafen,  and  daß  er 
Dicbt  wiaatt  auf  Onind  velcher  Tataadiai  dkt  Kurl  fcngt  babe.  M.  mpondiö,  qoe 
bd  no  luMt  dicho  por  ellos,  pero  Men  era  verdat  haber  didio  qm  era  cii  tu  poder  caaUsar 
i  todos  los  qui  hicicscn  porqiic  y  fufscn  dcservidores. "  2.  Er  -müf  die  Gründe  darlegen 
für  seinen  Rücktritt  vom  Keichsregiment.  3.  Cr  habe  den  Kaiser  und  die  ihm  eben  ver- 
atUilte  XUserin  bcfriUlca  «olkn  Ics  dar  la  enborabwna  de  m  eManicnlo". 
*)  Oascogne. 

■0  Bei  Lcoditts  S.  96  a  nur  angef&hrt  als  „Dobüao*  Oeorgius,  Baro  ab  Hddeck". 
In  Tirbenkrteg  ISU  wu  er  einer  der  aecbs  Kricgwite  PlU^f  Frledridis. 


Digitized  by  Google 


390 


Adolf  Hasendcver. 


der  Ersam  Hocfagdert  herr  Johann  Lange,*)  dodor  der  Artoiey 

von  Lemberg, 
der  emvest  Jobst  Bnmtner  der  Junger, 
der  emvest  Ceorg  Brunbeck.*) 
Hans  Bock. 

Ruprecht  von  Luttidi,  Notarius.^) 

Qregorius  Mayr,  Silbeisdiliesser. 

Amoldt  Man,  koch. 

Jakob  Lange,  Lambarder. 

Stephan,  Sattelknecht. 

Hans  Ragaß. 

Paulus  Kerner. 

Hans  von  Ami-Li  fr. 

Juan.  LareJha,'}  Lacay. 

Bastei,  Baiiwirer.  ^) 

Leon  hart  Fechter,  kuchenbub. 

Joan.  Albertyn,  Eseltreiber. 

Vincens  von  Stockarth,  stalknecht,*)  und  auch  etzliche  ander 
fremder  Nacion  knechte  und  diener,  uff  dem  wege  uff- 
genomen,  und  seiner  F.  Q.  zugeschickt.  Und  erstUch  von 
dem  obgeinelten  Neuenmarcki  gegen  Norgkau 

Berngrys^)  4  Meyl  gezogen. 

Ist  ein  Stetlein  des  Bischoffs  von  Eystett,  under  dem  Schloß 
Hirßperg  an  der  Altniul  vischrcich  wasser  gelegen,  an  welches 
wir  nach  essens  mit  meinem  O.  Herren  orespactreth  und  darnach 
vor  der  herberge  mit  einem  karn  vol  neuer  Häffen  Balspil  geübeth. 


1)  [.eodius  S.  96  a:  Dodor  loannes  Langius,  Medicus  tarn  eruditns  quam  lUVte 
et  iucundus  cotncs".  Auf  S.  5  b  nennt  ihn  Leodiui:  „Principis  insignts  medicus". 

>)  War,  irie  ans  Lcodias  S.  Mb  hervorgdit»  Mvadicihenk.  eio  widccicr  Zedier. 
V|^.  Leodius  S.  103  b. 

■)  Der  Qeschichtschrtibcr  und  Biograph  Pfalzgraf  Friedrichs  Hubertus  Thomas 
Leodiu5.  Vgl.  hierzu  Leodius:  „et  pyo  quoque  ascitus  suni  SccrcUiriiis  et  a  rationibus  et 
tumptibus  scriba"  (a.a.O.  S  96a).  Vgl.  über  ihn  Hartfelder  in  den  Forschungen  zur  deutschen 
Oodlichte,  Bd.  XXV. 

*)  Wahncfacinlich  identisch  mit  dem  bei  FriedcmbliTf :  Der  Reidisfaig  zn  Speier  IS36 
S.  458,  Anm.  3  ervlhnten  Johann  Marie. 

>)  Leodius  S.  I12a:  ..Principis  tonsor  SdMStianus". 

^  Vgl.  Leodius  S.  96a:  ,,I*r.Ttiin>  aiitnn  omnes  viginli". 

*)  Betlngries.  —  Wie  auch  aus  Leodius  S  94  a  hervorgeht,  war  die  damalige  Form 
des  Nameat  BeniKilc«. 


Digitized  by  Google 


Die  tagebuchartigen  Aufzeichnungen  des  Dr.  Johannes  Lange.  391 


ingolt-Statt. 

4  Meilen.  Quarta  die  Marcy. 

Pin  zirliche  woigcpaiitte  Stat  der  Herrn  von  Bairii,  uff 
einer  ebent  gelegen  und  kornreich  Lanclt;  die  Donau  daran  hin- 
fh'csset  und  von  der  universthet  auch  bcrumbmct.  Halt  auch  ein 
woll  erbauet  Sioß,  in  wellicheni  hertzogcn  Wilhelm*)  und  Lud- 
wig«) gebruder,  Fürsten  und  herren  in  Baim,  der  hochwirdig  in 
gott  und  durchleuch  fürst  hertzog  Philips,')  Pfaltzgrave  bei  Rhein, 
hertzog  in  Baym  und  Biscliove  zu  Freysingen,  auch  hertzog  Otto 
Heinrich  *)  und  hertzog  Philips  ^)  gebruder,  Pfaltzgraven  bei  Rhein 
und  hertzogen  in  Obern  und  Nidem  ßayrn,  auch  ein  Junger 
Grave  vom  Aigaw  und  ein  herr  von  Bern  meinem  gnedigen 
herm  erhafftig  cntpfangen  und  zwen  Tage  allerlay  kurtzweille 
gepflegt*)  und  sonderlich  am  Montag^  nach  es$ens  Antvogel*) 
am  Wasser  gepaist;*)  den  andern  tage  darnach,  uff  das  kein 
freude  one  laydt  befunden  wurde,  ist  mein  gnedigier  herre  von 
Freystngen  am  Schwengel  kranck  gelegen;  und  [es]  halt  bede  tag 
geregeth. 

Neuburg  an  der  Donau. 
3  Meilen.  VUI.  Marcy. 

Ein  Stat  der  jungen  fursten  und  Pfaltzgraven  uff  ainem 
berge  an  der  Donau  gelegen/®)  hat  lustige  jageth  (adcr  gegaydt) 
und  ein  jundcfrau  Qoster,  In  welchem  die  durchleuchttge  furstin, 


>)  Wilhelm,  HcrzoK  von  Bayern  1S0R-1S$0. 

*)  Ludwill,  Herznf»  vnn  Bayern  1S03-1S44 

»)  Bischof  Philipp  von  Freising  (1499- lS4t),  Administrator  tinii  Bi&chof  von  Naum- 
burg 1SI7-1S4I.  Über  den  Leumnnd.  In  dem  er  bei  sdnen  Zdtgenoiwii  Slmd,  vgKBuick: 
Zimncrifchc  Chronik  IV  <,  t87  f. 

Pfal^^af  von  Neuburg  1507 -  1556;  Kurffirtt  von  der  Pfah  t5S6-l5$9. 

»}  Pfalzgraf  1507-1 548  Beide  Söhne  Pfalzsraf  Ruprechts,  Neffen  Pfalzgraf  Friedrichs. 

^  Ober  dnen  poliUscben  Auftrag  an  den  Kaiaer,  den  die  bayrischen  Hctzofe  durch 
PMafitf  Friedrich  vorlnceii  Keßen,  vgl.  Rlcdcr:  Oeadildtte  Bdems  tV,  SM. 

MS.  .\Urz. 

*■)  /al.rne  Ente;  vgl.  Orimm:  Deutsches  Wörterbuch.  Ldpzis  1SS4.  1,  »07. 
1)  ^tpaist  ^  gejagt. 

X')  Eine  anschauliche  Anseht  der  Stadt  untl  ihnr  l'iT!^;t:(v,:ni;,  v:  :i  ?'iJ<-:i  .1115,  .itis 
dem  Jahre  1546  ist  dem  63.  Jahrgang  de«  Ncuburgcr  KoUekuaccnblattcs  (Naiburg  1899) 
voigdinicirt.  -  Der  Florentiner  Serristori  tdilldert  die  Lage  der  Stadt  im  September  iS4d 

folgcnderni.iRc'i ;  ,,N"it  i-nbi!r^'h  .  6  pi">sfo  «iil  D.ir.ntibio,  <Uo  per  nnlurn  n^sr.i  pritrHardo, 
sendo  -SU  uii  ctillc  spicc.iio  ;  i  t  ^an.*  iiioiti)  piu,  &t  non  h,i\c-'-i  iin  pi>i:^:ftli:>  .i  civalitrc,  i 
di  fv>rnia  rolci:ul.i,  ciKuiiJato  per  piii  della  metä  da  '•  s',!  proff.inii  et  si-cchi,  cl  restanle 
bagna  el  (iume,  ctuto  di  due  inuraglie  per  la  maggior  parte."  (Frieücnsburg:  Nantiatnr* 
bcriciite  1.  Bd.  IX,  S.  S97.) 


Digitized  by  Google 


392 


Adolf  Hasenclevcr. 


frau  Marigaretha,  hertzog  Oeotigen  ^)  Seligen  geborae  tochfer  und 
ein  Swester  der  obgemelten  Jungien  Pfoltzgraven  Muter,  frauen 
Elbethen,  Ebtissin  ist,  und  aldo  ist  Andeis  Hiltner  und  Maister 
Benedict  Stainschneider  zu  meinem  O.  Herrn  kumen. 

Wemdingen. 

4  Meilen.  Nona  Marcy. 

Ist  ein  kl^in  Sietlein,  der  herren  von  Bairn^  do  wir  bev 
einer  hosen  unverträglichen  ehf-,  sonder  doch  von  einer  holdt> 
seligen  wirthin  seint  berherbei^  worden. 

Sehwabenümde, 

3  Meil.  Bewingen.  x.  Marcy. 

Ein  dorff  in  einem  gantzen  fruchtbaren  und  getraidreicfaen 
landt,  nachent  bey  Norlingen  gelegen. 

2  Meil.  Elbang.-) 

Ain  offen  Stettlein  mit  sanibt  der  Probstey  hertzog  Hain- 
richen  •)  Pfaltzgraven  und  Bischoff  zu  Uiiich  ziisteiidig.  Do  ist 
drey  schefflen  guiter  vische  und  der  habern  meinem  gnedigen 
herrn  geschenckt  worden. 

«      •!  Qayldorff,  ^, 

3  Meli.  '  XI.  Marcv. 

Ist  ein  klains  stellein,  im  gründe  gelegen,  Schenck  Wil- 
helms/) welcher  meinem  G.  H.  erhafftig  beherberget,  mit  aller 
expens  genugsam  versorget.  F^iß  Stetlein  hat  sonderlich  von 
Natur  wolgepiltte  und  schöne  weybsbilder.  AMdo  ist  herr  Wolff 
Diettrich'^)  mit  dreien  pferden  zu  uns  komen,  und  meinen  O.  H. 
paß  gegen  Ponth  hinder  Cuniagk  beleyttet 

t)  Oeoif  der  Rdche  von  Bcyern^Undshut  fd».  f 4SS,  p^t.  IMS. 

•)  Ellvangen. 

>)  Hetnricb,  Bruder  Pfalzgraf  friedrichs,  geb.  1487,  Bischof  von  Worms  1S23-1SS3, 
von  UtRcbt  MU^iS»,  von  Ft«lilnBn  iS4t>i55i:  gat  S.Jaiiair  IMS. 

Vgl.  über  Ihn  Barack:  Zimmfri  che  Chronik  III*.  62 ff.   Er  !<taminte  aus  dem 
reichsgräflichen  Oeschtecht  der  Schenken  una  Herren  von  Liinpurg-Oaildorf,  gest.  1552. 

*)  Wolf  Dietrich  von  Knörringen.  Er  war  ein  Beamter  Herzog  Wilhelms  von 
Bayern:  1537  finden  vir  ihn  als  Pfleger  io  Schwabeck  (Chroniken  der  deubdKO  SOdte: 
Augsburg  (1896)  V.  244,  Anm.2).  desgleichen  1S3»(Rotb:  Augsburgs  Reformatieincadltdlte. 
1904.  11,445).  1528  und  1532  wird  er  als  Pfleger  in  FricdhcrK  bei  AuRsburii;  crwihnt.  - 
Ob  Wolf  Dietrich  einen  politischen  Auftrag  an  den  französischen  König  hatte,  vemuig  ich 
nicht  aazngdwn;  «ahisdiicinlicli  ht  e$. 


Die  tagebudiartigen  AufzddiRui^cn  des  Dr.  Johannes  Lan^.  393 


öring  am  Kocher« 
3  meil.  XII.  Marcy. 

Ein  zimliche  statt  der  Oraffen  von  Holoch,^)  der  auff- 
rurischen  Baursdiafft  auch  anhengig  geweBen.*) 

Wympffen. 

2  Meilen.  XIII.  Marqr. 

Ein  grosse  Reichstat,  vor  Christi  geburt  Cornelia*)  genant, 
hat  dnen  Thumbstiffl  und  kydt  am  anfang  des  Neckertals.  Alldo 
ist  mein  G.  herr  mit  dem  von  Haydeck,  Wolff  Ditterichen  von 

Knerigen,  Wolffen  von  Mulheim,  Jobsten  Prantner,  Bastei  Partbim, 

Arnolden  Koch  uff  dem  Necker  gegen  Erberbach,  meines  g.  hcri  n 
Stat,  gdareii  und  d;c  iiaclil  aldo  gelegen  und  an  dem  14.  tage 
Marcy  gegen  Haidelbergk  gefaren. 

Der  Neckertal. 

Ist  ein  gantz  lustiger  tall,  in  welchem  un  beyden  seythen 
dise  nachvolgende  Schlosser  gebaut  syndt  ErstUch  Harneck 
Ernberg,  darnach  Horneck,  ein  schloß  der  Teutschen  herrn,  von 
den  paum  außgebranth  und  zerrissen,  darnach  Hornberg,  Götzen 
von  Herlingen,  der  paurn  vor  WirtsbLirg  veitfluchtigen  hauptmans. 
Nachvolgent  Dehausen,  Bartholoniey  von  Roß  sloß,  darnach 
Mynnenburg,  Wühalms  von  Haberns^)  und  ander  slosser  vil  mer. 

H  aide!  b  erg. 

5  Meli.  XV.  Marcy. 

Ist  der  Pfaltz*)  Churturätlicher  sitz,  am  Necker  zwuschen 
den  bergen  gelegen;  hat  ein  l^nnivcrsithet  und  auff  dem  berge 
ein  groß  wolerbauethes  Sloli  iiiii  selbentspringenden  brunnen, 
Weichs  mein  gnedigster  herr  Pfaltzgrave  Ludwig*)  mit  wall, 
schütten  und  ihurmen  und  Mauren  etlicher  zwaintzig  schue  dick 
bevestiget;  halt  an  bayden  bergen ,  am  ende  des  Neckertals 

«>  Hohenlohe. 

»)  Über  den  Verlauf  des  FJauenikricffcs  im  Holicnloheschen  Vgl.  J«k.  Stnnas  Bciidlt 
von  22.  April  1S3S  bei  Virck:  Polit.  Corr.  v.  Straßburg  1, 196  f. 

•  »)  Vgl.  mm  Ursprung  und  M^riKh«  Wert  diaer  Lq^ende  Heid:  Oetdiidite  der 
Stadl  Wimpfen,  DamslMlt  1836^  S.  19ff.,  sowlc  A.  von  Loitttt:  Uljopfcn  «m  Ncckir,  Statt* 
gart  1870,   S.  tff. 

«)  KarpOtelKlwr  MmdMll;  seit  1524. 
Or.:  der  der.  Kwfint  von  der  Pfalz  1508-1344. 


Digitized  by  Google 


394 


Adolf  Hasendever. 


ligende,  überflüssigen  fruchtbar  weinbachs^  Necker  wein  und  Stroß- 

berger  genanth  und  über  den  Rhein  Pfedershcmcr,  und  im  lall 
negste  an  der  Stat  zwen  lustige  weide,  darauß  allerlay  wildts  in 
eben  felts  mit  sonderlicher  lust  und  kurtzweil  zu  jagen  ist.  Aldo 

haben  hertzog  Hainrich  Bischoff  zu  Ulrich  und  hcrtzo^^  Wolff- 
gang*)  auch  mein  G.  Herrn  entpfangen  und  seindt  aldo  die 
Osterliciieii  zeyt  verharret.'-) 

Manaim. 

3  Meli.  Tertia  die  Aprilis. 

Ist  ein  offen  Stetlein,  ain  Meil  über  den  Rhein  gelegen; 
aldo  seindt  bede  obgemelten  Pfaltzgraven  die  nacht  bey  mdnem 
O.  H.  bllben,.und  am  Rhein  an  der  uberfurth  leydt  ein  sloß,^ 
auf  welchem  der  pfaltzgrave  einen  Bapst  Sdsmaticum  hat  ge- 
fangen gehalden. 

Neuestat 

4  Meil. 

Ist  ein  Stat  zwuschen  fruchtbaren  weinbeiigen  am  anehing 

des  tals  gelegen,  und  nahen t  uff  einem  berge  an  der  Stat  ist  ein 
lustigs  haus,  Wintzingen  genant,  uff  wellichem  mein  gnediger 
herr  hertzog  Friderich  gcborn  ist.^) 

In  diser  Stat  hatt  der  Risclioff  von  Speyer*)  sich  zu  meinem 
O.  herrn  verfuget  und  im  eerhe  erzaigct.  Ist  ein  alte  Stat,  in 
welcher  kirchen  des  Pfaltzgraffen  Rupprechts  Romischen  konigs 
her  vater/)  der  eyne  konigin  auß  Arrogania')  gehabt  hat,  und 
Pfaltzgrave  [Ludwig  III.]/)  der  eine  konigin  auß  Engelandt  ge- 

1)  Dci  jüii^^tc  ÜiUi^Ur  rtal^gtat  1  ricdrichs,  ein  Anhänger  Luthers;  vg]^  über  ihn 
Bossen  in  ZQO.  XVII,  59,  sowie  R.  Salzer:  Beiträge  zu  einer  Biographie  Ottheinridü, 
Heidelberg  1886,  S.  24:  „£r  hatte  eine  gelehrte  Bildung  etnpteiigai  und  i^ich  in  sdncm 
splteren  Leben  und  in  seinen  Neigungen  am  meisten  Otthelnriel)." 

5)  Über  die  imliiischcn  Verh.uulhinj^'cn  vrahrL-rid  l'riccirichs  Heidelberger  Aufenthalt 
Vgl.  Friedcnikburg :  Der  Reichstag  zu  Speier  1526,  S.  124  ff.  -  Hier  erst  scheint  sich  Leodius 
dem  Oefolge  des  Pfalzgrafen  angesdilossaii  tu  liaben,  vaitg»1ens  datiert  erst  von  Hcidd» 
bet;g  ab  sein  RL^rbirichl. 

5)  Die  Burg  Rheinhausen. 

<)  Am  9.  Dezember  i483;  vgl.  Leodius  S.  Ma. 

6)  Georg,  seit  1513  Bisdtof  von  Spdcr,  ein  Bruder  PMi^ral  Pricdrklis,  fdi. 

10.  Februar  i486,  gest.  1529. 

•)  Ruprecht  IL,  Kttfflbst  von  der  Pfalz  (1390-1398). 

')  Beatrix,  Tochter  des  amgonisdien  Königs  Pder  II.  von  Sizilien;  vgl.  Himao': 
Geschichte  der  rbeintsclien  Piuli  l,2\2. 

>)  LOdie  im  TtA  Er  «»r  vennihlt  ta  eister  Ehe  mit  Blanlca  v«o  Enflaiid.  fot  14W 


Digitized  by  Google 


Die  tagebuchartigeii  Aufzeichnungen  des  Dr.  Johannes  Lange.  395 


heurath  hat,  begraben  sindt.  Zwnschen  Haydelberg  und  Neuen- 
stat  ist  sechs  ineylen  lang  ein  eben  getraydrcichs  und  vischreichs 
landt,  mit  überflüssiger  weinwachs  ^etziret,  also  bequeme  gelegen, 
das  man  gegen  Wurmbs,  Speyr,  Haydelberg  in  einem  halben  ta;;e 
und  eeher  von  einer  Stat  in  die  andern  reythen  oder  geen  mag. 

Kaiserslautern. 

6  Meli.  Quinta  die  Aprilis. 

Ist  ein  wolgebauthe  Reichstat,  der  Pfaltz  versetzt,^)  in  wel- 
lichem[!]  kayser  Friderich  Bnrh.i  Rossa  genant,  uff  den  welh'schen 
gebrauch  und  haydenische  art,  ein  schlos  hat  angefangen  zu 
bauen*)  und  nicht  volendet;  von  der  Neuenstat  dahin  zeucht 
man  vier  meylen  zwuschen  den  bergen  und  wasser,  in  welchem 
foren  und  holtz  gegen  der  Neuenstat  fließen. 

Lantstal.*) 

2  Meli. 

Ein  Slos  des  Frantzen  von  Sickingen  gewest,  in  welchem 
er')  durch  Pfialtzgraven  Ludwigen  und  Bischove  von  Trier,*^) 
bede  Churfursten,  und  den  Lantgraven  von  Hessen  belegert  Ist 

durch  ein  Schießloch  •)  yn  Neuenbaue  gestossen  und  in  einem 
klaynen  gewelbe  ober  dcni  weiiikcUcr  gestorben,  ist  vast  zer- 
brochen und  mit  dem  umbgeschossen  thurmb  verfället. 

Köbelburg,') 

Ist  ein  dorff  der  Baurschafft  das  Reich  genant,  welliche  die 
andern  auffrurigen  Bauren  gefangen  haben  und  bestricket;*)  do 
sein  wir  die  nacht  gelegen  und  von  den  Baum  bewacht  worden 
mit  sambt  unsern  reysigen  auch  uffs  veldt  verordnet 


>)  EfldKÜltig  seit  dem  Jahre  1417,        *)  Im  Jahre  1152.        ^  Luidstuhl. 
4)  Vgl.  hierzu  H.  Ulmann:  Fnnz  von  Slckingen  S.37lf. 
>)  Richard  von  Qreiffenklau  (t5li-iS3i). 

^  Vgl.  die  verschiedenen  Angaben  über  den  Ort  und  die  Art  der  Vervnndnng  bei 
Ulouuin  a.  a.  O.  S.  371,  Anm.  1,  nnd  S.  372,  Anm.  t. 

f)  Kibelberg;  vgl.  zum  dortigen  Aufenth.ilt  I.cüdius  S.  96  a. 

0)  Bei  Hartfelder :  Zur  Geschichte  des  Bauernkriegs  in  Südwestdeatschlapd  (Stutt- 
gart 1884)  wird  von  dieser  F.pisixle,  vciche  aud)  LMkUus  (S.96a)  erwähnt,  nlcitla  bcricMct. 


Digitized  by  Google 


396 


Adolf  Hasoiclever. 


2  Meilen.  VH.  ApnUs. 

Ein  ziemliclie  Stat  des  Bischoffs  von  Trier,  vvellicher  aldo 
ist  meinem  G.  herrn  entgegen  geritten  und  seinen  Gnaden  vil 
errhe  erzaigel.  In  diser  Stat  wircket  gott  durch  Sanct  Wendel 
vil  wnndcrzaichcn  und  ist  a!do  leybtlich  begraben,  und  sein  Er- 
hobner  Corper  uff  den  hohen  Altar  gestalt.  Aldo  ist  einem 
Maurer  ein  stain  mer  dan  hundert  zentner  swar  uffs  haubt,  durch 
die  gnade  gottes  an  allen  schaden,  gefallen. 

Aldo  macht  man  Caicedainen  Pater  noster.  Dise  Stat  hat 
Frantz  von  Sickingen  dem  Bischoff  angewunnen*)  und  widerumb 
verloren.^  Aldo  sein  wir  von  dem  Bischoff  zwen  Tag^  uffge- 
balden  worden.*) 

Felschberg. 

5  Meilen.  X.  April. 

Auff  dis  wolgebauths  lottges^)  Slos  hat  der  Philips  Helm- 
stetter*)  meinen  gnedigen  herrn  geladen  und  mit  funfftzig  pferden 
wolbeherbeigiet  und  vil  eerhe  erzaiget  Ein  viertayl  wegs  under 
dem  Slos  leyt  ein  Stetlein,*)  do  beraydt  man  die  Lasur;  aldo  so 
wir  über  das  Wasser^  Moß  genanth,  gefaren  seindt,  ist  zu  uns 
komen  der  Grafen  von  Nassau^)  und  hat  meinen  0.  Herren 
paß  gegen  Metz  belaittet*) 

Metz. 

6  Meilen.  XI.  Aprilis. 

Ist  ein  wolerbauthe  Reicfastat,  alls  groß  alls  fünf!  Ambergk, 
hat  mer  dan  sechzig  kirchen  und  Closter  und  ein  gasae,  do  man 


«)  Am  3.  September  1522;  vgl.  Ulmann  a.  a.  O.  S.  286  f. 
*i  Abi  24.  September  1522;  vgl.  Utmaon  m.  a.  O.  S.  39i. 

>^  Nidi  W.  PriedemlniTs:  Der  Rddniig  n  Spcgrnr  1526,  S.  tu,  handelte  es  sidt 
aÜrrn  Anschein  nach  um  politische  AoftTifC  an  den  KaltCf,  «CldM  Ridwd  VOR  OicUtaiklaB 

dem  Halzgrafcn  iiiiUugeben  hatte. 

*)  Lotig^Ocvicht  habend,  gewichtig ;  vgl.  Orimm :  Deutsches  W5rterbudl. Bd.VI.  1107. 
»)  VkI   über  ihn  ZOO.  XXIV,  ?9  ff.,  sowie  ZOO.N.F.  XVm.73f(. 

•)  Nach  Lcodius  S.v6b  VX'alderfingen. 

t)  Oraf  Wübelm  von  Nama  oder  Graf  Jofaami  Lvdvig  vod  NaaaM-ZwdbtActet. 

»)  Wahrscheinlich  hat  sich  Ornf  Vt'ilhclm  von  Nassau,  falls  es  sich  hier  um  Hin 
li.iiuii'lt,  zu  Pfalzgraf  Friedrich  l>esclHti,  u.n  lüe  Schrine  des  Landgrafen  in  der  katzen- 
ellcnbogcnschen  Frage  zu  paraly«,ierLn  >Mci;i.udii< :  Der  kat^enellenbogcrsilu-  !;i> folge- 
streit, Ba.I|.  Nr.  ItS).  Dieses  Schriftstück  kann  man  (nach  Friedensburg:  Der  Hctdistag 
ZD  Speyer  tSM,  Sb  tt4»  Anm.  4)  getrost  auf  den  Sl.  Dezember  1525  datieren.  —  Wie  ans 
Meinardus  a.  a.  O.  S.  182  und  183  hervorgeht,  sund  Pfalzgraf  Friedrich  damals  in  dieser 
Streitsache  mehr  auf  seiten  Hessens;  deshalb  wird  Graf  Wilhelm  wohl  auch  vermieden 
Ihm  Bride  n  «dnen  am  HofUfer  de»  itelaen  «file«leii  Bruder  Hdarid»  mitmgdMi 


Dig'itized  by  Goo^^Ie 


Die  tagebudiartigen  Aufzeichnungen  des  Dr.  Johannes  Lange.  397 


Uber  die  Heuser  reutthet  und  feret  Oibt  dem  kayser  {erlicheii 
tausent  gülden  tributs,  welche  sy  nicht  schuldig  sein  zu  betzahlen, 

der  kayser  hole  die  dan  in  aigner  person.*)  Die  Stat  hat  meinem 
G.  herrn  geschenckhl  und  erhafflig  belaytthet,  hat  unib  sich 
einen  fruchtbarn  und  mercklichen  grossen  ucinuachs  und  lunrf 
meylcn  lang  zu  ritten,  und  wirt  durch  einen  futh  (oder  vogth), 
von  der  Ritterschafft  und  Adel  erweit,  geregirt.  Dise  statt  hat 
Frantz  von  Sickingen  im  Weinlesen  überzogen  und  unib  funff- 
iiiuizwaintzig  tausent  gülden  geschatzet. -)  Auch  ist  der  stat 
Bischoff  der  Cardinal  von  Loltringen , •'')  in  welcher  ein  treffliche 
wolgebautte  grosse  kirchen  mit  vii  umbgegen  gebaut  ist,  darin 
ein  Cnicifix  also  groß  alls  ein  khindt  von  zwayen  Jaren  hencket, 
man  saget,  es  sey  lauter  golL 

3  Meilen.  Gorsia.  )       duodedma  Aprilis. 

Ist  ein  offen  margk  und  hat  ein  Abtey,  dem  Cardinal  zu 

Lutringen  zugehörig;  uff  disem  wege  anderthaibe  meyle  von 

Metz,  als  man  über  das  wasser  Mosa  gciianth,  wcichs  gegen 
stets  (?)  lleysset,  [küiuiiit],  stet  noch  ein  zerbrochener  Aque  ductus,*) 
von  den  Bolonesern  genant  Seratin,  \or  Christi  gepurt  gebauet, 
darauff  das  Trinckwasser  in  die  stat  Metz  geflossen  ist. 

Franckniäi  und  Lotringen, 

13.  Aprilis.  Santh  Mich.«)  7  Meil. 

Ist  ein  klain  stetlein  aa  cici  Mosell ")  und  einem  berge, 
daruff  ain  Closter  ist  gelegen;  redet  frantzosischs ;  uff  discr  tag- 

I)  Eine  Notiz,  die  ich  sonst  nirgends  bel^  finde.  Wahrscheinlich  handelt  es  sich 
vm  <lie  RoioBiiitislefci  daei  fät  die  angeblichen  Vomchtc  idiier  V«laitadt  begeistierten 
LokilpatriotaB.  Oende  lOiiser  Ktrl  V.  hat  Immer  «ieder  trotz  atlw  RemoBStralioncn  seine 

Stenerkünstc  an  der  freien  Kcidissl.idf  Meiz  mit  ^i'^^'ß*'':!  Erfoli;  gfübt. 

>)  Im  Jahre  15I8,  nicht  während  der  Fehde  uiit  dem  Erzbiichof  von  Trier;  vgl. 
nr  Stehe  Wa^ibat :  Oesehldite  der  Stadt  Mclx  1, 939  ff.,  «owie  UtnuMn :  Fniu  «on  SkUageii 
s  97  ff.,  bes.  s.  99,  Anm  ?.  die  versdilcdcnoi  2dtgaiö»l«elien  Aiigdm  ftber  die  Höhe 
der  Abfindungssumme  verzeichnet  sind. 

*)  Bischof  Johann,  Hcnog  ven  Lotttringen,  ans  dem  OeidilcAt  der  Ooiae  (I90>  bis 
1S90),  seit  IMS  Kardinal. 

«)  ÜÜTZC. 

»)  Vgl.  über  diesen  Aquidulct  Westphal:  Geschichte  der  Stadt  Metz.  Metz  1875. 
Teil  I.  S.  16  f.  -  Noch  heslc  üoA  Reale  dieser  rfimiachcn  Waaacrldtnng  bei  Aft  an  der 
Mosel  tu  sehen. 

9  SL  MIchld  1)  Unrlchlif :  aa  der  Maas. 


Digitized  by  Google 


398 


Adolf  Htseadever. 


layse  hat  es  in  dreyen  derffiern  gestoiben,  derbaSben  wir  In  einem 
futer  ungessen  7  meylen  geritten. 

Barledu  ck. 

7  A*cil.  X\V.  April. 

Dis  sind  zwue  Stet  aneinander,  dem  herzöge  von  Lottringen 
von  der  Grone  auß  Franckreich  gelyhen,  in  wellichen  der  konig 
von  Franckreich  ym  noch  alle  obrikheit  behalten  hat;  die  eine 
Stat  mit  sambt  dem  Slosse  und  tbumb  leut  uff  dem  berge,  die 
ander  unden  im  tall  an  einem  vtSGhrddien  lustign  wasser;  ist  ein 
getraidreichs  landt  und  hatt  einen  gantz  mercklichen  großen  wein* 
wachs  uff  den  beigen  und  täUem  unübersichtlich. 

Scäampanla. 

7  Meil.  Vitrich.>)  XV.  Apnlis. 

ist  die  erst  stath  in  Shampania,  das  ein  kredigs  Land,  in 
weilidiem  [man]  mit  kreydenstein  maureth;  beherbeigt  vil!  kriegs- 
leuthe  und  Buben,  derhalben  in  einer  meyle  bey  Utrich  findet 
man  siben  g;algen;  die  Stat  ligt  am  Wasser  Meria,^  wdchs  kayser 
Julius  Matronam  nenneth. 

Schalon. 

7  Meil.  XVI.  Aprilis. 

Leut  auch  in  Schampania,  ein  Stat  als  groß  alls  Amberg; 
am  Wasser;  hat  ein  ßistomb  und  in  einer  klainen  Mfolerbautten 
kirchen  leut  und  ist  Sannt  Albinus  begrebtnus  und  Sannt  Lups 
heyithumb  in  einem  Gasten  verschlossen;  tregt  man  von  einem 
dorff  zum  andern  umb  gelts  wegen  zu  samein.  Aldo  hatt  mein 
O.  H.  Annillen  und  der  herr  von  Haydeck  und  her  Wolff 
Dittrich  etztiche  güldene  Teffelein  und  ich  Dodor  Lange  zway 
klaine  ringle  gekaufft  von  einem  Pariser  goltschmid. 

Ambry  das  landt, 

7  Meilen.  Pernes.«)  XVIL  Aprilis. 

Ist  ein  klaines  und  das  letzte  Stctiein  Schampanie,  h Inder 
wellichem  am  jucile  sich  das  Landt  Bry  und  Ambry  genanth 

1)  Vltiy-te-f rtnfioif.       i)  Marne.       ^  ^Kniaj. 


Digitized  by  Google 


Die  tagebuchartigm  Aufzddinungen  des  Dr.  Johannes  Lange.  399 


anfonget;  leydt  zwusdten  den  bergen,  doran  holtz,  wein  und 
getrayde  wechst  und  unden  an  den  bergen  wolgebautter  vil 
dorffer»  nicht  ein  kleine  halbe  meyll  von  einander  gebauth;  der 
lall  hat  ein  grossen  lustige  wysenwachs  (vil  wißmats),  durch 
welches  das  wasser  Merla,  Latine  Matrona,  fleust,  uff  wellichem 
gegen  Pariß  holtz,  kolen  und  weinpftle  gciuit  werden. 

Der  man.  XVIIL  Aprilis. 

Ist  ein  klaines  offen  Stetlein  am  wasser  la  merla  gelegen. 

6  MeiL  Schettyo  thyre.«) 

Ist  Amberg  in  der  grosse  gemeß;  am  wasser  und  in  einem 
berge  gelegen,  uff  wellichem  ist  ein  groß  und  weyUis  Sloß  ge- 
bauth. Dise  Stat  mit  sambt  Dorman  und  andern  zngehorenden 
dorffern,  welche  jerlicher  Rendt  zwaintzig  tausent  Grone  einkomens 
haben,  hat  ko  .  rnt  einem  gebornen  Fdelman  deutzscher  nacion, 
Ruprecht  von  Arnburgs  Son,  von  wegen  seiner  riiterlichen  that 
in  veltschlachten  geubeth  seine  Labtage  langk  gegeben,  welchem 
man  istp]  von  seinem  schlos  nennent  Printz  de  Florania. 

Item  in  disem  tall  von  Schetthyottura  bis  gegen  Aiauerte 
muß  man  vier  meyl  über  das  wasser  Merla  schiffen. 

6  meit.  Aiauerte.  XVIIJI.  Aprilis. 

Ist  ein  dorff,  darin  man  gutte  herberg  überkommt 

Meous.*) 

Ist  ein  alte  Stat  wo!  erbauet,  Lateinischs  Meldum  genant, 
anderhalb  Nurmberg  gemeß,  darvon  das  eussere  tayl  vom  wasser 
Merla  gantz  absunder  und  umbflossen  ist,  derhaltien  nie  das  ge- 
wunnen  noch  irem  herren  abgefallen  ist,  danimb  auch  alles  tri- 
buts  befreyet  Hat  einen  freyen  platz,  daruff  in  einer  kriegs- 
ordnunge  funffundzwatnfzig  tausent  man  sten  können,  und  auch 
ein  Stifft,  welchs  Bischoff*)  von  wegen  der  Lutherischen  leer 
man  zu  Pariß  hatt  wollen  verbrennen,  und  ist  durch  des  koniges 

»)  Chateau  Thierry.        *)  Meaux. 

■)  Ouillaume  BriQonnet;  vgl.  Soldan:  Oeschichte  des  Protestantismus  in  Frank- 
reich, Leipzig  1855,  I,  asff.,  »ovie  bes.  Erich  Mareks:  Oaqwtl  voa  Coligny,  Stuttgart 
1192«  I|,  S76f. 


Digitized  by  Google 


4ÜÜ 


Adolf  Hasendever. 


swester')  gonst  doch  bey  dem  Episcopath  noch  erhalden.  In 
diser  Stat  sein  sonderlich  vil  fuchmacfaer. 

7  Meil.  Selibri.  ^  ^p^j.^ 

Ist  ein  dorff,  drei  meylen  von  Pariß  gelegen. 

3  Meil.  XXI.  Apiilis. 

Dise  Stat  haben  wir  mit  sambt  unserm  gncdifjen  herrcn 
von  einem  hohen  thurm  besichtigtet  und  fiinff  Nurmberg  gleich- 
messig  geschatzet.  Hat  ein  fiirtieffliche  Universteth,  welche  kain 
kayserUch  recht  lernet/-)  und  die  doch  das  Perlament  gebraucht, 
und  der  Theologen  halben  auch  niercklich  abiiympt.  Am  Montn?:: 
vor  essens  hat  das  Perlamcnt  in  pallast  unsern  gncdigen  herrn 
erhafftig  entpfangen  und  unter  ine  erliche  stelle  gegeben;  aldo 
haben  wir  zwue  stunde  ernstliche  richtshandlunge  und  recht- 
lichen gebrauche  gehört,  auch  hat  man  meinem  gnedigen  hem 
obgemeltes  pallast  alle  Camern  und  gefencicnus  getzaiget,  welche 
mit  ubergultten  tafelbergk  und  decken,  auch  seyden  tapissrien 
wolgeziret  syndt  Durch  dise  Stat  flyssen  geweitige  wasscr,  über 
welche  ein  klayne  brücke,  genanth  der  goltschmid,  gebeuche  hat 
bey  hundert  gleuchformige  heuser;*)  die  ander  große  bruclce  hat 
vast  zwayhundert  gleichgebautter  gutter  kauffmanshetiser;  die 
stat  enge  und  gepflasterte,  stetig  unfletige  nasse  wege  und  gassen; 
aldo  habe  wir  zwen  tage  gerueth. 

7  meil.  Monthcri. 

Ist  ein  offen  Stetlein,  hat  auff  dem  berge  daran  g^egen 
ein  Sloß  und  gutte  weinwachs  und  getraidlandt,  dohin  der  weg 
von  Pariß  mer  dan  halb  gepflastert  ist 


*)  M«fatclhe  von  Navamu 

^)  \>'  l  a  Or.indc  FjicyclopWie  XXV.  ?6B:  >I.'en^eiKiiemcnt  du  droit  et  ptirticulier 
du  dfoit  iuiti..in,  inlerdit  k  Paris,  y  (in  Orleans)  fut  surtout  prospire«,  sovie  K.  Dareste: 
Framoisi  Hotm.in  (Rcv.  bist.  1.  Jahrg.,  1876)  II,  2ff. :  .L'nniversit6  de  Paris  n'enseigna  que 
le  droit  canooique.  Oriduis,  au  contrtirc,  n'avait  qo'ime  facultt  de  droit  dvii,  nuis  an> 
dcniie  d  iltastre.« 

8)  Vgl.  I..  Paslnr:  Die  Reise  de>  Kardinals  Ltiici  d'Aragon  etc.,  Freihurg  i.  Rr.  1905, 
S.  13t :  üTra  quali  ponti  quello  di  Ii  aurcftci  crcdo  sia  longo  apprcsso  ccnto  passi,  dove 
«e  lavon  d'on»  d  dVuiento  lanlo  d  cos)  •rttfidomaente,  cooe  tn  parte  dd  «wikUi." 


Digitized  by  Gc 


Die  tagebuchartigen  Aufzeichnungen  des  Dr.  Johannes  Lange.   40 1 


7  MdL 


Das  Landt  Beaous.^) 
Cthamps. 


XXV.  April 


Ist  ein  stat  fast  als  Paris  ader  ein  virteil  meylwegs  lang, 
nicht  über  zwayer  gassen  dicke,  hat  der  konig  seinem  Camer- 
lingen sein  lebetage  geschenckt  und  eingeben.  Leudt  im  landt 
.Beaouß  genanth,  welches  sich  baß  gegen  Oriiens  erstrecket,  und 
ist  nicht  über  3  meyle  prayt;  von  getraide  ser  ein  fruchtbar  und 
eben  landt,  hat  wenig  weinwachs  und  noch  weniger  holtz. 

10  meil.  TurL«) 

Ist  ein  zimlich  dorff,  do  wir  der  wirthin  umb  die  kamer* 
Schlüssel  haben  ducaten  und  Cronen  und  Stiffeln  müssen  ver- 
pfenden. 


Ist  ein  Stat  also  groß  alls  Augspurgk,  darvon  auch  das 
herizogthomb,  des  konigs  menlichen  erben  zugehörig,  genanth 
Wirt  Bauet  von  dem  weintzehnet  ein  vesfe  streubpere  und  zir- 
hafftige  maur,  hatt  einen  vast  fruchtbaren  wetnboden,  darauff 
sonderlicher  gesunther  und  schmackhafftiger  clarer  rotter  wein 
wechst,  hat  auch  in  kayserlichen  rechten  ein  berumbtte  univer- 
sithet  und  auch  ein  Bistumb;  neben  diser  Stat  fielst  ein  schiff- 
reich wasser,  Lateinischs  Uguris  genanth;  und  einen  stain  wegk 
von  Thun  8  nieyle  langk. 

4  meiL  Noster  Damma  d'ClerL*) 

Ist  ein  offen  marckt,  do  gott  durch  die  junckfrauen  Marie 
wunderzaichen  wtrcket  und  der  gottesdinst  mit  der  briester 
nutz  mit  wachs  prennen  und  auffgesteckten  Hechten  vast  geübt 
Wirt,  welche,  so  sie  auffgesteckt  sein,  balde  durch  einen  ver- 
ordenten  diener  werden  auBgelescht  und  nachvolgents  wider 
vemeuert  durch  die  weyber  vayl  getragen  und  frembden  leuthen 
dngezwungen  zu  kauffen. 

In  diser  kirdien  leudt  konig  Ludwig')  begraben.  Dieser 
wegk  ist  auch  über  das  halbe  tayl  gepflastert,  darbey  audi  fleist 


Oriiens. 


10  meil. 


XXVil.  Aprilis. 


')  Beaiice,  Landschaft  im  Südwesten  von  Paris,  ^  i.r  «^ctnitlcreich, 
«)  Tüury.         »)  Cliry.         «)  König  Ludwig  Xi.;  gest.  1483. 

Archiv  für  Kulturgeschichte.  V. 


26 


Dig'itized  by  Goo^^Ie 


402 


Adolf  Hasenciever. 


das  Wasser  Semleyn  genant,  welches  zwue  nicylcn  limdcr  Orlieiis 
auß  einem  grundlosen  brunnen  entspringt.  Aldo  hat  Cimradt, 
Thumblier  zu  Bies  und  zu  Thürs,  des  weyerniaysters  Son  vom 
Neuenmarck  pu rtig,  meinem  gnedigen  herrii  den  Wein  geschenckt 
und  mit  vier  pierden  belayih. 

3  (meil.)  Santh  Lorents.*) 

Ist  ein  dorff,  sauber  lustige  herbergcn;  uff  discm  wege  hat 
obgeineltter  herr  Cunradi  mein  Gnedigen  Herren  zu  wolgefalle 
miiii  dicy  i)loefussen -)  alastern  gepeyst;  und  aail'  dii  icchten 
handt  lassen  ligen  zwue  stette  des  Bisciioffs  von  Orliens  Beaucfi-'*) 
und  Mölie,*)  und  über  eine  Meyle  darnach  ein  stetlein  Longa 
Villa  genant  des  Marggrafen  von  Rottelle,  der  vor  Pavia  er- 
schossen ist;  under  sannt  Lorentz  fieust  ein  wasser  jena  genant, 
hindcr  welcheni  leyd  ein  thiergartten.  Diß  alles  ist  ein  eben 
weinreichs  lustiges  Landt. 

Bles.'') 

8  tnetl.  XXX.  April. 

Ist  ein  Stet  Augspurgk  in  der  grösse  gleich  an  einem  berge 
über  dem  wasser  Ltguris  genant  gelegen,  uff  welchem  leydt  ein 
vest  wolgebauts  und  zirhafftiges  scblos,  welches  unden  an  dem 
Berge  hat  ubereander  vier  undergeschteden  gerten*)  mit  Ci- 
pressenpaume  und  gmnaten,  opffel,  maulpeerbaumen  und  wein- 
hotten  und  andern  edeln  gekreuttem  und  prunnen  wolgetziret, 
und  sunderlich  ym  obersten  garthen  ist  ein  lustign  kunstreicher 
Laborinth  mit  einem  Summerheyßlein  gemacht;  auß  disem  Garten 
ist  in  das  Slos  ein  eingangk,  daran  uff  der  lincken  hannt  ein 
hindtcontrafeth  gesielt  ist,')  welches  uff  seinem  haubtc  ein  recht 
naturlich  hirsclisgehuinc  liat  von  XXII  enden,  welches  Marggrave 
Christoff  von  Baden  hat  an  einem  hinde  befunden  und  das  dem 

')  S(.  Laurent  des  Taux. 

*)  ploefuessen :  Blaufüsse  —  Wanderfalken.  Vgl  Archiv  für  Kulturgesch.  II,  11  ff. 
^  B«ugency.        *)  Mcung.        •'-)  Btots. 

*)  Auch  in  der  Zimmcrischcn  Clirotiik  (od  Barack  IIP,  24H)  «erden  die  schönen 
Girtcn  von  Blois  rühmend  hervort^trhoben.  „In  der  tUt  bliben  &ie  [die  Grafen  Zinunern] 
ain  tag  odicr  zwen,  die  stat,  das  schloß  und  dum  öle  «Miicn<^eii  ni  besch«,  «le  avdi 
gOdUldt";  d)cnso  bei  I-.  Pastor  a.  a.  O.  S  144 

•)  Vgl.  I..  I'astor  a  a.  U.  S.  U4:  „hurato  ia  porta  dcl  /ardino  ad  tiinii  dcxtra  i 
contrafacia  una  ccrva  con  uno  paro  de  coma  grandi  de  una  vera  crrva.  (pi-ilc  secondo 
dicm  U  inscripüone  fu  ammaiata  dal  marcbete  dl  Bau,  et  la  donö  al  duu  dd  Rbeoo 
IHcnog  Reni  von  Anjou],  et  qndlo  il  roj  Ladovko." 


Digitized  by  Goo^^lc 


Die  tagebuchartigen  Aufzeichnungen  des  Dr.  Johannes  Lange.  403 


konigc  von  Franckrcich  zugcscliickt  mit  versigelten  getzeugknus 
etlicher  edelleut,  die  das  obgenielt  wildt  haben  gesehen  und 
heUfen  fangen,  welcher  nainen  auff  einer  taffei  angetzaichnet 
under  dem  hindl  hangen. 

In  disem  garlhen  liab  ich  auch  mit  doctor  Wilhelm  G)po,*) 
des  kunigcs  imiter*)  leibartzct,  kuntschafft  gemacht. 

in  diesem  obgemeltten  S!oß  [liegt]  in  einem  verpichlen  Sarck 
des  koniges  von  Franckreich  ecüche  gcmahels")  C^orper,  vor  zwayen 
Jaren  verschieden,  noch  iinbcgrabeii  von  wegen  der  uncost,  nem- 
lich  taiisent  Crnnen,  dy  Irer  bcgrebniis  gebracht  erfordert,  und 
kriegs  halben  unbegraben,  und  wirth  allererste  im  September 
dises  Jars  begraben  werden. 

Diß  ist  ein  lustiger  wecksteich  neben  dem  wasser  Liguris 
uff  der  rechtten  faandt  füessende,  do  zeucht  man  6  meyl  zwuschen 
seer  fruchtbaren  und  wolgepauten  weingertten  und  darnach 
i  meyle  auff  einem  eben  getraidreichen  Lande. 

10  Meilen.  Ambas.^) 

Ist  ein  stat  am  wasser  gel^n,  dorin  des  koniges  slos  auff 
einem  feb  g^bauth  ist,*)  in  welches  gratien  seinth  drey  grosse 
aide  leben  (?),  und  in  disem  slofi  dn  grosser  schneck,*)  in  welchem 
man  auff  und  abe  rcytcn  und  faren  kan. 

Das  Land  Tkyrenia.'') 

8  mdL  Mantellan.*) 

Ist  ein  dorff  im  landt  Thurenia,  welchs  dem  Bisthumb 

Tliiiis  /Übt' ndig  ist,  gelegen;  auff  disen  acht  Meylen  ist  nier 
gciraidlswaclis  den  weinwachs. 


I)  Der  berühmte  Leibarzt  Viotug  Franz'  I.,  aus  Basel  gebürüg:  ge$t.  t532.  -  Sein 
Sohn  Nicolas  «ir  bdonatticb  bdrcwidct  toit  CaMn. 

•)  Lai«p  von  Savoyen,  geb.  1476,  gc^t,  I53t. 

•)  Claude  de  France,  Toditcr  König  Ludvigs  XII.,  geb.  t+w,  vermählt  ist4,  gest  1524. 
^  Ambotoe. 

5  Mnri  vgl.  Pastor:  A  de  Reatis  Reisebeschr.  S.  142  f.:  Amboys  .  .  .,  quäle  sl 

bene  c  poca  vuii,  i  allegra  et  ben  posu;  lei  t  in  piano,  ma  ha  un  castello  in  pogecto,  che 
•i  aon  i  di  fortezza  i  commodo  de  stantie  et  ha  bellissima  prospcctiva." 

")  In  abertragener  Bedeutung  Wenddtreiipei  bier  «ahncbdalicfa  WanddgMlg. 

f)  Touraine.        ■)  Manthelan. 

26* 


Digitized  by  Google 


404 


Adolf  Haaendcver. 


7  Meil.  Schatelrla.*) 

Ist  ein  Stat  Arnberg  gleiichincyssig  des  herlzogs  von  Bur- 
bon,-) von  welcher  Slat  wege,  so  des  konigs  muten  mit  recht  ym 
angewonnen  hat,  ist  ohgemeller  hertzog  zum  kayser  gefallen. 

Uft'  der  virde  meylen  bey  dem  dorff  Rr.lhpicl ^^enant 
seint  wir  über  das  wasser  kreude*)  geschifft,  welches  man  latey- 
nischs  Sycorym^)  nennet,  und  uff  der  rechtten  haat  von  Schate! ria 
fteusset  auch  ein  mercklich  groß  wasser,  Wycnna  genant;  bey 
disem  wasser  hat  Julius  Cesar  die  Franzosen  geschlagen.*) 

Auff  disen  7  meylen  eben  landts  weckhs[t]  wenig  weins  und 
uberflussigk  vill  guttes  getraidts,  das  pilUch  des  Franckreichs 
kornhauß  soll  genant  werden.  Bey  obgemelteni  wasser  kreuda 
endet  sich  Thurenia  und  fenget  an  das  Landt  Poytirs,  Lathei- 
nischs  Pittavia  genant. 

Das  Landt  Piäavia,'^ 

7  nicyl.  Poytyrs. 

Ist  ein  Stat  grosser  dan  Nurniberj^k  und  nn  der  Lcnr^c 
Parüj  irleichmcssig  auf  einem  pcv^c  .gelegen,  in  welcher  ist  ein 
Bisthiuub  und  in  der  ihumbkirchen  leydt  Sanctus  Hilarius  ein 
Bischoff  begraben.  In  diser  Stat  haben  wir  erstlich  das  woisser 
müssen  kauffen,  sonder^)  der  wein  ist  von  den  Thumbherren 
und  einem  Rathe  doselben  meinem  gnedigen  Herren  g^schenckt 
worden. 

Vivon. 

3  [Meilen). 

Ist  ein  klaines  Stetlein,  do  man  auch  hintzu  der  Mutter 
gottes  und  wol  r-llich  gott  zuvoran  wallet,  wan  sie  ye  der 
gnaden  und  BarmherUigkhait  ist  und  vil  genad  zu  erberben  hat 
alis  die  muter  gottes. 

1)  Chltellenutt. 

Kurl  \nn  Bourbon,  der  Verräter,  geb.  1490,  geht  ISO  auf  dl«  Seite  Kifli  V.  ibcr, 
stirbt  6.  Mai  1S2;  bei  der  Lr$türmung  Korns. 

>)  Le  Port  de  Pilcs.       <)  Creme,  im  Altertni»  Crott  gettanst 

^)     nuiB  lüct  t  ine  Vervcchielung  oder  Wortvcntfimmehmg  voett^geR;  die  Cieiiee 

heittt  auf  lateinisch  Crosa. 

«)  In  dieser  Qegend  tut  Iceine  Schlactit  zwi«ehen  Jallas  CUar  tmA  den  OalUen 

stattgefunden    \X'nhrschrinIifh  wurde  durch  Lokillr^rrndr  die  Erinnemilg  ttl  irgend  cioc 
frühere  SchLtcht  mit  dem  berühmten  Kumer  ia  Verbindung  gebracht, 
f)  Pbilou.       •)  s=  aber. 


Digitized  by  Google 


Die  tagebii  Chart  igen  Auflehnungen  des  Dr.  Johannes  Lange.  405 


2  Meil.  Lusimer.") 

Ist  ein  kleines,  von  sclbentspringencioii  bruncn  gcrten  und 
holtzwachs  ein  histii^es  stctiein  auft  einem  berge  gelegen,  do 
auch  der  hednisclie  gothin  iWchisyn,  von  welcher  liie  pfahzgiaven 
sollen  Ursprung  h.iben,  wolgebauts  Schlos  stet,  in  welchem  der 
Burgundische  hertzog  von  Urania  gefangen  gelegen  hat;  under 
dem  schloß  ym  tail  am  berge,  do  ist  der  Melusyn  hrun,  darin 
sie  sich  gebadet  hat,  und  darüber  ist  ein  neues  kirchlein  gebauet. 

Daran  unden  im  tall  fanget  sich  an  der  thiergartten,  ein 
deutsche  meyle  ianck,  in  welchem  wir  vierhundert  stuck  wilts 
gesehen  haben,  und  durch  disen  garthen  fleysset  zwue  meyl  ein 
vischsreichs  wasser.*) 

Wnn  sagt,  das  obgenielte  Melusina  noch  vor  des  Franck- 
reichischen  koniges  und  i^onigin  tod  zwen  tage  sichtigklich 
erscheyne. 

Goy.*) 

3  nieii. 

Ist  ein  kleines  dorff,  darin  seint  wir  ein  nacht  gelegen. 

7  meiien.  Büfetts.*) 

Ist  auch  ein  klainer  fleck,  darynn  wir  auch  seinth  ain  nacht 
gelegen. 

Mala.«) 

3  meiien. 

Leydt  an  einem  grossen  wasser.*) 

Hertxogtkumb  Aaguleim, 

4  nieyl.  Angulenia. 

Ist  die  haupthstat  des  obgemeltten  hertzoglhunibs,  jctz  des 
kontgs  niutter  zustendig,  auß  welchem  diser  konig  Franciscus 
geboren  ist/)  hat  ein  zirlich  Schlos  mit  einem  lustigen  garten 


1)  I  n=icrnai!.  Vonnc. 

")  Vgl.  Zimrncri<^hc  Chronik  iU!«,  49;  „Zu  Lusiiigen,  sagt  man,  wann  ein  kimig 
von  Frankreich  sterben,  hOre  man  etliche  nicht  darvor  ein  snuisams  sttchnii  nmb  dftS 
«chloH,  und  das  soll  df"  Mtlüsina  sein." 

«)  Couhe.  Buifec        ")  Mansie.        ^  Clurcntc. 

^  Am  it.  September  1494  in  Cognac. 


Digitized  by  Google 


406 


Adoif  Hasendever. 


und  ein  altte  thumbkirchcn,  welche  balde  nach  dem  tode  Sanct 
Petri  ist  gebauet  worden.^) 

3  meyi.  Schetgenau.-) 

Ist  ein  kleiner  offner  matigk,  darinne  wir  seint  atn  nacht 
gelegen. 

Schymau.*) 

2  meylen. 

Ist  ein  klains  Stetlcin  an  einem  lusti^^en  wasser  gele^rr, 
daran  wir  vast  über  ein  zerrissne  unebne  lange  bnicken  haben 
müssen  reytten  und  uberfaren.  Üarinne  hat  der  Ammiral^)  ein 
lustiges  wolgebautes  schloß  mit  lustigen  sälen  und  Camem, 
welche  mit  sonderlicher  wolgemachten  tapissreien  und  bethen 
wolgeziret  sein,  darinne  halt  Er  meinen  O.  herren  l>eherbefiget 
und  vll  erhe  ertzaiget 

Cuniagk.*) 

2  meil. 

Ist  ein  Stetlein  nit  grosser  dan  der  Neuenmarckt,  in 

welchem  der  konigk  auff  diß  mall  hoff  hielt.  Aldo  seint  meinem 

G.  herren  zwin  hertzogen  von  Lotringen,  Musignor  de  Goß*) 
und  sein  Bruder  von  Vadmon,')  und  der  viceregli  von  Xeapoüs**) 
[entgegengcrilten]  und  haben  meinen  erledigen  herrn  in  des  ko- 
nigcs  schloß  belayttet  und  in  des  koniges  Omer;")  aldo  h..it 
der  konig  meinen  gncdigen  herren  freuntlich  mit  freuden  ent- 
pfangen  und  nachvolgens  auch  in  seiner  nuiter  Giuier  und  in 
das  frauenzimer  belayt  und  dan  in  seine  '_::eniach,  welche  sun- 
derlich  für  meinen  gencdigen  herren  verordent  und  beraydt 
worden.  Dise  obgemeltten  Camern  sein  getziret  gewest  mit 
gülden  und  auch  silberen  tapisereien  und  etliche  mit  sametcn 


I)  La  Cathcdrale  St.  Pierre,  im  XII.  Jahrhundert  ertiaat,  tpiter  ratttlricrt 

•)  Ch.ite.iu  neuf  sur  Charc-nte         >)  Jamac  (?). 

*)  Philippe  Chabot,  seij^neur  de  Brion,  seit  1526  in  dieser  Würde;  gieat.  tS43. 
•)  Cosnac.       ^  Claude^  pranlcr  duc  de  OuCse  (1496* <5S0). 

"O  Louis,  duc  de  Otiise,  comte  de  V.itidfmnnt,  fjest.  1528  vor  Neapel. 
•)  Karl  von  Lannoy.   Über  den  Zweck  seines  Aufenthaltes  am  französischen  Hof 
und  «dae  dorti0eii  Vcilmidliiiifen  vgl.  Fr.  Deenie:  Anne  de  Montmorency,  Pari»  im,  S.  M. 

»)  l'bor  des  Pfahgrafen  FrTipfnng  vgl.  Di.irii  di  Marino  Sinutn,  Btl  XLI,  Sp. 
(Ucrichl  uci  Sekretärs  Rosso  vom  lu.  Mai  1526):  ,,i  zonto  qui  il  coiitc  Palatino  coii  iSca- 
valli,  va  in  Spngna.   Li  andö  contra  monsignor  di  Lutrech,  et  i;  stÄ  honorato  assai,  alozü 
in  casidto  col  Victr^.  Li  and6  etiam  contra  monaignor  il  Oran  Maestro  et  poi  U  Viceri." 


Digitized  by  Google 


Die  tagebndiartigen  Aufzeichnungen  des  Dr.  Johannes  iJknge.  407 


tapisreien,  auff  welchem  die  fabeln  und  geticht  Virgily  in  Buoco- 
licis  mit  golt  und  perlen  kunstreich  getickt,  und  bethe  wol- 
getztret. 

Der  konig  hatt  vierhundert  harschirer,  welcher  jetzlicher 
zway  pferd  helt  und  hundert  Schweitzer,  welche  alle  sambt  von 
dem  konige  gedaidet  werden  und  helleparthen  tragen  und  tag 
und  nacht  uff  den  konig  warten;  disem  königlichen  hoffe  zihen 
kromer  und  kronicr  (sie!)  und  allerlcy  kauffleutc  und  hanck- 
wergks  Lcutt  nach,  das  man  sechtzig  tausent  person,  das  mayste 
tayl  berietten,  schätzet  dem  ho\c  ;inch7.iehen. 

Item  der  konig  liau  meinem  gnedigen  lierrn  obcnts  und 
morgens  ein  freyhc  fürstliche  taffei  gehalden  und  alle  ritterliche 
kurtzweil  und  lust  mit  meinem  Gnedigen  herrn  gef leget,  wie  dan 
hernach  volget, 

Erstlichs  Am  Samstage*)  nach  essens  haben  sye  mit  son- 
derlichen woll  ahgerichtten  hunden  weiß  und  rattfarben  un- 
angekuppelt  einen  hirschen  gejaget ,  uff  welchen  ungefordert 
kayner  für  den  Jeger  iauffet,  so  sie  doch  glcuch  das  wiit  sehen 
ader  an  jagen  hören. 

Auff  den  Sonlag-)  nach  essens  haben  sye  sich  in  tuchem 
vorhaltten  in  gegenburt  des  frauenzimers  gejaget  und  etliche 
Frischlinge  gefangen  und  acht  gestochen,  under  welchen  ein  weyß- 
gescheckts  befunden  ist. 

Auff  den  Abent  hat  der  konig  meinem  gnedigen  herrn  ain 
Panckhett  gehalden  und  aldo  meinen  gnedigen  herren  über  sich 
und  den  vicerege  von  Neapolis  und  Engelischen  legat*)  und 
Cardinal  gesetzet,  und  nach  essens  einen  tantz  und  Mummerey 
gehalden  mit  seyden  und  samathen  kleydern  verklaydet,  darunder 
der  konig  und  mein  gnediger  herre  und  der  Cirdinal  und 
hertzog  von  Lotteringen  erschinen  und  auch  vercleydet  worden.*) 

Auff  den  montag*)  hat  der  konig  meinen  gnedigen  herren 
zu  tische  in  den  garten  geladen  und  auff  den  obent  des  kontgs 


•)  12.  Mai.        «)  13.  Mai.        ■>)  Thomas  Chcyne. 

*i  Daß  neben  diesen  niBnigbcheo  Vcrgnüsfungcn  «uch  Zeit  na  enutoi  poUtisdicn 
aespriehea  fibrig  blieb,  geht  ms  Lfodluf*  Dantellung  S.  9t  f.  hervor.  Ober  umaittdlMU« 

Aufträge  des  französischen  K.^htnetis  an  Pfalzgr  Lf  Friedrich  dir  Kaiser  Karl  vgl.  Fr.  Decme: 
Anne  de  Mootmoreacy,  Paris  188S,  S.  84,  aucii  Anni.  3 
•)  14.  Mal. 


Digitized  by  Google 


408 


Adolf  Hasetickver. 


muter  in  das  frauenzimer.  Item  alle  tage  und  obent  seint 
des  koniges  Musid  on  meines  Onedtgen  herren  tapffel  und 
scfaloßkamer  erscfainen  und  freude  gemacht. 

Ponth.1) 

Ist  ein  stetlein  alls  der  Neuenmarckt,  hatt  doch  ain  . .  .*) 
graben  aller  voll  lustiges  reynes  flyssenden  wassers.  Ist  einer 
Witfrauen,  welche  meinen  gnedigen  herren  geladen  hat  und 
freuntlidi  mit  dem  weyn  und  andern  vereret. 

Aldo  ist  herr  Wolff  Dietterich  von  Knorigen  mit  sambt 
seinem  bruder  und  dem  Srethebach  von  uns  abgeschaiden. 

Auch  der  konig  meinem  gnedigen  herren  einen  r^gen 
botten  und  einen  Edelman  zugeordet,  welche  allen  stetlein 
schrifftlu:hen  bephel  uberantwurt  haben,  daz  sye  meinem  gnedigen 
herren  alle  erhe  ertzaigen  und  nicht  anders  halden  sollen,  dan 
wers  der  konig  in  aigner  person,  welchs  dan  dem  fleissig  nach- 
komen  und  gescheen  ist  von  allen  nochvolgenden  Stetlein. 

4  Meil.  Etholie.  XVII.  May. 

Ist  ein  dorff,  darin  man  gutte  herberge  und  alle  notturfft 
fyndet 

3  meil.  Blay. 

Ist  ein  klains  stetlein  auff  einem  berge  am  eusern  Merhe 
gelegen,  in  welcher  vorstat  ist  ein  alte  gebautte  kirche,  do  in 
der  understen  grufft  auff  der  lincken  handt  leut  Sanct  Rolandt 
und  uff  der  rechtten  hant  Sanct  Oliveri,  Santh  Romanus  Eucha* 
nus  und  Faustina  und  auff  der  lincken  handt  der  Staffel  sich[t] 
man  sannt  Apolanie  begrebnus.")  Aldo  sein  wir  auff  einem  Arm 
des  Mers  siben  meylen  gegen  Burdeos  gefaren,  pferdt  und  allen 
droß  uffis  schiff  geladen. 

')  Pons.  *)  Ein  nicht  zw  cnUitferndcs  Wurf,  ich  lese:  ..druiachügcn", 
^  Man  v;r|.  damit  Leo  von  Rozmital:  Reise  durch  die  Abenillaiide  Inden  Jahren 
146S,  1466  und  1467,  besdiricbcn  durch  Osbriel  Tctzel  von  Nürnbcri;,  henusgcsi^en  von 
J.  A.  Schindler  \n  der  Bibliothek  d.  üfemr.  Vere!«»  In  Stuttfrart.  Stuttgart  i844,  VII,  165: 
,.\'on  J.imicn  litf  wir  ,ui>s  ctwan  vil  tai;:tL~  in  vin  i^ni'M-  stat,  heilst  Pla.i,  do  Icit  die  hei- 
lige junkfraw  sand  Appolonia  und  sant  .Kcvcrin'.  Itcni  du  leit  .-»utli  Olyicriui-  tiiid  der 
groß  Rulant  und  Min  Klivester.  Seind  auSdernussen  groß  leut  gc^cstn.  Des  Rulml 
•cfavader  ist  meiner  spannen  irucinzig  lang  gevcst,  und  ir  bruder  gßt  vil  länger  und  gröwer 
tIButam."  Zn  diesen  Mitteilungen  vgl.  msn  die  «ngeblich  «nf  Autoptie  berahendtn  kri- 
tisdwn  Benerlninsen  M  Leodius  S.  5. 


Digitized  by  Google 


Die  tagebuchartigen  Aufzdchnungen  des  Dr,  JobaniHS  Lange.   40 9 


7  meiL  '  XVIIL  May. 

Ist  ein  kostliche  altte  stat,*)  bey  welücher  in  ayner  meylen 
lang  in  das  merch  flyessen  treffenlicher  grosser  drey  wasser: 
Dordonea,  Gyrunda,  Garunna.')  In  diser  Stat  fyndet  man  noch 
vil  altter  haydenischer  gebeue,  nemlich  templum  Lutele  und  vor 
der  Stat  ein  zerbrochen  Theatruin ;  ^)  hat  einen  großen  wein> 
bachs  uff  der  andern  seythe. 

V  meyl.  Biuiensa.  XX.  May, 

Ist  ein  zimiich  dorff,  dohin  wir  auff  dem  wasser  Garuna 
gefaren  seinth,  an  welchs  über  vill  merhhunde  sich  samethen. 

5  meil  Longon.^) 

Ist  ein  klaines  Sletlein,  lateinischs  Lyngonia  genanlh,  neben 
welchem  wir  seint  vorc^erytten  und  che  Bürger  und  [Ambt- 
leut]  •)  man  nach  königlichem  bcveich  liabcn  wein  und  (^.ollacion 
uns  auff  den  wege  mit  i^fcdachter  lafel  angericht.  Alhie  fangen 
sich  wider  an  grosse  meylen. 

Castanier'Land. ") 

Bcsas. 

Ist  eine  zimtichc  stat,  Phasacum  vor  alders  (oder  vor 
zeitten)  genandt;  liat  einen  Bischoff  und  aldo  haben  sie  Sannt 
Johanns  pluei  Alhie  ist  der  anfanck  Castanier  Landts,  welches 
vast  fruchtbar  ist  umb  die  obgemeltte  Stat;  sunder  nachvolgens 
ist  dreyssig  grosser  deutscher  meylen  ein  gantz  eben  und  san- 
dichs  unfruchtbars  Landt,  hat  vill  poser  puben  und  kriegsleute, 
wenig  wein  und  getraids  und  auch  dürre  wayde. 


1)  Bordeaux. 

>)  Vgl.  L.  V.  Rozmital  a.  a.  O.  S.  165:  „Von  der  $lat  mss  (Bbqr)  muosten  vir  mft 

unscm  pfcrdtn  iV. '  r  <  m  r  r'  r:'^^cr  v.ircn,  siben  tciitsch  mdl  Vmg,  In  ein  slat,  heiSt 
Burdeus,  ist  scr  ein  '^chonc  kostiichc  siat." 

•)  In  Wahrheit  bl  die  Qiromie  beVanntlieh  kein  besondeter  Strom,  sondern  das 
Astnariunt  der  vereinigten  Flüsse  Oaronnc  uik'.  Dordogne. 

<)  Les  niines  des  Ar^es,  diti-s  \<t  pjlaiä  Gallien. 
PodCnsac.       *j  Langion.       ^  Durchstrichen.         Oaaoogne.  Baias. 


Digitized  by  Google 


410 


Adolf  Haseadevcr. 


3  meil.  Capsious.*)  XXL  May. 

Ist  ein  kleines  Stetlein,  do  man  vil  Eysenerizt  vindet  und 
die  Statmauer  auch  darvon  gemacht  ist;  hat  schönes  viedi  und 
kynder. 

Rockeforth. 

4  meil. 

Ist  ein  kleins  Stetlein. 

3  meil.  M  o  n  t  Ii  ni  a  i-  s  c  h  a  n  s.  *) 

Ist  ein  Stetiein,  darinne  sich  anfecbt  wunderbarlicbe  schlay- 
rung  und  kiaydung  der  weyber. 

4  meil.  Tartas. 

Ist  ein  kleins  Stetlein  an  einem  grossen  wasser  gelegen, 
hat  auch  ein  sloß  au  ff  dem  berge,  erkennet  für  iren  herren  den 
vertriben  konig  von  Navarr,  *)  hat  auch  ain  zinilichen  grossen 
Weinbachs.  In  diser  Stat  an  dem  pfynstmonedt^)  haben  sy  einen 
Bischoff  geklaydet  und  frauen  und  gesellen  die  nacht  und 
gantzen  tag  mit  sambt  den  pfaffen  getantzeL 

Ad  Axs.») 

4  meil.  XXIII.  may. 

Ist  ein  Stat  Amberg  gleichmessig  an  einem  schiffreichen 
wasser,  Dosa")  genant,  gelegen,  darin  der  konig  von  Frandc- 
reich  ein  groß  tayll  seines  geschutz  haldet  In  diser  Statt  ent- 
springt ein  lautter  clares  warmpaedt,  in  wellichem  man  homer 
pruet  und  ayer  syden  mag,  und  von  seiner  hitz  wegen  muß  an 
einem  andern  orthe  zum  bade  gekuelet  werden. 

In  diser  Stat  am  pfingst  eristag  ^  haben  sie  ein  groß  schiff 
in  trucker  stat  umbgetzogen  und  auff  freyer  gasse  Colladon  ge* 
hatden  die  schiffleute. 

3  meil.  Sant-Vincens.*) 

Ist  ein  dorff  von  vier  heuscrn,  hat  doch  gutte  und  woll- 

versorgtte  beiicrberunge. 

1)  Captleux.        S)  Mont<de*Manan. 

»)  Johann  von  Navarra,  im  Jahre  1S12  durch  Fcroinaiu!  vi  n  Antonien  vertrieben. 
*i  II.  Mid.      ()  Dauc         Adour.        22.  Mai.         St.  Vincent  de  Tynme. 


Digitized  by  Google 


Die  tagebuchartigen  Aufzeichnungen  des  Dr.  Johannes  Lange.  4it 


Das  Land  PeschajftL^) 

Bago  n  i  a. 

Ist  ein  haubtstat  des  Landts  Pischaye,  nohent  an  dem  merhe 
gelegen,  in  der  grosse  Amberg  gleichmessig,  durch  welche  fleiist 
ein  groß  wasser  mit  dem  merch  vermischet,  in  welchem  man 
treffliche  guttc  Lechs  und  karpffen  und  ander  vischs  fanget. 
Aldo  haben  wir  ein  karpffen  von  XXXV  pfunden  faist  und 
schmackhafftiiT  umb  zwaintztgCrutzerund  ein  Salma  von  XL  pfunden 
umb  1  11.  gekaufft. 

Discr  Stat  Ambtman  ist  tmserm  gnedigen  herren  entgegen 
gieritten  und  die  herrn  des  Raths  in  rotten  kappen,  wie  die 
dodores  tragen,  haben  auch,  an  der  prucke  vor  der  Stat  ver- 
samletp  meinen  gnedigen  herren  erlich  entpfangen  und  nachvol- 
gendt  von  allen  thurmben  schlangen  und  haubtstukke  abgeschossen. 

Pyrenei-montcs. 

3  racil.  Anyou.«)  »XXVL  May. 

Ist  ein  kiains  dorff,  in  wellicliem  sich  endet  Franckreich 
und  das  gebiet  des  koniges  von  I'ranckreich,  und  was  hernach 
volget,  ist  Hyspanien  zugehörig  und  zuskndig. 

Das  Landi  Bascko. 

4  meil.  Elysando.*)  XXVll.  may. 

Ist  auch  ein  dorff  nn  dem  pampaionischen  gepirge  gelegen, 
welches  man  Lateinischs  Pyreneos  montes  nennet;  do  muß  man 
etliche  berge  ain  halbe  meyle  hoch,  auch  einer  meylen  hoch 
zwen  tage  überreitten,  weiiche  on  etlichen  ortten  gar  unmöglich 
zureutten  seint.^) 

In  disem  obgemeltten  gepirge  leydt  das  Landt  Baschko, 
wellichs  ein  unhofflicli  volck  hat,  eine  sunderliche  sprocfae, 
welche  mit  dem  weliscben  Latein,  frantzosischcn,  deutschen  und 
hispanischen  nichts  gemaynes  hat,  darin  die  Junckfrauen  alle 


>)  Biscayi  »)  Ainhnue.  Plirnncl''' 

•)  Wie  Lcoütu^  (S.  101  a)  mitteilt,  wahite  I'faUgrnf  f"riai:ith  ditscn  \\  cj;  durch 
das  unvirtliche  Gebirge,  weil  er  vermeiden  wollte,  seiner  cinsii'^en  Jugendgelicbtcn,  Jt-r 
venritwcttn  Königin  Eleonore  von  PortnjpU.  der  Braut  Vtarn'  I.  von  Fnntcreich,  der 
9ÜiMm  Schvetter  Kalter  Karls  V.,  zu  becepicn. 


Digitized  by  Google 


412 


Adolf  Hasenctever. 


beschoren  seyndt  kolbith')  und  nach  der  paucken  singen  zum 
lantze,  und  an  dem  tantze  zuspringen  und  alle  geradigkheit  zu 
üben,  auch  des  pales  zu  spielen  ist  den  pristern  unverweifiltch.*) 
Diese  obgemeltte  Junckfrauen  mit  den  henden  an  enander  ge- 
schlossen und  nach  der  paucken  singende  in  den  dorffem  ver* 
balden  den  Reuttem  die  Strosse  und  begeren  von  in  eine  vcr- 
ehrunge.  Auch  hat  diß  Landt  sonderlich  ungelerte  priester,*) 
welchen  die  weyber,  so  sie  auß  der  kirchen  geen,  die  hende 
küssen,  und  in  der  kirclien  offte  den  sauen  an  der  Casseii.-') 

4  meil.  Alantza.«^)  ^^^^^^ 

Ist  in  dem  obgemelten  gepirge  auch  ein  dorff,  in  welchem 
der  pfarrher  am  Sontage  trinitatis*)  zu  dem  umbgange  sangSalva 
Regina  und  in  der  kirche  zu  einer  ziere  nichts  dan  Tischstucher 
und  hanntzweheP)  hatt  auffgehangen. 


Kpnigreick  Navarr, 

3  meil.  Pampalona. 

Ist  ein  zy[in]liclic  raynküche  stnt,  grosser  dan  Amberg, 
weliiciie  des  konii;^  von  Navar  ^tv/cst  ist,  darinne  noch  des 
kayscrs  kriegsleute  ligen,  welchen  er  über  XX 11  nion.idt«;  soldts 
sciiuldig  ist;  haben  uns  zum  frucstucke  geladen  und  alle  Erhe 
crzaiget. 

Dieses  obgemelts  Landt  hatt  dises  kaysers  vatter  konig 
Philips  dem  konige  von  Navar*^)  genomen,*)  welcher  sich  noch  an 
des  konigs  von  Franckreichs  hoff  stettiglich  erhäldet 


')  kolbith  (:  r  Viu'  ili  .  '  "ibicht",  -kolbik;";  li.'.yrisch:  »kolbcth*)  =  ^ia'.t  geschoren. 
Vgl.  Qrimra:  Deutsches  Wünerbuch.  V,  t6ii:  v.  kolbicht:  4a,  sowie  dicnda  1607  v. 
kolbe:  9. 

2)  Die  Bctciliptinj;  m  öffentlichen  Spielen  war  den  Oeistiiclicn  btk:inntlic)i  vcrboltn. 
■)  Vgl.  L.  V.  RozmiUl  a.  a.  O.  S.  tM:  «In  dem  laod  haben  die  pfaffeti  veiter  and 
sein  Obel  Relert  und  predtj^n  fnich  nichts  dan  die  zehen  gebot  und  tederman  beirbtet  kein 

andre  bcicht.  dinn  die  der  pric-.'cr  vorm  a-lar  sprich;.    Er  tinb  ;;i      •'der  klein  «iincl 
gcthucii,  so  ncnt  er  doch  keine  mit  namai,  sunder  niii  der  bcic'at  wil  er  s  .TJ-sgeiichtct  haben." 
*}  Saum  an  der  Casel;  casula,  veslis  sacerdotalls ;  Orimm  a.  a.  O.  III,  608. 

»)  l  anr.     «)  27.  Mai.        ^)  Handblchcr  Jean  d'Albrct 

»)  Diese  Notiz  ist  unrichtig:  der  Großvalcr  Kaisei  Ivarls,  König  I  crdinand,  eroberte 
im  jahfe  isi2  Navarr*. 


Digitized  by  Google 


Die  tagebuchartigen  Auüeiüinungeii  des  Dr.  Johannes  Lange.  413 


4  meil.  Varasonia.*)  XXIX.  Alay. 

Ist  ein  zimlich  dorff  auff  einer  höhe  gelegen,  auff  welches 
kirchoff  vast  vil  Cucuiner  asinium^)  wechst 

4  meil.  Taffallia.  XXX.  May. 

Ist  ein  klayne  st;U,  hat  ein  s!oß,  j:^rosser  und  weytter  dan 
die  gantze  stat,  welcher  haubtmann  meinem  gnedigen  herren  ist 
enlgegen  gerithen  und  eingeladen  und  vill  erhe  ertzaiget. 

In  discr  Stat  hat  des  doctor  Lenibcrgcrs  pferdt  nach  essens 
auß  einem  sienden  wasser,  darzu  slangen  und  frösche  lyeffen, 
sich  zu  rehe')  getruncken  und  4  myl  darauff  gegangen. 

4  tneyl  Peraltha. 

Ist  em  klains  stetlein  an  einem  großen  wasser*)  und  stalnigem 
berge  gelegen. 

7  meil.  Servier..») 

Di6es  Stetlein  ist  eyne  lange  gösse,  an  einem  hohen  beige 
gelegen,  hat  im  tall  ein  kleyns  flyessende  wasser")  und  vil  feygen- 
baume.  Aldo  sein  wir  am  tage  Corporis  Christi^  still  gelegen, 
do  haben  die  Bürger  in  weyßen  hembden  mit  gemaftten  rayffen 
vor  dem  Sacrament  nach  dem  altten  judischen  gebrauch  getantzet 
und  gesprungen. 

Auf  discm  wege  drey  meylen  nach  Paraltha  fleusset  das 
bcrumbt  wasscr  Yberus,  durch  welches  wir  mit  den  pferden  und 
Eseln  gerytien  sein,  und  ich,  doctor  Leniberger,  mit  meinem 
gnedigeii  herrn  ubergefaren.  An  diseni  wasser  endet  sich  das 
konigkreich  Navar  und  fanget  an  Castilia. 

CastUUa  Konigkreich* 

4  meil.  Matelebreres.*) 

In  diesem  dorff  haben  sie  den  halben  tag  circuirt  oder 
drcuitum  gehalden,  und  Gott  mit  schreyender  stymbe  umb  regen, 
wasser  und  barmhertzigkeit  gebetten,  und  altte  Menner,  auch 


1)  Barisoain.  >)  Die  Spring-,  Spritz-  oder  Eselsgurke  (Ecballium  elateriutn). 
^  rebe,  rftbe  —  Stöflidt.  nur  von  Tieren,  bcModcn  von  Pferden.  Arga.  Cerven 
dd  Rio  AHnma.       9  Rio  Atbam.  31.  Mtl.       •)  Matiktncntt. 


Digitized  by  Google 


414 


Adolf  Hasendever. 


knaben,  junckfrauen  und  kynder  nacket  und  parfueß  gegangen 
und  sich  mil  gaysein  gehauen. 

5  meil  Qomora. 

Ist  ein  kleines  Stetlein,  darin  wir  seint  von  einem  pfaffen 
beherberget,  welcher  von  meinem  gnedigen  herren  versIcherunge 
forderthe,  das  im  nichts  empfrembt  wurde  auß  seinem  Gasten, 
die  er  in  meines  O.  H.  kamer  häthe.   Alhie  hat  man  kain  brot 

zu  verkauFfen  gefunden,  sunder  vor  uns  auß  bevdch  der  hcrr- 

schatft  sonderlich  pagen,  wie  dan  auch  zu  Scrviera  und  in  andern 
nachvolgende  Slctk-in  offt  gescheen  ist. 

In  diser  L^mtschalft  hats  in  funff  Monadtten  nit  geregnet, 
derhalben  umb  wasser  grosser  mangel  waß  allenthalben. 

4  meil.  Maron.»)  ,„ 

Ist  ein  dorff  unter  einem  Slosse  gelegen,  in  wellichem  ein 
weih  das  ander  auf  der  gassen  gefangen  nam  von  wegen  des 
weins,  den  sie  uns  gestolen  hetten  und  die  Justicia  anrucffcn, 
und  der  ungetreue  wirth  von  uns  forderet  ainen  silbern  becher, 
den  wir  in  seiner  kamer  widerfunden.-) 

2  nicil.  Font  ha  willa. 

Ist  ein  klains  dorff,  auf  dentschs  zu  dem  morgenbrnnlein 
genant,*)  imd  habe  doch  mangel  an  wasser  gehabt,  der  brennen 
stet  hinder  dem  dorff  im  gründe. 

6  meil.  Reoffrio. 

Ist  ein  zimlich  dorff  in  einem  gründe  gelegen,  aide  hat 
nach  zukunfft  meines  gnedigen  herm  got  einen  grossen  Regen 
dem  Armen  volck  verlihen,  daiumb  sagetten,  got  het  unsern 
hcrrn  zu  yn  geschickt  mit  einem  fruchtbaren  regen.  Diß  dorff 
ist  des  Marckgraven  von  Nassa.^) 

»)  Muiön. 

t)  Leodius  crzälilt  (S.  103  f.)  dieses  an  sich  recht  harmlose  Ereignis  sehr  amstandJich. 

>)  Wie  der  Verfasser  zu  dieser  Detinui^  kommt,  vermag  icfi  nidit  Muocdm; 
{.iciiH'  die  Quelk-;  viila  d.is  1  andient,  die  kli-inc  Stadt.  I  codius  (S.  103)  aemit  döt  Ort 
•ToutaiilU  pagus",  was  uns  aber  auch  der  Deutung  nicht  näher  bringt. 

4)  Oraf  HdnHeb  von  Nassau.  Er  var  seit  Juni  1524  in  dritter  Ehe  mit  Mendt 
Zenette  aus  dem  Hause  der  Mendoza  vermählt  i:nd  dadurch  Besitzer  großer  LiegenschaflOl 
in  Spanien.  Vgl.  Meinaidas:  Der  KatzeieUenbogensdie  Erbfolgestreit  I},  78 f.;  dne  Be> 
adirdlMmg  der  gUniaidcn  Hodtzdtafderlichlidten  ebenda  1»  ist  ff. 


Digitized  by  Google 


Die  tagebuchartigen  Aufzeichnungen  des  Dr.  Johannes  Lange.    4  \  5 


Item  von  Pampilana  baß  gegen  Schedrack  seiniht  wir  tege- 
lich  zwuschen  Koßmaryn,  Lavendel  und  Salve-Segel  bäum  geriten, 
und  wo  dise  obgemeltte  kreiitter  wachsen,  do  habe  wir  dorre 
und  unfruchtbars  stayniges  Landt  fanden.  Derhalben  soll  Teutsch 
nacion  dise  uol  sc!  im  eckende  kreutter  vor  ir  graß  und  thanzepffen 
kains  wechssels  begeren. 

4  meil.  '  V.  Juny. 

Ist  ein  groß  dorff  des  Marggraven  von  Nassa,  in  welchem 
wir  ain  ducaten  für  einen  wasserhaffen  muessen  zu  pfandt  geben» 
und  sein  von  einem  pfaffen  beherbei^get  worden»  der  alles  vor 
uns  geflohet  hete  und  den  gartten  verschlossen,  in  wellichem 
wir  die  ersten  reyffen  opffel  funden  haben. 

3  meil.  Hyta.'') 

Ist  ein  klains  Stetlein,  darin  vdr  yn  eines  briesters  haus  sein 
beherbergert  worden  j  bat  auch  ein  schloß  auff  dem  berge. 

.,  Ouadalashara.*)  , 

4  med.  VI.  Juny. 

Ist  ein  Stat  grosser  dan  Amberg,  dem  hertzogen  von  guada- 
laschara^)  zugehörig,  hat  viU  Ölbaume  und  zimliche  weinwachs. 

3  meil.  Sant  Türckas. 

Ist  ein  ziemlich  groß  dorff,  welches  mit  sambt  einem  ander 
ain  doctor  der  Eriznei  besoldet  und  vil  grosser  weynhäffen  machet, 
einen  umb  ain  ducaten,  auch  anderthalben. 

In  disem  obgemeltten  Stetlein  und  Stetten  Castilie  und 
Navarie  seint  weichsei  feygen  und  allerlay  g^yde,  Gerste  und 
kom,  umb  Corporis  Christi*)  reyff  gewest  und  abgeschnitten^ 
welches  sie  nidit  außdreschen,  sonder  mit  Eseln,  Ochsen  und 
pferden,  die  ein  predt  vol  spitziger  eingeschlagen  steine  darüber 
füren  und  schleppen,  also  außtretten,  das  das  stroe  allayne  glidslang 
pleibet,  derhalben  pferde  und  Rinder  kain  stroe  haben. 


>)  ladraque.        *)  Wahrscheinlich  Hnmines.        *)  Quadalajan. 

*)  Die  Herzogsvflidc  voo  Oimialijaim  wir  crblidi  ia  der  FainUie  der  Meodoia. 

»)  31.  Mai. 


Digitized  by  Google 


416 


Adolf  Hasenclever. 


4  meii.  Valdelagunna.  VII.  Juny. 

Ist  ein  klains  dorff,  in  welchem  der  Edelman  mefnem 

gncdi'i^en  Herrn  bclicrbcrgctc  und  von  einer  swanzen  Morin  vil 
kindcr  ime  zuverkauffen  auffzeuet;  iiat  sunderlicheti  großen 
weinwaclis. 

In  gantz  Hisj-)onia  die  Fvcichcn  und  die  Edlleut  die  swartze 
verkaufftte  inoryn  und  leybaygen  haben,  vergönnen  yderman  die 
fleyschlich  zu  erkennen,  also  doch  das  die  frucht  des  herren 
beleyben  syndt,  welche  er  ym  sibenden  und  zehenden  Jare,  auch 
Eltter  umb  XVI  oder  zwaintzig  ducaten,  auch  vill  teurer  verkauffet 

5  meii.  Octavia.*} 

Ist  ein  Stat  in  der  grosse  fast  Nurmberg  gleichmessig 
des  Biscboffs  von  Tholeth,  in  welcher  ein  eddman  meinem 
gnedigen  herren  erbarlichen  beherbeiget  hatte,  und  der  Ambt- 
man  meinen  gnedigen  herren  auff  den  Abendt  zu  Gaste  gehabt 
des  andern  tages,  in  welchem  wir  synt  still  gelegen,  und  mein 
gnediger  herr,  der  von  Haydcck,  ich  und  zwen  knaben  haben  yn 
einem  wcynhaffen  ein  volbadt  gehabt  und  wol  den  sweiß  ab- 
gewaschen. 

Iteui  Navar  und  Castiiia  und  fast  gantz  Hisponia  hat  nn 
holtz  so  grossen  mangel,  das  sie  iren  wein  in  erden  heften  be- 
haltten müssen,  welcher  einer  i*/«  f"dcr  weins  hellet,  auff  die 
forme  gemacht*)  Auch  habe  wir  alle  speyse  müssen  mit  kleynen 
reyssen  syden  und  brothen  und  das  offte  das  schwerlichen 
bekomen  mögen. 

Item  drey  meilen  nach  Valdelagunna  seindt  wir  über  das 
berumpte  wasser  Lateinisch  Tagus  genant  geschifft,  in  welchem 
vortzeitten  man  vil  Goldes  gefunden  hat.') 


1)  Ocaöa. 

^  Am  Rande  eine  {ans  flBcbtige  Zeidmaac  beigefaKt 

S)  Vi,'l  I.ühker:  KciliivIIidii  di^  ki.isMscIien  Altertums,  Leipzig  1891,  &  1177: 
»(Der  Tagus)  tuhrte  nucli  drn  beridilcn  der  Alien  vid  Goldsand  mit  sieb,  wovon  tidl 
fetit  nur  geringe  Spuren  zeigen.*   Vgl.  hierzu  Dillon:  Kefw  dnrdi  Spanten,  Ldplicimf 

1,  '.'Ii' f.  -  Zahlreiche  Litcr^iturangabeii  über  Ooldvorkommen  im  Tajjii?  bei  den  nltct» 
Sclinlistellem  findet  man  verzcidinet  l>d  Pauly:  Realcnzyklopädie  des  klassischen  Aiteitums, 

Stuttgart  18S2,  Bd.  VI,  Sp.  tm. 


i^'iLjuiz-uü  by  VjOOQte 


Die  tagebucbartigen  Aufzeichnungen  des  Dr.  Johannes  Lange.   4 1 7 


5  mefl.  Tcmpleck.^)  X.  Juny. 

Ist  ein  offen  marck,  in  welchem  unser  wirth  von  wegen 
der  Marranischen  *)  Seeth  verbrant  waß  und  sein  nomen  auff 
ein  gelbes  tuch  grob  gcbchriben  in  die  kirche  gehenckt. 

Merck!  so  yndert  ein  person,  weyb  oder  man,  wirtt  bey 
dem  Richtter  bey  dem  Eyde  beschuldiget,  auch  in  irem  abwesen, 
das  sie  der  Marannischen  adcr  judischen  secth  anhennig  sein, 
so  Wirt  die  beschuldigt  perboii  in  abwesen  des  heymlichen  zeugen 
gefordert,  und  so  sie  des  gcsieeht,  so  hatt  die  beschuld igtte  person 
hr^b  und  all  ir  Riitt  verwirckct,  das  dem  richtter  und  der  obrikheit 
haimtalict.  So  aber  obgemcltte  bcclagtte  person  das  laucknet,  so 
hatt  sy  auch  alles  gut  verlorn  und  autf  gethonen  Aydt  des 
haymlichen  anclagers  wirt  sie  verbrent  und  ir  Namen  auff  ein 
gelbs  tuch,  ayner  elenn  prayt  und  lanck,  grob  geschriben  in  die 
kirche  an  einer  schnür  uffgehangen,  darumb  sieht  man  vast  in 
allen  kirchen  Hisponie  zwaintzig,  auch  40  und  70  tucher  hangen. 

Durch  dise  Jurisdiction  werden  vil  rechtter  Leute  urob 
neudes  und  guts  willen  beclagt  und  auff  falschen  Aydt  des  an- 
clagers und  geytz  des  Richters  leybs  und  guts  beraubet,  der- 
halben  Nyemandts  in  Hispania  wider  die  Qeystlichen  reden  oder 
der  Lutteryschen  und  Evangelischen  sache  one  ferlikhait  seines 
lebens  gedencken  [darf]. 

5  meil.  Villafranck.  XI.  Juny. 

Ist  ein  zymlich  dorff,  do  sein  wir  zu  mittage  am  XL  Juny 
gelegen  und  gezogen  gegen  Willabarta. 

3  meil.  Willaharta. 

Ist  ein  zimlich  dorff,  in  welchem  sich  unser  wirth  vor 
funff  tagen  hat  lassen  tauffen.  In  diser  tagraysse  seynd  von 
hitze  und  starckes  weins  halben  uff  dem  wege  die  nacht  blyben 
ligen  Hans  Eseltreyber  mit  seinem  gesellen  und  Arnolt,  Koch, 
am  grymen,")  und  Vintzents  und  Gregorius  auch  kranck  worden; 
derhalben  sein  wir  ein  tag  still  gelegen. 

>)  Tcmblequc. 

i)  Mjranen,  ein  Schimpfe  crt  der  Spanier  fär  gctiafle,  «fecr  ihnr  RdigiOD  im 
geheimen  treu  gebliebene  Juden  und  Mauren. 

^  Ldbwdi,  [)inilniHk.  -  CoUca,  du  krimniai  ttifmDcn). 

Aidiiv  ttr  Kuilai«eMiiidM&  V.  37 


Dig'itized  by  Goo^^Ie 


418 


Adolf  Hasendevier. 


5  mdl.  Mantzanares. 

Ist  ein  dorff,  hau  aiicli  weinwachs.  In  Castilia  in  vi!  dorffern 
und  Stetten  ist  verpot.i'n  lIu-  milch  zu  vcrkauffcn,  auff  das  sie  die 
junge  rynder  und  kelbei  alsu  vil  leni^er  lassen  s^iLigcii  und  slarck 
grosse  ochssen  auffzichen,  mit  welciien  sie  das  veldl  paiicn  liulI 
faren;  haben  schene  Horner,  aynes  Elbogen  lang  und  diitliiübcr 
Spanne  von  einander  gewachssen  mit  den  spitzen,  und  halden 
das  vieche  gantz  sauber. 

3  meil.  Valdepenies.*) 

Ist  ein  zimlich  dorff,  welches  sccr  ein  grosse  weinwachs 
hat;  aldo  ist  mein  gnediger  herr  vom  AinpUnan  Sannt  Jacobs-) 
orden  crhafftig  beherbergt. 

Alhie  anicncklich  mufi  man  wein,  brott,  fleisch  und  auch 
fueticr  mit  sich  füren,  dan  auff  disem  naihvolgcnde  wegk  etliche 
meylen  findet  man  weder  dorffer,  noch  stet,  sunder  allaine 
etliche  heuser  auffs  veldt  von  wegen  der  wanderleute  und  kauff- 
leute  gebauet,  darin  man  auch  kain  bethe  oder  koche  heldet. 
Dise  herbergen  hispanischs  nennet  man  ventas. 

5  meilen.  Venta  le  rueleos. 

Ist  ein  eintzig  dorff  zwuschea  grossen  bergen  gelegen,  aldo 
seindt  wir  auff  der  erden  und  etzliche  auff  der  kaufleutte  wol- 
secken  gelegen. 

Finis  Castilie. 

CaUaionia  konigreich. 

6  meil.  Vilschis. 

Ist  ein  kleins  Stetlein  uff  einem  hochen  berge  gelegen, ^) 
In  disem  flecken  muß  man  5  nie)  Im  über  grosses  gepirgc  reyten 
gantz  stayiiigen  und  eben*)  weck,  der  do  nit  all  enden  zu  reytten  ist. 

Item  [inj  gantz  Hisponien  ist  yderman  freye,  das  wiltproth 
alieiiey  zu  schiessen,  welches  die  pauern  sunderlich  in  disen 

»)  Valdqjciias. 

')  Orden  des  heili^n  Jakob  vntti  Sdr.vrrt,  ^pnnlschcr  .NUIit.lroidcn. 
■)  Vilches:  >inaJcnsch  zwischen  zwei  Ucigcn  gelegen"  (Baeückcr:  Spanien  und 
Poitngii  S.  313).  S<rtl  wobt  Matt  und  eben  «neben  bdBen.  D.  R«iL 


Digitized  by  Google 


Die  tagebuchartigen  Aufzeichnungen  des  Dr.  Johannes  Lange,  419 


pergen  mit  vergyfftten  klaynen  pfeylen  schyessen,  welche  gifft 
also  starck  ist,  das  sie  den  menschen  todet,  so  allain  des  menschen 
pluet  oder  klaynes  wundlein  darmit  bestrichen  wiit^) 

4  meil.  Ubyda.-) 

Ist  ein  Stat  Arnberg  in  der  grosse  gleichmessig,  hat  vil 
wein  und  getraidt  und  Mauelberbaum  und  auff  dem  velde  drey 
meylen  lang  und  sunderllch  an  dem  wege  wachsen  seer  vill 
Capren.  Auff  disem  wege  zwue  meylen  nodi  Vilschis  im  gründe 
am  wasser  hat  der  Jobst  Brantner,  Riigas  Steffan,  WasAel  Barbirer 
und  Bock  ain  ainem  Steige  Verstössen,  den  hat  auß  bevelch 
meines  gnedigen  herren  der  Bock  nachgerent  und  sein  pferdt 
verderbet  und  ist  auch  schwerlich  widerfunden. 

3  meil.  Schoda.^) 

Ist  ein  dorfflein,  in  welchem  wir  die  pferde  nicht  woll  haben 
können  gesteüen,  und  ain  meyll  hinder  dem  dorfflein  fenget  sich 
ain  gepiiischs  landt  an  paß  gegen  Granaten,  und  uberall  auff  den 
bergtii  sieht  man  klaync  ihunilcm  und  warthen  von  den  morischen 
gebauethet,^)  darvon  sie  an  einander  beruffen  und  Irer  vheinde 
zukunfft  verkondiget  haben. 

4  meil.  Venta  Karafaschall. 

Ist  un  aintzick  liauß,  darinna(!)  wir  nicht  alle  haben  kunnen 
stellen  und  ayn  tnvls  auff  der  erden  im  hause,  die  andern  vm 
Velde  gelegen.  Aldo  ist  der  Marschalck  mit  seinem  knechte  und 
Gregorio")  und  dem  Lehendell  (?)  gegen  Granathen  von  Vii Ida ') 
geritten  und  hat  durch  des  kaysers  bevelche  uns  herberge 


I)  über  diese  vergifteten  Pfeile,  welche  die  Mauren  auch  im  Kampf  gfgn  die 
Cliristen  verwaiidtea,  vgl.  Prcscott:  Geschichte  Ferdinands  und  Isabcllas  I,  390. 
•)  Ubeda. 

*)  Fin  Reise.ibcn{euer,  dessen  tatsichtidier  Kern  in  dioer  knappen  ScbUdenuig 
nicht  recht  deutlich  zu  erkennen  ist 
4)  I6dar. 

8)  Vgl.  Prcscott:  Ferdinand  und  Isabella  (deutsche  Ausgabe)  I,  387:   innerhalb 

der  Oren/.en  Oranadas  gab  es  . . .  zehnmal  mehr  feste  Plät/c,  ali  jetzt  in  der  ganzen  Halb- 
insel. Sie  standen  auf  dem  Kamm  irgend  eines  Abgrundes  oder  einer  steilen  Sierra,  deren 
natfirliche  Stärke  noch  durch  das  feste  Mauerrerk  vermeiirt  wurde,  von  dem  tlc  umgeben  «aren.» 

«)  Qregorius  Mayer,  Silberschliefkr. 

Vgl.  Lcodius  S.  107a:  (Marcscalltt»],  qiwn  CK  Ubeda  pnembeiat  Princepa 
Oianalam,  ut  noMs  de  iMwpiÜis  pro^iceret* 

27« 


420 


Adolf  Hasendever. 


bestellen  muessen,  und  an  des  kaysers  vorbitte  und  bevddi  lict 

er  uns  kain  herberge  können  bestellen. 

6  meil.  Ouadatia-Horruna. 

fst  ein  dorff  durch  konig  Ferdinandum  von  wegen  der 

Ruber,  die  sich  in  dem  obgemeltlen  gepirg^e  erhalden  haben, 
gebauet.    Aldo  macht  man  schone  und  wolgeierbte  gleser. 

4  meil  Asanalios. 

Ist  ein  dorff,  darinne  wir  haben  uff  die  herberge  zu  Gra- 

nathen  zu  bestellen  3  tage  gewarlel.  Ist  der  Morischken  gewest, 
darinne  man  noch  ir  sclilos  zurbrochen  sieht  uff  einem  berge. 

4  meil.  Allabalath. 

Ist  ain  dorff  ein  halbe  meil  von  Granathen  gelegen,  in 

welliciiem,  so  \\n  auß  kayserlichem  bevelch  herbeiLT*  emgenonien 
hatte,  ist  der  wirth  von  Granathen  selb  driUhe  kernen  mit  sj^eyße 
und  uns  außzutreiben  im  furgenomen. 

Das  Königreich  Oranaten, 
Granaten.^) 

Ist  ein  Stet  eines  namens  zwuschen  den  bergien  also  gelegen, 
das  man  die  von  kaynem  eusserlichen  berge  aber  orte  gantz  besehen 
kann.  Ist  vast  zway  Nurmberg  groß,  und  auff  den  eusserKcben 

bergen  vindet  man  in  den  allerhaisten  tagen  vill  schnees,-) 

darmit  man  den  wein  kniet.  Diso  sUit  Icyi  nicht  zwoltf  meylen 
von  dem  mittelmer,  also  das  man  darauß  in  3  tagen  mag  in 
Affrica  sein,  und  vier  Tagen  am  ende  der  weit  und  nydergangs. 

Dise  stat  ist  der  weyssen  moren  gewest  imd  hott  zwen 
konige-')  gehabt,  vor  welcher  konig  V'erdinandns  iiat  sechs  Jar^) 
gelegen  und  ein  Stetlein  mit  seinem  here  Santha  hede  genant  ^> 

t)  Am  23.  Juni  kam  Pfalzgraf  Friedrich  in  Oranada  an.  Vgl.  Alex.  Schveist  an 
Ornf  Wilhelm  von  Nassau,  Oranada,  25.  Juni  1526:  >Pfait7graf  Fridreich  hi  für  zweien 
tagen  hie  bcy  k.  m.  ankoinen«  (Meinardus:  Der  Katzenellenbogensche  hrbfoigestrdt  1^  1S2). 
Seit  (km  4.  Juni  treiltc  der  Kaiser  in  Granada.  (Forschungen  zur  deutschen  Ondiichle  Bd.  V.> 

*)  In  der  siid.'istlich  von  Gr,in.Ki.i  KLl<."x:cnen  Sierra  Nev-icLi. 

•)  Boabdii  und  nach  Abu!  Hassans  lodc  (H85)  Es  Sagall,  »der  Recke." 

*)  Scdis  Jahre  währte  der  ganze  Krieg  um  Oranada,  nicht  aber  die  Bdagcmng  der 
Stadt.  B)  Binnen  «cht  Wochen  im  Spätherbst  des  Jahre*  -  Wenige  Monate  später 
ergab  sich  Oranada. 


i^'iLjuiz-uü  by  VjOOQte 


Die  tagebuchartigen  Aufzeichnungen  des  Dr.  Johannes  Lange.    42 1 


gebauet,  ^)  und  nochvolgens  im  7.  Jare  von  der  kunigin  Eltza- 
bcth  gewunneu  und  Christen  worden. 

Item  das  halb  tayll  diser  Stat  volcks  sein  weysse  moren, 
welcher  weyber  und  junckfrawen  alle  weysse  schyffhosen  und 
ploderthc  *)  antragen,  und  das  haubt  und  leib  mit  einem  weyssen 
tuche,  vast  wie  bey  uns  die  dorffhirtten ,  bedaydet  paß  auff 
die  waden,  und  das  Tuch  vorne  alle  für  das  halbe  Antlitz  halden, 
und  das  dise  klayde  mögen  ine  nachgelassen  und  freyer  seie, 
muß  ein  Jetzliche  person  dem  kayser  darvon  jerlichen  ain 
ducafen  geben,  und  welche  am  Sontage  die  predige  versäumet, 
dem  pfarher  ein  Reall.  In  diser  Stat  an  den  betigen  sieht  man 
noch  tiffe  gruben,  in  welchen  die  gefangen  Cristen  mit  sambt 
einem  Bischoff  des  nachts  geschlossen  und  am  tage  zu  allerlay 
Arbait  vermyet  und  gebraucht  sein  worden. 

Item  dise  obgemeltle  Stat  ist  an  sandh  Johans  tage') 
erobert,*)  derhalben  sie  jerlichen  an  dem  selbigen  tage  des 
morgen  frue  die  Edelleut  und  Burger  auff  Morischkhen  und 

Turckgsche  art  mit  Schilden  und  lantzcn  gerust  vor  der  Stat 
ein  sctianuil/c!  Iialden  und  einen  triumph  nach  cssens;  so  lassen 
syc  äLili  dem  niarcklhe  sechs  oder  siben  ost[!]  ochsen  dem  geniaynen 
man  jagen  und  stechen,  darnach  komen  die  Raysigen  auff  turckischs 
und  Morischkisch  zu  rosse  gerust  und  in  zway  tayll  getayllef, 
schicssen  mit  schweren  dicken  ruem  uff  einander  und  ein  tayl 
umbs  andere  begibt  sich  die  fluecht  und  stellet  sich  wider  zu 
der  were. 

Dises  Spiel  habe  wir  den  kayser  zu  Granaten  in  aigner 
person  und  gegenwurt  der  kayserin  mit  irem  porthugalischen 


>)  Vgl.  hierta  Procott:  PerdioMtd  und  tnbdit.  Uipdf  1I4S.  I,  411 :  »Die  Stadt 
hatte  eine  vlereckis»r  Otx^tnlt  und  war  mit  'wei  rTäiimiR:cn  Zugängm  vcnefipn,  die  sich  In 
der  Mitte  rechtwinkelig  durch<;chnittcn,  in  1  orni  eines  KrtUJes.  an  dessen  vier  äußersten 
Fnden  sich  stattliche  Tore  befanden.  .  .  .  Als  sie  fertig  Mir,  wur;scliic  das  gan/c  Hevr,  die 
netie  Stjdt  möchte  den  Namen  »einer  berühmtoi  Kfioigin  eihallcni;  doch  IsabeU«  lehnte 
die«  Haldigmig  Iwadiddai  ab  sud  gab  dan  Orte  da  Nuon  Santa-  Fi.' 

3)  Abgeleitet  von  »blöd«»*  1»  flncfc,  laxnm  esse,  bauschen);  vg).  Orfmm:  Denliitei 

WörtertHtch  II.  141. 

»)  3.  jairaar  14M. 

•)  Diese  Noii/  '  i  l  icht  ^.ym  ^aiiu:  die  Bcdirigunv;en  7iir  l'bcrgjtbc  \xurden  von 
Fcfdtnand  und  Isabcila  bestätigt  am  25.  Noveinber  I49t,  die  Übergabe  selbst  und  der 
fderlidK  Einzag  erfolgte  am  I.  Januar  1492;  vgl.  PiCMOtt  a.  a.  O.  S.  4lSf.  sovie  S.  4t6, 
anch  kam.  M. 


Digitized  by  Google 


422 


Adolf  Hasendever. 


fruienzimer  zu  Oianatheit  an  sannt  Johanns  tage ')  Haiden  [sehen], 
in  welchem  drey  menner  von  den  Ochsen  sdni  auff  den  tode 
ven\'undt  worden  und  ein  gaul  mit  einem  Ror  auff  das  haubt 
geschossen,  ist  also  balde  nydergefallen  und  auff  der  stat  belieben. 

Item  den  obeemeltten  Moren  seint  allcrlay  werhee  bc\  m 
zu  tragen,  sie  wnuiern  dan  über  feit,  oder  in  irem  hause  /u 
halden  bey  grosser  pene  verboten,  außgeschlossen  ein  klaines 
protmesser  und  ein  fleyschmesser,  darmit  sie  zuhauen,  welches 
an  ein  kethen  ^efast  i"^t,  derhilben  die  Obrikheit  alle  viertzehen 
tage  ihre  Heuser  lasset  besuchen. 

Item  auff  den  letzten  tage  zu  üranathen  hat  der  kayser 
meinen  ünedigen  herren  in  den  gartten  unter  dem  schlösse-) 
gelegen  zu  besichtigen  den  Morischken  tantz  gefuret,  welche 
alle  mit  sunderlichen  gutten  Perlein  und  edeim  gestaine  umb  die 
ören,  Stirne  und  Arme  getziret  und  gedaydet,  fast  wie  bey 
der  messe  dyaconi,  auff  ires  Landes  art  getantzt  haben  nach 
der  Lauften,  geygen  und  pauckcn,  auff  welchen  3  weyber  bey 
funffzig,  auch  eine  umb  die  viertzig  jare  alt  gespilet  haben  und 
mit  heßlicher  pauerischen  sfymme  darunder  gesungen  und  etliche 
die  hende  ineinander  zu  frolocken  geschlagen. 

Am  ende  des  tantz  seindt  auff  einen  beiig  komen  Morischken 
weyber  und  haben  sich  mit  außshacklen  baynen  uff  einem  sayle 
an  zwyn  nußbaueme  g^knopfft  gegen  dem  kayser  g^schackdt  und 
gerötzschet  und  auff  ir  sproche  gesdirien:  wer  wol  lebet  alhie, 
der  feret  allso  in  den  Himel  Noch  dtsem  tantze  hatt  man  yn 
wasser  zu  trincken  giegeben. 

Item  die  weyssen  moren  und  junckfrauen  in  Castilia  ferben 
[mit]  gelbfarbe  die  N^In  an  den  fingern,  wie  bey  uns  die 
Gerber,  welches  sie  halden  für  ein  sunderliche  zier,  und  ist  einer 
Junckfrauen  ein  grosse  schände,  wann  sie  wein  truncke,  der 
halben  sie  alle  wasser  trincken. 

In  der  obgemelten  Stat  Granathen  macht  man  allerlay  seyden 
geu^ndt,  sonder  ausserhalben  schwartz,  keines  von  ander  be- 
stendiger  färbe  und  weniger  oder  nichts  wolfayler  dan  in  deutschen 


1)  24.  Juni:  Jonnriii  baptiste.  -  Der  V«rlitt«r  wie  «ddi  Leddiiu»  S.IIO1,  Bduncn 

MOf  Orarud.i  sei  im  74.  Juni  gefallcB. 
*}  Die  AUuiiibra. 


Digitized  by  Google 


Die  tagebuciiartigen  Aufzeichnungen  des  Dr.  Johannes  Lange.  423 


üindcn,  niifjLü'noiiicn  döpcl  Taffath,  der  so  [do?  D.  Kcd.J  seer 
wolgematht  isi,  und  perlcin  seindt  auch  do  wolfayl. 

Unib  die  stat  ist  aucli  ein  grosser  histiger  weingarthe  und 
weinbachs;  die  ersten  zwen  tage  haben  wir  kain  bethe  in  der 
Stat  können  bekomen  und  auff  der  erden  gelegen,  darnach 
haben  wir  belhgewandt  von  den  weyssen  moren  bestell,  darumb 
wir  in  funttzchen  ducaten  haben  müssen  verpfenden.  Sein 
14  tag  zu  Granattcn  (gelegen  und  am  7.  tag  July  in  dem 
namen  gottes  mit  treuden  widerumb  gekeret. 

Item  des  kaysers  schloß  ist  von  den  Morischken  auff  einen 
bergk  in  der  Stat  gebauet,  darinne  man  noch  sieht  die  histige 
und  kunstenreiche  bade')  des  Morischken  koniges,  in  welchem 
er  mit  seinen  beybern  gebadet  hat,  welcher  er  dann  vil  nach 
seinem  wolgefallen  gehabt  hat;  und  welche  er  dan  noch  dem  bade 
begert  hat,  der  hat  er  ainen  Apffel  zugeschickt 

Aus  disem  obgemeltten  schlösse,  darinne  auch  ain  weyer 
ist,*)  fleysset  das  wasser  vast  durch  alle  namhafftige  heuser  der 
statt  Oranathen.*)  Ist  ein  ungesunt  wasser,  darvon  man  die 
Rure  lyderlich  uberkomet,  und  haben  kam  ander  wasser,  auch 
kainen  bninnen. 

RedUtts  oder  wldenug  von  OmmUhe»  am  Sibenden  Tag  Jufy 

angefangen,  wie  nadivo^eHi, 

\  meil.  Albaloth.  VI.  July. 

Am  VI.  tage  des  Monadts  July  ist  mein  Gnediger  herr 
von  Qranathen  zu  dem  graven  von  Nassau  in  sein  schloß,  Alla- 
kalahorra^)  goiant,  geritten  und  wider  zu  Ubida  zu  uns  komen; 

>)  In  scinrn  t'pistol.ic  niedidnales  (Basel  15S4)  S.  184  stellt  unser  Vcrf.isscr  dic^ 
Bäder  als  vorbildlich  hin.  ....  quis  balneonim  in  Galliis  et  Romae  fragmrnt.i  et  v-cttis 
etUm  illud  in  Hispaniii  Oranaü  resam  Mauritanite  baUioua  in  «rce  Albambrc  viderit, 
ad  iUonim  normain  comtniere  possit* 

^  Der  bOR.  «Myrtetihof". 
Vgl.  dazu  Leodins  S.  Uta:  «S«la  [ic.  m  admiranda  Oranada'»!,  ett  Dami» 
anntt  sen  torrais,  qui  septeadeocm  miNibo«  ptmmm  ab  tut«  cx  aho  ivgp  «««(i»  Oflua, 
Omnibus  ft-rc  civitatis  domibot  aqtui  abnnde  piaebct,  et  «ahtbentmas  e*«e  dlcunt,  licet 
aliter  dcprehendimus." 

«)  Calahorra  am  Altneria.  Ostttch  von  Omada  (ielbstversfindlich  nicht  Calahorra 
am  Ebro,  «-ie  Meinardns:  Der  Kat7cncl!mboj:en«che  Erbfolgestrcit  l|,  79  meint);  vgl.  die 
begeisterte  Schilderung  dieses  Schlosses  durch  den  nassauisclien  Seliretär  Alexander  SchwdB: 
rund  «as  mir  hcrtilichen  lieb,  das  der  pfjltzgraf  dohin  kam,  allein  nur  'olch  haus,  «an* 
stuut  umb  anders  nichts  willen  gcvescn  war,  auch  zu  besebeo.  Wand  ich  sag  c.  g.  zu^ 


Digitized  by  Google 


424 


Adolf  Hasendever. 


sunder  wir  den  7.  Tag  July  auff  den  Abent  seindt  pali  gegen 
Albaloth  geritten  und  nachvolgens  die  alile  Strasse  biß  zu  der 
venta  le  ruelleos. 

Venta  Le  Ruelleos. 

3  meil. 

Aldo  in  disem  dorff  habe  wir  kärrheii  gemuet  und  wein 
und  Speis  mit  uns  gefuret  von  wegen  der  pöfien  zukunfftigen 
herbergen. 

Venta  de  Canales. 

4  meil 

Ist  ein  aintzigs  hauß  in  einem  wuesten  veldt  gebauet,  dohin 
seindt  wir  über  einen  feur[!]  staynigen  weg  gefaren  und  nicht  also 
vil  Walsers  bekomen,  daß  wir  die  pierde  und  Esel  betten  können 
nach  notdurftt  trencken. 

5  meil.  Alamacra. 

Ist  ein  Stetlein  dem  Neuenniarck  gleichmessig,  darinne  uns 
die  Pucker  beherberget  und  alle  erhe  ertzaigetten.  Aldo*)  haben 
die  Fucker  des  kaysers  und  etlicher  ortten  Hisponie  zehenet  be- 
standen, darvon  sie  sich  betzalen  von  des  kaysers  wegen. 

Auff  disem  wege  zwu  meylen  von  der  obgemeltte  venta 
scbepfft  man  an  einem  Rade  mit  einem  Esel  wasser,  das  verkaufft 
man  den  Eselin  und  pferden  und  menschen  ain  trunck  umb 
ayn  heiter. 

5  meil. 

Ist  ein  dorff  nit  groß  aui  disem  wege.  Ist  bey  einer 
Meile  ein  zerbrochen  sloß,  bey  welchem  das  vadianuni,  das  siben 
meil  under  der  erden  fleust,'^)  wider  herfur  an  Tag  entspringet 
Ist  ein  dar  wasser  und  hat  doch  einen  bösen  Rauch. 


dflt  Ich  vn  hfibictaer  bem  hauer  In  Htotitniai  gjiewhen,  aber  nodi  kdn  «o  Imdg,  aadi 

reich  von  mcrmclstpynen,  senlen,  stiegen  und  ."indcrm  intd  sunderlleh  \on  so  guten  ordi- 
r.antien,  als  das,  da^  auch  mit  seinen  vIlt  thiirnicn  ii-iibher  und  t^tcn  v<stun)?rm  und 
ijcschut/  imcli  diL-scr  bridart  «nl  vcrselin  uml  an  allctii  nicliti  gespart  ist.    .  .  .    Ich  hett 

gern  gehabt,  das  lu.  g.  b.  c.  g.  das  haus  hett  abessen  lauen  und  zugeschickt,  so  mönt 
sein  g.,  es  wer  nit  «ol  tmiiilidi,  das  es  «o1  verstanden  mocbt  Verden.*  (AI.  SdiwdB  «a 
Qraf  Wilhchr  von  Nassau.    Cifnhorra.  9  Juü  i         Meinardu-S  a.  a.  O. 

')  hl  Alinigro  war  der  Sit/  der  Oencr.ilvcrviaUuni;  der  Tu^crschcii  l'.«cli!ung  am 
den  Einkünften  der  drei  si\iiiischen  geistlichen  Ritterorden  Santiago,  AJcantara  und  Cala- 
trava.  Zur  Sache  vgl.  IC  Häbler:  Die  Oeschichte  der  Puggcrscben  Handlung  in  Sfonicn 
(Weimar  miy  S.  72  ff..  Ober  die  Nlcdcrtassnng  in  Almagro  dxnda  S.  79fr. 

*)  Oiiidiana,  im  Altertum  Anas.  Vgl  Pauly-Wissova:  Rea!m7yklopädfe  des  kla^- 
siscliLti  Altertums  (Stiitt^rt  1894)  Bd.  I*,  Sp.  2064:  «Anas  ..  .  nimmt,  nachdem  er  anfangs 
in  einetu  rc^^eiiT: ai  ij^en  Hcite^  zuwdlen  ttQter  dcr  Ente  sidi  verlierend,  veMwirü  gicstrihnt,. 
eine  s&dliche  Richtung.' 


Digitized  by  Google 


Die  tagebuchartigen  Aufzeichnungen  des  Dr.  Johannes  Lange.  425 


Item  mein  G.  H.  hat  seyden  zu  Granathen  umb  zehen  ducaten 
gei<aiifft  und  sein  gülden  Paternoster  achtzig  gülden  werdt  zu 
Alamagra  verlorn;  die  hat  der  Futkcr  diener  here  gegen  Malai^^on 
und  das  paternoster  gegen  Tholeth  uns  nachgefuret  und  Uberant- 
wort, darumb  in  mein  g.  H.  mit  einem  seyden  wambes  vereret  bat 

4  mei).  Venta  Sutanda. 

Ist  ein  hauß,  eytzlich  in  feldt  gebauet,  und  so  wir  kain 
kamer  noch  bethe  darinne  gefunden  haben,  seyndt  wir  die  g^ntze 
tiachtvierMeylen  gegen  Jeuenesgetzogen  und  auff  dem  velde  gessen. 

4  meil  Jeuenes. ') 

Ist  ein  dorff,  darinne  man  doch  ailerley  hantwercksleut  f3'ndet. 

Auff  disem  wege  sein  wir  in  der  nacht  durch  einen  Aqua- 
dudum  gerithen,  uff  weichem  das  trinckwasser  in  die  Stat  Tholeth 
gefuret  ist  worden  und  auch  in  eine  andere  Stat  uff  der  recbtten 
handt  gelegen. 

Item  ain  meyle  vor  der  ot^emeltten  venia  ist  ein  berg,  an 
welchem  sechstausent  Piscayn  haben  1 5  Tausent  Moren  erschlagen, 
darumb  man  noch  auff  dem  berge  all  enden  in  den  klaynen 
staynhauffen  vil  Creutze  stecken  sieht 

4  meil.  Zoffrinum. 

Ist  ein  haimlich  groß  wolgepauets  dorff,  darinne  wir  gulte 
tierbcrge  gehabt  haben,  hat  ein  grosse  weinwachs  und  holtz  ein 

notdurfft. 

Item  in  dem  konigreich  Navare  und  Castilia,  auch  sonderlich 
in  Oittilonia  von  wegen  Abbruch  des  Regens  und  wassers  haben 
sie  in  den  gerihen  Bronne,  darauf f  sie  mit  einem  wasserradt  den 
gantzen  garten  bei^issen,  darmit  sye  in  den  heyssen  monadten 
die  fruchtbaren  bäume  und  pflantzen  erhalden. 

3  meil.  Tholeth. 

Ist  ein  Stat  fast  also  Nurmbcrg  groß  ongeveriicli,  hat  drcy 
zimliche  berge,  und  daran  fleusset  das  wasser  Tagus  genant; 
aldo  sein  die  Thumbherren  meinem  Q.  H.  entgegen  gerythen, 

1)  Yibenes. 


426 


Adolf  Hasendever. 


und  in  dnes  thumbhemi  hause,  mit  graß  und  bauem  gdzirt, 
beherberget,  und  vor  essens  des  gestiffts  kleynet  und  Iic>  lüiumb,') 
hundert  tausent  ducaten  werth,  getzaiget,  welches  konig  ferdi* 
nandus  und  konig  Ludwig  auß  Franckrdch  in  von  Canstantinopel 
zugeschickt  hatt,  des  brieff  und  Sydel  sie  uns  audi  zaigten. 

Diß  gestiffts  Btschoff  hat  jerlich  achtzig  teusent  ducaten 
Rendt')  und  ein  kirchen,  der  gleichen  mit  zierheit  der  Capein 
lind  e^cbcude  ich  in  gantz  Hisponia,  Franckrcich  und  in  deutschen 
LanJcri  nicht  gesehen  habe;  hai  zu  erhalüunge  des  gebeudes 
jerlichs  Rendt  10  tausent  ducaten. 

Ilem  in  discr  Stat  ist  mein  gncdiger  h.  mit  sambt  dem  hcrren 
von  Haydeck,  Jobsten  Prantner,  Santi  Marie  und  Bastei  Barbirer 
die  post  auff  den  Reichstag  gegen  Speyer  gerythen,  und  ich  bin 
mit  saniht  dem  Marschalck  und  andern  gesynde  diße  noch- 
geschribcn  weckh  getzogen.  In  diser  Stat  ist  gantz  bose  trinck- 
wasser  und  secr  böser  geschvvilder  lufft;  darin  man  vor  tzeitten 
offeliche  freue  schulen  der  swartzen  kunst  gehalden  hat. 

6  meil.  Lyestkes.') 

Ist  ein  zimlichs  dorff,  in  welchem  wir  unser  spey^e  und 
lichte  vor  des  wirths  dybischen  tochtern  nicht  verhaiden  konden. 

Diesen  im  ist  vast  grosse  hitze  gewest,  und  des  nachses[!] 
des  marschalcks  zeitter  ym  stal  gestorben. 

6  meil.  Matril. 

Ist  ein  zimliche  grosse  stat,  darinne  der  Moren  konig  ist 
gefangen  gehalden  und  jefz  diser  konig  von  Franckreich  auch 
gegen  neun  monedt  gefangen  gehalden.  Dise  Stadt  leydt  mitten 
in  Hisponien. 

>)  Wahrscheinlich  die  Custodia;  vgl.  über  dieselbe  Th.  von  Bemhardi:  Reise> 
Erinnerungen  «us  Spanien  (Berlin  1886)  S.  422:  .Namottlich  besitzt  diese  KindiC  die 
berühmteste  und  f^öttic  silberne  Custodia,  die  es  überhaupt  gibt,  die  ihres  Umfanges  wegen 
auseinandergenommen  und  verpackt  aufbewahrt  und  nur  zum  Frohnleichnamsfest  zusammen- 
gcfij.tlt  wirii ;  ^ic  wird  d.inn.  «ic  man  vii;t,  durch  8üO<Hi  SchraiilKTi  /usaitinicnKclialten.  l')ie 
Anweisung,  wie  die  einzelnen  leilc  aneinander  zu  fügen  sind,  füllt  einen  kleinen  Oktav- 
band."  -  Ober  ein  anderes  besonderes  Kleinod  dieses  Stiftes,  das  hier  «nch  gemeint  sein 
kann,  vgl.  Rozniital  a.  a.  O.  S.  »87:  „in  der  stat  sahen  «ir  san(  Johaiis  Bapüslae  haiibt 
und  vil  kostlichs  heiltum,  und  sahen  die  kostlichsten  l>ibil.  die  man  meint,  die  in  der 
Ctiiti-nhcii  ücy."  -  Uber  die  Schätze  dir  K.-.fhcdraic  von  Toledo  insgaant  Vgl.  M.  WiU- 
komm:  Wanderungen  durdi  ....  Spanien  (Leipzig  16S2)  II,  306  ff. 

*i  Ober  die  Einkfinfle  dn  Erzbifcbof»  von  Toledo  vgl.  Piescott:  fenUiiaad  imd 
Isabella  1, 34  f.  sowie  II,  sa6.  An».  14. 

•)  lllescas. 


Digitized  by  Google 


Die  tasebiidiartlgen  Aufitdchnungen  des  Dr.  Johannes  Lange.  427 


7  meil.  Santh-Augustin. 

Ist  ein  dorff,  darin  wir  bösen  wein  und  stincken  wasser 
liaben  müssen  tnmcken,  dan  dem  Esel,  den  wir  mil  4  krogen 
ein  halbe  iiieyle  nach  wasser  geschicket  hetten,  den  hafte  ein 
ander  lediger  esell  umbgestossen  und  die  wasser  kruge  zerbrochen. 

7  nieil.  Butrago. ') 

Ist  ein  kleines  Stetlein  de?  hertzoi^an  von  Cmadalaschara 
an  einem  wasser  und   lustigen  gepirgen  mit  sambi  dem  eim 
wolgebauten  schlösse  gelegen;  aldo  haben  wir  an  santh  Jacobs^) 
abent  fleisch  gessen. 
7  meil.  Busigillas.«) 

Ist  ein  dorii  au  ff  einem  fruchtbaren  und  getraidraichen 
erbothen  gelegen,  de  haben  wir  pösc  wasser  gehabt  und  gantz 
ein  büse  hcrberge  und  mangel  am  brothe. 

Dise  tagrayse  ist  durch  einen  heymlichen  lustigen  tall,  auß 
welches  berge  vil  gutter  bnip.iic  entspringen,  und  das  korn  und 
gerste  noch  umb  sannt  Jacobs  Tag  bluet,  sunst  in  gantz  Hy- 
spania  all  enden  abgeschnitten  und  außgetroschen. 

7  meil.  Aranda  de  Duro. 

Ist  ein  Stat  also  groß  alls  der  Neuen margkt,  dardurch  ein 
grosses  wassers,  Duro  genant,  fleysset  und  hat  grossen  und 
fruchtbaren  weinwachs  und  auch  getraide. 

7  meil.  Lermes. 

Ist  ein  kieins  Stetlein  uff  einem  hohen  berge  gelegen,  do 
man  die  grönen  vische  ane  wissen  des  pflegers  nit  verkauffen 
darff;  aldo  hin  ist  des  vice  Regis  von  Neapolts  hoffgesinde  auch 
alldobin  komen. 

7  meil.  Burgos. 

Ist  ein  Stat  in  der  groß  Amberg,  an  einem  wasser  gelegen, 
daran  ein  grosser  handel  mit  wolle  ist,  und  hat  in  der  Stat  ein 
Bisthumb  und  wolgebauete  kirchen  mit  gezincthen  thurmben 
vast  woU  getziret;  in  welcher  Stat  der  Contestabuli  hat  eine 

1)  Bialngo.        ^  25.  Juli.        S)  BocQtuilJos. 


428 


Adolf  Hueodevtr. 


solche  lustige  wolgeteirte  Oipel^)  gebauet,  der  gleidi  in  Hi- 
sponia,  Franckreich,  Italia  und  Germania  nit  befunden  wirt 

Vor  der  Stat  ist  sanct  Augustin ku che,  in  welclier  in  der 
Capel  des  Creutzgangfcs  stet  ein  Crucifix,  welches  auff  dem  wasser 
ein  kauffman   gefunden  hat,   und  Nicodemus  nach  der  u'estalt 
Jhesu  Christi  am  Creutze  hangende  soU  geschnitten  haben 
bengen  darbey  viü  wexerbilde. 

Auß  diser  kirchen  vor  zwayen  Jarcn  am  heyligen  Char- 
freytag*)  ist  ein  pueßfertiger  sunder  wallen  gegangen  und  ain 
kreutz  auff  seinem  Rucken  getragen  und  under  seinen  fuessen, 
wo  er  gangen  ist|  ist  das  gniB  alles  verbrant  und  verdorret: 
Nu  rathe,  wer  mag  das  gewest  sein?^) 

Item  ein  halbe  meyle  vor  der  slat  ist  ein  königlich  hospttall» 
welches  hat  sechs  tausent  ducaten  jerlichs  Rendls,  darvon  elzlk^e 
Reysige  edelleut  in  dem  hospital  wonende  erhalden  werden, 
und  von  dem  uberigen  alle  Jacobsbruder  gespeysset  und  beher- 
berget ain  nacht  und  die  krancken,  piß  das  sie  genesen.  Dises 
Spitals  Spitalmayster  hat  mit  sainbt  seiner  tochter  bey  500  Pil- 
gramsleut  mit  gift  getodet  und  ire  Barschafft  behalden,  darumb 
er  auch  gericht  worden  ist  mit  sambt  der  tochter. 

Dise  stat  leut  auff  der  rcchtten  Strosse  zu  sanct  Jacob,*) 
darvon  noch  zu  sannt  Jacob  gerechent  wirt  hundert  meyl. 

Item  in  einem  dorffe  von  Biirgus  ain  meyl  an  der  Strasse 
treibt  man  des  morgens  frue  die  kliue  bey  dem  kirchoflen  durch  ein 
stöle  und  besprengt  der  briester  das  vtche  mit  geweihttem  wasser. 

8  meil.  Breineske.«) 

Ist  ein  kleines  Stetlein  des  Contestabuli,  darinne  der  jOngste 
son  des  koniges  von  Franckreich,  hertzog  zu  Orliens,^  gefangen 
Wardt  und  mit  Spissen  und  krichsleutten  bewardt  war. 


>)  Die  grolle  gotische  .Capilla  del  Condcstable«  in  der  Xklhcdnile  hinter  dem  Hoch» 
altar,  seit  M82  für  den  Cor-nd  tbl.-  Pedro  Hcmandez  de  Veh?co,  Qrafen  von  Huo.  obaaL 
*)  \gl  hierüber  sehr  ausführlich  Kozmiul  a.  a.  O.  S.  168  ff, 
■)  SS.  Mirz  1524. 

*)  Ich  vermat:  leider  nicht  anzugeben,  um  \ren  es  slcb  Wer  banddt. 
*)  San  lago  di  CompostcUa.  Bribicska. 

I)  Der  spitm  K6n1s  Hrinridi  lt.  Yon  Fnuikreich;  er  wie  «dnillHcr  Bmder  waren 

auf  Orund  dvi  Pricdrns  von  Madrid  an  Kaiser  lOui  «IS  OdKln  fBr  die  pankttiche  Dttldl- 
führung  der  Bestimmungen  ausgeliefert  vordco^ 


I 


i^'iLjuiz-uü  by  VjOOQte 


Die  Ugebucbartigen  Auteidinungen  des  Dr.  Johannes  Lange.  429 


7  nieil.  Mi  ran  da. 

Ist  ein  kleines  Stetlein  am  wasser  Ibero  gelegen,  darinne 
der  eiste  Son  des  konigs^)  von  Franckreich  Delphin*)  gefencklich 
bewart  wirhe. 

PysÜtaya  das  Landt 

5  meii.  Victoria. 

Diß  ist  ein  zimliche  grosse  stat,  hat  in  einer  meyle  umb 
sich  mer  dan  60  dorffer  ligende.  Ist  ein  anfonck  des  landes 
Piscbaye,  welches  zwusdien  den  bergen  leydt  In  einem  tall 
darinne  nichts  mer  dann  Opffel  uberflussiglich  vil  wacfassent, 
darvon  sie  iren  tranck  machen,  und  vil  eysenhemer  haben  und 
fast  gantz  Castilien  mit  eysen  versorgen  und  Britlannia,<<)  welchem 
sie  bey  fönte  Rabinie*)  eysen  umb  kom  und  js^etraide  über  das 
nierhi  zuschicken.  Diß  Landt  hat  schöne  wcibsbilder  und  be- 
schorne  kolbige  Junckfrauen  und  ein  sonderliche  spreche,  welche 
sich  mit  keines  andern  Landes  spreche  vermischt  und  vergleichet. 

Item  zu  Victorie  seint  uns  betrieglicher  weyse  paßbrieffe 
ein^eret  worden  von  der  Stat  obristen,  und  die  wirthia  hat  den 
Marschalck  für  einen  Juden  gehalden  und  j^escholtten,  derhalben 
&ie  auch  in  anderthalben  stunde  uns  kain  brot  wollte  verkauffen. 

5  meil.  Alharta. 

Ein  dorff  under  sannt  Adrian  berge  gelegen,  darinne  wir 
schwartze  wein  und  dicker  dan  die  tinckte  und  sauer  haben 
müssen  trincken. 

Santh  Adrian  bergk.^) 

Ist  vast  einer  deutschen  nieyien  hoch  gantz  böses  sleyniges 
weges,  welcher  schwarlich  auff  zu  reyten  ist  und  ungleich  herab 
zu  reyten.  So  man  von  der  höhe  herab  zeyhet,  so  muß  man 
durch  einen  außgehom  (ader  durchholertten)  vels,  großer  dan 
ein  zimlicher  grosser  keller,  reyten,  darinne  man  ein  kleines 
Capellelein  findet  und  auch  wein  sambt  einer  schonen  wirthin. 

')  Karl;  Rcst.  1536.      *)  Am  Rande  mit  roter  Tinlc:  .Der  Delphin*. 
>)  Bretagne.        *)  h'uentenabü.  Sierra  de  San  Adrian. 


430 


Adolf  Hasenclever. 


3  meil. 


Seen  ra. 


Ist  ein  kleins  Stetlein  under  sannth  Adrian  berge  gelegen. 
Diße  8  meylen  scint  wir  dnen  tag  geritthen  mit  sonderlicher 
muehe;  ich  lialts  dafür,  das  in  anderthalber  meyle  umb  dise  stat 
mer  öpffel  dan  in  meines  gnedig^n  herren  hertzogthumb  wachssen. 


Auff  diseni  wege  hats  vi!  Opiielbaum  durch  den  gantzen 
tall  und  ein  sehen  mer,  ^)  derhalben  [man]  auch  in  disem  steüein 
4ie  besten  hyspanischen  Spaden  macht 

Auff  disem  wege  sieht  man  offt  in  einem  klaynen  Acker 
acht  hundert  junger  Öpffelbaume  zwayer  eilen  hoch  gepflantzet, 
und  vast  in  vill  gertten  jung^  eschenttaume  vom  stamen  biß  in 
den  gypffel  beschnytten  und  ein  dreytzehn  eilen  hoch  und  nicht 
dicker  dan  5  aber  vier,  auch  7  vinger,  darauß  sie  gantz  veste 
4ind  werhafflige  Lantzen  und  knechstzspiesse  machen  in  der 
Pyschkay  und  sich  allayne  der  erbait  etlicher  hantwerdcsleute 
erneren. 

Sant  Marie  de  Korne  und  Fonteraui.*) 

Ist  ein  klaines  dorff  am  eusem  merhe  gelegen,  ein  klaine 
halbe  meyle  von  der  Stat  Fonterraui,  welche  am  mereh  Icydt, 
nit  vil  grosser  dan-  Sultzpacb,  welche  der  konig  von  Franckreidi 
hat  vor  funff  Jaren  dem  kayser  abgewunnen,^  durch  die  deutz- 
schen  Landsknechtte,  und  über  zway  jar  hots  der  kayser  mit 
den  obgemeltten  knechtten  widerg^onnen.*) 

In  diser  stat  zu  besichtigen,  wie  sie  zuschössen  und  ge- 
wonnen sey,  bin  ich  mit  dem  marschalck  gefaren  auff  dem 
merehe,  und  weyl  wir  wider  heimfuhren,  ist  das  merhe  nach 
seiner  eigenschafft  uns  entwichen  und  das  schiff  uffgestanden, 
daz  man  uns  ein  teyl  wegs  hatt  müssen  aulJ  dem  wasser  tragen, 
und  des  andeitaylb  haben  wir  zu  fuesse  durch  den  schleym  und 
kolt  muLssen  wathen.  Uber  dem  wasser  bei  Sannt  Marie  fanget 
an  Franckreich. 


1)  Die  von  mir  gc$trbene  LesMt  M  tweifetlm;  den  Sim  vcrstdM  ichnidiL  (Eiacn« 
hämmcr    Ü.  Kcd.   \^\.  S.  429.) 

Fuentcrrnbia.       •)  Im  Septonber  1SS1  dttrch  den  Adminl  Bomilvci 
*)  Im  Februar  t5l4. 


5  nieyicn. 


T  h  0 1  osetha. 


Die  tagebuchartigcn  Aufzeichnungen  des  Dr.  Johannes  Lange.  431 


Principium  regni  Francie. 
An  disem  wasser  leydt  des  kaysers  schloß,  darauff  er  etz- 
liche knechttc  heldt,  die  oiie  paßbrieve  des  kaysers  nyemandts 
in  Fnmckreich  lassen,  und  allein  müssen  die  kaufleute  alle  ir 
gutter  vertzoHen. 

Von  den  hispanischen  herbergen  und  wirtthen. 

Der  diße  obgemeltte  Strasse  mit  etzlichen  pferden  ader 
fueßkncchtten  in  Hyspanien  ziehen  will,  dem  ist  von  notten,  das 
er  auß  und  ein  zu  reytten  sicher  gelayte  habe  des  Königs  von 
franckreich,  sunst  wirt  er  an  frontirn  oder  Grentzen  gefenckiich 
auffgehaltten,  und  auch  von  dem  Kayser  schryff[t] liehen  und  ernst- 
lichen befel  habe  an  alle  stette  und  dorffer  Hyspanie,  das  man 
im  herberge  schaffe  und,  weß  er  notdürftig  sey,  umb  ein  zim- 
lieh  geldt  verkeuffe  und  mitlheyle. 

Zum  andern  das  er  an  der  frontzosischen  grentz  zu  Bayona 
kauffe  shiel,  Tisch,  hälfen,  brolspeis,  kessel,  Kellen  und  pfannen, 
waz  man  in  der  kucben  geprauchet,  und  uff  einem  Esel  nach- 
fure,  dan  in  den  Hisponischen  Herbeigen  vindet  mans  nicht  zu 
kauffen,  noch  zu  entlehen,  und  so  sie  doch  solchen  obgemeltten 
haußroth  hetthen,  das  do  seltzam  ist,  so  verleugnen  sie  den  und 
verschliessen  in.  Auch  findet  man  in  obgemeltten  herbergen 
kain  stallunge,  kain  heue  noch  streue,  auch  weder  roBbaren^) 
noch  rayffe,  sunder  klein  zerriben  Strohe  glydtslang  und  gerste, 
auch  waitze  an  stat  des  haberns,  dariiiit  man  fuetterL 

Das  beiligcwant  ist  nicht  von  iedern,  sunder  mit  wolle, 
etzHchs  auch  mit  erbstroe  außgcfüllet  und  die  Lcyloch  sein  von 
vast  gutter  und  subtiler  leynbath,  welche  sie  mit  waschen  sauber 
und  reyn  Halden,  jedoch  hätten  on  vil  orten  die  leuse,  wantzen 
und  niuckhen  die  herberge  vor  uns  bestelt  und  emgenomcn. 
Auch  vindet  man  vast  in  allen  Heusern  Hyspanie  und  sunder- 
iich  yn  den  herbergen  kein  haymlich  gemach  oder  sproch- 
heuslein,  sunder  yderman  leufft  in  die  stelle,  darvon  die  stallunge 
also  stincken,  daz  nicht  wunder  wer,  das  gestancks  iialbe  die 
geulle  verduri>en.^ 

')  Krippen. 

»)  Vgl.  hierzu  Alvin  Schultz:  Das  häusliche  Leben  der  europäischen  Kiilhirvölkcr 
vom  Mittelalter  bis  2ur  zweite»  Hälfte  des  IS.  Jahrhunderts  (München  1903)  S.2S:  »Bei 


432 


Adolf  Hasendcvcr. 


So  aber  der  htußwirth  ein  stathafftiger  man  istj  so  boldt 
er  zwe  seiie  eingeschlossen,  die  lest  er  auff  den  abent  den  un- 
Hat  ttffessen,  das  er  ym  darmit  auch  einen  nutz  schaffete. 

Item  in  den  hisponischen  herbergen  vindet  man  seltten 
holtz  zu  kochen  oder  des  brots  ein  nolturfft,  dan  von  wegen 
mangel  des  holtz  helt  man  in  den  dorffern  und  stctlcin  einen 
geinayacn  Ofen,  darin ne  ein  ytzlichcr  iiauiiwirth  ym  nicht  mer, 
dan  er  auff  ein  tag  nottürfftig  ist,  pachen  lest,'  derhalben  die 
obrikheit  hat  müssen  offte  schaffen,  das  man  vor  uns  auch 
bueche.  Ursache  solcher  bösen  und  ungebauten  herbergen  ist 
des  Landes  unfruchtbarkheit  und  das  ein  itzlicher  burirer  in 
Castilia  schuldior  ist,  die  edeileute  halb  unibsunst  zu  behcihcrgcn 
und  in  das  halbe  tayl  ires  hauß  und  haußraths  einzugeben,  der 
halben  die  Heuser  nicht  stathafftig  gebauet  werden.') 

Itcm  Hysponia  ist  ein  seer  birgiß  Lande  von  gantz  un- 
truchtbam  gebirge,  halt  starcke  ungebreuchliche  weyne,  welche 
man  in  erdthefen  haldet  und  in  gezierhtten  Qeyßheutten  über- 
landt  füret,  darnach  sie  alle  schmecken,  und  dysse  wein,  so  man 
sye  trincket,  mflessen  das  halbe  ader  drytthayl  mit  wasser  ge- 
mischen{!J,  und  von  dem  ersten  Trunckhe,  den  einer  trinckhet, 
bricht  im  von  stund  an  der  Schweis  über  den  ganzen  leyb  auß. 

Auch  seint  vast  alle  stett,  heuser,  thurme  und  Statmauern 
in  Hysponia  nicht  von  holtz  oder  Steine,  sunder  von  gedurthen 
erdtkloBen,  wie  die  ungebranthen  ztegel  gemacht,  gefaauet  und 
geweyfiset.  Auch  bedarff  Hysponia  nit  sunderlich  vest  gebeue, 
dan  mans  des  wassers  und  herberge  und  allerlay  provandt  ge* 
brediens  halbe  und,  das  stethe  vast  weyet  von  einander  ligen, 
kan  sich  kein  beer  in  hysponia  lang  erhaltten,  derhalben  man 
auch  in  der  nacht  die  stette  nicht  zuschleusset. 

aller  Pracht  tclil'.c  .:i  ütu  Konig&schlüsscrn  manches,  «as  uns  als  uiibcUingl  erforderlich 
erscheint  ....  Hier  mag  nur  darauf  hingewiesen  werden ,  daß  in  den  französischen 
Königsadilösscm  und  nicht  minder  in  den  spanUchen  eine  uns  unbegreifliche  Unsanfacriieit 
herrsdite.  daB  die  Besucher  «ich  Frdheilen  gestatteten,  die  sich  lienfe  einer  in  dem  Innslen 
Hnu'C  lüctit  crlaubm  lÄ-firJe.  Die  Foljjc  davon  war,  daß  bei  .tH  lU-m  I  uxii5  die  KimnC 
der  i^^i.i^^c  vua  ubku  üvrutliin  t*nülU  erschienen.  Die  Leute  u.irin  aLtr  daran  gewöhnt 
und  fanden  nichts  daran  auszusetzen." 

1)  Man  vergleiche  mit  dieser  Schilderung  spanischen  Hertiergsvesens  im  Jahre  1926 
das  Urteil  des  Nümbergers  Oabri«!  Tetzel  aus  den  seduiger  Jahren  des  15.  JArhunderte 

I'lI  P'>ziint.il  n,  .1.  O      170  und  besonders  den  bcÄ-cgliclitn  Schluß  seiner  Klnp?:    also 

dii  ich  mein,  das  die  Zigeuner  in  allen  landen  gar  vil  herrlicher  gehalten  werden,  dann 
wir  in  dem  land  gehalten  wurden.  Man  findet  gar  selten  huner,  ayr,  milch,  käs  noch 
schmalz,  wann  es  hat  itdn  Ini,  und  i6t  selten  fldscb,  und  lüt  nichts  dann  der  frachL' 


Digitized  by  Google 


Die  tagebucbartigeii  Aufzeichnungen  des  Dr.  Johannes  Lange.  433 


5  meylen-  Bayonia. 

Aldo  habe  wir  das  kochgeschir  müsse  umb  zwue  Cronen 
geben,  welches  wir  umb  13  Cronen  nicht  gekuifft  hatten(i],  und 
sein  ain  lag  still  gelegen. 

CastoniiL 

4  mdh  Sanct-Vintzentz. 

Alhie  sein  wir  ain  und  dreissig  nieylen  über  die  Castanische 
grosse  hayde  getzogen,  welche  eben,  sandig  und  unfruchbar  ist, 
hat  das  euser  merhe  nune  auff  der  lencken  hant  paß  gegen 
Burdeos  flycssen,  über  welches  kain  erdreich  wonhafftig  gegen 
niittemacht  weytter  befunden  wirt,*)  an  welches  mer  wir  offte 
sein  gewesen  und  etzliche  nieylen  daran  gerithen. 

3  meil.  Mayestke.*) 

Ist  ein  düilt  der  Castanischen  hayde,  darinne  wenig  wein- 
wachs und  vil  hirsche  befunden. 

6  meyl.  A 1  h  a  r  r  e. 

Ist  em  dorff,  darinne  man  in  kainem  geflochtten  korbe 
die  bynen  auffyng. 

,  Reboffier. 

4  meyl. 

Ist  ein  klaynes  stetlein,  darbey  der  Bastei  Barbirer  auff  der 
postht  sein  messer  hat  verloren. 

4  meyl.  Moret.*) 

Ist  ein  klaines  dorff,  hat  auch  vill  hirsche. 


I)  Eine  recht  merkwürdige  Notiz  in  Anlxtracht  der  großen  Entdeckungen  der  Spanier 
vihrend  der  letzten  Jahrzehnte;  ich  möchte  sie  dahin  deuten,  daß  unser  Verfasser  nur  von 
Inseln  im  fernen  NX'cltnieer  gewußt  hat,  «ic  auch  aus  folgender  Stelle  ielm  f  nn  Jahre  1554 
in  Basel  crsducnenen  epistolaus  medicinaks  (S.  253)  bervorgdit:  «Nee  soa  laude  fraodandi 
innt  itloirtrls  Ferinumdnttn  Cistiliae,  ac  tolumnes  et  HcnHcns  k  Enuuad  indyti  Porta- 
galliac  regr-  qTtnnim  opera  et  expensts  saluberrimum  illud  ligntun  Guaiacum,  quod  nuprr 
ab  Austialis  Uceani  insulis  nobis  allatum  est:  quo  uno  plus  commodi  miseris  moftalibus 
attulemnt,  quam  omnes  iiU  avaridae  cuniculi,  metellonun  argenti  et  auri  fossores:  qal  dura 
in  Tiicen  terrae  crnntoai  ptnatis  saevinot,  plus  apcndont  et  iniumont,  qoani  cnnnt;* 
dne  Bemerlmng,  «Ue  anf  die  Vettamdtaming  unaaca  Verfttim  dn  inflimt  intcfCMaittea 
Lkbt  wirft 

»)  Magescq.  Muret. 

Ardiiv  für  Kaltnrgnchidite.  V.  28 


434 


Adolf  hiasenclever. 


4  meyl.  Bargk. ^) 

Ein  dont,  von  welchem  der  Bock  einen  botten  geschickt 
hat  nach  seinem  Rapier  zu  Moreth  verlosen. 

Xanthonia.  ^) 

6  mcyl.  Burdeos. 

Aldo  endet  sich  die  Castanier  grosse  hayde,  in  weldier 
gantz  vil  Hirsche  und  flachs  gebauet  wirt.    Alhie  sein  [wir} 

widei"  aufl'  die  alten  und  ersten  Strosse  konicn.  I-'iß  L:.e>::ea 
Ponth,  aldo  sein  wir  wider  von  der  ersten  Strosse  gewichen 
gegen  Econio. 

5  mcyl.  ' 

Ist  ein  doiff  nit  weyt  von  Coniak,  weldis  auff  der  rechten 
hant  leut,  gehört  zu  dem  hertzogthumb  Angulem. 

Auff  disem  wege  3  niejlcn  von  iicuaiü  sein  wir  über  das 
wasser  Scherranda-)  gefaren. 

4  meil.  One. 

ist  ein  klaincs  Stctlcin  des  Hertzogthumbs  Angulem. 

5  meil.  Santh  Ligir  de  Meli. 

Ist  ein  dorff,  ein  halbe  Meyle  von  der  biat  Meli  *)  gelegen 
uff  der  rechtten  hant. 

,  Lusmer. 

7  meyl. 

Aliiic  hat  der  Air.btiiian  uns  wollen  auffhalden  und  nicht 
lassen  passiren,  auffs  letzte  doch  uns  vergönnet,  doch  also  das 
wir  an  königklichem  hoffe  angetzaigten,  das  wir  bey  uns  hethen 
Steffan,  des  von  Rogendorff  kayserüchs  haubtnians  diencr,  welcher, 
so  wir  yn  haben  am  hoffe  angetzaigt,  hat  müssen  widerumb  in 
Hyspanien  reutten. 

Alhie  sein  wir  wider  auff  die  alden  slrosse  komen  bis  gegen 
Porthpil,*^)  do  sich  endet  Xanthonia  und  fenget  an  Tburenia, 
des  Bischoffs  von  Thors  landt. 


>)  l.e  Barp      «)  SiiatongB.     *)  Cluureiite.     *)  M«Ue  mr  BCroone.       Le  port 

de  Fiic«  an  der  Creuse. 


i^'iLjuiz-uü  by  Google 


Die  tagetmchartigen  Aufzeichnungen  des  Dr.  Joiianncs  Lange.  435 


3  meiL  Santh-Moer.^) 

Ist  ein  kleynes  Stetlein,  hatt  aber  vil  volcks. 

4  meil.  Mambason.*) 

hl  ein  kleines  Stetlcin  an  einem  grossen  wasser  Scheer*) 
gelegen,  hatt  auff  dem  berge  ein  Sloß. 

3  meil.  Thors. 

Ist  ein  wollgebauthe  stat,  darin  sant  Martin  begraben  Icudt 
hinder  dein  hohen  altar,  welches  grab  vor  etzh'chen  Jaren  mit 
Silber  woll  gezirt,  sey[t]her  ictz  durch  den  konig  in  ciisen  kriegs- 
leuffen  seer  entplost.  In  diser  stat  hatt  man  allerlay  und  vil 
hantiiwcrgksleudt,  darin  man  auch  allerley  seyden  gewant  machet. 
An  diser  Statt  fleuß[tj  auch  das  namhafftige  wasser  Ligeris  genant, 
frantzosischs  Loer. 

7  mdl.  An, baß.') 

Di6e  Siben  meylen  sein  wir  stets  an  dem  über*)  des  wassers 
Ligiris  getzogen,  und  uff  der  recbtlen  handt  an  den  bergen,  in 
welchen  über  150  Heuser  gehauen  sindt,  und  under  der  Strosse 

seindt  auch  Heuser,  darüber  man  reyt  und  feret  Einwoner 
diser  Heuser  machen  seher  viel  ziegel  zu  decken  und  zu  pflastern. 

Alhie  zu  Ambaß  hat  man  dem  Marschaick  in  dreyen  li  iichen 
uberantwuri  die  siiber  und  ubergolthe  Crcdents,  welche  der 
konig  zu  Franckreich  meinem  G.  H.  geschcnckt  hat,  welche 
umb  5000  fl.  geschätzt.«) 

Alhie  sein  wieder  die  aide  und  erste  Strosse  getzogen  biß 
gen  Metz. 

Auff  disem  wege  von  Pariß  bis  gein  Metz  hat  es  fast  in 
vil  dorffem  angefangen  zu  sterben  und  sunderlich  zu  Sannt 

1)  Sdnt-Manre.         Monibiioii  nr  l'lndrr.       ^  Cber.      ^  Ambobe. 

S)  Ufer. 

Vgl.  Leodius  S.  ii3a:  »(Fridericus]  Axnbosiam  contendit,  ubi  honorifice  a  Rege 
cxeeptas  et  aliqaot  dks  eoatentas  et  donatni  atomn]  mentae  Rtf^nt  suppeliectili  deaurata, 

valoris  sex  miliiiim  coronatonira."  Am  10.  Aiiffiitt  hatte  Pf.nl/graf  Friedrich  den  fran/S- 
sischen  H<.)f  in  Amboisc  verlassen.  V't;l.  Sekretär  Rossn  an  den  Rat  der  Zehn  in  Vcnedit;, 
10.  Au^iist  ^S26:  „In  qucsta  ni.it'.ina  e  partilo  de  qui  per  AI  magna  il  Contc  Palatino  vennto 
di  Spailna,  apresentato  da  qucsU  MaesÜ;  e  va  mal  contento  di  Cesare*.  (I  Diarii  di  Marino 
Sanoto.  Venedig  1I95.  Bd.  XUI,  Sp.  437.) 

28* 


Digitized  by  Google 


456 


Adolf  Hasendever. 


Mihi,  da  worn  die  Burger  herauö  in  die  weide  gewichen,  doch 
haben  aklo  tnuessen  vor  der  Stat  zu  Mittage  essen,  und  ciweil 
wir  assen,  ist  ein  gantz  hauffe  . .  uff  den  einen  Esel  gefallen, 
welchen  wir  haben  an  allen  schaden  herfurgebrocht 

Frantzosische  herberge. 

In  diesen  herbergen  ist  yderman  wolgewart  von  knechten 

und  niegden,  und  mit  woll  gekochtter  speyß  und  wiiproth,  auff 
welche  zeyt  er  das  begert,  auch  mit  sunderlichen  raynen  beth- 
gewanthte  woll  versorget,  und  mit  gutler  stallunge  und  aüer 
notturfft  des  f Utters. 

Item  in  Franckreich  hals  vil  Bislhumb,  welche  doch  kaine 
weilliche  cjebiet  oder  obrikheyt  haben,  und  vast  seer  ungelartiie 
briester  haben,  und  vast  ihre  kirchen  mit  wenig  pilden  getzirt, 
und  halden  alle  mit  zynen  kelchen  messe. 

Auch  wirt  grosse  Justicia  darinne  gehalden,  also  wan  das 
Perlamenth  den  geweldigisten  hertzog  auß  Franckreich  zitirethe, 
zu  Marmelsteyn  zu  erscheynen  erfordert,  wen  er  auff  den  be- 
stympten  Tag  nicht  erschyne,  so  hatt  er  leyb  und  gut  verloren. 
Auch  ist  grosse  gehorsam  und  underthenigkheit  des  volcks,  und 
alles  Bauerßvolck  thar  sich  nicht  anders  dan  in  grav  Uxbc  oder 
lichfbloe  färbe  gemaynes  grobes  Tuchs  beklayden. 

5  meyl.  Santh  Trefoer. 

Ist  ein  kleynes  Stetlein  des  Btschoffs  von  Metz,  und  ist  des 
hertEOgen  von  Lothringen. 

5  mell.  Sarburg.-) 

Ist  ein  kleine  stath,  darinne  der  graffe  von  Nassau''')  hoff- 
haltct,  an  einem  wasser  gelegen,  durch  welchs,  so  wir  rytthen 
ist  der  Locay  mit  sampt  dem  pferde  dareyn  gefallen. 

3  meil.  Lautenbbach. 

Ist  ein  groß  dorff  Herzog  Ludwigs  von  Grauens  zu  fdde,^) 
Weichs  paur  des  pfaltzgraven  Ludwigs  Churfürsten  gefangen  sein! 

')  Lücke  Uli  Text. 

Wie  sich  aus  der  ganzen  Reiseroute  ergibt,  ist  Saarbtückeu  gemeint 
s)  Johann  Lndwfg  von  Namn-SMibriicken. 

«)  I  xhU-'^  W.  von  Pf.il7-7Micibrü'.-Ven-Vetdent.  Odk  1M2,  regiert  TOH  1S14-1S3I» 
Viter  des  Herzogs  Woifgang  von  Pfalz-Zweibriicken. 


i^'iLjuiz-uü  by  VjOOQle 


Die  (asebudiartigen  Aiifttidmungen  des  Dr.  Johannes  Lange  437 


3  meil.  Landstal. 

Ein  kleines  Stetlein  des  Frantzen  von  Sickmgen  gewest, 
welches  er  selbs  hat  außgebrant,  do  er  von  den  fursten  über- 
zogen Wardt 

Alhie  sein  wir  wider  uff  unser  aide  Strasse  biß  gein  Haydel- 
bergk  getzogen,  do  wir  dan  wider  zu  j^s-  rm  gnedigen  Herren 
uff  der  birschbrumpfft  zu  Gerberßheym  am  Rhein  komen  seyn. 

Addicciones. 

Item  nach  Satith  Johanns  Baptiste  Peyer  sein  zu  Oranatben 
in  der  nacht  zwen  erbiden  gewest,  das  sich  alle  heuser  vast  seer 
erschutlten. 

Item  alle  witbfiauen  nach  irer  emenner  todte  oder  geschwister, 
Bruder  und  eldem  Tode  bedecken  daz  gnibe  etzHche  tage  mit 
einem  thebiche,  und  so  sie  in  die  kirche  komen,  stellen  sie 

ain  brynneth  liecht  auff  das  grab  und  ein  preth  mit  einem 

weyssen  tucchlcn  bcdeckh,  und  knycii  darbey,  piß  das  der  Briester 
die  messe  vollendet  hat,  darnach  get  der  briester  zu  dem  grabe 
und  bethet  Miserere  mei  deus  ader  de  Profundis,  und  sprenget 
das  grab  mit  geweihttem  wasser  und  gibt  der  frauen  sevne 
hendt  ader  Q^el  zu  kusen  und  nymbt  das  broeth  von  der  Seel 
wegen;  der  gebrauch  ist  in  gantz  Hyspanien  und  in  Frank- 
reidi.  Bey 

Bayona, 

Item  in  der  Pyschkaya  und  zu  Granatha,  audi  in  Navare  in 
etzlichen  stetthen,  so  man  des  verstorben  Corper  zu  der  erden 
bestath,  so  seynd  aide  weyber  bestett,  die  zuvor  wol  gezecht  und 

gespeyst  den  Toden  mit  hesslichem  geschray  beweynen. 

6  Meyl.  Haydelbergk. 

Aldo  der  Churfurste  befestiget  sein  schloß  mit  einer  zwi- 
vechtigen  Mauren  und  Thurmen,  welcher  ein  itzliche  fünft  und 
zwaintz(ig]  schuen  lang  von  grossen  werckstflcken  gemacht,  und 
zwuschen  den  bayden  Mauren  ein  schutthe  55  schueche  breyt; 
hinder  diser  schueth  und  Mauer  ist  ein  tieffer  und  praytter 
^>'as$ergraben  und  darnach  ein  streydende  und  umblauffende. 


438 


Aduli  Hasenclever. 


weihe,  12  schuc  dicke.  Aldo  scinth  wir  14  tage  stille  gelegen 
in  der  hirsclibrunfft  und  seind  aufi  den  ersten  Tag  des  monats 
Octobris  weggerithen. 

Hayschbach.^) 

3  meyin. 

Ist  ein  klaines  Stetlein  des  Pfaltzgraven,  daryn  wir  in  der 
kellereyn  sein  beherbergt  worden. 

3  mayllen.  Helbron. 

Ist  ein  reichstat  in  der  große  vast  Amberg  gleidimessig  an 
dem  Necker  gelegen,  und  hat  der  I^th  meinem  gnedigien  Herrn 
mit  dem  haliem  weyn  und  fiscbhen  verert. 

Item  ein  klain  viertl  w<ges  hinder  diser  Stat  fenget  sidi 
an  der  WeinBpeiger  tall,  desgleichen  mit  weinwachs  Holtz  wasser 
und  getrayde  in  kainem  Lande  ich  gesehen  habe,  darinne  iigdt 
das  Stetletn  Weinßpcrgk  mit  sambt  einem  schlösse  auff  einem 
weynberge  hart  daran  gelegen,  weichs  die  pauem  haben  auß- 
geprant  und  den  graven  mit  sambt  ander  17  edelleuten  in 
gegenwart  seiner  frauen  und  zwayer  Junger  Kinder  durch  die 
Spisse  gciagct  -')  und  daz  aine  kneblein  zu  gedechtnus  der  zer- 
schnitten hosen  auch  über  die  payn  und  Arme  geschnitten  und 
einen  cdelman  oben  von  dem  thurmb  herab  geworffcn,  dcrtialbcn 
der  bunt  und  i:f;ilt-/gravc  diß  stetlein  haben  glal  ausgepranl,"; 
Weichs  die  pauein  widerunib  anlangen  zu  pauen. 

3  meyllen.  Oryngen. 

Ist  ein  stat  der  graffen  von  Holoch,  welche  unsem  wirth 
umb  6  hundert  gülden  straffen,  darumb  das  er  den  pauem 
ist  auch  anhengigk  g^est 


»)  YC'ahrsdicinlich  ist  Hilsbach  im  Kiciclisan  );emcint. 

*)  Vgl  Jakob  Sturm  an  den  Rat  von  Straßburg,  22.  April  1S3S;     . .  und  winipcrg 
•chloß  ttnd  Stat  nitt  dem  Stunii  «rabtrt  uff  den  ostertaj;  (16.  Aprtl),  dorin  tarnt  Lndvlc 

von  Hclffeiisfcln  snmpt  sibenzehn  vom  Adel  und  ettlfch  gera^-sigen  znm  thcy\  an  der  icTpr 
crrurgt,  7.um  theyl  und  namüch  den  grauen  durch  die  spiciJ  gcjaiit  .  (Virck:  l'olit.  Corr. 
ftm  Straßbarg  I,  196). 

Vgl.  Truchseß  Georg  an  Markgraf  Kasimir,  Ncd(ii|UtiGh  ZZ.  Mai  I $25:  Hat . . . 
insbcMadoe  «Wlnsperg  samt  einigen  dazu  gehörigen  Dörfern  ttnr  inSntariidNa,  Mactt 
Tat  nach  geplündert  und  ganz  ausgebrannt  "  (I  r.  L.  Baumann:  Aktra  r.  Oeadu d. deObdMt 
Bauernkrieges  aus  Obcrschvaben.   Prciburg  i.  Br.  IS77.  S.  292f.). 


Digitized  by  Google 


Die  ütgebucfasrtigen  Aufedchnung^en  des  Dr.  Johannes  Lange.  439 


S  meylen.  Halle. 

Dyße  reichstat  leydt  an  der  Tauber  in  einem  grosse  ge- 
pirge,  an  welchem  wein  wechst,  hat  eine  enge  Montze  und  eine[!] 
enges  verschlossens  Land,  ist  halbs  an  den  bercfk  und  Halbs  in 
grundt  gebauet,  in  welchem  ist  ein  seichter  und  praytter  Saltz- 
hrun,  der  do  hundert  und  sybentzig  pfannen  benuget  wassers 
zu  dem  saltzsyden,  also  doch  das  alieine  das  halb  thayk  dyßer 
pfannen  ein  woche  umb  die  ander  gebraucht  werde. 

4  meilen.  Olewangk.*) 

Ist  hertzog  Henrichs  Pfalzgraven  bey  Rhein  Hertzog^n  In 
Baiem  etc.,  hat  ein  vast  woli  erpauet*)  schloß. 


Hier  brechen  die  Aufzeichnungen  ganz  unvermittelt  ab. 
Man  wird  annehmen  dürfen,  daß  die  Reisenden  von  Elhvangen 
ab  dieselbe  Route  wie  auf  der  Hinreise  eingehalten  haben. 


i)  Ellvangen. 

3)  Bei  Jakob  Wille:  Die  deulschen  Pfälzer  Handscliriften,  Heidelberg  1903,  II,  17 
liest  nwn  irrliitiiUdi  ««rqMMCt*. 


Quellenstudien 
zur  Geschichte  des  neueren  französischen 
Einflusses  auf  die  deutsche  Kultun 

Von  CURT  GEBAUER. 


Die  Bedeutung  des  französischen  Einflusses  auf  die  deutsche 
Kultur  für  unsere  geschichtliche  Entwicklung  ist  neuerdings  von 
Georg  Sieinhausen  auf  Grund  seiner  früheren  Arbeiten  in  seiner 
•Geschichte  der  deutschen  Kultur«  (Leipzig  und  Wien  1904) 
und  diesem  folgend  von  Karl  Lamprecht  in  seiner  .Deutschen 
Geschichte«  (Band  VII,  i,  1 905)  eingehender  und  vorurteilsloser,  als 
es  in  fHlheren  Oesamtdarstellungen  zu  geschehen  pflegte,  gewürdigt 
worden.    Es  ergab  sich,  daß  der  französische  Einfluß  jedenfalls 
nichi  überwiegend  schliiniiic  1  olgen  gezeiiii^i  hatte,  indem  er  die 
deutsche  Kultur  entnationalisierte;  ältere  Geschichtsschreiber  haben 
diese  Auffassung  der  Dinge  meist  zu  einseitig  in  den  Vorder- 
grund gestellt.    Es  zeigte  sich  vielmehr,  daß  die  guten  Seiten 
dieses  Einflusses  den  schlimmen  mindestens  die  Wn^ie  liiei-rii, 
da  die  deutsche  Kultur  durch  die  französische  Schulung  in  for- 
maler Richtung  vervollkommnet  und  zum  guten  Teil  auch  von 
den  E)anden  einer  starren  einseitig  kirchlichen  oder  theologischen 
Weltanschauung  befreit  wurde.   Formgefühl  in  gesellschaftlicher 
wie  in  künstlerischer  Beziehung  und  Verweltlichung  des  Lebens- 
ideals sind  aber  neben  anderen  Faktoren  zur  Entwicklung  einer 
gedeihlichen  höheren  Kultur  zweifellos  notwendig. 

Die  Geschichte  des  französischen  Kultureinflusses  auf  die 
Deutschen  vor  erneuter,  umfassenderer  Darstellung  des  gesamten 


Zur  Geschichte  des  französischen  Einflusses  auf  die  deutsche  Kultur.  441 


EnKvicklung^njjfes,  welche  insbesondere  für  die  wichtigen  letzten 
Jahrhunderte  einem  Bedürfnis  entspricht,  durch  immer  vollstän- 
digere Ausschöpfung  der  Quellen  zu  vertiefen,  ist  die  nächste 
Aufgabe  des  Geschichtsschreibers.  Auf  diesem  Gebiete  gibt  es 
aber  noch  so  manches  nachzuholen.  Diese  Erkenntnis  gab  dem 
Verfasser  den  Plan  ein,  in  einer  zwanglosen  Reihe  längerer  oder 
kürzerer  Aufsätze  und  Nachrichten  in  diesen  Blättern  einiges  A\a- 
terial  aus  den  Quellen  des  16.,  17.  und  18.  Jahrhunderts  zu  bieten, 
die  ihm  hei  seinen  seit  längerer  Zeit  betriebenen  Studien  zur 
Oesrhicliie  des  neueren  ffriiizüsi^^chen  Finfhisses  in  die  Hand 
kamen.  Untereinander  nur  fragmentarisch  verknüpft,  werden  diese 
Versuche  doch  in  sich  abgerundete  Kulturbilder  bringen  und 
vielleicht  nicht  nur  für  den  Gelehrten,  sondern  auch  für  weitere 
Kreise  von  einigem  Interesse  sein. 

I. 

Die  Bedeutung  Heinrichs  IV.  für  die  deutsche  Geschichten 
Nachdem  das  Königshaus  der  Valois  in  Frankreich  mit  dem 
schlaffen  und  wanicelmfittgen  Heinrich  III.  1 589  ausgestorben  war,  Icam 
mit  Heinrich  von  Navaria,  dem  eisten  Bourbonen,  ein  Mann  auf  den 
französischen  Thron,  dem  es  vorbehalten  war,  das  von  den  Furien 
eines  schon  t>einahe  30jihr^n  Bfligericrieges  zerfletschte  Land 
durch  kmge,  muhevolle  Tätigkeit  zu  beruhigen,  es  von  seinem 
mächtigen  äußeren  Feinde  Spanien  zu  befreien  und  es  endlich  noch 
zu  einer  bis  dahin  unbekannten  wirtschaftlichen  und  politischen 
Machtstellung  zu  erhöhen.*)  Heinrich  IV.,  dem  sein  dankbares 
Volk  den  Beinamen  des  Großen  gegeben,  war  vielleicht  der 
beste  Monarch,  den  Frankreich  Je  besessen.  Auf  der  von  Ihm 
geschaffenen  Grundlage  haben  später  Richelieu  und  Mazarin 
weiter  gearbeitet,  und  die  in  Politik  und  Kultur  tonangebende 
Stellung  Frankreiciis  im  Zeitalter  Ludwigs  XIV.  beruht  auf  dem 
festen  Staatsgcbiiude,  welches  Heinrich  IV.  seinen  Nacliioigern 
hinterließ.  Hätte  nicht  vorzeitig  im  Jahre  1610  Ravaiilacs  Mord- 
Stahl  den  Siebcnundfünfzigjährigen  dahingerafft,  so  wäre  nicht 
abzuseilen  gewesen,  wie  sich  die  europäischen  Geschicke  im 

I)  Näheres  siehe  bei  Alfltd  RwnbMid,  Hitloir«  d«  1«  dvUlnflon  fkinfalw.  9e 

Pirls  tMI.  I,  53S-5$8. 


üiyiiizeü  by  Google 


442 


Curt  Gebauer. 


17.  Jahrhundert  gestaltet  hatten.  Damals  war  der  König  im 
Begriff,  sich  an  die  Spitze  eines  seiner  drei  schlagfertigen  Heere 
2u  setzen,  um  durch  seine  Teilnahme  an  den  jfliich-klevischeit 
Wirren  die  den  Weltfrieden  und  die  Freiheit  der  protestantischen 
Religion  bedrohende  habsburg- spanische  Macht  dnzusdirftnlnn. 
Hätte  er  damals  den  Kaiser  t>esiegt,  so  wäre  wahrscheinlich  dem 
deutschen  Volke  der  30jährige  Krieg  erspart  geblieben,  der  auf 
ein  Jahrhundert  und  länger  den  materiellen  Wohlstand  Deutsch- 
lands zerstört  und  die  Sitten  schwer  geschädio^t  hat 

Ein  solcher  Mann  wie  Heinrich  IV.  äiuilite  auch  auf  seine 
deutschen  Zeitgenossen  und  noch  auf  die  folgenden  Generationen 
einen  tiefen  Eindruck  machen.  Das  verursachte  vor  allem  der 
Zauber  seiner  machtvollen  und  liebenswürdigen  Persönlichkeit. 
Und  diese  wirkte  nicht  nur  auf  diejenigen  ein,  welche  in 
politischen  Absichten  und  nach  ihrer  religiösen  Überzeugung 
mit  dem  Könige  einig  waren,  sondern  auch  auf  seine  Gegner. 
Alsdann  aber  waren  hier  die  politischen  Beziehungen  eines  Teiles 
der  deutschen  Fügten  und  Völker  zu  dem  französischen  Könige 
von  hervorragender  Tragweite.  Heinrich  war  in  seiner  Jugend 
Protestant  gewesen  und  hatte  bei  seiner  Mutter,  der  Fürstin  von 
Bearn  und  Navarra,  eine  ernste  religiöse  Erziehung  genossen. 
Politische  Rücksichten  allein  hatten  ihn  1593  bestimmt,  in  den 
Schoß  der  katholischen  Kirche,  welcher  die  übenviegende  Mehr- 
heit des  französischen  Vollces  angehörte,  zurückzukehren.  Seinen 
alten  Glaubensgenossen,  den  Protestanten,  war  er  aber  deshalb 
auch  fürderhtn  nicht  abgeneigt,  und  wie  er  sich,  zum  Teil  freilich 
wiederum  aus  politischen  Erwflgungen  heraus,  im  Edikt  von 
Nantes  (1598)  den  Hugenotten  weitgehende  politische  und  religiöse 
Rechte  innerhalb  des  französischen  Staates  einzuriumen  bewogen 
fühlte,  so  hat  er  während  seiner  ganzen  Regierung  auch  den 
Protestanten  des  Auslandes,  vornehmlich  Deutschlands,  gegen  die 
katholisierenden  und  absolutistischen  Tendenzen  des  Kaiseis  und 
Spaniens  seine  Unterstützung  zuteil  werden  lassen.  Mit  den 
protestantischen  deutschen  Fürsten  unterhielt  er  einen  lebhaften 
diplomatischen  Verkehr,  mit  dem  gelehrten  Landgrafen  Moritz 
von  Hessen  einen  regen  persönlichen  Briefwechsel  über  alle  die 
beiden  Fürsten  interessierenden  Fragen  der  europäischen  Politik, 


Digilized  by  Google 


Zur  Geschichte  des  französischen  Einflusses  auf  die  deutsche  Kultur.   443  - 


ihre  sogenannte  cause  commune.^)    Uneinigkeit  und  Unent- 

schlossenheit  im  Lager  der  deutschen  Protestanten  verhinderten 

aber  leider  auf  Jahre  hinaus  tatknittiLic  Alaliiiahmen.  Erst  im 
Jahre  1610  sollte  der  lange  vorbcrcii  t  Schlag  geführt  werden, 
als  Heinriciis  Ermordung,  wie  i)ereiis  erwähnt,  allen  weittragenden 
Plänen  und  Erwartungen  ein  Ziel  setzte. 

Waren  also  die  deutschen  Protestanten  gewöhnt,  in  Heinrich 
ihren  natürlichen  Schutzherrn  und  Vorkämpfer  gegen  den  katho- 
lischen Kaiser  zu  erblicken,  so  gesellt  sich  zu  dieser  politischen 
Konstellation  noch  eine  allgemeine  Neigung  der  Deutschen  zur 
Auslanderei,  wie  sie  uns  etwa  um  die  Wende  des  16.  und  17.  Jahr- 
hunderts durch  die  Ethographia  mundi  des  Olorinus  bezeugt 
wird.*)  Da  wird  der  i>i1zige  Status  Mundi«  beschrieben,  «wie 
es  jetzundt  in  Teutschen  landen  an  moribus  und  Sitten,  Religion, 
Kleidung  und  gantzen  Leben  eine  große  merkliche  verenderung 
genommen,  also  daz  so  die  jenigen,  welche  vor  zwantzig  Jahren 
Todes  verblichen,  jetziger  zeit  wider  von  den  Todten  aufstunden 
imd  ihre  Posteros  und  nachkömlinge  sehen,  dieselben  garnicht 
kennen  würden,  soiiLicni  meinen,  das  es  eitel  Frantzösische, 
Spanische,  Welsche,  Engelische  und  andere  Völcker  weren,  die  doch 
auß  ihrem  Vaterland  niemals  kommen  sein."  Auf  die  teilweise 
weit  zurückgreifenden  Ursachen  dieser  Ausländerei  der  Deutschen 
jener  Zeit  hier  näher  einzugehen,  würde  zu  weit  fuhren.  Wich- 
tiger ist  es  zu  betonen,  daß  schon  damals  unter  allen  jenen 
fremden  Einflüssen  sich  immer  starker  das  französische  Element 
geltend  machte,  um  dann  im  Laufe  des  17.  Jahrhunderts  die 
übrigen  fremden  Kulturelemente  schließlich  fast  ganz  zu  ver- 
drängen und  der  deutschen  Kultur  in  den  höheren  Kreisen  seit 
etwa  1660  oder  1670  ein  stark  französisches  Gepräge  aufzu- 
drilcken.  Die  nächste  Ursache  dieser  Französiening  der  deutschen 
Kultur  ist  vornehmlich  in  dem  gewaltigen  kulturellen  Aufschwung 
Frankreichs  seit  dem  Beginn  des  16.  Jahrhunderts  und  dem 


1)  Correspondance  inMite  de  Henri  IV,  roi  de  Fnutce  et  de  Navarre,  avec  Maurice- 
l?-?:tvnnt,  inndj^nve  de  Hose.  Ptf  M.  de  Rommel.  Hambotirg  et  Paris  1840.  Siehe  die 

Inlroductiuii  d;ii«ib$t. 

*)  Ethographia  nvndl.  Loftiget  artige  und  kurtzveilige»  jedoch  varhafftige  and 
glaubwirdige  bescbreibaac  der  heutigen  Ncwen  Welt  onr.  Darcb  joluniicm  Olorinttm 

Variscum.  1607. 


444 


Curt  Oebauer. 


gleichzeitigen  Iculturelien  Rückgange  Deulschlands  zu  suchen.*) 

Diese  Umstände  beförderten  noch  die  Hinneigung  der  Deutschen 

zu  dem  französischen  Könige.    Umgekehrt  aber  hat  auch  das 

Ani>clicii,  dessen  Heinrich  !\^  in  deutschen  Landen  genoß,  ebenso 
wie  die  politische  i-age  gerade  seit  dem  Ausgange  des  16.  Jahr- 
hunderts die  Zunahme  des  französischen  Kuiluieinliusses  mächtig 
begünstigt. 

Welclies  Interesse  man  im  protestantischen  Teile  Deutsch- 
lands schon  während  der  französischen  Religionskriege  und 
während  der  Regierung  Heinrichs  iV.  an  den  französischen  Dingen 
nahm,  beweist  die  Masse  der  in  unseren  Bibliotheken  aufbe- 
wahrten Flugschriften  jener  Zeit,  zum  einen  Teile  Übersetzungen 
französischer  Schriften,  zum  anderen  deutsche  Originale. 
Auch  im  katholischen  l-ager  verfolgte  man  eifrig  die  Ereignisse 
jenseits  der  westlichen  Grenze.  Man  berichtete  über  die  Ver- 
folgungen der  französischen  Protestanten,  über  Rüstungen  tmd 
kriegerische  Verwicklungen  der  streitenden  Parteien,  über  die 
Religionsedikte  der  französischen  Könige  und  die  Aussichten  der 
neuen  Kirchenlehre.  Die  Bartholomäusnacht  (24./25.  August  1572) 
rief  einen  Sturm  der  Entrüstung  hervor.  Später,  im  Jahre  1593, 
erschien  im  Druck,  doch  ohne  Angabe  des  Druckorts^  das  »Glaubens- 
bekenntnis Heinrichs,  des  4.  dieses  Namens".  Auf  protestantiscber 
Grundlage  ruhend,  steht  diese  Schrift  doch  dem  Gedanken  einer 
Vermittlung  zwischen  den  beiden  feindlichen  Religionsparteien  im 
beiderseitigen  Interesse  nahe.  Aus  dem  Französischen  wurde  sie 
zuerst  ins  Lateinische,  aus  dem  Lateinischen  aber  ins  Deutsche 
übersetzt.*) 

Die  Ermordung  Heinrichs  IV.  rief  eine  wahre  Flut  von 
Flugblättern  und  Flugschritten  hervor.  Jetzt,  da  der  Löwe 
gefallen,  zeigte  sich  freilich,  daß  Heinrich  auch  hei  den  Prote- 
stanten nicht  überall  die  warmen  Sympathien  gcnoo,  die  man  im 
allgemeinen  für  ihn  hatte.  Doch  regten  sich  Tadler  nur  hier 
und  da  bei  den  übereifrigen  ortiiodoxen  Protestanten.  In  ihren 
Kreisen  erschienen  in  der  Pfalz  Spottepigrammc  auf  den  Er- 

1)  OtOTK  Strinhnsen,  Die  Anfinge  dn  frutzMsdiai  Utentur-  vnd  Kaltweiii- 

f Imsen  in  Deutschland  in  neuerer  Zeit.  Zeitschrift  für  vergleichende  Literitlirg!EKlllcllte. 
Neue  ^olge  (1894).   VII,  349  ff.  Stadlbibliothek  Breslau  4.  V  23/53. 


Digitized  by  Google 


Zur  Geschichte  des  französischen  Einfhtsses  auf  die  deutsdie  Kultur.  445 


mordeten,  dessen  jäher  Tod  als  Strafe  für  seinen  Abfall  von  der 
religiösen  Überzeui^ung  seiner  Jugend  betrachtet  wurde.')  Aber 
es  überwog  doch  bei  weitem  die  Entrüstung  über  den  heim- 
tückischen Mörder,  der  Schmerz  um  den  guten  Monarchen  und 
Landesvater  und  der  Schrecken  über  den  Hingang  des  mäch- 
tigen Vorkämpfers  der  evangelischen  Freiheit.  Die  Verdienste 
des  Verblichenen  wurden  laut  und  rückhaltlos  gepriesen.  So 
erschien  I610  in  Antwerpen  ein  Elogiuin  historicum  Henrici  IV.') 
und  innerhalb  des  Reichsgebietes  in  Straßbutig,  aber  von  nicht- 
deutschen Verfassern,  eine  Sammlung  von  Lobschriften  unter  dem 
Titel:  »Henrici  IV.  regis  Prancorum  elogia  a  Sciplone  Qentili  et 
Isaaco  Casaubono.  Quibus  accesserunt  in  eius  indignissimam 
caedetn  carmina.  Argentinae  excudebat  Antonius  Bertramus 
academiae  typographus.'*) 

Der  Kampf  der  weltlichen  Macht  gegen  den  Jesuitismus 
und  die  kirchliche  Reaktion  ist  in  seinem  Ursprünge  auf  Frank« 
reich  und  die  Regierungszeit  Heinrichs  IV.  zurückzuführen. 
Wiederholte,  teils  erfolgreiche,  teils  vergebliche,  Mordanschläge  auf 
die  Könige  Heinrich  Iii.  und  Heinrich  IV.  (auf  jenen  1589,  auf 
diesen  1593  und  1594)  lenkten  den  Verdacht  der  Urheberschaft, 
mindestens  aber  der  Billigung,  auf  den  Orden  der  Oesellscliaft 
Jesu,  und  so  erfolgte  1594/95  seine  feierliche  Verbannung  aus 
dem  französischen  Staatsgebiete  durch  Parlamentsbeschluß.  Erst 
im  Jahre  1604  wurde  er  unter  dem  Drucke  der  Verhältnisse  auf 
den  Wunsch  des  Königs  wieder  zugelassen,  aber  nur  unter 
bestimmten  Beschränkungen  und  Sicherheitsmaßregeln.^)  Auch 
in  der  antijesuitischen  Theorie  ist  Frankreich  führend  voran» 
gegangen.  Nicht  erst  Blaise  Pascals  ».Lettres  provinciales"  vom 
Jahre  1656  haben  den  »ersten  furchtbaren  Keulenschlag**) 
au!  das  Lehigebäude  der  Jesuitenmoral  geführt,  sondern  schon 
während  der  Regierung  Heinrichs  IV.  erhob  sich  in  Frankreich 
ein  literarischer  Sturm  gegen  den  Orden,  der  mit  allen  Mitteln 

I)  Quellen  zur  Qeidilcbte  des  geistigen  Lebens  in  Deutschland  während  des 
17.  Jahrhumlcrts.  Nach  Handscbriften  hcr.iu>Kc^chen  uiul  erläutert  von  Aiexamler  Hciffv- 
Kbdd.  HeUbronn  I8S9.  I,  704.        >)  SUdtbibliotbek  Breslau  8.  O  24 1/4. 

^  IMffienclieid  S.  7«4/s.  Das  Bach  beHndct  sich  in  der  BlbllotNct  Rndoliihiiia 
In  Liegnitz.  Casuibon  war  Genfer.  QcnttUs  ItaUcoer,  doch  In  Deulsdiland  hdiatsdi 
KTvorden.        *)  Rambaud  S.  S4'«/45. 

•'}  J.  j  llonegi^er,  Kritische  Oesdtidll«  der  frtttaötäadlm  KBltereinfMsse  in  "doi 
.'ctzten  Jahrhanderten.  Berlin  187S.  S.  it. 


446 


Curt  Gebauer. 


die  woitiiclic  .'\ii:oriläl  zugunsten  der  Herrschaft  des  Papstes 
ZU  untergiabeii  trachtete.  Diese  Streitlueiaiur  zog  auch  uie  I'erson 
Heinrichs  IV.,  des  großen  Jesuitengegners,  in  den  Kampf  hinein. 
In  Deutschland  weckte  sie  lauten  Widerhall;  massenhaft  entstanden 
hier  in  protestantisclien  und  sogar  katholischen  Kreisen  Nach- 
drucke und  Übersetzungen  aus  der  französischen  Antijesuiten- 
literatur  und  gleichgeartete  Nachbildungen.  Nach  Heinrichs  Er- 
mordung nahm  diese  geistige  Bewegung  noch  weiter  zu.  Eine 
Sammlung  solcher  antijesuitischer  Schriften  erschien  z.  B.  damals 
(1611)  in  Hanau  bei  Thomas  Willier,  zu  einem  handlichen  Bande 
vereinigt,  unter  dem  Titel:  -Von  der  Jesuiten  wider  König-  und 
Fürsthche  Personen  abschewliche,  hocbgefährliche  Practiken,  An- 
schlägen und  Thaten."') 

Der  erste  in  diesem  Bande  gedruckte  Traktat  gibt  das 
Urteil  des  Pariser  Parlaments  gegen  den  Königsmörder  Ravaillac 
wieder.  Darauf  folgt  »Der  Theologischen  Facultet  zu  Paris  Be- 
dencken  und  Censur  von  der  Jesuiter  Lehr,  daß  Unterthanen 
erlaubt  sey  König  und  Fürsten  umbzubringcn«  (vom  4.  Juni  1610) 
nebst  Dekret  des  Königlichen  Parlaments  vom  8.  Juni  1610, 
durch  welches  das  Buch  des  Johannes  Mariana  >De  rege  et  legis 
Institutionen,  das  den  FQistenmord  verteidigt,  verboten  wird. 
Femer  enthält  der  Band  einige  Schriften  über  die  durchweg 
bejahte  Frage,  ob  den  Jesuiten  die  Schuld  an  der  Ermordung 
Heinrichs  IV.  beizumessen  sei.^  Den  Schluß  machen  vier  anti- 
Jesuitische  Schriften  anderweiten  Inhalts: 

1 .  »  Erinnerung  der  Frücht  und  nutzbarkeit,  so  au6  der  Jesuiten 
ankunfft  und  wider  einkunfft  in  Frankreich  entstanden."  Darin  ist 
ein  Sonett  von  Ronsard:  «Bitte  Im  Nahmen  der  Kirche  an  die 
jesuitische  Societät«  mitgeteilt  Hier  wird  im  Schöße  der  recht- 
gläubigen Kirche  der  Wunsch  geäußert,  die  Jesuiten  möchten 
doch  zum  Heile  der  Kirche  selbst  nicht  länger  Ränke  schmieden 
und  im  Trflben  fischen. 


')  St.idtbiWiütlRk  RrcsLiu      K  56".  J)  Die  Tciln.ihmc  der  Jesuiten  an  der 

Hrinordiing  Heinrichs  IV.  hl  biiiher  nicht  stdar  nachgeviesen.  Das  Buch  des  Juan  Mariana, 
eines  spanischen  Jesuiten,  erschien  1398  in  Toledo,  vnnie  aber  auch  vom  Orden  Jesu  ver- 
dammt. In  Fnutkccidi  deckte  sich  die  Uhre  der  «og.  Monaidiomadiai  zum  Teil  mit 
Mariinu  Theorie,  eher  am  abwdehendeii  Oriladeii  (die  Vtndidte  contra  tyrannoi  des 
rgnlli'^chen  Brutus  '  von  f^o.  Suchler  und  Birch-Hir«chfdd,  Otschichte  der  französischen 
Literatur,  Leipzig  u.  Wien  1900,  S.  338).  Ihre  Ldire  bat  in  Deutschland  keine  Schule  gemacht 


Digiti. oci  b 


Zur  Geschichte  des  franz^ischen  Einflusses  auf  die  deutsche  Kultur,  447 


2.  „Von  der  Jesuiler  Sect,  d.  i.  kurtzer  und  suniniarischer 
Bericht  von  der  Jesiiiter  ersten  ankiinfft,  Stifftung,  Orden,  Ver- 
mehrung desselben  usw.  Vom  Stephan  Pasquier,  Könighchem 
Rat  und  Parlamentsadvokaten.«  (Schon  1564  geschrieben  und 
1611  ins  Deutsche  übersetzt.) 

3.  »Von  der  Jesuiten  Gewissen  usw.«  Von  einem  »guten 
romainisch-katholischen  Mann.«  Das  Buch  war  lateinisch  verfaßt^ 
dann  ins  Französische,  endh'ch  ins  Deutsche  übersetzt 

4.  Ein  Gutachten  des  Pariser  Parlaments  vom  24.  Dezem- 
ber 1603  gegen  die  Wiederzulassung  der  Jesuiten  in  Frankreich 
(dem  der  König  leider  kein  Gehör  geschenkt  hat). 

In  Deufsdiland  hat  man  Heinrich  IV.  nach  seinem  Tode 
lange  ein  treues  Andenken  bewahrt,  und  dieses  festigte  noch  die 
Beziehungen  der  deutschen  Protestanten  zu  Frankreich,  welche  die 
gemeinsame,  vom  Hause  Habsburg  drohende  Gefahr  geknüpft 
hatte.  Wiederum  haben ,  wie  schon  erwähnt,  diese  politischen 
Beziehungen  nicht  minder  als  die  Persönlichkeit  des  grofien  Königs^ 
diese  letztere  auch  selbst  in  katholischen  Kreisen,  die  Neigung 
der  Deutschen  des  17.  Jahrhunderls  zur  Aufnahme  französischer 
Kulturelemente  wesentlich  verstärkt.  Heinrichs  Qeltaing  und 
Ansehen  in  Deutschland  finden  wir  noch  in  manchen  späteren 
Quellen  bezeugt.  In  einer  Bestallung  fQr  den  Haushofmeister 
der  Söhne  des  katholischen  Pfalzgrafen  Philipp  Wilhelm  von 
PfalZ'Neuburg  —  der  älteste  Sohn,  Johann  Wilhelm,  war  165ft 
geboren  -  heißt  es,  die  Prinzen  sollten  eigenhändig  Briefe 
schreiben  lernen,  da  »mit  einem  handbrieff  mehr  alß  mit  vilea 
expenscn  auli  urichten,  wie  dann  der  König  Heinrich  iV.  seinei> 
söhn  eniialinl,  alle  jähr  etliche  buch  papicr  und  etliche  Hüte  nit 
anzusehen,  weil  solches  die  kosten  wol  einbringen  würde,  anzu- 
zeigen, daß  junge  Herren  sonderlich  im  briefschreiben  und  hut- 
abziehen nit  zu  gespärig  sein  solitcn  Wie  hier  Heinrich  in 
einem  einzelnen  Zuge  als  vorbildlich  hingestellt  wurde,  galt  er 
überhaupt  als  Muster  eines  guten  Herrschers  lur  die  jungen 
deutschen  Fürsten,    in  dem  folgenden  Aufsatz  werden  wir  uns- 


1)  f  ricdrich  Schmidt,  Geschichte  der  Erziehung  der  Pfälzischen  WitieUbacher. 
(MoomMte  OenottiUw  pttOimufi»  XIX)  BcrUn  1899.  &  ittß  Ann.  Vgl.  dMdbtt  «k1^ 
S.  U9  Aam.  und  ikn  Stumbtum  &  CV. 


biymzed  by  Google 


448 


Cttrt  Gebauer. 


naher  mit  einem  von  Heinricbs  Person  abgezogenen  Regenten- 
Spiegel  beschäftigen.  Hier  sei  nur  noch  auf  eine  lehrreiche  Stelle 
aus  dem  18.  Jahrhundert  hingewiesen.    In  einem  französisch 
geschriebenen  Erziehimgsplan  für  den  Prinzen  Karl  August  von 
Zweibrücken -Birkenfeld,    welcher    1746    geboren    und  vorn 
15.  Lebensjahr  ab  am  Hofe  seinem  Uhcims  in  Zweibrücken  von 
dem  französischen  Oberstleutnant   Keralio   erzogen  wurde,  ist 
Heinrich  IV.  als  Vorbild  für  den  jungen  Prinzen  in  eine  ivcüie 
mit  den  bedeutendsten  Männern  des  griechischen  und  rönnsrhrn 
Altertu  ms  f''es teilt.     t>  L'histoire  parliculiere  des  grands  ho!ii:7^cs 
!ui  fera  coiinoilre  ceux,  qu'eile  (i.  e.  son  Altesse  le  Prince  Ch.) 
doit  prendre  pour  modeles.    Sans  doute  eile  aimera  Aristide^ 
Epaminondas,  Scipion,  Henry  IV.**) 

Greifen  wir  noch  einmal  ins  17.  Jahrhundert  und  auf  das 
politische  Gebiet  zurück,  so  kann  es  wohl  nicht  wundernehmen, 
daß  die  Erwartungen,  welche  die  deutschen  Protestanten  von  Hein- 
rich IV.  hegten,  auch  auf  seinen  Sohn  und  Nachfolger  Ludwig  Xlll. 
übertragen  wurden.  Indessen  zeigten  diese  Erwartungen  sich 
zunächst  nur  wenig  gerechtfertigt  Die  Heirat  Ludwigs  mit  der 
spanischen  Prinzessin  Anna  von  Österreich  bewirkte  am  Hofe 
eine  starke  Neigung  für  Spanien,  die  an  eine  Unterstützung  der 
vom  Kaiser  bedrängten  Protestanten  nicht  denken  ließ.  Noch  im 
Jahre  1628  schrieb  M.  Bemegger  an  Robertus  Robertinus  in 
Paris:  «Rex  vester  securus  e.xcidii  nostri  spcctator  ncscit  iiurndiLun 
suo  parieti  proximum."'-)  Aber  inzwischen  haue  doch  sein  n  der 
Kardinal  von  Richelieu  die  Ruder  des  französisciien  Siaatbwesens 
ergriffen;  und  in  der  richtigen  Erkenntnis,  daß  allein  Heinrichs  IV, 
zielbewußte  antihabsburgische  Politik  Frankreich  groß  machen 
könnte,  begann  der  französische  »,  Prinzipalminister"  damals  die 
deutschen  Protestanten  im  Kampfe  gegen  den  Kaiser  und  Spanien 
zuerst  im  geheimen,  alsdann  öffentlich  auf  diplomatischem  Wege 
und  durch  Subsidien  zu  unterstützen.  Im  Jahre  1632  hieh  eben 
der  genannte  Bernegger  im  Auftrage  der  Straßburger  Obrigkeit 
eine  öffentliche  Lobrede  auf  Ludwig  XIII.  in  Anerkennung  der 


>)  Fr  Schmidt  S   ^10     Vgl.  auch  S.  403,  CIA'VII  und  CI.XXVHI. 

^  Reifferscheid,  Quellen  zur  Oeschichte  usv.,  S.  31  s  (Brief  datiert  Straßtmrg, 
S./IS.  Februar  l6tl). 


i^'iLjuiz-uü  by  VjOOQte 


Zur  Ocsebidile  des  fniufisisdien  Eiailtmes  auf  die  den4sclie  Kulhir. 


449 


veräiiderten  franzCsiscfaen  Politik,  die  dem  Redner  von  aetten 
Ludwigs  eine  goldene  Medaille  mit  des  KOnig$  Bilde  einbrachte^*) 
Seit  1635  hat  Frankreich  dann  auch  militariKh  in  den  dKi6ig- 
jährigen  Krieg  auf  protestantischer  Seite  ehigegriffen. 

Dem  französischen  Vorgehen  ist  es  freilich  zu  danken 
gewesen,  daß  die  Übermacht  Habsburg-Spaniens  auf  die  Dauer 
gebrochen  wurde  und  die  protestantischen  Reichssüinde  Deutsch- 
lands im  Frieden  zu  Münster  und  Osnabrück  1648  politische  und 
Wrchh'chc  Gleichberechtigung  mit  den  kaihülischen  und  das  Recht 
der  Souveränität  erhielten.  Das  den  Reichsständen  durch  die 
Souveränität  gewährleistete  Recht  des  F)ündnisses  mit  fremden 
Mächten  trug  aber  den  Keim  zu  weiteren  Eingriffen  Frankreichs 
in  die  inneren  deutschen  Angelegenheiten  in  sich,  welche  Ein- 
griffe in  der  Zukunft  nicht  nur  politisch,  sondern  auch  für  die 
kulturelle  Entwicklung  Deutschlands  eine  zunächst  unberechenbare 
Tragweite  erhielten.  Das  Übergewicht  in  Europa  war  dadurch 
von  Habsbuxg-Spanien  auf  Frankreich  flbeigegangen,  und  im 
Zeitalter  Ludwigs  XIV.  zeitigte  die  in  der  ersten  Hälfte  des 
17.  Jahrhunderts  angebahnte  Verschiebung  der  Machtverhältnisse 
ihre  Frödite.*) 

II. 

Ein  französischer  Regentenspiegel  als  Anldfug  für  einen 

deutschen  Fürsten  (1615). 

Mit  dem  Namen  Regenten-  oder  Fflrstenspiegel  pflegt  man 
Anleitungen  zur  Erlernung  der  schwierigen  Kunst  des  Regierens 
für  junge  Fürsten  zu  bezeichnen.  Schon  im  klassischen  Altertum 
bekannt  und  beliebt^  entwerfen  sie  entweder  in  der  trockeneren 
Form  gelehrter  Abhandlungen  oder  in  künstlicherer  Gestalt,  als 
Romane  oder  Oe^rädie,  Idealbilder  weiser  und  gerechter  Herrscher, 
Völkervftter  und  Friedensfürsten.  Xenophons  »Cyropädie",  deren 

')  Panegjricus  Christianissimo  Callianim  et  Navarrt«  regi  Ludovico  XIII.  ob 
susccpfam  ab  ipso  maioribusquc  libertatis  Oemianlcat  curtm,  iusstt  procerum  reipublicae 
Argmtoratensis  in  amplissiTni)  crmsciksu  .ic  idriTiio)  duius  a  M.  BcnUQKIO,  hMOT.  piof. 
publ.  die  29.  Octobr.  Argentonui  1632.  Reiifersctadd  S.  9ti. 

t)  BcModm  tdt  tM7  teiflile  mtA  dfe  dwtebe  Pribtlittlft,  die  bft  znn  Wcrt- 

I  :i  ilitn  Triedcn,  zum  Teil  noc^  ■^pifer,  antispanisch  ge«<  cn  Mar,  eine  verstärkte  Richtung 
gegen  die  drotaoule  franz6u9cbe  Odahr.  O.  Mcntt,  die  doitKhe  Publizistik  im  17.  Jabr- 
ihmdert.  Hamborg  lt9T.  &  tl,  19. 

Ardiiv  fSr  Kultaiscadkkhle  V.  2Q 


450 


Curt  Gebauer. 


Name  auch  Oattung^bezeidinung  geworden,  ist  das  bekannteste 
Beispiel  des  Altertums  fOr  diese  Klasse  literarischer  Eizeugnisse.*) 
Mit  der  Renaissance  wurde  der  Brauch,  Regentenspiegd  zu 
sdireiben,  in  den  europ&iscfaen  Kultarländero  wieder  aligemeiner, 
wozu  nicht  nur  das  antilce  Muster,  sondern  auch  die  damals  ein- 
setzende Befreiung  des  Staates  von  den  Banden  der  mittelalterlichen 
Kirche  und  das  vermehrte  Interesse  an  politischen  fragen  l)eitrug. 

Wie  nun  seit  dem  Ausg^mge  des  16.  Jahrhunderts  auf  fast 
allen  Gebieten  der  Kultur  Frankreich  tonangebend  auf  Deutsch- 
land  einzuwirken  begann,  so  auch  bereits  einigermaßen  auf  dem 
Boden  des  Staatswesens.  Wohl  hatte  die  staatsrecfatlidie  Ent- 
wicklung unter  dem  Zwange  der  politischen  Ereignisse  hßben 
und  drflben  im  ganzen  einen  völlig  verschiedenen  Verhuif 
genommen,  indem  in  Frankreich  das  Königtum  immer  zentraKs- 
tischer  und  absoluter  wurde,  während  in  Deutschland  die  Gewalt 
des  Kaisers  immer  mehr  an  die  Fürsten  verlor  und  das  Reich  in 
eine  große  Anzahl  verselbüiandigtcr  Territorien  aubeinaiuierfiel, 
welche  kaum  noch  durch  die  bloße  Idee  zusanimengchalien 
wurden.  Aber  schon  begann  der  Gedanke  der  absoluten  Fürsten- 
macht aus  Frankreich,  wo  er  zuerst  in  der  Praxis  zumal  durch 
Ludwig  XI.  (1461-  1483)  und  Franz  I.  (1515  -  1547),')  dann 
auch  in  der  Theorie  durch  Bodins  berühmtes  Werk  »De  la 
republique"  (1577,  lateinisch  von  ihm  selbst  1586)  ausgebildet 
worden  war,  auch  in  Deutschland  einzudringen.  Hatten  hier 
doch  schon  die  Reformatoren,  Luther  voran,  aus  religiösen  An- 
schauungen heraus  dem  Absolutismus  vorgearbeitet.  Nur  wurde 
in  Deutschland,  der  poMtischen  Lage  entsprechend,  die  Theorie 
des  Absolutismus  nicht  auf  die  Zentralgewalt,  auf  Kaiser  und 
Reich,  sondern  auf  das  Territorialfürstentum  angewandt.  Bodins 
Werk  entfesselte  in  Deutschland  eine  umfangreiche  juristische 
Streitliteratur  über  das  Wesen  der  Souveränität,  mit  welchem 
Schlagwort  der  gelehrte  Franzose  die  Summe  der  staatlichen  AU- 

>)  Die  .Cyropädic,  citi  Rottian,  entwirft  ein  ßiid  des  älteren  Cyrus,  vcrvendet 
aber  da/u  /ü^o  des  jünjicercn.  Audi  Xcnophons  Gesprach  ■  Hiero"  scMMCft  dtc  RlQl^cnnigl- 
kunst,  Tie  auch  sein  .AgesiUus*  ein  vervaiidtes  Thema  bdunddi 

•)  Ober  die  polititdw  Ocftaltons  des  firmiflsitdiai  KSnlj^mi  vgl.  Ranke,  Praii« 
zosischc  (jcsehichtc,  vornehmlich  im  16,  und  17.  Jahrhundert,  1.  65  ff,  86,  87.  «Die 
Könige  von  Frankreich  galten  für  die  unumschränktesten  Türsten  der  Welt;  das  Volk  leistete, 
«is  sie  vertangtcn." 


Digitized  by  Google 


Zur  Geschichte  des  franzflsischen  Einflttsses  auf  die  deutsche  Kultur.  45 1 


macht  bezeichnete,  und  fiber  Ihre  Anwendung  au!  die  steats- 
nechtlichen  Verhältnisse  des  Reiches.*)  Nach  dem  Vorgänge 
franzfisischer  Könige  sahen  fodan  audi  deufsdie  Fürsten  davon 

ab,  die  Stände  ihres  Territoriunis  zu  berufen,  und  führten  die 

Regicrungsgeschäfte  in  auiokratischer  Manier,  Schließlich  eiferten 
in  der  zweiten  Hälfte  des  1 7.  Jaln  hunderts  die  deutschen  Fürsten 
ganz  allgemein  dem  »Sonnenkönige"  Ludwig  XiV.  nach,  der  von 
Versailles  aus  nach  persönlichem  Ermessen  wie  ein  Halbgott 
nicht  nur  die  Geschicke  seines  Landes,  sondern  halb  Europas 
2U  leiten  sich  unterfing. 

Da  das  französische  Beispiel  auf  dem  Boden  des  Staats- 
-wesens  damals  so  bedeutsam  wirkte,  scheint  es  Cfldärlich,  daß 
auch  die  Regententugenden  deutschen  Fürsten  gelegentlich  im 
Bilde  eines  fianzösischen  Herrschers  vor  Augen  geführt  wurden, 
lind  Heinrichs  IV.  Persönlichiceit  war  hierfür  natuigemäß  die  am 
meisten  geeignete.  Nachdem  Heinrichs  Sohn  im  Jahre  1610  als 
Ludwig  XIIL  den  französischen  Thron  bestiegen  hatten  erschien 
in  Frankreich  eine  Schrift,  die  dem  jungen  Fürsten  die  schweren 
Pflichten  seines  hohen  Amtes  nabelten  und  das  Beispiel  seines 
seligen  Vaters  vor  Augen  führen  wollte,  auf  daß  er  in  gleicher  Hoheit 
und  Autorität  wie  der  Verblichene  regieren  könnte.  Aus  dem  Inhalt 
dieser  Schrift  erfahren  wir,  daß  der  Verfasser  ein  Franzose  war 
und  das  Alter  von  70  Jahren  schon  überschritten  hatte.  Dieser 
« Regen tenspiegel«  wurde  anscheinend  bald  nach  seinem  Erscheinen 
auch  in  Deutschland  bekannt  und  von  einem  Ungenannten, 
Untertan  des  Kurfürsten  von  Brandenburg,  ins  Deutsche  über- 
tragen, um  dem  jungen  Kurprinzen  Georg  Wilhelm,  dem  die 
Übersetzung  gewidmet  war,  als  Anleitung  zu  einem  gerechten  und 
weisen  fürstlichen  Leben  zu  dienen.  Diese  Tatsachen  können  wir 
der  kurzen  Vorrede  entnehmen,  die  der  deutsche  Übersetzer 
meinem  Werkdien  voranschickt  In  dieser  Vorrede  wird  auch  der 
Person  Heinrichs  IV.,  des  Großen,  vergleichsweise  kurz  gedacht. 
Die  Obersetzung  erschien  unter  dem  Titel  »Der  Frantz6sische 

I)  Bodins  .Staat'  wurde  von  Johann  Otwnldt,  MAaipdgardt  1592,  int  Octttldie 

übersetzt.    Die  Literatur  über  Bodln  führt  an  und  benutzt  Hancke.  Bodin,  Stndle  ttber 

^\rn  B'\;:ir'  der  Souveränität.  Breslau  1894.    Er  nc:in;  S  hrifh  n  v n  Tobias  Paurmeisfcr, 
Henning  Amisäus,  Jakob  Bomitius,   Theodor  Reinkingk,  Christoph  Bcaoid,  Johanne« 
^Orastns  n.  «. 

29* 


L.iyui/cd  by  Google 


452 


Ciirt  OebMicr. 


Cato.  Das  ist  nützliche  Unterriclitun0e,  wdcher  geslalt  der  jetzige 
König  in  Frmdcreich  seine  nunmehr  angehende  Regierang  nfllz- 
lidien  und  wol  ansfdlen  solle.  DaruiB  auch  andere  Potentaten 
gute  anldtuttg  nehmen  können,  sich  ihrem  Stande  gemeB  und 
so  wol  im  Regiment  alB  sonsten  löblich  zu  erzeigen.«  Das 
BQchlein  sollte  also  nach  den  letzten  Worten  des  Titels  Ober  die 
Pfliditen  der  Regierung  hinaas  auch  noch  die  rein  menschlichen 
Eigenschaften  des  guten  Forsten,  die  mit  seinen  beruflichen  so 
enge  verknüpft  sind,  dem  jungen  Leser  schildern.  Das  mir  vor- 
liegende Exemphir  ist  gedruckt  zu  Berlin  «bey  Oeoi^e  Rungen, 
In  Verlegung  Johann  Kallen,  Buchhflndtem  und  Buchbindern«, 
im  Jahre  1615  und  befindet  sich  in  der  Breslauer  Stadtbibliothek.*) 
Es  verlohnt  sich  wohl  der  Mühe,  die  wesentlichsten  Lehren  dieser 
Schrift  hier  wiederzugeben,  weil  sie  ein  Slreiflicht  auf  die  damals 
in  den  Köpfen  politisch  fein^ebildcter  f  ranzosen  herrschenden 
Anschauungen  über  könighchc  Wurcje  und  Kegierungskunst  werfen^ 
Anschauungen,  die  dnrth  Vermitihtngdes  französischen  Beispiels  auch 
auf  den  Bildungsgang  deutscher  Fürsten  Einfluß  gewinnen  mochten  *) 
Der  ^ürst,  heißt  es,  soll  stets  und  ausschheßhch  auf  das 
Wohl  seiner  Untertanen  bedacht  sein.  Nur  der  Wandel  des 
Fürsten  ist  »rechtmessig",  «welcher  die  Tugendt  neben  der  Unter- 
ihanen  wolfahrt  und  erhaltung  zum  Zweck  hat."  Die  Wahrung 
des  Fliedens  iiTi  inncrn  und  nach  außen  hei  h((elisteni  Anselien 
der  Regicrnni^'  im  Auslände  ist  das  zu  erstrebende  Ideal.  Damit 
es  erreicht  werde,  soH  der  Fürst  schon  seit  seiner  zartesten 
Jugend  sich  für  semen  hohen  Beruf  bilden  und  üben.  Er  soll, 
wenn  er  zur  Regierung  gelangt  ist,  sich  nicht  blindlings  auf 
seine  Diener  verlassen,  sondern  selbst  »ein  wachendes  Auge 
darauff  haben'«,  in  allen  Dingen  zum  Rechten  sehen.  »Es  ist 
niemahln  ein  Fürst  besser  bedienet  worden,  alß  weylandt  unser 
König  (Heinrich  IV.),  80  lange  er  gelel)etf  welches  alleine  seinem 
flciß  und  fehigkeit  zuzuschreiben."  Von  seinen  »wichtigen  und 
ernsthaften  geschefften«  soll  sich  der  Fürst  nicht  durch  „unnütze 
und  vergebliche  Dinge",  wie  tbörichte  Kurzweil  und  fleischliche 


>)  Signatur  4.  W  88/6.  »)  Die  Ausführongen  des  Regen ifiisfiiegrls  »Ind  fiberall 
etwas  weitläufig  und  nmstindllch.  Wir  abstrahieren  vtn  allen  üinzelhdtea  und  sielicn 
nr  die  Onmditlic  fdt 


Digitized  by  Google 


Zur  Geschichte  des  fnuizfisischen  Einfluases  auf  die  deutsche  Kultur.  45  3 


Oenfisser  abhalten  lassen,  wozu  unredliche  Diener,  um  im  Trüben 
fischen  zu  kOnncn,  ihren  Herrn  zu  verlocken  pflegen. 

.In  allen  Regieruns^geschafften  soll  er  »Urtheil  und  Recht 
ergehen  hosen«.  »Diese  beyden  Wort  begreiffen  alles.«  & 
werden  nun  12  Aufgaben  des  guten  Fürsten  aufgezählt,  die  alle 
Zweige  des  Regieningswesens  umfassen,  Kirche  und  Gottesdienst, 
welche  vorangestellt  werden,  Justiz,  Polizei,  Finanzen,  Verkehr  mit 
fremden  Staaten,  Landessdiutz  und  Landesverteidigung,  Ämter- 
besetzung  und  Erhaltung  des  inneren  Friedens.  Alle  diese  Auf- 
gaben werden  näher  ausgeführt  und  häufig  mit  Beispielen  aus 
der  Geschichte,  auch  der  jüngsten  Vergang^enheit,  belegt.  Vor 
allem  wird  dem  jungen  Fürsten  immer  wieder  das  leuchtende 
Beispiel  des  verewigten  großen  Heinrich  vor  Augen  geliailen. 
Es  wurde  zu  weit  führen,  folgten  wir  hier  dem  V^erfasser  überall 
durch  die  verschlungenen  Pfade  seiner  Ausföhningen.  Doch 
können  wir  ihren  wcsentlicfisten  Inhalt  etwa  durch  die  Wieder- 
gabe folgender  Sätze  skizzieren. 

Zunächst  wird  die  fürstliche  Freigebigkeit  besprochen.  Sie 
soll,  wie  unter  I  lemrichs  IV.  Regiment,  eine  »Vergeltung  der 
Tugent  und  trewcr  Dienste"  sein,  nicht  aber  zur  Verschwendung 
ausarten  Der  französische  Verfasser  macht  bei  dieser  Gelegen- 
heit semem  ehrlichen  üroJl  über  die  während  der  Minderjährig- 
keit des  Königs  eingerissene  Qünstlingswirtschaft  Luft.*)  Qegen 
ungetreue  Diener  und  solche,  die  ihr  Amt  zu  selbstsüchtigen 
Zwecken  mißbrauchen,  soll  der  König  schonungslos  vorgehen; 
es  wird  sogar  der  Vorschlag  gemacht,  nach  altrömischem  Muster 
Aufsichtsbeamte,  Zensoren,  einzusetzen,  welche  die  schuldigen 
Beamten  zur  Rechenschaft  ziehen  und  mit  Amtsentsetzung  und 
Qütereinziehung  bestrafen.  Der  Fürst  soll  gelegentlich  bei  wich- 
tigen Angelegenheiten  auch  persönlich  eingreifen  und  vor  allem 
»unterm  schein  der  billigkeit  dem  Rechten  keine  Gewalt  thun 
oder  die  Verwaltung  und  Execution  desselben  hindern  und  stecken«, 
daher  auch  in  der  Ausübung  seines  Begnadigungsrechtes  »sehr 
zurück  halten«,  damit  die  Schuldigen  der  verdienten  Strafe 
nicht  entgehen. 

()  Den  Ollen  AnlaB  zn  dem  Ottnttliwgwiiiweten  lurtte  die  KOnieinmatter,  Mail« 

von  Modici,  selbst  gegeben,  Indem  -^ic  ihrer  Kammerfrau  und  deren  Oaf'rn,  rteii  sie  nn 
Marsdull  d'Ancre  beförderte,  einen  starken  Einfluß  auf  die  Suatsgrsdiäfte  gewährte. 


Digitized  by  Google 


454 


Curt  Gebauer. 


Dagegen  soll  der  Fürst  die  Beschwerden  seiner  Untertanen 
geduldig  anhören  und  den  Elenden  und  Verlassenen  eine  Zuflucht 
sein.  Er  schuldet  allen  Untertanen  die  gleiche  Liebe.  »Denn 
in  dene  sie  ihme  zum  Könige  eingesetzet,  seind  Sie  ihr  gemeiner 
Vater  unnd  sie  alle  dcro  Kinder.«  Durch  »gemeine  Reichs- 
Abschiede also  durch  gesetzliche  AAaßregeln,  sollen  wohlerworbene 
Rechte  und  Privilegien  nicht  verletzt  werden. 

Des  weiteren  ist  der  FQtst  gehalten,  den  Rat  seiner  getreuen 
Diener  anzuhören,  sich  auch  in  Dingen,  deren  tieferes  Verständnis 
ihm  abgeht,  whlgemeinte  «Erinnerungen«  gebllen  zu  lassen. 
Nichtsdestoweniger  soll  er  darauf  halten,  daß  sein  Wille  in  »bil- 
liehen  Dingen«  prompt  vollzQgen  werde.  Der  Vorschlag,  dem 
Pariser  Parlament  bei  gesetzgeberischen  Akten  den  Vorzug  vor 
den  fkbrigen  zuzuerkennen  oder  die  Parlamente  der  versdiiedenen 
Provinzen  zu  einem  einzigen  Rdchspariamente  zu  vereinigen, 
erkürt  sich  durch  die  alte  französische  Gewohnheit,  daß  die 
Erlasse  des  Königs  erst  durch  Registrierung  bei  den  Parlamenten 
Gesetzeskraft  erhielten,  und  bezweckt  die  Herstellung  der  oft 
vermißten  Rechtsgleichheit.  Der  hierdurch  ausgesprochene  Ge^ 
danke  der  Zentralisierung  ließ  in  den  deutschen  Territorien  jeden- 
falls nur  eine  mittelbare  und  ganz  allgemeine  Anwendung  zu. 

Sehr  ins  einzelne  gehende  Bemerkungen  betreffen  nun  die 
Unterdrückung  des  Aufruhrs,  die  Sühnung  des  Königsmordes, 
begangen  am  Vater  des  iian/nsischen  Herrschers,  die  Vermeidung 
ȟberschwen^^lichcr  gelindigkeil"  und  Griadc,  die  Ausweisung 
unbequemer  und  gefährlicher  Ausländer,  Freundschaften  usw. 
Wir  übergehen  sie  und  leiten  sogleich  zum  folgenden  über. 

Bündnisse  mit  fremden  Mächten  werden  empfohlen,  sofern 
dadurch  der  Ehre  des  Fürsten  kein  Nachteil  zugefügt  wird,  die 
„Freundschafft",  d.  h.  die  redliche  Gesinnung  der  Verbündeten 
außer  Zweifel  steht  und  »das  Regiment  insonderheit  Nutz  und 
Frommen  davon  haben"  kann.  Fine  politische  Verbindung:  setzt 
aber  auch  „eine  durchgehende  üleichhcit  '  beider  I  cile,  etwa  eme 
solche  in  den  Suien  und  politischen  Verhältnissen,  \ oraus.  Der 
damals  in  Frankreich  und  auch  in  Deutschland^)  viel  erwogene 

0  Z.  B.  V<dineinender  wtthaffhr  Dlsain.  vmnib  und  vk  die  ROmtodi-eiaioBMlKii 
in  TcntiddiiMl  dcb  Mlllch  von  Spulem  vnd  Jcstüten  «iMondmi  > . .  lollai  und  kBaiMn  «s«. 


Digitized  by  Google 


Zur  Geschichte  des  französischen  Einflusses  auf  die  deutsche  Kultur.  455 


Anschluß  an  Spanien,  den  Hort  des  uliraniontanen  Katholizismus, 
wird  in  längerer  Ausfühnirif)^  für  schädlich  und  unratsam  erivlärt, 
weil  Spanien  seit  100  und  nuhr  Jahren  den  französischen  Staat 
.rcntweder  durch  öffentliche  KrieL,'c  oder  heimliche  listicre  Prac- 
tiken''  geschädigt  habe,  damit  es  «mitten  inn  der  Unordnung 
empor  schweben  möchte." 

ffixsten,  heißt  es  weiter,  sollen  sich  keinem  Menschen 
«unterwürffig  machen«.  «Die  Könige  machen  die  andere  Menschen 
dienstbahr;  sie  bleiben  alletne  frey  in  allen  andern  Sachen  auB- 
genommen  der  gerechtigkeil^  welcher  sie  verbunden,  und  machet 
sie  eben  diese  dienstbarkeit  zu  Königen  und  freyen.*  »Dann 
ob  sie  schon  gleich  die  macht  haben  alles  zu  thun:  so  fordert 
doch  die  Justitz,  das  sie  sich  unterwerffen  nidits  zu  begehen, 
was  nicht  gerecht  oder  biilich."  Die  Aufgabe  besteht  für  sie 
darin,  sich  « verniiiteist  ihrer  Unterthanen  ^iitwilliqen  gehorsambs 
in  freyheit,  als  in  eine  vollkommene  gewalt,  zu  seUeti."  Hiermit 
hängt  auf  das  enjSfste  die  Torderung  religiöser  Duldung  zusammen. 
Denn  der  allgemeine  Gottesdienst  ist  das  »vomembste  stück  bey 
der  Justitz".  in  der  Fi  Wartung  späterer  »gänt^Hcher  Vereinigung" 
aller  Gläubigen  zu  einer  Kirche  darf  also  einstweilen  kein  Zwang 
in  religiösen  Dingen  ausgeübt  werden. 

Eine  weitere  Folge  der  notwendigen  Herrschaft  in  Freiheit 
ist  es,  daß  der  Fürst  sich  dem  Schlüsse  der  recfatmflßigerweise 
versammelten  Stinde  des  Reiches  unterwerfie.  Scheint  es  also, 
als  ob  hierin  eine  Beschränkung  der  königlichen  Machtvoll* 
kommenhett  zu  erblicken  sei,  so  ist  demgegenfiber  doch  zu  be- 
tonen, daß  der  Enlschluß  des  Königs,  die  Sfinde  zu  berufen, 
ein  freier  ist.  Will  er  es  nicht  tun,  so  unterbleibt  es,  und  tat- 
sächlich hat  die  Entwicklung  der  absoluten  Monarchie  in  Frank- 
reich es  auch  mit  sich  gebraclu,  daß  die  Stände  im  Jahre  1614 
das  letztemal  vor  der  großen  Revolution  einberufen  wurden.') 
Die  guten  Lehren  des  „französischen  Cato",  der  Fürst  solle  die 
Klagen  der  Stände,  die  ihm  die  Wünsche  des  Volkes  übermuteltcn 


1616  ohne  Dnickort.  Bmlauer  Staittbibliothdt  4.  W  M/5.  Vgl.  auch  O.  Mentz,  die  deutsche 
PfebHzfitNt  fm  17.  JahiliuiMkil.  ütubtctg  1197. 

R.  Sternfeld,  Französische  Geschichte.    Leipzig  1898  (Göschen).    S.  101.  Attdl 
Heinrich  iV.  hatte  die  Stände  seit  15M  nicht  mehr  berufen.  Ebenda  S.  99. 


Digitized  by  Google 


456 


Gurt  Gebaut. 


gnädigst  anhören  und  ihnen  abhelfen,  sich  auch  »von  Punct  zu 
Pund  ob  deme,  was  geschlossen  wird,  halten«,  waren  hier  also 
völlig  in  den  Wind  gesprochen.  Wir  sahen  schon,  daß  auch 
die  deutschen  Fürsten  sich  der  Mitregierungsbefugnis  ihrer  Stände 
bald  genug  entäußerten. 

Unser  Regentenspiegel  schließt  hieran  den  Ratschlag  an,  der 
Fürst  solle,  wenn  er  durch  bösen  Rat  zu  ungerechten  Verord- 
nungen verführt  worden,  sich  nicht  scheuen,  auf  geeignete  Vor- 
stellungen diese  Verordnungen  wieder  aufzuheben,  zu  welchem 
Zwecke  in  Frankreich  die  Mitwirkung  des  Parlamentes  oder  besser 
der  Pariamenie  bei  der -Gesetzgebung  dngeffihrt  sei.  Cr  solle 
auch  nie  seinen  Dienern  eine  zu  große  Macht  einiftumen,  so  daß 
diese  in  Wahrheit  die  Herren  seien.  Die  vomehmslett  Amter 
wiren  daher  am  besten  jeweils  nur  auf  3  Jahre  zu  verleihen  (!)* 
Schließlich  soll  die  »allgemehie  Verwaltung  der  Empter  (sonder- 
lich der  Finanlz)«  nur  einem  tflcfatigen  Manne  anvertraut  werden, 
der  sie  unter  alleiniger  Veruitwoitung  zu  führen  hat  »Dann 
die  menge  der  Diener  bringt  nur  Verwirrung.«  Mit  diesen  Worten 
ist  das  Institut  der  allgewaltigen  Prinzipalminister  gemeint,  welches 
sich  seit  Heinrich  IV.  im  französischen  Staatswesen  eingebürgert 
und  in  Sully,  Richelieu  und  Mazarin  drei  Minner  von  seltener 
Energie  hervorgebracht  hat,  die  Frankreich  an  die  Spitze  des 
europäischen  Völkerkonzerts  zu  setzen  verstanden.  Alle  Beamten, 
auch  die  höchsten,  aber  darf  der  Kunig  absetzen  und  strafen 
nach  scHv.'ni  Ermessen,  auch,  wo  es  ihm  gut  scheint,  in  ihre 
Amtskonipt lenzen  persönlich  eingreifen. 

Prüfen  wir  zuletzt  noch  kurz  die  wichtigsten  Grundsätze 
des  »französischen  Cato"  in  ihrer  tieferen  Bedeutung,  so  läßt 
sich  nicht  verkennen,  daß  sein  Verfasser  in  den  politischen  Kämpfen 
seines  Vaterlandes  einen  offenen  Blick  für  das  erworben  hat, 
was  jener  Zeit  not  tat,  und  daß  er  überall  auf  der  Höhe  der 
Situation  stand.  Seine  politischen  Ideale  verraten  eine  ge- 
wisse Ähnlichkeit  mit  denen  Bodins. Auch  bei  Bodin,  dem 
Schöpfer  der  modernen  Staatstheorie,  finden  wir  betont,  daß  das 

<)  Vgl.  Haocke,  Bodin;  J.  C.  Bluntscfali,  Oescbichte  do  allgemeinen  Staaterechts 
und  der  Pottllk  Mit  den  I«.  |ibilMmdai;  Polladc^  OocMchte  der  StaHiMiic.  LOp^. 
S.  44ff. 


Digitized  by  Google 


Zur  Qeschichte  4es  französischen  Einflusses  auf  die  deutsche  Kultur.  457 


Wohl  des  Volkes  der  oberste  Grundsatz  der  Re^ierimti  sein 
müsse  (sehr  im  Gegensätze  zu  der  extrem  egoistischen  Lehre 
Macchiavells),  daß  der  Herrscher  keiner  gesetzlichen  Autorität 
unterworfen,  vielmehr  nur  durch  die  Forderungen  von  Gerechtig- 
keit und  Billigkeit,  also  nur  moralisch  durch  das  Naturrecht, 
g^nden  sei,  daß  den  Ständen  lediglich  eine  beratende  oder 
warnende  Stimme  zukomme,  und  daß  die  Beamten  dem  Souverän 
energisch  untergeordnet  seien.  Auch  die  Forderung  der  religiösen 
Toleranz  findet  sich  dort  wieder.  Wir  erblicken  also  in  der 
Obersetzung  des  französischen  Cato  als  Anleitung  fllr  einen 
deutschen  Fürsten  einen  der  fdnen  Kanäle^  durch  welche  zu  Be- 
ginn des  17.  Jahrhunderls  die  Aufklärung  in  der  französischen 
StaatsHieorie,  und  zwar  in  einer  von  Bodin  beeinflußten  Prägung, 
in  Deutschland  Eingang  fknd. 

III. 

Frankreich  als  Reiseziel  der  Deutschen  zu  Beginn 
der  iiciierca  Zeit 

Neben  den  politischen  Verhältnissen  und  der  kulturellen 
Oberlegenheit  Frankreichs  tiber  Deutschland  haben  seit  der  Mitte 
des  16.  Jahrhunderts  die  an  Zahl  und  Um&mg  zunehmenden 
Helsen  Deutscher  nach  Frankreich  am  meisten  zu  der  Steigerung 
des  französischen  Kuitureinflusses  auf  Deutschland  beigetragen. 
Während  bis  dahin  besonders  Italien  den  Strom  der  deutschen 
Reisenden,  Gelehrte,  Künstler,  Studenten,  Wallfahrer,  Diplomaten 
und  Krieg^slciiic,  an  sich  orezogen  hatte,  wurde  aus  den  ver- 
schiedciisicii  Ursachen  nunmehr  Fraiikrcich  tui  die  Deutschen 
das  beliebteste  Reiseziel,  zunächst  für  die  Protestanten,  welche 
der  gleiche  Antagonismus  gegen  die  katholische  Reaktion  mit 
den  in  Frankreich  zu  großer  poUlischcr  Macht  gelangten  Kal- 
vinisten  (Hugenotten)  verband.  Schließlich  lockte  während  des 
Verlaufes  des  17.  Jahrhunderts  die  höhere  Kultur  Frankreichs 
auch  die  katholischen  Deutschen  immer  mehr  ins  Land.  Frank- 
reicii  wurde  die  große  Bildungsschule,  das  gesellschaftliche  Muster- 
land nicht  nur  für  Deutschland,  sondern  für  das  ganze  zivili- 
sierte Europa. 


Digitlzed  by  Google 


458 


Curt  Gebauer. 


Sehen  wir  aber  nälicr  zu,  so  entspringt  die  damals  hcrrschcr.d e 
Neigung  zu  Reisen  nach  Frankreich  doch  auch  noch  anderen 
Quellen.    Spangenberg  zählt  in  seinem  Adelsspiegel  ^)  fünferlei 
verschiedene  Ursachen  des  Rciscns  überhaupt  im  einzelnen  auf, 
nämlich  Botschaften  und  Legationen,  Handel  und  Gewerbe,  Ek-- 
suche  von  Freunden  und  Bekannten,  das  Unterhaltunc^s-  und  liil- 
dungsbedürfnis  (das  sich  in  der  Neigung,  fremde  Sitten  und 
Gebräuche  zu  beobachten,  Sprachen  und  Künste  zu  lernen,  äuBcr^ 
endlich  zwingende  Umstände  wie  Not  und  Verfolgung.    Wer  aus 
einer  dieser  fünf  Ursachen  reise,  sagt  Spangtenbeiig,  den  soll  min 
jifgemeines  Landfriedens  mit  genießen  lassen*;  außerhalb  der 
Reihe  dieser  privilegierten  Reisenden  stehen  Kundschafter,  Ver- 
räter, Zigeuner  und  sonstige  Herumtreiber,  wddie  des  Schutzes 
nicht  wfirdig  seien.    Kommen  die  hier  aufgezahlten  Uisacfaen 
des  Reisens  natflrlich  auch  auf  Frankreich  in  Anwendung^  so 
spricht  sich  eine  andere  Quelle  des  1 7.  Jahrhunderls,  nämlich 
ein  Empfiehlungsbrief  des  Stnßburger  Professors  Matthias  Bemegger 
an  Theodonis  Oothofredus  vom  5./15.  Januar  1625,  über  die 
Gründe  der  Reisen  nach  Frankreich  noch  besonders  folgender- 
maßen aus:*) 

»Et  habemus  sane  oiusas,  cur  tanto  studio  Galliam  Ger- 
mani  pelamus,  non  illas  modo  veteres,  discendi  linguam,  poiiendi 
mores,  ingenium  excolendi,  sed  et  hanc  recenteni,  quod  immor- 
tali  beiitdicio  nos,  antiquos  illos  tralres  vestros  germanos,  eius 
faucibus,  qui  imperuim  spe  improba  totius  Orbis  amplectitur, 
modo  non  inhaerentes,  eripere  coepistis  et,  ut  ominamur  opta- 
musque,  felici  successu  propediem  eripietis»  non  nostro  tantum 
t>ono,  sed  si  verum  amamus,  etiam  vestro,  qui  pro  excellend 
sapientia  vcstra  prospicitis  ipsi,  ubi  nos  a  Deo  et  rege  Christia- 
nissimo^  quos  unice  respidmus^  destituti,  omen  abesto!  deflagra- 
verimus,  istud  inoendium  viclnos  quoque  parietes  esse  correpturum.* 

Hier  werden  also  die  Bildungsinteressen  der  DeuMien, 
das  Streben,  die  französische  Sprache  zu  erlernen,  die  Sitten  zu 


I)  Cyriakus  Spangcnbcr^,  Adclsspie^jcl.  Histoiischer  ausführlicher  Bericht,  wiis 
Adel  sey  und  hcisse  usw.  Oedruckt  zn  Schmalkalden  bey  Michel  Schmück  t59i.  Bd.  II, 
Bl.  151,  ROchidte. 

n  Reifferscheid,  Quellen  zur  Geschichte  de«  geisSfOl  LcbCM  in  Ooitidllaild 
während  des  W.  Jahrhunderts.   Hdlbronn  1889.  S.  842. 


Zur  Qeschidite  des  französischen  Einflusses  auf  die  deutsche  Kultur.  459 


verfeinern  und  den  Geist  zu  vervoHkon^iinieri,  daneben  aber  die 
fremeinsame  politische  Gca^nerschaft  der  prolcstnntischen  Deutschen 
und  Franzosen  gegen  die  meist  dem  Uitramontanismus  verbündete 
habsburgische  Weltherrschaftstendenz  als  Motive  der  »phiiogalli*, 
als  Ursachen  ihrer  Reisen  nach  Frankreich  bezeichnet 

Betrachten  wir  diese  Ursachen  etwas  näher,  so  reisten 
deutsche  Studenten,  oft  auf  Jahre,  in  französische  Universitfits- 
stadte,  um  dort  ihren  Studien  obzuliegen  und  gleichzeitig  fran- 
zösische S|>rache  und  Lebensart  kennen  zu  lernen.  Ein  Beispiel 
solcher  Studienreisen  bietet  Felix  Platters  Reise  nach  Montpellier.*) 
BiesaB  diese  Universität  Ittr  die  medizinische  Fakultät  einen  ht- 
sonderen  Ruf,  so  andere  Hochschulen  wie  die  zu  Bourges  und 
Orlens  wiederum  für  die  Juristen.  Von  jungen  deutschen  Pro- 
testanten Oberhaupt,  nicht  nur  von  evangelischen  Theologien, 
wurden  die  hugenottischen  Akademien  Saumur  und  Sedan  beson- 
ders häufig  besucht  Paris  behieK  natürlich  seine  alte  Anziehungs- 
kraft für  Studenten  aller  möglichen  Fakultäten.  Im  übrigen  war 
aber,  seit  die  Pflege  der  Wissenschaften  unter  humanistischen 
Einflüssen  in  Deutschland  immer  nachdrücklicher  und  reger 
geworden,  das  Universilätssludium  in  Frankreich  schon  etwas  in 
MifjkrL'Liit  <_Tekommen,  weil  c.ic  jinigen  Suulcukn  sich  dort  nur 
zu  iiäufig  um  alles  andere  kuiiHiitrten,  nur  niciil  um  ihre  Wissen- 
schaft. »Etsi,  ut  tibi  dicrm  in  aurem,  sludendiim  magis  domi 
quam  loris.  Qui  bonas  disciphnas  secum  patria  non  extuht,  raro 
refert,"  schrieb  der  Heidelberger  Professor  Jan  Gruter  am  28.  Fe- 
bruar 1613  seinem  jungen  Freunde  Wilhelm  Zink^ref,  als  dieser 
Studierens  halber  nach  Frankreich  reisen  wollte  und  um  die  Wahl 
seines  Aufenthaltsortes  verlegen  war.*) 

Mit  dem  steigenden  Interesse  für  Frankreich  aber  wurde  es 
Sitte,  dieses  Land  nicht  nur  eines  bestimmten  Berufssludiums 
wegen  aufzusuchen,  sondern  aucli  um  seiner  selbst  willen,  also 
um  die  gesamten  französischen  Verhältnisse  an  der  Quelle 
kennen  zu  lernen  und  vielleicht  spftter  in  iiigend  einer  poli- 
tischen Stellung  verwerten  zu  können.  Bei  dieser  neueren  Art 
von  Studienreisen,  zu  deren  Aufkommen  die  Religionsgemeinschaft 


1)  Siebe  S.  -Ml,  Am.  l.        ■)  Rriffenchdd  S.  SOu 


460 


Curt  Gebauer. 


der  deutschen  und  franzosisclien  Protestanten  wohl  das  meiste 
beigetragen  hat,  ist  der  Aufenthalt  im  fremden  Lande,  um  zu 
lernen,  ausgesprochener  Selbstzweck.  Als  eine  Anleitung  zu  solcher 
Reise  werden  wir  im  nächsten  Aufsatz  den  Traktat  des  Thomas 
Erpenius,  im  Druck  erschienen  1631,  näher  besprechen. 

Für  die  Leute  von  Stande  aber  blieb  doch  die  Hauptur- 
sache der  Reise  nach  Frankreich,  um  nicht  zu  sagen,  die  Ver- 
gnügungssucht, so  jeden  falls  dasgesteigerte  Bedürfnis,  die  Welt  kennen 
2U  lernen,  den  durch  die  begrenzteren  Zustände  der  Heimat  be- 
engten Bück  zu  erweitem  und  sich  draußen  den  gesellschaft- 
lichen Schliff  anzueignen,  den  man,  abgestoßen  von  dem  in 
Deutschland  noch  vielfach  herrschenden  groben  Ton,  als  not- 
wendiges Rüstzeug  einer  verfeinerten  Lebenshaltung  zu  empfinden 
begann.  In  adligen  Kreisen  hatte  sich  dies  Bedürfnis^  verbunden 
mit  praldischen  Zwecken,  bereits  recht  frfih  geregt  Schon  1564 
rät  der  Qraf  Reinhard  von  Solms  in  seinem  zu  Pnuikfurt  a.  M. 
erschienenen  Buche  vom  Ursprung  des  Adels  den  jungen  Edlen, 
an  fremden  Höfen  zu  dienen,  damit  sie  später  ihrem  eigenen 
Fürsten  desto  besser  dienen  könnten.^)  Seit  der  Wende  des 
16.  und  17.  Jahrhunderte  wurde  dann  das  Reisen  in  fremde 
Länder  überhaupt  beim  Adel  zur  festetehenden  Sitte.  In  der 
Regel  umfaßte  dte  sogenannte  »Kavaliertour«  außer  Frankreidi 
noch  Italien,  die  Niederiande  und  England.*) 

Bei  den  Bildungsreisen  des  Adels  nach  Frankreich  blieb 
die  Erlernung  der  französischen  Sprache  immer  wesentlich,  denn 
das  FranzSsisdie  wurde  im  17.  Jahrliundert  die  Sprache  der 
feinen  Welt  und  der  Diplomatie.  Schon  im  Jahre  1613  ver- 
breiteten Pfälzer  Diplomaten  in  Deutschland  eine  Denkschrift 
über  den  Reichstag  zu  Kegensburg  in  französischer  Sprache 
Und  auch  der  Bericht  des  Fiirsten  Chr;:>tian  I.  von  Anhalt  an 
den  König  von  Böhmen  und  Kurfürsten  von  der  Pfalz  über  die 
verlorene  Schlacht  am  Weißen  Berge  bei  Prag,  datiert  Cüstrin, 

')  Das  Bucli  dtfs  Orafcn  Solms  wird  von  SiiinKenbcrj^'  (Adelsspicjid,  Bil  II, 
Blatt  199  Rückseite)  angeführt  Rdnbard  von  Solms,  geboren  1491,  gcstortMm  noi,  war 
Kdttrlidier  Rat  und  Fdänarscball  und  tat  sicfa  IwKMidcn  als  mililirischer  Schriftsteller 
hervor.  Sein  hedetitendtia  Werk  war  da»  sog.  «KricgidMcti.'  Vgl.  Alle,  devladie  Bio* 

graphie  XXX iV,  i&i. 

StainhanMii,  Ocschichle  der  deatsdien  KollBr,  S.  SM,  S93. 
9  Karl  Lampncbt,  Oeatsdic  OcKblcbte:  7.  Bd..  i.  Hilfle,  S.  M. 


Digitized  by  Google 


Zur  Geschichte  des  französischen  Einflusses  auf  die  deutsche  Kultur.  461 


den  1.  fanuar  1621,  ist  französisch,  v.cnn  auch  in  einem  nichtsehr 
fließenden  und  etwas  umständlichen  Französisch  abgefaßt^) 

Nach  der  Äußerung  einer  anderen  Quelle  galten  etwa 
Orl&nsy  Toulouse,  Tours^  Blois  und  Poitiers  als  die  Städte,  in 
denen  das  beste  Französisch  gesprochen  wurde.  In  einem  Akten- 
stücke des  Kreisarchivs  in  Neubuig,  überschrieben  «HertzQgs 
Augusti  pfaltzgnivens  raise  inn  Franckreich  betr.  a.  1600-1604«,*) 
heiBt  es,  der  Henog  solle  sich  in  diesen  Städten  3  Monate  und 
längier  aufhalten,  um  Französisch  zu  lernen.  Cr  solle  aber  auch 
vdie  memorabilia  und  sehenswürdigen  Sachen  jeden  Orts  fleißig 
perlustrieren  und  in  ein  besonder  Büchlein  aufeeichnen."  Den 
Menschen  jenes  Zeitalters  kam  es  vor  allem  darauf  an,  auf  den 
Reisen  auch  zu  lernen,  ihre  Kenntnisse  zu  bereichem.  Das  ent- 
sprach dem  etwas  trockenen,  pedantischen  Ödste  des  f  7.  Jahr- 
hunderts. Das  Oefühl  war  damals  Nebensache,  und  so  werden 
denn  auch  in  allen  Reiseführern  und  Reisebeschreibungen  jener 
Zeit  die  Nalurschönheiten  ganz  übergangen  oder  doch  mit  wenigen, 
meist  nüchternen  Bemerkungen  abgetan. 

Dem  gesteigerten  Reisebedürfnis  der  Deutschen  kam  übrigens 
auch,  was  nicht  zu  ubersehen  ist,  seit  dem  Ausgange  des  16.  Jahr- 
hunderts  der  bedeutende  wirtschaftliche  Aufschwung  Frankreichs 
l)egünstigend  entgegen.^)  Während  des  30  jährigen  Religions- 
und Bürgerkrieges  war  das  ganze  Land  von  Räuberbanden  und 
Wegeiagerem  erfüllt.  Paris  selbst  war  nach  den  Schilderungen 
der  um  1  594  veröffentlichten  Satire  M^nippee')  kaum  etwas 
anderes  als  ein  Schlupfwinkel  von  Gaunern,  Dieben,  Räubern 
und  Meuchelmördern.  Den  Anblick  der  französischen  I^nd- 
stmßen  machten  auch  die  seit  den  60er  Jahren  allenthalben 
wahrnehmbaren  Spuren  der  Ketzerhinrichtungen,  von  denen  z.  B. 


1)  TtgciMdi  diristtaat  de»  Jflmmn,  Fnnten  xn  Anludt.  Midi  dem  Manuskript 
hcrausgfK^H  n  v  n  Q.  KrtiM.  Leipzig  i«st.  Anbtng,  S.  310-314.  Der  Bericht  ist 
hJcr  wörtlich  abgedruckt. 

*)  Vgl.  J.  Brciteiibach,  Aktenstücke  zur  Geschichte  des  Pfalzgrafen  Wolfganfr 
WilbdiB  von  Ncntarg.  Neuburg  1896,  Einlntang  S.  XXXiVtf^  and  Sdinidt,  Enidiuoff 
der  pUhiKbcB  WflteUMidKPt  8»  CXUI« 

•)  Zum  fblgcaden  vgl.  A.  lUadimd,  HffUrif«  de  1a  dvflhilim  tnagim.  Flute 

IfW.    I,  54«  ff. 

«)  Vgl.  aber  dlcK  Safii«  Sodikr  und  Blidi-HtndilMd,  Octdridrie  der  trwirartidwi 
Uienliir.  Leiinic  «md  Wien  IM».  S.  343. 


Digitized  by  Google 


462 


Ciict  Od»iier. 


fdix  Platter  in  seinem  Tagebucfae  imuidics  berichtet,^)  wenig 
eifreitKch.  Hierzu  lomen  noch  der  mangelhafte  Zustand  der 
Straßen  und  die  ungenügenden  Verbindungen  selbst  zwischen 
den  bedeutenderen  Städten  des  Landes.    So  waren  von  Paris 

aus  überhaupt  nur  Orleans,  Amiens  und  Rouen  auf  fahrtisiren 
Straßen  zu  erreichen.  Dies  alles  wurde  anders,  als  es  Heinrich 
gelungen  war,  seinem  Reiche  die  heißersehnte  Ruhe  wiederzu- 
geben. In  wenigen  Jahren  befreite  es  der  Könis^  von  seinen 
Plagegeistern  und  leerte  ein  Netz  guter  fahrbarer  Straßen  an,  die 
er,  was  bis  dahin  unbekannt  gewesen,  mit  schattenspendenden 
Baumen  besetzen  ließ.  Alle  Straßen  eriuelten  regelmäßige  Po^t- 
Verbindungen,  die  Benutzung  der  Posten  aber  stand  jedermann 
gegen  mäßi^^e  Ver<^ütung  frei.  Sogar  mit  den^  Bau  von  schi^f^ 
baren  Kanälen  hat  schon  Heinrich  IV.  begonnen. 

So  wurde  also  erst  seit  dieser  Zeit  Frankreich  dem  großen 
Vericehr  wirklich  erschlossen,  und  das  Reisen  in  diesem  Lande 
g;ewann  für  die  Deutschen  gegen  das  jüngst  vergangene  Jahr- 
hundert unendlich  an  Reiz  und  Annehmlichkeit 

Bezeichnend  für  die  damals  unter  den  Deutschen  ein- 
gerissene Sucht,  nach  Frankreich  zu  reisen,  ist  eine  kleine  Anekdote 
aus  jenen  Tagen,  die  ich  hier  nicht  verschweigen  möchte.  König 
Heinrich  IV.  von  Frankreich  begegnet  eines  schönen  Tages  auf 
der  Jagd  etlichen  Kutschen  voll  deutscher  Edelleute  und  Studenten, 
die  von  der  Frankfurter  Messe  aus  in  sein  Land  gereist  sind. 
Als  er  vernommen,  daß  es  Deutsche  wären,  sagt  er  zu  seiner 
Begleitung:  uLast  sie  frey  in  [  ranckreich  ziehen.  Diese  seynd 
es,  so  die  alte  ersparte  Mutter  Pfenning,  die  in  vielen  Jahren  die 
Sonn  nicht  gesehen,  in  Franckreich  und  unter  die  Leut  bringen."-) 

Der  Erfolg  der  Reisen  nach  Frankreich  war  natürlich  je 
nach  den  damit  verknüpften  Zwecken  und  der  Wesensart  des 
Reisenden  ein  sehr  verschiedener,  immer  aber  doch  der,  daß  die 
Deutschen  mit  dem  französischen  Volksgeist  und  der  französischen 
Zivilisation  vertraut  wurden,  zumal  die  Reisen  damals  viel  längiete 

1)  Thomas  und  Felix  Platter.  Zur  Sittengeschichte  des  16.  Jahriiunderts.  Beubdiet 
von  Hdflrldi  Bom.  Ldpdc  187S.  S.  ilt,  i<7,  Sl4ff.,  Sti. 

Jul.  ^JC'ilh.  ZinVfiief,  Tcnitsclic  Apophthegmata,  d  i.  der  Ttiit  ihrn  liurf  in  . 
klage  Sprüche,  vermehrt  durch  Joh.  Bernhard  Wetdaem.  Amsterdam  i653  b«i  L.  Eizvtera). 
9.  Tdl,  &  348. 


Zur  Oescfaichte  des  franzOstscben  Einflusses  auf  die  deutsche  Kultur.  463 


Zeit  in  Anspruch  nahmen  ab  heule  und  die  Berührung  mit  dem 
Volke  eine  weit  intimere  war.   Das  mufite  im  Laufe  der  Zeit 

auf  die  Entwicklung^  der  deutschen  Kultur  einen  starken  Einfluß 
ausüben.  Nationale  Eiferer  haben  daher  schon  immer  gegen  die 
im  Gefolge  der  französischen  Reisen  unvermeidlich  auftretenden 
Mißstände  gepredigt  und  dabei  die  guten  Seiten  geflissentlich 
übersehen.  Unzweifelhaft  harrten  in  Frankreich  und  besonders 
in  Paris  der  jungen  Reisenden  ja  viele  Verlockungen,  die  sie 
vom  rechten  Wege  abbrinp^en  konnten,  und  der  Glanz  des  fran- 
zösischen Lebens  konnte  schwache  Charaktere  wohl  zur  öden 
Nachäfferei  und  zur  Verachtung  der  einfacheren  vaterländischen 
Sitten  verleiten.  Auch  der  Hang  zur  Schwelgerei  und  zu  geschlecht- 
lichen Ausschweifungen  wurde,  wo  er  im  Keime  vorhanden,  durch 
die  Berührung  mit  der  freidenfcenden  französischen  Oesellschaft 
begOnstigt  Sehr  zu  beherzigen  war  daher  jener  väterliche  Rat,  den  der 
alte  Fürst  Christian  von  Anhalt  seinem  Sohn  gab:  »Item,  man 
sollte  auf  den  Reisen  auf  das  honestum  und  udle  sehen.  Sonsten 
flöge  eine  gans  flbern  Rhein  und  kirne  eine  gans  wieder  heim.« 

Unter  den  Tadlem  und  Wamern  steht  gegen  die  Mitte 
des  1 7.  JahrhundertSi  was  die  in  Deutschland  aufgetretene  Reise- 
wut und  die  damit  zusammenhängende  Modesucht  betrifft,  Johann 
Michael  Moscherosch obenan.  In  seinen  »WunderHchen  und 
wahrhafftigeii  Gesichten  Ilulandcrs  von  Sittewalt"  *)  spricht  er 
sich  über  das  Reisen  folgendermaßen  aus.  Warum  man  in 
trenuie  Länder  reisen  solle,  sei  den  meisten  zwar  aus  den  Büchern 
wohlbekannt;  ,pkönnen  davon  zierlich  reden  und  prächiig  sprechen: 
die  mehrt  len  aber  haben  ihr  absehen  vornemblich  dahien,  wie 
sie  ein  wälsch  Kleid,  wälsche  Geberden,  wälsch  Wesen,  wäischen 
Übelstand,  ein  wäischen  Bart,  wäischen  Hut,  Malsch  Haar,  wäischen 
Überschlag,  wälsches  Wanibst,  wälsche  Hosen,  wälsche  Strimpff, 
wälsche  Stiffei,  wäischen  Mantel,  wAlschen  Dägen,-  wälsch  Gehende 
mit  nach  hauß  bringen  mögen,  und  das  ärgste  ist,  offt  die 
Frantzosen  gar  im  Hertzen:  Gott  gebe,  wo  Alte  Tugend  und 

1)  Tagebuch  Christians  von  Anhalt.  S.  87. 

*)  Moscherosch,  g^eboren  1601  zu  Willsddt  bei  Straßburg,  gestoiben  als  He«dadier 
OchdBter  Rat  in  Kassel  1669  auf  einer  Reise  in  \^'onns. 

1  Zoost  1640  ia  dncn  Tdl,  dam  i643/ij  and  anor  in  i«d  BAnden  eracUcnea. 
I«h  littcve  hier  nach  der  Angabe  von  iW, 


464 


Curt  OdMuer. 


Redlichkeit,  Kfinste,  Er&threnheit,  Wdfiheit«  Gedult»  Sittsamkcst 
und  anderes»  umb  deß  willen  sie  hienitiß  verschickt  worden, 
bleiben.    Dann  das  alles  ist  Ihnen  Thorheit  und  Ihren  hohen 

Einbildungen  viel  zu  geringe;  die  Alte  in  ihren  Tugenden  haben 
nichts  verstanden,  die  Naaßweise  Herrchen  wissen  es  alles  besser 
und  sufftiler  an  tage  zu  geben."')    An  einer  andtien  Stelle 
schildert  Moscherosch   in  ergötzlicher  Weise  das  Treiben  des 
juiiL^en  Deutschen,  der  studaTciishalber  nach  Paris  gezocren  ist.-) 
Di<-^  bedeutenden  i^rufessoren  kennt  er  freilich  von  Anseilen,  hat 
auch  alle  schon  mit  Hutabziehen  gegrüßt,  aber  ins  Kolleg  ist  er 
nie  gegangen.    Auf  die  Frage,  ob  er  etwas  gelernt  habe,  womit 
er  dem  Vaterlande  nützen  könne,  antwortet  er:  »Ich  hab  die 
schönste  Nestel  gesehen  machen.«  Er  weiß  genau  Bescheid,  wie 
die  neueste  Mode  beschaffen,  kennt  die  besten  Pariser  Kabarefls^ 
wo  man  guten  Wein  trinkt  und  geOllige  Damen  bedienen.  Und 
der  patriotische  Tadler  schließt:*)  »Oott  wolle  Teutsche  Hehlen 
erwecken,  die  dem  unmäßigen  reysen  in  fremde  Lande  ihre  Zeit 
und  Maß  setzen,  damit  das  Vatterbmd  sich  der  Jug^d  kfiniftig 
besser  2U  erfrewen  und  zu  getrösten  habe.  Ja«  die  es  dahien 
ordnen,  daß  die  redliche  deutsche  Jugend  die  fremt)de  Sptacfaen 
im  Vatierland  lernen:  und  bemach  ihre  reyse,  als  ob  sie  durch 
die  Brenne  kuffen  sollen,  eilig  fortsetzen  mfissen.  Damit  sie  von 
den  Wälschen  Lastern,  insonderheit  der  Heydnischen  Abgötterei, 
icli  sage  dem  Wälschen  Atheismo,  nicht  angesteckt  werden  mögen."*) 
Ein  frommer,  aber  aussichtsloser  Wunsch !  Denn  immer  hat  gerade 
die  Deuiscijen  die  Ferne  mächtig  angezogen  und  das  Fremde  in 
seine  Netze  gelockt.    Kann  man  doch  auch  nach  der  Enge  des 
Mittelalters  dem  neuen  Heißhunger,  den  Horizont  des  Wissens 
und  der  Bildung  zu  erweitern,  ganz  gewiß  seine  tiefere  Beredi- 


i)  Philaodcr  van  Sittewalt.  Bd.  U,  Erstes  Ocsicbt  (Almodc^Kdiraafi),  Vor> 
rede  S.  i2,  n. 

S)  PhiUnder.  Bd  II.  Zweites  Gericht  (Hanß  hii-iüihcr,  Q«l81ieffSbcr),  S.  244ff^  ISSlf. 
•)  Ebenda  Schluß  de^  TvrUfn  f">esichts,  S.  266.  ?r~ 

*)  Auch  Joachim  Rachel  spricht  einmal  sehr  u ogucrfcnd  von  «nrm  jungen  Deut- 
«drni,  der  m»  Fteis  helnkehrt : 

*eln  kahler  Straßenprunker, 
Der  etva  von  Pariß  nur  Titel  bringt  zu  haufl, 
Den  Hut  auf  einem  Ohr,  im  Beutel  eineLanß  ' 
J.  KAdidt  Mljniidic  Ocdidile.  Nach  den  Ansgiben  von  1664  und  1677  hcrtn^egebca  m 
Kwl  Diadicr.  Httle  a.  S.  f 903.  Sttfre  IV. 


Zur  Oeschichte  des  französischen  Einflusses  auf  die  deutsche  Kultur.  465 


tigung  nicht  absprechen,  so  iineifreulich  manche  Nachteile  sein 
mochten,  die  dabei  in  den  Kauf  zu  nehmen  waren.  Es  handelte 
sich  hier  um  eine  notwendige  Entwicklungsstufe,  die  das  zum 
individualistischen  Denken  erwachte  deutsche  Volk  durchmachen 
mußte,  um  zu  freieren  Gedanken  und  Anschauungen  zu  gelangen. 
Richtig  ist  es,  daß  die  Reisesucht  zur  Verwelschung,  besonders 
zur  Französiening  der  Kleidung  und  der  Gebärden,  zuweiten  zur 
V^rflachung  des  Geistes  und  Verweichlichung  des  Charakters, 
endlich  auch  hier  und  da  zur  Irrdlgtositit  in  Deutschland  bei- 
getragen hat  Aber  was  die  damalige  Welt  als  Atheismus  bezekhnete, 
war  doch  häufig  nur  die  Abkehr  vom  starren  Kirchenghuben  und 
der  Keim  jener  freieren  Regungen,  welche  den  Segen  der  Aufklärung 
fiber  die  von  der  finsteren  Orthodoxie  geknechtete  Menschheit 
herabschfitteten.  Und  außerdem  waren  die  Klagen  der  nationalen 
Eiferer  auch  vielfach  übertrieben  wie  alle  Tendenzäußerungen. 
Sie  verschwiegen  geflissentlich,  daß  ein  guter  Teil  aller  Fraiik- 
reichfahrer  wohl  Rückgrats  ^enug  besaß,  um  die  Spreu  vom 
Weizen  zu  sondern,  den  Verlockungen  des  fremden  Lebens  zu 
trotzen  und  die  nationale  Würde  zu  bewahren. 

Zu  diesen  das  rechte  Maß  innehaltenden  franzosenfreunden 
gehörte  im  16.  Jahrhundert  der  bereits  genannte  Felix  Platter 
aus  Basel.  Felix,  der  Sohn  des  Thomas  Platter,  wurde  von 
seinem  Vater  zur  Absolvierung  seiner  medizinischen  Studien  auf 
die  Universität  Montpellier  in  Südf^kreich  geschickt  Seine 
Erlebnisse  in  Montpellier  und  auf  einer  im  Anschluß  an  die 
Studienjahre  unternommenen  Reise  durch  ganz  Frankreich  Ober 
Narbonne,  Toulouse,  Bordeaux,  Poitiers,  Tours,  Blois,  Orl^Si 
Chartres  und  Paris,  im  ganzen  die  Zeit  vom  Oktober  1552  bis 
Anfang  Mai  1557  umfassend,  hat  er  nach  gleichzeitigen  Auf* 
Zeichnungen  später  im  Jahre  1612  in  einem  Tagebuche  eingehend 
geschildert.  Das  Tagebuch,  welches  übrigens  auch  noch  die 
späteren  Lebensjahre  einschließt,  ist  kulturgeschichtlich  höchst 
interessant.')  Für  die  Oeschichte  des  französischen  Einflusses 
ist  es  in  seinen  den  Aufenthalt  in  Frankreich  behandelnden  Teilen 
deshalb  besonders  wertvoll,  weil  es  ersehen  läßt,  nach  welcher 


>)  Siehe  S  462,  Anm.  J. 
Ardtiv  für  Knltorgicsdiicbte.  V.  |0 


466 


Curt  Gebauer. 


Richtung  hin  sich  dieser  Finfluß  zunächst  geltend  machte,  und 
wie  nicht  nur  der  deutsche  Adel,  sondern  auch  schon  der  bessere 
deutsche  Bürgersland  sich  frühzeitig  die  Elemente  französischer 
Bildung  anzueiijnen  begann. 

Daß  Felix  Platter  in  Frankreich  die  französische  Sprache 
erlernt,  und  anscheinend  bis  zu  völliger  Beherrschung,  so  daß  er 
auch  im  spateren  Leben  bei  Gelegenheit  gern  davon  Gebrauch 
macht,  ist  ja  selbstverstftndlich.  Aber  er  widmet  sich  auch  eifrig 
der  Musilc.  Das  Lautenspiel  erlernt  er  mit  solchem  Erfolge,  daß 
ihm  die  auszeichnende  Benennung  l'AlIemand  du  lut  zuteil  wird. 
Er  beteiligt  sich  an  nächtlichen  Ständchen,  treibt  Hausmusik  und 
findet  dabei  Gelegenheit,  auf  den  verschiedensten  Instrumenten 
virtuoses  Können  zu  erwerben.  So  lernt  er  auch  auf  dem  Sptnett 
spielen  und  übt  fleißig  Harfe,  die,  wie  es  heißt,  in  Basel 
noch  niemand  kennt  Des  Rondeletius  Tochter  unterweist  er  im 
Lautenspiel.  An  der  französischen  Geselligkeit  findet  er  lebhaften 
Geschmack.  Dort  herrscht  nicht  das  wüste  Trinkstubenwesen 
wie  in  der  Heimat;  die  Nüchternheit  des  Volkes  überrascht  den 
deutschen  Studenten.  Dagegen  gibt  es  in  den  Bürgerhäusern 
Gesellschaften,  die  beide  Geschlechter  froh  vereinen  und  wo  man 
tanzt  die  Nadit  hindurch  bis  gegen  Morgen.  Hier  lernt  Feluc 
alle  jene  graziösen  Tänze  wie  Branlen,  Gaillarden,  Volten,  die 
eine  Hauptzierde  der  französischen  Geselligkeit  bilden.  Der 
freiere  gesellige  Verkehr  zwischen  beiden  Geschlechtern  aber 
läßt  die  zarte  Galanlcnc  einj)ürblu!ie;i,  die  den  deut^cht-'n  Baren 
damals  etwas  Ungewohntes  war  und  doch  für  die  Bildung  des 
Gemütes  und  des  Charakters  der  Männer  einen  so  hohen 
erzieherischen  Wert  hat.  Wie  bezeichnend  ist  hier  eine  Stelle 
aus  dem  Tagebuche,  die  sich  auf  eine  spätere  Zeit  bezieht.*) 
Felix  Platter  ist  wieder  in  Basel  und  iieiratet.  Auf  seiner  Hoch- 
zeit gedenkt  er  seiner  französischen  Lehrzeit.  »Ich  wolt  höflich 
sein  mit  meiner  hochzeiteren ,  wie  ich  in  Trankrich  by  den 
Dentzen  gewont;  wil  sy  mich  aber  frintlich  abniant  und  sich 
schampt,  lies  ich  ab,  dantzt  doch  auch,  doch  allein  em  gaillarden^ 
aus  anstiftung  D.  Miconii."    Die  Deutschen  mußten  eben  erst 


>)  Boos,  S.  319. 


Digitized  by  Google 


Zur  Oeschidite  des  fhuuMchoi  Einflusses  auf  die  deutsche  Kultur.   46  7 


noch  längere  Zeit  in  die  Schule  der  Franzosen  gehen,  um  zu 
einer  höheren  Stufe  gesellschaftlicher  Gesittung  zu  gelangen.  Denn 
der  seit  dem  Ausgange  des  1 5.  Jahrhunderts  in  Deutechland  ein- 
gerissene Grobianismus  hatte  die  Frauen  mit  Hohn  überschüttet 
und  in  den  Schmutz  gezerrt,^)  so  daß  hier  kein  Raum  für  zarte 
Rücksichten  auf  das  schwächere  Geschlecht  vorhanden  war. 
Hundert  Jahre  später  hätte  eine  Braut  sich  der  Huldigungen  ihres 
Bräutigams  vor  der  Hochzeitsgesellschaft  auch  in  Deutschland 
nicht  mehr  zu  schämen  brauchen. 

So  wirkten  denn  die  Reisen  nach  Frankreich  wie  jede 
Berührung  mit  diesem  Lande  in  gesellscfaaltlicherf  ja  in  ethischer 
Beziehung  zum  Teil  sehr  segensreich.  Eine  andere  Seite  der 
dadurch  bedingten  Abhängigkeit  von  der  franzAsischen  Kultur  ist 
allerdings  bedenklicher  gewesen,  nämlich  die  Neigung  zur  Ein- 
mischung französischer  Wörter  in  die  deutsche  Rede.  Sie  ergriff 
nicht  nur  die  vaterlandslosen  Verächter  deutscher  Art,  sondern 
merkwürdigerweise  oft  auch  gute  Patrioten.  Schon  bei  Felix 
Flauer  linden  wir  eine  ziemHch  reiche  Ausbeute  französischer 
Fremdwörter,  im  Vergleich  zu  welchen  die  lateinischen  und 
Italienischen  stark  in  den  Hintergrund  treten.*)  Das  erklärt  sich 
nur  durch  den  langen  Aufenthalt  in  Frankreich.  Im  17.  Jahr- 
hundert setzt  dann  Moschertv.rhs  „Philander  von  Sittewalt",  ein 
durchaus  nationales  Werk,  durch  die  fast  unglaubliche  Menge 
eingestreuter  fremder,  besonders  französischer  Wörter  und  Redens- 
arten in  Erstaunen.  Wenn  der  Verfasser  in  einer  Vorrede  dazu 
versichert,  er  habe  die  k  la  mode  Tugenden  mit  ä  la  mode 
Farben  schildern  wollen,  so  war  dies  Mittel,  welches  vielleicht 
abschrecken  sollte,  doch  bei  der  Richtung  der  Zeit  nicht  gut 
gewählt,  weil  es  eher  zur  Nachahmung  reizte.   Aber  gegenüber 

# 

»)  O.  SteinlMaMii.  OcMiiidife  der  deotodiai  Knllnr,  &  4S4,  slo/11  «t«. 

*)  Ich  celic  hier  einp  Auslese  französischer  Fremdwörter  aus  F.  Ptatters  Tagebuch : 
panchetcn=^üaätmahkr,  haubaden  »Ständchen,  los.iinent  —  Wohnung,  Upißery  =  Tapeten, 
iibery  s=  Bücherei,  port  =  Hafen,  komiDcndierni  =  empfehlen,  befdiien,  guamison  = 
QamiiQo,  ffiBlin  —  Gewehr,  koavcniernt  »  sich  unterhalten,  conpigny  OesclUduit, 
ooiladon     &frischung,  disconr«  >■  Rede,  dtret— Wein,  contrafetangf  *  Bild  (Konterfei), 

contrafcten  =  ablTildcn,  faiitestig  —  wufliicrlich  (ph.intastisch)  usvi.  Intcrcsiant  ist  es,  *'ic 
auch  der  muntere  Plauderton  der  Fran20<>eii  in  Deutschland  durch  die  Berührung  mit  dem 
frunMadien  Wesen  eindringt  und  die  bedächtige  deutsche  Art  in  der  gesellschaftlichen 
Unterhaltung  veniräiii^'t.  Tl-Hx  PLittcr  »ird  von  seinem  Vater  ermahnt,  «nicbt  «1  acfaneU 
zu  reden,  wie  die  Wälschen  &onst  im  Brauch  haben".   Boos  S«  298. 

30* 


468 


Curt  Gebauer. 


dem  Eindringen  französischer  Wörter  in  die  deuLsche  Sprache, 
das  freilich  durch  die  Reisen  zunächst  beguiisds^rt  wurde,  möge 
man  sich  daran  ermnern,  daß  außer  anderen  Pai<toren  auch  gerade 
die  Bemühungen  der  Fran/osen  um  die  Aushildiing  ihrer  Sprache 
und  Literatur  seit  I3e;./inii  cies  17.  Jahrhunderts  in  Deutschland 
eine  Richtung  begünstigten,  welche  den  reinen  Gebrauch  der 
Muttersprache  in  der  literarischen  Produktion  auch  hier  als 
höchstes  ästhetisches  Gesetz  hinstellte. 

(Schluß  folgt.) 


üiyiiizeü  by  Google 


Frauenhäuser  und  freie  Frauen  in  Leipzig 

im  Mittelalter 

Von  GUSTAV  WUSTMANN. 


Wie  in  allen  großen  und  auch  in  vielen  kleinen  deutschen 
Städten,  gab  es  auch  in  Leipzig  schon  im  Mittelalter  öffentliche 

Frauen  und  Mädchen.  Man  nannte  sie  hier  »lieie  Frauen.« 
Aus  der  bürgerlichen  ( jesellschaft  waren  sie  ausgeschlossen,  wie 
am  besten  aus  den  innun:ij;^ordnungen  der  Handwerker  liervor- 
gcht.  So  bestimmt  die  Ordnung  der  Leipziger  Bäckergesellen 
vom  Jahre  1453:  «Wo  die  Gesellen  einen  Ort  haben  oder 
Zechen,  so  wollen  die  Meister  und  das  ganze  Handwerk,  daß 
kein  Gesell  eine  freie  Frau  hei  sich  setzen  soll,  bei  einer  Buße 
dem  Handwerk  und  Gesellen."  Die  Ordnuna  der  Schuhmacher- 
gesellen von  1465  schreibt  vor:  »Wann  die  Cjeselien  beisammen 
sein  in  emrr  l'rtcn,  SO  soll  ein  itzlicher  seine  Wehr  von  sich 
geben  und  kerne  freie  Frau  in  die  ürten  nicht  führen."  Die 
Artikel  der  Leineweber  von  1  470  fordern  von  dem  zugewanderten 
Knappen  (Gesellen):  »Bringet  er  ein  Weib  mit  ihm,  so  soll  er 
in  vierzehn  Tagen  Kunde  bringen,  daß  es  sein  Eheweib  sei.« 
Die  Schuh macherordnung  von  1497  endlich  schreibt  vor:  »So  ein 
Geselle  ein  unzüchtig,  sträflich  Leben  führet  oder  mit  einem  offenbar- 
lichen  Weibe  einen  Anhang  haben  würde",  so  solle  ihm  kein 
Meister  Arbeit  geben,  bei  Strafe  von  einem  Pfund  Wachs.  Aber 
auch  eine  Ordnung  für  die  Weinschenken  vom  Jahre  1467  setzt 
fest,  daß  kein  Weinschenk  eine  «offenbare  Fraue«  in  seinem  Keller 
solle  sitzen  lassen  und  ihr  Wein  auftragen,  weil  davon  zwischen 
den  Studenten  und  den  Handwerksknechten  «viel  Zwietiächte  mit 


Digrtized  by  Google 


470  Gustav  Wustmann. 

Schlagen,  Mörderei  und  ander  Untat  mehr"  geschehen  sei; 
nur  »auswendig  des  Hauses  und  des  Kellers"  sollten  sie  aii  »fahrende 
Frauen"  Wein  verkaufen  dürfen. 

Um  sie,  die  so  Verachteten,  nicht  mit  dem  Hause  und  der 
Familie  in  Berührung  kommen  zu  lassen  und  doch  zugieidi 
ihnen,  den  armen  Schutziosen,  die  von  Seiten  der  Männer  vielen 
Roheiten  ausgesetzt  waren,  einen  gewißen  Schutz  angedeihen  zu 
lassen,  errichteten  die  Behörden  sogienannte  » Frauenhäuser wo 
die  freien  Frauen  zusammen  wohnen,  überwacht  werden  und 
Schutz  genießen  sollten.  Was  in  der  Gegenwart  der  Hauptzweck 
der  Überwachung  der  Öffentlichen  Mädchen  ist:  die  mit  ihnen 
verkehrenden  Männer  vor  Ansteckung  zu  schützen,  fiel  im  Mittel- 
alter weg;  da  es  damals  noch  keine  ansteckende  Geschlechts- 
krankheit in  Europa  gab;  die  >franzÖsische  Krankheit«  (der  mor- 
bus Galliens)    kam   erst   um   1495    nach  Deutschland.') 
In  solche  Frauenhäuser  -  in  Leipzig  auch  ».das  freie  Haus"  und, 
sogar  anitlich,  auch  das  Ilüihaub  genannt   -    be^ab  s:ch  aber 
doch  immer   nur  ein  Teil   der  freien   Frauen;  in  den  Stadt- 
rcLiuiungen  von  1472  werden  sie  die  irfrommen  Huren",  d.  h. 
die  gefügigen,  gehüisainen    genannt.    Daneben   gab  es  immer 
auch  andere,  die  es  vorzogen,  ihr  Gewerbe  auf  eit^^ne  Hand  zu 
treiben  und  in  Burgerhäusern  zu  wohnen.  Diese  nannte  man  in 
Leipzig  die  «fheimhchen«  Dirnen  -  »heimlich"  nicht  im  heutigen 
Sinne,  denn  auch  sie  waren  stadtbekannt  SO  gut  wie  die  andern, 
sondern    heimlich"  in  dem  Sinne,  daß  sie  ihr  Gewerbe  in  ihiem 
eignen  Heim  trieben.  Herumschweifende,  wilde,  fahrende  Dirnen 
waren  nicht  geduldet;  als  t523  zwei  aufgegriffen  wurden,  wurden 
sie  »ins  gemeine  Haus  geführt  und  ihnen  zu  wandern  befohlen.' 

Die  Frauenhäuser  gehörten  der  Stadt  und  wurden  vom 
Rat  in  baulidiem  Wesen  erhalten.  Dafür  bezahlten  die  Insassen 
einen  kleinen  Zins  an  den  Rat  —  wöchentlich  zusammen 
3  Groschen  -  ,und  dieser  Zins  floß  dem  Beamten  zu,  der  über  sie  die 
Aufsicht  zu  führen  hatte.  Dies  war  in  Leipzig  im  Mittelalter  der 


1)  In  Leipzig  erscheint  die  Syphilis  arkundlich  zuerst  im  Jahre  1498.  Die  davoa 
Ergriffenen  wurden  in  dem  Ji^h.inni?hospifnl,  dem  aJten  Aussätzigetüiospital  der  Stadt,  unter- 
gebracht. Die  Stadtrechtuingcn  vct/,cichncn  zwttit  im  Mint  1498  und  von  nun  an  Unger 
als  rrei  Jahre  regelmäßig  eine  Beisteuer  des  Ri:s  an  das  Hotpitil  von  wfldieatlicil  lOOmdMi 
•fär  die  Franzosen",  Mt  die  annen  Franzosen«. 


uiyui/cd  by  Googl 


Frauenhänser  und  freie  Frauen  in  LApng  im  Mittelalter.  471 


»ZQchtiger«  oder  Sdiarfrichter.  Er  erhielt  jede  Woche  außer 
seinem  Wochenlohn  von  7  Groschen  noch  3  Groschen  »von 
den  Frauen'  oder  «vom  Frauenhaus"  oder  auch  bloß  »vom 
Haus'',  de  domo,  de  domo  communi.  Erst  1519,  wo  der  Scharf« 
richter  in  Leipzig  das  einträgliche  Geschäft  des  Abdeckers  mit 
übernahm,  das  bis  dalim  der  Totengräber  besorgt  hatte,  und 
infolgedessen  seine  Besoldung  wegfiel,  wurde  die  Aufsicht  über  das 
Frauenhaus  den  beiden  -.Marktmeistern"  niit  übertragen,  die  an 
der  Spitze  der  Stadtwache,  der  »Stadtknechte",  standen;  von  nun 
an  bezogen  diese  wöchentlich  die  3  Groschen  Zins. 

!n  der  ältesten  Zeit  lagen  die  Frauenhäuser  es  waren 
wohl  mehrere,  wenn  sie  auch  öfter  unter  dem  Namen  »das 
Frauenhaus"  zusammengefaßt  werden  -  in  der  innern  Stadt, 
und  zwar  auf  dem  Neumarkt  (der  heutigen  Universitätsstraße). 
Um  die  Mitte  des  fünfzehnten  Jahrhunderts  bittet  der  Prior  der 
Dominikaner  den  Rat,  daß  das  Frauenhaus  aus  ihrer  Nachbar- 
schaft entfernt  werden  möge  (ut  amoveretur  prostibulum  de  vid- 
nitate  eorum).  Der  Rat  veraprach  es  auch,  vertröstete  aber  den 
Prior  auf  gelegnere  Zeit  (usque  ad  tempus  aptius  ad  construendum). 
1458  aber  heißt  es  im  Schöffenbuche  bei  dem  Besitzerwechsel 
eines  BQiigerhauses,  das  Haus  liege  auf  dem  Neumaricte  »bei  den 
alten  Frauenhäusem."  Damals  mössen  sie  also  schon  geräumt 
gewesen  sein.  Die  neuen  lagen  —  es  ist  auch  spftter  bald  von 
einem,  bald  von  mehreren  die  Rede  —  in  der  Vorstadt,  und 
zwar  vor  dem  Hallischen  Tore,  in  einem  der  stillsten  und  abge- 
legensten Teile  der  Vorstädte,  an  der  Nordseite  der  Stadt  am 
Ein  gange  der  Neustraße  (der  heutigen  Nordstraße),  etwa  da,  wo 
jetzt  das  Leihhaus  steht.  Da  an  dieser  Stelle  damals  noch  nicht 
einmal  ein  Steg  über  den  Stadtgraben  führte  -  dieser  wurde 
erst  1468  gebaut  so  war  die  üige  des  Frauenhauses  nicht 
eben  sehr  verführerisch;  im  Gegenteil,  man  mußte  es  aufsuchen. 
Anfang  Dezember  1 489  wurde  es  einmal  durch  eine  Feuersbrunst 
zerstört,  so  daß  der  Rat,  um  die  Bewohnerinnen  anderweit  unter- 
zubringen, sofort  auf  der  Neustraße  für  31  Schock  ein  Haus 
kauf^  mußte  »zu  Enthalt  der  gemeinen  Dirnen.«  In  einem 
Verzeichnis  der  Leipziger  FestungsiOrme  von  1529  wird  ein 
Turm,  der  am  Ausgange  der  damaligien  »Innern  Neustraße* 


472 


Oustav  Wustnuiniu 


(der  heutigen  Plauischen  Straße)  lag,  als  dem  Frauenhause  gesen- 
fiberltegend  bezeichnet  Zu  dem  Hause  gehörte  auch  ein  Garten. 

Die  Leitung  und  Bewirtschaftung  der  Frauenhäuser  lag  In 
den  Händen  von  Wirfinnen,  die  natürlich  selbst  freie  Frauen 
waren.  In  dem  Tflricensteuerbuch  von  14S1  werden  sie  genannt; 
da  bezahlt  »die  Wirtin  auf  dem  Hause,  Grete  von  Frankfurt,  für 
sich  und  ihre  Dirnen«  13  Groschen,  und  »die  Wirtin  auf  dem 
Hause  Breida  (Brigitta)  fflr  sich  und  ihre  Dirnen"  1 1  Groschen, 
vitem  fttr  ihren  Hellen  Mann«  1  Groschen.  Da  die  Person 
jedenfalls  mit  einem  Groschen  eingeschätzt  war,  so  lernt  man 
hier  zugleich  die  Anzahl  der  Dirnen  kennen.  Der  »liebe  Mann« 
aber  war  nicht  etwa  der  Ehemann  der  einen  Wirtin,  sondern 
mit  diesem  zärtlichen  Namen  wurde  der  ständige  Buhle  einer 
freien  Frau  bezeichnet:  die  Wirim  hatte  also  ihren  Zuhälter. 
1492  wird  auch  einmal  »der  gemeinen  Dirnen  Diener"  erwähnt, 
./Merten  Beisatz,  alias  Tolheller«.  Es  war  ihm  die  Stadt  verboten 
worden,  trotzdem  war  er  wieder  hereingekommen  und  wird  nun 
zu  20  Cirosciien  Strafe  verurteilt;  1493  ist  er  sogar  wieder 
im  Frauen  hause. 

Für  die  Frauenhäuser  muß  es  eine  Ix'Stimnite  <  )rdnung 
gegeben  haben,  nach  der  sich  die  Ins3<^sen  zu  richten  hatten. 
Erhalten  hat  sie  sich  zwar  nicht,  aber  David  Peifer  berichtet  es 
ausdrucklich  in  seiner  „Lipsia"  (sub  antistita  sua  praeceptis  atque 
legibus  meretriciis  tenebantur).  Eine  Anzahl  von  Vorschriften, 
die  die  Ordnung  enthalten  haben  muß,  läßt  sich  aus  andern 
Quellen,  namentlich  aus  den  Strafen  für  Übertretungen,  die  die 
Stadtrechnungen  verzeichnen,  entnehmen. 

Weder  die  Wirtinnen  noch  die  Dirnen  durften  Leipzigerinnen 
sein.  Die  BesUaften  und  Ausgewiesenen,  die  gelegentlich  mit 
Namen  genannt  wurden,  sind  alle  von  auswärts.  Unverheiratete 
Männer  durften  das  Frauenhaus  unbeanstandet  besuchen;  ver- 
heiratete wurden,  wenn  sie  dabei  betroffen  wurden,  als  Ehebrecher 
bestraft  Einheimische  Ehemftnner  mögen  es  denn  wohl  auch 
selten  gewagt  haben,  ins  Frauenhaus  2u  gehen ;  Hans  von  Pirna, 
der  1459  im  Frauenhause  in  offnem  Ehebruche  betroffen 
worden  war,  wurde  verurteilt,  auf  drei  Jahre  die  Stadt  zu 
rSumen.  Auswärtige  Ehemänner  dagegen  mögen  es  nicht  selten 


Digitized  by  Google 


Fraitenhäuser  und  freie  Fruien  in  Ldpzig  im  Mittelalter.  473 


besucht  häbm,  besonders  wahrend  der  Messen.    So  wurden 
1534  zwei,  der  eine  aus  Zeitz,  im  Frauenhause  betroffen  und 
mit  hohen  Geldstrafen  belegt»  der  eine  mit  2  Schock  1 8  Groschen, 
der  andre  mit  2  Schock  27  Groschen.    Un verwehrt  war  es  den 
freien  Frauen,  solche,  die  -  vielleicht  aus  Neugierde  oder  aus 
Leichtsinn   -   das  Fiaueiiliaus  aufgesucht  hatten,  in  das  Haus 
hereinzulocken.    Peifer  berichtet,  sie  hätten  wie  zum  Kauf  aus- 
gestellt, geputzt,  fast  den  ganzen  Tag  an  der  Tür  gesessen  und 
mit   schmeichelnden   Worten    die    Vorbeigehenden  angelockt 
(comte  et  scitc  cullae  ganearum  fores,  quae  binae  invicem  distantes 
erant,  totas  fere  dies  obsidebant  et  blandis  vocibus  ad  coUoquia, 
veluti  emptioni  expositae,  invitabant  praetereuntes).    Der  Besuch 
des  HauSes  war  wohl  zu  jeder  Tageszeit  erlaubt;  doch  wurde 
nachts  bisweilen  visitiert,  weil  sich  verdächtige  Leute  gern  im 
Frauenhause  aufhielten.  So  wurde  1498  ein  Goldschmied,  Franz 
Heerdegen,  der  einige  Zeit  zuvor  aus  der  Siadt  ausgewiesen 
worden  war,  II  nachtsauf  dem  freien,  gemeinen  Hause  begriffen«; 
nun  wurde  beschlossen,  ihn  «ewiglich«  auszuweisen.  Natürlich 
mußten  die  freien  Frauen  jedem  zu  Willen  sein,  der  das  Haus 
besuchte,  doch  kam  es  auch  vor,  daß  einer  versuchte  oder  sich 
einbildete,  eine  Dirne  für  sich  allein  im  freien  Hause  zu  halten.  So  wird 
1 532  Wolf  Haßfart  aus  Leipzig  ausgewiesen,  weil  er  in  Verbindung 
mit  Studenten  Schlägerei  mit  den  Schneidern  gehabt  hatte;  »auch 
hat  er  ein  eigen  Weib  im  freien  Hause  gehalten  und  also  ein 
böse  Leben  geführt«  An  kirchlichen  Feiertagen  und  deren  Vor- 
abenden war  der  Besuch  des  Frauenhauses  verboten.  1501  wurde 
ein  Tischlergesell,  der  am  Vorabend  von  Marift  Geburt  darin 
betroffen  worden  war,  mit  30  Groschen  bestraft  Ganz  geschlossen 
war  das  Haus  in  der  Karwoche.    Ffir  diese  Woche  zahlten  die 
freien  Frauen  auch  keinen  Zins  an  den  Rat;  der  Scharfrichter 
und  später  die  Marktmeister  erhielten  fOr  diese  Woche  ihre  drei 
Groschen  aus  der  Stadtkasse.  Selbstverständlich  wurde  es  nicht 
geduklet,  wenn  freie  Frauen  Strafienunfug  trieben  oder  gar 
unbeschollne  Frauen  behelligten.    1458  wurden  Hedwig  die 
Schlesierin  und  Grete  die  Fränkin  aus  der  Stadt  verwiesen,  weil 
sie  »sich  untereinander  gezweiet  und   mancherlei  Aufläufte 
gemacht";  sie  sollen  nicht  eher  wieder  hereinkommen,  als  bis 


Digitized  by  Google 


474 


Ottstav  Wustmann. 


jede  ein  Schock  bezahlt  hat  Und  1459  heißt  es:  »Klein  Annchen 
und  Käthe  von  Widenhain,  freie  Frauen,  haben  eine  ehrbar 
fromme  Fraue  angegriffen  und  wollten  sie  zu  sich  ziehen  und 
haben  ihr  doch  groß  Unrecht  gethan";  auch  sie  werden  beide 
ausgewiesen.  Es  ist  nicht  ganz  sicher,  ob  es  steh  in  beiden 
Fällen  um  Insassen  des  Frauenhauses  handelte;  im  zweiten 
Falle  doch  wohl. 

Sowohl  für  die  freien  Frauen  im  Frauenhause  wie  für  die 
„heimlichen"  bestanden  bestimmte  Vorschriften  über  die  Kleidung. 
Für  die  erstem  set;^te  der  Rat  1463  fest:  »Sie  sollen  nicht  tragen 
kuiallen  Schnure,  noch  Seide  untet  arn  Mänteln,  Silber  noch 
Gold  auf  der  Gassen;  sie  sollen  aucii  tinen  großen  gelen  Lap- 
pen tragen,  der  eines  Groschen  breit  ist  (also  ein  langes  gelbes 
Rand);  sie  sollen  auch  keine  lange  Kleider  tragen,  die  auf  die 
ffrdc  gehen."  Für  die  „heimlichen"  wurde  bestimmt,  wie  es 
in  etlichen  andern  großen  Städten  gewöhnlich  Set '.  II  Sie  sollen 
Mäntel  auf  den  Häupten  tragen,  wo  sie  auf  den  Gassen  gehen; 
und  welche  man  anders  finden  jwird]  gehen,  der  soll  man  den 
Mantel  nehmen;  das  soll  sie  verbüßen  mit  10  Groschen  also 
dicke  (oft),  als  es  geschieht;  davon  soll  man  dem  Knechte,  der 
ihr  den  Mantel  genommen  hat,  2  Groschen  geben.  Daß  sie  auch 
kein  korällen  Paternoster,  noch  seiden  Tuch,  noch  Silber  noch 
Gold  nicht  tragen,  noch  die  Mäntel  mit  Seide  nicht  unterfüttem 
sollen.  Sie  sollen  auch  nicht  lange  Kleider  tragen,  die  auf  die 
Erde  gehen,  bei  der  obgeschricbenen  Buße,  also  dicke  sie  des 
besehen  würden.  Sie  sollen  auch  bei  keine  fromme  Fraue 
in  der  Kirchen  in  die  Stühle  treten,  bei  derselbigen  Buße.« 
Diese  Vorschrift  zeigt  deutlich,  daß  auch  die  »heimlichen"  Frauen 
stadtbekannt  waren.  Sie  zeigt  auch,  welchen  Sinn  die  Kleider« 
Ordnung  hatte:  die  freien  Frauen  sollten  sofort  durch  die  Klei- 
dung von  den  ehrbaren  Frauen  unterschieden  und  kenntlich 
gemacht  sein.  Damit  hängt  es  auch  zusammen,  daß  seit  Anfisng 
des  sechzehnten  Jahrhunderls  -  in  den  Stadtrechnungen  ist  es 
wenigstens  seit  1501  nachweisbar  ~  Mädchen,  die  außerehelich 
gieschwängert  worden  waren,  sowie  es  bekannt  wurde,  einen 
Schleier  tragen  mußten,  der  ihnen  vom  Rate  geliefeit  wurde. 
Alljährlich  kommen  in  den  Stadtrechnungen  Ausgatien  vor  - 


Digilized  by  Google 


Frattenhäuser  und  freie  Frauen  in  Leipzig  im  Mittelalter.  475 


anfangs  3  Groschen,  später  4  -  f&r  einen  Schleier  für  ein 
Humiädchen,  eine  beschhfene  Dirne,  ein  Jungfermädelein,  »ein 
jungfnramaidichen,  die  Venusfrau  genannt*  (1512),  »ein  Jungfrau- 
maidelein von  vierzig  Jahren«  (1528)  usw.  In  den  fünfziger 
Jahren  des  sechzehnten  Jahrhundcrls  trlKilten  sie  für  6  Groschen 
Schleier  und  Haube.  Zu  verwundern  ist  es  freilich,  daß  dem 
Rate  nicht  der  Gedanke  kam.  daß  durch  auffällige  Kenntlich- 
machung der  freien  Frauen  der  Verkehr  mit  ihnen  doch  eher 
befördert  als  erschwert  werden  mußte. 

An  der  Kleiderordnung  der  freien  Frauen  wurde  im  fünf- 
zehnten Jahrhundert  streng  festgehalten;  1472  wurde  Grete  von 
Frankfurt,  die  Wirtin  des  Frauenhauses,  mit  5  Groschen  bestraft, 
weil  sie  Seide  getragen  hatte,  1476  Anna  von  Oschatz  mit 
16  Groschen y  weil  sie  einen  silbernen  Gürtel,  und  nochmals, 
weil  sie  einen  GQrtel  und  ein  korätlen  Paternoster  getragen  hatte. 
Die  »heimlichen«  Frauen  wurden  geduldet;  wenn  sie  sich  durch 
ihre  Kleidung  zu  ihrem  Gewerbe  bekannten.  Einen  ununter- 
brochenen und,  wie  es  scheint,  vergeblichen  Kampf  hatte  der 
lUt  gegen  die  »heimlichen'  Dirnen  im  heutigen  Sinne  zu 
kämpfen,  gegen  die,  die  sich  nicht  zu  ihrem  Gewerbe  bekannten 
und  deren  Anzahl  gegen  Ende  des  fünfzehnten  und  Anfang  des 
sechzehnten  Jahrhunderts,  in  einer  Zeit  wachsenden  Wohlstandes 
und  wachsender  Üppigkeit,  in  Leipzig  immer  größer  wurde. 
Sowohl  gegen  die  Dirnen  selbst,  gegen  die  Wirlt  und  Wininnen, 
die  solche  in  ihren  Häusern  duldeten,  als  auch  gegen  die  Männer, 
die  «dem  Wirt  zum  Trotz«  eine  gemeine  Dirne  ins  Haus  geführt 
hatten,  wurde  eingeschritten.  In  den  Stadt rechnungcn  finden  sich 
(seit  1  473)  oft  Fälle,  wo  Bürger  und  Bürgerinnen  mit  Geldstrafen 
belegt  werden,  weil  sie  »eine  freie  Fraue",  «verdächtige  Frauen", 
«ber&chtigte  Frauen",  »eine  verläumdete  Di  heimliche 
Dirnen",  »gemeine  Dirnen«,  »die  gemalte  Anna«  (1513)  bei  sich 
»beherberget",  »gehauset*  haben.  Daß  dieser  Kampf  des  Rats 
bei  den  \\ännem  auf  mandien  Widerstand  stieße  beweist  ein  Fall 
aus  dem  Jahre  1477,  der  im  Raisbuch  aufg^ichnet  ist.  Am 
13.  November  1477  erschien  der  Rektor  der  Universität,  Christoph 
Eckel,  mit  drei  Doktoren  und  Magister  Heinrich  Rodilitz  (d.  i. 
Magister  Heinrich  Heideier  aus  Rodilitz)  vor  dem  sitzenden  Rate. 


476 


Gustav  Wustmann. 


Magister  Rochlitz  war  vom  Rate  beschuldigt  worden,  »daß  er 
solle  gesackt  haben,  daß  der  Bürgermeister  und  der  Rat  allhier 
zu  Leipzig  gedächten,  die  heimlichen  Huren  zu  verweisen,  und 
etzliche  hätten  doch  ärgere  Huren  hinter  ihren  Ärschen  liegen, 
denn  die  wären,  die  miii  v«  rireiheii  wollte«.  Er  versicherte  zwar 
wbei  seinem  guten  Gewissen  und  auf  seine  Priesterschaft *,  daß 
er  das  nicht  gesagt  habe,  daß  er  ganz  unschuldig  sei,  «denn  er 
wollte  jemand  ungerne  nachsagen,  das  ihm  an  Ehre  und  Glimpt 
zu  nahe  sein  suUte",  und  daß  er  von  den  Herren  des  Rats  und 
ihren  Weibern  „anders  nicht  wisse,  denn  alles  Gut«,  worauf  der 
Rat  auf  Bitten  des  Rektors  und  der  Doktoren  »die  Sache  gütlich 
zerrinnen«  ließ.    Doch  wird  an  der  Anschuldigung  Rochlitzpns 
schon  etwas  gewesen  sein,  und  er  wird  nicht  der  einzige  gewesen 
sein,  der  so  dachte.    Der  Rat  ließ  sich  aber  in  seinen  Be- 
mühungen nicht  irre  machen;  1498  beschloß  er,  »daß  man  die 
heimlichen  Dirnen,  die  da  eheliche  Männer  haben  und  sich  liier 
des  unzüchtigen  Lebens  befleißigen  und  enthalten,  verweisen  und 
zu  ihren  Ehemännern  soll  heißen  ziehen;  desgleichen  soll  man 
es  auch  halten  mit  denjenen,  so  vormals  verweist  und  darüber 
wieder  hereinkommen  wären".    Wenige  Wochen  darauf  wird 
einer  in  der  Grimmischen  Vorstadt  auf  dem  »Langen  Graben«, 
Hans  Voigt,  über  den  sich  die  Nachbarn  beschwert  haben,  daß 
er  mit  ihnen  in  Zwtetrscht  lebe,  und  daß  fort  und  fort  »verdächtige 
Dirnen«  bei  ihm  aus-  und  eingingen,  zu  einer  Geldstrafe  ver- 
urteilt und  ihm  ang^kfindtgt,  daß  er,  wenn  die  Klagen  nicht  auf- 
hörten, »ohne  Behelf  und  Widerrede  sein  Haus  und  Güter  ver- 
kaufen und  sich  von  dannen  aus  der  Stadt  wenden  solle«. 
1 500  wird  Heinz  Probst  vorgeworfen,  daß  sich  »gemeine  Dirnen« 
in  seinem  Hause  aufhalten  und  »viel  ünfuhr«  treiben;  der  Rat 
beschließt,  sie  zU  »verstören«  und  sie  oder  den  Wirt  zu  be- 
strafen.  Der  genannte  Hans  Voigt  ist  aber  15t 7  noch  in  Leipzig 
und  wird  gewarnt,  er  solle  sich  enthalten,  zu  der  »gemalten 
Anna«  oder  zu  andeni  verdachtigen  Orten  zu  gehen.  Mit  dem 
Anwachsen  der  Bevölkerung  und  dem  Zunehmen  des  Luxus 
scheint  aber  doch  die  Bdtörde  duldsamer  geworden  zu  sein,  so 
daß  nun  aus  den  Kreisen  der  Bürgerschaft  selbst  Beschwerden 
kommen  mußten,  ehe  die  alten  Vorschriften  wieder  eingcsciiärft 


Digitized  by  Google 


h'rauenhäuser  und  treie  Frauen  in  Leipzig  im  Mittdalto'.  477 


wurden.  In  der  Osterwoche  1522  beschließt  der  Rat:  Nachdem 
von  den  BüpTern  viel  Klaffe  erhoben,  daß  die  unzüchtigen  Weiber 
iiinj  Spezial  m  köstlichen  Kleidern  den  Frommen  zur  Ärg^erung 
gehen,  ist  befohlen,  daß  der  Richter  darauf  sehen  und  sie  darum 
strafen  solle."  Und  1  52  7  heißt  es  wieder:  „Die  Nachbarn  auf 
dem  Neumarkte  bitten  Einsehen  zu  haben,  daß  nit  so  viel  un- 
züchtiger Weiber  gehalten  und  daß  derselben  Kleider  gemäßiget 
[werden],  denn  ihre  Weiber  und  Kinder  werden  daran  geärgert 
Hierauf  ist  beschlossen,  daß  es  dermaßen,  wie  sie  gebeten,  ge- 
schehen solle."  In  demselben  Jahre  wurde  der  Rat  in  einen 
langwierigen  Prozeß  verwickelt  mit  einer  Frau  WaUheimin,  der 
der  Marktmeister  auf  dem  Markt  den  Mantel  w^enommen  hatte, 
weil  sie  »als  ein  verdächtig  Weib  nit  einen  gelen  Mantel  (?) 
nach  des  Rats  Verordnung  hat  tragen  wollen«.  Sie  hatte  deshalb 
den  Marktmeister  verklagt  und  war  mit  ihrer  Klage  bis  an  den 
Henog  Oeorg  gegangen.  Dem  Rate,  der  sich  natfirlich  seines 
Beamten  annahm,  kostete  der  Prozeß  im  Jahre  1S27  22,  im 
nächsten  Jahre  noch  einmal  11  Schock. 

Der  mannigfachen  Beschränkung,  der  die  Bewohnerinnen 
des  frauenhauses  unterlagen,  stand  aber  nun  gegenfiber  der 
Schutz,  den  sie  genossen.  Sie  wurden  in  Leipzig  selten  mit 
garstigen  Namen  belegt  Selbst  Beamte  des  Rats  fanden  kein 
Aig  darin,  sie  in  amtlichen  Aufzeichnungen  mit  den  Scherz-  und 
Kosenamen  zu  bezeidinen,  die  sie  im  Volksmunde  führten,  wie 
die  »fette  Hedwig«,  die  »gemalte  Anna«  u.  a.  Auf  ihre  Ver- 
achtung drangen  wohl  mehr  dte  Frauen.  Die  JMänner  hatten 
den  armen  Geschöpfen  gegenüber  Nachsicht,  Duldung,  Mitleid. 
Wenn  Ratsmitglieder  amtlich  im  Frauenhause  zu  tun  haben, 
zeigen  sie  sich  freundlich  gegen  die  Insassen,  spenden  ihnen  so- 
gar aus  der  Stadtkasse  ein  Trink<^eld.  Als  1474  ,.der  Bürger- 
meister und  die  Baumeister  mibauii  den  andern  Herren  des 
Rats  die  Gebrechen  auf  dem  Hause  besahen«,  erhielten  die 
Frauen  2  Groschen,  1489,  »als  die  Herren  auf  der  Neustraß 
die  Wasserläuft  besahen",  5  Groschen  Trinkgeld.  Man  male  sich 
aus,  wie  die  leichtfertige  Schar  die  gestrengen  Herren,  die  sich 
in  ihrer  Nähe  blicken  ließen,  umringt  und  angebeUelt  haben 
mag!    Friedebruch,  im  Frauenhause  verübt,  wurde  hoch  be- 


Digitized  by  Google 


478 


Gustav  Wustntann. 


straft  Nach  einem  falle,  der  1451  voiigekommen  war,  beschloß 
der  Rat  ausdrQddicfa,  daß  es  bei  der  bisherig  Bestimmung 
bleiben  solle,  daß,  wer  Aufläufe  oder  Zwietracht  errege  «auf 
dem  Rathause,  auf  dem  BQiigerkeller,  auf  dem  freien  Hause«, 
»unerläßlich«  mit  10  Schock  bestraft  werden  solle.  Wie  be- 
zeichnend ist  hier  die  unbefangne  Zusammenstellung  dieser  drei 
Örtlichketten!  Die  Vorstetlung  des  Frauenhauses  als  eines  Ortes 
des  Lasters  und  der  Schande  tritt  hier  völlig  zurück  hinter  der 
eines  Ortes,  wo  unbedingt  Friede  zu  herrschen  habe.  Die  Strafe 
für  Friedebruch  war  so  hoch,  daß  sie  der  Ausweisung  aus  der 
Stadt  gleichkam,  denn  wohl  die  wenigsten  konnten  sie  bezahlen; 
es  wurde  aber  streut;  daran  festg^eh alten ,  und  das  war  nötig, 
denn  es  kamen  irotzdem  noch  oft  grobe  Ausschreitungen  vor. 

Daß  auch  Männer  aus  den  höhern  Kreisen  der  Gesellschaft 
die  Frauenhäuser  in  Leipzig  besucht  hätten,  läljt  sich  zwar  nicht 
durch  urkundliche  Zeugnisse  beweisen,  es  ist  aber  kaum  zu  be- 
zweifeln. Die  Hauptbesuchcr  waren  aber  wohl  Studenten  ~  sie 
nannten  das  Frauenhaus  scherzweise  das  »fünfte  Kollegium" 
Handlunesdiener  und  Handwerker.  Da  war  denn  das  Frauen- 
haus oft  genug  der  Schauplatz  von  Zank  und  Streit.  Man  schlug 
sich  um  die  freien  Frauen,  ja  sogar  oft  mit  ihnen,  und 
unter  den  Vorgängen,  von  denen  wir  Kunde  haben,  sind  Bei- 
spiele großer  Roheit.  1451  wird  einer  aus  der  Stadt  verwiesen, 
weil  er  «einer  freien  Frauen  auf  dem  Hause  die  Waden  auf- 
schnitt^y  1457  einer,  weil  er  »eine  Dirne  auf  dem  Frauenhause 
mit  einem' Steine  geworfen,  daß  man  sie  für  tot  gehandelt  hat«. 
1472  wurden  drei  ausgewiesen,  weil  sie  »Messer  und  gcrackte 
Wehr  auf  dem  freien  Hause  über  Studenten  gezogen  und  da 
gefrevelt  und  Aufläufe  gemacht  haben  und  sich  mit  denen  also 
geunwilligt  und  geschlagen  haben«.  Diese  alle  sollten  nicht  eher 
nach  Leipzig  zurückkehren  dürfen,  als  bis  sie  die  zehn  Schock 
Strafe  bezahlt  hätten.  1463  hatte  ein  Student,  Otto  Weidemann 
aus  Lichtenfels,  eine  freie  Frau  auf  dem  freien  Hause  ermordet! 
Er  war  ein  äußerst  wüster  Geselle.  Schon  1461  war  er  einmal 
vom  Rate  14  Tage  lang  im  Geftngnis  gehalten  worden,  weil  er 
»des  Nachts  mit  mordlicher  Wehr  aufgehalten''  worden  war.  Da 
er  auch  schon  dfter  Aufläufe  verursacht  hatte,  auch  g^r  nicht 


Digitized  by  Google 


Fnuenhiuser  und  freie  Fnucn  in  Leipzig  im  MitteUiter.  479 


studierte»  sondern  eine  Zeitlang  Weinschenk  gewesen,  dann  Mönch 

geworden,  aber  aus  dem  Kloster  auch  wieder  fortgelaufen  war, 
so  halle  sich  die  Universität  \on  ihm  losgesagt,  und  der  Rat 
halle  ihn  auf  ein  Jahr  aus  de:  Stadt  verwiesen.  Nach  einem  Jahre 
war  er  wieder  da,  schkiL^  eine  freie  Frau  auf  dem  Frauenhause, 
und  die  Stadt  wurde  ihm  abenuals  verboten,  wenn  er  nicht 
10  Scliück  Strafe  zahlte.  Im  August  146^  schlug  er  nun  gar 
eine  freie  Frau  auf  dem  Frauenhnuse  toi  und  floh  dann  von 
Leipzig.  Die  Studenten  erklärten,  man  könne  ihn  nicht  richten, 
denn  die  Wahrheit  sei  nicht  bewiesen,  auch  sei  er  ein  Alcoluth 
(Kirchendiener).  Damit  nun  der  Gerechtigkeit  genug  geschähe, 
wurde  doch  »ein  Ding  geheget  (eine  Gerichtsverhandlung  abg!e^ 
tialten)  und  verftchtet  der  oder  die,  die  die  arme  Dirne  vom 
Leben  zum  Tode  gebracht  habe«.  1474  zahlt  einer  ein  Sdiock 
Bu6e,  weil  er  »auf  dem  freien  Hause  giefrevelt  und  daselbst  mit 
gezückter  Wehr  in  die  Fenster  geschlagen".  Unter  den  baulichen 
Wiederherstellungen,  die  der  Rat  im  Frauenhause  machen  lieB, 
werden  am  hflufigsten  die  Öfen  und  die  Fenster  erwähnt;  sie 
hatten  unter  den  Fäusten  der  rohen  Gesellen  am  meisten  zu  leiden. 
Aber  auch  Diebstahl  kam  6fter  vor,  und  zwar  auf  beiden  Seiten, 
bei  den  Insassen  wie  bei  den  Besuchern.  1447  wurde  Katharine 
von  Meißen  aus  dem  I'rauenhaiise  und  aus  der  Sladt  verwiesen, 
weil  sie  beschuldigt  war,  einer  andern  »ein  korällen  r^aternoster« 
gestohlen  zu  haben;  aber  auch  die  lkstohlene,  Orthie  aus  der 
Mark,  wurde  mit  ausgewiesen,  weil  sie  es  nicht  beweisen  konnte. 
In  der  Neujahrsniesse  1507  stahlen  zwei  »freie  Dirnen"  auf  dem 
freien  Hause  Georg  Birp:m^nn  aus  BerHn  10  Gulden;  der  Rat 
beschloß,  sie  dafür  »zu  Haut  und  Haaren  zu  strafen«.  Da  aber 
das  Gerücht  ging,  daß  der  Bestohlene  ein  Eheweib  habe,  so 
sollte  er  auch  nicht  ungestraft  davonkommen,  und  man  beschloß, 
Achtung  zu  geben,  ob  man  ihn  etwa  »auf  künftigen  Märkten  zu 
Händen  bringen  möge";  erwische  man  ihn,  dann  wolle  man  ihn 
»ein  Stück  an  der  Mauer  bauen  lassen«.  In  der  Ostermesse  1 522 
wurde  ein  Erfurter,  der  auf  dem  Frauenhause  Ehebruch  getrieben 
hatte,  »auch  ein  frei  Weib  mit  gezogener  Wehre  genötigt,  daß 
sie  ihm  einen  Oulden  g^ben  müssen«,  mit  Ruten  ausgestäupt  und 
aus  der  Stadt  verwiesen.  1537  wurde  .Ulrich  Springsfeld,  Spitz* 


480 


Gustav  Wuslmann. 


bube,"  ausgewiesen,  nachdem  ihn  der  Rat  »mit  6  Groschen  im 
Hurhaus  gelöset"  hatte.  1540  wurde  gar  einer  im  Frauenhause 
von  einem  freien  Weibe  erstochen! 

Am  Ausgange  des  Mittelalters  war  man  in  der  Beaufsichtigung 
der  freien  Frauen  wesenth'ch  milder  geworden.  Wurde  doch  1523 
beim  Haiswcchsel  und  der  Neu  Verpflichtung  der  Ratsbeamten  den 
beiden  Marktmeistern  ans  Herz  gelegt,  daß  sie  »die  Frauen  im 
Frauenhause  mit  Bußnehmen  nicht  beschweren"  sollten!  Daß 
sie  von  dem  Verkehr  in  Wein-  und  Bierstuben  später  nicht  mehr 
so  streng  ausgeschlossen  waren,  zeigt  ein  merkwürdiger  Vorfall 
aus  dem  Jahre  1521.  Im  Dezember  dieses  Jahres  kam  Luther, 
als  Rcitersmann  verkleidet,  auf  seiner  Reise  von  der  Wnrtburg 
nach  Wittenberg  durch  Leipzig  und  kehrte  hier  bei  dem  Schenk- 
wirt Wagner  auf  dem  Brühl  ein,  ebenso  wieder  auf  der  Rück- 
reise. Die  Sache  wurde  ruchbar,  und  als  Herzog  Georg  davon 
erfuhr,  gab  er  dem  Leipziger  Rat  Befehl,  den  Schenkwirt  zu  ver- 
hören. Der  sagte  denn  unter  anderm  aus,  er  wisse  nichts  davon, 
daß  Luther  bei  ihm  eingekehrt  sei.  Es  sei  zwar  »desselbigen 
Tages  ein  Freiweib  in  seinem  Hause  zu  Biere  gewest,  die  hab 
gesagt,  es  sei  gewißlich  Doctor  Martinus,  sie  kenne  ihn  wohl;  er 
habe  aber  auf  dieser  leichtfertigen  Person  Rede  keine  Achtung 
jHegeben".  Offenbar  hatte  die  Dirne  Luthem  1519,  wo  er  zur 
Disputation  mit  Eck  nach  Leipzig  gekommen  war,  auf  der  StniBe 
g^hen,  und  sie  hatte  sich  sein  Gesiebt  so  gut  eingeprigt,  daß 
sie  ihn  trotz  des  Bartes,  den  er  sich  auf  der  Wartbut^  hatte 
wachsen  lassen,  wiedererkannte. 

Einmal  im  Jahre  wurde  geduldet,  daß  sich  die  Bewohnerinnen 
des  Frauenhauses  alle  zusammen  in  der  Öffentlichkeit  zeigten: 
in  der  Zelt,  wo  so  vieles  geduldet  wurde,  zu  Fastnacht  Sie 
fOhrten  da  eine  Art  von  Todaustreiben  auf  (nach  Peifers  SchiU 
derung).  Sie  banden  eine  Sbrohpuppe  an  eine  hinge  Stange, 
«ine  trug  die  Stange  voran,  die  andern  folgten  paarweise  »ach 
und  sangen  ein  Lied  auf  den  Tod.  So  ging  es  bis  hinaus  an 
die  Parthe,  wo  sie  die  Puppe  ins  Wasser  warfen.  Damit  be- 
haupteten sie  die  Stadt  zu  reinigen,  so  daß  sie  dann  das  ganze 
Jahr  über  frei  von  Pest  wäre.  (Quotannis  primis  jejunu  quadra- 
genarii  dicbus  ludum  faciebant.  Imaginem  e  stramento  ad  deformis 


Digitized  by  Google 


iTBuenhäuser  und  finete  fraaen  in  Leipzig  im  Mittelalter.     48 1 


viri  similitudinem  longa  pertica  suffixam  nna  earum  praeferdNit 
sequebatur  hanc  vduti  ducem  fotum  sororum  rellquarum  agmen, 
binae  incedebant,  et  carmina  in  pallidam  mortem  dicentes  a 

lustris  suis  ad  anineni  Pardam  propcrabant;  eo  cum  venissent, 
ad  flumen  simul  decurrentes  stramentum  in  aquam  demittebant. 
Atque  hac  caeremonia  oppidum  se  lustrare  dicebant,  uti  anno 
insequenti  immune  a  pestilentia  esset.) 

Daß  es  ein  Universitätsmse^ister  war,  der  sich  147  7  den 
groben  Vorwurf  wider  den  Rat  erlaubt  hatte,  ist  höchst  bezeich- 
nend. In  den  Universitätskreisen  war  der  Verkehr  mit  den  freien 
Frauen  besonders  verbreitet,  nicht  nur  unter  den  Studenten, 
sondern  auch  unter  den  Professoren,  die  ja,  solange  sie  in  den 
Kollegjenhftusem  wohnten,  zum  Zölibat  verurteilt  waren.  Die 
Studenten  nahmen  Mftdchen  mit  in  ihre  Buisen  wie  in  die 
Bflrgerhättser,  in  denen  sie  wohnten.    Als  der  Rat  1495  die 
Meißner  Burse  einem  neuen  Konventor  übergab,  stellte  er  ihm 
die  Bedingung,  »daB  er  sie  redelichen  Magistris  und  Gesellen 
vermieten,  auch  die  Bursa  redelich  hallen  solle  und  nicht  ge- 
statten, daß  man  unzüchtige  Dirnen  aus-  und  einführe«.  1505 
wird  Hans  Franke,  »der  Vater  der  Dirnen,  die  mit  den  Studenten 
hat  zu  tun  gehabt«,  aufgefordert,  binnen  vierzehn  Tagen  mit 
seiner  Tochter  die  Stadt  zu  räumen.  Als  1502  nach  der  Eröffnung 
der  Universität  Wittenberg  Herzog  üeorg  aus  Besorgnis  für  seine 
Landesuni versitäi  samtliche  Dozenten  zu  einem  Gutachten  über 
ihren  gegenwärtigen  Zustand  aufforderte,  wurden  auch  Klagen  über 
das  iiiizüciitigc  Leben  laut,  das  manche  Universitätslehrer  führten: 
sie  haben  »Weiber  und  Kinder,  von  denen  sie  doch  nicht  Väter 
heißen  wollen".  Über  einen  Man:ister  Nikolaus  Curia  wird  geklagt, 
es  sei  allen  Doktoren,  Magistern  und  Studenten  bekannt,  was  für 
ein  unzüchtiges  Leben  er  führe:  »er  läßt  seine  Buhlschaft  offen- 
t)arHch  alle  Tag  und  wann  es  ihn  gelüstet,  zu  ihm  gehen  und 
speist  sie  über  seinem  Tische,  daß  es  seine  Gesellen  alle  sehen.'* 
Besonders  schlimm  ging  es  im  Fürstenkollegium  zu:  wEs  ist  ein 
CoIIegium  zu  Leipzig,  genannt  das  Ffirstenoollegium.  Es  soll  das 
Bubencollegium  genannt  werden;  was  da  Unzucht  offenbarlich 
geschehen  ist  und  noch  geschieht,  das  ist  Gott  bekannt  Es  werden 
nicht  allein  dadurch  verffihri  die  Studenten,  sondern  auch  viel 

ArdUv  KU  Ktdtnrgcachlchte.  V.  21 


482 


Gustav  Wnstmanii. 


Magistri,  so  sie  solch  Uiifugc  sehen  von  den  Collegiaten,  so  fiin 
sies  auch;  wann  der  Abt  Würfel  auflegt  so  spielen  die  Mönch.« 
In  der  »Reformation«  der  Universität,  die  der  Henos  darauf 

erließ,  wurde  angeordnet:  »Es  soll  auch  kein  Dodor,  Magister 

oder  jemands  anders  von  der  Universität  öffentlich  seine  Concu- 
binen  bei  sich  haben  oder  über  den  Tisch  setzen,  noch  auch  ohne 
alles  Scheuen  offenbaihch  aus-  und  eingehen  lassen."  Der  Rektor 
solle  ein  Mandat  erlassen,  daß  jede  ÜbertrctuniJ:  mit  10  Gulden 
bestraft  werden  würde.  Das  liatte  jedoch  c^ar  keinen  lirfol^r.  fn 
einem  Bericht,  den  ein  Universitatsniitghed  neun  Jahre  später  dem 
Herzog  erstattete,  heißt  es,  der  Arttkc!  über  die  Konkubinen  sei 
nie  gehalten  worden;  »und  wiewohl  ctziich  in  dem  Falle  sträflich, 
ist  nie  keine  Execution  geschehen,  denn  es  will  keiner  der  Katzen 
die  Schellen  anhängen."  Es  war  aber  auch  in  andern  Kollegien- 
häusem  nicht  viel  besser  als  im  Fürsteniiollegtuni.  Namentlich 
um  die  Weihnachtszeit  ging  es  toll  her.  1518  wird  einer  vom 
Rate  bestraft,  weil  er  >eine  Hure  oder  Spezial  in  seinem  Hause 
geherl)erget,  die  in  der  Chrishiacht  auf  unser  Neben  Fnuen 
Collegio  gewest",  und  1520  wird  eine  »Betschläferin«  bestraf^ 
die  »an  der  Christnacht  auf  unser  lieben  Frauen  Coll^o  er- 
griffen worden*. 

Ein  Ende  hat  den  Frauenh2usem  in  Leipzig  nicht,  wie  ander- 
wärts, die  Reformation  gemacht,  wenn  sie  ihm  auch  vorgearbeitet 
haben  maf^,  sondern  die  Belagening  der  Stadt  im  Januar  1547 
durch  Kurfürst  Johann  Friedrich.  Ab  ilerzog  Moritz  vor  scincin 
Abzüge  die  Vorstädte  in  Brand  stecken  ließ,  ging  auch  das 
Frauenhaus  mit  in  Flammen  auf.  „Diese  Woche  ist  das  Frauen- 
haus verbrannt",  steht  am  8.  Januar  in  den  Stadtrechnungen; 
»man  soll  es  weiter  in  Bedacht  neiinien,  ob  man  von  dem  ab- 
gebrannten Hurhause  den  Marktmeistern  die  3  Groschen  Zins 
gebe".  Einige  Wochen  lang  erhiehcn  sie  noch  das  Geld  aus  der 
Stadtkasse;  mit  Beginn  des  nächsten  Amtsjahres  aber  fiel  es  weg, 
sie  wurden  dafür  durch  eine  Zulage  entschädigt  Das  Frauenhaus 
wurde  nicht  wieder  aufgebaut  Fortan  gab  es  nur  noch  »heim- 
liche" freie  Frauen  m  Leipzig.  Auch  von  Vorschriften  über  ilue 
Kleidung  ist  von  nun  an  nicht  mehr  die  Rede. 


Besprechungen. 


Rudolf  Eisler,  Oeschicbte  der  Wissetisdiaften.  Leipadg,  J.  J.  Weber, 

1906.    (VII,  440  S.) 

Es  »anspruchslose,  zusammenstellende  Arbeit"  will  Schülern,  Stu- 
dierenden aller  Fakultäten,  Scnnftstcllern.  Lehrern  u.  a.  einen  raschen, 
vergleichenden  Oberblick  gewähren  und  zur  Vorbereitung  für  das  Studium 
der  SpezialWerke  und  einer  rnnfossenden  allgiemeinen  Wiasensdiafts- 
jgeschichte  dienen.  Dies  tut  sie  in  gunz  vonflglichcr  und  zuverlässiger 
Weise,  indem  sie  eine  fiberraschende  Ffille  wichtigster  Daten  zur  Oeschidite 
der  Forschungsprobleme,  der  Forscher  und  ihrer  Schriften  gut  geordnet 
vorführt.  Daß  die  Probleme  der  Wissenschaften  in  diesem  Rahmen  nur 
kurz  angedeutet  werden,  nicht  aber  in  ihren  Einzelheiten  beleuchtet  und 
in  ihrem  Zusammenhang  entwickelt  werden  konnten,  bedarf  natürlich 
keines  Wortes  der  Erklärung  oder  der  Entschuldigung. 

 ^  O.  Kotifctdt 

Hugo  Marcus,  Die  allgemeine  Bildung  in  Vergangenheit,  Gegen- 
wart und  Zukunft.  Eine  historisch*kritisch-dogmatische  Grundlegung. 
Berlin,  E.  Ebering,  1903.  (72  S.) 

Nadi  einigen  allgemeinen  ErMentngen  fiber  Ziel  und  BcscbafüeD- 
heit  der  allgemeinen  Bildung  kommt  hi  zu  dem  EigebniSi  daB  die 
Wissenschaft,  die  diese  allgemeine  Bildung  zu  vermitteln  babe^  die  Philo- 
sophie als  Weltanschaungslehre  uael,  daB  aber  in  unseren  heutigoi  höheren 
Schulen,  die  Berufsschulen  seien,  von  einer  solchen  Vermittlung  nicht  die 
Rede  sein  könne.  In  einem  historischen  Rückblick  betrachtet  M.  dann  die  bis- 
herigen Haupttypen  der  allgemeinen  Bildung:  die  hellenisch -römische, 
in  der  die  Philosophie  im  Mittelpunkt  stand,  in  der  es  aber  wegen  mangel- 
haften positiven  Wissens  an  der  rechten  Etahdt  fehlte,  die  diristiiehe 
Bildung  des  Mittelalters  mit  ihrer  0nheit  von  Wissen  und  OUuitKn,  und 
4ie  Bildung  der  Neuzeit,  in  der  nacheinander  der  Versuch  gemacht  wurde, 
durch  empirische  Naturlxtraditung,  durch  reine  Spekulation  und  dufdi 
historische  Erklärung  zu  einer  einheitlichen  Weltanschauung  zu  gelangen. 
Die  historische  Betrachtun esvvei«:e  sei  auch  heute  für  die  Philosophie,  die 
die  allgemeine  Bildung  vermittle,  richtunggebend;  Philosophie  sei  im 
letzten  Sinne  Geschichte,  Entwicklungsgeschidite  des  Universums,  der 
Menschheit  und  des  Individuums.  Eine  solche  Philosophie,  Weltanschauung, 
allgemeine  Bildung  zum  Gemeingut  zu  machen,  sei  die  Aufgabe  freier 
Verbinde,  freier  Gemeinden  und  freiwilliger  Lehrkrifte  in  Instituten,  die 
vielleicht  nach  Art  der  modernen  Volkshochschulen  einzurichten  wären. 
—  Das  kleine  klar  und  anregend  geschriebene  Buch  von  M.  lehnt  sich 
vielfach  an  die  bekannten  ethischen  und  pädagogischen  Ansichten  Paulsens  an. 

  O.  Kohfeldt 

II* 


484 


Besprediungeit. 


Onter  Wutem,  Oeschidite  der  Stadt  Leipzig,  Bilder  und 
Studien.  Bd.  I.  Leipzis,  C  L  Hirsdifdd,  1905  (VIII,  552  Seilen  mit 

32  Abbildungen). 

So  reich  die  stadtgeschichtliclie  Literatur  Deutschlands  ist,  so  w  cnig 
haben  wir  abj![e?ch!o'»ene  Stadtgeschichten,  die  wirkhch  den  Anspruch  auf 
volle  Wissenschaftlichkeit  erheben  kniiucn.  Besonders  schlimm  steht  es 
in  dieser  Hinsicht  gerade  mit  unseren  größten  Städten.  Für  Berlin  haben 
wir  neben  den  Alteren  Arbeiten  von  Streclcfuß  (1S65)  und  Schvebel  (1SS8) 
jetzt  die  Oeschidite  der  Stadt  Berlin  von  Fr.  Holtee,  deren  Icnappe  Faasunjr 
aber  doch  dem  Wunsche  nach  einer  umfassenderen  vollwertigen  Dar- 
stellung Raum  läßt.  Dasselbe  silf  für  die  Geschichte  der  Stadt  Dresden 
von  O.  Richter.  Die  Geschichte  der  Stadt  Köln  von  Knnen  ist  heute 
vollkonimen  veraltet,  ebenso  \x  ic  Karl  Großes  Geschichte  der  Stadt  Leipzig. 
Für  Hamburg  und  München  sind,  soweit  ich  sehen  kann,  solche  Art)eiten 
nodi  gar  nidit  gesdirieben.  Le}p2ig  wfirde  also  mit  Wustmanns  gtoß- 
gephinter  Arbeit,  von  der  bisher  nur  der  erste  Band  vorliegt,  an  der 
Spif/e  marschieren,  wenn  nur  das  \X'ustniannsche  Werk  mit  vollem  Recht 
den  Anspi  uch,  eine  „Geschichte  der  Stadt  Leipzij^"  zu  sein,  erheben  könnte. 
Das  ist  aber  leider  nicht  in  vollem  MaBe  der  Fall.  Wustmann  hat  seinem 
Werke  den  Untertitel  «Bilder  und  Studien"  gegeben.  Fr  wollte  damit 
den  Charakter  des  Buches  deutlicher  kennzeichnen,  in  Wirklichkeit  gibt 
aber  dieser  Ziisatztitd,  der  zu  dem  Haupttitel  in  Qcgensatz  steht,  Iceine 
Erlidterung,  sondern  er  allein  entspricht  dem  Wesen  des  Buches,  das 
keine  zusammenhängende  Oeschichtsdarstellung,  sondern  eine  Reihe  von 
lose  .?n»:nanderjj;ereihten,  unter  sich  fast  selbständigen  Studien  nir  Ge- 
schichte Leipzigs  gibt.  Die  einzelnen  Kapitel  des  Bucfics  lassen  sich 
deshalb  zumeist  auch  ohne  die  Gefahr,  den  Zusammenhang  zu  verlieren, 
außer  der  Reihe  lesen,  was  bd  einer  wirklichen  Oesciiiciite  niciit  der  Fall 
sein  dürfte.  Der  Verfosser,  der  in  dem  Nachwort  bemerkt,  daß  er  ur- 
sprfinglidi  daran  gedacht  habe,  an  Steile  dieser  Geschichte  zu  dem  eisten 
Band  des  Urkundenbuches  der  Stadt  Leipzig,  der  der  bürgerlichen  Ge- 
schichte der  Stadt  gewidmet  ist,  aber  nur  bis  14S5  reicht,  einen  Eigänzungs- 
band  zu  liefern  und  damit  die  bürgerliche  Geschichte  Leipzigs  auch  bis 
etwa  zur  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  zu  führen,  bis  wohin  der  /.weite  und 
dritte  Band  des  Urkundenbuches,  die  die  üeschiclue  der  Leipziger  Klöster 
geben  (1559  und  1543)  und  das  Urkundenbudi  der  Universität  (1555) 
neichen,  mdnt  an  der  genannten  Stelle,  er  habe  den  Untertitel  »Bilder 
und  Studien"  gewählt,  weil  die  Darstellung  in  den  einzelnen  Kapiteln 
des  Ruches  etwas  imgleichartig  sei.  Die  Begründung  für  diese  Ungleicli- 
artigkiit  -  „es  ist  wohl  selbstverständlich,  daß  sie  (d.  h.  die  Darstellung) 
da,  wo  sie  schon  vorher  bekannt  geviesenes  .Matena!  verarbeitet,  sich  löb- 
licher Kürze  befleißigt,  dagegen  neues,  bisher  unbekanntes  Alaieiial  etwas 
anspruchsvoller  vor  dem  Leser  ausbrdtet«  -  wird  man  dunhaus  nicht 
gelten  lassen  dürfen.  Auch  diese  Ungleichartigkeit  der  Daistdlung  wider^ 


Dlgitized  by  Google 


Besprechungen. 


485 


spricht  dem  Charakter  einer  -.Geschichte  prinzipiell.  Wusimann  uill, 
wie  er  ausdrücklich  erklärt,  die  älteren  mangelhaften  und  überholten  Dar< 
Siellungen  der  Leipziger  Ocsdiichte  flberflQssig  madien:  zu  diesem  Zwecke 
hätte  aber  seine  Oesdiichte  durchaus  auf  «nen  Unterschied  zvisclien 
bereits  bekanntem  und  unbekanntem  Material  verzichten  und  sich  einzig 
nach  der  Wichtigkeit  oder  Unvi  ichtif^keit  für  die  Entwicklung  der  Stadt 
bei  der  Behandlung  des  Materials  richten  ni.i-^en.  Die  von  Wustniann 
dabei  angewandte  Methode  nujß  notwendigerweise  irreführend  wirken. 
So  steht  z.  B.  die  Behandlung,  die  Wustmann  den  Ereignissen  der  Re- 
forroationsgeschichte  widmet»  in  Icelnem  riditigen  Verliftltnis  zu  anderen 
weitaus  loupper  behandelten  illeren  Fartien  der  Stadtgesdiichte.  Ein 
weiteres  Bedenken,  das  man  e^en  Wustmann  vorbrinL:'  :i  muß,  ist  das, 
daß  er  die  Entwicklung  Leipzigs  zu  wenig  in  lebendigen  Zusammenhang 
mit  der  Entwicklung  seiner  Umgegend,  der  ganzen  sachsischen  und 
meißnischen  Lande,  ja  Ostdeutschlands  setzt.  Am  meisten  Vorteil  hätte 
die  Arbeit  wohl  von  einer  auf  eine  breitere  Basis  gestellten  Betrachtungs- 
weise in  den  Kapiteln  gehabt,  die  der  Entstehunfi^  der  Stadt  und  seiner 
Rats-  und  Oerichtsverfassung  etc.  gewidmet  sind.  Hinstditlidi  der  Ent- 
stehung Leipzigs  vertritt  Wustmann  mit  vielem  Scharfsinn  die  ältere 
Auffassung,  nach  der  der  vor  .Nbrkgraf  Otto  z>x'i5chen  1156  und  1170 
ausgestellte  Stadtbrief  nur  die  planmäßige  Erweiterung  einer  älteren  all- 
mählich entstandenen  stadtähnlichen  Anlage  und  deren  Bewidmung  mit 
Stadtrecht  bedeute,  während  z.  ß.  nocii  neuerdings  Krelzschmar  (^Die 
Entstehung  von  Stadt  und  Stadtrecht  in  den  Odsieten  zwischen  der 
mittleren  Saale  und  der  Lausitzer  NdBe^*  Breslau  1905)  die  Ansicht  ver- 
fochten hat,  daß  Markgraf  Otto  durch  planmäßige  Neugründung  die 
Marktniederlassimc  ins  Leben  gerufen  rnd  dic-se  gleich/eilig  mit  städtischem 
Recht  bewidmet  hat.  Mag  man  miraeriun,  wie  der  Referent  es  tut,  mehr 
der  Auffassung  Kretzschmars  zuneigen  =  eine  nähere  Begründung  des 
Für  und  Wider  ^^bietet  sich  schon  durch  den  Raum  - ,  so  wird  man  doch 
nicht  verkennen  dürfen,  daß  Wustmann  fflr  seine  Auffossung  ebenfolls 
eine  groBe  Reihe  an  sich  ansprechender  Gründe  anzuführen  weiß,  die 
nicht  ohne  weiteres  von  (!er  Mand  gewiesen  werden  können.  Ein  absolut 
zwingender  Beweis,  der  jede  Qegennnsicht  für  immer  ausschließt,  wird  sich 
hier  wie  bei  vielen  ähnlichen  Fragen  kaum  je  führen  lassen.  Es  ist  ein 
Vorzug  der  Wustmannschen  Darstellung,  daß  sie  die  bei  solchen  Untär- 
sudiungen  wünschenswerte  Vorsicht  in  ausgiebigem  Maße  wahrt  und 
erst  nadi  ausführlicher  Darlegung  des  Für  und  Wider  zur  Feststellung 
der  eigenen  Auffassung  schreite^  der  man  auch  bd  tdhrebe  afawekhender 
Ansicht  eine  umsiditige  und  gewissenhafte  Fundierung  deshalb  nirgends 
absprechen  kann.  Das  eben  für  die  Frage  nach  der  Entstchring  der  Stadt 
Gesagte  gilt  auch  für  die  Frage  nach  den  ältesten  Beziehungen  Leipzigs 
zu  Merseburg,  wot>ei  es  hauptsächlich  auf  die  Frage  ankommt,  ob  Mark- 
graf Otto  bei  der  Gründung  Leipzigs  nicht  nur  als  Landesherr,  sondern 


Digrtized  by  Google 


486 


Besprechungen. 


lucb  a]s  Onmilhcnr  Leipzigs  sich  betrachtet  und  ab  solcher  die  Macht 
geübt  habe,  oder  ob  Otto  den  Bischof  von  Mcrsebufc  als  Onindhemi 
Ldpags,  wie  Wustmann  es  will,  anerkannt  habe.  Auch  hierbei  wird 
man  absolute  Qcwißhcit  kaum  jemals  schaffen  können.  Ober  die  Mesen 
imd  das  Leipziger  Handwerk,  die  beide  nur  in  kurzen  Kapiteln  berührt 
werden,  soll  das  Wichtigste  erst  in  dem  folt^enden  Bande  gegeben  werden, 
während  in  dem  vorliegenden  nur  die  aulieren  U mrisse  gezeichnet  werden. 
Viel  Neues  und  Wertvolles  besonders  auch  vom  kultuigeschichtlicben 
Standpunkt  enthalten  die  Kapitel  Aber  die  Universitit  Über  das  kinfaliehe 
und  bürgerliche  Leben.  Vortrefflich  und  voll  feinsinniger  Bemerkungen 
über  den  Charakter  mittelalterlichen  Städtebaues,  über  das  Straßenbild  etc. 
sind  die  Abschnitte,  die  der  Bau  (beschichte  der  Stadt  gewidmet  sind.  Der 
Band  schh'eßt  ab  mit  der  helaj^«  luni^  Leipzigs  im  schmalkalUischen  Kriege 
durch  den  Kurfürsten  von  Sachsen.  Befriedigt  die  Anlage  des  Ganzen 
auch  nicht,  so  bietet  das  Werk  im  einzelnen  doch  viel  Schönes  und  Neues, 
das  man  dankbar  in  Empfang  nimmt,  zumal  man  hoffen  darf,  daß  der 
oder  die  folgenden  Bände,  für  deren  Ausarbeitung  sich  der  Verfasser  wohl 
mehr  Zeit  lassen  wird,  und  die  gerade  den  Zeiten  gewidmet  sind,  in  denen 
sich  Leipzigs  eigenartige  Bedeutung  für  die  deutsche  Oeistesge«chichte 
entfaltet,  in  mehr  geschlossener  Form  ein  abgerundeteres  Bild  der  Leipziger 
Geschichte  uns  geben  werden. 

W.  Brucbmfiller. 


Neujahrsblätter  der  Bibliothek  und  des  Archivs  der  Stadt  Leipzig. 
l.  1905.  Ii.  1906.  IIL  1907.  Leipzig.  C.  L  Hirschfeld,  1905-1907  (112, 
162.  112  S.). 

Die  von  Gustav  Wustniaim  ins  Leben  gerufenen  Neujahrsblätter 
sollen  eine  StStte  für  die  Veröffentlichung  größerer  und  kleinerer  Beiträge 
zur  Leipziger  Sladigeschichte  bietoi,  für  die  es  bisher  an  einem  besonderen 

Organ  gefehlt  hat.  Mit  der  Form  der  Neujahrsblätter  glaubt  NX^ustinann 
die  Schwierigkeiten,  die  sich  der  Gründung  einer  eigentlichen  Zeitschrift 
für  die  Geschichte  Leipzigs  entgegenstellen,  am  besten  umgehen  zu  können. 
Die  vorliegenden  Hefte  entstammen  alle  seiner  Feder,  also  der  eines  um 
die  Geschichte  Leipzigs  außerordentlich  verdiciueu  Gelehrten.  Sie  bilden 
eine  willkommene  Cigftmning  zu  der  von  Wustmann  begonnenen  verdienst^ 
liehen  Oeschidite  der  Stadt  Leipzig  (Bd.  I,  ebenda  1905),  deren  VonOge 
ich  meinerseits  noch  stärker  betonen  möchte,  als  es  in  der  vorangehenden 
Besprechung  unsres  Mitarbeiters  Rruchmüller  geschehen  ist.  •) 

Im  ersten  Heft  bietet  Wustmann  eine  Geschichte  der  heimlichen 
Kalvinisten  (Kryptokalvinisten)in  Leipzig,  1574  bis  1SV3,  in  der  aber  durchaus 

*)  Wenn  es  in  dem  Prospekt  heißt,  d<B  sich  in  kdner  denlsdien  Kulturgeschidrtc 
der  Nme  der  Stadt  Leipde  finde,  oder  raf  dner  Unudilagnotiz,  daft,  ver  fn  den  diAn- 

beti^ch«!  Register  efncr  detihschen  Kulturgtschidite  den  Namen  Leipzig  suche.  vcr^cb<>ns 
suchen  werde,  so  ist  anzunehmen,  da«  W.  meine  Oeschichte  der  Deutschen  Kultur  noch 
nidit  getaint  hit  (Vgl.  dort  ct.  u  Im  RegMer  anfrfflbrtc  SMlot) 


Digitized  by  Google 


BcspfcditiiigOL 


487 


nicht  nur  das  kirchengescfaichflidie  Interesse  obwaltet,  vidmehr  das  Leipziger 

Leben  überhaupt,  das  geistige  wie  das  wirtsdiaftliche,  mannigfach  gestreift 
wird.  So  werden  z.  B.  Buchdruck  und  Buchhandel  berührt;  denn  das 
erste  Opfer  der  konfessionellen  Kämpfe  in  Kursachsen  war  „ein  gelehrter 
Buchhändler,  der  ...  die  bedeutendste  Bnchdruckerei  und  Buchhandlung 
von  ganz  Mittel-  und  Ostdeutschland  geschaffen  hatte,  und  der  nun  binnen 
zwei  Jahren  infolge  der  kirchlichen  Kämpfe  seine  Schöpiung  wieder 
zusammenbrechen  sehen  mußte**  Ernst  Vfigdin.  Als  Opfer  «is  Bflriger* 
kreisen  erscheint  neben  ihm  Weinhaus,  wUirend  die  beiden  Hauptofifier 
der  Kalvinistenverfolgung  am  kurfürstlichen  Hofe  Craco  und  Krell  waren. 
Natürlich  beleuchtet  die  Schrift  auch  den  theologischen  Zankgeist  der  Zeit, 
die  Schmähsucht  und  Hctzleidenschaft,  die  die  weitesten  Volksscliichten 
damals  ergriffen,  in  greller  Deutlichkeit  (vgl.  z.  R.  S.  55  ff  ).  -  Angeschlossen 
ist  ein  kleinerer  Aufsatz  über  Hieronymus  Letter  den  Jüngeren  und  die 
Fürstenbildnisse  im  Leipziger  Rathause.  Dieser  »Beitrag  zur  Geschichte 
des  Leipziger  Kunstbebricbcs  und  Kunsthandeis  in  der  zivdten  fttifte 
des  16.  Jahrhundeiis«  zieht  auch  eine  Korrespondenz  Lotten  mit  dem 
Landgrafen  Wilhelm  IV.  von  Hessen  heran  und  ist  u.  a.  durch  die  Mit- 
teilung des  vollständigen  Verzeicfanisscs  der  Oendlde  in  Lotters  Nachlaß 
interessant. 

Das  zweite  Heft  bringt  die  erste  Hälfte  einer  Geschichte  der  Leipziger 
Stadtbibliothek  (1677-1801),  die,  von  Huldreich  Groß  gestiftet,  itiren 
besten  Bibliothekar  in  dem  bedeutenden  Geschichtsschreiber  Johann  jakub 
Masoov  hatte.  Wir  erhalten  zum  Teil  ein  typisches  Bild  der  Bibliotheken 
jener  Zeit,  die  ja  oft  auch  Museen  darstellten  und  Münzen,  Kunstwerke, 
naturvissenschaftlkhe  Objekte,  nicht  zum  wenigsten  aber  auch  die  der 
Zeit  so  recht  entsprechenden  »Kuriositäten*  zu  sammeln  hatten  (vgl.  in 
dem  Heft  z.  R  S.  3if.,  64  f.,  73),  an  denen  das  Interesse  er^t  Ende  des 
18.  Jahrhunderts  schwand  (vgl.  S.  109  f.).  Als  ein  kleiner  Beitrag  zur 
Geschichte  des  deutschen  Briefes  mag  der  Mahnbrief  von  1690  (S.  21  f.) 
erscheinen.  Einen  größeren  Qu  eilen  bei  trag  zu  demselben  Thema  bildet 
die  am  Schhiß  des  Heftes  abgedruckte  Auswahl  aus  Briefen  Friederike 
Oesers,  von  denen  der  Bibliothek  neuerdings  Ober  zweihundert  geschenkt 
sind.  Friederike  war  Briefiidireiberin  ans  PMon  (vgl.  S.  128),  ganz  nach 
dem  Geiste  ihrer  Zeit.  Für  W.'s  Veröffentlichung  kommt  aber  in  erster 
Linie  das  stoffliche  Interesse  der  Briefe  in  Betracht,  „die  sich  auf  Leipzig 
imd  Leipziger  Verhältnisse,  besonders  auf  Oeser  und  die  Seinigen,  daneben 
auf  Literatur,  Kunst  und  Theater  beziehen«.  »Die  erste  Stelle  (rebührt 
hier  dem  hübschen  Briefe  vom  Dezember  1770,  worin  i  riederike  dem 
zwölfjährigen  MQhmchen  etwa  im  Stile  von  VdBes  ,Kinderfreund'  die 
Oescfaicfate  der  Familie  Oeser  enihli« 

Der  Leipziger  Kupferstich  im  16.,  17.  und  18.  Jahrhundert  ist  da» 
Thema  des  dritten  l  l  fte^  Eine  große  Rolle  desselben  ist  schon  aus  der 
Bedeutung  des  Buchbandeis,  mit  dem  der  Kupferstich  immer  im  engsten 


438 


Besprechungen. 


Zusammenhang  gestanden  hat,  für  Leipzig  zu  entnehmen.  Wustinanns 
Darstellung  beruht  auf  einem  umfassenden  und  zuverlässigen  Quellen- 
und  Bildermaterial.  Im  Mittelpunkt  der  Darstellung  steht  Martin 
Bemigeroth.  Audi  in  diesem  Heft  fallen  flbfigens  fflr  die  Kultufsesdiidiie 
kleine  Nebengevinne  ab,  so  die  Bemerkungen  über  Frentzds  Stammbudi 
(Sw24f.),  über  die  Ausdehnung  der  akademischen  Gerichtsbarkeit  (S.  iSf.), 
übet  die  Sitte,  nach  dem  Tode  eines  wohlhabenden  Mannes  sein  Bildnis 
in  Kupfer  stechen  ni  lassen  und  zu  verteilen  (S.  49 f.)  u.  a. 

Mögen  die  Hefte  eine  ebenso  glückliche  Fortsetzung  finden. 

Oeorg  Steinhausen. 


Ernst  Schumann,  Verfassung  und  Verwaltung:  des  Rates  in  Augs- 
bttl^  von  1276  ^  1368.  Inangural-Disscrtation.   Kiel  t9üS  (X  und  196  S.). 

Die  Schuniannsche  Arbeit,  die  sich  zuni  Ziel  gesetzt  hat,  die  Ver- 
fassung und  Verwaltung  des  Rates  in  Augsburg  von  der  Kodifikation 
des  zweiten  Stadtrechfs  von  1276  bis  zur  Zunftrevolution  von  1368  dar- 
zustellen, gliedert  sich  in  zwei  Teile,  A.  die  Verfassung  des  Rates  und 
der  übrigen  städtischen  Ämter  (S.  7-48)  und  B.  die  durch  den  Rat 
ausgeübte  Gesetzgebimtr  imd  Verwaltung  (S.  49-196).  Im  ersten  Teil 
gibt  der  Verfasser  nac  li  i  im m  Verzeichnis  der  von  ihm  benutzten  Schriften 
und  einer  kurzen  Einleitung  über  die  Zeit  von  1156  bis  1276,  in  der  die 
öffentliche  Gewalt  zirisdien  drei  Faktoren,  König,  Bischof  und  Gemeinde, 
geteilt  erscheint,  folgendes  Bild  der  Raisverfassung:  Den  Mittelpunkt  des 
städtisdien  Venvaltungsorganismus  bildet  der  aus  24  Mitgliedern  bestehende 
»kleine  Rat«,  der  sich  aus  dem  Zwölferrat  der  bischöflichen  Stadt  dadurch 
herausgebildet  hat,  daß  der  letztere  nach  und  räch  in  seiner  Mitglieder- 
zahl auf  24  gesticgeii  :s:.  \'on  diesen  24  RatsmitglmU in,  die  aus<5chließ- 
lich  «ehrbaren"  oder  patrizischen  Geschlechtem  angehörten,  schieden, 
mindestens  vom  Jahre  1291  an,  alljährlich  12  JMilglieder  aus.  Die  andern 
12  kooptierten  sich  dann  durch  12  neue  Mitglieder;  doch  bildeten  die 
12  alten  Ratgeber  oder  »Die  Zwölfer«  unter  dem  Namen  »Der  alte  Rat* 
einen  Ausschuß  für  sich,  der  dem  Plenum  oder  dem  regierenden  kleinen 
Rat  als  vorberatende  Behörde  zur  Seite  stand.  Der  letztere  wählte  ni!s 
seiner  Mitte  den  .Ausschuß  der  «Vierer"  für  handelspolizeiliche  Funktionen 
und  die  beiden  Pfleger  und  endlich  aus  der  ßürgerschatt  den  großen  Kat, 
der  sich  in  dem  Jahre  1290  urkundlich  zum  ersten  Male  erwähnt  findet, 
dessen  Mitgliederzahl  sowie  Redite  und  PHiditen  aber  damals  noch  nicht 
abgegrenzt  waren. 

Diese  patrizische  R^ierungsform  Augsburgs  bestand  bis  zur  Mitte 
des  14.  jahriiu Uderts.  Die  Bestrebungen  der  Bürgerschaft,  die  ausschließ- 
liche Herrschaft  der  Geschlechter  zu  brechen,  die  schon  im  Anfang  des 
H.  jahrhuudcris  eingesetzt  hatten,  luhrtcn  im  Jahre  I3tȊ  zur  iirrichtung 
einer  Zunftver&ssung,  nach  der  fortan  ein  kleiner  Rat  aus  15  iVUtgliedeni 


Dlgltlzed  by  Google 


ßcsprediungen. 


489 


der  Geschlechter  und  29  Deputierten  der  Zünfte  und  ein  großer  Rat 
aiisschließlicfa  aus  Vertretern  der  Zfinfte,  und  zwar  je  12  von  jeder  der 
18  ZQnfte,  bestand. 

Nach  einer  Besprechung  der  Ratsfimter  (Bürgermeister,  Baumeister, 

Silier,  Steuermeister),  deren  Träger  aus  dem  kleinen  Rat  gewählt  wurden, 
und  der  für  die  Exekutive  notwendigen  Subalternbcamten  (Stadtschreiber, 
Ratsdiencr,  W'eibel,  Henker  etc.)  behandelt  der  X'erfasser  die  reichsstädtische 
X'erwaltung  in  6  Kapiteln  (1.  Allgen;eines,  2.  Ausu artiges,  3.  >X  lIwa  ct- 
fassung,  4.  Finanzverwaltung,  5.  Polizei,  6.  Gerichtsbarkeit  des  Rates), 
von  denen  das  4.  und  5.  Kapitel  vegen  ihrer  hervorragenden  Bedeutimg 
ffir  das  stidtiscbe  Gemeinwesen  den  größten  I?aum  einnehmen  und  auch 
das  stärkste  Interesse  des  Lesen  beanspruchen  Ic5nnen.  Daß  gerade  diese 
zwei  Abschnitte  der  Dissertation  die  Beantwortung  zahlreicher  Fragen, 
wie  die  Regelmäßigkeit  der  Mobiliarsteuer,  den  Bcs't?  der  verschiedenen 
Zölle,  das  Scliut/.verhältnis  der  Juden  zur  lUirgerscliatt  etc.,  offen  lassen, 
hat  darin  seinen  Onind,  daß  die  hier  einschlägigen  Oiieücn  entweder 
lückenhaft  oder  unter  sich  widereprudisvoil  sind.  Der  Vcrtasbcr  iiat  es 
sidi  in  allen  diesen  fVlen  angelegen  sein  lassen,  das  vorhandene  Qttdlen- 
material,  wenn  nicht  Im  Text,  so  doch  in  den  fuBnotcn,  so  weit  heran- 
zuziehen,  daß  sich  die  Leser  eventuell  selbst  ein  Urteil  fiber  diese  strittigen 
Fragen  zu  bilden  vermögen. 

Ein  genaues  Sachregister  erleichtert  die  Benutzung  der  Abhandhmr, 
die  zwar  -  schon  infolge  des  Verzichts  des  Verfassers  auf  eigene  archiva- 
lische  Forschungen  —  zu  keinen  neuen  Resultaten  kommt,  aber  die  zicniiich 
reichlich  vorhandene  Literatur  gut  zusammenfaßt  und  so  von  der  \  er- 
fasBung  und  Verwaltung  der  Rdcbsstadt  Augsbuqr  im  Rühmitteialter 
ein  zutreffendes  Bild  entwirft. 

  J.  Müller. 

Max  Jacobi,  Das  Weltgebaude  des  Kardinals  Nikolaus  v.  Cusa 
Ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  Naturphiloonhie  und  Kosmologie  in  der 
Frührenaissance.    Berlin,  A.  Köhler,  1904.   i\  ,  A9  S.) 

Die  kleine  Schrift  befaiit  sich  mit  den  naturwisscnschaitiiclien  An> 
siditen  des  Kusaners  und  wendet  iddi  hauptsächlich  an  die  Kreise  der 
Nidit&chgelehrten.  In  dem  verhältnismäßig  großen  Anmerkungsapparat 
des  sonst  kleinen  Bfichleins  bitten  die  gelegentlichen  temperamentvolten 
Vorstöße  gegen  andere  Forscher  wohl  fehlen  können. 

O.  Kohfeidt 


Ludwig  Keller,  Jolnnr^  Gottfried  Herder  und  die  Kultgesellschaften 
des  Humanismus.  Fin  rieitrag  zur  Oeschichte  des  Maurerbundes.  (Vor- 
träge und  Aufsätze  aus  der  Comenius-Geselischaft,  XU,  1.)  Berlin,  Weid- 
mann, 1904.   (106  S.) 

Kellers  Herdeistudie  bildet  eine  wertvolle  Ei^glnzung  zu  den  bis- 


490 


BespRchungen. 


hcrigen  Lebensbesdirdbiingen  des  Dichter» Philosophen.   Sie  beschäftigt 
sich  mit  Bezieh ung^en  und  Bestrebungen  Herders,  die  bisher  t^ering" 
geschätzt  oder  falsch  beurteilt  worden  sind.    K.,  der  durch  langjährige 
Studien  mit  dem  Geist  und  der  Geschichte  der  geheimen  Gesellschaften  ver- 
traut erscheint,  ist  wohl  wie  kaum  ein  anderer  imstande,  diese  Beziehungen 
aufzuklären.  Indem  er  der  Lebensffihrung  und  den  VerkehisvcfhiltnimB 
Herders  von  der  Jugend  bis  ins  Alter  nachg^t,  indem  er  den  Oeist 
seiner  Schriften  und  seine  gelegentlichen  Äußerungen  prüft,  kommt  K. 
zu  der  Überzeugung,  daß  Herder  stets  ein  Anhänger  des  Maurerbundes 
geblieben  sei,  ja,  daß  seine  Anteilnahme  trotz  j^^elegentlicher  persönlicher 
Zurückhriltimi:  und  trotz  der  Verurteilung  mancher  Ordensmißbräuche 
mit  den  Jaiiren  gewachsen  sei.    K.  schätzt  den  Einfluß  des  Ordens  auf 
Herder  außerordentlich  hoch  ein,  er  bezweifelt  sogar,  daß  Herder  otine 
seine  Logenmitgliedschaft  einen  so  großen  geistigen  Einfluß  auf  Mit-  und 
Nachwelt  gehabt  haben  würde.  Kelleis  Buch  mit  seiner  anschaulidien 
Schilderung  des  lebendigen  Verkdus  so  vieler  bedeutender  Logenange> 
hörigen  in  allen  Teilen  Deutschlands  läßt  in  dem  Leser  wohl  den  Wunsdi 
entstehen,  daß  der  Verfasser  auch  noch  andere  führende  Geister  des  1 S.  Jahr- 
hunderts zum  Gegenstand  ähnlicher  Nachforschungen  machen  möchte. 

G.  Kohfeldt 


Heinrich  Boos,  Geschichte  der  Freimaurerei.  Ein  Beitrag  zur  Kultur- 
und  LitenturOcschichte  des  1 8.  Jahrhunderts.  2.  volbtXndig  umgearbeitete 
Auflage.  Aarau  1906,  H.  R.  Sauerl&ndcr  8t  C6.  (VII,  429  S.) 

Der  Unterzeichnete  ist  an  dieses  Werk,  soweit  es  die  interne  Ent- 
stchungs-  und  Entwicklungsgeschichte  der  Freimaurerei  behanddt,  von 
vornherein  nur  als  ein  Lernender  und  nicht  Kritiker  hemnge5:aniTen. 
Zu  dem  letzteren  fehlte  ihm  als  Vorbedingung  jede  nähere  Kenmnis 
maurcrischen  Wesens  und  seines  Schnfttums,  er  kann  somit  auch  nur  in 
der  Rolle  des  erstcicu  hict  über  das  Buch  sprechen.  Da  ist  zunächst  fest- 
zustellen, daß  Boos  den  für  den  Laien  vielfach  schwierigen  und  leidit 
unfibersichtlichen  Stoff  gut  zu  grupptemi  und  in  flüssiger  Darstellung 
zu  gel>en  versieht,  daß  er  hinsichtlich  der  Entstehung  der  Frdmauitro 
mit  vielem,  noch  immer  in  weiten  Kreisen  besonders  auch  der  Maurer 
selbst  herrschenden  Aberi^lauben  unter  scharfer  Kritik  aufräumt,  so  z.  B. 
mit  dem  Glauben  an  einen  Zusammenhang  zwischen  Templerorden  und 
Freimaurerei  oder  dem  Ursprung  der  Freimaurerei  ans  den  Bauhütten  des 
Mitteialters.  Boos  weist  dagegen  nach,  daß  die  Freimaurerei  auf  englischem 
Boden  entstanden  nnd  von  dort  nach  Frankreidi  und  besonders  nach 
Deutschland  übergegangen  ist.  Hier  besonders  ist  die  Freimauroei  an 
wichtiger  Faktor  der  Kultur  des  an  OegensSfzen  reichen  I8.|ahriittnderb 
geworden.  Was  Boos  hierzu  im  8.  und  9.  Kapitel  seines  Werkes  t)eibringt, 
ist  das,  was  seine  Arbeit  in  erster  Linie  für  den  Kulturhistoriker  wichtig 
macht.  Im  allgemeinen  wird  man  hier  den  Ausführungen  des  Verfassoi 


i^'iLjuiz-uü  by 


Dcspfoditu^goi. 


491 


wohl  folgen  dfiifen,  wenn  mir  Boos  auch  hier  und  da,  was  ich  im  ein- 
zelnen nicht  belesen  willf  den  Einfluß  der  Freimaiirerei  auf  die  geistige 
Kultur  und  besonders  unsere  klassische  Literatur  zu  überschätzen  scheint. 

Das  ist  bei  dem  Verfasser  eines  ?o1c!ien  eirtf^ehenden,  auf  umfassenden 
intensiven  Studien  beruhenden  Spcziai Perkes  nicht  nur  leicht  erklärlich, 
sondern  auch  sehr  entschuldbar,  ja  sogar  wohl  kaum  ganz  zu  vermeiden. 
Jedenfalls  bedeutet  die  Darstellung  des  Verfassers  gegenüber  der  gänz- 
lichen Aufienditiasaung  der  freimaurerischen  Einflösse  auf  die  Kultur  des 
18.  Jahihunderts  einen  Fortschritt 

W.  BruchmaUer. 


Otto  Hense,  Die  Modifizierung  der  Maske  in  der  griechischen  Tra- 
gödie. Zweite  Auflage.  Frdbuiig  i.  Br.,  Herdersche  Verlagsbuchhandlung, 
1905.    (VI,  3S  S.) 

Ein  Hinweis  auf  diese  treffliche  Untersuchung,  die  zueisi  iyo2  in 
der  Festschrift  der  Universität  Freiburg  zum  ffinfzigjährigen  Regierungs- 
jubiUium  des  Oroßhetzogs  von  Baden  erschienen  ist,  dürfte  die  Leser 
dieser  Zettschrift  interessieren.  Die  Vollmaske  der  athenischen  Schauspieler 
hinderte  bekanntlich  das  Mienenspiel,  einen  so  wichtigen  Teil  der  szenischen 
Aktion.  Beseitigung  der  Maske  wnr  aber  nicht  moghVh,  da  das  Schnu^piel 
seinen  ursprünglich  gottesdienstlichen  C^liarakter  nicht  abstreifte;  beson- 
ders bei  der  in  der  älteren  Tragödie  so  häufigen  Verwendung  von  Oötter- 
roUen  konnte  eine  altgläubig  naive  Gottesverehrung  sich  die  unvergang» 
Kchen  Wesen  ihrer  Gottheiten  nicht  in  den  Zflgen  dieses  oder  jenes 
DaisteUers^  sondern  nur  unter  dem  Schutze  einer  den  Typen  der  Kult- 
büder  entlehnten  Maske  voizustetlen  wagen.  Diese  wurde  denn  auch 
nicht  etwa  nur  als  ein  lästiges  Inventarstück  von  dc-n  Dichtem  mitge- 
'^chleppt,  sondern  von  ihnen  unter  Würdigung  der  dadurch  gegebenen 
Schwierigkeiten  in  die  dramatischen  Pläne  einbezogen.  Es  ist  des  öftcrn 
bereits  hervorgehoben,  welche  Einwirkung  die  Maske  auf  die  Prägung  der 
tragischen  Charaktere  und  für  die  Ökonomie  der  Tragödie  geliabt  hat: 
sie  drflngte  mit  Notwendigkeit  auf  die  Schaffung  einheiflich  geschlosseno-, 
pbstisch  vor  Augen  gestellter  Charaktere  und  auf  Vereinfachung  der 
Handlung,  auch  durch  Verlegen  eines  Teiles  derselben  in  die  Voigeschichte, 
schloß  aber  gewisse  dramatische  Vorgänge  von  der  Bühne  aus,  so  ent- 
scheidende Kampfszenen,  Blendungen,  Mord,  Selbstmord,  weil  die  un- 
vermeidüche  Spannung  und  Veränderung  des  Oesicht^ausdnicks  in  solchen 
Momenten  sich  mit  der  Maske  nicht  vereinigen  ließ.  Andere  Nachteile 
konnte  man  beispielsweise  dadurch  ausgleichen,  daß  der  Chor  durch  ver- 
schiedene Formationen  einzelne  PäsÖnlichkeiten,  deren  Haltung  die  Illu- 
sbn  stAren  wQide^  vcrdeclite.  Die  von  Hense  untersudite  Frage  ist  nun, 
sdt  wann  man  diese  Schranken  archaischer  Gebundenheit  zu  durchbrechen 
vo^cht  und  sich  zu  einer  Änderung  oder  einem  Wechsel  der  Maske 
entschlossen  hat.  Mit  Recht  wird  betont,  daß  eine  solche  Modifizierung 


492 


B«8pradittngen. 


flberfaaupt  nur  dt  in  Enrilgung  zu  ziehen  ist,  wo  die  Dichtung  sdlist  dncn 
auf  das  verftnderte  Aussehen  der  Maslce  ttezfiglichen  unzweideutigen  Winlc 
entiiilt,  und  das  ist  verhältnismSßig  selten.  Auf  Einzelheiten  der  diesen 
wenigen  Hinweisen  bei  den  großen  Tragikern  sorgsam  und  scharfsinnig 

nachspürenden  Erörtening  ist  hier  nicht  einztir^ehen.  Zuerst  ist  ein  Bei- 
spiel der  veränderten  Maske  in  der  letzten  Schöpfung  des  Äschylus,  der 
Orestie  (4S8  v.  Chr.),  nachzuweisen:  Klytämnestra  erscheint  nach  der  Er- 
mordung des  Agamemnon  mit  einem  BlutÜcck  an  der  Stirn.  Sophokles 
dann  Ufit  Ödipns  nach  der  Blendung  in  einer  entspiediend  veiSnderten 
Masice  auftreten,  wie  auch  die  grausis^n  Worte  des  Choif&hrers  bezeugen. 
Weitere  Spuren  derart  finden  sich  bei  Euripides.  Spärlicher  sind  aller> 
dings  sichere  Andeutungen,  daB  die  gegenüber  einem  früheren  Auftreten 
stark  veränderte  Gemütsverf.issung:  einer  Person  durch  Unigestaltung  der 
Maske  veranschaulicht  wurde.  Doch  über  Henses  Atiffassung  dieser  Steilen 
würde  eine  genauere  Auseinandersetzung  erforderlich  sein,  die  hier  aus- 
geschlossen ist.  Liebenam. 


r.  Marfoir  (Ludwig  Hermann  Wolfram),  f^ust.  Ein  dramatisches 
Oedidit  in  drei  Abschnitten  [Ljeipzig  1839).  Neu  herausgegeben  und  mit 

einer  biographischen  Einleitung  versehen  von  Otto  Neurath.  Teil  1  (A. 
U.  d.  T]-  Ludwig  Hermann  Wolframs  Leben,  als  Finleitrinpf  sfinem 
„Faust".  Nebst  drei  Registern,  einem  faksimilierten  Bnef  und  einer 
Stammtafel.  -  Teil  2  [A.  u.  d.  T.J:  Faust.  (Neudruck.)  (Neudrucke 
literarhistorischer  Seltenheiten,  herausgegeben  von  Fedor  von  Zobeltitz, 
Nr.  6.)  Beriin,  Emst  F^«isdorff,  s.  a.  [1907j.  (VI,  8,  518;  [IV],  XX,  21 8  S.) 

Ludwig  Hcraiann  Wolfram  ist  heute  so  gut  wie  veigcssen,  aber, 
wie  man  dem  Herausgeber  zugeben  nnifi,  nicht  ganz  mit  Recht.  Für 
die  Beurteilung  der  geistigen  Strömungen  zur  Zeit  des  jungen  Deutsch- 
lands ist  er  von  gewisser,  wenn  auch  untergeordneter  Bedeutting.  Er 
empfand  die  Leere  seinerzeit  und  glaubte  sich  berufen,  der  Erstarkung 
des  inneren  Lebens  und  dem  »Siege  des  Gedankens  in  der  Dichtung« 
vorzuarbeiten.  Einige  Ansätze  schienen  Gutes  zu  versprechen,  aber  dem 
Wollen  fehlte  das  Können  und  die  dttliche  Orbüt,  In  seiner  Unstetigldt 
erinnert  er  an  Waiblinger,  in  seinem  Unvermögen  an  Stieglitz.  So  hat 
er  nichts  für  die  Ewigkeit  hhiterlassen,  und  das  einzige,  was  in  seinen 
Werken  einiger  Beachtung  wert  ist,  sind  gel^entliche  kritischef  mitunter 
in  phantastisches  Gewand  gehüllte  Auslassungen  fiher  i'^eistiV^e,  insbesondere 
philosophisch -literarische  Fragen  seinerzeit.  Sein  Hauptwerk  »Faust", 
dichterisch  unbedeutend,  darf  daher  auch  nur  von  diesem  Standpunkt 
aus  gewürdigt  werden.  Wolfram  selbst  hatte  offenbar  das  riciitige  Gefühl 
der  Unzulänglichkeit  seines  Könnens,  indem  er  dem  Drama  ein  erldirendcs 
Vorwort  vorauschidcte,  worin  er  im  wesentlichen  das  taf^  was  aus  der 
Dichtung  selber  MLfte  sprechen  mfissen.  Immerhin  verdient  das  Werk, 


i^'iLjuiz-uü  by  VjOOQle 


Besprechungen. 


493 


daß  die  Forschung  nicht  einfach  achtlos  an  ihm  vonlbcrgeht,  und  SO 
mag  denn  auch  vorh'egender  Neudruck  nicht  ganz  überflüssig  sein. 

Bedenken  erre<:rt  nur  die  Art  der  VeröffentHcluing.  Der  Heraus- 
geber bit  über  seiner  eingehenden  Beschäftigung  mit  Wolfram  und  dessen 
Werken  den  historischen  Maßstab  völlig  verloren.  Er  spricht  wohl 
gel^entlich  von  dem  geringen  Ideenreichtum  Wolframs  und  seiner 
mangelnden  B^bung,  aber  alles  In  allem  überschätzt  er  den  Dichter 
doch  ganz  erhd)lich.  Und  mit  dem  Inneren  Mafislabe  verliert  er  auch 
den  rein  ftuflerlichen.  Die  sehr  nötige  und  auch  sehr  sorgfältige  Einleitung 
konnte  um  zwei  Drittel  gekürzt  werden,  ohne  an  Sorgfalt  zu  verlieren. 
So  z-  B.  hätte  die  ganze  bis  auf  die  kleinste  Kirchenbuch notiz  abgedruckte 
Genealogie  der  Vorfahren  gestrichen  werden  sollen.  Nicht  als  ob  der- 
gleichen Forschungen  überflüssig  wären  -  im  Gegenteil:  die  Anthro- 
pologie und  Oesellschaftsbiologie  betont  ja  die  Wichtigkeit  der  Familien- 
ehndforschung  aufs  nachdrfiddichste  nur  soll  nicht  alles  unverarbeitete 
R<^material  auch  gleich  gedruckt  werden.  Zumal  nicht  an  solcher  Stelle, 
denn  für  die  famitiengeschichtllche  Forschung  ist  Wolfram  nicht  der 
mehr  oder  minder  bekannte  Dichter  des  Faust,  sondern  nichts  weiter  als 
ein  Exemplar  der  Spezies  Mensch.  --  Von  dem  übrigen,  oft  noch  viel 
überilüöigeren  Ballast  der  pj'nleitunn^  mir  ein  Beispiel.  Der  Herausgeber 
erwähnt  in  einer  an  sich  schon  ?cnr  iiebensächlicln  n  Anmerkung,  daß 
die  GrobniuUer  von  Wolframs  1  rau  aus  Sehlis  bei  1  auctia  stanuiuc,  und 
findet  sich  gemOßigt,  hinter  »Taucha«  wörtlich  folgende  Klammer  dnzu* 
schalten:  [nach  K.  Fr.  VoHnth  Hofinnnn.  »Deutschland  und  seine  Be- 
wohner.« 1835.  III,  S.  318:  »Taucha,  Stadt  mit  242  Häusern  und 
1660  Ew.  ^'i  Meilen  ostnordw.  v.  Leipzig*].  Der  Leser  schlägt  sich 
vor  den  Kopf,  blickt  abermals  ins  Buch  und  kann  sich  nur  wieder  vor 
den  Kopf  schlagen.  Dieselbe  unerfreuliche  Kleinigkeitskrämerei  zeigt  sich 
in  der  Einrichtung  des  DntcK  ^:  alle,  auch  die  gleichgültigsten  Personen- 
und  Ortsnamen  (wie  z.  B.  in  der  eben  angeführten  Klammer)  sind  gesperrt 
gedruckt,  Sperrungen  des  Herausgebers  auBerdem  noch  In  bttdniscber 
Kursive  gesetzt,  die  unbedeuiehdsten  Auslassungen  fein  säuberlich  durch 
eckige  Kfaimmem  und  vier  Punkte  angedeutet,  -  kuizum:  die  g^uize  typo- 
graphische Ausstattung  ist  so  pedantisch  und  zugleich  buntsdieckig,  daß 
man  unter  andauerndem  Unbehagen  liest.  Was  sagte  nur  der  Verleger 
dazu,  den  man  doch  so  oft  als  geschmackvollen  Bücherkenner  rühmen  hört? 

Insgesamt:  eine  an  sich  nicht  ganz  unverdienstliche  Veröffentlichung, 
die  sich  aber  durch  die  Art  ihrer  Arbeit  selber  um  ihr  bestes  Verdienst 
bringt.  Was  der  Herausgeber  dieser  Zeitschrift  erst  kürzlich  noch  an 
dieser  Stelle  betonte,  Paulsens  Wort:  »Der  Historiker  muB  den  Mut  zur 
Auslese  haben«,  das  gilt  in  gleichem  JMafie  vom  Literarhistoriker.  Ja,  fut 
noch  mehr,  denn  der  Betrieb  der  Literaturforschung,  wie  er  heute  vidfach 
im  Schwange  ist,  kann  einen  wirklich  verdrießiich  stimmen. 

Hans  Legband. 


Kleine  Mitteilungen  und  Referate 


Das  Augiistheft  der  Contemporaiy  Reviev  (Nr.  500)  bringt  cüien 
beachtenswerten  Aufsatz  von  A.  H.  Sayce,  Social  life  in  Asi«  Minor 

in  the  Abraham ic  Age. 

Erwähnt  sei  dabei  ein  Aufsatz  von  Max  1.6  iir  itu  2.  Jahrgang  des 
Palästinajahrbuchs  des  deutschen  evangelischen  hibiituts  für  Altertums- 
wissenschaft, in  dem  er  die  Gastfreundschaft  im  Lande  der  Bibel 
«inst  und  jetzt  scliildert. 

Walter  SchOdcing  handelt  in  sehr  eedringter  Form  in  dcrZdt> 
Schrift  für  Sozial  Wissenschaft  (itihrg.  10,  Heft  9)  Uber  den  Kosmopoli* 
tismus  der  Antike. 

Unter  Betonung  der  allgemein-  und  kulturgeschichtlichen  Bedeutunj? 
der  Entwicklung  des  Kriegswesens  und  der  Kriegswissenschaften  sowie 
des  Spiegelbildes  derselben,  der  Militärliteratur,  stellt  W.  Stavenhagen 
in  der  Militirisdien  Welt  (1907,  Heft  ii)  in  ansprechender  Form  das 
Wissenswerteste  fiber  die  altgriectaische  Militärschriftstellerei 
zusammen.  Daß  er  zwar  ein  belesener  Offizier,  aber  kein  Philologe  und 
Historiker  ist,  spürt  man  allerdings  wiederholt.  Überdies  wird  die  Ab- 
handlung durch  eine  große  Zahl  äußerst  störender  Druckfehler,  z.  R.  in 
den  Namen,  entstellt.  Gelegentlich  muß  es  statt  vor  Christus:  nach  Christus 
heißen  (so  bei  Aelian)  und  umgekehrt  (so  bei  Philon,  wo  auch  die  Jahres« 
aahl  selbst  falsch  ist).  Am  fehlerhaftesten  ist  die  Wiedergabe  der  griechischen 
Titel  der  zitierten  Werlte,  so  daß  man  zugunsten  des  Verf. 's  annehmen 
muB,  daB  er  überhaupt  keine  Korrektur  erhalten  hat.  Die  von  St  anderSF 
woher  übernommene  Notiz,  daß  man  von  K.  K.  Müller  eine  Sammlung 
der  griechischen  Kriegsschriftsteller  «warten  df;rfe,  ist  veraltet,  da  M.  seit 
einigen  Jahren  tot  ist.  Übrigens  wäre  dLn^clhe  seiner  ganzen  Natur  nach 
über  die  .allerersten  Vorbereitungen  und  Anlauie  zu  der  umfa^nüen  Auf- 
gabe nidit  hinausgekommen. 

V.  von  jagic  handelt  in  der  Internationalen  Wochenschrift  für 
Wissenschaft,  Kunst  und  Technik  (1,  Nr.  22)  kurz  Ober  die  Anfinge  der 
slawischen  Kultw  und  Sprachen. 


Dlgitlzed  by  Google 


Kldne  Mittdlungen  und  Rdente. 


495 


In  Heft  29  (V,  5)  der  MitteOungen  der  Ulaiiisdieti  Hfenrisclien 
Oesdlsduft  findet  sich  ein  Ai^tz  von  C  Cappel  1er,  Wie  die  alten 
Litauer  lebten. 

Zimmer's  in  den  Sitzungsberichten  der  Preußischen  Akademie  der 

Wissenschaften  (1907,  Phil.-H;f;t.  Klrr^fie,  Nr.  1')  erschienene  Abhandhing 
über  den  Einschlag  aus  den  Kuliurzuständen  der  vorkeltischen 
Bewohner  Irlands  in  dem  in  den  Erzähhingen  der  alten  nordirischen 
Heldensage  voriK^endcn  Kulturbild  aus  dem  älteren  Irland  betont 
die  Bedeutung  der  vorkdtischen  Zustande  fiir  die  altkeltiache  Kultur.  Die 
Zustände,  wie  sie  in  den  Erzählungen  des  Cuchulinnsagenkreises  sich  zeigen, 
entspiidicn  nicht  der  aiüidtiadien  Kultur  des  Kontinents»  viebnehr  mOssen 
Einsdilige  angenommen  werden,  die  von  den  nichtindogennanischen 
älteren  ße\('ohnern  des  inselreiches  stammen,  wie  Z.  dies  an  der  Stellung 
des  Wellies  zeigt. 

Hierbei  sei  auf  einen  Artikel  David  Mac  Ritchie's,  Celtic 
Civilization  (Celtic  Rev.,  1907,  p,  2S2/6)  hingewiesen. 

Nicht  ohne  kulturgeschichtliches  Interesse  ist  die  Arbeit  Max 
Kemmerichs  Aber  den  körperlichen  Habitus  deutscher  mittel- 
alterlicher Herrscher  in  der  Politisch-anthropologischen  Revue 
(Jahrg.  6,  Heft  5).  Er  beschränkt  sich  dabei  auf  das  frühe  Mittelalter 
(bis  Rudolf  von  Habsburg),  bringt  aber  das  erreichbare  Material  so  voll- 
ständig als  möglich;  daß  diese  Zusammenstellung  als  erster  derartiger 
Versuch  verbessern ngs-  und  erganzungsfähig  ist,  betont  er  dabei  selbst. 
Schlüsse  aus  dem  Material  zu  ziehen,  überläßt  er  andern,  weisl  aber  auf 
die  Gesichtspunkte  hin,  unter  denen  man  vom  Standpunkte  der  Rassen- 
Inge  aus  einschlägige  Untersuchungen  anstellen  kann.  Ab  ein  Resultat 
der  Untersuchung  hebt  er  hervor,  »daß  die  Qberwiegende  Mehrzahl  der 
deutschen  Herrscher  der  Rasse  nach  Qermanen  waren".  Audi  ohne 
Rücksicht  auf  die  Rassenfrage  können  wir  aber  unseres  Erachtens  aus  den 
Kemmerichschcn  Arbeiten  (so  nn?  seiner  Zusammenstellung  mittelalter- 
licher Porträts  im  Repertorium  f.  Kunstwissenschaft)  mancherlei  gewinnen. 

J.  Outtmann  behandelt  in  der  Monatsschrift  für  Geschichte  und 
Wissenschaft  des  Judentums  (Jahrg.  51,  Heft  S/6)  die  wirtschaftliche 
und  soziale  Bedeutung  der  Juden  im  Mittelalter. 

Eine  Mitteilung  von  J.  Asbach  in  den  Beiträgen  zur  Geschichte 
des  Niederrheins  (XX,  40S/9)  (Ein  italienischer  Reisebericht  Qber 
Deutschland  a.  d.  Jahren  1517-1518)  bezieht  sich  auf  die  von  Pastor 
herausge^::ehene  Reisebeschreibung  des  Krirdirnls  1  uigi  d'Aragona. 

Von  Beiträgen  zur  landschaftlichen  Kulturgeschichte  Deutschlands 
seien  hervorgehoben  die  »kulturhistorischen  Streifzüge«  von  E.  Stöck- 
hardt,  Einst  und  jetzt  im  mittleren  Maingebiet  (Westernunns 
illustrierte  deutsche  Monatshefte,  Jahrg.  51,  Heft  9),  sowie  vor  allem  der 
anziehende  Aufisatz  von  O.  Winckelmann,  Zur  Kulturgeschichte 
des  StraBburger  Mfinsters  im  iS.  Jahrhundert  (Zeitschrift  für  die 


496 


Kldm  Mlttdlunsen  tuid  Referate. 


Geschichte  des  Oberrheitis,  N.  F.  XXtl,  Heft  2).  Er  lehrt  recht  deutUdi, 
wie  fruchtbar  die  so  oft  vernachlässigte  kulturgeschiditUche  Betnchtung 

der  Dinge  sein  kann.  W.  zei^^t  durch  »Zusammenstellung  und  Prüfung 
der  älteren,  hie  und  da  zerstreuten  Nachrichten,  cr^nri  durch  einige 
aichivaiisclie  Funde,  deutlicher  bisher,  wie  es  an  einer  der  ehr- 
würdigsten Kultusstätten  der  ChnsiLuheit  mit  dem  Gottesdienst  und 
namentlich  mit  der  Andciclit  des  VoUes  bestellt  war.*  Wie  es  im 
Mfinster  damals  zuging,  übertrifft  nach  Ausdruck  »die  schlimmsten 
Erwartungen«.  Der  Dom  wurde  »durdi  dte  profansten  Dinge  und  Hand- 
lungen entweiht,  ohne  Unterschied,  ob  Fdolag  war  oder  Wcridag,  ob 
Gottesdienst  gehalten  wurde  oder  nicht.«  Man  denkt  hier  an  Gobineaus 
Schildening  der  Gespräche  im  Mailänder  Dom.  Weiter  geht  W.  auf  den 
.railer  Andacht  hohnsprechenden  Unfug  der  sogenannten  .Roraffcn'" 
während  der  Pfintjstfeier  ein,  beschreibt  dabei  auch  die  noch  heute  er- 
liaUcnen,  iruhcr  äußerst  volkstümiiciicn  Hguren  unter  Beifügung  von 
zuverlässigen  Abbildungen  eingehend.  Weiter  behandelt  er  die  Mißbriuche 
in  der  St  Adolfonacht»  In  der  es  im  Mfinster  wte  im  Wirlsbause  herging, 
sowie  die  Belustigungen  zur  Weihnachtszeit,  sodann  die  bedenklichen 
bildnerischen  und  malerischen  Daistdlungen  im  MSnster,  endlich  den 
Kampf,  den  bekanntlich  Geiler  von  Kaiseisberg  gegen  jene  Mißbitudie, 
vor  allem  gegen  den  Roraffen  führte. 

G.  H.  Müller  handelt  in  der  Zeitschrift  des  Historischen  Vereins 
für  Niedersachsen  (1907,  Heft  2)  über  die  Einwohnerschaft  der 
Stadt  Hannover  im  Jahre  1602. 

Für  die  Sittengeschichte  des  ausgehenden  18.  Jahrhunderts 
kommen  die  von  A.  Burckhardt-Finsler  im  Basler  Jahrbuch  (1907) 
mitgeteilten  Auszüge  aus  einer  von  dem  Landvogt  zu  Waldenburg, 
Wilh.  Lindner,  verfaßten  Kleinbasler  Chronik  in  Bebadit. 

Ztur  Geschichte  der  italienischen  Einflüsse  in  Krakau  betitelt  sich 
eine  im  Krakauer  Jahibuch  (IX,  1907,  1-148)  erschienene  Arbeit  von 
J.  Ptasnik  (Z  olziejöw  Kultury  wtoskicj  Krakowa),  die  wesent- 
lich die  wirtschaftlichen  und  sozialen  Verhältnisse  des  Xt,  Jahrhunderts, 
u.  a.  besonders  die  Entwicklung  des  Postwesens^  behrifft 

E.  Samter  kommt  in  seiner  Abhandlung  über  Hochzeits- 
bräuche (Neue  Jahrbücher  f.  d.  klass.  Altert.,  Gesch.  u.  Deutsche  Lit , 
Jg.  10,  XIX /XX,  Heft  2)  zu  dem  Resultat:  „daß  die  Hochzeitsbräuche 
ebenso  wie  die  Toten  brauche  (über  die  S.  in  derselben  Zeitschrift  früher 
gehandelt  hat)  Sühnriten  sind,  bestimmt  zur  Versöhnung  und  Abwelir 
unheilbringender  Geister."  S.  geht  insbesondere  auf  das  Schuhwaren 
ein  (Spende  zur  Abfindung  und  Versöhnung)  sowie  auf  die  Urmzeremonien 
(zum  Verjagen  der  Ödster).  Das  entq)rediende  Scherbenhinwerffen  und 
Töpfezerbrechen  am  Polterabend  hat  sidi  von  diesen  Riten  wn  tti^sten 
und  allgemeinsten  erhalten. 


Kleine  Mittdlungien  und  RefcntCi 


497 


Die  Mittdlungen  der  sdilcsisdten  Oesellsdiirt  für  Volkskunde 
(H.  IS/6)  enthalten  einen  Beitrag  von  Stäsche  über  Bäuerliche 
Hoch ?'eifsbr!?i)che  im  Kirchspiel  Klein-Ellsuth,  Kr.  Öls,  um 
Mitte  des  von  gen  Jahrhunderts. 

Im  Palästinajahrbuch  (Jahrj^f.  2)  bespricht  W.  Frankenberg  die 
israelitischen  und  altambischen  Trauergebräuche  sowie  die 
muslimisclien  Totengebriuche. 

In  den  eben  ervihnten  Mitteilungen  handelt  M.  Brie  Aber  den 
germanischen,  insbesondere  den  englischen  Zauberspruch. 

Auf  ein  von  jeher  mit  Vorliebe  behnn  deltes  dunkles  Oebiet  der  mensdi* 
liehen  Qlaubens-  und  Oeistesgeschichte  führt  der  Aiifsnt?  von  Ch.  Pfister, 
Nicolas  Remy  et  la  sorcelierie  cn  Lorraine  ä  la  fin  du 
XVif  siccle  (Revue  historique,  t.  XCIII,  2;  XCIV,  1).  Nirgends  «ütete 
die  Epidemie  der  Hexenvertoigung  stärker  als  in  Lothringen,  und  ein 
Haupturhd>er  der  Blinde  var  der  Oeneralprokurator  Remy,  der  Autor 
der  1592  verfaßten,  1595  erschienenen  (1598  ins  Deutsche  flberselzlen) 
Daemonolatria.  Nadi  einem  mehr  biogiaphisdien  Teil  wendet  sich  Pf. 
der  eingehenden  Betrachtung  dieses  Remy'schen  Werkes  zu. 

Petrus  Ramus  als  Reformator  der  Wissenschaften  betitelt 
sich  eine  im  18.  Jahrgang  des  »Humanistischen  Oyninasiunis"  veröffent- 
lichte Arbeit  M.  Ouggcnheims,  der  dem  großen  gelehrten  Franzosen, 
dem  Ketormer  der  Logik,  der  auf  die  ganze  zivilisierte  Welt  seinerzeit, 
vor  allem  auch  auf  die  deutsche  gelehrte  Welt  wirkte,  gerecht  zu  werden 
und  sein  Lebenaweric,  seinen  Einfluß  nach  allen  Seiten  von  eigenen  Oe- 
sichlspunkten  aus  «i  beleuchten  sudit 

Das  Vorlesungsverzeichnis  der  Leipsiger  Universitftt 
vom  Jahre  1519,  ein  Dokument  der  durchgreifenden  Reform  des  Leip- 
ziger UniversitStsbetri^be«;,  im  blühenden  Humanistenlatein  abgefaßt,  von 
F.  2^mcke  s.  Z.  nach  einer  sehr  flüchtigen  Abschrift  ].  J.  Vogels  abgedruckt, 
gibt  O.  Giemen  jetzt  in  den  Neuen  Jahrbüchern  f.  d,  klass.  Altertum  usw. 
(Jahrg.  10,  XIX /XX,  Heft  2)  nach  dem  in  der  Zwickauer  Ratsschul- 
biUföthdc  gefundenen  gednidden  Original  neu  heraus.  »Das  Verzeichnis 
stellt  sich  dar  als  dn  Kompromiß  zwischen  Mitlebdier  und  neuer  Zeit, 
zwisdicfl  Scholastik  und  Humanismus.  Studierende  aller  Riditungen  und 
Bestrebungen  sollten  auf  ihre  Rechnung  kommen.  Jedoch  neigt  sich  der 
Sieg  offenbar  anf  die  Seite  dps  Humanismus.* 

Aus  der  Zeitsctinfi  des  Historischen  Vereins  für  Niedersachsen 
(1907,  3)  cnx'ühnen  wir  den  Aufsatz  H.  Hofmeisters,  Die  Univer- 
sität Hclmsledl  zur  Zeit  des  Süjährigen  Krieges. 

E  Schwabe  handelt  in  den  Mitteilungen  der  Oesdbcfaaft  für 
deutsche  Endehung»*  und  Schulgesehichte  (Jahig.  17,  Heft  2)  Aber  PI  Ine 
und  Versuche,  nm  in  Kursachsen  eine  Ritterakademie  zu 
errichten.  Ein  Plan  liegt  im  Druck  vor.  Für  die  allgemeinen  Zu- 
sammenhinge hätte  Steinhausens  Aufsatz  »Idealerziehung  im  Zeitalter  der 

Acdiiv  IBr  KüHuccMliUhte.  V.  S2 


L.iyui/cd  by  Google 


498 


Kleine  Mitteilungen  und  Referate. 


Perficke*  ai»  dem  vierten  Jdhrgßng  derselben  Zettschrift  heiaogiezoKen 
Verden  können. 

Zahlrciclie  Arbeiten  liegen  überhaupt,  wie  gewöhnUch,  aiit  dem 
Ocb!ete  der  Schulgcschichte  vor  Es  seien  genannt:  W.  Killmer, 
Kasseler  Sch ulverhai inibbc  am  Ende  des  Mittelalters  (Htsbcn- 
land,  Jalirg.  21,  Nr.  18);  O.  Kaemmel,  Ein  Cbarakterkopf  ans  der 
älteren  Leipziger  Schulgeschichte  (Orenzboten,  Jahrg.  66,  Nr.  26) 
~  es  handelt  sich  um  Johann  Muschlcr,  Rektor  der  Niholaischule 
1525  -1535,  der  gewissermaßen  als  zweiter  Gründer  der  Schule  gelten 
darf  -;  Zwei  {lateinische)  Schulmeisterbriefe  von  1541  und  1542, 
mitgeteilt  von  Otto  C leinen  (Neue  Jahrbüclier  f.  d.  klass.  Altertum, 
Gesch.  u.  Deutsche  Lit.,  Jahrg.  10,  XIX  X.X,  Heft  8);  Karl  Weiler, 
Die  üeschichte  des  humanistischen  Schulwesens  in  Württem- 
berg (ebenda,  Heft  3)  -  ansprechender  Oberl>lidc  über  ein  Gebiet,  das 
noch  sehr  der  niheren  Erfonchung  bedarf  Th.  Wotschke,  Das 
Lissaer  Oymnasium  am  Anfange  des  17.  Jahrh.  (Zeitschrift  der 
histor.  Oesellsch.  f.  d.  Provinz  Posen,  Jahrg.  21,  Halbbd.  2);  Stenger, 
Beiträge  zur  üeschichte  der  Schule  in  der  Mark  im  18.  Jahr- 
hundert (Jahrbuch  des  Vereins  f.  d.  evange!.  Kirchengesch.  Westfalens, 
Jahi^.  9);  R.  Peters,  Zur  Kenntnis  des  Bergischen  Schulwesens 
in  französischer  Zeit  (Festschrift  des  Düsseldorfer  Gymnasiums, 
Progr.,  S.  36^43);  A.  Wegner,  Zur  Geschichte  des  baltischen 
Schutvesep-.  (Baltische  Monatsschrift,  1907,  Juni);  Marnix  van 
Vlaanderen,  Eenige  bladzijden  uit  de  geschiedenis  van  ons 
volksonderwijs  (Vlaamsche  Gids,  1906,  VI,  557  65);  V.  G.  Sim- 
khovitch,  History  of  the  school  in  Russia  (Educational  Review, 
1907,  Mail. 

im  Unierhaltungsblatt  des  Fränkischen  Kurier  (1907,  Nr.  2.S,  SO, 
32,  34,  36)  veröffentlicht  Emil  Reicke  einen  höchst  anziehenden  Beitrag 
zur  Geschichte  des  Familienlebens,  der  zugleich  mancherlei  für  die  Sitten- 
gesditcfate  und  die  Geschichte  der  Lebenshaltung  abwirft  und  auch  ffir 
die  Geschichte  der  geistigen  Kultur  sdion  wegen  der  im  Mittdpunkt 
stehenden  Persönlichkeit  Wllibald  Pirckheimers  in  Betracht  kommt.  Die 
wesentlich  auf  zum  Teil  unveröffentlichtes  Briefmaterial  gestützte  Studie, 
die  den  Titel:  Wilibald  Pirckheimers  Familienbeziehungcn 
trägt,  handelt  von  den  vielen  Frauen  in  der  Familie,  von  Pirckheimers 
Vater,  von  P.s  Ehe  und  lockerem  Wiiwerleben,  von  seinen  bcliweslern, 
den  Mißhelligkeiten  mit  ihnen,  und  als  Gegenstück  dazu  davon,  wie  der 
Bruder  fflr  sie  zu  sorgen  pflegte.  R  zieht  für  das  letzte  Kapitel  nament- 
lich die  Briefe  der  unbekannteren  Pirckbeimcrinnen,  der  beiden  Schwestern 
Sabina  und.Eufemia  im  Kloster  Ber^gen  heran. 

Einiges  neue  Material  bringt  der  sonst  vielfadi  zu  ergänzende  Auf- 
satz von  A.  Hackemann,  Zur  Geschichte  unserer  niehrfachen 
Vornamen  (Zeitsdirift  des  allgem.  deutsch.  Sprachvereins,  Jaiurg.  21,  Nr.  12). 


i^'iLjuiz-uü  by  VjOOQte 


Kleine  Mitteilungen  und  Referate. 


499 


Sehr  beaciitenswert  und  verdieiiäUicli  ibl  die  vor  allem  das  Land- 
volk berücksichtigende  und  bis  zum  17.  Jahriiundert  rddiende  Arbeit 
H.  Wittes  in  den  Jatirbödiem  des  Vereins  ffir  mecklenburgiaclie  Oe- 
schidite  (LXXI,  1S3-290):  Wendische  Zu-  und  Familiennamen 
aus  nificklenbuisiscfaen  Urkunden  und  Akten  gesammelt  und  mit  Unter- 
Stützung  von  E.  Mucke  bearbeitet. 

W.  Schoof  teüt  irr  HessenUnd  (J^^S*  7)  Beiträge  zur 

Schwälmer  Namenkunde  mit. 

Die  Freunde  der  Altertumskuntic  wird  der  uns  zugegangene 
30.  Jahresbericht  des  Vereins  für  das  Historische  Museum  zu 
Frankfurta.M.  interessieien.  O.  Lauffer  widmet  darin  dem  verstorlwnen 
Direktor  des  Museums»  Philipp  Otto  ComiU,  einen  vannen  Nachruf, 
O.  Wolff  berichtet  über  die  Arbeiten  der  Ausgrabungskommission  1906, 
R.  Wclcker  und  O.  Lauffer  über  die  ErK'erbungen  im  Jahre  1906,  jener 
über  frühgeschichtliche  und  römische  Altertümer,  dieser  über  solche  aus 
Mittelalter  und  Neuzeit.  Letzterer  läßt  aus  seinem  Bericht  auch  ein  gutes 
System  der  Ordnung  der  Zugänge  erkennen,  das  Nachfolge  verdient 
Äclit  Lichtdnicklafeln  zieren  den  Bericht 

In  den  Mitteilungen  der  Litauischen  literarischen  Ocscllscfaaft 
<Heft  29)  handelt  A.  Kurschat  über  Haus  und  Hausgerät  im 
preußischen  Litauen. 

Der  Artikel  von  K.  Spieß,  Trachtenkunde  (Deutsche  Oe- 
schichtsbliitter  1907,  März/Aprii)  gibt  auch  eine  Obersiebt  über  die  ein- 
schlägige i.iteraiur. 

P.  Drechsler  teilt  in  den  Mitteilungen  der  schlesischen  Oesell- 
scliaft  für  Volkskunde  (H.  15;16)  einen  Breslaucr  Küchenzettel  aus 
dem  Jahre  17S2  mit. 

Aus  derselben  Zeitschrift  errthnen  w  den  Artikel  von  P.  Feit, 
Wirtshausschilder. 

Eine  nicht  üble  Zusammenstellung,  auch  unter  Heranziehung  von 
Quellenstellen,  bietet  der  Artikel  von  W.  Kühn,  Unsere  Vorfahren 
als  Abstinenzler  und  Temperenzler  (Blätter  für  Volksgesundheits- 
pflege, Jahrg.  7,  Heft  8). 

Hierbei  sei  auch  ein  AiiiKci  von  Schrohe,  Bier,  Wem  und  Essig 
jEurZelt  des  30  jährigen  Krieges  (Bienncraeitttng  714  f.)  ervihnt 

Eine  kleine  Mitteilung  von  Gustav  Sommerfeldt  in  der  Alt- 
pieußischen  Monatsschrift  (XLIV,  Heft  3)  Aber  ein  Zerwürfnis  des 
Reinhard  von  Halle,  kurfürstlichenjägermeisters  des  Herzog- 
tums Preußen  und  Amtshauptmanns  zu  Rhein,  mit  den 
Städten  Königsberg,  1621,  bringt  ein  ganz  interessantes  Schreiben 
des  Jägermeisters  an  Kurfürst  Georg  Wilhelm.  Es  handelt  sich  um  die 
Veramwortung  gegenüber  einer  Beschwerde  der  vereinigten  drei  Städte 
Königsbei:g  wegen  unerlaubten  Bierausschanks  im  Jägerhause.  Es  hd6t 
.darin;  «Ich  halle  aber  dafür:  sie  brauen  nur  gutt  Biehr,  sie  «erden  es 

S2* 


L.iyui/ed  by  Google 


* 

500  Kleine  Mitteilungen  und  Refctate. 


«oll  lo8  «erden,  und  «irdt  sie  das  JägeHiauß  nldtt  hindern,  biette  zum 
tmderthenig»len  den  Heften  von  Stttlen  ttx  «ufferl<^,  diß  sie  midt 

mit  meinem  BIchr  im  Jägerhauß  zufrieden  lassen,  oder  sollen  selber 
solches  Biehr  brawen,  daß,  die  trir  vom  Lande  sein,  es  trincken  können, 
so  will  ich  das  ihre  trincken  und  bey  hoher  Stnf  zusagen,  das 

meines  nicht  soll  hinein  kommen." 

Die  griechisch-römische  Abteilung  des  Britischen  Museums  hat  vor 
kttRem  eine  Ausstellung  antiker  Kindcfspielteuge  vcianslaltet, 
die  dnen  Qnblitk  in  das  liitialiche  Leben  utid  die  Klnderemehnng  der 
Oriechcn  tind  Römer  gewährte.  Unter  dem  Spielzeug  ttlrtimt  die  Puppe 
den  ersten  Plat2  ein.  Unter  den  Gegenständen  der  frühesten  Qriechenzeit 
befiTidpTi  sich  auch  eine  ovale  tönerne  Klapper  und  mehrere  archaische 
Spieli^eräte.  Später  üflhmcn  die  geschickten  Arbeiter  von  I  phcsos  die 
Anfertigung  der  Spielwaren  in  die  Hand  und  fertigten  allerlei  reizende 
SacbM  an,  In  Cips  und  Elfenbein.  Auch  eine  ganze  Anzahl  von  Puppen* 
hinsmoddlen  sind  aosgiestellt  und  mit  ihnen  die  Ocfttschaften  und  Möbd 
fSr  diese  Puppenhaushaltungen  und  Kfichen,  alles  mit  großer  Kunst  in 
Bronze,  glasiertem  Ton  und  Porzellan  gefertigt.  Daneben  sieht  man  eine 
Mettge  runder  Wurfscheiben  und  kleinerer  Platten,  die  offenbar  als  Spiel- 
marken galten;  Widderköpfe,  Vögel,  Ratten  und  Fliegen  sind  darauf  ein- 
graviert, uiid  man  vermutet,  daß  diese  Zeichen  zugleich  als  Cintrittsniarkeu  zu 
Schaushälungen  gedieht  haben.  Femer  findet  sich  das  Knöchelspiel;  die 
KnOchel  «uiden  aus  Bronse  und  Chaloedon  gefertigt  (Deutsche  Uteratur- 
zdtung,  I9ü7,  Nr.  12.) 

Beachtung  verdient  eine  Arbeit  von  O.  Langer  im  Neuen  Archiv 
für  Sächsische  Geschichte  (XXVUl,  Heft  1/2)  über  Toten hcctattung 
im  16.  Jahrhundert,  vornehmlich  in  Zwickau.  Hierbei  sei  ein 
anonymer  Aufsatz  aus  der  Sonntagsbeilage  zur  Vossischen  Zeitung  0*^07, 
Nr.  30)  erwähnt:  Das  16.  Jahrhundert  ein  Wendephnlct  aneh  in 
der  Bestattung  der  Toten. 

Ein  Attf^tz  R.  H&pkes  in  den  Hansischen  OeschichtsbUttem 
(1906,  2)  über  die  Herkunft  der  friesischen  Oewebe  richtet  sich 
gegen  Klunikers  Ansicht  von  der  Herstellung  der  feineren  H mdelswarc 
in  England  und  sucht  d?is  spätere  Flandern  als  den  Herstellungsort  der 
schon  früh  n\  das  Frankenreich  eingeführten  Ocwet«  und  als  einen 
alten  Hauptsitz  der  Tuchindustrie  zu  erweisen. 

In  detselben  Zeitschrift  (1907,  1)  gebt  O.  Fengler  der  seit  den 
Normanneneinftllen  versdivundenen  Bedeutung  des  Handels  von 
Qnentowic  (wie  er  meint,  mit  ^ples  identisch)  für  die  Zeit  der  Mero- 
winger  und  Kr^roTinger  nach,  Mfinzfunde  und  alle  einschllgigen  Quellen^ 
stellen  heranziehend. 

Aus  Kring5jaa(1907,  1)  verzeichnen  wir  einen  Aufsatz  Alex.  Bugges, 
Minder  om  Normaends  handel  paa  Flandern  og  om  noisl»^ 
pntestefs  opliold  1  et  Idoster  udenfbr  ftUgge. 


Digitized  by  Google 


Kleine  Mitteilungen  und  Referate. 


501 


Die  Geschichte  einer  hervorrag;enden  Pisaner  Kaufmanusfamih'e 
des  14.  Jahrhunderts,  der  Delle  Brache,  sciireibt  nach  Aufzeichnungen 
und  Urkunden  P.  Pecchiai  (Una  famiglia  di  mercanti  pisani  qtl 
treten to)  in  mehreren  Bdtrigen  zu  den  Studi  storfd  QCV,  1-3;  XVI,  1). 

&  P.  Haak  iddldert  in  den  Büdingen  voor  vndorl.  OMchiedente 
(Deel  X,  1/2,  7-66)  die  Handd^Mdeutimg  von  Brielie  (Brieili  ts 
vrije  en  bloeiende  HandeUtUdt  in  de  154*  eenv.) 

Mit  dem  Handel  von  Montanban  im  16.  und  1$.  Jaliriiandert  be- 
schäftigt sich  H.  de  France,  Notes  sur  le  commerce  I  Montanban 
(Soci^t^  archfol.  de  Tarn-et-Oaronne,  Bulletin,  1906,  1). 

O.  Kcnde  bringt  in  der  2^itschrift  des  historischen  Vereins  für 
Steiermark  (V,  i  2)  einen  Beitrag  zur  Handelsgesch jchte  des  Passes 
über  den  Semmering  von  der  Mitte  des  15.  bis  zur  Mitte  dt» 
15.  Jahrhunderts. 

In  der  109.  Versammlung  der  American  Orieiital  Society  zu  Phila- 
delphia im  April  d.  Js.  sprach  Prof.  Johnston  über  da§  babylonische 
Postwesen  und  babylonisclie  Privatbriefe. 

Die  Revue  liistorique  vaudoise  (1906,  Nr«  9/11)  bringt  einen  post- 
geschiditlichen  Au&atz  von  Marc.  Henrioudi  Les  anciennes  postes 
Fribourgeoises  15S7-1848« 

Zur  Geschichte  des  Reisens  trägt  eine  Mitteilung  von  E.  Teilhard 
de  Chardin  im  LXVII.  Bande  der  Bibliotheque  de  l  ecole  des  chartes: 
Comptes  de  voyage  d'habitants  de  Montferrand  k  Arras  en 
1479  bei,  ferner  ein  kleiner  Artikel  von  L.  Armbrust  in  der  Zeitschrift 
des  Vereins  f.  he^.  Geschichte  (N.  F.  XXX,  166 — 171):  Ein  englischer 
Paß  von  1599.  Es  ist  ein  von  Robert  Cedl  unterschriebener  Paß  für 
zwei  hcntsdie  Eddlente,  die  auf  der  ftblictai  KiivallcrtDur  fn^mi 
(jQ'eist  waren* 

In  der  ZdtKiinft  filr  Ethnologie  ([ahig.  39,  Heft  1/2)  handcit 
Eduard  Hahn  über  Entstehung  und  Bau  der  fitesten  Seeschiffe. 

Er  beabsichtigt  »im  Zusammenhang  einmal  die  verschieffenen  (ühnVens 
sehr  mannigfaltigen)  Materialien  zu  behandeln,  aus  denen  cier  Mensch 
sich  seine  Schiffe  baut,  und  so  zu  zeigen,  v'ps  für  den  Kündigen  ja 
eigentlich  nicht  bewiesen  zu  werden  brauciit,  daü  der  Mensch  in  seiner 
historischen  Uutbahn  keineswegs  immer  in  seiner  Entwickejung  die  Wege 
gegangen  ist,  die  uns,  vfnn  whr  die  bistoriichen  Vorginge  durch  reine 
Ocdanleenarbeit  zuradczuverfolgen  suchen,  als  die  von  Natur  gegebaien 
erscheinen  würden.«  Er  möchte  weiter  »mit  guten  Gründen  die  Ent- 
wickelung  einer  sehr  leistungsfähigen  Schiffahrt  für  eine  lo  weit  zurück- 
liegende V^ergangenheit  wahrscheinlich  machen,  daß  unsere  sonstigen  ge- 
schichtlichen Dokumente  auch  nicht  von  fem  an  sie  heranreichen  " 
H.  führt  übrigens  „die  Entstehung  des  ältesten  Seeschiffes  für  unseren 
Kulturkreis  aui  den  Typus  des  genähten  Schiffes  zurück*. 


502 


Kleine  Mitteilungen  und  Referate. 


Zur  Geschichte  der  Medizin,  soweit  sie  latltnrgesdüditlich  von 
Interesse  ist,  verzeichnen  wir  folgende  Ariieiten:  A.  F.  R.  Hoernle, 
Studies  in  Ancient  IndianMedi'cine,  II  (The  Journal  of  tfae  Royal 

Asiatic  Sodety,  Januar);  K.  Baas,  Studien  zur  Geschichte  des 
mittelalterlichen  Mcdizinalwesens  in  Kolmar  (Zeitschrift  f.  d. 
Gesch.  d.  Oberrheins,  N.  F.  XXII,  2);  Alb.  Ostheide,  Medizinisches 
aus  einer  Essener  Handschrift  (Beiträge  zur  Geschichte  von  Stadt 
und  Stift  Essen,  Heft  29).  Letzterer  veröffentlicht  seine  kurzen  Mitteilungen 
auch  in  den  Hessischen  Blättern  für  Volkskunde,  V,  Heft  2/3.  Es  handelt 
sich  dabei  um  ein  Mittel  gegen  das  Podagra,  als  welches  das  Mamibium, 
deutsch  Andorn,  dessen  Heilkraft  öfter  erwShnt  wird,  hingestellt  wird. 

Daß  gerade  die  Geschichte  der  Medizin  kuUuigeschichtlich  wertvoll 
ist,  betont  Oeorg  Li  ehe  zu  B<qpnn  seiner  Beiträge  zur  Geschichte  der 
Wundarzneikunde  im  Herzogtum  .Ma  tideburg  bis  zur  Medizinal- 
ordnung vo  n  17  2  5  (Ocschichtsblättcr  für  Stadt  und  Lind  Magdeburg,  1007, 
Heft  1 ).  „Die Verbreitung  medi/iniscber  Kenntnisse",  sagt  er,  „und  diebür^'er- 
liche  Stellung  der  Arzte  bieten  einen  Kulturinaßstab  von  seltener  (d.  h.  her- 
vorragender) Zuverlassiglcdt.«  Liebe,  der  uns  namentlich  auf  Orund  von 
Ardiivalien  eine  Qesdiidite  jenes  bis  ins  18.  Jahrhundert  ab  untei^geordnet 
geltenden  Zweiges  der  Medizin  im  Magdeburger  Land  bietet,  weiß  über 
haupt  durch  Betonung  der  allgemeinen  Zusammenhänge  seine  Arbeit  be- 
sonders interessant  zu  gestalten. 

Mit  der  Geschichte  einzelner  Krankheiten  beschäftigen  sich  W.  H. 
S.  Jones  und  O.G.  Ellctt,  Malaria  in  ancient  Greece  (The  Clas- 
sical  Review,  XXI,  Nr.  S);  Sauve,  Les  cpidemies  de  peste  ä  Apt 
(Annales  de  la  sodä£  d'ftades  pioven^ales,  1905,  39-50;  87-101);  und 
W.  Lippert,  Das  Auftreten  der  Franzosen krankh ei t  in  der 
Niederlausitz  1S02  (Niederlausltzer  Mittdiungen,  IX,  279  -88)  (weist 
auf  eine  für  die  Geschichte  der  Krankheiten  überhaupt  u-ichtige  Quelle 
hin,  die  Miracula  St.  Bennonis,  Rom  1512,  und  lehrt  einen  berühmten 
Fianzosenarzt  in  Ullersdorf  bei  Sorau  kennen) 

In  Villard's  Mitteilung  über  das  Leprosenhaus  in  .Marseille  (La 
Uproserie  de  Marseille  au  XV«  siede  et  sou  reglement)  in 
den  Annales  de  la  soc  d'^tudes  proven<^les  (1905,  183-19S)  wird  das 
Reglement  desselben  in  provenzalischer  Sprache  verOfÜentlichi 

Im  Neuen  Archiv  filr  die  Oescfa.  d.  Stadt  Heidelbeiig  (VII,  2) 
teilt  B.  Schwarz  eine  (Michelfelder)  Badstuben  Ordnung  vom 
Jahre  1503  mit. 

k'ur/e  Notizen  über  R^destuben  im  alten  Hannover  (1392  5) 
enthalten  die  Hannoverschen  Ueschichtsblätter  (Jahrg.  9,  Heft  7/9);  auch 
sind  dort  die  Abbildungen  zweier  Badestuben  (von  1700,  resp.  1720)  aus 
Redeckers  Chronik  beigefügt. 

Erich  Ebstein  veröffenUicht  in  der  Medizinischen  Woche  (1906, 
Nr.  29- 32)einen  BeitrtgzurO  esch  i  c  h  te  der  deu  t  s  c  h  e  n  Nords  eebider. 


i^'iLjuiz-uü  by  VjOOQle 


Bibliographisches* 


Brooks  Ada/nSf  Das  G^etz  der  Zivilisation  u.  des  Verfalles.  Vollst, 
u.  autor.  Obcndz.  Mit  e.  Eastcf  v,  Th.  Roosevdt.  Wien  (XXXII,  440  S.) 

—  Eäm,  ß^ftr,  Lose  Blitter.  Kultursesch.  Sldzuen  u.  PlaudcfdcR. 
Magdeburg  (VIII,  160  S.) 

J.  Smith  Cläre,  !  ihrar\'  of  universal  histor)';  contairiing  a  record 
of  the  human  race  from  thc  earliest  htstorical  period  to  the  present  time; 
cmbracing  a  general  survey  of  the  progress  of  mankind  in  national  and 
social  life,  civil  govcmmcnt,  religion  etc.  IS  vols.  Chicago.  —  K-  Breysig, 
Die  Geschichte  der  Menschheit  Bd.  I.  Die  Völker  der  ewigen  Uneii 
Bd.  I.  Die  Amerikaner  des  Nordwestens  u.  d.  Nordens.  Berlin  (XXVII, 
S6S  S.)  —  /  Nikelf  Allgcin.  Kulturgeschichte.  2.  völlig  umgearb.  Atifl. 
(Wissenschaft! .  Handbibliothek.  III.  Reihe,  2).    Paderborn  (XVII.  622  S.) 

—  R.  Oantheff  Allgem.  Kulturgeschichte  (Hillgeis  illustr.  Volksbücher.  72). 
Berlin  (86  S.) 

M.  Aiudi,  Die  irugspiegelung  orientalischer  Kultur  i.  d.  vor- 
gescbiditL  Zeitaltern  Nord-  und  Mitteleuropas.  Jena  (VII,  144  S.)  — 
H.  Seknddtr,  Kultur  u.  Denken  d.  alten  Ägypter.  (EntwicUungsgesch. 

d.  Menschheit  Bd.  I.)  Leipzig  pCXXVI,  S6S  S.,  1  Karte).  —  St.  Langdon, 
Ledurcs  on  Babylonia  and  Palestine.  Paris  1906  (XV,  183  p.)  —  E.  Lindl, 
Die  Bedeutung  d.  Assyriologie  f.  d.  Alte  Testament  u.  unsere  Erkenntnis 
der  altorientalischen  Kultur.  (Vorträge  u.  Abhandl.  hrsg.  v.  d.  Lco- 
Oesellsch.  27).  Wien  (19  S.)  —  QU  Jacob  Skaitum,  Üfir-Studier.  Hist.- 
geograf.  undersogelser  Over  det  Salomoniske  guldiands  beliggenhed. 
(Christiania  Videnskabs-Sdskabete  Skrifler.  IL  Hist-filos.  Klasse.  1907. 
No.  4.)  Christiania  (100  S.)  —  AunUo  Giuseppe  Amatucd,  Hellas: 
disegno  storico  della  cultura  greca.  Vol.  I.  2.  ed.,  Vol.  II.  Bari  (322,  345  p.) 

—  T.  O.  Tudker,  !  ife  in  ancient  Athens:  the  soml  and  public  life  of  a 
classical  Athenian  irt  in  t3nv  fo  dav.  Lond.  u.  New  York  (XIV,  323  p.)  — 
F.  Prix,  Athen.  Bilder  zur  \  eransciiauiiciiung  d.  topogr.  Verhältnisse  d. 
alten  Stadt  u.  ihrer  hervorrag.  Denkmller.  Wien  <1U,  64  S.)  —  £1  Zk' 
barth,  Kulturlnider  aus  griechndien  Stidten  (Aus  Natur  u.  Qeistcswdt 
Bdcb.  CXXXI).  Lpz.  (VI,  120  S.,  l  Taf.)  —  A.  Uppgren,  De  olyrapiska 
speien  och  denis  inflytande  p4  giekemas  nationalanda  och  national- 


Digitized  by  Google 


504 


bibliographisches. 


karakter.  Malmö  (222  p.)  —  Epistulae  privatae  graecae,  quae  in  papyris 
aetatis  Lagidarum  servantur,  ed.  SianisL  WMkowsttL  Lpz.  (XXVI,  144  S.) 

—  B,  Moätstw,  Introdtiction  k  Thisloire  romafne  (l'Ethnologie  prt- 
hUtorique;  les  Influeiioes  dvilisatrioes  k  l'^poque  pr^tmititie  et  les  Com- 
mcncements  de  Rome).  ^ition  traduite  du  nisse  par  Mich.  Delines, 
rcvueetaugm,  parTaulcur.  Paris  (XHF  4S1  p  ,  39  pl )  —  F  Perschinka, 
Das  alte  Rom.  E.  Oesch.  u.  Beschreib,  d.  Stadt  in  88  Bildern  ni.  erläut. 
Texte.  Wien  (62  S.)  —  H.  Thddenat,  Pompei.  2  vols.  Histoire.  Vie 
priv^  Pitfis  (168  p.,  1  pl.;  143  p.,  1  pl.)  —  O,  Baissier,  L'Afirique 
romaine  (ftomeiiades  trcKfolog.  en  Alg^e  et  en  Tunisie).  3«  Baris 
(V,  372  p.,  4  pl.)  C  Jttlium,  Oallia.  Tablcau  aomnuure  de  ta  Oaute 
BOUS  1a  domintÜbll  romaine.  3«  Paris  (VIII«  342  p)  ^  Btetlfhet, 
I  CS  Fncfintes  romaine?  de  ia  Gaule  (Etüde  sur  rorign'ne  d'tm  ^nd 
notnbre  de  viilei  frain,.^ises).  Paris  (III,  363  p.)  —  P.  Wendland,  Die 
hellcnist-rdmische  Kultur  in  ihr.  Beziehungen  zu  Judentum  u.  Christentum. 
(Handb.  z.  Neuen  Testament  3.  Ii.  I.  Bd ,  2.  TU  Tübingen  (S.  1—96). 

—  C.  DidO,  U  QviUBirtion  byaotiae.  <Miai8ifane  de  TiMtnict  pubi. 
Mmie  p6dag;,  tervice  des  projectiom  Inmineusek  Notico  tur  les  vntt.) 
Mefata  (16  p.)  —  Q.  Gnißp,  Kulturgesch.  d.  Mittelalters.  Bd.  L  2.«V0l]at. 
neue  Boubeit.  Padprborr  fXF,  45S  S.)  —  A.  Picard^  Le  bilan  d'nn 
siecle  (1801  -1900).  (txposition  universelle  internationale  de  1900  ä  Paris.) 
Tome  I- VI.  Paris  1906.  —  K- Lamprecht,  Deutsche  Geschichte.  D.  g.  R. 
IX.  Bd.  (3.  Abt.  Neueste  Zeit.  Zeitalter  d.  subjektiven  Seelenlebens,  il.  Bd.) 
Berfin  (XIV,  516  S.)  >  /QL  Oi«£to;  Deutsche  Kulturgesch.  umgearb. 
Aufl.  (Sammlung  Odsdiett.  56.)  Lpz.  (123  S.)  —  F.  Sofar,  D.  Ent- 
wicklung: d.  deutsch.  Kultur  i.  Spi^l  d.  deutsch.  Lehnworts.  2.  Tl. 
1  Aufl.  Halle  (XX,  263  S.)  —  O.  Weise,  Die  deutschen  VolksstSmme 
u.  Landschaften  (,\us  Naiur  u.  üeisteswelt  Bdch.  .W'f).  Anfl  Lpz. 
^I,  125  S-,  15  Taf.)  —  Die  Altertümer  unserer  heidnischen  \  orzeit. 
Hcsg.  V.  d.  Direktion  föm.>german.  Centralmuseums  in  Mainz.  V.  Bd. 
S.  Heft  Mainz  (S.  211-271,  6  Taf.)  ^  J,  Dieffeabachv,  Dcntacbes 
LebenL  I2.u.13.jh.  t<te«itiiciu8  Leben.  II.  PrivntMben.  (Stnadung 
Göschen.  93  ti.  32S4  \pu  (142;  1d2  S.)  —  K  Fmncke,  Oermao  ideils 
of  to-day  and  other  essays  on  German  culture.  Boston  and  Neir  York 
(341  p.)  —  Giov.  Diotallex'i,  Die  Deutschen  der  Oepenwart.  Nach  den 
Beobttcht.  eines  Italieners.  Deutsch  v.  Jos.  .Mayer.  Dresden  (Vül,  328  S.) 
—■  P,  J.  Kreuxbeq^  Geschichtsbilder  a.  d.  Rheinlande.  E.  Ücttrag  z. 
HdmaMnnde  d.  RbekqMOvinz.  2.  erwett  Aufl.  Bonn  (IV,  201  S.)  — 
B.  tmarkg^.  Das  moaelttnd.  VoUcL s.  WeiatOmern.  (Ocachidill.  Unler- 
suchtmgen.  Bd.  IV.)  Gotha  (XVI,  538  S.)  —  A  Brons,  Gesch.  d. 
«'frtschaftl.  Verfassung  u.  Verwaltung  des  Stiftes  Vreden  im  M.-A. 
(Münstersclie  Beiträge  zur  Geschieh tsforsch.  N.  F.  Xlll).  Münster  (VI, 
120  S.,  1  K )  —  B  UM,  Die  Verkehrswege  der  FlufJtäler  um  Münden  u. 
ilir  Lmtluß  auf  Anlage  u.  Entwickl.  d.  Siedlungen.    Mit  2  Stadtpl» 


Digitized  by 


Bibliographisches.  SOS 


(Forschungen  z.  Gesch.  Niedersachsens.  Bd.  I,  Heft  4).  Hannover  (IV,  52  S.) 

—  O.  Qerland,  Der  Pfaffenstieg.  Eine  Erinnerung  an  Alt-Hildeshcim. 
Mit  6  Taf.  Hildesh.  (7  S.)  —  W.  L.  v.  Lätgendorff,  Lübeck  z.  Zeit 
vimrer  Orofivftter.  Lübeck  (III,  36  S.,  26  Taf.)  —  K,  Päsck,  Verfaming 
lt.  Verwaltung  Hinterpommerns  i.  17.  Jli.  bis  z.  Einvorldb.  i.  d.  bnuidcnb. 
Stttt.  (Staat»-  u.  sozialwiss.  Forschungen.  Heft  126.)  Lpz.  (XIV,  271  S.) 

—  Q,  A.  Weiß,  Wie  Breslau  wurde.   Breslau  (XIII,  257  S.,  1  Bildn.) 

—  P  Kindler,  Ocsch.  d.  Stadt  Neiimarkt.  Bd.  II.  Vom  Be^'nn  des 
SOjähr.  Krieges  b  z.  Gegenwart.  Breslau  (286  S.)  —  R.  Doehler,  Gesch. 
d.  Dorfen  I.eubn  i  d.  kg!,  sächs.  Oberlausitz.    Zittau  (IV,  2ül  S.,  9  Taf.) 

—  R.  trjurth,  biiücr  a.  d.  KuUurgesch.  unserer  Hciuut.  Mit  bes. 
BerOclB.  d.  Piov.  Sachsen,  d.  Herzogt.  Anhalt  und  d.  Kgr.  Sachsen. 
2.  Vinn.  Aufl.  Halle  (V,  132  S.)  —  F.  Sduniäi,  Ocsch.  d.  Stadt  Sanger- 
bansn.  2  Tie.  Sangarhausen  (IV»  613;  VII,  916  S  Taf.)  —  Chr,  Mtytr, 
Geschichte  der  Stadt  Augsburg.  (Tübinger  Studien  f.  schwtb,  u.  deutsche 
Rechtsgcsch.  Bd.  I.  Heft  3.)  Tübin-en  m,  VIII,  130S.)  —  A.  KeiUr, 
Die  Schwaben  in  d.  Gesch.  d.  Volkshuniors.    hrciburg  i.  B.  (XVI,  38S  S.) 

—  E.  Nubling,  Die  Reichsstadt  Ulm  am  Ausg.  d.  M.-A.  (U78  -  1556). 
E.  Beitr.  z.  dtsch.  Städte-  u.  Wirtschaftsgesch.  2  Bde.  Ulm  (X,  51ü; 
VIII,  572  S.)  —  O.  K  RoUa;  Die  Einwohnerschalt  der  Stadt  Durlach 
L  18.  Jahrb.,  in  ihren  vfrtschaftf.  u.  kultuigeschichtl.  VerhSllnisien  dar« 
gestdlt  aus  ihren  Stammtafeln.  Karlsruhe  (XXII,  424,  272  S.,  1  Fig., 
3  Stammtaf )  —  O.  SdUfiummn,  Das  Elsaß  u.  d,  Clsisser  v  d  ältesten 
Zeiten  b.  z.  J.  6t o  n.  Chr.  Straßburg  (IX,  204  S.)  —  C.  Hoffmann, 
L'Alsace  au  XVllI«  sic'clc  au  point  de  vue  historique,  judidaire,  admi- 
nistratif,  econom.,  intellectne!  ctc  I^ibl.  p.  A.  M.  P.  In-oKl.  T.  III. 
Orenoble  (544  p.)  -  R.  Wackernagel,  Gesch.  d.  Stadt  Basel.  Bd.  I.  Basel 
(XV,  646  S.,  1  PI.)  —  G.  Bodemer,  Der  Bannerhandel  zwischen  Appenzell 
u.  St.Oallen  1535-1539.  £.  Bdtr.  z.  Schweizer  Kulturgesch.  d.  16.  Jh. 
Diss.  Bern  (121  S.)  —  MtAi,  Moeurs»  usages,  fto  et  solennit^  des 
Beiges.  Nouv.  ^.  illustr.  Bnixdlcs  (II,  345  p.)  —  Y,  Fris,  Bibliographie 
de  rhistoire  de  Qand  depuis  les  origincs  jusqu'ä  la  fin  du  XVe  siecle. 
Repertoire  method.  et  raisonne  des  ecrits  anciens  et  modernes  concernant 
la  ville  de  Gand  au  moyen  äge.  (Pubücations  i  xtmordinaires  de  la  So- 
ciete  d'hist.  et  d'archöol.  de  Gand.  No.  11k  üand  (XV.  251  p.)  —  A.  de 
Hyckei,  Histoire  de  la  viiicde  llerve.  'i*^  ed.  Liege  (ii2  p.)  —  Ch.  Vande- 
pitie,  Nohre  vidlle  Flandre  depuis  ses  origines»  Esqutoes  et  docnments 
polttiqucs,  religieux  et  sodaux  sur  la  Fbuidre  fran^alse,  y  oompris  le 
Hainau!  fkan^ais  et  le  Cambr&is.  2  vol.  Ulle  (XXXII,  S9i  et  539  p.) 

—  A.  Vidier,  Bibliographie  de  l'hist.  de  Paris  et  de  rile<Ie-France  pour 
les  annees  1904-1905.  Nogent-le-Rofron  (90  p  )  fi.  George,  Hf'^toire 
du  viilage  de  Davaye  cn  Mäconnais  Paris  (Vi,  32S  p.)  —  A.  V.  Chapuis, 
Messigny.  Son  histoire  ä  travers  le  passe.  Dijon  (20S  p.  et  pl.)  — 
P.  Baer,  Les  institutions  munidpaies  de  Moulins  sous  i  ancien  regime. 


506 


Bibitognphiscfaes. 


Paris  (511  p.)  —  B.  P^lbis,  L'aneten  Rudhu  dqpuis  ms  origines  jnsqu'i 

la  Revolution.   2«  partie:  Organisation  civile.    Anrülac  (III,  324  p.)  — 
J.  J.  Moret,  Hisloirc  de  Saint-Mcnotix.    Moulins  (X,  534  p.)  —  E.  DaU^ 
Kational  life  anci  character  in  the  mirror  of  early  Fngüsh  Uteraturc. 
Lond.  —  A.  Dobsoitf  Eighteenth  -  Century  Essays.  (Vigneltcs.)  Second 
series.    Third  series.    London.   —         Besaat,    Mediaeval  London. 
Vol.  II.   Ecdesiastical.  Lond.  —  O.  Duval,  Londres  au  temps  de 
Shakespeare.  Euis  (340  p.  et  plan  ong.  de  Londns  au  XVI«  si2c^  — 
/J.  Muir,  The  Histoiy  of  Uveipooh  London.  —  A.  Lang;  A  Histor>' 
of  Scotlaiul  from  the  Roman  Occtipation.    \'ol.  IV.   London.  —  P.  W. 
Joyce,  The  'inry  of  ancicnt  Irish  civilisation.    Lond.  fl?^S  p.)  —  S.  A. 
O.FUzpatrick,  Dublin.  Lond.  —  H.Laget^ren,  Fräu  det  fornaKristinehamn. 
Kullurbilder.   Kristinehamn  (196  p.)  —  L.  Ragg,  Dante  and  his  Italy. 
London.     C.  i^.  #0Sn»(  The  intecpietation  of  Italy  during  the  last  tvo 
centuries.  A  contribution  to  the  study  of  Oodhes  »Italien.  Reise«.  (The 
Decenniftl  Pitblications  of  the  Univ.  of  Chicago.   2nd  S.   Vol.  XVI!.) 
Chicnjjo.  —  Graf  Demetr.  Minotto,  Chronik  der  Familie  Minotto.  Hei- 
träge z.  Staats-  u.  Kultiirgesch.  Venedigs.    Bd.  III.    1394-1504.  Berlin 
(XH,  368  S.)  —  V.  ßrocc/u,  Carlo  Ooldoni  e  V^enezia  nel  secolo  XVII L 
Bologna  (50  p.)  —  Fr.  Noack,  Deutsches  Leben  in  Rom  J700  bis  1900. 
Stuttg.  (VII.  462  S.)  —  L,  Zanutto,  Fiore  di  Pmnancdo  ed  1  ludi  c  le 
feste  maniali  e  dvili  in  Friuli  nel  medio-evo:  studio  storico.  Udine  ^85  p.) 

—  Leo  Modenas  Briefe  und  Schriftstücke.  Ein  Beitrag  jtur  Gesch.  d. 
Juden  in  Italien  n.  mr  üesch.  d.  hehr.  Privatstiies.  Zum  erstenmal  hrsg. 
u.  mit  Anm.  u.  Einleitung  verschen  v.  /..  Blau.  2  Tie.  Straßburj^ 
(III,  184;  IV,  208  S.)  ~  Ant.  Padula,  11  Portogallo  nella  storia  della 
civiltüi:  discorso.  Napoli  (57  p.)  —  S.H.  KäUkeUy,  The  histor>'  of  Pitts- 
buigh:  its  rise  and  progress.  Pittsbuich  P^.  (XXVIII,  568  p.)  — 
y.  Dittsmcn,  The  Scotch-Irish  in  America;  thdr  histoiy,  Iraits,  tnstitu- 
tions  and  influences;  especially  as  illustrated  in  the  carly  settlers  of 
western  Pennsylvania  anti  their  descendants.    Chicago  (Vi,  257  p.)  — 

G.  AI.  Perrone,  II  Peru:  mcmorie  di  un' antica  civiltä.    Palermo  (384  p.) 

—  Just.  Leo,  Die  Entvi  icklnng  des  ältesten  japanischen  Seelenlebens  nach 
seinen  literarischen  AusUruclcsfürmen  (i^sychologisch-histor.  Untersuch,  d. 
Quellen).  (Beiträge  zur  Kultur»  u.  Unlvenal^esch.,  hrsg.  v.  K.  Latnprecht. 

H.  2.)  Lpz.  (VII,  106  S.)  —  W.  H,  Camy,  The  gpod  old  daysof  Hono- 
rablej  'in  Company.   2  vols.  London. 

Memoires  de  Jean,  sirc  de  Haynin  et  de  Louvignies,  1465-1477, 
Knijv.  cd.  piibl.  p.  D.  Bronwers.  T.  I.  II.  üege  (XVI,  263;  268  p.)  ~ 
R.  Ri'uß,  L'n  voyage  d  affaires  en  P^patine  en  1718.  Extraits  des  me- 
moires inedits  du  Strasbourgcois  Jean-Lvciard  Zetzner.    Straßbui^  (67  S.) 

—  yoff.  und  Wäh.  Frh,  v.  EkkmäorJJ,  Fahrten  u.  Wanderungen. 
(1802-1814).  Nach  ungedruckten  Tagebuchaufseichnungen  m.  Er- 
littterungen  hrsg.  v.  A*  Novack.    Oppeln  (60  S.)  ~  Z.,  £1  THiom, 


Digitized  by  Google 


Bibliographisches. 


507 


Fra  Empiretiden.  Tidsbilledo-  af  en  Kobenhavnsk  HiandvsrMamiUes 
Liv.   Kopenh.  (248  p.) 

L.  R.  Farndl,  The  Cults  of  the  Qreek  States.  Vol.  III  and  IV. 
Oxford.  —  O.  iOopaisdidt,  De  amuletorum  apud  antiquos  usu  capita 
duo.  Diss.  (Mflflster.)  Oreifewald  (72  &)  —  IT.  Fhtkery  .Aberglttibe 
aller  Zeiten*.  4.  Die  Oesch.  d.  Teufdsbundnisse,  d.  Besessenheit,  des 
Hexensabbats  u.  d.  Satansanbetung.  Mit  2  Taf.  S.  Der  verbrecherische 
Aber^rl.  n.  d.  Satansmessen  i.  17.  Jli.  Mit  3  Taf.  Stuttgart  (CXXX,  1  r  S.) 
—  Bibliographie  der  schweizer.  Landeskunde.  Fase.  V,  5.  Fr.  Heinemann, 
Aberglaube,  geheime  Wissenschaften,  Wundersucht  (1.  Hälfte).  Heft  I 
{!.  Hälfte)  der  Kulturgesch.  u.  Volkskunde  (Folklore)  d.  Schweiz.  Bern 
(XVI,  240  S.)  —  M.  (krhardt,  Der  Aberglaube  i.  d.  ftuizös.  Novelle  d. 
16.  Jahrb.  Diss.  Rostock  (15S  S.)  M.  PMOpp,  Beitrage  zur  erm- 
landischen  Volkskunde.  Diss.  Qrdfmld  (153  S.  mit  2S  Abb.)  — 
//.  Gloede,  Märkisch-pommerschc  Volkssagen,  Erzählungen,  Sitten  und  Qe» 
brauche.  Beiträge  z.  inärkisch-pommcrschen  Volkskunde.  Lpz.  (99  S.)  — 
J.  Leithaeuser,  Volkskundliches  nns  dem  Bergischen  Lande.  I.  Tiernamen 
im  Volksmunde.  2  Tie.  Barmen  (44,  XI  S.)  —  R.  Kapff,  Festgebräuche. 
[Aus  «Württ.  Jahrbb.  für  Statist,  u.  Landesk.*]  (Mitteilungen  über  volks- 
türal.  Überlief,  i.  Württemberg.  Nr.  2.)  Stuttg.  (20  S.)  —  Aug.  Gerlach, 
Die  Stuttdenlieder  der  Naditväditer  in  der  alten  Deut5diordens>Stadt 
Lauchhdni.  EUvangen  (16  S.)  —  P.  SibiUotf  Le  folk-lore  de  France. 
T.  III:  La  faunc  et  la  flotL  Paris  (II,  S41  S.)  —  K  Kfiortx,  Amerika- 
nisdie  Redensarten  u.  Volksgebräuche.   Letpz.  (82  S.) 

E.  Westermairk^  Ursprung  u.  Entwickelung  der  Moralbegriffe. 
Deutsch  V.  L  Katscher.  Bd.  I.  Lpz.  (VH,  6S2  S.)  ^  B.  Stern,  Ge- 
schichte der  öffentlichen  Sittlichkeit  in  Rußland.  Kultur,  Aberglaube, 
Sitten  u.  Gebräuche.  2  Bde.  I.  Kultur,  Aberglaube,  Kirche,  Klerus, 
Sekten,  Laster,  Vergnügungen,  Leiden.  Berlin  (V,  502  S.) 

R,  RtäMoisUta,  Werden  und  Wesen  der  Humanität  im  Altertum. 
Rede.  Stntßburg  (32  S.)  —  L.  Adam,  Ober  die  Unsicherheit  Uterarischen 
Eigentums  bei  Griedien  und  Römern.  Düsseldorf  (220  S.)  —  R.  Brat" 
schopfy  Die  ktilturgresch.  Bedeutung  des  Benediktinerordens.  Progr. 
Waidhofen  a.  d.  I  haya  1906  (21  S.)  —  F.  üiinther.  Die  Wissenschaft  vom 
Menschen.  E  Beitr.  z.  deutsch.  Geisteslehen  i.  Zeitalter  d.  Rationalismus 
m.  besond.  Rücksicht  a.  d.  Lntwickei.  d.  disch.  Geschichtsphilos.  i.  lö.  Jh. 
(OeschichtL  Untenudiungen.  Bd.  V,  H.  1).  Gotha  (VIII,  193  S.)  — 
A.  Vatju,  A  magyar  szellemi  mfivelöd^  törtinete.  pie  Oesch.  d.  ungar. 
Oeistesknltur.)  Debncaen  (496  p.) 

/  H,  Jackson,  Histoiy  of  education  from  the  Greeks  to  the  present 
time,  2n<i  ed.  Colorado  Springs  (304  p.)  -  P,  Monroe,  A  brief  course 
in  the  historv  of  education.  London.  -  E.  Finaczy,  Az  6kori  nevelfei 
törtenetc.  (Oesch.  d.  Erzieh,  im  Altert.)  Budapest  1906  (V,  307  p.)  — 
/Cy.  FreemaOj  Schools  of  Hellas.   An  essay  on  the  practice  and  theory 


L.iyui/cd  by  Google 


508 


Bibtiocraphisches. 


of  ancient  Qreek  education  from  600  to  300  b.  C.  Ed.  by  M.  J.  Rend«!!, 
with  a  prefsce  of  A.  W.  Vemll.  Lond.  (320  p.)  —  Dtebno  Mwi,  II  ^ 
vemo  dd  finduUo  dünnte  rinfanda  nd  mcdio  evo,  aecondo  alcimi 

scrittori  del  tempo.  Firenzc  (71  p.)  —  F.  Falk,  Schule,  ünterridit 
u.  Wissenschaft  i.  M.-A.  (Oeschichtl.  Jugend-  u.  Volksbibliothek.  Bd.  IV.) 
Re<3:enshiire:  (VIIl,  97  S.)  —  W.  H.  Woodward,  Studies  in  Education 
during  the  Age  of  Renaissance.  1400-lbOO.  Lond.  — J.  Kuhnen  Philippe 
Sylvestre  Dufour  u.  seine  Instniction  morale  d  un  p^  ä  son  fils.  E.  Beitr. 
z.  Pädagog.  d.  Hugenotten.  Lpz.  (IV,  170  S.)  -  Th.  Unk,  Die  Pädagogik 
dfli  PhiloBopimi  ChiMiaii  Wolff  (Halle),  aus  tdneii  Werten  autninien- 
geddit  u,  durdi  s.  PbiliMophie  srllutat  Diss.  Erlangen  (107  S.)  —  Die 
Jugend  d.  Königs  Friedr.  Wilh.  IV.  v.  Preußen  u.  d.  Kdaers  u.  Königs 
Wühdm  I.  Tagebuchblätter  ihreB  Erziehers  Däbrüdt  (1 800-1 809).  Mitgeteilt 
W.O.Schuster.  Tl.  I.  II.  (MonumentaOcrmaniae  paedagogica.  Bd.  XXXVI. 
XXX VII.)  Bcdin  (LXIT,  530  S.,  4  Taf.,  15  Faksim.;  VII,  578  S.,  l  Taf.. 
4  i  aksini )  —  H  Schneit,  Das  IJnterrichtswesen  der  Qroßherzogtümer 
Mecklenburg  Schwerin  u.  Streliiz.  fcki.  i.  ürkundea  u.  Akten  z.  Gesch. 
d.Qiccklenburg.  Unterriditaveacns.  Mitteldteru.das2dtalterd.RdQnn«tion. 
(MonttmenUQemiiniae  paedagogica.  Bd.XXXVin.)  BeriinOCXlI,  S52  S. 

—  Beiträge  lur  Qeadi.  d.  Emehnng  und  dai  Untenridits  in  Sadiaeii. 
Inhdt:  Frank  Ludwig,  Die  Entstehung  der  kursädldadwn  Schulordnung 
von  1SS0  auf  Qrund  archivalischer  Studien.  (Beihefte  zu  den  Mitteilungen 
der  Qesellsch.  f.  dtsch.  lirziehungs-  u.  Schulgesch.  XIII.)  Berlin  (176  S) 

—  Schumacher,  Das  Schulwesen  im  Fürstentum  Coney  unter  oranischer 
Herrschalt  180S-7.  Progr.  Höxter  a.  W.  (21  S.)  —  P.  Rosenüial,  Die 
»Erudition"  in  den  Jesuitenschulen.  Diss.  Erlangen  (125  S.)  —  L.BoMir, 
M.  Peter  Mdderldn,  Ephorus  des  Kollegiums  bd  St.  Anna  von  1612  bis 
1650.  Bdtr.  2.  Oetdi.  d.  Kollag.  i.  SOjihr.  Krieg.  Ptogr.  Oyron.  bd 
St  Anna.  Augsburg  (58  S.)  —  H.  Wagner,  Z.  Gesch.  d.  Aschaffenburger 
höheren  Unterrichtswesens.  II.  D.  Asdiaffenb.  Gymnasium  1773-1814. 
Pro|.rr.  Aschaffenburp:  (-»6  S  )  —  ö.  Oergel,  Universität  u.  Akademie  zu 
Erfurt  unter  der  Fremdherrschaft  1806-1814.  (Aus:  ..jaiirbb.  d.  Akad. 
gemeinnütz.  Wiss,  z,  Erfurt".)  Erfurt  (57  S.)  —  Die  A\.urjkeln  der  Uni- 
versität lübingen.  im  Auftr.  d.  württemb.  Kommission  f.  Landesgesch. 
hrsg.  V.  HHnr.  HtmHIiik  Bd.  I:  DieMatrikdn  von  1477-1600.  Statlg. 
(VIII,  760  S.)  —  H,  Kßhr,  Oesdi.  der  I.  deutsdien  gymnast  Idiranstalt, 
eröffnet  a.  d.  Univen.  Erlangen  I.  rrfihj.  1806  durch  Dr.  Joh.  Ad. 
Carl  Roux.  Diss.  Erlangen  (82  S.)  —  Beiträge  z,  Gesch.  d.  Erzieh,  u. 
d.  Unterrichts  i.  d.  Schweiz.  Inhalt:  Ad.  Fluri,  Die  bernische  Schul- 
ordnung V.  1591  u  ihre  Eriäuterimgen  u.  Zusätze  bis  1616  (Beihefte  zu 
den  Mitteil,  d.  Oes.  i.  deutsch.  Frzieh.-  u.  Schulgesch.  XII.)  Berlin  (71  S.)  — 
A.  QaUot,  L'Enseignement  prunaire  ä  la  tin  de  1  ancien  r^ime  et  pen- 
dant  la  r^volution.  (These).  Rennes  (159  p.)  —  /  Delmas,  Notice  hiito- 
riqna  snr  I'instnietion  primaire  k  Apt  de  13T7  4  nos  joun.  Mandlle 


i^'iLjuiz-uü  by  VjOOQle 


Bibliographisches. 


609 


l'-^^  (-10  p)  —  A.  CaUetf  Le  Vieux  Paris  universitaire.   Paris  (237  p)  — 

B.  A.  tlinsdale,  History  of  the  University  of  Michigan.  Ann  Arbor, 
Mich.  (Xlil,  376  p.) 

Th,  Bift,  Die  Bttdirollt  i«  d.  Kunst  Arcldolqg.^atitlquar.  Uiita^ 
snchtmgen  zum  afitikcn  Budivescti.  Lpt.  (VIIC,  352  S.)  —  O.  Utng^ 
Analecta  bibliographica.  Boghistoriske  Undersogelser.  Kopenhagen  190$ 
(III,  70  S.,  10  Taf.)  -  Geschichte  des  deutschen  BuchlUUldels,  botfb.  v. 

/oh.  Qoldfriedrich.    (II.)    Lpz.  (420  p.) 

E.  Brasse,  Die  Familicnnaiikii  in  M.-01adbach  U.  Umgegend  b- 
2.  Schluß  d.  16.  Jh.    Progr.   M.-Oladbach  (59  S.) 

/v  QaUi,  Ehe,  MttUerredit,  Vatcttecht  in  knUtttgttdi.  Entwtdcelung 
u.  in  Ihr.  Bedeutung  f.  d.  Oegenvart  Lpz.  (16  S.)  —  /  DoMÜbM, 
Wooun:  her  positton  and  influence  in  Ancient  Oreece  and  Rotne  änd 
among  the  Early  Christians.  Lond.  (286  p.)  —  M.  Batur,  Die  deutsche 
Frau  i.  d.  Vergangenheit.  Berlin  (VII,  435  S.)  —  F..  Rodocanachl,  La 
femme  itallenne  ä  l'epoque  de  ia  Renaissance.  Sa  vie  priv^  et  mondaine, 
son  influence  sociale.   Paris  (419  p.) 

H.  Karqjew,  Der  Outshof-Staat  und  die  stindiadie  Mottaidiie  des 
Mittelalters.  Die  Entwiddung  der  sozialen  Ordnung  u.  d.  politischen 
Institute  im  Westen  Europas.  Petefabg.  (442  p.) 

Deutsche  Hofordnungen  d.  16.  u.  17.  Jh.  Hrsg.  v.  A.  Kfrn.  Bd.  II. 
(Denkmäler  der  deutschen  Kulturgesch.  Hrsg.  v.  O.  Steinhausen.  II.  Abt. 
Bd.  II.)  Berlin  (XV!,  263  S.)  —  Vicomte  G.  d'Avenel,  Pretres,  soldats 
et  juges  sous  Richelieu.  Etüde  d'hist.  sociale.  Paris  (376  p.)  —  F.  Luft, 
Über  die  Verletzbarkeit  der  Ehre  i.  d.  alt-französ.  Chanson  de  geste. 
Tl.  I.  Progr.  Berlin  (36  S.)  —  Joaqaim  Mint  y  Satis,  Sempre  han  tin« 
gut  bech  les  oques.  Apuntadons  per  la  historla  de  les  costumes  privades. 
I.,  II.  Serie.  Barcelona  1905/6  (81 ;  145  p.)  —  M.  Bauer,  Das  Geschlechts- 
leben i.  d.  deutschen  Vergangenheit.  5.  Aufl.  Berlin  (IV,  366  S ) 
J  Hervez,  les  fem  nies  et  la  galantcric  au  XVI 1^  siecle,  d  apres  les  me- 
nioires,  chroniques,  libclles  et  pamphlets  du  teiui»  etc.  etc  Paris  (VII, 
280  p.,  2  pl.)  —  R.  St.Jo/mstott,  A  histoiy  of  dandng.  Lond.  (198  p.)  — 
IT.  Ffäniltr,  Die  Vergnügungen  der  Angelsachsen.  Disa.  Zfirich.  (Sep.- 
Abdr.  aus:  Anglfa.  Bd.  XXIX.)  Halle  1906  (IV,  III  S.)  —Jos.  ZOiämakr, 
Leichenverbrennung  u.  Leichenbestattung  im  alten  Hellas,  nebst  den 
versch.  Formen  der  Gräber.  (Beiträge  z.  Kunstgesch.  N.  F.  XXXV.) 
Lpz.  (VIT  IQ'SS) 

/  Hachmann^  Speise  u.  Trank  im  Egerlande.  (Sammlung  gemeinnfltz. 
Vorträge.  341.)  Prag  (S.  17-32).  —  A.  Rosenberg,  Gesch.  d.  Kostflms. 
Bd.  I,  Lf.  4.  (to  Taf.  m.  14  Bl.  u.  S.  Text).  Beriin.  —  I.  Dtshain, 
Histoire  du  Costnme.  L  Le  Costume  dans  rantiquM  (Ministfert  de 
Vinstmdion  publ.  Muste  pMag.,  service  des  projedions  lumlneuses. 
Notices  sur  les  vue? )  Melun  (19  p.)  R  Jean^  Le  costume  ailx  XVIl« 
et  XVUIe  si^des.  (Ministe  de  l'instr.  publ.  Muste  p^dagpg.»  Service 


Digitized  by  Google 


510 


Bibliographisches. 


des  project.  lumineuses.  Notioes  sur  les  vues.)  Melun  (20  p.)  — 
D.  C.  Calthrop,  English  Costume.  Vol.  IV.  Ocorgian.  Charles  II  to 
George  IV.  Lond.  (lio  p.)  —  A.  Götze,  Gotische  Schnallen.  (Germ.  Funde 
a.  d.  Völkerwanderungszeit.)  (15  Taf.  m.  35  S.  illustr.  Text )  Berlin.  — 
R.  Hennliifr^  Der  Helm  von  Baldenheim  n.  d.  vervrandtcn  Helme  des 
fiuiicn  Aiutciaiters.  Straßburg  (92  S.,  10  Taf.)  —  A.  Rosenzweigf  Das 
Wohnhaus  in  der  MtSnah.  Berlin  (VII.  77  S  )  Huimker,  U  inalson 
suisse  d'«prb  ses  formes  rustiques  et  son  dMoppement  historique  Tra- 
duct.  frangifse  p.  Fr£d.  Broillet.  4«  partie.  Le  Jun  ete.  Avec  59  vues 
autot.  et  70  pl.  et  dessins.  Puhl.  p.  C  Jeddin.  Lausanne,  .Varau  (IX, 
142  S.)  —  W.  Aterz,  Die  mittelalterlichen  Burganlagen  u.  Wehrbauten 
des  Kantons  Aarj,Mu.  Bd,  II.  Aarau  (X,  S.  301-71-1).  —  O.  Felder,  Die 
Burgen  der  Kantone  St.  üallen  u.  Appenzell.  T.  I.  Mit  1  Karte.  St.  Gallen 
(93  S.)  —  O.  Piper,  Üsicrr.  Burgen.  5.  Tl.  Wien  (V,  226  S.)  —  B.  Hanß- 
mann.  Hessische  Holzbauten.  Beitrage  zur  Gesch.  d.  westdeutech.  Hauses 
u.  Holzbaues,  znr  Führung  durch  L  Bickell:  »Hessische  Holzbauten«. 
Marburg  (XX,  200  S.)  —  O.  Steiiüdn,  Altbfiiigcrl.  Baukunst  Reisesktzzen 
aus  Sfiddeutschland,  Alt-Raycrn,  Tirol,  Franken  u.  Württemberg.  Bd.  IL 
München  (40  Taf.,  6  S.  Text).  —  Inventaire  du  mobilier  du  chäteau  de 
La  Mothe-Chandcnter  en  1530.  Publ.  par  L^o  Desaivre.  Poitiers  (XIII, 
22  p.)  —  iModerne  Kultur.  E.  Handbuch  d.  Lebensbild,  u.  d.  gut.  Ge- 
schmacks. Hrsg.  V.  E.  Heyck.  Bd.  I.  Grundbegriffe.  Die  liäuslidikeit. 
Stuttg.  (XI,  423  S.)  —  P.  Macquoid,  A  history  of  English  Furniture. 
Vol  IIL  Part  12.  Lond.  —  //.  Brugiire  et  J.  BertkiU,  Exploration  cam- 
panatre  du  P^rigord.  Pfrigueux  (658  p.) 

O.  Neuniih,  Zur  Anschauung  der  Antike  über  Handel,  Gewerbe 
u.  Landwirtschaft.  Diss.  Berlin  (32  S.)  —  Quellen  z.  Rechts-  u.  Wirt- 
schaftsgesch.  d.  rheinisch.  Städte.  Bergische  Städte.  I.  Siegbnrg.  Bearb. 
V.  F.  Lau.  (Publ.  d.  Ges.  f.  rhein.  Geschichtsk.  XXIX.)  Bonn  (XXI, 
V,  89,  236  S )  —  F.  Hamm,  Hunsrücker  W  irtschaftsleben  i.  d.  Feudalzeit. 
Mittelalterliche  Epoche  der  Markgenossenschaft  khauuea.  (Die  Wirt- 
schaftsentvickl.  d.  Markgenoss.  Rhaunen.  IL)  (Trierisch.  Archiv.  Erg.- 
Heft  VIIL)  Trier  (VII,  107  S.) 

H.  Oumments,  Der  r&mische  Outsbetrieb  als  wirtscbaftl.  Otgants- 
mus  nach  den  Werken  des  C^to,  Varro  u.  Coluniella  (Bcitr.  z.  alt.  Gesch. 
5.  Beiheft.)  Lp/-.  (VIII,  100  S.)  -  Aug,  Uzier,  L'economia  rurale  dell' 
etä  prcnormanna  nell'  Italia  nieridionale:  studi  sn  documenti  editi  dei 
secoli  IX  -  X!.  Palermo  (XVl,  1S')  p.)  —  R.  Cuggrse,  Classi  e  comuni 
rurali  nel  nieüio  evo  italiano:  saggio  üi  storia  economica  e  giuridica. 
Vol  I.  FIrenze  (XVlil,  405  p.)  -  R.  Alberti,  Die  Lechnitzer  Ftur.  Ein 
Bettng  zur  siebenbfitgisdi-sftcfasischen  Agrargesdiichte.  Progr.  Bistritz 
1906  (23  p.)  —  R,  Fiseher,  Oststeirischcs  Bauemleben,  m.  e.  Vorrede  v. 
Peter  Rosegger.  2.  Aufl.  Graz  (V,  292  S.)  —  5/.  Kozicki,  Sprawa 
vioteianiska  w  Polsoe  r  18  ym  wieku  (Die  Bauemfrage  i.  Polen  L  18.  Jh.). 


i^'iLjuiz-uü  by  VjOOQte 


BibUographisdKS. 


51t 


Warschau  (32  S.)  —  Hanäelsman,  Zywot  chlopa  polskiego  na  pocE^tku 
XIX  stulecia.  <Das  Leben  des  poln.  Bauern  am  Anfange  d.  19.  Jahrh.) 
Lemberg  (101  S.)     A,  Cmnpl^gae^  La  dänoaatie  runde  d'aujourd'hui  et 

d'autrefois.  Histoire  des  paysans.  Montbrison  (62  p.)  —  £.  Escarra, 
Esquissc  de  l'histoire  6conotniqtie  de  l'agricultiirc  autunoise.  (Extr  des 
„Mcnioires  de  la  Societe  Mduenne".)  Autun  (55  p. )  —  F.  Basscrmann- 
Jordan,  Gesch.  d.  Weinbaus  unter  besond.  Berücksicht.  d.  bayerisch. 
Rheinpfalz.  3  Bde.  Frankf.  a.  M.  (X,  962  S.,  20  Taf.)  —  WaUer  S.  Tower, 
A  hUtxny  of  the  American  whale  fishery.  (Publications  of  the  Univ.  of 
Ptnnsylv,  Ser.  in  Political  Economy  etc.  No.  20.)  Pliiladelphia  (X,  145  S.) 

W,  Tiukermaan,  Das  Gewerbe  der  Stadt  Hildesheim  bis  z.  Mitte 
d.  15.  Jh.  Dtss.  Tübingen  (156  S.)  —  B.  PtnadOff,  Das  Innungsvesen 

i.  Kgr.  Sachsen  seit  Einfiihr.  d.  Gewerbefreiheit.  Lpz.  (XVI,  230  S.)  — 
L.  Hoffmann,  Das  Württemberg.  Zunftwesen  und  die  Politik  der  herzogt. 
Regierung  i^^egenüber  den  Zünften  im  IS.  Jh.  Nebst  e.  Anhang.  Diss. 
Tübingen  1906  (63,  16  S.)  —  Joh.  Bog^h,  Bidrag  til  hergens  Haand- 
vaerks  Historie.  I.  Bergenske  Kandestobere  og  deres  Maerker.  II.  To 
gamle  bergenske  Solvarbeider.  SaertiylE  af  Vesthmdske  Kunstindustri- 
museums  Aarbc^  for  1905.  Bergen  1906  (101  p.)  (Nicht  im  Handel.)  — 
N.Jorga,  NegotuI  si  mestesugurile  in  trecutul  romanesc  (Handwerk  u. 
Handel  i.  d.  rumän.  Vergangenheit.)  Bukarest  (263  p.)  —  Marguer.  de 
Brienves,  La  Broderie.  Historique  de  la  broderie  ä  travers  les  äges  et 
!es  pays.  Paris  (VII,  197  p.)  -  W  O  Thomson,  A  history  of  tapestry, 
from  the  earliest  times  until  the  prcsent  day.  New  York  (XV,  506  p.)  — 
F.  Sondermann,  Qesdi.  d.  Eisen^Industrie  i.  Knise  Olpe.  E.  Beitr.  z. 
Wirlschaftsgcsch.  d.  SauerUmdes.  (Mfinsiersche  Beiträge  z.  Geschichls- 
forsch.  N.  F.  X.)  MOnster  (VIII,  17S  S.,  1  Karte).  —  K  RosaUmu/O,  Die 
Nürnberg-Fürther  Mctallspielwarenindustrie  i.  geschieh tl.  u.  sozialpolit. 
Beleuchtung.  (Münch,  volksvirtsch.  Studien.  «2.  Stück.)  Stuttg.  (X,219S.) 

/  Finoi,  l^tude  historique  Sur  les  relations  commerciales  entre  la 
Flandrc  et  la  republique  de  O^nes  au  moyen  Age.  Paris  (XII,  3S4  p.)  — . 
H.  Mosltr,  Der  Düsseldorfer  Rhcinzoll  b.  z.  Ausgange  des  16.  Jahr- 
hunderls. Diss.  Münster  (76  S.)  —  R.  Bosckan,  Der  Handel  Hamburgs 
mit  der  Mark  Brandenburg  b.  z.  Ausg.  d.  14.  Jh.  Diss.  Berlin  (lu4  S.) 
—  W,  C  i^au,  Skizzen  v.  alten  Rochlitzer  Handel  und  Wandel.  (Einzel- 
heiten a.  d.  Gebiete  d.  RochL  O.  V.)  Rochlitz  i.  S.  (216  S.)  -  O.  BäekUng^ 
Die  Bozener  Märkte  b.  z.  dreißigjährigen  Kriege.  (Staats-  und  sozialwiss. 
Forschungen.  Heft  124.)  Leipzig  (VIII,  124  S.)  —  H.  Ritter  von  Srbik, 
Der  staatliche  Exportiiandel  Österreichs  von  Leopold  I.  bis  Maria  Theresia. 
Untersuchungen  zur  Wirlschaftsgcsch.  Österreichs  im  Zeitalter  des  Merkan- 
tilismus. Wien  (XXXVI,  432  S.)  —  Geo.  Juritsch,  Handel  u.  Handels- 
recht i.  Böhmen  b.  z.  husitiscben  Revolution.  E.  Beitr.  z.  Kulturgescfa. 
d.  Merr.  Under.  Vt^en  (XVI,  126  &)  —  A.  E  Mumyf,  A  histoiy  of 


512 


Bibliographisches. 


the  commercial  and  ftnindal  relatfcNls  between  England  and  Irdand  ironi 
tbe  Feriod  of  the  Restoration.   New  cd.   Lond.  (504  p.) 

Th.  Schräder,  Die  Rechnungsbücher  der  hamburg.  Gesandten  in 
Avignon  1338  bis  1355.  Hrsg.  v.  Verein  f.  haniburp.  Oesch,  Hamburg 
(V'III,  III,  156  S.,  3  Taf.)  —  Comptes  du  uumaine  de  Catherine  de  Bour- 
gogne,  dtidleiN  d'AnIridie»  daos  la  Haute^Abaoc  ExlraHs  dn  TtCior  de 
la  Chambre  da  oomplcs  de  Dijon  (1424-1426),  par  Lüui$  Sittff.  Puls 
(90  p.)  —  /  Mellen,  Die  Finanzverwaltung  der  Stadt  Limburg  a.  d.  Lahn 
1606-1803.  Limburg  (46  S.)  —  W.  Eggert -WiruUgg,  Eduard  Mörikcs 
Hattshaltungsbuch  a.  d.  J.  1S43  bis  1S47.   Stuttg.  (Iii,  18  S.,  34  S.  i.  Faks.) 

L.  E.  Rossi,  Milano  benefica  c  previdente:  cenni  storici  e  statistid 
sulie  istituzjuiu  di  beneficenza  e  di  previdenza.   Milano  (XII,  594  p.) 

R,  C  Tmuts,  The  King  s  Post  London.  —  H.  Heiman,  Die 
Neclcandiiffer.  1.  Bcitilge  z.  Ocsch.  d.  Neckärscfaiffeiigeverbes  vu  d. 
Neckarschiffahrt.  Heidelberg  (IX,  402  S.)  —  AT.  Hering,  Das  200  jährige 
Jubiläum  der  Dampfmaschine  1706-  1906.  E.  histor.-techn.-wirtschaftl. 
Betrachtung.  (Abhnndl  ?.  Gesch.  d.  niathemat.  Wissenschaften.  Heft  25.) 
Lpz.  (IV,  5S  S.)  —  K.  Rüdunz,  loo  Jahre  Dampfschiffahrt.  1807-1907. 
Schilderungen  u.  Skizzen  a.  d.  Entwicklungsgesch.  des  Dampfechiffes. 
Rostock  (VIII,  300  S.,  2  Taf.)  —  />  Nabaur,  Der  Norddeulache  Lloyd. 
50  Jahre  der  Entwickl.  1857-1907.  2  Bde.  Text  u.  e.  Hlustrationsband. 
hpt.  (VI,  748  S.,  53  Taf.,  5  Karten,  IV  S.) 

Rod.  det  CastiUo y  Quaiiiellers,  Die  Augenheilktmcir  i.  d.  Römerzeit. 
Aus  d.  Span.  v.  M.  Neuburger.  Wien  (IX,  137  S.)  —  H.  Kroner,  E.  Bei- 
trag z.  Gesch.  d.  Medizin  d.  XM.  Jh.  a.  d.  Hand  zwei  medizin.  Abhand- 
lungen des  Maimonides,  auf  Grund  von  6  usicdicrtcn  Handschriften  daigesL 
u.  kritisch  beleuchtet  Oberdorf^Bopf.  (116,  2S  S.)  -  Alb,  FHL  v.  Natt- 

Die  Legende  v.  d.  Altertums^yphilis.  Medizinische  u.  textkrilisdie 
Untersuchungen.  (Aus  »Festschrift  f.  Rindfleisch*.)  Lp«.  (Vltl,  250  S.)  — 
H.  M.  Fay,  Contribution  ä  l'etude  de  l'histoire  de  la  lepre  en  France.  La 
Lepre  dans  le  sud-ouest  de  la  France.  Le<>  Cagots.  (These.)  Coulommiers 
(XV,  107  p.)  —  C.  VieUlard,  Une  consultation  medicale  au  XII«  siede. 
Poltiers  (13  p.)  —  R.  Kobert,  Einiges  aus  dem  2.  Jahrhundert  des  Be- 
stehens d.  nwdfadn.  FakulHt  2u  Rostock.  E.  Beitr.  2.  Kulturgesch.  d.  Rc^ 
fbnnationsceitalten.  Mit  S  Blldn.  5tuttg.  (61  S.)  —  C  LUbt^  Der  Afit 
im  Elisabethanischen  Drama.  Diss.  Halle  (50  S.)  -  /  Mwthmer,  Das 
Krankenwesen  der  Stadt  Hildesheim  b.  z.  17.  Jh.  (Münstersche  Bdtr. 
zur  Oeschichtsforsch.  N.  F  XV.)  Münster  (III,  94  S.)  —  A  Qcrlach, 
Da5  Mcdizinalwesen  i.  d.  ehemal.  Deutschordens-Kommende  Kapfcnburg. 
(Aus:  •Württ  med.  Ck)rrespondenzbl.")  Stuitg.  (22  S.)  —  /  Bertndes, 
Um  Apothckcnweaen.  Seine  Entstehung  u.  geschieht!.  Entwickel.  b.  z. 
£0.  Jahrb.  Stuttg*  (XII,  566  S.)  —  M  Qeorg^aäh,  U  Phannade  en 
^gypte.  Le  Caiie.  (240  p.,  47  pL) 


Digilized  by  Google 


1        -  • 


Digitizc 


le 


1 


3  2044  098  649  007