Arch.
Kulturgesch
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Archiv
s
für
Ku 1 1 u r - Gesch i ch te
Herausgegeben von
Professor Dr. Georg Steinhausen
in Cassel
Fünfter Band
Beriin Verlag von Alexander Duncker - 1907
\
*
Dfock «DU H«t» Wllisch fai Owanflz.
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Inhalt:
Aufsätze: Seite
Die Hauptwet;e des Nürnbert^isclien Handels im Sp5(mitteia!ter.
Von Joh. Müller . . 1
Christian Adolph v. A nackers Beschreibung seiner Reise von Wien
nach I-issabon (1730). Mitjjeteilt von Th. Renand ... 24
Der Einfluß der Romantik auf die Vertiefung des Nationalgefühls.
Von Fr, Guntram Schultheiß 55
Skiz/en von der ehemaligen kursächsischen Armee. II. III. Von
Bernhard Wolf . . . . . 83, 187
Die Renaissance in Piacenza. Von Leo Jordan 161
Der Einfluß der Juden auf die Leipziger Messen in früherer Zeit.
I. II. Von Richard Markgraf 216, 363
Die Jagd des Einhorns in Wort und Bild. Von F. Kuntze . . . 273
Hamburger Verkehrswesen bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts. Von
Alfred KarU 311
Die tagebuchartigen Aufzeichnungen des pfälzischen Hofarztes
Dr. Johannes Lange über seine Reise nach Granada im Jahre
1526. Mitgeteilt von Adolf Hasenclever 385
Quellenstudien zur Geschichte des neueren französischen Einflusses
auf die deutsche Kultur. I. Von Curt Gebauer 440
Frauenhäuser und freie Frauen in Leipzig im Mittelalter. Von
Gustav Wustmann 469
Besprech ungen:
Elsenhans, Kants Rassentheorie und ihre bleibende Bedeutung
( Rosen feld) 113
Herrmann, Die Geschichtsauffassung Heinrich Ludens im Lichte der
gleichzeitigen geschiclitsphilosophischen Strömungen (Kosenfeld) 1 1 4
Walhalla. Bücherei für vaterländische Geschichte. Kunst und Kultur-
geschichte. 1. II (Steintiausen) 115
Heyck, Deutsche Geschichte. Abt. 5-10 (Steinhausen) . . . 117
Lamprecht, Deutsche Geschichte. VI. VII, 1, 2 (Steinhausen) . . 120
Arens, Das Tiroler Volk in seinen Weistümern (I^uffer) . ... 125
Hirn, Geschichte der Tiroler Landtage 1518-1525 (Liebe) ... 127
Reil. Die frühchristlichen Darstellungen der Kreuzigung Christi (Lauffer) 1 27
Stutz, Die kirchliche Rechtsgeschichte (Liebe) 130
Günther, Kepler und die Theologie (Liebe) 13Q
Hartinann, Sechs Bücher Üraunschweigischer Tlieatergeschidite
(Devrient) " 131
)Ogle
Die Kultur der Gegenwart. I, 1 (Steinhausen) 249
Sdindder, Das kausale Denken in deatschen Quellen zur Geschichte
und Literatur des 10., 11. und 12. Jahrhunderts (Rosenfeld) . 251
Zaretzky, Der erste Kölner Zensurprozeß (Bruchmfiller) 252
Weltgeschichte, herausg. von H. F. Hclniolt. Bd. VI (Sieinhausen) 577
Baumgarten, Poland, Wagner, Die hellenische Kultur (Liebenam) . 378
Roth, Geschichte des Byzantinischen Reiches (Uebenam) .... 381
Basler Biographien. Bd. II (Bruchmfliler) 381
Martin, Deutsches Badewesen in vergangenen Tagen (Hampe) . . 382
Eisler, Geschichte der Wissenschaften (Kohfeldt) 483
Marcus, Die allgemeine Bildung in Vergangenheit, Gegenwart und
Zukunft (Kohiddt) . 483
Wustmann, Qeschidtte der Stadt Leipzig. I (Bruchmfiller) ... 484
, NeujahrsbUitter der Bibliothek und des Archivs der Stadt
Leipzig. I-IJI (Stein1ni;sen) 486
Schumann, Verfassung und Verwaltung des Rates in Augsburg von
1276-1368 (J. Müller) 488
Jacobi, Das Weltgebäude des Kardinals Nikolaus v. Cusa (Kohfddt) 489
Keller, Joh. Gottfried Herder und die Kultgesdlschaften des Hunu-
nismns (Kohfeldt) 489
Boos, Geschichte der Freimaurerei. 2. Aufl. (Briichinüller) . . . 490
Hense, Die Modifizierung der Maske in der griechischen Tragödie.
2. Aufl. (Liebenam) 491
Marlow (L. H. Wolfram), Faust. Neu herausg. von O. Neurath
(Legband) 492
Kleine Mitteilungen und Referate 135, 254, 494
Bibliographisches 152, 2b5, 503
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Die Hauptwege des Nfirnbergischen
Handels im Spättnittelalter.
Bb Beitrag zur mittelalterlicheii Verkehr^pographie.
Von JOHANNES MÜLLER.
L Gestalt des StraSeDneties.
Nflniberg verdankt seine hohe merkantile Bedeutung im
Mittehlter außer seinem hochentwickelten Qewerbfleiß vor allem
der Ounst seiner Lage: die unter den Saliern empoigt^kommene
ostfränkische Niederlassung lag gerade an der Stelle, wo der
Verkehr vom Mittelrhein zu den Donauländem sich mit den
großen südnördlichen Verkehrslinien kreuzic, die von den euro-
päischen Stapclpl ätzen des Oricnthandcls, von Venedig und Genua,
aus über Innsbruck und Augsburg bzw. Chur und Ulm nach
Thünngen -Sachsen und von dort die Weser und Elbe hinab
zur Nordsee liefen. Durch Nürnberg gingen ferner die beiden
Straßen, welche das Gebiet des Oberrheins (Neckarland und
Elsaß) und die Schwei/: sami semeni franz rsisch-burgundischen
Hinterlande mit BohiTien nebst Schlesien und Polen und mit
dem sächsischen tlbtal verbanden.
Nürnberg konnte bis zur Entdeckung Amerikas und des
Seeweges nach Ostindien, d. h. solange dem Mitteimeer und
den beiden deutschen Meeren, der Ost- und der Nordsee,
der Vorrang unter den Meeren der alten Welt verblieb, in
kommendeller wie in rein geographischer Beziehung als Zentrum
Europas angesehen werden. Schlägt man nämlich um Nüm>
beig mit einem Radius von 465 km einen Kreis, so li^n
AtddT Mr lUHDisMdildifc. V. 1
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Johannes Müller.
auf der Peripherie desselben die Haupthandelsplät/e jMittel-
europas im Mittelalter, V e n e d i , Wien bzw. Preßbure;, Bres-
lau bzw. Lissa bei Glogau, Hamburg, Brüssel und Genf
bzw. Lausanne so verteilt, daß dieselben die Ecken eines regulären
Sechseckes bilden.*) Bemerkenswert ist, daß dem großen mittel-
europäischen Sechseck Hamburg- Lissa - Preßburg -Venedig- Genf-
Brüssel ein kleines ostfränkisch-oberpfälzisches Sechseck entspricht,
das einem Kreis mit dem Zentrum Nürnberg eingeschrieben ist»
dessen Radius 88 km, also etwa ein Fünftel des Radius
des mitteleufopftiadun mißt Die Eckpunkte dieses ostfrtnkisch-
oberpflUzisehen Sechsecks, des engieren Verkehr^gebietes Nürnbergs,
das sich von der Naab bis zur Tauber einerseits» von dem oberen
Main bis zum Südiand des fränldscben Jura anderseits erstreckte,
sind Koburg, Kemnatfa, R^nensburg bzw. Regenstauf, Neubui^g a. D*,
Ellwangen und Wttrzburg, lauter Orte, die die Endpunkte des engeren
Nürnberger Verkehrsgebietes auf den großen Wdffaandelsstraßen
nach Nord, Süd, Nordost, Südost, Südwest und Nordwest biklen.
Die regelmäßige, sternförmige Anordnung der drei großen
Weltfaandelsstnißen: 1. Brüssel -Wien, 2. Hamburg «Venedig,
3. Breslau -Genf, die sich in Nümbeiig kreuzten, erklärt sich
also ohne weiteres aus der symmetrischen Lage der oben genannten
sechs Welthandclsplätze auf der Peripherie des Kreises, der
Mitteleuropa aus dem Körper Europas herausschneidet.
Zwischen die sechs großen, nach den 1 laupt- Himmels-
richtungen Nord -Süd, Nordwest -Südost und Nordost - Südwest
ausstrahlenden Handelsstraßen schoben sich nun aber noch
sechs Nebenstraßen ein, die als Halbieningsradien der von den
Hauptstraßen eini^eschlossenen Zentriwinkel die sechs übrigen
Himmelsrichtungen nämlich Ost- West, Nordnordwest- SüdsQd-
ost und Nordnordost- Südsüdwest einhielten. Das mittelalter-
liche Straßennetz Nürnbergs stellte demnach in seiner Totalitat
ein regelmäßiges Zwölfeck vor, dessen Diagonalen sich in
Nümbergp dem Mittelpunkt des dem ZwOUeck umschriebenen
^) Eine Unitfdnifllgkeit in der fast vollkoaimaien Figur ergibt «ich nur durch
die etwtt aadi Sfidcn Toichobeae Lage Bmlau, an dcsm SicUe Lim, der diametnle
Oegoipaidrt Liwami«, tritt. Bitib« MUd 4en Cegenpunkl wm Dijon, dem in Mitld-
•tier «bcnfidl« «Im graSe hoameRldte Bednrtmig nlna.
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Die Hauptwege des Nfirnbetgisclifill Handeis im Spätmittelalter. 3
Kreises, unter Winkeln von 30® schnitten. Das Zusammentreffen
der aus den verschiedenen Himmelsrichtungen nach Nürnberg
einmündenden Stralkn erfolge in der Weise, daB sich die
drei nach Schwaben ausstrahlenden Straßen, die Rothenburger,
die Ulmer und die Augsburger am Spittler Tor, die drei bay-
rischen Straßen^ die Münchener, die Lnndshuter und die Regens-
burger am Frauentor, die böhmische und die Vogtländer Straße
am Laufer Tor, die beiden Thüringisch -sächsischen Straßen, die
Leipziger und die Erfurter, am Tiergärtner Tor und die beiden fifln-
kischen Straßen, die Schweinfurter und die Frankfurter, am Neuen
Tor vereinigten. Es war also die an dem mittelalterlichen Straßen*
netz NQmbergs sonst wahrzunehmende Symmetrie auch insofern
giewahrtf als in jeden der zwei Hauptteile der Stadt, die Lorenzer
und die Sebalder Seite, sedis Straßen in der Wdse einmflndeten«
diB auf der rechtodcfförmigen Südseite je drd Sinfien, auf der
einem Dreieck ähnlidien Nordseite je zwei StniBen 2U dnem
Bfindel «eh vereinigten.
Zu bemerken ist bei dieser Obersidit Aber das Nümbeiga*
Staaßennelz sogleich, daß die Zusammenfttssung je zweier Straßen*
zikge nicht durchaus erst an den Toren Nflnit)ergs, sondern teil-
weise in großen Entfernungen von der Stadt erfolgte. So
vereinigte sich die Erfurter mit der Leipziger Straße schon in
Koburg, die Augsburger und die Mflndiener Straße trafen in
WeiBenburg i. N. zusammen; die Zahl der ot>en angegebenen zwölf
Straßen, die in Nürnberg zusammentrafen, verringert sich dadurch
um zwei. Dafür schoben sich nach Westen zwischen die Rothen-
burger und Ulmer Straße noch die Schwäbisch -Haller Straße
und nach Ostnordost die bei Hersbruck einniünclcnde Straße nach
Nordbühmen ein, so daß sich also im ganzen doch 12 Handeis-
sb:aßen in der fränkischen Handelsmetropole vereinigten.
Bei besonders frequentierten Straßen, wie der Frankfurter,
der Erfurter und der Präger Straße, zeigte sich die Frscheinung
der intermirtierenden Doppelstraikn, die ihre Frklänmg einesteils
in den gesteigerten Verkehrsbedürfnissen des Handelsstandes,
andemteils in den Ansprüchen mehrerer an den Haupt-
faandelszügen interessierter Territorialherren auf die Ausübung
des sehr eintriglichen Oeldtsrechtes findet So bildete das
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Johannes MfiUer.
Reditp auf der großen StiaBe von Nflrnberg nach Prankfurt
mj^ctut weit geleiten zu dürfen, fast das ganze spätere
Mitldalter hindurch, bis in den Anbng des 16. Jahrhunderts
hinein, eine Hauptquelle der zwischert dem Bistum Würzburg
und dem Hause Brandenburg obschwebenden Geleitsstreitigkeiten.
Würzburg bestand auf Grund der in kaiserlichen Lehnsbriefen
vorgezeichneteii Keichs- oder Geleitsstraße durch sein Gebiet auf
der strikten Durchtührung des Straßenzwanges wenigstens wäh-
rend der Meßzeiten, d. h. eine Woche vor und nach den
beiden Frankfurter Messen, während Brandenburg den Grundsatz
aufstellte, daß die Straßen frei sein und die Kaufieute nicht in
das Geleit eines Reichsstandes gedrängt werden sollten.*)
In der Tat sind die Meßgüter des öfteren statt auf der Reichs-
straße Nürnberg-Würzburg-Tauberbischofsheim auf der Neben-
straße Burcffarrnbach- Windsheim - Uffenheim -Aub- Simmringen -
Tauberbischofsiieim von Nürnberg nach Frankfurt hinahgee^angen,
wodurch nicht nur eine beträchiiiche Abkürzung des Reiseweges
erreicht, sondern auch die Durchquerung der Gebiete kleinerer
Dynasten, wie der Schenken von Limburg und der Grafen von
Castell, vermieden wurde.')
Ähnliche territoriale Verhältnisse wie bei der Frankfurter Ge-
leitsstraße lagen bei der Erfurter und der Prager Straße vor. Die
Erfurter Straße, die bis Eisfeid, nördlich von Koburg, zuerst
Bamberger, dann Würzburger und Wettinisches Gebiet durchzogi
spaltete sich von Eisfeld an in zwei Aste, die Amt-Gehrener
und die Ilmenau er Straße, von denen die erstere durch gräflich
Schwarzburgisches, die zweite durch Hennebergisches Gebiet
ging. Die Rivaiittt zwischen diesen beiden gräflichen Häusern
1) Vgl. das Nürnberger Ratsbuch Ib, S 299. (Nürnberger Kreisarchiv). Ant-
wort des Rates von NümberK (dat. 1456, f. terHa ante Egidij) auf die Werbung des
BiaadenbnrgUchen Aratmaoiu L. v. Eyb, daß es den Statthalter des Marlqp^eo von Branden-
boqr IM befrende, d«B die Fohflcute, tfe in die Pnnlrfiiiter Mene fdtren, cediingt
würden, auf den StrnRen und in dem Geleit der Schenken von Limburg 7U fahren: der
Rat dränge niemand, in diesem oder jenem Geleit zu fahren, äondem werbe nur um die
Geleite, «ie es von alters Herkommen wäre; welche Straßen die KtuflOlte Um Habe dOI
Fnbrlcuten anbefehlen zu fahren, dabei laste es der Rat bleiben.
^ Vgl. den B«m1iI«B det WOrnberger Rales von «3. AngM I45t. Die Ge-
rannten sind bcsandt worden und mit ihnen ist peredef worden von der Fürsten und Herren
Geleit wegen in die h'rankfurtcr Messe, wie imd wo man hingeleiten wolle, als auf
Windsheini, LIffenhcim, Ubert;owe und für das Knebelers Kreuz Meile U'cges von Simm-
ringcn), und wird der Scbentoi von Limburg Oeleit zu diesem mal unnötig. Nürnbergs
Rmbudi tb, & 94« (Nintbergcr Kidinrdiiv).
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Die Haupt«^ des NfirnbergiadieR Handcb im SpItmittdiUir. 5
war fedenfills die Ursache^ daB die bdden Tdlstrecken, die sich
bei Qöilitzliaiisen unweit Aimlidt wieder zu einer Straße ver-
einigten, dem Veriwhr zwischen Erfurt und Nürnberg dienten,
wenn auch die Amt -Gehrener Straße über den Kahlert-Paß
wegen ihrer günstigeren Teminveitiältnisse an Bedeutung die
sogenannte »Frauenstraße« über Ilmenau weit übertraf.^)
Die Prager Straße teilte sich in Sulzbach zunächst in
zwei Linien, die Hirschau er und die Am berger Straße^ von
denen die erstere die Naab bei Wemberg, die zweite das Naabtal
bei Scfawarzenfeld überschritt Während nun die Amberger Straße
mit Benützung des Tales der Sdiwarzadi über Neunburg v.
Wald und Waldmünchen nach Taus und Pilsen zog und sich
hier mit dem nördlichen Aste der Prager Straße wieder ver-
einigte, spaltete sich dieser nördliche Stnkßenstrang in Hirschau
in zwei Teile, die Waidhauser und die Bärnauer oder
Tachauer Straße, die bei Kladrau, westlich von Pilsen, wieder
zusammentrafen. Die Verteilung des Verkehrs Nürnbergs nach
Böhmen aut" drei Parallelblrecken war weniger eine Folge der
Rivalität anrainender Fürstenhäuser — von den pfalzischen Wittels-
bachern abgesehen, kam für dieses Gebiet nur noch die Land-
grafschaft Leuchtenberg in Betracht - als ein Ergebnis des außer-
ordentlich regen Handels, den Nürnberg besonders vor den
Hussitenunruhen nach Böhmen trieb.
Die Münchner Straße, die in ihrem ersten Abschnitt mit der
Augsburger Straße zusammenfiel,, spaltete sich bereits in Komburg
in zwei Aste, von denen der westliche oder Hauptast über Roth
(brandenburgisch), Weißenburg i. N. (reichsstädtisch) und Eich-
städt nach Neu bürg a. D. bzw. Ingolstadt verlief, während der
östliche Arm über das zur Pfalz gehörige Hilpoltstein und das
bayrische Arnsberg an der Altmühl seine Richtung auf Ingolstadt
zu nahm. Die Benützung der beiden Parallelstraßen seitens der
Nürnberger Kaufleute, die sich aus der Korrespondenz des Nürn-
beiger Rates mit den bayrischen Herzogen aus dem ersten Drittel
des tS. Jahrhunderts erweisen läßt, erlclArt sich wiederum weniger
M \T' Ocrbing, Die PSsse des Thfiringcr Waldes in ihrer Bedeutuiiß für den inner-
deutKtien Verkehr and das deutsctae StraflenneU. (Mitteilung, des Vereins für Erdkunde
m Halle a. a. Saale 1W4, S. 1 ff.)
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Johannes MfiUcr.
«18 den Bedflrfnissen des lokalen Verkehrs als daiaiia^ dafi der
ettrige Wettbewerb zwischen den Brandenbuiiger Markpafen und
den Eichsttdter Bischöfen einerseils^ den pfiUzischen und bayrischen
Wittelsbacfaem anderersdls um die möglichst intensive AusnQlzung
des Qdeifsrecfates den lOmfleuten das Offenhalten der Wahl
zwischen den beiden Pknüldstreckeni wenn nicht notwendig, so
dodi sdir lalsam erschehien lieB.^)
II. Der Verlauf der einzelnen Strafienzfige.
1. Die drei bayerischen StraBen, die von dem an
der Sfldostecke des Nfimbeigischen Rechtecks gelegenen Frauentor
ausstrahlten, zogen innerhalb des Stadtgebietes durch die West-
hälfte des Lorenzer Waldes, die von der Rednitz, der Schwarzadi
und dem Fiscfabach umschlossen wird. Die München er Straße,
die bis Weißenburg mit der Augsbuiger zusammenfiel, fitierschritt
zwischen Kofnbuig und Wendelstein die Schwarzach, durchzog
von da Ober Rotii zunächst Ansbachiscfaes, sodann Eichstftdtisches
(Pleinfeld), Deulschherrisches (Ellingen) und nochmals Eich-
städtisches (Eichstädt) Gebiet und erreichte mit dem bayerischen
Neuburg bzw. Ingolstadt die Donau und von da fiber MQnchen,
Mittenwald, Seefeld und Zirl den Inn. Es waren also im wesent-
lichen vier Territorien, die diese gerade nach Süden verlaufende
Straße bis zum Alpenrand durchschnitt, eine Erscheitnmg, die wir
auch an dem zweiten nach Süden gerichteten Verkehrsweg, der
Landshuter Straße, wahrnehmen kunnen; denn auch diese
durchzog von Nürnberg über Freistadt (pfälzisch), Berching
(Eichstädtisch), Neustadt a. d, D. (twiyrisch) bis Salzburg im
ganzen bloß vier Territorien: die Marke^rafschaft Ansbach, die
Oberpfalz, das Eichstädtische und das Herzogtum Bayern. Die
Regensburger Straße, die dritte der bayrischen StraBen, die
an Bedeutung die beiden erstgenannten bei weitem übertraf, da
•) Vgl. hierzu dds Dankschreiben des Nfirnberßcr Rates an den Herzog Emst
von B«yem n. fi-r. qu. Quasimodigeniti M34 auf dessen Mitteilung von der Sicherung de»
Verttdus anf «kr Hilpoltstdn-IngoUtfdter Strafle sdt der Einnahme des Schlosses Anu-
berg; der Rat Mint dte Anffonternng da Hcnogt, dca Nlnboier Kmftaatta da« ans*
schließllchc Befahren der Straße nach München Aller Arnsberg n tnpfdllca, hUKdl, aber
entschieden ab. Nürnberg. Briefbuch X, 5.
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Die Hniptwege des Nümbergischen Handels im Spätmittelalter.
sie den iufierst regen Verkdir Nflrabeis» mit den Undern an
der mittleren Donau vennittdte^ könnte als die bayerische Stnfie
u/ai Uox^ bezddinet werden; denn sie verlief mit Ausnahme
ganz kurzer Strecken in den Bistümern Regensbmg und Passau
Ober Neumaikt, Regensbuig, Stiaubing durchaus im Gebiet der
oberen Pfalz bzw. Bayerns.
2. Die schwäbischen Strafien» deren es mit der Augsburg-
MQnchener vier waren, durchzogen samt und sonders in erster
Linie Mari^iflich-Ansbachisches Gebiet, sodann die sich an-
sdilieBenden reicfassttdtischen und reichsgrSflicfaen Territorien. So
führte die Augsburger Straße von Wdßenbuig nach Donau-
wörth fiber Dietfurt und Monheim durdi Pappenhdmiscfaes und
bayerisdses Gebiet, die Ulmer Straße von Schwabach über
Günzenhausen und Ottiugen durch die Graiscfaaft Otlingen nach
Nördlingen, die Hall er Straße Ober Ansbach, Teuchtwangen,
Crailsheim, Hall durch das Gebiet der Reichsstadt Hall und der
Grafschaften Hohenlohe und Württemberg nach Heilbronn, die
Rothenbu rgcr Straße ubcr Rothenburg und durch Hohen-
lohisches und Dcuischordensgebiet nadi Neckarelz und sodann
nach Heidelberg in der Kurpfalz.
3. An den mittleren Rhein und nach Hessen führten, von
der erst von Koburg abzweigenden Werratalstraße abgesehen, von
Nürnberg nur zwei Straßen, die große Frankfurter Handelsstraße
und die über Schweinfurt ziehende hessische Straße. Die erstere,
unstreitig die verkehrsreichste unter all den Straßen, die von
Nürnberg ausgingen, ITihrle über Neustadt a. d. A, Würzburg,
Tauberbischofsheim, Miltenberg und Aschaffenburg nach Frank-
furt, wobei die Strecke Miltenberg- Frankfurt sowohi als Land-
wie als Wasserstraße in Betracht kam; da das Erzstift Mainz auf
ürund des der Stadt Miltenberg vom Kaiser Karl IV. verliehenen
Stapel- und Niederlagsrechts auf der Verladung der Nürnberger
Güter auf die Schiffe der Miltenl>erger Schiffer bestand. Die
hessische Straße zog über Höchstadt a. d. Aisch und Schlüsselfdd
nach Schweinfurt und von dort über Hammelburg und Brückenau
nach Fulda. Während die Frankfurter Straße von Nürnberg bis
Frankfurt im Spätmittelalter sechs verschiedene Territorien (das
Marlfgrtflicfae, die Herrschaft Limburg* Speddeld, die Grafschaft
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Johannes MOtlcr.
Castdl, das Bistum Wflnbung, die Qnifsdiaft Wertheim und das
Erzstift Mainz) durchzog, berflhrte die hessische StraBe bis Fulda
nur die Stifter Bamberg und Wfirzborg:.
4. Die beiden Fhuringer Straßen, die Erfurter und die
Leipziger, zogen bis Kobur^ in einem Strang nach Norden;
von Kobuig an trat dann die Spaltung der Nordsüdlinie in zwei
Äste derart ein, daß die Erfurter Straße über Eisfeld, Amt-Oehren
bzw. Ilmenau und Arnstadt direkt nördlich nach Erfurt ging, während
die Leipziger Straße den Thüringer Wald in der Nordnordostrich-
tung über Neustadt, Gräfenthal und Saalfeld überschritt; von letzt-
genanntem Ort an bis Weißenfels blieb die Leipziger Straße im
Saaletal; erst von da wendete sie sich, das Tal der Saale ver-
lassend, in nordöstlicher Richtung nach Leipzig zu.
Auf der Leipziger, Ulmer und Frankfurter StraBe wurden
wegen der in den Handelszentren Leipzig, Nördlingen und Frank-
furt alljährlich stattfindenden Messen die zu den Messen ziehenden
Kaufleute mit dem »lebendigien Geleite« begleitet, ein Voig^mg;
der zum Teil unter allerlei feierlichen Gebrauchen sich abspielte.
Das Geleit auf der Frankfurter und Nördlinger Straße hatten die
oben genannten sechs Standesherren; auf der Leipziger Straße
wurde das Oeieitsrecht durch die Markgrafen von Branden-
burg, die Fürstbisdiöfe von Bamberg und WOrzbui^g (zwischen
Gaßbach bei Bambeig und Gleußen bei Lichtenfels war Wurz-
burgisches Gebiet) und die Landgrafen von Tharingen und
Markgrafen von Meißen ausgeübt.
5. Die Vogtländer und die böhmische Straße, auch
die Bai reuther und die Frager Straße genannt, hielten genau
die Richtung Nordost und Ost ein. Die Bayreuther Straße ging
über Gräfenberg, Pegnitz, Baireuth, Gefrees, Hof durch fast aus-
schließlich Markgräfliches Gebiet. Von Plauen bis Bischofswerda
im Sächsischen verlief die Straße parallel mit dem Kamm des
sächsischen Erzgebirges; von Bischofswerda bis Sagau am Bober
gehörte sie dem Gebiet der Oberlausitz und von Sagau an dem
des Herzogs von Ologau an.
Die böhmische Straße zog in gerader östlicher Richtung
über Hersbruck bis Sulzbach; von diesem oberpfUziscfaen Stadtchen
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Die Hauptvffe des NflrabetBlsdwii Hjuidds ün SiAtniltldJdfer. 9
an teilte sie stdi in zwd bzw. drei Linien, einen nördlichen und
einen sOdliclien Ast, die sich in Pilsen wieder vereinigten. Der
nördliche Ast verlief über Weinberg und Waidhaus bzw. Weiden
und Tacliau nadi Mies und von da nach Pilsen; der sfidliche Ast
ging filier Arnberg^ Neuburg vorm Wald, Waldmfinchen nach Taus
und von da nach Pilsen. Die Territorien, die die böhmische
Shrafie durchkreuzte, waren die Oberpfolz und Böhmen.
III. Die ZoUstattcn und die Verkebrshöhc einzelner Straßen,
a) Anzahl der Zoll Stätten.
Paßt man nur das nShere Verkehrsgebiet Nfimbergs,
das Sfld- und Mitteldeutschland mit dem Durchmesser Nord-
hausen-Nürnberg-Kufstein (Entfernung ca. 460 km.) umfaßt, ins
Auge, so ergeben sich als Nachbargebiete der Reichsstadt ver-
hältnismäßig wenige große Reichsterritorien, von deren gutem
Willen der ungehinderte 1 landel Nürnbergs abhing: im Osten
waren es die bayerisch-pfälzischen Länder und das Königreich
Böhmen, im Süden die Markgrafschaft Ansbach und wiederum
das Herzogtum Bayern, im Westen die Markgrafschaft Ansbach,
die Hochstifter Würzburg und Mainz, die Kurpfalz und die Graf-
schaft Württemberg, im Norden das Bistum Bamberg, die Mark-
grafschaft Baireuth und die Wettinischcn Lande. Von der in
diesen größeren Territorien herrschenden Rechtssicherheit und
der darin geübten Zoll- und Handelspolitik hing demnach in
erster Linie die Entfaltung des interurbanen Verkehrs Nürnher<^^s
ab. In dieser Erkenntnis hatte Nürnberg auch schon fmher
durch handelspolitische Verträge sowohl mit den benachbarten
Reichsständen als auch mit weiter entfernten Mächten den Handel
seiner Bürger sicher zu stellen gesucht. Solche Verträge, die
Nürnberg schon um die Mitte des 14. Jahrhunderts, 1359 z. B.
mit den bayrischen Herzogen Stephan I. und dessen Söhnen
Stephan II. und Friedrich, 1563 mit dem Herzog Rudolf IV.
von Österreich schloß,') sicherten den Nümbeiiger Bui]gem, mit
1) Vgl. Rott, Oadbichte da NlmberBiKliai Haadd*. I. 91 md 4«.
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10
Jotaannes Müller.
Vorbehalt der Entrichtung der gewöhnlichen Zölle und Geleits-
gelder, die Freiheit, in den betreffenden Gebieten sicher und
ungehindert zu handeln, und versprachen ihnen zugleich, daß sie
für Vergehungen ihrer Faktoren, Fuhrleute und Wagenknechte
nicht haften sollten. Mit den Bnuidenburger Markgrafen, deren
Lande das Nürnberger Gebiet von drei Seiten umklammerten,
schloß die Stadt in den Jahren 1386, 1453 und 1496 ganz
besondere Verträge, durch welche nicht nur die Zahl der
Brandenburger Zollstätten, sondern auch die zollbaren Waren
und der Zolltarif samt dem Qeldtsgeld ein fQr allemal festgestellt
wurden. Nach diesen drei Verträgen bestanden im Branden-
burgischcn 37 Zollslitten und zwar 31 Hauptzollstttten und
6 Neben- oder Wcfarzollstätten, welche letztere at>er von den
Markgrafen infolge ihrer Neuerwerbungen in Franlwn noch
um eine ganz betiichtlidie Anzahl vermehrt wurden, so daß im
15. Jahrhundert reidilich ein halbes Hundert ZoUstfttten allein
im Brandenburgischen vorhanden war«^) Von diesen mehr als
fünfzig markgräflichen ZoUstfttten kam fQr den großen, interurbanen
Verkehr der Nfimtieiger Handdswdt aber nur etwa ein Dritteil
in Betracht, da eben der Mehrzahl dieser Zollstatten, obwohl dem
Namen nach in den Vertragen als Hauptzollslatten bezeidine^ durdi
ihre Lage an minder wichtigen Verkehrsstrafien nur die Punktion
von Nebenzollstitlen zukam. Pflr den Oflterverkehr Nürnbergs auf
den Hauptwegen des Nfimt>eigi8cfaett Handds hieb SQd, West
und Noid, nach wdchen drd Richtungen Brandenburgisdies
Gebiet passiert werden mußte, hatten jeweilig nur die zwei Zoll-
stätten größere Bedeutung, die die Anzollstätten einerseits gegen
das Gebiet von Nürnberg, anderseits gegen das Außengcbict
der Markgrafschaft bildeten; alle übrigen, dazwischen und seit-
wärts von den Hauptvcrkchri,straßen liegenden Zollstätieii kamen
in der Hauptsache nur für den lokalen Verkehr, der sich be-
sonders in den Jahrmärkten konzentrierte, in Betracht. Auf die
einzelnen großen Straßen nach Süden, Westen und Norden ver-
teilt, stellen sich die Hauptzoilstätten des markgrätlichen Ge-
bietes folgendermaßen dar:
>) Ausführliche Nachricht von Uen Nfirnbcn^fdicii ZoHprozcHcn mit den Mark-
pillicb^BnuidcBbarcisdun liodifinU. Hiniera. ilt*.
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Die Hauptwege des Nürnbergischen Handels im Spatmittcialter. \ ]
Straßen
Amolhtilttn
a\ innere
äußere
1 . Regensburger Straße
Ochenbruck bzw.Feucht
Ober-Ferrieden
z« MUnCDeii-AugsDurger
Schwand
Roth
t 1 Timor QfraftA
Schwabach
Günzenhausen
4 Hallpr Strafip
Ansbach
Crailsheim
5. Rothenburger Straße
Amme rndorf bzw. Neu-
dorf
Windelsbach
6. Frankfurter Straße
Fürth
Neustadl a. d. A.
7. Sdiweinfurter Sinße
Vach
Pricfasenstadt
8. Erfiirt-Ldinigier Straße
Bruck bzw. Tennciilohe
Btiersdoif
9. Baiieuiher Straße
Btireuth bzw. Pegnitz
Hof
Außer diesen brandeiiburgischen Anzollstätien wRitn dann
noch die zwei bayerischen Zollstätten Freistadt an der Lands-
huter und I auf an der Prager Straße und z^ei Bamberger Orte,
Pottenstcm und Höchstadl, als innere Anzolistätten für den inter-
Urbanen Verkehr Nürnbergs von Wichtigkeit
Was die Lage dieser dreizehn inneren Anzolistätten betrifft,
so befanden sich davon sieben unmittelbar an der Grenze des
Nfimbeiser Gebietes; die sechs anderen dagegen, nAmlich Ansbach,
Neudorf, HOchstadt, Potlenstein, Baireuth- und f reisladt lagen
von der Oebietsgrenze Nflmbeigs um vier und noch mehr Meilen
entfernt was sich wohl nur darauf zurflckfQhren lABt, daß diesen
sechs Orten als den NOmbeiig nSher gelegenen größeren An-
^edlungen wegen ihrer höheren wirtschaftlichen Bedeutung auch
die Vereinnahmung der Zölle zugewiesen wurde.
In bezug auf die Zahl der Zollstttten dürfte wohl die
Frankfurter Straße unter alten die bestbedachte gewesen sein;
denn außer den beiden brandenburgischen Zollstätten Fürth und
Neustadt lassen an der Frankfurttr Straße von Nürnberg bis
Würzburg im ganzen noch sieben Zollstätten, nämlich die früher
Hohenlohischen, dann Limburg-castellischen ZollsUiticn Lcinibach
und Mnrkt Einersheim, sodann die würz burgischen Zollstätten:
Markt Bibart, Altiuannshausen, Iphofen, Kitzingen und Würzburg,
Orte, die in ganz geringer Entfernung voneinander lagen.
Entsprechend ihrer geringeren Verkehrsbedeutung waren auch
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12
Johannes MfiUer.
die Rothenburger, Schweinfurter, Landshuter und Bairaither
Straße mit einer weit geringqen Zahl von Zollstttten besetzt;
innerhalb derselben Entfernung; wie sie die mit neun ZoUstitten
versehene Strecke Nümberg-Würzburg der Frankfurter Straße dar-
stellt, hatte z. B. die Schweinfurter Straße nur vier Zollstätten
(Vach, Hochstadt, Schlüssclfeld, Schweinfurt), obwohl der Wechsel
der Tel iitürien auf der letzlgeiiannten Slralie ein größerer war —
viermal wechselte die Schweinfurter Straße da das Staatsgebiet —
als auf der gleichlangen Strecke der Frankfurter Straße.
Übrigens entschied über die größeren oder geringeren
Unkosten beim Transport der Kaufmanns^^fiter nicht bloß die
Anzahl der Zollstätten, sondern auch die Höhe der Zölle, die
im Mittelalter bekanntlich außerordentlichen Schwankungen unter-
worfen war. So differierte z. B, der Zoll für ein Fuder Franken-
wein innerhalb Würzburgischen und Brandenburgischen Gebietes
von drei Pfennigen bis zu einem Oulden. Im Brandenbuiigischen
betrug nämlich der Weinzoll nur drei Pfennige, im Wfirz-
buiigischen einen Oulden.
b) Verkehrshöhe einzelner Straßenzüge.
Von der Verkehrshöhe auf den einzelnen, von Nflmberg
ausgehenden Shnßen eine einigermaßen richtige Vorstellung zu
gewinnen, ist bei dem Mangel an Nachriditen Ober die ZoU-
dnnahmen der wichtigeren Zollstätten außerordentlich schwer.
Und sind uns auch solche Nachrichten ausnahmsweise erhalten
geblieben, so stellt sich sofort die weitere ScliwiLii^keit ein, daß
sich unoige lier I'.untscheckigkeit der mittelalterlichen Zoiltarife,
bei welchen neben dem Wertzoll der Stückzoll und der Zoll
nach den Transportmitteln besonders in Betracht kamen, aus den
angegebenen Geldsummen keine Schlüsse auf die Menge und Art
der Güter ziehen lassen. In den für die mittelalterliche Wirt-
schaftsgeschichte sehr wertvollen Belegen zu den Nürnberger
Stadtrechnungen ^) linden sich aber doch einzelne Notizen, aus
') Die Belejjc nt den Nürnberger Stadtrechnungen finden sich im Nürnberger
Krciwchiv vom Jahre 147S an jahrgangsweise in verschnürten Paketen von ziemlich an-
sehnlichen Dimendonoi, die «iedor ans Dnlaaden von Udneno nktUm oder Zettd*
bändda besidieii.
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Die Hauptwege des Nfimbergischen Handels im Spätmittelalter. |$
wdclieti sich noldOrftige Aufschlflsse Ober die VericehrshOhe der
Ffinkfurter und der Landshuter Straße in besiininiten Zeit-
afascfanitten gewinnen lassen.
Die erste der hier einschllgigen Urkunden ist ein Qddts-
gelderverzeidinis von einer brandenbuf^gisdien ZoUslfttte an der
Frankf tt rter Straße - aller Wahisdidnlicbkeit nadi Neusladta.d.A.
- vom Jahre 1446, in weldiem neben Angaben aber die Oeldts-
gekler, die von den aus der Frankfurter Fastenmesse im Jahre
1446 nach Nflmberg zu Pferd heimziehenden Kaufleuten boahlt
wutden, genaue Angaben Ober die Zahl und die Eigentümer
der Wagenpferde gemadit werden, die aus jener Fastenmesse
Lastwagen nadi Nfimbetg fuhren. Damadi betrug die Zahl
dieser aus der Faslemnesse 1446 von Frankfurt heraufkommenden
Wagenpferde 19S, wozu nodi 18 mit sog. Zentnergut beladene
Wagen kamen, die tdls mit vier, teils mit zwd F^erden bespannt
waren. Nimmt man nun, wie es die Regtl bildde, für jeden
Wagen der ersten Art als Gespann vier Pferde an, so ergibt
sich als Gesaiiilzahl ditser aus der Messe heimfahrenden Wagen
die Zahl 67 (184-49).
Einen weiteren Anhaltspunkt lur die üioßc der I'rankfurter
Meßkarawanen im 15. Jahrhundert gewinnen wir aus den sog.
Freßgeldervcrzeichnissen dieses Jahrhunderts, speziell aus dem
Freßgelderverzeichnis vom Jahre 1476. Unter Freßgeldern
versteht man die von der Nürnberger Handeisweh für die Meß-
reisenden ffötgesetzten Umlaß;en zur Bestreitung der Unkosten,,
die auf Zehrung und Verclirung für die Geleitsmannschaften
gingen. An diesen Freßgeidern, die nach den drei Hauptwaren-
gatturtj^en, ^rolicn und feinen Waren und Gewand, von den Meß-
reisenden in der Weise erhoben wurden, daß für den Zentner
geringwertiger Güter, wie Eisen, Kupfer, Schwefel, Rot usw.,
zwei i^ennige, für den Zentner Feingut, wie Spezereien, sechs
Pfennige und für den Saum (4 Ztr.) Gewand sechsundfünfzig
Pfennige erhoben wurden, gingen in der Fastenmesse 1476
folgende Summen ein: für Feingut 74 13 Pf., was einer
iVtenge von 372 2^ntnem entspricht, für grobe Waren 1 96 9? 20 Pf.,
was einer Menge von 2949 Zentnern entspricht, für Gewand
403 19 Pf., was einer Menge von 21 6V« Saum (865 Ztr.>
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14
Johannes Müller.
entspricht. Daraus ergibt sich, wenn man als Wagenladung
20 Zentner annimmt, eme Gesamtzahl von 212 Wagen oder
für eine Meßkara\sane 106 Wagen, so daß sich der Meßverkehr
Nürnbergs nach Frankfurt von der Mitte des 15. Jahrhunderts
bis zum Ende desselben etwa um 33 "/^ gesteigert hätte, für
die Verkehrshöhe auf der Landshuter Straße endlich geben die
ZoUeinnahmen der Nürnberger Zollstätte Röthenbach bei St Wolf-
gßng vom Jahre 1490 gewisse Anhaltspunkte. An dieser Nürn-
berger Zollstätte, an d«r ein Wa^en mit Zentneiigutf d. h. Wein,
Salz und dergleichen, zwei Pfennige, ein Wagen mit landwirt-
sdiafUtchen Produkten (Getreide, Holz usw.) einen Pfennig
Zoll bezahlte, waren von Anfang August bis Ende Okiober
des Jahres 1490 pro Monat rund 27 (August 26 ff 2$ Pf^ Sep-
tember 26 ff 20 Pf., Oktober 28 ff) verdnnahnit wurden. Unter
der Annahme, daß die Hilfte der monaHicfacn Zolleinnahmen von
den Zentneig^tem, die andere HUfte von den groben Ofitem
herkam, wttrden auf der Landshuter Straße durch Rothen-
bach monatlich 202 Wagen mit Zentnergütem und 405 Wagen
mit groben QQIem durchgegangen sein, ein Verkehr, der in
Anbetaidit der untergeordneten Bedeutung der Landshuter Sfaafie
fOr den Nflmbeiger Handel für mittelalterliche Verhältnisse immer-
hin als beachtenswert erscheint. Gegenüber der Verkehrshöhe
der großen Eisenbahnlinien unserer Zeit verschwinden freilich
diese Wagenzahlen; aber ein Vergleich zwischen der Verkehrs-
höhe der mittelalterlichen Landstraßen und der neuzeitlichen
Schienenstränge kann immer nur unter gewissen Voraussetzungen
gezogen werden.
IV. Die NQmberger Botenlöhne im Spätmitteialter.
Ratsboten, d. h. reitende Boten, die die Korrespondenz des
Nürnberger Rates mit den vofzüglichsten NachbaislSdten und
-steaten besofgten, gab es seit dem Jahre 1449, In welchem Jahre
der Markgrsfenkrieg die Aufstellung von vier geschworenen Boten
notwendig machte. Neben diesen reitenden Ratsboten g^b es aber
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Die Hauptwege des Nfirabergischen Handels im Spilmittelalter. 1 5
schon viel früher die laufenden Boten» deien sidi die Handels-
leute zur Beförderung ihrer Briefe, fiberhaupt zur Erleichterung
des Handelsverkehrs im Spätmittelalter allgemein bedienten. Meist
verbanden sich mehrere Handelsleute, deren Handel sich nach
einer Richtung bewegte, zu einem Konsortium und sorgten gemein-
schaftlich dafür, daß einige Boten den Transport ihrer Briefe und
Päckclien für eine bestimmte Surtmie Oeldes übernahmen. Im
16. Jahrhundert, insbesondere seit dem Jahre 1571, in welchem
das Nürnberger Roten w- sen auf Veranlassung der Vorsteher des
NumberjE:er Handeisstündes vom Rate detaillierte Ordnungen erhielt,
war (.las fjrieipürto durch diese Botenordnungen auf das genaueste
festgesetzt Darnach bekam ein Bote bei Entfernungen unter
18 Meilen für jede Meile zwei Groschen; bei größeren Ent-
fern iinpjen trat eine auf Verabredung des Auftraggebers und des
Boten beruhende Erhöhunt{ des Normalbotcnlohnes em, Fiir
solche Rotengänp;e, die behufs Kundschaftserbringung von einem
Ort gemacht wurden und wobei der Bote über Tag und Nacht
an dem betreffenden Orte aufgehalten wurde, sollten für jeden
Tag drei Groschen besonders bezahlt werden.')
Solche durch die Bolenonlnung des Jahres 1571 geschaffenen
Besfimmungen Aber die Botenlöhne kannte das 15. Jahrhundert
noch nicht; trotzdem findet sich aber in der Praxis t>erei1s die
doppelte Portotaxe fQr den Nah- und den Femverkehr, insofern
als der Lohn der NOmbeig^ Bolen ffir OSnge nadi Orten der
näheren Umgebung, nach Meilen auigmlinet, bedeutend ge-
ringer war als der Lohn für OSage nacb weiter entfdrnten Orten.
Eine Obenkfal fiber die Botenlöhne im Nah- und Femverkehr aus
der Mitte des 15. Jahrhunderts, bei welcher die Orte auf den
Haupthandelsstraßen in möglichst gleich großen Abständen von
Nürnberg eingetragen sind, wird die Richtigkeit der hier gemachten
Aufstellung ohne weiteres erkennen lassen.*)
>) Vgl. bicRn die Akten des Ninoiboser Stsdtaidrivs Aber das BoteavcMn, Fanikd
1175-iStS, ImbeKNideie FwlM 11M.
I) Die Angaben fiber die Botenlöhne sind den Nnmberger Stidliwiniailgen wid
zvar Jahri^iifen des 5., 6. und 7. JahndiaU des 15. Jafarbunderts entnommen. Bezfiglidi
det Mfiaswcrt» M n bemerken, daß dn Pftuid M Pfennige oder 20 Schilling galt
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16
Ort
Ent-
fernung
Botenlohn
Taxe
pro Meile
tn Mpilm
III ivIdIWI
CZ)
Pf
Baiersdorf
4
4
8
2
Thflnngiscbe
Bamberg
10
8
1
4
und SAdnische
Koburg
17
6
3
Stnoe
Erfurt
25
1
12
8
1
5
Leipzig
4 « « /
34V,
2
6
8
5
Gräfenberg
4
4
8
2
. Vogtländer
Baireuth
1 1
11
8
\
V.
Straße
Plauen
21
1
5
8
1
3
i Zwickau
25V,
1
8
—
1
2
1
' Hersbruck
4
4
8
2
Böhmische J
Ambeiig
9
9
6
V.
StraBe
Pilsen
28V«
1
18
6
5
' Prag
42V,
2
15
—
1
5
RcBMtsburcier
Straße
Neumarkt
Regensburg
Piusau
5
13 V,
31
—
—
2
5
16
7
10
4
—
1
1
1
2
3
6
Schwabach
2
— "
2
6
1
3
Weißenburg
8
8
2
1
V,
Münchener
StiaBe
Eichstadt
Neu bürg
InKül Stadt
1 1
14
14
—
1 1
1 7
19
8
—
1
\
Vk
3
4
München .
25
1
15
1
5
Innsbruck
40V,
3
—
—
1
6
Augsburger j
weioenburg
8
8
2
V,
Pappenhetm
9V,
—
10
6
\
2
Straoe 1
Donauwörth
13
—
15
—
1
3
Augsburg
18
1
4
4
Ounzenhausen
6
7
—
\
2
Ulmer Straße
Nordliiigen
Ulm
1 1
19 V,
■
1
14
6
1
1
3
4
Konstanz
35
2
15
1
7
(
Ansbach
5
— .
5
10
1
2
HaUer Sinße
Hall
Heilbronn
13 V,
19V,
1
17
D
6
4
4
[
Straßburg
43
2
16
4
Rothenburger \
Straße |
Mergenthdm
o
13
10
16
6
4
2
3
Heidelbei]g
27
1
15
4
WürzbuiTJ
12V.
15
2
3
Frankfurter 1
Miltenberg
20
1
7
4
Straße 1
Frankfurt
27V,
1
18
4
Mainz
32
2
6
5
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Die Hftttptwcge des Nflitibersisdien Hindels In Spitnitlelaltcr. 1 7
Aus der hier gegebenen Obersidit ist zu entnehmen» daS im
15. Jahrhundert die Nikrabefger Briefboienlöhne im ganzen nach
drei TaiifBttM abgestuft waren. Die mindeste Taxe zu einem
Schilling und zwei Pfennigen ffir eine Meile galt fQr den
Nahverkehr, d. h. fOr einen Umkreis mit einem Halbmesser von
ca. 10— 12 Meilen, wobei allerdings kleinere Schwankungen indem
Tarifsätze von einem Schilling und V« Pfennig bis zu einem
Schilling und vier Pfennigen — vorkamen, ^ü^ Briefe, die an
weiter entfernte Orte beiordert wurden, bezahlte man um die Mitte
des 15. Jahrhunderts pro Meile einen Schilling und drei
Pfennige, ev. einen Schilling und vier Pfennige, wenn die
Entfernung von Nürnberg nicht iiber 25 bzw. 30 Meilen betrug.
Bei ganz großen Entfernungen endlich stieg der Tarifsatz für eine
Meile auf einen Schilling und fünf Pfennige, ev. einen
Schilling und sechs bis sieben Pfennige, wie die in der
Übersicht verzeichneten Botenlöhne für Briefbeförderun^en nach
Passau, Innsbruck und Konstanz beweisen. Den dreifachen Tarifsatz
lassen die Botenlöhne auf den sämtlichen von Nürnberg aus-
strahlenden Straßen erkennen; nur die sächsisch-meißensche
Straße macht hiervon eine Ausnahme, indem auf ihr der
Tarifsatz für den Nahverkehr demjenigen für den hemverkehr
vollständig gleichkam. Ob hier nur ein Zufall obwaltet
oder ob das billigere Briefporto für den Fernverkehr auf
der Meißener Straße auf natürliche Ursachen zurückzuführen
ist, läßt sich nach den uns zu Gebote stehenden Nachrichten
nicht entscheiden.
Im ganzen 15. Jahrhundert scheinen die Botenlöhne sich
in ziemlich gleicher Höhe gehalten zu haben; denn die Portis
der dreißig Jahre unterscheiden sich von denen der siebzig^
Jahre ganz unwesentlich. Veiigleicht man dagegen die Boten^
lohne aus dem Anlang des 16. Jahrhunderts mit denen des Spftt-
mittdalters» so etgibt sich fOr die eisleren gegenüber den lelzteiett
eine ganz bedeutende Steigerung. Die Botenlöhne waren nämlich
im Anfang des 16. Jahrhunderts gerade doppelt so hoch wie um
die Mitte des 1 5. Jahrhunderts» wie sich aus der hn nachstehenden
gemachten Oegenflberstellung detselben fOr verschiedene Orte
nach den Jahren 1458 und 1525 ersehen Uißt
Archiv (ur Kulturgeschichte. V. 2
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18
Johannes Müller.
im Jahre 1458 {
im Jahre 1S25
Schill.
Pf. 1
Schill.
Pf.
Aug:sburg
1
4
2
3
Ansbach
c
3
1 U
1 z
Bamberg
—
10
8
1
5
Ditikdsbflhl
1 1
0
1
Eidisttdt
1 1
8
1
14
Eger
1
3
2
Eßlingen
1
1 o
o
1 ti
Frankfurt
1
1 8
4
Ku Imbach
1 0
ft
o
2
fi
o
Leipzig
2
6
8
4
6
5
10
10
Neuburg
17
2
7
Rothen b 11 ri^
10
6
1
Schweinfurt
17
2
Würzburg
15
2
1
10
Ulm
1
6
2
6
Zwidcau
1
8
-
2
15
Die Botenlöhne waren also im 16. Jahrhundert gegen
früher bedeutend gestiegen, der Gewinn davon fiel aber nicht
ausschließlich den Boten zu, sondern kam iwm Teil in andere
Hände. Im Laufe des 16. Jahrhunderts war nämlich, wie in
anderen großen Handelsstädten, so auch in Nürnberg dem Boten-
wesen eine gute Ordnung gegeben und zur Aufrechthaltung der
ganzen Einrichtung ein von dem Rat vereidigter Botenknecht,
später Botenmeister genannt, eingesetzt worden. Dieser Boten-
knecht nun erhielt zu seinem Unterhalt zunächst für jeden ein-
und auslaufenden Brief von dem Adressaten bzw. Absender eine
Gebühr von 4 Hellem, außerdem aber von jedem Boten für jede
vollendete Reise ein Trinkgeld von etlichen Groschen, so z. B.
für die Reise von NQmbeig nach Breslau 5 Groschen. Zum
Ersatz für solche Auslagen war den Boten das Neujahrwünschen
und das Einsammeln von Neujahrogesdienken bei den Kaufleuten
crhiubt; diese Neujahrsgelder wurden von den für das Boten-
wesen verordneten Ratsherren alljährlich zur Hälfte unter die
Boten und den Botenknecht verteilt, zur Hälfte zu einem Spar-
pfennig für erkruikte und invalide Boten admasaiert
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Die Hauptwege des Nürnbergischen Handels im Spätinittelalter. 19
V. Die Bedeotung der HUiii* und Donanstraße fir dca
Handel Nfirnbcv Spätnittelaltcr.
Bd der hohen Entwicklung der Gewerbe in Nfimbeig im
spitecen Mittelalter, unter weichen wiederum das Metallgewerlie
durch seine Leistungen Aber alle anderm Industriezweige hervor-
ngte, muBte dem Nürnberger Handelsstand besonders viel daran
gelegen sein, die diesen Gewerben ndtigen Rohstoffe auf mög-
lichst billige Weise herbeizuschalfien. Der billigt Weg hierffir war
aber wie auch heute noch der Wasserweg^ und darum sehen
wir die beiden schiffbaren Str5me, den Main und die Donau,
die von Nürnberg aus verhältnismäßig rasch zu erreichen waren,
von der Nürnberger Handelswelt im Spätmittelalter in sehr aus-
giebiger Weise benützt. Zwar war die Zahl der Zollstätten an
den beiden schiffbaren Gewässern noch bedeutend ,c;rülkM" als a.11
den entsprechenden Verkehrswegen zu Land; aber der Umstand,
daß die Fracht für einen Zentner pro Meile zu Wasser nur
etwa den dritten Teil der Fracht eines Zentners zu Land kostete,
mußte die Kaufleute immer wieder auf die Benützung der beiden
Wasserwege bei der Beförderung von Massenartikeln hinweisen.*)
Die Massengüter, die damals auf dem Wasserwege über
Bamberg einerseits, über Regensburg andererseits nach Nürnberg
befördert wurden, waren außer üetreide, Wein und Holz vor
allem Metalle, wie Kupier, Zinn, Blei, Messing usw., ferner
Erden, wie Alaun, Schwefel, Röt, Kreide, sodann Wachs und
Papier. An Blei ahein sind z. B. am Anfanf.; des 16. Jahrhunderts
jährlich 1 2 000 Zentner von den Niederlanden auf F^hein und Main
nach Ekmberg herauf und von da zu Land nach Nürnberg trans-
portiert worden. Nach einer im Jahre 1532 vorgenommenen
SdUUzungder Ratsverordneten Sigm. Fürer, Endres Imhof und Mart
Pfinzing betrug die Gesamtmenge der jährlich zwischen Frank-
furt und Nürnberg auf dem Main ,hin- und hertransportierten
adiweren Oöter 30000 Zentner, und zwar gingen 20 000 21entner
1) Im Jahre 14«9 kostete nach den Anglben der Nürnberger Stadtrechnun^ (Nflmb.
lüeisarchiv) ein Fuder Bamberger Wein (ca, 24 Zentner) aaf dem Main von S tiMcinfurt
bis Bamberg 6 alte Pfund, d. h. 180 Pfennige. Da die Entfernung von Schveinfurt nach
Bambetf 7% Mdicn bdrigt, so kam also die Fracht eines Zentners auf dem Main pro
Meile auf einen Pfennig zu stehen. Bd derselben Weinsendung kostete der Transport einet
Fuders von Bamberg nach Nflmberg (Entfonnng 1]^ Mdlen) 2 Onldcn oder nach damaligem
Wcrti6Ptaid M Pf.,4. i. Pf. DfePMMcbmZaibwrt tM Laad koM dcnunch aui Pf.
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20
Johannes Mflller.
tnf dem Main nach Nfirnberg herauf und 10000 Zentner von
Nürnbeiig den Main hinab.
Aus Österreich und Ungarn kamen zu Schiff nach Regens-
bur^ große Schiffsladungen mit Wein,^) Eibenholz usw., die die
Nürnberger Kaufleuie entweder in ihrer Vaterstadt in den Handel
brachten oder von da in andere Teile Deutschlands und der
Naciibariänder verschleißten.
In Anbetracht dieses regen Güterverkehrs auf dem Main
und der Donau ist es erklärlich, daß der Rat von Nürnberg
eifrigst darauf bedacht war, etwaige Verkehrshemmungen des
Nürnberger Handels auf den beiden Strömen soweit als möglich
hintanzuhaltcn. Linter den den Schiffsverkehr hemmenden Ein-
richtungen standen nun neben außergewöhnlichen Zöllen, gegen
welche die Kaufleute bei der Benützung von Wasserstraßen zu-
meist ganz machtlos waren, obenan die Stapel- und Marktrechte^
die einzelnen, an besonders wichtigen Knotenpunkten des Ver-
kehrs gelegenen Orten verliehen waren. Am Main besaßen ein
solches Stapelrecht Bamberg, Miltenberg und Frankfurt, doch mit
dem Unterschied, daß Bamberg und Frankfurt nur das sog.
Knmrecht Qns kranü), d. b. das Recht der Eihebung eines
Krangeldes von allen durchgehenden Waren, ausübten, wBhicnd
das zum Erzbishim Mainz gehörige Miltenberg das eigentliche
Stapelrecht (jus emporii) besaß, welches nicht nur das Untschlags-
recht, d. h. die Weiterverfrachtung der zugefQhrten Güter durch
das einheimische Transporigewerbe, sondern auch die Pflicht der
Kaufleutcv die Waren am Stapetorle auszubulen und innerhalb einer
gewissen Zeit, gewöhnlich dreier Tage, fdlzubieten, in sich schloß.
An der mittleren Donau besaß Passau ein auf Wein und
SahE beschränktes Stapelrecht,') Wien dagegen einen auf alle
Warengattungen sich erstreckenden Stapel, vermöge dessen der
Donauhandel nach dem Orient den westeuropäischen Kaufleuten
völlig gesperrt werden konnte.*) Fiir die Nürnberger Handels-
weit, die die Donaustraße von Kegensburg abwärts benützte, kam
') So UcB s. E der Nürnberger Handelsherr Nikits Groß im Jahre 1478 ein Schiff
mit ÖMoiddier Wein, der Rat von Nfirnberg im Jahre 1492 zvd ScUfffe ösIcmiGiNr
Wdn (19S Pttder haltend) von Wien nadi Regensburg befördern.
3) M. Mayrr, Bayerns Handel im Mittelaiter und in der Neuzeit, S. M.
^ A. Scimlic Oodiidite da mitldaMeHidicn Hindds usw., I, 514.
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Die Hauptw^e des Nümbergischen Handels im Spätm ittelalter. 21
infolge dieser weitgehenden Privilegien Wiens fast nur der
Import aus Österreich- Ungarn und den unteren Donau ländern
in Betracht, während bei der Maiiischif fahrt, wie oben bemerkt,
der bedeutende Güterverkehr auch auf der Ausfuhr Nürnberger
Industrieprodukte (Blech- und Metallwaren) nach den Rhein-
landen und den Niederlanden beruhte. In Anbetracht dieses
starken Güterverkehrs auf dem Main, der den Verkehr zu Land
bei weitem übertraf, hätte die Nürnberger Handelswelt das Milten-
berger Stapelrecht jedenfalls sehr unliebsam empfunden, .wenn
dasselbe mit der Strenge und Folgerichtigkeit ausgeübt worden
wäre, mit der es bei seiner Verleihung durch Kaiser Kari IV.
im Jahre 1368 intendiert worden war. Das scheint nun aber
zum Glück für die Nürnberger Kaufleute im Mittelalter nicht
geschehen 7U sein; vielmehr ist aus dem Fehlen von Klagen
der Nürnberger über derarüge Beeinträchügungen ihres Handels
nach Frankfurt zu schließen, daß das Miltenberger Stapelrecht
von der Mainzer Regierung im Mittelalter sehr lässig gehandhabt
worden ist Erst die Neuzeit, und zwar der Regieranssb^nn
Kaiser Karls V., brachte hierin eine Änderung, indem von da an
seitens des Erzstiftes Mainz das Miltenberger Stapelrecht emstlich
durchgeführt wurde, wodurch dann der Rat von Nürnberg ge-
zwungen wurde, durch Vertrage bzw. unverzinsliche Darlehen
an Mainz (1539 u. 1563) sich die Öffnung des Mainstromes bei
Miltenbei^ zu erkaufen.^)
Im MitteUdfer waren also für den Handel Nfimbeig^
weniger die Slapelrechte einzelner Orte am Main und an der
Donau als die vielen und zum Teil hohen Zölle an den beiden
Strömen ttstig. Der Main mit seinen zahlreichen Uferslaaten
und -slaatchen, deren es von Bambeig bis Fnmlcfurt gerade ein
Dutzend waren, nflmlich die Hochstifter Bamberg, Wüizbuiig und
Mainz, die Markgrafechaft Brandenburg; die Grafschaften Henne-
berg, Castell, Rieneck, Wertheim und Hanau, die Herrschaft
Limburg-Speckfeld und die Abteien Theres und Neustadt a. M.,
war darin der Donau, die außer den beiden Sliiieni Regeuaburg
1) Vsi. de» Vcrtasen AnfWi: «Der Kwpf NfinboBi nit Kttnoalm ua die fide
Schiffahrt auf dem Main im 16 Jallffauldcrt^ UntcrlMltlliqpbktt det .FitnUidicn Knte«
190«, Nr. 52, 54, 56, 58 und 60.
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22
Johannes MfiUer.
und Passau auf ihrem Mittellauf nur noch die Reichsstadt Regens-
burg und die Herzogtümer Bayern und Österreich berührte, um
ein gutes Stück voraus. Am iMain gab es im leti^'ten Jahrhundert
des Mittelalters folgende 23 Zollstattcn, an denen der Zoll fast
ausnahmslos nach dem Zentner erhoben wurde.
WQrzburgische Zollstätten:
Eltmann Karlstadt
Haßfurt Zollhaus
Volkach Oemünden
Kitzingen Rothenfels
Ochsenflirt Hombuig a. M.
OberffaereSi zur Abtei Theres
Sdi^^rfurt}"^""^^^'«^'^^' ZoU^tätten
\MmA* { iuüb zur Grafschaft Gast eil, halb zur Hm^sdiaft
maria*Dreit [Limburg Speckfeld gehörig.
Sh?**"^"**"} ^^»eneckische Zollstätten
Neustädtlein, zur Abtei Neustadt a. M. gehörig.
FrÄerg} Werlhetmische ZoOsütl»
Mainzische ZollstiUten:
Stadtprozelten Aschaffenbuig
Miltenberg Steinheim
Klingenbog
Kesselsladlf zur Grafschaft Hanau g^örig
An der Donau von Regmburg bis Wien lagen im späteren
Mittelalter 16 Zollstätten.
Regensburg, reichsstädtische ZoUstädte.
Straubing .
Deggendorf \ bayerisch
Vilshofen '
Passau, bischöflich
Österreichische ZollsläMen.
Aschach Ybbs
Linz . Hmmersdorf
Stau ff n) Stern an der Brücken
Mauthausen oder Enns Achstein
Grein Wien
Struden oder St Nikola
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Die Hauptwege des Nflnibergischen Handels im Spiünitlelalter. 23
Die Höhe der Zölle wir an den elnzdnen Zdllstttlen ebenso
verschieden wie an den Landzollstttten; an den 2S Mainzollstatten
sdnrankt z. B. der Zoll für Zentaeignt von einem Pfennig bis
zu acht Pfennigien. Viel drückender aber ab diese Verschieden-
heiten der ZoltroUen dar einzelnen ZoUstttten waren die von
den Zöllnern geübten willkfirlidien Steigerungen und sonstigen
Scliikanen , die den Kaufleuten das Leben oft recht sauer machten.
Gerade wegen des letzterwähnten Mißstandes mußte der Rat von
Nürnberg häufig eigene Botschaften an diese oder jene benachbarten
Reichsstände schicken, um wenigstens den ärgsten Zollplackercien
der auf ihren Vorteil nur zu sehr bedachten Zollpächter einen
Damm zu setzen. Die Berichte dieser Nürnberger Ratsbot-
schaften gewähren oft einen überraschenden Einbhck in die da-
maligen schwierigen Verkehrsverhältnisse, erfüllen uns aber auch
mit Hochachtung vor dem staatsmännischen Weitblick des mittel-
alterlichen Stadtregiments Nürnbergs einerseits, vor der zähen
Ausdauer und der klugen Umsicht der Nürnberger Kaufleute
andererseits, die das immer dichter werdende Netz ihrer weitver-
zweigten Handelsverbmdungen so fest zu knüpfen verstanden,
daß auch nach dem Sinken der deutschen Volkskraft zu Beginn
der Neuzeit der Nürnberger Waren handel einen der kraftvoller
entwickelten Zweige des von schwerem Siechtum befallenen
Baumes des deutschen Handels bildete.
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Christian Adolph v. Anackers
Beschreibung seiner Reise von Wien nach Lissabon (1730).
Mitgddlt von TH. RENAUD.
Das Reisetagebuch des hierrn v. Anacker, dessen ersten Teil,
die Reise von Wien nach Lissabon, wir hier abdrucken, ist im
Besitz der Frau Geh. Rej^aerungsrat Schricker in Straßburg, einer
Gfcborcnen von Anacker. Der zweite Teil bcliandelt die Heim-
reise uher Hamburg. Warum machte die vornehme Reisegesell-
schaft auf der Hinreise den großen Umweg zu Land über
Amsterdam? Wäre es nicbt bequemer gewesen, von Triest aus
durchs mittelländische Meer zu fahren? Gewiß, wenn man nicht
die - Seeräuber gefürchtet hätte, vor denen Europa sogar im
atlantischen Ozean (vgl. S. 51) damals noch bangen mußte! Daß
das Reisen zu Land im 18. Jahrhundert arg beschwerlich war,
ist ja bekannt Der Reiter oder Fußgänger hatte es besser als
die Insassen selbst gut ausgestatteter Wagen. Aber was unsere
Gesellschaft trotz des Reisemarschalls^ den sie bei sich hatte, für
Ungemach ausstand, geht doch wohl weiter, als man sich insge*
mein vorstellt Außerdem ftüt aus den anspruchslosen Aufzeich-
nungen des Verfassers auch sonst mancherlei Licht auf die
Kulturverhftitnisse jener Zeit
Die Satzzeichen habe ich nach unsem Regeln eingetragen.
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AmchoB B^KhrdlNtng adner Reue von Wien nadi Lteabon. 25
Reiß- Beschreibung
Von mir
Christian Adolph v. Anacker,
Ritter des HdL Jacobi^)
Verriditd Anno 1730 d. 23. Merz
aus Wienn in Oesterreich
bis Ußabon in Portugal,
allwo ich d. 16. May anni cjusdem
arriviert bin.
AIB ich den änderten Merz 1730 gegen Mittag mit meiner vican
freu Mama, Maria Gara v. Anacker, gebohme[n] Arnold v.
Amoldsberg; meines Vaters Christian Adams v. Anacker, Könis^.
Pölnisch und Chur-S&chsischen an den Wienner Hof Sub-
sistirenden Residenten und Rath sei. hinterlaßenen Wittib, welche
als K«nmer-Frau-) bey derKönigl. May. v. Portugall, gebohmen
Erzherzogin von Oesterreich, Maria Anna,") resolviret wäre;
aus ihrer Bduiusung gegen Mittag zu Monsieur Stsß, einem
Vfittem der M"* Isabelle Lambrecht, so eben an dem Portu-
gesischem I-Iof als Kammerdienerin angenommen wäre, gefahren,
seynd wiir allda magnifiqiie tradiret worden, allwo unter andern
Hr. V. Eckhard, Wienner Stadt-Anwald, und Ilr. v. Alhtecht, da-
zumalil resolvirter Resident an Porlugesischen Hof, auch speiseten.
Nach der Taffei seynd wiir aufgebrochen und in Stadts-Wägen
in die Leopold-stadt gefahren. Allda warihettn unserer 2 große*)
Reiß-wägen, in welche sich aber die 2 Dienstboten mit der mit-
genommenen Köchin für seine May. setzen musten; wiir (ihrige
aber fuhren in 2 chaisen, jede mit 4 1 Pferden bespannet, bis in
die erste Station, nemlich Lang-Engerstorff.*) Bis dahin gäbe e^JJJ^
uns das geleith W Staß und M"" Eckhard, so änderten Tags
mit diesen 2 chaisen nach Wienn retournitret. !n diesem orth
seynd wiir wohl bewürthet worden, auch ein guth Nacht-lager
angetroffen. Den 3'^" dito seynd wiir nach eingenommenen
frübe-stuck und nach beurlaub-Nehmung von bemddten 2 Herren
1) Die Anacker gehören zum erblSnd. österr. AddMiUld. — Jikob tdib Sdnrart»
ordexi, portui^lestscher Zivil- und Militär-Verdienstorden.
2) Hofdame.
s) Maria Anna jaflcpha, Tocbter Kaiser Leopolds K, Sdiwesler lüdaer K«ris VI.,
fib. 1683. gest. 1754, sdt fm Oenahlln JoIimim V. von Portugsl.
') Oriß. : grossen,
>>) Lang-Engersdorf.
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26
Th; Renaud.
in die schwären und mit unserer Bagage besdiwflhrten wigen gt-
StodKMi sessen und bis Stocke rau gefohren. Wiir hatten g;uten weg; auch
hier in einen wohl dngierichtden QasttutuB zu Mittag gespeiset
Von dar aus rfidden wiir forth bey schlimmen und gefthrh Weeg
wddmtorff bis Weicicerstorff allwo wiir paßable beherberget wurden. Wiir
waren in allen 8 Persohnen, als: JMeine Mutter, A. A. P.
Leopoldus Wezinger S. J., SO als beicht-Vatler dahin reisete, M'^
Lamlnedit, ich, Hr. Rdß-Commissarius Oerardus Harsdig^mb^
ehi Holunder, Mdner Mutler Mensch, der M^ Lamlmecht Mensch
und die Königl. Köchin. Wiir fuhren allzeit in diesen 2 wflgen,
so von Fuhrmann Penisch waren, welcher für diese 2 wägen
von Wienn bis Amsterdam 600 von Hof accordirter maßen
bekamme; über die fuhrieuthe aber war ein Schaffer, so die
Wägen, rferdt und Kutscher in Coimnissioii iiaüe.
Den 4^ dito haben wiir um 6 Uhr frühe diesen Orth
MaiBa verlaßen und einen sehr schlechten Weeg bis Maißa') gehabt,
an diesem orth aber ein gutes Mittag-Mahl eingenommen, und
nach genommenen Caffee setzten wiir unser Reiß des Nachmittags
forth. Wiir halten großen Schnee; doch erreichten wiir endlich
Horn die wohlgebaute Stadt Horn, in welcher wiir ein ß^utes quartier
antraffen und mit guten humeur uns zur Ruhe gaben.
Den 5*" dito haben wiir uns um 4 Uhr wieder aufge-
macht, und nach ano;ehurter Hl Meß seynd wiir bey großen
Bm« Schnee und eini(j;cn waRer-^ctahrcn bis F^riin^) gefahren, allda
auch zum übiesten em pauvres Würthsiiauß gefunden. Doch
seynd wiir mit aller gelaßenheit wegen dem iiblen tractament
Sdwmeiim bey viel Kälte und Schnee bis Schwarzenau gefahren. Bevor
wiir in das Dorf! gefahren, hätten wiir bald das unglück, in den
Bach gestürzet zu werden, une dann würklich der Wagen tief
gestecket. Nach welchem Schrecken wiir ein guthes Nachtlager
nothwendig hätten haben sollen; allein es war ein miserabler
Orth, der Würth mitsamt dem Hauß nicht Viel werth.
Den 6^^ dito nach genommenen Caffte fuhren wir um
6 Uhr forth; wiir hatten guten Weeg, wurden aber dodi ge-
peitdt^) Das Mittagmahl war zu Schrembs»*) einem Dorff,
>) aro6-U vikeridorf. *) Mai$$au. <) Brunn. *) beuteln = schütteln.
Sdiitins.
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Anackers Beschreibung seiner Reise von Wien nach Lissabon. 27
eingenommen, so wohl zugerichtet war. Nach den Tisch rückten
wiir weiter und kamen in die gränzen des Königreichs Böheim.
Bevor wir dahin kamen, hatten wiir einen 4 stund langen waldt
zu paßiren und zwar bey großen Schnee, Wind und Kälte.
Endlich kamen wir zu SuchenthalP) an, wo wir gute Zimmer SadiendMii
und Kost, auch einen freyndl. würth antraffen. Allein wiir
erfuhren Hey all unseren fatigues, daß in ganz Böheim verboten
wäre das Meisch-Essen und wiir wenig dergl. bekommen würden»
welches uns zimlich constcrnirtc. So hätten wiir auch keinen
Wein bekommen, v/ofern wiir nicht einen von Wienn noch hätten
gehabt. Allhier hatten auch die Zöllner unsere Ba,y;age visitiren
wollen, allein unser Hr. Commissarius hatte ihnen die Hoffnung
benommen, da er ihnen darvor eine lange Nasen gezeiget
Den 7*™ dito seynd wiir mit dem Tag in die Wägen ge-
sessen, und weilen kein Einkehr anzutreffen wäre, sind wiir bis
3 Uhr gefahren und in das feine wohlgebaute städle Budweys BaOm^
arrivire^ allda das Mittagmahl und Nachtmahl zugleich um 6 Uhr
eingenommen, so techt wohl zubereilet wäre, nach welchen wir
ein wenig die Sladt besehen und endlich uns bei lustigem humeur
zur Ruhe auf das Strohe begeben. - Wie wir in dieses Orth
gefahren, so tfaat ein zerlumpter Soldat, so die Wacht hatte, so-
gleich das gewehr presentiren und den hutti rücken, und nach
gebrauch dieser Kays. Stadt sogleich bey den BurgO'-Meister die
ankunfft der Kays. WSgen (dann jeder wag^ ein gelb und
sdiwarzes fiUinlem vorausslecken hatte) andeuten. Dieser schidde
2 mahl zu uns einen eben deigl. miserablen Soldaten mit Befdili
den Kays. Paß zu ihm zu bringen, weil er nicht glaubefe, daß
es Kays. Wägen wären. Als diese einfältige Post*) unsem Hr. Com-
missaiio die Oall in die Naßen getrieben, ließe derselbe dem Hr.
Buigienneisler zurückh melden, Er werde gewis nicht kommen,
sondern, so er zweifelt, soll er selber in Persohn kommen und
die Augen in PaB stecken, welche Antworth Hrn. Buigermdster
zur Ruhe gestellet, daß weder Er noch wer anderer kommen.
Den 8'*^" dito, da die liebe Sonne aufgienge, seynd vair
bey schönen, warmen Wetter zu Seises,*) einem zwar schlechten s*i«3
>) Suchenthal, hart «n dar bahtlKhcii Ortiue. <) Botiduft. ^ Sdie (Sedlcc)?
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Th. Rmud.
Dorff, doch guten WArflnhauß abgestiegen, aUwo uns die vor
die Königin mitgenommene Kflcbin gekochet, so auch öfters ge*
schehen, wann die wflrthin nicht viel werth wäre, Madi Usch
haben wiir 2 kleine Mellen gemacht und bey Tag in den kleinen
FoMm Städtl Podnian*) ankommen, wo wür übernachtet Dieser Orth
ist schön und etwas fest, aber gegen Budweiß nicht zu vergleichen.
Den 9*^" diio haben wiir uns um 6 Uhr nach einge-
nommenen Frühestuck aus diesen Orth gemacht und einen zwar
schönen, doch fatalen Tag gehabt, indem der große Wagen um-
geworfen worden, doch also, daß nichts in das Waßer, in welchem
er läge, gefallen, sondern das gestell, auf welchem die Bagage,
läge im Waßer, der Kasten aber wäre an die seiten-Felsen ge-
lehnet, daß ohne besonderen schaden alles darvonkoniinen. Aus
diesem Wagen stiege der P. Jesuit, die Mad"* Lambrecht und
ihr Mensch, zuletzt Hr. Commissanus, so die gröste gefahr hatte,
dann er im schlag säße und die finger sich an den Felsen, wor-
auf der wagen gefallen, zerschunden. Die einzige Sorg wäre,
ob niciit alle Bagage von dem Waßer ruinirct seye; allein da
abends alles abgepacket und visitiret wurde, ist alles schadlos ge-
funden worden. Die Fuhrieuth waren betrübt und rufeten öfters
zu Gott, hohleten auch bauem aus den Nächsten Dorff, so auch
kommen und mit den Fuhrleuthen bis an die Knie in waßer ge-
gangen, endlich doch den Wagen in die Höhe gebracht Meine
Mutter stunde mit mir und ihrem Mensch samt der Königl.
Köchin gegenüber den Waßer, etwa 40 schritt davon, und wäre
Selbe in Sorgen, wie es unsern oben so schwehr gepackten wagen
eigehen würde, weil wiir das Waßer zu paßiren hatten. Allein
unser Kutscher nähme die Reyhe*) befier, so da6 wir gufh durch-
paBireten. Bald darauf hatten wiir einen Engen, steinigen und
Eysigten*) Weeg, in welchen der andere Wagen wieder zum
fallen kommen wire, wofern er nicht von 3 Ptersohnen erhalten
worden wire. Weil er aber mit 4 pferden nicht forthkommen
kunte, musten 2 pferd von unsern Wagen genommen werden,
auf daß er aus den Klumpen gebracht werden kunte. Endlich
zackcmfinit scyud wür um halber 2 Uhr in Zuck ernthall angekommen;
aber die wQrthin war schlecht, mithin mußte die Königl. Köchin
I) WodfllMi. 9 RkhUuif. i) vocialBL
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Anackers Beschreibung sdner Reise von Wien nach Utsabcm. 29
kochen. So hatte ich auch hier zum dritten mahl das lieber und
wäre sehr kranit, daß ich meiner Mutter großen Kummer machte,
wdl ich es auf den Weeg schon bekäme. Auch haben wiir unter
Wdx gesehen das schöne Schloß Wetzstein, so dem Fflfst
V. Schwaizenbeiig zugeh6ret und eines untern denen Schönsten
Schlößem is^ so Selber hat Wiu* sind auch durch dn klein
sOdl Strackonitz*) gefahren, so zwar etwas fest aber doch kein
große Zierde hat Die Herrschaft Zuckemthall aber, so auch
ein sehr schönes Schloß hat, gehöret denen P. P. Sodetetis Jesu
von Olaitau.*) Von Zuckemthall wolten wiir nach der Stadt
Horashovitz fahren; allein es überfQhle uns der abend,
welcher uns gezwungen, zu Hostitschik*) zu bleiben, so ein HottttMidk
dem Collegio zu Glattau zugehöriges Dorf ist, wo wir guthe
Zimmer und speisen fanden, nach welchen wir Rosoglio*) zu uns
nahmen und in Gottes Nahmen uns auf das liebe stroh begaben.
Den 10**" dito haben wiir uns wieder frühe auf den Weeg
gemacht und bey schöner Zeit auf Mittag in den Dorf Aufleckh«) Aufitdih
In einem pauvren Bauern-VVürÜis-Hauß eingekehret, allwo weder
Fisch, noch Schmalz zu haben wäre. Die K'önigl. Köchin aber
muste doch was machen, unseren [iunger zu stillen. Nach
Tisch suchten wir wieder unsere Wägen und fuhren glucklich
in die Kays. Stadt Olattau, so cm schöner, mit vielen Clösfern OJattw
gezierter Orth ist. Weilen wir mittags henthe tu Auficckh mit
Speisen wenig versehen waren, so haben wir es dem abend desto
mehr eingebracht, auch wohl geruhet Ich aber wäre dieser
Nacht sehr Kranck und Hatte eine solche Hitze, daß meine Frau
Mama glaubte^ ich bekommete ein Hiziges Fieber. Meine Frau
Mama ließe mir gleich die Medicin machen, deßen(!) Reoept sie
von Wienn mit hatte, machte auch ihr Anndacht zu den großen
Onaden-Bild, so in der Pforr-Kirchen dieses Orths ist, wohin
selbe mit denen übrigen gienge und dieses Frauen-Bild sich zu
kfißen geben ließe; ich aber bliebe wegen Kranckhdt zu Hauß.
Den 11*" reißelen wiir wieder aus Olattau, aber einen
trüben und fatalen Tag und Weeg^ indem erstlich Beede WIgen
>) Strakonit*, Stadt mit Pc/irksamt. *) Klattau. ») Horazdjowjtz JcmjI.
*) Hosttofr *) iUlienischer Likör tos Oraugdilfltai, Früchten und Onrürzen.
<) ZmldnDV CSnfIcdO.
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I
30 Th. Renaud.
von einer großen anhöhe bald hätten können in die Moldau (!)
stürzen, wann selbe nicht von 4 starken Kerlen wtren gehalten
worden und wir nicht ausgestiegen wftien. Nach diesen hatten
wir so enge» mit Eyfi und schnee bedeckte Hohl-Weege, daß die
Wägen offt au! die gestfttle^) aufgefahren und die Axen die Felsen
gestreifet und etL mahl mit großer mühe deren Menschen und
Pferden haben können herausgebracht werden. Endlich arrivirten
stobnn wir doch nach so vielen ge&hren zu Stobra 11,*) einem Dorff.
Das Essen war paßable, und hatten wir alles von Olattau mitge-
nommen, weil wir erfuhren, daß in Stobnül es eloid zugehe.
Nach tisch fuhren wir weiter, und wäre uns das Wetter sdir
BbdMMdnits favonble. Abends stiegen wir zu Bischofsteinitz*) ab, dner
Stadt Wir wurden aber hier, respecüve vor dn') Stadt, schlecht
bedienet Da wir in das WQrtfashauß kamen, hatten die Bauern
darinnen wegen dnem Udnen stüdd Tabadc einen Handd, so
daß sie handgemdn wurden. Der Wflrfli wolte Pried madien,
bekam aber auch ein paar Maulschellen,* mit welchen er uns ent-
gegengienge und, ohne was daraus zu machen, uns fragte, was •
wir essen wollen. Wir waren aber müdt von der Reyß, sagten:
er soll geben, was er hat, giengen zur ruhe und lachten noch in
Beth über des Wurths seine Ohrfeigen.
Den 12*", weil es Sontag wäre, haben wir zu Bischof-
teinitz unsere Andacht verrichtet. Der Hr. Pater Wezinger laße
die hl. Meeß, und nach genonuuenen Fruhe-stuckh setzten wir
unser Marche-Route forth; aber sie wäre diesen Tag sehr ge-
fährlich. Doch arrivirten wir mittags nebst gottl. Hüif zu
WdtvSaiz Weisen-Su iz/) allwo wir in einem guten Gasthauß bewürthet
wurden. Dieses Orth gehöret den Oraff v. Zucker. Allhier
wolte man uns kein Fleisch kochen, weil es der dasi^e Hr.
Haupt-Mann verbothen hatte. Alß aber unser Hr. Commissarius
selben darum besuchte, hatte er es mit sehr hoffiichcn terminis
erlaubet, mit beysctzen, daß die Reysenden von diesen betehl
ausgenommen seynd. Auch war in diesem Würthshauß ein anders
Weib, so aus einem andern Dorff wäre, aber dahin gegangen,
>) auf das OrstcIIr? (Oestitte bedeutet u. a. Damm, so vielleicht auch hier. Vgl.
Qrimm, IV, t, 3, 4205. D. RoL). ^ Was ist gemeint? ■) Bischof trinitz, Stadt mit
SchtoB and haUMM. ^ fSr ciofc «) Wdflduob.
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AnaclRR Beadirdbtmg seiner Reise von Wien nadi Usstbon. 3t
um hervofzugdi'n,^) und welches zwey andere Weiber begleiteten,
wie auch eine brave gesunde Dim mit einem Mantel auf der
Achsel dirbey war^ über welchen Mantel wieder wdßcs Tuch
mit Spitzen wäre» worunter sie der iCindt-Betherin Ihr Kxad trüge.
Diese 4 wdbs-bilder, ohne was g^ieBen zu haben auBerdem Ifeben
Brod^ haben Brandt-Wein und noch 5 große Krüg Bier, welche
mehr als 6 Wienner Maaß ausmachten, getnincken, worbey sie sehr
lustig wurden. Meine Frau Mutter ließe sich mit diesen Weibern
in einen Discours ein, worbey wir ziemlich lachen muslen. Nach-
dem sie forth waren, sagfte man uns, daß sie eben vor einem
Jahr hervorgegangen seye und sich an Bier und Brandtwein so
angetrunken, daß sie in nach Hauße gehen das Kind von dre|
Wochen verlohnen, und eine aus denen Weibern erfrohren \<,äre,
so sie nicht von leithen gefunden und in das Würthshauß wäre
zunickgelragen worden. Um 3 Uhr seynd wir wieder zu Wagen
geseßen und mit genommener Vorspann über einen sehr Hohen
berg in das Dorff Eysendorff-) eingerückhet. Das nachtlager Eysendorff
hatten wir in einem schlechten Bauern-Würthshauß. Das Eßen
paßirte, allein wir 8 Personen musten uns mit einem 21immer
behelfen; wir waren aber doch gutes Humeurs.
Den 1 3^*^ dito seynd wir mit dem Tapf forth gefahren
und aus den Königreich Böhenn in das Ffalz-Bayr. gebuth
übergetretten und zu Mittag in dem Neue[n] Würthshauß, ein wirSitauB
Vierti stund von der kleinen Stadt Forderaus^ (so pfälzisch
ist), gewesen. Vor unserer Ankunfft ist des Nachts der Wurth
gestorben, so Tags vorhero in schlittenfahren sich eine Rippen
eingestoßen. Den todten Mann hatten sie im Keller geleget, und
wir hatten in diesen Zimmer speisen mäßen, wo er gestorben.
Als wir in das Zimmer tratten, fragte meine Frau Mutter gleich
um den Würth; aliein da safie ein junger Flegel, so der Sohn
wäre, und dn alter Mann am Tisch. An stat^ daß der wilde
Dieb sagen solte;, er SQre es» sezte er mit aufgesezten Hutfa den
Bier-Krug ans Maul und zöge mit gröster gemachlicfakeit heiaiis.
Der alte aber erzehlte uns die ganze afhure von den WOrth.
i) in der Kirche aU KlndbcHcrin.
I) Elaoidorf (mit ZoUamt).
1) Wohl der MaiMIed« VotamtiMS.
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32
Th. Renaud.
Auch wäre dieses der erste lufhrisdie Orth gewesen, allwo wir
anfiengen, den P. Jesuit (so ohne dem von Wicnn aus schon
weltlich gienge) einen Hr. v. Wezinger zu nennen. Vor unserer
Ankunfft wäre diesen Idthen von der Stadt Fordersus alles ge-
sperret worden, daß wir nicht ein refaies Ttschtucb, sondern ein
altes lailach auf den Tisch hatten, welches meine Fr. Mutter gßx
glaubte von todten zu seyn. Man hatte weder Schüssel und
Dellei noch was aiKleres, sondern alles, \*^s da war, war krauß-
lich, und waren wir froh, da wir wieder forthkammen. Dieses
Hauß ist ganz allein gelegen, und war es recht forchtsam. Die
magden waren auch unsauher, dai> die Konigl. Köchin band an-
. legen muste. So ist der lodte auch bei dem Bicr-Vaß in Keller
gelegen, wovon uns das Bier gegeben wurde. Der strich land
von Böheim, so wir durchgereiset, ist sehr wohl bewohnet, mit
schönen Oüthern u. schlößem gamiret und mit unzahlbahren
Fisch-teiichten') versehen, jedoch vor die Reisende nicht zum
Besten eingerichtet, theils wegen der gar zu schlechten Einkehr,
theils wegen der schonen Höflichkeit; dann sie ein wenio; belkr
In Wörthshäußern als die Ochsen Die gefährlichkeiten der
Straßen wegen der ailzuschlimmen wecj^e sind nicht auszu-
sprechen. Meine Frau Mutter, so sich gern mit diesen leithen
einluße, fragte sie öfters, ob sie all ihr lebtag so grob gewesen,
und dabei so alt worden. Allein sie lachten, und wir mußten über
meine Mutter lachen. Nachdem vieleicht iceiner seinen Appeüt
gestillet haben wird in diesen, den Nahmen nach Neuen, in der
that aber baufälligen alten Würthshnuß, ruckten wir in das
Pfalzische Hohe gebürg, wo sehr tiefer Schnee und scharfer Luft
wäre. Auf der Höhe wurde uns ein schöner Linden-Baum ge-
wiesen, der ganz allein auf dem gebürg branget, so daß weith
herum kdn anderer Baum zu sehen isL Mas s»gji, daß diesen
Baum ein armer verlafiener Handwerks-Purscb dngeselzet habe;
sind auch in diesen bäum viel f 00 Nahmen eingeschnitten. End-
wcnbcif lieh bei guthen Abend waren wir in den Markflecken Wernberg
angduiget und in einem wohlversehenen OasthauS abgestiegen,
allwo wir guth gdebet und zum ersten mahl den Nekarwdn
getrunken. Bey diesem guthen Nachtmahl veigsfien wir auf das
1) künstlichen Fischteichen.
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Anackos Bescfardbimg sdncr Reise von Wien nicli Uasabon. 33
unapetitlidie Neue WflrtfasliauBi wo wir Mitttg» leyder waren,
und waren recht lustige welches doch vor Iceinen effect des Nelou'-
weines zu halten, sondern unser freydt wäre, wie deren Soldaten,
so in einen Tag vergeßcn, wann sie 2 tSg nichts zu essen befcommen.
Den 14^ dito musten wir wieder um 4 Uhr auff; bis
wir aber uns zusammenbrachten, war es 6 Uhr; hatten aber dnen
guten Wecge und langten Mittags in der WeHberühmten stedt
Hirschau bey guten Wetter an, wo wir wohl mit Fischen be- Hindhaa
wfirthet wurden; dann kein Fleisdi nldit vofhanden wäre. Als
wir in die Stadt fuhren, empfangete uns der Thurmer, so auf
den Stadt-Thum in die trompeten blasete. Unter den blaßen
aber war schon ein bub als envoy^ geschickt um ein trinckgeld,
so neben den wagen luffe, bis er was bekäme, in dieser stadt
haben wir nicht wenig gelachet, weilen der Wurth sehr aufrichtig
wäre und alle Hirschauer-streiche frey erzehltt;, als: Von den
schwarz Sameten Ermel, welchen der Bürgermeister auf den
Rathhauß anzulegen pfleget, so ein Rath gehalten wird, und mit
diesen Ermel sich ans Fenster lehnet, daß man glaube, er habe
ein schwarz Sammetes Kley i an. Item das Radt auf den Stadt-
Thurn, mit welchen sie den Ochsen auf- und abgezogen, damit
er das Graß solte freßen, so auf den Thum gewachsen. 3tens
der Mühlstein, so vor der Stadt Hirschau lieget und von dar
nach Amberg 3 Meyl weith hätte sollen geführet werden, und
da derselbe zu Amberg hat sollen abgeladen werden, auf den
Wagen nichts gefunden worden.
Folgendes ist mit unsern Wurth, so unser Mittagmahl machte,
vor 8 Jahren arriviret, wie er es selbsten, da wir ihn preßirten,
weil wir es schon in vorigen würthshauß gehöret hatten, gestanden:
Er heurathete seine Frau als Wittib; sie hatte mit ihren
ersten Mann 14 Jahr gelebet und kunte selben nicht vergeßen.
Als dieser ihr anderter Mann eben nicht zu Hauß wäre, kämmen
2 Handwerks-Pursch und nahmen einkchr. Sie fragte selbe, wo-
her sie kommeten; einer der Purschen sagte: Von Paris. Die
gute Frau verstainde von Paradeys und fragte also gleich: ob sie
ihren unüngst verstorbenen Mann nicht gesehen, und wie es ihn
gehe. Die aigen Vögel erkannten so gleich die Simplidttt des
Weibs und sagten: sie bitten diesen Mann gesehen, und daß
Archiv für Kultnrfeschichte. V. 3
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34
Tb. Rentiid.
selber im Päuadeys Viel erdulden mbssc, wdl er niclils hätte
anzulegen, auch es Ihme an geldt fdite, um welches sie eben
fhigte. Die Frau wäre betrQbt über ihres vorigen Mannes zu-
stand und fragte, ob sie nicht wieder in das Paradeys zurück-
giengen. Sie sagten ja. Die Frau bathe also, etwas mitzunehmen,
und als die Pursch sich anerbothen, gäbe sie ihnen 10 alte
Thaler und eU. Ellen Tuch mit bitte, es riditig zu flberliefem,
und denen Purschen gäbe sie zu Essen und zu trincken, womit
die Pursch abrdBeten. Als in dn paar shind der Mann nach
hauß käme, erzehlte selbem die Frau den ganzen Veriauff mit
grOster Freydt; er aber wurde zornig Ober diese Einfklt; sezet
sich zu Pferd und reitet diesen Kerlen nach. Selbe weiten eben
in einen waldt gehen, und da er ihnen zusprengete, luffe der,
so das geldt und Tuch hatte, im waldt, der andere aber bliebe
stehen. Da der Mann bey diesem anlangete, fragte er ihn, ob
er nicht 2 Kerl gesehen, er sagte: ja, sie Seyen in diesen waldt
gegangen. Der stiege von Pferdt und bathe dcti Kerl, er möchte
ihm das Pferdt halten, er wolte zu fuß in waldt liiiiemgehn und
suchen. Er thate dieses; da aber der Mann kaum in waldt wäre,
ritte der Kerl mit den Pferdt auch davon. Da der Mann nie-
mand in wald sähe, Icehrete er um und wolte sich wieder zu
Pferdt sezen und nach hauß reiten. Allein da er aus den waldt
wäre, wäre der Kerl mit den Pferdt auch vor den Deitfel gt-
gangen; niuste also mit eigener geicgenheit nach hauli ziehen,
und sich miteinander ihrer tmfait trösten. Der Mann sagte so
Cfar, was es vor ein Pferdt wnre, und was es ihme p:ekostet; er
schämete sich doch etwas, weil wiir so sehr gelachet, da die beede
leuthe alles so franchement erzehlet Und diese Unterhaltung
hatten wir bey Tisch. Sie erzehlten auch, daß vor 8 Wochen
die HH. v. Hirschau ein Trachunent angestellet und wegen der
Prooedence vor der Tafel einen großen streith gehabt, und ist
es so weith gekommen, daß alle und jede sich bis auf das Hembd
ausgezogen, von dem Stadtdiener abwägen laßen und sodann den
Rang nach eines jeden schwehre und gewicht observiret. Nach
den Tisch hatten wiir nicht gar lang zu reisen, bis wir nach
HiiribMii Hambach,*) welches ein Marckt-flecken ist, gekommen. Hier be^
>>HilnbMfa.
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Anadcers Beschreibung seiner Reise von Wien nach Lissabon. 35
Rdchl-
kamen wir Frankner- und Rheinwein aufgesezet, aber gar idcine
Maaß; hatten auch abends Fleisch geessen; dann wir nahmen,
was zu bekommen wäre.
Den 15''" dito frühe hatten wir einen Harten Wecge an-
getroffen, so viel Schnee Matte, daß die Pfcrdte offt sehr tieff
hinrinfuhlen. Nach diesen war ein steiniger Weeg, dai'j man
glauben hätte sollen, die Räder geheten in stucken. Mittags
langten wir zu Hau p t-Manns- Hof , ^) einen nicht unebnen
Marckflecken an und haben in einen /war luth., doch wohl ein-
gerichteten Würths-Hauß zu Mittag gespeißet. Nachdem wir
unsere Kräften erhohk-t, seynd wir durch theils beßeren, iheiis
bolk-ren Wee^' bis Reich Isch wang,*) einen nach Nürnberg ge-
hörigen Dorff, gefahren, allda übernachtet und wohl gelebet.
Den lö**^" dito fuhren wir mit den Ta^^ und bcy £njten
Weeg weg und kamen um 1 Uhr Mittags m Nürnberg an. Nürabeii
Wir hatten mehr Zuschauer bey dem absteigen, als man glauben
wird. Wir logirten in der (!) Schwann auf den Platz und speißeten
um 3 Uhr. Nach diesen giengen wir aus, um die Stadt zu sehen.
Die leithe luffen zusammen, uns zu sebeni als wann wir andere
Menschen, als sie wären. Wir blieben auch den 17^^ dito
allda, um Rast- tag zu Halten. Da ließe sich meine Frau Mutter
einen Schuster Hohlen. Als dieser in das Zimmer käme, glaubte
Selbe aus seiner kleydung^ Es seye ein abb6 od. geisü., gienge
ihme entgegen und fugte, was zu seinen diensten wäre. So
gdie er steh den Titui eines Schusters, worauf er ihr mit samt
seinen schwarzen Mantel, Oberschli^ und schwatzen kleyd die
Maaß nahmen welches wohl uns lächerlich wäre. So gehen auch
die Frauenzimmer, so in der klag^*) mit weißen tfkchem über den
Kopf, welche bis auf der Erde langen; unten aber haben sie
dnen schwarzen Roddi; die Tflchcr haben sie auf, mt die
Faschen-Kinder^) die Ougeln. Wir fragten, warum dann gar so
vid leithe klageten, indeme alle augenblick solche Klaggeister uns
begegneten, so sagten sie, daß sie um alle leith und kinder
klagen. Auch so ein todtes kind gebohren wird, so khiget die
ganze Freundschaft Die aber diese Trauer nicht Haben, haben
>) Hartmannshof i| RddiaiJdlwmd«
Scfameller, 1*, 779. D. Ked.
•) in TiMcr.
3*
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36
Th, Renaud.
eben dergl., aber grüne Tücher, mit grön seidenen Spitzen gar-
niret. Die häuser seynd von holz^) und gemahlen, indem sie
viel auf die Fresco-Malerey halten.
Den 18^ nach genommenen Fruhe-stuckh fuhren wir aus
Nürnberg, allwo unsere Wägen breitere Axen bekamen, so um
•/« breiter als die vorige waren. Wir hatten guten weeg bis
Botcfaendorff Buschend o rf f , so der erste orth ist in Bareuth, allda miltag-
mahlten wir paßabie. Nach Tisch hatten wir üblen weeg und
einen langen finstern Wald zu paBiren, daß wir bey finsterer
m*dflyß ^^^^^ S Bareuth: Stadt Neustadt an d. Eyß») an-
langten, allwo wir bey einen Wurth abgewiesen, bey den anderen
aber angenommen und wohl bewürthet wurden. Allein wir wären
bald in Zimmer vor Rauch ersticket. Diese stadt hat ein schönes
Rathhauß und eine schöne Uhr, die alle siundt, Minuten, Sol-
stitia, Monds-Anderung und mehr dergl. zeiget. Auch war alU
hier sehr xerdrußlich, daß die Nachtwächter, dn sie die stund
ausrufften, jedes mahl Vorhero mit einem großen Kuhehorn ein
blasendes zeichen gegeben und nach den Ruffen wieder m das
horn so vil stoß gethan, als die Uhr geschlagen hat, wordurch
unser schlaf sehr turbiret worden, welchen wir doch brauchten.
Den 19*«" dito seynd wir zeitig abgefahren, und wegen dea
Morastige Weeg haben wir vor jeden Wagen 2 Pferd Vorspann
genommen. Mittags spdßeten wir in den Catholischen Marek--
flecken Bibarth.*) Dieser orth gehöret nach Würaburg. Weilen
es eben Sontag und das Fest des Hl. Josephi wäre, waren wir
um 11 Uhr schon hier, allwo uns der P. Wezinger Meeä iaße.
Nach der Dafel seynd wir mit wieder genommener Vorspana
durch vielen Morast bis in den Iflneburgfischen*) Marckflecken
^^"CSm*' Margeinersheim*) gefahren, wo alles lulh. wäre. Auf äm
Weeg hatten wir anstoß von Bauern, so uns anpackten, weil
unsere FuhrieÜhe einen befiern weeg geüshren, indeme selbe uns
zwingen wollen, den schlechten zu fuhren; jedoch da sie sich
auf das Vorstellen, daß es kays. Wflg^ seyen, nicht be&iedigfen^
hat man sie mit gewalt abweisen mfißen, und in unsem Nacht-
bgier Hatten wir wohl getebet
>) Fachverk. Schon Im 16. Jahrhundert fing der Steinbau zu fiber»icgcn an. Vgl.
R^, Nfimberg (Berühmte KuniMitten). S. 76 ff. *) BuKhendorf. •) m der Altdi.
«) Marktbibart >) lümburgitdin? D. Red. •) Markt-Einersbeim.
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Antcken BcMbrettmng idiicr Rom von Wien nach UsBabon. 37
Den 20*™ seynd wir mit ilen Tag aufgebrochen und
ferneis in Fnuidcen fortgerQcke^ auch die Gathl. SchAnbomische
Stadt Qiskoff*) wie auch die Stadt Magerna,*) einen zieml.
schönen Orth, pafiirei Endl seynd wir in die Schönbomische
Stadt Kizingen gekommen, welches Harth an Mayn*Flttß ge- laiiBfeti
bauet ist und ein großer Orth ist Allda kamen wir um 9 Uhr
an und nahmen das Mittagmahl um 10 Uhr ein. Als wir kaum
in die shiben gekommen, so käme die Tieschler-Zunft zusammen,
dann sie mit 2 gesellen einen Handel auszumachen hatten. Wir
hatten bey Tisch große Unterhaltung von diesen leithen, um ihre
Poßen anzuhören; dann wir glaubten, wir würden gar ein Faust-
gefecht sehen. In diesen orih seynd von beeden Religionen Kirchen
wie auch ein dpucmer-Kloster und ein Ürseliner-Fiaucn-Closter.
Um halber 12 Uhr fuhren wir in Nahmen des Herrn mit ge-
nommener Vorspann wieder weiter, und um 5 Uhr langten wir
zu Würz bürg an, allwo wir durch die ganze Stadt gefahren und Wfirzboi«
bey weißen Schwann eingekehret, allwo wir von den Fenster den
ganzen iWaynstrom vor aui^en hatten wie auch die schöne
steinerne brücken und das jenseits Hoch liec^ende Schleid In
diesen letztern wohnet der hürst nicht, weil es zu Moch, sondern
nur ein Commendant. Kein Jud dörff über Nacht allhier bleiben,
welches auch m N Urenberg ist; dann dorth mäßen sie 1 geben
und sodann abends heraus.
Den 21 dito seynd wir des Morgens gegen 6 Uhr aus
der Stadt gefahren und bis in den großen Marckflecken Remling') Remiing
gefahren, allda zu Mittag gespetset* An appetit manquirte es
niemahls, waren auch lustig, so wir in die quartier kamen, wann
es auch noch so übel gienge. Obwohlen hier das Zimmer
schlecht wäre, so wäre doch spdB und trankh desto beßer. Nach-
. mittag musten wir gleich fortfa und kamen in den Marckfleck
Langfuhrt*) an, allwo wir Ober den Maynstrom auf einer Pletten*)
mit Roß und Wagen setzten, allwo wir drey schlechte Buben zu
fegierer[n] des Schifft Hatten. Meine Pr. Mutter forchte sich sehr,
da sie den ersten Wagen fdiren sähe; allein weil es seyn muBle^
so gäbe sie sich darein, und seynd wir alle, Gotik>b! ^flcM.
*) Ipbofen? >) Münbernhdm? *) Remlingen. *) Lengfurt
i| planes ScUff, Flbi«. ScMkr, 1^ 463.
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38
Th. Rentod.
t überkommen. Auf den Weg bieher sahen wir unterschied!.
EMiMdi Kloesler und schlöBer. Nachts trafen wir in den Dorf Eselbach*)
ein, wo wir verblieben.
Den 22^ Martij haben wir den 7 staind langen Speßer*
wald pafiiret; welcher großen schnee Hatte, und wäre uns die
ReyB desto schwerer, weil es die ganze Nacht und Halben Tag
geschneyet hatte, nachmittag aber geregnet Auch hatten wir zu
thun, nebst der Vorspann fortzukommen; dann der Morast wäre
zu groß, durch die enge Hohlweeg zu kommen. Dieser Speßer-
Waldt ist auch nicht am sichersten, weßhalben unser bey uns
gewesenes Gewehr von Hr. Commißario scharff geladen wurde,
um in fall der Nüth bereith zu seyn, sich zu wehren. Nach-
dem wir clwa 4 stund gefahren, kamen wir zu den Millen im
^otenniid Wald gelegenen Post- und Mauth-Hauß, allwo wir gespazirt
Um 3 Uhr suchten wir wieder die Wägen, allwo wir über
einen gähen Berg, auch durch tieffen Morast gefahren, daß man
öffters die Ax nicht gesehen. Wir hatten in einen Wagten 9,
in andern 8 Pferdt und doch zu thun, aus dem Morasl zu
kommen; da waren wir rechte Morast-Götter zu nennen. Wir
wolten auch gern in der Stadt Aschaffenbur?^ bleiben; allein
der Wörth wäre ein solcher Flegel, als wir niemahls antraffen,
worauf wir noch ein Meyl gefahren und in den Marckflecken
Stoeteijidt Stock hstadt*) übernachtet.
Den 23*'"" dito nach genommenen A\ilch-Caffee fuhren wir
bey stäthen Regen durch einen zimlichen Waldt bis in den
Hcta«Biiuim Marckflecken Heißenstamm,') welcher Orth dem schönbor-
nischen Stamm-Hauß gehöret; allda Mittagmahlten wir. Nach
Pnnchtartii Tisch fuhren wir bey stäthen Regen bis Franckfurth, wo wir
noch bey tag anlangten. Meine Frau Mutter wäre frölich, hier
arrivirt zu seiyn, weil sie glaubte, Brief von Wienn zu bekommen,
indeme selbe wohl ein halb Duzent unter weg nach Wienn ge-
schrieben. Allein es fände sich nicht, so daß sie glaubte, die
Wienner hätten auf uns vergeBen. Selbe schickte indefien zu
denen Hr. v. Felden, so vor diesem bey meinen seel. Vatter
waren in Wienn. Von diesen empfingen wir viel Höfliches.
<) EndlMdi. *) SlocInlnlL HmnIiidiii.
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Antdcers BesducRnav seiner Reiae von Wien nach Lissabon. 39
Nicht nur» daß wir zu ihrer Mutter kommen sollen, sondern sie
gaben meiner Mutter auch einen addreB-Brief nach Amsterdam
an den Hr. v. Felden, einen Ihrigien Vetter, welcher Brief meiner
Mutler recht lieb wäre. In dieser Stadt sind viel 1000 Juden;
}a da wir abstiegen, einzuquartieren, so waren Ober 30 Juden
da, so uns phigten, ihnen was abzulcaufen. Unser Hr. G>m>
nüBarius aber machte ein Ende mit den spanischen Rohr, in-
deme man sie nicht anders los wurde, und sie sogar in das
Zimmer uns kamen. Die sladt ist schön und groß, die Häuser
von Hohe wie zu Nfimbei^g.
Den 24^ dito, nadidem wir um 10 Uhr Mittags ge-
speiset,, sind wir um halber 12 aus Franckfurth grreiset Wiir
sind wegen fiblen Weeg ganz spath in den sUdtlein Königs-
stein ^) angekommen, allwo wir wohl bewOrthet wurden. Dieses KMputM
stadtl hat einen Commendanten und 40 Mann; gehöret nach Maynz.
Den 25**" als an Hohen Fest der Verkündigung Mariae
haben wir unser Andacht in unsern Reyß Kleydcrn bey denen
P. P. Cipucmern samtlich verrichtet, nach diesem Caff^e ge-
nonimen und gegen 7 Uhr forthgefahren; haben auch einen
beßern Weeg gehabt und endlich in den Dorff Esch ankommen, ewA
allda Mittagmahlet, so dem Prinz v. Kaßau - Oranien gehöret.
Abends langten wir in den ebendiesen Prinzen gehörigen Dorff
Taubern*) an, wo wir kein Fleisch bekamen. Taubem
Den 26*"' Martij fuhren wir vor Sonnen- Aufgang bis
9 Uhr, und wegen des Sonntaj^s musten wir der cath. Stadt
Limburg zufahren und allda unserer Andacht abwarten; allda Limburg
auch gespeißet; ist ein paßables städtl, nach Maynz gehörig. Nach
Tisch eilten wir in die Wägen, weil uns die Hoffnung gegeben
wurde, einen schlechten weeg zu haben. So wir auch erfahren.
Dann die Straße so inpradicable wäre, daß wir glaubten, Roß
und wagen bleibe im Morast stecken. Endlich erreichten wir das
Dorff Hunds- A n gel allwo wir geblieben, aber nicht viel fanden. HuadMiitd
Den 27**" seynd wir mit doppelter Vorspann, obschon
durch üblen Weeg, doch glücklich mittags in den Dorf Fröling*) rtounc
angekommen, welches würths>Hauß miserable zwar, aber doch
») KlaigMKU ^ DMbera.EiifiiitcB. «) Hnmtanfm. ^ FtdUntn.
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40
Th. Reniud.
in anschreiben Verwegen wäre. - Zur Nachricht dienet, daß dieser
Orth in den berühmt und übergroßen Wester-Wald lieget, in
welchen Wald wir schon gestern nachmittag eingetretten und
[welcher] lauter üblen weeg hat. In diesen Wald haben wir
noch den andern tag zu tatiren gehabt. Nach eingenommenen
steren^) Mittagmahl und aufgenommener starker Vorspann seynd wir
abermahl durch morastige Weege gereißet und abends bey großen
Hixcnbach Regen in den Dorf Hixenbach*) eingetroffen, all wo alles in
Würthshauß unsauber wäre. Der Würth wäre ein Wittber und
woltc mit gcwald meiner Frau Mutter Magd heurathen; allein
wir hielten ihn vor einen üeckh, versprachen ihme aber, daß,
SO wir in 3 od. 4 wochen zurückkommen werden, sie sein Weib
seyn solle. Dieses ist nun der 4te orth, wo man bei Caminen
kochet, und ist kein Herth zu sehen. Auch seynd die Kuchdn
so schön als das schönste Zimmer; man siehet kein Irdenes ge^
schier, sondern lauter Kupfer, Messing und Zinn, und dieses
wohl geputzet; von Irdenen nichts außer PorceUin und Delfftcr
Sesdiier. Die Raladindre (diosche?]^ Hauben floriien starckh,
weil jedes Bauern Weib derig^eidien aufiiat; die wOrifasfnu geht
so magnlflque, daS sich zu verwundem ist
Den 28**** dito seynd wir in das WestphSlische gerucket
und abermal mit starker Voispann durch Monst in den Dorf
vqnbneh Weyerbusch«) angelanget, aus den unangenehmen Wester-Wald
gekommen, und allda gespeißet. Nach Tisch bey abermahlig
genommener Vorspann hatten wir hdalen Weeg; allwo wir nicht
nur Stedten geblieben, sondern auch bald in einen Qnüxn ge*
stürzet wären worden. Nadidem seynd wir bey beBeren Weeg
oranvaid in den aus 4 Häusern bestandenen Dorff Qrünwald,*) so in
Wald dieses Nahmens lieget, angekommen. Wir hatten kein
kleine I orchi, Von bösen leithen tiberfallen zu werden. Das
Zimmer wäre paiiable, allein das Eßen nianquirte. Zu nierker.,
daß schon 2 tag, da wir in den schmuzigen Westphälischen
reysen, wir keine Kerzen bekommen und unsere Wachs-stöckh
brennen musten, indeme die Würthshäuser nur lampen, mit
>) Erklirung? ^ Höchstenbach.
^ Palatine, ein schmaler Halspelz, nadi den Hofdamen der pfälzischen Prin-
lenln CUsab. Charlotte : .pfllzische Mode". Hier Petz h a u b e n ?
IbcU AltenkUdKB i. Wcsbnr. i) OrfiocmM. Wdkr, Kidi AUaddidim.
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Ameke» BcsdmibUQg aeiiiar Reise von Wien oadi Lbsaboa. 41
stinkenden Odil oder fetten angefüllel, brennen und sie in
Zimmer aufhenken. Auch seynd in diesen ortiien die Häuser
f&r die Engdn gdMuet; ja wann wir die wOrlh noch so galant
fanden, so Hatten sie doch jenes nich^ so man zu sagen pfleget:
es gehe über die Lieb.
Den 29^ dito seynd wir ehender als die Sonne aufge-
standen und mit Voispann bis 2 stund in Moiast gefahren. Nach
diesen hatten wir guten weeg bis Warth/) wo wir Fasten-Speise watui
aßen aus Mangel des Fleisches; dann wir aBen bald dieses^ bald
jenes, was zu bekommen wäre, auch bisweilen 6, 7, 8, bisweilen
3 Speisen oder weniger. Nach tisch fuhren wir bis Frestorf!
oder hroß -) an den Sand. Bevor wir allda ankamen, hatten wir
2 Flüß zu paßiren, nemUch den Sickh^; und die Aichen, *)
welches beede mahl glücklich abiaufte.
Den 30*" seynd wir bey guten Weeg bis in das Dorff
Pru^g*^) r^ekommen, wo ein schlecht würthshauß wäre und wir Pmgg
Fisch und Meiscli aßen, so alles sehr elend wäre. AUhier ver-
kaufit man die Westphällische Brathwürst Ehlenweis, die Ehlen
ä 4 stuber (so 6 Xr") macht). Wir haben auch etliche Ehlen ge-
kaufft. Heuthe Iriihi' seynd wir in Morast ein paarmahl stecken
geblieben, und muste ein Wagen dem andern Plerdt leihen. So
sind auch 2 Waagen gebrochen, so uns kein Freydt wäre. Nach
Tisch kamen wir, von starken Re^^en begleitet, in das Dorff
Oblath,") allwo wir übernachteL Unterwegs sahen wir die sfadt obimth
Cölln, wohin wir gern wären; allein es wäre einen halben tag
uns außer den weeg gewesen.
Den 31*™ Martij seynd wir zeitig abgefahren, und, um den
beßem weeg zu fahren, wandten wir uns gegen den schönen
lustschloB Penroth.") Dieses schloß wurde uns aufgemachet
und ist in der That sehenswürdig; es gehöret dem Churffirsten
V. Pfalz. Durch diesen weeg sind wir vielem Wasser entgangeni
so auf den andern zu paBiren gewesen wäre. Wir fuhren all-
hier durch schöne gärthcn, all6en und wälder. Als wir aber
gegen DäBeldorff gefahren, so gtenge ein schwarzes gewdlkh
auf; es eriiebte sich ein großer Sturmwind und fühle ein ent-
t) Wvthe, Hau, Kreis AUenkirchen. *) Troisdorf (Siegkreis)? *) Si^.
^ Agger. ^ BiSck. Krcoacr. 0|ilMleB. ^ Boinlli.
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42
Th. Remid«
sdzlicher Regen. Wir waren in sorgen, daß nicht etwa der
Wind unseni WSgen schaden zulQge. Die Fuhrleuth und Pferd
hatten kaum Athem mehr, und haben sie^ die leutfae, mit den
gesicht ^ch auf die Pferdte geleget, um nicht zu ersticken. Der
DfiMdorff Regen luße zwar nach, aber der Wind dauerte bis Düßeldorff,
allvvo ein gutes Mittagmahl uns erquickte. Diese Stadt hat uns
trefflich gefahlen, wiewohln wir nur selbe \n cm- und ausfahren
gesehen. Auf den Platz stiegen wir ab. Die Häuser seynd nicht
von Holz, sondern stein und nach ziegelarth gjemahlen. Nach
Tisch fuhren wir in Gottes Nahmen forth, wiewohl das wetter
noch sehr unfreundlich wäre. Ein wagen hätte bald das un-
giückh gehabt, in Stadtgraben zu fallen; dann ein Pferd mit den
hintern Füßen schon hinunter über die Brucken han^^ete, welche
kein geländer hatte. Wir fuhren bis in die Nacht ffr. Com-
mißarius nähme sich ein Pferd und Reithknecht auf und ritte
gegen abend voraus, ein quartier zu bestellen. Der Schaffer, so
die obsorg über Pferd, Wagen und Knecht hatte, hatte einen
Rausch und käme ihme die Envie an, den Gallopirenden Hr.
Commißario nachzusetzen, kutschirtc selbst bey den andern wagen
und führe mit den gepackten Wagen, so viel die Pferd kunten
getrietwn werden, Aber alle grlben. Endlich bliebe er in einem
Morast stecken, und die Deucel gienge entzwejr. Er stiege ab^
lufie den wagen mit 2 Knechten in ^ch und hoiilte jfenen, wo
mein Frau Mutler und ich wäre. Selber wäre zwar angst; allein
wer wolte einen vollen f uhrmann zur raison bringen können?
Er führte uns mit mdglidister geschwindigkeit bey einem gnben
gefährlich vorbey, veriieß den andern wagen, und wir kamen in
HMiBun das Dorff Muckum,^) allwo leith und Fackeln dem andern
Wagen entgegengeschickt wurden, so ganz spath anlangte. Dar-
in waren wir schlecht in WQrthshauß versehen worden. Allda
Qbemaditeten wir. In der Nacht muste eine neue Stange ge-
macht werden. Hr. Commißarius gäbe dem schaffer einen Ver-
weis und nähme ^ich vor, nicht mehr voraus zu ,^che^. Des
andern lags, da der schaffer ausgeschlaffen, deprecirte er und
schützte den Rausch vor.
1) SlodaHn, Krdi Rnhrort Oiuckinffco? D. Red.)
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Anackers Beschreibung seino* Reise von Wien nach Lissabon. 43
Den 1*«" Aprilis [l]730 seynd wir Morgens bis in die
Preußische siadt Dasburg') gefahren, aIh.vo vviir wohl geesscn. üusouxj
Nachniitiag fuhren wir weiter; wir hatten schlechten Weeg, in-
deme wir viel waßer zu paßiren hatten. Auch musten wir wieder
über den Fluß Roher*) fahren, hatten auch darbey ein elends
wetter und starken wind mit Regen Auf den waßer musten
wir umweeg machen, weil das waßer sehr groß von Regen wäre
und grad über ohne gefahr nicht hätten können überset7en.
Abends blieben wir in den Dorff Hipstedt,'') wo wir übernachtet. Hipctntt
Den 2*» dilo seynd wir zeitlich aufgestanden, um in die
Stadt Wesel zu kommen; allein wir muslen wegen großen waßer w«ki
sehr umfihren, so daß wir erst um halber 2 ubr nachmittag in
Wesel dntraffien, und ob es schon Palmsonntag wäre, so kunten
wir doch kein Meß mehr böten. Unterwegs musten wir Aber
den Fluß Lippe schiffen, wo das waßer sehr groß wäre. Man
muß, vor einen Wagen flberzusetzen, 1 Jgi 50 Xr» auch offt
1 J^' Xr zthlen; ein jeder Fluß hat sein Tax, welches recht
viel uns gekostet Wesel ist schön, aber reformirt; seynd auch
ui einem solchen wflrthshauß abgestiegen. AUhier ist der M^
Lambrecht ihr Mutler gewesen, so hierher gerenet, um ihre
Tochter noch zu sehen.
Den 3*™ dito hatten wir in Wesel rasttag, all wo wir unsern
vielfältiL'en Reyßchaprin ausschlief fen. Gecken Mitta^^ seynd wir auf
die iSaslionen ;i^eo;an^eii, um das Exercitium der Soldaten anzusehen.
Auf daß wir dieses desto beßer sclieten, schickte der dasige Hr.
Obrist und Commendant einen ohizier 2 Mahlen zti uns, wo-
durch er uns complimentiren und einladen tuße, auf den Platz
zu kommen, um es twfier zu sehen. Wir giengen endlich, und
wir wurden von allen offiders mit distinction begrüßet und com-
plimentirt Es waren drey Regimenter auf den Platz, welche da-
zumahl stark exercirt wurden, weil der König von Preyßen, dem
diese Stadt gehöret, dahin nächstens gekommen. Die Idth g^e^
fühlen uns; die schöne Ordnung, gleichheit, geschicklich- und ge-
schwindigkdt derenselben ist nicht auszusprechen. Meiner Mutter
gefühlen sie sehr, daß sie zu Mittag sagten so sie ein Kerl wäre,
>> Diditnfc. Rikr. Wohl: Hkifdd, Kid» RAmt
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44
Tb. Rcntnd
mfiste sie . dn grenadier darmtler wetdm, mit einem Wort: es
ist weder [an] Wesel noch denen Idtiien was auszustellen.
Den 4'"' dito sind wir um 7 uhr aus Wesel forth und
Yatdnineg kamen in ein elendes städtl Yssebuneg.*) Der Würth wäre
doch Höflich; wir musten mit lautern Ayern und Pfann-Kuchen
vor lieb ncbnicn, wozu wir tauten Mof^ler hatten. Nach dieser
comptndicusen Mahlzeit ruckten wir weiter. Wir paßirten bey
der kleinen Stadt Anhalt*) Vorbey, welche kleine Waßergräbcn
und von grünen Waßen*) aufgeworfene Wall hat, auf welchen an
statt der stuckh kleine gartenspallier sind. Es hat ein schönes
Sdiloß, wo der Fürst v. Anhalt logiret. Bey diesem Städtl kam
einer zu denen Wägen, deme es nidit zustünde, und begehrte
den Kays. Paß, und als er ilm gegeben, der Hr. Commißarius^
wddier meynte^ es mflBe sein, hat der Flegel den Faß die ISngste
Zdt gelesen und Hr. Commißarium mit bloßen Haupt llngstens
stehen gelaßen. Da dieser Bemhiuter selben völlig gelesen,
wiese er den Hr. Commiß. mit einem alten Weib in das Schloß.
Da verstünde Hr. Commiß. unredit und versetzte selben etliche
streidi mit den Rohr; er aber luffie darvon, wortwy wir zimlich
gdadiet Nach diesen kämmen wir in das Holländische
Territorium und fuhren bis 8 uhr bey schönen Mond-Liedit,
Aadotans da wir dann in den Dorff Anderburg^) anlangten, allwo wir
zum ersten Mahl frische Meerfisch und den sQßen Franzwdn
bekammen; diesen letzteren aber kunten wir nicht trinken. Wir
flbemaditeten hier. . . .
Den 5**" Apnlis seynd wir mit den Tag aufgestanden, ob-
wohlen das aufstehen hart gefallen wegen cicn Camin-Feuer und
noch dazu bey den Dorf*) (wie sie es nennen), daß ist gedörte
Frden Bis dieser 7u brennen anfanget, musten wir torth. Wir
fuhren dieses mahl fast durch mehr Waßer als Land, dann alle
Wiesen in Waßer waren, daß man nicht wüste, ob man nicht
etwa in einen graben fallet. Ja, es muste offt ein Knecht mit
dnen Pferd Voraus reiten und das Waßer probiren. Zu Mittag
OttstaK waren wir in der holländischen Stadt Dusburg,*) allda wohl
«Oinditdi _________
') Is^dburg.
*) Anholt, Res. des Fürsten Salm-Salm, früher Hauptort der StandesherrKliiil Anholt»
^ iUientlidwi. D. Red. Tcrbon. Tod. ^ Duobatf.
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Anadten Besdncibang sdner Rdse von Wien nach Lissabon. 45
gelcbet; allein wir hatten Vid Verdrufi wegen den Kays. PaB,
wekhen sie nicht ericennen woHen, und Verlangten Von unsem
Sachen 3 pu Cento, oder aber wir sollen unsere Bogege zunidc>
huaen, bis ein von den HH. Slaaten anhingte^ weilen wir
noch keinen von dem Kays. Hn Gesandten überkommen Haben.
Jedoch hat Hr. CommiBarius» so als ein Holländer die sprach
kunte^ die sach dahin gelmch^ daß es mit etl. 20 geschehen
wäre» auch ein Paß erhalten wurde. Nach tisch wolten wir
weiter; allein die Sdiiff-KiidKn wäre zerrifien und dte Wißer
so starck angdoffen, daß uns der schiffer selbst große gefabr
machte. Blieben also auch die Nadit hier. Wir musten aber
sehr zornig den Würth darüber gemacht haben, weilen wir ihm
vor Mittag- und abend -eßen ohne den Wein 37 zahlen
inuslen, da doch die Helffic zu wenig gar nicht gewesen wäre.
Den 6'"* dito musten wir über den Fluß ÜhsP) und
schickten erstlich einen Wagen mit denen 3 Dienstbothen voraus
um 5 uhr. Wir aber fuhren forth um 7 uhr, allwo die Pletten
mnlckgekommen wäre. Wir sahen ein kleines meer vor uns
und hatten 1 stund zu fahren. Als der Wagen aus der Plette
fahren solte, weil es etwas gefährlich, so musten wir heraus
steigen. Wir fuhren sodann ein wenig zurück und kamen an
ein stadtli wo wir durchgiengent wie auch über eine kleine wisen.
Die andern wisen waren voll waßer; mithin musten wir in ein
klein Schiffl uns setzen und fuhren ein kleine halbe stund. Unter-
deßen hatten die leithe alle 9 Pferd an einen Wagen gespannet,
um selben durch das waßer zu bringen, nach welchem sie den
andern hohleten. Wir giengen wieder etwa ein Viertl stund; da
wäre wieder waßer, und wir musten wieder ein schiff haben,
in welchen wir ein V« stund gefahren. Die Wägen hatten zu
thun, durchzukommen, worftbo* stdi die leith gewundert, weil sie
viel niedrigere RSder dann die Holländischen hatten. Nachdem
wir so viel waßer gefahren und zu land gegangen, fuhren wir
bey 4 stand in lauter alltoi, welche so schön waren, daß wir
hierdurch alle heuthige fatalitftten vergaßen, und darzu hatten wir
einen sehr angenehmen Tag. Dergleichen allte von 40 bäumen
t) YMd.
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46
Th. Raumd
werden nidit überall wie hier gesehen.^) In Wahrheit, Holland
ist ein recht angoicAmes land, so völlig flach und keine Berge
Amhdm hat Wir kamen um 1 uhr in Arn heim an, wo wir trefflich
ge^ßet. Nach tisch fuhren wir weiter und ruckten abends um
OBBcfed 7 uhr in das in etlichen Hausem bestehende Dorff Q flu ekel ^
ein, allwo wir kein sich zum besten anlassende Hertieig Hatten.
Die Fenster waren von spIegelgUser, daß Dach strofa, in Zimmer
poroelain, die Fenster aber schier so Hoch als das Zimmer, all-
wo es daher zimlich kalt wäre.
Den 7^ dito seynd wir nadi 5 Uhr auf den Weeg ge-
wesen, allwo wir über lauter Hayden xu fahren hatten. Da
sahen wir keine Ehlen-Hohe Baume^ sahen auch kein HauB bis
AMtaffli Amersfurth,*) wo wir paßable lebten. Nach tisch ruckten wir
wdter, wo wir noch bisweilen wiBer, doch ohne grofie Gefahr
FcDcr paBirten. Abends haben wir das kleine Dorff Feuer^) erreiche^
allwo wir wieder ein Zimmer mit Poroelhun hatten. Der wfitth
hatte an seinen Hosen so grofie silbeigiescbhig^e Knöpf, dafi
Jeder gewis etwa 2 bis 3 lofh hatte. Diese Idthe gaben uns
ein Milch-Suppen mit Biscuit, so sehr harth ist Sie, die wQrthin,
goße Milch darauf, was sie hatte. Meine Mutter sagte, es seye
zu wenig Vor dieses harte Brod, aliein es wäre keine mehr fuer.
Selbe sähe auch in dem Camin frische Härmg; die niusteii
Selber gleich herunter und mit Butter gebratten. Wiewohl wir
sonst nichts hatten, waren wir doch zufrieden und dachten, es
seye der Chor- Freytag.
Den 8*™ dito seynd wir um 3 uhr aufgestanden und, olme
zu frühcbiücken, waren wir um Vi Vier uhr auf der Stralk, wo
es noch ganz finster wäre; allein wir weiten heuthe noch in
Nörick Amsterdam seyn. Um 8 Uhr kamen wir nach Nörick,"*)
allwo wir ein Schiff (treckscheit), und ei^'cnthch Postschiff seyend,
genommen, welches seine*) eigene stunden hat, abzugehen, in ein
solches schiff käme nnsre Bagage und dann wir. Die 2 Kutschen
nahmen Urlaub; wir gaben allen leithen trinckgelder, und waren
wir alle betrübt, sie zu verliehren, weil sie sorgfältig auf uns
waren. In diesem schiff saßen wir unter einem Tacb, so sauber
>) Die Oegcnd um Arohdm siU th die UndsdufUicfa schönste in Holland.
Oliod? i| AwnlQoit ^ VnfwlMe? «} Naiidoi? ^ Or.: Oitc.
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Anackers Bcschreibtung sdner Reise von Wien nach Lissabon. 47
gemahlen wäre. Dieses schiff ziehet 1 Pferd, so am Land
hiuffe^ und geht das Schiff sehr schnell; es wäre ein Freydt, zu
füllen zwischen den land, bey vielen gärten und schiffen mit
ihren flaggen vorbey. Die Dienstbothen hatten auch ein Zimmer.
Meine Mutter, obwohl es kalt wäre, bliebe nicht darinnen, sondern
stiege auf das schiff. Wir kamen hernach an eine schöne siadi,
wo uns die bruckhe aufgehoben werden musle, und Hr. Com-
mißarius gienge in die smdt, brachte uns ayer und was darzu
nöthig ist. Unterdeßcn fuhren wir bey der stadt Vorbey durch
3 brücken. Alsdann warüieten wir, bis sie kamen und was zum
eßen brachten. Wir waren sehr Vergnügt, hatten auch guten
Holländer Butter und Brodt von unterschiedlicher Gattung auf
dem tisch. Endlich käme die schone stadt Amsterdam in unser Amsterdam
gesicht Wir fuhren durch ganz[e] alleeti von schiffen durch den
Canal bis an das Würthshauß, so bei der Duhle m der Duhler-
straße wäre. Diese Stadl ist so schön, daß sie würdig so kann
benennet werden, und die reisenden, so nicht Amsterdam, wo
nicht L^anz hlolland, c^esehen, die haben was großes vergeßen.
Wiir iogirten an emem schönen orlh, wo alle schiffe paßiren
musten, und an land sähe man die wägen; dann in der mitten
der Canal, an deßen ufer all6en, dann beederseits ein Straß ist.
Hier siehet man alle Nationen, alle trachten und höret alle
sprachen. Nur die von Hohen adel und Rath dörffen mit Räder
fahren, die übrigen, wie auch die lohnwägen, haben den Kasten
auf einer schlapfen *) mit einem Pfcrdt, welches der neben gehende
Kerl regieret, und dieses darum, damit durch die RAder die
Bürsten,^) auf weichen ganz Holhind stehet, nicht so geschflttelt
und ruiniret werden. So seynd auch in Amsterdam 300 brüdcen
Von einer seithe zur andern Über den Canal mit eysemen g^.
linder, und in der Mitte können sfe auffgezogen werden, damit
dfe schiff mit denen Masfen pafiiren kOnnen. Was hier zu sehen
ware^ ze^ man uns alles. Die Börse*) ist was schönes. Wiir
sahen auch eine groBe uhr, wo alle Sonnen-, Mond-, Jahisbiuff und
andere figuren, so aus und ein giengen, trompeten, blaseten,
auch exeitirten, zu sehen waren. Der Perpenticul wäre die
>) Schldfc >} mit scharfem Om bewadisener Moocxnuid. Orlnai, II, S5i.
SdMClier. I*. m 1>. Red. Die iMutfge Bane «n Din steht cnt tdt tMS.
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48
Tb. Rcnaud.
Sonne, so die äugen rOhrete. Die Catholische haben nur dne
Kirch hier, wo der Prediger mit der Canzel von der Erde her-
auf kommet und nach der Predigt wieder binabsinicet In dieser
Kirch fragte ein an der thflr stehender Junger, der lOeyduiig nach
honneter Mensch die tA^ Umbrecht auf fnuizOsiach, ob sie ihr
Uhr h&tte. Sie erschracke» sähe darnach und huide sie; ant-
worthefee ihme mit Ja, fragte aber um die ursach seiner frage.
Er replictrtei es gel« schlimme leuthe^ so es ofil stehlen in dieser
Kirch, und weil er sähe, daß sie dn auslSnderin, so wolle er sie
warnen. Die machte ihr compliment, und wir wißen bis heuthe
nicht, ob es nidit sdbst dn spitzbub gewesen, in denen andern*)
Kirchen, so hdmlich seyn, ministriren bettschwcstem, und die
Geistlichen, in spede Jesuiten, gehen weldtlidi mit*gdaiflpflen
Ptruquen. Wiir haben sdbst 3 derenselben bey unserm tisch
gehabt, und hat dner unserm P. Wenzinger dne Rays*Capdlen^
bis Lißabon gdiehen, wovor er 100 Rdi. dngesetzet, um den
andern schadlos zu halten, so wiir etwa in IMeer unglOcfclich
wiren. In Amsterdam seynd auch 2 Judisdie Sinagogen, dne
Teutsche und ein Portugesische; wir waren in beeden, wo wir
des lachens über der Juden grimacen uns nicht enthalten können.
In Amsterdam blieben wir bis 20*™ april, wo in der Frühe
unser Bagage abgehohlet wurde auf einem kleinen Fahrzeug, um
selbe am Borth des großen Schiffes, welches zur ladung Kais
hatte, zu bringen. Wir \".aren alle reyßfertig, aßen noch ein
mahl bei Herrn v. Liperskofen (so uns in amsterdain währender
unserer anwesenheit viel thien erwiesen) und sezten uns nebst
guter Compagnic in ein schön lust- oder Jagdt-Schiff, um an
unser schiff zu fahren, so sich die Jungfrau Dorothea nennet.
(Wir musten vor eine person den Capitain ohne Kost geben
100 ^t)*) Meine Frau Mama wäre sehr betrübt, daß sie das
L^nd, auf welchen sie <?:ehohrcii und bis dato gelebet, quiUiren •
solte; aHein das Schiff gefuhle ihr doch, und besonders, weilen
alles nett und sauber wäre. Das Zminier oder Cajute wäre ge-
mahlen, hatte 4 fenster, auch Viele und zwar 17 Kästen, deren
>) katholischen.
^ RaidMpellc; Kirctoicait nun Maidaai auf der Rdw, im •KapcUitttlai'
^ Am Rnde.
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Anackers Bcschrdbui^ seiner Reise von Wien nach Lissabon. 49
Wir uns bedienen kunten. Ein Kasten hatte Porcellain, wo jedes
stfickb seinen einschnitt in Holz hstte, daß es fest stunde; ein
Kasten wäre so groB, daß Meine Frau Mama darinnen schlaffen
Icunle; die übrigen musten auf dem Cajute-boden Itcgen, die
Köchin im schiff bey der Bagage» der Geistliche in den Gang
der Cajiite in einem kleinen Kasten; Hr. CommiBarius Uige im
Kuff ist in mitten des scfaiffs eine hatten wo auch die Kuchd
ist — in einem Kasten, wo die Boths>leuthe schlaffen. Einen
Disch hatten wih- in Zhnmer, so fest wäre gemacht, damit er
nicht Aber den hauffen geworffen worden in den Meer. Als
wiir diese eintheilung des scfalffes gemacht und bey einer kleinen
Soup^ lustig waren, kam die shind an, wo unser uns begleitende
Compagnie sich beurlauben muste. Da sie abgefahren, Iflseten
wiir ihnen die stQckh, so ein Ehrenzeichen ist, und sie hatten
dne halbe shindt nadi Hauß zu hüiren. Wiir blieben bis spathen
abend auf der gallerie, wo wir untersdiiedlidie schiff sahen von
allen Nationen, ja einen wald von lauter schiffen.
Den 21*" frühe waren wiir noch im Hafen lustig, machten
anstalt zum Kochen, dann wir guten Vorrath hatten (dann wiir
von Hr. CömmiBario provianthiret worden). Der Capitain muste
nodi an das bind fahren wegen affairen. Nachmittag bekammen
wiir Besuch Von guten freyndten, und von diesen lußen wiir
uns fiberreden, mit ihnen in ihren lustschiff im Hafen spazieren
zu fahren. Der Tag wäre uns gfinstt^ und wiir fuhren in dnen
rechten wald von schiffen aller Nationen, wo uns die Capitains
allzdt bq;raßeL Da wiir ein paar stundt so gefahren, stiegen
wiir wieder fiber den Borth unsers Schiffes^ bedienten unsere
g^ mit dner Sdiiff-Soupte, und nadi dieser beurlaubten wir
uns^ lößeten ihnen auch die Stfiddi, nachdem sie abgefahren waren.
Den 22**" dito käme Morgens der Capitain mit seiner
Frauen und 2 Töchtern am Borth, welche letztere 2 rechte Schön-
heiten waren, auch nach ihrer landesarth zwar uns wunderliche,
doch sehr artige und nette Kleyder-Tracht hatten. Sie blieben
ein paar shindt im Schiff; endlich beurlaubten sie sich, und wiir
Hoben gegen Mittag das Ancker-Tau, Segelten auch bey zwar
sdiwadien, aber doch lavorablen wind aus dem Hafen von
AfdilT «r KdlntifkUfibte. V. 4
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50
Th. Renaud.
Amsterdam» von wannen bis in Texel wiir einen K]oz*Mann*>
(so das Sdiiff sicher wegen denen SandtUncken aus den Hafen
bringen muB) hatten. Nach tisch sahen wiir kleine Fischer-Schtfr
fahren. Der Capitain steckte ein Uein fthnldn aus» so dn
Zeichen, dafi »e uns zuseglen selten. Er fragte sie durch das
Redthom, ob sie fische haben, wo wiir ihnen dann einige ab-
gekauffet^ auch dnen Meer-Kiebs,*) welchen man Trabt nennet^
so groß als dn Zinntdler; hatte kdnen schwaif; die Scheeren
waren so wie dne band gros und die fOs dickh wie Uehie
finger. Unter andern sahen wih* bey diesen fischer dn Meer-
spinnerin, so dn abscheuliches Thier ist und wie ein rundes
stflckfa wdchen taig, aber schwarzlicht auf der erden läge.*) Die
Meerfische, wiewohlen sie eben aus dem Meer kämmen»
schmecketen meiner Frau Mutter doch nicht
Den 23**" aprilis wäre meine Frau Mutter schon Kranckh
und ni Liste ihr Belli Hüten und sich mit der See-Kranckheit, den
Brechen, unterhalten. So wäre auch das Meer sehr unruhig,
daß wir keine Meeß halten haben können.
Den 24*™ als am S. Georgij-Fest wäre das Meer et\\as
stiller, und läse der P. Wezinger eine Heil. Meeß. Meine Mutter
wäre unter selber auf, nach deßen Ende aber wäre sie wieder
zu Belhe p^egangen.
Den 2 5*"' \\'are das wetter paßable, der Wind favorable,
meine Frau Mutier aber i nun er Kranckh.
Den 2 6 Aprilis frühe kamen wir in Tcxel nn , wo
sogleich eine flagge ausgestecket wurde. Es käme ein klein
schiffl mit einem Mann am Borth, so als beschauer die Paß
visitiren muste. Wiir bekamen hier einen andern Kloz-Mann, so
uns bis in Engl. Canal bringen muste. Heuthe ist der Tag an-
genehm. Der Hr. Commißarius führe mit den Capitain in der
Both an das Land, uro mehr victualien einzukauffen, und be-
stellte auch allda auf morgen dn Mittagmaht mit der Condition,
so wür in Hafen bliebeten aus Mangel des Wind& AUdn wür
kamen nicht an das land; dann den
27^ dito käme so guter Ost-wind, daB wir den Ancker
Hoben und aus Texd abfuhren. Kamen auch den
1) Lote. Tttdieakr^ ^ Qualle
Anackers Beschreibung seiner Reise von Wien nach Lissabon. 51
28^*^" dito mit diesen wind immer mehr in See und den
29101 ejusdem in Englischen Canal, wo der Kloz-Mann auf
sein schiff überstiege und abschied! nähme. Wir sahen recfater-
hand Engelland und linkerhand Franckreich liegen. Wiir waren
bald darauf in Spanischen See, wo man tag und nacht forthfahren
muste und nachts keinen ancker werffen können, wie bis dato
geschehen, weil man keinen Grundt findet, und man dieses vor
das gröste meer haltet, nemlich der Oceanus. Wiir musten also
den alimächtigen Gott und die Wellen walten lafien. (Zu wissen,
daß in See die schiffe keine flagge ausstecken, damit die See-
räuber die Nation nicht können, sondern grQne Fähnlein.)') Es
dauerte dieser slarcke wind auch
den 30^, wo der Geistliche kein HL Meeß lesen kunte.
Abends hatten wiir starcken Contrairen wind, auch etwas Donner«
Wetter, so horrible auf dem Meer anzusehen.
Den 1 •» May lufie die stille des Meeres uns eine Heil. Mee6
Hören. Abends hatten wir bis Mitter-Nacht Donner und Regen.
Den 2*"* May triebe uns der Wind um 10 Meylen /.urückh.
Wir traifeü unterschiedliche schiffe! an. Mit 3 spräche der
Capitain durch das Redthorn, wovon tinni, nach Cadix, eines
nach Livorno und eines nach Indien gefahren. Die 2 erstem
unterredeten sich mit uns, einander nicht zu verlaßen, so lang
es scyn könnte, damit wiir von Seeräubern sicherer wären. Eins-
niahls wäre das Meer so stille, daß einer dieser 2 Capitainen
seine Both auswarffe, an unscrn Borth schicketc und uns auf
emen Thee einladen luße; allein meme Fr. Mutter wäre übel
auf; so 8:ienge niemandt, als unser Capitain und Hr. Commibanus,
wo sie nach einer Stundt mit beeden Capitainen /unickknmmen
und uns eine Flasche Saure Butter-Milch und ein paar Häring
brachten. Wiir waren lustig und hatten zu lachen, daß wiir auf
der Hohen See Visiten Bekommen, indeme es selten gehöret
wird, daß man in Hohen See auf der Both fahren kann. Es
ist ihnen auch etl. mahl, wiewohl das Meer stille wate, eine
Wellen in die Both gefallen, daß wiir, die wiir von unserer
gallerie zugesehen, gcgUubet, sie s^en schon hin. Allein sie
1) Am Rande.
4*
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52
Th. Renaud.
wüsten bald das waßer auszuadtöf^n. Oeg^ abendt wurde das
Meer gewöhnlicher maßen ungestimnier; die 2 capilains nahmen
Urlaub und fuhren jeder an seinen Borth. Wür zohen alle abendt
die Seegel ein, damit unser schiff, so ein guter lauffer wäre, bey
denen andern bliebe, um in t|tl der Noth einander beizustehen.
Den 3*^' 4^ und 5^ May geschähe dieses allzeit, wo
wiir immer auf guten wind fortnickelen.
Den 6^ aber fuhren wiir mit vollen wind, und wiir redeten
unserm Capitain zu, sich nicht langer aufhalten zu laßen, sondern
seinen lauf beschleinigen. Er thate es, nähme durch das Redt-
horn von denen Schiffen Urlaub, und wiir bekammen den
7ten abends die Portugesjschen Küsten zu sehen.
Dieses Land sahen wir
den S^"^ May wieder, und der wind war paßable; aber
den 9*™ verloren wiir das land, sahen auch nichts als
Himmel und Waßer. Endlich wurde,
den 10^^" Mny, der wind so Contraire, daß wir bis zu
denen Canarischen Insuln Getrieben worden, woher uns auch
etliche Canari-Vögel auf die Tau flogen. Wiir fiengen einen und
hielten ihn in der Cajute; allein er crepirte glücklich und wurde
in das Meer begraben.
Den 1 1 continuirte dieser Contraire wind wie auch
den ^2^' so daß wiir die Veriafienen 2 Schiff wieder
sahen. Diese 3 täg und
den 13*™ darzu hatten wiir des tags kaum 4 Meyl gemacht
Endlich schickte der gütige Gott uns einen geneigten wind.
(Diesen wind zeigten an die . . . brein fisch, so wiir in quantitftt
gesehen, welche ihn allzeit andeuten. Diese fisch können nicht ge-
fmgen werden, weil sie sehr geschwind in waßer.) ^) Und wir kamen
den 14^ May als meines Vatters Seel. und meines eygenen
Nahmens Tag in den Canal v. Lißabon oder Tago. Wiir sahen
beeders^ths land, so mit schlößem,Castdlen und Pomeranzengärten
gamiret wäre. Die Heuthige nacht tiaumete meuier Frau Mutter,
daß Mein Seel. Vatter selbige an der Hand aus dem schiff an
das hmd führe. Der Capitain sagte: Vielleicht wird dieser träum
1) Am Rmde.
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Anackers Beschreibung seiner Reise von Wien nach Lissabon. 53
in ehvas wahr. Und in der that ^vj^i^cn Mittag fanden wiir uns
in Tage. Wiir steckten die Flagge aus, ladeten die stuckh und
warfen den Anckher. Es käme wieder ein Kloz-Mann oder
Pilotb, mit welchen wiir
den 1 5 May mit den anbrechenden tag den anckher
zogen und mit großer gefahr, weil der wind sehr vehement wäre,
der Canal aber voller Sandtbänckh, gefahren, so daß wiir um
9 uhr Vormittag vor Lißabon lagen, den Ancker v^rffeten und
unsere stuckh löseten. Wiir sahen zwar land, durfften es aber
nicht betretlen; dann es kamen unleiscbiedliche comißarij, die
einen, ob wiir keine Verbothene waaren hatten, andere^ ob wiir
gesandt Diese blieben in ihrem Both, und wiir musten auf
unser gallerie stehen, wo sie von weiten uns angieschauel, so uns
schon fScherlich wäre. Andere kämmen, so den Matrosen allen
Tobadc wegnahmen. Diese waren mit uns hOfflich; unser Rhein-
wein wäre ihnen gegen den Portugesisdien zu sauer; allehi meme
Fr. Mutter merkte es, warffe in jedes gbiß heimlich ein stQckl
Zucker; so haben sie ihn angenommen. Die Malrosen lamentirten
um ihren Tobadc; allein es halffe nichts. Endlich darff der
Capihun und Hr. Gmimißarius» der erstere wegen denen Kauf-
leuthen, an die das schiff addießiret, und der letztere, um bey
Hoff unser arrivo zu notifidren, ans land fahren. Um 5 uhr
abends kamen ein Königl. Hof-Fourier, ein Teutscher, auf das
schiff, um die gewisheit Sr. May. ^) zu überbringen, ob wiir es
wären. Nachdem er die Confirmation nach Hof überbracht,
schicketen S. May. 2 Cammerdienerinnen mit einer Franc, so
eben*) Canunerdienerin wäre, lauter teuteche, zu uns, um uns
tti nahmen Sr. May. zu empfangen. S. May. luße uns freynd-
lich grüßen, auch melden, daß ihr unser so glückliche Ankunfft
sehr lieb seye, und morgen werde sie uns selber sehen; sollen
also hcuthe noch im schiff ausrasten. Wiir bedienten sie mit
jenirn, so wiir von der Keiß übrig hatten, und da sie mit
den Königl. lustschiff abgefahren, löseten wiir ihnen die stuckh.
Den 16*™ legten wiir andere Kleyder an, und um 12 uhr
Mittags käme ein Königl. Lust-schiff mit denen gestrigen dreyen
«) Hier, «iebB Mscndai, itt MtOrikli die Kbügln gandiit, alw Ihre D. Ked.
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54
Th. Renaud.
Cammerdienerinnen, uns abzuhoblen. Da wiir Von Bordt ge-
fahren, luße der Capitain wieder die stuckh lösen, und wiir
stief^^cn an das land, wo S. May, cm- und aussteiget, so sie
spazieren fahret. Wiir wurden durch garten geführet, endhch in
ein Königl. Zimmer, wo der A. R. P. Carolus Gallenteis e S. J.
Provinciae Austriacae, Sr. May. beicht-Vatter, uns empfangen.
Endlich kämme S. May.,^) wo wiir zum Handtkuß und audienz
gelaßen wurden. Meine Fr. Mutter als Frau führete das worUi,
und S. May. redete auch immer mit ihr. S. May. wäre aucli
geg^n mich sehr gnädig und nahmen mich ein paar mahl beym
g^dit Bey dieser ersten audienz muste S. May. und wiir
alle lachen, indeme die Köchin, so in die Königl. Kuchel mit-
gekommen, aus einfolt zu S. May. gesage^ da sie höchst der-
selben die Handt gekflßet: »Ihre May. die Kayserin laßen Euer
May. Viel schönes sag!en% wodurch ihr Einfalt jedermann bald
abgoiommen. (Bey dieser audienz haben wiir auch die Kayser-
Uchen Presente*) überliefert, so wiir von Wienn mithatten.)*)
S. May. gienge in das Cabinel^ und wiir musten folgen. Unter-
defien kam der P. Wezinger, welchen ein gespann auf einem
andern schiff abgefaohlet hatten auch an, und S. May. luBe alle
Prinzen und die Cron-Princefiin kommen, um ihnen die händ zu
kOSen. In Herausgehen gratulirfen uns alle Aber unser ankunfft
und offerirten uns ihre Freyndschaft Wiir wurden von der
1*" Cammer- Frau hi ihr Zimmer geffthret, wo wir aus der
Königl. Kuchel tradiret worden, weldies uns und unsem leuthen
8 täg geschehen, wo alle Cammerdienerinnen mitgespeißet, bis
jede neue angekommene sich eingerichtet. Auch haben meine
Fr. Mutter und die andern erst nach 14 tagen anfangen dörffen
zu dienen, um Zeit zu haben, auszubacken und auszurasten.
Ist also nichts übrig, als dem allmächtigen Gott schuldigsten
Danckh zu sagen, daß selber uns eine so große Reys und auf selber
so Viel waßer- und iands-gefahren glücklich hat überstehen laßen.
>) Johann V. 1705-17SO, Jesuitenschülcr, vom Plpt rat fMcUniom bctildi <Bs
kum bicr nur die Kfinlgjn gfmdnt Min. D. Red.)
Kirit Vt. 1711-174«, Teralhtt mit EUsihefli Ouittfiie von Bnwnteimlt-
Bbrnkenburg, die Eltern MmU Thcreila».
•) Am Rande.
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Der Einfluß der Romantik
auf die Vertiefung des Nationalgefühls.
Von f a GUNTRAM SCHÜLTHEISS.
Ab Jahn sein Büchlein vom deutschen Volkstum nieder-
schrieb und drucken ließ, konnte er von diesem wie von emer
halb erloschenen Sache sprechen: »immer mehr verschwindet durch
eigene Sündenschuld unsere Volkstümlichkeit oder die Deutschheit;
so müssen wir wenigstens in einer Benennung die Rückerinne-
rung an das verlorene Ebenbild bewahren." Es ist daran wenig-
stens so viel richtig, daß es noch keine Wissenschaft vom deut-
schen Volkstum gab, wenn schon viel mehr Ansätze dazu, als
Jahn fiberschauen konntCp und es gab auch schon eine gar nicht
zu unterschätzende, wenn auch nicht herrschende Geistesströmung,
die den Gefühlswert deutscher Art und Geschichte stärker betonte
als die Aufklärungszdt, die ja unter dem Einfluß englischer und
französischer Auffassung das pnze sog. Mittelalter in tiefer
Baitiard versunken erblidde. Ist doch auch noch Schillers histo-
rische Bildung so verengt geblieben. Der Wissenszweig, den
man damals als deutsche AltertOmer bezeichnete, als NebenschöB-
ling vom Baum des deutsdien Humanismus entsprossen, grünte
fori, und was Hartmann Schedel, Sebastian f ranck und Sebastian
Mfioster, Quad von KinckdlMch und Martin Zdller dem Qber-
lielerlen gelehrten Wissen an natu>naler Empfindung zugegeben
haben, das war trotz altfränkischer Steife doch noch immer ein
SIfick geistigen Erbes, das von Geschlecht zu Oeschlecht fort-
ging, wenn es auch durch neue Erwerbung^ in den Hintergrund
geschoben oder, wie z. E Mflnslefs Weltbuch aus dem Hause
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56
Rr. Omitnin SdiuItheiA.
des Oelehrlen in das des Bürgers beranteiigedrackl wurde. Klop>
Stocks Enthusiasmus umwob die deulsche VoizeiV vor allem die
ebenCtdIs vom Humanismus wiedetigewonnene Heldengestalt des
Arminius, mit dem Strahlenkranz einer didiferischen Phantasie^
die ihre Ideale in der fernen Vergangenheit suchte; was daran
und noch mehr in dem Bemühen, die j^elehrte nordische Mytho-
logie als altes deutsches Volksgut neu beleben zu wollen, leerer
Klang und Übertreibung war, artete im » Bardengebrüll " ge-
schmackloser Nachahmung aus und zerstörte so leider Klopstocks
Wirkung zum größten Teile wieder. Die Reaktion war stark
genug, um auch noch Herders und Mösers Fortschritte in der
richtigen Würdigung der deutschen Vergangenheit zur Seite
zu drängen wie hätte sonst Adelung bei manni^achen Ver-
diensten um die deutsche Schriftsprache dem deutschen Altertum
und allem Volkstümlichen so absprechend und geringschätzig
gegenüberstehen können, daß Seme II Älteste Geschichte der
Deutschen, ihrer Sprache und Literatur bis zur Völkerwanderung«,
die im Jahre 1806 erschien, als giftige Schmähschrift auf die
ahen Germanen zu charakterisieren ist, daß er die altdeutsdie
Dichtung als völlig wertlos bezeichnen kann und auch in der
Sprache seiner Zeit mit dem Dünkel gelehrter Schulmeisteret
das Volkstümliche, Naturwüchsige wie die Sprichwörter als niedrig
und pöbelhaft ablehnt (Vgl. Rudolf Raumer, Qeschicfate der
gemuinischen Philologie^ 1870, S. 237 ff.)
Wie hell strahlt demgegenfiber Jahns Verdienst um die Er-
kenntnis des Zusammenbanges der Vorzdt mit den Aulg^n^
die der Umschwung aller Verhältnisse stellte. «Eine Ahnung vom
Einstbesseren" legt er sich mit Recht bei; viel mehr von einer
solchen als von gründlicher wissenschaftlicher Vorbildung aus-
gehend memt er; »da mag es gut sein, wenn in diesen Völkemöten
jemand hinab sich wagt in die Schattenwelt der Geschichte^ dort
nach einem Ausweg und Ausgang hiagt und auf ihre Sefaersprflche
far die Zukunft horcht.«
Fast ein Jahrhundert wissenschaftlichen Forschens und
Sichtens liegt zwischen Jahns deutschem Volkstum und dem gleich-
benannten Sammelwerk Hans Meyers, das sich in Umfang, In-
halt und Ausstattung zu Jahns Büchlein verhält wie Deutschlands
Der Einfluß der Ronuuitik auf die Vertiefung des Natioailg^fahb. 5 7
heutige Madifsldlung zu seiner Lige im Jahre 1810. Der
wissenschafUiche Stoff, der unter das Stichwort deutsches Volks-
tum fUltf hat sich seit Jahn so gemehrt, daß darauf sein Satz
zutrifft: »wenn Wissenschaften hinge fortgehaut werden, so hluft
sich am £nde ein Wissenstoff « unter dem schon das bloße Lesen
erliegt, die Oelehrsamkett nutzlos umherwOhlt - zur Anwendung
kann er dann gar nicht kommen. Wer den Versuch wagt, aus
vielen zugenchteten Einzelheiten ein verbundenes Ganze aufzu-
stellen, wird ehi WcAlttter.«
Jahn wird das Recht bleiben, am Anfang des Weges als
Pfadfinder und Zidzeiger zu stehen: er hat das BesdiwArungs-
wort gefunden für die guten Geister der Vergangenheit unseres
Volkes und sie als Nothelfer angerufen in den trüben Zeiten
seiner Gegenwart wie für die Zukunft, die er gläubigen Sinnes
erfaßte und 111 seiner Art dann auch fördernd und geslaitend vor-
bereitet hat. Auch andere haben zugleich mit ihm unter dem
Druck der Zeit sich bemüht, zu den halb verschütteten oder doch
vergessenen tiefsten Quellen deutschen Wcsuns Zugänge zu schaffen,
mancher gelehrter, beredter und geistreicher als Jahn, aber ü-euer
und ehrlicher keiner.
Es bedurfte aber nicht erst des jähen Zusammenbruches
des preußischen Siiiates seit der Schlacht von Jena zur tiefen
Beunruhigung der Vaterlandsfrcunde. Der klägliche Ausgang des
zweiten Koalitionskrie,2:e'^, die uns::;eheuere Machtsteigerung Frank-
reichs, die vor Aupen liefj;ende AutlusuniT des Reicbsverbandes
drängten doch jedciii Wcitci blickenden (iic ernste f rat^c nach der
Zukunft des deutschen Volkes auf. Ein Schiller, erfüllt vom Bewußt-
sein der nationalen Bedeutung seiner dichterischen Schöpfungen,
vermochte in dem Anspruch des deutschen Geistes und der
deutschen Sprache auf die Weltherrschaft Trost zu finden für den
Unteigimg der politischen Einheitsfonnen und dann den Ent-
wurf zu ehier Dichtung in diesem Sinne ruhig in seinem Pulte
liegen zu lassen. Schwächere Geister — schwächer im Vergleich
mit Schiller! -- gaben ihrem Pessimismus offen Ausdruck, so Arndt
in seinem »Geist der Zeit« schon vor 1806: »Seit zwei Jahr-
hunderten ist Teutschland der blutige Kampfplatz, wo ausgefbchten
wird, was sich bei dem Großmogul und bei den Eisktmos angesponnen
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SB
Fr. Oufiinin Scfaidäidß.
hat Teulscfae hat man gegen Teulsche bewaffhd, Slidte und Under
und Sitten zerstört und immer sind sie durch Fleiß und Zucht wieder
aufgestanden. Aber jedes Ding in der Welt hat sein Maß, wie weit
es gehen kann. Wir sind jetzt an der Grenze. Ohne alte polttiache
Haltung, ohne Teilnahme^ ohne Liebe, ohne Hoffnung steht das
Volk endlich gleicfagllltig und dumm da. Das Etend des Krieges,
die Schmach des Fliedens, der Raub des Silbers und Qoldes»
dte Schändung der Weil>er und Jungfrauen, das Niederreißen der
Festungen, der Fremden Hohn und der Fürsten Feigheit, Trug
und Geiz - es muß endlich wirken und wird wirken zu unserem
und ihrem Verderben.« Daß vollends unter dem Eindruck der
vernichtenden Niederlagen Preußens Arclienhol;', der Geschicht-
schreiber des Siebenjährigen Krieges, die Bitürchtung nieder-
schrieb, es möchte selbst die deutsche Sprache untergehen, ist
kaum mehr eine Steigerung des trüben Pessimismus Arndts.
Damals durfte es Romantik heißen, an eine bessere Zukunft
des deutschen Volkes zu glauben; aus dieser Romantik ist die
Wissenschaft des deutschen Volkstums hervorgegangen, wenn sie
auch an frühere Ansätze wieder ankiiü]}fen konnte. »Was es sei
um das Gefühl des Vaterländischen, ist schmerzlich und tröstend
zugleich in jener Zeit empfunden worden, als die ausginchende
Weltherrschaft alles Nauonale zu ersticken drohte. Damals suchten
wir in den tiefsten Fasern unseres Daseins die Gewährschaft
eines eigentümlichen Lebens und Bestandes* — so hat später
Ludwig Uhland das Verhältnis bezeichnet.
Die Jugendbestrebungen Herders und Goethes in dem
Büchlein »Von deutscher Art und Kunst* (1773) wurden zuerst
wieder aufgenommen durch die irHerzenscrgießungen eines kunst-
liebenden Klosterbruders« von Heinrich Wackenroder 1 797; was
Straftbutig und insbesondere sein Munster für Herder und Goethe
gewesen, das wurde den Jüngeren jetzt Nürnberg, es erschien
ihnen gleichsam als fortlebendes Pompeji des deutschen Mittel-
alters. »Nflmberg, du vormals weltberühmte Stadt! Wie gerne
durchwanderte ich deine krummen Gassen; mit welcher kindlichen
Liebe befaachtete ich deine altvflterischen Häuser und Kirchen,
denen die feste Spur von unserer alten vaterländischen Kunst einge-
drückt ist Wie innig lieb idi die Bildungen jener Zeit, die
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Der EinfluB der Romuitilt nif die Vertiefung des Nationalgefflhls. 5 9
eine so derbe, kritftige und wihre Spfache Ähren.« Und ein
SeifenstQck zu Goethes Apotheose des Hans Sachs ist der Lob-
preis Albrecht Dürers, als des Reigenführers der deutschen Kunst,
als des Ausdrucks deutscher Art und Empfindung: „Als Albrecht
den Pinsd führte, da war der Deutsche auf dem Volkcrschau-
platz unseres Weltteils noch ein eigentümlicher und ausgezeich-
neter Charakter von festem Bestände; und seinen Bildern ist
nicht nur in Oesichtsbildung und im ganzen Äußeren, sondern
auch im inneren Geiste dieses ernsthafte, gerade und kräftige
Wesen des deutschen Charakters treu und deutlich eingeprägt.
In unseren Zeiten ist dieser feslbesünimte deutsche Charakter und
ebenso die deutsche Kunst verloren gegangen . . Die Periode
der eigenen Kraft ist vorüber; man v^'ill durch ärmliches Nach-
ahmen und klüf^elndes Zusammensetzen das versagende Talent
erzwiii^^Tn. ' Zurück zu Durer als dem W'cl^w ciser und Erzieher
- der Ruf klingt durch diese Zeilen. So iaiige Dürers Werke leben,
ist er ja nicht tot, sondern lebt fort als Besitz der Nation. »Um
seinetwillen ist es mir lieb, daß ich ein Deutscher bin."
Auf diesem Wege der ZurOckgiewinnung des deutschen
Volkstums, als des geistigen Erbes der Vergangoibd^ ist dann
•Des Knaben Wunderhorn, Alte deutsche Lieder von Achim
von Arnim und Gemens Brentano« 1 806 ein Markstein gieworden.
Den nationalen Gewinn, den man von der Renaissance des deut-
schen Mittelalters erwartete, hat wohl am schönsten Qörres t>e-
zeicfanet in der Vorrede zu seinen »Teutschen Volksbflchem«
von ISO 7. Eine Traumviston fOhrt ihn zu den Helden, die um
Barbarossa im Schofi des Bei^ sitzen, Reinold und Siegfried,
Karl dem Großen und Oktavianus, Lionell und [Lorenz, Heinrich
dem Löwen und Herzog Emsi^ Wolfdietrich und Hagen. »Was
suchst du bei den Toten, Fremdling fragt ihn Barbarossa.
»Ich suche das Leben, man muß tief die Brunnen in die
Dürre graben, bis man auf die Quellen stößt"
»Das Leben ist nichts mehr bei uns, wir haben es als Erbt
euch zurückgelassen, ihr habt Übel damit hausgehalten.'
»Dann laß aus euren Taten von neuem den Lebensgeist
in mich ziehen.«
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60
Fr. Guntram Schultheiß.
»Von unseren Taten sind die Schatten nur uns hinabgefolgt,
willst du mit ihnen sprechen, lies in diesen Büchern."
Arnim und Brentano sowie Görres wirkten wohl mehr an-
regend durch die Beleuchtung, die sie den alten Überlieferungen
angedeihen ließen, aber gerade darauf kam es in dieser durchaus
literarisch-ästhetischen Zeit weh mehr an als auf philologisch gute
Quellenausgaben. Die Volksmärchen und Volksbücher zu beleben
hatte schon Tieck versucht, seine romantischen Zutaten, das
Spielen mit der L'LxThcfcrimo: war immerhin ge^en die franzö-
sisch-lüsterne Modernisierung des Musäus ein Fortschritt, aber
doch nur in falscher Richtung. Erst den Gebrüdern Qrimm ge-
lang es in ihrer Sammlung der deutschen Märchen (I.Rand 1812)
das Volkstümliche treu aufzufassen und wiederzugeben. Damit
war im Ton und Stil erfüllt, was Jahn zwei Jahre vorher ge-
fordert hatte: »wer die deutschen Volksmärchen und Sagen er-
zählen will, darf nicht mit Krankheiten überladen, wie Musäus, mu6
einfiUtig vortrage wie Stilling und hochgebildet sein wie Goethe.«
Worauf es ankam bei der Belebung des Nationalgefühis^
das erkannte Jahn sehr scharf: aber wie er doch kaum der Mann
gewesen wäre, gieduldig und treu die volkstQmlichen Überliefe-
ningen zu sammeln, so ließ er es auch sonst in literarischen
Dingen bei der Anregung bewenden. Welcher Deutsche, meint
er in seinem Volkstum, sollte nicht ein vollendetes Werk aber
die Deutschheit wünschen? Dann gibt er die Inhaltsanzdgie einer
angeblich vemicfateten Handschrift, die in der Tat alles enthalten
sollte^ was dem Zwecke nationaler Eriiauung dienen könnte.
Freilich wohl mehr in Skizzen und Andeutungen als in flQssiger
Ausführung. Als einen Abschnitt nennt da Jahn »VaterlSndische
WanderungMi mit einer veisinnlichenden Reisekarte'. Wie das
letztere zu verstehen, bleibe dahingestellt; in dem Beisatz Vater-
ländisch Aber liegt ausgesprochen, daß es sich ffir Jahn um etwas
handelt, was die massenhaften Reisebesdirdbungen des 18. Jahr-
hunderts eben nidit l>o1en, um Anregung der Empfindung für
deutsche Eigenart Denn auch in den Reisebeschreibungen,
einem bisher nach ihrer rein literarischen Bedeutung noch fast
gar nicht gewürdigten Gebiet, spiegeln sich die wechselnden
Strömungen des geistigen Lebens; freilich gilt das nicht sowohl
Der Einfluß der Romantik auf die Vertief uqs des NationalceffQhls. 6 1
von den eigentlichen Reisebesdireibungen, die sich nur den Zwede
setzen, geographische Erkundungen zu fibermittdn, als von der
ungleich größeren Masse der rein persönlichen Berichte von
Reisen auf gebahnten Pfaden. So steht denn das literarisch be-
kannteste Stück dieser Gattung: Lawrence Sternes Empfindsame
Reise* nach rückwärts und vorwärts in literarhistorischem Zu-
sammenhang. Im letzten Abschnitt des \S. Jahrhunderts herrscht
die kritische Reisebeschreibung; man braucht nur an Johann
Kaspar Risbecks „Briefe eines reisenden Franzosen« und Fried-
rich Nicolais weitschweifige Reise durch Deutschland zu denken
— das abschreckende Vorbild des reisenden Ekriiners, der an
alles, was ihm vor die Augt-n kommt, den Maßstab seiner ge-
wohnten Umgebung anlegt, nicht geniefkn, sondern kritisieren will.
Auch auf diesem üebiet koninit den Romantikern, als den
Antipoden der verflachten Aufklarung, das Verdienst zu, mit
neuen Augen in die Welt geblickt zu haben. Während seibst
noch Goethe, der Vielreisende, seine Aufzeichnungen von unter-
wegs fest nur aus dem Gesichtspunkt der Belehrung macht - abge-
sehen natürlich von einzelnen Stellen der italienischen Reise —, findet
Friedrich Schl^el ganz neue Töne in der »Reise nach Frankreich«
(abgedruckt in seiner Zeitschrift „Europa", fruilcfurt a. M. 1806,
1. Band, 1. Stück). Von der Wartburg liest man: »Schöneres
habe ich in Deutschland Nichts gesehen als diese Buig auf
emem einzelnen, ehedem ganz waldumlorflnzten Beige^ rundum
von Felsen und Tftlem und HQgdn umschlossen ... der An-
blick des Abends ward . . . noch verschönt durch den Ruhm des
Namens und durch die Erinnerung an die Zeiten, da die Poesie
hier in voller Blüte stand. Nur der Rhein hat noch einen
ihnlichen Eindruck auf mich gemacht Wenn man solche Qegen-
sttnde sieht, so kann man nicht umhin sich zu erinnern, was die
Deutschen ehedem waren, da der Mann noch ein Vaterhmd
hatte.« Es fölgt ein Gedicht auf die Ritterzeit und dann die
Stelle, die schon Jahn in sdnem Volkstum zitiert: »diese Poesie
(des ritterlichen Lebens) ist nun verschwunden und auch die Tugend,
die mit derselben veiscfawisfert war. Statt des furor tedesco,
dessen in den italiänischen Dichtem so oft erwfthnt wird, ist nun
die Geduld unsere erste Nationaltugend geworden und nebst
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62
Fr. Ounbim Sdiultlidfl.
dieser die Demut zum Qegensatz jener ehedem herrschenden
Gesinnung^ wegen welcher noch zur Zeit Kaiser Kßxi des Fflnflen
ein Spanier, der mit ihm dieses Land durchreiste, die Deutschen
los Seros nennt
Aber was uns betrifft, so wollen wir fest halten an dem
Bilde oder vielmehr an der Wahrheit jener großen Zeiten und
uns nidit verwirren lassen durch die gegenwärtige Armseligkeit,
unter weldier dieses große Volk nicht weniger eriiegt wie andere
mhider l)edeutende. Vielleicht wird der schlummernde
Löwe noch einmal erwachen, und vielleicht wird, wenn
wir es auch nicht mehr erleben sollten, die künftige Welt-
gebchichlc noch voll sein von den Thaten der Deutschen."
Nach einer kurzen Musterung der deutschen Geschichte,
wobei Schlegel besonders des Wechsels von hohem Aufschwung
und jähem Absturz gedenkt wie dann der Möglichkeit eines
schwedisch-deutschen Kaisertums unter Gustav Adolf, der Wieder-
herstellung der natürlichen Einheit der nordischen Nationen mit
dem germanischen Körper, kommt er nochmals auf den Rhein
zu spreclien. uNirgends werden die Erinnerungen an das, was
die Deutschen einst waren und was sie seyn könnten, so wach als am
Rhein. Der Anblick dieses königlichen Stromes muß jedes
deutsche Herz mit Wehniuth erfüllen. Wie er durch Felsen mit
Riesenkraft in ungeheuerem Sturz herabfällt, dann mächtig seine
breiten Wogen durch die fruchtreichsten Niederungen wälzt, um
sich endlich in das flachere Land zu verlieren - so ist er das
nur zu treue Bild unseres Vaterlandes, unserer Geschichte und
unseres Charakters."
Der deutsche Rhein — dies Motiv erklingt hier zum ersten
Mal hell und klar in unserem Schrifttum! Wohl hatte schon
Fischart in seinem »Olückhaften Schiff" die mythologische Vor-
stellung des Vaters Rhein neu belebt, aber der Folgezeit erschien
der heriliche Strom doch vor allem als des heiligen Römischen
Reiches Pfaffengasse. Das liegt doch weit ab von dem Gefühls*
wert der Verbindung «der deutsche Rhein«. Schlegel seltsst hat
diese Zusammenstellung noch gar nicht; aber er kommt ihr so
nahe, daB der Nächste sie hoffen mußte. Er ahnt die Bedeutung;
die der Rhein schon im Mittelalter fOr die deutsche Geschichte
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Der Einfluß der Romantik auf die Vertiefung des Nationalgeffihls. 63
gehallt hati wie sie IC W. Nitzsch voilQhil, und er ahnt eine Zu-
kunft die der Veiigangenheit wfirdig ist; die Gegenwart bietet
Schlegel freilich nur das Bild der Gesunkenheit »Hier wftre
der Ort* — er meint zunächst Mainz — , «wo eine Welt zu-
sammenkommen und von hier aus übersehen und gdenkt werden
können wenn nicht eine Barriere die sogenannte Hauptstadt um-
schiftnkte^ sondeni statt der unnatürlich natürlichen Grenze und
der kUi^ich zerrissenen Einheit der Länder und Nationen eine
Kette von Burgen, Städten und Dörfern längst dem herr-
lichen Strome wiederum ein Ganzes und gleichsam eine größere
Stadt bUdelen, als würdiger Mittelpunkt eines giflcMichen Weltteils.«
Der Rhein Deutsdihmds Sfarom, nicht Deutschlands Grenze
- was uns selbstverständlich is^ dafür mußte Emst Moritz
Arndt noch mit einer weit ausholenden historischen Darlegung
eintreten; der Begriff »deutscher Rhein« mußte erst eigens mit
geistigen Waffen gewonnen werden, wie das Land links des
Rheines mit wirklichen Waffen von Frankreich zurückgenommen
werden mußte, zum größeren Teil 1814, zum kleineren dann 1870,
unter den Klängen der Wacht am Rhein.
Auch ihr Keim, wie der der ganzen Dichhmg uber den
Rhein und das rheinische Leben, liegt in hricdncli Schlegels
Worten, so unscheinbar diese Zeitschrift Europa sich darstellt.
Der überzeugende Nachweis des Ursprungs eines Gedankens, einer
Vorstellung und vollends eine Staüstik der Verbreitung läßt sich
dabei freilich nicht beibringen. Leichter ist das möglich in der
Behandlung^ mittelalterlicher Quellen ; mancher Fall liefert auf das
schlagendste den Beweis, daß neue Oednnken - sie sind ja
lange nicht so häufig, als die lärmende Liieraturjugend uTinier
, wieder "laubt — zuerst von Einem gefunden und ausf^esproehen
werden müssen, so üppig sie dann wuchern und sich verbreiten
mögen, bis der unscheinbare Keim zum weitschattenden Baum
sich auswächst. So konnte eine der zähesten Qeschichtsfabeln
des Mittelalters, die Sage vom Ursprung der Franken aus
Troja, zuriickverfolgt werden bis auf ein Mißverständnis eines
Chronisten des 7. Jahrhunderts, der in seine Vorlage etwas von
den Franken hineinlas und abschrieb, was gar nicht darin stand.
(VgL Heeger, Landauer Gymnasialprogramm von 1891.) So ver-
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64
Fr. Guntram Schultheiß.
mochte der Schreiber dieser Zeilen, seines Wissens zuerst, nach-
zuweisen, auf welch wunderlichem Umweg die alldeutsche Arndt-
sche Begriffsbestimmung von Deutschland: »so. weit die deutsche
Zunge klingt" gefunden worden ist — nicht früher als in der
Vorrede Sebastian Francks zu seiner »Chronika der Deutschen' 1 538.
(Vgl. Globus» Band 59, Heft 18 und 19.)
Fflr neuere Zeiten aber lassen sich derartige Genealogien
von Gedanken vid schwieriger feststellen. Wie die Quellen, aus
denen die Bildung selbst mittdniiBiger Schriftsteller zusammen-
rinnl^ doch unglekfa reicher sind als im Mittelalter vor der Aus-
dehnung des Buchdrucks» so verwirren sich auch die geistigen
Ffiden des Zusammenhanges von früher und spftter ins Unüber-
sehbare. Seminaiarbeiten und Dokiordnserfaüonen sind auf diesem
weiten Felde kaum zu gewinnen» da erst die Belesenheit des
reiferen Alters und fast noch mehr der Zufall des Findens den
Blick öffnen kann. Aber allmählich wird auch hier die Wissen-
schaft einen Bestand positiven Wissens anhäufen: wie Richard
M. Meyer, auf den Bahnen Bflcfamanns fortschreitend, dne gunze
Reihe von Schlagworten bis zu ihrem Ursprung verfolgt hat, wie
manche Novellen motive der Weltliteratur von der vergleichenden
Literaturgeschichte nach allen Seiten in Zusammenhang gebracht
worden sind, so werden später auch die Inventarstücke der
historisch - politischen Weltanschauung der verschiedenen Zeit-
räume in exakter Statistik der geistiefen Entwicklung ermittelt
werden. Es wird dann auch dem rasch arbeitenden Journalisten
nichts derartiges mehr passieren, wie z. B. der Wiener Neuen
freien Presse in ihrem Leitartikel am 28. Juni 1893, wo zu lesen
stand, Bismarck habe einmal erklärt, Frankreich sei ein wildes
Land, und dann den Gedanken erörtert, daß man eine wiäste
Zone zv.ischcn Deutschland und Frankreich herstellen müsse.
Diesen Gedanken hat aber nicht Bismarck ausgesprochen wns
doch selbstverständlich sein s5llte! , sondern Friedrich Ludwig Jahn
in seinen öffentlichen Vorlesungen zu Berlin 1817 und den
wunderlichen Vorschlag in dem manchmal krausen Humor seiner
Spielerei mit abgelegenen Wörtern ausgesponnen; ob es ihm
voller Emst damit gewesen, bleibt fraglich. Daß in Jahn ein Stück
Culenspiegd steckte, hat schon der eine und andere der Zeit-
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Der Einfluß der Romintik anf die Vertiefunf des NatioiudSefflhls. 65
genossen erkannt; die pedantisdie Erasthaftigkdt, mit der die
fleißige und soigfiUtige Biogrsipliie Eulers alle Sdten&prflnge
Jahns auf den höheren Ton stimmt wird dieser Sehe jedenfalls
nicht ganz gerecht und hat ein etwas zu sehr idealisiertes Bild
gegeben» das noch inuner die herrschende AufErasung ist Im
übrigen hat aber Jahn doch mehr geistigen Einfluß geflbl, als
z. a Treilschke zugibt
Anregungen sind oft fruchtbarer als Leishingen, das gilt
fßr die Bedeutung der Romantik bei der Ehtwickhing des deut-
schen Nationalgefühls im 19. Jahrhundert, wie überhaupt, so ganz
besonders auch von der Einleitung Tiecks zum 1. Bande seines
Phantasus (1812). Tieck hatte bereits in Berlin den Einfluß Jahns
und seiner Turner vor Augen, den Geist, der sich im Leben
und Treiben riuf dein ersten Turnplatz in der Hasenhaide aus-
tobte und in dem Satz der Tumgesetj^ kundgibt: »Keiner darf
zur l urngemeinde kommen, der wissentlich Vtrkehrer der deut-
schen Volkstümlichkeit ist und Ausländerei liebt, lobt, treibt und
l^eschonigt " Worin diese Volkstümlichkeit bestand, das hätte
nun freilich kaum einer der Turner, am wenigsten ein Gymnasiast,
einem andern begreiflich machen und darstelien können, er hätte
dann höchsten«; auf Jahns Rüchlein vom deutschen Volkstum
hinweisen müssen, wo aber eben das Grundlegende ausgefallen
war. Jahn hat die Lücke auch später nicht ausgefüllt. Tieck
empfand sie sehr wohl, und er läßt deshalb die Einleitung
zum Phantasus ist selbst in Novellenform gekleidet seinen
Theodor zu Ernst sagen: „behüte uns überhaupt nur der Himmel
(wie es schon hier und da angeklungen hat), daß dieselbe Liebe
und Begeisterung, die ich zwar in dir als etwas Echtes aner-
kenne, nicht die Torheit einer jüngeren Zeit werde, die dich
dann mit leeren Übertreibungen weit überflügeln möchte." Emst
— es ist Tieck selbst - hat schon vorher der tiefen Eindrücke
gedacht, die Nürnberg in ihm hinterlassen, »die geliebte Stadt, in
der der teure Dürer gearlieitet hatte, wo die Kirchen, das herrliche
Rathaus^ so nuuiche Sammlungen seiner Spuren bewahren", jetzt ent-
wickelt er den liteianschen Plan einer vaterländischen Reisebe^
Schreibung, in der Kenntnis des deutschen Vaterhmdes erblickt
er die ErfQllung der patriotischen Schwirmerd mit lebendigem
AkUv IBr Kalttugeschicbte. V. 5
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66
Inhalt: «Wenn nur das wahrhaft Qute und Große mehr erkannt
und ins Bewußtsein gebncfat mrd, wenn wir nur mehr sammeln
und lernen, jene Vonirldle der neuen Hoffart ganz ablegen und
die Voizeit und also das Vaterland wahrhafter und umigier liebeUi
so kann der Nachteil einer sich bald erschöpfenden Tochett so
g;ro8 nicht werden.« Mit Scfairfe und völliger Klarheit wird
dann der Oedanke ausgef&hrt, den Jahn nur andeutet mit setner
Kapitdaberscfatifl »Vaterlindische Wanderungen« als Teil des an-
geblich von ihm verfaßten und verlorenen »Denkbuches fttr
Deutsche«, indem Emst berichtet:
«In jenen jugendlichen Tagen geriet ich oft in die wunder-
lichste Stimmung, wenn ich die Beschreibungen unseres Vater-
landes, die gekannt und gerühmt \s'aren, und v/elclic auf allge-
mein angenommenen Grundsätzen beruhten, mit dem Deutschland
vergUch, wie ich es mit meinen Augen und Empfind uni^en sah;
je mehr ich überlegte, nachsann und zu lernen versuchte, je mehr
wurde ich überzeugt, es sei von zwei gan?. verschiedenen Ländern
die Frage, ja unser Vaterland sei überall so unbelcannt wie ein
tief in Asien oder Afrika zu entdeckendes Reich. . . . Aul diese
Weise büdete sich in jenen Stunden m mir das Ideal einer
Reisebeschreibung durch Deutschland, das mich seitdem gereizt
hat, einigte Blätter niederzuschreiben. Was unsere Nation an
eigentümlicher Malerei, Skulptur und Architektur besitzt, welche
Sitten und Verfassungen jeder Provinz und Stadt eigen, und wie
sie entstanden, zu erforschen, um den Mißverständnissen der
neueren kleinlichen Oeschichtschreiber zu begegnen; welche
Natur jeden Menschenstamm umgibt, ihn bildet und von ihm ge-
bildet wird: alles dieses sollte nun in einem Kunstwerke gelöst
und ausgeführt werden. Den edlen Stamm der Österreicher
wollte ich gegen den Ungtimpf jener Tage verteidigen, die in
ihrem fruchtbaren Lande und hinter reizenden Bergen den alten
Frohsinn bewahren, die kriegerischen und frommgläubigen Bayern
loben, die freundlichen, sinnvollen, erfindungsreichen Schwaben im
Garten ihres Landes schildern, von denen schon ein alter Dichter singt :
Ich hab d^ Sdiwaben Würdigkeit
In fremden Landen wohl erfthreo,
die berührigen, munteren Franken in ihrer romantischen, vielfach
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Der Einfluß der Romantik auf die Vertiefung des Nationaigetühis. 67
wechselnden Umgebung, denen damals ihr Bamberg ein deutsches
Rom war, die geistvollen Völker den herrlichen Rhein hinunter,
die biederen Hessen, die schönen Thüringer, deren Waldgebirge
noch die Gestalt und den Blick der alten Ritter auibewahren,
die Niederdeutschen, die dem treuherzigen Holländer und starken
Engländer ähnlich sind; bei jeder merkwürdigen Stelle unserer
vaterländischen Erde wollte ich an die alte Geschichte erinnern,
und so dachte ich die lieben Täler und Gebirge zu durchwandern,
unser edles Land, einst so blühend und groü, vom Rhein und
der Donau und alten Sa^en durchrauscht, von hohen Bergen und
alten Schlössern und deutschem tapfern Sinn beschirmt. Gewiß,
wem es gelänge, auf solche Weise ein geliebtes Vaterland zu
schildern, aus den unmittelbarsten Gefühlen, der \s'ürde ohne alle
Affektation zugleich ein hinreißendes Dichterwerk ersonnen hat}enl''
Ein klassisches Werk, das diesem Ideal entspricht, das ganze
Deutschland umfassend, aus einer Feder hervorgegangen, besitzen
wir auch heute noch nicht, die achtungswerten Anläufe und Ver-
suche dieser Art, von Mendelssohns Buch »Das germanische
Europa" an, bleiben durchweg der Geographie näher als dem
kflhnen Wuri des Kunstwerkes, ein so tüchtiges Buch auch
z. B. Kutzens »Deutsches Land" ist. Noch weniger können
sdbstveisttndlicb Illustrations- und Prachtwerke^ wie zuletzt
Kürscfaneis »Was ist des Deutschen Vaterhind', an dem Maßslab
Tiedcs gemessen werden, denen der Ursprung buchhftndleriscfaer
Spekuhdion zu deutlich anhaftet Das Beste auf dem Gebiet der
Landes- und Volkskunde sind Schriften engeren Inhalts^ wie z. B.
Himers* Maiscfaenbuch, wo die Heimatsliebe eines Dicfateis und
kemhaften deutschen Mannes die Feder fQhrt In den großen
Sammelwerken ist vieles Schöne enthalten. Dte Aufgabe aber»
die Tieck einem einzelnen setzte^ ist doch gelöst worden, nur
auf andere Weise: indem die deutschen Lesebücher für den
höheren Unterricht all das zusammenstellten, was mit der Kenntnis
des Vaterhuides die Liebe zum Vateriande in die empfilnglichen
Seelen der Jugend zu pflanzen geeignet erschien. aber in
den Reisebeschreibungen Über Deutschland nach Tieck ein Hauch
seines Geistes zu spüren ist, wofdm der Schreibende Überhaupt
einen höheren Anlauf nimmt, das beweist sdion die Beliebtheit
s*
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68
Rr. Ounirtm SdmlflieUI.
des Wortes •Ronuntisdi« für die Tfid der Bfldier wie in der
Aufhosung deulscher Landschaften. Das «Romantische Westfalen«
haben Lewin Schflcking und Ferdinand Freiligrath entdeckt und
beschrieben; heute entbehrt keine deutsche Landschaft des litera-
rischen Herolds. All das ist Ausläufer der Romantik, die aber
nicht sowohl von den Romantikern der Literaturgeschichte ge-
machtworden ist, sondern als der Drang nach nationaler Wieder-
geburt die Schlegel, Tieck usw. in ihren Dienst gezogen und
ihnen Inspirationen gegeben hat.
Die Zeit der Freiheitskric^je machte aber auch ernsthafte
Versuche, die nationale Romantik, das Sehnen nach Wiedergeburt
ins tägliche Leben einzuführen. Der erfolgreichste Versuch dieser
Art ist ja das Jahnsche Turnen gewesen, wie gerade von den
Gegnern bezeugt wird; eine neue Narrheit, die alte Deutschheit
v/ieder aufbringen zu wollen, föhrt Jahn selbst als deren Äuße-
rung auf. Die später von Steffens behaupteten Umtriebe auf den
Turnplat/cn, wo \'on den altdeutschen Hügeln neben der jung-
gepflanzten Eiche Unterredungen gepflogen würden über Volks-
tum, Franzosenhaö, Freiheit und Deutschtum beschränkten sich
freilich auf recht harmlose Dinge. Außer der Befehdung der
Fremdwörter und der französischen Sprache als vornehmer Um-
gangsspiache in Deutschland, dann der Feier von Erinnerung»-
tagen, besonders der Schlacht bei Leipzig, bjot doch nur die
Einführung einer besonderen Turnkleidung die Handhabe des
Vorwurfs der Sektenbildung. In dem Bestreben, eine deutsche
Nationaltracht einzufflhren, begegnete sich Jahn nur mit anderen^
er hatte sie schon in seinem Deutschen Volkstum gefoidert Jahn
selbst ging mit Beispiel voran und trug seit den Befieiungs-
kriegen seinen «deutschen Rock« mit dem breiten umgelegten
leinenen Kragen, den dann dte Bunchenschaften Qbemommen
haben. Emst Moritz Arndt forderte in der Schrift »Ober Sittel
Mode und Kleidertracht* Stiefdn bis zur Kniebeugen bei feier-
lichen Gelegenheiten Schuhe, Beinkleider zwischen zu eng und
zu weit, ein Wams bis HQfte und Elbogen (d. h. Weste), in
kälterer Jahreszeit einen alten deutschen Leibrock bis zur HUfte der
Schenkel, Oflrtel oder WehrgehSng, kein Halstuch, fibeige-
schlagenen Hemdkragen, bd Festen federhut mit Volksfarben t
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Der EinfluB der Romantik aitf die Vcriiefniic des Natlomügefühls. 6 9
Ebenso tind wohl noch mehr regten sich solche Wünsdie ifir
euie weibliche Nationaltracht Von Amalie Imhof etschien ehie
Schrift «An Tcutschhmds Frauen von ehier ihrer Schwestern*,
die sich, wie Aber die Vcrruchthdt des Franzosentums, die Un-
sitte und den »Tand* in französischer Sitte, Sprache und Mode
und für die Wiederbelebung deutscher Art und EinfaU, so auch
über „deutsche" Volkstracht für die Frauen ausließ. Der «Rheinische
Merkur wandte diesen Bestrebungen seine Teilnahme zu; er brachte
auch (1814, Nr. 106) die Mitteilung, preußische Frauen sännen
über den Plan einer Nationaltracht voll Einfachheit Eine spätere
Zuschrift forderte die deutschen Frauen auf; »Mögen sie sich jetzt
selbst ein Kleid weben, das sie von der Nacktheit fremder Sitte
befreyt. Was jetzt geschieht, thut die freie Wahl, späterhin würde
es das Gesetz befehlen. Die Tracht des Landes ist der ehren-
vollste Schmuck. Sprache und Kleidung be7eiehnen die Grenze;
wer teutsch ist, tragt sich nach der Sitte seines Landes." Diese
Drohung mit dem Gesetz ist voller Emst. Jahn hatte sogar die
ausschweifende Forderung gestellt, es solle keine Handlung Gültig-
keit haben als in der Volkstracht, die auch bei jeder angestellten
Zusammenkunft auf jedem Gelage und in der Kirche getragen
werden mflsse; er kann sich schon auf frühere Vorschläge zur
Einführung einer Volkstracht bis zurück auf das deutsche Museum
von 177S beziehen, also schon lange vor der französischen
Revolution und ihtei Eingreifen in die Mode. Von Oben her
wfinschen dann, ganz im Oeist der damaligen Hoffnungssd^gkeit
auf die Weisheit der hohen Regierungen, vencfatedene I^ug-
Schriften eine deutsche Nationallracht ehigefQhrt Die Regierungen
oder die Fürsten selbst sollen leisten, was Jahn mit den Worten
ausdrückt, dne Volksbacfat müsse nach dem Vorbild des Volkes
in sdner Vollendung mft echtem Volksstnn und hohem Volk»-
tumsgeist erftinden werden; das sd mehr als dn Schneiderling
kOnne und em Abfasser von Kleideioidnungenl Wenigstens auf
dem Gebiet der Frauentradit dnd diese Ansprüche nicht ganz
vergeblich gemacht worden: nach dner Konespondenz aus dem
Badisdien im Rhdnischen Merkur (1814, Nr. 162) hatten dort
die OroBherzogin und die Markgräfin im Streben nach einfacher
Nationaltracht ein weißes Kleid, rotsamtenen Oürld und dnfachen
70
fr, Omilnm Sdiidliidfi.
Kopfjputz voifj^sdibgöi und sich selbst enfsdiloeseni fortui so zu
cnchdnen. Dem Korrespondenten oder der Koirespondentia
aber schwebt eine umfusende Wiederbelebung der mitlelaller-
lieben Tnditen vor. vWirum sieht* - so fragt er - »Niemand
auf, der jene acbiechten, elenden Pariser-Mode-Joumale^ die zum
Teil in unserer Mitfe erscheuien, zu veidringen untermmmt und
eine Sammlung altteulscher Trachten in monatlichen Heflen an«
legt? Altleulsche OemAhldc, Zeicbnungen, Bildwerfce enthalten
einen Schatz, der nicht so leicht zu erschöpfen ist!' Ganz ohne
Erfolg blieben solche Anregungen nicht Ober das »Deutsche
Peyerkleid zur Erinnerung des Einzuges der Deutschen in Paris
vom 31. März 1814, eingeführt von deutschen Frauen", unter-
richtete eine in Gotha erschienene Schrift. Das schwarze Kleid
mit herzförmigem Ausschnitt kurz t^e^'urtct, mit weißem Stuart-
kragen uiirde auch in Frankfurt am Main 1814 zur Feier des
Jahrestags der Leipziger Schlacht getragen und ebenso in Wien.
Aber die Mode siegte doch sofort wieder. Eher noch hat das
Festkleid deutscher Jungfrauen heim Siechest inzu^^ m Berlin 1871
Spuren in der Mode der nächsten Jahre hmterlassen; in dem
tollen Rejgen tauchen von Zeit zu Zeit auch »altdeutsche" Motive
auf. im g:aiizen aber stehen wir der Idee einer Nationaltracht,
wie sie Jahn und Arndt hep^eisterfe, kühl £^cf:;enüber; der Deutsche
der Gegenwart uberiäBt es den Magyaren, Tschechen und Polen,
ihre nationale Eitelkeit durch solche Äußerlichkeiten zu nähren,
seien sie nun in historischem Zusammenhang begründet, wie die
magyarische Magnaten-Gala, in die sich freilich heutzutage auch
ganz andere Leute stecken, oder nicht, wie die tschechische
Tschamara, die Erfindung eines Präger Schneidermeisters, der
aus dem Rheinland stammle und Hassenteufel hieß, eine nationale
Errungenschaft vom Wert der gefiUschten Königinhofer Hand-
Schrift Auf eine Nationaltiacht ]c6nnen wir Deulachen um so
leichter verzichten, als wir die Auswahl unter verschiedenen hfttten,
wenn wir einmal bei der Veigangenhdt Anleihen aufnehmen wolHen.
Der historisch berechtigte Kern in dem Oedanlcengang jahnsi
Arndts usw. aber hat ohnehin sehie Lebenskraft bewfthrl, er liegt
den mehrfach begrflndeten Vereinen zur Erhalhing der Volkstrachten
zugrunde. Es entspricht unserem NationalgefQhl viel besser, sich
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Der Einflufi der Romantik tu! die Vertiefung des Nationaigeffihts. 7 1
an der Ffllle der Entwiddimg zu erfreuen «Is der Uniformie-
rung nadizujflgen.
Nur im VorflbeigdMn sd da* Versuche g^dadi^ die natio-
nale Einheit durch besondere Vereine zu fordern, die »teulschen
Qeaelhchaften*, die nach den Freiheitskriegen besonders im
Rheinland entstanden, aber bald der Reaktion zum Opfer fielen,
wie die Turnplätze und die Burschenschaft; der Gedanke einer
politischen Ftthrung Preufiens in Deutschhmd scheint hier zuerst
hl engeren Kreben veriiandelt worden zu sein; als nSdisle Auf-
gabe galt ihnen die Pflege der Muttersprache und die Ausmerzung
des Französischen als Umgang^pradie.
In innigem Zusammenhang mit der Romantik steht wieder
die starker hervortretende Hinwendung zu dem Erbe unserer
mittelalterlichen Kunst. Die Anregung dazu gaben die Gebrüder
Boisseree mit ihrer großen Samnilung, die seit 1810 in Heidel-
berg untergebracht war, und mit ihren Studien und Arbeiten über
den Kölner Dom. Es war die stärkste Förderung, daß Qoethe
sich öffentlich im 2. Teil von Dichtung und Wahrheit 1812 für
die Bestrebungen der Boisseree ausgesprochen und ihnen durch
die Erinnerung an seine Straßburger Tage und die Beschaitigung
mit dem Münster Vorschub geleistet hat. Die Sammlung der
Gemälde besichtigte er dann eingehend in den Tagen vom
24. September bis 10, Oktober 1814 als Gast Sulpiz Boissciies
in Heidelberg. Nicht ganz leicht hat Goethe den Rückweg zu
den Stimmungen seiner Jugend gefunden, in einem Brief an den
Grafen Reinhard vom 14. Mai 1810 steht noch: *Am Wunder-
barsten kommt mir dabei der deutsche Patriotismus vor, der
diese offenbar sarazenische Pflanze (die gptische Baukunst) als
aus seinem Grund und Boden entsprungen gern darstellen möchte.«
Das Eis seiner Zurückhaltung schmolz dann erst durch den Ver-
kehr mit Sulpiz Boisseree wUirend dessen Aufenthalts in Weimar
vom 2. bis 13. Mai I8II.
Den kühnen Oedanken der Vollendung des Kölner
Doms aber zu hastn und auszuspiedien, konnte doch erst der natio-
nale Aufschwung der Freihdlskriege den Mut geben. Ein kutzer
Aufsatz im Rhdniscfaen Merkur (1 81 4, Nr. 1 51), nicht unteneichnet,
aber unverkennbar von Sulpiz Boisser6e herrflhrend, gedenkt der
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72 ^r. Ountram Schultheiß.
mancherlei Vorschläge zur Verschönerung und Verherrh'chung
Deutsclilands, die nach dessen Befreiung gemacht worden seien.
«Die Riesensäule soll, aus ihrer tausendiähngen Ruhe aufgerüttelt,
nach dem Schlachtfeld an der Flbe wandern, herrlirhe Tempei-
werke sollen sich dort erheben und große Wasserwerke Teutsch-
land durchziehen, der Rhein soll auf allen seinen Inseln Bilder
und Säulen hegen", doch sei das alles nur Nachahmung der
Franzosen. Erst sei die innere tinigung- zu betreiben. Dann
werde das Leben sich am liebsten der Vergangenheit zuwenden,
eben weil es seine Eitelkeit [ist als Akkusativ zu fassen] nicht
suche, und das unvollendet Gelassene vollenden und ergänzen
wollen, indem es dasselbe wie ein heiliges Vemificfatnis betrachte,
den späten Enkeln zur Vollziehung hingegeben.
»Ein solches Vermächtnis ist der Dom in Köln, und ist
auch in uns die teutsche Ehre wieder aufgerichtet, wir können
nicht mit Ehren ein ander prunkend Werk beginnen, bis wir
dieses zu seinem Ende gehittcht und den Bau vollends ausgeführt
haben. Wahrlich, Herr von Koteebue, Weinbrenner, Wadeking
und, «rie sie alle heißen, die mit PISnen zu Monumenten sich
abgegieben, Schöneres, Tüchtigeres, Herrlicheres werden sie nicht
ersinnen als dieses in höchster Künsttichkdt etnbchste Werk.
In seiner trfimmerhaften UnvoUendung, in seiner Verlassenheit
ist es dn Bild gewesen von TeulscfaUuid seit der Sprach- und
Oedanfcenverwirrung; so werde es dann auch ein Symbol des
neuen Reiche«, das wir bauen wollen.« Von aller Phanlaatik
frd, bescheidet sich der Schluß, das sei nicht das Werk eines
Mensdienalters, noch könne es der Armut angemutet werden;
darum hiermit die erste Anregung.
Goethe hat zwei Jahre später in seuier Zeitschrift »Ober
Kunst und Altertum in den Rhein- und Mayn-Gegenden« die
Frage nochmals aufgenommen, ob nicht jetzt der günstigste Zeit-
punkt sei, an den Fortbau eines solchen Werkes zu denken.
Aber noch länger als ein Menschenalter dauerte es, bis der Grund-
stein zum Fortbau geleimt werden konnte, nach dem neuen Auf-
schwung des deutschen NalionalL^efidils, den das Jahr 1S40 ge-
bracht hat nnt der Thronbesteigung 1 nednch Wilhelms IV. und
der literarischen Abwehr des französischen Geschreis nach der
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Der EinflnB der Romaniilc auf die Vertiefung des NUionalgeftUils. 7 3
RlMüigreiize. Friedrich Wilhdm IV. luUte »eh schon 1814
ffir den Oedanken des Ausbuies begeistert; er bestttigte mit
Freude das Statut des Dombauvereins am 8. Denmber 1841.
•Der Dom! der Dom! der deutsche Dom!
Wer hilft den KMncr Dom mis bau'n?»
So nah und fern der Zeitemtrom
Erdonnert durch die deutschen Qau'n,
Es ist ein Zn?^ ist ein Schill
Wie ein gewalt ger Wogensch wall.
Wer zählt der Hände Legion,
In denen Opferheller glänzt?
Die liederldänge wer, die schon
Das Echo dieses Rufe cfglnzt?
(Droste von Hfilsbofl)
Die Vorliebe der Wortführer der Romantik für das Mittel-
aller, wte sie sdir deutlich die oben angeführte Stelle aus Frie-
drich Schlegels Europa Über die Wartburg zeigt, entsprang nicht
wissenschafilichen Interessen, sondern Bedfirfhissen des Qemfite
und Eindrücken poetischer Anschauung^ sie lag deshalb auch gar
nicht in der geraden Linie der Entwicklung der geschichtlichen
Fachstudien, sondern war eine völlige Abkehr von den zu Ende
des 18. Jahrhunderts herrschenden Auffassungen, wie sie auch
noch Schüler mit bestechender Rhetorik vertritt. Unter dem Ge-
sichtspunkt einer Erziehung des Menschengeschlechts, die, mit dem
größten Maßstab messend, ganzen Völkern und langen Zeit-
räumen nur die Bestimmung zuweist, Mittel zu sein ohne selb-
ständigen Lebenswert und nur zu einem Zweck, den spate Gene-
rationen erreichen, überspannt der Historiker Schiller den un-
glücklich gewählten Namen Mittelalter zu einem geschichtsphilo-
sophischen Mißbrauch. »Eine traurige Nacht, die alle Köpfe ver-
finstert, häng^ über Europa herab, und nur wenige Lichtfunken
fliegen auf, das nachgelassene Dunkel desto schrecklicher zu
zeigen. Die ewi^e Ordniino; scheint von dem Steuer der Welt
geflohen oder, indem sie ein entle.c:cncs Ziel verfolgt, das gegen-
wärtige Geschlecht aufgegeben zu haben. . . Mußte das Menschen-
geschlecht notwendig die traurige Zeitstrecke vom vierten bis zum
sechzehnten Jahrhundert durchlaufen?"
Dieser Auffassung g^enüber sind August Wilhdm Schlegels
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74
Fr. Ounfram Sdiidtheifi.
Voricsitngeii zu Beiiin 1802 Aber das Mittelalter (abg«dradct in
Friedridi Schlegels Deutschem Museum Bd. 2, Wien 1S12) eine
förniBdie Apologie desselben. »Man enthalte sich nur einstweilen,
bis wir diese Dinge nSher kennen lernen» nach dem Beispiel der
neumodtscfaen Qeschichlsenlsteller das Rittertum für eine Fratze
und die mönchische Mystik und SchokBÜk ffir eine dunkle unver-
stftndliche Barbarey zu halten.'' Den ritterlichen Geist nennt
Schlegel eine mehr als glänzende, wahrhaft entzOdcende und Ins-
her in der Oesdiichte bebfnellose Erscheinung. Solche Verherr-
lichung des Mittehdiers entsprang freilich mehr der Sehnsucht
nach einem Volksleben, das von Poesie getrinkt sein sollte, nm
den Stimmungen der Romantiker zu entsprechen, als einem
begründeten Wissen von den Zustanden des Mittelalters.
Aus solchen Stimmungen heraus erwuchs aber doch auch das
tiefere Interesse an der deutschen Vorzeit, das den rein j^elehrten
Studien zu Müfe kommen mußte, um eine deutsche Geschichts-
wissenschaft und eine deutsche Philologie zu schaffen.
Was schon die Humanisten begonnen hatten, die Auf-
spfirung und Herausgabe von Quellenschriften zur Geschichte
des deutschen Mittelalters, was schon Jahn forderte unter Hinweis
auf den Neudruck des Lambert von Hersfcld durch Krause
(Halle 1 7 97), das hat die Gesellschaft für ältere deutsche Ge-
schieh ts künde im weitesten Umfanj^ sich zur Aufgabe gesetzt. Es
bedurfte eines Mannes, wie es der Freiherr vom Stein war, um
die deutschen Gelehrten unter einen Hut zu brmgen, und selbst
ihm, der als Reichsritter die regierenden Fürsten als seines-
gleichen zu betrachten gewohnt war, die nur der Zufall der
letzten Zeiten des heiligen Römischen Reiches hoch emporge-
tragen, fiel es nicht leicht, die immer neu sich erhebenden Hinder-
nisse aus dem Wege zu räumen. «Seit meinem Zurücktreten
aus den öffentlichen Verhältnissen beschäftigte mich der Wunsch,
den Geschmack an deutscher Geschichte zu beleben, ihr gründ-
h'ches Studium zu erleichtem und hierdurch zur Erhaltung der
Liebe zum gemeinsamen Vaterland und dem Gedächteis unserer
großen Vorfahren beizutragen«, so schrieb Stein später an den
Bischof von Hildesheim. Der von Bflchler, dem ersten Geschäfts*
fOhrer der am 20. Januar 1819 förmlich konstituierten Gesellschaft,
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Der EinfliiB der Romantik üif die Vcrliehing des Natioiialsef9]ils. 7 5
voisiesdilagene WaMspnidi Sanctus amor patriae dat animum,
die lidUge Liebe zum Vaterland gibt den Mul^ enlspracfa Steins
AufGusung. Wie sehr es notwendig war, die deutsche Oeschtdits-
scfareibung und Oesdiichtsaufhusung auf festere Qnindlagen zu
stellen als bisher - nicht nur für das wiasensduftttche, sondern
auch fDr das nationalpolitische Interesse das bezeugen unter
anderem die wundeiticfaen Versuche^ einen bayrischen PlartUaihulfr*
mns theoretisch zu stützen und praktisdi zu pflegen. Die Ab>
stammung der Bayern von den keltischen Bojern war ja keine
neue Erfindung, schon Aneas Silvias führt sie vor und läßt um
ihretwillen die Bojer aus Pannonien nach Norikum ziehen. Wie
aus den keltischen Bojern der kerndeutsche Stamm der Bayern
geworden sein sollte, macht ihm so wenig Skrupeln als seinen
Nachtretem; Aventin hingegen erklärt, darin wie sonst vielfach in der
Auffassung der Geschichte selbständig, schon die Bojer als Ger-
manen. Für den Verfasser einer Flugschrift von 1 7 84 »Vom
Kationalcharakter der Baiern", wohl Westenrieder, gilt es wieder
als ausgemacht, da[j die Bojer von den alten Kelten stammen.
Es entsprach vollends den Stimmungen der Rheinbundszeit,
einerseits die bayrische Geschichte in die fernste Vergangenheit
zurückzuführen , indem man die Meldentaten der Rojer-
könige Bcllovcsus und Sigovesus für sie in Anspruch nahm, und
andererseits konnte die angebliche Abstammung der Bayern von
den keltischen Bojern das politische Bündnis mit den gleichfalls
von Keilen entsprossenen Franzosen rechtfertigen. Direkt ausge-
sprachen ist das ja auch nicht in dem wunderlichen Buch des Herrn
von Pallhausen, Mitgliedes der bayrischen Akademie der Wissen-
schaften »Garibald, der erste König Bojariens", aber doch
zwischen den Zeilen der gelehrten Anmerkungen zu lesen. Im
gleichen Jahre mit Jahns deutschem Volkstum 1810 erschienen,
ist es in jeder Hinsicht dessen Gegenstück, der Versuch einer
BegrOndung des Partikularismus durch das Kehricht einer After-
gelehnamkdi, die in der Vergangenheit nicht forscht^ aber stöbert^
ob sie Belege finde für vorgehißte Meinungen. Mu6 doch selbst
die apokzy^e Notiz, daß Kaiser Friedrich der Rotbart bei dem
dritten Kreuzzug in Armenien Völker gehnoffen hätte, qui sermone
boioo ntebantur, - in Wirklichkeit nur die Anpassung der filteren,
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f¥. Guntram ScfauItlieiB.
sdhon duicfa das Annolied bezeugten Oesdiich(sEid)d voa der
Auswindcning der Bayern aus Annenien — ab Beleg dafür
dienen, daß die Bayern noch am Ende des 12. Jahriiunderts in
der Hauptsache Icettisch gesprochen hitten; denn die it90 in
Klehitsien gefundenen Volker seien Oalater, Nachkommen der
alten Stammesbrüder der Bojer oder Bayern. So verschroben
das alles ist, hat es doch seine symptomatische Bedeutung für
die Zeit Der Rezensent des Buches in der Oberdeutschen Lüe-
raturzeitung, die im königlich bayrischen Zdtungskontor erschien,
also eine Art offiziellen Blattes war, sprach mit dem feurigen
BeiMl auch den Wunsch aus, es möchte dieses bayrische Epos
in den vateillndischen Schtden gelesen weiden, stett hexametrischer
Romane Aber die Leiden und Freuden von AotorsliuniHenl
Dieser Rezensent war der Herr von Aretin, Direktor der Hof- und
Staatsbibliothek, der nicht lange vorher in derselben Zeitschrift
sich dahin geäußert hatte: »Man soll alle Mittel anwenden,
um den Nationalcharakler der Bayern zu steigern, auszubilden.
Überhaupt alles, was dazu dient, sie von anderen Nationen
zu unterscheiden, wird auch dazu dienen, die Dauer ihrer
Selbständigkeit zu sichern. Selbst Kleinigkeiten sind hierin von
Wichtigkeit, und es war gewiß eine glückliche Idee der bay-
rischen Regierung, daß sie eine Nationalkokarde eingeführt.
Die timiuhrung einer Nationalkieidung würde zuverlässig mit
noch j^rößercr Kraft wirken. Man glaube nicht. Bayern sei von
einem zu geringen Umfang, um ein besonderes Reich tu bilden.
Denn groß oder klein ist nicht, was auf der Landkarte so scheint.
Der Geist entscheidet. Jedes Volk ist, wozu es sich macht, und
meist am vortrefflichsten das, welches sich nicht versäumen darf."
Der fortwirkende Einfluß dieser Anschauungen und die kühne
Erweiterung der bayrischen Geschichte in die Vorzeit zurück er-
lag aber nicht sofort, als in den höheren Regionen der Wissen-
Schaft für solche Träumereien kein Rückhalt mehr gesucht werden
konnte. Trotz des Widerspruchs, den Mannert sofort erhoben
hatte, sickerte die Erkenntnis der Sprachwissenschaft und Ge-
schichtsforschung über die Anfänge der bayrischen Geschichte
doch nur so langsam in die unteren Regionen, daß die Bojer
in SchuIbQchem f&r Gymnasien und Volksschulen noch lange
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Der Einfluß der Romantik auf die Vertiefung des Nationaigefühls. 77
fort spukten und in Tausenden von Köpfen sich festsetzten als
die Ahnen der Bayern. Felix Dahn berichtete gelegentlich davon,
wie ihm noch während seines Aufenthaltes in Wurzburg em neu-
erschienenes Schulbuch von einem Schulinspektor vor Augen
gekommen sei, in dem die alten Fabeln von den Heldentaten der
bayrischen Fürsten Bellovesus und Sigovesus in aller Sicherheit
auftraten; erst auf sein Betreiben hätte das Ministerium die Be-
nutzung in den Schulen untersagl.
Auf solchem Hintergründe erscheint die nationale Bedeutung
der Bemühungen des Freiherrn vom Stein und seiner Oesellschaft
für ältere deutsche Geschichtskunde um die Monunienta (jer-
maniae historica im volleren Lichte; und ebenso die Hindernisse
der Oleichgültigkeit und offenen Abneigung. Immer wieder be-
klagt sich Stein in seinem Briefwechsel über die Bevorzugung
naturhistorischer Forschungen. „Während die bayrische Regierung
für ein deutsches geschichtliches Werk nichts tut, erscheint auf
ihre Kosten die Geschichte der brasilianischen Affen und weit-
ohrigen Fledermäuse.* Der einflußreiche Qentz erklärte Pertz bei
dessen Besuch am 23. August 1823 zu Baden bei Wien, »dem
Kaiser sei das Entstehen dieser Oesellschaft unmöglich angenehm
gewesen; zu viele Erfahrungen rechtfertigten den voriäufigen
Verdacht gegen alles, was jetzt als Gesellschaft oder Vereinig[ung
auftrete. Auf Begünstigung habe die Oesellschaft nicht zu rechnen,
sie werde nie gern gesehen werden.« (Steins Leben von Pertz
S. 583.) Und das alles trotz der Empfehlung durch den Bundes-
tag an sftmÜiGhe Regierungen zur Unterstützung auch durch Qdd-
bdtilge (am 23. August 1S23, ebenda S. 527). Erst alhnflhlich, seit
1834, dann vollständiger seit 1845 verpflichteten sich auf wieder-
holte Empfehlung des Bundes die deutschen Regierungen zu
regelmflSigen Jahresbeiträgen!
Es ist weder mOglich mit Rfidcsicht auf den zur VerfQgung
stehenden Raum noch auch nOtig; nUier auf das trotz aller
äußeren Beengtheit rasch fortschreitende Wachshtm des Wissens
vom deutschen Volkstum in Geschichtsforschung und Germa-
nistik einzugehen. Sind doch für die BefhtchUing und Vertiefung
unseres HaHonalgeftthls nodi mehr als die Einzelergebnisse der
Forschung die Versuche der Zusammenfassung in daistdlenden
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Rr. Ountiam SchulÜidB.
Werten mafigdxnd g^rden. So steht Ruimen Oachichte der
Hohensinifieti noch mit der Romantik in direktem Zuaammcnhangp
ihr liefer Einfluß ist dadurch nicht vermindert, daß die kritische
Forschung mandics auazusetzen hatte. Und der letzte Ausrufer
der Romantik, die sich am MitiebiUer vor altem erbauen und
b^ieistem wollte, Ist Oiesebrechts Qesdiidite der deutschen Ksiser*
zeit die ihre offen ausgespfXKhene Aufgabe noch besser erfüllt
hätte, wenn nicht die Gründlichkeit den Fortgang gelähmt hätte.
Die breiteste Wirkung hat Gustav Freytag mit seinen Bildern
aus der deutschen Vergangenheit und seinen Ahnen erreicht, weil
ihm der Wurf des SchrifislcUers ebenso eignete wie das üeschick,
auch mil noch nicht von allen Seiten behauenen und geglätteten
Bausteinen etwas Ganzes zu machen. Ein großartiges, aber doch ab-
schreckendes Bospsei des Gegenteils ist Müllenhofts deutsche Alter-
tumskunde gewurden. Siesüllte die Nation - SO kündigte die Vorrede
zum 1 . Band 1 87 0 an Selbsterkenntnis lehren und durch das Ver-
ständnis der Vergangenheit den rechten Weg der Zukunftzeigen. »Die
Altertumskunde lehrt, daß die Nation nur entstanden ist und ihre
erste geschichtliche Bestimmung, den Kampf mit dem römischen
Weltreich, nur bestanden hatte durch die Macht eines Ideals, das
in ihr herrschend wurde. Und ebenso ist gewiß, daß ihre Zu-
kunft davon abhängt, daß wiederum ein Ideal, das Ergebnis ihrer
bisherigen Entwicklung, mit klarem Bewußtsein erfaßt wird.«
Nie ist eine hohe Aufgabe unbehilflicher angepackt worden,
als es Mijllenhoff getan hat Vor lauter Bäumen liat er schon
gleich bei der Ausführung den Wald nicht mehr gesehen. Die
Nition schrumpft dabei zu dem Dutzend Fachgenossen zusammen,
vor deren kritischen Augen die Steine mühsam gebrochen, aber
kaum mehr noch behauen werden. Jüngeren Minden überließ
er, aus seinem Material das Werk fortzusetzen. Was ihm vor-
schwebte, ist daraus erst lecfat nicht geworden.
Versagen müssen wir uns auch den Nachweis, wie der Ein>
Iluß der Romantik und der von ihr ausgehenden Beschifdgung
mit der Voizeit in Dichtung, bildender Kunst und Musik fort-
gewiilct hat. Daß weder Bandds Arminius im Teutoburger
Wald noch Ridiard Wagners I^ng der Nibelungen aus geistiger
üneugung entspringen konnten, wenn auch erst die Lebensfüile
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Dar Einfluß der Romanuk aut die Vertietung des Nationaigeiuhls. 79
der Persönlichkeit aus den Anregungen der nationalen Entwick-
lung heraus das Neue und GroSe zu schaffen und zu bilden
vermag, bedarf nur des Hinweises.
Das 1 9. Jahrhundert ist uns Deutsclien vor allem ein Jahr-
hundert der Erfüllung geworden. Aber in dieser Erfüllung liegen
selbst wieder neue Keime, neue Ideale, neue Anregungen aller
Art Gerade durch die Gründung des neuen deutschen Reiches^
durch die scharfe Absonderung des Kernes der Nation von den
locker angeschlossenen Teilen mußte die geistige Anziehungskraft
dieses Kernes auf die abgesprengten Bruchstücke wachsen, das
Interesse an dem Deutschtum außerhalb des Reiches wärmer
werden. Diese Wirkung hat sich in den letzten Jahren des
f9. Jahrhunderts zuerst starker bemerkbar gemacht und ist als
dessen Erbe ins neue Jahrhundert fibergegangeUi als Antrieb neuer
EntwicMungeUi die im Dunkel der Zukunft liegen« Wie zu Be-
ginn des f 9. Jahrhunderts unter dem Drude der Fremdherrschaft
das deutsche Volk nicht nur in seiner trüben Oegenwari; sondern
auch in der Zukunft lebten nach Oncfcens schönem Wort, so auch
wieder zu Beginn des 20. Jahrhunderts; und wenn wir auch den
Wqr noch nicht erkennen, der uns zu einer gröfieren Zukunft als
Nation führen kann, so dienen wir ihr doch am besten dadurch,
daß wir, so viel an uns ist, das deutsche Reidi ausbauen als das
Kemwerk unserer Volksait, als Hort des Friedens und der Wohl- ,
fiJirl, ab Vorbild für die Menschheit in Wissenschaft und Oesithing.
Und endlich darf man auch den Stammbaum der modernen
Rassen theorien wohl zurückverfolgen auf die Koniantik des be-
ginnenden 19. Jahrhunderts, auf Jahn, Arndt, Fichte u. a.
Der Begriff der Menschheit hat für uns einen anderen
Inhalt gewonnen, als den ihm das Jahrhundert der Aufklarung
gab. Es gilt uns nicht mehr als das Ziel, Weltbürger zu werden
und darüber das eigene Volkstum preiszugeben. Wir lächeln
über Verse wie den bekannten:
Christ, Jude, Heid' und Hottentott
Sie beten all zu einem Oott,
und wir glauben nicht mehr an das Vorurteil von der Gleich-
wertigkeit aller Völker, nicht an die Entwicklung der Kultur zu
unterschiedsloser Gleichförmigkeit Der Begriff des Volkstums
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Fr. Guntram Schultheiß.
hat far uns einen tieferen Hintergrund erhalten, als Jahn ihn
sehen konnte. Der neue Begriff der Rssse^ hervmgeguigen aus
der anthropologischen Foiscbung^ hat zunftchst der fiüheren Auf-
fassung des deutschen Volicstums als geschlossener Einheit Ab-
bruch gebin, aber er trennt sich doch für uns nicht von dem
Volkshim und dem Gang seiner Geschichte — wie fQr die
Franzosen oder die Ilaliener, sondern er bekriftigt den Anspruch,
den vor 100 Jahren Fichte zum Kern sdnes Gedankenaufbaues
in den Reden an die deutsche Nation gemacht hat, daß das
deutsche Volk noch immer dn Urvolk sei, ein Anspruch, der
sich freilich modifiziert durch den Hinweis, daß nicht alle heutigen
Deutschen von gleicher Abkunft sein können, da ein guter Tdl
von ihnen in den Undem wohnt, die früher zum Römischen
Rdch gehört haben, von deren frflherer Bevölkerung Reste zurfidc-
geblieben sein müssen; und wenn sie auch geistig vom Ger-
manentum aufgesogen seien, so daure doch der Idbliche Einfluß
der Mischung fort und biete die nächstliegende Erklärung des
anthropologischen Abstandes des heutigen deutbcheu Volkstums
von dem Germanentum der Urzeit.
Aber trotz der großen Sicherheit, mit der die Vorkämpfer
derneuen Rassen ps^chologie auftreten, mit der sie jeden Einwand
als Ausfluß der Rückblandigkeit, wenn nicht gar der angeborenen,
selbst wieder rassenhaften Verblendung und Unfähigkeit ablehnen
oder - was ja noch bequemer ist ~ einfach imponieren, trotz
der anscheinenden Einfachheit und Klarheit ihrer Theorien schwankt
doch der kühne Aufbau noch allzusehr in den Grundlagen, um
den weitesten Kreisen schon als Ergebnis der W issenschaft vor-
geführt werden zu dürfen. Mit dem Schlagwort der Rasse wird
viel literarischer Unfug getrieben. Hat man früher schon von
Richard Wagners oder Schillers Keitentum lesen können, so
muß vollends Gobineau wie Nietzsche in ungeschulten Köpfen
heillose Verwirrung anrichten. Hingegen die Bezeichnung des
dunkelhaarigen kurzköpfigen Bestandteils der jetzigen Deutschen
wie anderer europäischer Völker indogermanischer Sprache als
Turanier oder gar Mongolen, muß schwere Bedenken erregen,
denn er schiebt schon unter, was noch jedes Beweises ermangelt,
daß der Ähnlichkeit oder Gleichheit körperiicher Merkmale räum*
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Der EinfluS der Romantik «nf die Vcrttcfunf des NationalgefQhb. 81
lieh getrennter Bevölkerungen die [AhnUdikett oder Oleidiheit
der eebtigen AusstittnnK nidi dem Oeselz stener Vererbung
zur Seite stehe.
Zwischen dem naturhfstorisdKn Begriff der Risie und der
modernen Rassenpsychologie glhnt nodi eine Kluft» die nidit die
Wissenschaft überbräckt, sondern nur die Begriffsdichtung.
Gewiß bedeutet die Betrachtung der Geschichte unter dem
Gesichtspunkt des blutigen oder des schleichenden Kampfes der
Rassen ein fruchtbares, wissenschaftliches Prinzip, und in diesem
Sinne verdient Qobineaus Werk über die Ungleichheit der Rassen
unbefangene Anerkennung.') Nur ist dieser Gesichtspunkt nicht
SO durchaus neu, wie mancher glaubt; die französische Revolution
hat schon Katharina II. von Rußland als Auflehnung des Kelten-
tiinis gegen das Frankentum betrachtet, und für die Völker-
wanderung und die germanische Eroberung des Römischen Reiches
ist das ethnologische Moment schon vor Gobineaus Bekanntwerden
oft genug behandelt worden. Immerhin bleibt es Gobineaus
Verdienst, das Pnn/.ip in der Einseitigkeit vorgeführt zu haben,
die allein Eindruck auf weitere Kreise machen kann. Die an-
thropologische Grundthcorie Gobineaus, die Statuierung von drei
primären Rassen, die Gebundenheit höherer Befähigung an die
weiße Rasse und die Abstufung nach dem wechselnden Mischungs-
verhältnis muß heute schon als Oberholt bezeichnet werden. Die
Verhältnisse sind viel verwickelter, und für die Erklärung der
verschiedenen Volkscharaktere gebührt der sozialen Entwicklung
eine weit eingehendere Würdigung, als die rein anthropologische
Auffassung vermeint Der heutige Aufschwung der Japaner, um
nur ein Beispiel zu nennen, muß den überraschen, der die gelbe
Rasse als starr konservatives Element zu behachten gewöhnt ist;
und doch hat bei ihnen das Lehnswesen denselben Einfluß geübt
wie in unserem MittelaUer, aus der Kaste der Zweischwerter-
•) AU Einffihning in die Gedankenwelt üobmeaus verdient Kretzers Biographie
•Joscf^ ArUiur Oraf von Oobincaa*, Leipzig 1902 bei Hermann Seemann Nadif . empfohlen
IB Verden. Einca knappen und MirrdcbCB ObeiMick der Probleme giM Heinrich
Drlttmant In den Bncb •Ruae nnd Mlllea", Beriin iMS bd Johanne« Mde. DcflacOien
Votmen »Keltentom* und .\C'ahIverwaniit^chaften der deatschcn Blutmischung" entbehren
Tü sdir der positiven ethnologischen OrundUge, um eigentliche Belehrung zu geben. Sehr
2u Unrecht sind Penkas von solider Oelehrsanikeit strotzende BQcher Origines Ariacae
ia«3 nnd Herkunft der Arier tM6 von den Bonfihnncen der AnUnfer Oobineani In den
Stliallcn 2edifln{t worden.
Archiv für Kulturgeschichte. V. 5
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82
Fr. Owitnun Schultheiß.
mftnner hat das neue Japan das Material für einen Offiziensland
erhalten wie Pieufien aus sdnem Junkertum; die Obernahme
der curopAischen Kultur hat sich ohne Blutmischung mit Europäern
genuKht Aber auch der genealogische Zusammenhang der Urrsssen
wird im Fortgang der exakten Wissenschaft ein ganz anderes Qesicfat
gewinnen; die jängst von Klaatsch gezeigte Reihe Australier -
Aino - Nordeuropäer, in der zweiten Hälfte der Gleichung
schon von Topinard gefunden, verbindet die fernsten Glieder
einer Entwicklung in bestechender Hypothese; der Endpunkt im
Germanentum als der höchsten Blüte des Menschentums ist dabei
freilich nicht das Erbe rassenhafter Urbefilhigung, sondern das
Ergebnis ungeheurer Mühen und Gefahren der Anpassung und
beständigen hoiizüchtung. Gegenüber solchen Perspektiven ist
das Ariertum als sprachliche Einheit eine flüchtige Erscheinung
und kann als abgeschlossene Rasse nicht festgehalten werden,
wie dies am schroffsten Penka vertritt. Den Begriff des Volks-
charakters über den erziehenden Einfluß des geselligen Zusammen-
hanges hinaus zurück in die natiirhistorische Genealogie der
Rasse zu führen, ist ein Spielen mit Begriffen, nicht Wissenschaft
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Skizzen
von der ehemaligen knrsächsischen Armee.
Von BERNHARD WOLF.
II.
Das Dienstregleaient für die kursächsische Infanterie
von Jahre 1753.
Die kursAchsisdie Armee erhielt 1704 besondere Exerzier-
beslininiungeii, die sich aber ziemlich eng an die »Anleitung zur
DrUlkunst« des Marschalls Sdiftning anlehnten; mit einem setb-
sttndigen sidisischen Exerzierreglement haben wir es also hier
noch nicht zu tun. Später richtete man sich nach dem »Reglement
über ein kaiserliches Regiment zu Fuß* des General-Feldmarschall-
Leutnants Regal, welches das «Exerzitium sowohl mit der Flinten
als Musketen und Schwcinsfedcr wie auch dem Kurzgewehr,
beides nach dem Kommando und denen Trommelstreichen « ent-
hielt. In der 1 734 in Nürnberg erschienenen zweiten verbesserten
Auflage wurde das »bei denen Königlich Polnischen und Kur-
sachsischen Truppen eingeführte Exerzitium" ausdrücklich berück-
sichtigt Diese Vorschriften scheinen bis 1751 in Kraft geblieben
zu sein, wo die kursächsische Infanterie endlich ein belbständiges,
von Friedrich Au^nist Graf Rutowski bestäti^es Exerzierrc^^lement
erhielt, das |:^egcnüber dem von 1 734 einen ganz wesentlichen
Fortschritt bezeichnet. Von viel größerer Redeuhing ist aber das
zwei Jahre später herausgegebene Reglement, das, nachdem es
am 31. Dezember 1 752 durch Augustus Rex genehmigt worden
war, 1753 bei der venvittibten Königlichen Hofbuchdruckerin
6*
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Bernhard Wolf.
Stößelin in Dresden erschien und folgenden Titel föhrt: «Ihro
Köuigl. Majestät in Polen und Kurfürstl. Durchlaucht zu Sachsen
usw. allergnädigst approbiertes Dienstreglement im Lande und im
Felde vor Dero Infanterieregimenter.« Es zählt nicht weniger als
763 Seiten und enthält alles für den Garnison- und Felddienst
Wissenswerte, ist also eine Art Kompendium der Kriegswissen-
schaft überhaupt. Da^e^en bietet das im Jahre 1 7 76 in neuer
Auflage erschienene Reglement, das im folgenden wiederholt zum
Vergleiche herangezogen werden wird, nur die Exerziervorschrifien.
Auch die icursächsische Kavallerie erhielt 1753 ein besonderes
Exerzierreglement; dagegen hatte sich die Artillerie zu einer selb-
ständigen Waffe noch nicht entwickelt, sie erscheint in engem
Verbände mit der Infanterie. — Von hohem Interesse ist be-
sondere der erste Teil des Dienstreglements vom Jahre 1 753, in
dem »von dem innerlichen Stand und Dienst eines Regimentes
Infanterie, und was dem anhängig ist«, gehandelt wird. Es wird
darin von dem Pflichtenkreise der Offiziere in einer Weise ge-
sprochen« die uns förmlich in Erstaunen setzt; wir finden darin
Anschauungen zum Ausdruck gebrach^ die zum Teil heute noch
volle Betechtigung haben und darum wert sind, der Vergessen-
heit entrissen zu werden. Aus ihnen geht hervor, daß der Ver-
fasser ein Mann von tiefer geistiger und militärischer Bildung
und von der hohen Bedeutung des Offizierstandes erfOUt gewesen
sein muß. Freilich wird man dabei immer im Auge behalten
mflssen, daß damals die Offizierstellen fast ausschließlich in den
Händen eines privilegierten Standes lagen, und daß die JMannschaften
teils geworbräe, teils gewaltsam zum Dienste gepreßte Leute
waren, die nur durdi unerbittliche Strenge in Zucht gehalten
werden konnten. Schon die Einleitung läßt uns den Geist ahnen,
der den ereten, in mancher Beziehung wichtigsten Teil des
Reglements durchweht Es heißt da: .Die Pflichten eines Sol-
daten sind unzählig; seine Lebenszeit ist zu kurz, sie einzusehen;
die größte Fähigkeit ist nicht hinlänglich, sie alle zu erfOlIen.
Der Soldatenstand besteht aus Offiziers und OemeineiL Beider
Pflichten, beider IHandlungen haben den Befehl ihres Landes-
lierm oder das allgemeine Beste zum Endzweck. Beide haben
ihre Grundsätze, es wird für die Offiziers die Ehre, für die
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SUzzen von der diemaUgm kuniciisisclien Armee. 8S
Oemdiieii der Oehonam und die Treue bestimint, wdl ohne
Oehorsam tju nichls» ohne Treue nichts ErsprieBtiches getan wird.
Die Ehre wird mit Recht als der Grundsatz eines Offizien an-
gesehen. Der Add ist deshalb errichtet und geehrt worden,
wdl die ersten Ritter oder Edelleule Offiziers gewesen und ohne
Ehre der Offiziersluid und der Adel blo6e Namen sind. Es
soll den Offizier nichts reizen als die Ehre« die ihre eigene
Belohnung mit sich führt, der Soldat aber wird durch Lohn und
Furcht getrieben und zurückgehalten. Aus der Ehre fließt die
Unerschrockenheit in der Gefahr, der Eifer, Fähigkeit und Er-
fahrung zu crlan.geii, die Mochachtung ^egen die Höheren, die
Bescheidenheit gegen Seinesgleichen, die Leutseligkeit gegen die
Oeringeren, die Mäßigung gegen die Fehlenden, die Geduld
gegen die irrenden. Die Regeln, Mittel und Wege, die man
beim Soldaten anzuwenden pflegt, werden die Manneszucht oder
Disziplin genannt. Diese Zucht heißt ihn tun, was befühlen, und
lassen, was verboten ist Die Mannszucht ist lediglich für den
Soldaten gemacht, aus ihr ist seine Schuldigkeit wie des Offiziers
seine aus der Ehre herzuleiten. Der Offizier tut sich hervor,
nicht weil es befohlen, sondern weil anders zu tun seiner Ehre
nachteilig ist. Er verdient nicht, diesen Namen zu führen, wenn
er durch die scharfe Disziphn ang;etricben werden inijßte, seinen
Pflichten ein Genüge zu tun." Die Einleitung schließt mit der
Bemerkung, daß sich niemand hat rühmen können, alle Pflichten
des Soidatenstandes gekannt und alle seine Obliegenheiten aus-
geübt zu haben. Die größte Fähigkeit besteht darin, die wenigsten
und kleinsten Fehler zu t>egehen. »Der schlechteste Soldat ist
dn Offizier ohne Ehre und ein Gemeiner ohne Zucht« Schon
aus diesen einleitenden Ausführungen erkennt man den grellen
Gegensatz, der zwischen Offizieren und Gemeinen bestand.
Der erste Abschnitt spricht mit Recht von der Ordnung.
Sie ist die Seele aller vemfinfligen Handlungen, die Unordnung
dagegen in allen Ständen die Uraache oder die OeOhrtin des
Untergianges, in keinem aber geffthrlicher und verderblicher als
wie im Soldatensfamde. Ein Regiment ohne Ordnung ist ein
verlchtlicher Haufe zusammengerotteter Leuten ohne Zuch^ ohne
Mut und ohne Starke. Die Ordnung ist die einzige Bewegungskraft
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Bernhard Wolf.
des Dienstes und dkser der Endzweck eines jeden Reglements.
Dantis folgt» daß die geringste Übertretung der votgescbriebenen
Ordnung auch in Sachen, die Klehiig^ieiten zu sdn schdnen,
ebenso gefiOirlicfa als strafbar ist Ein weiteres Kapitel handelt
von der Disziplin, die allerdings nur für den gemeinen Soldaten
gemadit ist, da der Offizier in allen seinen Handlungen einzig
von der Ehre geleitet wird. Die Disziplin besteht in der strengsten
Ordnung, alle Befehle behende und ohne Widerrede auszuführen,
und in der unausbleiblichen Züchtung der Übertreter. Sie
whxi weniger durch Überzeugung als durch Furdit und Schirfe
zuwege gebracht Der Soldat soll nicht nur Dienstkenntnis und
die nötige FertiglGeit in den Exerzitien besitzen (mechanische
Disziplin), man verUingt auch von ihm, daß er ehi chrisUicher,
gezogener, bescheidener und sittsamer Bürger sd. Die Treue
gegen seinen Landesherm und der Oehmun gegen seine Oberen
sollen in ihm gepaart sein mit der Redlichkeit (moralische
Disziplin). Unchristliche, zu Verbrechen geneigte und mit groben
Lastern behaftete Unteroffiziere und Gemeine sollen durch schwere
Leibesstralen gebessert oder vom Regiment gejagt werden. Leute,
die sich im Herrendienste toll und voll finden lassen, haben die
Strafe der Spießniten zu erwarten, solche, die zu Diebereien
neigen, schafft man am besten beizeiten weg. Widerspenstigkeit
wird bei Unteroffizieren mit Degradation, bei den Gemeinen
»mit Spiefkuten angesehen*. Ist die Widersetzung mit Drohen
des Stockes, des Gewehre oder gar mit Tätlichkeiten verbunden,
so soll der Übertreter vor das Kriegsgericht gestellt und vor den
Kopf geschossen werden. Im Trünke exzedierende Soldaten
sollen von den Vorgesetzten nicht mit Stockschlägen gezüchtigt,
sondern auf die Wache gebracht, wohlgezogcnc Unteroffiziere
und Oememe aber so viel als möglich aufgemuntert, höflich und
leutselig gehalten werden. Als der beste Grenadier und Musketier
gilt derjenige, der seine Montierungs- und Armaturstücke in
gutem Zustand hält und den unaufhörlichen Vorsatz hat, alles,
was ihm t>efohIen und »gelernt* wird, unverdrossen zu tun.
Wenn ein solcher alle seine Pflichten erfüllt, hat er mit Recht
die Ehrbegierde erlangt, zu den höchsten Kriegschargen erhoben
werden zu können.
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SUzzen von der chonaligen kursftchslschen Anoee.
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Aus den besten, bravsten und geschtcklesleii Soldaien werden
die Korporale, aus den erfabiensten Korporalen die Sergeanten
auseevftfalt Sie mfiasen unverdrossen, aufgeweckt, ernsthaft und
von guter F&brung, treu und redlichen OemQtes, munter, gesund und
flOiig sein, Strapazen auszuhalten, und mit der Feder umgehen
können. Mit den Soldaten dürfen sie sich nicht gemein machen,
für ihre Korporalschaften haben sie treu zu sorgen, daß es diesen
nicht an Brot fehlt. Säufer, Spieler, üble Wirte und RüSüneuie
sind von der Beförderung ausgeschlossen.
Zu einem Peldwebel niulü ein besonders geschicktes Subjekt
ausgesucht werden. Durch ihn geht der Dienst der ganzen
Kompagnie. Über die Unteroffiziere hat er keine tätliche Autorität,
doch muß er sich bei ihnen ein Ansehen zu schaffen wissen.
Lignel sich ein tüchtiger Feldwebel zum Offi/icr, so kann ihn
der Oberst zum Leutnant vorschlagen und alsdann vomehmhch
die Adjutantengeschäfte von ihm versehen lassen.
Wie die Disziplin die Ordnung zur Voraussetzung hat, so
bildet diese auch die Grundlage der Subordination, ohne die
„gloneuse Actiones" des Soldatenstandes unmöglich sind, Alles,
was nicht direkt wider den Herrendienst läuft, ist recht, sobald
es befohlen ist. Derjenige, der einen Befehl erhält, hat nicht
nach der Räson der Ordre zu fragen, er hat den Befehl nur
auszuführen; die Verantwortung hat allein der, der ihn gibt
Danun ist es auch nicht erlaubt, seinen Vorgesetzten wegen eines
gegebenen Befehles zur Rede zu setzen. Das sollen sich be-
sonders die jungen, angehenden Subaltemoffiziere gesagt sein
lassen, weil eine unüberlegte, unzeitige Lebhaftiglceit oder Un-
aufmerksamkeit in deigieicfaen Fällen ihre Fortune und Ehre in
Gefahr setzen kann.
Disziplin und Subordination können auch, wie jede an sich
gute Einridiüing, miSbraucht werden. Die Disziplin wird miß»
brauch^ wenn sie in eine tynuinische BedrOdcung ausartet. Unter-
offiziere und Gemeine sollen als Soldaten und Menschen, aber
nidbt ab OaleerensUaven und Bestien gezogen und gezflchtigt
werden. Daher wird das viehische, unbesonnene Scfabigen und
Stofien als ein Mißbrauch der Disziplin ausdrficldicfa verboten;
denn ein solches unveniOnfliges Verfahren ist nur eine Whtung
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Bemhanl Volf .
der Wut'tttid nicht des Dieinleifen» es maclit ans den Soldaten
nicfals «to unglficklidie Skkven und Deserteure. Die Subotdination
wird ferner mifibniudit, wenn sidi die höheren Offiziere den
niederai gegenaber undemlicber oder gar ehrenrflhtiger Aus-
drflcke bedienen, weil nichts so leicht zu vefkteen ist als die
Ehre eines Offizien. Die Autorität wird miObiaucht» wenn ein
Kommandant in Gegenwart eines höheren Offiziers seine Unter-
gebenen allzu hart anUßt oder die Unteroffiziere und Gemeinen,
wenn es nicht ausdrfiddich von den Höheren angeordnet ist,
mit Stockschlägen Obel traktiert. Auch der Oberst oder der
General als Chef eines Regiments kann seine Autorität miß-
brauchen, wenn er ohne Grund dem Oberstleutnant oder Oberst
nichts anvertrauen will. Wie nun im Herrendicnste einzig und
allein die Subordination und die Furcht befiehlt, so soll außer
dem Dienste nur die Hochachtung und Liebe herrschen. Diese
Moderation verhütet, daß der Gemeine viehisch, der Unteroffizier
tyrannisch, der Offizier niederträchtig behandelt wird. Den
Offizieren soll zwar nichts übersehen werden, außer dem Dienste
aber sind sie als Leute von Stande und Verdiensten in des
Obersten Gesellschaft wie Kameraden zu behandeln.
Aus dem rechten Gebrauch der Autorität entsteht die
Harmonie, die ungezwungene und zufriedene Ubereinstimnuino;
eines Offizierkorps zum Besten des Dienstes und zur thrc des
Regiments. Die Harmonie wird geschaffen und erhalten, wenn
jeder tut, was ihm zukommt, und wenn keinem zugemutet wird,
etwas zu tun, was seine Funktion und die Billigkeit nicht von
ihm begehrt. Daraus folgt die Liebe zum Dienste, die sich nicht
nur in dem Eifer zeigt, mit dem ein jeder seine Pflicht erfüllt,
sondern auch darinp daß der Offizier sich weiter bildet »durch
die nützliche Lesung und Meditation derer Reglements und anderer
von dem Handwerk handelnden guten Bücher«. Nicht die Zeit,
die ein Offizier in einer Charge zugebracht hat, macht ihn ftWg,
eine höhere zu beldeiden, sondern die gute Anwendung der Zeit;
denn wer sich lediglich auf die Pflichten seiner Funldion be-
schrftnld, ist an sidi nicht geeignet, eine höhere zu erlangen.
Gewarnt wird vor Selbstübeischfttzung. Ein damit behafteter
Offizier soll sich nicht wundem, wenn ihm nichts anvertraut
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Skizzen von der ehemaligen kursächsischen Armee. g9
wird. Strebsamen Offizieren soll allemal erlaubt werden,
zur Ausbildung ihrer guten Taienie den Feidzügen bei fremden
Armeen beizuwohnen.
Der folgende Abschnitt liandelt vom Ehrgefühl, das sich in
den Handlungen zeigt, die zum Ruhme des Landesherrn und
zum allgemeinen Resten beitragen. Es reizt einen jeden, der
von ihm erfüllt ist, besonders aber den Adel, zum Soldatenstande,
da dieser das einzige Handwerk für Leute von hoher Geburt
ist Aber ebenso veranlaßt es einen, dieses gloriose Handwerk
zu verlassen, wenn er durch unverdiente Übergehung in der
Rcfurderung oder auf eine andere Art verletzt wird, ohne daß
er sich etwas vorzuwerfen hat. Das Ehrgefühl gebietet, dem Leben
die Schuldigkeit, d. h. die Pflicht, vorzuziehen, das Leben selbst
aber gegebenen Falles für nichts zu achten. Es gibt jedoch auch
etn falsches Ehrgefühl. Es besteht in dem Glauben, daß uns
andere nicht so hoch schätzen wie wir uns selbst, oder daß wir
andere geringer achten, als sie sind. Aus diesem Mißtrauen
entsteht Streiten und Balgen. Der Oberst aber hat die Pflicht, alle
Raufereien, Wein- und Bierhtadel, die nicht das Ehrgefühl,
sondern den Trunk zum Beweggründe haben, sah äußerste zu
reprimieien; ausgesprochene HIndelsucher und Sftufer sollen bei
keinem Regimente geduldet werden. Diese schlechten AfOren
werden vermieden, wenn die Offiziere die unansttndigen Spiel-
und Wdnhtuser nicht besuchen, auch die Oebrihicfae der guten
Lebensart mehr annehmen als den ungeschliffenen Corps de
Qardes-Ton d. h. Wacfastubenton. Kein Offizier darf fiber sich
ergeben kssen, was das wahre Ehrgefühl verletzt Seine Ehre,
dfe Ehre des Dienstes und die stillschweigenden Gesetze der*
selben schrdben ihm vor, wie er sich in derartigen Fällen
zu verhalten hat
Weiter wird gehandelt von den Vorurteilen. Jeder Truppen-
teil muß zu seiner Tflditigkeit gutes Vertrauen haben, woraus
aber nicht folgt, daß er die anderen Armeen und Regimenter für
verächtlich hält. Der g^emeine Soldat soll glauben, daß kein
Feind seiner Tapferkeit und Ürdnuni?; widerstehen könne, der
Offizier jcdüch muß von diesem Glauben weit entfernt sein.
Er soll weder Furcht noch Verachtung bei sich spüren lassen;
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Bernhard WoU.
es ist aber für einen denkenden Offizier ein lächerliches und ge-
fährliches Vorurteil, wenn er (;^laubt, daß die Gebräuche und Manöver,
die er kennt, allein die besten und keine anderen seiner Auf-
merksamkeit w ürdig seien. Besonders wird auf das Vorurteil der
Anciennitat hintrcwtesen, das alle Ehrbeg'ierde und Applikation
authebt. Denn man kann m vielen Jahren sehr wenig und sehr
nachlässig gedient und noch weniger gelernt, erfahren und voll-
bracht haben; also nicht die Jahre zeichnen den Offizier aus,
sondern sein Fleiß, seine Erfahrung und die gute Anwendung
^ner natürlichen Gaben. Ein feuriger, erhabener und durch-
dringender Geist ist in kurzer Zeit zu großen Sachen fähig, da-
gegen können langsame, trage und schläfrige Geister nur mit
vieler MQhei Arbeit und Fleiß kaum zu den kleinsten Begriffen
gelangen. Darum mfissen die ersteren zum Besten des Dienstes
notwendig herangezogen und »employieret" werden. Diese Aus*
Zeichnung soll aber die anderen billigerweise vielmehr aufmuntern
als verdrießlich machen. Femer wild darauf htngewieseni daß
ein zum Obersten oder Oenenl beföiderler Offizier zwar alle
erforderliche Tapferkeit, Ertehrung und Geschicklichkeit besitzt,
und doch wird man bei milittrischen Unternehmungen unter
ihnen eine Auswahl treffen mfissen, je nachdem dazu Aktivität
Feuer und alle mögliche Lebhaftigkeit des Körpers oder größte
Voisicht, Erfahrung, reifliche Oberlegung und politische Klugheit
erforderlich sind. Darum muß es dem Höchstkommandierenden
im Interesse des Dienstes gestattet sein, unter den Offizieren die
geeignetsten und tflchtig^len auszuwählen, ohne daß sich einer
dadurch verletzt zu ffihlen braucht; denn niemand wird soviel
Eigenliebe haben, daß er, alle Talente zu besitzen, vermeinen
sollte. Ein anderes Vorurteil ist es, wenn die Infanterie der
Kavallerie oder diese der Infanterie von einem Oeneral aus
keinem anderen Grunde vorgezogen wird, als weil er bei der
einen oder anderen dient oder zu dienen angefangen hat. Aber
alle Korps haben nur den Ruhm des Herrschers und seiner Waffen
zum Endzweck, keins hat vor dem anderen einen wesentlichen
Vorzug. Um einen häufig vorkonmienden Rangstreit zwischen
Infanterie und Kavallerie zu beseitigen, wird daher ein für alle-
mal iestgesetzt, daß ohne Rucksicht auf die Anciennitat des
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Sldzzen von der ehemaligoi kursächsischen Armee.
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Regiments in der Garnison oder in einem mit Mauern und
Toren verschlossenen Orte die Infanterie, in offenen Plätzen oder
im freien Felde die Kavallerie den Ehrenposten zu fordern hat.
Die Artillerie ist der Infanierie gleichzuachten. Wo Reiter und
Dragoner zusammenliegen, gehört den Draj^onern der Ehren-
posten. Zu den Vorurteilen gehört es auch, wenn zu üeneral-
adjutanten die Offiziere ohne Unterschied und öfters junge,
unerfahrene Subjekte bestimmt werden. Die Aufgaben eines
Oeneraladjutanten sind aber so mannigfach, daß dazu nur Offiziere
mit viel Erfahrung bestimmt werden sollen; denn durch mangel-
hafte Berichte eines jungen, unerfahrenen Offiziers wird oft der
Erfolg einer Unternehmung gehindert, ja der Verlust einer Schlacht
verursacht Und ein Vorurteil ist es schließlich, wenn ein Kom-
mandant bald zu viel, bald zu wenig wagL Derjenige» der alle
möglichen Fälle ausgrflbelt und mehr das, was er vermeiden, als
daa^ was er tun soll, erforschen will, wird im Soldatenhandwerk
wenig ausrichten. Auch der fehlt, der ohne Kopf und Disposition
nur fechten und nicht denken will, doch ist es besser, viel als
wenig Feuer haben. Der gr6fite Fehler aber eines jeden Chefo
ist die Schwiche, lidnen endlichen Entecbluß fassen zu können.
Das den inneren Dienst abschUefiende Kapitel handelt vom
Korpsgeist Darunter wird verstanden das gegründete Vertnuien,
das dn Regiment m sdne Ordnung EinigkdV Unerschrocken-
heit und bereits erworbene Ehre und Reputation setzt Einem
solchen Korps fehlt nur die Qdegenheit sich «uszuzdchnen; es
ist fast dne mechanische Unmöglichkdt, daß der Erfolg aus- -
bidben kann. Die besten Soldaten können zwar geschbigen, aber
nicht verzagt und kldnmfitig gemacht werden. Sind sie durch
dnen flblen Zufall oder durch überlegene Macht genötigt worden,
dch zurückzuziehen, so zeigt sidi der Korpsgeist darin, daß
Offiziere und Qemdne »die feurige Begierde reize^ ihre Revanche
zu haben". Eine solche Gesinnung sich zu erwerben, soll sich
jedes Regiment eifrigst angelegen sein lassen.
Im allgemeinen sind es also treffhche üedanken, die wir
hier ausgesprochen tmden, freilich beziehen sie sich nur auf das
Offizierkorps, der gemeine Maiin findet darin keine Beachtung.
Daß dieser auch sein Ehrgefühl hat, daß er auch von höheren
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Bernhard Wolf.
Ideen erfüllt sein kann, daß durch den Militärdienst der Charakter
gebildet werden soll, sind für jene Zeiten unfaßliche Gedanken.
Daher erklärt sieh auch die brutale Behandlung des Soldaten,
der eben nur durch Belohnung oder Strafe zur Erfüllung seiner
Pflichten angehaUen werden kann.
Auf diese allgemeinen Ausführungen fol^ das eigentliche
Exerzierreglement, das r^von dem äußerlichen Stande und Dienst
derer Regimenter Infanterie beim txerzieren" handelt Darüber
eingehend zu berichten, die zahlreichen, häufig recht umständ-
lichen Griffe und Bewegungen vorzuführen, würde zu weit gehen«
Ich b^nüge mich daher damit, einzelne Punkte aus dem Regie»
mcnt, die der Erwähnung wert erscheinen, herjinszuheben
Jeder neu eingetretene Soldat wurde zunächst verpflichtet.
Unter Verpflichtung: verstand man den ungezwungenen Eid, den
jeder Rekrut zur Fahne ablegte und dadurch angelobte, die ihm
voigelttenen und erklärten Kriegsartikel unverbrüchluih zu lullen,
die versprochene Treue und gehoname Dienste zu tetsteui dazu
Leib und Leben »aufzusetzen« und den voigeschriebenen Strafen
auf Oberhehing sich zu unterwerfen.
Der Eid wurde vor der Fahne in die Hand des Auditeurs
abgelegt, weil die Fahne, unter welcher der Soldat seine Treue
bezeugen und folglich Leib und Leben, Out und Blut zum
Dienste des Landesherm aufopfern soll, als die stumme Zeugin
seines Eides anzusehen ist .Dieses mufi denen neuen Soldaten
wohl imprimiereV die Ehrerbietaing gegen die Fahnen in ihm
hervorgebracht und er ausdraddich bedeutet werden, daß die
Veriassung der Fahne oder die nicht geleistete Herstellung bei
derselben das grOßte Verbrechen und der Verlust derselben
die größte Sdiancfe sei." Darum sind auch die den Fahnen zu
leistenden Honneurs nicht zu negligieren.
Nach der Verpflichtung wird der Soldat »ajustiert«, d. h.
er erhält die Leibes- und Beimontierung: Hut, Halsbinde, Rock
und Kamisol, Beinkleider, Gamaschen, Patrontasche, Pallasch-
gehenk; später wurden ihm als Armaturstücke Flinte, Bajonett,
Pallasch und Krätzer zugewiesen. Die Ausbildung erfolgte, wie
das Reglement von 1 776 lehrt, in drei Absätzen: 1. ohne jede
Ausrüstung, 2. mit Patrontasche nebst Pallaschgehenk und Bajonett,
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Skizzen von der ehemaligen kursächsischen Armee. 93
3. mit Gewehr und aiifgeschlosseneni Bajonett. Dem Soldaten
wurde eine ansehnliche Stellung beigebracht, die ihm seinem
Heinde gegenüber ein resolutes, respektables und determiniertes
Ansehen geben sollte. Um solche zu erlangen, wurde der Mann
von unten auf gerichtet, doch war die früher üblich gewesene
Dressur an einer Wand oder einem Brett später verboten. Die
Absätze standen eine Handbreit auseinander (nach dem Reglement
von 1776 stehen sie jedoch dicht nebeneinander), die Fußspitzen
Wären nach auswirts gerichtet, von Ballen zu Ballen etwa zehn
Zoll. Der Bauch sollte nicht vorwärts strotzen, der Kopf nicht
nach der Seite hängen, »als welches sehr traurig und mitleidige
aber nicht munter, resolut und nach einem Soldatenir aussieht«.
Das Augie muß stair stehen, das Kinn angezog^ werden, daß
sdbigies nicht nebst der Nase in die Luft und m die Höhe
stehe, auch nicht auf der Brust liege. War der Mann seines
Körpers etwas mächtig geworden, folgten die Wendung^. Sie
wurden mit steifen Knien und unter Erhebung der Fußspilzen
ausgeführt. Es war hierbei darauf zu achten, daß der Soldat
den Unterleib und Htniem nicht zurackatredcte noch den Bauch
hervorsfanotzte und das Kreuz einbog. Ganze Wendungen er<
folgten mit rechlsumkehrt Auch der militärische Oruß wurde
in dieser Periode der Ausbildung gelemi OegrQßt wurde von
Unteroffizieren und Gemeinen, wenn sie weder das Bandolier
noch das Oewdir trugen, durch Abziehen des Hutes mit der
fechten oder Ihiken Hand, jedoch ohne Verbeugung des Leibes.
Kamen beim Exerzieren Fdiler vor, so solHe zuerst Geiindigkeit
und Geduld, half dieses aber nichts, die größte Schärfe ange
wendet werden. Unaufmerksame Leute und schlechte Exerzierer
wurden angemerkt und naclimittags durch einen Üflizier oder
Unteroffizier besonders exerziert
Diese Dressur dauerte mindestens vier bis sechs Wochen,
worauf die zweite Periode der Ausbildung folgte, bei der der
Soldat mit Patrontasche, De^en- oder Pallaschgehenk und Bajonett
ausgerüstet war. Um möglichste Oleichmäßigkeit zu erzielen,
waren vor dem Beginn der Ausbildun^}^ von jeder Kompagnie
ein Subaltcrnoffizier, zwei Unteroffiziere und vier der besten und
geschicktesten Leute beim Stabe durch den Major vier Wochen
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Bernhard Wolf.
lang einexerziert worden. Vor allem wurde der Marsch geübt.
Die Föße wurden mit steifen Knien, aber nicht hoch gehoben,
„damit das Gleichgewicht des Körpers nicht znrfickfalle". Die
f i:fjs[Mtzeii strichen an der Erde hin, die Fersen waren an-
gezogen. Man unterschied vier Schrittarten: 1. Den Chargier-
schritt, ""/s Hresdner f^Ile lang, 80 in der Minute. 2. Den
Ordinärschritt, eine Dresdner Elle lang, ebenfalls 80 in der
Minute. Er kam in Anwendung bei Parademärschen und
allen Bewegungen, wenn nichts anderes befohlen war. 3. Den
Dublierschritt, eine Dresdner Elle lang, 140 in der Minute.
4. Den Deployierschritt beim Marsche seitwärts, etwa eine Dresdner
Elle lang. Der zurückgebliebene Fuß wurde hierbei vor dem
seitwärts gesetzten dicht vorbeigezogen und mit der Ferse eine
Hand breit von dem Ballen, jedoch in die nämliche Linie gesetzt.
Audi auf der Gasse sollte der Soldat mit festem Leibe und
steifen Knien, ohne die Arme zu scbleudenii mit Anstand gehen.
Schließlich erhielt der Soldat das Gewehr mit aufge^
schlossenem Bajonett Der Kolben ruhte in der linken Hand
und wurde an den Oberschenkel angedrfickt, eine Tragurt, die
sicher nicht gunz leicht zu erlernen war. Nachdem die Wendungen
und der Marsch mit dem Gewehr geübt waren, folgten die Griffe.
Sie sind sehr zahlreich, waren freilich auch teilweise bedingt
durch die Umslftndlichkeit des Ladens. Näher auf sie einzugehen,
erscheint überflüssig; nur einzelne mög^n erwflhnt werden. Sehr
häufig wurde präsentiert^ wie es scheint, nach jeder Gruppe von
Griffen. Das Präsentieren lernte der Soldat daher auch zuerst.
Es wurde in der noch heute üblichen Weise ausgeführt, der
rechte Fuß jedoch zurückgestellt, so daß Absatz dicht hinter Absatz
zu stehen kam. Wurde die Chargierung nur geübt, so gingen
folgende Griffe voraus: Präsentiert's Gewehr! Schultert's Gewehr!
Maclit euch fertig! Hierbei wurde das Gewehr wie beim
Präsentieren gehalten, zugleich aber der Hahn gespannt und
der rechte FuIj eine gute Spanne hinter den linken zurückgestellt.
Es folgte nun das Kommando: Schlagt an. Feuer! worauf jeder
von selbst das Gewehr flach nahm und die eigentliche Chargierung
begfann. Sie wurde auf folgende Konimandos ausgeführt: Hahn
in Kuh! Ergreift die Patron! Die rechte Hand schlug kurz,
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Sld2zen von der ehemaligen kursächsischen Armee.
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schnell und stark auf den Patrontaschendeckel, ergriff die
Patrone und brachte sie an den Mund, wobei sie bis ins Pulver,
•das solches den Leuten bis ins Maul« kam, abgebissen wurde.
Es schlössen sich nun folgende Kommandos an: Pulver auf die
Pfonn! Schließt die PCuin! Patrone hi Lauf! Zieht aus den
Ladstock! Lad't! Den Ladstock an seinen Ort! Schulterfs Ge-
wehr! worauf wieder zum Anschlag flbergegüngen weiden konnte;
Beim Exerzieren im Bataillon erfolgte die Chargierung in wesent-
lich kOrzerer Zeit Auf das Kommando: Habt acht! Bataillon
soll laden! rückte das zweite Glied einen, das dritte zwei ordinäre
Schritte rechts seitwSrIs auf die Lfldcen. Alles blieb »stockstill«
stehen, bis kommandiert wurde: Gewehr flach! Lad't! Darauf
lud jeder so schnell als möglich, und ohne zwischen den einzelnen
Griffen einen Halt zu machen, sein Gewehr. Die Sokkten
brachten es durch fortgesetzten Drill zu chier erstaunlichen
Schnelligkeit, alle Truppen jener Zäi aber wurden unstreitig
durch die Preußen übertroffen, die seit 1 740 nach Einführung
des eisernen I-adestodres durch den alten Dessauer vier- bis fünf-
mal in der Minute feuerten. Später lernten sie es noch schneller.
Unter den l'eucrarten ist zu crwiihnen das Feuer glieder-
weise. Es erfolgte auü Kummando, das erste Glied kniete nieder.
Beim Abfeuern wurde stark in den Abzug gerissen, auf ein
genaues Zielen und Abkommen wurde also nicht gesehen. Dann
das sogen. Heckenfeuer, das iolgcndt-Tmaßen ausgeführt wurde.
Zwei Rotten vnni rechten Flügel rückten auf das Kommando:
Chargiert! Marsch! fünf Dublierschritte mit dem Offizier vor,
wobei sie zugleich zwei Glieder bildeten, und feuerten dann.
Reim Kommando: Feuer! machten sich die zwei nächsten Rotten
fertig, um auf Marsch! dasselbe .Wanover auszuführen, während
die Rotten, die gefeuert hatten, mit rechtsumkehrt an ihre Plätze
rückten und die Gewehre von selbst aufs neue luden. Auf
diese Weise ermöglichte man es, daß von einer Abteilung immer
sechs Mann schießen konnten. — Ein t>esonderes Kapitel des
Reglements handelt vom VUctorienschießen. Es gab zwei Arten
davon: die OenenUdechaige und das Lauffeuer; in beiden Fällen
wurde hoch angeschlagen. Im ersten Falle lautete das Kommando:
Hatrt acht, eine Oeneraldechaige zu gelten! Das ganze Bataillon
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Bcrobard WoU.
macht euch fertig! Hoch schlagt an! Feuer! Nach jeder Salve
schlugen und bliesen die auf den FlOgeln stehenden Tamboure
und Pfdfer »ganz kurz". Beim Lauffeuer wendete jeder Mann,
wenn er angelegt hatte und das Schießen vom rechten Flflgd
beginnen sollte, das Qesicht nadi rechli und schoß sein Gewehr
ab, sobald der Nebenmann dies getan hatte. Ein Komnumdo
erfolgte hierbei nicht, der ersten Rotte wurde nur dn Zeichen
giegebeni wenn sie mit Schicfien beginnen sollte. Dieses Viktorien*
schie6en war audi bd der Kavallerie gebiiudtlich.
Sollte eine Abteilung ruhen» so erfolgte das Kommando:
Stredcfs Gewehr! Die Leute machten reditsum, legten die Ge-
wehre flach auf den Boden und tialen weg. Die Oberoffiziere
pfbuizten das Sponton vor der Front auf, die Trommler stellten
ihre Spiele nieder, die Fahnenjunker legten die Fahnen darauf.
Ertönte der Ruf: Zu Gewehr! sprangen die Leute auf, traten in
Reih und Glied und nahmen ihre frQhere Stellung wieder ein,
worauf nach dem Kommando: Erhebt das Gewehr! das Exer-
zieren fbrtgesetzt wurde. Wie das Lauffeuer, so hat sidi auch
das Strecken des Gewehrs als Redensart in der deutschen Sprache
erhalten. Man hat also darunter zu verstehen, daß eine Abtei-
lung die Gewehre niederlegte, um sich gefangen zu geben. Wenn
sonst eine Pause im Exerzieren eintreten sollte, so geschah dies auf
das Konunando: Los! Der Mann konnte sich rühren, mußte aber
einen Fuß stehen lassen, um die Richtung nicht zu verlieren. Auf
dasAvertissement: Aufgepaßt! brachte er Hut, Degengehenk, Patron-
tasche usw. in Ordnung, bei Angegriffen! wurde weiter exerziert.
Bei jeder Kompagnie befanden sich zwei Zimmerleute, denen
der kleinere Pionierdienst oblag. Sie mußten »m alle dem, was
einem Grenadier oder Musketier zu wissen nötig, gründhch aus-
gearbeitet" sein. Das Gewehr trugen sie ohne Bajonett über-
gehängt, die Mündung hinter der rechten Schulter. Die Axt
^^•urde auf der imken Schulter getragen, das Eisen ruhte mit vor-
wartsgekehrter Schneide in der linken Hand. Griffe wurden
damit nicht gemacht, sie wurde jedoch vorwärts in die Erde ge-
hauen, wenn der Soldat das Gewehr bei Fuß oder in den rechten
Arm nahm. Zahlreich sind die Griffe mit der Fahne. Salutiert
wurde damit, wie noch heute ablicb, doch wurde sie nicht mit
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Sldseit von der diemaltgen loinädisbcheii Armee.
97
der Spitze nach der Erde gesenkt, sondern horizontal gehalten;
dabei aldUe der Fahnenjunlccr den rechten Fuß zurfldc und
wendete sich mit dem Leibe nach itchls. Mit der Fahne wurde
auch im Marsche salutiert
Zum Bestände ehies Infiuiierieregiments gehörten wflhrend
des 19. Jahrhunderts in der Hegel zwei Kompagnien Orenadiere,
d. h. Leuten die bestimmt waren, Handgranaten zu werfen. Diese
Orenadiere, bis 1 742 unter die Musketiere verteilt, dann als eigene
Truppe errichtet, genossen einen besonderen Vorzug. Man wählte
dazu iidie ansehnlichsten, stärksten, dauerhaftesten und rainassierten
(stämmigen) Leute" von mindestens 7 5 Zoll. Im Regimente standen
sie auf den Flügeln, sie holten und brachten die Fahnen ab, geleiteten
einen zum Tode verurteilten Soldaten auf seinem letzten Gange
und wurden beim Sturmlaufen und «den gefährlichsten Aktionen
gebraucht Befanden sich Grenadiere bei den Wachmannschaften,
so bildeten sie auf dem rechten Flügel ein Peloton für sich
oder standen im ersten Oliede, die Musketiere im zweiten und
dritten. Anstatt des Hutes truEi^en sie große Grenadiermutzen; in
der großen Patrontasche führten sie drei eiserne, gefüllte, fertige,
mit Blasen verbundene Granaten, hölzerne oder gepappte dagegen
beim Exerzieren. Auf der Brust hatten sie einen blechernen
Luntenberger, um die glimmende Lunte vor Nebel, Regen und
Feuchtigkeit wohl zu verwahren. Besonders große Leute finden
wir in der Leibgrenadiergarde. An diese sollten nach einer Ver-
fügung vom 1 3. März 1 743 die Feldr^menter ihre großen
Soldaten abgeben. Als Entschädigung erhielten sie für einen
Mann von 76 Zoll to, von 77 Zoll 15 Taler, für jeden Zoll
mehr 5 Taler. — Die Ausbildung der Orenadiere war im all-
g^dnen der der Musketiere gleich, für ihre besondere Aufgabe
waren aber natürlich auch liesondere Handgriffe nötig. Das Ge-
wehr hingen sie bdm Werfäi der Qranaten, nachdem nach links
Armabsfautd genommen war. Ober die Ibiice Schulter. Die Kom-
mandos hieizu huiteten: Faßt den Cordon (Qewehrriemen)t Werft
das Gewehr über die linke Schulter! Faßt die Lunte! Faßt
die Grenade! öflhet und deckt die Grenadel Hierixi wuide
die Granate geöffnet^ der Daumen auf die Brandr&hre gelegt,
der rechte Fuß rOckwftrts ausgesetzt und der Leib rechts gewendet
Afdüv ffir Knltnrgesdiidite. V. 7
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98
Bernhard Wolf.
Blast die Lunte ab! Die Lunte, die also vor dem Exerzieren
angezündet worden sein miiij und im Luntenberger fort-
gebrannt hat, wurde an den Mund gebracht und stark angeblasen.
Zünd't und weiit die ürenade! Nach dem Wurfe wurde der
rechte Fuß beigesetzt und die frühere Front wieder hergestellt.
Verberg die Lunte! Sie wurde hierbei in den Luntenberger
gebracht und dieser durch den Stöpsel geschlossen. War dies
geschehen, wurde das Gewehr wieder geschultert.
Die Ausrüstung der Unteroffiziere war verschieden, je nach-
dem sie den Grenadieren oder Musketieren angehörten; jene
trugen die Fimte, diese das sogenannte Kurzgewehr, eine Art
Offizierssponton von wenigstens zwei Metern Lange. Beiden
Unteroffizierklassen aber gemeinsam war der Stock, der gefürchtete
Korporalstock, ohne den ein Unteroffizier jener Zeit nicht gedacht
werden kann. Die Tragart desselben war etwas verschieden. Die
Orenadierunteroffiziere trugen ihn, wenn sie unter dem Gewehr
standen, am dritten Knopfloche unter der linken Rockklappe, die
der Musketiere unter der rechten angehängt. Die Griffe der
ersteren deckten sich fast völlig mit denen der Gemeinen, auch
die der letzteren entsprachen den Tempos der Gewehrgriffe.
Bei den Grenadieren führten auch die Subaltemoffiziere
Flinten mit dem ajuslierten Bajonett, während sie bei den Muske-
tieren den Degen trugen; die Oberoffiziere waren mit dem Sponton
ausgerfisteL Die Qrenadieroffiziere machten nur dnen Teil der
Griffe mit, doch salutierten sie mit ihrem Gewehre, selbst im
Marsche, ganz nach Art der andeien Ofüziere. Nach dem Prft-
sentieren legten sie die linke Hand, im Marsche dagegen, wo
das Gewehr nach dem Griffe in den linken Arm genommen
wurde, die rechte Hand mit »ausgestreckten Fingern und Daumen'
an das Blech der Mütze. Die Griffe mit dem Degen waren im
ganzen die noch heute üblichen, beim Prflsentieren wurde jedoch
die Klinge etwas weniger gesenkt; Meldungen geschahen mit auf-
genommenem Degen. Das Sponton hielten die Oberoffiziere im
Stehen mit dem rechten gerade ausgestreckten Arm senkrecht nach
der rechten Seite, die Hand in Schulterhöhe. Beim Salutieren,
das in sieben Zeiten zerfiel, wurde die Spitze tief zur Erde ge-
senkt; der Leib wendete sich dabei etwas nach rechts, der rechte
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SldzKii von der ehemaligeii knnldisbdiea Amitt.
99
Fuß trat dnen Schritt hinter den linken. Nadi Beendigung des
Griffes wnrde mit der linken Hand der Hut abgenommen und
mit natfirlich gestrecktem Arme zur linken Seite gehalten. In
gleicher Weise wurde auch im Marsche salutiert. Bei allen
Griffen verlangt das Reglement von den Offizieren, im Stehen
und im Maische eine nuiritere, ungezwungene und wohigerichtete
Leibessteilung beizubehalten und alle Tempos mit einem gewissen
guten und geschickten Anstände zu machen; auch sollen sie dem-
jenigen, vor dem salutiert wird, frei und munter in die Augen
sehen. Das Sponton muß übrigens nach 1 753 aus der kur-
sächsischen Armee verschwunden sein; wahrend nämlich in dem
Reglement dieses Jahres die Handhabung desselben noch ganz
genau angegeben wird, finden wir es in dem vom Jahre 1776
nicht mehr erwähnt.
Ein eigentürnlK-her Griff war: Zur I.eiche tragt's Gewehr!
der, wie ersichtlich, bei militärischen Leichenbegängnissen in An-
wendung kam. Das Gewehr wurde hierbei von der rechten Seite
aus so gewendet, daß die Mündung nach unten gerichtet war;
dann wurde es mit wohl erhobenem Kolben unter den linken
Arm gebracht und mit dem Ellbogen natürlich angedrückt. Die
Kolben mußten gh'ederweise in gerader Linie liegen, so daß man
durch die Bügel hindurchsehen konnte. Dieser Criif^ der auch
von den Grenadieroffizieren mitgemacht wurde, ist nach 1753
ebenfalls abgeschafft worden; im Exerzierregiement von 1776
kommt er nicht mehr vor.
• Die weitere Ausbildung beschiftigte sich nun mit den Be-
ivegungen in der Kompagnie und im Bataillon, doch sollen auch
hier nur einige tiemerkenswerte Punkte herausgegriffen vrerden.
Die Leute wurden vom rechten Flügel aus nach der QrOße
rangiert. Die größten kamen h» etste^ die folgenden ins dritle^
die kleinsten ins zweite Glied. Für diese Aufstellung wurde eine
genaue Rangierliste angelegt, die jeder Stabsoffizier, jeder Kapittn
und Subaltemoffizier der betreffenden Kompagnie erhielt. Neu
Eintretende wurden sofort gemessen, nach ihrer Or&Be eingereiht
und in die Rangieriiste eingetragen. Richtung und Fühlung
war in der Kompagnie nach rechts, im Bataillon nach der Mitte,
wo die Fahne stand. Die Aufstellung war dreigliedrig, 1733
7*
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100
Bernhard Wolf.
war sie noch viergliedrig gewesen. In der Paradestcllung hatten
die Glieder einen Abstand von vier Schritt, die Oft'i/iere standen
sechs Schritte vor der Front, die Unteroffiziere einen Schritt hinter
dem dritten Qliede, die sclilieöendcn Offiziere zwei Schritte
hinter den Unteroffizieren Ikim Exerzieren waren die Glieder
auf Schrittlänge aufgeschlossen
Wenn gestellt wurde, verlas der Feldwebel die Kompagnie,
wobei jeder sein Gewehr schulterte. Auf das Kommando des
Kapitäns: Es wird Lrcsteüt! brachte der Soldat seinen Anzug in
Ordnung und nahm auf das weitere Kommando: Stellt euch!
den ihm angewiesenen Platz ein. Die Unteroffiziere standen hier-
bei vor der Front, Tambour, Pfeifer und Zimmerleute auf dem
rechten Flügel. Es folgte nun gliederweise die Besicbtig;ung der
Leute. War bei einem Manne etwas nicht in Ordnung, so traf
ihn harte Strafe; denn laut Reglement sollte ihm nichts durch
die Fingier gesehen werden, damit er Emst verspüre und sich zur
Ordnung gewöhne. War an dem vorgefundenen Mangel der
KorponüschaftsfOhrer acbuld, »so war solches bei ihm ohne die
alieigieringste Nachsicht äuh allerschfafrie zu ahnden«. Lag die
Schuld an beiden, sollten auch beide dafür büßen. Nadi der Durch*
sieht traten die Offiziere mit gezogenem Deg^ der Or&Be nach vor
die Reihe der Unteroffiziere, der ICapitln stand zehn Schritte vor
dem ersten Oliede. Auf das Kommando des Kapitäns: Ober-
und Unteroffiziere marschieren auf ihren Posten, Marsch! nahmen
sie im Dublierschritt ihre Plätze dn. Um ihnen das Auffinden
derselben zu erieichtem, hoben die rechten f^figdleute der Züge
die Hand empor. Der Feldwebel hatte seinen Platz hinter der
Kompagnie, um da auf Ordnung zu sehen.
Ehigdetlt war die Kompagnie stels in gerade nie in un«-
geracfe ZOge. In der Regd waren es vier, deren rechte flQgpl
auf dem Marsche von den vier besten Unteroffizieren besetzt
waren. An der Spitze einer marschierenden Kompagnie befanden
sich die Zimmerleute, ihnen folgten die Spielleute und der Kapi-
tän. Zur Erleichtenini:^ der Leute war es auf dem Marsche ge-
stattet, die Rollen seitwärts zu lüften, die Zugs- und Oliederab-
stände mußten jedoch beibehalten werden, „damit ein Korps im-
stande sei, sich in einem Augenblicke zu formieren, aufzumar>
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SUnen von der danaUgen kunftdnlseiien Armee. ioi
sdiieren und TSIe 211 bieten«. Ein Regiment bestand aus zwei
Grenadier- und zwölf IMusketierkompagnien, welche zusammen
drei Bataillone bildeten. Die vier Kompagnien eines Bataillons
standen hintereinander, das erste Bataillon auf dem linken, das
zweite auf dem rechten Flügel. Vor dem ersten stand die erste,
vor dem zweiten die zweite Qrenadierkompagnie. Die drei ersten
Kompagnien hatten ihre I'lätze in der vordersten Linie der Regi-
mentsfront, hinter den Grenadieren. Sie führten besondere Namen:
Lcibkonipagnie, Obersten- und Oberstleutnantskompagnie.
Jedes Bataillon wurde in vier Divisionen, jede Division in
zwei Halbdivisionen eingeteilt. Hatten diese mindestens sechzehn
Rotten, so wurden sie m je zwei Pelotons zerlegt, so daß also
das Bataillon sechzehn Pelotons zählte. Die Fahne strind in der
Mitte des Bataillons, zwischen der vierten und fünften Haiiv
division. Die acht besten Unteroffiziere, von denen besonders
ein gutes Auge verlangt wurde, bildeten mit dem Fahnenjunker
das Fahnenpeloton.
Feueiarten, die beim Bataillon oder Regiment in Anwen-
dung kamen, gab es verschiedene. Es wurde chargiert mit gjuizen
und halben Divisionen, mit Pelotons, mit Halbbataillonen, glieder-
weise im Avancieren und Retirieren. Außerdem wird noch das
Kolonnenfeuer erwflhnt, angewendet beim Pissieren eines Dtöl^
wenn das Bataillon abbredien mußte. Es geschah folgender-
maßen: Die Abteilung, welche gefeuert hatten machte sofort der
nächsten Platz, teilte sich, ging im Dublierschritt rechts und links
an der Kolonne zurtkcJ^ schwenkte am Ende derselben wieder ein
und lud hier eist aufi neue die Gewehre.
Hatte sich das Bataillon so weit an den Fdnd hemnge»
arbdlel, daß zum Bajonettangriff übergegangen werden konnte,
so wurde zunlchst noch eine Oenenddecharge g^ben. Dann
ging es im Dublieiscfaritt zehn bb zwanzig Schritte ohne Trommel-
schhig vor, bis der Major »determiniert* Irommandierte: Fftllfs
Bajonett! worauf ein kurzer Abum auf der Trommel folgte. Bei
dieser Gelegenheit mußten sich die hintersten Glieder dicht an
das vorderste halten, um dem Einbrüche so viel als möglich
Nachdruck und Ordnung zu geben.
Die Marsdibewegungen im Balaiiloii und ivegimenl, die
biyiiizuü by GoOgle
102
Bernhard Wolf.
Schwaikungen, das Aufmarschieren, der Front- und Kolonnen-
marsch sowie die Oliddioasverindeningien zeigen nichts Be-
nier]oenswerte& Sie erscheinen uns fiberaus kQnstlidi, dienten
in der Hauptsache Paradezwedcen und waren oft nur dazu be-
stimmt^ dem Auge schöne Formen zu bieten, AufflUiig ist es
iedenfaUsy daß das Karree» das im Reglement von 1 753 noch in
zwei Arten vertreten is^ in dem von 1776 nicht mehr erscheint
Nicht minder auffallend ist es, daß wir nirgends auch nur
ein Wort von einer Ausbildung im ScbieBen erwihnt finden.
Es erkUrt sich dies aber sehr einfach daher, daß die Kapitftne
die Kosten fQr die Munition aus ihrer Tasche bezahlen mußten
und, um diese zu schonen, diesen ganzen wichtigen Dienstzweig
Oberhaupt vernachlässigten. Ebenso sind Felddienstabungen und
Manöver jener Zeit unbekannte Dinge. Das zwölfte Kapitel des
Reglements von 1753 handelt zwar »von allgemeinen Grund-
sätzen zu Manceuvres*, man verstand darunter aber nur das
Exerzieren in geschlossenen Verbänden. Nun wurden ja allerdings
die Truppen von Zeit zu Zeit zu Übungen in Lagern zusammen-
gezogen, aber auch hier überwog viel me!ir der Paradezweck und
die kriegerische Schaustellung als die kriegsmäßige Ausbildung.
Allgemein ist in dieser Hinsicht bekannt das Lustlagcr von
Zeithain vom Jahre 1730, wo die gesamte kursächsisclie Armee
in der Stärke von 27 000 Mann und 72 Geschützen zu einer
glänzenden Schaustellung vereinigt war. Wenicfer bekannt durfte
eine in gröberem Stile bei Pillnitz ab^^^ehaltene Belagerungsubung
sein, die ebenfalls gewaltii^es Autsehen erregte und ungezählte
Mengen Schaulustiger herbei iocK'te. D.is Freijrnis fällt in den
Juni 1 725, und es verlohnt sich vielleicht, kurz darauf einzugehen.
Auf dem linken Elbufer, dem Schloßgarten von Pillnitz gegen-
über, war ein Fort errichtet, das von Mannschaften in türkischem
Habit, auch Janitscharen genannt -- man lebte ja noch im Zeitalter
der Türkenkriege die auf der dort l)efindlichen Insel lagerten, in
Posseß genommen worden war. Es galt nun, dieses nach allen
Regeln der Festungsbaukunst aufgeführte und »mit Ravelins,
Bollwerken und allen anderen zur Fortifikation nötigen Requisits
angelegte" Fort zu nehmen. Zu diesem Zwecke wurde in der
NIhe ein Lager, Campement, abgesteckt, in das Ende JMai die
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Skizzen von der ehemaligen kursächsischen Armee. 1 03
zur Belagerung bestimnUen Truppen einrückten. Am 1. Juni
besichtigte der Kuduisl mit dem gesamten Hofe, der hohen
Oenerah'tät und allen anwesenden hohen AUnistem, Gesandten
und Kavalieren dieses in schönster Ordnung angelegte Lager,
ebenso die in Gewehr stehende Kavallerie und Infanterie und
zeigte darüber ein sonderbares Contentement. Dann nahmen
die hohen Herrschaften das Fort in Augenschein und kehrten
über die Inse!, wo die türkisch gekleidete Armee mit ihrer Janit-
scharenmiisik großes Lärmen machte, nach Pillnitz zurück. Am
5. Juni nahm das militärische General- und Haiiptexerziluim, der-
gleichen man in Sachsen niemal cn gesehen, seinen Anfang, die
Belagerer rückten zu Wasser und zu Lande an und hatten mit
den Türken, welche ausgefallen waren, ein scharfes Treffen und
Scharmützel, bei dem bald diese, bald jene wichen. Endlich
faßten die Angreifer festen Fuß und eröffneten, nachdem durch
Rekognoszierung der beste Angriffspunkt festgestellt war, die
erste Parallele. Hierauf wurden Batterien angelegt, um damit die
der Belagerten zu ruinieren. Am 10. Juni sollte eine Munitions-
kolonne ins Lager gebracht werden; die Türken machten jedoch
dnen Ausfall, wurden aber von der Bedeckung, die sich wendete,
repoussieret und die Munition glücklich ins Lager gierettei Am
folgenden Tage taten die Belagerten abennals einen Ausfialli trieben
die Angreifer, die sich anfangs sehr desparet gewehre^ in die
zweite Fanllele zurikck, veisdiCttteten diese und vernagelten die
dort befindlichen Kanonen. Die Türken wutden jedodi abermals
zurQdcgeworlen, dte Belagerer stellten die zerstörten Werke wieder
her, so daß sie am 14. Juni einen Sturm auf die Kontreeskarpe
und das Ravdin unternehmen konnten, der auch gelang. Nunmehr
worden Batterien zum BrescheschieBen gebaut und am 18. Juni
das Feuer mit Mörsern, Kanonen und halben Kartaunen begonnen,
das solchen Erfolg hatte, daB die Belagerer das Fort am folgenden
Tage erstürmten. Die türkische Garnison sah sich genötigt, auf
einer SchifRnrücke auf die Insel zurückzugehen. Die Brücke
brachen sie hinter sich ab, »wobei zugleich die unter einer Edce
des Forts angelegten Minen angezündet und fünfzehn darauf
ausgestellte und ausgestopfte, mit rechter Montur versehene
Grenadiers in die Lull gesprenget worden sind". Die Belagerer
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104
Berahard Wolf.
schickten sich nun 90, auch die Insel zu nehmen, doch warteten
die Tüiinn den Angriff nicht ab, sondern »haben sich im Schüfe
embarideiet und bei ihrer giewfthnlichen Musik retirieren und
davon schiffen wollen«. Aber die i^vallerie setzte ihnen nach
und hinderte sie am Landen, und so sind denn »solche verkleidete
Türken letztlich gezwungen worden, sich als Kriegsgefangene zu
eigeben*. Zur Feier des Sieges wurde am 22. Juni abends g Uhr
dreimal aus allen Kanonen Viktoria geschossen, dazwischen gab
die Kavallerie und Infanterie gewAhuKchermaßen Salven ab, und
scblieBHch wurde um 1 1 Uhr auf der erwähnten Insel zum Zeichen
des erhaltenen kompletten Sieges ein Feuerwerk abgebrannt Ob
dieses Belaj^erungsnianöver, das gewiß mit sehr erheblichen
Kosten ms Werk gesetzt wurde, größeren iniiilarischen Wert
gdiabl hat, wage ich nicht zu entscheiden.
Dieser nach Iccander wiedergegebene Bericht findet eine sehr
interessante Bestätigung durch eine Abhandlung von Hans
Beschorner, Die Piilnitzer Fest- und Manövertage, Juni 1 725, ver-
öffentlicht in dem Organ des Gebir^vereins für die sächsische
Schweiz: Über Berg und Thal, 28. Jaiirgan^, Nr. 9. Zugrunde ge-
legt sind die im Oberhofmarschallarate, im Kriegsarchiv und im
Hauptstaatsarcluv beiiiidlichcn Akten. Nach diesen bildete die ge-
schilderte Beiagerun.s^subung einen Teil der aroRarligefi Festlich-
keiten, die August der Starke bei der Vermählung semer Tochter
Auguste Constantia Gräfin von Cosseli mit dem Oberfaikenmeister
Heinrich Friedrich Grafen von Friesen veranstaltete. Der Gedanke
zu diesem Manöver stammte vom Könige selbst, »der von früher
Jugend auf eine ganz besondere Vorliebe für das Kriegshandwerlc
und besonders für die Belagerungskunst hatte". £s sollte auf seinen
ausdrücklichen Wunsch «dem Ernste gleichen und neben dem
Amüsement zur Informatiott und Instruktion dienen*. Der
Übung lag nach Beschomer folgende Idee zugrunde: Eine
sächsische Abteilung^ die zu einer in der Türkei kimpfenden
Armee gehörte^ erhielt den Auftrag, die an der Thanais (Elbe)
gelegne Festung Halk Beckin, in der ein Bassa A-trois-queues
den Oberbefehl föhrle^ zu erobern. Die KriegsroSBig^it ging
beim Angriff so weit, daß selbst Tote und Verwundete markiert,
Spicme ausgeschidct und OeCuigene gemacht wurden« So wurde
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SUaen von der ehenudicen knrrtdistidien Annee.
105
z. B. am 8. Juni »dn Odangener aus dem Fort vor Ihro Königliche
Majcstt^ als sie bd der Tafd wuen, gebiadit und examinieret*,
woduidi der Ho^geseUsdiafi sidieriidi nur, wie Ja audi tieabdditigt
war, ein Amüsement Iierdtet werden sollte. Im filmgen vertief
das Manöver in der gcsdiilderlen Weise, bis am 19. Juni der
Oenenüsturm erfolgte. Da j* vermHIds Soutenierung der lOraonen «
die St&rmenden mit größter Herzfaafligkeit vorgingen, »so konnte
endlidi der Fdnd ihren sieghaften und geredifen Waffen nidit
länger widerstehen, sondern mußte sdne Festung mit Verlust
unzählig viel«* Toten, Blessierten undOdangenen ndsst 101 Canons
und 6S Mortters veriassen«.
Während sidi das Reglement von 1776 mit dem Exerzitium
begnügt, enthält das von 1753 noch zwei weitere, ziemlich
umfängliche Kapitel »vom Dienst im leide und »vom Dienst
im Lande bei der Infanterie", aus denen folgendes erwähnenswert
scheint. Bei der Mobilisierung wurde allgemein ein erhöhtes
Feldtraktament gewährt und das nötige Geld für die Anschaffung
der Bespannung der Provianiwagen und der Packpferde bewilligt,
jede Kompagnie erhielt vier Pferde für den Proviantwagen und
drei zum Transport der Zeltdecken und -Stangen für die Mann-
schaften und der GewThrmäntel, die also auch ins Feld mitgenommen
wurden; die Zeltpfircke mußten die Leute selbst tragen. Die
Medizinkästen der Kompagnien und Regimenter wurden von den.
Feldscheren gefüllt, ein Stadt- oder Landphysikus hatte nachzusehen,
daß die Medikamente gut und in der erforderlichen Menge
vorhanden waren. AuBer den vorgeschriebenen Montierungs- und
Equipierungsstücken führte der Unteroffizier vier, der Gemeine
zwei bis drei Hemden mit sich, außerdem jeder eine Zeltmütze.
Nebelkappen, Pelzmützen und Pelzhandschuh waren nicht gestattet
Die Kompagnie war nach der Zahl der Zelte in Kameradschaften
eingeteilt, die gemeinsam kochten und die Feldkessel, Flaschen und
Zdtbeile abwechselnd trugen. Ein Regimentsfleischer, dem eine
gewisse Geldsumme vorgeschossen wurde, lieferte das nötige Fleisch
zu einer vom OeneraUudüeur festgesetzten Taxe, »daß der Fleischer
und der gemeine Mann dabei bestehen konnte". Damit sich die
I^meradschaften mit Speck, Klse^ Butter, Gewürz, Zugemfise
versehen, auch Bier, Branntwein und Essig haben und die Offiziere
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Bemhanl Wolf.
gespeist werden konnten, befimd sich beim Slabe und bei der
Kompagnie je ein Marintender, der adne Waren ebenfalls zu einem
iestgesetzten, mäßigen Preise verkaufen mußte. Er wu* auch ver-
pflichtet, dem Obersten und Major, den Kapitänen und Adjutanten
sowie dem Profos eine bestimmte Abgabe, Schutzgeld oder Stedi-
mafi genannt, zu entrichten. »Damit aber der Marketender nicht
genötigt werde, sich an dem gemeinen Manne zu erholen, so
sollen diese GeieclUigkeiteii bei Verlust derselben so viel möglich
niüderieret werden." Wie hoch sich tiicscs Schutz^eld belief, ver-
schweigt das Reglement, doch bietet das von Regal einen Anhalt,
das ja, wie erwähnt, auch eine Zeitlang bei der kiirsäclisi sehen
Armee in Geltung war. Danach erhielt der Major vom >\\arke-
tender monatlich 6 Gulden, von jedem Stück Vieh 5 Groschen und
die Zungen, die also wohl als Leckerbissen galten, oder dafür nach
dessen Belieben ebenlaJis 5 Groschen. An den Oberst und Oberst-
wachtmeister mußten die Marketender monatlich 12 Gulden be-
zahlen, außerdem von jedem Ochsen und jeder Kuh 1 Gulden.
Was die Kapitäne, Adjutanten und der Profos au Schutzgeld er-
hielten, wird nicht gesagt, jedenfalls aber hatte der Marketender
ganz beträchtliche Abgaben zu leisten, wofür er sich nur an den
Soldaten schadlos halten konnte.
Obwohl das Reglement ganz besonders betontp daß bei
einer Armee nichts beschwerlicher sei als die Bagage, so war, mit
modernen Verhältnissen verglichen, der Troß ungeheuer groß.
Es wurden nämlich dem Obersten gestattet: eine Karosse, eine
Küchenkaiesche, sechs bis acht Packpfeide oder Esel, vier Reit-
pferde, dem Oberstleutnant: eine Paddealesche^ vier Packpferde,
drei Reitpferde, dem Major: eine Kalesdie, zwei Pack-, drei Reit-
pferde^ dem Kapifin vier PAck- und drei Reitpferde. Sftmflichen
Offizieren war es ohne besondere Erlaubnis verboten, ihre Ehe-
konsortinnen mit ins Feld zu nehmen, dodi konnten liei jeder
Kompagnie fünf bis sechs Weiber, »so sich zum Waschen und
Krankenwarten schicken«, mitgenommen werden. Sie wurden auf
dem Marsche vom Profos geführt. Bezog die Armee ein Lager,
so stand es unter dem Befehle des Qeneralleutnanls du jour,
dessen Obliegenheiten aufs genaueste angegeben weiden. Viel
bedeutsamer war jedoch die Stellung des Qenendquartiermetsters,
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Skizzen von der efacnuligen kurslchsischen Annee.
107
die Im ganzen der des heutigen Oenerabiatischefe entgeht
«Seine Chafige ist diejenige von der 'g;anzen Armee, die am
meisten Arbd^ Aktivifll^ Erfiüirang und Klugheit erfordert«
Vornehmlich wurde von ihm veriangt Kenntnis des Landes^ der
Wege und der besten Karteni mit denen er versehen aehi mufif^
um danuts seine EntsdilOsse voriäufig fassen zu Icftnnen. Er
bcsa0 »das Oehdmnis und das Vertrauen des Generals an den
er lediglich gewiesen war. Auch die Generaladjutanten nahmen
verantwortungsreiche Stellungen ein. Sie sollten in früheren
Kampagnen gelernt haben, von einem Tcrrain, einer Situation
oder Passage, von der Postieriing und DisposUion drr Kcidwachen
und Infanlericposten Rapport abzustatten. Unermüdet hatten sie
sich mit allen Wegen und Fußstegen, Furten, Brücken, Dör-
fern usw. bekannt zu inachen, um ihre Generäle oder deren Brigaden
lühren zu können; zu ihren Aufgaben gehörte es auch, über
die Befehle, Details, Rapporte und Dispositionen, die durch sie
gegangen waren, richtige Journale zu führen. Neben den genannten
Ofli/.ieren und dem General wagenmeistei; dessen Obliegenheiten
et)enfalls genau vorgeführt werden, sei noch der Gencralgewaltige
erwähnt, der als Genern!profos schon bei den Landsknechten
in gefurch tetem Ansehen stand. Auf dem Marsche, oder wenn
er sonst ausging, begleitete ihn eine starke Eskorte, bestehend
aus einem Leutnant, zwei Korporalen und vierundzwanzig bis
dreißig Pferden. Er hatte außerdem einen Feldprediger und
einen Henker bei sich und war instruiert, wie er gegen die
Marodeure verfahren sollte. Auf dem Marsche war er an den
Generalmajor du jour, mit der Instruktion der auszuübenden
Justiz an den Genenüauditeur gewiesen. Im Hauptquartier war
er dem Generalquartiermeister unterstellt Zu seinen Visttierronden
wurden ihm Mannschaften gestellt, um etwa Cxzedierende in Ver-
haft nehmen zu kOnnen. Scfaliefilich erhielt er noch eine be-
sondere Instruktion, was für eine Ordnung und Polizei er
zur Erleichterung der Zufuhr für die Marketender, Traiteure,
Kaufleute und dergleichen Personen observieren sollte.
Es folgen nun sehr eingehende Bestimmungen über die
Einriditung eines Lagers, über Formierung der Wachen u. a. m.
Sehr umsOndlich verfuhr man nachts bei der Visitierung der
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10S
fienihani Wolf.
Wachen und Posten, die nach Mitternacht und vor der Reveille
erfolgte. Der Offizier der Ronde nahm von der Fahnenwache
als Begleitung einen Unteroffizier und vier Mann mit sich. Hatte
er sich dem Posten vor Gewehr (im Reglement heißt es stets
die Post) bis auf dreißig Schritte genähert, so rief ihn dieser an.
Der Offizier antwortete: Ronde. Die Schildwache: Steh, Ronde!
Gefreiter heraus! Wacht ins Gewehr! Der Gefreite erschien mit
zwei Mann, forderte mit Präsentierung des Bajonetts auf die Brust
der Ronde, wflhrend diese die Spitze des bloßen Degens auf die
Brust des Oefrdten setzte^ das Feldgiesduei und fragte dann:
Wer tut die Ronde? Hierauf ging er mit dem RondeofGfier auf
die Wadie zu, und der Unteroffizier rief: Wer da! Der Offizier
antwortete: Kapitftn von der Inspektion. Der Unteroffizier ging
nun einige Sdiritte vor, verlangte »mit Setzung des Kurzgewehrs
auf die Brust des Offiziers und dieser mit Setzung des bto6en
Degens auf die Brust des Unteroffiziers« nochmals das Fddge*
schrei und gab dann die Parole. Nachdem der Offizier die
Wache inspiziert hatte, brachte ihn der Oefreite zu seiner Be-
gleitmannschaft zurfldc Ohne zweimaliges Prisentieren ging es
auch bei dieser Gelegenheit nicht ab. Mittags und mitternadits
nach der Scharwache traten alle Wachen ins Oewehr, nahmen die
Hüte ab und beteten ein Vaterunser; dazu wurde Kirdienparade
geschlagen. Auch sonst wufde im Lager fOr die religiöse Erbauung
der Leute gesorgt. Zweimal täglich, vormittags nach Ablösen
der Wache und nachmittags eine Stunde vor der Retraite, fand
Bctstiinde statt, zu der die Mannschaften in bequeinem Anzüge
antraten. Alle Sonntage nach dem Ablösen der Wachen wurde
vor dem Zelte des Obersten Gotlisdienst gehalten, der eine Stunde
nicht überdauern sollte; alle Ofiiziere hatten ihm bci/uuolinen.
Die Gesänge konnten von den Hautboisten, regelmäßig Hautbois
genannt, begleitet werden. Dem Feldprediger war es erlaubt,
nach der Predigt ein Retken auszusetzen, in das jeder nach Be-
lieben etwas einlegen konnte.
Um nicht zu ausführlich zu werden, müssen die folgenden
Abschnitte des Reglements, die von den Fouragierungen, Feld-
wachen und auswärtigen Posten, von den Detachements, Parteien
und Postierungenf von den Wagenkolonnen, der Bedeckung der
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SkfaM ¥on der dienaUgn kunldnisclun Amwe. 109
Bigigp usw. handdüi flba^gvisen werden, dag^n sind dte
»von einer Batailte" hindelnden Bemerkungen enlBdiieden einer
EfwShnung wert, da sie die ganze Art der damaligen Krieg-
führung chanlrterisierai. Es heißt da wörtlich: »Eine Bataille
ist die wichtigste und gdShrlichste Kriegsoperation. In einem
offenen Lande ohne Festung kann der Verlust derselben so
dezisiv sein, daB sie selten zu wagen und niemals zu raten ist
Die größten Generals stehen billig an, sie ohne dringende
Ursadien zu geben. Alle nur erslnnlidie gute Anstalten können
den Oewinst nicht versichern. Ein kleiner Fehler, ein unver-
meidlicher ZuM kann sie verlierend machen. Es ist demnadi
aus dem Oewinst und Verlust einer Bataille von denen Ver-
diensten des Generals kein sicheres Urteil zu ßllen. Die Kriegs-
erfahrenen richten ihn nach seinen Anstalten und nicht nach dem
glücklichen oder unglücklichen Ausschlag der Aktion." Und an
einer anderen Stelle: »Es ist bewiesen, daß mehr Kräfte des
Verstandes, Standhaftigkeit, Erfahrung und Geschicklichkeit er-
fordert werden, eine dezisive Aktion ohne Verlust zu vermeiden als
zu suchen. Das Meisterstück eines großen Generals ist, den End-
zweck einer Kampagne durch scharfsinnige und sichere Manoeu-
vres ohne Gefahr zu erhalten." Die Quintessenz der ganzen
damaligen Knegsweisheit sehen wir hier schwarz auf weiß vor
uns: nicht die Entscheidung durch eine Schlacht suchen, sondern
die Schlacht vermeiden und durch wohl durchdachte Bewei^um^en,
worauf ja liberhaupt das ganze Exerzitiuni zuj^eschnittcn war,
Vorteile über den Eeind gewinnen. »Der Kern der wissenschaft-
lichen Lehre vom Kriege wurde*, wie v. d. Goltz, Wissenschaft
und Militärwesen sagt, »nicht mehr in der Vernichtung der feind-
lichen Streitkräfte, sondern in fein ersonnenen Bewegungen
gesucht* Daher war auch der Eindruck von Friedrichs des
Großen Erfolgen so gewaltig, weil er sie gerade durch diejenigen
Mittel erreichte, die man damals allgemein für verfehlt hielt;
denn nicht nur in Kursachsen war die Meinung vertreten, daß
geschicktes und kflnstliches Manövrieren der einzige Weg sei,
um den Kriegszweck zu erreichen. MerkwQrdigerweise gelangle
dieses System nach Friedrichs Tode selbst in Preu6en wieder
zur Herrschaft, und es blieb hier wie anderwärts bestehen, bis es
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110
Bomhanl Wolf.
in der Katastrophe von Jena, in die ja auch die Ininidisische
Annee verwickelt war, zerspiengt wurde und der pieufiische
General von Ctausewitz in seinem wissenschaftlich wie literarisch
gleich bedeutenden Werke «vom Kriege« die bisher üblich ge-
wesene pedantische Manövrierfcunst beseitigte und der Kriegs-
IQbrung neue zeigte.
Der vierte^ das Reglement abschlicBende Teil: Vom Dienst
im Lande bei der Infanterie handelt sehr ausführlich vom Garnison*
dienst, der im ganzen, wenn auch mit der dem achtzdinlen Jahr-
hundert eigenen Umständlichkeit in der noch heute äblidien
Form ausgeübt wurde. Hinsichflidi des Anzuges wiid bestimmt,
dafi im Sommer und an Sonn- und Festtagen in weißen, im
Winter, und wenn nichts anderes befohlen ist, in schwarzen
Gamaschen auf Wache gezogen werden soll. Die Zahl der Wach-
mannschallen erscheini ziemlich hoch. So wurden z. B. in Gar-
nisonen in der Stärke eines Regiments auf die Haupt^^ache
kommandiert: ein Kapitän, ein Subalternoffizier, mindestens sechs
Unteroffiziere, ein Pfeifer, zwei Tamboure, achtzehn Grenadiere
und fünfzig bis sechzig Gemeine. Zum Teil erklärt es sich da-
her, daß außer vor dem Obersten auch vor den drei übrigen
Stabsoffizieren, dem Oberstleutnant und den beiden Majoren,
Posten standen und diesen sowohl wie den beiden i'Uijutanten
Ordonnanzen zugewiesen waren
Früh um nenn Uhr sammelten sich die auf Wache kom-
mandierten Mannschaften jeder Kompagnie vor dem Quartier
ihres Kommandanten. Hier wurden sie durch die Offiziere be-
sichtigt, die sie auch einige Tempos, d. h. Griffe machen ließen,
besonders diejenigen, „die in der Chargierung vorfallen". Ein
Unteroffizier führte die Leute dann vor die Wohnung des Majors,
die Kompagnieoffiziere aber ließen unterwegs einige Male linlcs
und rechts schwenken, »daß die Leute darinnen in beständigier
Übung bleiben«. Mittlerweile hatten sidi audi die Offiziere von
der Wadie und der Inspektion bei den Stabsoffizieren gemeldet,
und die gesamte Wache maischierle nun vor dem Quartier des
Obersten auf. Je nachdem dieser es bestimmte^ madite die Wadie
noch einige Manöver und marschierte einmal oder mehrere Male
mit Mingendem Spiele in Parade herum, oder es wurde sofort
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U ! II
Skizzen von der ehemaligen kursächsischen Armee. itl
nach Einteilung der Posten zur Ablösung abmarschiert. Diese
erfolgte im ganzen so, wie es noch heute Brauch ist. Die neue
Wache marschierte entweder links von der alten auf, so daß also
beide Wachen in einer Linie standen, oder die alte verließ ihren
bisheriii;en Platz und stellte sich der neuen g^e^enüber auf. Die
Offiziere nahmen beim Ablösen vor einander die Hüte ab.
Besondere Bestimmungen, zumal in Festungen, erheischten
die Torwachen hinsichtlich der Öffnung und Schließung der
Tore, des Herunterlassen s der Zugbrücken, der Barrieren und
Schlagbäume, der Behandlung der das Tor passierenden Fremden.
Bei Tage und bei gutem Wetter sollte sich die Wache
größtenteils außerhalb der Stube aufhalten, um beim Herausnif
hurtig ins Gewehr treten zu können. Niemand durfte sich von
der Wache entfernen noch nach dem Zapfienstreiche beurlaubt
weiden. Wenn dieser geschlagen war, hatte sich jeder seine
Haare — es war die Zeit des Zopfes ~ wohl einzuwickeln.
Strenger Aufsicht waren sdbstversttndlich die auf der Haupt*
wache untergebrachten Arrestanten unterworfen. Die Schild-
wachen hatten darauf zu achten, daß sich ihnen niemand näherte
und mit ihnen spradi. «Sie lassen nicht zu, daß sie sich besaufen."
»Wenn ein Arrestant an einen heimlichen Ort gebracht wird, soll ein
Korporal und zwei Mann mit aufgestoßenem Ehijonett dabei sein.«
Oleich nach dem Zapfenstreich gingen Patrouillen in alle
Schenk- und Bierh&user - die sog. Bierpatrouillen - und jagten
die gemeinen SokUten in ihre Quartiere. Eine Stunde später
geschah dasselbe nochmals, und dabei wurde alles, was sich vom
Regimente betreten ließ, Unteroffizier, Gemeiner oder Offiziers-
knecht, arretiert In der Nacht wurden die Wachen mehrmals
revidiert; Majore und Stabsoffiziere konnten die Ronde zu Pferde
tun, mußten aber, wenn sie angerufen wurden, absteigen ,,und
die hxaniination zu f aß erwarten«. Die Reveille wurde mit an-
brechendem Tage geschlagen, der Zapfenstreich vom Oktober
bis April um acht, die übrigen Monate eine halbe bis eine Stunde
später, spätestens aber um zehn Uhr. In beiden Fällen trat die
Wache ins Gewehr. Bei f^euerlärm blieb auf der Hauptwache
nur ein Unteroffizier und der Posten bei den Arrestanten, an
den Toren eine Schildwadie zurück, alle übrigen gingen in die
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112
Bernhani Wolf.
Quartiere und holten ihre Sachen. In einer Viertelstunde mußten
sie wieder auf ihren Posten sein, in derselben Zeit hatte sich die
Garnison auf dem Alarmplatze zu sammeln. Bei großer Oe&üir
mußten auch sofort die Fahnen geholt werden. Die n<Migen
Leute wurden zur Hilfdcisbing abgeschickt; dabei sollte auf die
Sicherheit dcrMontieningsiEammem gedacht und weder das kurfürst-
liche Interesse noch das allgemeuie Beste veisiumt werden. Die
Offiziere sollten die ersten auf dem Platze sdn; fehlten sie nach
der festgesetzten Zeit, hatten sie Arretur zu gewirtigen. Fehlende
Unteroffiziere und Qemdne wurden ebenfalls arretiert, Jene auf
die Scfaildwache gesetzt, diese zwölfmal durch 200 Mann Spieß-
ruten gejagt
Die letzten Absdinitte, die t)esonders von den Strafen
handeln, werden im dritten Teile dieser Skizzen noch ausfiOhr-
lieh zu behandeln sein. Das Reglement schlieBt mit einigen
Bemerkungen darat)er, wie es ausgaben und verwahrt werden
soll. Jeder Offizier efhielt es sofort bd sehiem Eintritte in dfe
kursSchsische Armee aus der Hand des Obersten zu sehier
»beständigen Lektüre und Meditation«. Er hatte die Pflicht, es
wohl zu verwahren und keinem Offizier aus fremden Diensten
oder jeiiiaiidem, dem es nicht zu wissen und zu schert nötig, zu
kommunizieren. Abgehende Offiziere mußten das Reglement
aushefern, beurlaubte es dem nächsten Vorgesetzten übergeben.
Wer es verlor, wurde zur Verantwortung gezogen. In Kraft ge-
blieben ist dieses Exerzierreglement von 1 753 bis zum Jahre 1810,
wo die gewaltigen politischen Umwälzungen eine gründliche
Umgestaltung der gesamten Heereseinrichtungen auch in Sachsen
zur Folge hatten.
(Schluß folgt).
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Besprechungen
Theodor riirtiliiiii, Kints Raatentheorie und ihn bleibende Be-
deutung. Ein Nacfatras zur Kuit-Oediditnisfeier. Ldpadg» W. Cngelouuin,
1904. (52 S.)
Bei der Bedeutung, die Kant für das geistige Leben der Gegenwart
wieder neu zu gewinnen scheint, ist die vorliegende, klare und inhalts-
reiche Schrift für uns um so mehr von Interesse, als sie an einem, heute
lebhaft erörterte Fragen beriihrenden Problem die sonst weniger bnchtele
Bedeutung des Philosophen als Naturwissenschaftler für die Prinzipien
der Erforschung und Erklärung der Natur, der Welt, behandelt. Die
Ra^entheorie ist für den Yerfr^sser nur der Ausgangspunkt, um von ihm
ans die Onindzüge der Kantischen Naturanschauung zu entwickeln. Er
stellt den Kantischen Begriff der Rasse im Gegensatz zu verwandten Be-
griffen wie Art, Varietät u. a. dar, sowie seine Theorie von der Lnt-
stehung der (4) verschiedenen Menschennssen. Das Wesentliche dieser
Ansdiauung, die bleibende Bedeutung von l^ts Raasentiieorie, liegt aber
in dem Verhältnis von JMeChanisnius und Teleologie, von Kausalerkllning
und Zweckbelrachtung. Beide Betrachtungsweisen der Dinge laufen ein-
ander parallel; aber soweit auch die mechanische Erklärung - bei immer
fortschreitender Forschung und Erkenntnis - zu gehen verm^?^^ letzten
Endes führt unser Vernunlibedurfms zur bctzung von Zwecken, denen
das mechanisdie Geschehen dient; «die Anlage- des Wdtganzen wird
gedeutet in dn Reich der Zwecke«. Wie sich diese umfassenden Oe>
danken tus seiner Annahme der Entstehung der Ra^n aus einer mensch-
lichen Stammgattung, in der — nach seinem Begriff der Rasse die An-
lage zu allen den charakteristischen Verschiedenlieiten ursprünglich vor-
handen gedacht werden muß, herausschälen, kann hier nicht u-eiter ang^e-
deulet werden. Es liegt aber darm die Vorausnahme dei modernen
Entwiddungslehre.
Rosen feld.
Aiddv Mr KuHmieMlridile. V. 8
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114
Desprachungeii.
Franz Hemnann, Die GeschichtsauffassuntT Heinrich Ludcns im Lichte
der gleichzeitigen geschichts-philosophischen Strömungen (Oeschichtliclie
Untersuchungen herausg. von Karl Lamprecht, 2. Bd., 3. Heft). Gotha,
F. A. Perthes, 1904. (IX u. 125 S.)
Der Verteer will dantelleii, wdcbe Auffusmig von der Geschichte
in Luden» Psyche sich gebildet hatte, bedingt durch die vonufgeguigenen
geschichts-wissenschafttidien Aufbssungen und die neuen Anschauungen
der Philosophen und Historiker seiner 7e!f So bespricht er in großen
Zügen - und daher natürlich viel Bekanntes und Allgemeines wieder-
holend — die »psychisdie Gesamthaltung« des »rationalistisch -individua-
listischen" (d. h. der Aufklärung), des «jungen und klassischen sub-
jelctivistischen« Zeitalters (d. h. der Empfindsamiwit, des Sturmes und
Druiges und der idasslschen Llteraturepoche), endlich des »absoluten
Subjektivismus« (d. h. der Romaritik) und den Ausdruck dieser sedtschen
Qrundstimmungen in den zeitgenössischen geschichtlichen Anschauungen
mit besonderer Berücksichtigung von Herder, Kant und Schelling. Der
letztere, der »typisclie Repräsentant nidit nur der neuen idealistischen
Philosophie, sondern der neuen psychischen Haltung überhaupt", ist es
nach des Verftosers Darlegung, dessen Orandauffassung vom Wesen der
Oesdilf^te (als fortsdueitender Offenbarung des Absoluten) am stärlcsten,
ja durchaus Ludens Auffassung von seiner Wissenschaft bestimmt hat
Nicht ohne Geschick weiß der Verfasser diesen immer aufs neue hervor-
gehobenen „Reflex" der Schellingschen Geschichtsphilosophie in Ludens
allgemeiner philosophischer Grundansicht, in seinen Meinungen über die
Geschichte als Wissenschaft, über ihr Verhältnis zu anderen Erkenntnis-
gebieten und ilber die historische Darstellung aus seinen Schriften zu
belegen; auch andere gleichzeitige Geschichtsschreiber desselben Anschau-
ungskreises zieht er häufig heran.
Wir wollen mit dem lebendig imd gewandt geschriebenen Büch-
lein, das von Belescnheit und regem philosophischen Interesse zeugt,
nicht im einzelnen rechten, auch den Grundgedanken, das Andenken an
einen heut vergessenen, einst weit bekannten Geschichtsschreiber dadurch
zu erneuern, daß uns seine Abhängigkeit von der bewegenden philo-
sophischen IMtung seiner Zeit - einer philosophisch so interessierten
Zeit seine Einordnung in ihren allgemeinen Ansdiauungs- und Aus-
druckskreis vorgeführt wird, durchaus gelten lassen. Aber kehren wir
nach der gewiß anregenden Lektüre der Schrift zu den etwas prätentiös
klingenden Sätzen der Einleitung zurück, die uns belehren, daß das allein
Erkennbare in der Geschichte nicht das Leben der Einzelperson, sondern
ihr geistiger Nachtaß - soweit Überkommen - sei, und daß die nach
demsellien zu vollziehende Einordnung der Qnzelperson in die «national-
psychischen üntwicklunpstufen* allein unanzweifelbsre, nicht mehr hypo-
thetische Frgebnisse liefere, so liegt es nahe zu fragen, ob die vorliegende
Schrift diesem klangvollen FYogramm entspricht. Äußerlich gewiß. Aber
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Besprechungen.
115
lohnt dann die bloöe Einschachtelung in einen Ismus wirklich die Mühe?
Der sü eiiiseitiy prononcierle Oedanke hat doch seine Gefahren für die
Wahrheit, audi diese Schrift zeigt es. Das System der Anschauung Ludens
nag im allgmiciiwn richtig erfiiBt sein; stutiig wird uns madwn, dafi
dne Wertung der einzelnen Eraengnisse, die uns den ceMgen NachlaB
Ludens bieten, nach ihrer zeitlichen Bedingtheit, nach ihrer Stellung in
Ludens eigener Entwicklung nicht stattfindet. Mit derselben Be>xeiskraft
führt der Verfasser aus der Vorrede des 4. Bandes der „Geschichte des
teutschen Volkes" den Ausschnitt an«; dem unp:edruckten , von Luden
selbst so ironisch beiiandelten Jugendaufsatz wie seine spateren Be-
tiaditungai dazu an. Der Humor der kOstlicb biedern Unlerfialtung
mtt Johannes Mfliler muß dabei Idder unter den Tisdi fallen. Und
dazu — der Verfasser scheint es ja selbst zu empfinden — , was Luden so
populär gemacht hat (namentlich seine »Geschichte des teutschen Volkes'
und seine Vorlesungen darüber), der nationale Sinn, die volkstümliche
Begeisterung, das hat in der nach des Verfassers Meinung im höchsten
Oradc iiarmonischen Oesamtauffassung Ludens eigentlich gar kdnen Platz,
jedenfalls hat es mit der philosophladicn Fundamentierung sdner Oe>
sdiidilaauffBasung, von der diese Sdirift handdt, hendidi wenig zu tun.
So reicht die Einordnung in die »nationalpsychische Entviddungastufe'
offenbar nicht recht aus, um Wesen, Geist und Wirkung zu erfassen. —
Und schließlich wird der so Eingeordnete zum „typischen Repräsentanten»,
in diesciTi Fall »der üeschichtsauffassung^ des absoiuteti Sui^jcktu istnus".
Wir stellen dahin, ob Luden das wirklich ist, und ob man gar noch so-
wohl Ranke wie Oervinus «zum TeH« nut üncr OcsdiiditsauHnBung auf
ihm vbasiercn« lassen kann. Hier sdidnt die antiindividualistisdie Oe-
sdüditsaufteung des Verfassers ihrer sdbst zu spotteni ohne es zu merken.
Rosenfeld
WalbaUa. Bfldierd fifar vateriändlsdie Oesdildite, Konst und
Kulturgesdiidite, begründet und herausgegeben unter Mitwirkung von
Historikern und Künstlern von Ulrich Schmid. Bd. I u. IL Mflndien,
Oeorj^ D W Callwey, 1^05 und vm. (151 u. 21? S.)
Die hertchtiL,Miiij.^ dieser neuen, nicht al^ Zeitschrift, sondern als
periodisch ersdieinendes Buch gedacliteu Publikation liegt in ihrem vater-
ttndlsdicn Onnkter sowie in der Absidit, auf wdtere lOdse zu wirken,
de durdi Hhilenkung auf die nationale Vergangenhdt, auf die deutsdiett
Leistungen in Kunst und Kultur in ihrer nationalen und geadiiditlidien
Bildung zu stärken. Denn ein Bedürfnis nach einem neuen kunst-
oder kulturgeschichtlichen wissenschaftlichen Orj^^r^n besteht in keiner
Weise. Jene lobensuertc Absicht aber mtiB nocii btÄser dürch^^Tofuhrt
werden, als es in den beiden vorliegenden banden, deren Inhalt im übrigen
8*
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116
Besprechungen.
als interessaat und vielseitig anerkannt Verden soll, godridtt. Die Bei-
ti%e bleiben zum Teil etwas hinter dem zurück, was man von einer
sich hohe Ziele ?-teckenden Ptiblikation fordern soll. Ich urteile so in der
Voraussetzung, daß f lerausgeber und Verleger sich nicht mit einem mittel-
mäßigen Niveau begnügen wollen, ich habe- dabei audi keineswegs das
popularisicKBde Bcmcnt ab minderwertig un Auge. In Gegenteil, ich
kfimilc mir AnfiAtse lurvomgender Factagckkrlcr denken, die unter Vcnidit
auf allen Apparat doch auf der Höhe der heutigen wiaBenschaftlichen
Forschung stehen imd zugleich in anziehender Darstellung weitere Kreise
belehren und vaterlandisch erziehen helfen. Oerade übrigens der einzige
Beitrag einer Autontat, allerdings einer älteren, der Beitrag von Alwin
Schultz, Zur Geschichte der deutschen Trachten, in dem von Sch. öfter
Qcsegles nur «iederiiolt wird, trilil zwar in der Darlegung der Schwicrif-
keilen und de» allzu dt hdcbst unsidieren Bodens der Kostfimgesdiichle
durcliaus das föchtige, würdigt aber viel zu wenig die seit des Verfassen-
Zeiten gemachten Fortschritte, läßt insbesondere die Kenntnis des letzten
Werkes des verstorbenen Moriz Heyne (Fünf bucher deutscher Hausalter-
tümer, Bd III, Körperpflege und Kleidung) vermissen Auch die Bücher-
schau, die den Leser über hervorragende Erscheinungen orientieren soll,
konnte idi mir kodisleliender denken. Ober das keutige Rcaensionswcsen,
das vielfiuk ein Unwesen ist, spricht der Henungeber im »Einisang« des
ersten Bandes einige scharfe Worte, namentlich über die ihm verhaßten
Anonymi. Seine eigenen Besprechungen sind auch von dem Ziel getragen,
Autoren wie Lesern i^erccht zu werden. Immerhin vermißt man zuweilen
die \öll!^e Beherrschung des betreffenden Stoffes. Es mag das zum Teil
daran liegen, daß der Herausgeber mit einer Ausnahme allein die üc-
spcechungen geliefert bat: dies zu vermeiden, wird ihm bd grSflerer
Mitarbeiterzabi aUmihlidi gelingen. Ich spreche diese Bcdenlien aus,
obwohl meine eigene »Oeschichte der deutscken Kultur« in dem eisten
Bande höchst anerkennend besprochen ist.
Fine besondere Eigenart der «Walhalla" liegt in der Verbindung
von üeschichte und Kunst, über deren engen Zusammenhang der Heraus-
geber sich im •Eingang" näher verbreitet Wie überhaupt in der ganzen
Art der »Walhalla« Anklänge an die Romantik sich finden, so erinnern
wir uns auch' hier der in jener Zeit, z. B. auf den Titeln von Bfidieni
und 2Mtschriften, beliebten Verbindung von »Geschichte und Kunst«.
Für den die Kunst pflegenden Teil der «Walhalla" kommt übrigens
das illustrative Dement in Betracht, dem Herausgeber und Verleger be-
sondere Beachtung geschenkt haben. Diese gut gelungenen Reproduktionen
von Kunstwerken werden zur Verbreitung der • Walhalla" sicher beitragen.
Ein gewisses Hemmnis fflr dne ailgemdnere Vertndtung könnte
Abrigcns in der im zwdten Bande etwas hervortretenden, für Herausgeber
und Verleger allerdings naheliegenden Bevorzugung der bayerischen Ver-
gangenheit gesehen werden. Doch mag das ebenso gut als fördertich gelten
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üe^>rediungeu.
117
könnet], uin zunächst das Intere^ eines bestimmten Tdlcs dcs PubUloyns
für das neue Unternehmen zu gewinnen.
Zur Chanlcteristik desseibeii muß noch an Punkt hervorgehoben
wenden. Der Herausgeber betont flchr einen bciliiiiiiiieo Stmdpwkt, «den
poiitiv<hriMliclwp*) der nnch flni der •allein'' »rfditise* M, »om ciii wnhiciy
objektives Urteil über die Oeschichte der Kultur selbst und ioinit andi der
deutschen Kultur zu erzielen«. Wenn ich mich nicht irre, ist der Henus-
gpber KnthoHk, und mancher Leser wird nach dieser Hervorhebung des
Slantlpunktes eine völlig einseitige Haltung- des neuen Organs fürchten.
Von einer solchen kann mau aber auf Grund der beiden vorliegenden
Stade flidit reden; der frd denkende Leser viid kann geitSrt, und von
«iacr Polemik in dieser Beddamg ist bisher nidils zu spOren.
Un Aber den Inlialt der Binde zu orientieren, seien die einnlnen
Aufsätze - auf zum Teil anfechtlMre Einzelheiten sei hier nicht eingegangen -
genannt Der erste Band enthält die folgenden: Wesen und Bedeutung
der deutschen Mystik von Ernst Degen, Die heutigen Kunstzusiaiide von
jpranz Wolter, Franz von Leabada von demselben, Zur Oeschichte der
deutschen Trachten von Alwhi SchnUz» Ans dem SchvanviUer Voiks-
Mbcn von j. j. Hoffniann, Das deutsche Volksiicd von Ubich Sdunid;
der zveite Band diese: Agnes die Bemauerin und Herzog Albredit III.
der Gütige von Ulrich Schmid, Die Schlacht bei Hoflach-AIIing (1422)
und ihr Denkmal von demselben, Die bayerischen Köni?^e und die Mün-
chener Kunst von Marce! Montandon, Fritz August von Kaulbach von
Franz Wolter, Albert Welt« von Marcel Montandon, Die Weltanschauung
dv Oermaneu am ihrer Mythologie von Bnst D^en, Der Kulturvert
der Oei'iuanen von Max Kemmerich*
Interessant und geeignet, die Leser anzuregen, ist der «Sammler«, den
in der Hauptaurhe Ulrich Schmid zusammengestellt hat. Er enthält kleinere
kunst- und kulturgeschichtliche Mitteihm^en , zum Teil selbständiaer
Forschung kleine Früchte, zum Teil belehrende /usammenstellunj:;en, so
Über Grabdenkmäler, mitteiaitcrltche Schreiberspruche, Baueni-Kaleiider,
Textihnixiten im Mittelalter, Aber das Bnhoni und seine Bedeutung in der
Knnsly Johannes O^lcr von lUiserdierK, den LAwen als Sinnbild in der
Kunstf dai Cborgestflhl in dar St Martinskirche zu Memmingen u. a.
Im ganzen glaube ich, dafi die »Walhalla* bei veiterer VervoU<*
kommniin^. die der HeamgjdbtT auch durchaus erstrebt, ihren Weg
madien wird.
Qeorg Steinhunaen.
Ei. Hcfck» Dentaohe Geschichte; Volle, Staut, Kulturund geistiges
Leben. Abteilung 5-10 (Bd. II und IH komplett). Bielefeld und Leipzig,
Velhagen & Klasing, toofS (V!, 68b; VIH, t>SR S mit Beilagen u. Karten).
Bd der Anzeige der ersten vier Abteilungen (vgl. Archiv IV, t06 f.)
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118 Besprechungen.
wurde hervorgdioben, daß die politische Geschichte durchaus im Vorder-
grund des H^ckschen Werkes steht, und dafi die kulturgeschichtlichen
Partien in da* leider hcigelinditen Art mebr als AnMnge auftreten;
doch wunk achon auf die in AUdlung 4 beginnende Schildening: «Zu»
stände und Kultur der mittelalterlichen Kaiserzeit' hingewiesen und ihre
Würdij^m^ bis 7.u dem Erscheinen der Fortsetzung vorbehalten Diese
liegt nun jetzt vor und veranlaßt mich zunächst, wenigstens für das Mittel-
alter, zur Einschränliung des oben abgegebenen Urteils. Diese, die ersten
254 Seiten des II. Bandes umfossende Darstellung der mittelalterlichen
Kultur bildet einen wcsentlicben und sdbslindigen Teil des ganzen Werkes,
und für das spitere Mittelalter kommen weitete hundert Selten kultur-
gCKlliditiicher Darstellung als besonderes Kapitel: »Zustände und Be-
wegungen im Zeitalter des Wahlreiches" (II, 402- 523) hinzu. Stiefmütter-
lich wird dagegen wieder die Kulturgeschichte der Neuzeit behandelt.
Die zehn Seiten zu Anfang des III. Bandes, die «die Lage nach dem
Westfälischen frieden*, die zwölf, die (S. 316 f.) »die Abhängigkeit und
Vcndbstindigung der neueren deutschen Kultur im 18. Jahrhundert«
zum Qegenstsnd haben, und die vefatreuten Bemetlningen» die In den
fast ausschließlich politisch-geschichtlichen Abachnitten des ausgebenden
Ii. und des ganzen III. Bandes stecken, genfiq^en rmhrhaftig nicht, um
die Fülle der kulturellen Erscheinungen und Strömungen des spateren lo.,
des 17., IS. und 1 9. Jahrhunderts auch nur anzudeuten. Von der Geschichte
der Sitten und der äußeren Lebenshaltung ist für diese Zeit überhaupt
kaum die Rede.
Das politische Moment liegt dem Veitaer doch recht eigentlich
am Herzen, insbesondere das nationalpolitlsctae, weshalb denn auch die
dafür so wichtit^e poh'tische Geschichte des neunzehnten Jnhrhunderts am
ausführlichsten behandelt wird. Vaterländischer Geist durchgeht über-
haupt das ganze Buch, und die frische Art des Verfassers weiß diesen
Geist auf den Leser zu übertragen.
Eigenartige Auffisssung und Ausdrucksweise sind dem Vcrteser
«Ohl im ganien zu eigen, aber er bringt doch kaum etwas wesentlich
NdlO. Auch dn, wo er das zu tun gfambt, haben andere schon dasselbe
ausgesprochen. So plädiert er II, 255 f. dafür, die Neuzeit erst mit
dem Jahre 1648 beginnt t, /u lassen, und meint, dies »erstmals vor-
zuschlagen". Indessen haben schon viele dagegen polemisiert, die Neuzeit
von den Entdeckungen oder der Reformation an zu datieren. Schon Treitsdike
und fteytag wollten den Beginn der Neuzeit in die Mitte des 1 7. Jahrhunderts
legen. L. Keller hat bezflglich der geistigen wie der politischen Oeschicfate
das gleiche Datum für den Beginn der Neuzeit fest gestellt wie Heydt;
V. Helow will in wirtschaftlicher Hinsicht die Neuzeit auch erst im 17 Jahr-
hundert beginnen lassen, und am ausführlichsten habe ich in meiner
»Geschichte der deutschen Kultur" (S. 504 und 579) dai^egt, dall mit
dem bisherigen B(^nn der »Neuzeit" gebrochen werden müsse.
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Besprediungen.
119
Im flbrigen beruht natflrHch da Werk wie das Hcydcsdie seinem
gpnaen diankter mwh vesendich auf den bisherigen Fondiungen und
Darstellungen: er weiß aber alles in sdbständiger Weise und anschaulich
darzubieten ArtderereHts habe ich schon bei Besprechung der ersten
Abteilungen hervorgehoben, daß H., was die uns hier näher interessierenden
Itulturgeschichtlichen Partien betrifft, der neueren und neuesten horschung
nicht immer genfigend gelolgt ist Auch die Erkenntnis der eigentlidien
RichtiinieD und OnmdsMmungen der deutschen Kulturentviddung prtgt
sich nicht genilgend ans. Der Blidc ffir die «ahriiaft dianilcteristischen
Zflge der Menschen einer bestimmten Zeit ist bei Heyck nicht geschärft
genug, die Fähit^keit, die kulturelle und psychische Oesnmthaltung der
verschiedenen Zeiten richtig zu entwickeln und darzustellen, tritt wenig
zutage. Freilich sudit er z. B. die germanische Volksart als solche zu
erfassen und darzustellen. Ein späterer Abschnitt trägt die verhdBende
BeKichnunK: »Der mittelalterliche JMensch* und bringt auch mancherlei,
aber es findet sich in ihm der Satz (II, 164): »Fragen wir damadii
wie die Deutschen des Mittelalters menschlich fühlten und dachten, so
erledif^ sich die Antwort in der Hauptsache durch die verschiedenen
Kapitel du-ses ikiches^ (!!). Bezüglich des s[iatercn Mittelalters äußert er
sich in dieser Beziehung so (II, 506): «Entbehriicher und auch wiederum
allzu verwidtdt ffir eine Zuaammenfusung encheint es uns, an dieser
Stelle von dem Menschentum der Zeit allgemduhin zu siwechen, vie wir
es fOr die frfllien deuisdien Jahrhunderte im ersten Bande vosucht
haben." Sehr faflbsch kann man z. B. den Oeist der Zeiten sidi in den
jeweiligen Vornamen spiegeln lassen. Heyck behandelt die Eigennamen und
(Hntstehung der) Familiennamen summarisch beim Kapitel vom „mittelalter-
lichen Menschen", bringt auch gleich die spätere Entwicklung kurz hinein:
•wir greifen hier etwas vor, um das Kapitd zu erledigen« (II, 162). Das
ist nicht der richtige Standpunkt Die, wie erwihnt, am ausfOhriidislen
gehaltene kultuigesdiichtlidie Daistdlung des JMittdalten hllt audi die
JMenschen der verschiedenen Perioden viel zu wenig auseinander. Der
große Haupteinschnitt de? Mitteblfers nnch den Kreuzzügen ist allerding?
II, 249 richtig erkannt und gut diar;ikteriMert. - Die Wichtigkeit der
früheren und späteren fremden Kultureinflusse für den deutschen Menschen
ist oft scharf betont, aber hier ist durchaus ein stärkeres Eingehen auf
Bnadheiten vonnMen, wenn dem Leser dn B^ff von der Wlrksamhdt
dieser Kultureinflfisse aufgehen soll. Am mosten wlfd da nodi für die
hnnzfisierte Minnezeit gebracht. Die Wichtigkeit dieses Moments erkennt
H. sonst, wie gesagt, wohl: »Im 19 Jahrhiindert erst", heißt es (II, 402),
.verläßt das deutsche Volkstum, in sein Jünglingsalter (1?) eintretend, die
Schulbank der vorunegend fremden Einflüsse."
Auf die kulturgeschichtlichen Hauptstücke, die oben erwähnten
Schilderungen der hoch- und spfttmlttehltcrlidicn Kultur, soll iMzilglidi
der Einzdhetten, von denen manche anfechtbar sind, hier nicht ehi-
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120
gegangen werden. Dem Kulturhistoriker von Fach bieten sie kaum etwas
Besonderes, dem Laien, für den sie berechnet sind, gute Belehrung.
Einige Gebiete sind mit größerer Ausführlichkeit behandelt als andere
ebenso wichtige. Die Gruppierung und Verwertuag des vorgetragenen
Stoffes nAcbte dar Kenner der Zeit oft andcn vfinscben. öfter auch
doe «eniger vciiltdie Aiifiiatiuic. Bd der in ihren ersten Zeiten kanm
besonders einschneidenden und in dieser Beziehung erst später wichtig«!
Erfindung der Buchdruckerkunst z. B. hätte die verhältnismäßige Höhe
der bisherigen Bücherherstelhmfr durch Abschreiben hervorp^ehoben
werden sollen. Bei der Darstellung des Mnmanismus vermißt man die
Erkenntnis der Wichtigkeit der Ka.nziei für seine Ausbreitung. Die
Brüder vom gemdnsamen Ldxo baboi für den Humanismus nicht die Be-
deutung gdiabt, die Heydc mit früheren Darrteilungen ihnen zusdndbt
Im ganzen richtet sich das Werk, wie gesagt, durduMls an die
historisch weniger oder gar nicht gebildeten Kreise. Voraussetzungen
werden, dem Zid der eigentlich populären Literatur entsprechend, nicht
gemacht, die Belehrung geht sopar manchmal sehr ins Elementare herab
(vgi. Ii, 66 ff.) Gerade dies wird aber weiteren Kreisen willkommen sdn.
Die Belehrung vird cndUdi auBoordendicb gdSidcrt duich die An-
schanungi die die flbersus rddie Ulnstntlve Anasfaittung gewährt. Diese
ist in der Tat zu loben : die Leistungen des Verli^fes in dieser Beziehung
sind ja bekannt. Oerade die Auswahl gewisser kulturgeschichtlich lehr-
reicher Abbildungen (daß sich einige mit den von mrr in mdner Oesdi.
d. d. Kultur zuerst gebrachten decken, so die Bilder aus des Petrus
Scoiastica Historia und einige aus dem flämischen Festkalender, war
kaum zu vermeiden) soll hier besondos anericannt werden.
Qeorg Steinhausen.
Ksri Lampredrt, Deutsche Geschichte. Der ganzen Reihe Bd. VI.
VII, 1. und 2. Hälfte <II. Abteilung. Neuere Zeit. Zeitalter des
individuellen Seelenlebens. Bd. II. III, 1. und 2. Haltte). Freiburg i. Br.,
H. Heyfdder. 1904/6. (XVI, 482; XV, XIV, 873 S.)
Nach der langen Piuse von etwa neun Jahr» hat Lamfuecht nun-
mdir die Fortsetzung sdner Deutschen Geschichte wieder aufgenommen,
inzwischen allerdings die bdden Ergänzungsbände «Zur jüngsten deutschen
Vergangenheit" erscheinen lassen (vgl. darüber dieses Archiv I, 361 ff. und
III, 88 ff.). In dieser Pause hat er sich nun auch zu einer betiachtlicht. ti
Erweiterung seines Werkes entschlossen: statt der ursprünglich geplanten
sechs sollen jetzt zwölf Binde etsdttinen. Er liebt es ja, vid und hiufig
zu sdirdben, und hat nun ausgiebig Oelegenbdt dazu. Die Folge
ist naturgemiB bd den jetzt vorliegenden Bänden, die die denfsdie Ent-
wicklung bis etwa 1750 behandeln, eine breitere Ausführung, namentlich
für solche Gebiete, die Ijunpredit, ohne Eadimsnn darin zu sein, doch mit
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Bcspndiuiigcii.
121
besoodcnr Voilicbe behandelt, so z. a für die OeacUclite der Musik
oder die der PliOosopliie; Dagegen hat er anderen und gerade spedfisch
ItiiHufgesdildiMdien Qebieten trotz der so vid breiteren Anlage nach wie
vor wenig oder gar keinen Rmm {»egönnt, wie der Sitten (refchichtc, der Ge-
schichte des Volkslebens, der Oeselligkeit, der äulkren Lebenshaltung und
Lebenseinnctitung; es sind Gebiete, auf die L zum Teil mit einem gewissen
Hochmut herabsiebt. Um so nachdrücklicher soll diese tadelnswerte Utebe
hier wieder hecvoiieiioben werden: die für einzelne dieser Ocbiele, z. B. die
TrMMengesdndite, sicii findenden kleinen Absdinitte goiOcen tdcbt Idi
«erlange hierfür nicht etwa eine ausführtiche Notizenausschüttung mehr oder
weniger kompilatorischen Charakters, sondern die Entwicklung dieser
Dinge im Rahimn der allgemeinen Kulturentvt'icklung und im Zusammen-
hang mit der Entwicklung des inneren Menschen. Man könnte den Stand-
punkt Ls zu der Behandlung jener Gebiete in einem Passus des 1. &■*
gPnzang^ibandes anf S. 137 auag^drflckt finden, wo er sidi bezflgücfa der
Nidrterwilinang der noch in der Qegenwvt fortwirkenden Uteren Kunst
so verteidigt: »Dieses Bodl iiat keinen statistischen Charakter, sondern
entwicklungsgeschichtlichen, und darum interessiert hier nicht alle^ und
jedes an unserer Zeit, selbst nicht einmal alles Bcdoutcn<k, sondt iu nur
der Inbegriff derjenigen Momente, die in entscheidender Weise den jüng-
sten Vorgang der Entwicklung kenn2£ichnen.« Nun ist dieser Standpunkt
aber erstens keineswegs sonst immer von L angewandt, und zweitens lassen
sidt auch jene OeUete durchaus von diesem Standpunkt behandeln. Im
übrigen liegt die Gefahr nahe, daß ein solcher Standpunkt zur völligen Sub-
jektivität führt, den 2>iten und dem Zeitii^eist nicht gerecht wird, vor allem
die wichtigen Unterströmungen, die immer neben den auffallenden, die
Zeit beherrschenden Richtungen einhergehen und meist den späteren Wandel
vorbereiten, überhaupt außer acht läßt.
Werden jene keineswegs gleichgaitigen Oefaiete mit ehicr an-
zwdfelhafien Einsdtigkdt stiefmfitlerUch behandelt - auch die Geschichte
der Hexenverfoigttng z. B. whd recht kurz abgemacht (VI, 87/8) -, so
vird andererseits dem naiven Leser in den vorliegenden Bänden, fast
noch mehr wie in den früheren, gerade eine außerordentliche Viel-
seitigkeit des Verfassers auffallen, die er zu rühmen geneigt sein wird;
aber auch der urteilsfähige Leser wird den weiten Horizont und die
mannigfachen höheren Interessen anerkennen milssen. Philosophie, Musik,
Aialerei z. B. werden hier in einer Weise behandelt, wie man es bisher
von einem Historiker nicht gewöhnt war. Lamprecht besitzt eine rasche
A^iftiahmefähigkeit und anch die Gabe, das durch Lektüre, oft wohl sehr
rasche Lektüre, Aufgenommene alsbald mehr oder weniger subjektiv ge-
färbt in seiner Art darzustellen. Die Einfügung in den Rahmen der von
ihm als richtig angenommenen Entwicklung geht nun natürlich ohne Ge-
wallaimkeiten nicht ab, und oft eiigibt sich eine völlige Schiefheit der Auf«
fosung, die mit den wirktidien Resultaten der fachmftßigen Forschung,
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122
Bespraehttneen.
etwa der Philosophie- oder Kunstgeschichte, keineswe;^ in Einklang zu
bringen ist. Man hat oft das sehr wcnic: wohltuende üefühl, jetzt kommt
der große Historiker Lamprecht tirui ztigl erst mal den Kärrnern, den
J~achieuten, deren Arbeit er gnadig anmnimt, wie ihr üebiei »entwicklungs-
geschichtlich' danustellen ist Im Onuide bldbt er aber ffuiz von Ihnai
abhingig. In den Einzelheiten verrlt er dabei, daß er durchaus nicht
immer die Fortschritte der Fachforschung verfolg hat und manches nicht
weiß und nicht kennt, dessen Kenntnis mrin er^-nrten muß. Um ein Beispiel
aus seiner Darstellung der niederländischen Malerei zu geben, so hält er noch
bei der fälschlich sogenannten „Nacht wnche" Rembrandts an dem „aus dem
Rahmen der NadUwaclie heraus brennenden hackeilicht« fest (VI, 321),
vihrend doch längst erkannt ist, daß die Bdeuchtiuig Tageslicht, aller-
dings eigenartiges Rembrandtsches TagesUdii ist. UnglaubUcfa ist die
Nichterwähnung Jan Vermeers, dessen berühmte Ansicht von Delft z. B.
doch gerade in Lamprechts Darstellung ^iTgen der \nindcrvollen Licht-
und Luftbehandlnnt^ eine ganz besondea:^; Hervorhebung verdient hätte.
Die Ausführlichkeit der kunstgeschichtlichen und anderer Partien
erkläri schon, daü L. mit dem früheren knapperen Rahmen seines Werkes
nicht auskommen konnte; Aber auch sonst gieht er mit dem Raum wenig
haushälterisch um; insbesondere liebt er es, wie schon in den frfiheren
und den Ergänzungsbänden, lange Rfidd>licke auf das bisher schon Oii^
gestellte einzufügen, die das dem Leser gerade Jjimprechts nlimälilich {^^^
nägend bekannte oft bis zum Überdruß wiederholen und variieren, dabei
gelegentlich kleine Abweichungen gegen die frühere Darstellung, auch Er-
gänzungen hmeinnehmen, um etwa eine inzwischen erschienene Monographie
mit einem rasch hingeworfenen Salz oder einer kurzen Andeutung zu
verwerten oder neu voigetrsgenen Anschauungen (Breysig) hie und
da sidi zu nähern (vgl. den ersten Abschnitt von VII, 2). Nicht wenig
Raum nimmt auch die von Lamprecht mit größter L'nbcfanRcnheit breit
eingefügte niederländische Entwicklung in Aiisprudi. Hier mag wohl
etwas wie eine persönliche Vorliebe mit hineinspielen, und ich teile diese
Vorliebe. Auf der anderen Seite ist audi diese niederländische Geschichte
und Kultnigesdiichte für die blnnendeulscbe in dieser Zdt ungemein
widitig. Aber die völlig ^dimäßige Behandlung der »Niederlande«
(nicht etwa Niederdeutschlands, das viel mdv hätte berücksichtigt werden
sollen) und des „inneren Deutschlands« in politischer, sozialer, wirtschaft-
licher, geistiger und künstlerischer Beziehung im Rahmen einer deutschen
ÜLbchichte wird nicht überall als völlig selbstverständlich angesehen werden.
Dankenswert sind diese Abschnitte aber immerhin.
Bebmntiich ist Lamprecht von frfihefen Kritikern wiederholt seine
allzu stsrke Mdiängigkeit von anderen Forschem voigewoifeu worden,
und auch ich habe gelegentlich diesen Pimkt (Ardliv t Kulturgesdiidite
I, 362) hrnihrt Nicht, daß alles, was in diesem umfanrrpichen Werke
stehtf nur auf Lamprechts Forschungen beruhe, wird verlangt - das wäre
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DcspracimnccD*
123
tBridit: mtn hat sich viehnebr g^gen eine allni wdt geheiide, zum Tdt
«Örtliche Benutzung anderer Werice gewindt, aber auch gegni das Nicht-
namhaftmachen der eigentlichen Gewährsmänner überhaupt. In dieser
Bcziehimp^ wirkt das Werk auf das große Publikum, femer auch auf die
Lehrer unzweifelhaft irreführend. Es werden daher KeleL,t'iitlich An-
schauungen als solche Lamprechts zitiert, deren eigentlicher Urheber er
gar nicht ist. Ja, selbst ehisichtigen und Iccnntnisreidiett Oelehrten kann
das passieRn, wie denn z. B. dnma] Rieh. M. Meyer (Deutsche Rund-
schau, Mii 1905) ¥on «jenem nodi keineswegs überwundenen Servilismus,
den Lamprecht so kräftig betont", spricht. Diese Betonung findet sich
in dem vorliegenden Bd. V!I atif S ^5 f.; Ijimprecht basiert aber in die^
Partie wesentlich auf den Ausfuhrungen, die ir'n in meiner Qesclüchte
des deutschen Briefes (Bd. II, 1S91), auch in kleineren Aufsätzen, z. B. dem
Aber »Die Lebensanffusung des 17. Jahrhunderts* gemadit habe. Das
höchst bezdchnende, von Lampfecfat angefahrte Zitat aus der Politischen
Schmiede von Bessel (1672) hat er von mir übernommen: ich habe das
Büchlein seinerzeit zufällig in Jena gefunden. Es wäre bei dem Charakter
der Lamprechtschen Geschichte natürlich lächerlich, zu verlangen, daß über-
all, u-o r^mprecht ein bekanntes Werk benutzt hat, dasselbe auch j^enr^nnt
wird. Meine .Geschichte des deutschen Briefes" z. B. ist in diesen Banden
mehrfach (z. B. VI, 5 f., 8, S7, loo; VII, 7, 28, 43, 52 f. u» a.) sichtlich
benutzt, soldie SpezialaxMten dfirfcn aber auch den allgemdneren
Dantdlungen als Quellen dienen, ohne jedesnnl nach Verdienst ge-
nannt zn werden. Etwas anderes ist es aber, wenn ganz bestimmte, für
den besonderen Fall wichtige Arbeitsfrüchte von einem anderen ohne
Nennung desselben nbt nioinmen werden. Zu solchen Ai beitsfrüchten kann
aucii ane von einem anderen Forscher zum ersten Mai enidecklc Quellen-
stdle dienen. Eine soldie Stdie ist der hOcfast interessante, von mir zum
cnien Mal verwandte und häufiger henrngCMgene Fassus aus der Ethogra-
pfaia mundi des Olorinus ~ Lamprecht, der ihn (VII, 6) übernimmt, schreibt»
flöchtig wie häufig, Olorinius, und seine korrigierenden Adjutanten haben
diese Flüchtigkeit natürlich ebensowenig gemerkt wie cht a den Fehler in
Malleus Malleficarum (Lamprecht VI, 87). Jenen Passus liat Lamprecht
aus meinem Aufsatz über die «Anfänge des französischen Literatur und
Kultnrdnflusses in Deutschland in neuerer Zdt« (Zdtschrift f. vergleich.
Uteraturgesdiichle N. F. VII, 349ff.) entnommen (S. 372 f.). Er zitiert
diesen Aufsatz allerdings bei seinem Abschnitt über den französischen
Kulturcinfluß, weil er ihn in diesem Abschnitt doch zu stark benutzt, um
ihn nicht zu nennen, ;^uch wohl weil er betreffs der Benutzung meiner Ar-
beiten inzwi<;rhen durch eine Auseinandersetzung über eine albnselir mit
einer Ausfuhrung von mir übercinstiramendc Stelle ni euieiu Ergänzungs-
bande (vgl. dieses Afdilv 1, 362; II, 109) zu genauerem Verfahren gemahnt
wir (so wild audi Im VII. Bande die im VI. Bande nicht genannte
■Ocacbidile des deutschen Briefes« wenigstens dnmal zitiert). Die StdIe
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BopredniiigBi«
4e8 (Morintis ^ler wird von ihm schon vor jenem Zitat aufpffihrt, Ahrsens
nicht scharf gmag in dem Zusammenhang, auf den sie genäit hinipcist,
Yervertet In^)esonclere hätte sie ihn auf Mingel semo' Periodisierung auf-
merksam machen können (Anfang einer neuen Kulturperiode, vgl. meine
»Geschichte der deutschen Kultur* S. 567 f ). Die Erkenntnis, daß die
meist üblen Erscheinungen, die für das 17. Jahrhundert als charak-
teristisch angesehen werden, bereits vor dem Beginn des Dreißigjährigen
Krieges, ja auch schon zu Ende des 16. Jahrhunderts skfalbv sind, und
dafi dieser Krieg in gewissen Wirtaingen flbcihaupt flbeischitzt whrd, fehlt
im Übrigen nicht ganz (vgl. z. B. bezüglich des schon Yiel frOher ehi-
setzenden wirtschaftlichen Verfalls VI, 340, 347, 360).
Daß Lamprecht im übrigen auch bei Zitaten aus älteren Quellen zu-
weilen den neueren Gewährsmann zu nennen für notwendig hält, zeigt die
(einzige) Anführung meiner Geschichte des deutschen Briefe bei einer
(VH, 7) fibcmommenen BrleMeDe. Es ist hn tibdgen gleichgültig, wenn etwa
L. (VII, 35) einen Satz aus den chsrslderistischen »Ratschligen emer Mutter
an ihre adlige Tochter vom Jahre 1794* ohne jede weitere Angabe an-
führt. Die Stelle hat er aus einem in meiner Oeschidite des deutschen
Briefes II, 345 f. angeführten Briefe der Friederike von Rieben, der mir seiner-
zeit von privater Seite zur Verfügung gestellt ist. Noch weniger anfechtbar
ist die Niciitncnnung seiner Quelle bei den (VI, 53) aus meinem Buch
Attemommenen Zitaten aus Wehe und Timasius. Diese sind allgemeiner
bekannt, und Lamprecht brauchte hier sefaie Vorlage nicht zu nennen.
Ich habe diese Dinge angeführt, nicht als selbstgefälliger Autor, sondern
weil ich in diesen Fällen am besten Kontrolle üben konnte. Ich habe
nicht die Zeit, um alle übrigen Lamprechtschen Ausführungen ähnlich
auf die nicht genannten Oewihrsmänner zu prüfen, erinnere aber an das
früher von anderen Lamprecht Vorgcwonene.
Umprecht khnt belcsnntlidi jede sdche Detailkritik tti alles Detail,
ob daher, ob daher, soll ihm ja nur dienen im Rahmen seiner eigenen
großen geschichtlichen Konzeptionen. Hier liegt aber gerade der viiinde
Punkt. Die Verquickung gesicherter geschichtlicher Resultate und Er-
kenntnisse mit subjektiven Anschauungen, die schillernde Verwendimt^ ge-
schichtlichen Details oft nach Willkür und ohne Rücksicht auf den jedes-
maligen ürad der V'cru cndbarkdt bringen das Werk um jede ernsthafte,
nachhaltige Bedeutung. Eine Zusammentaung der Iridierigcn geschicht-
lichen, insbesondere kulturgeschichtlichen Arbeit unter ktaren und grofien
Gesichtspunkten hitle ihren Wert: als solche kann Lamprechts Werk nicht
gelten, weil einerseits gerade da* Unterbau nicht solide genug geart>eitet ist,
andererseits die Dtircliführung seiner Oestcbt'^punkte häufig zu Schiefheiten
und Verkehrtheiten führt. Dazu kommen jene Lücken. Im ganzen bleibt
Lamprecht bei dem bisher Gewonnenen durchaus stehen, seine Behandlung
ist eher geeignet, die klare Entwicklung und den eigentlichen Zusammen-
hang der IMnge »i verwirren. Die wirididi treibenden Viktoren und Str6-
I
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I— I -I
Besprechungen.
125
mongen werden wenigstens zum Teil gar nicht erkannt oder in hüscher
Weise behnndelt fchnrakteristisch für die mangelhafte Komposition des
Werltes ist das völlig in der Luft schwebende Kapiiel Ober die „fremden
Kuitureinf hasse im 16. bis 18. Jahrhundert"). Die wirklich bedeutenden
und richtigen Auffassungen in den vorliegenden Bänden sind zum aller-
gröBlBD Teil aiidi idum frfllicr ausgesprochen und begründet woidav lo
die Kcnnzeichoniig der Hensehaft des Venimdes (des •InteUektualistnus'',
■Rationaüsmus") und die der späteren Hcmdutft des Gefühls. Auch der
Hatjptgesichtspunkt, daß wir nn? hei den vorlie^^erden Bünden im »Zeit-
alter des individuellen Seelenlebens" befinden, ist Meder neu nocii be-
stritten. Von allen aufgestellten Kulturzeitallein Laiiiprechts ist gerade
die Identifizierung der Neuzeit und des aufstrebenden und wachsenden
Individualisnras am meisten aaeriauuit, aber bereits lange vor ihni be-
bauptet und nidigewicscn worden. Dennoch soll betont «erden, daS
* in der Beobachtung und Aufzeigung individualistischer Züge, überhaupt
in dem Einzelnachweis des Wachsens des individualistischen Geistes, ein
Vorzug des vorliegenden Werkes besteht. Ein weiterer Vorzug hl wie
schon betont, der weite Horizont und die Behandlung mancher der land-
läufigen Historie femliegenden Dinge.
Georg Steinhausen.
Franz Arens, Das Tiroler Volk in seinen Weistümern. Fin Reitm^y
zur deutschen Kulturgeschichte, (üeschichtliche Untersuchungen hrsg. voo
K. Umprecht, 3. Heft) Gotha, Fr. A. Perthes, 1904. (XVI, 436 S.)
Der Verfasser will mit dem vorli^enden Werke einen Beitrag zu
einer Otscfaicfate der deutschen Volksseele Uefiem, indem er die Weia>
tfimer, speziell die reichhaltigen Tiroler, die bislang mehr fflr die Oe*
sdüdiie der materiellen Kultur ausgebeutet sind, für seine Zwecke nutzbar
zu machen sucht, und indem er in der gleichen Absicht neben den Weis-
tünieni auch die tirolischen Sagen und Märchen als Quellen heranzieht.
Es ist das in der Tat eine sehr dankbare Aufgabe, aber es ist auch un-
zweifelhaft eine Aufgabe, die an einen Anfänger - das Buch ist als
Disiertation entstanden - entschieden zu hohe Anforderungen stellt.
Denn eine dcnrtige Arlxit, die sich auf den Orenigebieten der kultur-
geschichtlichen , der rechts- und wirtschaftsgesdiicfatlidien und der philo-
sophischen Betrachtungsweise bewegt, trügt von vornherein sehr ^roRc-
Schwierigkeiten in sich, deren nur ein sehr erfahrener EachiT.ann Herr
werden kann. Man muß dem Verfasser aber das Zeugnis aussteilen, daß
er diese Schwierigkeiten mit Fleiß und Geschick zu übo^inden gesucht
bat Ehizdheltcn verzeiht man ihm dafib* gern, so z. R venn er in der
Einleitung (S. VII) sagt: «Man beginnt erst heute nach dem Voigange*
von Lampredit wieder mit vollerem Bewußtsein die Volksseele als Grund>
läge des ginzen historischen Geschehens anzusehen«« ein Ausspruch, der
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126
Besprechungen.
einerseits mit Unrecht Lamprecht als einzigen Pfadfinder kulturgeschicht>
h'cher Forschung erscheinen laßt, nnd der andererseits - indem er in der
Volksseele die einzij^e Grundlage cies historischen Geschehens crbhckt -
die eminente histonsche Bedeutung überragender Einzelpersönlichkeiten
ganz maßlos unterschätzt. Ähnlidi steht es mit des Verfassers Schluß-
wort, diß heute die Oochidile der deutscfaeii Volkaseele von »untereii
Besten« entrebt werde» eine Berocrkung» bd der ein fibdwoUender Kritiker
sich wohl kaum einen bc^aften Zusatz versagen dürfte. Schh'mmer ist
es «^choTi niit der sehr langatmigen und vielfach auch nicht recht anschau-
lic[i( n Ar t t'.cr I 'arstellung, die zum groIJen Teil darauf beruht, daß Arens
die Quellen selbst fast nie zu Worte kommen laßt, sondern nur seine
eigene Auffassung von ihrem Wesen vorträgt und es dem Leser überläßt,
sich die Quellenstellen, auf die er in den Anmerlntncoi verveist, selbst
zusunmenzusuchen. Dte Iddtte Lesbarkeit des BudMS wird dadurdi
beeinträchtigt, eber^so wie Idder auch seine Iddite Benfitdxurheit wegen
des mangelnden Regist^i^ ^tn^k zu leiden hnt
Von diesen kleinen Mangeln k diiicn wir getrost absehen! Ini
ganzen ist es dem Verfasser in aneriicnncnswerter Weise gelungen, auf
Orund der oben genannten Quellen das Seelenleben des deutsch-tirolischen
Landvolkes wihrend des Mitldalten und der zwei eilten Jahrhunderte der
Neuzeit daizulegen. in welcher Weise das gesdiefacn ist, llfit sich in
einer kurzen Anzeige nicht einmal andeutungsweise wiedergeben , und es
bleibt ein sehr mangelhafter Notbehelf, wenn wir uns auf die Mitteilung
beschränken, die sfhüeniich ntjch schon aus einem flüchtigen Blick in
das Inhaltsverzeichnis gewonnen werden kann, daß Arens seinen Stoff
in sieben Abschnitte zerl^ hat, in denen er nacheinander die äußeren
Bedingungen des tirolisdien Volksleben^ die innere Anlage des tirolisdien
Volhstums, die Stellung zur Natur, die innere Grundlegung des sozialen
Lebens und - nach einer kurzen Mitteilung über Wertungen - das
sittliche Leben und das Recht, so weit es sich au? den Weistfimem als
zuverlä^iger volkstümlicher Quelle ergibt, zu schildern \crsiicht Dabei
hat Arens sich nicht auf eine einfache Materialsanimlung beschrankt,
sondern es ist -- wie er es S. 435 selbst ausdrückt — »versucht worden,
das Material geistig zu flberiilicken, die geschilderten Erscheinungen des
Seetenlebens nach ihrer inneren Zusammengdtflrlgkrit zu ordnen, sie
untereinander in kausalen Zusammenhang zu bringen, Entwicklungen zu
konstatieren, wo es möglich war". Ob man nun das Werk als eine
Leistung der kulturgeschichtlichen Forschung oder als eine solche der
historischen Volkskunde bezeichnen will, bleibt gleidigültig. Es ist eine Ge-
schichte der bäuerUchen Innenkultur in Tirol, die Anspruch auf Beachtung
machen kann, eine fleißige und fOr einen Anftnger auffsllend tie^ndige
Arbeit, die auch prinzipiell insofern nicht ohne Bedeutung ist, ab sie aufs
neue zeigt, welch reiche wissenschaftliche Ausbeute bei einer systematischen
Ourchforschung selbst beschränkter QueUengebiete gewonnen werden kann.
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Desprachitogm*
127
Ein Wort $d noch gcslattet zu S. 159» wo es nach Atens «1s
ehpis (snz Auffallendes bezdchnet veiden muß, wenn nadi einer Be-
mertning im Weistume von Schenna (1513) die Grenze zweier Ortschaften
einem Nachbar mitten durch den Herd geht. Arens sieht darin einen
gewissen Gegensatz zu der sonst üblichen Betonung des einen ge-
schlossenen FamiHenhauses. Diese >x-ird aber gar nicht dadurch berührt.
Vidmehr findet sich die Benutzung eines Herdes als Orenzbezeichnung
auch sonst mehrfach aus dem einfachen Grunde, weil der biuerlidie Herd
nicht so leicht wie an Qrenzsirin verrfldct werden konnte. War er dodi
im primitiven Wohnbau durch seine unlösliche Verbindung mit der sdir
umfangreichen Rniichfanganlage so sehr an seine Stelle gefesselt, d.iß seine
Verschiebung nur mit einer völligen wirtschaftlichen und konstruktiven
Umwälzung des Hausinnern zu erreichen, ja, man kann sagen, für die volles-
tflmliclie Bauweise üt)erhaupt dn Ding der Unmöglichkeit war.
Otto Lauflei.
F. Hiro, Geschichte der Tiroler Ijindtage 1 518— 1525 (Erläuterungen
und Ergänztingen zu Janssens Geschichte des deutschen Volkes IV, 5).
Freiburg i. B., Herder, 1905. (XI, 124 S.)
Die ständischen Verhandlungen vor dem Fkueriikricge in Tirol sind
von Bedeutung, weil hier auch die Bauern eine Vertretung hatten und
mit den Bfirgern eine Oppositionspartei bildeten, die dch mdir und mehr
ndikalen Stai^mungen tiberließ. Deren Hauptvertreter waren die Schwazer
Bergki a]>p Ti r!eich ihren steirischen Standesieenossen nadi der D«^tellung
Rabenlechners (vgl. Archiv I, 487). Das rasch um sich greifende Luther-
tum für die Volksstimmung verantwortlich zu m neben, bezeichnet der Ver-
fasser als nicht angängig. Den Inhalt der auf ürund archivalisclien Ma-
terials geschilderten pailafiiciUarjächen Kämpfe bilden die finanziellen An-
sprOche des Landeshcrm, die politischen der Landschaft. Eine Verschärfung
cifuhr der Konflikt infolge der Stärkung der Fflrstenmacht durch Kails V.
politische Qffolge. Die Schroffheit seines Statthalters Ferdinand und seines
Hofrats, besonders des Schatzmeisters Salamanka, gegenüber den stän-
dischen Fordcnmgen trieben zu gc\x'altsamer l,ösung, die hier bekanntlich
zum Vorteil der Bauern ausschlug.
ü. Liebe.
Joh Reil, Die frühchristlichen DriT^tellungen der Kreuzigung
Christi (Studien über christliche Denkmäler hrsi,. von Joh. Ficker, H. 2).
Leipzig, Dieterichsche Verlags-Buchhandlung, 1904. (X, 128 S. mit
6 Tafeln).
Rfeil behandelt in der vorliegenden Arbeit, einer Straßbuiger
DtMrtation, dss Kraizigungririld in seinen Anfingen und semer Ent-
12$
Besprechungen.
Wicklung in der fnihchristUcIien Welt bis zur Karolinp'erzeit. Dabei ist
einerseits das liild als solches betrachtet, daneben aber i^t es auch „als
kunstlenscher Niederschlag der populären religiösen Oedanken- und Ge-
fahlsvelt der frühdnistUdien Zeit angesdieB und gewerlet worden',
d. h. die Realien sind liier als loilturgeschiclitlicbe Quelle ausgenutzt
ebenso vie sie un^gelKliTt «udi wieder ilure Erldimig aus den kultur-
geschichtlichen Entwicklungen heraus gefunden haben.
Reil ist auf diese Weise zu folgenden FrjTehni«^sen g^elangt. Der
Kreuzestod Christi erscheint im Christentum der tjntchisch -römischen
Welt die ersten Jahrhunderte hindurch als eine unverstandene Größe. Die
Gottheit am Kreuze m dem antiicen Empfinden ein Puvdoxon. Man
mufite sich daher mit dem Kreuzestode Christi abfinden, so gut es eben
ging. Dabei sind das Morgenhind und das AbendUuid verschiedene
gc&Mgen, und diese verschiedenartige Wertschätzung des Gekreu-
zigten im populären Christentum <;piot;elt sich mich iti den chri<;t!ichen
Denkmälern wieder. Die ersten Spuren des K^euzi}4un^sbildc^ weisen
nach dem Morgeniande, und zwar scheint es in Syrien in den neu-
tcstamentlicheo BUderkrds angereiht wordai zu sein. Freilich findet sich
auch hier zunicbst nur eine intensive Kreusesverehrung, wie sie schon
am Ende des 4. Jahrhunderts in den Kirchen und bd Prozessionen in
Antiochien nachgewiesen ist. Die heilige Kreuzreliquie in Jerusalem hatte
in den Nacbharländern früh/eititT eine besonders lebhafte Kreimerehninj,'
befördert, und so Schemen die Syrer schon im 6. Jahrhundert cl.is Kreuz
auch zuerst auf den Altar gestellt zu haben, während es im Abendiande
diesen Platz erst endgültig im 13. Jahihundert gefunden hat Dam ge-
winnt nun aber vom 6. Jahrhundert an, und rodir noch im Laufe des
7. Jahrhunderts, der Gekreuzigte selbst in steigendem Ma6e das Interesse.
Die Ereignisse des Lebens Jesu im Bilde darzustellen, fand man an den
bcfreffenden Stätten des heiligen Landes die lebhafteste Anregung, und so
verniiittM Iv il, daß dort auch der Prototyp des Kreuzigungsbildcs ent-
standen SCI. Schon in d«" zweiten Hälfte des 6. Jahrhunderts fand der
Pilger auf Golgatha einen werdenden Typ der Kreuzigungsdarstellung
abgebildet, und zwar bestand dieser »erste moigenUlndische Typus* aus
dem Kreuz mit dem Medaillon Christi an seiner Spitze, zu btiden Sdten
die Schächer am Pfahl oder Kreuz, zu welchen Momenten später noch
Sonne und Mond, Johannes und Maria hinzugeffigt worden «^ind.
Von hier aus ist dann die Kntuicklung weiter gegangen. Aus
dem Medaillon wurde erst das Brustbild, schließlich die Voilfigur Christi,
und so entwickelt sich »der zwdte moigenlindische (llaupt-)Typus«.
Den alten aberkommenen Komposttionseleroenten, die man auch ferner-
hin beibehielt, wurden jetzt noch neue hinzugefügt in Gestalt von Speer-
träger, Schwammhalter und den würfelnden Soldaten, denen Reil eine
zweifellos syrische Herkunft zuschreibt, und deren Auftreten er ins 6. Jahr-
hundert verlegen möchte. Aber alle diese Einzelheiten scblieUen sich
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PftprwhwTgfWi
129
nicht 7TJ einem starren Schema zusammen, sondern ihre Komposition
wechselt, und die einzelnen Glieder sind in eine lebensvolle Wechsel-
wirkung zueinander getreten (S. 64 ff.). Dieser Haupttypus der morgen-
ländischen Kreuzigungsdarstellung hat eine ungeheuere Verbreitung auf
kunstgewerblichen Oegcnstiodcn und in der Aidimalerei gefunden -
Rdl gibl eine BcKhreibttng der erhtUoien dnidiligigen Denlonfller» die
man auf diese Weise zu bequemer Oberaicbt geordnet findet auch
ins Abendland ist er dngedrunfen, und Italien hatte er tdlveise fflr
sich erobert.
Demp^egenüber ist die Mitarbeit des Abendlandes vor der karolin-
gischen Zeit an der Schaffung eines Kreuzigungsbildes gering. Immerhin
glanltt Reil auch einen - zvar wenig verlMdleten - sdbstSndigqi
•abcndündiscfaen Kreuzigungstyp« anndimm zu ksöonen, für den er seit
dem 6. Jahrhundert Zeugnisse beibringt« und den er duidi die nflchtevne
Behandlung des nackten, völü}^ aufj^estreckten Körpers einerseits und
durch die doketisierende Christusgestalt und ihre erhöiite Stellung anderer-
seits charakterisiert fuidet Dieser Typ gehört der rönuschen Kultursphäre
des Abendlandes an, neben ihm steht hier aber, wie Reil aufführt
(& 113 ff.), noch ehi andcRr, «der Irlindiache Typus«. Dendbe «inl im
vcaentlicben besdchnet durdi den aufrechten^ auigestredctent lebendigen
Christus mit dem morgenländischen Gesichtstyp, angetan mit dem
ärmellosen oder mit Ärmeln versehenen Colobium, das tmtcr irischer
Hand zu verschlungenem Bandwerk geworden ist; ferner durch Speer-
träger und Sclnvanimhalter sowie endlich hier und da durcli zuei Hngel
über den KrcLizarnien und em cxiei zwei Vögel (Adler) zu liaupten
QuIstL Die Figuren von Johannes und Maria fehlen in den cihallencn
DenlBnikm dieses Typus gtbudidi. - Mit der Karolingendt actat dann
im Abcndlande die Ausbildung weiterer selbständiger Kompositionen dn.
Was an dem vorliegenden Buche neben dem ikonographischen
Interesse für uns auch in prinzipieller Hinsicht bedeutsam erscheint, das
ist die Art, wie die Denkmäler in Beziehung? gesetzt sind m den Schrift-
queiien. Dieselbe ciiaraktensiert in ertreuliciier Weise die Absichten,
die do- Hcnusgeber Job. Uchcr bd den »Studien Aber chiislllche Dcnk-
mfllcr«, deren zweites Heft Reils Aibdt bildet, im Auge hat, und die In
dieser hnltuigeschichtlichen Zeitschrift ganz besonders hervorgehoben
werden müssen. Ficker weist mit Recht darauf hin, daß die bildlichen
Denkmäler lange Zeit gar nicht al«; ge^^chichtliche Quellen vens-endct
worden sind und auch heute noch bei weitem nicht die Beachtung und
Verwertung finden, die sie haben, müssen. Denn die Betrachtung^dse,
die ihnen zugewendet wird, enchfipfl sich mit der istlietischen Wflrdigung
des BlUworho^ wihiend die arefaiologische und geschichtliche beiseite
gestellt, das Inhaltliche vernachlässigt wird. Demgegenüber betont Ficker
mit einer Energie, wie sie sonst Idder in dieser Hinsicht nur selten sidi
findet den wissenschaftlkfaen Wert der archftologiscfaen Behandlung, In-
Mhr ttr XMHMifeMhldite. V. 9
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130
Bcqjrechuagen.
den: er sagt: »Die Denkmäler sind zum weitaus größten Tdle ins dem
Bechnfnis und der bildenden Kraft des Volkes hcmnsj^crachsen. Das
Volk darum ieiiren sie kermen, die Stimmungen und Sclminjruti^en der
Volkb^M clc lassen sie belausclien .... Damit geben sie das Verständnis für
die bretle Grundlage aller gesdiichtlichen Entwicklung, sie führen in die
Tiefe zu deren Vuneln. So fOidcrt ihr Studium das kulturgeschlditlidie
Vcnündnis im weitesten Umfinige und im hSdisten Snne und dient
damit dner Betrachtung der geschichtlichen Entwicklung, die unserer
Zeit ebenso nahe Hegt, wie sie vielfach noch viel zu kurz kommt " Mit
diesen Worten sind die Ziele der Archäologie so kurz und klar gezeichnet,
wie es besser kaum geschehen kann, und in ihrem Sinne sollen in den
»Studien" die Fragen der christlichen Archäologie ihre Behandlung finden.
Wir Icfinnen daher dem Herausgeber zu diesem Unternehmen nur den
besten Erfolg und fleißige Mitarbeiter wflnscfaen, dann vire zu hoffen,
daß nach diesem Vorbilde mit der Zeit auch die übrigen, bislang noch
so vielfach brachliegenden Gebiete der Archäologie ihre sachgeroiSe
Pflege finden würden.
Otto Lauffer.
U. Stntz, Die kirchliche Rechtsgeschichte. Stuttgart, £nke, 1905.
(55 S.)
Diese akademische Rede begründet mit einer kurzen Charakteristik
der bisherigen Litentnr die Foidcmng, mehr als bisher die historische
Darstellung von der systematüMfaen zu trennen. Neben der FtMerung
de Recbt^;eschichte erwartet sie davon auch eine solche für die Aus-
gestaltung des j^eltenden Rechts durch die Entlastung von historischem
Ballast. Zahlreiche literarische Anmerkungen bringen die Unterlagen für
die sehr flüssig geschriebenen Ausführungen.
O. Liebe.
L Ofintiier, Kepler und die Theologie. Ein Stuck Religions- und
Sittengeschichte aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Gießen, 1905. Töpd-
mann (XVI, 144 S.).
Die menschlich ergreifenden und erliebenden ZQge Im Chankter-
bilde des genialen Forschers unserer Zelt «fader nihar zu bringen, bt
eine schöne Aufgabe, aber sie ist hier nur unvollkommen gelöst worden.
Der X ciiasser hat sich damit bescheiden wollen, fiir die in Übersetzung
wiederg^ebenen Stellen aus Keplers Werken und Briefen, die sein tief-
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• III!
Bcsprechiingictt.
131
Td^tai Cmpfiiideii ofüenbueii. die liiognphlaGbe Vcrtiiiidiiiig zu geben.
Wrd dadurch auch manches in Keplers Werken Vergrabene allgemeinerer
Kenntnis erschlossen, z. B. seine Stellung zur Astrolofrie, so i^^t die Form
doch rtefit schwerfällig, und die Beziehungen zu den herrschenden Zeit-
ansciiauungen sind nicht soweit vertieft, um den Untertitel zu recht-
fertigen. Ein schönes Jugendbildnis des Astronomen ist eine interessante
Beigabe des von ehriidier Begeitterung sprechenden Budies.
O. Liebe.
Fritz Hartmans, Sechs Bücher BmunschweigischerTheateigeschidite.
WolfenbGttel, Zwißler, 1905. (VIII, 683 S.)
Ein wirklich sehr amüsantes und auch kulturgeschichtlich interessantes
Buch. Nicht daß wir vom Leben in der „leifen Stadt Brönsewik* eben
viel zu hören bekämen. »Ferrara durch seine Fürsten groß", kommt
uns audi hier in den Sinn, wo von den hierzögen Heinrich Julius und
Anton Ulridi bis zum Diatnantenheneog Kart und zum Hersog Wilhelm
alles Theaterieben bald zu Nutz, bald auch zum Nachteil der Kunst von
der Hofloge abhing. Die Stimmungen im Braunschweiger und Wotfen-
bütteler Schlosse spiegeln sich treulich wieder in seiner Theatergeschichte,
und es ist Fr. Hartmann gelungen, unser volles Interesse an all die
Freuden und I ciden der Komödianten und Mtjsiker gefesselt zu halten.
Was steigen da lur treffliche Persönlichkeiten der Kunstgesdiichte lebens-
voll aus den CMbem auf, mit wieviel Uebe sind Gestalten wie der Dicelclor
FHedrich Walther oder Karl Kfldiy, Kapellmeister Franz Abt Mad. Aurare
Bflrsay oder das Mfillerquartett und so mancher andere uns nahe gebracht,
und auch die kürzeren Charakteristiken \orühergehender Sterne sind fast
alle mit sichatrr Pinselführung gemalt und deutlich umrissen. Ein zu-
verlässiges Namenregister ermöglicht das Wiederfinden all der Personen
in dem nicht leicht zu überblickenden Verlaufe der Geschichte, wie sie
Hartmann darstellt.
Wie schade, daB der Veifnaer dieser gnißen, flelBigen Aibdt von
vornherein und grandsitzttch hsi jedes wissenschaftlich kritische Beiwerk
hartnäckig verschmfthtr so daB uns ein Nachprüfen der historisdien Wahrheit
seiner Überlieferungen - aus seinem Werke wenigstens - unmöglich ist.
Seine Quellenangaben sind, soweit überhaufit solche da sind, f^anz un-
genügend. Dadurch gibt er wohl eine hübsche, anregende Lektüre; der
theatergeschichtlichen Forschung erweist er nur den halben Dienst. Er
ist tich dieses Mangels selbst voll t)ewofit und wappnet sich dagegoi
mit einem stolzen Worte Macauhiys; doch bleibt er uns eben die Nach-
weise immer wieder schuldig, ob er uns wklich, wie das der grofie
englische Oeschichtsschreiber vielleicht von sich behaupten kann, »ein
9'
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13^
Dttptcphuqgep.
treues Bild von dem Leben der Vorfahren* ^ibt Gewiß ist es wünschens-
wert, wie die Vorrede sagt, «daß die Theattr^ebchichte sich nicht auf
den engen Zirkel der Fachgeleiirtenschaft beschninict, sondern sich den
großen Kreis der Theaterfreunde erobert* ; in OBtcr linic aber adieint
mir docli notMdlg, daO die. f^dtgenomn den vesenlliciMn Nutzen vot|
ciiiem neuen fvcliwerk (es nennt sich .Theatergeschidite, nadi den Qudlen
bearbeitet") haben. Es wflrde der lebensvollen Darstellung der Braun-
schweiger Tbeater£^esch?chfe wohl keinen Eintrag getan haben , wenn
jedesmal ein knapper bibliotrraphischer Vermerk die genaue Quellenangabe
- etwa im Anhang - gebracht hätte. Oewiß zeichnet sich unsere junge
theaterhistorische Forschung noch etwss durdi eine F&üe des Mtbclien
und Ubiiogiipiiisdien Appsfites ans. die dem Laien Übeidrua errccen
mag. Aber sende bd einer so jungen Disziplin sind die meist recht
entlegenen und durda kein bibliographisches Nachschlagewerk von der
Art Ooedeke? erreichbaren Fundstellen mit das Wichtigste der ganzen
Forschung. Friiz Hartmann wird das bei semen fleißigen Vorstudien
selbst emplunden haben. Nicht um eine Gelehrtenraode mitzumachen,
sondern weil wir als wissenschaftUdie Benutzer sie zur Erkenntnis der
historischen Qcsdiehnine bnuicben, verlangen vir bd dnem modernen
WerlK der VGlasensdiaft die Belege angegeben zu finden.
Als Zweck seines Buches gibt Hartnuinn ein Doppeltes an : »Einmal,
dem deutschen Kunstfreund zu zeigen, wie sich die Fntwicklung der all-
gemeinen deutschen Bühne in da* Entuicklung einer Sonderbuhne spiegelt,
zum anderen aber auch, den hiesigen [Braunschweigischen] Geschichts-
freund anzuleiten, die Vcrgangenhdt unserer Btlbne nicht isoliert, sondern
als Teil des großen Ganzen zu betrachten.« Diesem Doppelzvedse^ dem
man ftdlich andi gidch zu sehr die Rficksicht auf ein breites Publikum
anmerkt, ist der Verfasser gut gerecht geworden. Und ah Mittel dazu dient
ihm sicherlich seine lebensvolle Darstenunpyjrf. Allein gerade die »feuille-
tonistische Tonart", wie er es seibsterkennend nennt, hat m. F. seiner
Darstellung sehr geschadet. Er tut des Guten im lebhaften Anschauiich-
machen oft zu vid und zerstört sich so sdne Wirkung. Dahin ist die
Menge salopper Ausdrficke zu rechnen, die das Biidi oft mehr eigOlzlidi
als vornehm machen. So, wenn er (S. 88 und 226) von »Manichiem*,
•Pleitq;dem' und »unsichem Kantonisten« spricht, audi sonst gern
Modernes in die Schilderung älterer Zeiten verflicht. So, wenn er S. 10S
raeint, ^an den Braunschweiger Texten« aus dem Anfang des 18. Jahr-
hunderts »fände Herr Roeren selbst mit der lex Heinze-Brille auf der
Nase nicht allzuviel zu beanstanden*. Ahnlich S. 362 Ober Miqud;
S. 284 nennt er gdstrddidnd Küngemann dnc »dnunatische Hldsd-
mssdiine«, S. 300 Friedr. Walther einen •Vorläufer jener heutigen Richt-
kanoniere dramatischer Schnellfeuerhaubitzen, die stantes pede in uno
iede? Zeitereignis, einerlei ob Dreyfußprozeß, Pekinger Oesandten- oder
Belgrader Königsroord zu einem theatralischen Wurfgeschoß machen«.
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193
Ole Niin6nvepdrehung ,Kurz-Bombardon« für Bemardon soll wohl auch
Wifz (an r«-e! Stellen im Register'). S. .527 sagt er, „Flotos Ehrgeiz
ging höher, als den i.eulen die nötige Bettschwere heranzuamüsieren."
Derartige Beispiele geschmackloser Stilblüten ließen sich noch verschiedene
anführen. Die gt^ebenen werden genügen.
Ein lidtaro Mittd ibcr zu poputtrar WAHning des Büches sbUten,
scHdot es, gle^ die'KapHdflbeftdiriften sein. Sie sihd graflenteOs recht
Cteldlt, Uk dem Bestreben, die Neugierde des Lesers zu spannen. Sie sind
nicht ohne Witz ausgewählt. Wäre aber nicht besser, sie reifsten den
Inhalt des betreffenden Kapitels an, anstatt ihn scherzhaft geistreich zu ver-
stecken' Was soll man sich bei Oberschriften denken, die etwa ankündigen
•Im Reidi des Wunderlichen'- (es behandelt den Magister Velten) oder
•OMkckvanscIiende fteadendintenung'' (enthUt die ChindtterideruAg
Anton UMdn) oder »Mit aHognidigslem ftivilegio', d» ebensogut auf
alle andern Truppen des 18. Jahrhunderts wie auf die Neubersche be-
zogen werden könnte Auch Überschriften wie ,,Ma5:^ere Jahre" (Döbbelin,
Wäser), »Ich habe noch Berge zu übersteigen" (Bondini, Oroßmann), der
Thespiskarren" (Döbbelin, Tilly, Mädel), „Schwere Not" u. ä. wären
einem Sensatioiisronian eines Feuilletons angemessener als einer »Theater-
gesdiidile*. Die Folge davon isl^ daS nun sich in dem Buche recht
sdiwcr zuredttfindet, wenn man sich nicht den SdiUssel au den onhel-
liaften Rubren herausgesucht und gemerkt hat Und das Ist bedaiieriidi
bd einem Buche, das eine solche Fülle wertvollen Matena!? auch für die
Forschung cmsto" Oelehrsamkeit bir^t, bedauerlich für den Autor, der
seinen Reichtum nicht übersichtlicher und nutzbringender zu verwerten
versund, und für die entschieden guten, z. T. originalen Quellen, die ihm
zur Verfügung gestanden liaben, wie die grofie Hiusleesche ^mmlung
bfarnischwdgiscfaer ThesIcRettel, wie die im Sladlsrchiv erhaltenen KoUelc-
taneen Sacks und der Theaterband der Personaliensammlung, wie der
Nachlaß Köchys u. a. verstreute Funde, die Hartmann mit Glück
und Geschick entdeckt und herangezogen hat. Was würde es aber der
von ihm ^Geforderten und z. T. geleisteten «liebevollen Versenkung in die
Einzelheiten und lebhaften Farbengebung" göchadet haben, wenn er uns
z. B. in einem Anhang (wie es Kopp CQr Klingemanns Nationaltheatcr
getan hat) das ganze Repertoire nach der fttusloschen Sammlung tabellen-
artig ilbeisichtlich geboten hätte? Nachträglich whd das niemand mehr
machen wollen, und wir werden auf Hartmanns zusammenfassende Dar-
stellung angewiesen sein und seinen Urteiloi und Angaben blind Glauben
schenken müssen.
Die alteren Zeiten der Braunschweiger iheaiergcscluchte, von den
geisdidien Spielen und dem Rcnaisstncedrama bis zu Klingemann, sind
bd Hartmann im wesentlichen gcschidrte und - abgesdien von den
crvihnten Qeschmacklods^ten - ansehende Zusammenstellung der
Ergebnisse schon vorhandener Fbisdiungen; die Schilderung der Zeit seit
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134
Bcsprodiun^icii*
der Mitte des 1 9. Jahrhunderts beruht zutoi grofien Teil auf mflndlicfaeii
oder adififUidieii .Obcriicfeniiigen Mitidxnder oder ihrer Ancebflrigen.
Das gilt besonders von der Person und Tätigkeit Köchy% der freilich an
einigen Stellen, besonders im Vergleich mit Klingemann, etwas überschätzt
zu sein scheint. Klingemann, dessen Porträt mit gutem Rechte vor dem
Titelblatt des ganzen Buches steht, hätte m. E. bedentender aufgefaßt
und in einem großen Bilde beiiandelt werden können. Er ist durch
Vorgängerin und Nachfolger, dann ancii durch den Diamantenherzog
etwas aus dem ihm gebfihrendenMittelpunIcte des Werk» geschoben worden.
Am %en lösten wertvoll Ist das SdduBIßipitel, das in ein loses Aufreihen
all der Eintagserscheinungen unserer Zeit ziemlich kritiklos zerbröckelt und
uns dadurch recht unbefriedigt aus einem Btiche entläßt, das dem Leser
jedenfalls viel Schönes und Großes zu erzählen wußte.
Hans Dcvrient.
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Kieine Mitteilungen und Referate.
Linen kurzen Vortrag über die Geschichtsauffassung im
Wandel der Zeit und ivir vom Standpunkt des gemäßigten kathoUacben
Historitas, vcrOffentUdit Max Jansen im Hialoriacben Jahrbuch (XXVII,
Heft 1>. NatOilich handelt es sich gegen den Schlitfi hin wieder aus-
giebig um den unvermeidlichen Lamprecht, dessen geringe originale
deutun^ vielen Fnch^oesen noch immer nicht gen&gend zum Bewußt-
sein gekouuTien ist.
Über Anpassuiigsbedingungen und Entwicklungsmotive
der Kultur handelt, kflhn systenmtiiieKnd, L Chalikiopoulos tn der
Oeographischen Zettachrift (12. Jahtig., Heft 7/8).
In der Politisch -anthropologischen Revue (5. Jahrg., Nr. 2) sucht
Karl Jentsch die Begriffe Kultur und Zivilisation zu bestimmen
nnd zu erläutern, Kultur ist ihm nur die lebendige Kultur, die »Seele der
menschlichen Arbeit". Der heutigen Welt ist Wiederherstellung des
Oleichgewichts zwischen Kultur und der heute übei^hätzten, in der an-
tiken Wdt vcnditeten Zivilisation notwendig.
Markus Landau will in einem Anfisatz Aber den Fortschritt
in der Moral (Beilage zur Allgemeinen Zeitung, 1906, Nr. 187/8)
historisch beweisen, daß »trotz Buckle und Burckhardt ... die Mensch-
heit nicht bloß in intellektueller, «sondern atjch in moralischer Rp^iehunji;
langsam, aber entschieden fortschreitet": »die Menschen des dreißigsten
Jahrhunderts werden sehr wahrscheinlich auf einer noch höheren Stufe
der Ocdttung stehen als die der Gegenwart*.
Ebie auch allgenieingcschichtlldi wichtige Fngt betrifft Muchs
Aufints fiber die Trugspiegelung orientalischer Kultur in den
vorgeschichtlichen Zeitaltern Nordeuropas (MitteUungen der
Anthropologischen Oesellschaft in Wien, XXXVI, H. 3/4).
Cber Bronze und Eisen t>ei Homer handelt A. Lang in der Revue
ardieologique (4« serie, t. VU, mais/avril) (Le bronze et le fer dans
Homire).
Sehr beachtenswert ist eine Arlieit A. Conradys Ober Indischen
Einfluß in China im 4. Jahrhundert v. Chr. in der Zeitschrift der
Deutschen Morgraländischen Ocsellschaft (Jg. 60, Heft 2).
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136
Kldne Mitteilungen und Refcnte.
Aus dem Musec beige (1906, no. l) notieren vir einen Artikel
N. Hohlweins: L'adrainistration des vUUges ^gyptiens k 1*6-
poque grtco-rontine.
Ein in den Travaux de l'acad^mie nationtle de Reims (vol. 117,
t. \) erschienener Aufsatz von de Boris, Cnract^re? i!e Scythes et
caracteres de Slavcs, sucht die Identität beider Völker zu erweisen.
Von einseitig-katholischem Standpunkt aus behandelt O. Schnfi-
rer in der Schweizerischen Rundschau (5. Jahrg., Heft 4/6) die Stellung
des Mittelalters in der Kulturetttwiclclung und beleuditet in den
Historiscii-poUtiscIicn Bttttem (CXXXVII, H. 11/12) die liistorisciien
Ornndlagen unserer Kultur (Romisdie Kultur, Oermanentum und.
von Sch. besonders betont, Christentum)
in der Altbayerischen Monatsschrift (VI, S) handelt L Stein-
berger über Verunglimpfungen des bayerischen Volks-
stammes in früherer Zeit
Von Beitifgen aur lolcalcn deutschen Kulturgesdiiclite engihnen wir:
K. Knebel, Alt-Freiberg im Dunkel der Nacht (Mitlrilumen
von Freiberger Altertumsverein, Heft 41), Vogeler, Beiträge zur
Soester Kulturgeschichte (Zeitschrift des Vereins für Oesch. von
Soest etc., 21), A. Sikora, F ro n ! e i ch n a m s g c b i ä uche in Alt-
bozen, Beitr. zur Kulturgesch. Tirols aus Akten des k. k. Statthaitetei-
Archivs (Zeitschrift des Ferdinandeums, XUX, 301 -
V. Schmidt handdt in den Mitteilungen des Vereins fOr Oeidud.
Deutschen foi Böhmen <45. Jg., Nr. 1) Aber Kulturelle Bexiehutigen
zwischen Sfldböhmen und Passau.
R. F. Kaind! bietet in einem Aufsat? der Reilnpje zur Allgem. Zeitung
(190b, Nr. 184) iibcr Krakaus B ezi eh u ii f; c n zu Süddeutsch-
land um ISüü einige Nachrichten über Süddeutsche, die sidi damals
zahlreich nach Krakau, einer im späteren Mittelalter und weiterhin dtu^-
ausdculsdien Stsdt, wandten. Ebunal Uefien sich dort NOmbagier, deren
Vaiemadt einen regen HandeisvcriBehr mit Knksu pSItgltit, dauernd nieder,
Kaufleute, Buchdrucker, Kunstler, Gelehrte. Noch zahbeiciNr waren die
dort eingewanderten Rheinlfinder; um 1 450 fand dne geKhldSsenc Btt-
Wanderung mehrerer Familien nach Krakau statt.
Als »spärlichen Auszug« aus einer demnächst herauszugetvenden
«Geschidite da* Deutsdien in den Karpathenlindem' veröffentlicht der-
selbe Veiteer in derselben Zeitschriit (Nr 243) einen Aufmtz: Die
Deutschen in den Karpathen lindern und ihr KuttureinfluB.
Die Stärke dieses Einflusses wird namentlich durch Lehnwörter bcl^
Marc Chassaigne schildert in der Revue des Stüdes historiques
(1906 mai/juin, juillet/aoüt) die von der Obrigkeit anc^ewandien Mittel
(Verproviantierung) zur Bekämpfung der Teuerung in {-"ans im IS.Jahrh.
Essai sur l'ancienne police de Paris: l'approvision nement).
Das Bulletin des sdenoes tonomiqucs et sociales (190S) bringt eine
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Kldne Mittdltmgen und Referate.
137
Arbeit von L. Risch über das I.cbcn in einem Dorf in der Nähe von
Versailles im achtzehnten Jahrluindert (Thiverval avant 1 a revoiution
OU U vie privee et les mceurs d'im village des environs de Versailles au 1 8« s.).
Aus der Revue de Beigique (1906, Septembre) tr«^nen wir den
AufnlB von L Valllatp La toclM de Oen^ve sous Templre
fran^ais.
KuHurgeschichtlich interessant ist ein Beitrag von C Bamps im
Ancier pays de Looz ('\90'y, nos. 8 h 10): jn Element d'tin prntonotaire,
benäider de la catliedrale de Liege, au milicu du XVIII« siede sur les
moeurs et le caract^re des Hasseltois.
Von den städtisdien Ordnungen einer kldnen Stadt im Lüttidisdien
handelt J. Ceyssens tai der Zeltichrifl Leodium (1906, no. 5): Les
uaages et riglements I Vis^ en t43S.
Für die Gesdiichte itultureller Berührungen und Verlcehrsbeziehungen
kommt der Aufsat? von O Tli- 1 iipsley im Jtililieft der Enj^lish Hi-
storical Review: The f-Iemin^::s in Eastern England in the Reign
of Henry II, sowie der von \r. Nunziante, Qli Italiani in Ingiiil'
terra durante i secoli XV e XVI (l: Nuova Antologia, fasc 831)
in Betnucht
Ein anonymer Aufntz der Orenzboten (65. Jahiy., Nr. 30) bdeuehtet
die Spanische Kultur im achtzehnten Jahrhundert auf Orund
der Arbeiten de^ französischen Gelehrten Desdevises du Dezcrt, nanMUt*
lidl des 3. Bandes seines Werkes: L'Espagne sous l'ancien rct^ime.
In der jetzt von K. Lamprecht herausgegebenen »Allgemeinen
Staatengeschichte' (der früheren «Oeschichte der europäischen Staaten«) ist
neuerdings eine zwdbftndige Oescliielite des Rum in I sollen Vollces
im Rahmen seiner Staatsbildungen von dem Bukarester Univer-
Sitätsprofessor N. Jorga erschienen, die erste vollständige rumänische
Geschichte in deutscher Sprache (Gotha, Fr. Andr. Perthes, Aktiengesell-
schaft, 1905) (XTV, 402; XIII, 541 S.). Qegenfiber den von Haß einer-
seits, von Eigendünkel (im Sinne der Auffassung der Rumänen als editer
Nachfolger der Römer) andererseits diktierten Darstellungen der rumä-
nischen Gesdiichte will der in seinem Vaterlande hochangesehene Mann,
der fiberali fflr das Wahre und Oute eintritt, du £rgelmis einer voror-
teilsfrden Betrachtung der authentischen Qudlen bieten. Er will ferner
die Nation sclbi^t nl? lebendiges Wesen betrachten imd ihren inneren
Werdct^nng verfolgen, nähert sich also durchaus der kuiturgescluchtlichen
Auffassung. Das verrät auch seine Betonung der Kulturdnflusse. Er
möchte »die Einwirkungen, die andere Völker auf die itumSnen ausgeübt
haben, vie diejenigen, die von Ihnen ausgegangen sind,. fite* das Vcr-
stfndnis der WeHgescfaichte, die als Knltuiigeschichte gewiß existiert, nutibsr
machen«. So verdient das Werk die ernste Beachtung auch des Kultnr-
historikers. Bezüglich der Ktilttireinflüsse sei z. B. auf die Ausführungen
über die Wirksamkeit der übernommenen, gegen Ende des 16. Jahrhunderts
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138
Kleine Mtttdlungen und Reicfate.
vofdlenden slavisclien Kultur, auf die Benrarknnsen fllser die nur in die
Hofkreiae dringende tflridacbe Mode, du Kapild Aber den griediisclien Ein*
floß seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhundert«, der aber als ein durchaus
nicht allzutiefer hingestellt wird, hingewies^-n. Von Wichtigkeit ist sodann
der zweite Abschnitt des Werkes: Wirtschaftliches und geistif^-cs Leben des
rumänischen Volkes, insbcsoinJerc das Kapitel über die rumänischen Dörfer,
obwohl manciierki lu diesem Abschnitt nicht haltbar sein dürfte. Viel
weniger Beistimmendes liBt sidi aber von der eüinographisch-liislarisdien
Einleitung Aber die Bildung des öimänischen Volkes und von dem ersten
Abschnitt des Werkes sagen. Oberhaupt nimmt der Wert des Werkes mit dem
Eintritt in die «jpnteren Zeiten immer zu. Eine sehr i.'in{:;ehendc Behnnd-
lung oiahreti vor allciti die Zustände der Gegen . r^irt. Auf etwa 1ÜU Seiten
werden die Bevölkern iu::szastande, das wirtscliaüliche und das soziale,
politische und kulturelle Leben der Rumänen der Gegenwart geschildert:
Uer Ucgt die beste Leistung des Verfassers vor.
Aus der Calcutla Reviev (July 1906) sei ein Aufimtz von J. Mac-
farlane notiert: Visit ors to Calcutta in the 18th Century.
Im Band XXXVI der Mitteilungen der Anthropologischen Gesell-
schaft zu Wien handelt R. Andree über den Ursprung der ameri-
kanischen Kulturen und wendet sich gegen die lange herrschende
Ansicht von dem fremden Ursprung derselben. Heute habe die Forschung
solche Meinungen - er ffibrt sie im einidnen vor ~ beseitigt Die vor-
handenen Analogien mit Kultufdementoi und Sitten der allen Vdt kämen
gegenüber den ausgesprochenen Unterschieden nicht in Betracht. Wie
die Menschen autochthon seien, so sei auch ihre Kulturentwicklung eine
selbständige, zumal sie außerordentlich isoliert waren. „Warum sollten
die fremden Kulturträger aus allen Weltenden immer nur ein einzelnes
Oerät, einen einzelnen religiösen Brauch, ein einzelnes Wort nach Amerika
übertragen, aber die allervichtipten und den Amerikanern notwendigen
Dinge» wie Eisen und Haustiere, unberücksichtigt gdasien haben.«
In dem von Wilhelm UM herausgegebenen Sammelwerk Teutonia
ist als 2. Heft eine Abhandlung von Julius von Negelein, Das I'ferd
im arischen Altertum erschienen (KönigsbCTg i. Pr., Gräfe & Unzer,19ÜS)
(XXXVII, 179 S.), die wir hier ein wenig verspätet zur Anzeige bringen.
Die höchst fleißige Arbeit ist zwar auch der wirtschafts-, sitten- und all-
gemeingeschichtlichen Bedeutung des Pferdes gewidmet^ mdur noch der
mythologischen Rolle des Tieres» vor allem aber der Entwiddung des Pferde-
opfers. Das Buch war auch »zunächst als Darstellung und Erklärung
der Zeremonien de; indischen Roßopfer? [repinnt worden, Muchs aber all-
mählich immer nu lir über diese seine Anlage hinaus. Das Verständnis
des indischen Pferdeopfers setzte die Kenntnis dieses Brauches bei den
übrigen arischen Völkern und die Rekonstruktion des letzteren wiederum
eine Beobachtung der Rolle voraus» die das in Betracht kommende Tier
im antiken Kulturleben überhaupt spielte" Der VerCnser brdlet ein in
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Kleine Mitteilungen und Referate.
139
jahrelangem Studium erarbeitetes» von aufieronlentUcher Bdeaenheit zey-
gendes Material, das sich auch VeJneswegs auf die Indogermanen be-
schränkt, vor !ms nus; sein buch wird dem Kulturhistoriker vielfach von
Nutzen sein können. Einen Mangel, die nicht völlig genügende Kenn-
zeichnung wörtlicher Entiehnungen aus anderen Werken hat K. Helm in
dn Hcssiacheii Blftttern fOr Volkskunde (V, Heft i) gerügt. Doch «dst
J. von Negeleln regdmäBig in den Awnerktuisien auf das betreffende
Buch hin: es gibt .berühmte" Historiter, die das höchst unt^angen unter-
lassen. Einen Einblick in das Buch map: ^'^ kur?« Referat über den
Inhalt geben. Der Stoff ist freilich nicht nnmcr ^'liicklich verteilt. Der
erste, am meisten kulturgeschichtliche Abschnitt. Vicrd und Mensch bnngt
zunächst das Kapitel: Roß und Reiter (Held und Pferd), behandelt darin
u. a. das Pferd in der Volksmedizin aovie die Eigennamen des Pfeides;
das 2. Kapitel: Pferd Im Kriege besdiifligt sich audt mit dem Pfeide-
fleischessen; das i. Kapitel: der Schimmel ist schoUi wie bereits Partien des
1. Kapitels, wesentlich von mythologischem Interesse und behandelt u. a.
die solare Schimmelgotthcit als Zeitenordner. Ganz in dieser Richtung
liegt dann der zweite Abschnitt: Pferd als Gottheit (1. Pferd als Blitz-
symbol [hier wird die wilde Jagd mit dem Blitzroß im Oewittersturm in
Zusammenhang gebracht, hier auch die kulturgieschicfatUdie. Bedeutung
des Hufes und des Hufeisens gestreift], 2. Pferd ab WIndaymbol, 3. Pferd
als Wassersymbol). Der dritte (Haupt-) Abschnitt: Pferd im Kultus be-
handelt Zweck und Idee des Pferdeopfers (es soll das Menschenopfer ver-
treieii), Idee und ünindziijj: einer Geschichte des indischen Pferdeopfers,
das Pf erdeopfer der übrigen antiken Kulturen und das Pferd als Orabmitgabe
(hier sei auf die Theorie der Qrabmi^abe aufmerksam gemacht). Wir
«oUen uns nicht auf Einzelheiten, deren AuffMsung uns anfechtbar er^
scheint, einlassen, vielmehr die charakteristischen Schlußworte des Ver-
fassers anführoi: »Wir sahen, «de Pferd und Mensch miteinander ein
Bündnis eingingen, und wie beide zu einer Individualität sich zusammen-
schlössen. Wir betrachteten, wie das Tier, dessen personliche Vor/üj/e
man mimer mehr zu schätzen verstand, nach und nach zum empinsciien
Träger abstrakter Begriffe wurde, die sein Herr allmählich bilden lernte,
und wie es dadurdi in dessen rdigitan und sozhton Leben eine Sonder*
Stellung sich eroberte. Wh* stdllen die fieiiehungen fest, die es mit jenen
Begriffen einerseits, mit dem sie verarbeitenden Menschen andererseits ver-
banden, lind fanden das Zugeständnis eines Individnnlbewußtseins als das
höchste cU in Pferde von selten des Menschen verliehene Attribut. Eben
dieses Attribut aber sahen wir als das späteste Produkt einer Entwick-
lung sich uns erschließen, die von der bloß handwerksartigen Verwendung
unseres Tieres über das Stadium der einseitigen Schätzung einzelner seiner
EigentQmlichkdten hinaus zur voUgflltigcn Wertung seiner Persönlich-
keit führte.' Ausdrücklich sei noch auf die guten Register aufmerksam
gemacht, die die interessante und venlienstUche Arbeit gut erschließen.
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140
Kidne Mitteilungen und Referate.
Im Archiv für Anthropologie (N. F. V, Heft 3/4) veröffentlicht
E. K. Blümml (Oermanische Totenlieder, mit besonderer Be-
rücksichtigung Tirols) 42 Tiroler Totenlieder, schickt aber auch eine
Qoehicfate des TottnHedci ironm. Er fumddt zuidldist Aber Totenlieder
der Indogehxmatn und besonder» der Oemunen und gibt denn eine
Obersicht über die veiteren Sdiicksate des deutschen Totenliedes bis auf
unsere Zeit, bespricht aber zuvor noch das altprnvcn/^ih'sche Klagelied,
die altfranzösische Totenklage und die alttranzösjschcn Regrets. Denn
diese drei enthalten Motive, welche auch in den deutschen Totenliedern
vorkommen. Er gedenkt später noch kurz der Begräbnisgedichte (Trauor-
CBimini) des 17. JahrlnindertSf die aber die vollstOniUcihe Totendldituns
des 17. und 18. fdnlnnideris nicht veiter t>eeinflussen. Das voUcstfim»
liehe Totenlied lebt bis heute. Bis heute werden in den verschiedensten
deutschen Oeji^endcn bei der Lcichcnwache, \x5hrend dCS Leidlcnbei^Ulg-
niaSCS und beim Grabe chonsche I jeder j^esungen.
Das Totenbrett, einen Überrest des bajuwarischen Heiden«
tu ms - es ist eine fast nur auf den Bayemstamm beschränkte Sitte -
behandelt Stolz in der ZeNscbrifl für österrdchische Vollcslcunde (1906,
Hell Wir haben Aber den Brauch frflhe geschicfatUdie Belege, die
aber verschiedene Deutnng zulassen. Stolz mdnt ndt andern, daß die
Leichen bei den Baiius^aren mit Brettern überdeckt ^x'are^, sieht den Grund
daf&r jedoch in der Absicht, die Wiederkehr der Toten zu verhindern
M. Höf] er, der neuerdings die Oebildbrote zum Gegenstande
eingehender Studien gemacht hat (vgl. dieses Archiv IV, 380 f.), be-
sprteht jetzt im Archiv fttr Anthropologie (V, Heft 3/4) das Herz als
Oebtldbrot. Er icnfliifl wieder an den OpMutt an. Auch das Hene-
essen als voliomedizinisches antidämonisch» Mittel erldirt sidi daraus.
-Wir haben es mit einer der vielfachen abgeblaHten Ablösungsformen des
ursprünglichen Menschenopfers zu tun; all die verschiedenen Variationen
bei Verwendung des Tferherzens stimmen aber darin überein, daß der
Genuß solcher lebenden Herzen wie der des Menschenherzens auch über-
natOriiche göttergleiche KrSfte verieiht« »Das Herz ab Sitz des EjebcnSi
der Lebensicnift, der Gefühle und Triebe mußte, noch heiß veizehrt, zum
Mittel der Oegenliebeerweckung werden. Ais Oebiidbrot der Deutschen
hat das Herz diese Rolle ebenfalls übemojnmen.« „Oerade das Herz aber
als Oebiidbrot ist ein Beweis dafür, daR dr\^ Volk das Organmaterial
seiner Kultopfer wechselte, ohne den übernommenen Glauben an die
Wirksamkeit desselben aufzugeben.« Die nachweisbar älteste Zeichnung
eines herzförmigen Qebildbroles befindet sich auf einem Bild von Marco
Marziale aus dem Jahre 1440. *
Ein Beitrag zu den Mitteilungen vom Freiberger Altertumsverdn
(Heft 41, S. is'i ") von Konrad Knebel, Ein alter Feuersegen, ist
deshalb von kulturhistorischem Interesse, weil er durch eine mitveröffent-
lichte Verfügung des Herzogs Ernst August von Sachsen (Weimar 1742)
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Kleine MitteUungen und Rcleiit«.
141
zeigt, daß der bekannte Glaube, die mit solchen Segen beschriebenen
Zettel, Teller etc. vermöchten Feuer zu löschen, damals in der vornehmen
Oeselischaft durchaus geteilt wurde. Denn die Verfügung bezieht sich
Ulf äat Voirätighaltung und Vervendung solcher, Teller.
P. Beck vertffentlicbt in der Zeitsdirift der OcseUschaft für Be-
förderung der Geschichts-, Altertums- und VoUolniDde von Mbuig
(XXI| 63-69) den Briefwechsel zwischen Schubart und Lavater
über den Wundertäter Oassner, wonach Lavster (wie ja bekannt)
an demselben Interesse nahm, während Schubart sich durcbaii^ skeptisch
verhielt
Vpn Begeisterung für das »herrliche Land der Schönheit, das heilige
Lud der Wiedergeburt-, lilr ItsUen, fOr seine groBe Kunst und Utente
getr^, hat Franz Sandvofi (Xanthippus) eine Rede auf Petrarca
von Öiostt^ Carducci ihrem wesentlidien Inhalt nach deutsch ep>
sdieinen lassen (Weimar, H. Böhlaus Nachfolger, 1005) (25 S ). Dieser
Nachklang zur Feier des 600. Geburtstages Petrarcas soll , nicht eigent-
lich Übertragung der schonen Rede Carduccis sein (die dieser seinerzeit
am Grabe Petrarcas in Arqua gehalten hat), sondern zugleich der Ausdruck
penönlidier EmpRndung und ErfUuung, ohne daß der Beirbeiter besorgte^
damit eine RIschung an der Vortage zu begehsn*. Es fragt sidi, ob der
Wirkung der Rede Girduccis auf diese Weise gedient ist.
Mit Paracelsus, dem »seltsamen, wundcrbarüchen Manne", beschäftigt
sich F. Strunz, der seine Schriiten vor einiger Zt-it herausge^jcbcn und
sein L^ben geschildert hat, aufs neue in einem icurzen lesenswerten Aufsatz
der Chemiker-Zeitung (1906, Nr. 63): Ein Chemiker der deutschen
Renaissance. In dem Aufutz wfatl aber vor allem die allgemeine Fngß
erörtert: »Wie steht die Naturforschung des ftufacetsus in der Geschichte
der geistigen Kultur seiner Zeit?" »Das ist sicher, daß sein Leben - und
es ^ ar das Leben eines schlichten Mannes, der nur Wanderar^t und Wander-
prediger sein wollte -- organisch verknüpft ist mit den das Selbstgefühl
steigernden Werten der deutschen Renaissance, und daß die Begabung,
die diese geistig erregte Zeit in Fülle ausschüttete, so überreich filier ilm
loun: die sonnige Naturlirende und eneqiische Bejahung des Lebem» das
Interesse am Mcaschen und an den Kiiften seiner Seelen die Kntilc und
Vcrfidnerung aller Lebensfragen, die religiöse Ocmfltsvertiefung und gsnz
besonders auch die neue Sinnlichkeit der Vernunft.«
Als Sonderabdruck aus dein Jahrbuch für ÜKciDchte, Sprache und
Literatur Elsaß-Lothringens ist eine Veröffentlichung Adam Klasserts,
die Edition einer für das Geistesleben der 2Seit bezdcbnenden »antisemi-
tischen Dichtung Thomas Murners«: Entehrung Maria durch die
Juden mit den Holsschnitlen des Strsfibuiger Hupfuffschen Druckes er-
schienen (Straßburg, J. H. E. Heitz, 1905) (79 S.). Es handelt sich um
einen seltenen Straßburger Druck ohne Jahr, der seinerzeit nnterdrückt
zu sein scheint Klassert sucht ausführlich nachzuweisen, daß Mumer«
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142
Kleine Mittdiungen und Referate
•der bisher - sehr zu Unrecht - fast unbestritten als Reuchltnist sans
phrase und Judenfreund g-alt", als Aritor der Schrift, deren Prschdnungs-
jahr in das Jahr 1515 zu setzen sei, angenommen werden kann. Jedenfalls
stimmen wir dem Verfasser bei, daß die vorliegende Sclirift «in sprach-
licher, literar» und kulturgeschichtlicher Hinsicht des Merkwürdigen genug
bietet» um eine Herausgabe zu reditfertigen«. Der nadi dem Exemplar
der Michelstidter Klrchenbibliothek erfolgten Edition des Textes selbst
sind sorgfältige Anmerkungen hinzugefügt worden. Die Sdirift zerfällt
in zu'ei Teile »Auf die Geschichte der \'erspottung und Venriindiing
eines Marienbildes durch Juden im Hennegan und der Bestrafung des
Freveis folgt der lehrhafte Teil, dem Holzschnitte völlig fehlen. Hier
sammelt der Verteer alle möglichen Anklagen gegen die Juden, deren
Bereditigung er oft mit venig Logik zu erweisen sucht, und fordert Ver-
tilgung der Juden*.
Als ein Beitrag zur Oeiste^ieschichte, insbesondere nach des Ver-
fassers Ausdruck als ein Beitrag zur »naturwissenschaftlichen Kulturge-
schichte" darf das Büchlein von Franz Strunz, Ober die Vorge-
schichte und die Anfänge der Chemie, eine Einleitung in die
Oeschichte der Chemie des Altertums, (Leipzig und Wien, Franz
Deuticke. 1906; IV, 69 S.) vohl bezeichnet werden. Gerade die Ge-
schichte der Chemie, sagt Strunz ganz richtig, »ist nicht nur einer der
kräftigsten Zweige der Oeschichte der Naturwissenschaften Oberhaupt,
sondern sie ht auch ein wesentliche^^ und interessante^; Bestand^tück der
grolicn K'ulniii^'cschichte*. Auf?erordentlich wedjsclten ireilich Begriff
und Aulgabe der Chemie, auch »der Typus desjenigen, der diese Natur-
fonchung betieibt«. #Aus dem naiven Praktiker der Frflhzett des Alter-
tums wttfde sllmihlich ein sinnender Ntturphilosoph«, dem mittdalter-
lidien Oeist entsprach dann «eine romtntädie Naturwissenschaft, die AI-
Chemie erblüht aus den geretteten Resten antiker, beziehungsweise Aristo-
telischer und Platonischer Metaphysik" In der vorhegenden Arbeit
kommt es dem Verfasser «nur auf die wichtigsten naturwissenschaftlich-
geschichtlichen Entwicldungen der Frühzeit an, die insbesondere mehr
diemiscb-praktische und da wieder vor allem metallurgische Oebiele streifen.*
Nadi einer Einldtung Aber die Entwicklung der Chemie im allgemeinen
behandelt er Namen und Ursprung der Chemie, die Quellen fUr die Oe>
schichte der Chemie im Altertum (hier werden auch die neueren Dar-
stellungen angeführt), völkerpsycholop^ische Voraussetzungen, Handels-
beziehnn^^en und -wet^e und als Hauptabscli nitt die chemischen Grund-
lagen der Metallurgie un Altertum, die aber audi nur zusammenfassend
behandelt .und nicht kritisch erOrtert werden sollen. Dieser Aßachnüt hat
aber wfigien der Wicbtighdt der Metalle und ihrer Verwendung namentlicfa
in Hingeht auf die Frühzeit ein besonderes kulturgeschichtliches Interesse.
Dankenswert ist die Beij^^ahe einer ziemlich ausführiichen Bibliographie:
Literatur zur Geschichte der Chemie des Altertums.
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Kleine Mitteilungen und Refente.
143
Ober d» irar IfteniseschicfatUdie Interesse hinaus reicht ein
Aufsatz von Job. Hoops in der Deutschen Rundachau (32. Jahi^., H. 11):
Orientalische Stoffe In der englischen Literatur. H.l)eKicbnet
mit Recht »eine pragmatische Geschichte des orientalischen Elements in
den abendländischen Literaturen als Hn DpsideriuiTi der Ziik-Linft«, will
selbst aber nur eim n anspnichslosen Beitrag zur Lösung Problems
geben, .eine Skizze der äuikren Geschichte der orientalischen Einflüsse
in der englisdien Literatur*.
Ludwig Keller nicht in seiner als erweiterter Abdruck aus den
Monatsheften derConieniu»-OcKlbGfaaft<Bd.XV)enchienenen Abbandlung:
Die Schriften des Coraenius und das Konstitutionenbuch
(Berlin, Weidrnnnn; t5 S.) neuerdings festzustellen, daß die Kon'-titiition
von 1723 (neu bearbeitet 1738), das Grundgesetz des neuenglischen üroß-
iogensystems, welch letzteres sich seit 1717 unter dem neuen Namen der
Sodety of Masons ausbreitete, keinesw^ original ist, vielmehr die beiden
Verfuser, englisdie Oeistlidie, «sich in wichtigen Punkten an die Schriften
des Comennis angdebnt haben«. Diese Ansduiuang hat bereits Karl
Christian Ricdrich Krause eingehend begründet, sie ist aber jetzt von
W. Begemann bestritten, wogegen Keller nun wieder die bezügHchen
Ausfuhrtini^f n Krauses von neuem bekanntwerden läßt und eine erneute
Prüfung semer Grunde erieichtert.
Aus dem 3. Heft des to. Jahr^nges der Mitteilungen der Gesell-
sdisft ffir deutsche Eiaehttogs- und Schulgeschicfate heben wur die Arbeit
von Kahl hervor: Die pidagogischen Ansichten in den Schriften
deutscher Rechtsphilosophen und Nationalökonomen aus dem
Anfang des 17. Jahrhunderts. Mehrere dieser Politiker sind nllerdings
„über die Wiederholung iilatonischer, aristotelischer und pscudo-
piutarchisciier Gedanken kaum liiuaus}^ckommen". »Auf der anderen
Seite aber machte sidi das Wehen cuic^ neuen Geistes schon vielfach
bcmcrkbir.« Man suchte den Forderungen der Zeit Rccbnung zu tragen,
so Keckcrmann, Contzen und besonders Bcsold. »An die Stelle der
Bücherweisheit tritt das Studium des Menschen selbst." - In demselben
Heft setzt M. Manitius die von ihm (vgl. Archiv IV, 3S1) beijonnenen
Zusammenstel Inneren schulgeschichtlichen Material'"- aus mittelalterlichen
Bibliothekskatalogen fort (Zur Oberlieferungsgcschichte mittcl-
aJiteriicher Schuiauturen) und zwar an der Hand von Eberhards
Dichterkatalog aus dem Laborintus.
Das Bulletin pModique de b Sodüi ari^eoise des sdenoei^ lettres etc.
(i 10, no. 6) enthält einen erwähnenswerten Aul^tz von J. Decap,
L'Instruction publique k Mazires (conte de Foix) anx XVII^ et
.XVIIIe siicles d'apres les registres des d61it)^tions munidpales, das
Bulletin du Comite central du travail industr. (1905, no. 22/3) einen
solchen von A. Babeau, L'enseignenieu t professionnel et
m^nager des filles aux XVIle et XVIII« siicles.
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144
KItiae Mitleiiiiiigai und Refciite.
M. Manltivs vertflienflicbt in der Denbdien Rundschau ($2,
Heft 1 1 ; August) einen größerer Bedeutung entbehrenden Üt)erbltck über
das mittelalterliche Schriftwesen (Zur Geschichte des Schreibens).
In der Zeitschrift für Bücherfreunde (10. Jahrg., Heft 6) handelt
Joh. V. Kelle kurz über Bibliotheken und Bücherpreise im
deutschen Mittelalter, ohne Neues zu bringen.
Das Bulletin du cercle arch^logique de Miüines (t XV) bringt
dne Aibdt von P. Verb ey den, Les relieurs et let librtires de
Mftlines du XIV« au XVI« si^cte
Die tcMrmerische Liebe des Mittdalteis Idtet Paul Hermant
in einem Aufaatz in der Revue de synth^ l^torique (XII, 2) (Le sen-
timent amoureux dans la litterature medidvale) aiis der hin-
gebenden Unterordnung des raittelaUcrüchen Menj.chen her, die ebenso
die Hingabe an Oott in der mittelalterlichen Mystik erkläre. Überhaupt
findet er mannigfache Ahnlidikeiten zvisdien Mystik und Minne.
Mit der n. A. fltar die Ausbildung des Hdtemmhnivichtigen Abneigung
des MMelalten gegen dai «eiblicbe Oeidiledit sdwint sich ebi
Aufsatz von A. O. van Hamel, Middeleeuwsch anti-feminitmc
(De Oids, 1906, Februar) zu beschäftigen.
Ein Artikel der Preußischen Jahrbücher (CXXVI, Heft 1) von
E Consentius über die Dienstboteni rage im alten Berlin
bringt allerlei Interessantes über Dienstbotenverhältnissc auf Grund der
Gesindeordnung von 1718. Ihre Vorschriften lassen die zahbeichen
MiBslinde erkennen, die beseitigt veiden sollten. Einen besonderen
Himrefs verdient nocb die Schilderung des damaligen Lakaien*
Zur Geschichte der Geselligkeit tragen bei die Aufsätze von O.
Sommerfeldt in der Altpreußischen Monatsschrift (N. F. XLIII, Heft 2):
Einladung zu einer bei Hofe in Königsberg gefeierten Adels-
hochzeit 1590 und von K. Ludwig in den Mitteilungen des Verejus
für Geschichte der Deutschen in Böhmen (45. Jahrg., Nr. 1): Fürstliche
Oiste und Feste in Alt-Karlsbad.
In der Zeitschrift für den deutschen Unterricht (20. Jahrg., H. 8)
bespricht Carl Mfiller das Mariage-Spiel. Er geht von dem Aus-
losen von Braut- und Ehepaaren »auf Zeit", das Goethe als amüsantes
Spiel in seinem und der Sch\vc^ter rornelia Freundeskreise in „Dichtung
und Wahrheit" erwähnt, aus und weist ähnliche Spiele bereits ein reich-
liches Menschenalter früher nach. Es kommt auf die Valentinage hinaus,
die doch wohl älter ist. Übrigens »verdanken wir dem Mariagespiel
den Ctavigo".
Ober Speise und Trank in Alt-Eger handelt IC Siegl in der
Zdbchrift »Deutsche Arbeit« Qütrg. S).
Ans der Zdtschrift ClasalGid PhÜology (vol. I, no. 3) notieren
wv die Arbeit von F. B. Tsrdell, The form of tbe chlamys.
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Kleine Mitteilungen und Refente
145
Kurz erwähnt sei ein Artikel des »Daheim' (Jihrg. 42, Nr. 51) von
H. Sendling, Aus der Geschichte des Hutes
Einen neuen Beitrag; zur Hausforschnnj^; bietet Murkos Aufsatz
in den Mitteilungen der Anthrofiologischen Gc-sellschaft in Wien (XXXVI,
Heft 3/4): Zur Geschichte des volkstumlichen Hauses bei
den Sfldsliven.
In die Einrichtung dnes vornehmen Htuses, aber auch in das
Pri\^tleben des Mittelalters überhaupt gewährt ein von de Brouwers
im Bulletin de la Commission royale d'histoire de Belgiqiie (1906, no. 2)
vwöffentlichtes Inventar gute Einblicke: Le mobilier d'Everard IV.
de La Mark, ffrand mayeur de Lie^e 14Q2— 1S3t.
Von ahnliciiem Interesse ist eine Publikation j. Biernatzkis im
22. Heft der MitteUungen der Ocadlschaft ffir Kidcr Stadlg^icbfe:
Kieler SchloBrecbnungen 1611 bis 1704; das Inventar des
ffirstlichen Hauses zu Kiel 1654.
Der erste Band der vom Kunsthistorischen Institut in Florenz
heranspje^cbcncn Itrilicnischcn Forschungen enthält als dritte Studie eine
höchst niteresisaiUe Arbeit von Gustav I udwi^^ (unter A^ituirkuii;^ von
Fritz Riütelen) über den Venezianischen iiausrat zur Zeit der
Renaissance Urinindliclie Nachrichten und nodi voriiandcnes sach-
Ucbcs Material werden hier acharfännig kombiniert. Eine wesentliche
RoUe spielen die Toiletten- und Kostfimgegenstande.
Die Revue de Gascogne (1906, mars) bringt einen für die Aufwands-
neigungen des 17. Jahrhunderts bezeichnenden Aufsatz von E. de Lary
de Latour, Comptes des funerailles d'un gentilhomme gargon
au XVlie siede.
Aus den M&noires de Ui Sod^ nationale des antiquaires de
Fruioe (t 65) sei eine Untersuchung von Rouquctte erwShnt: Recher-
Ohes sur les lanternes romaines.
Max Buch n er betont in einem Aufsatz über das Bogen-
schießen (Globus, XC, Nr. 5/6) die Vielseitigkeit des Themas und das
Interesse verschiedenster Forschun^^sgcbicte daran,
Die Zeitschrift für histonsclie Walteukunüe (IV, iielt 2) bringt
eine Abhandlung von W. Rose Aber Römisch -germanische
Panzerhemden (Alterhim, ZeHalter der V<HlKiwindcning, frfihes
Mittdalter bis zur Karolingeizeit).
Mit seiner bekannten Belesenheit behandelt Friedrich Schneider
fein unterrichtend in Bd. I der Mainzer 2>itschrift einen Prälatenstab
des 18. Jahrhunderts aus Kloster Eberbach im Rheingau. Er
gibt in der kurzen Abhandlung eine ganze Geschichte der Krückstäbe.
Denn dfe Bcatimniung jenes Mlatenstabes ist nicbt Idrchlidier, sondon
profaner Art, wenngleidi er mit einer reUgUteen Darstellung geschmfldct
ist und aus klösterlichem Besitz stammt Im fibrigcn ist dcndlie als
Eneugnis deutscher Kldnlcunst beachtenswert
AkUt fSr KoltiiriMlildite. V. 10
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Kleine Mitteilungen und Referate.
Zur Frfihs^ichte der Luuhrirttchaft sd, obwohl unsere Zdlschrilt
die Prähistorie Im allgemeinen ausschüeRt, eine Abhandlung von
A. Schliz in den Fundberichten aus Schwaben (1905) enx'ähnt: die
gallischen Bauernhöfe der Früh-La T^ne-Zeit im Neckargau
und ihr Hausinventar.
Die gnindiieiTlidi-biticrticlKn aozial-rechtlidien Vcrhlttnine der
Breligne in neuerer Zeit behandelt dnfdiend H. S^e in den Annale»
de Bretagne (t. 21, no. 1/3) (Les classei rnrales cn Bretagne du
XV|e si^cle i la r^volutinn )
Eine Ergänzung dazu bietet der Aufsatz von J. Letaconnoux
in derselben Zeitschrift (t. 21, no. 1): Le regime de la corv^e en
Bretagne.
Ein intereaaanter Aufsatz von J. Reindl in der Bdlage zur All-
gemeinen Zdtung (1906» Nr. 239) handelt von den ehemaligen Rein-
kulturen in SQdbayern. Den Rückgang vcranlaßte namentlich auch
die Einfuhr bf>s$arer Fieuidwdne und die immer mehr überhandnehmende
Bierproduktion.
In do" Revue d'histoirc moderne et contemporaine (t VII, no. S>
handdt H. Hauser über die verschiedenen Arten der Organisation
der geverblichen Arbdt im alten Fnuilorddi (Des divers modcs d'or-
ganisatton du travail dant i'ancienne France) und zwar 1. von der
korporativen, zünftigen, geschworenen Arbeit (du travail en jurande);
2. von der freien Arbeit (du trnvaif libre), deren erste Entuncklung kaum
vor dem 15. Jahrhundert bt-^innt, d e jedoch bis zu den Edikten von 1581
und 1587 über«i(^ und in den kiemen Städten und auf dem Lande
herrscht, in den Städten aber den obrigkdtlichen Ordnungen unterworfen
ist und mehr und mehr cxidusive Formen eishcbt; 3. von der privilqiierten
Aibdt (du travail privil^^).
Als Heft I des ersten Bandes der Mittdlungen aus dem Städtischm
Museum für Völkerkunde tu Leipzig ist „eine ethnographische Studie"
von Hugo Ephraim, Uber die Entwicklung der Webetechnik
und ihre Verbreitung außerhalb Europas erschienen (Leipzig,
Karl W. Hiersemann, 1905; VIII, 72 S., 1 Karte, auf die wir hier auf-
merlsam machen, wdl das Thema dn bedeutendes, frdlidi vom Veitaer
nicht betontes kultuigeschiditliches InteresBe hat C stdit die groBen
Grundzüge der Entwicklung des Webeappanls in vergldchender
Eorschungsweise dar, d h er verbindet die j.*eneti?che (entwicklungs-
geschichtliche, nicht du- Zt-itfolge, sondern die Stufcuiolge ins Auge
fassende) und die beschreibende Forschung. Zunächst werden in dankens-
werter Wdse die Grundsätze aller Weberd an der Hand dnes schematischen
Webstuhles erldXrt, dann der Entwiddungsgang der Weberd unteRUdit^
vdter ihre Verbidtung auBerhalb Europas besprochen, mit BerOdc-
dchtigung der verschiedenen Entviddungsstadien des Webeapparates; dann
werden die ethnographischen SchluBfolgerungen entwickdt und endlich
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Kleine Mitteilungen und Referate.
147
die Verbreitung der Weberei außerhalb turopas kartographisch dargestellt.
Ui» interassiert hier der entvfcldungsgeschichtliche Tdl; wir vermissen
in ihm aber doch die nähere, dngdiendcre Berflclcsichtigung der eigent-
lichen Geschichte der Weberei. Das reichhaltige, wirklich historisdie
Material muß doch auch für den Entuicklungshistoriker das größte
Interesse haben. So führt fast ausschließlich der Ethnograph das Wort,
wobei aber doch wieder von ethnologischer Seite die genaue kritische
Detailverarbeitung des in unseren Museen vorhandenen einschlägigen
Miteriab vemiBt worden Ist Immerhin muß die Arbeit in ihren
Resultaten auch vom Kulturhistoriker, ferner vor allem vom Kunsfliistoriker
verwertet werden. Speziell dem Kunsthistoriker möchte der Verfuser auch
bestimmte Anregungen zur Lösung wichtiger Fragen geb«i.
Von kleineren gewerbsgeschichtlichen Arbeiten und Mitteilunj^cn
seien foli^ende erwähnt : A. Brachmann, Soziale Lage der Gewerbe-
treibenden vor und nach 1 7 89 (Nord und Süd, 1906, September);
A. Haase, Das Privilegium der Dessauer Seilerinnung (Mit-
tdlungen des Vereins lilr Anhalt Oesch. und AltertumsL, 1906, $);
£. ßatzer, Die Satzungen der Bäcker- und Mflllerknecht-
Bruderschaft in Offenburg {Alemannia, N. F. 7, 2).
A. Hansays Aufsatz in der Revue de l'instruction publique en
Belgique (1905, S): Une crise industrielle dans fa draperie
hasseltoise au XVI« si^cle bestätigt für einen Teil des Lütticher
Gebiets die Ansichten, die Pirenne Aber die Umwälzung in der flau-
drischen Tuchindustrie vorgetragen hat (vgl. das voilge Heft unseres
Archivs, S. SOO).
Erwähnt sei dabei eine Publikation von P. Meyer und Ouigue
in der Romania (No. 139, juillet 1906):* Fragments dU Orand Ii vre
d'uu drapier de Lyon 1320-23.
Zur Industriegeschichte sei noch notiert die Arbeit A. de Saint-
L6gers in den Annales de l'Est et du Nord (1906, no. 3/4): La rivalit^
industrielle entre la vüle de Lille et le plat pays et Tarrft du
-consdl de 1762, relatif au droit de fabriques dans les campagnes.
Das Bulletin de la Soci^t^ d'histoire et d'archtol. de Oand (1905,
no. 7) bringt eine auch sozialgcschichtHch interessante Arbeit von
P. Claeys,' Les associations d'ouvriers d^bardeurs ou porte-faix
ä üand au XYIIi« si&cle.
Zu den bereits in dieser Zeitschrift (IV, Heft 2, 260) nflher ge-
wflrdigten AusfQhntngen, die Franz Bastian in den Fonchungen zur
Geschichte Bayerns (XIII, Heft 4) fibcr die Bedeutung mittelalter-
licher Zolltarife als Oeschichtsquellen gemacht hat, bringen die
For<5chungen (XIV, Heft 1/2) jetzt eine archivaüsche Beilage: einen
Regcnsburi^er Mauttarif aus dem 14. Jahrhundert, der in der Tat viel-
seitige ticiehrung gewahrt.
Die TransBctioos of the Manchester StatlatiGal Sodety (i9ü5/6)
10*
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Kleine Mitteilungen und Referate.
enfhalten einen Aufsatz von A. Poock über mittelalterlidie Handels-
gesdlschnften fTrndc socicties in the rrtiddlc apcs).
A. Huyskeiis behandelt im 81. Heilder Annalcn des Historischen
Vereins für den Niederrhein die Krisis des deutschen Handels
während des geldrischen Erbfolgekrieges 1542/3.
In den Verhandlungen der 48. Versammlung deutscher Philologen
und Sdiulminner findet sich ein Voiliig von Hitz Inrath Ober den
Hamburger Handel im 18. Jahrhundert.
Das Ruüetin des sciences economiques et sodales du comit6 des
travaux historiques et scientifiques (1905) bringt einen Aufsatz von
Barrey zur Handelsgeschichte von Le Havre (Le commerce maritime
duHavredu Traitd de Paris k la rupture de la paix d' Amiens (1 763 - 1 803).
Bn kuraer Artikel des Globus (XQ Nr. 13): Handels-
beziehungen zwischen Japan und Mexilco im Beginne des
17. Jahrhunderts macht auf eine bdangreiche Arbeit der Amerikanistin
Zelia Nuttall in den Veröffentlichungen der Kalifornischen Universität
(IV, 1906, Nr. 1) aufmerksam. Auf Gnmd von in Spanien und Japan
aufbewahrten Urkunden werden hier die frühesten geschichtlichen Be-
ziehungen zwischen Mexiko und Japan behandelt »Schon damals treten
Eifenflcfateleien zwischen den auf den Philippinen hemchenden Spaniern,
den HolUndem und Portugiesen auf, die sidi !n Japan WetÜiewerb
machen; wir sehen damals schon einen weiten Blick der japanischen
Herrscher, die die Erzeugnisse der Fremde an sich ziehen möchten; es
spielen aber auch, durch die Franziskaner veranlaßt, allerlei politische
und propagandistische Inlriguen herein."
Das Bulletin du cerde arch^ologique de Malines (t XV) bringt
einen Aufsatz von J. Laenen Aber die lombardischen Wecfaster (Les
Lombards k Malines 1295-1457), deren gegen das 14. Jahrhundert
im folgenden bedeutend gebesserte Stellung sich aus den Bedürfnissen des
Handels und dem konstanten Gcld!>edr)rfnis der Fürsten und Städte erklärt.
A.Nugl isch beleuchtet in den Jahrbüchern für Nationalökonomie und
Statistik (Hl. Folge, XXXIl, Heft 3) die Fntwickelung des Reichtums
in Konstanz von 1388-1550 zahlenro&ßig. »Hierdurch tritt die Tatsache,
daB ihre (der Stadt K.) Bifite bis gegen 1460 gedauert hat, sUrfccr hervor,
als es bisher geschildert wurde; so daß wir einen Beitrag erhalten zur Be-
kämpfung der kürzlich aufgestellten Behauptung von einem weitgehenden
NiederpanfT der deutschen Städte in der Zeit von 1350 ndcr 1?00 an "
Sehr lesenswert sind die Aufsätze des Vicomte Georges d'Avenel
in der Revue des dcux mondes (5< Pir., t. 31, livre 4; 32, 2; 33, 3, 34, 2):
Les Riehes depuis sept cent ans (I. Les millionnaires d'autrefois.
n. En quoi oonsistaient les andennes fortunes. III. Soldes ndUtakes,
tnitemens des magistrats et des prttres. IV. Fondionnaiics de l'^tat et
des administrations privte.).
Einen Beitrag zur Geschichte der städtischen Pinanzveivaitung
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Kleine Mitteilungen und Referate.
149
veröffentlicht H. Becker in den Mitteilungen des Vereins lur Anhaitische
Oeicb. tarn. (1906, 3) (Der HAushalt der Stadt Zerbst 1450»1S10).
Eine höchst llelBige, dabei von gesunder Kritik durchdningaie
Arbeit bietet Alfred Karll im XVIII. Band der Zeitschrift: .Aus Aachens
Vorzeit" über das Aachener Verkehrswesen bis zum Ende des
14. Jahrhunderts. Mit Recht betont er, daß wir über das Verkehrs-
wesen des Mittelalters aunemrdcntlich wenig wirklich Sicheres wissen, unJ
daü gegenüber den Darslellungen desselben eine gründUdie Kritik am
Platze iii Anderendts meint er richtige da0 für einidne Stidte auf
Orund allein der örtlichen Quellen nur ganz Iflckenhafte Ergebnisse zu
erzielen und deshalb durch ausgid)ige Benutzung aiowftrtiger Quellen
die örtlichen Zustände im Zusammenhang mit der Entwicklung des
gesamten wirtschaftlichen Lebens darzustellen seien. So zieht er denn
auch zu seinen Hauptquellen, den Aachener Rechnunpen, die Stadt-
rechnungen anderer wichtiger Städte, insbesondere Hamburgs (auch für
Fkinkfiirt liegt übrigens einiges Material vor), ausgiebig heran. Sind
auch mandie Einzdlieiten anfechtbar, im ganzen verdient das Streben
des Verfassers, ztt einer soliden Fundamentierung dieses unsicheren Ge-
bietes beizutragen, alle Anerkennung. Hervorgehoben sei die allerdings
nicht genügend bewiesene Ansicht des Verfassers, daß im 14. Jahrhundert
in Aachen bereits sei bstandige Boten für eifrene Gefahr p'ereist sind. Im
ganzen meint er nadigewiesen zu haben, »daii nnt dem Aufblühen der
deubchen Stfldtelailtur auch das Verkditswcsen einen «esentlidien Auf-
schwung nahm, daß vor dem 14. Jahrhundert die Einrichtungen ge-
schaffen wurden, die sich bis zur Einführung der Posten fast unverändert
erhatten haben". Es sind der Abhandlung auch eine Itöhe mittelaiter-
Ucber Botenabbildunsren beig^eben.
Von Alfred Karll liegt noch ein weiterer Beitrag zur Verkehrs-
geschichte, den er in derselben Zeitsclirift (Bd. XIX) VCTöffeniijchte, vor:
Aachener Reiseverkehr im Mittelalter. Auch hier stützt IC sich
«mentlich auf dasNibe Material «He in der eben erwihnten Afbdt und bringt
ebenfalls einige charakteristische zeitgenössische Illustrationen. Er be-
handelt zunächst die (üblen) Zustände der Straßen, das Oeleitswesen,
weiter die Art des Reisens, die Rei?ennterkunft, die Pferde, ihre Be-
schaffung und Unterhaltung, die iJeisewagen usw. Jedenfalls fand im
14. J^hundert ein ziemlich bedeutender Reiseverkehr in den Rhein-
landcn statt tm flbr^en darf wieder an die ja auch sonst häufiger
nachgewiesene Enchdnung erinnert werden, daß die unbequemen Verkehrs-
zusUnde des Mittelalters noch bis ins 19. Jahrhundert gedauert hat>en.
Beachtenswert ist die Abhandlung W. Bauers über die Taxis'sche
Post und die Beförderung der Briefe Karls V. in den Jahren
1523-1S2S in den Mitteilungen des Instituts für österreichische
Geschichtsforschung (XXVII, Heft 3). B. stellt u. a. eine VernutticrroUc
von Banlden fes^ die dem Kaiser in Feindestand ergeben waren.
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150
Kldne Mitteilungen tind ReCoiAe.
Die Mittdiiuigai des gesdiiditf- tmd iUertmmtPCTchendep Veretos
zu Eisenbcig (Heft 2i/22) btingfin einen Bdlng von H. L5be zur
Geschichte der Landstraßen und des früheren Oeleitswetens.
im Amtsbezirk Eisenberg.
Au? da* Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins (XXI, Heft 3)
ermähnen wir eine i<ur7.e Arbeit J. Beinerts über die Straßburger
Rheinfähre im Mittelalter.
Eine Notiz von £tienne Cionzot in der Revue des äudcs nbe-
laisiennes (4« «nn^ no. 2): Marrons l)esdiiftigt sich mit AlpenflUneni
des 16. Jahrhunderts, die Reisende und ihr Oepick Aber die Alpen von
Piankreich nach Italien führten.
The Indian Antiquary (1906, July) enthält einen Beitrag von
R. C. Temple, The Travels of Ruliarü Bell (and John Catnpbdi)
in the East Indies, Persia and Palestine 1654-1670.
Der t)elamnte Medizinhistoriker Julius Pa^el hat unter dem
Titd: OrundriB eines Systems der Medizinischen Knltur-
geschichte (nach Vorlesung^ an der Berliner Universität, Winter-
Semester 1904/5) einen beachtenswerten, neuartigen Versuch, die ärztliche
Kultnrpeschtchte systematisch 711 hej^reifen, erscheinen lassen (Berlin 1905,
S. Karger ; 1 12 S.) Fs handelt sich nicht um einen Leitfaden der Geschichte
de* Medizin; im Gegenteil ist alles Medizingeschichtiiche ausgeschaltet, das
nicht unnuttdbar zum System als soldiem gAtirt El soll »zum cnlen Male
der Venuch gewagt verden, die gesamte Kultuigescbichte der Menschheit
von einem Oesichts- und Angelpunkte aus zu mustern, nämlich von dem
der Medizin aus*. P. verzichtet dabei auf den historisch-chronologisdien
We^ der Dirrchfühning', so mannigfache Vorteile dieser auch bietet. Er
wählt den systematischen, schon in dem Wunsche, ein System der ärzt-
lichen Kultui^eschichte überhaupt zu wagen. Zerstücklung und Rubri-
zioung and dabri unvermeidlidi. Die Art der DurchfOhrung verdeutlidit
die AnfOhrung des InhaUsveizeichniases. P. behandelt nach einer Einleitung
über Begriff, Plan und Zweck der medizinischen Kulturgeschichte die
Theologie in der Medizin ; die Homöopathie und die mystischen Rich-
tungen des IQ Jahrhunderts, Volksmedizin, weibliche Ärzte: Medizin in
der Theologie, nu li/mische Religion; Philosophie in der Medizin; Recht
und Medizin; Medizin und Naturwissenschatten, soziale Medizin ; Medizin
In der Welt- und Staatengeschichte; Medizin und Belletristik; Medizui und
Dichtung; Medizin und Kunst; Qemlschtes, Mediziner als Mathematil«v
Statistiker, Pädagogen, geadelte Mediziner (!), Mediziner ab Oatlen von
Prinzessinnen und hervorragenden Schauspielerinnen (!), hunder^flhrige
Ärzte (') Ohne Zweifel gibt P.'s Buch den Beweis, nein wie her-
vorragender Faktor die Medizin in der menschlichen Kultur ist", und
so darf sdn Buch vor allem auch der Beachtung der Kulturhistoriker
empfohlen werden. Unser Archiv fflr Kulturgeschichte wird übrigens
auf S. 88 versehentlich als Ardi. f. med. Kultuigescfa. zitiert
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Kleine Mitteilungen und Referate.
151
In dem Journal of the Royal Asiatic Society (1906, 2) findet sich eine
Arbeit von A. F. R. Hoernle: Studies in andient Indian Medecine.
Eine km, aber sehr tflchtige UntenudtuiiK hat Fredrik Gr An
imjiiiits(1906, Febniai) über die fitesten Spuren der Lepra in der
altnorweeischen Literatur geliefert. Die älteste Bezeichnung für sie
ist »hörundfall«, aber auch Jikpr^" kommt schon im 11. Jahrhundert vor.
Ein ganzer Band der Travaux de l'academie nationale de Reims
{Vol. 117, t 'i) ist einer auf archivalische Studien gestützten Arbeit von
Paul Hiidcnfinger sur la Uproserie de Reims du XIU au
XVIlt slicl e gewidmet Der Anhang bringt dne Reibe von Dokumenten.
Einen neuen beacbtensvcrten Beitrag anr Ckadnchie der Mediain
verftffcntlicht K. Baas in der Zeitschrift für die Oesdüchte des Ober-
rhefns (N F XXI, Heft 3) fiber Heinrich von Lottffenberg und
sein Gesu rid hf itsregiment (1429).
Im Schweizerischen Archiv für Volkskunde (10. Jahrg., Heft 3/4)
teilt £. Wyman Rezepte aus üri von 1716 bis 1724 mit
Das British Mcdical Journal (1905, Nov. 18) enthUt einen Aufsatz
von N. Moore Aber John Mirfeld (1393) and Medical study in
London during the middle ages.
Nach Archivaren teilt O. van Dorslaer im RtiÜPtin du cercle
archeologique de Maiines (t. XV) einiges über Streitigkeiten unter den
Ärzten im 15. Jahrhundert mit (^pisodes de la vie medicale d antan).
Der von Vogel er in der Zeitschrift des Vereins f. d. Oesch. von
Soest u. d. Böide (Hell 21) verOffentliciite Eid eines Wundarztes in
Soest vom Jahze 1390 bezieht sidi auf die Qehdmhaltung von allem,
vas dieser bei der Behandlung von »gefangenen Herren" vernehmen würden
Das Bremische Jahrbuch (XXI, 146 160) bringl für die Kultur-
geschichte des17. und 1 S.Jahrhunderts interessante Mitteilungen aus der
Geschichte des bremischen Medizinalwesens von W. O. Pocke.
Von N. Moore sei noch ein weiterer Beitrag aus dem British
Medical Journal (1905, Nov. 25) erwihnt: Dr. Edvard Brovne
(1644—1708) and the education of physicians in London in
tbe 17* Century.
Auch sittengeschichtliche Details enthält eine Arbeit V. du Bleds
in der Revue gäiäale (1906, no. 5): Les medecins et la soci^t^
fran<faise avant et apr^s 1 789.
Jos. v. Pleyel gibt in der Naturwissenschaftlichen Wochenschrift
(1906, Nr. 44) eine kurze, vor allem kultuigesdiicfatlich interessante Oe>
sdddite der Zook)gischen Qirten (Zoologische Oirten und natur-
historische Museen). Diese Institute in einhichster Form sind eine
der ältesten Erscheinenden in der Kulturgeschichte Der erste zoologische
Oarten im vollsten Sinne des Wortes, der in Deutschland gegründet
wurde, war der in Bo-lin.
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Bibliographisches«
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Die Renaissance in Piacenza.
Von l£0 JORDAN.
Man wird heute nicht satt, die Renaissance in ihren Hocb-
strömungen, an ihren Zentren zu studieren. Merkwürdig genug.
Die Zeit liegt uns in manchem so fern. Ihre Ideale sind nicht
die unaenij ihre Lebensweise ist nicht die unsere, vor der Nach-
ahmung ihrer Dichtung, ihrer Architektur warnt die Moderne,
weil sie in ihrer Eigenart ein Hemmschuh der Entwicklung ist
Und dennoch dies Interesse! Die Affinität liegt eben nicht
in den Formen. Weit mehr wie das: Im Wesen selbst, in der
Kraft, von der Tradition abzuwdcfaen und dem eigenen Willen
putz zu schaffen.
Wo wir bei uns heute hinschauen, sehen wir ein Stückchen
hiervon. Wo wir im Quattrocento und Cinquecento hinschauen,
machen wir die gleiche Beobachtung. In f^om, wie in Neapel,
in IHorenz, mt in Venedig, hört man auf zu sparen und sich im
Lebensgenüsse einzuschränken, hört man auf, den notwendigen,
den Unterhalt schaffenden Dingen das erste Interesse zuzuwenden.
Alles dem Schönen und dem Genüsse Geweihte ersieht in emer
Ffllk^ wie sie seit den OUmztagen Athens nicht gesehen.
So war es natflrllch in Piacenza nicht Die Renaissance
in der Provinz kann nicht den Glanz der Zentren haben. Hat
sie doch auch die Mittel der Zentren nicht Sie kann auch nicht
die geistige Höhe von Neapel, Rom, geschweige denn FHorenz
erreichen, denn auch hierbei spricht das Vermögen ein gewichtiges
Wort mit. Zudem ist Piacenza norditalienisch, und der Nord-
italiener ist zu praktisch, um gänzlich den Boden des wirtschaft-
Arclüv »r Ktütursncbichte. V. 11
162
Leo Jordan.
liehen Lebens zu verlieren und sich den schönen Kflnslen in die
Arme zu werfen.
Und dennoch: Auch in Piaoenza, welche Lebensfkeude,
welche Lust am Festefdem, welche Lust an schönen Menschen-
leibem und an Farben. Nidit viel raffiniertes Kunstveratindnis»
aber eine naive Freude am heiteren Lebensgenüsse, trotz der
knappen Mittel des Provinzstädtchens. J. C Scaliger ist unser
Gewährsmann:*)
IN PLACENTIAM.
XTobilis antiquo porreda FHacentia muro
Hüte hostm, hinc rapidas flumnis arcä aqaas,
f^ttws ürttsi gtHs stUttf käari std dtdlbi bucn:
ißgtfiiKtif itfifftfittf vix pttthinfuf ^tts,
I. Die gute «He ind die Mae neae Zelt, Aoao 1390.
Was dem verwöhnten Cinquecentisten zu eng und zu einfach
ist, war dem altväterlichen Trecentisten, dem Liebhaber der guten
alten Zeit, zu fippig und zu kostspielig. Dem Mönch und Geist-
lichen erschien die erwachende Let>ensfreude, die Ober die Oet>ote
seiner Weltverachtung und Asleese rflcksichlslos hinüberströmte,
wie lauter Sünde. Und er trat gegen sie auf in Predigt und
Chroniic Dort, in Florenz, der fanatische Mönch Oirolamo
Savonarola, allerorts kldnere Ödster, die deshalb auch nicht ver-
brannt wurden. Die dnen mit viel Emst und Sachtichtodt, die
anderen mit verftcbtlicher Oeste und beisehrlichen Augldn. Soldier-
Id erleben wir ja auch.
So dner war bdspielswdse jener bqahrte Geistliche (ein
OdsUicher war er gewiß), der*) dem Ckroniam PtaeenHaum dnen
ansprechenden, kulturhistorisch höchst interessanten Anhang bd-
fQgte^ der trotz des Predigertons so sachlich ist, daß man meinen
>) Aus des Benediktinerpaters OKo Aicber: JVMw y^titnim äuetjßHmim,
Salztmrx 1676, S. 39. Übersetzt etwa:
Alte Maaern umgeben PUcentiu ehrbare Stitte,
fioUvtrk feien den Feiad, geien de» Strooie» Oemlt
Innen vdtt tdten dfe Mme, dodi hnldlgt dem ftdtcrn Oenwite
Ein verstindlge« Volk, wenn auch die ArTittel nur knapp.
*) Unter dem Namen des Johannes de Mussis, der sich bei Gelegenheit
nerade: Si tgo J0hwu$ d* Mtunt ervii PlmctHtmut timitiUr iftum vidi ft cagnori fier
ttmgum utH^ mmtt «t f»tL OaS CT der Vertener iA, i«t «uch Mitr«torl tveifelluft.
Vgl. Scr^ Rtr. n. XVI. 443. Dts Mer bcnsMe S. S7I-S*4.
Die Rouüsatnoe in Piacaiza.
163
könnte, der Verfasser habe dennoch seine Freude an dem sträf-
lichen Luxus der Zeitgenossen gehabt, ~ wenigstens hat er ihn
sehr genau studiert
Mit dem Lobe der alten Zeit tieginnt er:
De nuUbas Rmas JtaUae,
Einfich war damals, zur Zdt des hochseligen Kaisers
Friedrich IL nSrnKcb, der bfiigerliche Haushalt. Mann und Frau
afien von einem Teller, ein oder zwei Trin^gefilBe genfigten der
ganzen Familie.^) Geschnitzte Tische gab's damals noch nicht
Und wenn man abends speiste, so hielt ein Diener oder ein
Knabe eine Fackel, denn Kerzen kannte man noch nicht
Wenig Fldachdle Woche ; Kohl oderandereOemfisemit Fleisch
zusammengekocht zum prandmm; nicht alle kannten den Wein.
Aber heute: Da werden fremde Weine getninken. Alle fast
sind Trinker. Die Herren Köchenmeister stehen hoch in Ehren,
und es heißt; „Unser Gott ist unser Magen!" - „Und wenn
die Geistlichkeit nicht mit tugendhaftem Beispiel voranginge,
würde unserer Lüste und Vergnügungen füglich kein Ende sein.«
Nach dieser allgemeinen Einleitung, die wie ein gutes Vor-
gericht den Appetit auf derbere Kost reizen soll, kommt unser
Weltverbesserer auf die speziellen Verhältnisse seiner Vaterstadt
zu sprechen. Da gibt es nun vieles auszusetzen.
Wie die Galanterie es verlangt, hat das schöne Geschlecht
und seine Putzsucht den Vortritt: Scharlachtuch, Goldbrokat,
schwere Seide sind die ^gewöhnlichen Stoffe, die unsere Herrinnen
tragen. Und 7\\ einem Kleide, sei dies nun ein Cabanus. ein
Barillotus oder eine Peliarda^) (diese Bezeichnungen kehren bei
der Jünglingskleidung wieder), kostet so ein Stoff von 25 bis zu
60 Dukaten. Und dabei diese Verschwendung! Die Ärmel
werden bausdiig und weit getragen und bedecken die halbe Hand,
und bei nuinchen schleift ein spitzer Zipfel bis auf den Boden.
1) So immer im Mittelaltar. Aacli bd OariBihloii CMM Herr vnd Tbdidun «w
dncm Teller. Vgl. hierüber des anribnlen BonTCifa da Riva, daes mittelaltetflcheii
.Knigge«, .Fünfjt^ \ri hlanständlgkclten bd Tische": (Nach Wiese und Prrc poä It.
Literatur.) »Du darfst nicht Brot in den Wein stipfiai, wenn mit dir aus demselben Becher
trinkt fti Bonvesin. Wenn jemand im Wdi flsdiot vill, der mit mir ans einem Becher
trinkt» «inle ich nach nwhicm Ocfalkn, vam ich kOnnte, nicht mit ihm Irinhtt . . , .
Wer nH Fnaen von einem Tdkr tOt, moB ihnen das Fteiich schneiden- nsv.
9 Vgl. a dm AMdffMhen Du C*age.
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164
Leo Jofdan.
Diese Kleider besetzen sie mit Perien, von denen die Unze
bis zu zehn Dukaten leostet Um den Hals am Busenausscfanift
(gtUa) legen sie große, brdle Qoldbander getade wie die Hals-
bänder (menifeni), die man den Hunden anl^
Die Goldgürtel und Armringe wollen wir unsererseits gnädig
übergehen und kommen zum abschließenden Urteil: »Dennoch
sind solcherlei Kleider anständig, denn sie verhüllen den Busen;
da gibt es aber andere, die sogenannten Ciprianen, die in
weiten halten die Beine umwallen, vom Gurte! aufwärts aber ganz
enge sind, Quae Ciprianae habent gulam tarn mignam, quod
ostenäuni mammUlas, <Sr videlar, quod dictae mamrniilae velint
exire de sinu earum. Dieses Gewand wäre schön, wenn der
Busenausschnitt nicht gar so groß wäre!« —
Zum Kopfschmuck gehört in erster Linie die TerzoUa. Das
sind drei Reihen von großen Ferien (bis zu dreihundert werden
gebraucht), daher der Name, Ihr Wert schwankt zwischen 100
und 125 Dukaten. Fs gibt auch noch einiy;e andere Arten des
Kopfschmucks, Spangen und Ketten, die mit dem Haar verflochten
werden, die sogenannten BugoU, die man jetzt trägt.
Kurze pelzgefütterte Mäntel, schöne Kettenbehänge (fiitae)
aus roten Korallen oder Bernstein, sogenannte fVii^NnslSfr (Rosen*
kränze) vollenden die Toilette.
Die Matronen tragen das nobile mantum, einen weiten, breiten
Mantel, der faltig bis zur Erde reicht, mit rundem Saum, und
vorne der ganzen Unge nach offen ist Um den Hals ist er mit
vetgoldeten Knöpfen {poimUisJ besetzt und meist mit Kragen ver-
sehen. Manche Dame hat drei verschiedene solche Mantel!
Die Witwen tragen sich genau so, nur sind die Qe-
winder dunkel gehalten.
Ober die M&nnerkleidung ergebt sich unser Oewihrs*
mann in ihnlichen Klagen. Sie tragen der der Frauen ent>
sprechende Oberkleidung, deren Kosten zwischen 20 und 30 Du-
katen beträgt. Die Beinkleider sind unanständig kurz und eng^
,fqttcä astendtuUmtdm luOes, smtmüeas, Anumbnm (kgenUalia?*.
An den Fflßen tragen sie geschnfirte eaügas depauno und als Unter-
kleidung ganz enge linnene MombaUas, also wohl »Unterhosen«.
Im Winter tragen sie Kapuzen (parvisalm am beeho Umgo),,
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Die Renaisauioe in FiaoenaL
165
die ganz so aussehen, als seien sie iu Jm (ctne andere Art Kßr-
puze), so klein sind sie und eng.
Manche tragen Oürtel und Halsbänder, alle spitze Schnabel-
Schuhe. Den Bart rasiert man, ULßt dagegen das Haar zu einem
groBen» runden Schöpfe wachsen. Das heißt man ehie Zanani.
• *
•
Hat der Chronist das Außere seiner Akteure beschrieben,
so vereinigt er sie nun, um zu zeigen, wie sie Feste feiern, wie
sie leben, wie Wohnungen und Geräte beschaffen sind. »Leben
tiin die Placentiner Bürger großartig," fährt er fort, «hauptsächlich
bei Hochzeiten und Festen, die man meist auf die Art veran-
staltet, wie hier folgt" - Sollen wir dem Leser die leckere
Speisenfolge eines piacentinischen Festmahls versagen? zumal
so ein detailliertes Renaissancemenu zu den Seltenheiten gehört?
Aus dem Chronistengefüge herausgenommen und in unserer
Art gehalten, würde also eine Placentiner Speisenfolge im XIV. Jahr-
hundert aufzuweisen g^ehabt haben:
1. Weiße und rote Werne, dazu Zuckerkonfekt;
2. Kapaunbraten;
3. Gesottenes Fleisch^) mit Mandelzuckersauce;-)
• . 4. Am Spieß Gebratenes: Kapaun, Huhn oder Fasan, Reb>
huhn, Hase, Wildschwein,*) Zicklein;
5. Torte oder Pudding mit Zuckerguß;
6. Früchte.
»Dann wäscht man sich die Hände, und bevor die Tafel
aulgiehoben wird, gibt man zu trinken und Zuckerkonfekt und
einen Schlußtrunk."
Das ist ein Menu« weiches auch wir heute nicht ver-
schmähen würden.
•Pudding mit Zuckerguß " ubersetzten wir zoncaias cum
tnuea xnehari desapra. Zoneata ist eine piacentinische Spezialität,
1) camts attdUas u D.O Gange: „«mM".
I) UiUtm mutftmm fHimm cmnU fr» fmHM tmjwr» ad immtriam /aciam dt amatf
d»U» *t tuchnro et ah'is tonit s^ci*hi$ tt rthus. I.umnia }»t nach Du Cangc: „Fax^
iMUrma*% heißt hier offenbar .Saoce«. Vtelteicht ist es für kutmü/mm o. i. venchridboi.
•) rntt^Mmumi it fkigkimU» Ebcr.
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166
Leo JorcUn.
und auch frazea ist sonst nicht belegt, so daß der Erklärung cm
gewisser Spielraum gelassen ist. Immerhin müssen diese Zonaitae
etwas sehr Gutes gewesen sein, denn nach den Piacentiner Annalen
des Ripalta^) griffen 1447 zwei Söldner des Herzogs Alexander
wegen eines solchen Kuchens zu den Waffen.
Natürlich ist dieses Menu auch je nach Jahreszeit und
Oeschmack veilnderlich. So geben manche pi Beghin des Mahles
ein QebAdc aus Hern, KIse und Milch, mit recht viel Zucker
danuif, - also IQteekuchen. Im Winter machen sie »Qetaline' aus
Wild oder QeflQgel, auch aus Kalbfleisch oder Fischen. Oder im
Sommer eine Sülze aus verschiedenen Fleischsorien (wdariam).
Bei besonderen Oelegenheiten gibt es natürlich auch be-
sondere Alten von Badewerken, so längliche Kuchen') aus Teig
mit Käse, Krokus (Safran?), Ingwer und anderen Spezereien, die
man am zweiten Festtage einer Hochzeit reicht
An der Spitze steht aber die Zeit, in der man am besten
zu essen pliegt in Italien, - die Fastenzeit. Da kommen die
seltenen und teuren Fischgerichte an die Reihe, und wer heute
noch Gelegenheit hat, an solchem Fasttag in einer wohlhabenden
italienischen Familie eingeladen zu werden, der wird noch manches-
mal von der leckeren Abwechselung schwärmen, die man mit
Fischgerichten erzielen kann.
Auch diesmal toinkt man erst und ifit Konfekt dazu. Dann
kommen Feigen mit gescbUten Manddn, und dann Bieitfische (?)^
mit Pfeffeisauoe. I^n Reissuppe mit JMandelmilch, Zucker und
Qewüizen, und darauf Aal in dner Sauoe.^) Danuf gibt es Hecht
(idsm Ladas) mit Essig oder Senfsauce, die mit Wdn und
Spezerden gekocht worden ist Dahn gibf s Nüsse und Früchte.
Man kann, ghiube ich, datid bestehen.
Nicht nur bei Festen und besonderen Qdegenhdten zdgle
sidi die Zunahme des Reichtums und die erwachende Lebensfreude:
auch im Alltagsld>en, in Haus und Oerilt hatte sich idne grofie
>)MttratoH, Script Rer. lt. XX. ^ ImgrUt dt pmUm. ^fkeMtrmum^
l allC^ WalflMli. Vc|l. Da Gange: Ow^icft. ^ tmm mtgm/m uM» fSmltm^Smaa,
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Die Renaissance in Piacenza.
167
Verfeinerung bemerkbar gemacbt: »Die PUcentiner«, flUirt unser
Qifonjst for^ »führen heute ein herrliches, wohlgeordnetes und
atuberes Leben und brauchen in ihren Häusern besseres Qerflt
und Oeschiir, als sie es vor siebzig Jahren brauchten (d. h. vor 1 320).
Sie haben schönere Wohnungen als danuls, haben in
denselben schöne Kammern und Staiben (im ursprttnglichen
Sinn Omtimitae, heizbare Riume), Temssen,^) Höfe, Brunnen,
Olrten und Söller.
Und in einem Hause sind mehrere Kamine für Feuer und
Rauch, in welchen H&usem in früherer Zeit kein einziger zu
Ünden war. Denn damals machte man nur ein Feuer an, mitten
im Hause unter der Dachkuppel, und alle Bewohner Stenden um
dies offene Feuer, und hier wurde gekocht Und das habe idi
zu meiner Zeit selber in mehreren Häusern noch gesehen.
Damals gab es auch noch keine Brunnen innerhalb der
Häuser, oder wenigstens fast keine, und wenig Söller, wenig Höfe.
In Piacenza iüt die hierischall meist an einer iafel lur sich
in der Stube oder in einer Kammer bei einem Peuer. Das Ge-
sinde ißt nach ihnen bei einem anderen Feuer oder auch meist
in der Küche. Zwei essen jedesmal von einem Teller. . . .
Wo vor 1320 ein Gerät gebraucht wird, braucht man nun
deren zwölf. Und das kommt von den Piacentiner Kaufleuten,
die in Frankreich, in Flandern oder in Spanien zu reisen pflegten
oder noch pflegen.
Die Tafeln sind 18 Unzen breit und waren früher nicht
breiter wie 12! Tischdecken brauchen sie, die früher kaum be-
kannt waren^ Tassen, Löffel und silberne Gabeln, Schüs«ieln und
Schüsseichen aus Steingut, große Tranchiermesser, mit denen bei
Tisch vorgelegt wird, bronzene Becken usw.
In den Schlafzimmern Bettvorhänge und Gobelins,') Kande-
laber aus Bronze oder Eisen. Weiter Fackeln, Kerzen und anderes
schönes GerätCi Geschirr und allerlei sonstige Dinge.
All dieses ist sehr kostspielig.
>) Eine ptaccnttoiKbc SpczUlitit, die niur hier vorinomt: ^«ra. Vgl.'da |ri«oea-
tfnfldie» Edikt bd Da Ctnge: „Ommt* kmintt*, S*nu . . hiummtmi . . . ptmtrt Mtr
if»*m her am vel fentsir.i. et stratmm , . . »ttidtm i'ta Imrgam tt longnm, fHtu e*rri^»t
ftuuUmm pr*Undit txira rnttrnm." Also sind Offenbar Terrassen darunter ta verstdien.
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168
Leo JofduL
Deswegen muß man auch heule gpvBe Mitgiften geben. Und
hier ist es flbKch, 400 bis 600 Dukaten zu geben und mehr. Und
all dies geht bei der Hochzeit drauf, für das Brautkleid und fftr
das Fest ~ und manchmal reicht es nicht einmal!
Der Bräutigam seinerseits noch 100 Dukaten über die
Mitgift aus, für Geschenke und Aufwand. — Daß bei solcherlei
Ausgaben unerlaubte Gesdiäfte gemacht werden müssen, liegt auf
der Hand. Und manche haben mittun wollen oder müssen, mehr
als sie gekonnt, und haben sich ruiniert!
So gibt eine Familie von neun Häuptern nebst zwei Pferden
im Jahre mindestens 300 Duk^^ten aus. Das können natürlich
nur wenige aufbringen, und deshalb gehen viele außer Landes
und nehmen einen Dienst an. Oder sie beschäftigen sich im
Handel oder leihen Geld aus.
Doch sind dies nur Adlige, Katifleute und rindere gute
alte Familien in Piacenza, die so leben können, wie wir es be-
schrieben haben, Leute, die kein Handwerk treiben.
Aber, aber! Auch die Handwerker geben mehr aus, als
nötig, besonders für Bekleidung ihrer selbst und ihrer Gattinnen.
Immerhin erhält der Hände Arbeit stets und von jeher noch alle,
die in Ehren leben wollen.«'
So weit unser Chronist, wie wir von ihm selbst wissen,
ein alter Mann und ein rechter Ijmdabr iemporis atU, Ein
Tadler zwar, aber, wie wir schon hervorgehoben, ein sehr genauer
Kenner der Sitten seiner Zeitgenossen.
Ffir die iltere Zeit betont er einmal, er habe die offiene
Feuersfelle im Piaoentitter Hause selbst noch gesehen. Im übrigen
smd seine Mitteilungen Ober die Vorzeit, wie er selber angili^
einem anderen Qefllge entnommen: Jl^jB/terliur in OuviUds
eompüaih per Rfehctaiäum de Femuia . . J" Ja, das nach dieser
Einleitung gebradite Lob der guten alten Zeit scheint ein Gemein-
platz der Chronisten gewesen zu sein, denn es findet sidi im
selben Worthmt noch wieder in dem gleichen Band XV! von
Muratoris Lebenswerk innerhalb des Breviariam italienischer Ge-
schichte, Kap. II: De moribas Italiconm. (S. 259.)
Eine schlechte Quelle übrigens, wenn man es mit der Wahr-
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Die l%eiiaiMttioe iti Pftecnau f 69
Iiett gienau nehmen will, denn es ist eher eine Idealisierang als
tine Charakteristik der Zeiten Friedrichs II. von Hohenstaufen.*)
DagKgOi stammen die Nachrichten flher Piaoenza und die
Lebensweise dieser Stadt durchweg aus eigener Anschauung^ und
es ist belustigend, wie der olfenbar greise Schreiber genaue Aus-
kunft Ober Speise und Trank, Zubereitung der Saucen, die Ordnung
bd Oastmahlera gibt, wie er das PAdikat »schön« einem Kleide
gibt, gegen das er predig^ genau auf das Dekorum hSIt und keine
seiner Tafelsdiikferungen anders lieschließt als: „AiUeguam tatalae
kmOitr, dant bihere, & confedam zuchari, db post bibm. Nie ist
der Schlußtrunk vergessen, und es scheint uns, auch er habe ihn
nie ungcnossen vorübergelassen, wenn er auch gegen alle (iiei>e
guten Dinge eifert.
Zu seinem Besten sei es angenommen.
n. Eine fürstliche Mitgift im Jahre im
In unserem ersten Kapitel war einmal die Rede davon, wie
viel größer die Mitgiften geworden seien durch die Verfeinerung
der Lebensweise. Können wir nun auch nicht mit der Beschrei-
bung einer solchen piacentinischen Mitgift aufwarten, so ist doch
das, was eine Braut aus fürstlichem Geblüte fast in demselben
Jahre aus dem nahen Mailand nach Fiankreidi mitnahm, zu in-
teressant, um nicht an die Stelle gesetzt zu werden. Ich meine
die Mitgift der Valentina Visconti, der späteren Gattin Ludwigs
von ValoiSi Herzoge von Toumine, der Freundin En stäche
Descharops» der sie besungen hat, der Christine de Pisan, -
der Mutter des prachtvollen Lyrikeis Charles d'OrUans.
Der VMobung und Brautfahrt der fQrrtlichen Frau hat
Jules Camus eine gründliche Unterauchung gewidmet: £a mum
en Fnmee de VaiaitUie VIsamÜ, Daehesse ttOrtäaas, et Pinven-
taire de ses Jegfaax apportis de LambanUe, *) Hier werden die Ver-
handlungen, die zur Che fflhrten, auf Qrund au^^dinfen Quellen-
1) An Tadtut' OemuuiU erinnert: .DmulU tiemchte in Italien die Trene. Denn
dn MlddwB konnte mit den Sohne des Nediten in SO. Jahre In dnem Bette sdihifen,
ohne Sünde ... Die Frauen waren höchst ehrbar und stellten ^^ich nicht mit überflüssiecnt
Sdimttck zur Schau. Keine beinahe brach die Ehe. Heutzutage stehen sie in Fenstern
mid Tfiren, wenn üt iddrt «dter dflrfen, nnd richlm ndt tnifallaMlem Oebtn» atlar
Anin auf sich.*
1) In MiitMmtm ät Starbt »ßihmm, XXXVI, 1900.
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170
Leo Jordan.
maleruls besduiebefii und ein fratizAsasches Invenlar der Milgifl
abgediudct (S. 34-48.)
Unserem Zwecke cnlspiediend, halten wir uns sowohl an
die Beschreibung des itetieniscfaen Gironisten als an das eben-
falls erhaltene toteinische Inventar, da dies die italienischen Namen
der geschilderten Oegensttnde enlfaUt, die Bemerloingen, die uns
das franzOsiscfae Inventar an die Hand gibt, .werden wir in
Fußnoten beifügen.
»Johanni 1389 ging die erlauchte Herrin Valentina Vis-
conti von Mailand mit o;roßem Gefolge von Edeln ans der
Lombardei fort und reiste nach Frankreich zu ihrem Bränti^^nm,
dem Her/Qg von der Tourraine." So die Annales Mediolanenses
im Kapitel CLL (Muratori, Rer. It. Script. XVI, S05.)
Der Fhekontrnkt war, wie bei Fürstlichkeiten dnmnls iiblich,
durch einen Stellvertreter des Brautvaters, Johann Galeaz Visconti,
vor dem königlichen Hofe von Frankreich bereits geschlossen
worden, und nun schrieb der Bräutigam oder JungvemiAhlte den
offiziellen Einladungsbrief an seine Auserwählte:
•Ludwig; des Königs von Frankreich Sohn, Herzog von
der Tourraine usw., allen Lesern dieses Briefes seinen Oruß!
Wir geben bekannt, daß das, was im Ehekontrakt, der in
Gegenwart meines Herrn des Königs, meiner teueren Oheime,
der Herzöge von Bourges und Buigund, zwischen uns einerseits
und . . , dem Stellvertreter meines Schwiegervaters Johann Oaleaz
Visconti, Heirn von Mailand ete., und meiner Oattin Valentina,
seiner Tochter, andererseits verhandelt und venbredet wurde,
nun erfolge:') dafi der genannte Herr Johann Qaleaz, unser
Schwi^rvater, die genannte Valentina, unsere Oattin, uns über-
sende^ ,jbeite MoJokOam,^ onuUam A JocalUms mau&amf', wie
es steh für sie und ihre Ehre geziemt und ständesgemftß ist;
Und daß im Falle einer RQckgabe der Oesefameide die
Oepflogenheit des Königreichs Frankreich maßgebend sei.
Er soll sie mit entsprechendem Oefolge nebst allen Aus-
») Vfrl C a m it s S •? : dir vorhergehenden veitliufigm Verhandlungen S. 10 und 11.
>) .Wohl mit Juvclen (etyiaologisch ==jt>l7vjei Spielzeug) ausgestattet.' Vgl. afr.
Die Remtenoe in Piacenza.
171
lagen bis zur Brücke der Stadt Mäcon schaffen lassen, wie tiit
Ehekontraid bestimmt ,,,, Und soll die genannte Valentina, unsere
Gattin, mit sich bringen die unten beschriebenen Kleinodien,
Edelsinne, Perlen, Gold- und SUbersachen und SchmuckstQcke ....
Von diesen haben wir der Sicherheit halber und zur Unterstützung
des Gedichtnisses ein Inventar aufnehmen Unsen. •
Es ist nicht ausdrücklich gesagt, daß es sich um die Mit-
gift handle^ die Johann Galeaz seiner Tochter mitgab, und man
kannte dem Wortbnit nach denken, es sei eine Brautgabe, die der
BriUitigam der Valentina geschickt habe und nun mit ihr zurück-
erhalte. Dieser Weg wflre nun ein sehr umstindlicher gewesen,
und es ist auch ohne Zweifel nur der Umstand, dafi mit ab-
geschlossenem Ehekontrakt die Mitgift bereits dem Herzog von
der Tounaine gehörte, der den Wortlaut diktiert hat Einen
Beweis^ daß es sidi um die mailftndische Mitgift handle, eri>
geben die Schlußworte: «Alle diese Oeschmekle, Kleinode etc.
wurden in der Lombardei auf 68,858 Dukaten und einiges ge-
schätzt, wie uns berichtet wurde durch Information und Relation
des ansehnlichen und weisen Herrn Grafen Polenti usw.«
Die Worte: ,,guüd in eveiitu rcstitationts Jocalium consag-
tudo Regni Franciae debeat observari" gehen also bestimmt auf
eine mögliche Scheidung und Zurückgabe der Mitgift. Romantisch
war ein solcher F.hebund, trotz feierlicher Hochzeitsreise und
fürstlichem Gepränge, eben nicht.')
Das Inventar der Mitgift handelt von Schmuck und Prunk-
stücken, einer Ausstattung an Kleidern, einigen wenigen Buchern
und Gemälden, der Schlafzimmergamitur, allem Nötigen für eine
Hauskapelle, Tischgerät u, dergl. mehr und füllt sieben lange
Spalten bei Muratori, 15 Seiten bei Camus.
Wir beschränken uns darauf, dasjenige hervorzuheben, was
für Kunst, Kunstgewerbe, für Bildung und Kultur von Wichtig«
keit scheint. Da den technischen Ausdrücken bei uns oft keine
Vorstellung entspricht, sie dazu oft &aai eigtjßxiva sind, mösaen
wir sie oftmals belassen.
* «
1) Nach dem Kontfakt hat man aus verschiedenen Gründen zwd Jahre verstreichen
IMMR Mi cor Hodivit Cum Iq^t dkM Oribide S. I9ff. dur.
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172
Leo J<mlai].
Wenn das Inventar eines beweist, so ist es die herrschende
Stellung des Kunstgewerbes: Unzählige Figuren aus Gold
und Silber werden genannt, meist mit irgend einem Zweck ver-
bunden und meist irgend em Tier darstellend.
Ein Halsband besteht aus 19 weißen Täubchen aus Gold
mit dner Taube in der Mitte, von Ooldstrahlen umgeben, mit
einem Rubin auf der Brust, ein anderes aus Herzen und UHen,
die mit Steinen besetzt sind.
Mantel- und Oewandspangen (Broschen) hat>en die
Formen von zwei Lilien und sind mit Baiassen, Saphiren und
Perlen besetzt Eine andere hat die Gestalt einer weißen Hirsch*
kub. Eine dritte stellt eine Frau dar, die Harfe spieÜ Eine vierte
eine Hirsdikuh mit Kalb. Andere stdien einen Pdihan, zwo
Täubchen, dn Tabernakel mit Heiligenfiguren, dn Vdlclien aus
violettem Email auf Qold und deiigleidien mehr dar.
Auch die Gefäße bieten der Phantasie weitesten Spidraum,
Flache Oefilß^ ob aus Eddmetall, ob aus Porzdhm, haben im
Innern stets irgend dne Daistellung (am openigüs). Der Deckel-
griff besteht in dner Rose oder deigtddien. Zwd Bacüe (brdte
Schalen) aus vergoldetem Silber mit dner Rose im Relief zeigen
Tiere und Mensdiengruppen (gropos) innerhalb von Blumen.
Ein fQr den Altar bestimmles Bedten (badMa) hat eUien zise-
lierten Rand mit Tieren und Buchslaben. Audi das Wappen
der Visconti figuriert öfter, meist nur ad arma bezeichnet, ein
paarmal: ad viperam.
Zahlreiche silberne Trinkbecher zeigen ähnliche Gebilde,
Tiere und Pflanzen, Köpfe in Relief, Kronen, Wappen. Eine
ganze Anzahl Trinkgefäße haben die Form eines Schiffs und
sind deshalb einfach navis genannt, ein Brauch, den v^r auch im
alten Frankreich truhzeilig nachweisen können. Besonders oft
findet sich auf dem Boden des Tellers oder Trinkgefäßes das
Haupt des hl. Ambrubius, das Zeichen speziell mailändischer
Herkunft; denn Ambrosius ist der Schutzpatron der Stadt,
Interessant sind die überaus häufigen griechischen In-
schriften an Gefäßen: Bocalia cum literis Graecis werden ge-
nannt und ebenso weiterhin zwei Bottiche aus vergoldetem Silber,
ein vergoldetes Pfefferbüchschen (bussoiaj, TrinkgeMe: Oaarda-
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I
Die Renaissance in Piacenza.
173
manxariae com duabas testis leonum, & senatum iataliata ad
lUteras Qraecas df alüs opemgüs. Ebenso eine Navis und Becher.
Die Inschriften der Schmuckstücke dagegen sind aus-
nahmslos französische Devisen, wie sie im Mittelalter beliebt
waren. Ein silberner Oiirtel trägt auf herabhängenden Metall-
stücken (Camus S. 35*) jedesmal die Inschrift;
Loyaute passe tout,
die im italienischen Texte verlesen wurde; Loy antepasse lout.
Das Halsband aus 19 Täubchen;
A bon droit.
Die Hirschkuh hat ein Zettelchen, wohl im Munde:
Pias hau lt.
Man erinnert sich des feinen Porträts des Bronzino in
der Tribuna der Uffizien. Auch dort ist au! dem Halsbande
eine französische Devise:
fin amour dun.
Ähnliches läßt sich über die Stickerden sagen. Es w^ar
offenbar eine große Anzahl fein gearbeiteter Stücke darunter.
So eine Planeta, eine Decke, die zu kirchlichen Zwecken be-
nutzt wurde; sie bestand aus Goldbrokat auf rotem Felde,*) und
darauf waren Uywen und andere Tiere gewirkt
Eine andere gobelinartig^ Decke oder Tapete (porommtum),
die zur Sddafzimmergiuiiitur gehört, ist aus Karmoisin-Ooldstoff
und mit Löwen, Hirschen, Blumen und Blättern bestickt Eine
rote Sddendecke^ auf dem Rahmen (?) gestickt '(eeionini kiboruU
ad ramam) mit Naddstickeret,*) zeigt zwei Damen, einen Jilng-
ting, Quellen, Bäume und Blumen im Felde. Nodi einige andere
Gobelins und Stickereien sind nach dem keimenden Renaissance^
g^sdimack mit menschlichen Figuren bedeckt Die meisten aber
zeigen noch nach mittelalterlichem Geschmack Tierbihler. Ober-
haupt besieht die Scblafidmmereinrichtung im «resentlichen aus
Dedcen, dazu Kissen und Betthimmd.
Auch die für die Hauskapelle bestimmten Einrichtungs-
gegenstände geben zu keinerlei besonderen Bemerkungen Anlaß.
Es sind ebenfalls meist Decken- oder Tapetenstücke aus dem
1) oii cofat gefertigt, co^. Du Gange: Kufen (Weberausdruck).
*) /oiificatA, Du Gange; „O^ 4tcm /tctum" ^ G a m u s Nr. \ 33 ; „c/utm^r* d* taim^.
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174
Leo Jordan.
Priestcromat: Stolen, Kappe, Überwurf, dann Kissen, Pult, Spangen
für das Pluviale, Schreine, ein heiliger Stein,
Eine sehr geringe Rolle spielt die Toilette der Braut
Ob man die Anschaffungen, wie man heute tun würde, erst in
Paris machen wollte? Die Garderobe umfaßt ein Scharlach-
gewand (Cotardita de ^ranaj,^) mit Blumen und Perlen besät,
zwei weitere Gewänder, schwarz und grün mit ähnlichen
Stickereien , ein gleiches aus violettem Scharlach (pavonacii)
mit Goklpläticheii 'ad rasteüos auiij^) mit PerlenrosetteHf^) ein
gleiches aus Samniet.
Dann zwei Hupelanden (eme Art Mantel), die eine scharlach-
rot, die andere aus violettem Scharlach, um den Hals geblümt,
mit gewissen Blättern, Rosen, Blüten (oder Knöpfen?) auf dem
linken Ärmel usw.
Wäsche, Schuhwerk u. dergL ist offenbar nidit aufgienoinnieR.
•
Und nun nach allen diesen Ooldklemodten, nach allen diesen
Stickereien, Oewflndem, Broschen, Ringen, was bekam die lom-
bardische POrstetttoditer an geistig oder kOnsÜeriscfa Wertvollem
mit? Herzlich wenig!
Von bildender Kunst: Eine vergoldete Jungfrau Maria mit
Kind, Statue oder Statuette, der Fuß mit allen möglichen
Bildwerken. (Camus Nr. 108 mit Angabe des Gewichts.) Zwei
Paar vergoldete .Engel. Keine Oemälde. Denn der einzige mit
Mafestas - thronende Madonna - tiezeichnete Gegenstand:
S. 808. M^fesku umt ad rnodurn anim ^fitkU tarn balassit
Vi äe. & ßgaris iAmAos Mte^ «|
kann der Form nach (»in Gestalt eines Gebetbuchs«) nkht mit*
zählen und ist wohl Miniaturarbeit Was eine Pax ist vermag
ich nicht zu sagen, aber ein Gemälde ist es wohl kaum.
S. 812, Fue mna nova, pa» ana antiqua,*^
>) Camus Nr. I33ff. : »MMr A«n«r«. S. 4S>.Ralie «HO cowle» attrte & bttaUle
ou 4 Jape flottaate.*
S) tftnmir A rmitmnx ttmr de Cks^pr«.* Cantll« Nr. 143.
") ,.semi4 dt rosti tl dt f'umffi. J,- r<-'Ui ,V cHtt et im nrJBrfilf-** (Nf* 14S.)
«) Camus Nr. 70: „Item h» ta6Uau d or a JafOH de Uvre.**
^ Cum» Nr. 114, 11 S: „item ume petiU fais iütrie a un cructfix -rmrfflWj -
/«MM/ «KM mmttf um 0H€€,** - Das französische Regittar hat oocb eine U. Margareihe aM
Beraaldii (?), die an dner Schlange hervorspringt, die anf dneni SUbmockd «itit: m»
ymagt tTam^rt dt Saintt Marg^itntr :vj,?,crAtm dn graSCa OcBlMe OdCT dW SÄttitaad
»ni Elfenbein (Nr. 87 : un grmnt t^tiieau »fjfvetre.)
L.iijiu<_L;d by Google
Die Renaissance in Piacenza«
175
Der Zahl nach steht es etwas weniger Idägltcii mit den
Büchern. Aber der Inhalt'
1. Ein Buch mit Mariengebeten (officiolum), die Deckel
(assides) vergoldet, mit Perlen und gewissen Steinen,
mit der Jungfrau Maria eingeschnitzt Auf der einen
Seite eine Verkündigung, auf der anderen: In firtneipto*
2. Ein gleiches Gebetbuch mit Seide überzogen, dtter
Silberrose darauf und einer großen Perle.
3. Ein drittes in deutscher Sprache, und ein viertes.
Auch ein Buchdeckel figuriert gesondert für sich. Er be-
stdit aus vetgoldetem Silber und trägt ein Kruzifix und Heiligen-
figuren. Nach Camus (85) wiegt er 4 Marie, 6 Unzen, S Ster-
ling. Es folgt:
4. Ein Psalter in Goldbrokat gebunden.
5. Eine Cyprianuslegende (UbeUas SaaeH Cyprkmi) in
rote Seide gebunden.
6. Ein Bfichlein mit deutschen Versen; nach Camus hat
sie dies verstehen kOnnen.
7. Das Buch des Herrn Johannes de Mandeville.^)
Und damit ist das Ende erreicht Vier Gebetbücher, da-
von eins deutsch; vier andere Bücher, davon wieder eins
deutsch. Ob man wirklich annehmen darf, daß die Braut
Deutsch \erstand, und diese Bücher ihr nicht nur, um zu füllen,
milgegebe n w u n\ c n ?
Im übriyjt'n noch ein Psalter, eine I,e,t,a-n de '-) und die
phantastische, nie erlebte Reisegeschichte des Johannes von
Mandeville, die sich im Mittelalter großer Beliebtheit erfreute,
in Wirklichkeit aber selbst die angeblich gehabte Audienz beim
Sultan gestohlen hat, wie noch kürzlich der ausgezeichnete Folk-
lorist V. Chauvin nachgewiesen hat^
Kein Dante, kein Petrarca, kein Boccaccio, echtes Mittel-
alter. Dagegen fehlen nicht: zwei Bretter mit Schachfiguren und
Trick-Tracksteinen (mertUis).
>) Nach Camus S. 39* befindet sich dieser Manderill« nun in Modena.
^ Nich dem französischen Texte kommt noch hin/u
91. tUm tu€ tmirt itvrt eu tst U strvitt Satnt Am^rvue, catcvert d* mrr ^iatu
(«- Sdradudcder}.
UM*—** * Mmdtum m Sg/fif. WaOonla, Oktober iMS.
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176
Leo jordifl.
So behäK noch hundertfatiSEig Jahre spiler Seal ige r recht,
und sein Spruch gilt auch auf die übrige Lombardei, die Haupt*
sladt, den FQrstenhof bezogen:
Üfffw 0itts! ffffts sdUif iMßrt dttfito üutt.
Bewnnderungswfirdig ist nur die Bildung^fihigkdt dieser
Prinzessin, die auf dem neuen Boden größten Einfluß gewinn,
die Freundin und die Mutter von Dichtem wurde.
III. Ein Streit am das Rcdi^ ta DoUortltd zn vcrldhcfl.
Anno 1471.
Bei dem geringen Niveau der Bildung im Pfacentinischen
nhnmt hauptsächlich ehis wunder: Piacenza hatte eine Universität.
Und zwar nicht eine Universität von gestern! Wenn wir den
Annales Piacentini des Albertus de Ripalta/) eines nicht un-
bedeutenden Humanisten, der das Werk seines Vaters» Antonius
fortsetzte, folgen, so ist es Papst Innozenz IV. (1243 1254)
gewesen, dem die Hochschule ihre Privilegien verdankt. Die
Verleihung dieser Privilegien aber hatte in blumigem Latein
folgendermaßen gelautet:
»Innozenz, der Oberhirte und Sklave aller Sklaven Ooftes,
dem ehrwürdigen Bruder Bischof, seinen gelu Itten Söhnen, dem
Klerus und dem piacentinischen Volke seinen Gruß! Und
apostolischen Segen!
Dieweil uns das Herz eures Landes teuer ist, so wollen
wir gern erlauben, daß dortselbst jene Studien in der Literatur
getrieben werden, in welchen Josephus (der ICirchenvater?) mit
feinem Verständnis geheimnisvolle Dinge zu erklären wußte^
daß dortselbst das Silber der Beredsamkeit die Quellen seiner
Adern eröffne und ein Ort sei, an dem das Oold der Weisheit
sich zahlreich versammle.
Wir glauben und sind davon fiberzeugt, daß hieraus der
Stadt selber nicht geringe Ehre erwachsen wird und sie, geistlich
wie weltlich gesprochen, willkommene Vorteile daraus ziehen
Jcann. Und deshalb gewShren wir nicht allein um deiner
Vorstellungen willen, Bruder Bischof, der du uns eindringlich
darum ersucht hast, sondern aus reinem Interesse an der
>) Muratori, Script. Rer. U. XX, 932 ff.
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Die RmiaaMOe in Piacema.
177
Cntwidduiig der Stedt daß dn generale Stadium , dne
Univeislttf, dort bdridxn werden daß zu der Stadt dne zahl-
reidie Menge von Minnem zusammenströme, um mit Ver-
gnügen das Wasser aus den Qudlen des Erlösers zu sdiöpfen,
daß dortselbst ein Turm Davids eibaut werde mit allen Sdiiefi-
sduulen, aus dem nidit bloß tausend Sdiilde starren, sondern
alle, starken Waffen dazu.
Und so bestimmen wir, daß alle Doktoren und Skolaren,
in weldier Fakultät der genannten Stadt sie audi studieren, die-
selben Privilegien, Ablässe (indulgentiis), Freiheiten und Befreiun^^
von Abgaben (immunitatibus) genießen, wie die Pariser oder
die btudenten anderer Universitäten,
Niemandem aber sei es gestattet, diese Seite von unserem
Erlasse zu brechen oder mit frechem Wagemut ihr entgegenzu-
treten usw. Gegeben zu Lyon. Im Februar des fünften Jahres
unseres Pontifikats."
„Et Jmt Anno 1242" , fugt der Chronist wohl irrtümlich
hinzu, da un<; die Berechnung in das fahr 1248 brine^, Diese
päpstliche Bulle wurde mitsamt dem Siegel in einer Truhe in der
Hauptkirche von Piacenza wohl verwahrt.
Die iicngci^ründctc Universität aber blühte auf, und wie
Ripalta den uns verlorenen Chroniken des Ro ff red us entnimmt,
war es ein feiner und ausgezeichneter Glossator namens Roglerius,
dessen Tätigkeit als ordentlicher Professor (onUitarii kgitj über-
liefert ist In den folgenden Zeiten sind, wie wir demnächst
sehen werden, unter den Schülern und Lehrern der Alma Mater
gewesen: Papst Gregor X. (1271 - 1276), eine Anzahl Juristen,
Theologen, Mediziner und von Humanisten: Laurentius Valia
und Antonius Cornazzanus.
Zu Ripaltas Zeit aber, das ist in der zweiten Hälfte des
Quattotxsento, lasen 72 Professoren an der Universitlt, deren
Namen, lUtig^t und Gehalt uns der Chronist erhalten hat, dne
Tatsache^ die auch Jakob Burck Hardt in seiner Kultur der
Renaissance nicht Gbetsah.
Der Löwenanteil fiUlt natürlich der theologisch -juristischen
Abteilung zu. Hier lesen 38 Doktoren ttber folgqide Materien:
Ober das Deattam zwei Professoren, Aber die Deenialkn liest
Aidüv für tOilturgeschichte. V. 12
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178
Leo Jordan.
Oualtrino de Tatiis ordinarü und zwd andere neben ihm.
Sextutn Clementinantm'^) lesen vier Herren, von denen einer den
Doktortiiel nicht hat.
& folgen der Codix anßmulas (4), ii^arüaiam^ (8), das
V^amen (7), der Coäat (8). Was mit diesen letzten allgemeinen
Bezeichnunsen gemeint is^ wird so leicht nicht festzustellen sein;
ebensowenig wie man im Laufe der Jahre wissen wird, was
heute der »Plötz« und was vor ffinfeig Jahren »Meidinger* war.
Von den übrigen Fächern tritt die Physik und Arithmetik
(Practica) direkt hinter die geistlichen: 16 Lehrer lesen über
Physik und 6 über Mathematik, drei über Astrologie, von denen
einer auch die Philosophie einschließt. Mit Aristotelischer Phi-
losophie befassen sich dagegen wiederum drei.
Aber der Humanismus! Es wird gegeben an Gehalt:
M.Johanni de Cremona legenü Auäores . . . 1. 17, 6, 8.
M. Fhäippo dt Rffpo Ugßnti Danton & Audores L 5, 6, 8.
Oleich darauf kommen noch ein Astrologe, mehrere Physiker
und Mathematiker und unmittelbar sich anschließend die Pedelle:
Jokamii dt BaitfUäs d Amtmio de MaUi gmemäbas Bidälit
Dann liest noch ein früher dem Ärztekollegium Angehörender
(olim artistamm et medicormn) über Seneca, ein Cremonese über
Orammaiik, Logik, Rhetorik und Philosophie, die beiden letzten
über Chirur^ne und Kotariatswesen. — Die Theologen sind mit
sechs Ausnahmen alle Doktoren, die Philosophen nebst Anhang
Magister. Alle, die solche Titel nicht haben, trae^cn fast aus-
nahmslos nachweisbar aristokratische Piaccntiner Namen, nämlich:
Raphael de Fulgosiis,
Johannes de Anguissolis,
Bartholomaeus de Lando u. a. m.
Der letzteren Familie widmet das Chronieon PkuenÜnoM
(Muratori XVI, 564) in seinem Anhang ein Kapitel: ,J>e
pFiae^fiis et twbilUatibiis tthmm de Lando", wonadi diese
') Die Cltmtntintt* sind nach Du Can ge eine DekreUUensamailmg VOQ CICBNni V.
und bilden den 7. Band der DtcrttaUt. Vgl. Ou Gange: Stximt.
^ RwfaUfcpdi «. Dtt Ginge.
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Die ReniteaiKe in Piaoniai.
179
Familie an einem Platz gewolint hitie, der andedo^) genannt
wflrde, daher der Name de tAnäo. - Die tkbrigen Namen sind
ebenda auf & 566 unter dem Knegaadel: Dornas miäians
Miails PüteaiättB zu finden.
Man äelrt, daß auc& die Univeisitlt darauf hielt, die Namen
der hervorragenden Familien der Stadt in ihrem Personalver-
zeichnis zu haben, wogegen die meisten dieser Nicht- Doktoren
mit dem niedrigsten Satze von 4 Lire im Monat zufrieden waren.
Mit diesem monatlichen Anfaiigsgelialt von 4 Lire (die
alte Livra zu zwanzig Ovoschtn - Soldi, der Groschen zu zwölf
Pfennig Denarii) mußten sich zweiundzwanzig Lehrer aller
Fächer begnügen. Gehälter von 5 Lire beziehen zwei Theologen,
von 6 Lire sechs verschiedene Herren, von 8 Lire zehn weitere,
darunter der Notar und die Pedelle.
11 Lire bezieht der Chirurg; 13 Lire ist wieder ein Satz,
bei dem acht verschiedene F.mpfänger 7\\ verzeichnen sind. Der
Grammatiker und Logiklehrcr erhalt 1 7 Lire, die einzigen, bei denen
vermerkt ist, daß sie ordinaric lesen, deren 26, nämlich fünf Personen.
Höhere Gehälter beziehen nur !irht, sicherlich ehrwürdige
Herren: je einer 36 und 40 Lire, je zwei 53 und 66 Lire. Der
Doktor Baldus de Perusio, der Codex Ordinarius liest, erhält
164 Lire, wogegen in der philosophischen Fakultät der einzige,
der mehr wie 26 Lire bezieht, auch das höchste Gehalt von allen hat:
Magristro Marsilio de Sanrtd Sophiä
legenti Phisicam orüinariam
Computiiti'i piüsione domus 1. I7u, 6, H.
Die monatliche Zulage vun 6 Groschen und 8 Pfennigen
findet sich noch bei dreizehn anderen üehaltsklassen; ebenso
häufig erscheint die Zulage von 13 Groschen 4 Pfennigen (1 2 mal).
Vielleicht haben wir hier in einen W ohnungszuschuß (pensio äornus?)
oder ähnliches zu sehen; ein Zeugnis dafür, daß die »Buden*
damals nicht so viel in Groschen kosteten als heute in Mark.
Natürlich darf man, emsthaft gesprochen, überhaupt unseren
Maßstab nicht an diese Gehälter anlegen, selbst wenn einige derselben
100 Lire überscli reiten. In ihrem Werte kann man die Pfennige
als Groschen betrachten und den Wert der Lire verzehnfachen.
* •
— ■ — ' «
>) ^ Am^tiu. Vgl. hicräber Horning in ZtMhr. f. ronun. Philologie, IMS.
12»
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180
Leo Jordui.
Die Studien, die an dieser Universität getrieben wurden,
stimmen «iffaUend zu dem übrigen Piaoenza dieser Zeit. In
ßiims et aiübas war man elwas radcständig, der scholastisdie
Lebrplan herrschte noch; Humanistenficher lasen nur zwei Ma-
gisterp von denen ^ner das Oefaalt eines ordenfUdien Professors
erhielt Wenn man diese paar Franken monatlich mit dem ver-
gleicht, was ein Humanist von Namen zu beziehen pflegte, so
muß man wohl zu dem Resultet kommen, Johannes von Cremona
und Philipp von Regio seien nicht gerade Leuchten dieser
neuen Fftdier gewesen.
Aber was zieht in alten und neuen Tagen den Studenten
mehr an, berühmte Professoren oder das heitere, bunte Let>en
eines leichten Völkchens» hübsche, nicht abweisende Bürgermfidchen,
bequeme Examina? - Die Steeitfrage ist noch nicht gelöst Doch
haben wir Zeugnisse dafür, daß durch das gesdUge Piaoentiner
Leben, nebst Toiletten und freigebigen Gastmählern die angenehme
Hochschule eine Lieblingsstätte der Musensohne, speziell der
höheren beniester war, und die verstehen bich ja erst richtig auf
die Wahl einer geeigneten Lehr- und Wirkungsstätte.
So ist in der zweiten Hälfte des Quattrocento Piaccnza
eine blühende Universitätsstadt gewesen, die ihren Studenten
vielerlei Reize bot und von ihnen hinwiederum Bereiciierung des
geselligen Lebens und des Säckels erfuhr. Aber wie auch heute:
Es kann der Frömmste nicht in Frietlen bleit>en,
Wenn es dem bösen Nachbar nicht gefällt!
Dieser böse Nachbar war, figürlich gesprochen, der Brotneid,
und tatsächlich die unferne Kollegin Pavia, der die Studenten
ausgingen, weil alles nach Piacenza zog. Und damit das anders
würde und die Musensöhne, wenn nicht gutwillig, so doch unter
Anwendung von Staatsgewalt, an der Hochschule Pavia wieder
Geschmack bekämen, hatte der Paveser Professor, Doktor Antonius
de Lunate dem Geheimen Rate der Regierung in Mailand
folgendes unterbreitet: Die Piacentiner Herren Professoren bebügen
sich sündhaft, indem sie einem jeden den Doktorgrad nach-
würfen. Das seien keine Doktoren, das seien falsche Doktoren,
die so doktorierten, und sie seien nach heizoglichen Dekreten
der Sh-afe verfallen.
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Die Remuaatioe in Piacenai,
181
Das Privileg, das Papst Innozenz IV. der Universitti Piacenza
gegeben, sei, wie ausdrflcklich gesagt, verliehen den äoeenädas,
A sekalaiibtts in qaammque fiuaUaie säulattibas. Aber Icann
man das »dozieren" nennen, wo kein Shtdium gauntk der
litterae zu finden ist? Hoäk non docent, com non sU stu*
diam generale Uttemram.
Der Humanismus tritt e^egen die Scholastik auf! Gegen
die Vernachlässigung der litterae. Leider bleibt der Geschmack
nicht rein, und die gähnende Leere im Paveser Geldbeutel steigert
den Ausbruch des Ärgers um ein Bedeutendes:
»Unsere Professoren in Pavia«, fährt er fort, »leihen Ocld
aus und Bücher (an die Studenten nämlich!), - andere heimsen
die Zinsen ein ! Ganz schandbar ist es, daß von dem, was Pavia
in heißem Bemühen und schlaflosen Nächten gesät, Piacenza
di? Fracht ernte!«
Daraufhin stellte genannter Antonius de Lunate den grau-
samen Antrag, daß der Piaoentiner Universität das Privil^ des
Doktorierens einfach entzogen würde. . Und reichte Antrag und
Vollmacht schriftlich ein, die von dem in Pavia allmächtigen
Cichus unterschrieben war, der bald darauf (1480) von Hand
des Henkers fiel. Hierbei sagt Ripalta über ihn: »Göttliches und
menschliches habe er gleichmäßig skrupellos behandelt, so daß es
zu Lebzeiten von ihm hieß:
Cichus erat dives, sapiens, Patriaeque patronus,
Egregiusque Pater, lumen, deais Urbis dk Orbis usw.
Unmittelbar nach seinem Tode aber hieß es ohne Säumen:
Cichus traf Carhit^, pesff's, saevusque ProcusteSf
impittS, immanis, nequam, patriaeque ruina.'*
Hiernach schmeckt nun auch einigermaßen die Intrige, die
gegen die Schwesteraniveisittt gerichtet war. War ihm solcher-
lei innerhalb Pavias wohl gelungen, so ging es in Mailand nicht
so gUtt Die Universittt von Piacxnza schickte zur Verteidigung
ihrer PrivUegien am 14. Mäiz 1471 elien unseren Chronisten
Albert Ripalta, und der wußte in ansprechender Rede dem Mai-
ttndtschen Senate die intimen Absichten der Herren aus f^via
und den Wert der Universität Piacenza Mar zu machen.
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182
Leo Jofdan.
Seine Redeaberlautete^ um dn wenigiesgeküizltfölg^ndennafieti :
HodimOgende Herren und Patrizier!
Soweit ich habe verstehen und behalten Icönnen, hat der
ansehnliche Herr und Doktor Antonius von Lunate im Namen
und als Gesandter der Professoren von Pavia allerlei hier ver-
handelt, das von der Wahrheit hirtimdweit entfernt ist; worauf idi
aber, wenn mir nur Zdt gelassen wird und Eure Herrlidikdtett
mir dn gnädiges Ohr Idhen mög^n - woran idi bd Eurer tief-
wurzdnden Mensdilidikdt nidit zwdfle, - Punkt fOr Punkt zu
antworten versuchen w»xle.
So möchte ich vonb, zu Schutz und Verteidigung unserer
Stätte und unseres ehrwflrdigen Kollegiums, vorausschicken, dafi
wir nicht nur ein Privileg von Papst Innozenz IV. besitzen, das
nun übe: 220 Jahre Piacenza verliehen worden ist, sondern diese
zweihundert und mehr Jahre hinduich hat dies Privileg Kraft
gehabt, blühten die Sludicn in unserer guten Sia ii IMacenza . . . .
Und weiter, im Laufe der Zeiten bis auf den lieutii^en Tag, vor
dem Dekret des Nikolaus Pizzinino, zu Zeiten des Dekrets und
nach ihm, waren wir stets sozusagen »im Besitze" des Dokiorierens;
eine so lange Zeit also, deren Anfang außerhalb des Bereichs
aller Erinnerung liegt, daß das Privileg wohl seine Kraft und
Gültigkeit enviesen hat.
Und nun zu dem anderen Punkt, da ergibt sich aus dem
Gesagten, daß unsere Professoren recht tun, den Dokiorlitei je
nach Wissen und Intelligenz zu verleihen, da sie Ansehen, Privileg
und Gesetz für sich haben; daß diejenigen, die bei uns doktorieren,
wahre Doktoren sind, daß sie Examina und schwere Prüfungen
überstanden haben, schwerere, weit schwerere als beispielsweise
in Pavia, daß sie keineswegs ohne Salz (insulse) ihr Examen
bestehen, nein! - mit doppeltem Salze, scientiaesäHuieteonseientiae,
der Würze des Wissens und des Gewissens. . . .
Daß aber unser Privilegium lauten solle und verliehen sei
allen docentibus, dazu bemerke ich nur: Daran ist entweder der
Schreiber schuld, der ihnen dies abschrieb, oder aber - die
Herren Dodores Papienses, die es vorbrachten, haben es ge-
tischt Denn unser Privilegium lautet: Omnibus Doctoriöus
<t' Seholaribits ete.,..
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Die Rfniiannoe in Piacema.
183
Was nun das Dekret des Nikolaus Pizanino anbetrifft, will
ich mich nidit in einen Streit darüber einlassen, ob es gilt oder
nidit, denn es nimmt uns ja kein Tfipfelchen von unserem Recht,
eher unterstützt es uns. »Kein Shident«', heißt es, »soll eine andere
Hochschule besuchen zur Erlangung des Dokfoisrades, wo nicht
dn vollkommenes Kollegium zu finden ist' Aber in unserer
Stadt gibt CS kein vollkommenes Kollegium, sondern das volU
kommenste, wo doch beide FakuHiten niitmehr«fie35 Professoren
vertreten sind,*) stsrk an Geist und AutoritiU^ rdch an Kennt-
nissen und Erfahrung, aus deren Hinden so viele hochgelehrte
MSnner jeder Wissenschaft und FakuHflt hervorgegangen sind, daß
mir nur die Zelt fehlt, sie hier alle namhaft zu machen.
Ein Piacentiner war jener alte Glossator, der in Montpellier
Line üelliicht; Summu herausgab (Bo (z^lcri u s?) , ebenso Pyleus
de Bagarottis, gleichfalls Glossator, bagarolusde Bagarottis,
Ugolinus de Fontana, Papst Gregor X., ein Mann von
wunderbarer Frömmigkeit und Weisheit, der den größten Teil
der Dekretalien von Papst Sextus herausgab, Bartholomaeus
und Ricardas von Saliceto, zwei Leuchten dieser Welt,
Raphael Fulgosius, seinerzeit ein König in der Gesetzeskunde,
Philippus Caxola, Bartholomaeus Baratieri, zu unserer Zeit
Konsul und Patritius, heute Christop Horns de Nicellis, ehi
feiner üelehrter, aber von den aücrfeinstcn, der in Turin Vor-
lesungen häh. ÜK'Sc alle sind im kirchlichen und weltlichen
Rechte, ein jeder zu seiner Zeit, wahre Leuchten gewesen.
In der Theologie aber haben wir Johannes de Suzano,
in den sieben freien Künsten auf der Höhe aller Gelehrsamkeit
und zu seiner Zeit erste Autorität in theologischen Fragen, sodann
Emmiricius de Ziliano, Matthaeus de Ripalta, einen Mann,
der in der Heiligen Schrift seinesgleichen sucht, Apollonius
Blancus, zu unseren Zeiten einer der gewissenhaftesten und vor-
züglichsten Prediger und auch als Schriftsteller ausgezeichnet
Was soll ich noch Ober Wilhelmus de Saliceto sagen, der
in der Medizin ein zweiter Avicenna ist, was fiber den aus-
gezddinelen Albertinus de Salto? Zu schweigen von den
Rednern und Dichtem, verflossenen und Zeilgenossen: Laurentius
>) JSr titnpt« m/Mt* rtPtt^mimr fkuftum InqpMB fmiHfut AwiMw«.
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Leo jorÖMi.
Valla, üabiicl Fontana I'aver, der in Mailand liest, Gregor
Valla, der in Pavia liest, ausgezeichnete Latinisten und Graccisten,
Gervasius Botacius, im heroischen Verse ein zweiter Vergil,
Antonius Cornazzänus, in der Vulgärdichtung ein zweiter
Dante oder Petrarca.
in der Grammatik schließlich Rolandus de Regulo, der
in dieser Lehrmeisterin aller Wissenschaften (in ipsa cmtUam
sdentiarum magistra) ein Buch von wunderbarem Können und
Geist verfaßt liat, das die Bücher aller anderen Grammatiker an
Wissen» Feinheit und Oetehrsamkeit hinter sich läßt
Was nun Herr Antonius de Lunate aüetzt bemerkt hat,
dafi nämlich die Herren Professoren in Pavia den Studenten
Bücher und Qdd borgten und andere die Zinsen davon ein-
steckten, so ist dies, wenn ich es recht bedenke, nicfals anderes^
als die Habsucht, den Oeiz und die wucherischen Gdüste der
Herren Professoren ins Treffen fflhren. Denn für zwei oder drei
Dukaten, die sie borgten, verlangen sie zehn f^orin Zinsen und
für Bflcher im Werte von vier oder sieben Florbi wollen sie
sechzehn Lire. Wie unehrlich ein solches Verfahren nach mensch-
lichem und göttlichem Rechte ist, das verstehen Eure Herrlich-
keiten daraus am besten, daß sogar im heidnischen Rechte der
Wucher unerlaubt ist
Und dann bitte ich wohl zu beachten, daß, wenn unser
Privileg uns genommen wird, nicht nur der Stadt Piacenza Un-
recht geschieht, sondern ganz Italien! Würde doch der Weg
zur Weisheit den Mittellosen versperrt werden. Denn es gibt
viele Studenten in den Gymnasien Latiums, deren üaben die
Besciuänktheit der Mittel entgegensteht, die aber stark an Geist
und an Wissen sind, die in harter Arbeit unlrr Schweiß und
Nachtwachen in der geistigen Palästra sich tummeln, mit der
einzigen Hoffnung^: Wenn sie den Doktorgrad auch nicht in
Favia erreichen können, wo die Habgier unter den Professoren
herrscht und soviel überflüssige Ausgaben fällig sind, - so doch
in Piacenza. Dort ist man dem Fremden wohlgesinnt, dank
der Menschlichkeit und dem Wohlwollen seiner Professoren; dort
erhält man den Doktorgrad nach einem gewichtigen Examen um
die mäßige Ausgabe von 50 Lire.
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Die Renaissance in Piacenza.
Und um mich selber als Beispiel anzuführen, der ich fast
alle Universittten Italiens besucht habe, bei Kälte und Hitze,
Regen und Schnee» mit hdßem Bemflhen: wenn ich geübte, ich
könnte nur in Pavia mit jener ungeheueren Ausgabe doktorieteni
so wttrde ich» da die Mittel in dieser teueren Kriegszeit nidit aus-
leidtfen, den Büchern, wohl oder fibel, den Rücken kehren mflssen.
Aber nun will ich nicht länger Euren Herrlichkeiten mit
meiner Rede listig fallen; kurzum» es möge auch Eure Ansicht
sein, daß» nachdem Pavia durch seine Universität dick und
fett geworden und Piacenza eine Entschädigung wohl verdient
hat, Ihr, hohe Väter, das Stadium Qeneraie nach Piacenza
verlegt Denn die Studenten von Pavia, Bologna, Ferrara
wünschten und wünschen eninial, hier ihre Studien zu be-
festigen, weil die Stadt ihnen bequem liegt, wohlhabend ist und
den Auswärtigen wohlgesinnt.
Und dann möge gehen, wer mag, um in Pavia gegen ein
»mäßiges" Entgeh zu doktorieren! Und wir werden sie nicht
belastigen, wie sie uns aus Geiz belästigt haben.
Wenn dies Eure Herrlichi<eiten tun, so wird, wie es an der
Zeit ist, die Stadt Piacenza, berühmt durch ihre Gelehrsamkeit, nun
aber dem Ruin nahe, wieder aufblühen, die Einkünfte der herzog-
lichen Kammer sich vermehren und unser Dank ein ewiger sein.
Es ist weiter nicht notwendig, zu dieser Kontrovers-
rede einen Kommentar zu schreiben. Die V^erhältnisse liegen
ganz klar: Pavia hatte das Recht des mailändischen Studium
Generale. Es nützte dasselbe weidlich aus, indem es den Stu-
denten so viel Geld wie möglich abnahm. Daher gingen
die Studenten scharenweise nach Piacenza, wo beide Fakultäten
gut besetzt waren und man um 50 Lire doktorierte. Infolge-
dessen und sich auf das Privileg des Studium OenenUe stützend,
suchte Pavia der Konkurrentin dieses Recht streitig zu machen.
Die Rede des Albert Ripalta nun, die gegen die plumpen
Angriffe der Paveser leichtes Spiel hatte, ze^ wohl im allgemeinen
einen der Wahrheit entsprechenden Tatbestand. Das pApstItche
Privileg konnte nicht durch iigend eine Klausel aufgehoben
werden. Wenn sich auch unter den Professoren und Schfliem
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Leo Jordan.
kein /.v t iter Avicenna oder Maro fand, wenn auch dir Fpitheta:
„Suo tempore iegum Monarcham^', „non perfectum imo per-
fectissUnum" f „subtiUssimum" , „acutissimumf* jene rhetorische Vor-
liebe für Superlative zeigt, die der Italiener noch heute hat, —
so sind dennoch Namen wie Lorenzo Valla und Antonio
Cornazzano zu ihrer Zeit von ausgezeichnetem Klang gewesen.
Der Behandlung der Geldfni^ schließlich kann man Verve und
Humor nicht absprechen.
So wurde denn auch nach dreitägiger Verhandlung der An-
sicht des Ripalta zugestimmt, und „Antonius MUes et Dacior,
Papiae L^atas, mußte unverrichteter Sache die FlAte wieder in
den Sack stecken und absieben.«
Ripalta at>er kebrte nach Piacenza heim, nachdem er einen
Aufwand von etwas Aber 21 Lire unterw^ gemacht, und wurde mit
Feierlichkeit und Freude von dem dankbaren Kollegium empfangen.
Hierauf aber wurde die neubestttigte (?) Bulle aus dem
Jahre 1399, die Herzog Johann Oaleaz gegeben hatten auf öffent-
lichem Platze verlesen: »Daß in Piacenza ein gmeaUe siadiam
sei, d. h. beider Rechte, des kanonischen wie des bfligeriicfaen,
der Medizin, Philosophie und freien Kfinste und aller anderen
Wissenschaften, daß dieses Studium und seine Studenten, die
Doktoren, Rektoren, Bachalaurii, Pedelle^ Offidales und Ministri,
Famuli und ihre Familien . . . alle Freiheiten und Privilegien
genössen, wie die entsprechenden in Paris, Padua, Bologna, Ox-
ford, Orleans, Montpellier, Pavia, Perugia u. a. m.
Und daß wir alle diese Doktoren , Rekt(3rcn, Scholaren usw.,
ihre Familien, Famuli, Diener, die Schulen, 1 iausci und l iospizien
in unseren speziellen Schutz aufnehmen.
Gegeben zu Beli^iocoso atn I. Januar 1399."
»Aus allem vorstehenden", schließt Ripalta, »können wir die
herzoglichen, kaiserlichen (Wenzeslaus!), bischöflichen Privilegien
des Generale Studium zu Piacenza entnehmen und die Lehrer,
die dortselbst gelehrt haben. Mögen die von Pavia darum ihreh
Mund halten und lernen, das Unrecht zu scheuen."^)
>) über Intfrcmnlr Bartrebungen der Universität Padua, sich eine Lehrkraft zu er-
balloiiProtaMm «nntai nsr aaf Zdt ufeücllt), lidie ifmt» Aivk. VtmH» IM«. S. 141.
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Skizzen
von der ehemaligen kursächsischen Armee.
Von BERNHARD WOLF.
in.
Das MfliÜrsericlitewcwn. Strafen.
An der Spitze der gesamten militari^erichtlichen Angelegen-
heiten der kursachbischen Armee stand das Generalkriegsgericht,
dem durch das Kriegsgerichtsreglement vom 23. Januar 1788
»zu desto stracklicher Handhabung der Gerechtigkeit und Be-
schleunigung der Sachen bei den Militärgerichten« die Form
eines ordentlichen Justizkollegiums gegeben wurde. Zweck dieser
Neuerung war, manche ,.ans ticr Kollision der Zivil- und Mili-
tärgerichtsbarkeit ciitstxiridene Weiterung abzuschneiden, beider
Grenzen durch ein besonderes Regulativ zu bestimmen und zu-
gleich eine Vorschrift wegen des Verfahrens in den bei denen
Kriegsgerichten anhängigen Sachen zu erteilen." Das Präsidium
des Oeneralkriegsgerichts lag in den Händen eines Generals, den
Vorsitz führte jederzeit der Genenüauditeur, neben dem noch
drei Kriegsgerichtsitte angestellt waren. Beständig zu diesem
Gerichte deputiert waren zwei Hof- und Justitienräte aus der
Landesregieruiig und zwei Appellationsräte, die dann in Tätig-
keit traten, wenn wider die von dem Gerichte eröffneten Er-
kenntnisse und erteilten Resolutionen Liuterungen (läutern bedeutet
in der älteren Reditsspracfae »einen graueren, besseren Rechts-
spruch nachsuchen*) und Appelbdionen vorkamen oder Vor-
stellungjen gegen das Verfahren des Oeneralkriegsgerichts selbst
eingereicht wurden, »damit die Entscheidung dieser Sachen durch
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188
Bernhard Wotf.
ein hinünglidi besdztes Kollegium erfolge«. Die Ausfertigung
der Urteile gesdiah im Namen des OeneFalkriegsgeridils unter
des Prfl^denten Unterschrift; war dieser alniresend oder sonst
behindert, trat an seine Stelle der Generalauditeur oder in dessen
Behinderung der jedesmal Vorsitzende Rat
Dem Oeneraikriegsgericht unterstellt waren die R^ments-
geridite, för die rechtschaffene, der Rechte genugsam kundige,
auch sonst hinlänglich geschidcte Auditeure zur Verwaltung der
Justiz bestellt werden sollten. Diese waren hinsichtlich ihres
Amtes und ihrer Person der beständigen Aufsicht und alleinigen
Gerichtsbarkeit des Gencialkriegsgerichls unterstellt, im übrigen
aber den Chefs und Kommandeuren der Regimenter und ihren
sonstigen Oberen subordiniert.
Der MiHtärgerichtsbarkeit waren alle diejenigen Personen
unterworfen, die zu wirklichen Kriegsdiensten angenommen und
nicht verabschiedet, aus den Listen gestrichen oder kassiert waren,
dazu die Frauen und Kinder der Stabs- und Oberoffiziere, so-
lange die the bestand und sie keinen eii^enen Hausstand hatten,
die Dienstboten der Stabs- und Uberoffiziere, die sicii bei ihren
Personen befanden, schließlich die Weiber und Kinder der Unter-
offiziere und üemeincn, wenn sie ihren Männern und Vätern
zum Regimente folgten und sich daselbst wesentlich aufhielten.
Wurden diese dem Militärgericht unterstellten Personen vor ein
Zivilgericht geladen, so konnten sie ohne Nachteil »außen bleiben",
hatten jedoch, um kein vergebliches Verfahren zu veranlassen,
dem Richter ihren Ausnahmezustand anzuzeigen; stellten sie sich
aber aus Unkenntnis des ihnen zukommenden befreiten Ge-
richtsstandes vor dem Zivilrichter, dann sollte das vor einem
solchen Gericht Verhandelte niemals für rechtst>eständig an-
gesehen werden noch einige rechtliche Wirkung haben. Mit
dem 30. Tage nach dem Tode ihrer Ehemänner und Vftter
traten die hinterUesenen Frauen und IQnder unter die Gerichts-
barkeit derjenigen Zivilobrigkeit, der die Verstorbenen unterstellt
gewesen sein warden, falls sie in Ehren verabschiedet worden wiren.
Die Justiz über ieiditere Vergehen der Unteroffiziere und
Gemeinen lag in den Händen des Obersten und des Auditeurs:
»ohne weitläufigen Prozeß und Besetzung eines Kriegsgerichts*.
Digilizod by
Sldzzen von der diemaliceii ktinidisiscbai Annee. 1 89
Beide bildeten das Regimentsgericht, dem alle Militttpeisonen
bis zum Kapittn dnsdilieBHdi unterstanden. Die Stabsoffiziere
gehörten unter das Oeneralkriegsgcricht; in Fftllen, wo Qefohr
im Verzuge war, konnte- ein Stabsoffizier Jedoch auch vom Re-
gimentskommandeur arretiert werden, es muBte aber bierflber
sofort an den General Meldung erfolgen. Schwere Verbrechen,
besonders solche, bei denen es sich um Ehren- und Lebensstrafen
handelte, gehörten vor das Forum eines Kriegsgerichts.
Bei Verhören von Unteroffizieren und üenieinen waren nach
dem Kriegsgerichtsrcglement von 1789 ein Offizier und zwei
Unteroffiziere Beisitzer, bei solchen von Offizieren salkn drei
Offiziere, von denen einer entweder einen höheren ( irad haben
oder doch im Dienste älter sein mußte als der zu Vernelimende.
Die Offiziere erschienen hierbei in Feldbinde, aber ohne Stock.
Der Arrestant wurde durch einen Gefreiten und vier Mann in
Begleitung des Profosen und, wenn er geschlossen war, auch des
Steckenknechtes zum Verhör gebracht. Ftn Offizier wurde nie-
mals geschlossen, außer wenn sein Prozeß kriminell wnr. Fr
wurde durch den Adjutanten und einen Unteroffizier von der
Wache vorgeführt; beim Verhör durfte er sich setzen. Die Seiten-
gewehre der Unteroffiziere und Gemeinen - *die Abnehmung
des Seitengewehrs ist bei der Miliz allemal ein Zeichen des
Arrestes« - befanden sich beim Adjutanten, die Degen der
Offiziere bei den Fahnen oder dem Kommandeur. Alle Un-
kosten, die aus der Verwaltung der Justiz entstanden, bei Unter-
suchungen, Anwendung der Tortur - auf diese wurde nur selten
erkannt da sie die Leute zum Dienst auf Lebenszeit untüchtig
machte bei VolUtreckung der Todesstrafe und sonst hatte der
Obmi zu tiestreiten; die Offiziere jedodi, die wegen Untreue^
Verkftfzung der Unteigebenen an ihrem Solde, wegen Schulden,
Injurien und anderer Verbrechen angeldagt waren, bezahlten die
Oerichtskosten aus ihrer Tasche. Ein auf wenige Tage arretierter
Offizwr verbrachte seinen Arrest beim Adjutanten; M längerem
Arrest wurde er auf der Haupt- oder Stabswache untergebracht
Erforderte die gegen einen Kapittn schwebende Untersuchung
längere Zeit, 80 wurde ihm efaie Wache von einem Unteroffizier
und zwei bis vier Mann ins Quartier g^eben, die er in Schuld-
Digitized by Google
190
Bernhard Wolf.
Sachen selbst zu bezahlen hatte; einen kürzeren Arrest verbrachte
auch er beim Adjutanten. Arretierte Offiziere marschierten auf
dem Marsche mit der Fahnenwache; ihnen wurden auch die
Steine von den Pistolen abgeschraubt, es war ihnen aber erlaubt,
unter der Aufsicht eines Offiziers oder Profosen zu reiten. Ein
Gemeiner, der im Arrest war, erhielt täglich einen Groschen zu
seiner Verpflegung. Nach seiner Entlassung aus dem Arrest wurde
ihm zwar die LOhnung berechnet, doch mußte er dem Profos
vier Groschen bezahlen, acht Groschen dagegen, wenn er ge-
schlossen gewesen war. Der OberschuB der Löhnung wurde
fOr den Fall, daß der Delinquent am Leben gestaaft wurde, setner
Frau und seinen Kindern ausgezahlt Offiziere bekamen nur die
Hüfte ihres Traktamentes. Subaltemoffiziere, die auf der Wache
in Arrest gewesen waren, hatten sich bei dem Profos mit einem
Taler, K^pitflne mit zwd Talern, Unteroffiziere mit acht Groschen
abzufinden. Der Adjutant 'genoB von den in Arrest gewesenen
Offizieren »seiner gehabten Bemühung wegen sein gewöhn^
licfaes Douoeur«, dessen Höhe leider nicht angegeben wird.
Gegen fahnenflüchtige Ober- und Unteroffiziere und Ge-
meine wurde auf Befehl des Generals der Ediktalprozeß eröffnet.
Dreimal von 14 zu 14 Tagen wurde die Vorladung, persönlich
zu erscheinen, im Stabsquartier an drei verschiedeiien Orten, vor
des Obersten Wohtutng und auf den öffentlichen Plätzen durch
den Fourier laut und deutlich abgelesen. Dieser war begleitet
von einem Kommando, bestehend aus ein»m Subalternen, zwei
Unteroffizieren, einem Tambour und 24 Mann. Beim Verlesen
der Zitation wurde ein Kreis geschlossen und präsentiert; der
Tanibour rührte die Trommel. Handelte es sich um desertierte
Oberoffiziere, dann wurden deren Verwandte von der bevor-
stehenden Fdiktalzitation benachrichtigt und auft^cfordert, den Be-
treffenden, falls sie ihren Aufenthnltsort wüljtcn, unt^csäunit Mit-
teilung zu machen und sie zur Vermeidung der ihnen drohenden
Beschimpfung zur Rückkehr zu ermahnen.
Nicht unwichtig sind die Bestimmungen, die sich auf die
Schuldverhältnisse der Militärpersonen beziehen. Wenn ein
Stabs- oder Oberoffizier einen ausgestellten Wechsel nicht binnen
längstens vier Wochen bezahlen konnte so wurde er mit Arrest
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Skizzen von der ehemaligen kursächsischen Armee. fQf
bestraft, konnte er auch binnen drei Monaten nach erfolgter Arretur
nicht zahlen, so verlor er seine Charge, wurde mit einem Ab-
schiede versehen und der Zivilobrigkeit ausgeliefert Den Subal-
ternen war es überhaupt verboten, ohne Wissen ihres Komman-
deurs Wechsel auszustellen. Bei kleinen Schulden Vk^urde ein
Drittel ihres Traktamentes zurückbehalten, bei solchen über hundert
Taler erhielten sie eine Frist von drei jMonaten. In dieser Zeit
hatten sie mit ihren Gläubigem ein Abkommen vu treffen,
widrigenfalls mit ihnen wie mit den Oberoffi/icren verfahren
wurde. Wechselbriefe, die etwa von IJnteroffi/'ieren und Gemeinen
ausgestellt wurden, galten nur als Schuldverschreibungen, unterlagen
also dem Wechselrechte nicht. Die Aussteller konnten, falls sie
bewegliches oder unbewegliches Vermögen besaßen, zur Be-
zahlung ihrer Schulden angehalten werden; ihre Löhnung wurde
ihnen zwar nicht gekürzt, aber sie waren wegen ihrer Leicht-
sinnigkeit, Schulden zu machen, die sie zu bezahlen nicht im-
stande waren, mit Degradation oder auch L^besstrafe anzusehen.
Ein Kriegsgericht oder Kriegsrecht wurde nur über Offiziere,
Unteroffiziere und Gemeine gehalten, nicht aber über deren Weil)er
und Kinder oder Offiziersicnechte, auch nicht Ql>er solche, die
nur ihres Amtes und ihrer Hantierung wegen der Milittrgeridils-
barkeit unterworfen waren. Das Verbrechen, worOlier erkannt
werden sollte, muBte vollkommen untersucht sein; es durfte nichts
als der Spruch oder das Erkenntnis fehlen, »weil das Kriegs-
gericht nicht zur Untersuchung, sondern zum Spruche nieder-
gesetzt wird«. Vorsitzender des Kriegsgerichts bei einem Regi-
roente war der Oberstleutnant Es waren sieben oder mindestens
fünf Stimmen erforderlich. Da von den Beisitzem oder Assessoren
je zwei und zwei eine Stimme hatten, mufi also ein Kriegsgericht
aus vierzehn oder zehn Personen bestanden haben. Es meldete
sich nach dem Zusammenhitt beim Obersten; die Offiziere er-
schienen in völliger Montierung mit Fddbinden, die Unteroffiziere
und Oememen mit völligem Lederwerk. Jeder Beisitzer fflhrle
sein PeiscfaafI bei dch, die Gemeinen mußten lesen und schreiben
können. Bei einem Kriegsrecht über SubaltemofRziere saßen
keine Gemeinen, bei einem solchen über Kapitäne waren auch
Sergeanten Beisitzer. Wie bei den Vernehmungen, so erschien
192
Bernhard Wolf.
beim Kriegsgerichte selbst der Angeklagte ungeschlossen Fr
konnte die Beisitzer, gegen die er etwas Erhebliches einzuwenden
hatte, ablehnen. Kein Kapitän noch Subalternoffizier durfte in
■dncm Kriegsgerichte sitzen, in dem über einen Mann ihrer
Kompagnie geurteih wurde. In Gegenwart des Inquisiten wurden
dann die Richter durch den Auditciir „mit dem gewöhnlichen
Richtereide beleget, daß sie nämlich nach bestem Wissen, Ge-
wissen, Verstände und also urteilen wollen, wie sie es dereinst
an jenem großen Gerichtstage gegen Gotf, den gierechten Richter,
4er (!) hohen Obrigkeit und alle Menschen, vor der Ehre der
Welt und in ihrem eigenen Gewissen sich zu verantworten ge-
trauen«. Der Urteilsspruch erfolgte nach Stimmenmdirheit; konnten
sich der PrSses und der Auditeur «ihrer Stimme halber" nicht ver-
einigen, dann wurde kein Urteil ausgesprochen, sondern sämtliche
Vota der hohen Generalität überrdchi In rein militäriacfaen
Vergehen fand keine Verteidigung statt; doch hatten die Leiter
der Verhandlung »um so mehrem FleiB in Erforschung und
Erwägung aller zu des Inquisiten Verteidigung gereichenden Um-
stände sorgßltigst anzuwenden und solche genau und umständ-
lich in den Akten zu bemerken, mithin was zu Erforschung der
Wahrheit und zu Verteidigung des Angeschuldigten ein gewissen-
hafter und erfahrener Richter vorkommenden Umständen nach
nötig finden dürfte, denen Rechten gemäß von selbst zu be-
obachten." Eine Berufung an eine höhere Instanz gab es
•ebenfalls nicht
Wenn das Urteil von allen Teilnehmern des Kriegsgerichts
unterschrieben, besiegelt und nochmals vorgelesen war, wurde
es zur Bestätigung eingesandt, sämtlichen Beteiligten aber Still-
schweigen auferlegt: -aüc Kriegsicclitc werden in continenti zur
Confirmalion eingesendet, inmitlelsi aber der Kriegs- Kechts-Con-
sessus, imposito silentio, dimittiret." Sobald das bestätigte Urteil
zuruckijxlangte, wurde es dem Verurteilten in Gegenwart des Vor-
sitzenden und einiger Beisitzer bekannt gemacht; ein Todesurteil
wurde spätestens nach drei Tagen vollstreckt. Von der Urteilsver-
kündigung an konnte solch Delinquent auf des Obersten Unkosten
mit Speise und Trank versehen werden, niemand als ein Geistlicher
seiner Religion hatte ZuUritt zu ihm, um ihn zum Tode vorzubereiten.
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Skizzen von der ebemaligen kun&chsiscfaen Armee.
193
Im Felde trat an die Stelle des KriegSi^rkhts das Stand-
fechte bezeichnet als ein iudicium summarissimum criminale, bei
dem ein wesentlich al^gekürztes Verfahren beobachtet wurde.
Der Name kommt daher, daß die Richter hierbei Stenden, nichts
wie bei oidentlichen Kriegsgeriditeiv saßen. Der Verbrecher
muBte entweder auf handhafier Tat ertappt oder sdnes Ver-
brediens so voUsUndig überftthrt worden sein, daB es einer
weilUhtfieen Untersuchung nicht beduifte. Auch durfte das Ver-
gehen nicht vcialtel; sondern zwischen dessen Verfltmng und
der daiiuf folgenden Bestrshing höchstens ehi Zeitraum von
34 Stunden verstrichen seht. Denn «die geschwinde Vollstredmng
eines oder mehreren Exempds, zum allgemeinen Schrecken, ist
der Endzweck« des Standiechts. Die Besetzung eines solchen
war diesdlie wie bei einem Kriegsgericht, doch konnten die Bei-
sitzer ganz iMliebig dazu gezogen werden, wie sie dem Major,
Auditeur oder Adjutanten gerade zu Gesicht kamen. Einem
Stendredite über einen Unteroffizier oder Gemeinen konnte
nötigen Falles ein Kapitän präsidieren; ebenso durften dabei
Offiziere auch über Mannschaften ihrer eigenen Kompagnie als
Richter fungieren. Zu gleicher Zeit, wenn das Gericht zusammen-
trat, wurde die zur Bedeckung der voraussichtlichen Exekution
nötige Mannschaft kommandiert, deren Stärke mindestens 200 Mann
betrug. Diebe bildeten einen Kreis, in den sich der Präsfö, der
Auditeur und die übrigen Richter nach ihrem Charakter und
I^nge stellten. Der Auditeur eröffnet sodann den H«chiem den
Grund der Zusammenherufung und vereidigt sie, der Präses
zieht den Dei^^en, \K'ahrend der Auditeur „überlaut" ruft: «Wer
ist, der Recht begehret?^" Der Profos erschemt hierauf mit dem
Delinquenten vor dem Gericht, erhebt seine Anklage und bittet,
vdaß ein löbliches Standrecht hierüber ergehen lasse, was Rechtens
sei*. Der Ankläger wird nun mit seiner Klage, der Beklagte mit
seiner »Entschuldigung und Widerspruch so lange gehöret, bis
das ludidum des Facti halber genugsam versichert, und die wahre
Beschaffenheit der Umstände und die Richtiglceit oder Gültigkeit
des Bekl^en Entsdiuldigung hinlänglich eingesehen'' ist. Dann
tritt der Profos mit dem Delinquenten wieder ab, der Auditeur
wiederholt noch einmal des Angeklagten Verbrechen imd dessen
ArtUv fflr KflUafindildite. V. 13
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194
Bernhard Wolf.
Umsttnde und erinnert dabei das Gericht an die in den Artikeln
• »auf solches Verbrechen gesetzte Strafe«. Der Km wird nun-
mehr geöffnet, der Prtses bringt seinen Degen in die Scheide,
und die Richter ziehen sich khfisenweise zurfid^ um das Urteil
zu fassen. Chargenwetse, von unten anfangend, teilen sie es dem
Prises und Auditeur mit, welche die Strde nach den abg^
gebenen Voten festsetzen. Der Gerichtshof tritt nun wieder zu-
sammen, alle Mitglieder desselben, außer dem Auditeur, ziehen
die Degen, der Delinquent whd vom Plofbs wieder in den Kreis
gebracht, und der Piftses vethfindigt ihm sein Urteil mit folgen*
den Worten: »Auf sattsame Erkundigung ddnes Veriwechens
(eigenes Oestftndnis, satlsame OberiQhrung) wirst du N. N. vom
N. N. Regiment hiermit durch gegenwftrtiges Standrecht von
rechtswegen zum Strange (Arkebusade) verurteilt, wekhe Strafe
sogleich an dir vollzogen werden soll.« Der Auditeur brach
hierauf ein ihm vom Profos gereichtes Stäbchen und warf es dem
Verurteilten vor die Pulk als Zeichen, dalj das Todesurteil voll-
streckt werden konnte, ȟber den Maletikanten also sagend: (jott
wolle deiner Seele gnädig sein" (Regal). Der Delinquent erhielt
nun einen Geistlichen »zur kurzlichen Praparation, auch wo
möglich zur Beichte und Kommunion , das Urteil wurde durch
einen Kapitän und Leutnant nebst dem Auditeur dem Regiments-
kommandeur zur Bestätigung überbrachi; war der komman-
diert nde General in der Nähe, auch diesem. Den Fähnrichen
konnte in diesem Falle erlaubt werden, für den Verbrecher zu
bitten. Wurde das Urteil, was in der Reti:el geschah, bestätigt,
erfolgte sofort die Exekution. Wenn sich das Regiment wirklich
auf dem Marsche befand und der Körper des Hingerichteten
nicht vor Sonnenuntergang begraben werden konnte, dann wurde
»nur das Deliktum des Exekutierten auf einen Zettel geschrieben
und dem Gehenkten auf die Brust geheftet". -
Die in der kursächsischen Armee üblichen Strafen waren
ziemlich mannigfaltig. Am häufigsten angewendet wurde die Prügel-
strafe, die aber auch in allen übrigen Heeren in ausgiebiger
Weise gehandhabt wurde. »Die Soldaten durch SchUge in der
Zucht zu halten«, sagt LoCn, der Soldat oder Kriegsstand, »ist bei
uns Deutschen so gemein, daB man nicht leicht ein hundert
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Skiseen von der efaemaligien kimichsisdien Amwe. i 95
Soldaten aufadehen sieht, darunter nicht einige PrQgel bdiommen.
Macht einer eine ungleiche Bewegung; setzt er den Fuß nicht
recht, slOBt ihn ein Ideines Ungemach an, fehlet ihm ein Knopf
an seinem Kleide, so blitzet ihn der Offizier mit feurigen Augen
an, die Schläge kommen darauf über ihn wie ein Donnerwetter.«
Darum konnte man auf allen Lxerziei platzen das Jammer- und
Schmerzensgeschrei der Geprügelten vernehmen. Das nach unseren
heutigen Begriffen Bedenkliche hierbei war, daß den Unteroffi-
zieren das Recht der körperlichen Züchtigung offiziell einge-
räumt war, und daß sie selbst der gleichen Strafe unterworfen
werden konnten. Nach dem Dienstreglement von 1 753 hatte ein
Unteroffizier das Recht, einem Gemeinen sechs bis acht Hiebe
mit dem Stocke zu geben, dem Leutnant und Fähnrich waren
zwölf Hiebe, dem Kapitän aber ^^ar dreißig: gestattet, so daß es
also ein Soldat, wenn er einen ungunstigen Tap hatte, bis auf
fünfzig Streiche bring:cn konnte, hinem Unteroffizier konnten
von einem Subalternoffizier zwölf, von dem Kapitän 25 Streiche
mit dem Degen gegeben werden, eine Strafe, die man mit Fuchteln
bezeichnete, und die also eigentlich bedeutet, jemanden mit der
flachen Klinge schlagen. Ein Unteroffizier, der sehr liederliche
Streiche machte, durfte aber auch mit dem Stocke gezüchtigt werden.
Die sonstigen schweren Strafen, mit denen die Soldaten
belegt werden konnten, zerfielen in Leibes-, Ehren- und Lebens-
strafen, die i^ibesstoafen wieder in ganeine und peinliche. Die
gemeinen Ldbessbafen wurden nidit durch ein Kriegsgericht^
sondern durdi den R^'mentskonunandeur im Einvernehmen
mit dem Auditeur bestimmt Dazu gehörten: 1. Leidliches Oe-
fibignis entweder in Eisen und Banden - auch kreuzwetses
SchlieBen findet sich - oder ohne solche, bei Wasser und Brot
oder ordenflicher Arrestanten -Verpflegung; die tflgiich einen
Groschen betavg. 2. Das Kurzgewehr- und Hintentragen und
das Reiten auf dem hdlzenien Pferde^ bei der Infanterie. Dies
war ein hölzemesi scharfkantiges Brettergerüst, auf dem die Obel-
Iflter zwei, vier und mehr Stunden des Tages» manchmal auch
mehrere Tage hinterdnander sitzen mußten. Zur Verschftrfung
der Strafe wurden den Betreffenden bisweilen nodi Gewichte an
die Beine gehängt Dieses Shafmitlel erscheint auch unter dem
13«
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196
Bonbanl Wolf.
Namen des hölzernen Esels, doch hörten die Soldaten hölzernes
' Pferd lieber. 3. Das Sattel-, Küraß- und Manteltragen, bei der
Kavallerie. Wahrscheinlich haben wir es im letzteren Falle mit
hölzernen Strafwerkzenge zu tun, nach der Ähnlichkeit mit
einem Mantd nach spanischem Sdinitte so genannt; in dessen
Boden sich ehie Öffnung befindi durch die der Kopf beim
Tilgen gesteckt wurde. 4. Das Reiten auf den Stflcken, wobei
den Soldaten manchmal noch Kugeln an den Beinen befestigt
wurden, das Granaten- und Kugettmgen, die Stunnhaube, bd der
Artillerie. Unter der Sturmhaube liaben wir uns jedenfalls einen
besonders sdiweien Metadlhelm zu denken. In einer deveschen
Redilsoidnung heiBt es nlmlich: »Bd den großen Jagden ist
auch dn jagdvogt, so die rebeUiscfaen Bauern sdilieBeii und den
andern Vobrechem die Sturmhautw aufsetzen mufi.« Außer den
Kugdn und Onuiaten wurden von den Artilleristen auch Doppd-
haken, Schaufdn und Hauen zur Strafe getragen. 5. Das Stehen
am Pfahle, wie es scheint, eine empfindliche Strafe, bestimmt
für Reiter oder auch Unteroffiziere bei der Infanterie. Der
Delinquent wurde entweder mit einer Hand oder mit beiden
Händen an einem Pfahle -ganz hoch hinauf geschlossen", während
die Fuße auf zwei aus dem Boden hervorragenden zugespitzten
Pfählen standen, »welches sowohl Händen als Tußen sehr un-
bequem fallt." Diese Strafe ist dargestellt bei von Fleming,
Der vollkommene teutsche Soldat; wiedergegeben bei Liebe, der
Soldat in der deutschen Vergangenheit S. 105. 6. Das Spannen
der Soidatenweibcr in die Fiedel, ein stärkeres Brett mit drei
Ausschnitten für den Hals und die beiden Unterarme. Sie mußten,
eingespannt in das Straf instrument, vor der Hauptwache herum-
gehen oder wurden damit auch an das hölzerne Pferd ange-
schlossen. Die Strafe der Fiedel wurde verhängt bei Belddi-
gungen, Zänkereien oder geringen Diebstählen, i» Diese Zdchen
der Militärjustiz'', zu denen noch der Galgen kam, hatten m
denjenigen Städten, denen die Obergeridite verliehen waren, die
Obrigkeiten auf ihre Kosten errichten zu lassen und in gutem
Zustande zu erhalten. Sie befanden sich sftmtlidi au! dem Markte^
die Bestrafungen waren also öffentlidi.
Pdnlidie Strafen konnten nur durdi dn Kriegsgeridit er»
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SUoen von der diefotligen kunichsiscfaen Annee.
197
kuint werden. Unter ihnen spielte das Oassen^ oder SpieBroten*
laiifetti «der imseflUirtidiere^ aber weniger ehrenvolle Überrest
des Rechts der hingen SpteBe' ans der Landskneditszeit, eine
hervornigende Rolle. & kam bei den verschiedensten mOitS*
rischen Vergehen zur Anwendung; da es }e nach der Schwere
derseltwn verschärft werden konnte. Sicher aber war es eine
barinrische Straffe und um so tiedenklicher, da sie durdi des
Ddmquenten eigene Kamenden vollstreckt wurde. Olddiwohl
finden wir das Oassenlattlen Ixi allen deutschen Heeren in Oe*
tmittch. Warum es Regal bei seinem Regimente dngefOhrt hat,
sagt er selbst auf S. 158 seines mehrerwähnten Reglements.
Er hat sich für diese Strafe entschieden, nachdem er bemerkt
hatte, daß durch die Korporale die Soldaten krumm und lahm,
auch wohl, wenn sie ungeschickterweise über den Kopf getroffen,
gar töricht oder taub geschlagen und zum Herrendienste un-
tauglich gemacht worden seien. Er spricht die Ansicht aus,
deren Richtigkeit ihm wohl niemand bestreiten dürfte, daß sich
ein ehrliebender Soldat vor dem Gassen laufen mehr als vor dem
Prügeln scheue. Geradezu zynisch aber ist es, wenn er hinzu-
fü^- .Zudem ist es der Wirtschaft noch am besten, weil dadurch
die schlechte Montur nicht gerinc^en Schaden leidet«, was in dieser
Verbmdung doch wohl nur heißen kann, nicht den geringsten
Sdiaden leidet.
Bei der kursächsischen Armee, wo wir die erwähnte Strafe
ebenfalls schon frühzeitig finden, war es dem Obersten «zur
besseren Eriudtung der Disziplin" gestattet, einen Gemeinen, die
überhaupt nur dieser Strafe unterworfen werden Iconnten, viermal
durch 200 Mann « Spitzruten'' laufen zu lassen; sonst betrug die
Zahl der Gänge, die ein Verurteilter zu tun hatte, in der Regel
sechs. Die Spießruten hatten diejenigen zu gewärtigen, die Ihr
Gewehr verloren oder ihre Montur verkauften (zwölfnuü durch
200 Mann). Ferner wer sich nach dem Zapfensbeiche auf der
StniBe betreten lieft, brennendes Lidit und Tabakspfeife in die
Sdilafkammer mit sich nahm oder Patronen darin verfertigte,
einen nach Dresden kommenden fremden Soldaten beherfoeigte,
wer ohne Vorwissen eines ordentlichen Meisters als Maurer oder
Ztmmennann den Einwohnern Dresdens etwas bauten in öffent-
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'198 Bernhard Wolf.
lidieii Huren- und Spielhäusem betroffen wurde, bei entstehendem
Alarm Diebstahl b^ng, den Urlaub über einen Monat überscbrit^
sich ohne Vorwissen seiner Vorgesetzten verlobte^ wer gegen
Fremde, Einheimische oder Rciseiidc, besonders aber gegen die
Wirte Oewalttttlglceiten beging, gegen die Voigeselzten wider-
spenstig war, wer als Posten im Felde das Gewehr w^Icgte oder
sich von der Reserve entfernte, nach einer Aktion ohne Gewehr
gefunden wurde (zwölfmal durch 200 Mann), bei Werbungen
sich des Eigennutzes oder der Gelderpressung schuldig machte^
schlieBlich wer die Vorepannbauem, Knechte oder Pferde übel
traktierte und letztere fibertrieb. Man sieht hieraus, daß die
Strafe des Gsssenlaufiens fQr die veischiedensten Vergehen in
Anwendung kam.
Auf Spießrutenhwfen wurde auch erkannt in FUlen, in
denen wir eine andere Strafe erwarten sollten. So wurde z. B.
nur mit sechsmal Oassenlaufen ein Musketier bestraf^ der aus
Leichtsinn mit dem Gewehr eines Kamenufen, das er fllr nicht
geladen gehalten, eine Frau erschossen hatte.
Sollte die Strafe des Gassenlaufens an einem Soldaten voll-
streckt werden, so trat ein Kommando, bestehend aus einem
Major zu seinen Obliegenheiten gehörte die \'ollstrcckung
jeder Exekution - , zwei Kapitänen, sechs bis sieben Subaltern-
offizieren, einundz\\'anzig Unteroffizieren, sechs Tambouren und
200 Mann zusainnien, und zwar ohne Bajonett. Im Quartier
des Auditeurs, wo die Sitzungen des Regimcntsgenchts statt-
fanden, wurde dem Delinquenten das Urteil in Gegenwart zweier
Offiziere bekannt gemacht. Dann marschierte das Kommando
nach dem Exekutionsplatze, wo es m Linie aufmarschierte und
zwei Glieder formierte. Hierauf machte das erste Glied rechts-
umkehrt, so daß also eine Gasse j^ebildet wurde, cJie T.imboure
marschierten nach den Flügeln, und die Mannschaften nahmen
das Gewehr in den linken Arm, um den rechten frei zu haben.
Der Steckenknecht ging nun durch die Gasse und teilte die
Ruten - es wurden Weidenruten verwendet - aus. Mittlerweile
wurde der Arrestant durch einen Korporal, den Profos und vier
Mann auf den rechten FlQger gebnuJit, losgeschlossen und zurecht
gemach!^ d. b. ihm der Oberkörper entblößt War alles fertig»
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Skizzen von da* chenaUgen Inmieiisisclien Annee. 1 99
SO lockte einer der auf dem linken Flfigd aufgestellten Tamboure,
der Delinquent wurde in die Gasse eingelassen und alle Trommler
schlugen, einesteils um das Marschtempo anzugeben, besonders
aber vrohl» um das Klagegeschrei des GeschUigenen zu fiber-
Mnen. Der unverwQsfliche Soldatenhumor hatte auch fQr diese
grausame Prozedur einen Vers gedichtet, aus dessen Rhythmus
deutlich das Tempo, nach dem die Tamboure schlugen, heraus-
zuhören ist. Er lautet: »Warum bist du fortgelaufen? Darum
mußt du Gassen laufen, darum bist du hier." Während der
Exekution riit der Major vor, der Adjutant hinter der Front und
gaben acht, daß die Leute »recht« zuhieben. Falls der Arrestant
ein zu schnelles Tempo einschlug, ging ein Unteroffizier mit
verkehrtem Kurzgewehr vor ihm her. Nach der Strafvollstreckung
erfolgte das Kommando; Ruten weg! Das Gewehr beim Fuß!
Schultert das Gewehr! worauf das dritte Glied wiederhergestellt
wurde. Nach Regals Reglement schlugen die Soldaten die
Ruten dreimal an das Gewehr und warfen sie hinter sich, eine
symbolische Handlung, die wohl andeutete, daß damit auch die
Erinnerung an die grausame Strafe, die sie soeben an einem
ihrer Kameraden vollzogen hatten, abp;ctan sein sollte. Schließ-
lich wurde der Arrestant auf die Wache gebracht; hier mußte
»ihm der Regimentsfeldscher nach erheischender Notdurft zur
Ader lassen, auch durch die Kompagniefeldschers, so lange es
nötig, mit Einschmieren zu traktieren unvergessen sein«.
Die Strafe des Oassenlaufens findet sich auch bei der
Kavallerie, nur mit dem Unterschiede, daß man hier anstatt der
Weidenruten Steigriemen, Vorderzeuge, am gewöhnlichsten aber
Packriemen, eine halbe Elle lang gebunden, benutzte. Von dem
Strafmittel nannte man daher das ganze Verfahren »Steigleder*
laufen«! das im übrigen g^z so wie bei der Infanterie verlief.
Die Diagoßtf wurden wie Infanteristen behandelt Wie schon
erwihnt, war dte Zahl der Gänge, die ein Verurteilter durch die
Oasse zu machen hatte, je nach der Schwere des Veigehens ver-
schieden, so daß die Straft unter Umständen auf mehrere Tage
verteilt werden mußte. In O. Freytegs Bildem aus der deutschen
Veiiguigenheit schildert ein preußischer Soldat als Augenzeuge
ein derartiges Shafverfahren also: »Wir mußten sehen, wie man
200
Bernhard Wolf.
Deserteure durch 200 Mann achtmal die lange Gasse auf und
ab Spießruten laufen ließ, bis sie atemlos hinsanken und am
anderen Tagie aufs neue dian mußten, bis Fetzen geronnenen
Blutes ihnen Ober die Hosen herabhingen.* Nach Aichenholz»
OemUde der preußischen Armee vor und in dem Siebenjihrigen
Kriege, war in Preußen »sedismal die geringste und sechsunddreißig-
mal die höchste Zahl dieser schmerzvollen Wanderungen. Die letztere
Strafe hieß: auf Leben und Tod und war auf drei Tage verteilt,
da denn am letzten Tage mit dem Verbrecher auch zugleich der
Sarg auf die Faiade gebracht wurde*. In Kursadisen ist man
fltier die Zahl vieründzwanzig, wie es scheint, nidit hinausgegangen.
Zu den peinlichen Shafen gehörte auch der SfaiupenschUig^
der ebenfells stets durch dn Kriegsrecht ericannt werden mußte.
An einem Soldaten wurde er allerdings nur selten vc^lstaieckt
irwegen der anklebenden Infamie«^ die man der Todesstrafe gleich
erachtete, und weil der also Bestrafte zu ferneren Herrendiensten
untüchtig gemacht wurde. Gleichwohl mulite diese Strafe aus-
gesprochen werden, wenn das Vergehen so schandlich war, daß
es durch eine Militärstrafe nicht gesühnt werden konnte. Dann
wurde der Missetäter vor öffentlich gestellter Wachtparade zum
Schelmen gemacht, indem ihn der Scliarfrichter dreimal unter
Schlägen um die Justiz, d. i. den Galgen, herum- und aus der
Stadt hinausjagte. In der Regel war damit auch die Verweisung
aus sämtlichen kurfürstlichen und inkorporierten Landen ver-
bunden. Häufiger wurde der Staupenschla,{^ an \\'eibs[)ersoneri
vollstreckt, besonders dann, wenn sie einen Soldaten zur Deser-
tion verleiteten. Zuvor wurden sie an den Pranger gestellt «mit
Anhängung einer Beschreibung ihres Unternehmens", bisweilen
folgte dem Staiipenschlage auch noch die Landesverweisung, die
aber auch ohne jene Strafe verfügt wurde. Der Mann konnte
seinem Eheweibe folgen; war er aber ein tüchtiger Soldat, so
geschah es zuweilen, um ihn »im Dienste zu konservieren*, daß
die Frau, gegebenen Falles samt ihren Kindern, ins Zuchthaus
nach Wald heim gebracht Nviirde.
Körperlichen Züchtigungen anderer Art war der Soldat
nicht unterworfien, dieser Fall t»t nur ein, wenn er sich durch
eine Handlung ehrlos gemacht hatte. So wurde im Jahre 1743
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Sidzaen von der ehemaligai kiinfldisischen Armee.
201
z, B. ein Miisketo', »der auf den Sdiinderkanen gesprungen
wsr und insOndigst um Dienste angehalten hatte, vor öffentlicher
Wachtparade, fernerhin neben ehrliebenden Leuten in dem
Soldatenstande zu dienen, unwürdig gemacht, seines Verbrechens
halber von dem Steckenknecht durch Ruten in dem Marterkeller
nachdrücklich gepeitscht und über dieses noch auf ein Jahr lang
auf den Festungsbau gebracht". Dieser Festungsbau ist zwar
keine ausschließliche Militärstrafe, auf ihn wird aber bei militä-
rischen Vergehen so häufig erkannt, daß es angebracht er-
scheint, seiner in Kürze zu gedenken. Das Festungsbaugefängnis
befand sich in Dresden; die Räume, in denen die Gefangenen
untergebracht waren, lassen unterirdisch, nur die Krankenstube
war über der F.rde. Die Strät'hiige waren in drei Klassen geteilt.
Die erste bestnnd „aus denen g;an/ infamen Deh"nquenten, ver-
leimten Dieben (jedenfalls nbelberüchtif^te , rückfallige Diebe),
Kirchen- und Straßenräubern, Mordbrennern, falschen Münzern,
Spitzbuben, Zigeunern und anderem Gesindel, da keine Besserung
zu hoffen, die Delicta aber nicht gestanden, sondern die Gradus
der Tortur ausgehalten, und bei denen die völlige Überweisung
nicht vorhanden«. Sie wurden am härtesten eingesch'miedet und
zu den schwersten Arbeiten verwendet in die zweite Klasse
gehörten diejenigen, »die zwar nicht ganz intimer Weise, jedoch
aber sonst auf eine boshafte Art gesündigt haben, und welche
anderer Verbrechen halber, als Ehebrudis, Lenodnit (Kuppelei),
Blutschande, harter Injurien und dergldchen mehr mit Staupen-
schlagen und Landesverweisung zu bestrafen wiren«. Statt zu
Staupenschlag und ewiger Landesverweisung leonnten Soldaten
zu einer dreijihrigen, statt zu zwdjshriger Landesverweisung zu
einer einmonatigen Pestungsbaustiafe zweiter Klasse verurteilt
werden. Der dritten Klasse waren diejenigen zugewiesen, «die
weder durch infame noch andere boshafte Vertirecfaen, sondern
dufth cttlpöse Vergehungen in die Baustrafe vcriSatlen waren, als
durch VerfQhrung, Jugend, dringende Armu^ Bettelei usw."
Besonders solche Deserteure wurden zum Festungsbau ver-
urteilt, die »etwas Gültiges zu ihrer Entschuldigung anführen
und desfalls nicht mit dem Strange« bestraft werden konnten,
für dte aber die Spießruten »zu gelinde* waren. Bei ihrer Ein-
üiyiiizeü by Google
202
Bernhard Wolf.
Keferung wtiiden die StrSflinge ein geschmiedet, d. h. sie erhieiten
an einem Beine einen eisernen ^ng, woran sich vorn und
hinten wieder Ringe befanden, die beim Gehen kla|iperten. Nach
etwaigen Fluchtversuchen wurde ihnen ein Halseisen mit einem
langen eisernen Horn angelegt, wohl auch Handeisen und dn
zweites Fußeisen. Dos Einsdimiedegeld betrug in der eisten
Klasse 3 Tater 8 Groschen, in der zweiten 2 Taler 12 Groschen,
in der dritten 1 Taler 8 Groschen. Es mußte von der Zivil-
Obrigkeit entrichtet werden; für Soldaten wurde nichts gezahlt
»Wann hingegen ein Regiment oder andere Unterobrigkeif^ in«
gleichen die Anverwandten einen auf dem Feshingsbau Gesessenen,
so die Zeit ausgehalten, los haben wollen, so mfissen dieselben
oder der Delinquent selbst das Ausschmiedcgdd an 2 Talern
12 Groschen erlegen.« Das Leben dieser Sträflinge in ihren
unterirdisdien RSumen lomn man fost als tierisch bezdchnen.
Zur Nahrung bekamen sie nur Wasser und Brot, wöchentlich
etwas Salz. Wenn sie Geld hatten, durften sie sich Kofent, Bier
oder, was sie sonst wollten, anschaffen. Vorübergehende bettelten
sie um Ainio:>cn an, .rdavon sie sich hcniaciiinals etwas zu gute
tun". Jährlich bekamen sie einen langen grauen Tuchrock und
Hemden, um nicht bloß zu gehen. Mit stumpfen Sagen mußten
sie Steine, Marmor oder Jaspis, vonemanderschneiden, Kanonen
putzen oder bei Hof-, Festungs- und Militärgebäuden Baumaterial
herbeischaffen. Ertappte man einen bei verbotener Korrespondenz,
oder machte er sich eines neuen Vergehens schuldig, so wurde
er mit beiden Händen an eine Säule K^'^'^iilo^sen und vom
Steckenknecht nu! einer starken Karbatsche gestraft. Solche
Soldaten, die das Leben venvirkt hatten, aber zu lehenslänglichem
Festungsbau begnadigt worden waren, konnten gebrandmarkt
werden, »damit sie, wenn sie sich etwan losmachen, desto kennt-
licher sein mögen". Die Brandmarkung geschah auf der Stirn,
dem Rücken oder unten an einer Hand, nwo die wenigsten
Flechsen liegen und folglich keine Lähmung zu besorgen, den-
noch aber wohl wahrzunehmen ist«. Je nach der zuerkanntetti
aber eriassenen Todessh-afe hatte das Bruidzeichen die Form
eines Schwertes, Rades oder Galgens.
Wenn Iccander in seiner sächsischen Kemchronik, dem
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Skizzen von der ehemaligen kursächsischen Armee.
203
vorstehende Schildeniiig enUiommen is^ erwfthnt, einem Deserteur
seien 1705 auf dem Neumarkte in Dresden unter der Justiz
beide Ohren abgeschnitten und diese mit zwei Nägeln an den
Galgen genagelt worden, worauf der Schinderknecht den also
Abgestraften zum Tore hinausgeführt und forigejagt habe, so
dfiifte diese Art der Bestrafung für Desertion anststt des Shwtges
zu den Ausnahmen zu rechnen sein. Denn das Abschneiden
der Nase und der Ohren hatte nach dem Duellmandat § 1$
einzig und allein bei denjenigen zu erfolgen, »die sich um
Gewinstes willen gebrauchen ließen, andere auszuprugeln und zu
kaibatscfaen«. Wohl aber tritt uns noch ein anderes mittelalter-
liches Verfahren entgegen, nach dem einem Soldaten, der sich
»mit Tätlichkeiten seinem Offizier im Kommando und Dienst
widersetzte", vor der Hinrichtung die rechte Hand, mit der er
sich vergangen halte, abgehauen wurde. Zwei derartige lalle
kamen 1713 und 1743 vor. - Damit dürfte das etwas grausige
Kapitel der jx mlichen Soldatenstrafen erschöpft sein.
Wir wenden uns nun zu den Ehrenstrafen. Sie zerfielen in
solche, durch welche einer nur an seiner Ehre gekränkt und «auf
einen niedrigeren Dienst heruntergesetzt", zweitens in solche, durch
welche einer gänzlich ehrlos und zum Schelm gemacht wurde. Zu
den ersleren gehörte das Setzen auf die Schild wache. Offiziere und
Unteroffiziere verloren während der Dauer ihres Aufenthaltes
daselbst ihre Charge und das damit verbundene Einkommen.
Sie erhielten nur den Sold eines Gemeinen, das übrige fiel, wenn
man einen Fall, der erwähnt wird, verallgemeinern darf, der
Invalidenkasse anheim. Die gänzliche Entsetzung von einer
Charge, die Kassation, bei Unteroffizieren Degradation, trat ein
bei Erpressungen, »Geldschneidereien", Verkürzung der den
Untergebenen zustehenden Qebühmisse, Subordinationsveiig;ehen,
bei nicht getaner Schuldigkeit vor dem Feinde; femer wenn sich
im Felde Offiaiere oder Unteroffiziere bei der Reserve vom
Rcgimente entfernten, wenn sie sich bei der Werbung des Eigen-
nutzes und der Odderpressung schuldig machten, oder wenn
dn Offizier dnen Mann sdner Kompagnie zu Privatdiensten oder
zur Wartung der Proviant- oder der dgenen Pferde gebraudite.
Zu den Ehrenstrafen ist auch zu rechnen, wenn Reiter, die sich
204
Bernhaiü Wolf.
vom üaigen losgespielt hatten, eine Zeitlang ohne Sporen reiten
mußten, ein Fall, der im Jahre 1 706 vorkam, oder wenn eine
Truppe, die »in Schlachten, Attaken oder Defensionen flüchtig
gieworden« war, dazu venirtdit wurde, das Lager zu reinigen
und außerhalb desselben zu kampieren.
Die stärkste Ehrenstrafe war die Chrlosmachung cum infamia,
wodurch der Missetäter weiterer Dienste für unwürdig erklAtt
wurde. Diese Strafe konnte wegen verschiedener schwerer Vetgehen
als Betrug, Unterschlagung, Verkürzung der den Unteigebenen zu-
kommenden Oetiflfamisse verhfingt werden, besonders aber trat sie
ein bei Deserteuren und solchen Kri^gefimgenen, die auf ihr Wort
entlassen worden, aber nicht wiedeigelcommen waren, bei flüchtigen
Duellanten und Provokanten. Die Namen der Schuldigen, die auf
einer Blechtafd eingegraben waren, wurden im Beisein eines Kom-
mandos von 200 Mann durch den Henker an den Qalgen g^schlag^.
Früher hatte man (nach Regals Reglement) die Namen mit großen
Buchstaben auf Peigament geschrieben, >damit es desto länger wegen
Ungewitlers bestehe«, doch erwies sidi dieses Material als nicht
dauerhaft genug, weshalb man schlieBIich Blechlafeln wShIte. Der
Nachrichter erhielt für das Anschlagen eines Bleches 1 6 Groschen»
fOr zwei zusammengelötete Btedie, ohne Rücksicht auf die Zahl
der darauf stehenden Namen, 1 Taler 8 Groschen. Wurde aber
die Ehrlosmachung an der Person selbst vorgenommen, so ge-
schah dies öffentlich und unter folgenden Z crcinonien* n daß
nämlich nach kürzlich beschehener Deklaration der Infamie der
Stecl<enknecht den Delinquenten aus dem Kreise mit dem huße
stößet (daher erklärt sich die Redensart jemanden ausstoßen)
der Scharfrichter ihn darauf ergreifet, seinen Degen zerbricht,
die Stücken ihm auf beiden Seiten um den Kopf herum
schmeißet, sodann vor die Füße wirft und auf ewig, nach zu-
vörderst geleistetem Urfeden, des Lrandes verweiset."
Der Fhrlosmachitng gegenüber stellen wir ffiq^üch die Ehr-
lichmachung, für welches gute deutsche Wort durchaus über-
flüssigerweise heutzutage der Ausdruck Rehabilitierung getreten
ist Darunter verstand man .»diejenige gewöhnliche Handlung
bei der Miliz, vermöge \\ elcher derjenige, der durch ein Ver-
brechen oder unehriiche Hantierung seine Ehre verloren, selbige
Skizzen von der ehemaii]^en kursach^ischen Annee.
205
durch Schwenkung der halme oder SUiidarte über sich wieder
erlanget". Da sowohl die SUafe der Ehrlosigkeit wie »der
Ersatz der Ehre" durch ein richterliches Urteil ausgesprochen
wurde, so konnte auch die Ehrlichinachuug „oiine der Generalität
Vorwissen und desfalls geschehene Anfrage nicht erfolgen«. Diese
trat besonders ein bei wiedererlangten Deserteuren, deren Namen
an den Galgen geschlagen worden waren. Ein besetztes Kriegs-
recht hatte zunächst die Entfernung, »das Aushauen der Namen
auf dem Bleche auszusprechen und dadurch die Schuldigen von
der durch Anheftung ihrer Namen an die Justiz aufgelegten
Infamie zu befreien; es folgte dann eine Militärstrafe, in der
Regel Gassenlaufen, worauf erst die eigentliche Ehrlichmachung
durch Schwenken der Fahne über dem Betreffenden eintreten
konnte. Die Entfernung des Namens auf dem Bleche geschah mit
großer Feierlichkeit Eine Abteilung Soldaten stellte sich im Kreiae
um den Oalgen herum, alsdann v.'urde »die Order zur Abnahme und
der Pardon für den Deserteur öffentlich verlesen, das Blech, worauf
der Name des Deserteurs gestanden, abgenommen, solches zer*
schnitten und weg- oder ins Wasser geworfen, Aber alles aber
vom AndHenr dne Regishitur gefertigt*. War der Deserteur bei
seiner Ehrlichmachung selbst g^genwirtlg^ so stand der Fihnrich
mit der Fahne in der Mitte des Kreises^ der Deserteur ging hin-
ein und kniete links von der Fahne nieder. Der Auditeur verlas
das Prodama weg^ der anbefohlenen Ehrlichmachung^ worauf
die Fahne dreimal, im Namen ihrer königlichen Majcsü^ der
hohen Qenenlittt und des Regiments Ober dem Delinquenten
geschwungen und ihm damit sein ehrlicher Name wiedergegeben
wurde. Wenn der Deserteur bei der «Aushauung des Namens
an der Justiz«, was mit Hammer und Meißel geschah, nicht gegen-
wärtig war, so konnte die erfolgte Ehrlichmachung auch nur
durch Regimentsbefehl bekannt gegeben werden. Nkht nötig
war sie, wenn der FahnenflOchtige auf Qnind ehies Oeneral-
pardons aus freien Stücken zurückgekehrt war.
Infolge des militärischen Standesbewußtseins, das bei hoch
und niedrig aufs schärlste ausgebildet war und in gradezu pein-
licher Weise gepflegt wurde, lud einer schon den Makel der Un-
ehrlichkeit auf sich und wurde zum Sciielni, wenn er wider
206
Bemhaxd Wolf.
Wissen und Willen nni einem unehrlichen Menschen, z. B. dem
Scharfrichter oder einem setner Knechte, getrunken, eine diesen
gehörige Sache berührt, einen Hund unversehens mit einem Steine,
Stocke oder Fuße »tot geschmissen oder andere dergleichen Fatalität
gehabt" hatte: er mußte ciann wieder ehrlich gemacht wctcIlh.
Diese »ungereimten Präjudizien" ließ man nach dem Reglement
von 1753 zwar fallen, doch kam die Zeremonie des Fhrlich-
machens dann und wann noch vor. Unbedingt notwendig aber
war sie, wenn ein Stecken kn echt, der zu den unehrlichen Leuten
gehörte, den Wunsch hegte, Soldat zu werden. Für diese For-
malität iiab CS eine £!:an7 bestimmte N orschrift, die, weil sie knltür-
historisch interessant ist, im Wortlaute mitgeteilt werden mag.
„Es werden vom Regimente 200-300 Mann mit den nötigen
Oberoffizieren, Unteroffizieren und Tambouren kommandiert und
davon ein Bataillon formiert. Die Leibfahne wird von dem
ältesten Fähnrich, wie gewöhnlich, vor dem Zentrum des Bataillons
geführt. Der Major lißt da? Gewehr schultern und einen
Kreis formieren. Wenn er formiert ist, tritt der Fähnrich mit
der Leibfahne und der Adjutant, mit einem Regimentshut und
Seitengewehr versehen, zu dem Major. Der Auditeur verliest die
der Ehritdimachung halber an das Regiment etg^ngene Order,
der Stecicenknecht kommt auf allen Vieren in den Kreis gekrochen.
Der Major fragt ihn: ,Was ist dein Begehr? Er antwortet: Jch
bitte um Gottes willen um meinen ehrlichen Namen/ Der Major
«agt dem Regiment, daß gegenwStliger Mensch seinen elenden
Zustand verlassen und dem Könige und Vaterlande als ein ehr-
licher Kerl zu dienen verUmge, vorher aber um Gottes willen
um seinen ehrlichen Namen bitte. Er t)efngt das Regiment^ ob
sie dawider etwas einzuwenden haben oder ihren BeiiUt durch
deutliches Jawort von sich geben wollten. Wenn das erfolgt,
sagt der Major Supplilouiten: ,Es soll dir deine Bitte gewflhrt
werden.' Er Iflßt das Gewehr piisentieren und befiehlt dem
Fähnrich, Supplikanten ehriich zu machen. Der Fähnrich naht
sich mit der Fahne außer dem Schuh, giebt dem Supplikanten
drei Stöße auf das Hinterteil des Kopfes und sagt beim ersten:
,Im Namen Ihro Königlichen Majestät', beim zweiten r ,Im Namen
•der hohen üeneralitat', beim diiUen: ,ini iNauien des löblichen
SkizKn von der ehemaligen kinsidisisclKii Armeei
207
Rcjgimenls wird dir dan ehrlicher Name gegdwn'., Supplilont
$teht auf, kQ8t dem Major den Steigbügel, neigt sich gegen die
Fahne und das Regiment, und wenn ihm von dem Adjutanten
der Hut aufgesetzt und der Pallasch umgeschnallt worden, ver-
mahnt der Major den neuen Soldaten, die ihm von der Generalität
und deni Regiment erzeigte Gnade durch sein Wohlverhalten
zu erkennen, verbietet dem Regiment, daß niemand sich unter-
stehen soll, ihm seinen vorigen Stand vorzuwerfen, läßt das Ge-
wehr schultern, den Kreis öffnen und das Regiment oder die
dazu kommandierte Mannschaft einrücken, die Fahne mit gewohn-
licher Zeremonie wieder wegbringen, und die Leute werden ab-
gedankt; worauf der ehrlich gemachte Mensch wie c^ev.nhnlich
zur Fahne verpflichtet werden und der Auditeur über den ganzen
Actum die Ret^istratur verfertigen kann. Ein dergleichen Actus
kann, ohne bei der Generalität vorher deshalb angefraij^t zu haben,
nicht vorgenommen werden." In ganz derselben Weise wurde
die Ehriichmachung bei der Kavallerie vorgenommen. Sie war
in dieser Form auch anderwärts gebräuchlich, z. B. in der bay-
rischen und österreichischen Armee. Hier nahm derjenige, der
ehrlich gemacht werden sollte, den Hut »in das Maul" und kroch
rückwärts auf HiUlden und Füßen vor die Kompagnie, warf wohl
audi seinen alten Hut über den Kreis der ihn umgebenden Soldaten.
Die Todesstrafe wurde an einem Soldaten bei militärischen
Verbredien durch den Strang oder die Arlcebusade^ d.h. durch
ErscbieBen vollsiredct; Verbrechen anderer Art dagegen wurden
nach den sonst geilenden rechtlichen Bestimmungeni z. B. noch
nach Karls des Fflnften peinlicher Halsgerichtsordnung durch
Schwerte Rwl| Diebsgalg^, Feuer, Vierteilen usw. geahndet Der
Tod am Oalgen war die gewöhnliche Strafe fflr Deserteure, doch
hatten diese dabei den Vorzug, an den Soldateng^dgen gehenkt
zu werden, der aus einer hölzernen Säule und einem oben an>
gebrachten Querholze bestand, während der sonst gebräuchliche
Oalgen drei gemauerte Säulen hatte, die oben durch Balken ver-
bunden waren. Der Körper des Gehenkten wurde am Abend
wieder abgenommen und beerdigt, dagegen blieb er am Diebs-
galgen bis zum At»Eall hängen. Im Felde und auf dem Marsche
begnügte man sich mit einer einfachen Holzsäule, doch starben
208
Bcrahird Wdf.
die Delinquenten dann schwerer und unter gr06ercn Maricni
als am Oalgen. Zur Exdnition wurde dn Kommando in der
gewöhnlidien Sttrke von 200 Mann nebsl «igdiör^^
Offizieren, Unteroffizieren und Tambouren gesteUl; dagegen dn
ganzes Regimen^ wenn mehrere zuglddi die Todesstnfe zu er-
leiden hatten. Den Bdehl hatte der Major, der stets vom
mente des Verbiediers sein muBte. Er hatte das Urteil «nadi
dem bucfasttblidien Inhalte" zu voUstredten und durfte sidi durch
«kdnen unvenehenen Zufdl, Onadenifen des Volkes oder Auf-
lauf usw." daran hindern lassen, »es wäre denn, daB ddi auf
eine fast nicht zu vermutende Art ganz offenbare Indicia von der
Unschuld des Verurteilten zu Tage legten". Nur in diesem
Falle konnte er von der Vollstreckung des Todesurteils Abstand
nehmen, es mußte jedocli sofort hiervon durch den Auditeur an
den Regimentsküniinandeur mündlich Meldung erfolgen.
Wenn das Komniando auf deni Richtplatze angekommen
war, wurde ein Kreis gebildet und der Verurteilte durch den
Adjutanten, einen Offizier, zwei Unteroffiziere und achtzehn Gre-
nadiere hineingeführt; der Profos, ein Steckenknecht und der
Geistliche begleiteten ihn. Hierauf las der Auditeur nochmals
unter präsentiertem Gewehr das Urteil vor, dann waltete der
Henker seines Amtes. - Befand sich die Justiz außerhalb der
Stadt, so wurde abends ein Gefreiter und vier Mann komman-
diert, die niemanden an den Galgen herankommen lassen durften,
hauptsächlich aber den Nachrichter und seine Gehilfen schützen
sollten. Bei Vollstreckung des Urteils in der Stadt stand vbis
zur Abnehmung des armen Sünders" dne Schildwache an der
Justiz, den Pöbel abzuwehren; denn bekanntlich wurde mit dem
Körper dnes Gehenkten dlerhand abeigläubiscber Unfug getrieben.
Wenn sidi Soldaten, dte wegen Fahnenfludit oder dnes
anderen Verbrechens zum Tode verurtdlt waren, der Strafe durdi
die Fludit entzogen, so wurden ihre Namen, wie berdte erwlhn^
an den Odgen gesdilagen, oder es trat die Exekution in efRgpe
dn, indem ihr Bildnis an den Galgen gehenkt wurde. Es
dürfte dch bd diesem Verfiriiren wohl kaum um dn lebens-
wahres Abbild der Verurteilten gduuuldt haben - wo bitte man
dn soldies audi in jener Zeit hernehmen sollen? - , sondern wahr-
Skizzen von der ebemiUgdi kureächsiscben Aimce.
209
scheinlich um ein Soldatenbild überhaupt. Um den Missetater
jedoch genauer zu kennzeichnen, wurde in dem Urteil in der
Regel noch besonders verfügt, daß sein Name, und warum er
zum Galgen verurteilt sei, unter das Bild gesdmebai werden
solle. Im übrigen verfuhr man genau so wie bei einer v^rklichen
Exekution. Ein Unteroffizier und acht Gemeine holten von der
Hauptv^che »die in effigie allda befindlichen Delinquenten« ab,
zwei Unteroffiziere trugen sie in den Kreis, den das Kommando
um die Justiz gebildet hatte, und übergaben sie dem Profos»
Nach Veftesang des Urteils stieß dieser »derer Delinquenten
BtUnisse mit ihren Namen, die voriiero an einer Letter bei der
Justiz gewesen, mit dem Fuße« um. Der Knecht des Scharfikhiera
fltiemahm sie und hing sie am Galgen auf, »worauf der ge-
schlossene Kreis hinwiederum gefiffbet und solchergeslalt der Exe-
kutionsakt geendigt worden*. So geschehen in Dresden i. J. 1 7 1 7.
SpMer ¥nirde die Strafe des Hflngens Ar Fahnenflucht in
Baugefuigenschaft verwandelt; das kann aber nicht schon 171S
geschehen sein, wie von Schuster und Frsncke behauptet wird,
da sich in späterer Zeit noch mdufsch kriegsgerichtliche Urteile
finden, hi denen fQr jenes Veigehen auf den Strang erkannt
wird. Tatsicblich ist der Oa^ als SoMatenstnfe erst duicfa
eine Ordonnanz v.J. 1804 abgieschafft worden; hi Oebraudi war
er allerdings sdion vor dieser Zeit nicht mehr.
Die Arkebusade fand statt bei tätlicher Widersetzlichkeit
gegen einen Vorgesetzten oder bei Vergehen im Felde, z. B. wenn
einer vor dem Feinde seine Schukiigkeit nicht getan hatte, wenn
die Knechte Pferd und Wagen im Stiche ließen, die Pferde aus-
spannten und davonritten oder plünderten. Pjisweilen erscheint
die Kugel als eine Milderung der Strafe am Galgen: wenn man
jemand aus einer Parti kular-Onad von des Henkers Hand befreit",
heißt es bei Regal. Der Verurteilte hatte das Recht, sich einen
aus semen Kameraden auszuwählen, der ihm die Augen verband.
Zum Feuern wurden sechs alle, versuchte Leute kommandier^
die sechs Scliritte von dem Dehnquenten, der niederkniete, Auf-
stellung nahmen. Auf das Kommando des Majors — früher
hatte er nur mit dem Stocke ein Zeichen gegeben - feuerten
drei Mann zu^^ich. Nach einem älteren Brauche zielten zwei
ArUv ür XUfHtieMlitdite. V. 14
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210
Bonhinl Wotf.
von ihnen aufs Hen, einer auf die Stirn. Die andern drei mußten
sich fertig nubchen, »dem Delinquenten, wenn er noch nicht tot
ist, die Flinte auf die Brust zu setzen«. Die Leicfae wurde sofort
in den auf dem Platze liefindlidien Sarg gelegt und, »wie es
das Urleil oder der Befehl mit sich brachte«, bceidigL
Die Dezimierung trat ein, wenn Regimenter das Qewdur
wegwarfen und, ohne sich von den Offizieren halten zu hosen,
davonliefen. Dieses »Spielen ums Leben" geschah durch Wflrfd,
nicht aber »vermittelst Ziehung gemachter Lose*. Die übrigen
wurden mit Spießruten bestraft, nach einem kriegsgerichtlicfaen
Urteil von 1706 sechsmal durch 300 Mann. Auch sonst konnte
um das Leben gewürfelt werden, wenn sich mehrere desselben
Vergehens schuldig gemacht hatten, aber nur an einem ein
Exempel statuiert werden sollte.
Bisweilen kam es vor, daß ein Delinquent begnadigt wurde
und nur „die Todesangst ausstehen" niulite. In diesem Falle
wurde alles wie bei einer richtigen Exekution »mit gewöhnlichen
Solennitaten" vorbereitet, der Verurteilte kniete mit verbundenen
Augen «zum zu eru arten den Schuß" nieder, der Major ließ fertig
machen, worauf nacii dem Kommando: habt acht! dem Betref-
fenden die Begnadigung zugerufen und dann vorgelesen wurde.
Wurde ein Missetäter unter dem Oalgen begnadigt, so durfte
nicht eher Pardon gerufen werden, als bis ihn der Geistliche
eingesegnet hatte. Wenn es nötig erschien, mußte ihm der Feld-
scher die Ader öffnen. Nachdem sich der Begnadigte von dem
Schrecken erholt hatte, wurde an ihm in der Regel eine ver-
schärfte Strafe durch Spießruten vollstreckt. So begnadigte 1742
Johann Adolf Herzog zu Sachsen -Weißenfels, weil er »das über-
nommene Kommando nicht gerne mit Vergießung Menschenblutes
antreten« wollte, einen zum Tode verurteilten Musketier zur Aus-
stehung der Todesangst und zu sechzehnmaligem Qassenlaufen
durch 300 Mann, was freilich einem Zutodcgeprilgeltwerden fiast
gleichkam. Daraus erkttrt es sich auch, daS manche die Begna-
digung nicht annahmen, sondern die Vollstreckung der Todes-
strafe veriangten. Dieser Fall ereignete sich z. B. 1745. Dem
Verbingen des MInquenten wurde freilich nicht stattgegeben,
sondern er wurde, «weil er in der menschlichen Oesellschaft
SUzzen von der ehemaligen kursächsischen Armee. 2 1 1
nicht viel nfiize sein dütfte«, ohne Gassenlaufen bis auf weitere
Verordnung in die zweite Klasse des Festungsbaues gebracht,
eine Strafe, die erforderlichen Falles mit üewail aii ihm voll-
streckt werden sollte.
Auch die Kadetten — die Errichtung einer »Kompagnie
adliger Kadets" fällt m das jähr 1692 - waren als die künftigen
Offiziere der Armee den militärischen Strafen unterworfen. Alle
Sonn- und Festtage mußten sie dem öffentlichen Gottesdienste
«mit aller Devotion bis zu Ende beiwohnen und durften sich
nicht in Sciiankhäiisern oder anderen ungebührlichen Orten be-
treten lassen i,bei Vermeidung des Pfahlstehens, Gefängnis bei
Wasser und Brot, Abzug vom Traktament, auch wohl gar der
Kassation". Wer sich im erstercn Falle, den Gottesdienst be-
treffend, verging, mußte den achten Teil seine Gage oder zwölf
Groschen ad pios usus erlegen ; wegen Sakramentierens, d.h. Fluchens»
wurde er vier Wochen im Gefängnis bei Wasser und Brot ge-
halten, wegen Gotteslästerung aber vor ein Kriegsrecht gestellt
und nach Befinden an Ehre, Leib und Leben gestraft Auf un-
erlaubte Entfernung aus der Festung, also aus Dresden, stand
dreitägiges Pfahlstehen, jeden Tag vier Stunden, ebenso auf Aus-
bleiben über den Zapfenstreich; Übersteigen der Festung wurde
kriegsgerichtiich bestraft Saufen und Spielen war bei Verlust
eines h^ben Monateiraktamenls, Hurerei bei harter Leibessfaafe^
ja Kassation verboten. Wurde bei den Kadetten «eine aus-
schweifende AuffQhning« hinsichtlich der Subordination oder in
ihrer Lebensart vernierkt, oder wurden unter ihnen »ungebfihr-
licfae Händel angesponnen*, so sollte dem Urheber nach Be-
schaffenheit des Vergehens *die Montur ausgezogen, sein Name
aus denen Listen gestrichen und er von dem Korps weggeji^
oder auf die Festungen bei Wasser und Brot in Haft gebfadtt
werden«. Mit Kassation, auch harter Leil)es- und Ge&ngnkshafe
sollte derjenige belegt werden, der sich unterstand, »einen ge-
schliffenen D^n zu f&hren oder zu hegen«.
Wenn sdilieSlich noch das Duellmandat von 1706, er-
neuert 1712 und 1737, mit einigen Worten erwähnt wird, so
steht dies ja nicht in unmittelbarer Bezidiung zum Thema, da
auch der Zivilstand davon betroffen wurde, aber eine kurze Be-
14*
212
Bernhard Wolf.
spicdiung desselben eiBchemt insofern gerechtfertigl, ab geiade
MiUttrpersonen am mdsten mit ihm in Konflikt geraten adn
dflrffeen. Denn die Duellwnl^ noch ein tranriger Obenest ans
der Zeit der Landsknechte^ war unter den Soklaten in den ersten
jahnehnten des 18. Jahthunderls sehr groB; gienihrt wurde sie
durch den ins flbertriebene entwickelten Begriff emer besonderen
milittrisdien Ehre bei allen, die der Armee angehörten. Es
duellierten sich ntmlich nicht etwa nur Offizieiei auch Unteroffiziere,
sdbst Gemeine suchten ihre whUicfa oder vermdnllich verletzte Ehre
mit der Waffe in der Hand wiederhenustellen. 1 772 forderte dn
Leutnant sogar sdnen dgenen Bruder zum Zweikampfe heraus.
Man dudlierte sich zu Roß und zu Fuß, mit Pistolen und Degen.
Hierbei hatten sidi die aus dem Dreißigjährigen Kriege stam<
menden Gebräuche noch lebendig erhalten. Wie G. Freytag erzählt,
gaben sich die Gegner vor dem Beginn des Zweikampfes die
Hände, umarmten sich wohl auch und verziehen einander im
voraus ihren ctuaigen Tod. Wer fromm war, gmg vorher ZU
Beichte und Abend nuihl. Es kam auch vor, daß derjenige, der
tödlichen Ausgang wollte, scmen Mantel auf die Erde breitete
oder mit dem Degen ein Viereck, als Hinweis auf das Grab,
auf den Boden zeichnete. Daraus nun, daß man es für nötig
hielt, besondere Gesetze gegen die Duelle zu erlassen, läßt sich
auf ihr häufiges Vorkonmien schließen, und daraus erklären sich
jedenfalls auch die überaus harten Strafen, mit denen diejenigen
bedroht wurden, die get^en das Gesetz handelten. Kursachsen
stand darin aber nicht etwa allem: auch in anderen Staaten, in
Preußen und Österreich, ging man mit derselben Strenge gegen
die Duellanten vor, die Rauflust muß also allgemein gewesen sein.
Man mag sich nun zur Duellfrage stellen, wie man will,
auf keinen Fall wird man die zum Teil schimpflichen Strafen,
mit denen die Zuwiderhandelnden bedroht wurden, billigen können.
Schon die Herausforderung zum Duell — es wird deutsch als
Selbstrache bezeichnet - wurde mit einem, zwei, vier, sechs Jahren
Ge&ngnis oder Feshingsbau, der wirkliche Zweikampf» wenn er
»ohne Entleibung« vor sich gegangen war, mit acht- oder zehn-
jährigem Oeftngnis oder mit Feshingsbau bestraft Wer seinen
Gegner gelötet hatte - bezeichnenderweise wird er un Mandat
Sldscii vM der cimitliscB knuicliiiitAcn Araiecv
213
Mörder genuint - wurde nach Zeiteediung des Degens mit dem
Schwerte gerichtet oder zum Tode am Qalgen verurteilt. Diese
Strafe wurde sogar an dem Oebliet>enen vollstreckt; der Nach-
richter schaffte den Leichnam weg und hing ihn an den Galgen,
woran er bis zum Abfall blieb. »Dies geschieht dergestalt", heißt
es in § 40 des Duellmandats, „daß der Entleibte dem Nachrichter
in Gegenwart eines Unteroffiziers und sechs Mann von einem
anderen Unteroffizier übergeben und solcher, nachdem er ad
locum iudicii gebracht, von dem Henker in den hierzu komman-
dierten Kreis getragen und aufgehenkt wird." Daß dies wirklich
geschah, erzählt Iccander in seiner mehrfach ePA'ähnten Kern-
chronik. Danach wurde 1718 in Freiberg ein Soldat, der seinen
Kameraden im Diieü erstochen hatte, an den öffentlichen Galgen
gehenkt, der Entleibte aber in einem Sacke ,;ihm an der Seite des
(jalgens zugleich adiungieret". Dasselbe geschah 1 720 in Torp^au,
wo zur Exekution zwei volle Regimenter kommandiert wuiden.
Diese schimpfliche Strafe trat nicht ein, wenn der Getötete »von
Add oder selbiger Privilegien teilhaftig" war; ebenso waren davon
ausgenommen alle in wirklichen Diensten stehenden und ehren-
voll verabschiedeten Oberoffiziere bis auf den Adjutanten, Kornett
und Fähnrich einschließlich, solange die Verabschiedeten nicht
»gemeine t)fligerliche und Bauemnahning" trieben. Fiel einer von
den Genannten im Duell, ao wurde der Leichnam »außerhalb
des Kirchhofe oder an dem Ort, wo die Misselftler hingelegt
werden, durch den Totengräber in der Stille begraben«. Bis-
weilen traf aber auch eine Milderung der vorgesehenen Shafe
ein, oder die Untersuchung wurde nledergeschlagai oder der
Übertreter Oberhaupt begnadigt
Fifichtige Duellanten, die ihren Gegner getötet halten,
wurden steckbrieflich verfolgt und durch Ediktalverfahren vor-
gdftden. Erschienen sie nicht, dann wurden sie für infam erklärt
und ihr Bildnis mit Daruntersetzung des Namens an den Oalgen
gehenkt Aller hotz aller schweren Strafandrohungen kamen
doch fortgiesetzt Übertretungen des Duellmandates vor; ausgerottet
wurde auch hierdurch das Übd keineswegs^
Neben den Zweikämpfen waren die sogenannten Renoonta«s
an der Tagesordnung. Sie entsprangen bisweilen dienstlichen
214
B«-nhard Wolf.
Differenzen, in der Regel aber waren sie eine Folge des über-
mäßigen Genusses geistiger Getränke. Auch hierbei zeigte sich
die ganze ungebundene Wildheit des Soldaicnlebens jener Zeil;
stets war man zu schneller Tat bereit; rasch waren die Degen
gezogen, und so endigten dergleichen Zwistigkeitcn fast immer
mit blutiger Verwundung, nicht selten mit dem Tode des einen
oder des anderen hadernden Teiles. Diejenigen, die sich eines
solchen Vergehens schuldig machten, wurden im Duellmandat
mit halbjährigem (1706) bis einjährigem (1712) Gefängnis be-
droht; tand emc F.ntleibune^ statt, so wurde der Fall nach dem
-im gemeinen Recht vorgeschriebenen modo procedendi und der
darin festgesetzten Strafe" abgeurteilt. Ein bei einer derartigen
Gelegenheit Getöteter wurde außerhalb des Friedhofs oder auf
dem Kirchhofe da, wo die Missetäter lagen, in der Stille beerdigt;
eine Beschimpfung, wie sie bei einem im Duell Gefallenen üblich
war, fand also nicht statt. Daher erklärt es sich auch, daß man
Zweikämpfe »unter dem Scheine der Rencontres zu verstecken"
sudite^ um so die harten» im Duellmandat festgesetzten Strafen
zu vermeiden.
Vergegenwflrtigen wir uns zum Sdilusse noch einmal die
kursäcbsisdie Armeen wie wir sie hinsichilich ihrer Etigänzung,
ihrer inneren Einrichtungen und ihres Exerzitiums kennen gelernt
haben, so wird man zu der Überzeugung kommen, daß es mit ihr
in bezug auf Mensdienmaterial und Ausbildung nicht schlecht be-
stellt gewesen sein kann. Das witxl auch von einer Seite be-
stätig^ deren Urteil in dieser Beziehung besonders wertvoll ist
In dem Werke: Die Kriege Friedrichs des Orofien, heraus-
gegeben vom Großen Oeneralstabe, heißt es nftmlich 1, 1, S. 100:
»Die sächsische Infanterie war mit großer Sorgfrit ausgebildet
und taictisch sehr gut geschult Erreidite sie auch nicht die
hohen Friedensleistungen der preußischen Nachbarurmee, so flt>er-
traf sie doch an Manneszudit und Qefechtswert die Fußtruppen
aller sonstigen Heere. Die Kavallerie war in guter Verfassung
und in Ausbildung und Kampfwert jeder anderen Reiterei eben-
bürtig. Die sächsische Armee zeichnete sich durch ein sehr
tüchtiges Offizierkorps aus.** In ähnlichem Sinne urteilte der
französische Marschall Belleisle, mdem er sich, aiä er im Früh-
^ . . l y Google
Skizzen von der diemaligen kindchsadien Armee.
215
jabr 1741 das kursiciisisdie Heer gesehen haMe, dahin lufierte,
daß König August »Ober buter schöne und gut exerzierte
Truppen« verfQge.
Ihre Tfiditigkeit bewies denn auch die kursldisisciit Armee
in den Kämpfen, an denen sie im 18. Jahrhundert teilnahm.
Es war ihr ja nicht oft vergönnt, den Sieg an ihre Fahnen zu
heften, aber bd jeder Qel^;enhett hat sie im vollslen Maße
ihre Schuldigkeit getan und dem sächsischen Namen jederzeit
Eiire gemaclit
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Der Einfluß der Juden
auf die Leipziger Messen in f rütierer Zeit
Von RICHARD MARKGRAF.
1.
Es ist dne historische Tatsache^ dafi die Handdsslidte von
alters her auf die Juden eine starice Anziefaung^lcnft ausge&bt
haben. Auch die Handelsmetropole Leipzig lenldie schon zdlig
das Interesse des jfidtschen Elements auf sich. Vor allem fOhrlen
die Messen viele Juden nach Leipzig. Dieser besondere Umstand
sowie die Bedeutung und Beurteilung der Juden im altgemeinen
lassen es vielleicht berechtigt und interessant erscfadnen» die
Geschichte der jüdischen Meßfiersnten in Leipzig einer Be-
teaditung zu unteiziehen.
Was ich hier biete, gründet sich zum großen Teil auf un-
gedruckte Akten des Ratsarchivs in Leipzig, zum Teil stützen sich
meine Ausführungen auf Hasses umfassendes Werk; Geschichte
der Leipziger Messen.
Ich gedenke in den nachfolgenden Zeilen vornehmlich das
Volkswirtschaftlich-Statistische und Handelspolitische
aus der Geschichte der jOdisclien iMeßiieranten in Leipzig zu bieten.
Da das Ratsarchiv erst vom Jahre 1675 an statistische Nach-
richten über die Meßjuden in Leipzig bringt, so war ich genötigt,
dieses Jahr als Ausgangspunkt meiner historischen Betrachtung
zu nehmen. Als Endpunkt habe ich das Jahr 1839 gewählt, weil
in diesem Jahre der erste Jude in Leipzig das Rürgen echt cr-
hno^e und dadurch nicht nur die Geschichte der Juden in Leipzig
einen gewissen Abschluß fand, sondern auch die Verhältnisse
der jüdischen Meßfieranten sich günstiger gestalteten.
Der Einfluß der Juden auf die Leipziger Messen in früherer Zeit I. 217
Wann die ersten Juden auf der Leipziger Messe erschienen
sind, last sich mit Bestimmlheit leider nicht angeben. Höchst
wahrscheinlich haben sie sich unter Dietrich von Lindsbeig, also
in der zweiten HUfte des 13. Jahihunderis» zum eisten A4ale in
Leipzig eingefunden. Einmal spricht daftkr der Umstand, daß
Didrich in seinem Lande eine von seinem Vater f&r MeiBen
gegebene liberale Judenordnung, nach welcher den Juden zu Qe-
tellcn der Markttag vom Sonnabend auf den Freitag veriegt wurden
bestätigte. Sodann stellte Dietrich der Stadt Uipzig einen Handels,
schutzbrief aus, Uiut dessen er alle Kaufleute, woher sie auch
waren, und was sie auch sein moditen, vor Bedrückung und
Beraubung zu schützen versprach. Endlich wurde Leipzig da-
mals - und nicht zum geringsten durch die besondere Fürsorge
des Landesfürsten - der Mittelpunkt vieler blühender Handelsstädte.
Wahrscheinlich ließen sich unter Dietrich \'ün Landsberg
auch Juden dauernd in Leipzig nieder. Zu dieser Annahme
berechtigt die Tatsache, daß die Juden überhaupt in den Städten
Meißens frühzeitig Zuflucht süchte{i und selbst in Orten sich an-
siedelten, die im Handel Leipzig nachstanden. Sichere Kunde
über die seßhaften Juden in Leipzig gibt jedoch erst eine Nach-
richt aus dem Jahre 13 59 Nach derselben hatten die Juden
damals eine geschützt gelegene üasse, die sogenannte Judenburg
als Wohnstätte inne. Sie begann an der Barfußmühle und zog
sich längs der Pleiße bis zum Naundörfchen hin. An ihrem Ein-
gänge befand sich eine besondere Pforte.
Unter Dietrich von Landsberg erfreuten sich sowohl die
ansässigen Juden als auch die jüdischen Meßfieranten
ganz derselben Rechte wie die christlichen Kaufleute. Diese
OleichsteUung wfthrte jedoch nur bis in die Mitte des 14. Jahr-
hunderts. Als nämlich im Jahre 1350 in Leipzig die Pest arg
wütete, wurden die Juden der Brunnenvergiftung beschuldigt und
infolgedessen aus der Stadt vertrieben. Nur die sogenannten
Hofjuden waren in dieser Zeit den Verfolgungen nicht aus-
gesetzt; denn sie erfreuten sich des tandesherrlichen Schutzes,
wie z. E die im Jahre 1364 m Leipzig aufgenommenen HoQuden
Benjamin, Samson und Aaron und die im Jahre 1430 in Leipzig
sefihaft gewordenen HoQuden Abraham und Jordan. Nach dem
218
Rjchard Markgraf.
Jahre 1436 dehnte sich jedoch die Verfolgung auch auf die Hof*
juden aus, indem in dieser Zeit der Hofjude Abraham und sein
Schwiegersohn Jordan trotz eines ihnen vom Herzog Wilhdm im
Jahre 1436 ausgestellten Schutzbriefes inhaftiert wurden. Ehre
Freilassung erfolgte nur unter »ewiger* Verzicbtieistung auf alle
ihre Habe, unter Zahlung von 4000 »Schock neue Sdiildtgle
Groschen Freibeiigier Münze' an den Herzog Wilhdm und unter
Ausbändigung aller Briefe, die sie von letzterem und von der
»gnädige Frauen von Sachsen« in den HSnden hatten, gleichviel
ob sie Geldschulden oder andere Dinge betrafen. Audi mußten
Abraham und Jordan die Briefe der fürstlidien Rtte, wddie auf
Oeldsdiuld fflr deren Person lauteten, herausgeben. Nicht zurOck-
entattete Briefe sollten allerwSrIs »kraftlos und tot sdn*.
W^n der zahlrdchen Verfolgungen sind die Juden wahr-
sdidnlich auf lange Zdt Leipzig fern geblieben. Für diese An-
nahme spricht vor allem die eigentümliche Tatsadie, daß das
Ldpziger Ralsarchhr zweihundert Jahre hing über die Juden in
Leipzig schweigt. Erst vom Jahre 1 664 an bringt es wieder dies-
bezügliche Nachrichten. Da jedoch dieselben sowie auch die
Aktenstücke aus den folgenden Jahren bis zum Siebenjäh ritreti
Kriege nur über Meßjuden Kunde geben, so muß man an-
nehmen, daß in jener Zeit kein Jude in Leipzig seßhaft war.
Wahrscheinlich herrschte damals in Leipzig gegen das jüdische
Element noch immer eine gewisse Abneigung. Auch war das
Verhältnis der Juden zum Landesfürsten nicht besonders günstig,
insofern die Juden relativ höher besteuert waren als die
Christen. Jeder jüdische Mcßfierant war verpflichtet, für seine
Person an die Stadtgerichte i'/^ Taler zu 7ahlen wovon ein
•Gewisses" als Äquivalent für das .Marktrecht an die kurfürstliche
Kasse ah/ugcbcn 'Aar, bemei mußten die Juden, welche Güter
nach Leipzig brachten, auf der Wage vom Werte ihrer Waren
je 1 Prozent Zoll an den Kurfürsten und an den Rat entrichten.
Nur in bezug auf die Akzise, d. i. die Abgabe auf der Stadt-
wage für die verkauften Meßgüter, waren die Juden den Christen
jfgldchtraktiert«. Jeder, ob Christ oder Jude, zahlte für 1 00 Taler
Erlös aus verkauften Waren fünfundzwanzig Groschen Abgabe.
Da sich aber die christtichen Kaufleute über die Höhe dieser
Der Eiiiflu0d«rjtidcn auf die Ldfiziga' Messen in fnUicrerZdt I. 219
Steuer beim Rate beschwerten, so ermäßigte man ihnen die Akzise
auf 16 Groschen. Den Juden dagegen ließ man diese Zollermä-
Biguttg nicht zuteil werden; und so wurde auch in diesem Punkte
zwischen Christen und Juden dn Unterschied herbeigeführt
Um in bezug auf Alczise und andere Abgaben eine Oldch-
stdlung mit den christlichen Kaufleuten zu erlangen, wandten
sich die MeBjuden am 13. Januar 1664 an den Kurf Arsten.
Dieser ging wider Erwarten auf ihre Petition ein und verlangte
von sachkundigen Leipziger Bürgern ein Gutachten. Die zu
diesem Zwecke erwflhlte Kommission sprach sich ffir Oleich-
Stellung aus, ein Beweis, dafi die Gesinnung der Leipziger
Bürger gegen die MeBjuden eine wohlwollende geworden war.
Da vom Kurffirsten keine Resolution erfolgte, so
wiederholten die Juden ihr Gesuch und verfehlten dabei nicht, zu
liemerken, daB die Erfüllung ihrer Bitte in semem Interesse liege,
indem »hernach die Handlung von ihnen anher stftrker getrieben und
so die Intraden Sr. Kurfürstlichen Durchlaucht« vermehrt würden.
Darauf forderte der Kurfürst am 9. August 1664 hierüber
ein üutachten vom Kate zu Leipzig, Derselbe war der Ansicht,
daß es für den Leipziger Handel /utniglicher sei, wenn man
Christen und Juden gleichmäßig besteuere. Auch müßten
die Juden bereits auf ihre Person einen ziemlich hohen Zoll ent-
richten, so daß eine weitere Belastung derselben mit Abgaben
nicht nur eine Schwächung des Handels, sondern auch allerhand
Betrügereien der Juden zur Foli^^e haben könnte.
Trotz zweimaliger Begutachtung kam es zu keiner kurfürst-
lichen Resolution. Die Besteuerung der Juden blieb nicht nur
dieselbe \^ic bisher, sondern orestaltete sich sosjar noch un-
günstiger, indem die Juden außer der hohen Akzise zwei-, ja drei-
bis viermal höhere Wagegelder als die Christen zu entrichten hatten.
Diese ungünstige Lage veranlaßte die Juden, den Rat um
Ffirsprache beim Kurfürsten zu ersuchen. Als Grund für Er-
nUlBigung der Wagegelder führten sie an, daß sie beträchtlichen
Personalzöllen unterworfen wären, besonders zu den Leipziger
Messen achi Taler Schutz- und Qeleitsgeld abstatten müßten^
infolgedessen von dem Besuche der Leipziger Märkte nur Schaden
bitten und öfters »kaum das Maul davon bringen konnten«.
220
Richard Markgraf.
Zugleich erinnerten sie daran, daß betreffs der Akzise Johann
Oeoig ]. keinen Unterschied zwischen Juden und Christen ge-
kannt habe, und daß sie auch bereits von Johann Qeorg II. den
Bescheid erhalten hätten, daß man sie in diesem Punkte den
Christen wieder gleich behandeln werde.
Da der Rat auf diese Petition - wahrscheinlich infolg?
der Zuradchaltung des Kurfürsten - bis zum 13. Mai 1665
keinen Besdieid gab, so wiederholten die Juden ihr Gesuch,
worauf der Kurfttrst dasselbe nach abermaliger Bcgulachiung des
Rutes unter folgenden Bedingungen endlich gienefamigle:
1. Jeder Jude hat den ersten Tag nach semer Ankunft auf
der Wage oder auf dem Rsthause zu melden, welches
der' Zweck seines Kommens sei.
2. Jeder Jude muß Aber alle Waren, weldie er du- oder
ausfahren will, Auskunft geben. Nicht deklarierte Oflter
verfallen dem Ride.
3. Die Juden, welche mit Juwelen handeln und davon fOr
1500 bis 2000 Taler verkaufen, smd verpflidttet, einen
Teil des Gewinnes an den Rat zu zahlen; bei Beträgen
von mehr als 2000 Talern erhöht sich die Abgabe pro 100
auf ^/j Taler. Zu dieser Abgabe seien sie auch dann ver-
pflichtet, wenn die Juwelen an den Landesfürsten, an
dessen Hofstaat oder «an andere große Herren« verkauft
wurden, oder wenn die Juden sie nur auf Lieferung ge-
kauft hätten.
4. Auch diejenigen Juden, welche »mäkeln", haben auf der
Wage ein » Gewisses** zu entrichten.
Damit war die Frage bezüglich der Meßakzise der Juden
erk'dif;t. Doch leckte die kurfflrstlichr Entscheidung durch die
Bedingun.L^eii, unter denen sie erfol<^'te, den Keim /ii einem nt-uen
Streite in dem handelspolitischen Leben der jüdischen Mcßfierantcn,
zu dem Streite um die Kontrolle der Meßjuden. Genährt wurde
derselbe besonders durch die Dreistigkeit, mit der einzelne jfidische
Kaufleute die KontrolltMStinimungen zu umgehen suchten. So
z. B, unterliefien manche, sich am Tage nach ihrer Ankunft bei
den zur Wage deputierten Herren anzumelden. Auch zahlten
viele ihre Gebähren nicht
Dar Einfluß dcrjuden auf dteLdpcigv Mosen in fraherer Zeit I. 221
Die Folge davon war, daß der W, der bisher im Verein
mit den chfistiidien iCuifleuten bei dem KurfQrsten Fttrsprache
eingelegt hatte^ die Kontrolle der Juden versdiirfie. Jeder Jude
liatle sidi von nlchsfer Oslcrmene an bd seiner Anloinft unter
dem Tore beim ZiUluer zu mdden, von diesem einen ToneeUel
zu entnelimen und damit binnen 24 Stunden auf der Wage zu
erKhetnen und dort den wahren Zwedc seines Kommens anzu-
geben. Auch erhielt jeder Jude bei Erlegung des Schutzgeldes
einen Abgabezettel, den er jederzeit bei sich tiagen, bei seiner
Abreise aber nach bezahlter Gebühr laut eines im Jahre 1668
mit den Meßjuden festgesetzten Rezesses abliefern sollte, um dafür
den gewöhnlichen Passierzettel in tniplang zu nehmen. Verstöße
gegen diese Verordnungen sollten mit 20 Talern Strafe und »nach
befundenen Umständen noch härter angesehen werden«.
Die Juden wußten aber auch diese Bestimmungen zu um-
gehen, und so erließ der Kurfürst am 2. Oktober 1682 eine neue,
umfangreiche Verordnung, welche die Juden noch schärferer Kon-
trolle als bisher untersteilte. Jeder Jude mußte sich binnen
24 Stunden nach seiner Ankunft bei den Wagedeputierten an-
nielden und dabei berichten, woher er komme, was sein Tun und
Handel sei, ob er einen Kompagnon habe, wer dieser sei, und
wo er logieren wolle Ferner sollte jeder Jude innerhalb bestimmter
Zeit bei den Stadtgerichten sich melden und sein Schutzgeld
daselbst entrichten. Im Unterlassungsfälle träfe ihn eine Strafe
von 20 Taiem. Sodann sollten die Juden mit Ausnahme der
Roßtäuscher nur in der inneren Stadt Wohnung nehmen, die
Roßtäuscher aber wies man an, vor der Stadt bei ihren Pferden
zu bleiben. EndUcfa sollte jeder jüdische Meßfienmt von seiner
Obrigkeit ein Attest beibringen, daß er Handelsmann oder Kiflmer
sei und hier mindestens ffir 600 Taler Waren einkaufe. Wer
ohne Attest die Leipziger Messe besuche, der solle nicht bloß mit
Inhaftierung auf eigene Kosten bestraft werden, sondern auch des
Handels nach Leipadg veriustig geben.
Trotz dieser scharfen Kontrolle und der hohen Akzise war
und blieb der Anteil der Juden an dem Meßhandel ein großer.
Einen Beweis hierfür bietet zunächst die Frequenz der Jfldiscfaen
Meßfieranten. Bereits die ersten Aufoeichnungen Aber dieselbe
222
Richard Markgraf.
geben einen deutlichen Beweis von dem steten Anwachsen des
jüdischen Elements auf den Messen.
Die Zahl der jüdischen Meßfienuiten betrug innerhalb der
Jahre 1675 bis 1680 durchschnittlich 415. In dem nächsten Jahr-
zehnt stieg sie im Durchschnitt auf 4S8 oder 1 7 Prozent und in
den Jahren 1691 bis 1700 sogar auf 834 oder 70 Prozent Diese
auffallende Zunahme hatte ihren Grund darin, daß auf den Dreifilg-
jährigen Krieg» der den MeBhandd fast ganz vernichtet hatte, eine
lange Friedenszeit folgte^ in der die Handelsstnifien wieder her-
gestellt und festere Rechtsverhältnisse geschaffen wuiden. Besonders
stark wurden die Messen von den polnischen Juden frequentieft
Die Ursache dieser Erscheinung ist in der geographischen Lage
Polens zu suchen, derzufolge Polen angewiesen war, den Handel
des Westens mit dem Osten zu vermitteln. Im Jahre 1680 er-
schien zur Michaelisincsse nur ein Jude, und zwar ein Diener,
weil kurz vor der Messe in der Sudt die Pesl wütete. Die ge-
ringe Frequenz der jüdischen Fieranten auf den Messen des
näclisten Jahres ist ebenfalls auf das Auftreten jener Seuche zurück-
zuführen. Eine Vergleichung der Zahl der Juden mit der der
christlichen Kauflcute ist in dieser Periode nicht möglich, da die
archivalischen Quellen erst von der Ostermesse 1 7 56 an staüsiische
Nachrichten über die Christen auf den Messen enthalten. Aus
der Zeit vor 1 675 fehlen alle Anhaltepunkle, aus denen man auf
die Teilnahme des jüdischen Fdements an den Messen schiießcn
könnte, tbenso haben sich über den Besuch der Neujahrsmessen
keine Nachrichten auffinden lassen. Vielleicht waren diese Messen
für die Juden, wenigstens für die ausländischen, nur von geringer
Bedeutung, oder die Beschaffenheit der Verkehrswege zur Winters-
zeit machte ihnen den Besuch dieser Messen unmöglich.
Das auffallende Anwachsen der Meßjuden in den Jahren 1 696,
t697 und 1698 ist wahrscheinlich einerseits auf den sich immer
mehr steigernden Umsatz in französischen Waren, die von jeder-
mann g!em gekauft wurden, Und andererseits auf die Einwanderung
französischer Hugenotten zurückzuführen. Die letzteren tntgien
ganz besonders zur Blüte des Leipzigs Handels und der Leipzigier
Indushrie bei, namentlich auf dem Gebiete der Qold- und Silber-
spinnerei, der Posamentiererei und der Handschuhhbriication.
Der EfarfluB der Juden auf die Leipziger Messen in früherer Zeit. I. 22 5
Sehr auffallend in bezug auf den Meßverkehr der Juden in
der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts erscheint im Vergleich
zur zweiten Hälfte des 1 7. Jahrhunderts die hohe Zahl der Weiber,
Diener, Makler und iMusikanten. Wahrscheinlich entsprachen
deren An^ben nicht immer der Wahrheit, sondern es schmuggelten
sich viele i landelsjuden in der angeblichen Eigenschaft von Be-
dienten etc. mit ein. Besonders genug waren die Michaelis-
messen 1706 und 1713 besucht Der geringe Besuch der
Michaelis messe 1706 dürfte darauf zurückzuführen sein, daß
August der Starke im September dieses Jahres das Land dem
Feinde (den Schweden) preisgab und infolgedessen die Kaufleute
für die Sicherheit ihrer Waren keine (jarantie hatten, wäfirend
der noch dürftigere Besuch der Michaelismesse 1713 durch die
damals in der Stadt grassierende Pest seine Erklärung findet.
Bezüglich des Fernbleibens der Juden auf den Neujahrsmessen
innerhalb dieses Zeitraumes scheinen noch dieselben OrQnde ob-
zuwalten wie im vorherigelienden Jahrhundert
Im allgemeinen zeigten die Juden im neuen Jahrhundert
einen regen Anteil an den Meßgeschäften. Im ersten Jahrzehnt
des 18. Jahrhunderts wuchs ihre Zahl um 2,40 Prozent, im zweiten
Jahrzehnt jedoch fiel sie um 9,95 Prozent In den Jahren 1721
bis 1 730 nahm sie wieder bedeutend zu, namlidi um 16,91 Prozent
Im vierten Jahrzehnt, 1731 bis 1740, verminderte sie sich um
2,78 Prozent; und in den Jahren 1741 bis 1748 fiel sie noch
betidchtlicher, nämlich um 18,99 Prozent Sie stand sonach in der
Mitte des 18. Jahrhunderls um 12,41 Prozent tiefer als zu
Ende des 1 7. Jahrhunderts. - Oberblicken wir die gesamte Ent-
wicklung der Frequenz der MeBjuden wahrend der Jahre 1675
bis 1748, so zeigt sich, daß in der Zeit von 1675 bis 1710 die
Zahl der MeBjuden stetig wuchs. Ihr Wachstum behiig nicht
weniger als 90,50 Prozent In den vier folgenden Jahrzehnten
dagegen war sie bedeutenden Schwankungen unterworfen. Am
geringsten waren die Messen in den Jahren 1675 bis 1680 be-
sucht, am stärksten in der Zeit von 1721 bis 1730. Im Durch-
schnitt kamen zu den Oster- und Michaelismessen der Jahre
1675 bis 1748 nicht weniger als 750 jüdische Händler. Die
Frequenz der Meßjuden war demnach gegenüber der 21ahl der
224
Rjcfaud Markgraf.
jOdischen MeBfienuiten im Jahre 1675 durcfaschaitttidi uro 111,36
Prozent, also um mehr ab das DoppeHe gewachsen.
Der Aufschwung des jüdischen Mefivettehrs im ersten
Jahrzehnt des 18. Jahrhunderts hatte seinen Omnd darin, daß in
Leipzig die Geld- und VerkdirsverhIltaisBe bessere waren ab in
der Meßstadt f nuilcfurt a. d. Oder. Selbst der Noidiscfae Krieg
- 1 700 bis 1721 - wirkte seltsamerweise fördernd auf den MeÖ-
verkehr ein, da einesteiis der Schvvedenkönig Karl XII. den
Kaufleuten Schutz zusagte und andemteils die Stadt Leipzig zu
der Ver|)flcgung und der neuen Ausrüstung der sctiwedischen
Armee bedeutend beitrug.
Der auffallende Ruckgang des Meßverkehrs der Juden vom
Jahre 171t an lag darin begründet, daß infolge Verdachts der
Kontagion die Fuhren ans Schlesien gehemmt und selten über
die Grenze gelassen wurden, sowie daß in Frankfurt und Fkeslau
die Polen, sowohl Juden als Christen, avantajeiert und jene diesen
gleich gestellt wurden, tndlich behandelte man in Sachsen und
selbst in Leipzig die jüdischen MeBfieranten aus Polen wie ■Bettel-
juden" und belegte sie mit hohem Zoll.
Das Steigen des jüdischen Meßverkehrs im dritten Jahrzehnt
und das Stagnieren desselben in dem folgenden Jahrzehnt liatte
seinen Grund in der durch den französischen Hof hervorgerufenen
und begünstigten Nachfrage nach Luxusgegenständen, während
die bedeutende Abnahme in dem fünften Jahrzehnt ihre Erklärung
in der harten Kriegsführung Friedrichs des Großen findet, der
wShrend des ersten und zweiten Schlesiachen Krieges alle Waren
mit Beschlag belegte.
Ober die jüdischen Handelsleute auf den Messen der Jahre
1749 bis 1755 fehlt leider jede Nachricht Auch während der
letzten Kad Jahre des Siebenjihrigen Kriege (1758-1763) und
in dem Jahre nadi dem Friedensschlüsse (1764) zeigt sich aber-
mals eine unausfOUbare Lücke. Nur Ober die MeSjuden innerhalb
der ersten beiden Kriegsjahre findet sich Material vor, und zwar
geben die Tabellen von jetzt ab auBer der Frequenz das Domizil
<ier jüdischen MeBbesuchcr mit an. Auch ist die Zahl der MeB-
juden mit der der dirisülchen Kaufleute in FuvUde gestellt
Auf der Ostermesse 1756 betrug die Zahl der MeBjuden 484»
Der Einfluß der Juden auf die Le^gcrMoBOi in frfiherarZeit I. 225
also ungefiUir den fQnften Teil von der Zahl der christlichen
Meßfieranlen und 16,24 Prozent vom gesamten Mefiverkehr. tm
Veigleidi zu der Frequenz der jfidiscfaen lOuifleute auf der Oster-
mesae 1 748 war das jfidische Element um 9,26 Prozent gewachsen.
Im Jahre 1757 jedoch verminderte sich der Veriiehr der MeBjuden
um 227 oder 46,9 Prozent, wflhrend die Zahl der christlichen
Kaufleute von 2496 auf 1690 fiel, also um nur 32,3 Prozent
zurückging; die Frequenz der jüdischen Händler nahm demnach
um 14,6 Prozent mehr ab als die der christlichen Mefifleiinten,
ein Beweis, daß die Juden in unsicheren Zeiten mehr Vorsicht
an den Tag legten als die christlichen Kaufleute. Wahrscheinlich
ging infolge der harten KriegsfOhrung Preußens der Meßverkehr
von Kriegsjahr zu Kriegsjahr noch weiter zurück.
Nach dem Siebenjährigen Kriege, im Jahre 1765, betrug auf
der Michaeiismesse die Zahl der Alelijudcn 276 oder 4,53 Prozent
von der der christlichen Kaufleute und 4,34 Prozent vom ge-
samten Meßvirkchr. Auf der Ostermesse 1 766 zeigt das jüdische
Element der Frequenz im Jahre 1 756 c^egenüber eine Zunahme
von 10,12 Prozent. Das Zahlenverhaltnis der jüdischen und der
christlichen Meßfieranten war im Jahre 1766 eins zu zelm. In
den Jahren 1 767 bis 1 769 fiel die Frequenz der Meßjuden um 147
oder 12,87 Prozent, die 2^hl der christlichen Kaufleute jedoch
um 2173 oder 19,79 Prozent, also um 6,92 Prozent mehr als
die der Juden. Der gesamte Meßverkehr nahm um 19,14 Prozent
ab. Zu diesem auffallenden Rück gange des Meßverkehrs trugen
vor allem die österreichischen und brandenburgischen
Einfuhrverbote (1768) bei sowie die Abgaben an die Leip>
ziger Leihekasse. Zur Abzahlung der Kriegsschulden war
nämlich dem Leipziger Rate die Erhebung gewisser Abgaben
gestattet worden. Diese Steuern wurden neben den bisherigen
Abgabe 3" Geleite, an die Wage und Landalczise er-
holxn und bestanden darin, daß man auf die ein* und aus-
gebenden Waren im Werte von zwei Talern pro Zentner
2 Prozent und auf Waren im Werte von vier Talern und mehr
1 Prozent erhob. Auch führte die Erhebung der Abgat>en an
die Leihekasse zu Plackereien, weshalb gldchfalls viele Meßfiennten
dem Leipziger Handel fem blieben. Vornehmlich vermißte man
Aidrfv «r Knltnisnclitdite. V. IS
226
Richird Markgraf*
die Kaufleute, welche mit fremdländischen, ins Gewicht fallenden
Waren, wie z. B. mit russischen Juchten und Talg, mit Zeug und
Leinwand, handelten. Dieselben brachten während dieser Zeit
ihre Handelsgegenslftnde auf auswärtigen Lagern, t)esonders in
Läneburg, Magdeburg und Bremen, zum Verkauf.
In den Jahren 1770 bis 1779 waren die Messen durch-
schnitttlch von 1652 Juden und 8597 Christen besucht Die Zahl
der jfldiscfaen Mefifieranten bebiig demnadi 19,21 Prozent von
der der christlichen Kaufleute; sie stieg innerhalb zehn Jahren um
60,08 Prozent, während die Zahl der chrisIHdien M^fieranten
um 7,99 Prozent und infolgedessen der Oesamtvericehr um
1,21 Prozent zurückging. Das Anwachsen des jüdischen Elements
hatte seine Ursache vor allem in den hohen Zöllen des preuftischen
Meßakziselarifs vom 5. Mai 1772, demzufolge sich insbesondere
die jüdischen Handelsleute aus Böhmen und Polen den Leipziger
Messen wieder zuwandten. Sdlsamerweise wirkte auch der
Russisdi-TÜrldsdie Krieg (i 768 bis 1774) nicht hindernd auf den
Meßverkehr ein. Femer ließ man den auslandischen Juden auf
ihrer Reise in Sachsen eine gute Behandlung angedeihen, was
viele ermunterte, sich ihre Waren persönlich in Leipzig zu holen.
In Frankfurt a. O. dagegen waren während dieses Jahrzehnts die
Messen äußerst schlecht besucht, da die Regie Friedrichs des
Großen, um die inländische Industnc zu heben, mit äußerster
Schärfe bei Einfiüjr auslaiidischer Waren ^ehaiidhabt wurde.
Ganz ini Gegensatz zu der hohen Frequenz der jüdischen
Mändler während der siebziger Jahre steht die des nächsten Jahr-
zehnts von 1780 bis 1 789. In dieser Zeit verminderte sich das
jüdische Element um nicht weniger als 5 79 Meßficranten oder
35,05 Prozent, die Zahl der christlichen Kaufleute dagegen ver-
mehrte sich um ein geringes, nämlich um 41 Meßfieranten oder
0,48 Prozent, der gesamte Meßverkehr nahm abermals und zwar
um 5,25 Prozent ab. Die Ursache der Verminderung der
Zahl der jüdischen Meßfieranten lag darin, daß zu Anfang der
achtziger Jahre die jaden aus dem Norden, wie z. B. aus Berlin,
Hamburg und Brandenburg, dem Handelsplatze Leipzig aus nicht
zu ermittelnden Ursachen fem blieben. Sodann trugen zu dem
Rückgange des jüdischen Meßverkehrs auch die Juden aus den
Der Bnflttdderjuden auf «He Leipziger Messen in firflherer Zeit I. 227
fäntlidi sädistsdieii Landen nnd aus Kunsadisen bd| indem sich
diese wegen der in Leipzig außer Kurs gesetzten Karld'or, Max-
d'or und Laubtaler nach Frankfurt a. M. wandten. Femer tat
Frankfurt a. M. der Meßstadt Leipzig bedeutenden Abbruch,
indem die Meßfieranten zu Frankfurt a. M. auf jedes Kollo
fremden Meßgutes beim Eingänge nur 4 5 Kreuzer Keichsgclcl zu
entrichten hatten. Endlich zeichnete sich Frankfurt a. M. auch
durch größere Handelsfreiheit und billigere Lebensweise vor
Leipzig aus. Nur die polnischen Juden kamen im Durchschnitt
in derselben Stärke wie bisher, sie hatten an dem oben erwähnten
Minus keinen Anteil. Wenn auch zu Anfang: der achtziger Jahre
infoige Geldmangels und einer neuen Kleiderordnung in Polen
sowie infolge verschärfter Zollrevision an der polnischen Grenze
viele Juden Leipzig nicht besuchten, so nahm doch ihre Zahl
Ende der achtziger Jahre wieder bedeutend zu. Ja, sie erreichte
sogar 1789 eine nie dagewesene Höhe.
Das nächste Jahrzehnt, 1790 bis 1 799, brachte ein aber-
maliges Sinken der Meßfrequenz um 4,65 Prozent. Die Ursache
hierzu lag diesmal in der schwachen Beteiligung der christlichen
Kauflcutc, deren Zahl sich um 852 oder 9,86 Prozent verminderte.
Die Frequenz der Meßjuden dagegen erstarkte auffallend, nämlich
um 400 Personen oder 37,32 Prozent. Nächst den polnischen
Juden kamen insbesondere zahlreiche Juden aus Preußisch-
Scblesien, aus Berlin, Hamburg, Österreichisch-Schlesien, Rußland
und Kursachsen. Die wesentlichsten Orflnde fflr das Anwadisen
der Meßjuden waren folgende« Fürs erste erleiditerte der zwischen
Rußhnd und Schweden geschlossene Friede - 1 792 - die Ein-
fuhr von Rohstoffen aus Rußbind, fürs zweite wirkte das zwischen
Österreich und der Türkei andauernde Einvernehmen gOnstig auf
den Leipziger Meßverkehr ein, indem es den im Südosten
wohnenden Juden gestattete, ungehindert die Leipziger Messen zu
besuchen. Im weiteren trieben auch die mannigfaltigen Ein-
schränkungen, welche die preußische Regierung dem Handel
In Danzig mehrere Jahre hindurch auferlegte, viele Polen
und Russen nach Leipzig. Selbst die polnischen Unruhen und
die Teilungen Polens (1793 und 1795) sowie die Einfahrung
des russischen Zollsystems und Wareneinfuhrverbotes in dem
15»
228
Richvd Marlqjnf .
Riißhuid einverleibten Teile Polens schwteliten die Frequenz der
polnisdien Juden nicht merkUdi. Nur die ruasisciien Juden
blieben wSbrend dieser Zeit den Messen fem. Belebend auf den
MeBverkehr wirkte vor allem aucb die hohe BlQie der sächsischen
Exportindustrie; insbesondere lockte diese viele jüdische Hindier
aus dem Norden an. Endlich war auch der Seekrieg zwischen
Holbnd und England - 1793 - für den Leipziger MefNiandel
mittelbar von Nutzen, insofern während desselben Hamburig sich
des holländischen Handels bemächtigte und mit Leipzig in leb-
hafte Verbindung trat
Eine weitere und zugleich äußeist auffallende Zunahme des
jüdischen Elements auf den Messen brachte das erbte Jahrzehnt
im 19. Jahrhundert. Wahrend die Beteiligung der christlichen
Kaufleute an den Messen durchschnittlich fast die gleiche blieb
wie in den Jahren 1 780 bis 1799 - sie wuchs nur um 2,66 Pro-
zent stieg die Zahl der iMeßjuden um 1897 oder 128,7 7 Prozent;
sie betrug infolgedessen 3. HO Fieranten oder 42,14 Prozent, also
fast die Hälfte von der Frequenz der christlichen Kaufleute (7 993)
und war somit der Hauptfaktor für das Anwachsen des gesamten
Meßverkehrs um 22,72 Pro7ent. Wesentlich war die Zunahme
des jüdischen Elements aus Polen, Rußland, Schlesien und Berlin.
Der Orund hierzu lag einerseits in dem Verbote der preußischen
Regierung (1800), in Frankfurt a. O. fremde halbseidene und
baumwollene Waren etc einzuführen, und andererseits in der Auf-
hebung des russischen Einfuhrverbotes. Auch wirkte der lebhafte
Verkehr auf den Berditschewer Messen, auf welchen die polnischen
Juden die in Leipzig gekauften Waren zu vertreiben pflegten,
vorteilhaft auf den Leipdg^r MeBverkehr dn. Selbst in den
Kriegsjahren 1806 und 1807 wurden die Messen von den poU
nischen und russischen Juden durdisdinitUich gut besucht, da
dieselben von den Kri^g^reignissen wenig oder zu spit unfter*
richtet waren. Auffallend gering war nur die Ostermesse 1807
von den Juden frequentiert Doch hatte dies seinen Orund we^
niger in dem FranzOsisch-PreuBiscfaen Kriege als vielmehr in dem
starken Besuche der Naumbuigier Messe, Nicht nur aus Rußland
und Polen, sondern auch aus Sfldpreußen und Schiesten ftnden
sich in Naumburg mehr Klufer ab hi Leipzig ein. Noch mehr
. kiui^ .-. l y Google
Der Einfluß der Juden auf die Leipziger Messen in früherer Zeit I. 229
als die Naumbur^er Messe schädicrte die Kontinentalsperre den
Leipziger MeBhandel. Vor allem hält sie in den Jahren 1807
und 1808 einen Teil der Hamburger Juden von den Messen fern.
In der Zeit von 1810 bis 1819 vermehrte sich die Zahl
der Meßjuderi um nicht weniger als 1 526 oder 45,28 Prozent.
Auch die Frequenz der christlichen Kaufleute erstarkte bedeutend.
Sie stiep[ um 63 7 3 oder 79,23 Prozent. Die rege Teilnahme
sowohl der Juden wie der Christen an den Messen erhöhte den
Gesamtverkehr um 69,51 Prozent Besonders zahlreich erschienen
die Meßjuden aus Polen, österreichisch^Scfalesien und Preußisch-
Schlesien, Westfalen, Provinz Sadisett, Berlin und Hamburg.
Sdbst die Ostermesse I812 war von den Juden aus dem Osten
zahlreich besucht, nachdem sich dieselben über die Verschonung
Leipzigs mit Durchmärschen und Einquartierungen vergewissert
hatten. Die Messen von 1813 und insbesondere die Michaelis-
messe dieses Jahres waren infolge des nahen Kriegsschauplatzes
von Juden und Christen ftuBerst schwach besucht IMit Eintritt
des Friedens und der Neuordnung der staatlichen VeihUtnisse,
der vcitaderlen Stellung Preußens und Polens zu Sachsen kamen
fQr die Leipziger Messen wieder bessere Zeiten. Namenfllch er-
schienen von jetzt an die Juden aus Deutschland zahlreich. Aus
Rußland kamen auffallend wenig jüdische MeBfieranten, da der
russische Wechselkurs niedrig stand, Rußhind sich der Einfuhr
fremder Waren verschloß und durch eine verschlrfle Grenzkontrolle
der Schmuggelhandel der Juden bedeutend erschwert wurde.
In den Jahren 1820 bis 1829 ging die Beteiligung der
Juden an den Messen bedeutend zurück; sie verminderte sidi um
1149 nenmten oder 23,47 Prozent Die der Christen dagegen
wudis abermals betrichtlichf nlmlich um 5942 Personen oder
41,50 Prozent, so daß die Zahl der Juden nur 18,45 Prozent von
der der Christen ausmachte. Der Oesamtverkehr auf den Messen
stieg um 24,88 Prozent. Die Ursache der Verminderung des Meß-
verkehrs seitens der Juden \i\<r in dfi-n Zollplackcrcjcn, denen die
jüdischen Meßfieranten aus Kuliiand, Polen und Österreich an
den Grenzen dieser Länder ausgesetzt waren. Auf der andern
Seite trug auch der Fortschritt der in- und ausländischen Industrie
nicht wenig zur Abnahme des jüdischen Elements auf den Leipziger
i^iyiii^Lü by google
230
Richard Markgraf.
Messen bei. Nur der Handelsverkehr mit Polen und Rußland
wfirde infolge der geringen Oewerbtätigkeit dieser Länder noch
g^ume Zeit gedauert haben, wenn Rußland den Vertcehr nicht
durch ein hartes Prohibitivsystem giewallsam gehemmt hätte.
Im nächsten Jahrzehnt - 1830 bis 1S39 - steigerte sich
der MeBverIcehr wieder und zwar um 25,50 Prozent Vor
allem wuchs das j&dische Element wieder in hohem Maße; es
stieg um 2697 Pereonen oder 71,97 Prozent, während das christ-
liche Clement um 3437 Mefifieranten oder 16,93 Prozent zunahm.
Die Zahl der jadischen Handelsleute - 6444 - betrug infolge-
dessen 27,14 Prozent von der der christlichen Kaufleufe- 23 745 -
und 21,35 Prozent vom gesamten Mefiverkehr - 30 189 Der
Zuwachs des jüdischen Elements verteilte sich besonders auf die
Juden aus Polen, Posen, Qalizien, aus der Tfirkei, aus Berlin,
Hamtmiig und auf die Juden aus den deutschen Ländern, Ost-
und Westpreußen, Provinz Sachsen, Preußisch-Schlesien, Braun-
schweig, hfessen, Thüringen und Bayern. Günstig auf den Meß-
verkehr der Juden wirkte zunächst der zwischen Rußland und der
Türkei wiederhergestellte Friede (1830). Hauptsächlich aber
brachie der tinliili Sachsens in den Zollverein (1834) ein neues
frisches Leben in die Leipziger Messen. Leipzigs domi-
nierende Stellung als Melistadt trat immer mehr hervor.
Juden, welche sonst die Messen in Frankfurt a. O. und Frank-
furt a. M. besucht hatten, schlössen jetzt ihre Geschäfte in Leipzig
ab. Nur die Juden aus Rußland blieben wie in den beiden
vorhergehenden Jahrzehnten - den Leipziger Messen fern, da
Rußland sich immer mehr durch Prohibitivzölle vom Welt-
handel abschloß.
Überblicken wir die Entwicklung der Meßfrequenz der
Juden innerhalb der Jahre 1 766 bis 1839, so zeigt sich, daß die
Messen durchschnittiich von 3185 jüdischen und 13 005 christ-
lichen Meßfieranten besucht waren Die Zahl der Juden betrug
demnach 24,49 Prozent, also beinahe den vierten Teil von der
der christlichen Kaufleute. Am niedrigsten stand die Frequenz
der Meßjuden in den Jahren 1 767 bis 1769 und am höchsten
in derzeit von 1830 bis 1839. Sie wuchs während des ganzen
Zeitraumes - 1766 bis 1839 - um 2033 Personen oder
Der Einfluß der Juden auf die Leipziger Messen In früherer Zdt I. 231
1 78,02 Promit; die Frequenz des chiistlkfaen Elemenls dagegen
nahm daidischnittlich nur um 18,53 Prozent zu. Stellt man die
Frequenz der Juden im letzten Jahrzehnt — 1830 bis 1839 - in
Parallele zu der Zahl der jOdlschen Meßfienmten im Jahre 1766,
80 ergibt sich fOr die Frequenz sogar ein Plus von 464,27 Pro-
zent, wShrend das christliche Element in dieser Zeit nur eine
Zunahme von 116,11 Prozent aufweist
Nicht minder lehrrddi wie die Entwicklung der Frequenz
der jadischen MeBfieranten und deren Verhältnis zu der Zahl der
christlichen Kaufleute ist die Statistik aber die Heimat der Meß-
juden. Nächst den nMlichen und östlichen Provinzen Deutsch-
bmds sandte während der Jahre 1756 bis 1839 fast immer Polen
die meisten jadischen MeBfieranten.
Zu Anfang des Siebenjährigen Krieges waren die Messen
fast ausschließlich von jüdischen Händlern aus Deutschland be-
sucht, nämlich von Juden aus den preiiliischen Proi,!n/eii und
aus Kursachsen. Ausländische Juden kamen v or allem aus Böhmen
und Holland; außerUcni schickten Ungarn uiui die usterreichischen
Erblande jüdische MeBfieranten. Nach dem Siebenjährigen Kriege
stellten sich auch Juden aus Frankreich, England und der Türkei
in Leipzig em. Aus dem Süden Deutschlands schickten um diese
Zeit die Städte Nürnberg und Fürth judische Fieranten zur Messe.
Von den deutschen Städten im Westen, Norden und Osten waren
besonders Frankfurt a, M., Berlin, Magdeburg, Hamburg und
Danzig durch jüdische Händler vertreten, (n den Jahren 1 770 bis
1779 fanden sich Juden aus Rußland und Dänemark ein. Im
folgenden Jahrzehnt kamen zum ersten Male schweizerische Juden
zur Leipziger Messe.
Mit Beginn des 1 9. Jahrhunderts erschienen auf den Messen
auch Juden aus der Walachei, aus Macedonien und Griechenland.
Aus Mitteldeutschland schickten Reuß und Gera zum ersten Mate
jüdische Meßfieranten. In dem zweiten Jahrzehnt des 19. Jahr-
hunderts schlössen sich der großen 2^hl der norddeutschen
Städte, aus welchen jüdische Fieranten zur Leipziger Messe kamen,
Lfibeck und Bremen an. Mit dem Jahre 1 820 sandten auch viele
Linder und Stfldie im Westen und Süden Deutschlands Meßjuden
nach Leipzig. Während aus diesem Teile Deutschlands bisher
2J2
Richild Mariqpif.
Diir Frankfurt a. M. und die bayerischen Sfidte Nfimbeis und
Fflrih durch jfidische Meßfieranten in Leipzig vertreten waren,
Icamen jetzt auch jüdische HSndler aus anderen Städten Bayerns,
ferner aus Hessen, aus der Rheinprovinz, aus Baden und Wfirttem-
barg. Die Zahl der auBerdeutsdien Lflnder vergrößerte sich durch
den Anschluß von.Qalizien. Auf der Neu jahrsmesse 1821 erschien
sogv ein jüdischer Meßfienmt aus Amerika. In dem vierten
Dezennium des 19. Jahrhunderts - 1830 bis 1839 - erweiterte
sich das Handelsgebiet Leipzigs abermals» insofern in Deutsdiiand
die Stadt Augsburg und von den außerdeutscfaen Undem Schweden
und Norwegen jüdische Meßfieranten nach Leipzig schickten.
DciiUichei als die Verkehrsstatistik spricht für den großen
Anteil der Juden an dem Meßhandel die Höhe der Ein- und
Verkäufe, die sie in Leipzig bewirkten. Wohl sind die vor-
handenen Nachrichten über tlie von den jüdischen Meßlieranten
eingekauften und \ erkauften Waren außerordentlich dürftig; denn
die Akten des Leipziger Ratsarchivs enüialten bis zum Jahre 1839
diesbezügliche Angaben nur über die Zeit von 1 7 72 bis 1 775.
Nichtsdestoweniger ist dieses Material in Verbindung mit einer
Tabelle über die Wage!j,e]der, welche die Jnden für die während
der Jahre 1781 bis 1820 eingekauften und verkauften Waren ent-
richtet haben, reich ^enng, um einen Überblick über den Anteil
der Handelsjuden an den Leipziger Messen zu gewinnen.
Was zunächst den Einkauf betrifft, so zeigt sich ein großer
Unterschied zwischen den Einkäufen der ausländischen, also
der nichtsächsischen Juden und den Einkäufen der inländischen
Juden. Während die inländischen Juden ihre Einkäufe auf wenige
Warenarten ausdehnten, nämlich nur auf Schnittwaren, Leinwand,
Kraniwaren, seidene und baumwollene Waren, Barchent, Tabak,
Kurzwaren, Bänder und Materialwaren^ erstreckten sich die Einkäufe
der ausländischen Juden auf vierzig bis sechzig Warengattnngen.
So kauften die ausländischen Juden auf der Michaelismcsse 1772
wollene^ leinene und baumwollene Waren, femer Schnitt-, Kram-
und Rauchwaren, sodann Kanevas» Kathm, Fischbein, Schnüre,
Game, fertige KQrschnerwaren, Sammet, Seidenwaren, Blonden,
Sttthlrohre^ Knöpf^ Kurzwaren, Zeuge, Qabmteriewaren, Sohlen-,
rSnd' und Kaltileder, Juchten, Hanf, Nflnibetger Waren, Hand-
Der Einfluß derjud«! auf die Leipziger MewnüifirfihererZdt L 233
sdiuhcv Rhabarber, Siärkei PoneUan und Bandwaren. Auf den
Messen der ii2di$ten 3 Jahre traten als neue Kaufobjelde hinzu:
Spiegel, St6cke^ alte Kleider, Dosen, Korallen, Kappen, KameloUs,
Gewehre^ Schweizer Waren, Zwirn, Oörlitzer Tuche, Uhren, be-
druckte Fbnelle, Tabak, lOücao, Kanten, Binder und Material-
waren. Nach der Durchschnittsberechnung Ober die auf
den Messen von 1773 bis 1775 von den auswärtigen Juden
bewirkten Einkaufe ergibt sich, dafi dte jadischen Ftenmten jähr-
lich ffir 499975,33 Taler Waren eingekauft haben. Ober die
drei Messen des Jahres 1 7 72 läßt sich keine Durchschnitlsberechnung
aufweiten, da die Nachrichten Ober die Neujahrsmesse und die
Ostennesse fehlen; doch ist anzunehmen, daß die genannten
Messen den folgenden der siebziger Jahre nicht wesentlich nach-
standen, da der Gesamtwert des Einkaufs cHif der Micliaelismesse
1772 fast dieselbe Höhe erreichte wie auf der Ostermesse 1773.
Insgesamt kauften die Juckn auf der Michaelismesse 1 772 für
144 519 Taler Waren ein, währriui die Einkäufe auf der nächsten
Ostemiesse 174 575 Taler betrugen. Für die obige Annahme
betreffs der Einkäufe der Juden auf der Neujahrs- und Oster-
messe 1 772 spricht auch der Umstand, daß die Frequenz der
jüdischen Fieranten auf diesen Messen stärker war als im
Jahre 177.''l. Am umfangreichsten war auf allen Messen der
Einkauf von wollenen Waren; dann folgte in bezug auf
Quantität der Einkauf von Schnitt-, Kram- und Baum woll waren,
darnach der von Leinwand, von Seiden- und Nürnberger Waren,
endlich der Einkauf von fertigen Kürschnerwaren, Rauchwaren
und Tuchen. Von dem Durchschnittswerte kommen auf diese
angeführten 10 Warengattungen 429 711,66 Taler oder S5,95 Pro-
zent; so daß für die anderen eingekauften Meßarttkelnur 14,05 Pro-
zent fibrig bleiben, die sich wesentlich auf Kurzwaren, Galanterie-
waren, Kanevas» Kattain, Kafl^ Zucker und Indigo verteilen.
Nach dem Werte fallen von den 499 975,33 Talern
auf wollene Waren 28,32 Prozent
» Schnittwaren 18,62 »
V Kram waren 9,41 •
» baumwollene Waren 9,17 •
» Leinwand 7,31 •
234
Richard Markgni
auf Sddenband und seidene Wattn . 4,75 Prozent
V Nfiraberger Waren 2,65 »
» fertige Kürschnerwaren .... 2,24 >
V Rauchwaren 1,75 •
und • verschiedene Tuche 1,73 >
Nach der Durchschnitlsberecfanung Aber die von den aus-
lindischen Juden eingelcauften Waren auf den Neujahrsmessen
1773 bis 1775 und den drei Oster* und Michaelismessen des
genannten Zeitraumes eigibt sich ferner, daß die Einkäufe auf
den Neujahrsmessen die Höhe von 77 785 Talern, die EsnkSufe
auf den Ostermessen dagegen die Höhe von 212216 Talern und
die Einkaufe auf den Mtchaelismessen die Höhe von 210 307 Talern
erreichten. Somit wurden auf den Ostermcssen die bedeutendsten,
auf den Neujahrsmessen dagegen die geringsten Einkäufe bewirkt,
während die Michaelismessen den Ostermessen fast gleichkamen;
sie standen den Ostermessen nur um 0,9 Prozent nach.
Einen nicht ganz unwesentlichen Anteil an den umfang-
reichen Einkuuirn ilrr ausiaiidischen Juden mag dit: niedrige
Meßakzise, die Abgabe auf der Stadlwage für das Verwiegen der
gekauften Meßgüter, gehabt haben; dieselbe betrug ein halbes
Prozent vom Werte der Waren, das ist dem Durchschnut nach
pro Jahr nur 7499 Taler.
Daß die Einkaufe der inländischen Juden, d. i. der im
Kurfürstentum Sachsen v/ohnenden, die für das Ver\\-iegen der
Meßgüter ebenfalls bloß em halbes Prozent vom Werte als Ab-
^be entrichteten, 26,6 mal weniger betrugen als die Finkäufe
der ausländischen Juden, ist ohne Zweifel auf ihre i^enn^a'' Zahl
zurückzuführen; denn die Menge der hmkaute mehrt oder mmdert
sich in annähernder Weise wie die Zahl der Meßfieranten. Der
Wert der Einkäufe der inländischen Juden innerhalb des in Frage
stehenden Zeitat>schnittes betrug im ganzen 40 975 Taler, d. i.
durchschnittlich pro Jahr 13 658,33 Taler. Wie die Quantität
der Einkäufe, so war auch die Zahl der eingekauften Waren-
arten sehr gering. Die größten Einkäufe machten die in-
ländischen Juden in Schnitt« und Wollwaren, ihre Höhe betrug nach
der Durchschnitlsberechnung 64,55 Prozent, so daß auf die
andern Gegenstände, auf die Kram- und Seidenwaren, auf Kuiz-
Der Einfluß der Jvden auf die I^pzigerMcswii in froherer Zeit I. 235
und Batimwollwarett, auf Bardieiiit Binder, Tabak und Material-
waren nur 35,45 Prozent entfielen. Nach dem Werte Icamen im
Durchschnitt von den 13658,33 Talern pro Jahr
auf Schnittwaren 35,20 Prozent
I» wollene Waren 29,35 »
,f Kramwaren 13,27 •
» Stideiiwaren 13,14 »
m Kurzwaren 2,69 »
II Materialwaren 1,47 »
„ Baumvvollwaren 1,22 »
n Barchent 1,22 »
« Bänder 1,22 »
und » Tabak gleichfalls 1,22 «,
Vergleicht man die Einkäufe der Juden mit ihren Ver-
käufen, so zeigt sich eine .^j^an? bedeutende Differenz. Während
der jährliche Durchschnitt der tinkäiife sich auf 513 633,66 Taler
belief, bezifferte sich der Verkauf durchschnittlich nur auf
109 376,16 Taler, er blieb also um 78,70 Prozent hinter den
Einkäufen zurüdc. Diese geringen Verkäufe hatten ihre Ursache
in der höheren MeBakzise, die t Prozent des Wertes der ein-
geführten Meßgüter betrug, und zum andern in den nicht un-
bedeutenden Schutzzöllen, die bei der Einfuhr fremder Stoffe zu
entrichten waren. Trotz dieser drückenden und beschwerlichen
Abgaben bei der Einfuhr fremder Stoffe steigerte sich die Menge
der verkauften MeBgfiter. Dies hfttte aber nicht der Fall sein
können, wenn nicht die Nachfrage eine größere gieworden wflre.
Den höchsten Umsatz erzielten die Handelnden in Kattun, in
Rliuchwaren und in Geweben von Seide und Halbseide, sodann
in dem Verkaufe von Leinwand, Bomasin, Rohr, Indigo, Zucker
und Kaffee, Baumwollwaren und Oam. Nach der Durchadinitts-
berechnung betrug der Verkauf dieser zehn Warenarten auf den
Messen 1774 und 1775 jährlich 103248,5 Taler oder 86,1 1 Pro-
zent, 80 daß fflr die anderen VerkaufsarÜkd, d. i. fQr Galanterie-
waren, Spitzen, Zeuge, Kleider, Tuche, Sammete, Kanten, BAnder,
Zwirne, Hflte, Tressen, Korallen, Perlen, Pretiosen, Tee, Kakao,
Reis» Baumöl, Berliner BUiu, Lade, Pedi, Pottasche, Leder, Fisdi-
bein, Bast, Federn, Stöcke, Tapeten, Rhabarber und Tabak nur
236
Richard Markgraf.
1 3,89 Prozent übrig bleiben. Die Verkäufe auf den sechs Messen
der beiden Jahre 1772 und 1773 entziehen sich einer Durch-
schnittsberechnung; da für das erstere Jahr das Material über die
Michaelisniesse mangelL Nichtsdestoweniger ist aus den lücken-
haften Angaben ersichtlich^ daß der Anfong eines sich steigernden
Absatzes in den Jahren 1772 und 1773 liegt, denn 1772 wurden
in der Michaelisniesse fQr 28397 Taler Waren verkauft und auf
der Neujahrs- und Ostermesse 1773 für 61 765 Taler. In den
nächsten fünf Jahren, 1776 bis 1780, wurden die Einkäufe der
mit Fretpässen versehenen Juden - die drei Messen jedes Jahres
zusammengenommen - bd den Juden aus Polen mit ungefiUir
300000 Talern pro Jahr, bei den jüdischen Händlern aus dem
Königreiche Preußen mit über 100000 Talern, bei den Juden
aus Österreich mit etwa 80000 Talern, zusammen mit etwa
500000 Talern, und bei den Juden ohne Freipässe zusammen
mit 200000 Talern berechneL Wahisdieinlidi sind sie aber be-
deutend höher gewesen, da man bei der Wageexpedition, zur
Schonung des polnischen Handels, die Werte der ein- und aus-
gehenden Guter so zu buchen pflegte, daß die ang^ebenen
Werte bei den meisten Artikeln kaum den vierten Teil des
wahren Wertes erreichten. Auch widersprechen der niedrigen
Wertangabe in den Tabellen für die von den Juden eingeführten
Waren die .Meßberichte der Konimerziendeputation, nach denen
die in „nordischen Produkten" bestehenden Zahlungsmittel der
polnischen Juden sich allein auf mehrere hunderttausend Taler
belaufen haben.
überblickt man den Warenverkehr der Juden, so zeigt
sich, daß er in den siebziger Jahren bedeutciul zunahm. Während
in den Jahren 1 773 bis 1775 die Verkäufe der jüdischen Händler
durchschnittlich 109 376 Taler und ihre Finkäufe 513 633 Taler
betrugen, bezifferten sich in den Jahren i7 Si bis 1790 die Ver-
käufe der Juden im Durchschnitt auf 25 1 233 Taler und ihre
Einkäufe auf 107 02 t Taler. Auf den Neujahrsmessen verkauften
sie durchschnittlich für 28 650 Taler, auf den Ostermessen fQr
101 720 Taier und auf den Michaelismessen für 114863 Taler.
Ein wesentlicher Qrund fQr den betrachtlichen Aufschwung
der jüdischen MeBgeschifte lag hauptsächlich in der bereits er-
Der Einfluß derjuden auf die Leipziger Messen in früherer Zeit I. 237
wähnten Einrichtung der Meßjudenpässe (1772). Die größten
Einkäufe machten die Juden aus Polen, dann die aus Rußland,
Griechenland. Holland und Hamburg. Die Einkäufe der Polen
steigerten sich \on Jahr zu Jahr, während die Einkäufe der Russen
schwächer w urden und sich erst um 1 785 wieder iioben. Auf
der Neujahrs messe i78i sollen die polnischen Juden, die üssaer
und Brodyer, teils auf ihren eigenen, teils auf gemieteten Wagen,
an 4000 Zentner verladen haben, uo\on las meiste in wollenen
und baumwollenen Waren aus sächsischen .Manufakturen bestand.
Auch handelten die Polen wenig auf Kredit. Sie / ihiten meist
mit barem Oelde oder guten Assignalionen. Beträchtliche Finkäiife
machten die polnischen Juden besonders in den jähren 1 7 8 8 bis
1790, während der Handel mit den russischen Juden von 1785
an nicht nur an Ausdehnung, sondern auch an Solidität gewann
und selbst durch den Russisch -Türkischen Krieg nicht beein-
trächtigt werden konnte. Der Angesehenste unter ihnen, Nathan
Chaim aus Szklow bei Mohilew, war den Messen ferngeblieben,
da er das Feldlazarett der russischen Armee zu besorgen hatte.
Die russischen Juden benutzten damals als Zahlungsmittel auch
Landesprodukte^ besonders Talg und Pelzwerk. Ein russischer
Jude kaufte unter anderm in einer Messe 15 Millionen Iserlohner
NIhnadeln im Werte von 8000 Talern.
Mit dem Jahre 1784 begannen auch die griechischen
Juden, deren Handelsgebiet die ganze TQricd umfafite, bedeutende
Einkftufe zu machen. Von 1 787 an ging jedoch infolge des Russisch-
Türkischen Krieges ihre Handelsttitgkeit in Leipzig sehr zurück.
Die holländischen Juden zeigten zu Anfang der achtsiger
Jahre infolge des Engliscib-Honindischen Seekrieges vrenig Kauf-
lust, wozu auch die inneren Unruhen und der Umstand bettrugen,
daß die von den holländischen Juden bisher in Menge gekauften
baumwollenen Stoffe beträchtlich im Preise stiegen und schwer
wieder zu verkaufen waren, wie denn der PreisaufMfahig 30 bis
40 Prozent betrug.
Die Hamburger Juden, welche sich die flble Lage Hol-
lands zunutze machten, indem sie die bisher über Holland und
England gegangenen Geschäfte nach Hamburg zogen, kauften
insbesondere I uchc, Chemnitzer baumwollene Waren und andere
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218
Richaid Martsnf.
filr NorcUunenlai btiuchlMre Artikel, wie lOeider, Hemden, StieH
Sdnihe, Schoddeinwuid und Matroaenleiiiwuid.
Audi in dem nlcbsten Jahizehn^ 1791 bb 1800, gestalteten
sich die MeBgescfaäfle der joden im l>ttrcfa9cluütt gOnsttg. Zwar
verminderte sich der Verlcauf um 7959 Taler oder 3,20 Pnnent;
doch stieg der Einkauf um nidit weniger als 74 498 Taler oder
10,50 Prozent. Das bedeutendste Wachstum zeigten durch-
bchniitlicii die flinkaiiie auf den Osleinicssen. Crnem durch ver-
schiedene Umstände herbeigeführten Rückgange der Meßgeschäfte
folgte 1795 eine auffallende lebhafte Besserung, besonders im
Absatz von sächsischen Tuchen, Halbtuchen, Kaschmiren und
Musselinen. Die pohiischen Juden, welche sich 1794 zum Teil
insolvent erklärten, dabei aber teilweise es auf Über^wteilung ihrer
Leipziger Gläubiger abgesehen und Bevollmächtigte zum Ausgleich
nach Leipzig i^eschickt hatten, erschienen wieder und bezahlten
nicht nur ihre Schulden, sondern brachten auch bedeutende
Mittel zum Bareinkauf mit. Auch alle übrij^en jüdischen Meß-
fieranten zeigten große Kauflust, wie denn ein einziger türkischer
Jude für 100000 Taler Rauchwaren einkaufte. Die Ostermesse
und die Michaeüsmesse vom Jahre 1800 zeichneten sich durch
besonders starke Einkäufe aus (465 683 Taler und 563 979
Taler). Leipzigs dominierende Stellung als Meßstadt
für den Norden Europas zeigte sich damals deutlicher
als je zuvor.
Im ersten Jahrzehnt des 1 9. Jahrhunderts trat sie noch sicht>
barer zutage. Die Meßgeschäfte der Juden nahmen wesentlichen
Aufschwung insbesondere durch das Verbot der preußischen
Regie, fremde Waren auf den Messen zu Frankfurt a. O. zu ver-
kaufen, sowie durch den preuBischen Erlafi^ der die heimliche Ein-
schleppung der in Leipzig gekauften Waren in die preuBischen
Staaten erschweren sollte. Besondeis schlössen auch die jfldischen
Kleinhändler, welche man ihres eigentQmlichen RetsegepAchs wegen
»Sadcjuden" nannte, ansehnliche Qesdifllte gegen bu* mit Leipzig
ab. Sie kauften hauptsächlich solche Waren, deren Vertrieb in
Frankhirt a. O. verboten war. Nicht minder lebhaft gestalteten
sich die Mcfigeachlfte der Juden aus Brody, der WahKhei und
der Moldau, sowie aus Griechenland und aus der TOrfcel Der
i^'iLjuiz-uü by VjOOQte
Da- Einfluß der Juden auf die Leipziger Meaiai in frfihcrer Zeit I. 239
Handel der jfidbdien Meßfieranten stand in vollster BIflte; die
Klufer waren rdchlich mit klingender Münze und anderen Zah-
lungsmitteln versehen. Die Kauflust der Juden war so grofi, daß
die vorhandenen Warenvontte nicht ausreichten. Insbesondere
war nach Leinwand, Tuchen und bedruckten Kathinen slarke
Nadifrage. Den größten Vorteil hieraus zogen die slchsiscfaen
Landmanufakhiren. Es schien sogar, als wolle sich der engMsche
Warenhandel mehr und mehr nach Leipzig ziehen, da Napoleon
denselben fan Westen Europas durch die Kontinentalsperre immer
mehr umspannte und ihn selbst in Frankfurt a. M. zu verhindern
suchte. Doch warf die Kontinentalsperre bald auch über die
Leipziger Messen ihre kalten Schatten. Bereits 1806 machten
sich in Leipzig die üblen Folgen dieses eisernen Verbotes fulilbar,
indem die zur Messe aus Lnglatid versciiriebeneii baumwollenen
und schafwollenen Waren sowie die englischen Eisen-, Kurz- und
Rauchwaren zum größten Teil ausblieben und die Käufei aus
Rußland, Polen etc., welche von den neuesten politischen Verhält-
nissen zwischen Preußen und England keine Kenntnis erlangt hatten,
die gewünschten Einkaufe in den genannten Artikeln nicht bewirken
konnten. Größeren Absatz fanden nur Waren, die als Kriegs-
und Feldbedürfnisse betrachtet werden konnten, wie gemeine und
mittlere Tuche, Leder und lederne Waren sowie gewöluilichc Lein-
wand. Erst nach dem Frieden von Tilsit (7. und 8. Juli 1807)
wurden die Metägeschäfte wieder lebhafter. Die starke Nachfrage
der judischen Meßfieranten aus dem Osten nach englischen Waren
wirkte bei der Fortdauer der Kontinentalsperre außerordentlich
belebend auf die deutsche, namentlich sachsische und auf die
Schweizer Industrie. I eiclcr sielite sich bei den Juden und Christen
aus deutschen Landern sehr bald Oeldmangei ein. Auch schä-
digten der Krieg Österreichs mit Napoleon - 1809 und
der ungünstige Verlauf der Berditschewer Messen die Geschäfte
der jüdischen Meßfieranten aus dem Osten. Die Messen im
Jahre 1810 dagegen fielen äußerst glänzend aus. Trotz der guten
Hoffnungen, welche daraus erwuchsen, verminderte sich der
Warenumsatz auf den Messen in den folgenden Jahren von 1811
bis 1813 ganz auffallend. Im Jahre 1812 betrugen die Verkäufe
der jüdischen Händler kaum 10 000 Taler, und die Einkäufe er-
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240
Richard Markgraf.
reichten nicht euimal die Höhe von 3000 Talern. Erst nach der
Aücbaelismesse 1813 nahmen die Meßfi^hftfte der Juden wieder
zu. Ihren Höhqsunkt erreichten sie 1818. In diesem Jahre ver-
kauften die Juden insgesamt fßr 329 760 Taler Waren. Ihre Ein-
laufe beliefen sich auf nicht weniger als 2007 002 Taler. Im
Durdischnttt verkauften die jfldtschen Fieranten auf den drei
Messen innerhalb der zehn Jahre 1811 bis 1820 für 38614
Taler, 80820 Taler und 94588 Taler. Die Abnahme der Ver-
käufe gegeuQber den Verktufen wfthrend der Jahre 1801 bis 1810
bezifferte sich auf 159632 Taler oder 42,7 Prozent
Die Einkäufe der jüdischen Me6fienmtcn betrugen von 181 1
bis 1820 auf den Neujahrsmessen 260740 Talerp den Oster*
messen 495715 Taler und den Michadhrniessen 453301 Taler,
im Qesamtdurchschnitt also 1 209757 Taler; sie standen hinter den
Einkaufen während der Jahre 1801 bis 1810 um 106131 Taler
oder 8,1 Prozent zurück. Nur der bisher vielbeklagtc und
bekämpfte Durciiganjirshandel der judischen Meßfieranlen wurde
im zweiten Jahrzehnt des 1 9. Jahrhunderts lebhafter. Der Waren-
durchgang durch die Stadt war am stärksten in den Neujahrs-
messen: er betrug durchschnittlich 3955 Taler, während er auf
den Osternie^sen nur die Höhe von 828 Talern und auf den
Michael ismesscn die von 1968 Talern erreichte, im Gesnmt-
durchschnitt bezifferte sich der Wert der durchgehenden
oder zum Versand auf andere Messen bestimmten Waren
auf 67 52 Taler.
Die Hauptgrimde für den auffallenden Rfickg;ang der Meß-
geschäfte in den Jahren 1811 bis 1813 lagen einerseits in der
strengen Handhabung der Kontinentalsperre und deren Ausdehnung
auf den Norden und Osten Europas und andererseits in dem
Sinken der österreichischen und russischen Wertpapiere. Sodann
verfOgte die ganze Zahl der Käufer nur über wenig bare Mittel
und beanspruchte zu hohen Kredit Auch scheuchte der Bnmd
von Moskau und der Kanonendonner um Leipzig manchen
nordischen Kftufer zurüdc Erst mit dem Eintritt des Friedens
gehnigte der Leipziger Mefihandd wieder zu neuer BlQle. Die .
MeBgeschifle der Juden wie der Christen belounen von dieser
Zeit an auch ein anderes OeprSge und zwar msofem, als an die
Der Einfluß der Juden auf die Leipziger Maaen in firflherer Zdi l 241
Stelle des Hatidds im großen der Kleinhandel trat, und die
bedeutendsten Qeschlfle nidit mehr, wie früher, von fremd-
landischen, sondern von deutschen Juden abgeschlossen wurden.
Femer nahm der auch aufler den Messen betriebene Tnuisito-
handel in Leipzig bedeutend zu und verminderte die MeßgeschSfte
der jüdischen Fieranten. In den Monaten April und Mai waren
allein 525 Wagen Kaufmannsgüter ohne Aufenthalt durch Leipzig
gegangen. Endlich tai der immer mehr erstarkende Leipziger
Piatzhaiidel dem Warenverkehr der Juden großen Abbruch.
Einen neuen und zugleich sehr bedeutenden Aufschwung
des Meßhandels der Juden brachte der Eintritt Sachsens in den
deutschen Zollverein im Jahre 1834. Von da an wurde auch die
Statistik über den Warenverkehr eine zuverlässigere. Nach dem
Zollregister über die C)stcnr!es<>e 183 7 wurden auf dieser Messe
in den Packkammern 55 2 1 Zentner netto expediert, darunter im
besondern 4623 Zentner bau inv.o Nene, 626 wollene, 151 seidene
und halbseidene und 48 Zentner Kur/waren, wovon die judischen
Händler allein 3 70? Zentner Ausgangsreviston gestellt hatten.
Stellt man die Entwickiungsmomente des Warenumsatzes
der Juden auf den Leipziger Messen, wie sie sich auf Grund der
Tabelle über die Wagegelder der Meßjuden in den Jahren 1781
bis 1820 ergeben, übersichtlich zusammen, so ergibt sich, daß
in der Zeit von 1781 bis 1820 die Verkäufe der jüdischen
Meßfieranten auf den Neujahrsmessen durchschnittlich 33663 Taler,
auf den Ostermessen 110970 Taler, auf den Michaelismessen
125 914 Taler und auf allen drei Messen 270547 Taler be^
t«8!en. Sie wuchsen auf den Neujahrsmessen im Durchschnitt
um 5013 Taler oder 17,5 Ptozenl; auf den Ostermessen um
3250 Taler oder 3 Prozent und auf den Michaelismessen um
11051 Taler oder 9,7 Prozenl, und auf allen drd Messen um
19313 Taler oder 7,7 Prozent Am auffrilendsten war demnach
die Zunahme der Veihlufe auf den Neujahrsmessen. Die Ein*
klufe beliefen sich auf den Neujahrsmessen durchschnittlich auf
191507 Taler, auf den Ostermessen auf 434750 Taler, auf den
Michaelismesaen auf 402267 Taler und auf allen drei Messen
auf 1028547 Taler. Sie wuchsen auf den Neujahrsmessen
um 63467 Taler oder 49,6 Prozent, auf den Ostermessen um
Archiv für KulturgcKbicbte. V.
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242
Ridiini M»li«nl
117783 Taler oder 37,1 Prozenl, auf den Midutdismessen um
140276 Taler oder 53,6 Prcnent und auf alten drei Messen um
321 526 Taler oder 51,7 Prozent Die Einldufe der jfldisclien Mefi-
fienuiten hatten sich demnach innerhalb vierzig Jahren verdoppelt
Vergleicht man die Zunahme und Abnahme des WareiK
umsalzes der Juden auf den Leipziger Messen mh der Entwick-
lung der Zahl der jfldischen tttndler, so zeigt sich, dafi die Zu-
nahme und Abnahme der Frequenz der Fieruilen nicht immer
audi eine Vermehrung oder Venninderung des Warenverkdus
zur Folge hatte. Wahrend in den Jahren 1791 bis 1800 die
Frequenz um 46,5 Prozent stieg, wudisen die Einkäufe um
10,5 Prozent; die Verkäufe dagegen gingen um 3,2 Prozent
zurück. Begründet lag die im Vergleich zur Zunahme der Fre-
quenz klein erscheinende Steigerung der Einkäufe zunäclist in
der jEjeringen Teihiahme, beziehentlich schwachen Kauflust der
jüdischen Aleßfieranten aus Rußland während der ersten Hälfte
öts Jahrzehnts sowie in dem Fortbleiben der griechischen Juden,
die bisher wenij[^er durch ihre Zahl als vielmehr durch ihre be-
deutenden tm kaufe den Meßhande! belebt hatten. Dazu kam noch
der mißliche Umstand, daß die übrigen jüdischen MeBfieranten
infolge schwachen Kredits nur geringe Geschäfte abschlössen.
!n den Jahren 1801 bis I8t0 gestaltete sich das Verhältnis
zwischen dem Wachstum der Frequenz und der Zunahme des
Warenrimsatzcs hedeiJtend j^lnstiger. Während die Frequenz sich
reichlich verdoppelte, vermehrten sich die Einkäufe beinahe um
die Hälfte, die Verkäufe stiegen sogar um 53 Prozent. Gewiß
wären die Meßgeschäfte noch gunstiger ausg^ftUten, wenn nicht
die Kontinentalsperre ihnen Schranken gezogen hätte. Vor
allem hielt sie viele Juden aus Hamburg und anderen nord-
deutschen Städten 1806 und 1807 - von den Messen fiemi
so daß die zahlreich erschienenen Juden aus dem Osten ihre ge^
planten Einkäufe in englischen Waren nur zum kleinsten Teil
ausfuhren konnten. Auch war die deutsche, beziehentlich sftch*
sische Industrie infolge Mangels an klingender Mflnze und wegen
allgemeiner Teuerung der Lebensmittel nicht imstende, das un-
natüriidie Verhältnis zwischen Nachfrage und Angebot durdi eine
stärkere und zugleich billige Produktion vollsttndig auszugleichen.
Der Einfloß der Juden auf die LdpKicer Messen in frfiherer Zeit. I. 243
Die verhäHnismifiig größte Ungleichheit in der Entwiddung
der Frequenz und des Warenverkehrs der MeBjuden brachten
die Jahre 1811 bis 1830. In dieser Zeit gingen die Einicäufe
um 8 Prozent und die Verkäufe um nicht weniger als 42 Prozent
zurüdc, trotzdem sich die Frequenz der Meßjuden um 50 Prozent
vermehrte. Ihren Grund hatte diese auffällige trschcinun^^ haupt-
sächlich in der Abnahme des jüdischen Großhandels und der
Zunahme des judischen Kleinhandels. Nachteilig auf die Ein-
und Verkäufe der Juden wirkte zu Anfang des Jahrzehnts auch
die strengere Handhabung der Kontinentalsperre und deren immer
w eitere Ausdehnung nach dem Norden und Osten Europas. Im Ge-
sanitdurchschnilt vermehrten sich die Einkäufe der Meßjuden inner-
halb der Jaiire 1791 bis 1S20 um die Hälfte und die Verkäufe um
7,8 Prozent, während die Frequenz sich reichlich verdreifachte.
Trotz der ii;roRcn Vorteile, die der Handelsplatz l eipzigf durch
die rege Beteiligung der Juden an den Messen gev.ann, dauerten
die Beschränkungen des jüdischen Flements im hiandel, wie
sie der Kurfürst im Einvernehmen mit dem Rate 1682 gegeben
hatte, fort im Laufe der Zeit erfuhren sie sogar eine nicht
unbedeutende Erweiterung. Angeregt wurde sie von den
Leipziger Kramern und Kaufleuten, die sich durch das Gebaren
der jüdischen Meßfieranten und durch deren auffallende Zunahme
in ihrem Handel gefährdet sahen und infolgedessen dahin m
wirken suchten, daß man den Juden das Feilhalten in offenen
Gewölben verbiete. Zu diesem Zwecke wandten sie sich am
24. Februar 1687 mit der Bitte an den Rai, er möchte gegen
die Juden ein diesbezflgliches Verbot erlassen. In der Begründung
ihres Gesuches sprachen sie die Befürchtung aus^ daß ohne diese
Beschiftnkung »sowohl fremde als einheimische Handelsleute ge-
nötigt sein würden, die Augen bei guter Zeit aufeuhin und sich
Heber anderswohin zu wenden, als bei diesen üblen, gefthrlichen
Nachbarn den Ruin zu erwarten«; denn es sd einem ehrlichen
Christen, der bestehen wolle, unmöglich, seine Waren zu dem-
selben Preise zu verkaufen wie ein Jude. Dieser kaufe seine
Waren »oftmals, wo nicht mefarenteils^ per fu et nefss und durch
vieUaitige, einem Christen nicht wohhmständigie Umschläge« der-
gestalt ein, daß er sie wohl ohne seinen Schaden um die Hälfte
16«
244
Richmi Muiignif.
billiger verionifen könne als der Oirtst Hierbei bnuiche man
gar nicht zu g!edenken «der guiz unversdiämten Art und Weiae^
mit der die Juden jeden, der das Auaaehen eines Landmannes
hat, auf freier Oasse anredeUi mit in die Uden und Oewötbe
zielten und zum Kaufen veridlen«. Audi nihmen de dlerhand
Lumpen an, deren Vertiteb mehr auf den TrOdd als in die
HandetafewOlbe oder auf die Messe gehöre und darum dnes
ehriidien, durisUidien Kaufmannes unwflidig sei.
Da anf diese Anklage kdne beliflfdlidie Maßnahme gegen
die jüdisdien MeBfienuiten erfolgte, so trieben diese ihre Handels*
gesdiäfte in der alten Weise weiter und fuhren fort, ihren Handel
sogar an Sonn- und Festtagen zu lietrdben, wie aus einer neuen
Besdiwerde der Kaufleute ersichtlich ist. Am 3. Mftrz 1687
wandten sich nämlich letztere an den Ra^ er möchte den Handel
der Juden an Sonn- und Festtagen überhaupt verbieten und
sie an dergleichen Tagen ohne dringende Not nicht aus ihren
Quartieren gehen lassen.
Diesem Wunsche Schlüssen sich auch die Tuch-
hflndler an. In ihrem Schreiben vom 4. März 168 7 sagen sie
unter anderem, daß, wetin den Juden fernerhin öffentliche Ge-
wölbe aufzumachen gestattet werden sollte, «jedweder rechtschaffene
Kauf- und 1 iandwcrksmann Scheu tragen wurde, nach Leipzig
zu handeln, und infolgedessen das liebe Leipzig sein Kleinod
und seine Krone, den Handel, unbemerkt in kurzer Zeit vollends
verliere.* Um diesen Übelständen und den für den Leipziger
Handel daraus erwachsenden Gefahren in Zukunft vorzubeugen,
verordnete der Rat am 7. März 1 687, daß kein Jude - aus-
genommen der Federjude - ein Gewölbe gegen die Gasse
haben dürfe. Zuwiderhandlungen würden mit »einhundert
Reichstalern und nach Befinden mit einer andern höheren Strafe"
geahndet werden.^)
Die Verordnung des Rates hatte zur Folge, daß sich die
Juden am 24. April 1687 an den Kurfürsten Johann Geory flL
wandten. Die Petenten klagten, -sie könnten nicht begreifen,
warum ihnen das Halten offener Gewölbe verboten sei, da ihnen
1) Attdi ta Fnuikfdrt a. M. w den |«dai daa FdlhaMa in oHm Onttloi «tr-
bolai. Vgl. Schnipiwr-Anidl, Jldlacte Inlcfknn n Ende des 17. JahilnmdMli, S. 4.
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Der Einfluß derjuden auf die LdpsIgcrMcswn in frflhcnr Zeit f. 245
dieses doch in fnmkftiit a. O., in Bnunsdiweig und anderen
Stapel« und Handelsplätzen gestattet sei. Aufierdem mflBten sie
ja fftr die Ware^ welche sie einführten, auf der Akzis- und Wage-
einnähme an 2^11 ehi QroBes abtragen.« Wenn sie kein »öffent-
liches« Gewölbe halten dtUHen, könnten sie audi die Messe nicht
«bauen*. Dadurch «rürde aber Mdem kurfürstlichen Interesse
ehi meikliches aligdien und der Bfligersduift in Leipzig ein
großer Schaden entstehen«.
Der Rat teilte darauf dem Kurfürsten - wahrscheinlich auf
dessen Ersuchen - in einem Schreiben (datiert vom 18. Juh' 1687)
die oben erwähnte Verordnung vom 7. März mit und gab zugleich
die Gründe an, warum er die Juden angewiesen habe, sich in
den alten Schranken zu halten und unter den christlichen
Kaufleuten kein Gewölbe gegen die Gasse zu öffnen.
Trotz der Einwände des Rates hielt der Kurfürst die Maß-
regel nicht für begründet und erlaubte daher den Juden
in einem Schreiben vom 6. Oktober 1687, in der Reichsstraße
und „andern mehr abgelegenen Gassen" Gewölbe aufzutun;
dabei sollten sie sich jedoch „alles Ausschneidens und Einzelverkaufs,
auch aller ungebührlichen Ränke und Händel" gänzlich enthalten.
Wie ans alledem hervorgeht, war das Verhalten der in
dieser hrage beteiligten Parteien zum Teil sehr schwankend.
Während wir den Kurfürsten geneigt sehen, auf die Seite der
Juden zu treten, sieht sich der Rat zu einer eigentümlichen
Mittelstellung verurteilt Eine entschiedene Stellung in dieser
Frage nimmt nur die christliche Kaufmannschaft ein. Sie
erachtet es für nötig, den Rat auf den unehrlichen Handel vieler
Juden und auf die jüdische Gleichgültigkeit gegen Bestimmungen
der Behörde sowie auf die daraus für die Leipziger Kaufmann-
sdiaf^ die Messen und die Stadt Leipzig überhaupt erwachsenden
Gefahren auhnerksam zu madien. Die Meßjuden dagegen suchten
sich die Ounst des Landesfarsten zu sichern, indem sie ihn auf
den Verlust an Steuern hinwiesen, den er durch ihr Fernbleiben
von den Leipziger Messen haben wfirde.
Die unerwartete kurftlrstliche Begünstigung der
Juden eneugte bei den christlichen Kaufleuten einen neuen
Shsrm der Entrostung. Bereits am 10. Oktober 1687 richteten
246
Ridiard Markgral.
sie an den Rat die Bitte, derselbe wolle alle Juden, welche zur
Michaelisrnesse mit Waren in offenen Gewölben feilgehatten h&tten,
nachdrücklich bestrafen.
Endlich traten sogar fremde christliche Kaufleute
für ihre Kollegen in Leipzig ein und geißelten in einem Schreiben
an den Leipziger Stadtrat mit scharfen Worten das Tun und
Treiben der jüdischen Meßfienuiten. AnderwSrts, so meinten sie»
verführe num mit den Juden viel strenger als in Leipzig. So
bestände z. B. in dem mit Ldpag >oertterenden« Braunschweig
die hdlsame Ordnung, daß die Juden kein offenes QewOIbe bei
den Christen haben dürften. In Augsburg würde kein Jude
ohne Entrichtung einer gewissen Geldsumme in die Stadt gebssen.
Audi dürfte er daselbst nicht Ober Nacht bleiben, ja nicht einmal
ohne Wache auf der Gasse sich sehen hssen. Zu Frankfurt a. M.,
wo die Messen blo6 wegen der vielen allda sich aufhaltenden
Juden in merklichen Rückg^g geraten seien, bitten ehemals
die Juden »ch auch unterstandeni Gewölbe au8erhalb ihrer Gasse
zu halten. Nachdem man aber des Schadens gewahr geworden,
hätte sie der Magistrat mit scharfer Verordnung wieder in ihre
Gasse gewiesen. Aber leider in Leipzig laufe das Judenvolk
nach seinem Gefallen an Sonn- und Festtagen, an denen jeder
christliche Handelsmann sein Gewölbe geschlossen halte, in der
Stadt herum, locke diesen und jenen mit sich und mißbrauche
der Christen Freiheit zu seiner «desto größeren Schinderei und
zu seinem Wucher . In Hamburg, so sagen sie weiter, wären
längst alle polnischen und deutschen Juden durch ordentlichen
Biiri^eibcschluß „bannisiert", so daß sie sich nach Altona hätten
V enden müssen. Auf den Lyon er Messen würde kein einziger
Jude ^^eduldet, und in Paris konnte sich ein Jude kaum ohne
Leben so efilir melden. Prag wäre seiner Lage halber die vor-
trefflichste Handelsstadt, wenn darin die Juden nicht so überhand
genommen und verursacht hätten, daß der Handel daselbst tot
und erstorben liepe Nicht weniger als Prag empfinde Breslau
das jüdische Tun und ireiben.
infolge der zögernden Stellungnahme des Rates in dieser
Frage erreichte die Erbitterung gegen die Juden eine solche
Höhe, daß die chrisüiciien Kaufleute zur Selbsthilfe griffen. Man
Der Einfluß der Juden auf die Leipziger Messen in früherer Zeit. I. 247
»verhöhnte, warf, schlug und begoß" die Juden. Die Oewalt-
tiltigkdten nahmen btld so flbcrband, daß der Rat sich genötigt
sah, diifdi ein Verbot dagegen einzuscfardlen. Zugleich erachtete
er es aber auch ffir angebncht, den Kurfürsten zu bitten, jener
Verordnung vom 7. Mtrz 16S7 wieder Rechtskraft zu verleihen.
Der KurfQist ging jedoch nicht auf das Gesuch ein, gcstittete
vielmehr den Juden aufs neue, wie eine Petition derselben vom
1. MIrz 1689 beweist, in der RdcfassttaBe und »andern der-
gleichen Gassen" offene Gew51t>e zu halten.
Von jetzt an stehen zwei Parteien einander gegenüber, Rat
und chrisfliche Kaufleute auf der einen und die von dem Kur-
fürsten geschützten Juden auf der andern Seite. Infolge des alier-
maligen Eintretens des Kurfürsien für die Juden richteten die
christlichen Kaufleute die Bitte an den Rat, derselbe »wolle bei
der Hohen Kurfürstlichen Landesobrigkeit es dahin vermitteln^
daß das erwähnte Judenvolk mit seinem unrechtmäßigen und der
ganzen christlichen Kaufmannschaft höchst präjudicieriichen Er-
suclien SLlinurstracks abgewiesen und auch ferner in seinen ge-
wissen Schranken L^ciialten weide Doch auch diese Eingabe
der christHchen Kauileule brachte die Trage bezüglich der offenen
(lev.albe ihrer Lösung im Sinne der Petenten nicht näher; im
Gegenteil, der Kurfürst erweiterte sogar das Dekret
vom Jahre 1687, indem er in einem Schreiben vom 12. Februar
1697 dem Rate l^eiahl, sowohl dem zum kurfursthchen Hofjuden
ernannten Rchrend Lehmann aus H a I b c r s tadt ^) als auch
dem hannoverischen Hofjuden Löffmann Berentz nebst dessen
beiden Söhnen tu gestatten, «während dt^r Me'^se offene Gewölbe
zu halten und von ihrer Ware nicht mehr als andere Kauf-
leute zu entrichten".
Die kurfürstliche Qunst gab dem Streite über die offenen
Gewölbe nur neue Nahrung, so daß sich derselbe in gleicher
Stärke aus dem 17. ins 1 8. Jahrhundert fortpflanzte. Dazu kam,
daß auch die Kontrolle der Juden nicht an Schärfe verlor. Jeder
jüdische Meßfierant, der nach Leipzig kam, erhielt am äußersten
Tore vom Torschreiber einen numerierten Toizettel, auf den sein
>} Vgl. Der polniKhe Resident Bereoti LdiiDJUui, der Suromvater der isnelitischen
RcHgUNHCHiMiiMle n Dntdn. Von tdiicm Ur^Ur-EnlMl EntI Ldunau.
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248
Richard Markgraf.
Name sowie der seines Weibes, Dieners und KnechteSi ferner
Tag und Stunde seiner Ankunft und seine Wohnung von dem
Torsdiraber geschrieben waren. Dann meldete sich der Jude im
innem Sladttore bdm Zöllner, der anf dem Zettel ebenfalte die
Stunde der Anmeldung bemerkte und dieselbe in sem Manual
eintrug. Von hier mußte der Jude bei Vermeidung von 24 Taler
Strafe binnen 24 Stunden mit dem erhaltenen Zettel zuerst auf
der Ratswagie und dann beim Stadtgerichte sich meiden. Der
eines durchreisenden Juden wurde mit der Bemerkung
•Passieret Wage N.« verschen; auf den Pafi eines MeBjuden da-
gegen acfarid> man die Worte vOibt sich zu Redit an.*
Was die Dauer ihres Aufenthaltes betrifft; so durften die
jtldisdien MeBfienmten nur bis zum Schluß der Messe in Leipzig
verweilen. Ihre Wohnung hatten sie in der bereits erwihnten
Judcngnse am fHeischerplatze zu nehmen. Vom Jahre 1704 an
aber wies man ihnen den Brilhl als Aufenthaltsort an.*) Vor
ihrer Abreise von Leipzig mußten die Juden auf dem Stadtgerichte
die Pisse abholen, dieselben auf der Wage vorieg^ und daselbst
ihre «Abfertigung« in Empfang nehmen.*)
Nicht minder drOchend als diese Kontrolle empfanden zu An-
fang des 1 8. Jahrhunderts die jüdischen Meßfieranten die Waren-
zOHe und Personalsleuem, die sie in Leipzig zu zahlen hatten.
Einer mäßigen Besteuerung erfkcuten sich nur die mit iCammer-
pfissen versehenen Juden. Diese brauchten vom Werte der Waren,
die sie zur Messe ein- und ausführten, nur 7t Prozent abzugeben,
welche Summe »halb dem Hate und halb zur landesherrlichen
Portion« gerechnet wurde.
(Schluß lölgt.)
1) Vgl. OSatiier, Kirchliche Ziisdnile In Ldpzig, S. 12.
^ Eiaer ttnUdm B€Mf«dHigm| wtn» die fremden Juden «ach in Fmkfart «.M.
Mtanlcllt kaBmdem berimd duelbit dfe Batfmmnni;, daß die jOditelMn Mcflfknurteii
firjede Nacht, die sie in der Judengasso 'i( i hn(fn. ,>n dm Torschrdbcr 6 Pf. zu zahlen
hatten. Femer Jeder Jode, der an Sonn- oder f eiertagen durch das Tor ging, ver-
pfliditet, an den Torsdntfbcr 1 Ouldcn a artrichten. Vgl. Orth, Ausfahrliche Abhand-
lung von den bofioilcB mpn Rdchiiimwii w Ui der MdtmMi rnnkfiut a. M. jilirlkli
gehallBD «odcii, S. «n «. M*.
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Besprechungen.
Die Kultur der OeCCOwart, ihre Lnlwickiung und ihre Zick.
HcnuQgegiebcn von Patd Hinneberg. Teil I, Abt 1: W. Lexis,
Fr, Paulsen, O.Schöppa, A. Matthias, H-Oaudlg, O. Kersclien-
Steiner, W. v. Dyck, L Pallat. K. Kräpelin, J Lessing,
O. N. Witt, O. Göhler, P. Schlenther. K. Bücher, R. Pietsch-
mann, F. Milkau, H. Diels, Die Aligeme iRn Grundlagen der Kultur
der OQ[enwart. Berlin und Leipzig, B. O. ieubner, 1906. (XV, 671 S.)
Der vorliegende Band leitet eine j^roß angelegte neue Enzyklopädie
des Wissens und Könnens der Gegenwart — daß es sich um eine solche
handelt, lifit sich aus dem Tilel nicht ohne ivdteres entnehmen — in
wliefllteher Weise ein. Ober die Anlage des gsnaen Unternehmens
kann idi hier nur kurz berichten: aber gerade dieser Band virft auf die
Art der Durchführung des Oesamtwerkes ein bezeichnendes Licht. Vor
allem hat es der Herausgeber seiner Absicht gemäß verstanden, für die
einzelnen Gebiete — denn ohne Arbeitsteihinj^ läßt sich ein solches
Unternehmen seibstverständiich nicht mehr durdifUhren ~ hervorragende,
oner den navomgcnosien« venrcier oes üetreiieuuen racnes zu geinnnen.
Auch efai anderes Ziel, die QemdnvcvBtSndlicfakeit der Daislettung, die
aber doch eine gewählte S|Hache in sich schließen soll, ut durdiaus
erreicht Es fragt sich indes, ob der Verzicht auf jeden Apparat und die
Beschränki!n^ auf wenip;e Literaturangaben am Sdiluß beute noch das
Ideal des wißbegierigen Publikums ist.
Der vorli<^;ende Band ist nur zum geringsten Teil als Einleitung
fttr das gsna Werk anzusehen. Als aokfae kann vielmehr nur der erste,
von Leds herrflhrende Abschnitt über dss Wesen der Kultur gelten. Die
flbf^ien Abschnitte bdnndeln zum Tdl bereits bestimmte Fächer, freilich
solche, die eine allgemdnere Bedeutung haben. Sie betreffen die Hilfs-
mittel der Kultüf, die Vermitthinpsorfranlsationen und -Finrichtnnpen:
ihre Behandlung gehört aho immerhin in einen .nllj^^ememen Band. So
werden im zweiten Abschnitt das moderne ßüdungswesen« im dritten die
wichtigsten Bildungsmittd (Schulen und Hochschulen, Museen, Aus-
stellungen, die Musik [ditt idpitd flült ebenso wie dss folgende an dieser
Stdie dodi auf, zumal Tdl I, Abt 12 .Die Musik« besonden darMen
250
Besprechungen.
soll], das Theater, das Zeitungswesen, das Buch, die BiblioÜidcen), im
vierten die Orgrin'^ntifin dvr Wissenschaft behandelt.
Fast diirchvieg betreftVii die Kapitel des ersten Bandes Stoffe, die,
sobald sie geschichtlich behandelt sind, durchaus in das Ressort des
Kulturhistorikers gehören, also das Biidungswesen, das Zeitungs-, das
Buchwesen usw. In der Tit ist nun auch dem Ptognmm des Unter-
nehmens gemäß die giescfaichtliciie Entwicklung jedes Gebietes regdmifiig^
zuweilen allerdings etwas zu kurz, berückddltigt, und SO wird denn dieser
Band gerade den Kulturhistonker besonders interessieren Freilich sind
uns von Männern wie Paulsen, ücr iiber das Biidungswesen, oder Bucher,
der Uber das Zeitungswesen orientiert, ihre ausführiicheren früheren ge-
scfaiditlidicn Darlegungen — von den z. T. Itritisdien, eingehenden Aus-
fahrungen filier die Zustände der Gegenwart, die bei allen Abschnitten
natiuiich eine große Rolle spielen, sdicn wir hier ab — bereits genügend
vertraut, so daß wir hier kaum Neues hören. Aber es kam dem Heraus-
geber auch nicht darauf an, dem Fachmann Belehrung zu geben, sondern
vom Spezialisten das größere FHiblikum sachverständig und gefällig unter«
richten zu lassen.
Von deentlicb kultuigieschicfatitchem Interesse Ist vor allem die
gut geschriebene Einleitung von W. Lexis fiber das Wesen der Kultm;
in der er über die Grundlagen und Bedingungen sowie die Entwicklung
der Kulttir und über die Kultur des U> Jahrhunderts handelt. Besondere
Neues und Überraschendes für den Ketiner bringt er nicht; aber die
Straffe Zusammenfassung und systematische Gruppierung des Stoffes sowie
die gelungene Herausarbeitung des Wesentlichen lassen neben guten Oe-
danken im ehudnen die Lektfire dieses Abschnitts gmde für unsere Leser
empfehlenswert erscheinen. Wir vermisBen in ihm allerdinp die Berfidt*
siditigung der Entwicklung der Sitten, des gesellschaftlichen und häuslichen
Lebens, der Lehmshaltung usw , vor .illem auch die der gemütlichen und
Gefühlsentwicklung sowie drr tics ( ic^chnncks, ( icbicie, die zuweilen ein
besseres Spiegelbild der KuUurentwicidung gewähren können als Religion,
Utentnr und Kunst, Wissensdiaft und Tedmih, Vcffsssung und Wiitsdialt
Überhaupt sdidnen jene Oelriete auch dem Herausgeber nicht
gerade ans Herz gewachsen zu sein. In dem Programm des Ocssmt*
Unternehmens hat die Sittengeschichte sowie die innere Bildungs (Gefühls-)
geschichte keinen Platz gefunden. Sie verdient .iher einen solchen, in
Teil II, Abt. 3—5 (Staat und Gesellschaft) wird uii bebten Fall nur dn
kleiner Teil dieses Gebietes berücksichtigt werden können.
Von den viden treffUdien EinaebnsfQhningen mdcbte idi an dieser
SIdle schlieBUdi diejenigen hervoihd»en, die Psulsen in dem Absdinitt:
Die geisteswissenschaftliche Hochschulausbildung über die Folgen 6e&
deutsamen Wandels macht, der sich im 19. Jahrhundert von der dogma-
tischen und absolutistischen Denkweise zur historischen und relativistischen
vollzogen hat. Uro keinen Preis möchte er auf diese große Errungenschaft,
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Octprachuligjen.
251
den uhistorisdiai Sinn" vendditeo. Aber er Icennzdchnet scharf die Obel
und Schviengfceiten im heutigen Geistesleben, die sich aus diesem Wandd
ergeben haben, vor allem die traurigen Folgen des Sp>ezialistentunis, den
Mangel an Geschlossenheit der Anschauung, das unablässige Indiebreite-
wachsen des blotfes, das Grenzenlose des Materials, das in der Zukunft
unerträgiich sdn wird. »Die enthusiastische Arbeitsfrcudigiceit, womit das
junge 19. Jahrhundert an die philologische und historische Fotschung
ging, ist vidfach einer müden, resignierten Stimmung gewichen.* »Das
Verian^n nach Idiendigen, starken und tiefen Oedanken, nach persön-
lichen Oberzeugungen , nach einem Glauben regt sich überall. ... wir
können nicht leben von der Wissenschaft, von der Historie, von der Kritik,
von der Qucllensammlung, von der ,AndaclU zum KU tun'. kurz von
dem, was nun in jüngster Zeit den ,Qroßbetrieb der Wisscnsduii nennt,
und TO hl Wahilieit der Fabrikbetrieb ist« Wo ist das Heilmittel?
Oe«riß nicht, wie gesagt, der Verzicht auf den Historismus, auf die Er>
fauigung historischer Perspektive, die m. E allein den gebildeten Menschen
ausmacht. Paulsen weist vielmehr auf die Bedeutung, die die Wieder-
belebung des phi1o*^ophischen Sinnes erhalten kann, und femer - und
das möchte ich hier besonders liervorhebcn — auf die Abstol Wm ;.^ iles
Nichtigen hin. »Vielleicht hat sich die historische Forschung an diesem
Afflkt irreführen lassen durch die in der Naturforschung gerechtfertigte
JMaxime: nichts gering zu achten.« »Oer Historiker muß den Mut zur
Auslese haben.« Ich gbuibe, man kann diese Forderung in gewissem
Sinne für unsere Forderung einer viel größeren B^ichtung der Kultur^
gesrhichte {gegenüber der politischen Geschichte verwerten. Vieles, an
de^.st Ti genaue Erforschung mancher politische Historiker, aber eb>enso
mancher Kirdienhistoriker, Rechtshistoriker, wenigstens alle, die nur äußere
Geschichte treiben, — von dem Kram mancher Philologen zu schwetgeii
— oft ihr ganzes Leben gesetzt haben, ist nichtig, ist tote Spreu, ist für
alle Zukunft gleichgültig. Dem »Trieb, zum Wesentlichen, Wichtigen
und Lebendigen zu kommen«, kann die Kulturgeschichte, wohlverstanden
die wissenschaftlich betriebene^ in viel höherem Grade frerecht werden.
Georg Steinhausen.
Hcnwun Sdmcider» Das kftusate Denken in deutschen Quellen
zur Geschichte und Literatur des 10., 11. und 12. Jahrhunderts. (Ge-
schichtliche Untersuchungen, herauag. von Kart Lampredit IL Bd. 4. Heft.)
Gotha, Perthes, r^05 fin S)
Die Schrift stellt einen Versuch dar, an deutschen Quellen des
frühen Mittelalters einen allgemeinen psychologischen Entwicklungsgang
nachzuweisen, die Entwicklung des ursächlichen Denkens von der naiven
Annahme eines bestindigen Eingreifens außerwdtlicher, göttlicher Ursachen
in den Weltlauf bis zur Ausbildung der Idee eines geordneten göttlichen
252
Besprechungen.
Wellplaus, die die Gottheit aus dem Alltagsleben über die Wolken rückt und
des bcBtSndigen Bemfilieiis an dßzdne Zwedtt fiberiid»! Der Volmer
siebt in diesem Wandel des Kausalittlsgedanken zugleich die innerlidie
Durchdringung des germanischen Volksgeistes mit der christlichen Welt-
anschauung. Noch im 1 0. Jahrhundert ist das Verhältnis zwischen beiden
ziemlich äu(krlich; der Gott des Christentums und die Äußerungen
seiner Allmacht treten in den Quellen dieser Zeit mehr formelhaft auf.
Die kluniazcnsische Bew^ung macht das Verhältnis zu diesem Oott zu
einem innigeren, persönlicheren; die Schreiber empfinden sich, ihre Person,
den ihnen nflchslstdienden Kreis der Umwelt in besonderem Maße von
der göttlichen Fürsorge bedacht. Nach einer kurzen Reaktion gegen den
ersten Ansturm tler kluniazensischen Hingebung zieht der Investiturstreit
die Gottheit vollends in den Kampf der Parteien selbst hinein. Aber im
12. Jahrhundert sehen wir in ein:^e!n?n hervorragenden Persönlichkeiten
das klunjazensische Denken überwunden, ersetzt durch den Gedanken
einer göttlichen Wdtordnung, die der unmittelbaren Eingriffe, der Wunder,
nicht mehr bedarf. So trennt sich hier die hdhcre Bildung der oberen
sozialen Schichten, die hdflsch-ritterliche Kultur, von den von der Geist-
lichkeit beherrschten niederen Massen. Der erste umfangreiche Teil
schildert diese Veränderungen der Auffassung an zahlreichen Quellcn-
schnttstellern der einzelnen Perioden, deren Ansichten über die kausale
Bedingtheit berichteter Ereignisse und deren gesamte Vorstellungen des
Weltsystems einzeln eingebender untersucht «erden« Ein zwefter, ungleich
kitazercr Teil faßt die Ergebnisse ^stematisch zusammen und sucht die
psychologischen Grundlagen zu erläutern, auf denen ladtk itiese Verinde-
rungen, die Weiterbildung der Vorstellung des Verhältnisse des Menschen
zur Gottheit, vollziehen konnten, den Fortschritt des Denkens und der
sittlichen Anschauung, der darin liegt.
Diese Untersuchungen iüiiren zu tirgebnissen , die denen der
DisBcrIntion von Oeoig EUinger Aber das Vertalltnis von Wahrheit und
Lüge zur fiüentlichen Meinung im 10. bis 12. Jahrhundert parallel sind;
liegt dort der Schwerpunkt ganz auf der moralischen Seite, so ist es hier
vorzugsweise die Entwicklung der logischen Tätigkeiten, die den Verlssser
an den Autoren des Mhen Mittelalters interessiert.
Rosenfeld.
Otto Zaretzky, Der erste Kölner ZemurproxtB, ein Beitrag zur
Kölner Geschichte und Inkunabelkunde mit einer Nachbildung des
Dialoj^us sTipcr libertate ecclesia«;ttcrt 1477 (Veröffentlichungen der Stadt-
bibliüthck III Köln, Beiheft 6.) Köln i9o6, Verlag der M. Du Mont-Schau-
bcrgschen Buchliandlung. (124 Seiten.)
Mit großem Fleiße und peinlichster Akribie, die sich in da- Fülle
der den Beveisstoff aus allen Winkeln herbeiholenden und das Thema
BesjMnechungen.
255
von aHcn Sehen bdeucfatenden Anmerkungen besonders zum Ausdruck
bringen, htt der Verfasser hier einen Bdtng nicht nur zur Qcschicbte
der Zensur, sondern vor allem auch zur Geschichte des deutschen Buch-
drucks geliefert. Der Oegenstnnd dieses ersten, im Inhre 1478 spielenden
Kölner Zensurprozesses und ciie in hn vernickelten Personen waren bisher
unbekannt. 2^retzky weist nacii, daii die Schrift, um die es sich handelte,
der Dialogus super libertate ecclesiastica war, verfaßt von dem Dechanten
«n St. Andren in K<Un, tfdnridi Unknunn, herausgegeben von den
Mfinzmeister firwin von St^ und gedruckt 1477 in Kdln mit Typen,
die Eigentum des Nikolaus Ooetz von Schlettstadt waren. Dieser Nach-
veh. der bis ins einzelne unter Heranholung aller urkundlichen Hilfs-
mittel, die das reiche Kölnische Stadtarchiv an die Hand gibt, geführt
wird, ist kuiturUislonsch insofern besondeis bemerkenswert, als die Macht,
die hier zum ersten Male Zensur fibt und dn lästiges Erzeugnis der
jungen Buchdruckerfcunst in Köln ai unterdrficken vemicht, nicht die
geistliche, sondern die weltliche, nämlich der Rat der Stadt Köln ist Auf
die Einzelheiten des Falls und den speziellen Anlaß zur Abfassung und
Veröffentlichung des Dialogus, die in den Reibereien zwischen der Geist-
lichkeit und dem Rat wegen der Beschneiduiig der alten wirtschaftlichen
Privilegien der ersteren (der Freiheit vom sog. Mahlpfennig, des steuerfreien
Weinannchanks etc.) dnith den KtA zu suchen dnd, und die Zaretzlcy sdir
eingdiend in dem ersten Tdl sdner Schrift untenucht, Imudit hier nicht
niher eingegangen zu werden. Bemerkt sei hier nur, daß der Dialogus,
wie Zaretzky darlegt, ein recht interessantes Dokument zur inneren Ge-
schichte Kölns für die Zeit während und nach Beendigung des Biirp^iin-
dischen Krieg», in der die städtische Finanzlage in arge Bedrängnis
geraten war, bildet luid den ersten bekannten Versuch darstellt, die neue
Kunst des Buchdrucks in Köln in den Klnpfen des öfientlidien Ldiens
auaainfitzen. Dem ersten darstdlenden Teil fOgt der Vertuser dann 27
auf den Fall bezügliche Urkunden aus dem Historischen Ardiiv dar
Stadt Köln an. Dnran schließt sich der Text des Dialogus und die
für die Ocschiclite des Buchdrucks xnchtii^c typrij^nphische Nachbildung
des Dialogus nach einem Exemplar der Kölner bladtbibliothek. Dieser
ist noch die Nachbildung der eiMen Seite des Angustinus De sanda
vvginitate nach dem Exemplare der Mfindiener Hof- und Staatsbibliothek
vorangestellt, der gleich dem Dialogus und zwei weiteren Werken, wie
Zaretzky beweist, mit den Typen des Nilcobtus Ooetz von Schlettstadt
in Köln gedrudct ist
W. Bruchmüller.
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Kleine Mitteilungen und Referate.
Die neue, sechste Auflage von Meyers GroRem Konversation^-
Lexikon, dem wirklich vortrefflichen „Nachschlagewerk des all^emfincn
Wissens", (Leipzig und Wien, Bibliographisches Institut) schreitet rüstig
fort Es liegen uns die Bände 13—15, die die Stidiwortc Lyrik Ms
PlakiMrifien umfusen, iR der bekannten gedi^encn Aualattang und.
mit dem reichen, den Text veranschauli^enden, zum Teil känstlerisch
schönen Illustrationsmaterial vor. Wir haben die Vorzüge des Werkes,
die seinen Gebrauch auch gelehrten Kreisen zur Feststellung äußerer
Daten usw. oder entlegenerer Dinge unentbehrlich machen, bereits mehr-
fach hervorgehoben, weisen auch wiederholt auf die guten i-iieraturangaben
bd den dafür geeigneten Artikeln hin. Von unaeran Ocbid nttieriicgiendcfl
Artikdn seien aus den vorii^gendcn Binden die folgenden genwnt, die
zum Teil zeigen, daß auch verstecktere Materien berücksichtigt sind:
Mahlzeit, Maife^^t, MSnnerhIuser, Männerkindbett, Maschine, Maske, Messen
(Handelsmessen), Wetallzeit, Metzgerpoc;ten, Minnehöfe (deren Existenz
riditig als Fhantasiegebilde hingestellt wird), Mittelalter (hier hätten neuere
Ansduuungen, die das Ende des MiHdaltars eist in das 17. Jahrhundert
legen, wenigstens erwihnt venlen sollen; vgl dieses Archiv V, 118),
Möbel, Mflhlen, Mumien, Münzwesen, Musik, Mythologie, Natuigefflld
(die kurz gegebene Geschichte desselben folgt nicht genügend den neueren
kulturgeschichtlichen Darstellungen dieser Materie), Nordische Kultur,
C)kktilii'>nu; Op€T, Opfer, Orden, Ornament, Papier, Perücke, Pfalil«
bauten, Pilug.
Ulrich Wendt sucht in dnem kunm Eteai: Technische
Ursachen -> soziale Wirlcungen (Zdlidirift fOr Sozialwissenschaft.
Jahrg. 9, Hefl lO/tl) den gewaltigen Einfluß der technischen Fortschritte
auf die soziale und auch kulturelle Entwicklung, ohne Z Acifcl f; bertreibend,
darzutun. «Daß die Technik unentwickelt war", heilet es, ,d.irin im
Altertum die Not\(cndigkeit der Sklaverei. Sobald die Technik sich ge-
hoben hatte, trat im Handwerk der Prozeß der Frdiassung ein.« Und
weitere Folgen knüpften sich daran. Illach Wendt ist fiberhanpt die
Technik diejenige Betätigungsform der menschlichen Natur, aus welcher
die Kultur in erster Linie hervorgeht, in zweiter Linie dann die Van-
edlung des menschlichen Geschlechts.
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Kleine Mlttdlungen and Referate;
255
In der Beilage zur Allgemeinen Zeitung (1907, Heft 1/2} veröffent-
lidit H. Bulle seine &langer Antrittsrede über Homer und die
mykenisch-griecbische Kultur. »Sdionzu Be8tnndes2.Jaln1tuseQds
blühte auf Kreta eine Kultur, die an künstlerischer Höhe weit über dem
steht, 'W'a? j^leichzeitifT in Mesopotamien und Ägypten ^elei^tet wird " Dfe
Karer sind die Scliojner du^er Kultur. »Um die Mitte des 2. Jahrtausends
verbreitet sich der Einfluß Kretas über das ganze Ägäische Meer; am
intensivsten kommt die Ostkfiste Griechenlands unter seinen Bann, wo
die griediisdicn Sttmme, die vir unter dem liomeriscfaen Sanunelnamen
der Adiier zussmraenÜMen, «ch dem Zauber dieser Kultur ergaben, aber
nicht ohne in Bauknnst und Lebensgewohnheit die aus einer ehemaligen
nördlichen Heimat mitgebrachten Eigentümlichkeiten 7ii be\rnhren " Bei
ihnen, die in den Zuständen ritterlicher Feudalherrschaft ieben, blüht der
Heldengesang, so in Tiryns und Mykenä. Ab sie den von Norden
kommenden Dorem weichen müssen, ziehen die Nachkommen jener
mykenischen Könige nach Kleinasien: mit ihnen «andern die alten
Heldenlieder. Neuer Stoff sIrBmt hinzu. »Nun erstehen die groflen
Dichter, die alle diese verschiedenartige Stoffe zu großen Sagenkomplexen
zusammenschweißen." Aber alles, was schon zu künstlerischer Abrundung
gelangt ist, wird bewahrt: »ihr Dichten ist mehr ein immer erneutes Um-
gießen, nicht ein völliges Neugestalten. So werden viele Grundzüge der
alten Kultursphire und manche charakteristische Einzelheit festgehalten.
Und die homerischen Gedichte sind, In diesem Sinne au^aBt, doch
eine Spiegelung jener rajrloenisdien Kulturbiflte.* «Homer an der Wende
zweier Zeiten, ab Vollender jener frfihgriechischen Vorblüte, als Anr^|er
und Leiter einer noch größeren neuen Zeit, das ist die Erkenntnis, die
die Archäologie beisteuert zu der Erforschung diesfö Problems."
in seiner bekannten anr^enden Weise gibt Gaston Boissier in
der Revue des deux mondes (Se Pfr., t. XXXVI, livr. 4; XXXVII, livr. 1)
dne Geschichte des Begriffisder humanitas (A propos d'un mot latin.
Comment les Romains ont connu Vhumaniii^, Natürlich ist
der Begriff der Humanität kein Produkt römisdien Geistes, dem er etgent>
lieh widerspricht vielmehr den Römern von den Griechen fiberkommen.
Oerade dieser lk'L;ntf muß Gelegenheit geben zu einer Schilderung des
griechischen Kulturemflusses. B. skizziert auch die Geschichte dieses Ein-
flusses, der mit Uvius Andronicus (der durch Schule und Schauspiel
virkte) beginnt, dann hd seinem Wachsen Opposition findet (bei
Pbiitos eriiennbar), bis ihm Sdpio Aemilianns, ein römischer Patriot und
doch begeisterter Hellenist, durch sein leuchtendes Beispiel zum Siege
verhüft. Nun erst konnte der Becjiff der btimanitas durch die ersten
römischen Geister definitiv geprägt und formuliert «erden Dieser Ikijritf
ist aber für alle Folgezeit wichtig geworden. »Scipion i:milicn, Ciceron
et les autres ont travaill6 pour nous." Von der humanitas hätten die
vlatdnitehen Nationen« ihre Kultur hemiteiten.
256
Kleine AAitteilungen und Referate.
In deii Preußischen Jahrbüchern (CXXVli, Heft 1) (^ibt j. Geficken
«tue nidit flUe latltnisndiiditlklie SMae fibcr die VelUnscIiaiiiing
spltantiker Zeit. Von dncm völligen Verfall der guuen antiken
Kultur läßt sich nidit reden. »Wohl aber ist für die zwei ersten nadh-
christlichen Jahrhunderte - diese will G. im Aussdinitte behandeln ~
bei den Griechen und spfiter auch bef den Römern ein starker geistiger
Rückgang wahmehnihir ' „Die Abneigung gegen die wi^nschaftltche
Arbeit, gegen die eigentliche Spekulation, die stete Betonung der Moral
nnd der religiösen Betncfatung kenmeichnet an» bcstai Teile die beiden
ersten nadicitriBtllchen Jahriiunderte.«
Auf dem Gebiet der deutschen Kultufgeachidlte ist namentlidi
wieder über Arbeiten lokaler Natur zu berichten. Allgemeinere Bedeutung
hat ein Aufsatz Heinrich Meiers Ober die Beziehung Braun-
schweigs zu den natiirHcheii Richtungen der mittelalter-
lichen Handeisstraßen \Braunschweigisches Magazin, 1906, Nr. 11).
Aitf Qnind der Pline des Bnunsdiweigisdien Uitandenbuches» Bd. in, nnd
der Quellen sdgt M. die Entstehung der AUsladt aus dflrfUdien Ansied-
lungen an den sechs alten Handdsfahrstraßen. Die Vermehrung dieser
Ansiedlungen infolge des zunehmenden Handels verwischte dann den
dörflichen Charakter.
Weiter seien folgende Arbeiten notiert: M. Hoff mann, Be-
schreibung Lübecks aus der Zeit um 15 SS (Mitteilungen des Vereins
f. tflb. Gesch., XI, 111^22); A. Warschauer, Aus den Posener
Stadtrechnungen, bes. des 16. Jahitunderts (ZeMsdirift d. hlstor.
Gesellschaft Posen, XX, 249—92); Detlefsen, Die städtische Ent-
wicklung Glückstadts unter Christian IV. (Zeitschrift der Gesellschaft
f. Schlesw.-Holst. Oesch , Rd. XXXVl); O l iebe, Eichsfelder Zu-
stände im großen Kriege (Mühlliäuser üeschichtsblätter, Jg. 7);
Reibstein, Beschreibung des Amts Möckern aus dem Jahre 164u
(aesch.-Blitter f. Magdebuig, XL, 220--42); S. Rosenfeld, Zustand
des Amts Loburg im 30jährigen Kriege. (Ebenda, 24S— 50.)
Zwd «esentlidi kultuigescfaichtlidi gefärbte Oesdikfatsbilder ans
der • Franzosenzeit" veröffentlicht Curt Gebauer in derselben Zdtsdirift
(190S, Heft 1 und i"Oh Heft 2). Die Stimmungsbilder aus den
Tagen des Königreichs Westfalen, gezeichnet nach Magdeburger
Aichivaiien, Zeitungen usw., eigeben das den Menschenkenner nicht übcr-
nflchende Resultat, da8 die Magdebuigci Bevölkerung die französische
FienidhcrrKhaft keincsvegs mit dem patriotischen OroU trug, den man
gemeinhin voraussetzt. OewiB ist darauf auch »dne gewisse Uuge Ver-
söhnungspoUdk der franzfisbchen Partei' von Einfluß gevesen; die Hin-
neigung zu der neuen Ordnung;: ist ferner -durch die neuen, von den
Emtngenschaften der Revolution insiiiricrlcn und durch die französische
Herrschaft in Deutschland verbreiteten gesetzgeberischen Gedanken, vornan
<lnich des «cstftlische Grundgesetz, die Konstitution,« erldirlidi. Der
Kleine Mitteilmigen und Reilente.
257
zwdte Aufritz: Das französische Element im Thetterleben
Magdeburgs ▼fthrend der Fremdherrschaft (Ende 1806 bis 1814)
zeigt, daß von einem Aufnötigen französischer Stilcke nicht die Rede sein
kann, daß überhaupt die Zahl der in M. autgeführten französischen Stucke
im Verhältnis zu dem deutschen Repertoire nur eine ziemlich geringe
war. Ancb die Prüfung der in deutscher Sprache aufgeführten franzo-
sischen Stflcke im Reperi^ des deutschen Schauspieles ergibt nur einen
geringen Einfluß der fruizfisischen HemdiaÜ Di^nsen Qbten die Gast*
spide französischer Kfinstter in Magdeburg doch stärkeren Einfluß. Im
altgemeinen tritt übrigens durchweg das fnuizflsisdie Scbaus|iiel hinler
der französischen Oper fast ijan/ 7urOck.
Kulturgeschichtlich bemerkenswert ist ein Aufsatz von A. Hassel-
blatt in der Baltischen Monatsschrift (1906, H. 8/9): Züge aus unserer
provinziellen Physiognomie vor zwei M^nschenaltern.
Efwihnt seien ferner folgende Beitilce zw snßcnlenlidien loloikn
Knltmieichichte: L Knappert, Uit het Leidsche volkleven in d.
aanvartf^ d. 1b eeu w (Handelingen etc v. d. Maatsch. d. Ncderl. I.etter-
kuiule te l eiden, 1904/5, Mededel., 3—28); H. Poetgens, Souvenirs
de V erviers ancien (Bulletin de la soc. vervietoise d archeol.
et dliist., 1906, no. 7); W. Grote, Das London zur Zeit der
Königin Elisabeth in deutscher Beleuchtung (Die neueren
Sjprufaen, XIV, Heft 8/9).
• Ziemlich reichlich, wie heigdmcht, fließen die Mitteilungen fiber
Heyenprozesse, leider meist rw^ späterer Zeit, in der sich immer daselbe
Bild bietet, wahrend das interessantesle Kapitel doch das der Fntstehung
der Hexoivertolgung bildet. Es berichtet K. v. Kauffungen über Mühl-
häuser Hexenprozesse aus den Jahren 1659 und 1660 in Jahrg. 7
der Mfihlfaättser OescfaichtabUltler, A. Dettling ausführilch Uber die
schwyzerischen Hexenprozesse in Heft 15 der Mitteiinngen des
Historischen Vereins des Kantons Scbuyz. A. En giert veröffentlicht in
den Hessischen Blättern für Volkskunde (V, H. 2/3) als Kleinen Bei-
trag 7iir (ieschichte der Hexenprozesse ein Gedicht aus einem
Einblattdruck der Münchener Hof- und Staatsbibliothek »von einem
Schultheißen Hans Fleischbein von Schaffheym", dem die Erstattung einer
Anzeige gegen Hexereiverdichtige um 1629 zugrunde liegt Auch aus
IlaUen liegt ein einschUgiger Beitrag von A. Cerlinl, Uns strega
reggiana e il suo processo (Studi storici, XV, 1) vor.
O. Schutte teilt in der Zeitschrift des Vereins f. Volkskunde
XV, isof ) Zauberse^^u'n des 1h. Jahrhunderts aus dem Oigicht-
boecke im Braunschweiger Stadtarchive mit.
Wesentlich geschichtlich ist auch die fleißige Art>eit von Franz
Kaumanns über den Adlerstein als Hilfsmittel bei der Oeburt
(Hessische Blitler f. VoUnkunde, V, H. 2/3). Ei* bringt fßr die schon
Im AUerhim wiederholt erwUinle Sitte, den in schweren OeburfsuMcn
Aitfv «r KBUnifCMlilcM» V.
17
258
Kleine Mitteilungen und Keterate.
liegenden Frauen durch Aiilnnden des Adlersteines Erleuhlening zu
verschaffen, allfö wichtige Material aus der antiken wie der mitteialtcr-
lichen und späteren Literatur und fügt zum Schluß diiige Auszüge tus
dner einchlägigen Speziakbliandliiiig von Job. ümrenthis Busch (Läpdg
1665) hinzu. Als Oegiuar jenes Ofauibens nennt Biusdi unter einer Meinen
Zahl vor allen den bekannten Oesner, der sidi sehr energisch gegen
•diesen maßlosen Aberglauben" äußert.
O. Günther berichtet in den Mitteilungen des Westpreußischen
Geschieh tsverei ns (V, 26f) vom Gesundbeten in Danztg 16SS.
P. Mitzschke macht in dem Sonntagsbtatt der Dorfzeitung
(1906, Nr 44) auf zwei Stellen in der Ininstieschichtllch bereits wieder-
holt gewfirdiglen Pnchthandschrift der Stnttgvter Bibliotbek, dem sogen.
Landgrafenpsalterium aufmerksam, die das älteste Kirchengebet
fQr einen thüringischen Fürsten, den Jjuidgrafen Hermann
(1190—1217), bilden.
P. Barth setzt nach einer Pause seine auch kultur- und sozial'
geschichtlich interessante Geschichte der Erziehung in soziolo-
gischer Beleuchtung in einem 5« Bdtng fort (Viertdjahnscbfifl f.
wiisensch. Philosophie und Soziologie, N. F. V, 4.)
Eine in den M^langes de bi ficulte Orientale, Universite Saint-
Joseph, Beyrouth, t. I, erschienene, uns nichr zugängliche Arbeit von
A. Mallon, Une ecole de savants egyptiens au moyen äge, sei
hier dem Titel nach erwähnt.
Aus den Mitteilungen der OcsellschafI ffir deutsche Endehungs»
und Sdiulgcscbicbte (16. Jg., Heft 4) heben wir einen lodtuigadiichdich
allgemein interessanten Aufsatz von Hermann Lorenz filier die Lehr-
mittel und Handarbeiten des Basedowschen Phitanthro-
pin'; hen'or Demselben sind 12 Tafeln mit Abbildim^en der wichtic^sten
in Dessau noch heute vorhandenen KV^te (25 üeretisiande) beigefügt,
ts sind dies u. a. das iModell eines Kriegsschiffs, einer Festung, von I*f1ug
und Egge, eines Kranes, eines Pumpwerks, eine Chinesenfigur usv(.
Ihrer Verzeidmnng und Beschreibung wird dne quellenmlBige &firlerung
Ober die Entwicklung der Basedowschen Etzichungigedattken, soweit sie
Lehrmittel und Handfertigkeit betreffen, vorausgeschickt. (1. Die Emp-
fehlung de? Snchunterrichts durch Basedow. 2. Plan der I chrnittd-
sammlungcn und der Edukationshandlung. 3. Die aus den Philanthropin-
schriflen und Akten nachweisbaren Lehrmittel; ihre Verwendung. 4. Der
Handfertigkeitsunterricht des Basedowschen Philanthropins.)
Von schulgesdiiditlidien Axbeiten seien die folgenden genannt:
O. Rfickert, Schulwesen nm das Jahr 1558 {JMx d, HisL VcretaiB
Dillingen, XVIII, 13S/5); L Lefebvre, Note sur l'enseignement
du latin et l*'s jeuv en langue latine dans les ecoles de Lille
au XVlP si^clc {Annales de l'Est et du Nord, \'J0ü, no. 4); J. A , I >n-
seignement public ä Liege en 1795 (Chron. ardi6ol. du pays de
Kleine Mittaluiigfn und Referate.
259
Liege, 1906, no. 9); Th. Wotschke, Die Posener Pfarrschule von
Maria Magdalena im 5.— 6. Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts (Histor
Monatsbi Itter f. Posen, VI, 142 5); J. W. Noväk, Die Schulordnung
des deutschen »Gymnasium illustre' bei St. Saivator in Prag
(Altstadt) (Jahrtmcfa der QcBcllsdiaft f. d. Ocsdi. d. Protcsdntismiw fn
Östenefch, 27. Jahng.).
Mehr sittengeschichth'ches Interesse bat die Arbeit von Jos. Wils,
Les d^penses d un etudia nt ä l'universit^ de Louvain (1448— 53),
in den Analcctes de l'hist. eccles. de la Bel|?ique (XXXIl, 4).
Zur (it-schichte der Bibh'otheken im Altertum liefert R. Cagnat
in den Menioires de 1 acadenue des inscriptions et belles-lettres (t. XXXVlll)
dnen wichtigen Beitrag (Les biblioth^ues tnuniclpales dans
Tempire romain).
Aitsdem 4. Abschnitt der lehnddien Untersuchungen R. Meringers
in den Indogermanischen Forschungen (XIX, 5): Worte und Sachen
seien die Ausfuhrungen über das Schlittenhaus hervorgehoben, die die
frühe Bauweise in vergleichender Weise beiiandeln.
O. V. Zingerle sdiildert in der Zeitschrift des f-crdiiundeuins
(XLIX, 26S— 300) die Einricbtung der Wohnräume tirolischer
Herrcnhiuser im 15. Jahrhundert
H. Beh len verbreitet sich in den Annalen des Vereins f. Nassauiscfae
Altert u. Gesch. (XXXV, 237—63) über das nassauische Bauernhaus.
Alfred Sitte beginnt in den Berichten und Mitfeilimjyen des
AUauimsvcreins zu Wien (XL. Bd., 1. Hälfle) eine kulturgeschichtlich
bemerkcnswa le und iieißig gearbeitete archivalische Publikation: Aus
den Inventarien des Schlosses zu Pottendorf erscheinen zu hissen.
ZuBlcfast liegt allerdings nur die historische Einleitung vor, die Schloß
und Herr«:haft Pottendorf (in Niederösterreich) bis zum Jahre 1665,
weiter währentl des Graf F. Nädasdysclien Besitzes, Schloß Pottendorf als
kaiserlichen Kaninierbesitz 1670—1702 und die Veräußerung der Graf
Nädasdyschen iMobilien behandelt. Von Wichtigkeit ist insbesondere die
Zeit des Grafen Nädasdy, eines der hervorragendsten Männer Ungarns, der
1670 in einen aubehcnentgenden Hocfavemtsproiefi verstrickt und 1671
bi Wien hingerichtet wurde. Er war dn großer Kunstfreund und i¥eund
der Wissenschaften, der selbst schrieb (Mausoleum der ungarisdien
Könige) und auch eine eigene Druckerei im Schlosse hatte; über die
Pottendorfer Drucke verbreitet sich Sitte, der darüber schon früher ge-
schrieben hat. eiiit^chenda-. »Die im 11. Teil zur Veroitentlichung gelan-
genden Inventare, welche nach der Verhaftung Nädasdys aufgenommen
wurden, geben uns so recht dn lebendiges Bild eines nicht nur an Geld,
sondern auch an Ods! und KunstUebe rdchen Mannes.« Jetzt ist alles
aerstreut, »die OemUdesamnilung, die Rflstkammer mit ihnen Sdteobdten,
der Schatz der Kapdle, die pnchtigen Prunkwaffen und Gewänder, die
Sammlungen von antihen Mfinzen und Kupferstichen, die Kristallglte
17*
260
Kleine Mittdlungoi und Referate.
die Bibliothek und die Druckerei, die Handschnftensammlungf, die Samm-
lung von Ranüten, die prächtige Innendekoration und Einrichtung etc."
Über die Schatzkammer Nädasdys hat Sitte, der mit ähnlichen Arbeiten
sich boeils meliifiKii vodicnt gemadit hat, übrigens badtt im XXXIV.
und XXXV. Binde d«ndbcn Zeitschrift gehmdelt Dtmals hat er bereHs
das kunst- wie kulturgeschichtlich sehr intenwmte Schätzungsinventar
über die »Ciainodien, Oolt, Silt>er unnd andern Sachen«, d. h. auch über
kostbare Stoffe, Kleidungsstücke, Pelzsachen, Teppiche ti^w. sowie iiber
kunstreiche Kuriositäten und die Oemälde veröffentlicht (nach Archivahen
des Reichsiinanzministeriums).
Die BttHer für vergleichende RedriiviMemch. o. VoUnr. (1906, 5/6)
enthalten einen Aufntz von R. Thnrnvald fibcr die Stellung der
Frau im alten Babylonien und die allgemeinen Orenxen der
Rechtsstellung der Frau.
Ein serbisch-byzantinischer Verlobungsring ist der
Gegenstand der interessanten Ausführungen K. Krumbachers in den
Sitzungsberichten der bayer. Akademie der Wissensch. (1906, Heft 3,
421-452). Dieser Rtog stellt das ehaige Betspiel dar, wo ein Ring ans>
drOddidi durch die Inschrift als Veriobungving beieichnet wfad. Es
handelt sich um die Verlobung des Serbenhcmehen Stephan Radosfaiv
mit der griechischen Kaisertochter Anna Komnena um 1230. Der Ge-
lehrte, der Krumbacher auf den Ring aufmerksam machte, war Prälat
Frielrich Schneider in Mainz (vgl. Mainzer Journal, 1407, Nr. 18).
Über Landesfürstliche üeburts-, Vermähiungs- und
Todesanzeigen im 15. Jahrhundert macht O. Richter ht den
Dresdner Ocschichtsblitlem (1906, Kr. 2) MitteUungen.
Aus den Rheinischen OescbidrtsbÜtteni (VIII, 111--19) notieren
wir einen Aufsatz von F. Hauptmann, Eine schöne Leich.
Kulturbild aus dem jfllicher Land aus der 2. Hilfte des
IS. Jahrhunderts.
In doi »Studien aus Kunst und beschichte*, einer prachtigen
Festschrift, die dem trefflidien und um die Ocschichts- wie Kunst-
gcschichtsfonchung sehr verdienten Mainzer Domlopitnhur, Prftlat
Friedrich Schneider zum siebzigsten Geburtstag gewidmet ist nnd
an der Männer wie Schulte, Finke, Lichtwark, Bode, Carl Neumann,
Lessing, Strzygowski mitgearbeitet haben, findet sich ein speziell kultur-
geschichtlich interKsanter Beitrag von Erwin Henslcr über das
Königreich zu Mainz, d. h. über ein merkwürdiges, aber für die
Voraeit chandderistisches «nlbTisches Fest« am kurfOntlichen Hofe zu
Mafoiz. Man machte da im heiteren Spiel die Untergebenen zu Vor-
gesetzten, den Herrn zum Diener. »Am Dreikönigstag jeden Jahres Int
die Mainzer R^erungskanzlei zusammen, um das ,Königreich zu Mainz'
m errichten. Ursprünglich wohl auf die Kanzlei beschränkt, dehnte ^ich
das Königrach rasch auf weitere Kreise aus, so daß bald der ganze
Kldne Mittdlungai und Refierate.
261
Hofhält und die gcsimte ZentndvcnndtunK daran beteiligt wireo. Vom
Kurfünten bis zum letzten ,Hundquiig' wurden alle tatsldiiidi am Hofe
bestehenden Amter unter ihren wirklichen Inhabern verlost. . . . Am
Aschermittudch erreichte das Spiel sein Fndp " Auf Oründ eine«; Akten-
bandes des Würzburger Kreisarchivs J^rotocolia Deren von Alten Zeiten
her auf hiesiger Regierungs-Cantzley gewöhnlich gezogenen Königreichen.
Pro Anno 1617—1775' gibt Hensler nach einer lehrreichen Einleitung
Qlxr die Oetdüdite solcher Königreiche überhaupt Nlhercs Über den
Mainzer Brauch und seine Entwlddung. Genauer sind vir nur Aber das
Jahr 174$ unterrichtet.
Über Kurfürstliche Verordnungen betr. die Karnevals-
bciustigun gen berichtet Lapcr in der Trierer Chronik (N. F. II, 30/2).
In der »Beilage zur Allgemeinen Zeitung" (1906, Nr. 255) erörtert
G. K. L. Huberti de' Dalberg die Frage, wie Hubertus als Tages-
hdliger des S. November in den Kalender gekommen ist, wie er ilber-
haupt zu der Rolle als Schutzpatron der JSger kommt (Der wirkliche
und der heutige St. Hubertus.) Er bringt mancherlei Material dafflr
bei, Haß Hubertus mit Eustachius verment^ is*, daß, abfresehcn vor der
nächsten Umgcbunt; der Ardennen, sich überhaupt die Rolle des Hubertus
als Schutzpatron der Jäger erst ziemlich spät verbreitet hat. In Nr. 257
derselben Zeitschrift weist Eb. Nestle aber darauf hin, daß der Verfasser
die grQndKdisle Arbeit Aber St Hubertusi, nlrolich die Acta Sandonim,
nicht benutzt hat, und in Nr. 260 Emst Kuhn auf die liieren Foischungen
von J. G. Th. Grässe und namentlich von H. Gaidoz (La rage et St
Hilbert) Kuhn stellt a!s jet^t sicheres Ergebnis hin, „erstens drrß die
Hubertusfeier einen alten heidni eben Opferbrauch fortsetzt, zweitens daß
St. Hubertus erst aus einem Beschützer gegen die Tollwut zum Patron
der Jäger geworden, endlich daß das Wunder vom kreuztragenden
Hinch ecrt aus der Legende von St Eustathius oder St Eustachius auf
St Hubertus Obertragen worden ist'
Aus den Oeschtchtsblättem f. Magdeburg (XL, 178—94) erwähnen
wir den Aufsatz von Ed. Ausfeld, Die letzten Wölfe und Wolfs-
jagden im Gebiete des Herzogtums Magdeburg.
Zur Geschichte des Schützenwe^ns tragen die Aufsatze von
A. Bücbi, Schießwesen und Schützenfeste in frdburg Iiis zur Mitte des
15. Jahrhunderts» in den Ireibuiscr Oescfaichtsblittem (XII, t52— 70) und
von R. Hofmann, Ältestes Zwickauer ArmbrustschieBen 1489,
in den Mitteilungen des Altertumsvereins Zwickau (VIII, 40-59) bei.
In der Monatsschrift „Deutschland" (Heft 50. 1Q06, Nov.) berichtet
Ernst Consentiiis nach Akten des Berliner Geheim cii Staatsarchivs
über die Affäre eines polnischen Edelmanns, die ein merkwürdiges Licht
auf die Zustände um 1700 wirit (Ein Kultur- und Sittenbild aus
d em 1 8. J ah rhu ndert). Bei dem Jubilium der ÜniveniHt Fifankfurt a. O.
I706fibemichte ein ziemlich abenteuerlicher nobilis polonus dem König
262
Kleine Mitteilungen und Referate.
medrich I. von Preußen eine Bittschrift, der Kdnig möge ihm gegen
einen zur Zeit in Frankfurt lebenden Juden helfen, der des Klägers
Tochter verführt und sitzen gelassen habe. Diese sei mit ihrer Mutter
aus Polen über Memel nach Ani-^tfidim entführt: er sei ihnen nach«
gereist, sei dort von den Juden gewalbani zuui Judcmum gebracht;
trotnlem habe ein utderer seine ftau geheintet und jener dritte Jude
die Tochter hinteiigBngen. C. teilt die Unteisuchungsakten mit: die
Sache blieb unerledigt
In den Sitziinjjsberichten der K. Preuß. Akademie der Wissen-
schaften (1906, Nr. 48) handelt O. Schmoller über die Entstehung
der öffentlichen Haushalte, haupt'^ächiich in den Territorial-
und Mittelstaaten vom 13. bis 17. Jahrhundert, und stellt zunächst
den Gegensatz dieser wesentlich geldirirtschafllichen oder geldwirtschaft-
lidier Zusammenfiesut^ zugtnglidien Haushalte zu den älteren auf
Naturalwirtschaft gegründeten fest. Hofhalt und Steatshaushalt fielen
al>er noch zusammen. Nach einer Darlegung der Verwendungszwecke
der Einkünfte wird vor allem untersucht, wie weit der Umfang dieser
Haushalte nach den Quellen festzustellen ist, und durch Umrechnung der
brauchbaren Zahlenangaben in das heutige Geld die Möglichkeit der
Vergleichung der Finanzkritfte der Maaten nnd der Entvicldung der»
sell)en voigeführt.
Die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit deutscher Städte
im Mittelalter sucht A. Nuglisch in einer also betitelten Abhandlung
in der Zeitschrift für Sn^ir^lwissenschaft (Jahrg. 9, Heft 6/8) auf Grund
einer Reihe neuerer Arbeiten einer richtigen Einschätzung näher zu bringen.
Er stellt fest, »welches das Vermögen der einzelnen Bürger (so von
Konstanz, Ravensburg, Augsburg, Basel, Eßlingen, Hall, Kolmar, Schlett-
stadt) nnd der Oesamthelt war, wie hodi also die Sunnnen sich belletai,
durch die das deutsche BOrgertum im späteren Mittelalter zu Macht und
Ansehen gelangte. Daran wird sich dann die Bedeutung anderer über-
lieferter und bekannter Angaben z. R. über die I eistungsfähigkeft Hes
Kaisers, der Fürsten, des Papstes usw. messen las<:en und sich so ein
Verständnis für viele Größenverhältnissc des mittelalterlichen Wirtschafts-
lebens gewinnen fa«en.« Hervorgehoben sei das Ergebnis, »daB das
deutsche Bflrgertum infolge des AuCschwungs des Handds seine erste
große Blüte \on etwa 1300 bis gegen 1480 erlebt: in dieser Zeit waren
große, rasch anwachsende Vermögen an vielen Orten entstanden." Im
ganzen ist die reistiingsfähigkeit der Städte sehr hoch anzuschlagen.
Die Wald Ordnung Max I. vom Jahre 1511 für den
Wienerwalü behandelt Pensch in der Österr. Forst- und Jagds^tung
(1906, Nr. 44.)
Zur Geschichte des Oeweibes und der Industrie seien folgende
Arbeiten notiert; H. Willers, Die römische .Messingindustrie in
Nieder-Oermanien, ihre Fabrikate und ihr Ausfuht^iet (Rhein»
Kleine Mittdiungen und Refente.
263
Museum f. Philol., N. F. LXII, H. 1); J. BrurriTn, Das Zunftwesen in
Nassau-Oranien (Nassovia, 1906, S. 250 2); Meiners, Die bergische
Industrie während der Fremdherrschaft (18Ü6— 1813) mit be-
sonderer Berücksichtigung Elberfelds (Monatsschrift d. Beig. Geschichts-
Vcrelns, 1906, 16—39); P. Boissonnade, La restauration et le d^-
veloppementdel'indnstrie cn Languedoc au tempsdeColbert
(Annalcs du Midi, no. 72, Oct 1906); W. H. Pricc, On the beginning
of the cotton indu$try in England (The Quart Journ. of Economics,
vol. XX, nn, 4).
in der Zeitsciirift für Sozialwissenschaft (Jahrg. 9, Heft 10—12)
behandelt Richard Lasch das Marktwesen auf den primitiven
Kulturstufen. Er geht davon aus, »daß diese Handebfomif insbe-
sondere mit R0dc»cht auf ihre Abkunft und ihr Vorkommen bei den
primitiven Völkern, im allgemeinen bisher doch weniger beachtet geblieben
ist und das diesbezügliche Materinl in aller VolIständij7kcit noch nie ver-
arbeitet wurde" »Große, ethnographisch sehr wichtige Gebiete, wie
Indonesien, Anitrika, sind vom Gesichtspunkte des Marktwesens bisher
nicht betrachtet worden.« L hofft, »daß die dort vorfindlichen (!) sehr
beachtenswerten Ansätze zu einem geregelten Marktleben dazu beitragen
kennen, auch Klaibcit fiber manchen dunklen Punkt in der Entstehung^
geschichte der Markteinrichtungen der indogermanischen Kulturvölker zu
verbreiten." Nach einführenden Bemerkungen nber die beiclen Richtungen
des primitiven Handels, den Männer- und hrauenhandel, und den sogen,
stummen oder Dcpothandel, der aber keineswegs die Urform alles Markt-
verkehrs sei, gibt L. einen Üt>erblick über die Verbreitung des Markt-
«esens von geographlsdten und etfinologischen Oesichtspunklen aus sowie
fiber das zeitliche Auftreten des Markthandels. Sodann werden die
Wesenszfige dieser Handelsform näher dargdegt, von denen zwei, das
Dominieren der Frauen als Marktparteien und das X'orwiegen der Lebens-
mittel unter den zum Austausche bestimmten Waren schon in den
vorhergehenden Ausführungen berührt waren. Aus den Schluß-
bemerkungen seien folgende Sätze hervorgehoben. Es sei auffällig, «daß
ein so bedeutender kultureller f^ortschritti wie ihn die Erfhidung des
Markthandeb bedeutet^ schon auf veildItnisniaBig niederer Zivilisations-
stufe gemacht worden ist Bedenken wir aber anderseits den enormen
Wert des ^erej^eltpn Marktverkehrs für das wirtschaftliche und soziale
Leben der Mensdiheit, seine erziehliche Bedeutung in ethischer und recht-
licher Beziehung, so müssen wir es nur zu b^eiflich finden, daß der
Wert der Institution selbst von dem ungeschulten, sonst wenig vorsorg-
lichen Geiste des Wilden erkannt und für seine Zwecke ausgenützt wurde.«
»Nicht hodi genug können aber nun die sittlichen und rechtlldien Ideen
und VofStelluogen angeschlagen werden, welche aus dem Marktverkehr »
sich ergeben und von dort aus Gemeingut des Volksbevt iißtM'ins werden.
Die B^ffe des Friedens, der Gastfreundschaft und Humanität gegen
264
Kleine Mitteilungen und Referate.
ntnide vQiden ohne das Handeln und speziell das Marktleben niemab
gesdiaffen, erfaßt und in Handlungen umgesetzt worden sein."
Aus den Schriften des Vereins f. Gesch. des Bodensees (Heft 35)
notieren wir den kurzen Beitrag von K. Schwärzler, Zur Geschichte
aer Märitte der Bodenseegegend.
In der Revue des deux mondcs (5« t XXXVII, Uvr. 1 et 3)
setzt Vioomte Georges d'Avenel seine hier ixreits enribnte interessante
Aufsatzreihe: Les Riehes depuis se p t cents ans fort und erSrtert unter
reichen Zahlenangaben aiesmal die Entwicklung der Honorare der Ärzte
und Künstler (Honornires des profcssions lib^üks. M^decißS et Cbinugiens.
Honoraires des arlistes, peintres et sculpteurs).
R. Jordan bringt in den Müblbäuser Oeschiditsblatieni (Jahrg. 7)
Nachrichten über die MBhIhausen in Thüringen berührenden
PoststraBen.
In der Revue des questions scienlifiqiies (avril-juillet 1906)
findet sich eine Reihe von Arbeiten fiber die Häfen und ihre uirtschaft-
liche Bedeutung (Les Ports et leur fonction ^conomique), rum
Teil g^eschichtlich pjclialtcii, so die Beiträge von H. Francotte (Grece
aiicieuue) und G. Leckhout (Brugc» au moyen äge).
Ein Artikel von KOrber ther neue Inschriften des Mainzer
Museums in der ZcHscfarifl des Vereins zur Eiforschuns der rfaein.
Ocsch. usv. In Mainz (IV, 4) behandelt die Inschriften auf einigen rOmischen
Augenarztstempeln, die für die Geschichte der Augenkranidiciten und der
dagegen angewandten Mittel nutzbar gemacht werden
In den Mitteilungen des Vereins f. Hamburg. Gt s^h (XXV, 76—92)
handelt Th. Schräder über den »schwarzen lud" in ilaniburg,in
den MAnolres de la sod^t^ d'änulation du Doubs (7e afrle, t X) Llmon
aber MaBnahmen gingen die Pest in Besang (Les Mesures contre ta
peste k Besannen au XVI« si^cle).
Aus der Altpreußischen Monatsschrift (N. F. XLIU, H. 3) erwähnen wir
einen Artikel von S.Meyer, Zi:r Arzneikunde d. 17. Jahrhunderts.
Eine Geschichte von Karlsbad und seiner Kur gibt Fr. Kuglers
AufsaLz: Kur- und Badewesen von Karlsbad (Unser Lgerland,
Jg. 10, Nr. 4/5). Auch die Mitteilungen von R. Kraufi In der Zeüsdnifl
für die Geschichte des Oberrheins (N* F. XXI, H. 4) zur Geschichte
der drei Renchbider Oriest}ach, Petersthal und Antogast unter
württembergischer Herrschaft (1. Hälfte des 17. Jahrhunderts) haben erbeb*
liebes kulturgeschichtliches Interesse.
In der Deutschen medizinischen Woclicnschrift (1906, Nr. 22) schildert
A. Gottstein Berliner iiygienische Zustände vor 100 Jahren.
Aus denAdtilgen z. Gesch. d. Stiftes Weiden (IX, 126—93) notieren
vir: Werden er Beiträge zur Geschichte des Kurpfuschertums
im 18. Jahrhundert von O. Kranz.
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Besan^-on et Montbeluird, d apres des documcnts in&lits. Avec l'inven-
taire de ses biens, le catalogue dteill£ de sa libndfie etc. Fsris (2^7 p.)
— Journal de vqyage de Montiigne^ publik avec une introduction, des
notes, une table des noms propres et la traduction du texte italicn per
/.. Laufrey. Paris (539 p.) Des Grafen Simon VI zm Lippe lage-
buch über seine Qesandtschaf tsreise zu dem Herzog von Prjrmn u. nach
den Niederlanden 15^1 — 92 . . . hrsg. v. L. Schmitz- Kallfnberg. [Aus:
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HWflMn LUhgow, The totill Discoune of the Rare Adventures and Paine-
fuU Peregrinations of l<Nig Nineteene Yeares Travayics from Soothmd to
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BeriditlguRg.
Auf S. 535 des IV. Bandes des Archivs ist Z. 13 v. o. statt 1761:
1791 ZU lesen; auf S. 160 des V. Bandes Z. 3 v. u. statt BsdcicbeR:
Die Jagd des Einhorns in Wort und Bild.
Von FRANZ KUNTZE.
Im oberen Treppenhause der Hofbibliothek zu Weimar
hängen drei Gemälde, die, wenn auch im ganzen von beschei-
denem Kunstwert, doch in kunst- und literargeschichllicher Hin-
sicht bcdciiisaiii sind. Es sind sogenannte Einhornbilder, d. h.
Darstellungen der Vcrkuiidigunfj und Menschwerdung, wobei
Christus durch das Einhorn verkörpert ist, während der Engel
Gabriel in der Maske des Jägers auftritt. Dieser hält an der
Leine vier Hunde, die das Einhorn verfolgen, welches sich in
den Schoß der Maria flüchtet. Sie sitzt in dem hortus con-
clusus (Hohelied 4,12) neben der porta clausa (Ezechiel 44,1 ff.)
und umfaßt schützend und liebkosend das Horn des gejagten
Tieres. Der Jäger stößt in das Horn, aus dem ein Spruchband
mit dem himmlischen Oniß hervorquillt. Oben in den Wolken
Gott Vater, während die verschiedenen Attribute der Maria, das
l eil Gideons, die urna aurca mit dem .Manna (Exod. 16,14),
der fons signatus (Hrliclud 4,12), die Rute Aarons (Numeri 17),
der elfenbeinerne lurm (Hohelied 7,4) oder der Turm Davids
(Hohel. 4, 4), der [intens aquarum viventium (Hohel. 4, 1 5) usw.
mit mehr oder mincicr großer Vollständigkeit über die 1 lache
der Gemälde verteilt sind. Dazu noch einzehie nuf die Maria
bezügliche Sprüche, wie sicut lilium inter spinas (Hohelied 2, 2)
oder veni, auster, perila ortum et fluant aromata (Hohelied 4,16).
Die Bilder stammen aus verschiedenen Zeiten und sind von sehr
verschiedenem Wert, weichen auch in der Ausführung voneinander
ab. Das größte von ihnen, das AiUttdstück eines drdflügligen
Altarbildes, das sich dem Beschauer, wenn er den ersten Absatz
Atddv m Knltarsnclilchle. V. 18
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274
Franz Kuntze.
der Obertreppe erstiegen hat, mit aller Deutlichkeit darstellt, ge-
hört nach Lehfeldt der altkölnisdien Schule an, so daß seine
Entstehung in den Ausgang des 14. Jahrhunderts zu setzen wire.
Natürlich ist es wie alle derartigten GemSlde vorzugsweise auf
dekorative Wirloing berechnet und die Daistdlung konventionell.
Aber die Einzelheiten sind sauber herausgearbeitet und manch-
mal nicht ohne individuellen Reiz. So ist der Kopf der Maria
und namentlich auch der des jugendlichen Jlg^ mit seinem
blondgelockten Haar von zartem, gefiUligem Ausdruck, die Hflnde
der Jungfiau sind von besonderer Feinheit, das Einhorn ist
kleiner als sonst und übetaus zierlich und schlank daigestelll^
ebenso auch die Hunde. Ldder ist das Bild stark beschidigt,
so dafi die Embleme der Maria nur teilweise zu erioennen sind.
Aber die Hauptfiguren, auch das Haupt Oottvateis, dessen Halb-
figur oben in den Wolken zur Linken des Beschauers erscheint,
sind wohl erhallen.
Das zweite Bild hängt leider so, daß man es mit bloßem
AuL^e kaum erkennen kann. Iis maij etwa liiindert Jahre spater
entbtanden sein ab cias erste, es sieht ihm in der Ausführung
der tinzeldmgp nach und ist von sehr dunklem Farbenton.
Außer dem zahheichen Beiwerk erscheint, wie auf dem ersten
Bilde, die Gestalt Gottvaters, dazu aber noch der heilige Geist
in Gestalt einer Taube, die mit dem Schnabel das Maupt der
Maria beriihrt. Und ihr folgt in einiger Entfernung das Christus-
kind, das Kreuz tragend, 8:leichsam schuimmend in den Strahlen,
die von Gottvater ausgehen und die Taube noch treffen. Übri-
gens ist das Bild gut erhalten. Schon Vulpius hat in den
Curiositaten (6, t33) eme Beschreibung davon gegeben samt einer
Tafel mit einer Abbildung, die bei Miliin: Voyages dans Ics
provinces du midi de la France wiederholt ist.
Das dritte Bild ist eine schlecht erhaltene handwerksmäßige
Schilderei von erstaunlich dürftiger, ja roher Technik und in
gröblicher Weise übermalt Bäurisch plump ist das Gesicht der
Maria wie das des Jägers, der mit einem ungestaltenen Flügel-
paar ausgestattet ist, das Einhorn vollends ein bis zur Unkennt-
lichkeit entstelltes Monstrum. Die Zahl der Hunde ist auf allen
drei Bildern vier, und sie sind durch SprucbbAnder als TrSg^r
. kiui^ .-. l y Google
Die Jagd des Einlion» in U^ort «od Bild.
275
der Namen Fax, Miaerioordia, Veritas und lustitta bezdchnel^
worüber apäler noch melir zu sagen ist.
Der Q^nstand ist bekanntlich in der bildenden Kunst
vielfach behandelt worden, weniger häufig von der Dichtung;
wenn sie ihn auch keineswegs verschmäht hat, wie denn ja Dich-
tung und bildende Kunst im Mittelalter in enger Beziehung zu-
einander stehen.^) Ehe wir jedoch darauf eingehen, wird es
geraten sein, die Frage aufeuwerfen, wie es kommt, daß aus der
Einhomlegende eine so wunderliche Allegorie herausgesponnen
ist, wie sie in den oben beschriebenen Bildern zutage tritt
Aus der Einhornlegende, sage ich; denn eine Legende,
genau genommen ein Mythos ist es, da eine Spezies Einhorn
nicht existiert, wiewohl man lange an die Existenz desselben ge-
glaubt hat Noch Friedrich Mfinter, der im Jahre 1 825 das wert-
volle Buch über die Sinnbilder der alten Christen verfaßt hat,
hält daran fest, iiachcicni diircli die Berichte von Reisetideii der
beträchtlich ins Wanken geratene Glaube an das Dasein eines
einhornigen Tieres - schon Linne und Cuvier haben ihn ver-
worfen - wieder neu befestigt \vzr. Auch Gelehrte wie Grösse
und, wie ich irgendwo geieseii liabe, der Franzose Cahier wollen
von diesem Glauben nicht recht lassen, und noch im Jahre 1867
bemerkt der üstpreuße Bergau in seiner Abhandlung: »Die Jagd
des Einhorns" mit Berufung auf die Enzyklopädie von Ersch
und Gruber: „Das Einhorn, em pferdeartif^es Tier usw., soll im
Innern Afrikas leben." Aber die Nachrichten, welche in der Mitte
des verflossenen Jahrhunderts über die Existenz eines südafrika-
nischen Einhorns — angeblich einer Antilopenart - verbreitet
worden sind, beruhen ebenso auf Täuschung wie diejenigen, die
neuerdings über ein aus Tibet nach Europa importiertes ein-
horniges Tier in die Welt gegangen sind.')
1) S. dariber PiUMr in den N. J«lnfeb.f.d. Uan. Alt, OeMh. «. Pid., Jdirg. VII,
195 ff. (19««).
>) Dn Oliaben u dae lapniHltKlie ehdiömige Antilopenart «fderlegt Selmce Im
Daheim 1906 (43). Audi was unlän^:=t Hamburg;«- BlStter über l imn in Hakenbecks Tier-
park befindlichen etnhöroigen Schafbock aus Tibet berichtet haben, l»t irrig. Es handelt
«ich, wie mir ein SachWlSndiger, Herr Dr. Alexander Sokolo«sk)r fn Haoibttrs. gfitisst
mitteilt, um Verwadiwiifea. Die bdden Hörner tanfen itntai «it der Wuzd in dne» »•
«unmen, trennen sich aber vieder in der Splte. Eine Abnonnfllt, die in Tibet htnffi;
vorkommen soll Ahnlich mag es sich auch mit dem einhömigen Widder in ilen Herden
des Pcnlücs verhalten haben, v<mi dm Plutardi, die aooderbare ErUinuig des Anaxaggras
kianfBiend (Perid. VI), bcridttet - «an aaden an der SmIk ctwat Wehm ist
18*
276
Htm. Kuntze.
Die Kunde von dem fabdlutHeii Tier rdcht belanntüdi
weit ins Altertum zurück. Zwei ausfQhrliche Beridile in grie-
chischer Sprache liegen uns vor. Der ältere findet sich beim
Ktesias;*) er ist ohne wesentliche Verlndeningen wiederholt in
der nahini «nimalium Allans (IV, 52). Danach gab es hi Asien
eine Art von Esdn, die den Pfaden glichen, aber etwas grßfier
waren, von weißer Fart>e, aber purpurrotem Kopf und bkuen
Augen. Auf der Stirn hatten sie ein spitzes Horn von der Unge
etner Elle, dessen unterer Teil wdB war, wihrend der mittlere
schwarz, der obere purpurrot erschien. Das Tier Ist sehr stark,
heifit es weiter, und so schnell, dafi es von keinem Verfolger
eingeholt wird. Wird es angegriffen, setzt es sich zur Wehr und
kftmpft namentlich für die Jungen mit Huf, Horn und Biß.
Lebend kann es nicht gefangen werden, aber man erlegt es mit
Pfeil und Wurfgeschoß nicht des ungenießbaren f^eisches, son-
dern der Hufe und des Homes wegen. Aus diesem wird dn
wichtiges Hdlndttel gewonnen, sei es, daß man daraus wie aus
einem Becher trinkt, sei es, daß Schabstfickdien dessdben mit
Wdn oder Wasso* gemischt genossen werden. Gegen Krämpfe
und Veiglfhing ist es besonders wirksam. So KtesMS.
Der zwdte Bericht geht höchst wahfsdidnllch auf den
Megasthenes zurück, der als Gesandter des Sdeukos Nikator
(t 280 V. Chr.) Indien besucht und seine Beobachtungen in
einem größeren Werke, 'Ivdixd wie die Schrift des Ktesias ge-
nannt, niedergelegt hat. Das Werk ist verloren, aber Auszüge
sind davon erhalten; den Bericht des Autors über das Einhorn
hat ebenfalls Älian in der Tiergeschichte wiedergegeben (XVI, 20).
Hier heißt das Tier geradezu uoroxFon)^ oder auch KaQxdL,ow(K
(Starkgürtel), es hat die Größe und die iWahne eines ausge-
wachsenen Pferdes und gelbliches Haar, ist außerordentlich
schnell, hat Füße, die denen eines Elefanten gleichen, und den
Schwanz eines Schweines. Zwischen den Augen ragt in natür-
hchen Windungen ein Horn von schwarzer Farbe hervor. Seine
Stimme ist überaus laut und mißtönend. Die Kraft seines Körpers
tst groß, die seines Hornes geradezu unwiderstehhch. Gegen
*) Ktesi»' PnfnMnte (Bihc) S54, 51.
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Die Jagd des Einhorns in Wort und Bild.
277
andere Tiere ist es friedfertig und sanft, gegen seinesgleichen
aber, gegen die Weibchen nicht minder als gegen die Männchen,
von beispielloser Wildheit, und es kämpft ergrimmt bis zu seinem
oder des Widersachers Tode. Nur zur Zeit der Paarung erlischt
seine Wut gegen das Weibchen, kehrt jedoch nach Ablauf der
Brunstzeit mit gleicher Heftiglceit zurück. Das Tier liebt die
Einsamkeit und sucht stets entlegene Weideplätze. Ein auage*
wachsenes Einhorn ist noch niemals gefangen worden. Die ge-
fiingpnen Jungen des Tieres werden dem Könige der Prasier,
eines im Norden Indiens am Ganges hausenden Volkes, gebracht
Das heißt, wenn man es modern ausdrücken will, der Fang des
Tieres war ein Regal.
Man sieht, die beiden Berichte weichen stark voneinander
ab. Im ersten wird ganz besonders die Beschaffenheit des Homes
und seine Bniudibariceit für Heilzwecke hervoigehoben, in dem
andern wird die gellende Stimme des Tieres, seine Liebe zur
Einsamkeit sem seltsames Verhalten gegen die Tiere seiner Gat-
tung betont. Gemeinsam ist bekien Berichten die Angabe Aber
die Starke, die Schnelligkeit, die Wildheit, die Kampflust des
Tieres, gänzlich verschieden dagegen die Beschreibung des Kör-
pers. Es ist daher ungewiß, ob sich die beiden Berichte auf
ein Tier, etwa das Rhinozeros, oder auf mehrere t)eziehen. Auch
die Entstehung der einzelnen Angaben ist unkontrollierbar. Sicher
ist wohl 80 viel, daß die beiden Berichterstatter ihre Nachrichten
von Eingeborenen erhalten und sie gutgläubig nadierzShIt haben.
Kritik war bekanntlich die starice Seite der Alten nicht Man
erinnert sich leicht an die Cunosen Jagdgeschichten von dem em-
hömigen Rinde und dem gelenklosen Elch, die CSsar sich in
Gallien hat aufbinden lassen.
Aus diesen beiden Berichten haben die SpAterai geschöpft.
Die Notiz des Aristoteles (histor. animal. II, i) über die ehi-
hömigen und einhufigen äsd Indiens geht wohl auf Ktesias
zuriidc, wahrend Strabo (Oeogr.XV,7lO Dfibner) den Megasthenes
zitiert als den Autor, der von einhufigen Pfdden mit Hirsch-
köpfen zu erzählen wisse. Beide Berichte kennt Plinius. Er
erwähnt (nat bist XI, 255) den indischen Esel, der einhufig ist
und Fußknöchel (talos) - äoTQdyaXoi sagt Ktesias - hat, aber
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278 Fnnz Kuntze.
an anderer Stelle gibt er einen Auszug aus dem Beiidit des
Megasthenes. »Der Monoceros«, sagt er VIII, 76, »ist ein Tier
von außerordentlicher Wildheit; es gleicht dem Pferde, hat aber
einen Hirschkopf, Elefiiiitenfuße und den Schwanz eines Schweines.
Seine Stimme ist ein schreckliches Oebrüll ; mitten auf der Stirn
hat es ein zwei Ellen langes Horn. Man erzählt, daß es nicht
lebendig gefangen werden könne.«*) Dem Plinius folgt dann, wie
immer, sein getreuer Solinus in seinen Denkwürdigkeiten (52, 39),
während Philostrat, was er im Leben des Apollontus von Tyana
(III, 2) Über die einhömigen indischen Esel erzählt, aus beiden
Berichten ziisammentreschweißt hat
Aus diesen Quellen, hauptsächlich dem Plinius, Solinus und
Älian, ist die Weisheit geflossen, die in der Literatur des Mittel-
alters über die Natur des interessanten Fabeltieres nbp^elnf^ert ist.*)
Die Theologen, die Naturforschrr, die Kompiiatoren und Ver-
fasser der zahlreichen Lnzykiopädien und Sammelwerke haben
zusammengetragen, was sie fanden, haben ihre Vorgänger benutzt
und ausgeschrieben, ihre Vorlagen oft durch fremde Zuflüsse
erweitert und ausgeschmückt. Vor allem interessierte man sich
für die Stärke, die Schnelligkeit, die Wildheit des Tieres, für den
gießlhrlichen Stoß seines Horns, für seinen Hang zur Einsamkeit
und seine Streitlust. Und indem man das Einhorn mit dem
Rhinozeros identifizierte, von dessen Feindschaft und Kämpfen
mit dem Elefanten die Alten mancherlei zu berichten wußten
(z. B. Plinius» nat hist Vli],7i), fibeitrug man auch diesen Zug
auf das einhOrnige Fabeltier. Bekannter ist freilich die Feind-
schaft des Einhorns mit dem Ldwen» die jedenfalls aus dem
f^en Orient stammt; sind doch auf assyrischen und persischen
Denkmälern, besonders einem Basrelief in Ptersepolis, Darstellungen
von KImpfien des Löwen mit dem Einhorn entdeckt worden.*)
>) Dal riiiuus wie Aristoteles außerdem noch den Or>x kennt, ein einhömige« Tier
Mit geqMUenem Huf, sei hier kurz erwälint
<) Die auf du Euüioni bctüi^idie liaiee Uteratur tut mit luheni cnchöpfendcr
Orfindlldifcelt sestminelt Carl Coha In tdaen beiden Abhandlungen: Zar llterariKhen
Or-ri :: :hte des F.inhorn.s (Ulssenschaftlicbe Beilage tmo JiltKlbericM der cUleB «ttdtftchen
Realschule zu Berlin, I 1896, II 1897).
BiovD hÄ in ecteer Schrtfl The wiloorae da» IURk tob DJmim tnnuM»-
gestellt. Fr deutet dtrsen Kampf als Altecorie. indem CT in dem LAwtn das S{ymbal der
Sonne, in dem Einhorn das des Mondes erblicltt.
Die Jagd des Einhorns in Wort und Bild.
279
Man fabelte^ daß der Löwe den wfltenden Gegner in der Nähe
eines Baumes erwarte und dann plötzlich ausweiche oder hinter
dem Baume Deckung suche^ so daB das Einhorn, ihn verfehlend,
das Horn mit rasendem Stoß in den Baum bohre und so, da es
sich nicht losmachen könne, die Beute des Löwen werde.') Diese
Fabel hat Spenser (Fairy Queen II, v. 10 ff.) zu einem Gleichnis
benutzt, und auch Shakespeare, der auch sonst ein paarmal des
Einhorns Erwähnung tut, spielt darauf an.*) In einem von
Brown (a. a. O. S. 84) angeführten Zitat aus Chapmans Bussy
d'Ambois ist es ein Juwelier, der dem Tier seines Hornes wegen
auflauert und sich hinter dem Baume zu bergen sucht, während
im deutschen Märchen das tapfere Schneiderlein als Widerpart
des Einhorns auftritt. Der Juwelier wird von dem Horn des
Gegners aufgespießt; dem Schneiderlein glückt die üst, und er
fängt das Tier. '')
Nicht minder tiefe Spuren hat der Glaube an die Heilkraft
des Hornes hmterlassen. Auch das ist dann vielfach ubertrieben
worden, ja der Trank aus einem Einhornbecher wurde geradezu
als eine Panazee wider alle möglichen Schädlichkeiten, Krankheit,
Gift, Wunden und Feuersgefahr angesehen. Das glaubte man
wenigstens, wie Philostrat in der Lel}ensgeschichte des ApoUonius
von Tyana (III, 2) angibt, in Indien. Freilich will Apollontus
*) Die Fabel findet sich in dieser Oeftalt nachireislich in dem «OKcn. Briefe des
Fiieiteri Jobaooes aa den Kaiser von Rom und den König von Frankrdcb, also in der
zveittn HlKte des tl. Jaibrliniderte («. Qriaw: Bdtr. rar Llteralur «. Sige de« Mlttddtert.
S. 6E) '^>b sie im Abendlandc noch früher vorkomnit, Ist fraglich. Nun stehen I r-rr tmd
Einhorn einaiidcr ^Is Wappcnhaltcr friedlich gegenüber im Wappen der Krone Ejigiands.
Znm Wappentier ist das Finhorn gleich anderen Fabeltieren schon im .Mittelalter geworden.
Et diente aauMicbst als Schildzeiclien und wird als solches in mittelalterlichen Oedichtcn
■whrheb crwilmt. Ah Wappen wr t» bctondcra In den Punilicn des TlrarKras bdlcM,
auch der Thurganer Dietmar vnn Ai<;f hat es geführt. Auch viele englische Familien halten
das l:inhorn im Wappen, darunter der Dichter Chaucer. Von regierenden Häusern haben
es die Markgrafen von Este und die Könige von Schottland angenommen; von hier aus ist
CS dann ins engllsdie Wappen gelangt. Schließlich mag ervibnt werden, daß anch Sctaiiler»
Addwappen doi Oberkfb eines Clnhoms nlgt. Mdir dvflber bei Cohn, II, tt; Sft»
S) I can oversway him, for he loves to hear
That unicomes may bctrayed with trees,
«et Decfns Im Jidlos Otoir, II, i.
S) In der orientalisch - buddhistischen Parabel, die durch Rückerts ErzShlung »Der
Mann im Syrerland" ■weithin bekannt gc-«'orden ist, ist das den Mann verfolgende Tier dn
Elefant, der aber später durch das F.inhoni ersetzt wird. So in der ersten deutschen f'assung
der Qesdiichte, wie sie in Rudolf von Ems' Legende Barlaam und Josaphat (116 ff. Pfeiffer)
vorliegt, die ms Joüuumes Dsnuseeira* geMMIpft Ist. Dss ist oft McbCRihtt vonkn, nnler
aniit-rn auch von Hugo vvn Trimberg im RcPBCr (v. 3348411.). Erst Rfldiert hat aiMtitt
des Linhums ein Kamel eingeführt.
280
Franz Kuntze.
an die Sacbe nicht recht glauben, wenigstens dann erst, wenn er
dnen unsterblichen König von Indien - denn nur diese hatten
ja nach Megasthenes das Recht des Cinhomfanges - kennen
gelernt habe. Qu^ubig wie immer übernahm dann das Mittel-
alter die Oberlieferung des Altertums. Und wie fest dieser
Ohiube stand, erhellt unter anderm aus der kuriosen Geschichte,
die Johann von Hesse in der lafdnischett Beschreibung seiner
Wallfahrt nach Jerusalem (1389) erzählt, Das Wasser des
Flusses Mara (Moses II, 1 5, 23) - heißt es dort — werde noch
immer von bdsen Tieren vergiftet Aber des Motgens in der
Frflhe, wenn die Sonne aufgegangen sei, komme das Emhom,
tauche sein Horn in den Flu6 und vertreibe das Qtft, damit die
andern Tiere daraus trinken könnten. Der Mann muß ein arger
Schwindler gewesen sein, oder es ist Autosuggestion im Spiel;
er schließt nimlich seine Crzlhlung mit den Worten, was er be-
richte, habe er mit eigenen Augen gesehen. In Wahrheit wird
er die Geschichte aus Europa mitgebracht haben, wo sie längst
literarisch bekannt war, und er wird dann in Palästina gesehen
haben, \\ is er sehen wollte. Auch diese Geschichte ist dann
namenilich m lialien mehrmals nacherzählt worden, daher die
Devise, die ein Einhorn zeigte das sein Horn ins Wasser steckt,
mit dem Motto: venena pello. *) Diese Vorstellungen dauerten
lange fort, ja nach dem Ablauf des Mittelalters im 1 5. und 1 0.Jahr-
hundert scheint ihre suggestive Kraft noch gestiegen zu sein.
Reiche l eute, besonders Fürstlichkeiten, kauften die angeblichen
Hörner des wunderbaren Tieres - in Wirklichkeit waren es die
Stoßzähne des Narwals - zu hohen und höchsten l-'reiscii und
legten sich Sammlungen davon an ; es wurden auch Becher,
Löffel und anderes Tischgerät daraus verfertigt Qesner in der
historia aniinaliuni erzählt davon, und der Däne Bartholinus hat
in seiner Schrift De unicornu ein ganzes Museum solcher Rari-
täten zusammengestellt So kam es, daß das Wort Einhorn
geradezu für Becher gebraucht wurde, wie in folgender, von
Lexer im mhd. Wörterbuch angeführten Stelle der Mooumenta
1) Koloff: Die taiadufte and tymboliachc TicrieMMdite det MlHctaltm. in
RWUIMD Taschenbuch IV, VIII, 225.
») Auch Bernardo Tasso, Torquatos Vater, führte diese Oevise mit dem Motto:
tate iltlat pdle. S. Coba, I, 9.
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Die Jagd des Einhorns in Wort und Bild.
281
Habsbufstca aus den siebziger Jahna des 1 5. Jahrhunderts: gegen
den kaiser was ein credenz, daruff stunden 800 stuck s^ber-
gesdiirre und auf jeder seifen der credenz steckten drei ein-
horn vast lang. Und noch Andreas Gryphius sagt:
Noch indenk jene Nacht,
Da wir in iauter Lust und Wonne fast versunken
Die Bban' des besten Weins ans OoM und Einhorn trunken.
(D.W. 111,205.)
Jetzt gehört das Tier und die Heilkraft seines Horns der Legende
an; aber ein Rudiment des alten Glaubens ist noch übrig: neben
dem Hirsch, dem Löwen und dem Elefanten erscheint auch das
Einhorn als Wahrzeichen der Apotheken und Pharmazien.
Sdimeller führt im Bayerischen Wörterbuch eine Steüe ans Abra-
ham a Santa Clara an, woraus henorgeht, daß diesem schon
eine Apotheke zum weißen Pinliürn bekannt war.
Aber mit alledem kommen wir unserm eigentlichen Ziel
nicht näher. Denn was haben die vorstehenden Ausführungen
mit der himmlischen Jagd des Einhorns und ihren bildlichen
Darstellungen zu schaffen? Wir habtn diese Seitenwege auch
nur bis zu Ende verfolgt, weil sie eintgie interessante Ausblicke
gewährten auf die Tiefe der Einflüsse, welche die Einhom-
legende nach verschiedenen Richtungen auf die Kultur des
Abendlandes geübt hat Um auf den rechten Weg zu kommen,
^müssen wir umkehren und ein gieraumes Stfick der durch-
messenen Bahn zurflckverfolgen.
Im zweiten Jahrhundert nadi Christi Qebiul entsteht eine
sonderbare Liten(turgalhin& deren Eizeugnisse unter dem Namen
der Physiologi bekannt geworden sind« »Der Physiologus ist',
sagt Lauchert in seinem grundlegenden Buche: Geschichte des
Physiologus, S* 46, »eine popuUr-theologische Schriftp welche in
all^rischer Anlehnung an Tiereigenschaflen die wicfatigsfen Sätze
der christlichen Obiubenslehre zum Ausdruck bringt und andere
Tierdgenscfaaften als nachzuahmende oder abschreckende Beispiele
den Menschen ffir ihren Lebenswandel mahnend und bdehiend
vorhSIt« Es sind wahrscheinlich alte, bereHs in Tierbfichem ver*
einigte Geschichten, die den Onindstock der Sammlung bilden,
und mit Vorliebe wurden gerade die märchenhaften Eigenschaften,
282
Franz Kuntze.
die man bdcumten Tieren wie unbekannten Fabelwesen zuschrieb,
fflr die Erzflhiungen benutzt So erzihlte man vom L6wen, daß
er seine Spur mit seinem Schwanz verwische^ daß er mit offenen
Augen scfaUdie, daß er sein junges mit seinem Atem anblase^
damit es zum Leben erwache; von dem Panther, daß sein Wofal-
geruch alle Tiere heranlocke; von dem Phönix, daß er sich ver-
brenne und aus der Asche wieder erstehe usw. Hellenistisches
Gut ist hier mit altem orientalischen Erbe verschmolzen, und die
Heimstätte der Sammlung ist ohne Zweifel die Zentrale der helle-
nistischen Literatur, nämlich Alexandria. Mit dem Worte cpr^nio-
xöyoc, das ist Naturfor^rher — der Titel des Buches ist den
stehenden Wendungen 6 <pvüioX6yos keyn oder H:nt entnommen
— war zunächst Aristoteles |?emeint, dessen Name sction früh
eine typische Bedeutung gewonnen iiat; ini Mittehilter dachte man
dabei vielfach an Salomo. Daß die Sammlung bald eine der
t)elicbtesten, vielleicht die allerbeliebteste Schrift wurde, ist bei der
Vorliebe des Mittelalters für alles 1 heologische und Allegorische
leicht befrei Ii ich. Das Buch ist wohl in alle Sprachen der da-
mals bekannten Well ubersetzt worden und für die zahlreichen
Tierbücher oder Bestiarien des Mittelalters benutzt worden. Von
Syrien, Äthiopien und Arabien bis zum fernen Island finden wir
seine Spuren, in Deutschland allein sind drei Bearbeitungen, die
letzte davon in Versen, zustande gekommen. Und wie oft ist der
Physiologus zitiert worden !
Von dem Finhorn meldet der älteste griechische Fhysio-
loerus nun folrrendcs ; ,.Das Einhorn ist ein kleines Tier, es ist
einem Fiock ähnlich und von großer Wildheit (^nntvTmm' rrarf)
Wegen seiner großen Wildheit kann kein jSger ihm beikonimen.
In der Mitte des Kopfes hat es ein Horn. Wie es gefangen
wird, soll jetzt erzählt werden. Wo es sich aufhält, da läßt man
eine reine, schön gekleidete Jungfrau sich niedersetzen. Dann
springt das Tier in den Schoß (ik xbv x6lnov) der Jungfrau. Sie
fängt es, es folgt ihr, und sie bringt es dem König in seinen Palast."
Und nun kommt die Auslegung. Das Einhorn ist Christus, das
Horn des Heils» den die englischen Mächte nicht halten konnten,')
I) Die Lehre von den englischen Michten gehört der ilteren Onosi» an. Danach
itt nidit Om der Sciiöpler md Ikfcwricltcr 4er Wdt, tondcfn die von ibm lacnt ge*
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Die Jagd des Linhorns in Wort und Bild.
283
und der daher in den Leib der Maria einging, „so daß das Wort
Fleisch ward und unter uns wohnte". Dasselbe berichtet so ziem-
lich mit denselben Worten, aber ohne die Beziehung auf die
Menschwerdung Christi der Verfasser des unter dem Nnmen des
Eusthatios überlieferten Kommentnrs zur Schöpfungsgeschichte
(Htvanieron) Er hat hier wie anderswo den Physiologus be-
nutzt und ausgeschrieben.'')
Man sieht, in diesem Berichte liegt eine Umschnieizung
und Erweitern rii; der aus dem Altertum stammenden Überlieferung
vor. Stehen geblichen ist eigentlich nur die charakteristische
Wildheit des Tieres und die Aiiirabe - ein wenior umgebildet
freilich daß es in den i^alast des Königs gefuhrt werde.
Aber das Einhorn gleicht nicht mehr einem i^ferde, sondern
einem Ziegenbock, und vollends neu ist der phantastische Zug,
daß zum Fangen des Tieres eine reine Jungfrau erforderlich
sei. Das ist natürlich die Wurzel, aus der sich schließlich die
Vorstellung von der himmlischen Jagd entwickelt hat Um so
wichtiger ist es zu wissen, woher dieses neue, überraschende
Motiv stammt.
Schon längst hat man auf die oben zitierte, im zweiten
Bericht des Älian (Megasthenes) enthaltene Notiz hingewiesen,
daß das Einhorn in der Brunstzeit seine Wildheit gegen das
Weibchen ablege, und diese als die Quelle der in Rede stehenden
Metamorphose angesehen. Auch Lauchert hat sich dieser Mei-
nung angeschlossen. Aber Cohn hält diese Umdeutung einer
durch die Natur des Vorganges bedingten, noch dazu vorflber-
gehenden Eigenschaft und ihre Verwandlung in einen dauernden
Charakterzug nicht fflr wahrscheinlich und meint, der fragliche
Zug könne vielleicht aus einer orientalischen Quelle stammen.
Ist das Argument auch nicht durchschlagend - denn die Sage
springt bekanntlich oft in der willkfirlicfasten Weise mit der Ober>
lieferung um so hat er viellcicfat in diesem Falle doch recht.
'Den richtigen Weg zur Lösung der Frage hat, wie es scheint,
F. W. K. Mtliler gewiesen, da er in einer eigenen Abhandlung die
schaffeiifn himmlisch«! Mächte. Erst nach ihrer Miliregiening vurde die Sendung Christi
notwendig, die rrfui^n. an 4)e mdgdUtt Otämmg der Weit «fcdcriienmldlai. Sidw
Untcbert a. a. O. S. 49.
1) Lradiert & 7S, 94.
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284
Franz Kuntaee.
Aufmerksamkeit auf eine mittelalterliche japanische Oper gelenlct
hat, deren Hauptperson der Ikkaku sennin, d. t. der Zauberer
Einhorn, ist^) Die Sache ist so interessant, daß es wert ist,
dabei etwas länger zu verweilen, als Ifir unsem Zweck gerade
notwendig ist
Der Zauberer Einhorn hält die Drachen in ihrer Höhle
verschlossen, so daß monatelang kein Regen filllt Da beschließt
der König des Landes, daß die FQrstitt Senda, gleich ate ob sie
eine verirrte Pilgerin wSre, den Zauberer aufsuchen scrfle. Von
ihrer Schönheit berauscht, werde der Asket seine Leidenschafts-
losigkeit und damit seine Zauberkraft einbüßen. Und so geschieht
es. Von einem Waki, d. i. einem Beamten, begleitet, macht sich
die Senda bunin auf den Weg, und nach längerer Wanderung
finden sie die Hfitte, wo der Zauberer des Talttachs reine Wellen
in Krüge sammelt und im Kessel der bbuen Berge Wolken
siedet, sich Uibend an des Ahorns Anblick, der einstens grfln
am Betigbach stand, jetzt aber rot im Herbstsdimuck prangt
Die Wanderer bitten um ein Unterkommen fOr die Nacht, worauf
der Zauberer aus seiner Hütte hervortritt:
»Das Haupt umgibt
Ihm grünlich Haar,
Ein Hirschhorn ist
Der Stirn entsprossen.«
Nun bieten sie ihm Wein, den er zuerst ablehnt, aber schließlich
doch annimmt, als er hört, daß eine Dame ihn kredenzen wolle.
»Lieblich ist des Bechers Anblick«, sagt die Schöne, und als sie
nun gar beginnt; im Tanze ihr ahomfarbenesOewand zu schwingen,
da vertiert der Asket die Besinnung, und der Chor spricht:
»Zum Klange der Saiten Zur Seite jetzt breitet
Der Zauberer aber ist berauscht tu Boden gesunken. Da kommen
die Diachen tobend aus ihrer Höhle, und der Draciienfürst erklM
Zu schwanken beginnt er,
Im Kreise zu tanmeln,
Und Flötenspiel
Beim kreisenden Becher
Umstrickt ihm die Sinne
Das schöne \X'eih
Den Armd er aus,
Vom Rausche bezwungen. -
froh eilt dann die FQrstin
Auf einsamem Bergpfad
Mit ilireni Begleiter
Zur Hauptstadt zurück.*
() In der FcsMhrift fSr Bislira (Berlin 1S96). S, 51$ H.
Die Jagd des Etnboros in Wort und Bild.
285
dem giehörnten Eremiten, daß er, weil er sich von der Sinnen-
lust habe fibermannen lassen, seine Zauberkraft verloren habe.
Zuletzt spricht wieder der Chor:
»Fassungslos steht der Zauberer da, Kraftlos endlich
doch Stfirzt er zu Boden.
Jetzt tt» der Scheide Freudig zerteilt der Dradienifirst dis
Reißt er das scharfe Sdiwcrt, Qewölk.
Goldumpanrert Mit Donner und Blitzen füllt er den
Streckt ilnn der Drachenfürst Luftraum,
Die pcrlen^eschmückte Reichlichen Regen läßt er jetzt strömen.
Klinge entgegen. Zum Meerpaiaste
Kune Zeit nur ^urfidc dann dlt er.
Währet der Zweikampf. Von vdBen schlumenden
Bald wankt der Zaubrer. Wogen getragen."
Die hier dramatisierte Geschichte, wovon es mehrere Va-
rianten, auch eine til>etani8cfae gibt, stammt aus Indien; auch im
Mahabfaarata kommt eine Version derselben vor. Das Oiund-
motiv ist natürlich immer das gleiche: der Zauberer Einhorn,
oder wie er sonst bezeichnet wird, unterliegt den Reizen eines
schönen Weibes und wird ganz wie das Einhorn im Physiologus
von der Schönen in die Königsstadt gebracht In einer indischen
Version trägt er sogar das Weib auf seinen Sdiultem dahin -
ein Motiv, das man aus der ebenfalls aus dem Orient stammenden,
weit verbreiteten und vielfach variierten Geschichte vom Aristoteles
und der Phyliis kennt. Daraui kommt es hier freilich nicht an;
aber nach den vorstehenden Ausfuiuungen ist es nicht unwahr-
scheinlicli, dai; die Lüihornsage, wie sie ursprunglich aus Indien
sLaninii, auch das neue Motiv aus Indien bezogen hat.
Unklar bleibt freilich die Verwandlung der Pferdegestalt in
den Ziegenbock. Stammt sie ebenfalls aus dem Orient und hat
etwa der oben erwähnte, neuerdings in Europa als Wundertier
gezeigte tibetanische Schn^bnck mit den verwachsenen Hörnern
schon iruhzeitig seinen Schauen m die Euihornlegendc geworfen ?
Oder hat ein kritischer Kopf, dem die Vorstellung, daß ein Tier
von der Größe eines Pferdes in den Schoß einer Jungfrau
springe und von dieser gefangen fortgeführt werde, allzu ver-
wegen dünkte, den Wandel herbeigeführt, indem er auf den
Einfall kam, durch die Einführung des Ideineren, aber wehrhaften,
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286
Franz Kuntze.
überdies als brünstig bekannten Herdentieres die Proportionen
des Wildes und der Jdgerin besser auszugleichen? Non liquet
Mit diesen Zügen ausgestattet ist nun die Einhornlegende
abermals durch die Welt gegangen. Die Physiologie die Bestiarien,
die AuszQge in Sammelwerken^ Diditangen und andern Schriften
haben sie verbreitet Natürlich, wie das bei einer solchen durch
weite Rlume und Zeiten hindurch gehenden Wanderung nicht
anders sein kann, mit zahlreichen größeren oder kleineren Va-
rianten. Manchmal wird die Reinheit, manchmal die Schönheit
der Jungfrau atSrker betont Hildegard, die Äbtissin des Klosleis
auf dem Ru]>pertsbefge bei Bingen (f tl79), bemerid, daß die
Jungfrauen, die das Tier fangen sollten, vornehm und gebildet
(nec non rusticae), außerdem nicht ganz erwachsen, sondern
moderatae adolescentiae, also Backfische sein mfissen.') Und der
Byzantiner Tzetzes*) weiß gar zu berichten, daß man, um das
Einhorn zu fangen, einen starken Jflngling in schön duftende
Frauenklekler stecke, was eine Iddit erkUIrliche Nuance ist Was
das Tier anzieht, ist bald die Schönheit, bald die Sanftmut, bakl
die Reinheit der Jungfrau, bald der Duft, der von ihr ausgeht -
so bei Tzelzes und im Waldensischen Physiologus (per !a do^r
e per l'odor de la vergenela). Nach einigen Berichten erwflrmt
(jiBQiMhwwM schon bei P5. Eusthatlos) oder liebkost die jung-
fran das Tier, welches in ihrem Sdioße spielt oder elnsdittft
Der alte Zug, daß das gefangene Einhorn in den Palast des
Königs geführt wird, ist im äthiopischen Physiologus dahin
variiert, daß die Jungfrau dem König das Tier als Geschenk, üm
ihm zu huldigen, darbringt und dafür große Reichtümer be-
kommt. Anderswo heißt es freilich, die Jungfrau führe das ge-
fangene Tier, wohin sie wolle. Zuletzt koiniuen noch die Jäger
hinzu, die das Tier fangen oder KAtn; in den eben erwähnten
Versen des Tzetzes hcil)t es, daii die Jäger das giftstillende Horn
abhauen und das verstümmelte Tier laufen lassen. Weitere Va-
rianten anzuführen ist überflüssig.
Viel wichtiger als dies alles ist die FragCj wie es möglich
>) In der Sdnrifl: SiiUllitalni dlvenmint Natniamii Cmtanatain Llbri IX. Die
stelle ««mich bei Cohn, I. 2*.
^ AUuidw, V, 399«.
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Die Jagd des. Einhorns in Wort und Bild.
287
war, das Einhorn als ein Symbol Christi aufzufassen und seine
Gefangennahme durch die Jungfrau auf die Menschwerdung zu
beziehen. Hier machte sich ein neuer Zufluß geltend, der aus
der Bibel stammt Aiian erinnert sich, daß im ersten Teile der
Lutherbibel mehrmals von einem als Einhorn bezeichneten Tier
die Rede ist: es ist das Rem des hebräischen Textes, ein
Wort, das in der Septuaginta durch fiovoxegw^, in der Vulgata
durch rhinooeros wiedergegeben wird. ,.Hilf mir aus dem Rachen
des LOwen und errette mich vor den Einhörnern", heißt es
Psalm 22, 22* «Meinest du, das Einhorn werde dir dienen und
bleiben an deiner Krippe? Kannst du ihm ein jodi anknüpfen,
die Furchen zu machen, daß es hinter dir bracbe in OrOnden?'
Hiob 39, 9, 10. Oder: »Seine Herrlichkeit (nämlich josefo) ist
wie ein erstgeborener Ochse und seine HOmer sind des Einhorns
Hömer; mit denselben wird er die Völker stoßen zu Haufen bis
an des Landes Ende.' (Deuteron. 33, 17.) Anderswo (Numeri
23, 22—24, 8) ist von der Freudigkeit des Einhorns die Rede.
At)er die Stellen Qlxrwiegen, in denen das Einhorn als ein Tier
von besonderer StSrke und Wildheit gedacht ist Und so ist es
denn kein Wunder, daß von der bibelkundigen Pfthistik das mit so
aufbllenden Eigenschaften ausgestattete Tier zu allerlei Vergleichen
herbeigezogen wurde - Vergleichen in gutem und flblem Sinne.
So wurden alle Feinde der Kirche mit dem wilden, unbezähm-
baren Einhorn verglichen, zunächst die Heiden, dann aber auch
und zwar mit Vorliebe die Juden, weil sie den Heiland gekreuzigt
und sich den Hcilswalirheiten widerseizt haben, aucli voller Hoch-
mut aui die Einheit ihres Gesetzes vertrauen wie das tiinhorn
auf sein Horn. Und wenn keiner die junge Kirche Christi
schwerer bedroht hat als Saulus, so lag es nahe, auch ihn unter
dem Bilde des Einhorns vorzustellen. Das hat z. B. Papst
Gregor I. getan, er nennt ihn, das Rem der Bibel mit dem
HovöxnjiiK des Physiologus zusammenwerfend, nach der Vulgata
das Khmozeros, dessen Wildheit aüe Jä^er fürchten, führt dann
aber mit weiterem Hinblick auf die Ph\ siologuslegende aus, wie
der wutende V^erfolger Christi plötzUcli durch die göttliche Weis-
heit, die ihm das Geheimnis der Menschwerdung offenbarte, wie
das Einhorn von der Jungfrau gezähmt und der Taufe zugeführt
288
Franz Kuntze.
worden sei.^) Zuletzt wird der gr^te Feind der Christenheif
und der Typus alles Bösen, der Satan, mit dem Einhorn veiglichen.
Aber die Stärke, wenn sie der Wildheit entbehrt, kann auch
wohltätig und heilbringend sein. Und so wurde denn die Stärke
des Einhorns auch in ganz entgegengesetztem Sinne g^utet
und auf Christus, den mächtigen Eriöser der Menschheit, be>
zogen« So heiSt es schon in der davis des heiligen Melito
(2. Hälfte des 2. Jahrhunderls): mofioceros, hoc est unicomis^
Christais, und der heilige Basilius (338-399) lehrt, Christus
werde der Sohn der Einhörner (vi6g fiovcau^mv) genannt, weil
er die Lasier bestrafe und die vertierte Macht der Menschen zu
Händigen berufen sei, während er w^en seines Oplertodes als
Lamm bezeichnet werde.*) Und die Beziehung auf Christus
wurde noch befestigt durch weitere Allegorien, Linmal winde
die auch im Physiologus angezogene Stelle Lukas \, 69: ».und er
hat uns aufgerichtet ein Horn des Heils (yJoaz nniTtjniag) im
Hause Davids" auf das Einhorn bezogen; sodann erscheint das
Horn des Tieres schon im zweiten Jahrhundert ~ zuerst nach-
weisbar bei Justmus Alarlyr - als Symbol des Kreuzes, sei es
des ganzen Stammes oder wenigstens der über die Arme her\'or-
ragenden Spitze, sei es des aus der Mitte vorspringenden Pflockes,
worauf die üekreiizif^ten rittlings saßen. Der letztere ist auch
geradezu als Einhorn (umcorms) bezeichnet worden.'') Beide
Vorstellungen wuchsen eine Zeitlang nebeneinander fort, bis die
zweite altmählich wieder verschwand. Dagegen hat sich das erste
dieser Motive, nämlich die Gleichung Einhorn = Christus, in
der Bildersprache des Mittelalters behauptet. Daß das Rem der
Bibel so völlig mit dem fiov6xfQ(oQ der griechischen Ül}erlieferung
verwuchs, ist eben erst hervorgehoben.
Trat nun Jemand mit solchen Synit>olen im Kopf an die
Geschichte von dem Fange des Einhorns durch die Jungfrau
heran, so eigab sich die Allegorie ganz von selbst Ist Christus
t) Die Stelle wörtlidl M Cohn, II, iO, der «ndi die «adcm hkriier fdOriaca
Belege verzeichnet hat.
Bdde Stelten bd Cohn, II, 4.
1 Siehe Münter: Sinnbilder, 5. 4^; Kraus: Realcnzyklopädic des christl Altertums,
I, 397; Cohn. II, 12. Oic als unicomis bezeichneten Pflöcke sieht man deutlich auf Klingers
großen Oemlld^ «ddwt den Hdliad mit dm bdda Sfindeni im Kmne dtntdlt
Die Jagd des Einhorns in Wort und Bitd.
2S9
das Einhorn, so wird die reine Jungfrau, die es fängt, als Maria
gedacht, und die Flucht des Einhorns in ihren Schoß bedeutet
die Menschwerdung: Christi. Da müssen dann die Jäger, die
nach den späteren Versionen der Plnsiologuslegende das Einhorn
fangen oder töten, als die Juden erscheinen, die das edle Wild
zur Strecke gebracht haben, wobei dann freilich der Widersinn
unbeachtet bleibt, daß sie so den Lrloser töten, noch ehe er ge-
boren ist Und es wird nicht besser, sondern noch schlimmer,
wenn es später in den Auslegungen der Physiologuslegende wie
z. B. in der Naturlehre Konrads von Megenberg heißt:
(also nach seiner üehnrt, später) wart er (Christus) gevangen
von den scharpfen jegern, von den Juden, unt wart lasterlichen
getoet von in", weil nun ein klaffender Widerspruch zwischen
Text und Glosse sich auftut.
Dann aber wird die Vorstellung von dem Fange des Ein-
horns gründlich umgestaltet. Statt der Tötung aus dem Hinter-
halt tritt ein neues, im Mittelalter überaus beliebtes Motiv auf,
das der Jagd. Der auf das Wild lauernde und das wehrlose
tückisch abfangende Speerträger oder Bogenschütze wird ersetzt
durch den Jäger, der das Tier verfolgt und das fliehende dem
SchoBe der Jungfrau zutreibt. Der verfolgende Jäger ist zunächst
Oott selbst, durch dessen Ratschluß die Menschwerdung sich
vollzieht und der deswegen auch als der Himmelsjäger bezeichnet
wird; dann aber tritt der Engel Gabriel auf den Plan, der von
Gott als seinem Herrn abgesandt wird oder mit ihm zusammen
jagt Aus seinem Horn läßt er in demselben Moment den
himmlischen Gru6 ertönen, wo das Einhorn im Schöße der
Jungfrau liegt, das heißt Verkündigung und Empflingnis fallen,
wie die alte Kirche lehrt, zusammen. Die weitere Folge der
Vorstellung von der himmlischen Jagd ist die, daß dem Jäger
eine Meute zugesellt wird, die aus der typischen Vierzahl besteht
Die herkömmlichen, oben sdion angeführten Namen der Hunde
veritas, iustitia, misericordia, pox stammen aus Psalm S5,11 und
29, 25, und ihre Anwendung auf die Meute des Jägers hat eine
besondere Veianbissung. Bernhard von Clairveaux hat eine Fabel
ersonnen oder mitteilt, wonach die Menschen die durch die
oben stehenden vier Worte bezeichneten Tugenden einst besessen,
Archiv tür Kulturgeschichte. V. 19
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290
Fnnz Kimtie.
aber durch ihre Schuld verloren haben. Nun sind sie der Oe-
rechtigkeit und der Wahrheit verfallen, die sie auch stnden
wollen, aber das andere Schwesternpaar, die Barmheiztgkeit und
die Friedsamkdt, nimmt sich der Schuldbdadenen an. Der Streit
wild entechieden durch das salomonische Urteil des höchsten
Richters, d. i. Oottes des Sohnes. Er schreibt mit dem Finger
auf die Erde: »es geschehe ein guter Tod«, das helBt: es sterbe
einer, der dem Tode nichts schuldig ist. So kommt Gottes Sohn
als Heiland auf die Erde, und die Gerechtigkeit und die Fried-
samkeit versöhnen und küssen sich. Um allen vier Tugenden
zu genügen, hat also die göttliche Gnade das Erlösungswerk
vollbracht, und darum sind sie bei der Menschwerdung beteiligt')
Daß man freilich keinen Anstand nahm, sie als Hunde verkörpert
zu denken, kommt uns als ein überkühner Sprung der Phantasie
vor; aber wesentlich gemildert wird das Wunderliche dieser Vor-
stellung, wenn wir bedenken, daß es im Mittelalter ein gewöhn-
licher Brauch war, Hunde mit den Namen abstrakter Begriffe,
wie triuwe, lust, staete, leid, nit usw., zu benennen.-) Zu aller-
letzt tritt j?:nr der Gedanke, daß Jesus das Einhorn bedeutet, mehr
oder \vt'niij;er in den Schatten. Maria selbst wird als unicornis
bezeichnet, wie denn auch die andern Tiere, die eigentlich Sinn-
bilder Jesu sind, besonders Löwe, Pelikan und Phönix, auf die
Gottesmutter bezogen werden.')
>) Oer Streit der vier Tugenden ist auf vielen Miniaturen dargestellt, am besten in
einer Handschrift der Turiner Bibliothek vom Jahre 1476. Man sieht Oottrater umgeben
von Eoffebi in der Mitte Üivoncnd. Anf Jeder Seile ftdien zvd «dblidie Flgnico, die
dnrdh Spraddilnder alt InilHi« vuä Verlies, Pttc und Mfeertoordla beiefdmet ivcrden.
Ober das Oanre handelt Piper: Der Ratschluß der Mm-chwcrdung und Erlösung Evan-
peliiches Jahrbuch 1899, & 17 ff. - In späterer Zeit wurde diese Parabel auch mit der
Dnhomsagc verkoppelt Ein Vater - so erzihlte man - hat zvei Söhne ; der eine tötet
ekk ad bat, der andere venmadet sich anf den Tod. Dana raft er die Hilfe seiaes Vaters
an. Deiam Ratget>er kaben Mtfleld und «enden ilcli an die Baraihertlf kett dci Königs
mit di r niftc e möge ein AfTt gesucht wrrdrr.. Diese beschliefJen, dan das Blut des Ein-
horns ulHi die Wunden des Kranken gestrichen werde. Um es zu fangen, soll eine schöne
Jungfrau in eine Au oder in einen Oarten gesetzt werden. AU das geschehen ist, werden
vier Hunde paamdee mtMnmfnfrlwimflt, am dat Tier der Jungfrau zum treiben; ein
LeMnmd, .vulgariter iKHiefnni, toll ca anfjafm. So vfftf datCMHwn gefangen. Nnn die
Glosse: Der Sohn dir sich tötet, ist Lnzifer, der sich durch seine Hoffart zugrunde ge-
richtet bat, der andere ist Adam und sein Geschlecht. Die vier Hunde tragen die Namen der
vier Tagenden Bernhards von Clairveaux, das Ldthündlein istdieLidse. So ungefähr steht's
In dem alten Erbauungsbuche: .Der beschlossen Oart des RotenkianU Marie« (VI, Blatt 9).
ff Wackemagel: Kl. Schriften, III, 83.
*) Es ist interessant zu sehen, vie diese Symbolik sich bis ins Uferlose verliert.
Nicht nar dieae and andere Tiere werden zu Sinnbildern der Matia cemadtt; aach nn-
iiUlie andeve OefenaHnde «cnfcn Ihr zugedgnct Maria lal die Sonne, der Mond, die
Die Jagd des Einhorns in Wort und Bild.
291
Diese Entwicklung haben die Künste, die Dichtung wie
die Plastik, die Malerei und das Kunstgewerbe^ Schritt für Schritt
begleitet, oder besser gesagt: ihre eben sldzzierlen Phasen sind
im wesentlichen aus der Dichtung und der bildenden Kunst des
Mittelalters abstrshiert. Es versteht sich von selbst, daß diese
Reihe nicht abliuft wie eine Schnur oder wie die Glieder einer
Kette, so daß der jüngere Typus den altem einfach ablöste und
ersetzte. Im Oegenteit, lange noch erhält sich das Alte, wenn
schon eine neue Form aufgekommen ist Zwei oder mehrere
Typen bestehen zunächst nebeneinander, bis zuletzt der eine -
es braucht nicht gerade der letzte zu sein ~ die Oberhand be-
hält; das ist ein für jede geschichtliche Entwicklung geltender
Satz. Überdies hat man noch damit zu rechnen, daß namenflich
in Malerei und Kunstgeweibe ältere, ja veraltete Vorlagen nicht
selten absidiflich erneuert werden.
Die Teilnahme der Dichtung an der Einhomlegende ist im
Grunde nur bescheiden und nicht gerade früh. Zuerst mag das
Alexanderlied, welches dem Anfang des 12. Jahrhunderts an-
gehört, des Tieres Erwähnung tun (v. 5578 ff.). In dem Briefe
an seine Mutter Olympia nennt Alexander unter den Geschenken,
di-n ausländischen Tieren besonders, die er von der Königin er-
hallen hat, auch ein Monoceros, ein seltenes Tier, das den Kar-
funkel trägt - ein bekannter Auswuchs der Sage - und sich
vor der Jungfrau niederlegt. Und dann heißt es weiter:
dir zuo ne fmmet nehein jaget,
man sol ez vähen mit einer maget;
sin gehurne daz ist treisam,
dS ne mac ntwit vor t>cstin.
Ftwa hundert Jahre später beschreibt Rudolf von Ems in seiner
Weitchionik (v. 464 ff. ) das Einhorn im \vesentlichen nach f'linius,
berichtet den hang durch die Jungfrau und fügt die auch sonst
vorkommende Variante hinzu, daß, wenn die zum Fange aus-
Erde, die Morgenrftte, das Feld, die Arche, der Thron, das Hatis, dJe Treppe, dieKtmmer;
h\c ist die Palme, d'ic Zeder, der Rebstock, crt (.Mh.n;:ii u^'t . kurz, sie ist ein P.mtheon
gevorden, das alle segensreichen und vohltätigen Kräfte im Himmel und auf Erden ein-
fcUicBt. Und gleicfa den Abbreviaturen Maria Unicomis. Maria Leo usw. kamen audi
zihligt andere Tie Maria luna, Maria terra, Maria petra, Maria thalamns, Maria apothcca usw.
in Umlauf. Eine unübersehbare Menge solcher Symbole findet man zusammenfestdlt io
«ten cb« craftamoi Bache: «Der bodilotM» Oart de» Rotcnkmls MMte".
19»
292
Franz Kuntze.
ersehene Jungfrau nicht rein sei, das Tier sie, ihre Falschheit
rächend, mit seinem Horn durchbohre. In höfischen Gedichten
wird manchmal auf den Fang des Einhorns durch die Jungfrau
angespielt, und der Bamberger Rektor Hugo von Trimbcrg ver-
sichert im Renner (v. 19 296 ff ), die Geschichte von dem Ein-
horn, das von der Jungfrau gefangen werde, sei allbekannt und
solle nicht bis zum Überdruß wiederholt werden. Romanische
Dichter vergleichen sich gern mit dem Einhorn, das von einer
Jungfrau angezogen und gefe^elt wird, wie sie selbst dem Lieb-
reiz ihrer Schönen erliegen.*) Das hat in Deutschland Burkart
von Hohenfels, ein Zeitgenosse Kaiser Friedrichs 11^ nachgeahmt,
indem er sagt:
der einhürn in megede schöze
glt dur kiusche stnen Up.
dem wilde idi midi vol gendze,
stt ein reine sadic «tp
midi vexdobeL*)
Und ein Nachklang dieser Allegorie findet sich noch in einem
spftten, mit allerlei Inventarstflcten des Marienkultus verbrämten
Minneliedei worin es heißt:
Du bist mein Freud', mdn Trost, man Olfick.
Mich lockt dein' süße Zunge
Wie auch der Jungfrau klares Singen,
Das Einhorn kommt mit Springen,
Legt ihr das Haupt in Schoß
Und schläft ganz kummerlos. ')
Die Version von dem Tode des Einhorns durch die Hand
des Jägers kennt W'oUram von Eschenbach. Im Parzival (613, 22 ff.)
beklagt Oigeluse den frühen Tod ihres geliebten Cidegast, indem
sie ihn der triuwe ein monocirus nennt und hinzufügt:
da/ tier die megede solten klagen,
ez wirt durch reinikeit crslagen.
Nun folgt die ümdeutung der Legende durch die Be-
ziehung auf die Menschwerdung. Darauf zielen die Verse Kon-
rads von Würzburg im Ave Maria, Str. 32: *)
«) Siehe Lauchert S. 186, 190. i) MSH. T, 202
^ In des Knaben Wnnderhorn (S. 797, Rfidam). Das Singen der Jungfrau ist dn
Zug, da ich in Uteicn Qncllen nUtt mide; «dhl aber «trd In cinm grledUsdia Flqnfe»
logns dH Tier durch den iOttig von MnstUnslniDientai uigdockt {t, dhn, I,
4) MSH. III, 342.
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Die Jagd des Einhorns In Wort und BiM.
293
des himels einhflme,
den des niht verdrdK, er begunde gihen
und liez sich vahen
bi dir, zartiu maget, durch diu guete. ')
Aber dieser einfache Typus wird bald zurückgedrängt durch
die Vonteilung von der himmlischen Jagd. Konrad von Wflrz-
hvTg sinicht das noch sehr allgemein und farblos aus in den Versen:
man jagete dich Af Iduscfae grdz,
als ez dtns valer minne erbÖt,
des suchfestu der mqgede sdiöz,
alsam der wilde einhüm in siner'ndt *
ze der juncfrouwen fliuhet^*)
Aber derselbe Dichter hat in der goldenen Schmiede, jenem
Lobgedicht auf die Jungfrau Maria, das sich zu einem Hymnus
auf die Menschwerdung erweitert, das Bild von der himmlischen
Jagd breit ausgemalt und dadurch diesen Typus^ wenn nicht ge-
schaffeUi aber doch durch ein klassisches Muster festgdegL Aller-
dings ist bei ihm der Jiger noch Oottvater, nicht der Eng^
Gabriel. Ich setze die Stelle (v. 257 ff.) ganz hierher:
du bist genant von schulden ze numeger sfinden walde,
ein roaget aller megede^ dö nam ez, vrouwe, sine vlnht
du vienge an eim gcgq^cde zuo dir, vil saelden riebe vruht,
des himels einhüme, iint slouf in dinen biioscn,
der wart in daz gedürne (die Domen) der ane mannes gruosen
dirre wilden werlt gejaget ist lüter unde iiehtgevar.
und suochte, keis4^rlichiu maget, Christ Jesus, den din Up gebar,
in diner sdiAz vil sanftes leger. der leite sidi in dlne scbdz,
idi meine dö der himeljeger, dö des vater minne grAz
dem undertto diu rtdie sint, in jagete zuo der erden,
jagte sin einbomez kint er suchte dtne vcerden
üf erden nach gewinne. kiusche lüter unde glänz,
dö in diu wäre minne din reine staete unmäzen ganz
trdp her nider balde böt im ze vrOuden volleist.
Ungefähr um die gleiche Zeit behandelt der Falii Liide Rume-
iand den Gegenstand.'^) Der schildert zunächst die gewaltige
1) Andane Stdka bei Landiert S. 176-2». Eine SteHe ms Hdnridi von Laafcn«
bert; zitiert Piper a. a. O. S. S9. Der Mimcr letzt cimiul tlatl de» Cinhafw das Hann
(Hermelin) MSH. II, 2^7. Natflrlldi kennt anck Hngp von. Trimbcia in der oben an-
gefährten Stelie die Allegorie.
n MSH. II, 3U. I) MSH. II, 3M.
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294
fnm. Kuntze.
Kraft des Tieres und die vergeblichen Versudie der Jäger, es zu
fangen. Freiwillig legt es sich einem edlen, reinen Weibe in den
Schoß. Aber ein Jäger ersticht das Tier. Dann aber heißt es,
Gott habe, sich der Welt erbarmend, seinen Sohn in den Schoß
der reinen Jungfrau gejagt, und diese habe ihn zur Welt gebracht,
damit er nach des Vaters Ratschluß noch weitere dreißig Jahre
gejagt werde. Eine gedankenlose Verlcoppeiung der Physiologiis-
lf^[ende mit der himmlischen Jagd.
Auch im Volksliede treffen wir auf die Vonstellung von
der Himnielsjagd. So in einem in seiner Art nicht üblen Stücke
der »Bergkreien", das ist eine Sammlung von Liedern, die im
16. Jahrhundert von Bergleuten gesungen wurden.') Nach einem
zweistrophigen Eingang, worin nach der Weise der iMmnedichtung
die Wonne des Frühlings mit seinem Blumenflor und Nachti^llen-
gesang Icurz beschneben wird, heißt es weiter:
der jeger nara des klanges eben war,
er pp_pf(i dem Einhorn g^antz lieblich und offen war
der üinhorn wost sich edle, er wost Sich gantz hochgepom:
Gott hat ihn auserkoren.
Der Einhorn wost sich edle, er wost sich weis»
er hilft sich eben anff einen schmalen steiij,
wie das ihn kern man autt erden solle fallen,
CS «er denn zumal dn seuberiiches jungfrauldn.
Nu höret wunder ding und die sein gros!
für freüden schwang er sich Maria der Jungfrau wol ynn die achos^
ihr freud und die vaid gros
Da war er recht als ein lemelein
und gepar sicfa Matit zu Wdhenaditen ynn loldcr xdt,
es hatte gcachudt,
und zuletzt folgt die Erklärung der Allegorie.
Wer jedoch der Jäger ist, Gott oder der Engel, wird nicht
angegeben, und es ist müßig danach zu fragen, welcher Version
der Dichter gefolgt ist Wer die Sache kannte, mochte das
deuten, wie er wollte. Umgekehrt wird in einem andern Volksliede
Gott als der Jäger nicht geradezu genannt, aber doch als solcher
indirekt hingestellt, da Gabriel als sein Helfer bezeichnet wird,
>) Neudnicke d. Litteraturv. d XVi. a. XVII. Jabrh. Nr. 99, S. 31.
Die Jagd des Eittborns in Wort und Bild. 29$
wlhreiid von dem g!ejagten Wilde Qbeiliaupt nicht die Rede ist
Es ist das ein öfter gedrucktes und viel zitiertes^ ins Oeisttidie
umgedeutetes Jflgerliedp dessen Anfug lautet:
Es vollf gut Jäger jagen, Der Jiger, den ich mdne^
Wollt jagen auf HimnelhOhBf Da* ist uns «ohlhelcannt.
Wer begegnet ihm auf der Heiden, Er jagt mit dnem Engel,
JMaria die Jungfrau schön. Gabriel ist er genannt
Der Jäger blies in sein Hönddn,
Es lautet also wohl :
Oefijrüßet seist du, Maria,
Dti bist aller Gnaden voll.
An den himmlischen Qn\l'> schließt s5ch dann die Ver-
kündigung an, worauf die demütige Erwiderung der Maria und
die Angabe folgt, dati sie den Heiland in sich aufnimmt. Man
sieht, die Handlung der Jagd ist hier so gut wie ausgeschaltet
und die Jägerei nur noch Maske. Der Jäger - ist es Oott oder
Gabriel? - stößt ins Horn und läßt den himmlischen Gruß
ertönen; die Worte der Verkündigung spricht vollends nicht der
figer, sondern mit abgeworfener Maske der Engel des Evange-
liums. Offenbar war dem Verfasser der Kontrafaktur der ur*
sprflngliche Sinn der himmlischen Jagd nicht mehr deutlich.
Allen den angeführten Gedichten aber fehlt das Motiv von
der Jagdmeute. Das findet sich, soviel ich sehe, nur in einem
Meistergesang des 16. Jahrhunderts, einem überaus dürftigen
Machwerk, das noch dazu in ganz verwahrloster Oeslalt über-
liefert ist^) Der Anfang lautet:
Ein FM, der hat g^agd lange Zit
Fem unde wit
Ein stark wildes einhom,
Dazu hett er erkoren
Ein jegor dug von Sinne weiß
Wol vor fünf tusend loreo
Und auch vier Hund, die vorn schnell,
Die tribend mit gewalde.
Kein Jäger, hdBt es dann weiter, sdbst wenn er vier Hunde
hatte, konnte das grimmige Tier Cuigoi. Da ttßt der FOnt im
Jagdrevier eme Jungfrau »wol bekidt mit rdnikdt' sidi seteen.
>) Bä Fitcfacr: TypognpUMiie SdtnhdkB, 4. IMm^ S.liafr.
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296
Franz Kuntze:
Als der Jäger zu blasen beginnt, singt sie mit süßer Stimme,^)
worauf das Tier sich neigt, in ihren Schoß springt und gefangen
wird. Nun folgt die Auslegung. Der Fürst ist Gott in seiner
Majestät, das Einhorn ist der Sohn, die vier Hunde sind »Bar-
mung, die hat das best geton", Gerechtigkeit, Friede und Wahr-
heit, der blasende Engel ist der Jäger Gabriel. Aus seinem Horn
erklingt der englische GruB ave gratia plena, und die Jungfrau
singt mit lieblicher Stimme das ecce andlla domini etc. Diesem
Sange kann das Tier nicht widerstehen, es wird zu einem Lämm-
lein, welches hernach der Welt Sünde trägt Den Schluß bildet
eine langatmige Anrufung der Maria, die mit allen möglichen
Symbolen und Phrasen der Marienlegenden ausg^tattet ist. Es
ist ein buntes Oemisch von Motiven, da die Einhomleg^nde des
Riysiologus, die himmlische Jagd und die ganze Symbolik des
Marienkultus zusammengeschweißt sind.
Nimmt die Einhomlegende in der Dichtung einen verhält-
nismäßig geringen Raum ein, so ist sie dagegen zu einem Liet>-
lingsvorwurf der bildenden Kunst geworden, ja ein grttndlicher
Kenner der mittelalterlichen Ikonographie*) bemerkt einmal, sie
sei zu einem ständigen Inventarstück der kirchlichen wie der
Pruiankiinst. der ernsten wie der grotesken, geworden. Und
schon darum ist es unmöglich, in dem Rahmen einer Abhandlung
tiefer auf die Sache einzugehen; wnr müssen uns darauf be-
schränken, die wichtigsten und bekanntesten der hierher gehörigen
Darstelhmgen zu notieren und flüchtig zu beleuchten. Man fmdet
die Einzelfigur des tuihorns als Miniatur, femerauf liturgischen Ge-
wändern und auf Kapitalen sowie in der Krümmung von Bischofs-
stäben, hier gewöhnlich neben oder mit einem Kreuze wie sonst
auch das Lamm; es ist in diesen Fällen wohl als Symbol Christi
gedacht. ') Wahrscheinlich wf^^cn des ihm schon im Altertum
ZH 'gesprochenen Hanges zur tinsamkeit (s. oben) wurde e«^ zum
Sinnbild des klösterlichen Lebens und kam so in das Wappen
des Klosters Fulda. Als solches trägt es auf einem Bilde Troandus»
*) Siehe nbcn S. 2;':, Anm. ?.
V. Antoaievicz ; Roman. Forschungen V, 296.
An bcVannlmtea UH dfr EUntaiBitib 4ct Kkwtara WM», denen BciHt dem
Orflndcr des Kloelen, Stimiitt oder dem Bonllitiae ingetdititiien worden iet.
Die J$g^ des Einhorns in Wort und Bild.
297
der Stifter des Klosters Holzkirchen, einer Filiale von Fulda,
während die Miniatur einer Handschrift Ratger, den Abt von
Fulda, darstellt, wie er ein Einhorn in eine Herde Schafe treibt -
dies deutiich eine Allegorie streng gehandhabter Klostefzucht.
Aber dies alles ist nur das Vorspiel zu den Darstellungen
des Einhornfanges. Dieser ist nach seiner ältesten Fassung, der-
jenigen nämlich, die bei Eusthatios und in den älteren Physio-
iogi vorliegt, wie es scheint, nur selten dargestellt; Cohn ver-
zeichnet nur vier Beispiele, von denen jedoch das eine, das einem
französischen besliaire angehört und bei Cahier: Melanges d'ar-
cheologie etc. {Ii, PI. XXI) wiedergegeben ist, wohl ausscheiden
muß, da hier hinter dem Einhorn die Halbfigur eines mit einem
Knüttel bewaffneten Mannes sichtbar ist, die doch wohl den Jäger
bedeuten soll. Vm\ was das zwciic Bcjbpiel betrifft, das bei Bock
(Geschichte der Htiirj^ischen Gewänder des .Wittelalters, HI, Tafel VI)
reproduzierte üewebe auf dem Bezug emes Alfnrkissens, so ist es
nicht ganz klar, ob die das Einhorn autnehmende weibliche
Figur als eine profane zu denken oder nicht vielmehr anf die
Maria zu deuten ist. Die Dame sitzt jedenfalls in einem mn-
zäunten Garten, und sie hat ein Kreuz auf der Brust; aber frei-
lich, der überaus seltsame, höchst weltliche Kopfputz der Figur*)
scheint die Beziehung auf die Gottesmutter zu verbieten. Das
dritte Beispiel aber, das Gemälde des Annibale Carracci im Pa-
lazzo Farnese kommt hier kaum in Betracht, wenigstens bleibt es
als das Werk eines Malers der Renaissancezcit, der doch wohl
mit bewußter Absicht ein altes Motiv aufgegriffen und ausgeführt
liat, außerhalb der hier zu schildernden Entwicklungsreihe. So
bliebe als einwandfreier Zeuge für die bildliche Darstellung des
fraglichen Typus im Mittelalter nur eine Schnitzerei am Chor-
gestühl der Maulbronner Klosterkirche, die, wie Riggenbach in
den Mitteilungen der K. K. Zentraikommission z. Erf. u. Erh. der
Bdkm. (Vlil, 254) mitteilt, das Einhorn im SdioBe der Jungfrau
>) Siehe Munter : Sinnbiliier, S. ■♦3.
*) Ancb in anderen Profandantelliuifen der Legende failco die Fnuen durch ver-
wegenen Kop^tx «iif, bcMmder« anf einer MMator einer Handadirift der Bodl^ami «is
dem 13. Jahrhtindcrt htl T-aining: Srnbo!«, PI I.X'WIV Hoch jcfr^rt diese Kom-
position vegen des darauf dargestellten Jügers zum zweiten Tj-pus der Legende von der
Einbofnjtfd.
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29S
Fnmz Kunta.
darstellt Und auch dies Beispiel ist verhiltnismäßig jung, da
das genannte Chorgestühl dem 15. Jahrhundert angehört
Viel hftuftger sind die Bildwerke^ in denen neben der Jung«
frau auch, um das Wild abzufangen, der JSger erscheint. Sie
finden sich in Physiologushandschriften, auf Kirchenstühlen,
Pfetlcm und Kapittlen, auf Friesen, Stickereien und Geweben,
auf den so beliebten Elfienbeinkistehen (ooffrelsX worin die Damen
ihre Schmucksachen aufbewahrteUf und andern Qegenslinden.
Und zwar in Deutschland wie in Engbmd und Frankreicfa. Daft
es hier an Nuancen nicht fehll; versteht sich von selbst Unter*
schiede zeigen sich in der Bekleidung des Weibes, namentlich
auch in dem hödist individuell bdundelten Kopfputz (s. S. 297,
Anm. 2), wie in der Bewafhiung des Jägers, der gewöhnlich einen
Spieß, manchmal auch einen Bogen fahrt Zuweiten sind es
auch zwei Jäger stett eines. Das Einhorn gleicht bald einem
Ziegenbock - nach der Angabc des Physiologus - bald, na-
.menUich in spiteren DarstelUingen, einem Pfcidcfaen mit ge-
spaltenen Hufen, manchmal auch anderen Geschöpfen. Bemerkens-
wert ist die Behandlung des Motivs auf einem Fries im StraBburger
MOnsler.*) Da ist das Bild in zwei Szenen zerlegt: die eine
zeigt, wie das Einhorn sich auf den Hinterfüßen drohend gegen
einen Bewaffneten erhebt, der den Angrifl des Tieres mit ein-
gelegter Lanze abwehrt; die andere bietet die gewöhnliche Dnr-
steilung: das Einhorn, im Schöße kler Jungfrau liegend, wird von
dem Jäger mit dem Spieße erstochen. Offenbar will die erste
Szene die Vorgeschichte, gleichsam die Exposition, der zweiten
geben : sie führt das tünhom vor, wie es in seiner natürlichen
Wildheit allen Angreifern trotzt; erst der Anblick der Jungfrau
macht es zahm, wie es die zweite Szene darstellt Sehr inter-
essant ist, daß die Tötuno; des Einhorns auf den erwähnten
Elfenbcinkästchen stets mit der S^ene aus Tristan und Isolde ver-
bunden ist, wo die Liebenden von König Marke belauscht \Nerden.
Was bedeutet aber die Verbindung dieser scheinbar so hetero-
genen Vorwürfe? Antoniewicz *) findet darin eine Symbolik, die
den Gegensatz zwischen irdischer und himmlischer Liebe aus-
1) Bd CRUcr-Mirtta, Nomdlct M«l«B«e»: CurloiHlt «qpHirieMtt t», $*.
1) *. a. O. V, H4ff.
Die Jagd des Einhorns in Wort und Bild.
299
drfldieii soll. Cohn verwirft die L'mdeutung !ns Geistliche und
meint, es solle durch beide Darstellungen nur die Macht des
Weibes verkörpert werden. Aber was bedeuten dann - in dem
einen wie in dem andern Falle - die Nebenfiguren? Der
lauschende König und der lauernde Jäger - sie sind doch beide
nicht bloß zur Staffage da; wie sie an der äußeren Handlung
offenbar wesentlichen Anteil nehmen, müssen sie auch für die
Allegorie - wenn wirklich eine solche vorliegt - Sinn und
Bedeutung haben. Allein welchen Sinn? Wollten etwa die l^iidner
der beiden Szenen das alte Motiv: wie liebe mit leide ze jüngest
lönen kan durch ein paar typische Beispiele veranschaulichen?
Mehrfach kommentiert und ebenfalls nicht völlig aufgeklärt
ist die Darstellung unseres Vorwurfs auf einer Emailplatte, die,
dem 14. Jahrhundert angehörig, aus Rheinhessen stammt, aber
sich jetzt im Bayerischen Museum in München befindet. Schneider
hat im Anzeiger für Kunde der deutschen Vorzeit (18S3, Sp. 133)
das Bildwerk beschrieben, und ich setze seine Worte unverändert
hierher: «Auf einer kreisrunden Emailplatte von etwa 6 cm
Durchmesser sitzt zur Rechten des Beschauers eine jugendliche
Frauengestilt Von der Linken eilt das Einhorn auf sie zu und
hat sich mit Kopf und Vorderldb auf ihren SchoB gdegt Hinter
dem Einhorn erhebt sich dn Baum, darauf eine männliche Oe-
stalty die von rflckwftrts mit der Lanze gegen das Tier ausholt
und ihm eine Verwundung bdbrmgt; dieselbe ist hinler dem
BUtt durch' einen Blutfleck angedeutet und durch diese Stdie
als tödlldi gekennzeidinet Die Jungfrau legt schützend die Linke
auf das Tier und erhdit mit der Rechten hoch empor dne flache,
tdlenuHge Schale.« Scfandder erblickt in der Danlellung dne
höchst sublime Allegorie. Der Jiger im Baum, mdnt er, sd der
Satsn, der diabolus homidda, der den Eriöaer tOte^ die Jungfrau
aber JMaria, die, als Verkörperung der Kirche gedacht, das Blut
des Einh(Hii8, d. i. des Hdlands^ auffange und somit den der
Wdt durch die Erlösung zutdl gewordenen gQtÜichen Onaden-
sdiatz in Besitz nehme. Essenwdn dagegen faßt den Verfölger
auf dem Baum als die Verkörperung der caritB auf, wozu ihn
9 a. i. O.
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300
Franz Kuntze.
die Ähnlichkeit des Figarchens mit typischen Darstellungen des
als Jüngling gedachten französischen Amour bestimmt hat Allein
ganz abgesehen von der abstrusen Phantastik dieses Gedankens^)
- muß man in der Komposition durchaus eine allegorische Szene
erblicken? Kann man besonders glauben, daß es möglich sei,
mit hoch emporgehobener Schale das Blüt des am Boden Uegetiden
Tieres aufzufangen, auch wenn dasselbe emporspritzt? Auch
Cohn (II, 19) bezweifdt die Allegorie, weiß aber weder mit dem
Jäger auf dem Baum noch mit der Schale in der Hand des
Weibes etwas, anzufangen. Nun findet man aber öfter auf den
Bildwerken, welche die Tötung des Einhorns darstellen, einen
Baum, auch wohl zwei, wie ich denke die Schutzwehr des JIgers,
hinter der er gestanden hat, bis der geeignete Moment, hervor-
zubrechen und die Waffe zu gebrauchen, gekommen ist Wenn
diese Deutung richtig ist, so ist nicht einzusehen, weshalb der
Weidmann nicht einmal, anstatt hinter dem Stamme des Baumes
zu lauem, sich in dessen Zweigen versteckt halten und von hier
aus das Tier abfangen soll. So scheint auch Antoniewicz die
Sacl'jc aulzufassen, wenn er sagt, der Jä^^er stehe oder sei im
Baume verbf)r;4L'n. -) Schwieriger ist ireilicl: die Deutung der
Schale. Wenn m.ui aber ui der Szene auf den oben ePA'ahiiten
Elfenbeinkabtchcu den ringartigen Gegenstand, den die weibliche
Figur in der Rechten hält, für einen Rosenkranz gehalten hat,
den sie dem Jäger Oberreicht, so konnte man sich versucht fühlen,
auch die Schale in ähnlicher W^eise zu deuten: man könnte auf
den Gedanken kotntnen, daß sie mit Wein gefüllt und für den
glücklichen Weidmann bestimmt sei. Freilich wurde dann die
Linke der Jungfrau das Einhorn nicht, um es zu schützen, son-
dern um es festzuhalten berühren. Überdies ist die Voraussetzung
dieser Erklärung - nämlich die Deutung des Kranzes oder was
es sonst für ein Gegenstand ist - höchst fraglich; kurz, die
Sache ist nicht klar, und die vorgetragene Vermutung kann nur
als ein Einfall gelten, der nicht viel besser, aber auch vielleicht
nicht viel schiechter sein mag als andere.
1) Daß die lOrdie fifter als \\\-ih, das, einen Becher in der Hand lultend, unter dem
Kreaze Mebt, dargestellt iHrd, meist im Ocgensilz zur SyiMcof^ die mit zesbrodimm
Speer oder Bmmer eradteint, Ixiveist ffir den vorHesoMlni PaJl ntdit vM.
^ a. a.O.
Die Jagd des Einhorns in Wort und Bild.
301
Bildliche Darstellungen, wo der Fang des Einhorns durch
die Jungfrau unzweideutig als Symbol der Verkündigung und
Menschwerdung aufzufassen ist, sind, wenn nicht der himmlische
Jäger mit seiner Meute auftritt, selten. Ich habe nur ein Beispiel
gefunden, nämüch das Bildwerk auf einem getriebenen Becher
NürnhiTt^^cr I Icrkunft.^) Da liegt das Einhorn wie gewöhnlich im
Schoiie der Jungfrau, während uber ihr der heilige Geist schwebt
und links von ihr ein geflügelter Engel steht, Gabriel natürlich,
der die Verkündigung bringt. Da das Bild dem 16. Jahrhundert
angehört, mag es Wiederholung einer älteren Vorlage sem. -)
Den Übergang zur Darstellung^ der himmlischen Jagd haben
wir in einer Miniatur, die sich in cineTn Antiphonar des Klosters
Einsiedeln befindet und nach Piper aus dem 12. Jahrhundert
stammt. Da erblickt man außer dem Einhorn im Schöße der
Maria den Engel Gabriel, der vor ihr kniet und, indem er mit
der Linken das Horn hält, blasend den himmlischen Gruß daraus
hervorgehen läßt.') Hier fehlt der Jagdspieß und die Meute,
der Engel ist also nicht deutlich als Jäger charakterisiert, hat aber
doch schon ein Attribut des Jägers, das Horn. Vollständig durch-
geführt ist aber die Allegorie auf einer Stickerei des 13. Jahr-
hunderts. Maria sitzt im Glorienschein, das Einhorn liebkosend,
zur Rechten, ihr gegenüber der Engel ohne Flügel, durch Lanze
und Horn als Jäger charakterisiert Zwischen beiden ist ein
Becken, aus dessen Mitte sich die leuchterartige Fortsetzung des
Unterbaues erhebt; auf ihrer Spitze hat sich eine Taube, das
Symbol des heiligen Geistes und damit auch der Menschwerdung,
niedergelassen; dies wie auf vielen der gewöhnlichen Verkündi-
gungen. Einige stilisierte BAumchen und Blumen bezeidinen den
Garten. Nur drei, nicht vier Hunde hält der Jäg^r an der Leine,
und man liest auf ihren Leibern die Namen Charitas, veritas,
humilitas. Raumverhaltnisse und Symmefaie sind ansprechend,
1) V. Antonic»ic7 a. a. O. S 2S6, Aiua.
^ SIdie Piper, Evangd. Jahrbuch, 99» S. 37.
Ob die .symbollidM Dmteltaiif d» eagKtdwn OniBa mit den Einhorn«, lUe
sich als VC'andgemäldc in der alten Schloßkirche zu Nävi» im Wipptale an der Brennerbahn-
Linie befindet und, wie £>etzei (Christi. Ikonographie, I, i6t Anm.) angibt, von Dcngkr
CKildienschinuck, Neue Folge, Heft 12, S. 14) behandelt ist, hierher oder schon zum folgenden
Tjnpn gehört, vemug ich nicht «1 cntodidden, «dl mir die gcoMotc Zdtsdirift Idder
■lebt zugänglich i«t
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302
Franz Kuntze.
das Einhoni namenllich nicht zu groß, und, wodurch das BUd
woblhiend gegoi die große Menge der gleichartigen Darstellungen
aus spftterer Zeit abstichti es fehlen alle die unoigpnisdien
Zutaten, die Symbole und Sprflche, also der ganze fiber>
flüssige Knm, der gewöhnlich den Eindruck stört ^ Wenn aber
Kraus in dem Jäger die Verkörperung Gottvaters hat sehen
wollen, um die Dreieinigkeit in das Bild hineinzubringen, so ist
das gewiß ein Irrtum. Der Jäger ist hier wie sonst der ^ngel
Qabrid, Kraus hat sich offenbar verleiten hssen durch die oben
zitierte Schilderung der goldenen Schmiede, da seiner Meinung
nach die Stickerei dem Texte Konrads von Wfirzburg am ge-
nauesten entspricht, was jedoch nicht mehr und nicht weniger
als bei anderen Darstellungen dieses Typus zutrifft
Nun folgt die ansehnliche Oruppe der zur Wanddekoralion
bestimmten Qentiüde, meist Altarbikler. Man findet sie nur in
Deutschland mit Ausnahme eines einzigen, bald zu besprechenden
Beispiels, wie äberhaupt biklliche Darstdiungen der hhnmlischen
Jagd mit einziger Ausnahme des eben erwähnten Falles nur in
Deutschland anzutreffen sind. Da sind zunächst die beiden
Wandgemälde in den Ruinen des Schlosses Auffenstein bei Matrei
in Tirol, die von Liell im Katholik (1880) ausführlich beschrieben
sind. Das eine stellt den Jäger mit der Meute dar, das andere
zeigt die Maria mit dem Einhorn im hortus conclnsus. Die
Zahl 12 04, die sich auf beiden Bildern befindet, deutet nach
Liell die Enlstchungszeit an. Nach der Zerstörung des Schlosses
(1438) sind die Gemälde arg beschädigt und im Jahre 171S
schlecht restauriert worden. Das sind, wie es scheint, gut be-
glaubigte Talsachen und namentlich die beiden letzten dieser An-
gaben gewiß einwandfrei. Anders steht es jedoch mit der Da-
tierung der Gemälde. Es fragt sich wirklich, ob man mit Liell
die Herstellung derselben bis in den Anfang des 1 3. Jahrhunderts
hinaufrücken darf. Die Bilder zeigen durchaus den Typus einer
späteren ZeiL Da ist nicht bloß der Jäger mit den vier Hunden
>) Abbilduns bei Kraus: Die christlfdie Kunst in ihren Anfingen, S. 316. Cohn
hat schon bemerkt, daß dem Tiere das Horn fehlt, und vermutet, die Stickerei sei beeinflußt
worden durch das Schnitz werk der Johann iskirche in Gmünd, wo statt des Einhorns sich ein
Hirsch (Hindin?), von Jäj;er und Meute verfolgt, in den Schoß der Jungfrau flächtet. Aber
du Horn fetalt mcb andcnvo* z. B. anf dem Schnitt in don betchlofwa Oiit d. Ro$. Mar.
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Die Jagd des Einhorns in Wort und Bild.
303
und Maria im hortus conclusus, da sind auch die fiblichen Sym-
bole des Marienkultus zu sehen: der brennende Dornbusch, das
Fell Gideons, die goldene Urne mit Manna, die Rute Aarons,
die porta aurea, der Turm Davids, dann die Gottesstadt Nazareth
mit iliren Tiirmcn, in den Wolken die Dreieinigkeit, außerdem
eine Anzahl der sonst üblichen Spruche. lirwägt man endlich,
daß sogar Pelikan und Löwe auf dem einen der Bilder an-
gebracht sind, die wir oben bereits als unirugliciie Anzeichen der
Spätzeit erkannt haben, so möchte man glauben, daß die Her-
stellung der Gemälde nicht in den Anfang, sondern ans Ende
der ganzen Entwicklung zu setzen sei. Kurz, die Datierung
Liells hat einen tüchtigen Haken - es sei denn etwa, daß die
erwähnten Symbole und Zutaten ganz oder teilweise der Restau-
ration ihren Ursprung verdanken.
Die andern hierher gehörigen Bildwerke befmden sich
sämtlich in Mitteldeutschland und zwar in einer Zone, die von
der Lausitz durch Thüringen bis nach Braunschwcig reicht. Da
ist ein Gemälde in Görlitz, da ist das große, interessante Altar-
bild in der Vorhalle des Domes zu Merseburg, da sind ferner
die schon erwähnten Weimarschen Büder, ein andere? in der
Kirche zu Großkochber^^, vier in Erfurt,') dazu das grolie Altar-
bild im Dom zu Braunschweig, endlich das geschnitzte Aitarwerk
in Gotha, das aus dem ehemals als Wallfahrtsort stark besuchten
Kloster Grimmenthal im Meiningenschen stammt.'^) Zu diesen
gesellt sich als einzige außerdeutsche die Darstellung auf dem
berühmten Altarbiide in der Magdalenenkirche zu Aix, die man
lange irrtümlich fOr du Werk des Königs Ren^ gehalten hat;^)
nicht als ob sie, wie man aus manchen kurzen Angaben ent-
nehmen könnte, die Mittelfläche füllte - dort sieht man Moses»
wie er halb geblendet zum brennenden Busch aufschaut, aus dem
Maria mit dem Jesuskinde hervortaucht, und den Eogiel Gabriel
>) Das eine, »ehr beachtentwerte, aot dem Ende des 14. oder Anfang des 15. Jahr-
hunderts, hängt im Chor des Dones, du andere sehr unvorteilhaft «igebncht, vcil in der
Dunkelheit kaum sichtbar, an einem Pfeiler des Schiff«, die letzten beiden, minderwertig;?
Scfaildereien, tind exkommunixiert: das eine befindet sich im Dienstzimmer des Dom-
propstet, das «adcrt nicht gut lutvcnllcnterveise in der Roaqjdkammcr der NcawerUdithe.
•) E«! hingt jcfrt im Dienstzimmer de? .Mu'n!m<;dir?*Vtor5.
^ £$ stammt vahrscbeinlich aus der burgundischen Schule. Siebe v. Seydlitz in:
DcaUdie Rmtfidini (i904)^ XXI, i«s.
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304
Fnuiz Kuntze.
als Gottesboten, eine Verkfindigung ganz besonderer Art
sondern sie bildet dje Verzierung der beiden Zwicket fiber dem
Hauptbilde: links befindet sieh der Jäger mit seinen Hunden - es
sind hier wie sonst manchmal nur drei - und mit der Lanze
bewaffnet, rechts ihm gegenüber die Maria mit dem Einhorn.')
Dazu kommen noch andere Darstellungen der himmlischen
Jagd, von dL-nen ich die nenne, die mir bekannt gev.nrdeii sind;
vor allem eine Stickerei aut einem jetzt verlorenen Altarbehange,
der sich ehemals in der Kirche zu Oberlahnstein befand; eine
Leinwandstickerei auf einem Kissenüberzug im Besitz des Bürger-
meisters Thewalt in Köln; ein Metalischnitt, aufgeklebt auf dem
innem Deckel eines in der A\arienkirche zu Danzig gefundenen
Manuskriptes der Vulgata; ein farbiger Holzschnitt in dem schon
mehrmals genannten Buche -Der beschlossen Gart des Rosenkr.
Marie"; zwei Holzschnitte auf den Titelblättern der beiden Nürn-
berger Einzeldnicke des oben erwaliruen V^olksliedes : es wollt gut
Jäger jagen; endlich die angeblich von Lukas Cranach, in Wirk-
lichkeit von dem Nürnberger Jakob Elßncr ausgeführte Miniatur
am Rande eines Blattes des auf der Universitätsbibliothek zu Jena
befindlichen Evangelistariums.*)
>) Die Bilder sind gn iltcnteiis brschrieben Torden oder in Abbildungm vorhanden.
Da» Oörlitaer hat Pocfaek beaprochcn im Nencn Lansftziacii. Magaiin 1832, daa Mcndmr|er
bdbandelt amfiDirlfdi Otte fn den Kenen Mittellangen des HillrfiigfscIt'SIdidaclwn Vereins,
V, 116 ff., anncrdem Skizze divnn nebst Erläuterung in den Bau- und Kun-tdcnkmälcm
der Provinz Sachsen (Kreis Merseburg, S. 137 ff.)- Die Weimarächcn und das Üroßkocbberger
Oemilde bespricht Lehfeldt in den Bau- und Kunstdenkmälem Thüringens, Heft VI (1889)
- Valpius' MitteUting in den CnrioaUlten ist schon erviimt - ; das Bmutadnrtigiadie
Ribbentrop (Beschrdbung der Stadt Bnunscfaveig), vledefliolt von Vulpius a. a. O.; das
Ootbaer Altarvcrk ist ohne ncsdirt ib;in;j abi^cbildct in Riidolphis Oofha diplomatica, T. II.
Von dem Bilde in der Kathcdralt- /w Ai\ gibt A\illin: Voyages dans Ic« provinc« du midi
dein France» S. 345 (P. XLIX) Kcproduklion und Ucichrcihung. Von den lirfurtcr Bildern
kenne ich keine Bcacbictbong. Das eine im Qior des Domes befindliche vird in den
•Bau- und Kunsldenlaidneni der Provinz Sadiwn* (Kreis Erfurt) genannt, aber nidit be>
schrieben. Und doch Ist es cit:cnarti>: und intcrLSsnnt. Das Gemälde hebt sich von einem
Goldgründe ab, dessen Farbe dm groik, mit gewaltigen Sätzen aut die Jungfrau zuspringende
Einhorn bewahrt. Der Jiger hat Horn und Lanze, aber nur zwei Hunde. Der hortus con-
dusus ist angedeutet durdi dne Reibe bocbngendcr Binme. In dner Wolke Oottvater und,
von ihm ausgehend, das Chritllrinddien, Im Begriff ddi anf die Maria herabzntenleen. Da»
neben eine (iriippe von Engeln, l'bcrdies ganz eiKtnartic zu beiden Seilen der Maria im
Hintergrunde eine Reihe heiliger Jungfrauen. Das Oemäldc ist das Mitteistück eines drei-
flflglil^ Altaiwerks.
•) Eine farbige Nachbildung der Oberlahnsteiner Stickerei hat Schneider verfiffent-
lichl in den Annalcn des Vereins für Nassauischc Altertumskunde usw., XX, T U; die Kölner
Leln«"andstickcrci kenne ich au> einer Photographie, die mir Herr Prof. v. U'cifVtibach in
Ldpzig gütigst zur Verf&guag gestellt hat; der Danziger Metallsdinitt ist besprodien von
Bergan in der AttpftttBisebett MonafsMte-.. IV. m. Die BnicMivcke VMkaliede» tae>
finden sich in der Berliner Bibliothek. Da^ Bildchen de« Jcncntcr Evangdicnbndlf er-
wähnt Piper: Mythol. u. Symbolik der dir. Kunst, 1, it>9.
Die Jagd des Einhorns in Wort und Bild.
305
Unter den eben aufgeführten Bildwerken ist namentlich die
Oberiahnsteiner Stickerei, die nach Schneider dem Anfange tles
16. Jahrhunderts angehört, zu beachten. Auf rotem Grunde hebt
sich der hortus conchisus ab, der von einer weißen, mit Zinnen
gekrönten ovalen iMauer umgeben ist. Auf dem grünen Rasen,
aus dem ein üppiger Plor von Blumen entsprief^t, wahrend an
jeder Seite sich ein mit vielen Bluten gesclunucktes Baumchen
erhebt, alles in feiner Stilisierung ausgeführt, erblickt man die
beiden Hauptfiguren, Maria mit dem Glorienschein in reichem
Brokatmantel, ihr gegenüber den geflügelten Jäger in weißem
Unterkleide und blauem sternbesäten Mantel. Er hält die vier
Hunde an der Leine, kleine Windspiele, die lustig auf dem Rasen
heramspringen, und stößt wie gewöhnlich ins Horn, hat aber
keinen Spieß. Die Haltung der beiden Figuren ist konventionell,
etwas steif und unfrei; mit auffallendem Ungeschick ist das gelbe
Einhorn behandelt, dessen Hinterleib nicht auf dem Rasen zu
liegen, sondern in der Luft zu schweben scheint Über der
Mauer des Gartens finden wir in ziemlich symmetrischer An-
ordnung eine Anzahl der üblichen Embleme: in der Mitte die
Rute Aarons inmitten ihrer Genossen, aus deren Blfltenkelch die
Taube hervorkommt^ auf der rechten Seite Gott im brennenden
Busch und den knienden Moses, auf der Imken Gideon auf den
Knien vor dem Fcül, dazwischen den fons signatus und die uma
aurea. In den Bftumen wie auf den Zinnen der Mauer sitzen
Vög^L Das Ganze macht einen feinen, man mödite sagen fest-
lichen Eindruck, ja, der zierliche Blumenschmuck auf dem grünen
Rasenteppich, die phantastischen Bäume samt den Vögeln darin
muten uns an wie der Naturdnguig eines Minneliedes.
Alle diese Bildwerke erzählen die Jagd des Einhorns nach
demselben Schema, aber doch mit roannigfiwhen Varianten hln-
sicfatlicfa der Einzelding^ Und zwar beziehen sich die Nuancen,
abgesehen von den unwesentlicheß Nebendingien, der Auswahl,
der Anordnung und Behandlung des Beiwerks, hauptsächlich auf
die Dantellung der Jagdmeute und der teils als Zuschauer, teils
als Teilnehmer des Vorganges gedachten Gottheit
Daß die Vierzahl der Hunde mit der Farabel Bernhards
von Churveaux zusammenhängt, ist oben dargetan, sie ist daher
Archiv fär KaUnrgescbichte. V. 20
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306
Fruiz Kuntze.
wesentlich. Wenn sich also auf dner der Darstellungen weniger
Hunde befinden, drei oder zwei oder wie auf dem OörlHzer Bild
^r nur einer, so könnte nuui versucht sein, mit Piper zu glauben,
daß die Künstler den Sfain jener Pandxl und die Bedeutung der
Vierzahl nicht mehr verstuiden hfltten oder dUfdi Phdzmangel
beschränkt waren. Das letztere trifft auch in einigen Pillen un-
zweifelhaft zu, namentlich da, wo die Namen der fehlenden Hunde
wie auf dem (jorlitzcr Bilde ebenfalls angegeben sind.*) Anders
aber scheint die Sache zu liegen, wenn sich eine Dreizahl von
Hunden findet. Schon daß sie häufiger vorkommt, gibt zu
denken. Auf der oben beschriebenen Krausschen Stickerei, einer
der ältesten Darstellungen der himmlischen Jagd, die wir besitzen,
war für emen vierten Hund zweifellos Platz, und von einem
JV^angel an Verständnis für die durch die Vierzahl ausgedrückte
Allegorie kann schon wegen der Früh zeit des Rüdes nicht die
Rede sein; auch sind die Namen der Munde veritas, Charitas,
humilitas, wenn auch wohl aus der Parabel Bernhards abgeleitet,
doch offenbar mit allem Bedacht variiert. Ein gedankenloser
Nachahmer hatte wahrscheinhch drei von den Namen der Vorlage
behalten und den vierten einfach fallen lassen. Auch auf der
oben erwähnten Kölner L^inwandstickerei ist die Dreizahl der
Hunde offenbar nicfat Zufall, sondern Absicht, es fehlte auch hier
nicht an Platz für einen vierten. Die übenus Mrinzig^n Tierchen ^)
stehen, was hier gleich bemerkt werden mag, auf der unteren Borte
der Stickerei und nehmen an der vorgestellten Handlung nicht den
mindesten Anteil, sondern sind lediglich als Ornament angebracht,
eine dgentflmliche Variation, die Oott weiß welcher Laune ent>
sprangen sein mag. Unter den Tierchen aber liest man die
chaFskteristiscfaen Namen fides^ spes, Caritas. Und diese Namen
finden sich auch auf dem sdiönen Erfurter AUarbiid, aber so,
daB, da der Jiger offenbar aus Platzmangel nur zwei Hunde
fahrt, auf dem Leibe des einen die Worte fides und spes, auf
>) EbcnM tteht** wdi mft dem HoltMliiiHt In dm bacMoNen Oirt Mn «Mit
zwd Hunde voll-jt.^ntli^, von clrm dritten nt;r dir Hüfte, Kopf tind Vnrdrrlrih f"? fehlte
offentNU' an kaum. Die trkiarung aber ncnm die Namen der vier Hunde nach der Farabd,
dun noch ein stöberlin (s. oben).
>) Dm zur Linken über dem Worte fidet ai denkende Tischen ist mit bloßen
Aagie nf da- Photographie nidit «ahndimter. FcUt ea ttn aacfa aaf dem Origioal?
Dk Jagd des Einhorns in Wort und Bild.
307
dem des andern das Wort Caritas steht. Das ist ein deutlicher
Beweis, daß dem Künstler die Trias der Hunde samt den er-
wähnten Namen bekannt und geläufig w:ir Es ist also kaum
fraglicii, daß die Dreizahl der Hunde einen selbständigen Typus
bildete, der möglicherweise älter ist als die Vierzahi, aber später
von dieser durch den Einfluß der Parabel Bernhards zuräck-
gedrängt worden ist Als Namen der Trias boten sich die Worte,
die bekanntlich den Schluß des 13. Korintherbriefes bilden,
gleichstra von selbst dar. Zu dem gleichen Ergebnis kommt
flbrigens auch Cohn (II, 21), obwohl er weder das Erfurter Bild
noch die Kölner Stickerei kennt
Sehr verschieden ist auch die Darstellung der Gottheit, die
nur seilen ganz fehlt Sie wird zunächst repräsentiert durch die
Taube als das Sinnbild des heiligen Geistes, der nach Lukas I, 35
in erster Linie bei der Menschwerdung wirksam ist Dann tritt
Gottvater in dte Szene ein, sein Halbbild zeigt sich in den Wolken
oder in einer Glorie von Engeln. Zuweilen ist auch die Trinittt
daiigestellt, wie auf dem Auffensteiner Gemälde, wo man nach
Liell zwischen Gottvater und Sohn die Taube eitUckL Eine be»
sondere, schon erwihnte Nuance ist die, da0, von Gottvater aus-
gehend, das Qiristkind oder, was dasselbe is^ der Logos in einem
Lichtstreifen auf die Maria herabschwebt, wie das auf dem Merse-
burger und dem Etlurter AHarbitde der Fall ist Ebenso, wie
schon bemerict, auf dem einen der Wetntaischen Bilder und
auf dem Danziger Melallsdinitt, nur daß hier noch die Taube^
das Haupt der Maria berOhrend, hinzukommt Lauter Variationen,
die mehr oder minder oft auf den vori>ildUchen VerkOndigungs-
bildem, namentlich der Iteliener, vorkommen*^)
Daß die Maria flbendl sitzend darg^Ut ist bnmcht kaum
gesagt zu weiden. Nur die Kölner Lemwandstickerei, sovtel ich
sehe, weicht davon ab: Maria steht - wie fibrigens ebenfalls
auf froheren Vcridlndigungen gewOhntichen Stils -, ihr gegen-
über ohne Spieß und Meute der Eng^l mit dem Horn in der
Hand, zwei eckige, wte aus Holz geschnitzte Figuren, ww es
sdieint, die Reproduktion einer ilteren Vorhige. Bgeiaa^ ist
>) Sidie Detzd, CbruU. Ikonogr., I, 170, 71.
20»
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308 Franz Kuntze.
auch die oben erwähnte Darstellung der Jenenser Miniatur. Hier
erscheinen anstatt des als Jäger maskierten Engels zwei geflügelte
Genien; der eine hält eine Ijinze und führt die Htmde an der
Leine, der andere stößt ins Horn. ^) Das niedliche Bildchen ist
mit Ranken eingefaßt, alles störende Beiwerk fehlt. Eine Kom-
position, die durch Originalität der Erfindung und kecke Frische
der Ausführung alle Konkurrenten weit hinter sich läßt
Von der Übertragung der ursprünglich allein für Christus
gdtenden Symbole auf die Gottesmutter ist oben schon die Rede
gewesen, auch erwähnt, daß Löwe und Pelikan auf dem Auffen-
Steiner Bilde angebracht sind. Viel weiter aber ist in der An-
Wendung dieser spielerischen Sinnbilder der Steinmetz gegangen,
der das Orimmenthaler Altarbild veriertigt hat. Hier sieht man
ebenfalls - unweit des Jägers - das Bild des Löwen und dar-
über die Inschrift Maria Leo; hoch oben unter dem Rande zwischen
dem Zeichen der Stella maris und dem der Sonne mit der In-
schrift dara ut sol liest man ohne Bild die Worte Maria Phoenix.
Ober dem Berge, der sich im Hintergründe erhebti steht ge-
schrieben Maria Aquila, und mehr in der Mitte, filier dem Bilde
des speculum sine macnla, was hier die Hauptsache ist, Maria
unioomis. Natfirlich fehlt auch der Pelikui nicht; er ist aber»
indem er sich mit seinem Schnabel die Brust öffnet und die unter
ihm zappdnden Jungen trinkt, so deutlich charakterisiert, daft
eine Inschrift nicht vonnöten war.*)
Wir sind eigentlich am Ende unserer Obersicht Nur einen
flflchtigen Blick wollen wir zum Schluß noch auf einen Sdten-
trieb der Sage werfen, um so mehr, da er sich elienso krtftig
entwickelt hat irie die andern SchOBIinge derselben. Man wesB,
daß das Einhorn auch als Symbol der Keuschheit gilt. Nicht
lange nach seinem Eintritt in die abendländische Literatur muß
diese Auffassung aufgekommen sein; sagt doch schon Beda:
>) Pipers Beschreibung (Mytbol. d. dir. K. a. a. O.) itt aicM pttn.
s) Anch fii der Dtdrthnist fehlen die Amltie ra dtevr VerwMdwiag der SfvMe
nicht. In dem ABC-Ldch (MSH. III, 468 a) wird Maria nicht nur die geblümte Rute Aaroi»
genaimt, sondern es heißt auch, daß sie uns rufen möge, wie der Löwe tut, uns speisen
Böge wie der Phönix, uns ansehen möge wie der Strauß usw. Auch das Einhorn fdilt in
dkNT Rdhe oicM, i«t aber doch alclit cendem als Bild der Maria gedacht. Vldindir
idfll et IM nun nadi der bcrfctamlidien Weite, daB die Jungfraa et tagen möge.
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Die jKgd des Einhorns in Wort und Bild.
309
unicornis est «nimal castissimum.*) Sie ist die natfldiche Kon-
sequenz der Legende. Ein Wesen, sei es Mensdi oder Tier,
welches sich von einer reinen Jungfrau so angezogen fühlt, daß
es seine natflrlidie Wildheit ablegt und von ihr ge^mt wird,
muB selbst wohl die Eigenschaft besitzen, durch die es angdockt
wird, und es war daher nur die folgeriditige Weiterbildung der
Legende, wenn dem Einhorn die Keuschheit als Attribut - einige
Ausnahmen bestätigen nur die Regel - beigelegt wutde. Das
meint auch die oben angeführte Stelle aus dem Parzival : ez wirt
durch reinikeit erslagen. In der bildenden Kunst ist die Dar-
stellung der Keuschheit als eines Weibes, das auf einem Einhorn
reitet oder auf einem von Einhörnern gezogenen Wagen sitzt,
typisch geworden. So namentlich in dem Kampf der Tugenden
und der Laster, einem beliebten Thema des A\ii!clalters, das in
Wort und Bild dargestellt worden ist. In der sich an französische
Miniaturen anlehnenden »Note wider den Teufel", wo dieser
Kampf geschildert wird, reitet die Keuschheit in Gestalt einer
Jungfrau, die einen mit drei Lilien geschmückten Helm trägt, auf
einem Einhorn.') Sind so auch die unter dem Namen la Licome
bekannten Bilderteppiche des berühmten Cduny-Museums in Paris,
die eine Jungffrau und ein Einhorn zeigen, zu deuten? Man tut
das gewöhnlich, indem man annimmt, das Einhorn sei ein Symbol
der Tugenden jener Dame, aus deren Leben Szenen vorgetührt
würden.^) Oder sind sie, wie netierdint^s ge:nißert worden, die
Illustrationen zu einem verschollenen Märchen, das von der
Koni.^stochter und einem Einhorn handelt?**) Wie dem auch
sein nnig, das ist gewiß, daß das Einhorn als ständiger Begleiter
gewisser Heiliger, des Cyprian und des Firmian und vor allem
der Justjna, als Sinnbild der Keuschheit gilt. Wer kennt nicht
das prächtige Gemälde Moretos im Wiener Belvederc, wo die
Heilige, eine fast überschlanke Gestalt mit dem fein modellierten
Kopfe, inmitten einer Landschaft steht, in der auf der einen
>) siehe Cohn II, 26
«) Sieht Laudiert, S. 216; die Stelle würiiich bei Cohn, 11, 26.
>) qui passe pour le Symbole de la chastetf, de Ift ffOR* Ct de 1« trMenc^ MBtCiin
Kalalog des Clcnv-MtJ^evnij; siehe Cohn, II, 27.
«) Siehe Marie Luise Becker: .BildertqjpidK* in Westemuuuu Monatsheften«
XCVIU (IMO» M7>
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310
Fhmz Kuntze.
Seite ein schneeweißes, deutlich als Pferd charakterisiertes Einhorn
ruht, während auf der andern ein Venetianischer Nobile kniet?
Nach dem Ablauf der Renalssancezeit ist das Einhorn ffir
die Kunst gestoiben, selbst die Romantik hat es nidit zu neuem
Leben erweckt Aber ein Oetslesverwandter der Romantik hat
es uns vor einigen Jahrzehnten wieder voigeführt, indem er das
alte Motiv des auf dem Tiere reitenden Weibes erneuert, aber
durchaus umgeschaffen hat Böddin gesellt das wunderbare
ralxlwesen der Nymphe zu, die das tiefe Sdiweigen der Wald-
einsamkeit verkörpern soll. Mit großen, geheimnisvollen Augen
blicken beide den Beschauer an, zwei Wesen aus der wunder-
vollen Märchenwelt, die der Pinsel d^ Meisters so gern vor
unsern Blicken aubteigen läßt
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Hamburger Verkehrswesen
bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts.
Von ALFRED KARLL
Nicht nur auf geistigen: und wirtscliafllichem Gebiet, sondern
auch im Bereich des Verkehrswesens hat die Kirche im Mittel-
alter eine wichtige Rolle gespielt. Das Schriftwesen befand sich
vorwiegend in ihren Händen, an den Höfen wirkten Geistliche
als Schriftkundige, ja sogar der Beförderungsdienst wurde teil-
weise von ihnen wahrgenommen. Noch in späteren Zeiten, wo
es gewiß nicht an anderen Absendungsgelegenheiten mangelte,
findet man Geistliche als Überbringer von Briefen. Auch in den
Hamburger Kämmereirechnungen sind eine Anzahl von Ausg^iben
enthalten, die auf diese Tätigkeit hinweisen.^)
Im frühen Mittelalter ist die Person des Boten vielfach noch
mit dem Inhalt des Briefes vertraut Des Überbringer richtet
nebenbei andere Anftrige aua. Vollständig gietrennt wurden die
Eigenschaften als Briefbote und als Beauftragter erst ziemlich spät
Eine nicht unwesentliche Rolle spielte dabei der Wedise] der
Personen während der Dauer der Beförderung. Sobnge der
Bote 'bis zum Bestimmungsort reiste, konnte er mancherlei Auf-
•
«) 1350: fratri Wulftiardo in Ftisiam 5 in 2 ^ - 1361: Makoni Busch pro cx-
pensis monadit Zegheberge, qui domino NicoUo comiti portavit iitcras. - 1375: 10 ^
cnidam dcria), qui portavit littem versus curiam Rofluuum. - i 379: 32 /? cuidara monadio,
mmdo damini Ottonis duds Bmnsvicensis. - Mn i 3 ^ M fi cnidiin derico portanti
mtas litms versus mriam Romanam. - Die Angaben b\% Tvm Jahre 1562 sind Im folßenden
Koppmanns K.in";:iicrriri-i;hr. uiij^cn der Stadl Ha;i;t;ur}:;, Antjahcii .th^ drn J.iSiier; 1S':3
bis 1614 den Originalrcctinungen im Ardüv der fretcn und Hansestadt Hamburg entnommen«.
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312
Alfred KarlL
träge ausführen, Erkundigungen einziehen, Mtttetluiigai machen,
die man aus Voisidit dem Papier nicht anvertrauen wollte. Mit
der Einführung postmfifiiger Einrichtungen wurde der Brief-
verkehr unpersönlicher, an die Stelle des Vertrauens zu dem
Boten trat das auf die Zuverlässigkeit der Organisation. Indessen
zdgen gerade die Hamburger Einrichtungen, daß keineswegs
immer unter den primitiveren Verhiitnissen ein persönlicher Ver-
kehr zwischen dem Boten und dem Absender stattfand.
Der doppelte Charakter der Briefboten ist besonders aus
den Briefen der Geistliciiiceii erkennbar. Einige Beispiele mögen
als Beweis dafür dienen.
In einem Schreiben des Erzbischofs Adalbert von Bremen
an den Abt von Corvey (1065) heißt es am Schluß:')
»Nuncium tuum in proxima estate nobis dirigito; per quem
et cartam omnia haec, sdticet altemam memoriam et fratemitatis
titulum, continentem destinare memento. Per ipsum autem reliquias
tibi eiusdem sancti patris nostri Ansgarii et translationem mittemus.*
Eine Stelle der ProzeBaklen des Hambuiger gegen das
Bremer Domkapitel (1219-1222) hiutet:*)
«Contra quos procuiator Hamenburgensis excepit, quod
cum nieiuni allei^^nenl generalem nec specificarent aliquem, non
essent audiendi, niaxime cum nec illum probarent nec nundus
ipsorum fidem vellet facere de metu ....
Qui iterum ad diem illum iitteras et simplioem nundum
roiserunt in hac forma . . .
Die FUle, in »denen Boten geistlichen Standes lediglich
zur Beförderung von Briefen verwendet wurden, sind nicht
genule zahlreich.
Hierbei ist aber ein anderer Umstand zu beachten, die
Unsicherheit der StniBen. Wenn nSmlich dem Boten der Brief
unterwegs abgenommen wurde, so konnte er den Inhalt wenigstens
noch mundlich bestellen. Wie böse es damals auf den Wegen
in Norddeutschland aussah, zeigt folp:ender Abschnitt der Statuten
des päpstlichen Legaten Johannes aus dem Jahre 1207:*)
>) Lappenbctg, H«dMi|ff UitandoklMdi» S. 9S. >t Ltppeaberg i. t. O. S. ats.
1) a. a. O. S. 693.
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Hambiuiger Verkdirsvesen bis mr Mitte des 1 7. Jahrhitnderts. 313
»Contn impcditores nunctorum Icgatorum vd ddegatonim:
Si quis in tanti ]>roruperit fiiroris audadatn, quod nundos
Icgatonim sedts apostolice de latere missorum ab ipab seu ardii-
episcoporam aut episcoponim vel delegatonim capere vel verberare
aut eos spoliare seu Uttens auferre seu dilaniare aut alios aut
alium publice vel occulte aut quomodolibet impedire presump-
serit, ipso l'acto siiu excommunicacionis sentencia innodati, t^indem
penam nichilominiis incurrere volumus, qui venientes ad curiani
eorundem et abinde redeuiues eos in personis offenderet vcl eos
bonis eorum, que secum haberent, occulte vel publice spoliaret.«
Wenn man sich nicht scheute, den Boten der hohen
Geistlichkeit die Erriete fortzunehmen und zu zerreißen, so
kann man sich ungefähr einen Begriff machen, wie es gewöhn-
lichen Reisenden unterwegs ergangen sein mag. In den Statuten
des Kardinals Guido auf dem Konzil zu Bremen (1266) war
wohl die Verletzung der Geistlichen, nicht aber die Abnahme der
Briefe mit Strafe bdegt, die Versdiärfung wird sidier nidit ohne
begründete Veranlassung erfolgt sein.
Die höhere Odstiidikeit hatte sdion in früher Zeit f Or die
Beförderung ihrer Briefsdutften dgene Uufer in ihren Diensten.*)
In den Hambuiger Klmmereiredinung^n spiden diese Boten dne
nicht unbedeutende Rolle. Allerdings wird in den Redtnungen
erst im 15. Jahrhundert die dnwandsfrde Benennung vcursor*
gebraucht, so daß man, da das Wort «nundus« sehr versdiradene
Bedeutung haben kann, gewisse Bedenken hegen möchte, diese
nundi ab »Uufer« anzusdien. Anderersdts }edodi sind die
Läufer an den Hofhaltungen der höheren Geistlichkeit sonst im
14, Jahrhundert schon überall vertreten, und es werden in den
Hamburger Kämmereirechnungen, wie wir oben gesehen haben,
die Boten geistlichen Standes als solclie besonders bezeichnet.
Die Anwendung der Ausdrücke »nuncius" und »cursor" ist über-
haupt eine t^anz willkürliche; denn die cursores der Stadt Hamburg
werden gelegentlich auch als nuncii aufgeführt.
In den älteren Rechnungen werden Boten geistlicher Herren
aus Lübeck, Bremen, Verden, Osnabrück, Trier, ja sogar von der
>) vgl. Kar II, Aacbeoer Verkehrswesen bis zum Ende «ies U. jAhrbunderts. Aus
AadMM VocMit. lt. jilwKHig, S. «$ ff.
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3t4
Alfred Karll.
Insel Oesel erwähnt.^) Auch der Läufer des Papstes erschien in
Hamburig und beförderte Briefschaften des Senats nach Rom.*)
Ich habe in meiner Darstellung des Aachener Verkehrs-
wesens den Nachweis erbracht, daß im Rheinland fast jeder Ritter,
mindestens aber jeder Fürst einen oder mehrere Briefboten in
seinen Diensten hatte. Dies wird durch die Hamburger IQbnmeret*
rechnung^n für die dortige Q^;end in vollem Umfange bestitigt
Nihere Angidwn über (lieae Boten können u. a. zu wetteren
Forschungen auf dem Gebiet der Veilcehr^gieschichte Anregung
geben; ich möchte deshalb die wichtig^len Persönlidikeiten, die
solche Uufer nach Hamburg sandten, hier aufführen:
1350 Graf von Schauniburg (Schutzherr von liainburg), 1483 ein
reiiendcr und zwei andere Boten.
1350 Herzog von Lüneburg, 157 4 vereideter Bote Cristoffer
Rorchmann.
1350 Herzoe: Wilhehn von Braunschweig.
1350 Herzog von Sachsen, 1352 Mcrzog von Sachsen (der allere),
1371 Herzog Wenzel und Herzog Albert von Sachsen.
1579 vereideter Bote Valentin Weidener aus Dresden.
135 7 Graf von Hoya.
1370 Herzogin von Schleswig.
1370 Herzog von Schwerin. 1583 reitender Bote;
1371 Oraf von Oldenburg.
1386 Königin von Norwegen.
(Die Rechnungen von 1388 bis 1460 sind verbrannt)
1467 Markgraf Emst von Meißen.
1472 Markgraf von Brandenburg. 1528 reitender Bote,
1473 Heizog von Burgund.
1474 Qrlfin von Ostfriesland.
1474 König von Dänemark.
Wenn auch die Zahl dieser Boten nicht unbedeutend war,
so liegt doch auf der Hand, daß der Hamburger Rat sich mit
») 1351: nuncio episcopi I.ubicensis 3 /f - m-^I : nuncio doinli.i ri tfridi episcopi
Bremeniis 3 ß. - 1371/2: nnndo rpi&cupi Verdeosis; nuncio domini archiqjiKopi Brcmcasis.
- 1374: 10/? nuncio domin i q)iscopi Osiitensis. > 14»: l/TcanorlcplaeoplOHMbnigaiilt. -
M74: 8 ß cnnori «rchicpiscopi Trcvcrcnsis.
*) 146S: 4 ^ 12 ^ in 4 flotcois Rcncnubu datU Muco conort |Mpe id por-
tandum certas IHkrat d proccww ta cmt Tibbclieii Wlfm et AmoMl de Hegdk «cnat
Romanua oiriaai.
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HamlNiiieer Verltdiiswcscn bis zur Milte des 17. Jahrliitnderis. 315
denrtig!en Oelcgenheitsbefördeningieii durch fremde Läufer nicht
begnfigien konnte, sondern eigener Einrichtungen für den Brief*
verkehr bedurfte.
Die Entwicklung des Verkehrswesens in den Sadten ist
wahrscheinlich in der Weise vor sich gingen, daß ursprünglich
die gewappneten Diener zu den Botenreisen verwendet wurden,
daß man schließlich dnen oder mehrere von ihnen vorzugsweise
zu diesem Zweck heranzog, und daß endlich feste Uuferstellen
eingeriditet wurden. Idi habe bis jetzt nicht ermitteln können,
wann derartige Uufer zuerst in den Städten angestellt wurden;
vermuüfch wird es auch nie gelingen, diese Frage zu lösen, wdl
Stadtrechnungen aus jenen Üten fehlen. Im 14. Jahrhundert
waren städtische Boten in vielen, wahrscheinlich in allen be-
deutenderen Städten angestellt Für Hamburg ist es sogar mög-
lich, eine Lauferstelle schon im Jahre 1258 nachzuweisen. In
dem Stadterbebuch (Liber aclorum coram consulibus in resignatione
hereditatum de anno 1248) befindet sich unter dem Jahre 1258
tolgende ßuchuiig:
«Nos consules resignavimus Borghardo, nundo nostro,
aream, quam habuit Gerricus camifex, in perpetuum, tali inter-
posita condicione, quod aniuiatim solvat de ipsa area tres iiiarcas
denariorum ; si autem ipsam predictam domum vendere conügent,
nobis consulibus primo exibebit."
Diese Eintragung ist durchstrichen. Im Jahre 1265 lautet ein
anderer Posten: »Dominus Lodewicus tenetur Borchardo, servo con-
sulum, XL et VI marcis, pro quibns pobuit ei hereditatem suam
in twigetha, iuxta Heinricum, qui dicitur ledege, quos solvet
Feliciani.« Borchard wird hier zum Unterschied von einem
Manne gleichen Namens (Olwardi filius) ausdrücklich «scrvus
consulum" genannt.
Hierzu ist folgendes zu bemerken.
ist so gut wie zweifellos, daß r.nuncius noster" und
»servus consulum" sich auf eine und dieselbe Person beziehen.
Borchard war nicht ein Beamter, der als Beauftragter des Rats
zu reisen pflegte, sondern ein gewöhnlicher Stadtdiener, ein
Läufer. Das Haus, denn um ein solches handelt es sich, wie
das Wort »domus* als Ergänzung zu »area« txweist, sollte dem
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316
Alfred Karil.
Boten verkauft werden, aber mit einer Hypothek, oder vielmehr
einer Grundrente, und mit einem Vorkaufsrecht der Stadt be-
lastet bleiben. Die Übei]g;abe »in perpetuum« spricht gegen die
Annahme, dafi das Haus etwa eine Dienstwohnung ffir den
Läufer gewesen sei; denn in solchem Falle würde die Ober-
weisung des Grundstocks vermutlidi nicht länger als auf Lebens-
zeit geschehen sdn>)
Bis zum Jahre 1350, mit dem die Hambuiger Kbnmerei-
redinungien beginnen, fehlen weitere Nachrichien Qt)er die
städtischen Utufer. In diesen Rechnungen jedoch fhidet man
wichtige AufecbIQsse Otxr das Hamburger Veilcehrswesen. Leider
ist eine größere Zahl von Ausgaberechnungen bei dem großen
Brande (1842) durch Feuer vernichtet, und die von Schräder
Uiid Laurent gefertiutca AuszÜL^e enthalten wenig Angaben über
diesen kulturgeschichtlich hoch bedeutsamen Gegenstand. Die
Lücken in meiner Darstellung für die Zeit von 1351 - 1369,
1388- 1460 und 1 501 - 1 521 sind hierauf zurückzuführen.
Während in anderen Städten die amtliche Eigenschaft der
Boten manchmal in den Hintergrund trat, waren die Hamburger
Läufer einzig und allein Beamte der Stadt. Allerdings hat der
Senat die Benutzung seiner Verkehrseinrichtungen nicht nur ge>
duldet, sondern sogar begünstigt; wahrscheinlich, um den Bolen
einen Nebenerwerb zu ermöglichen.
Die Heranziehung der städtischen Läufer fOr die Zwecke
von Privatpersonen ist in folgenden Fällen nachweisbar.
In dem Handlungsbuch des Video von Qddersen befindet
sich eine wahrscheinlich aus dem Jahre 1375 herrOhrende Ein-
tragung, die nur in diesem Sinne ausgelegt werden kann. In
einem Verzeichnis der Teilzahlungen, die ein Salzv.cdeler liuigei,
Beneke Maken, auf eine Schuld leistete, wird nämlich erwähnt:
»item dedit 1 m quam dedit Oheriaco qui [est] servus
dominorum nostrorum.«
Dieser Gerlach ist zweifellos der Hamburger Ratsläufer
Oherlacus Oldenborch, der von 1370-1378 in einer Botenstelle
>) Laurent, Aachener Stadtredinungcu aus dem 14. Jahrhundert, S. 38S, 22. 1391 : dt
neiste darby hat Leonart der tieede knddit lad En ad mpi ftvctt, as laofle Ine lefft
(variier Jilirlidic Reatc).
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Hamburger Verkehrswesen bis zur Mitte des 1 7. Jahrhunderts. 317
beschäftigt wurde. Hieraus folgt, ciaß die Ratsboten auch für
die Kaufleute Aufträge, so^r Geldbeforderung übernahmen
Selbst im Jahre 1 549, also zu einer Zeit, wo genügend
sonstige Gelegenheiten zur Absendung von Briefen vorhanden
waren, ließ der Senat von Privatleuten, die den städtischen Boten
Andreas Stössel für ihre Rechmm^^ ntif Reisen geschickt hatten,
den Botenlohn einsammeln, ein Beweis, daß er gioz mit dieser
Nebentätigkeit einverstanden war.')
In der Regel aber waren die städtischen Läufer nicht nur
voll beschäftigt, sondern man mußte außerdem zahlreiche andere
Personen im Botendienst verwenden. Zuerst waren dies sonstige
Stadtdiener, später besonders fOr diesen Zweck angemietete
selbständige Boten.
Die Zahl der eigentlichen Uufcrstellen wechselte im Laufe
der Zeit 1350-1369 bestamd nur eine Stelle, 1370-1378
waren zwei vorhanden, 1379- 1387 eine, 1461-1500 zwei,
1522-1533 zwei, 1534-1538 drei, 1539-1546 zwd, 1547
vier, 1 548 - 1620 zwei. Koppmann bezeichnet die beiden Läufer
Hehmann und Westhof audi nach dem Jahre 1547 als cursores;
sie waren jedoch zu diesem Zeitpunkt, welcher durch nur vor-
läufige Vermehrung der Stellen als Übergangszeit gekennzeichnet
wird, Hausdiener geworden,') Dies kann durch den Wegfall
einer Gehaltserhöhung, wie sie den anderen Boten bewilligt wurde,
vorzugsweise aber durch die vom Jahre 1563 ab genauere
Buchung nachgewiesen werden.*)
Die Läufer erhielten ein festes Gehalt von der Stadt, welches
in vierteljährlichen Raten - Ostern, Johannis, Michaelis, Weih-
nachten - gezahlt wurde. Bis zum Jahre 1387 betrug es 4 Ä*,
wurde zwischen 1388 und 1461 auf 8 9t, 1556 auf 16 § und
1557 auf 32 ff erhöht Derartige plötzliche Steigerungen um
400 Prozent, wie sie von 1555 bis 1557 stattfanden, mfissen be-
•) 1549: 1 ^ 11 /I collata ad merctdttu Andre« Stoesscl missi per alius in Labekam.
1) a. I. O.
i| In ckn Verxddmimn de» Silbergoduncides der Huabtus^ Kinuaerd vcrdcn
«Uber lS6t ttnd iS7t nar .t tBlmu bid« tan«" aufgeführt.
*) \'nn dt ab »erden Heitmann und Westhof ausdrficklidi Hausdiener, Stunnann
und Stoessel ab Boten aafgezetchod. Übrigens wurden in Hanibuig dte Boten auch nicht
zur Reinigung der Plätze nad nr Mistabfuhr herangezogen (I55i : 1 ^ 12 ß pro cerevista
cbibita in pui^tione fori equomin soluta Henningo Hdtnini ; 3 g 9 ^ pra devdicndts
•iercorUn» e moote donata Henningo Heitnun).
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318
Alfred Karli.
sondere Ursachen gehabt haben, die vielleicht auf einen Wegfall
sonstiger Nebeneinnahmen hindeuten.
Außer dem Gehalt bezogen die Boten entweder freie Woh-
nung oder einen Mietezuschuß, der sich ursprünglich auf etwas
mehr als ein Drittel des Gehalts belief (1^4^. Bei der Er-
höhung: der Besoldung auf 8 V stieg das Wohnunja^sgeld auf die
Hälfte, um später (1556) wieder auf ein Viertel des Gehalts zu
sinken, interessant ist übrigens, daß der Ausdruck ». Wohnungs-
geldzuschuß" des modernen Beamtenrechts in den Kammerei-
rechnungen des 15. Jahrhunderts schon in wortgetreuer Über-
setzung -Sübsidium hure" vorkommt.
tine besondere Vergütung von 7V9 V 5 ß erhielt der Läufer
Sturmann im Jahre 1560 »ad solutionem hurae domus suae«.
Die übliche Mietsentschidigung wurde neben diesem Betrage ge-
währt. Auch war eine ausdnickliche Genehmigung des Senats
notwendig (jussu consulum). Der Ausgabeposten ist nicht ohne
weiteres verständlich. Solutio hat den doppelten Sinn »Auflösung*
[hier schwerlich ! D. Red.] und »Bezahlung«, die letztere Bedeutung
ist unwahrscheinlich, weil der Bote zur Entrichtung seiner Miete
ja den WohnungszuschuS erhielt Wenn Sturmann aber das
MielsverhAltnis lösen sollte, und die Kosten dafür vom Senat
getragen wurden, vielleicht, weil er näher am Rathause wohnen
sollte, so hätte man ein Beispiel der Entschädigung ffir doppelt
giezahlte Wohnungsmiete^ wie sie heutnitaigie bei Versetzung von
Beamten dem Staate zur Last fillli Man sieht, es ist eben alles
schon dagewesen!
Unter Umstanden bestritt die Stadt die Ausgaben für die
Beerdigung der Läufer,^) in einem Falte wurde auch ein
Teil der Kosten des Begrittmisses eines fremden Boten, den
der Tod auf Hamburger Gebiet ereilt hatte, durch die Stadt-
kftmmerei enhichtet*)
Die Lftufer wurden, elienso wie alle flbr^en Mitglieder der
lUilsdienerschaft (familia), fOr slldtische Rechnung gekleidet
Die Farbe des Tuches, ursprQngllch grau, wedtselte im Lauf der
I) 1386: 14 Elcro ad temm H«delrrie, qu&ndo in reditu fuit sabmersus. - 33^
|VIO foneralibus Ekri cursoris.
1477: t%^9fi Wtchmaoao VM der Vedile in nMdivai pro aqmltnni OhcnuxU
cnnorit pwraitonm hnm Thcntoiiice in Bncfit loMcalhnn lile ddtanetf.
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Hambiu^er Verkehrswesen bis zur Mitte des 1 7. Jahrhunderts. 3 1 9
Zeit; im 1 5. Jahrhundert wurde rotes und graues Tuch getragen.*)
Da 21 Stücke Tuch rote und nur 4 graue Farbe zeigten, so war
der überwiegende Bestandteil der Kleidung rot. Jedenfalls ist
das Verhältnis der beiden Mengen derartig, daß eine Zwei-
teilung der Farben, wie sie von Ennen für Ki)ln behauptet
worden ist, in Hamburg so gut wie aiistjcschlosscn erscheint.
Vom Jahre 1528 ab erhielten die reitenden Diener (faniuli equestres)
besondere Kleidung fürSoninicr und Winter; die Läufer scheinen
demnach die gleiche Tracht während des ganzen Jahres bei-
behalten zu haben. Später (1 563 - 1620) zahlte man ihnen je
10 Mark - eine X'icrtcijalirsbesoldung - für ihre Kleidung und
gab ihnen außerdem 1 m 8 für 2 Ellen Hornschen Tuches.
Im Jahre 1540 wurden für 46 Ratsdiener, jedenfalls auch für die
Läufer, Kleider von außergewöhnlicher Ausstattung geliefert, jedoch
wurde daran die Bedingung geknüpft, daß hieraus nicht etwa ein
Gewohnheitsrecht abgeleitet werden dürfe.*) Einigie Betrflgie für
die Kleidung des Läufers Elents van der Bulkow in den Jahren
1380, 1383 und 1384 stimmen nicht ganz miteinander überein
{2^ 4 27« ^); es wurde also damals, wie es auch in Aachen
geschah, noch die Kleidung oder das Tuch dazu geliefert während
spAter in der Hauptsache nur entsprechende Barbeträge vergütet
wurden/*) Für Scbufaweric bewilligte die Stadt vom Jahre 1461
ab einen Betrag von 5, später von 8 ß. Ob die Boten gerüstet
waren, geht aus den Rechnungen nicht hervor. Die Läufer
trugen das im MittelaUer und noch in späterer Zdt allgemein
fiblicfae Botenateeichen.') Es bestand im 14. Jahrhundert aus
Leder und wurde an einem Riemen um den Hals gefangen.*)
Das hierzu verwendete Leder wurde besonders zubereite^*) ver-
mutlidi geglättet, dann mit dem Wappen der Stadt bemalt^ und
endlich gefunißi^ Die Ausführung des Wappens war anscheinend
•) 1490: tfi9 pro 21 pannis colorttls rabds. 14 ^ 16 /? pro 4 paT ri j ^^rysds
Valsradrnsibus.
■) 69 pro factnra famnlonim equestrium et alioram ministroruin civitatis 46 vcs-
q:iuc fcspectu colorts in manids insati cMoB Jwta «ontai hK vlee tolaül iml^ Hb
tenci M posthac in consaetadiacm ac jns vocdnr ac convertattir.
*) 1547: 5 S 12 pro Tcsttto annJ 4« soltita Andree Stosel tabdiario nostro.
*) \ g" K'arll a. a. O. S. 89 ff . (DarU ^nmg sc;:ier Ansicht, diii die Bezeichnungen für
die Bricfbehilter zu solchen für die Abzeichen geworden sind. D. Red.) U72: 2 ß pro
breefvath unde remen. ^ 1 3S3 : 8 ^j^ ad pret^>anifldiim breefvat 0 1367: ddem (Bertnuaoto
pictori) 4 ß pro dqiictione des breefvathes Oherlaci cnnoito. 1373: BcrtimiiBO pklori
t vor cn brehrath itode zadelvathe to fomissende.
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320
*
Alfred Karil.
besondeis kflnsflcrisdi, da der AUdermetster diese Arbeiten (auch das
Firnissen) stets persönlich ausfähren mußte, während man z. B.
das Firnissen der Bilder am Millemtor seinen Gesellen überließ.
Im IS. Jahrhundert hatte man statt der l.ederabzeichen
silberne Schildchen eingeführt.*) Sie trugen ebenfalls das Wappen
der Stadt; dasselbe wurde jedoch wahrscheinlich besonders an-
gefertigt, auf dem silbernen Schild angelötet und das Ganze, an
einer Kette befestigt» an der Brust getragen.*)
Außer den eigentlicfaen Läufern eilitelten auch di^enigien
Glieder der Ratsdienerschaft, die im Auftragje des Rats aushilfs-
weise zum Briefbeförderungsdienst herangezogen wurden, ähnliche;,
aber einfacher hergestellte Abzeichen. Dies war z, B. der Htthner-
vogt (advocatus puUorum), dessen Abzeichen (vexillum) aus-
drüddich erwähnt wird. Im 15. Jahrhundert war eine größere
Zahl von Botenabzeichen im Qebraudi: 1467 ist von 10, 1477
von 21 und 1495 sogar von zwei Dutzend die Rede.') Schon
der geringe Betrag von 1 ^' \4 ß für 24 Stück, wonach jedes
davon noch nicht 1 7« ^ kostete, während im Jahre 1488 für die
Änderung eines silbernen Abzeichens 2 15 ß gezahlt wurde,
weist darauf hin, daß diese Aushilfsstücke nicht aus edlem
Metali hergestellt waren.
Für die Läufer des Königes von Dänemark wurden ebenfalls
von dvJ Stadt silberne Botenab/eichcn beschafft. Dies geschah
zum erstenmal im Jahre 1461, wahrscheinlich aus Anlaß der im
vorhergehenden Jahre erfolgten Anerkennung des Königs als Graf
von Holstein.*) Da zu dieser Zeit nur zwei Läufer in Hamburg
angestellt waren, dagegen 3 Abzeichen mit dem Wappen bemalt
wurden, kann es sich nur um die Boten des Königs handeln,
obwohl die Buchung der Kämmeieirechnung dies nicht aus-
drücklich erwlhni Sonst müßte man in der Anwendung des
*) 14B1 ; 3 £ Oiderico Rezen ex parte pixIdU argcntee. - UM: 2 S pro re>
fonmtloM Cttjwdm pixldis argoitee pro cnnoribu. -> t49S: 10 ß ptetoil pro eoHi cHpeb
tfucnlentibtu canortbus.
>) t6l3: Vor dnc badenbu&sc Dirig Utenoark bm Vor dat wapen 3m 7^.
Vor de Kcde tmitß.
< fi pi«. . . . «t dccen «vis püddalttmi mwcionua; 2^4^ Hinrico FoniElioff
pro S1 pfaridfbas dcpieSc com «mtt dvltafit id «Mm cnnonnn ; i ^ i4 ^ pro 2 donya
ptsidun dnervicntium pro cursoribus.
4) 1461 : 1 ^ Jolumni Bornoiuuuie pro tribus pixidibo« aim annu regis Dank sd
BMUD cortonun.
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Hamburger Verkehrswesen bis zur Mitte des 1 7. Jtfarhunderts. 32 1
königüchen Wappens eine AufmerknmlceU gegtn den Fflisten
erblicken oder aber annehmen, daß man einen besonderen Zweck
damit verfolgte. Denn im Juhre 1533 wurde für einen dinisdien
Boten, der mit Briefen des Königs zugunsten der Stadt nach
dem Kunmergericht reiste, ein besonders Icostbares silbernes Ab-
zeichen mit dem Icöniglidien Wappen für Rechnung Hamburgs
angesdiaffL*) In diesem Jahre fimd Obrigens ein hodioffizieller
Besuch des Königs in Hamburg statt, mit dem die Absend 110^^
des Boten zweifellos in Zusammenhang steht. Der Betrag von
19 ^ 16 p' lur das Abzeichen ist auffallend hoch, spielt aber bei
den sonstigen Riesensummen, die der Besuch verschlang, kaum
eine Rolle. Im Jahre 1527 wurden für ein anderes Abzeichen
für die dänischen Boten nur 2 h 1 5 gezahlt.'-) Aus der Form
der Buchung in der Kämmereirechnung scheint mir hervorzu-
gehen, daß dieses Abzeichen in Hambüren aufbewahrt und den
Läufern des Königs von Dänemark übergeben wurde, w'enn sie
Aufträge im Interesse Hamburgs auszuführen hatten. Wäre das
nicht der Fall, so wurde der Kämmerer nicht den Singular »pro
pixide" mit dem Plural «nuntiorum regis" verbunden haben. Diese
Verwendung von Abzeichen mit dem Wappen eines Fürsten zum
Zweck der Empfehlung einer Stadt habe ich in anderen Orten
bisher nirgends gefunden.
Oldch allen fibrigen Stadtdienem waren die Hamburger
Läufer vereidigt Die föimmereirechnungen geben hierQber erst
im Anfang des 1 6. Jahrhunderls Auskunft,') es ist aber zweifellos,
daß dieser Brauch weit älteren Datums ist Die älteste, noch
vorhandene Eidesnorm stammt aus dem Jahre 1 608. Der Eid
wurde in feierlicher Senatssilzung^) abL;eleistet und liatle folgende
Fassung: «Ick lavc und schwere tho üodt dem Almechtigen, dat
ick einem Erbaren Rahde und dusser Stadt wil trövv und holt,
und des Rahts und der Borger tröwer und williger dener sin,
tho water und tho lande, und wat mi vam Rade, oder van wegen
des Rahdes t>efahlen wirt, uththorichtende, bi nachte oder bi dage,
1) 1S38: 19 £ 16 /f pro signo argenteo dondni regis Danie, qood gestahit lllld*
larius missus cum littcfit In Inwm dvitati« ad jwUchna cuane inpcriali« « regte m
inajciUte acripti».
^ 1S27: 2 S ISilMliitalNridtOitoipp pro piiMe nontioniin regis et priadph mttri.
9 1SM: 1 S 11 ^ LttdSdoo m«tk> Jwito ... ^ in pleno MBatn.
Afcblv fflr KnMnuetdikMe. V. 21
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322
MUrd KarlL
dat ick bi demsulvcn gdrewHch und uprichiig handelen will; wil
odc den brache^) mit allen flüe innuhnen und darbi kdn under-
achleuf gebniken, sondern redüicfa und uprichiig darmit handelen;
wen ick ock van w^gen eines Erbarn Rades badenwis werde
vorschicket» wil ick meine anbeislene gewerwe getrewlich vor-
richten, mine anbefalene breve mit Site bestellen und nha aller
mogelicheit mi damha richten, dat ick foidolich wedder tho
husz gelangen und minen heren bescheit einbringen möge, und
sunsten alles dohn, wat einem getreuwen dener und baden tiio-
behoret. Alsz mir Gott . . . .«
Die Form des Eides ist so s^ehalten, daß er auch von den
übrigen Gliedern der Ratsdienerschaft, die außer den l-äufern zur
Verrichtung von Botendiensten herangezogen wurden, abgeleistet
werden konnte. Da nun seit dem Ende des 15. Jahrhunderts
eine solche Mitwirkung fast niemals eintraf sondern selbständige
Boten zur Aushilfe verwendet wurden, so muß die vorstehende
Fassung des Eides aus einer bedeutend älteren Zeit herriihren
als diese Protokollierung.
Gleich den flbrigen Ralsdienem bezogen die Läufer im
falle der Dienstunföhigkelt ein Ruhegehalt, welches nach der
Dauer der Dienstzeit abgestuft gewesen zu sein scheint Wenigstens
betrug die Pension des Läufers Herbert (1370) ein Vierte! des
früheren Einkommens, während sich bei dem Boten Ludolf Meyger
in den Jahren 1479 bis 1484 das Verhältnis wie 5:2 stellte.
Die Zahlung von Ruhegehältern kam nicht häufig vor, \veil die
Läufer m andere, besser besoldete Stellen aufrückten oder wenigstens
einen minder anstrengenden Posten erhielten, den sie bis ans
Lebensende versehen konnten. Das Verhältnis des Hamburger
Senats zu seinen Beamten war jederzeit ein überaus wohl-
wollendes; die Beamten haben nie über unzurdchende Bezahlung
zu klagen gehabt
Auch sonst bei Kiankheiteui besonderen Ldshingen usw.
gab man gern und reichlich, ebenso wie man eine fast zu offene
Hand fOr Zigeuner, Invaliden aus Portugal, ffir Kämpfer aus den
Tflrkenkriegen und andere Bettler hatte. Die Vergütungen an die
1) Die Steife.
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Hamburger Verkehrswesen bis zur Mitte des 1 7. Jahrhunderts. 323
Boten waren verschiedener Art; teils wurden sie für Fastnachts-
mahlzeiten, tür besondere Aufträge/) iiriLjewöhnliche Anstrengungen
auf der Reise,*) für Verluste untenvegs,*) teils für Rippenbrüche
im Dienste der Stadt,*) sonstige Verletzungen*^) und Kranklieiten*)
gewährt. Die Unterstützungen nahmen bei schwereren Krank-
heiten eine beträchtHche Hohe an; der Bote Stoessel z. B. erhielt^
als er bettlägerig war, i 'tt 2 ß, ^2 ß und 24
Den Boten drohten auf ihren Reisen mancherlei Gefahren.
Nicht immer waren es nur Naturereignisse wie z. B. die Über-
schwemmung; die dem L&ufer Elerus van der Bnlkow den Tod
bradite, sondern hauplsichliGh der StnBennub, der in der Ham-
burger und LQbedier Gegend in geradezu endirediender Weise
sein Unwesen trieb. Wie gewOhnlicfa damals die Beraubung von
Uufem war, sieht man am besten daraus, daB die Boten ihrer-
seits hiennts Kapital schlugen und eine angebliche Ausplünderung
als schätzbare Einnahmequelle zu verwerten wußten. Die Ham-
burger KImmerer waren deshalb recht miBtnmisdi und setzten
der Eintragung der Entschidigungssumme des dfleren einige Worte
hhizu, weldie die Ohuibwfirdigkeit des Boten in einem zweifel-
haften Lichte erachdnen lassen. Alle Strenge der aufgebrachten
Raisherren» dte im Jahre 1464 sogar 46 grofie Nägel kaufen
ließen, um die Köpfe der Räuber als abschreckendes Beispiel an-
zunageln,") die sttndige Obetwachung der Staaßen durch den
Ausreitervogi und seine Mannschaften*) htelten das Gesindel nicht
davon ab» die Warenzüge zu fltierfBllen und Tuch oder, was sonst
t> 1SM; tfi 4ß donrti «ant SimoBl Stimn» ad fttfeHter riU «wiHiIwro ofH-
Cinn CKSequendum.
I) 1465: t fi ddem (Jobanni Munster) pro laboribiu itincrum.
i) imt 11 ß Obertaco im» deiwtftit. - 14M; 1« ß Cliteo KaUiaffe im idm
OnilMft, quando nii!5iif ftiH vtr^ii^ Magdcborgh.
*) H69: 1 «(t' Tiderico Resen in subsidium mcdendi cerlas cosus cx tnalo evntn io
Mgodo dviUtii lesas et fnictas.
•) 1 S6S : Noch do solvest gevoi Symen Staennann tho behoff synen voedt (FdB)
tho helcnde, dar he feyl an gekregen, do he van Rades wegen na Kopenhagen was, is 1 m.
8) 1 373: Oherlaco i m, cum infinnabatur Lubeke. - H76: 16 /i Tiderico lopcr ex
mcU tibi in cgritadioe soa donati. - (493: 10 ß Oherd Briacknminc de giatu ad in-
flmUAlEBi ^wi Inddlt fcfoMndmi«
1) 1SS6: 3^2^ donata sant Andrea Stosscl nur.rtio civli;iri-; In Ictto dcaimbtntL
1SS7: 1 S fl ^ 4oMla Mat Andre« StoMcl nnncüo egrotanti; 24 ^ »oluta et dooata
AmInc SIomcL
») UG4: 2 ^'6/? pro 46 cbvt^ niagnis ow iiMtbos «tttn flNrwrtcqiHaipolliton^
*) T380 z. B. 11 solche Expedtüonai.
21*
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324
Alfred Karll.
aui den Wagen lag, zu rauben.^) Der Kampf mit den Wege-
lagerern, die sich zu ganzen Banden zusammengeschlossen, artete
zeilweise sogar zu einem förmlichen Kriege aus; In einem Falle
dauerte eine solche Unternehmung länger als zehn Jahre, und die
Hamburger wurden mit blutigen Köpfen heimgeschickt -)
Nicht viel be^r, als die berufsmäßigen Straßenräuber be-
nahmen sich die entlassenen Landsknechte, die solange sengend
und plündernd im Lande umherzogen, bis eine neue Fehde ihnen
Gelegenheit bot, ihre überschüssigen Kräfte anderweit zu ver-
werten.^) Die Überfalle durch Räuber^ denen es auf einen Mord
mehr oder weniger keineswegs ankam, sind im 14., 15. und
16. Jahrhundert an der Tagesordnung;*) selbst in allernächster
Nähe von Hamburg waren die Boten ihres Lebens nicht sicher.*) -
Ein richtige Bild von dem Umfang des Hamburger ßrief-
verkehrs kann man nur dawi govinnen, wenn man berücksichtigt,
daß außer den Läufern noch andere Personen im Briefbeförde-
nmgsdienst verwendet wurden; denn die Zahl der eigentlichen
Läufer stand in keinem Verhältnis zu den wirklich ausgefQhrlen
Reisen. Welchen Um&ng der Briefverkehr des Hambutg^ Rates
im 14. Jahrhundert angienommen hatte, g^ht daraus hervor, daß
von Hamburg 1550, 1370 und 1371 98, 127 und 147 Bolen
ausgesdiidd wurden. Dabei mufi beachtet werden, daß die
Hambuiiger Ratsherren im allgemeinen nicht dazu neigten, un-
nötze Schreibereien zu veranlassen, und daß natQrlicfa die Zahl
der Sendung^ größer ist als die der Botengänge, da dem Boten
in der Regel mehrere Briefe mitgegeben wurden. Der größere
i> 1469: 4 ß NIooUo Wtdmw mi«o «d oqilonuulaai cerim npiom» qiii q^cndam
CBimn Lnbicsuciii cnn puntls InvtMnutl« Ab co ocrtot imiiiot iiplaiici>
*) 1488; 35 4 ^ cetlis nostris wtelliiibus pro eorum armis et aliis divcrsis rebus
dqjcrüiUä in conflictu habito cum Üunthcro et aliis stratilatibus. - 1 4 Nicoiao van
Smcrten capitaneo nostro pro certis »rmis, vtilgariter Khenen, deperdJÜ hl conflictu cum
Ounfbero et «Iii« stnttlatibas. - I489 : 23 t» ^ Hinrico Aterndorpp pro divcrsis vnl-
«ertbot reRdendli et refoniMUs« vlddlod anle Ladenborgh, Clawes Jcgcr ac ClMcs VM
SMCrten nostris satellitibo« vulneratis supra Wunnckenbrock per Qunther et suos.
s) 1S60: 6 ^ pro sumptibas Friderid Hoyers et aliquot satellitum emissoram ad
coercendos lantzknechtios nistids in pagis vldnis dam na inferrntes; 7 ^ pro snmptu
satelUbtm emissoram «d explonmlos ImtUknecbtk» rastid« in pagis vidnis damu inferoitcs.
^ 1374: Martlao de Bnamik t m, Flaadiiam, AemtlelredMiime, Slmtiutt et EmeAa,
d teil qmUitat in via, et littene fuerunt sib! abhte - '^74 nrierlaco V) ß pro ablatisifU
fai Frida. — 1545: i iO /f cnidani tabcllario clectoris Saxomac spoliato. - u. a. m.
») 1537: 7 ^8/? pro predo et expensis Dirici Timmermans tabellarit mttsi cum
Hitils aenatiis ad domiuun mardiioncm priadpem dectorem Brandeabargtinciii» tpX in
nditn prape Deifentoq» qioUabBlDr et adio voliiBibiitnrt qiiod inde acctperit mortem.
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HatnbuiiSer Vcrkduswesen bis zur Mitte des 1 7. Jahrhunderts. 325
Teil der Reisen ging zwar, wie überall, nach den benachbarten
Städten, es kamen aber auch weite Reisen vor.^)
Neben den Laufern wurde noch eine oroliere Anzahl von
Stadtdienern auf Reisen geschickt, denen man außer ihrer Amts-
bezeichnung den Titel »cursor« beilegte. Dies hat Koppmann
wahrscheinhch dazu veranlaßt, den Schiagbaumschheßer Tymmo
von Bramstedt-) unter die eigentlichen Läufer aufzunehmen. Außer
dem schon genannten Hiihnervogt rcisien in erster Linie dieser
Baumschheßer, ferner der Schreiber und der Baumeister.*) Sehr
häufig wurden auch die reitenden Diener ausgeschickt Der Ge-
legenheitsverkehr war gering.*) Die reitenden Diener machten
berittene Briefboten entbehrlich; sie fOhrten noch im 16. Jahr-
hundert weite Reisen aus,*^) \nirden aucii wiederholt dazu ver-
wendet, auf der Reise begriffene Läufer unterwegs zu erreichen.^
Nachdem die Zahl der selbständigen Boten im 16. Jahr-
hundert mehr und mehr gewachsen war, ging man dazu Über,
diese in weitgiehendstem Maße zur Vermittelung des Briefver-
kehrs heranzuziehen. Die zuverlissigslen unter ihnen liefi man
später in die Läuferstellen einrücken, ein sehr praktisches Ver-
fahren, da es so niemals an sachkundigen Bewerbern fehlte. Nach-
weisbar gelir)rten \'or ihrem Diensteintritt die Läuier Pibtman,
Heitman, S/lobueni, Maidelandl und Dethleits zu dieser Klasse.
Aber auch fremde, auf der Durchreise Hamburg berührende
Boten l)esorgten Briefe für den Senat, insbesondere die Lübecker
Läufer und die Boten des hansischen Kontors in Brflgge^ die
■
1) 13S0: Hcynoni Mauketbrod 12 ß in Frisiam. - 1351: Item 4 m prcter 4 /f
Marketbrodo la Hollandiam. - 1358: Petro 50/} Amstelredamtne et Brabandam ad duoeai
Hollandle. - 13€1 : Thiderico 10 ^, cum fuJt Dordrad (Dordredit) et stellt in illis partibu»
11 septimanis. - 1365: Hennekino Hunrevoghet 4 § 8 /*, versus Flandriam, tcrram Wesl-
taUe cum litteris cesareis: cidem 4 ft* versus Magdeborch et Pragam u. a. m
*i 19S5: ad vcsUtus et Tytnmonis cursori» et boomslater 4 ^ 2Vi^ t «fc.
13M: (mricr canera) Beniardo scriptori tfi,- 19S7: Aliwrto mi^cltlro «Inwtai«
3 versus Oruverhorde.
4) 1350: cuidani aniige 5 ß, Steghe. - 1474: 6 ß uni naate pro littera transmissa
cidem comitisse (Ostfrisie). - 1S32: i bosmanno ad terram Hadderie. - 1539: 12 // pro
alario nmte mtei cum litteris in Haitioitii. - I60t: Noch einem Kmttidier vor des R«kt
brew 4 oct na lfib[eck| 4
») 1S48: 61 >, 9 pro sumptu Mitthiac Vinckm f.iimili equcstris cum litteris in
causa maiedicti Interim misso .id cacsaieam majestatcm Augustam U indeltcorum. - 1549:
14 S 16 /:} Ulrico cum literis in CopeiiliifUi tannlo cquestri.
•) 1543: 6 ^4/} Jodoco Tilleman revocanti Albcrtum tabelHonem miszum ad re-
ginam Mariam. - 1544: 12 V pro sumptu Frantz Raven misso x^rsus Spiram ad obviandum
Henainfo caiwii cm miMimo ctodofto Swiortt
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326
Alfred Kn«
durch ihren amflidicn Charakter gienflgaide Sicherheit boten.*)
Als dinn spSter die Hambui^ser KaufmannsSltesten eine eigene
Botenanslalt gegrOndct hatten, vertraute man auch dieser die
Briefe an, ohne daB damit die Absendung der RatsUufer auf-
gehört li&tte. Leider bissen dte Rechnungen in joier Zeit die
einzelnen Summen vidfuh zu größeren Betragen zusammen, wo-
durch genaue Feslsteliungen unmöglich gemacht weiden.
Die Art und Weise der Berechnung der Botenlöhne ist in der
ilteren Zeit schwierig festzustellen.*) Vom Jahre 1 563 ab, wo die
Rechnungen ausführlicher werden, erhielten die Llufer ein festes
Meilengield von Sfi und eine Oberlagergebühr, deren Höhe in
einzelnen Orten ungteich war; sie betrug täglich Sfi 3 ^ in
Speier, Prag und Groningen, 4 ^ in Bremen, Bremervörde, Emden,
Hildesheim, Lübeck und WolfenbOtteL Der Berechnung wurden
folgende Entfemungstufen zugrunde gelegt:
Von Hamburg nach Bremen 15 Meilen
« » y Celle 17 »
m tf n Emden 30 n
» » I* Frederikshavn 46 »
» » » Lübeck 10 »
MV m Prag 70 u
» w m Ritzebüttel 16 »
mm m Speier 72 »
» Wolfenbüttel 24
Um Ubervorteilungen seitens der Boten zu verhindern, hatte
man angeordnet, daß sie eine Bescheinigung über die Dauer des
Aufenthalts am Fkstiinmungsort zurückbringen mußten; ein solcher
Zettel, eine Bescheinigung des Dr. Bödelmann aus dem Jahre
1598, ist zufällig erhalten geblieben.^)
1) i9St: nondo LaMeensl «crntt ntndrlan iß. - i373: nundo ddOManonui
de Bruggis vcnicnti de I utul-t i ^. — 1462: curscri I u! icfnsi, qul ivil vcflM Bkhib.
— 1 578: dem lübschen badcii l>etalt, SO nach Haiborch gcvcsoi isth, Im *ß.
*) Eißgchoid, auch unter Berücksichtigong der Hamburger Verhiltnisse babc icb
dioen Ocscastaad in miner Otntclfang dn AadMMr VcritdmwMeiu bto am Ende <k»
14. Jahrhmidertt bcfianddt.
•) Sic lautet; Von den Fliinvestcn, Hochgelcrten, Fürsii:h!i;;cn, A tiib.ui-n v.nAi Hoch-
veisen Herrn Bui|{cindster undt Rhat der Sut Hamburg i&t gegen wcrtigcr Bot HaiisOeUof
mit schreiben alm Dcndbcn Advooten undt ProkunUoren haltend den 28ten Juny alhier
vol ihnkoomcB« wHlt vi dtto fcsn atend vidcninb ab^'rfrriirrt , auch solches sioet
■imtlrilto lad «tfton von «ir» Doktor JoIubb Bfiddinan. ^e^^cfi« trüge UrUtund ander
mdacrliindtttbieiliilionUiBiBflnldktwonln. Si|i»lMiii»|alyA»MJohttBOddiwnDr.
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Haxnbur|;er Verkehrswesen bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts. 327
Den fremden Boten, die Briefe für den Rat überbrachten,
wurde ein Trinkgeld gewährt, das im i 4. Jahrhundert gjewöhnlich
3 ß betrug, spater aber sehr verschieden war. Ausschlaggebend
für die Bemessung derartiger Vergütungen waren gewisse Neben-
unislande, wie die Überbringung einer besonders erfreulichen
Nachricht,') einer Hochzeilseinladung,') eines Geschenks.^) Wieder-
holt bezahlte man die Kosten für die Verpflegung der von Fürsten
und Städten abgeschickten Läufer. Da in einem derartigen Falle
die Entschädigung an einen Hambursrer Roten gezahlt wurde,
scheint der fremde Laufe r bei diesem abgestiegen zu sein;*) bei
anderer Gelegenheit wurde die Summe an eine Gasthausbesitzerin
entrichtet.'*! Zuerst kommt die Verausgabung solcher Verpflegungs-
kosten im Jahre 136 7 vor, wo ein Bote des Kaisers im Oast-
hause untergebracht uurde.^)
Was nun die Dienstverriditungoi der Hamburger Ratsbotea
anlangt, so bestanden diese zwar in erster Linie in der Beförde^
rang und Bestellung von Briefen, Oeldem, Akten und ähnlicher
Gegenstände, doch wurde im Jahre 1376 der Läufer Qerlacfa auch
mit der Oberbringung eines Pferdes betraut^ Aufierdcm führten
die Bolen gerichtliche Ziiationen, LoakQndigungen von Renten
aus; aberfaaupt nahmen sie nebenbei die Stellung eines Gerichts*
dieners ein. Deshalb findet sich auch in der Eidesformel eine
Bestimmung; die auf diese Tätigkdt Bezug nimmt Eine Henm-
ziehttng der Boten zu Geriditsdiensten kommt nicht nur in
Hambuig; sondern auch in anderen Städten, z. B. in Aachen, vor.
i) 154S: 3 g donata tabelUrio pro evangelio capSfltllit tfad* Bnmtvkensis incen-
diaiiL Troiz ikr TroctenheU der Aanba in dca Kianadndmniiai qikgdt lidi dk
SttnuBwic der Klnincnf oft rctht deoHtdi vlcdcf«
*) 1SS5: 1 u ß donau sunt ntincio dodt StWMiac declotla, qoi ilteltt UienM, ia
q^bnt scnattts Invitabatur ad nuptias casdem.
*) 1S73: einem badm Ourries Moller, wclck van Tonxas N. an einen Erb- Radt mit
dm bofee gonlt. . . tor vorehringe den bidCD iielkitf 4 m.
•) 1531: Vl^ß Wessel Becker pro sumptn unius curson's Lnbirm«;?«.
1545: 16 1 ^ pro sumptn cnrsoris cicctoris Brandenhurgen&it toluta Anne
HiMlein.
B) 1367 : 1 pro MnptUn» et cxpcmdt mmdl domini impentoris ia hoqiido Hin»
lice Hoyseri.
n 1376: 10/? Ohcrlacü curs^ri, q«i reduxif illiim cquum, qui fuit Ics.i- Ii; :!!ri rcy-.i,
(ptando captus fuit fur, qui furatratur preposito in Utersten 2 eqaos. Der Bote des Kammer-
ferichts verkaufte geicsentlich ein Pferd als Zugtier. 1S75: den 28 may hefth der Her boi|^
aieisler Her Everth Moller dem hejf»erljli«> iuuBeftaden afgeiwflii qrn pcrtii for dem kaowr-
«aceo, leostet 10 daler, ys 20 m.
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328
Alfred Karll.
Dort gingen die Läufer sogir mit den Oeridilsdienem durch alle
Wirtschaften, um Messeistechereien zu verhindern.
Die Boten des Hamburger Rats haben ihre TätiglGat noch
lange Zeit hindurch ausgeübt Für den allgemeinen Briefverkehr
der Stadt waren sie jedodi hödistens im Mittelalter von Bedeutung.
Wenn der Senat seine Läufer gelegentlich auch dem Publikum
zur Verfügung stelUc, so konnte eine Benutzung derartiger Be-
förderungsgelegenheiten im 16. Jahrhundert, wo ein lebhafter
Briefwechsel bestand, unmöglich allen Ansprüchen genügen. Der
Verkehr sucht sich in der Regel dem Bedürfnis aiizupassen.
Daher fanden sich Personen, die für eigene Rechnung Boten-
gänge auslührlen. Diese selbständigen Boten waren im 1 6. Jahr-
hundert sehr zahlreich, ein Beweis, daß die Läufer der Städte,
Korporationen und f-ürsten allein den Briefverkehr nicht zu be-
wältigen vermochten, und daß auch die sonstigen zufälligen Be-
förderungsgelegenheiten nicht ausreichten, um allen Ansprüchen
gerecht zu werden. In der Literatur des Verkehrswesens ist man
mit diesen selbständigen Boten sehr übet umgegangen. Aus einigen
ungünstigen satirischen Versen der Zeitgenossen ist gefolgert
woideHi daß diese Boten wenig oder gar nichts gelaugt haben.
Nun ist es mit solchen Ergfissen immer eine eig^e Sache, sie
greifen einzelne, besonders krasse Fälle heraus und fibeigehen
das Oute. Venülgemeinert man dieses Urteil, so erhält man ein
völlig verzerrtes Zeitbild, gerade, als wenn man sich in einem
Hohlspiegel betrachten wfirde. Diese Boten waren aber keines-
wegs so schlimm wie ihr Ruf. Das beweist am besten die Tat-
sache, daß der Hamburger Senat aus ihnen seine Läufer 'wählte.
Gebummelt und gestohlen hat mancher Bote gewiß, aber war
denn auch sonst alles damals eitel Hingabe und Pflichterfüllung?
Das Gute wird totgeschwiegen, das Schlechte getadelt, das liegt
in der menschlichen Natur.
Leider sind aus älterer Zeit über die selbständigen Boten
wenig urkundliche Nachrichten erhalten. Vorhanden waren sie
im 15. Jahrhundert zweifellos, im 14. höchst wahrscheinlich.*)
Die Hamburger Kämmereirechnungen sind aber nicht ausführlich
>) K«rU a. «. O. S. 104.
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Hamburger Verkehrsvesen bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts. 329
genug, um daraus bestimmte SchlQsse ztt ziehen. Hödistens
könnte der Ausgabeposten; „6 ß cuidam cursori dati versus Utrecht
iter accipere volenti"') auf einen selbständigen Boten bezogen
werden. Wie zahlreich diese Läuier aber schon in der ersten
Hälfte des 16. Jahrhunderts waren, ist daraus zu ersehen, daß
der Senat in der Zeit von 1 537 bis i546 nicht weniger als 34
verschiedene selbständige Roten zur Briefbeforderung verwendete.
Natürlich war die Zahl selbst noch erheblich höher.
Die bessere Gelegenheit, die auch tür Privatpersonen zum
Austausch von Briefen geboten war, wie überhaupt das Bedürfnis
nadi dnem brieflichen Gedankenaustausch, führten zu dieser Zeit
einen regen Briefwechsel herbei.*) Ein Lübecker") Einwohner,
Mathias Mulich, erhielt z. B. im Jahre 1523 in rein privaten An*
gielegenheiten 28 Briefe. Die fieförderungszeit solcher Sendungen
zwischen Lübeck und NQrnbeig betrug damals 11, 14 und
16 Tage^ im Winter in einem Falle sogar einen vollen Monat,
was aber durch besondere Umstände hervorgerufen zu sein
scheint Berfkcksichtigt man, daß selbst nach Einrichtung der
Postverbindung Hamburg- Köln ein Brief bis zum Jahre 1645
noch 9 Tage gebrauchte, um von Frankfurt a. M. nach Hamburg
zu gelangen, so wird man der Leistung des Boten, der 122 Jahre
früher den Weg zwischen Nürnberg und Lübeck in 11 Tagen
zurücklegte, Anerkennung nicht versagen dürfen.
Die Hamburger nutzten übrigens die biiirichtungen des
kaufmännischen Geld- und Kreditwesens auch für die Abrechnung
mit den Privatboten aus. Einer von ihnen erhielt das Reisegeld
unterwegs durch Giroübenveisung,*) ein anderer eine Summe
durch Wechsel.*) Die Bankhäuser selbst besorgten gelegentlich
auch Briefe*^) für den Rat.
Ein Reisezettel des selbständigen Boten Mathäus Rram aus
dem Jahre 1542 ist im Hamburger Staatsarchiv noch erhalten.')
1) 1473. i) Stelnhsnsen, Oesdi. 4. dcotsch. Briefes, I, m. ^ ZcHsdirtft
dn Verein» für Lübeck. Geschichte, U, 296 fr.
*) 1522: cunori versus Nuremberge ad Romanam curiiun per banchuin trans-
CribOHlU Sf? 6/?.
fi) 1 983 : Rerendt Woltken den baden, so in Engeludt is. dp sytt «vcnchrivmt
betlulet ahn Andreas Berenns de Older up ein vesselbriff, is Mm.
^ 1 523: banthario Lubicensi pro littcris ex urbe per bancham transinissis.
1) Ich babc denselben veröffentlicht und besprochen in den Blättern für Post und
Tdegtaphie.
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AUkcd Karll
Brun reiste von Hamburg über Zwolle^ Amsterdam, Dordrechl,
Oudenbosch, Bergen op Zoom, Veere auf Seeland nach Antwerpen
und zurück über Dordrecht, Amsterdam, Kampen. Die Reise
wurde teils zu Wasser, teils zu Wagen oder zu Pferde ausgeführt.
Die Beförderungsdauer ist sehr knapp; denn Bram legte den Weg
von Hamburg bis Amsterdam in 5 Tagen zurück, eine p;anz
außerordentliche Leistung, die es rechtfertigte, daß der Bote uiri
ein besonderes Belobigungsschreiben bat. Die recht elegante
Handschrift des Bram läßt iinschuer erkennen, daß er keineswc^gs
etwz zu den ungebildeten Leuten geborte. Wie man aus einer
Buchung der Kämmereirechnungen sieht, befaßten sich die selb-
ständigen Boten außer mit der Brief- und Oeldbeförderung mit
der Fortschaffung von frachtgütem.') Wahrscheinlich werden sie
auch Personen mitgenommen haben.
•
Allen diesen BefÖrdcrungsgelegenheiten fehlte aber die Regel*
mäßigkeit, und hierdurch unterscheiden sie sich wesentlich von
den vollkomnienercn postalischen Einrichtungen späterer Zeit.
Allerdings muß ich hier erst feststellen, was ich unter postalischer
Beförderung verstehe; denn meine Ansicht weicht von der land-
läufigen nicht unwesentlich ab. Die unerquicklichen Reibereien
zwischen der Taxisschen Post und den Botenanstalten haben dazu
geführt, zwischen beiden Parteien einen künstlichen Unterschied
zu konstruieren und die Botenanstaltcn als die Träger des Zopfes^
die Posten als die des Fortschritts hinzustellen. Bis zu einem
gewissen Orade ist diese Unterscheidung gewiß berechtigt, nur
ist keineswegs die Einführung der Taxisschen Reitposten, die
lediglich einen technischen Fortschritt bedeutet, sondern die Zen-
tralisation des Verkehrswesens das wirldich Auaschlaggebende, was
den Posten eine so große Bedeutung verliehen hat Und dieser
Fortschritt war, wie ich noch zeigen werden sehr wohl auch aus
den alten Formen heraus möglich. Man wird deshalb u. E auch
den Botenanstalten den postalischen Charakter nicht absprechen
dürfen. Übrigens ist die Auffassung des Bcgriftes «Post« als
>) 1568: den « Mnv hctalth Hlnrick van Hattinck dem baden na vormeldi'nck »iiter
rekcscbop, »o dath gudth na Wene an foergt nnde ungelth gekostb, tho den 148 m Iß, so
cme mitincM ün, i» dü wi cm nodi hdiben »t bctallh, H39m^j^,
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Hambuiser VgheiiwwaMi bte zur Mitte dts 17. Jiliriitiikterts. 3 3 1
Ehiriditang mit Wechsel der BcfMcmng^mittel flberhaupt nicht
baltbsr, weil eine große Anzahl moderner Posten danach gar
nicht als solche anzusehen wftre. Die juristische Anfbssung hat
deshalb den Wechsel der Beförderungsmittel als unwesentlich aus-
geschieden, die Gemeinnützigkeit und die regelmäßige Abgangs-
und Ankunftszeit vielmehr als entscheidend angesehen. In der
Literatur des Verkehrswesens ist dieser Maßstab jedoch noch
nicht angelegt worden.
Ich halte es überhaupt für einen Fehler, auf den Ausdruck
»Post* gegenüber dem Botenwesen so besonderen Wert zu legen.
Ein wirklicher Einschnitt erfolgt im Kulturleben niemals, alles ist
Entwicklung, Fortschritt, manchmal auch Rückschritt; wesentlich
vom historischen Standpunkt ist nur, ww die Einrichtungen be-
schaffen waren, ob sie den Bedürfnissen entsprochen hat>en, und
wie sich der Übergang von einer Zeit in die andere vollzogen
hat Schließlich ist der Untergang der städtischen Botenanstalten
keineswegs überall ein Sieg höherer Kulturfonnen, sondern häufig
nur der Sieg der großen Territorialgewalten über die politisch
Sdiwichcren gewesen. Das soll man nicht außer acht haata,
wenn man ein Urteil fiUlen will.
Dies liaf vor allem zu bei der Verkehrsanstel^ die am Ende
des 16. Jahrfaunderls in Hamburg gegründet wurden und die sich
in ihren Resten sdange erhalten hat, bis sie vom Hamburger
Staat Obemommen tiad fortgesetzt wurden Bevor ich auf diese
Qrihidung niher eingehe^ muß ich die Entwicklung des kauf-
männischen Briefverkehrs in Hamburg in der vorbeigehenden
Zeit schildern.
Bereits im 14. Jahrhundert findet man in den Kämnierei-
rechnungen Ausgnbcpostcn, die vermutlich kaufmännische Bolen
betreffen.*) Jedenfalls hatte damals da> hansische Kontor in Brii^i^e
Läufer in seinen Diensten.*) Wenn auch diese Boten nicht
eigentlich als kaufmännische Boten anzusehen sind, weil das
hansische Kontor eine Art Verwaltungsbehörde war, so ist doch
>) 1370: nuncio Thtderici de Rij-n nii '.nm n-ndn de Flandria.
>) 1973: naatio aldcnnannorum de fimggis vcnienti de Lubeke 1 1». - 1378: 6ß
MDKio ceonimiilt luomoil» la Fliadiii.
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332
Alf rad KaiiL
zwetfellos von ihnen ein erheblicher Teil der kanfminnisdien
Korrespondenz zwischen Hamburg und Flandern befördert
worden. Diese Boten erschienen in Hamburg sehr h&ufig» be-
sonders im 15. Jahrhundert*) Auch ein Läufer des Stahlbofe
in London wird in den Rechnungen erwflhnt*)
Das flandrische Kontor der Hansa ist überhaupt von wesent-
lichem Einfluß auf den Briefverkehr Hamburgs gewesen. Ich
muß daher mit einigen Worten auf die Veränderungen eine^ehen,
die sich im Lauf der Zeit mit dieser Niederlassung vollzogen haben.
Ursprünglich befand sich das hansische Kontor in Brügge.
Nachdem später das Verhältnis zwisdien der Hansa und dieser
Sladt wenig erfreulich geworden war, gab die Sperrung des Hafens
Sluys durch Kaiser Friedrich III. den äußeren Anhiß zur Ver-
legung des hansischen Kontors nach Antwerpen. Bis zum Ende
des 16. Jahrhunderts blieb diese Stadt der Sitz der deutschen
Hansa, die nach dem neuen Aufenthalt das Andenken an ihren
früheren Sitz mit hinfibemahm.') Als im Jahre 1585 Antwerpen
an den Herzog von Parma fibetgeben werden mußte, trat
Amsterdam, wohin der Handel vor der spanischen Herrschaft
flflchtete, das Erbe von Antwerpen an. Diese Veränderungen in
den Handelsbeziehungen der Hansa sowie die sonstigen politischen
Ereignisse waren naturgemäß für die Gestaltung des Briefverkehrs
nach jenen Landern ebenfalls sehr wichtig.
Glücklicherweise können wir uns ein anschauliches Bild
von dem Umfang und der üestaltung des Briefverkehrs eines
Hamburger Kaufmanns machen, der eine Zweigniederlassung
seines Hamburger Geschäftshauses in Antwerpen leitete. In der
Hamburger Kommerz- Bibliothek ist nämlich im Original das
Handlungsbuch des Kaufmanns Schröder in Antwerpen erhalten.
Dieser empfing in der Zeit von April bis Dezember t553 folgende
Brief- und Geldsendungen:
1) z. B. 1 i63 : iß cursori oldemunnorum de f Uodrii. - 4 /i uni nuncio oUkr-
aunnoram de Flaiidria. — 3 caraori oldennniionitii dt Plandrti. "40 iraado «opoMn»
MHIini de Bnij:is. - i -' .■^ rnrsiori olilcrmannorum Hp Flandria.
*) 146B. 4|/^ iaidaiii cuTiuri cuptnjuinorutu Lundonis in Anglia rcsidcntium,
*i Noch 1578 unterzeichnete das Kontor: .Aldemihan und kavfmhans Raeth der
BnigKiiGhcB deutKhen Hiosse ttio Wnacn Antfavarpen taMcreode Confbori«.* (Schreiben
von t$. t, iitt an die KNftBuiinlllHten ta ffuljaiv: Aiddv d* Bönemlten Dl. I?; Sinti*
artihiv Hanbvif .
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Hamburger Verkehrswesen bis zur Mitte des 1 7. Jahrhunderts. 333
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Obertrag j271
Summe 61;
Von diesen 61 Sendungen entfallen auf Briefe 47, auf Geld-
beutel 12, auf Wechsel 2. Nach den Aufgabeorten geordnefp kamen
aus Hamburg 24 Briefe, 1 Geldbeutel; aus Amsterdam 15 Briefe,
1 1 Geldbeutel; aus London 8 Briefe, 2 Wechsel. Der Versand
baren Geldes zwischen nahe gelegenen Orten war anscheinend
damals noch ziemlich umfangreich, sehr gering aber zwischen
entfernteren Orten, wo man jedenfalls der Gtroflberweisung den
Vorzug gab. Die Überbringer sind nicht immer genannt; die
Sendungen aus Amsterdam werden in der Regel von dortigen
■ Boten, dnmal durch einen Fuhrmann fiberbracht Ffir die Briefe
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334
Alfred Kaill.
ans Hstmbuiie: febleii denrüge Angaben, nur von den Sendungen
am 22. August wird erwfthnt daß ein Brief und der Geldbeutel
durch die Schiffer Tonniß Widchoff und Juigien van Buchten
befördert wurden.
Im übrigen finden sich einige Angaben über den Briefver«
kehr in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts in den Papieren
der Börscnalten. Leider ist von dem Archiv der Börsenalten
nur ein Bruchteil erhalten, es befinden sich aber in der Komnierz-
l)ibliothek Auszüge, die vor dem Brande von 1842 hergestellt sind
und als durchaus zuverlässige Quelle angesehen werden können.
Man sieht aus diesen Auizeichnungen, daß blondere Boten zur
Beförderung der Briefe gewohiilicii nicht angenommen vt'urden,
sondern daß man jede sich darbietende Gelegenheit zur Fort-
schaffung der Sendungen auszunutzen pflegte. Immerhin war
man doch wiederholt gezwungen, die Unkosten für einen be-
sonderen Boten zu tragen, wenn eine Gelegenheit zur Mitbeförde-
rung fehlte oder die Angelegenheit keinen Aufschub vertrug.
Besonders kennzeichnend für die Art des damaligen V erkehrs ist
folgende Notiz aus dem Jahre 1525: »de Lübecker senden enen
Baden an den HltIol^ von Geldern, und ennnern, wo man der
Ohrten wat to verrichten hndde, könne es mit selbem geschehen".
Durch solche üelegeniieiten wurde es niö}j;hch, daß z, B. 1526
füi einen Brief nach Schottland nicht mehr als 6 ß Porto zu
entrichten war.^)
Gegen Ende des 16. Jahrhunderts war der kaufmännische
Briefverkehr m Hamburg so umfangreich geworden, daß man
daran denken mußte, regelmäßige und unbedingt zuverlässige Be-
forderungsgelegenheiten zu schaffen.
Der Ursprung der neuen Verkehrsanstalt ist später durch die
Vorsteher der Hamburger Post mit einer Legende umwoben worden,
die sogar noch über ihren Zweck hinausgegangen ist, indem sie in
der einen oder anderen Form in alten Publikationen über das
Hamburger Postwesen Platz {gefunden hat; es entstand nämlich der
Mythus der Gründung der Botenanstalt durch die Handelsg^-
ISIS Mr dMi Britf wdi ftMbmptn topt wntß.
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Hambuimv Verkdifwesen bis zur Mitte des 1 7. Jahriiunderb. 335
Schäften. Diese OesdiichtsfiUschung - denn um eine solche
handelt es steh« weil die Böisenalten den Beweis des Oegenteib
von dem, was sie behaupteten, selbst in Hflnden hatten - hatte
damals einen besonderen Zweck; es galt, die Rechte auf das Post-
wesen, die man in Wirklichkeit nicht besaß, gegen Angriffe zu
verteidigen, und das geschah eben so nachdrücklich, als man es
vermochte. Für die Geschichte sind diese Streitigkeiten ganz
belanglos.*) Es genügt, hier festzustellen, daß die Gründung der
Botenkurse in Hamburg nicht von den Gesellschaften der Flandern-,
Schonen- und Englandsfahrer ausgegangen, sondern lediglich den
Kaufmannsältesten zuzuschreiben ist
Diese Alter!eute, die im Anfange des 1 6. Jahrhunderts ein-
gesetzt waren, um die gemeinschaftlichen Interessen des Kauf-
nuuuistandes zu fördern, legten im Jahre 1570 den Grundstein
zur einheitlichen Oestaitung des Verkehrswesens: sie richteten
zuerst einen regelmäßigen Botenkurs nach Antwerpen, der damals
noch mächtigsten Stadt der flandrischen Provinzen, ein. Bald
daiauf folgte eine Anzahl anderer wicht^ Verbindungen.
Wenn auch anfangs vielleidit nicht die Absicht yodag, auf
dem Gebiet des Botenwesens dn einheitliches Ganze zu schaffen,
so IflBt sich doch andererseits nicht verkennen, daB die Vorsteher
der Hamburger Kaufmannschaft in verhiltnismäBig kuner Zelt
hervorragende Erfolge erzielten. Erleichtert wurden diese Be-
strebungen durch die Fühlung» welche die Alterleute mit den
Kaufleuten lutten. jeder Verbesserungsvorschfaig konnte deshalb
leicht bertkdcskiitigt werden.
Die Leiter des Botenwesens führten die von ihnen getroffenen
Anordnungen mit großer Energie durch, und, was besonders
anzuerkennen ist, es blieb stets für sie die Rücksicht auf das all-
genieiiie Wohl ausschlaggebend, gleichviel, ob dadurch ihr per-
sönlicher Einflui^ geschmälert wurde oder nicht. Bei den fremden
Städten, mit denen die Botenkurse gemeinschaftlich unternommen
wurden, findet man häufig das Gegenteil dieser ^großzügigen Ver-
kehrspolitik. Ich werde das im einzelnen noch nachweisen.
Durch Energie und Nachgiebigkeit zugleich gelang es den
n Sie fUlcn «in ricttgcs AkMlIcii ; PKotocoUam cdd AcHi Esb^adicUOm in
SMhai DcpililonMi cmln ptdaite BOnmltea. 17M. Slidt<8ibliodMlt Ha^bws.
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336
Alfred KirlL
Alterleuten in kuner Frist, Hambui^g; mit allen wichtigen Handeb*
platzen durch Botenkurse zu verbinden, diese verschiedenen Ver-
kehrslinien zu einem großen Netz zu vereinigen und durch die
Pünktlichkeit, die auf den Kursen aufrecht eriudten wurde^ das
Vertrauen aller t)efeiligten Kreise zu erringen und zu erhalten.
Dtr schnelle Aufschwung des Briefverkehrs in damaliger Zeit ist
neben der Taxisschen Post nicht unwesentlich der zielbewußten
Titigkeit der Hamburger Kaufmannsältesten zuzuschreiben.
Wie streng auf die pünktliche Verrichtung der Botendienste
gehalten wurden zeigen die außerordentlich hohen Strafen, die
wegen Dienstvemadilissigungcn den Boten auferlegt wurden;
nicht selten trat sogar Entlassung ein. Dk Papiere der Alferleute
enthalten in den Jahren 1574 bis 1585 Ober dieißig fllle, hi
denen die Boten mit Strafen belegt wurden. Im Jahre I60g
mußte sogar jeder der Danziger Boten 15 Reicfastaler Strafe
zahlen, weil die Amsterdamer Kaufleute über ihre Nachlässigkeit
geklagt hatten. Diese Strafe war so hart, daß die Boten in einer
Eingabe um Rückzahlung des Betrages vorstellig wurden.
Ebenso wie die Alterleute scharf gegen jede Vernachlässigung
der ObliegenlicMtcn ihrer Laoten vorgingen, so nahüica sie auch
nur (ianu Riu-ksicht auf deren Person, werDi die Interessen der
Kaulniannschaft nicht dadurch beeinträchtigt wurden. Als die
Alterleute sich später » Börsenalte" nannten, und das Postwesen
als Monopol auszubeuten verstanden, wurde dies freilich anders.
Auch die von den P^orsenalten vertretene Ansicht, das Botenwesen
sei nicht zum Nutzen des Publikums geschaffen, steht in schroffem
Gegensatz zu den früher geltenden Anschauungen ihrer Vor-
gänger. Der Senat nahm zu der neuen Verkehrsanstalt die Stellung
einer Aufsichtsbehörde ein. Er unterzog besonders wichtit^e An-
ordnunjren der Alterleute einer Prüfung und behielt sich deren
Genehmigung, insbesondere die der {iolenordnimgen, vor. Die
Alterleute waren vermöge ihrer Stellung im öffentlichen Leben
in ständiger Fühlung mn den leitenden Kreisen; ernstliche Mei-
nungsverschiedenheiten werden niso wohl selten entstnnden sein.
Der Senat griff, soweit die Archivalien Auskunft geben, nur bei
erheblichen Streitigkeiten der Alterleute mit den Boten und zur
Vermittlung mit den obersten Behörden anderer Städte ein.
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Hamburger Verkehrswesen bis zur Mitte des 1 7. Jahrhunderts. 337
Die ersltn regelmäßigen Boten wurden von den Kaufmanns-
ältesten im Jahre 1 5 70 angenommen. Entweder schon bei dieser
Annahme oder wenigstens sehr bald darauf wurde auch eine
Botenordnung für die nach Westen reisenden Boten festgesetzt.
Die in der Literatur vertretene Ansicht, daß in dei Botenordnung
von 1 580 (richtiger 1582) die erste 1 cstlegung der Bestimmungen
erfolgt sei,^) ist nicht zutreffend. In einer Urkunde vom 16. August
157S^) heißt es nämlich u.a.:
»Thom veerden schal he vermöge der Ordenihge, de von
einem Erbarn Hochwisen R^de und Olderluden des Kopmans
bestellet» thom weinigsten vor veerhundert daler borg^ tfao
stellende vorplichtet syn.*
Hier ist also bereits 1578 von einer goneinschaftUch vom
Rat und den Alterleuten aufgiestellten Bofenordnung die Rede,
deren Bestimmungen schon in Kraft getreten waren. Die Ur-
kunde enthält den vorläufigen Abschluß des Disziplinarverfishrens
gegen den widerspenstigst Boten Albert Ronnenbergp der sich
überhaupt bei jeder Gelegenheit unliebsam hervortat und später^
wegen seines ungebührlichen Betragens gegen einen Voigiesetzten
entlassen wurde. Ronnenbeig hatte sich in Antwerpen mancherlei
Übergriffe und Nachlässigkeiten zuschulden kommen lassen. Die
Alterleute wollten ihn deshalb vom Amte suspendieren und be-
strafen. Der Bote beschwerte sich jedoch beim Senat, worauf
dieser eine Untersuchungskommission einsetzte. Hierbei schnitt
Ronnenberg so schlecht ab, daß er zu Kreuze kriechen mußte.
Die Bedingungen der Vergleichsverhandlungen gewähren ein
interessantes Bild eines solchen Disziplinarverfahrens. Ich möchte
daher etwas näher auf diesen Vergleich ein^^chcn.
Zuerst wird darin festgestellt, daß Ronnenberg auf Grund
-eines Befehls der Alterleute der deutschen Hanse in Antwerpen
von dem Sekretär des Osterschen Hauses verklagt worden ist,
und daß die Alterleute in Hamburg auch sonst allerlei Klagen
über ihn vernommen hätten. Sie würden mithin alle Veranlassung
gehabt haben, dem Boten das Abzeichen abzunehmen und ihn
zu entlassen. Da sich aber eine Anzahl von Kaufleuten fQr
>) Ardiiv für Post und Tdcgrapbie. 1888, Nr. 8. Die Botenordnung Ut dort
jbffcdfwitt. «) Archiv der Bönenalkn Bl. tt; Sttttaatdilv Haabwf. ■) 1S79.
Archiv für Kulturgodiicbte. V. 22
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338
Alfred Karll.
Ronnenberg vewendel hätten, so wolle man ihm seine Über-
griffe unter folgenden Bedingungen verzeihen:
1. Solle Ronnenberg die Kaufmannsältesten in Hamburg
und Antwerpen um Gottes willen bitten, daß sie ihm seine
Ungebühriichkeiten und Übertretungen verzeihen mögen;
2. Solle er dne Strafe zahlen und bis dabin von den Reisen
ausgiesdilossen werden;
3. Solle er geloben, daß er in Zuloinft den I^fleuiten ebr-
licb und treu dienen wQrdc^ widrigenfalls er bestraft oder bd
Vorkommnissen von Bedeutung entlassen werden solle;
4. Habe er fRr mindestens 400 Taler einen Bürgen zu stellen.
Außer dieser Anp^elegenheit hatten noch sonstige U beistände
gezcigl, daß die alte Botenordniing nicht mehr ausreichte; die
Senatskommission löste sich daher noch nicht auf, sondern unter-
zog auch die Abänderungsvorschläge einer Prüfung.^) Die Alter-
leute hatten schon am 10. Juli 1578 einen verbesserten Entwurf
zur Botenordnung verfaßt, der nach der bisherigen Annahme
1580 vom Rat »revidiert und konfirmiert* sein soll.*) Dieser
Entwurf, der mit der im Ronnenbergschen Vertrage erwftbnten
Botenordnung nicht identisch sein kann, weil darin von einer
t)ereits bestätigten Ordnung die Rede ist, wurde in Wirklichkeit
im Jahre 1580 von der Kommission geprüft, 1582 in der von
dieser festgestellten Form vom Senat bestätigt und unmittelbar
darauf durch den Sekretär Twestreng in das Fundationsbuch der
KaufmannsUtesten eingetragen. Die Oberschrift dieser Boten-
otdnung^ die offenbar von Twestreng herrfihrt: «Ordnung dorch
de Olderlude des gemeinen Kopmanns mit Bewilligung dnes
Eibam Rades gesidlet, wo idt mit den gesdiwamen Baden, de
nha Westen reisen, kunfftig sdull geholden werden«, und der
unter dem Text stehende Vermerk: «Adum ex oommissione
spedabilis senatus A* 1S80' habdi die Vordatierung um 2 Jahre
hervoigerufen, obwohl die in der Ordnung gebraudilen Worte:
vWan dusae vorgesdirevenen Artikel, van Einem EriMum Rude be-
>) Die strafe, die in der Urkunde nicht angegeben ist, betrug 10 Talcr.
^ Wcnigitcitt sind dk Mitglieder bddcr KommiMiOBCD dk glddwn.
t Ronfc, Die fott md Telegraphle In Hudnrg.
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Hamburger Verkehrswesen bis zur Mitte des 1 7. Jahrhunderts. 339
vulbordet, conscntiret und bewilliget, alß " deutlich zeigen,
daß das Datum nur für den Kotnmissionsbeschluß gültig ist
Die wesentlichen Fhinkte der Botenordnung von 1582| gie*
wissermaßen die Grundlage der Verkehrsanstalt der B^^isen-
alten, sind folgende:
1. Jeder nach Westen reisende Bote soll eine Vertrauens-
wflrdige Person und von gutem Ruf sein, auch muß er
vom Senat und den Atterieuten als geeignet fllr sein
Amt angesehen werden;
2. Der Bote muß dem Rat und den Alterleuten geloben,
den Kaufli'uten und einem jeden, der ihn gebrauchen
will, treu und aufrichtig zu dienen;
3. Es soll niemand als Bote angenommen werden, der nicht
schreiben und lesen kann; jeder .Bote soll wenigstens
fQr 400 Taler Bfiig^diaft Idsten und sein Abwichen
vom Senat mit Wissen und Willen der Kaufmannsaitesten
durch den iltesten wortführenden Bfligermdster erhalten;
4. Soll jeder Bote genau sdne Reihenfolg« bei der Abreise
einhalten. Sonst drohen 2 Taler Strafe oder Verbot zu
reisen, bis die Strafe erlegt ist.
Die übrigen Bestini niungen sind weniger wichtiger Natur.
Die Botenordnung von 1 582 blieb eine Reihe von jähren
für die nach Amsterdam reisenden Boten m Kraft, bis neue Über-
griffe der Boten eine Anzahl von Kaufleuten so aufbrachten, daß
sie andere Leute zur Briefbefördening annehmen wollten. Die
folge war, daß die Alterleute im Jahre 1607 eine allgemeine
und erweiterte Ordnung drucken ließen. Sie bestand aus einem
Patent mit der eigentlichen Botenordnung^ einem Verzeichnis der
Attkunfls- und Abgimgstag^ und aus einem Patent, welches den
Tag der Ankunft der Boten enthielt und wöchentlicb an der Börse
ausgehfingt wurde. Dies war also eine Art •Postbericht", wie er
heute noch auf jedem Postamt aushängt
Diese Botenordnung wurde 1627 revidiert und abermals
gedruckt; sie enthielt u. a. die Zeit der Abreise und Ankunft der
Kölnischen (Antwerpener), Amsterdamer, Cmdener, Danziger,
Leipziger, Kopenhagener, Lfinebufgcr und LObecker Boten, ffir
22*
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340
Alfred Karii.
einzelne dieser Kurse waren noch besondere Ordnungen vor-
banden. Ein weiterer Neudruck erfolgte im Jahre 1641.
Wie man aus der Ordnung von 1582 sehen kann, waren
die Anforderungen, die an die Bewerber bei der Annahme zu
Boten gestellt wurden, für damalige Verhältnisse nicht gering.
Diesem Umstände wird es auch wohl zuzuschreiben sein, daß,
abgesehen von dem einträglichen Amsterdamer Kurse, nicht selten
Leute felilten, die bereit waren, die mühsamen Reisen auszuführen.
Die Ansprüche durften indessen nicht herabgesetzt werden, weil
die Boten eine Vertrauensstellung bekleideten, eine große Verant-
wortung trugen, auch gegebenenfalls Mut und Entschlossenheit
zeigen mußten. Eine Bürgschaftsleistung war nötig, weil die
Kaufmannsftltesten für Verluste haftpflichtig waren und ihrerseits
die Boten regreßpflichtig machten. Die Büigschaft betrug 400 Taler,
bei den Danziger Boten zuerst nur 300, bei den Leipziger Boten
100 Taler; sie war auch bei Beschäftigung auf Probe erforderlich.
Verluste von Wertsendungen kamen wiederholt vor. So verlor
z. B. 1608 der Kopenhagener Bote Timmerman unterwegs Dia*
manten, die er in Dänemark erhatten hatte. Die Alterleute einigten
sich mit dem Absender und zahlten ihm eine Entschädigung von
1 70 Mark, weil der Bote »vor Grflmen" gestorben war und dessen
Witwe kein Vermögen besaß. Bei einer anderen Gelegenheit
kamen die Alterleute naditrfiglich zu ihrem Oelde, weil der Bote
durch eine Erbschaft Vermögen erwarb. Die Bfiigschaft gßlt
offenbar nur für die Dauer der DienstEeit Hieraus erklärt sich,
daß die Alterleute nach dem Ausscheiden oder dem Tode des
Boten den Bürgen nicht in Anspruch nahmen.
Nach der Annahme des Boten wurde dieser in fderiicher
Senatssitzung vereidigt Der Eid lautete:^)
•Ick Uwe und schwere tho Qodt dem Almechtigen, dat kk
einem Erbam Rade und dusser Stadt vermöge mines geleisleden
borgerlichen ehltes «dU tniw und holt sin und bliven, und dar
ick in dussem minen denste etwes erfaren worde, dat ick idt ge-
truwlich will vormdden, dat wedder dusse Stadt sin mochte, dat ick
ock Eines Erbam Rhats und der Burgeschop und gemein handt-
') Der Wortl.iiit rührt aus dem Jahre I6t4 her, entspricht aber dem 1S95 abgeleisteten
Eide. Original im Staatsarchiv zu Hambuig: »Eid- Buch subiedo Judice JuramoitorBiB'.
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Hambnisar Verkebiswcsen bb zar Mitte des 1 7. Jahrhunderts. 34 1
terendcn Kopmans williger und getniwer dener sin wil bdde tho
Water und tho Landen der verordneten Olderlueden des gienieinen
Kopmans befekh in acht hebben und de bieve und geldt, oder wat
mi sonst averthobringen befahlen wert, tho rechter Tidt an ehre stede
bringen, averantworden und darbi keine vertoch oder \ crsumenisse
gebruken, sonder einen jedem richtigen beschcidt dhou und nii in
allen anbefahlen saken uprichtig, redlich und flitig verholden.«
Bei der Vereidigung erhielt der Bote von dem präsidierenden
Bürgermeister ein silbernes Abzeichen, die »Busse", welche mit
einem Wappen geschmückt war.^) Die Kosten für diese Schildchen
wurden von der Hamburger Kämmerei bestritten.*) Die Verleihung .
fand anscheinend nur an die Antwerpener (Kölner) Boten statt
Ursprflngltch genossen die Boten keine besonderen Vor-
rechte. Als sich aber bald nach Einrichtung des Antwerpener
Botenkurses in Hamburg eine blühende Konkurrenz entwickelte^
und oft recht fragwürdige Elemente ihr möglichstes taten, den
regelmäßigen Boten die Briefe fortzuschnappen, sahen sich die
Alterleute gezwungen, ihren Boten ein Monopol einzuräumen.
Diese AAaljiegel war um so gerecliüertigtcr, als die Festsetzung
l>estimmter Abgangstage die Hamburger Boten weniger konkurrenz-
fähig machte. Solange ein Monopol nicht bestand, nahmen selbst
die Kaufleute des billigeren Portos wegen » andere vorlepene
uthlendische Kerels, de ebnen mit grotspreckent de Mund smeren«,
an. Deshalb wurde in der Botenordnung von 1582 festgesetzt:
»Schall kein Extraordinarie Baden Sick vordristen, eine Reise
na Amsterdam edder Andorpen anthonehmen, so ferne de Baden,
so Einem Erbam Kade und Kopmans Olderiuden geschwaren,
inheimisch und sich desulvigen tho reisende nicht worden weigern.«
Nach dieser Zeit hörten die Klagen der regelmäßigen Boten
auf, weil die Kaufleute sich ausschlteBiich der einheimischen
Boten bedienten.
Trotz dieses Monopols war die Lage der Kaufmannsboten.
1) Vcnnutiich mit dem dcT AHerlorfc: cbi iMibcr Adkr «nd da kilbes dicHSmiflef
SUdttor auf gddltem Felde.
>) KliiiiiKrri>Recbmiii|r 1574 ; ». Seploaber. Härmen Bflrtwlt bctalrt vor dne «nlvm
Badcnbtttse . de Jochim Kock dem Raden, wclckeren ein Frb, Radt vor einen Badeti dem
gemenen Kopmannc up Andorpen to denende heft angenamen, is gtgeven vorden, widit
7 lot min. Vt . . It mit nukdon Sm t9ß.
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342
Alfred Kiurll
in der ersten Zeit nicht günstig. Ihre Einnahme, das Briefgeld,
war wegen der geringen Zahl der Briefe nicht bedeutend. Die
Alterleute mußten deshalb mehrfach Zuschüsse gewähren, weil
das aufkommende Porto nicht einmal die Auslagen deckte.^)
Solange die Boten die Annahme und die BesleUmig der
Sendungen selbst besorgten, selbst noch, als ein Postmeister für
diesen Zweck angenommen war, verblieb ihnen das dnkommende
Briefgeld. Dann wudiscn die Einnahmen aber derartig, daß man
den Boten nur einen Teil davon fiberiieß, während der Rest teils
dem Postmeister, teils den Alterieuten zufloß. Dieses Anteilsystem,
welches nicht ohne Nachteile war, wurde auch später beibehalten.
Der Amsterdamer Botendienst wurde dadurch zu einer ergiebigen
und vielbegehrten Einnahmequelle.
Als die Einkünfte noch ti;eringer waren, gingen die Boten
aus bescheidenen Verhältnissen hervor. Immerhin waren es keine
hergelaufenen Leute, wie später behauptet worden ist, sondern
man berücksichtigte nur solche Bewerber, die wirklich zu den
Diensten geeignet waren. Zum größten Teil wurden frühere
selbständige Boten, aber auch Handwerker und Leute aus ähn-
lichen Berufezweigen angenommen. Die Angabe^ die Boten
wohnten (1592) in Kellern und Kammern, ist bei den
Wohnungsverhaltnissen Alt-Hambnigs noch kein Beweis dafOr,
daß die Bolen aus sehr Irmlichen VeridUtnisBen hervoixhigen.
Für Personen «ex fece plebis« würden die Kaufleute sidier keine
Bfiig^cfaaft geleistet haben.
Bis zur Mitte des 17. Jahrhunderts verrichteten die Bolen
die Reisen persönlich, wenn sie auch manchmal Knechts zur
Aushilfe heranzogen. Derartige Gehilfen wurden von ihnen
bezahlt und standen zu den Alterieuten in keinem festen Dienst-
verhältnis; sie werden nur auf dem Ainsterdamer und Danziger
Kurs erwähnt und scheinen in den größeren Städten die Geschälte
der späteren i^jstnieister ausgeübt zu haben. So sprechen die
Bolen im Jahre 1 5 77 von ihrem „tho Andtwerpen gewesen Dhener
Fransz, welcher itzo Fugitivus unde tho Wesel sich enthoit, mit
1) z. B. 1585: 3. April. Dick Frescn d«m Baden to Hfilpe tincr ReUe tu Andorp
«od Seeland verehret 2 m, dcuylr lie sick beklagL-tU- dit SO Oddtt UMl fil«fe nidlt
haddc bekamen, dtt he de Unkosting der Rdae stahn künde.
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Hambuiver Vcrkehnvesen bis zur Mitte des 1 7. Jahrinioderls. 345
hemdkiceii Pncticiten van den Kopluden, darmit he dorch uns
belauidt worden isz, up Wesel und so votdhin anhero Ixsciiaffei'
Etwa bis zum Jahre t591 vertrat die Börse die Stelle eines
Postamts. Hier nahmen die Boten die Briefe entgegen, händigten
den Kaufleuten die mitgebrachten Sendungen aus und begannen
von dort auch ihre Reisen. Jeder von ihnen hatte in der Börse
ein Brett liangen, an weichem er einige Tage vor seiner Abreise^)
einen Zettel mit der Abgangszeit und dem Ziel seiner Reise an-
heften mußte. Sobald ein Bote von den Aiterleuten entlassen v'. urde,
entfernte man auch das für ihn bestimmte Brett in der Börse.
Es war also offenbar mit dem Namen des Boten versehen. Die
Zettel waren von jeher Gegenstand des Angriffs unbefugter Kon-
kurrenten; die von Antwerpen nach Danzig reisenden Boten rissen
mit Vorliebe die Zettel ihrer Hamburger Kollegen ab, um mög-
lichst viele Briefe zu erhallen. Auch andere Kunstgriffe waren
beliebt. So wollte z. B. der Hamburger Bote Johann Wichman
im Jahre 1609 von Amsterdam nic!it rechtzeitig abreisen. Als
ihn die dortigen Alterleute hierzu auffordern ließen, fuhr er
scheinbar aus der Stadt heraus, ließ sich aber wieder an den
Deich setzen, kam zum Tor herein und ging heimlidi in seine
Herberge. Dort nahm er am anderen Morgen noch so viel Briefe
als möglich in Empfang und trat dann erst seine Reise an.
Die Alterleute in Hambuig hatten, um derartige Vorlcomm-
nisse zu verhindern, den Börsenimecht beaufinigl, Abgang und
Anlninft der Boten zu fiberwachen. Eine derartige Anordnung
war sehr zweckmftBig; «eil der BOrsenImecht ohnehin in der Börse
anwesend sein und den Kaufleuten Besdieid geben muBle^ wann
die Boten abreisten und ankamen; außerdem hatte er die Boten zu
rechter Zeit abzurufen und erhielt daffir von ihnen ein Trinkgeld.*)
Als Börsenknecht wurde bis zum Jahre 159S von den
Kaufmannsalterieuten ein Handweilier, Schiffer oder ein zuver-
lässiger Mann aus einer ähnlichen Berufsart gewShlt. In diesem
Jahr machten 29 Kaufleute in einer Eingabe den Vorschlag, das
Amt einem früheren Boten zu übertragen, der die Kaufleute kenne
') vom 30. junl 1576 ab vier Tnj^c vnrhr- *) In fibrigctt mußte tT die Bettler
und RattenSnco: von der Börse fernhalten, die KÄume rdnigcn, im Winter bei Olätte
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Alfred Karll.
und von den Rdsen Bescheid wisae. Die Alterieute kamen der
Aufforderung nach und erwählten an Stdie des ennordelen Böraen-
ImechtB den bisherigen Boten Hans von Vogeden. Seine Er-
nennung führte zu einem Streit mit den Oewandsdineidern, die
es 1605 durchsetzten, daß sie sich bei der Wahl beteiligen iconnfen.
Die Kontrolle über die Boten blieb dem Börsenknecht auch dann,
als deren eigentliche Abfertigung in einem besonderen Hause,
der Post, statthmd
Man hat behauptet, es habe im Jahre 1517 ein altes Post-
haus am „Orimm" bestanden, ja schon vorher sei der erste Ver-
sammln ngsori der Boten ein Gebäude der »Ober-Oesellschaft der
England lahrer« und der »Nieder-Gesellschaft der Schonenfahrer«
in der Pelzerstraße gewesen.') Diese angeblichen Postämter sind
Phantasiegebilde. In den Archivaiien wird bis 1 590 stets erwähnt,
daß die Boten die Sendungen in ihren Herbergen und an der
Börse in Fmpfanrr nahmen. Das Gebäude der beiden Gesell-
schaften kann aber schon deshalb kern Postamt gewesen sein, weil
es gar nicht ein Grundstück sein konnte, sondern aus zwei baulich
voneinander getrennten Gebäuden hätte bestehen müssen; denn
die Benennungen »Ober«- und .i Nieder «-Oesellschaft rühren ge-
rade daher, daß das eine Haus am oberen, das andere am
unteren Ende der Pelzerstraße stand.
Der erste von den Alterleuten eingesetzte Postmeister hatte^
wenn auch anlangs ohne ihr Wissen, einen VoigSnger. Die
Hambuiger Boten hatten nftmlich, weil sie die Kaufleute nicht
alle kannten, mit der Annahme und Bestellung der -Sendungen
eine andere Person, Hinrich von Cölln, betraut Dieser Post*
meister, noch «Schreiber« genannt, wird zwischen 1570 und
1577 von den Boten angenommen sein, da sie zu dieser Zeit
auch in Antwerpen einen Gehilfen, den schon erwähnten Diener
Franz, hatten. Am 7. September 1590 wurde Hinrich von Cölln
durch die Alterleute abgesetzt; sei es, daß er, wie ihm vorge-
worfen wurde, sich mancherlei Unregelmäßigkeiten hatte zuschulden
kommen lassen, sei es, daß die Ältesten der Kaufmannschaft er-
kannt hatten, wie fördernd ein von ihnen eingesetzter Postmeister
>) Aitidv Mr Poit und Ttlcgraphle 1S76. S. 54t. ^ R«aBe, Die Piwt wni T<te-
frafibiti In Hanhiif .
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Hamburger Verkehrswesen bis zur Mitte des 1 7. Jahrhunderts. 345
auf die Entwicklung des Verkehrswesens einwirken konnte. Sie
übertrugen das Amt des früheren Schreibers, zuerst versuchs-
weise, dem Hein Schnudi. Dieser mußte an Eidesstatt ver-
sichern, er wolle
1. eine richtige Charte machen und das Geld den Boten
sofort aushändigen;
2. keine l\r\de gegen Geschenk zurückhalten, sobald die
Charta angeschlagen; •
3. nur das ordentliche Briefgeld erheben;
4. keinem durch die Finger sehen und die Briefe den Boten
rechtzeitig übergeben;
5. die unrichtige Abreise der Boten dem präsidierenden
Altermann sofort melden.
■
Falls er dnem von diesen Punkten nicht nadikommen wfirde,
sollte er das erstemal drei» das zweitemal sechs Taler Strafe zahlen
und im Wiederholungsfall aus dem Dienst enthissen werden.
Aus diesen Bestimmungen geht hervor» daß damals tat-
sScfalich dn Postamt nach unseren modernen Begriffen eingerichtet
wurde; denn der Postmeister hatte sowohl Annahme^ Au^giabe
und Abfertigung der Briefe zu besoi^gien ab auch die Boten zu
fiberwachen. Auch der Umstand, daß er nicht etwa nur die
Briefe den Boten übergab, sondern auch einen eigentlichen Karten-
schluß zu fertigen, also die Briefe in eine besondere Liste ein-
zutragen hatte, ist dabei von Bedeutung. In dieser Karte wurden
die Stniiuiigcn unter Angabe des Empfangers und des Frankos
oder Portos vermerkt. Sobald der Postmeister die Sendungen
auf Grund der Karte übernommen hatte, ging die Verantwort-
lichkeit auf ihn über. Die Karte wurde anfangs in Urschrift an
der Börse angeschlagen, damit die Kaufieute sehen konnten, ob
Briefe oder Pakete für sie eingegangen waren. Als der Verkehr
sich dann zum l^osthause hinzog, heftete der Postmeister nur eine
Abschrift in semem Hause an.
Als Entschädigung für seine Mühe, für die Hergabe der
Räumlichkeiten und den Verbrauch an Feuerung und l icht er-
hielt der Postmeister von den Boten eine Vergütung;^) spater
tj Im Jahre I6ia bd Jeder ReUe 9ß üb.
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546
Alfred Karll.
wurde ihm dn Anteil an dem aufkommenden Briefgdd zuge-
standen. Außerdem schuf er sich eine Einnahme durch Ver-
miehmg von Sddafiiumen an die fremden Boten, die allerding»
wenig Neigung zeigten, bei ihm zu wohnen. Hauptsidilidi
fQrchteten sie, von dem Postmeister in ihren Einnahmen vericüizt
zu werden, und sie befreundeten sich erst nach längerer Zdt
damit, die Sendungen im Posthause abzuliefern. Auch mochten
sie wohl mit Recht annehmen, daß sie nach und nach in eine
abhängigere Stellung geraten würden. Für die Alterleute war in-
dessen ausüclilaggebend, daß die tmrichtung des Postamts die
Auiliefening der Sendungen erleichterte, daß die Klagen über zu
hohe Befürderungsgebuhren aufhörten, und daß eine wirk>aiTie
Kontrolle über die Boten ausgeübt werden konnte. Deshalb
hielten sie mit Nachdruck darauf, daß die Briefe beim Postamt
abgeliefert wurden, und urUerdruckten jeden Widerstand der Boten.
Als der Nachfolger des Schmidt^) im Jahre I6t8 starb,
übertrugen die Alterleute auf Fürsprache fast sämtlicher Kaufleute
das Postmeisteramt der Witwe, die es erst allein verwaltete, dann
sich aber wieder verheiratete. Ihr Mann^) starb im Jahre 1641.
Nach seinem Tode stellte sie den Alterleuten vor, sie habe ihre
zwei Töchter fleißig in den Geschäften des Postmeisters unter-
richte^ und bat, man möge eine «qualiflderte* Person, die eine
Ihrer Töchter heirate, zu diesem Amte wihlen. Von 83 Kanf-
leuten wurde ihr Gesuch unterstOtzt, wahrscheinlich, weil man
auf diese Weise einen Wechsel in der Lage des Posthauses ver-
hindern wollte. Die Alterleute gingen auf diesen Vorschbig ein,
man hatte also eine Erbfolge in der weiblichen Linie. Der Er-
wihlte^ Diehich Oerbrand, wurde noch in demselben Jahre ver-
pflichtet; ihm wurde später*) auch das Amt eines Branden-
burgischen Postmeisters übertragen.
Wenden wir uns nun der Entwicklung des Betriebes auf
den einzelnen Kursen zu:
L Hamburg -Antwerpen (Köln).
Vor dem Jahre 1 5 70 schehit die Korrespondenz nach Fbndent
durch die von Antwerpen nach Dan^ reisenden Boten vermitlelt
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Hambuigcr VericdmMMii bis zur Mitte des 17. Jaltrliiiiiderte. 347
za San. Diese setzten ihre Reisen noch fort» als die Hamburger
KaufmannsUtesten in diesem Jahre vier Boten*) annahmen, welche
die Reisen nadi Antwerpen in regelmäßiger Folge und an festen
Abgangstagen ausflUiren sollten; vier Jahre spftter kam noch ein
fünfter Bote*) hinzu. Auch das aufblühende Amsterdam sandte
zu dieser Zeit Boten nach Hamburg und Antwerpen. Im Jahre
1585, als der Handelsverkehr von Antwerpen nach Amsterdam
abgelenkt wurde, stellten die Antwerpener und die Hamburger
Boten ihre Reisen zwischen beiden Städten ein; die letzteren,
die über Linien und Amsterdam nach Antwerpen zu reisen
pflegten, erscheinen im folgenden Jahre plötzlich als Kölner Boten.
Die Korrespondenz nach Antwerpen wurde Über Köln geleitet
und von dort aus weiterbeförderL
Zu diesem Zeitpunkt wurde eine besondere Botenordnung
ffir den Kölner Kurs festgesetzt» wonach die Reisen I4ti^g hn
Sommer in 7, im Winter in 9 Tagen zu FnB aufgeführt werden
sollten. Vorher hatte ein in Köln ansässiger selbständiger Bote')
allein die Reisen zwischen Köln und Hamburg zurflckgelegt Der
Kölner Rat folgte dem Beispiel der Hamburger Alterleute und
nahm vier Boten an; eine tiinfte Steile wurde dem früheren Boten
übertragen. Die Reisen Iconnten also wechselseitig zwischen beiden
Städten stattfinden. Die Kölnischen Boten leisteten den Eid auf
die Hamburger Botenordnung und lügten sich nach vergeblichem
Widerstand dem von den Alterleuten eingesetzten Postmeister.
Die Strafgewalt lag in den Händen des Kölner Rats und der
Hamburger A!ter!eute, sie wurde aber in Hamburg weit schärfer
gehandhabt als in Köln,
Als auf der Strecke zwischen Köln und Antwerpen infolge
des Vorgehens des Postmeisters Henot die Pakete der Boten ge-
öffnet wurden, schrieben die Alterleute dies der UnzuverUssigkeH
der Köhler Boten zu und schlugen vor, auch in Köln einen
Postmeister einzusetzen, jedoch ohne Erfolg. In der in Köln da-
mals (1591) aufgestellten Botenordnung wurde nur vorgesehen,
eine Raisperson habe darüber zu wachen, daß eröffnete Briefe
1) Hans HauunsB, Albert Ronnenberg, Haas van der Landouv, Martin Kxoger.
«I JocUoi KMdL I) Hinrtcli KicMpcnMtar.
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348
Alfred KarlL
nicht von jedermann durchgelesen, sondern in der Kanzlet auf»
bewaüift werden sollten. Die Hamburger Alterleute erhielten von
dem Treiben des Henot erst im Jahie 1598 Kenntnis.
Nachdem in Hamburg wiederholt mit dem Reisetag ge-
wechselt war, gab man 1609 den Kölnischen Botenkurs ganz auf,
und ließ die Boten über Amsterdam nadi Antwerpen reisen.
Bald darauf wurden auch diese Reisen eingestellt und die Sen«-
düngen nur bis Amsterdam durch Hambuigo' Boten befördert
Den Reisezettel eines über Amsterdam nadt Antwerpen reisenden
Boten, der eine sehr eingehende Schilderung der Reise gibt, habe
ich bereits besprochen.') Da der Zettel aber eine ^Toße Bedeutung
hai und eine Seilenheil ist, gebe ich den Wurlkui hier wieder:
1. Blatt - linke Seite.
He is uth Antwerpen gereiset den
unde qwam heim den
Dith is Berent VeBell sin Reisezedel van Hamborch up
Andtwerpen und wedder her.
Sen dach tumi [? D. Red.],*) was de 13. December 1609.
is he van Hamborch affgereiset Und qwam wedder den — •
January a* 1610.
Hc br;ichic breve van Antwerpen, schriwen van den 31. De-
cember. So hadden se en 7 dage in Antwerpen laten up
beschede wachten.
Berent sine Unkosten sin 65 gülden unde mark dorch-
einander unde 1 4 ß, dartho heffe men ehme vor sine möge und
arbeit uth unde tho hüs, dat he in alles bekumpt 80 m.
1. Blatt - rechte Seite.
Freundliche, leve fadder. Dewille gy begeren, dat idc de
unkosting upzelen schall, so stddt Idt hier alles, up dat g> mi
hermidt nicht fordracken mögen.
Erstlick fan Hamborch bct tho Weddel tho farende . iO ß
des avendes for kost und ber 5 »
tho hovetgelde 1 •
i) Blitter für Posf und TdcgrqiUc, ZdMirift der hfihcica Port- mid Tdcinphai*
beatnten. I. Jahiguig, Nr. 20.
^ Soll w6tl hdflen : Den dack . . Sonata^ könnt nickt Hi Fng/tt der 1S. Do.
«w dn MHtvodi. D. Red.
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Hamburger Verkehrswesen bis zur Mitte des 1 7. Jahrhunderts. 349
fan WedeP) tho Staue tho farende tho ever*) . . 6
dar for kost und ber . . 7 •
fann Stade tho Vorde') tho forlon 10 »
des avendes for kost und ber 7 j»
fann Forde betto Breme*) tho forlon 26 if
thor mollen fortert und for fuer*) 4 »
fan dar thor Borch*') forterfi] ........ 6 »
fan dar tho Bremen fortert 6 »
fan Breul en tho Oelmehorst tho forlone .... 4 ■
dar fortert 2 «
fan dar tho Wilshusen ^) tho forende 6 •
forteret for kost und ber 6 »
fan Wilhusen bet thor Klockenborcb^) for forlon . 9 »
forteret for für unde kost u. ber 4 »
fan der Klockenborch tho Lonne*) for forlon ... 10 »
for für 1 *
fan Lonne bette tho Haselunde^*) tho forgelde . . 10 •
dar fortert und für 5
Summa 9 m 2 ß
2. Blatt
fan Haselunden betto Lingen for forlon . . 12 stufer
dar fortert for kost und ber 7 »
fan Lingen bet thom Neigenhuse^^) tho forlon 33 »
dar fortert und thor fere 8 ■
fan Neigenhuse bet thom Hardenbarge^^) for
forlon 23 n
dar forteret 4 »
fan Hardenberge bette tho Zullc") tho forlone 34 »
dar fortiret 12»
fan Zulie betto Ammesforde tho torlone . 54 »
fan Ammersforde betto Utrick**) for forlon . 14 »
dar forteret 6 »
i) Wedel bei Blankenese. *) ein auf der Elbe gebriucbliches rabrzeng.
*^ BicmcrvSrde. Bicnai. ^ FcncnnK. «) Bui« (Bedric Bretncn). ^ WildÄ-
haii?cn. ») Kloppcnhurg, «) Löningen. "0 Haselünne. ") NntcolHW In Wcit>
falcn. »> Haidaibcrg. ZwoUe. ") Amersfoort. '») Utrecht
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350
Alfred IMl.
fan Utrick ihor Um*) ... w ... . 12 stufer
fan der farre tho Dorfe*) tho schepe for foren 40 »
dar fortcret 12»
fan Dorte bette thom Oldenbustke^) tho schepe 18 »
dar forteret 9 »
fan den Oldenbustke bette thom Achterbrocke (?)
Üio forione und de mi den wech wissede 34
forteret 7 >»
fan Achterbrock tho Andtwerpen tho forlon . 12 „
Summa iß 18 guid. 3 stufer
3. Blatt
Darmidt quam ick tlio Andtwarpen und lach
dar 7 dage stille, dat se mi upholden.
Da terde kk ider dach eine maltidt, dar
miste ick for geven
und denn thor harbarge for für und zumme
ein iringkciu her beleyfick, do ick reisede
der maget tho bergelde
Fan Andtwarpen wedderumme tho Breidall*)
tho forione
dar toneret
fan Bredall tho Gelernbarch*) for forlon , ,
dar forteret 2 maltidt
fan Qeterenbarcb up Oorkum *) tho schepe for
farent
dar forteret
Fan dar wolde ick in de richte dorch na
Ainnem,^ na Nimwegen, na Bummel*)
und konnde dar nennmandt dorch hm
wegen des watfers und des ises. Denn
idt Wolde nicht hoklen ock nicht brecke.
Moste also weder hm Oorkum up Utrick
to schepe, koste mi 3 guld.
*) Fähre. *) Dordredit >) Oudenboscta. «) Breda. >) OctTtruidciibergh.
^ Oorincbem (Ooicitn). >) Anlieiai. 9 Bommd.
12 sbifa-
6 guld.
4 .
2 guld.
12 •
18 •
24 •
2 gttki.
8 .
Digitized by
Hamburger Volucluwesen bis nur Mitte des 17. Jahrhundert». 351
forteret dar 7 Stüter
fan dar na Ammesforde for faren .... 6 »
dar forteret 7 »
fan Ammesforde ihü Üllespedt^) tho forlone . 2 guid.
dar forteret 10»
Summe is 1 9 guld. 1 6 stufer
4. Blatt - linke Seite.
fan Blespedt iho Zulle for forlon ein fladi*)
und den 1. de mi den wech wisende . 28 stufer
lan ZiiUc thor Ai meshost (?) de mi den wech
wisende 24 »
dar forteret 10 »
fan Armeshost geredcn tho perde, koste 1 Daler is 30 »
bet thom Hardenbarch
fan Hardenbarch thom Neigenhuse gereden vor
en perdt und de mi den wech wisende 2 guld.
forteret dar 69
fan Neigenhuse tho Ungen tho forione . . 24 *
dar forteret 6 «
fan Linolen tho Haselunde tho forlone . . 16 »
dar für und eine kenne ber') 4 »
fan Haselunde tho Lonne tho forlone ... 16 >
for für unde unnist 2 «
fan Lonne thor Klockcnborch for förlon . . 15 »
fan Qockenbordi tho Wilfihusen tho forlone 18 »
dar forteret 6 »
Summa is 1 2 guld. 5 stufer
4. Blatt - rechte Seite.
fan Wilßhusen bet tho Bremen tho forlone ... 12 ^
forteret tfiom tome • 6»
fan Bremen betto Forde tho forlone 26 *
thor Boich forteret 5 »
*) Elteqwet clae Sbccke Wega. <) dne Kanne Bier.
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352
Alf rad Kadi
♦ ß
Mit I VIUC UCUU <3mUv IUI tVlIVIl
■ V ir
12 w
fan Stade betto Wedd tho ever
for hren de man
II m
tho Wedel fortcret ....
6 »
fan Wedel na Haiiiborch gegeven
tho forlon . . .
8 er
Summa iß 6 jui
4 ß
Hinip hebe ick endtfangen 6 dicke daler, den daler udt-
gegeven for 52 stufer, 6 enkelde^) Rickesdaler, den daler
udtgegeven for 48 stufer.
Fan 18 breven endtfangen 6 gülden, den gülden 20 stu.,
fan ein den knsken(?) endtfangen 1 daler.
Der Bote berührte also folgende Orte auf seiner Reise:
Hamburg, Wedel, Stade, Bremervörde, Burg (Bez. Bremen),
Bremen, Delmenhorst, Wildeshausen, Kloppenburg, Löningen,
Haselünne, Lingen, Neuenhaus (Westfolen), Hardenberg, ZwoUe,
Amersfoort, Utrecht, Dordrecht, Oudenbosch, Aditerbrock (?),
Antwerpen, Breda, Qertruidenberg, Gorcum, Utrecht, Amersfocrfp
EUespeet, Zwolle, Armesbost (?), und von da ab dieselben Orte^
wie auf der Hinreise.
Wessel war demnach einer der ersten Boten, welche
anstatt nach Köln auf dem Wege über Liugen nach Ant-
werpen reisten.
Der Kölner Botenkurs mußte aufgegeben werden, weil
die Hamburger Alterleute infolge des Vorgehens des Kaiserlichen
Postmeisters Johann von Coesfeld den Weg über Köln nicht
mehr benutzen konnten. Dieser, der Nachfolger Henots, setzte
das Werk seines Vorgängers fort und zwang die Hamburger
Boten auf Grund kaiserlicher Mandate, die Briefe an ihn auszu-
liefern. Die Alterleute beförderten nunmehr die Sendungen nach
Köln auf dem Wege aber Prankfurt a. tA. Die Verzögerung^
die hierdurch eintrat^ begilnstigte die Einrichtung einer Kaiserlichen
Post zwischen Köhl und Hambuiig und die Gründung des erslen
fremden Püslamts in Hamburg.
t) diudnc.
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Hamlntiger Verkdinvaen bb zur Mitte da 17. Jabriiiiiulerts. 3 53
II. Hamburg^ - Frankfurt a. M.
Der Botenkurs zwischen Hamburg und Frankfurt, auf den die
Korrespondenz nach Köln nunmehr überging, war im jähre 1586
von den Frankfurter Kaufleuten eingerichtet und hatte seitdem
unter ihrer Verwaltung gestanden. Die Hamburger Alterleute
hatten nur eine Aufsicht über die Boten ausgeübt
Da man jetzt in Hamburg ein besonderes Interesse daran
hatte, die Boten an feste Bestimmungen zu binden und der Kon-
trolle des Postmeisters zu unterstellen, so wurde im Jahre 1609
eine Botenordnung festgiesetzt Die drei Frankfurter Boten wurden
von den Hamburger Bfirgiemieistern aufgefordertr sidi eidlich auf
diese Botenordnung zu verpflichten. Sie baten sich drei Wochen
Bedenkzeit aus» eine Frist, die in Fiankfurt dazu benutzt wurden
schleunigst einen Nachtrag zur doftigen Botenordnung zu ver-
fassen. Die Forderungen der Alterleute waren darin berfick-
sichtigt; diese mischten sich deshalb nicht mehr in die Ange-
legenheit Denn es kam ihnen wen^ darauf an, die BotensteUen
zu vermehren, als eine schnelle und sichere Beförderung der
Sendungen herbeizuführen. Die beiden von ihnen angenommenen
Boten setzten die Reisen nicht fort. Der von den Frankfurter
Kaufleuten zum Verwalter des Butenwesens eingesetzte Albrecht
Kleinhans fertigte auch nach dieser Zeit in Hamburg die Frank-
furter Boten ab.*)
Spatestens .i4egen Mitte des 17. Jahrhunderts iinterlaj^ der
Frankfurter Uotenkurs» der über Stade und Bremen führte, der
Kaiserlichen Post
III. Hamburg (Lüneburg) - Braunschweig — Nürnberg.
Nicht anders ging es den zwischen Hamburg und Braun-
schweig reisenden Boten, die im Jahre 1579 schon in Hamburg
genannt werden. Die Braunschweiger Kaufleute^ von denen dieser
Kurs eingerichtet war, blieben längere Zeit hindurch im Besitz
desselben, nachdem die Hamburger Alterleute auf Wunsch der
Bnoinschweiger Kaufleute von der Annahme eines eigenen Boten
<) Andi der Saut bomizte diew Befördenmgsgdqsenhdt. Klmnefci-IlednraiiK 161S:
t» kUf Alb. lOchÜMMMD vor brich nnd andere sadM von Speicr imBfl. - IS. Jtttf
ArUv ttr KallMieMhldhle. V. 21
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354
Alfred KarlL
abgesehen hatten.*) Später, im Jahre 1645, sidtten sie jedodi
einen Boten, der abwechselnd mit den beiden Braunschweiger
Boten die Reisen ausführte, ein. Interessant bei allen diesen
Verhandlungen ist der Gegensatz der Anschauungsweise Hani>
burgs gegenüber der anderer Städte: Hier das Bestreben, das Ver-
kehrswesen in fortschrittlichem Sinne zu heben, ohne Rucksicht
aiii den Vorteil oder Nachteil für die eigenen I'^oten, dort das
Festhalten an dem Bestehenden, die Sorge luj die bmnahmen
der Boten. Die Braunschweiger Kaufleute und Krämer z. B. waren
der Ansicht, daß eine Neuerung „selten was nützliches wirket«,
ein recht beschränkter Standpunkt, der von den großzügigen
Verwaltungsgrund Sätzen der Hamburger Alterleute seltsam absticht.
Die Braunschweiger Boten wurden auf ihren Reisen von
Nürnberger Boten begleitet. Als man in Hamburg diese Boten
früher abfertigen wollte, um eine weitere Beförderungsgelegenlieit
zu schaffen, wurde in Braunschweig Einspruch erhoben, weil
durch die Änderung die Einnahmen der dortigen Boten ge-
schmälert werden könnten. Die Schwierigkeiten, auf welche die
Altericute in fremden Städten stießen, xs.ir der Krebsschaden des
ganzen Verwaltungssystems. Denn, da alles auf Vereinbarung
und Entgegenkommen beruhte, die Ansichten über die Zweckmäßig-
keit aber sehr verschieden waren, so scheiterten die Verbesse-
rungen oft an der Engherzigkeit, Beschränktheit und Kurzsichtigkeit
Dadurch bot man den Staatsposten, die unter zentralisierter Leitung
standen, eine Handhabe, um den Verkehr, sei es durch diplo-
matische Einwirkung, sei es durch Gewalt oder Konkurrenz, an
sich zu bringen. Wo der Einfluß der Hamburger zielbewußten
Leitung aber überwog, ist es selbst den Taxisschen Posten oft
nicht gelungen, das Terrain allein zu behaupten. Das warz. B.
bei dem Lünebuiiger und Emdener Kurse der FalL
IV. Ham bürg - Leipzig.
Die Herstellung einer regelmäßigen Verbindung mit Leipzig
war für den Handelsverkehr sehr wichtig, zumal auf diesem Wege
auch die Sendungen nach Breslau befördert werden konnten. Die
erste Anregung ging von einigen Leipziger Kaulleuten aus, die
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Hamburger Verkehrswesen bis zur Mitte des 1 7. Jahrhunderts. 355
im Jahre 1593 den tnlwurf zu einer Botenordnung nach Ham-
burg sandten. Hier hatte man bereits zwei Jahre früher ver-
anlaßt, daß die nach Leipzig reisenden Boten feste Abgangszeiten
innehalten mußten. Nach mehrfachen Verhandlungen einigten
sich die Alterleute mit den Leipziger Kaufleuten dahin, daß je
zwei Boten aus Hamburg die Reisen ausführen sollten. Jeder
von ihnen sollte die Sendungen in einem geschlossenen Felleisen
bis Gorleben beiordem und die Satteltasche dort mit dem ent-
gegenkommenden Boten auslauschen.*)
Kurze Zeit hindurch wurden die Reisen in dieser Weise
verrichtet, bis mehrere Kaufleute, die anschemend bei der Auf-
stellung der Bolenordnung nicht beteiligt waren, bei dem Leip-
ziger Rat vorstellig wurden. Dieser ließ sämtliche Kauflente
vorladen und forderte sie zu einer schriftlichen Aufkning auf,
ob man das Botenwesen anders einrichten wolle oder nicht. Die
Kaufleute schlugen vor, man solle in Leipzig drei Boten an-
nehmen und nach Hamburg durchlaufen lassen. Trotz des
energischen Widerspruchs der Hamburger Verwaltung entschied
man sich für diese Maßregel und schickte den Hamburger Boten,
der sich gerade in Leipsig aufhielt, einfach ohne Briefe zurück.
Die Hamburger, die sonst vielleicht nachgegeben hätten, waren
über dieses rücksichtslose Vorgehen so empört, daß sie mit gleicher
Münze zahlten und die Leipziger Boten ebenfalls ohne Sendungen
heimschickten. Nunmehr mußte man in Leipzig nachgeben. Vom
Jahre 1595 ab wurden die Reisen zwischen beiden Städten ab-
wechselnd von den beiderseitigen Boten verrichtet
Infolge Cinrichhing einer Postverbindung zwischen Hambuig
und Breslau Aber Berlin im Jahre 1657 verior der Kurs wesentlich
an Bedeutung; er befond sidi aber noch 1675 in den Hfinden
der Hamburger Börsenalten, die von dem Postmeister Lüdeis für
1 1 Karten nach Leipzig das hübsche Sümmchen von 1 300 Mark
damaliger Wlhrung erhielten.
V. Hamburg - Emden.
Das Jahr der Einrichtung dieses Kurses kann nicht mehr
genau festgestellt werden. In einem Schrriben der Emdener Alter-
9 tvmaiimmg mm i. S«L im.
2i*
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356
AIM KttU.
leuie aus dem Jahre 1592 wird erwähnt, daS die Boten vor ge-
raumer Zeit nach und nach angenommen seien. Man wird
den Zeitpunlct also wohl spätestens in die Mitte der achtziger
Jahie verlegen IcOnnen.
Die Zahl der Bolen betrag 1591 vier: drei wurden von
Emden, einer von Hamhutig gestellt Später wurde auf Veran-
lassung der Hamburger eine Stelle in Emden eingezogen (1593)
und die Zahl der Hamburger Boten auf zwei erhöht.
Der Emdener Kurs blieb bis zum 1 9. Jahrhundert im Be-
sitz der Börsenalten; noch bei Übergabe der Post an den Ham-
burger Staat war von einem Emdener Boten die Rede.
VL Hamburg- Kopenhagen.
Die Verbindung zwischen Hamburg und den nordischen
Königreichen war am Ende des 16. Jahrhunderts noch sehr mangel-
haft. Ein von dem späteren König Karl IX. von Schweden in
Stockholm am 31. August 1594 an den Hamburger Rat abge-
s^uuiTer Hrief ^elan^e z. B. erst am 23. September in die Hände
des Hamburger Senats, obwohl die Beförderung im Sommer statt-
fand.') Es entsprach daher einem wirkhchen Bedürfnis, daß im
Jahre 1602 eine regelmäßige Verbindung nach dem Norden durch
die Alterieute eingerichtet wurde.
Die Boten schlugen je nach der Jahrt;szeit einen verschiedenen
Weg ein. Im Winter reisten sie über Rendsburg, Elensburg,
Odense und Kopenhagen nach Helsingor; von dort niis wurden
die Sendungen nach Schweden durch eine Mittelsperson weiter-
geschafft Im Sommer benutzten sie den Weg über Segeberg,
Hdligenhafen, Laaland, Vordingborg und Kopenhagen.
Der dänische Postkurs, der von der Krone Dänemark im
Jahre 1 624 eingerichtet wurde,^) tat den Hamburger Boten großen
Abbruch. Der Bote Dirck Kümhert bekam 1629 nur 20 Briefe
für eine Reise^ und ein in Kopenhagen wohnender Bote, der mit
den Hamburgern abwechselte, erübrigte dabei so wenig, daß er
jede andere Arbeit, die sich ihm bot, annehmen mußte. Obwohl
die Hamburger Alterleute die Reisen mit erheblichen Kosten fort-
') Original mit Notiz über die Ankuntt iiu Hamburger Staatsarchiv (Archiv der
BSneulten)- •> Im Onmde nlditi mdsrat alt dne Art Boknkan.
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Huntmrpr Vorkiclifswcseii Us zur Mitte des 17. Jilifhuiiderts»
^6
setzen ließen, erlagen sie doch, und mußten damit zufrieden sein,
daß das Amt des danischen Postmeisters dem Dietrich Gerbrand
übertragen wurde. Die Ursache dieses jMißerfol^s lag auch hier
nicht an der Mangelhaftigkeit der EinrichtLin^en, sondern an der
Macht des Königs von Dänemark, der seinen Willen einfach
mit Gewalt durchsetzte.
Eine andere Beförderungsgelegenheit nach dem Norden bot
sich Ober Lübeck und von dort ab weiter auf dem Seewege.
Der Botenkurs nach Lübeck war im Jahre 1592 eingerichtet
worden und stand unter der Aufsicht der Hamburger Alterleute
sowie des Kollegiums der Scbonenfalsrer in Lübeck.*) Dieser Kurs
blieb auch spSler im Besitz der Mterleute.
VIL Hamburg - Amsterdam.
Dieser Botenkurs ist für Hamburg stets von größter Wichtig-
keit gewesen. Ursprünglich war der Briefverkehr nach den
Niederlanden durch die nach Antwerpen reisenden Boten ver-
mittelt worden. Als diese ihre Reisen einstellen mniiten, viel-
leicht schon etwas eher,*) entschloß man sich, zwischen Amsterdam
und Hamburg besondere Botengänge einzurichten.
Der großartige Aufschwung des Handels in Amsterdam
rief einen regen Verkehr zwischen beiden Städten hervor. Infolge-
dessen wurde der Botenkurs Hamburg - Amsterdam eine der
entwickeltsten und einträglichsten Verbindungen. Die große
Schnelligkeit, mit der die Boten reisten, die Regelmäßigkeit, die
ihnen die Beschaffung von Fuhrmitteln erleichterte,*) sowie der
kriegerische Schutz, der ihnen in unruhigen Zeiten gewährt wufde,^)
brachten es mit sich, daß die nach Amsterdam reisenden Kauf-
leute sich ihnen anschlössen. Der Wagen der Amsterdamer Boten
wurde bald eine Art Postkutsche, die erhebliche Nebeneinnahmen
schuf. Diese Reiseart war für damalige Zeiten überhaupt ver-
hältnismäßig günstig, wenn auch infolge der kriegerischen Er-
>) Oemeinschaftliche Botenordnung vom i. März 1625.
*) Der gpamie Zd^ninld ist am den Arcbivalicn nicbt mehr zu ermitteln.
^ Die Ftehrtciite hMtrn ttdi far Zeit der Animitft der Bolen mit fliren Fahrwerlieii
bereif
*) 1614 z. B. 4 Musketiere. Allerdings lieUcn sich diese in der Orafschait ücnthcim
WH 7 Rcftarn ohne Oefonrchr betwingat.
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558
Alfred Karil.
dgnisse FkWt, wie im Jabre 1645, vorkamen, wo die Boten und
Passagiere in Ermangetung eines Wagens mit Sack und Päick von
Zeven nach Buxtehude laufen muSten.
Abgesehen von den Störun^^en durch Truppen märsche während
des Niederländischen und des Dreißigjährigen Krieges, hatten die
Boten nicht selten mit der Ungunst der Wege und des Wetters
zu kämpfen. Besonders in Holland kam es wegen der eigen-
tumlichen Bodenbeschaffenheit gewiß häufig vor, daß die Boteo
ihren Weg ändern mußten »fan wegen des watters und des ises
denn idt wolde nicht holden ock nicht brecke«.
Bn Zwischenfall anderer Art ereignete sich im Jahre 1595.
Als der Bote ntailich auf der S^lfiahrt von Harlingen nach
Amsteidam durch einen heftigen Sturm aufgehalten wurde und
mit dreitägiger Verspätung vor Amsterdam ankam, mußte er zwei
Tage vor der Stadt liegen bleiben, weil man die Tore nicht öff-
nete, um einen aus dem Gefäaguis entsprungenen Verbrecher
besser suchen zu können!
Die Reisen fanden einmal wöchentlich an bestimmten, aber
oft veränderten Abgangstagen statt, bis die Amsterdamer Kauf*
mannsältesten im Jahre 1596 den Versuch machten, eine zwei-
malige Verbindung mit Hamburg herzustellen. Sie hatten wunder-
barerweise keinen Erfolg, weil die Amsterdamer Kaufleute, anstatt
der Verbesserung zuzustimmen, Klage darOber führten, weil es
ihnen zu mühsam falle, zweimal in der Woche zu schreiben!
Die Boten reisten, sobald sie den geraden Weg benutzen
konnten, über Wedel, Stade, Bremervörde,') Bremen, Lmgen und
Amersfoort, sonst von Bremen über Apen, Emden und Groningen.*)
Als die Amsterdamer Boten im Jahre 1606 Lingen nicht pas-
sieren konnten, und bei der Reise über Emden die Briefe durch
verschiedene Hände ginf^^en und oft 18 bis 20 Tage untenvegs
waren, nahmen die Ailerleute m Hamburg vier i»extraordinarie«
Boten an, die für jene die Reise verrichteten Dies gab Anlaß
zu einem vierjährigen Streit Nachdem man nämlich in Amsterdam
>) D«r ZoUtwamte in Bremervörde hielt tttag dinof, daß die Bolen flidrt ctm
Aber Zeven rdita and so den Zoll umgingen.
4 Von 1M7 ib iber ZnUlami.
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Hambluger Verkehrswesen fob zur Mitte des 1 7. Jahrhunderts. 359
fQr die dortigen Boten Pfisse*) fiber Lingeii ausgewirld hatte
behidlen die Hamburger Alterieute die außergewöhnlichen Boten
int Dienst, um zweimal wöchentlidie Reisen nach Amsterdam
dnzufOhren. In Amsterdam war man einer Vermehrung der Be-
förderungsgelegenheiten ohnehin abgeneigt; die Änderung, die den
Anteil beider Städte am Verlcehrswesen etheblich versdiieben
mußte, stieß deshalb auf großen Widerstand. Die Hamburger
hielten trotzdem an ihrem Plan fest, weil sie eine wöchentlich
zweimalige Reise durchsetzen und der Nachlässigkeit der schon
anspruchsvoll gewordenen regchnäßigen Boten entgegentreten
wollten. Auch wünschten sie der Vermittlung der Boten von
Süide') enthoben zu sein.
Die vorgeschlagene Vermehrung der Verbindungen bedeutete
entschieden einen großen Fortschritt; denn der günstige Anschluß,
der hierdurch an die anderen Botenkurse erreicht wurde, er-
möglichte eine weit schnellere Beförderung der Durchgangs-
sendungen als bisher.^) Um so unverständlicher ist das Verhalten
der Amsterdamer Alterieute, die sich von 22 Kaufleuten be-
scheinigen ließen, daß die neuen Boten ganz überflüssig wären.
Dies Verfahren war sehr einfach; es fanden sich also leicht
31 Kaufleule, die in Hamburg gerade das üegenteil bescheinigten.
Als man mit Vernuntigrunden nicht mehr durchkam, versuchte
man es in Amsterdam mit Totschweigen, brach unter offenbar
nichtigen Grfinden die Verhandlungen mit dem Hamburger Be-
auftragten ab und begnügte sich damit, von Zeit zu Zeit gegen
die neuen Boten zu protesüeren. Erst als der Aiiisterdamer Rat
sich in die Angelegenheit mischte, nahm man zwei neue Boten
an und verstand sich zu einer Vermehrung der Reisen. Die vier
Boten sollten mit diesen beiden so abwechseln, daß auf jeden Ham-
burger Boten nur eine, auf jeden Amsterdamer zwei Reisen in der-
selben Zeit fielen. Obschon diese Abmachung nicht vorteilhaft fQr
Hamburg war, gaben die dortigen Alterieute doch ilue Zustimmung.
>) Auch die Hamburgrr Boten führten Pässe bd ticb. Es wurden z. B. 1S83 dner,
iS8S Ms IS87 je vier, i $83 fünf Pässe für die aadi kmtkfim idwJai Bof «Mgcfcrtlgt
9 ScM istd Site der cncIUcbm Krafkak. _
^ Z> 6. honnle dii Brief, nlt (Hcnii neuen Boten im Somubnd aoi Amlcrdm
■bgesandt wurde und Mittwochs in Himburg dntraf, dem Danziger Boten noch nach Lübeck
oadiscModt werden. Es ist äbrigen« interessant, ni sehen, wie die Anschlüsse von den
Altericoten vu AbMWhuif von SptlttnphirtaHdiUMai aatflamtzt worden.
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360 Alfred KarlL
VIII. Hamburg - Danzig.
Ursprünglich waren die Reisen zwischen Antwerpen und
Danztg durch Boten aus Antwerpen ausigieführt worden. Mit der
Übersiedelung des hansischen Kontors nach Amsterdam gin^^ der
Danziger Kurs auf diese Stadt über; daneben reisten manchmal
auch Emdener Boten bis Danzig.
Alle diese Boten verkehrten jedoch sehr unregelmäßigb Eine
Verbesserung fiat erst dann ein, als die Hamburger Alterleute
1 593 drei vereidigte und hautionsfiUiige Boten annahmen, die auf
dem Wege zwischen Hamburg und Stettin die Orte LQbeck,
Wismar, Rostock, Demmin, AnkUim und.Uedcermfinde berQhren
und 14tägig verkehren sollten.
Audi die anderen Boten, die vorl&ufig ihre Re^ fort-
setzten, wurden von den Alterleuten nutzbar gemacht. Sobald
der Postmeister nämlich 8 bis 10 Briefe nach Danzig hatte und
kurz vorlier ein regelmäßiger Bote abgegangen war, wurden die
Sendungen in einem versiegelten Umschlag von Hamburg oder
Lübeck aus nach Danzig nachgeschickt.
Die billige Beförderung der Briefe auf dem Seewege tat
den Boten im Sommer Abbruch. Man suchte deshalb die Kauf-
leute zu veranlassen, ihre Sendungen auch im Sommer über I^and
zu befördern.') Nicht minder nachteilig' waren die Reisen Amster-
damer Boten nach Danzig zu Martini und während des Thomer
Marktes^ der regsten Geschäftszeit im Osten.*)
Vom Jahre 1 597 ab reiste jeden Montag einer der Boten
nach Danzig.^) 1625 einigte man sich mit Danzig dahin, daß die
Reisen von beiden Orten nur noch bis Stettin stattfinden sollten,
und daß ein Poshndster in dieser Stadt eingesetzt werden sollte.
Gleichseitig war beabsichtigt, Reitposten einzuführen, ein Pbm,
der in letzter Stande scheiterte.*) Trotzdem wurde der Post-
meister In Stettin eingesetzt.*) Eist 15 Jahre spAter entschloß
I) Hierauf wird auch die Bestimmung der Amtterdamcr Botototdaung zieloi, die
für Briefe, «ddie von Sdriffem oder Kauncoten den Boten znr Bcftdlnng Im Orte fibcr-
geben wurden, die hohe Oebühr von 3 Stöbern feitoetsle. Du Pofto ttr dncn Brief von
Danxig nach Amsterdam betrug nur 4 Sttllw.
^) Sic «nirden zur F.rzielung ßleichnuißiger Postvtrbindungen eingestellt.
S) Voa 1597 ab 4 Boten. Ihre Herbofe in Danzig war der «Vcrlofcne Sohn".
^ Die OrAnde dafir thid ntdrt befcanaf.
») Der von ihm nhgeteistete Fid spricht von Hambvi|er md Danziger PoatrdicrTi,
zeigt also der Form nach deutlich die geplante Neuerung.
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Hamburger Verkehrswesen bis zur Mitte des 1 7. Jahrhunderts. 36 1
man sich, die Reitposten zwischen Danzig und Stettin einzu-
richten, während von dort nach Hamburg die Boten in bisheriger
Weise verkehrten. Selbst die Begünstigungen, welche die
schwedische Regieriinfr den Boten erweisen wollte, weil ihr aus
politischen üründen viel an der Einführung der Reitposten ge-
legen war, übten nicht die beabsichtigte Wirkung aus. Elxnso
mißlang der Versuch des kaiserlichen Postmeisters Samigliano in
Hamburg, eine reitende Post nach Danzig einzurichten, um die
Alterieute so aus ihrem Besitz zu drängen. Man sah jedoch in
Hamburg ein, daß die Einführung der Reitposten nicht Ulngier
hinauszuschieben war, und einigte sich im Jahre 1648 mit Danzig
dahin, diese Beförderungsart auf die Strecke Hamburg - Stettin
auszudehnen. Im Anschluß daran u-urde eine gleichartige Ver-
bindung auf dem Kurse Hamburg - Amsterdam hergestellt.
Obgleich in den letzten Jahren nur die Ungleichheit der
Entfernungen Hamburg - Stettin und Stettin - Danzig sowie sonstige
Mdnungsverschiedenhcitett eineii entscheidenden Schritt verhindert
hatten, so bestand doch unverkennbar in Hamburg eine grund-
sätzliche Abneigung gegen die Reitposten. Dieser Ständpunkt
der sonst so fortschrittlich gesinnten Alterleute ist nur dann ver-
sttttdlkh, wenn man bedenkt, daß mit der Einführung der Reit-
posten zwar eine Beschleunigung in der Oberkunft der Briefe
erzielt wurde, daß die Änderung aber auch gewisse Nachteile im
Gefolge hatte. Man verior mit den faüirenden Boten gewisser-
maßen eine Personen- und OQteipost Auch mancher wertvolle
Anschluß ging verlofcn; denn die Boten hatten sich bisher an
den Zwischenorten einige Zeit aufgehalten. WIhrend dieser Zeit
konnten die im Orte ansissigen Kaufleute die von jenen mit-
gebrachte Korrespondenz bearbeiten und den Boten vor der Weiter-
reise noch Briefe für die weitergelegenen StSdte mllgeben, in denen
die von Hamburg oder Amsterdam mitgeteilten Börsennotizen
schon berUckskhtigt waren. Das fiel nun fort Man kcrnnte in
Zukunft erst die nlchste Post hierfOr benutzen. Für Sfldte wie
Lübeck, Wismar, Rostock war dies ein empfindlicher Obelstand,
der erst später durch Vermehrung der Postverbindungen ausge-
glichen wurde. Im Grunde lag die Sache also so, daß den Kauf-
leuten durch die politischen Ereignisse und durch die Konkurrenz
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362
Alfred KariL
der Staa<sp06ten Einrichtungen aufgedrängt wurden, die - voraber-
gehend wenigstens - eher Nachteil als Nutzen fflr sie brachten.
Denn daß die Alterleute keineswegs kurzsichtig und kleinlich
handelten, sieht man daraus, daß sie sofort auch auf der Strecke
Hamburg Amsterdam die Reitposten einführten, was sie sicher
hinausgeschoben h;itten, \\ are es ihnen nur darauf angekoiiinicn,
solange als luugiich an dtn alten Einrichtungen festzuhalten.
In der Mitte des 17. Jahrhunderts hatte das Hamburger
Postwesen seinen Höhepunkt schon überschritten. Die folgende
Zeit war eine Periode langsamen, aber unaufhaltsamen Verfalls.
Die Leitung der Verkehrsanstalt ging an andere Männer über, die
für die Allgemeinheit nichts, für ihren eigenen Geldbeutel desto
mehr übrig hatten. Die großzügige Verwaltung ihrer Vorgänger
wich einem kleinlichen Monopolsystem. Dieser Wechsel hatte
seinen Grund darin, daß die späteren Leiter des Postwesens wohl
den Namen mit den Gründern der Verkehrsanstalt gemeinsam
hatten, aber die Eigenschaft als Vorsteher der Kaufmannschaft
nicht mehr besaßen. Immerhin gelang es ihnen, allen Anfeindimtjcn
zum Trotz, ihre Selbständigkeit zu bewahren. Erst im 19. Jahr-
hundert stellten sie ihre Tätigkeit ein, weil der Hamburgische
Staat ihre Verkehrseinrichtungen übernahm, um sie zur Staats-
post umzuwandeln.
Die Entwicklung des Hamburger Verkehrswesens hat eine
besondere Bedeutung für die Kulturgeschichte, weil die Be-
fördeningseinrichtungen aus dem Rotenwesen hervorge^ngen
sind und sich allen Wandlungen der Jahrhunderte angepaßt haben,
während sonst das Botenwesen in der Regel nach kurzem oder
längerem Kampf von den Posten unterdrückt wurde.
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Der Einfluß der Juden
auf die Leipziger Messen in früherer Zeit
Von RICHARD MARKGRAF.
II.
Weniger gftnstig war die Besteuerung der Juden, die sich
im Besitze von Ein kauf spftssen befanden. Sie bnucbten zwar
für dngelcaufte Waren - und insofern waren sie den diristen
gletdigestdlt — pro 100 Taler nur 12 Qrosdien auf der Wage
zu zahlen, wddie Summe zur HUfle dem RMe und zur anderen
HSifte der kurfürstlichen Kasse anheimfiel, mußten aber außerdem
vom Werte der Waren, die sie zum Verkauf nach Leipzig brachten,
1 Prozent entrichten.
Am höchsten beliefen sich dte Abgaben der Juden,
die weder Kammer- noch EinkaufepSsse bei sich fahrten und
darum Voll ju den gienannt wurden. Von diesen mußte jeder
Judenherr 6 Taler, jede Frau sowie jeder Diener oder Knecht
3 Taler auf der Wage abgeben oder sich verpflichten, auf der
Messe beim »Ein- oder Ausgange« f&r 600 resp. 300 Taler
Waren einzukaufen, in welchem Falle man pro 100 einen Taler
forderte. Diese Steuern flössen zur HSlfte dem Landesherm und
zur HSIfte dem Rate zu. Außerdem erhielt das Stadtgericht von
jedem Judenherm 4, von jedem Judendiener 2 Taler. In
Summa betrug demnach der »Leibzoll' eines Volljuden in Leipzig
10 Taler 4 Groschen.
Vergleichen wir die Höhe der Steuern, die die jüdischen
Meßfieranten im i s Jahrhundert zu entrichten hatten, mit der
Hohe der Steuern im vorhergehenden Jahrhundert, so finden wir,
daß sich die Abgaben der Juden trotz der Zunahme
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364
Richard Markgraf.
ihres Warenumsatzes nicht verändert haben. Auch war
die Stellung der christlichen Kaufmannschaft, des Rates
und des Kurfürsten zu den Juden noch die gleiche wie
zu Ende des vorigen Jahrhunderts. Dies beweist am deut-
lichsten folgende Tatsache. Am 20. Mai 1718 denunzierten sämt-
liche Krarnenneister einen Juden, der in einem Hause der Reichs-
straße ein offenes Gewölbe hatte. Da dies den Juden laut der
oben erwähnten Judenordnung (16R2) vom Rate bei tOO Taler
Strafe \-erbotcn war, so baten die Krnmermcister, die Sache sofort
untersuchen zu lassen und im Cbertretiinosfalle den Juden zu
bestrafen. Darauf begab sich der » Unter- Marictvoigt" Mathes
Künzel in das Steigersche i-iaus auf der Reichsstraße. Hier fand
er in der Tat, daß ein Jude in einem nach der Straße zu ge-
legenen Gewölbe Damaste und Kleider verkaufte. Der betreffende
Jude erschien auf Vorladung und sagte, er heiße Bernd Lehmann
jun. und sei des »Residenten Lehmanns" Sohn. In bezug auf
das Hnlfen eines offenen Gewölbes befragt, antwortete er, er habe
einen allergnädigsten Befehl, vermöge dessen ihm in Meßzeiten
dn offenes Gewölbe mit Waren zu halten nachgelassen sei. Nach-
dem Bernd Lehmann jun. noch eine Abschrift von dem erwähnten
Befehle zur Einsicht vorgelegt hatte, wurde die Angelegenheit
als erledigt betrachtet
Allein der Streit Ober die offenen Gewölbe ruhte nur kurze
Zeü Bereits im Jahre 1 722 brach er von neuem aus. Mit ihm
zugleich begann der Streit über den Hausierhandel Veran*
lassung dazu gaben die Juden den Krämern und Kaufleuten
Leipzigs dadurch, daß »e den Meßhandel Ober die ^selzlidie
Frist ausdehnten und auch ohne Erlaubnis Hauaerhandel trieben.
Am 20. April 1723 verordnete daher der R^t, dafi den hau-
sierenden Juden die Ware durch die Sladtknedite weggenommen
werden solle. Doch scheint dieses Veriiot auf die Juden wenig
Eindruck gemacht zu haben; denn schon tags darauf wurden
sedis Juden, die hausieren gegangen, in obiger Weise bestraft
Auch hatten einige derselben bei ihrer Festnahme versucht, durdi
Bestechung der Oeriditsknechfe sich der S/tnh zu entziehen. So
bot z. B. Philipp Moses, ein Jude aus Köthen, dem Oerichis-
knecbt vier Groschen sechs Pfennige, »damit er ihn gehen lassen
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Der Einfluß der Juden auf die Ldpciser Messen In frfiherer Zdt II. 365
möchte«. Mehrere Juden, die infolge Hausierens vom Stadtgerichte
vorgeladen wurden, sagten aus, daB ae nicht hausieren gewesen
seien, sondern »von einem freniden Herrn bestellt worden wiren'.
Zum Schlüsse jeder Verhandlung wurde gesagt, »es solle die
Sache noch weiter untersucht werden". Am nächsten Tage (dem
23. April 1723) gab man den hausierenden Juden unter aus-
drücklicher Verwarnung die ihnen weggenommene Ware zurück.
Ungefähr ein Jahr später gestattete der Kurfürst den Juden,
während der ersten Meßwoche Hausierhandel zu treiben, indem
er den Leipziger Rat veranlaßte, den Petenten auf der Akzis>
einnähme die erforderlichen Zettel für die genannte Zeit auszu-
händigen. Die Juden machten von der Gnade Augusts des Starken
den ausgiebigsten Gebrauch. Sie eröffneten nidit nur «im Brühl,
sondern auch in der Reichssbafie an den gelegensten Orten und
neben den cbristlicfaen Kaufleuten groBe, mit allerhand kosOiaren
und gemeinen Waren angefüllte Gewölbe«. Auch erlaubten sie
sich, an Sonn- und Festtagen im ganzen und einzelnen zu ver»
kaufen, die Waren auf der Straße und in den Häusern fnlzu-
bieten und «seihst noch hmge nach Schluß der Messe damit
zu kontinuieren«.
Infolge dieses Mißbrauches der kurfürstlichen Gnade brachten
die Juden ihren eigenen Schutzherrn gegen sich auf, so daß August
der Starke das am 7. März 1731 gegebene und am 20. April
erweiterte und an der Börse affigierte Patent betreffs des Handels
der Juden in Leipzig am 3. September desselben Jahres zurück-
zog und das Reskript dahin erweiterte, daß die Juden keine Ge-
wölbe gegen die Gassen haben noch des Sonn- und Feiertags
handeln und verkaufen dürften sowie des einzehien Ausschnittes,
Ausniessens, des Hausierens und Verkaufs in der Zahlwocbe und
hernach gänzlich sich enthalten sollten.
Zirka dreißig Jahre teng verstummten dte Petitkmen um
Beschränkung der Juden im Handel. Erst als Ldpdg durch den
Siebenjährigen Krieg finanziell sehr geschädigt worden war,*)
machte sich das jfidische Element wieder in ziemlich aufbllender
Weise bemerkbar. Insbesondere trat von jetzt an wieder das
^ Dl^ KM BIMniBaim, GocUcUe der Ldpctger Kmner-Iiinmg; S. I3'f.
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366
Richard Mirkgnd
Bestreben der Juden offen zutage, sich in Leipzig dauernd
niederzulassen. Bereits während des Krieges hatten sich viele
Juden unter Angabe eines fingierten Berufes «nach Leipzig ge-
schlichen, steh mit Oddumsalz zu schaffen gemacht und in ganz
frecher Weise« Handel getrieben. Kein Wunder, daß die Kiamer
und lOmfleute am 26. AUrz 1763 von neuem gegen die Juden«
Schaft beim Rate vorstellig wurden, worauf der Rat am 6. April
1 763 die sich in Leipzig aufhaltenden jüdischen Händler zur
sofortigen Abreise auflorderte. Im Falle des Ungehorsams würden
ihnen die Waren konfisziert und gegen sie selbst Zwangsmaß-
regeln angewandt werden.
Doch auch dieser ernste Erlaß scheint auf die Juden keinen
Eindruck gemacht zu haben; denn bereits am 12. Dezember 1763
baten Deputierte der Kramer, Kauf- und Handelsleute, die in der
Verordnung vom 6. April 1763 angedrohten Zwangsmaßregeln
zur Ausführung zu bringen. Die jüdischen Händler, wie z. B.
der Münzjude Levi, femer Aaron Levi, Israel Pheubius, Hirsch
Moses und Daniel Jod, kehrten sich jedoch nicht an das Gebot
der Ausweisung. Am 15. August 1766 hielten sich U, am
9. September 12 und am 30. Oktober desselben Jahres 11 Juden
außer der Zeit der Messe in Leipzig auf. Da dies gegen Jene
Verordnung verstieß^ so baten Deputieite der Knuner, lOiuf-
und Handelsleute abermals um Wegweisung der jüdischen
Händler, die in der angeblichen Eigenschaft von Bedienten
sich eingeschmuggelt hatten, im Grunde aber des Handels
wegen nach Leipzig gekommen wären. NamentUch Ixiten sie um
Entfernung eines gewissen Feibisch, der »offenbar verschiedene
Handels-Negotia betreibe«.
Auch die Goldschmiedeinnung hielt es für nötig, in
einem Schreiben beim Rate (am 16. Juli 1767) gegen das Tun
und Treiben der Juden vorsteliig zu werden und ihn um deren
Ausweisung zu bitten. Die Petenten klagten, daß die Juden in
und außer den iWessen offene Läden im Brühl hätten und durch
ihren Handel nicht bloß die Goldsdiimede, sondern auch das
Publikum und den Lnndcsuirsten schädigten. Den Goldschmieden
entzögen sie durch ihre Metalleinkäufe viele Gold- und Silber-
waren, Ja selbst Juwelen. Das Publikum würde von den Juden
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Der EinflttS der Juden auf die Leipziger Messen in früherer Zeit II. 567
dadurch benadilriügt, daB viele Juden gestohlene Sadten auf-
lauften. Das hindesherrliche Interesse litte insofern, als die Juden,
wie aus den Büchern der Wardeincn zu ersehen sei, gemfinztes
Geld einschmölzen, Silber einkauften und außer Land schafften.
Zur Unterstützung ihrer Beschwerde beriefen sich die Gold-
schmiede auf den ihnen vom Kurfürsten bestätigten lunungs-
artikel, laut dessen niemand, er sei denn ein Goldschmied, in
Leipzig außer der Meßzcit Gold oder Silber abtreiben, legieren
und schmelzen noch Juwelen m offenen Läden auslegen oder in
Wirtshäusern verkaufen dürfte.
Um dem Rate em möglichst vollkommenes Bild von dem
schädlichen Einflüsse der damaligen jüdischen Meßfieranten zu
entrollen, ließen die Kauf- und Handelsleute ihrer zweiten Petition
eine dritte folgen, in der sie die Juden anklagten, daß ihr »Oe»
werbe« g^ßtenteils in Wucher bestände. Für keinen Ort aber
wSre dieser von so unbeschreiblichem Schaden wie fQr die stark
frequentierte Univeraittt Leipzig. uDie Juden«, so sagten die
Petenten in der BegrQndung ihrer Beschwerdeschrift «bcgflnstigen
und unterstQtzen jugiendtiche Gemflter durch wucherische Vor*
Schüsse in ihren Ausschweifungen und sind dadurch oft Ursache,
daß junge Leute nicht nur von ihrem eigentlichen Zweck abge-
IDhr^ sondern oft auch ganz unglflcklicfa gemacht werden. Auch
verleiten manche Juden nicht selten Handelsdiener und Jungen,
Marfcthellier und andere Diensflwten zur Untreue, Dieberei und
Partiererei, nehmen von ihnen gestohlene Sachen an, verkaufen
sie heimlich oder schaffen sie auswärts, wozu sie durch ihre Be-
kanntschaft und Verbindung mit den Juden der angrenzenden
Länder gar gute Gelegenheit haben.«
Infolge dieser wiederholten harten Anklagen sah sich der
Rat (am 21. Dezember 1 767) abermals genötigt, durch das Stadt-
gericht die seit letzter Messe hier weilenden Juden mit Aus-
nnhme der »in der Verordnung \'om November n. c. crenannten
Personen Gert Levi und Baruch Aaron Levi sowie deren Familien
nebst dem alten Schuldiener Hirsch Moses* zum Verlassen
der Stadt anzuhalten.
Das Stadtgericht zögerte jedoch mit der Ausführung der
Verordnung^ und so blieben die jadischen Meßfieranten ruhig
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368 Ridniü Murkgnf.
in Ldpzig wohnen und trieben ihnn Handel ungeslArt weiter. i
Offenbar hofften sle^ auf diese Weise allmählich das Recht der
Ansftssigkeit zu erlangen.
Einen ebenso untrüglichen Beweis fflr das Bestreben der
Juden, sich in Leipzig dauernd niederzulassen, gaben die
jüdischen Meßh'eranten durch ihr Verhalten gegen das Ratspatent
vom 13. März 1 7 52, nach welchem den zur Messe kommenden
fremden Kaufleuten erlaubt war, ihre Waren Montags vor Ein- [
läutung der Oster- und Michaelismesse und am vierten Tage
nach Weihnachten auszupacken. Die Juden öffneten ihre Ge- ^
wölbe bereits vor der gesetzlichen Zeit und verkauften, als ob
die Messe schon begonnen halte. Dadurch gaben sie den christ-
lichen Kaufieuten abermals Anlaß, den Rat zu ersuchen, den
jüdischen Meßfieranten den längeren Aufenthalt in Leipzig zu
untersagen. Zugleich baten sie auch den Rat, diese Maßregd
nicht auf Baruch Aaren Levi und Salomon Spiro auszudehnen, i
da diese beiden sowohl während des Siebenjährigen Krieges als
auch nach Ausgang desselben durch Vorstreckung beträchtlicher
Geldsummen der Stadt ersprießliche Dienste geleistet hätten.
Der Rat scheint in Rfidcsidit auf das Wohlwollen des Kur-
fürsten, das dieser gegen die Juden bekundete, nicht zur Voll-
streckung seiner Strahindrohung von fünbig Talent geschritten
zu sein. Zu dieser Annahme berechtigt eine Bemerkung der
Leipziger Kramerdeputierten in einem Schreiben an den Rat vom
24. September 1766. Die Qesuchstellcr baten, der Rat müßt
durch wirkliche Beshafung derer, die dawider handelten, die Ver-
ordnung vom 13. März 1752 wirksam machen und aufrecht er-
halten, damit es kund werde, daß es mit dieser Veranstaltung |
ernstlich gemeint sei. Da das erwähnte Patent vergriffen war,
so nahm man am 13. September 1 76 7 auf AnUag der Kramer-
innung einen Neudruck desselben vor. Zu einer Einhändigung
des Patents an die fremden Kaufleute aber konnte sich der Rat I
vorläufig nicht entschließen. Erst im September 1 7 69 erfolgte
auf ein abermaliges Bittschreiben der Kramer und Kautleule die |
■ Distribution" von Gewölbe zu Gewölbe. ^
Die jüdischen Meßfieranten ließen jedoch infolge der
zögernden Stellungnahme des Rates das Patent unbeachtet i
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DerBnfluBderJiidfliiiifdkl^pKigvMesaatmlrfihcpa-Zdi II. 359
Und 80 sahen sich am 12. Septemher 1776 die Knmer und
Kaufleute abermals g^ötist den Rat um Ausgabe des Avertisse-
ments vor Eintritt der bevorstehenden Messe zu ersuchen, Se
erboten sich sogar» die Druckkosten zu tragen, wenn einer ihrer
Aubeher bei der Verteilung des Patents Anleitung geben dürfte,
bei welchen Personen die eigenhändige Abgabe desselben be-
sonders nötig sein möchte.
Das Patent wurde an zwei Ecken des Brühls und zwar an
der Ecke der Katharinenstraße und an der Halleschen Straße auf
zwei Tafeln bekannt gegeben. Doch hinderte auch diese augen-
fällige Bekanntmachung die Juden keineswegs, die Messe vor
der festgesetzten Zeit zu beginnen. Sie eröffneten die Ge-
wölbe, wie aus einem Schreiben der Kürschner an den Rat vom
26. April 1781 zu ersehen ist, sogar drei Wochen vor Ein-
läutung der Messe. Kein Wunder, daß die Klagen der Kramer
und Kaufleute gegen die Juden nicht verstummen wollten. Sie
dauerten nachweislich fort bis zum Jahre 1788. In diesem Jahre
baten die Krämer abermals um Verteilung des Avertissemenls»
da wieder gegen dasselbe gehandelt und dadurch der Kaufmann-
schaft bei den ohnehin schlechten Zeiten großer Schaden zu-
gefügt worden wftre. Der Orund dieses Übelstandes UIge nach
Ansicht der Kramer und Kaufleute vielleicht in dem Alter des
Patents. Darum baten sie um Neudruck der Verordnung, um
Bekanntmachung derselben in den Leipziger Zeitungen und um
Einhändigung der Verfügung an die Torscfardberi damit diese
jedem fremden Kaufmann oder Falnikanten bd seiner Ankunft
ein Exemplar überreichen könnten.
Am 1 5. September 1 788 erneuerte der Rat das Patent und
zwar mit folgendem Zusätze: »Da leuler bisher wahrzunehmen
gewesen ist, daß dieser Anordnung vielfach zuwider gehandelt
worden, so hält der Rat es für nötig, dieselbe hierdurch zu
wiederholen in der Erwartung, daß sie hinfort genauer als bis-
her befolgt werde und der Rat nicht zur Vollstreckung der
in dem Patente angedrohten Strafe von SO Taiern sich veran-
laßt sehen mög^e."
Etwas empfmdlich scheint diese Verordnung die Juden doch
berührt zu haben; denn bereits am 26. September 1 788 wurden
ArMt Ar KnMuiiadilcfalB. V. 24
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370
Richard Miri^pif.
l
I
einige jüdische Rauchwarenhändler weg^en derselben beim Rak
vorstellig. Die Petenten glaubten, daß ihnen durch jene Verord-
nung ein nicht wieder zu ersetzender Schade zugef> werden da
ihre festzusammengescbnflrte^ weitgefOhrte und von der Sonne
warm gewordene Ware^ wenn man sie nicht gleich auspacke^ aus-
klopfe und sortiere^ »dem Wurmfntße und anderer Ungelcgenlieit«
ausgesetzt sein würde. Dflrfe das Auspacken erst nach Ein-
Iftutung der Messe geschehen, so würden sie damit die ^^uize
erste MeOwoche zubringen, wahrend sie doch in dieser Zeit
verkaufen möchten.
Da der Rat den jüdischen Petenten kein Gehör schenkte,
so ignorierten sie die Verordnung und trieben ihren Handel in
derselben Weise weiter. Wahrscheinlich hoifieii sie durch landes-
herrliche Gunst auch diesmal straffrei auszugehen. Und hierin
haben sie sich vielleicht nicht getauscht, wenigstens findet sich
keine gegenteilic^^e Nachricht vor.
Trotzdem die jüdischen Meßficrantcn beim Rate weniij; Ent-
gegenkommen zu hoffen hatten, hielten sie doch an läcin Be-
streben zäh fest, in Leipzig seßhaft zu werden. Ein neuer
sprechender Beweis hierfür ist die seit dem Ende des 18. Jahr-
hunderts immer stirker werdende Zahl ihrer an den Rat ge-
richteten Petitionen, worin sie um Erlaubnis zur Nieder-
lassung baten. Vielleicht gaben sie sich hierbei der Hoffnung
hin, daß ein rechtliches Mittel eher zum Ziele fahre als die
Nichtbeachtung gesetzlicher Verordnungen. Der Rat fand jedoch
Iceinen g^flgenden Orund, den Petenten Oehdr zu schenken, und
bescfaied aile ihre Gesuche alischUgig. Niditsdestowemger setzten
sich von 1 788 an verschiedene jüdische MeBfieranten in Leipzig
fest, und der Rat sah sich in Rildcsicht auf den giegen die Juden
gQnstig gesinnten Landesfarslen außerstande» deren Ausweisung
zu bewirken. Sie wohnten von Jetzt ab nicht nur in der inneren
Stadt, sondern auch in den VorsOdten und hatten ihre Hmdds-
gewGlbe am Ende des 18. Jahrhunderts und in den ersten drei
Dezennien des 19. Jahrhunderts nicht bloß im Brühl und in den
unteren rcilen dci Riucr-, Nikolai- und Reichsstraüe, sondern
überall, wo es ihnen beliebte.
Von dem Bestreben der Juden, immer festeren Fuß in
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Der Einfluß derjiidcn auf die Leipziger Messen {nfr&hcrarZdi II. 371
Ldpzig zu hssm, zeugt aucli der Umstand, daß sie im Jahre ISI8
ati den Landesherm die Bitte rfchteten, zünftige Hand-
werke erlernen zu dürfen. Der Landesherr entsprach am
20. Juli 1818 ihrem Wunsche; allein am 2ü. Oktober 1819 ent-
zog er ihnen auf Drängen der christlichen Handwerivcrinnungen
die Erlaubnis wieder.*)
Die Juden scheinen diese herbe Bloßstellung bitter emp-
funden zu haben; denn mehr als ein Jahrzehnt verging, ehe sie
Mut fanden, mit der Frage der Niederlassung und dem Bestreben,
ungehindert Handel und Qewertie treiben zu können, wieder
hervoizutaeten. Erst nachdem Sachsen eine Verfassung erhalten
halte, wagten sie diese Forderungen wieder geltend zu machen.
Auf die in der Konstihitlon ausgesprochene Gleichstellung
aller Olieder des Steates sich berufend, unterbreiteten sie im
Jahre 1833 der ersten konstitutionellen Ständeveisammlung in
Dresden eine Petition um bflrgerliche Oleichstellung mit
den Christen.*)
Anfangs fand dieselbe weni^^ Anklang. Obg:leich der lYo-
fessor Krug aus Leipzig in der Sitzunt^ der ersten Kammer am
1. März sich der Juden warm annahm und infolgedessen die
Bittschrift der dritten Deputation zur Begutachtung überwiesen
wurde, ging man doch nicht auf die Wünsche der Petenten ein,
da man der Ansicht war, daß der Emanzipation der Juden
ihre moralische Verbesserung vorausgehen mttsse.*)
Trotz dieser Bedingung wurde die Angelegenheit, wie ein
Schreiben der Königlichen Landesdirektion vom 28. November
1834 an den Rat beweist, nicht ad acta gelegt. Die Königliche
Behörde wünschte zu wissen:
1. ob die israelitischen Kinder in Leipzig bisher Erlaubnis
zur Erlernung zunftmäßiger Gewerbe erhalten hätten,
2. ob die Bestimmung fQr die Leipziger Juden noch
existiere, welche denselben verbot, in den Vorstädten zu
wohnen, und
1) Sidori, Geschichte der Jaden ia SMhwn. S. 105.
s; vgl. Sidori a. a. O. S. III.
i) FUtb^ OeKUcMe da Katttuk» niid des KBnlpcIdN SaduMii, I, 495.
24»
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372
Richard Marlcgiaf.
3. ob die Juden in Ldpseig vom Betriebe der Speise- und
Schankwirlsdiafteii ausgeschlossen wiren.
Hierauf antwortete am 26. Mfln 1835 der Rat durch den
Stadtrat Friedrich Mililer m einem Sdireibenp*) dem er zu-
gleich sein Gutachten anfügte, daß die Juden ihre Wohnungen
und Handdsriiume ganz nach Belieben wfthlen konnten. BczOg-
lidi der Beschränkung im Gewerbe teilte er mit; daß die Juden
vom Betriebe zünftiger Gewerbe ausgeschlossen wären, ferner,
daß die in Leipzig wohnenden Juden außer der Messe nur Klein-
handel und die fremden Juden nur während einer Woche der
Messe diesen betreiben dürften. Die Ausschließung der Juden
vom zünftigen Gi'\vL'rbe läge darin begründet, daß ein jüdischer
Lehrling bei seiner Autnahme in die Lehre eines Taufzeugnisses
oder eines ausführlichen Geburtsbriefes bedürfe. Auch müßte
man der bekaniiteti llrsachen gedenken, welche die Meister der
Aufnahme eines jüdischen Lehrlings abgeneigt machten. Am Be-
triebe unzünftiger Gewerbe seien die Juden nicht gehindert, doch
hätten sie bisher keine besondere Neigung dazu gezeigt Vor allem
besäßen sie eine unüberwindliche Scheu vor Gewerben, welche
körperliche Anstrengung erfordern. Einmal nur bitte sich ein
Jude zur Fabrikation von Zigarren bequemt^ jedoch nur, um unter
dem Deckmantel eigener Fabrikation die Gelegenheit zum Handel
zu erlangen. In bezug auf die Gleichstellung der Juden mit
den Christen sprach sich Stadtrat MQIler gegen eine sofortige
Bewilligung derselben aus. Zunächst solte man den Juden nur
im Gewerbe einige Rechte zugestehen. Im einzelnen wünschte er,
1. daß jeder Jude, wenn er sich selbständig machen wolle,
also bei seiner Alundigwerdiuig und bei seiner Verhei-
ratung, die Erlaubnis der Regierungsbehörde vorlege,
2. dürfe kein Jude vom Besuche christlicher Schulen aus-
geschlossen sein. Würde der Unterricht von Juden er-
teilt, so müßte er durch Christen beaufsichtigt werden,
3. bewillige man den Juden die Aufnahme in Innungen,
deren Gewerbe den Handel ausschliefie,
4. wäre es von Vorteil, wenn die Staatsregierung dem
») L. It-A. LI, 91, S. 5 tt.
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Der Einfluß der Juden auf die Leipziger Messen in früherer Zeit. II. 373
Meister, der einen jüclisc!ien Knaben in die Lehre niinnit,
eine ansehnliche Prämie gewähre; denn ohne bedeutende
Belohnung würde sich ein Meister schwerlich dazu ver-
stehen, dem Lehrlinge die jüdischen Sitten und Ge-
bräuche zu gestatten. Von dem Rechte eines Meisters^
Lehrlinge und Gesellen halten zu dürfen, mflsse der
Jude ausgeschlossen bleiben. Diese Bestimmung hätte
vieUciGht den Nuten, daß der Jude ein Handwerk wihle^
bei dessen Betrieb er auch schon als QeseHe einen eigenen
Heid haben könne. Da dieser Vorteil besonders bei
Handwerken vorhanden sei, die Körperknrft in Anspruch
nähmen, so wflrde zugteich auch der dem Juden dgen-
tamlidien Verweichlichung entgegengearbdtet Femer
dflrfe der Jude nicht zum Handweilc der Schlosser und
Schornsteinfeger zugelassen werden. Im Handel seien
dem Juden auf keinen Fall weitere Rechte als bisher
einzuräumen.
Wie der Rat, so entschied sich auch das Stadlverord-
netenkoUegium in zwei aufeinander folgenden Plenarsitzungen
(am 20. und 29. Juli 1836) mit großer Stimmenmehrheit Regen
eine sofortige bürgeriiche Gleichslellung der Juden mit den
Christen Die Stadtverordneten waren der Ansicht, daß die Juden
einen bess rcn Unterricht und eine bessere Erziehung "[cniclkn
müßten, elie man ihnen ohne Nachteil für die christlichen F^e-
wohner dauernde Aufnahme in die Stadt und das volle Bürger-
recht gewähren könne. Die Zulassung jüdischer Lehrlinge zur
Erlernung eines Handwerkes sei unbedenklich, sofern das Hand-
werk nicht zu denjenigen gehöre, mit denen ein Handel ver-
bunden sei, so lange ferner kein Handwerker gezwungen wüide^
Lehrlinge anzunehmen, die während der Lehrzeit nicht von ihren
jfldischen Qebrftuchen bissen wollten, und sobald der jQdlscfae
Lehrling nicht eine geringere Schulbildung aufweise als der
christliche. Jfidischen Oesellen, welche die erforderlichen Kennt-
nisse und Fertigkeiten besäßen, kdnnte das Meisterrecht erteilt
werden. Bei Verehelichung und Selbstandigmadiung sollte jeder
Jude die zuständige Behörde um Genehmigung ersuchen.
Endlich fb^ ids letztes Gutachten aber dte Verbesserung
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374 Richard AVarkgraf.
der bürgerlichen Verhältnisse der Juden das von den Herren
Franz Brunner und Albert Dufour am 19. Juh 1836 an
das Ratspienum eingegebene Schreiben, dessen umfansreicher In-
halt, in Kürze wiederpfegeben, folgender ist: Läßt man jüdische
Glaubensgenossen /um Handel zu, so muÖ man ihnen auch die
Gewerbe freigeben, Hs ist eine unbegründete Furcht, daß die
Juden den Erwerb der Handwerker schmälern würden, besonders
wenn man die geringe Anzahl der sächsischen Juden ins Auge
faßt Auch gestatte man den Juden die Erwerbung von Grund-
besitz. Der Grund und Boden ist es» welcher den Menschen
anzieht und ihn am meisten vereddt Der fleißige, geschickte
und ordentliche Christ wiid übrigens niemals die Konkurrenz
der Juden zu fflrchten haben, einen unfleiBigen, ungeschicklen
und unordenüicfaen Mann wird aber eine solche Konkurrenz an-
spornen, seine g^nze Kraft zur Verbesserung seines Geschäfts
einzusetzen. Bei der Wichtigkeit dieses Oegienslandes - denn es
handelt ach um das Wohl mehrerer hundert sächsischer Unter-
tanen — wäre es vielleicht angebracht, die angegebenen Qrflnde
eingehender darzul^en, doch befOrditen die Petenten, hierdurch
zu wdtliufig zu werden; auch glauben sie, da6 das bisher Ge-
sagte die Behörden überzeugen und veranlassen werde, das edle
Prinzip des größten Stacitsnianncs iler Zeil, des Freiherrn von Stein,
- politische und religiöse Freiheit für die ganze Welt — auch
in dieser Anp^eleprenheit zur Geltung zu bringen.
Dieser Fürsprache war vielleicht mit zu danken, daß die
Beschlüsse der beiden Kammern des Landtages Ober die streitigen
Punkte zugunsten der Juden ausfielen. In der Hauptsaclie
wurden die Verhaltnisse der Juden durch zwei Gesetze geregelt.
Das erste, gegeben am 18. Mai 1837, gestattete den jüdischen
Glaubensgenossen in Leipzig, sich in einer Religionsgemeinde zu
vereinigen und als solche für den gemeinschaftlichen Gottesdienst
ein Geblude anzukaufen.^) Das zweite Gesetz, erfassen am
11. August IS38, ordnete die bürgerlichen Verhältnisse der
Juden. Laut desselben wurde den in Leipzig wohnenden Juden
der dauernde Aufenthalt gestattet. Unter den 66 Juden, welche
*) Oetettbtatt von Jahre »97» Si <6.
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Der Einfluß derjuden auf die Leipzigar Messen in früherer Zeit II. 375
1835 bereits in Leipzig außer der Meßzeit anwesend waren,
befanden sich zwei Doktoren der Medizin, ein Schächter und
Lehrer, ein Kantor, zwei Großhändler, drei Wechsler, ein Kra-
watten- und Modewarenfabrikant, ein Tabak- und Zigarrenhändler,
ein Bücherantiquar, zwei Dolmetscher und Meßmäkler, ein Lotterie-
kollekteur, ein Speisewirt, eine Speisewirtin, zwei Strickerinnen,
zwei Näherinnen und eine Trödlerin und Leichenfrau.
Die Niederlassung fremder Juden bedurfte der Ge-
nehmigung des Ministeriums des Innern. Den seßhaften Juden
gewährte man das Bürgerrecht, jedoch mit Ausnahme der stadt-
obrigkeitlichen und politischen Rechte. Femer durfte jeder Jude
nach freier Wahl ein Gewerbe treiben, nur der Klein-, Aus-
schnitt-, Schacher- und Trödelhandel, das Halten von Apotheken,
der Betrieb von Gast-, Speise- und Schankwirtschaften sowie
das Bnmntweinbrennen blieb ihnen untersagL Die Zahl der
jüdischen Meister sollte nie das Verhältnis der jfldischen zur
christtichen Bevölkerung fibeisteigen. Als Lehrlinge durfte der
jfldisdie Meister nur jüdische Knaben annehmen; auch war er
verpflichtet, nur selbstgefertigte Ware zu verkaufen. Endlich stand
jedem Juden frei, in Leipzig ein Gnindstflck zu erwerben, jedoch
durfte er dasselbe nicht vor Abbuf von zehn Jahren verftußem.
Nur bei Eintritt einer Erbteilung trat diese Bestimmung außer KrafL
Die erste Anwendung fand das Oesetz in Leipzig am
7. Januar 1839, indem an diesem Tage der Jude Salomon Veit
das Bürgerrecht erlangte. Damit waten die Juden in ihrem
Bestreben einen bedeutenden Schritt vorwärts gekommen. Ste
sahen sidi nicht nur dem Zustande, stillschweigend geduldet zu
sein, entrückt, sondern erfreuten sich auch im Handel und Gewerbe
teilweise derselben Rechte wie ihre christlichen Mitbürger. Ihre
volle bürgerliche Gldchstellung mit den Christen sollte jedoch
einer späteren Zeit vorbehalten bleiben.
Oberblicken wir noch einmal die Geschichte der Juden
auf den Messen in Leipzig von 1675 bis 1839, so ergibt sich,
daß die jüdischen Fieranten in hohem Maße belebend und
fördernd auf den Leipziger Meßhandel eingewirkt haben. Be-
lebend und fördernd wirkten sie fürs erste durch die Größe ihrer
Einkäufe, indem sie dadurcii /ahlreidie Kauileuie aus den ver-
376
Richard Markgraf.
schiedensten Ländern nach Leipzig zogen und vornehmlich der
Sächsischen Industrie einen reichen Absatz verschafften. Fürs
zweite wirkten sie fördernd auf die Meßgeschäfte durch die
Mannigfaltigkeit ihrer Einkäufe, insofern sie dadurch den Meß-
handei immer vielseitiger gestalteten und die Industrie, besonders
die inländische^ zu immer größerer Mannigfiltigkeit in der Pro-
duktion anspornten. Auf vielen Messen waren die Juden wc;geii
ihrer verschiedenen und umfangreichen Einkäufe sogar ausschlag-
gebend. Belebend und fördernd auf die JMefigieadiäfle wirkfeo
die jüdischen Kaufleute weiter auch durch ihre reichen Zahlungs-
mittel in klingender Mfinze, guten Anweisungen und gern ge-
kauften ausländischen Rohstoffen. Endlich förderten sie den Meß-
handel auch durch ihre sich stetig steigernden Veridluf^, indem
sie dadurch die christlichen Kaufleute zum Wettbewerb drängten
und die Industrie zu immer größerer Vervollkommnung nötigten.
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Besprechungen.
Weltgcschkfate. Unter Mitarbeit von Th. Achelis, Geoiig: Adler usw.
herausg^eben von H.ins F. Helmolt, Bd VI: Mitteleuropa und Nord-
europa. Von Karl Wcule, Joseph Giri^ciibohn, Ed. Heyck, Karl Pauli f»
Hans F. Helmolt, Richard Malirenholtz, NX jihelm Walther, Richard Mayr,
Clemens Klein, Hans Schjöth und Alexander Tille. Mit 7 Karten, 9 Ta-
feln u. t6 Beilagen. Leipzig und Wien, Bibliographisdies Institut, 1906.
(XVin, 630 S.)
Das beionnte Unternehmen Helmolts ist nun glOddich zu Ende
geführt worden: es soll nur noch ein Ergänzungsband erscheinen, der u. a.
das gerade für das vorliegende Werk sehr notwendige Gesamtr^ster
brim^en so!! Denn der Durchschnittsbenutzer wird sich trotz aller be-
gründenden und rechtfertigenden Darlegungen Helmolts über seine An-
ordnung doch nicht so leicht und rasch in dem Werk zuroihtfindeni als
der Herausgeber meint. Ich mödite dabei keineswegs über die Rinzipien
des Onindplans mit dem Hemusgeber rechten. Idi glaube nur, daß man
auch bei Annahme seiner Hauptprinzipien vielfach zu einer vorteilhafteren
und manischeren Anordnung hätte kommen können. Weiter sei bei dem
jetzt erreichten Abschluß des Werkes hervorj^ü hoben - und das geht vor
allem die von unserer Zeitschrift vertretenen Interessen an -, daß unbe-
schadet der Anerkennung einer Reihe von kulturgeschichtlich gehaltenen
Partien die Kulturgesdiichte im ganzen doch bei veitem nidit die Berfick-
siditigung gefunden hat; die man fordern mufi. Und drittens ist trotz der
geographischen Orientierung des Ganzen der (I, 18 f.) mit vollem Recht
betonte Zusammenhang zwischen dem Leben vrie der Entwicklung eines
Volkes und dem Roden, auf dem es wohnt, durchaus tiicht von allen
Mitarbeitern in ihrer geschichtlichen Darstellnnq' benucksichtigt worden.
Hier lag in. E. eine der interes'^ iTit*.stoii /ViifL-al cn lier neuen Weltgeschichte
vor: sie ist von manchen Mitarbeitern, wie gesagt, gar nicht erkannt.
Um nun auf den vorliegenden Band zu kommen, so bestätigt
dieser das eben Behauptete auch seineiseits. Daiflber, daB »Italien vom
6. bis ins 14. Jahrhundert« in diesem, Mittel- und Nordeuropa behan-
ddnden Bande untergebracht ist, hat sich der Herausgeber aufklärend
atisgesprochen Fr hätte dann aber diesen Abschnitt hinter den vierten
(Bildung der Romanen) stellen sollen. Der Abschnitt über die deuteche
Kolonisation hätte doch wohl, wie der Herausgeber selbst halb zugibt,
auf den II. Abschnitt (Die Deutschen bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts)
folgen mfiasen. Abschnitt VI (Westliche Ent<ung des Quistentums)
und IX (Die KieuzzQge) hätten m. E. sehr wohl nebeneinander stehen
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37B
Besprechungen.
können. - Ein Beispiel für die nicht genügende Berücksichtigung der
Kultuigcbciiichte bietet im vorliegenden Bande in besonders auffalligem
Orade die Ailwit von Heyck Ober die Deutschen bis zur Milte des
14. Jahrhunderts, von einigen Partien in dem Abschnitt fiber die Utesie
Zeit abgesdien. Nebenbei gesagt, wundert es mich, daß Heyck, der eben
im Vclhagen und Klasingschen Verlage eine Deutsche Geschichte ver-
öffentlicht hat, für das vorliegende Unternehmen gleichfalls zu einer Dar-
stellung der Deutschen Geschichte aufgefordert wurde. Heyck geht nun in
seiner Bevorzugung der politischen Geschichte so weit, daß der Heraus-
geber, der sich nach der Vorrede doch sonst um die Icleinstcn EHngt^
Stilfiragen, FrcmdvOrteriieBcitigung usw. gekümmert hat, dafSr mit veranl-
wörtlich zu machen ist Warum finden sich denn in dem Beitia^ fiber
frankreich Kapitel wie »Die Kultur im Reiche Karls des Großen*
- dieses Kapitel ergänzt auch für die deutschen Verhältnisse einiger-
maßen die Lücke bei Heyck „Recht, Unterricht und Verwaltung*,
»das Stadtewesen«, »Residenz, Hof und Ade!", »Die französische Gesell-
schaft im 11. bis 13. Jahrhundert*? - Den dritten I^nkt aber, die
Aufzeigung der Zusammenhfinge zwischen Boden und Geschichte, finde
ich nur in einem einzigen der Bdtrige niher berfldcsichtigtf in dem
eisten: »Die geschichtiiche Bedeutung der Ostsee«, dn wenig auch noA
in der geographischen Einleitung zum XI. Abschnitt: OroBlMritannien und
Irland und in derjenigen zum X.: Der germanische Norden.
Doch genug der Einwände, ihre Berechtiguni^ uird nicht zu be-
streiten sein, aber sie gehen aus wohlwollendem Interesse an dem >X'erk
hervor. Und wenn es euimal zu einer Neubeaibeitunji kommt, durien
sie vielteicht ebenso wie manche hi den Besprechungen der firfiheKB
Binde voigebrachten Dinge seitens des Herausgebers zum Vorteil des
Werkes Berfickstchtigung ervarten. Jetzt, hd dem eigentlichen AbschluB
des Ganzen, ist es richtig, vor allem auf die Vorzflge der Gesamtlcistnng
hinzuweisen, und wenn auch die ?7 Mttarhfiter nicht drrchweg. wie es
im Prospekt zu dem vorliegenden Bande heißt, »wissenschaftliche Krnfte
ersten Ranges" sind, so haben sich doch alle mit Eifer ihrer Antrabe
gewidmet und cmige treffliches geleistet, für Vertieluug de:i ge:>cliicht-
lidien Wissens und Erweiterung des geschichtiichen Horizonts in «der
weiten Welt des gebildeten Laien*, auf die das ganze Werk in eisler
Linie zugeschnitten ist, wird es ohne Zweifel die besten Dienste leisten.
Die Fachkreise aber werden vor allem den Versuch, eine wirkliche Uni-
versalgeschichte zu bieten, die Beseitigung der heri^ebrachten Beschränkung
auf bestimmte Völker und Erdgebiete, also wiederum jene Erweiterung des
geschichtlichen Horizonts, zu würdigen wissen.
Georg Steinhausen.
Bte hcUeaisdic Knitnr. Dargestellt von Fritz Baum garten (Fici>
burgi. B.), Fruiz Poland (Dresden), Richard Wagner (Dresden). Mit
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B^prechungen.
379
7 farbigen Tafein, 2 Karten und gegen 400 Abbildungen im Text und
auf 2 Doppeltafeln. Leipzig, B. 0. Teubner, 1905. (X, 491 S.)
Eine zusammcnfräende Dantelluns der gnechtocheii und römischen'
Kultur, unter Verwertung der gesicherten Eigebnisse der Foischung, In
weiterem Umfange, als es bisher von anderer Seite geschehen ist, zu
schaffen, haben die drei genannten Gelehrten sich vereinigt und im ersten
Band, der in sich vöHig abgeschiossen ist, die hellenische Knlttir von
ihren Anfängen bis zum Abschluß ihrer selbständi??en Entwicklung in
der Zeit Alexanders des Groben behandelt, einem zweiten die Schilderung
der Kultur des Hellenismus und des Römervolkes vorbehalten. Das Buch
ist zunichst für die Freunde des Altertums unter den Gebildeten und
für den Unterricht in den Oberklassen der höheren Schulen bestimmt
Die Verfasser verhehlen sich nicht, daß die Anschauungen und Strömungen
in unseren Tagen, \ro weite Krdsc jener wunderbaren dahingesiinkenen
antiken Welt K^f'^^'s^i-'ig. ja feindlich gegenüberstehen, einem solchen
Unternehmen nichi sonderlich geneigt zu sein scheinen. Ist doch auch
in der « isscnschaftlidien Betrachtung der Antike eine bedeutsame Wandlung
vor sich gegangen: das jahrhundertebuig nur zu willig geglaubte Dogma
von efaiem gottbegnadeten Idealvoik der Hellenen, dis krsit seines Genius
sich in gdidmnisvoller Weise mühelos zur höchsten Vollendung empor-
geschwungen, wurde beseitigt, seitdem die Forschung die primitiven
Wurzeln dieser Kraft freigelegt hat. Uner«;chüttcrt ist aber gerade deshalb
die Tatsache geblieben, daß die Völker des klassischen Altenunis eine in
ihrer stetigen Entwicklung und in ihrer schließlich erreichten Höhe einzig
dastehende Kultur besessen haben, die nach wie vor eine Mauptgrundlage
unserer heutigen Kultur bildet Mit Recht ist daher dem Veriie der
bebnnte Aussprudi Jean Riuls als Geleitsspruch vorgesctet; «Die jetzige
Menschheit versänke uneigründlich tief, wenn nicht die Jugend durch
den stillen Tempel der großen alten Zeiten und Menschen (ten Durchgang
zum Jahrmarkt des späteren Lebens nähme "
Was die Verfasser in gemeinsamer Arbeit geleistet haben, verdient
die wärmste Anerkennung, denn sie sind ihrer gewiß nicht leichten Auf-
gabe voll gerecht geworden und verstehen mit sicherem, maßvollem Urteil
die wichtigsten Oesichlspuniite herauszuheben und Idar damtsidten. Daß
hie und da der Zusammenhang in der Auffiusung nicht ganz gewahrt
werden konnte, ist begreiflich und für das Werk im gan2«n nicht wesent^
lieh störend. Poland hat Staat, Leben und Götterverehrung, Baumgarten
die bildende Ki)n«.t, \X agner die geistige Entwicklung und dns Schrifttum
behandelt. Gegliedert ist das Buch in die Abschnitte: Einkitimg (Land
und Leute, Sprache und Religion), das griechische Altertum (mykenische
Zeit, von Baumgarten allein bearbeitet), Mittelalter (1000 —500, in zwei
gleich lange Perioden zerlegt), die Blütezeit (500-300), innerhalb der
letzteren beiden nach den genannten Gesichtspunkten. Auf Einzelheiten
diungehen, hie und da eine abweichende Ansicht zu begriinden, bt hier
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380
Besprechungen.
■
I
nicht der Ort; ich beschränke mich auf einige allgemeinere Bemerkungen.
Sehr gelungen ist Baumgartens Abriß der mykenisdien Kultur; die Ein-
«irfcung des Orients vird auf das rechte Ma8 beschrinkt «In dieser
Zeit war Oriechenland znm mindesten ebenso sdir gebend als emp&msciid
. . . wir haben es mit der ersten Blüte jenes Kunstvermfisens zu ton, das
durch die Dorische Wanderung und die mit ihr ztisammenhän^ndcn
Umwälzungen eine Zeitlang erstickt wtirde das dann iber einige
Jahrhunderte spaier sich wieder auf sich selbst besaun und neue, sch-^^e
Blüten trieb." Der Gang der staatlichen Entwicklung ist von Poiand
Idar gezddinetf die knappen AusfQhiungen fibcr die wirtsdiaftliciicB
Zustände, namentiich die venigen Seiten fiber die hdleniscfae Rdi^oSr
bedfirfen jedoch einer f^ndlichcn Unurbcitung und «esenttidicfli Er« |
Weiterung. Vortrefflich gelungen sind die von Baumgarten verfaßten
Abschnitte über die bildende Kunst. A11crdint:<^ ist e? wohl die dankbarste
Aufgabe in einem solchen Werke, an einem in großartiger Mannigfaltig-
keit mitgeteilten AnschaimnL^smaterial die Denkmäler hellenischer Baukunst
und Plastik zu interprciicic:i üauniganen hat vermöge seiner reichen
Sachloindc die nicht genügen Schvierigkdten, das Rechte auszuviiilcii,
fibcnninden, in den vielen Strdfirsgen mit wohlerwogenem, bcsoancnem
Urteil sich getnfiert und eine lebensvolle, begeisterte und hoffentlidi attdi
begeisternde Schilderung der unvergänglichen Größe von Athen gegeben.
Wagners Darstellung der geistigen Entfaltung des Hellenentiims muß
ebenfalls als eine gediegene Leistung gelten. Die Würdigung Homert
und seiner Kunst ist mit groiiem Geschick entworfen; in der berühmten
Frage wird ein vermittelnder Standpunkt vertreten. In den Abschnitten
über lyrische PMe sind Übersetzungen zumeist ans Oeibels prflchtieem
Uassischen Uederintdi eingieflochten. Bakchytides' Dichtung, wie sie in
den 1897 gefundenen Liedern uns entgegentritt, Pindais gewaltiger Sang,
die drei großen Tragiker, Aristophanes' Kunst werden mit feinem Ver- I
•^In.ndnis charakterisiert, Herodots ei^zis^'\rti^^e Bedenttint^ \!nd die n'onu- i
mentale Größe von Thukydides' Werk nut wenig Strichen zutreiiend
gezeichnet; Xenophon ist doch wohl zu naciisichtig beurteilt, bokrates i
dagegen unterschätzt, Deniosthenes' sittliche Größe aber mit warmen |
Worten hervorgehoben, in die Gedankenwelt des Plato und Aristoteles
trotz der gebotenen KOrze ein Blidc er5f!nct. - Ea würde sich, meines
Emchtens, bei einer Idlnftigen Auflage empfehlen, nicht ganz, wie jetzt i
grundsätzlich, auf Quellenangaben und Nennung von früheren wissen»
schaftüchen Arbeiten zu verzichten sondern einige wichtigere I.iterntnr-
nach weise denen an die Hand zu geben, die auf einzelnen Gebieten 1
weitere Belehning suchen.
Ein erstaunlich reicher, mit Sorgfalt ausgewählter Schmuck von I
Bildern, unter denen auch weniger beltannte und neu entdedtte berfldE-
sicbtigt sind, femer, was durchaus zu billigen ist, Rekonstrulitioiien von
Monumenten nicht fehlen, ziert daa schöne Werig um deawn gttnzende
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BesprachungeD.
381
Ausstattung die Verlagsbuchhandlung sich ein großes Verdientt ervorben
hat Ich wünsche dem Buche, das ab Ganzes genommen allen Lobes
wert ist, die weiteste Verbreitung in den Kreisen» fOr die es in errter
Linie die Verfasser geschrieben haben: unter den Gebildeten, die der
Antike erfreulicherueise ein nicht geringes Interesse entgegenbringen, und
bei der Jugend auf den höhert-ii ^ciiulen, wo freilich Sinn und Ver-
ständnis für Bedeutung der klasst>chen Kulturuelt im Emporganpe des
Mensciiengesciilechts immer mehr und, uie es scheint, unaufliaitsam
dafainschwindet
W. Li eben am.
IC Rott, Geschichte des Byzantinischen Reiches. Leipzig, Oflscben,
1904. (128 S.) (Sammlung Göschen Nr. 190.)
Die nicht leichte Aufgabe, in einem schmalen Bändchen von
128 Seiten die mehr denn tausendjährige Geschichte des oströmischen
Reiches im Abriß zu schildern, ist Roth in anerkennenswerter Weise ge-
glückt. Die Darstellung baut aui den größeren Werken von Hertzberg
und Qeizer, oft in w&rtiicher Anlehnung, sich auf; mit Geschick wird
aber das für einen größeren Leserkreis Wesentlicbe In einer so langen
Entwicklung herausgehoben, sowohl in dem äußeren Veriaufe der Er-
eignisse wie in den kuttuiseschichtlichen Vorgängen. Die einzelnen
Regierungen sind in kurzer Übersicht behandelt. Nach dem ersten
Abschnitt, Zeit vor justinian, ist eine nllt^en^eine Charakteristik des Reiches
eingeschoben; kulturhistorische Skizzch werden vor dem Kapitel über die
syrischen (isaurischen), nach dem über die armenischen (makedonischen)
Kaiser und am Schluß gegeben.
Die nach so vidcn Sdten nfitzltche OlSschenscfae Sammlung hat
durch Roths Schrift eine sehr erwünschte Erweiterung erfahren. Die
wissenschaftliche Durchforschung der Schicksale des ostrßmischen
Reiches hat in den letzten zwanzig Jahren tintcr Führunp^ und steter
Anregung K. Krumbachcrs gewiß vordem niclit geahnte Fortschritte
gemacht, aber die gewaltigen Verdienste des byzantinischen Kaisertums
um die Kuhur des Ostens, um den Schutz des Westens gegen die Über-
flutung durch die Slaven und den Islam werden auch von Historikern oft
nicht genug bti der univenalgeschichtlidien Betrachtung berikcksichtigt,
die Schattenseiten des autokratischen Regiments aber, des verkommenen,
intriganten Hoflebens mit Vorliebe betont. Die mit maßvollem Urteil
abwägende Darstellung Roths verdient auch deshalb weitere Verbreitung.
W. Liebenam.
■aller BiegrapUcnt herausgegä)en von Freunden vaterlandisdier
Geschichte. Zweiter Band. Basel, 1904, Benno Schwabe (VII, 320 Seiten).
Der vorliegende zweite Band der Basler Biographien cnthiUt drei
Dlgltlzed by Google
3S2
BesprechttiiS9i>
Arbeiten, die in der Schildoiing der Wirksamkeit ihres Helden auch ein
bedeutsames Stück Baster und sctawetzerischer Geschichte und zvar aus den
verschiedensten Zeitepochen behandeln. Die erste der Arbeiten hat Albert
Burckhaidt-Finslcr zum Verfasser und zum Gegenstand den Bischof zn
Basel, Heinrich von Neuenburg (1262-1274), den letzten Basler Kirchen-
fürsten des Mittelalters, der eine große, selbständige politische Rolle jre-
spielt hat, in seinen Machtkämpfen um die Ausdehnimg^ und Abrun diiny
seines Herrschaftsgebietes am Oberrhein aber mit dem ebeniails in diesen
Gebieten nach der Vorherrschaft strebenden Grafen Rudolf von Habs-
buiig zusammenstieB und diesem nach dessen Königswahl 1275 endgültig
unterlag. Hierin sucht der Biograph Heinrichs von Neuenbürg den Grund
für die mangelhafte Territorialgestaltung des Basler Gebietes und die Ur-
sache dafür, daß Basel nicht auch die politische Herrschaft über die
Landschaften des Sund- und Breisgaues, des FrickUls und der Gebiete
an Ergolz und Birs bis zum Bieler See erhalten hat, für die Basel in
wirtschsftlidier und geistiger Hinsidit den Mittdpunlit bildet Trotz
seiner Niederlage nach aufien Ist aber der Bischof för die wtüat Ent-
wicklung Basels von weitreichender Bedeutung geworden. Burddiaxdt-
Hnsler fuhrt die gewaltige Macht- und Kraftentfaltung der Stadt Basel
im 14. Jahrhundt Tt darauf zurück, dali Heinrich von Neuenburg, um sidi
für seine Kämpfe mit Rudolf von Habsburg einen Rückhalt zu schaffen,
durch eine Reihe gesetzgeberischer Maßnahmen die Kräfte der Basier
BürgcisdMft zu «edcen und zu fordern verstand. Mit der Biographie
des Bfixgenneisters Theodor Brandt führt uns Ferd. Holzach in die ver-
worrenen Zeiten des Interims und des Schmalkaldischen Krieges, in denen
es Basels Bestreben nach außen xrar, nach Möglichkeit eine neutrale
Stelhm}/ zu wahren. Der einflußreichste Leiter dieser Politik war Theodor
Brandl, dem es auch gelang, in geschickt vermittelnder Rolle die innere
Entwicklung der Stadt trotz der sdurfen Ocgensitze in ruhigen Bahnen
zu halten. Die dritte, ausffihrlichste Arbeit des Bandes von F. Mangold
endlich ist dem Bankdirektor Johann Jakob Speiser gewidmet, der eine
ganz her\'orragcndc Rolle in tier wirtschaftspnlitist hen Geschichte der
Schweiz um die Mitte des 19. Jahrhunderts gespielt hat, und dessen Name
mit allen groikn, damals die Schweiz bewegenden Fragen dieses Gebietes,
wie die Regelung der Zollfrag^ der Münzreform, der Schweizerischen
Zentndbahn etc, aufis engste vericnflpft ist. Die Mangoidscbe Aibdt be-
sitzt damit für den sdiweizerischen Whtsdiaftshistcmher ganz allgemeine
Bedeutung. W. Bruchmfiller.
Alfred Martin, Deutsches Badev-cscn m ver{T;iPG:enen Tagen nebst
einem Beiü^age zur Geschichte der deutsciien Wasserheil künde. Mit
159 Abbildungen nach alten Holzschnitten und Kupferstichen. Verlegt
bd Eugen Diederid» in Jena, 1906 (448 S^.
Vor allem seit der Begründung zahlreicfaer loluler Ocsdiicht»-
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383
vereiiie im Laufe des vorigen Jahrhunderts, denen sich in neuester Zdt
die voltslnindlichen Vereine mit ihren VerSffentUchnngen angeschlossen
haben, sind Bände auf Bände mit Beiträgen auch zur Kulturgesdiidite
der einzelnen Gebiete und Orte gefällt worden. Allein zu einer Ver-
einigung des weit zerstreuten Materials, zum Entwerfen eines Gesamtbildes,
zur lichtvollen Aufzeigung der Fntwicklung auch nur innerhalb der
deutschen Grenzen ist es nur für wenige Erscheinungen oder Gegenstände
bisher gekommen. Und doch vQrden erst solche Zusammenfassungen
wiederum die sichere OnindUige filr ein tieferes kulturgescbiditliches
Erlcennen, für dne klare Einsicht in das innere Wesen und das Werden
der Dinge, in die Verschiedenheit der Stämme und Landschaften und die
aus Naturanlagen und äußerem Geschehen gleichmäßig herzuleitenden
Gründe für diese Verschiedenheit abgeben können
Auch für den wichtigen Zweien der deutschen Altertumskunde
und Kulturgeschichte, den das Badewesen in seinem ganzen Umfange
darstellt, fehlt es zwar nicht an historischen Abhandlungen, Mitteilungen,
Splittern aller Art, von der schwer zu fibersdicnden eigenüidien balneo-
loeiscfaen Literatur ganz zu schwdgen: aber dn Kompendium, das uns
in zuverlässiger Weise fiber alles Wissenswerte auf dem Gebiete unter-
richtet hätte, besnßen wir bis vor kiirrem noch nicht. Erst das vor
einigen Monaten erschienene, oben näher bezeichnete Budl von Alfred
Martin hat diese Lücke in dankt-nswerter Weise ausgefüllt.
Der Verfasser des »Deutsciieii badewesens in vergangenen Tagen"
ist Arzt, was sebwm Werhe bd den vidfiUtigen nahen Beziehungen des
behanddten Stoffes zur Hdlkunde ohne Zwdfel außerordentlich zustatten
gekommen ist. Denn nur dn Medianer von Beruf konnte viden der
uns fiberliderten Tatsachen und Zustände das richtige Verstlndnis ent*
gegenbringen, die Verj,^anf_^enheit mit der Gegenwart zu einer Einheit
verknüpfen, Freilicii wurde es andererseits dem Verfasser gleichwohl
nicht gelungen sein, den Entwicklungsgang, den das gesamte Badewesen
in Deutschland von den Urzdten an genommen hat, in so trefflicher
und dnwandffder Weisen wie es geschdien ist; an der Hand der Qudlen
darzutegen, wenn sdnem medizinischen Wissen nicht dfe genaueste Ver-
trautheit mit eben jenen Quellen samt der einschlägigen litentur und
gründliche historische wie auch sprachliche Kenntnisse zur Seite gestanden
hätten. Und ganz besonders ist daneben noch die ausgedehnte Kenntnis
der Denkmäler und der uns aus den früheren Zeiten überkommenen
bildlichen Darstellungen rühmend hervorzuheben, der Martins Buch seine
Riehe Ausstattung mit sorgfältig ausgewählten, zum Teil erstmalig ver-
fiflentlichten und zumeist sdur lehrrddien AUHldungen verdankt
In dieser Vorführung dnes wdtschichtigen Materiab, in dem 2. B.
auch die auf das Badewesen bezüglichen Stellen aus älteren und neueren
Dichtem und Schriftstellern nicht fehlen und gelegentlich sogar auf noch
nicht durch den Druck aUgemdn zu^ngiich gemachte Qudlen Bezug
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3S4 Besprechungen. I
genommen vird (vgl. etwa S. 77: Akten der ZOrichcr Bidcriade), sovie
in der kritischen Sichtung dieses Materiah scheint mh* der Hanplvtrt I
des Martinscfaen Werkes zu beruhen. Daß dabd das Badevesen in seiner '
weitesten Bedeutung gefaßt ist, uns das Buch daher nidit nur fibcr die
verschiedensten Arten von Bädern und ihren Fntwicklungsgan«', fib^ alle i
mit dem Baden zusammenhängenden Sitten und Unsitten, über das |
Badergewerbe samt kurzer Geschichte der einschlägigen Realien (W erk- i
zeuge, Geräte, Hautverschönerungsmittel usw.), ferner über das Baden zu
Heilzweckenr die Kaltwasseriiehandittng, Trinkkuren, kurz filxr die gestaute
Hydrotherapie von ihren Anfingen bis in die jflngste Vefgangenlieit in
anschaulicher und bei der Quellenmäßigiieit des Gebotenen kaum je er-
müdender Weise unterrichtet, sondern z. B. auch die wirtschaftlichen oder
kulturollen Triebkräfte (S. 196 Steigerung der Holzpreise, S. 204 ff. Ein-
fluß der Seuchen usf.), ferner Badekleidung und BadelektOre, Schwimmen j
und Hilfsapparate zum Schwimmen, Verschicken des MineralNi^assers I
(S. 258ff.) u. a. m. in den Kreis der Betrachtung einbezogen worden sind, |
dafOr wild man dem Ver&sser nur Dank wissen. Auch stört es bei dem |
Kompendienchaiakter des Buches nicht eben sehr, wenn sich hin und |
wieder beträchtliche Abschnitte einer Quellenschrift, wie S. 53 ff. des y
Nikolaus Wynmann Dialog »Colymbetes" in Gustav Freytags Cbersef2urg^,
S. 239ff. Poggios und S. 310 ff. Pantaleons Bericht über Baden im
Aargau, S. 288 ff. des Metobius Schrift über Pyrmont von 155c). unmittel-
bar in die Darstellung inseriert finden, obwohl ein soiciies Vertahreii der
letzteren allerdings nicht zum Vorteil gereicht hat, fOr eine Uanre Dis-
position, eine txssere Ökonomie der ganzen Anlage Oberhaupt wohl noch
manches bitte geschehen können. Einige Wiederholui^en wfirden sich
dadurch leicht haben vermdden, das Fehlen eines Sachregisters nebdi 1
den gut gearbeiteten Namen- und Ortsregistern eher haben verschmerzen
lassen. Ebenso wäre die Wiedergabe des Mittelhochdeutsdien, das etwas
gar zu ungleich (bald sind Längezeichen auf die langen Vokale gesetzt,
bald fehlen sie, usf.) und gelegentlich auch fehlerhaft (S. 227 ist in den
Versen aus Neidharts •Graserin« stett »mit iren«: «nit irren« zu lesen usv4
ausgefallen ist, wohl noch einer Revision zu unterziehen gewesen. Aud
sonst ließen sich im einzelnen noch mancherlei gcringfilgigere Bedenken
und Beanstandungen (Bartholomäus Zeitblom ist z. B. gewiß nicht als der )
Meister des bekannten mittelalterlichen Hausbuches nnziisehen, wie S. 250
als wahrscheinlich bezeichnet wird, usw.) geltend maclien, auf die ich
hier jedoch, da solche kleinen AUngel den eigentlichen Wert des Martin- i
sehen Buches in keiner Weise beeinträchtigen, nicht weiter eingehe. I
Lobend sei endlich noch die vortrefffidie typographische Ausatettaiv
des Werkes hervoigehoben, durch die der Verleger seinen wohl bc|;rfindeten
Ruf als erfolgreicher Voridmpfer einer zweckentsprechenden, sinn- uixl
gesdimackvoUen Budiausstettung aufi neue bewährt hat
Theodor Hampe.
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Die ü^ebifcliartigen Aufzeichnungen des {rfiblschen
Hofarztes Dr Johannes Lange
Aber seine Reise nach Granada im Jahre 1526.
Mitgeteilt und erläutert von ADOLF HASENCLEVER.
Auf den folgen cicn Blätfern veröffentliche ich eine Reise-
beschreibung aus dem 1 6, Jahrhundert, welche uns an der Hand
tagebuchartiger Aufzeichnungen von Neumarkt in der Oberpfalz
nach Heidelberg, von dort durch Lothringen, Frankreich und
Spanien nach Oranada an das Hoflager Kaiser Karls V. fülirt;
nach nur I4tägigeni Aufenthalte in der ehemaligen Residenz der
Maurenkönige wird die Rückreise angetreten, die zum Teil dieselbe
Route einschlägt wie die Hinreise, stellenweise aber auch, besonders
in Spanien, von dieser abweicht.
Der Verfasser dieses Berichtes ist der Leibarzt Pfalzgraf
Friedrichs» des spateren Kurfürsten Friedrich IL von der Pfolz
(1544-1556), Dr. Johannes Lange aus Lfiwoiberg in Schlesien,
') über Joh. Ungc. geb. 1485, gest. 21. Jon! 1565 in Hddelberg:, vgl. den Artikel
von E. Ourlt in der Allg. deutechen Diogr. (i883 , X\ II, : • , vi uich die einschlägige
Literatur angegeben ist — Einige Ergänzungen und Berichtigungen bietet Erler: Matrikel
der UniversiUt Ldpiig II, 4S4, m, St4; III, 9$7, sovieBd. Wlnckelnaan: Urlnmdeabadider
Universität Heidelberg fHrideIhrrj: ' PS6) II, ? 100, Nr.906 : ?2. November 1545, .Johannes Lange
von Lemberg, der freien Kuriii uau beider artznei doktor, schreibt dem Kurl. (Friedrich II.
von der Pf.ilz), daß er, seinem Wunsch gemäß, eine Reformation der Universität Hridel-
berg schriftlich verfa6t habe, und überreicht diadbe znr cventuelieii vetteren VcrhetKnuu;.*
- Ntch Jtk. WiHc: die denlMlwi Ptttaer Huidsdiriflca der UBivenHUsbtUlolhek nt
Heidelberg des 16. u. 17. Jahrh. befindet steh dort Cod. Pal. Qerm. VIII, 34 ein Brief
Dr. Langes an Karffirst Friedrich III. von der Pfalz, d. d. Heidelberg 24. April 1564 über
die Krankheit des Pfalq^raicn, ebenso noch einige medizinische Rezepte iMgt» fibcr die
Konat, das Leben n verlinfera; y^, ebenda ResMcr v. Langet Job.
ArUv nr KnltmieMhidile. V. 25
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386
Adolf Hasendever.
als medizinischer Gelehrter eine sehr bekannte und geachtete
Persönlichkeit, insbesondere durch seine früher viel gelesenen
und nachgeahmten epistolae medicinales,^) das erste derartige
Werk in Deutschland.
Der Wert der hier veröffentlichten Reiseschilderung liegt
fast durchaus auf kulturgeschichtlichem Gebiete; was wir Neues
an historischen Notizen zur Zeitgeschichte erfahren, ist ganz gc-
ringfugigi zumal ein anderer Teilnehmer an dieser Reise, der
l)ekannte Annalist Hubertus Thomas Leodius in seinem Werk
fiber Kurfürst Friedrich II. von der Pfalz,*) dem Charakter seiner
Biographie entsprechend, die Fahrt seines Herrn nach Qranada
und die Erlebnisse während derselben in den historischen Zu-
sammenhang der Zeitgeschichte bereits eingereiht hat.
Hier sei gleich eine Frage kurz gestreift, welche insbesondere
für die quellenkritische Bewertung von Leodius' Werk von
Interesse ist: hat er bei der Redigterung seiner Biographie die
Aufzeichnungen Langes, welche ihm bei seiner Stellung in der
kuipfälzischen Kanzlet jederzeit leicht zugänglich waren, benutzt?
Mit Entschiedenheit nach der einen oder anderen Richtung hin
läßt diese Frage sich nicht beantworten; die Möglichkeit einer
Benutzung liegt immerhin vor, besonders eine Vergleichung der
Beschreibung von Granada bei unseren beiden Autoren macht
die Annahme, daß Leodius von Lange abhängig ist, nicht un-
wahrscheinlich, freilich ebenso gut bleibt die Möglichkeit bestehen,
daß beide, da die Gewährsmänner, von denen sie bei ihrer
Unkenntnis mit der Landessprache über die spanischen Verhält-
>) Medidnaliom Epistolanim lafscdliuiea varfa ae ran cam eniditlone, iam rernm
scitu di<;nissimarum cxplicatione reff rfrt ! nt cnntm Icctio non soliini Medicinac, ^cd omnis
etiam Naturalis historiar studiosis plurimuin sil cir.nlumemi allatura. I). loanne I riugio
LL';iibeig-ii, illu,;ri^s. l'ri;iLi[iiim Palatinoriiin Rluiii ttc. iWcdico, autorc U.i^ilc.R". Per
loannem Uporiniim. Ohne Jahr. Nach Ourlt in ADfi erschien die erste Auflage in Basd
15S4. Ich benutze du Exemplar der Kgl. Bibliothek zu BeHln, wo auf dem Racken des
Einbandcs .Basih 1554* eingedruckt ist. - Eine zweite, wesentlich vermehrte Au<;E:.ibc der
epistolae mcdicinalcs crsdiicn: ..Francofurdi Apud Hered<s Aiulresc Wecheli. CLiudium
Mnmium et Innr.n. Aiibiivini," 1589, herausficgebcn von Nicol.ius Keusnenis luri-^cniisitltus.
nCum Indicc reniin et verborum copiosissimo." Vgl. über diese Ausgabe ADD a.a.O. —
Es wire meines Erachtens eine sehr dankbare Aufgabe, die Wettinadttiitltig ^Bcacs vid
gereisten Arztes auf Orund seiner epistolae ucdidnales einmal des Nibem n sUzzicreB.
Vgl. unten S. •♦?3, Anm. 1.
') -.Annalium de ut.i c; rv!r:> gestis llhistrissiini Principis Fridcrici II Electoris
Palatini Libri XIV. Au Uiorc Huber to Thoma Leodio, etasdem Con&iliaho.* Frankfurt a. M.
1624. - Fernerhin zitieit Uodins. - Die RdsdxschKlbaiic des Leodlns befindet deh
LeoditU «. t. O. S. 95<*II5.
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Die tigebucbartigien Aufzeichnung!«! des Dr. Joiiannes Linge. 3S7
nisse und Kulturzuslände unferridifet wurden, die gleichen waren,
auf deren Berichte hin, ein jeder fQr sich, ihre Aufzeichnungen
genuKht und danach später ihre Erlebnisse und Erfahrungen
ganz unabhängig voneinander niedei^eschrieben haben.
Der Wert des hier \ etuiientlichten Tagebuches liegt, wie
bereits erwähnt, nach der kiiUurgeschichiiichen Seite hin; für die
Flora der durchwanderten Länder, für den Reichtum des
Bodens an landwirtschafth"chen Erträgnissen hat unser Verfasser
ein offenes Auge. Besonderes Interesse beanspruchen die zu-
sammenfassenden l<uluirhistorischen l 'berblicke über die KuHiir-
^rustände in den einzelnen Ländern; man sieht, welchen Gefahren
und Entbehrungen sich damals die Deutschen, auch Personen
fürstlichen Standes^ auszusetzen hatten, wenn sie ihren ICaiser in
seinen fernen spanischen Erblanden aufsuchen wollten; gerade
für die Geschichte des Reisens im 16. Jahrhundert, ein Kapitel,
an welchem die amtlichen Relationen meistens stillschweigend oder
doch, ohne sich auf Einzelheiten einzulassen, vorübergehen, ent-
hält unser Bericht manche schätzenswerte Notiz.
Dr. Langes Stellung zur religiösen Frage scheint wie die-
jenige seines Herrn, wie auch seines Reisebegleiters Leodius» keine
bestimmt ausgeprägte gewesen zu sein; äußerlich ist er noch
ein Anhänger der alten Lehre, aber sein Auge ist bereits ge-
schärft für die großen Gebrechen seiner Kirche. Nicht ohne Teil-
ii.ihnie verfolgi er die neue Richtung; charakteristisch ist in dieser
Hinsicht seine Beurteilung Brigonnets, des Bischofs von Meaux,
und des Vorgehens der Sorbonne gegen ihn.
Die Heimat des Verfassers ist Schlesien, die Gegend jedoch,
an der sein Herz hängt, ist das kleine Ländchen seines Herrn,
die Oberpfalz und die umliegenden Reichsstädte. Immer wieder,
wenn er die Cröße fremder Städte und Flecken erläutern will,
greift er auf die geographischen Zustände dieses Ländchens zurück;
die Ortschaften Amberg und Neumarkt sind für ihn die Maßbe-
griffe, nach denen er die Größe anderer Städte bestimmt; für
bevölkertere Kommunen werden Nürnberg und manchmal auch
Augsburg herangezogen.
Für den Statistiker sind diese Angaben ja kein geradezu
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Adolf Hasenclever.
ideales Material, nach dem sich genaue Berechnungen anstellen
ließen; denn nicht nur wissen wir noch nicht genau, wie groß
jene Flecken in der Oberpfalz damals waren, sondern noch mehr:
was unser Verfasser angibt, sind immerhin nur Schätzungswerte,
sie geben den Lintlnick wieder, welchen ein betreffende Ort bei
dem meist nur ganz kurzen Aufenthalt du: den Reisenden ocinachthat.
Die eigenhändige Aufzeichnung Dr. Langes ist nicht mehr
auf uns gekommen; die Handschrift, welcher diese Veröffent-
lichung entnommen ist,^) ist eine sauber geschriebene Kanzlisten-
handschrift, niedergeschrieben, wie eine Notiz auf dem Titelblatt er-
giebt, im Jahre 1 528, wie ich annehmen möchte, entweder als Vorbe-
reitung für eine Drucklegung - die Hervorhebung der Namen
von Personen und Städten durch rote Buchstaben oder durch
mehr oder weniger willkürlich ausgeführte Einrahmung dieser
Namen in rote und schwarze Kreise scheint mir darauf hinzu-
weisen oder die Handschrift war eine vielleicht für Pfalzgraf
Friedrich veranstaltete Prachtausgabe.*) Soweit ich durch An-
fragen und persönliche Nachforschungen *) habe ermitteln Icönnen,
ist eine Veröffentlichung dieser Reisebeschreibung bisher nicht
erfolgtf und sollte sie erfolgt sein, so sind die Exemplare des
ersten Druckes heutzutage verschollen.
Da die Handschrift nicht Originalniederschrift des Verfassers
ist, sondern von Kanzlistenhand herrührt, habe ich die überdies
nicht einheitlich durchgeführte Orthographie - selbstverständlich
nicht bei Städte- und Peisonennamen - der heute allgemein
geltenden Editionspiaxis von Urkunden aus jener Zeit angepaßt
1) Aas diKm SnnMlband der Unlvcnftttsblblicrthdc ai Hdddben;; vgl. Jakol»
Vt'ille: die deutschen pfäl/cr H.-üidsc^iriftcn des 16. und 17. Jahrhunderts. Cod Pal. Oerm. i?7 ;
Pap. XVI. J.-ihrh., Blatter [ii. I-lIl leer) 2». 1 mit der alten Re/eichnunR C 115. -
Der Vcr»altunK 'Itr riiiversit.it<ihiblii>tliek zu Hcidelher^; sei an dieser Stelle für die grolV
BereitwilUgkcit, mit welcher sie mir die Benutzung der Handschrift durch Übersendtuig
nadi Hall« crnflf^dite, mein verMadlidister Dank aittKeaprodien.
2) Ocgcn diese Annahme könnte man allerdinni einwenden, d.ifi die Handschrift
ohne irgend einen ersichtiicfaen Omnd und ohne jede Schlu8t>einerlatng ganz plötzlich
aU>ric]it, bevor die Reiaemlai den AtofpatgßfmM fhm FakH wieder cndcbt lutttett.
-) Bei R- Foulch^-Delbo^e : F^iblio>ir.i]ihic des vcj).ii:es cn I-sp.iffTie et cn Portug.il
(Paris 1896) S. 26 ff. ist unter den Kci&en Pfalzgraf Friedrichs diejenige von 1526 nur io
der ScMMerang des Hnbertu ThoimM Leodlw enriUiirt.
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Die tagebudiartigen Aufodchiiinigai des Dr. Johannes Lange. 3^9
«VfEtydniiis des wtgi neii
gnediger her hertiog Fridcrlch
umht ntywr f. g. hofgesinde
1526. Jar ia tlispania zmt
KayserHchcr na : t zogen md
wie es ioen ergangen ist*^
1528.
Got gibt got ninibt
W. Sinderstetter.
Anno Tausent funffhundert und im sechsundzwentzigisten
Jare ist der durchleuditig hochgeborn Fürst und herre, Herr
hertzog Friderich Pfallz[gjrave bev Rhein und hertzoge in Bayrn,
unser gnädiger herr, durch merckliche Ursachen seiner fürstlichen
gnaden Landtschaff nutz und ander herren anligende beswerdnus
betrctfendc verursacht,^) am dritten Tage des nionats marcy mit
disen hiernach geschriben seiner F. G. Räte und dienern zum
Neuenmargkte, im Norgkau gelegen, gegen Granathen in Hispo>
niam disen verzaichetten wege durch Teutz-Nacion, Franckreich,
Castanien,*) Pasha, Pashaia, Castilien und ander Tayl Hisponier
Landts zu kayserlicher Maycstat gerithen.
Friderich, Pfaltzgrave Bey Rhein, hertzog in Bairn.
Der wuigeborn herr, herr Georg vou Falckenslein, frey und
herr zu Maydeck,*) Rate und diener.
der ernvest Junckher Wolff von Mülheim, Marschalck.
^ Ober FrMttdit Dtwemifliid« tar Rebe vgl. W. Pritdaabarg: Dtr Rddnlig
ta Speier 1526 (Berlin 1887) S. it7ff.. bes. S. 123 und 124, Anni. i, !?oirie Rodriguez- Villa :
El Emperador Carlo$ V >- &a cortc (15^2-1539), Madrid 1903-05, S. 327. 1. Er habe ge-
hört, daß der Kaiser gesagt habe, er habe Macltt, die Pfalzgrafen zu bestrafen, and daß er
Dicbt wiaatt auf Onind velcher Tataadiai dkt Kurl fcngt babe. M. mpondiö, qoe
bd no luMt dicho por ellos, pero Men era verdat haber didio qm era cii tu poder caaUsar
i todos los qui hicicscn porqiic y fufscn dcservidores. " 2. Er -müf die Gründe darlegen
für seinen Rücktritt vom Keichsregiment. 3. Cr habe den Kaiser und die ihm eben ver-
atUilte XUserin bcfriUlca «olkn Ics dar la enborabwna de m eManicnlo".
*) Oascogne.
■0 Bei Lcoditts S. 96 a nur angef&hrt als „Dobüao* Oeorgius, Baro ab Hddeck".
In Tirbenkrteg ISU wu er einer der aecbs Kricgwite PlU^f Frledridis.
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390
Adolf Hasendcver.
der Ersam Hocfagdert herr Johann Lange,*) dodor der Artoiey
von Lemberg,
der emvest Jobst Bnmtner der Junger,
der emvest Ceorg Brunbeck.*)
Hans Bock.
Ruprecht von Luttidi, Notarius.^)
Qregorius Mayr, Silbeisdiliesser.
Amoldt Man, koch.
Jakob Lange, Lambarder.
Stephan, Sattelknecht.
Hans Ragaß.
Paulus Kerner.
Hans von Ami-Li fr.
Juan. LareJha,'} Lacay.
Bastei, Baiiwirer. ^)
Leon hart Fechter, kuchenbub.
Joan. Albertyn, Eseltreiber.
Vincens von Stockarth, stalknecht,*) und auch etzliche ander
fremder Nacion knechte und diener, uff dem wege uff-
genomen, und seiner F. Q. zugeschickt. Und erstUch von
dem obgeinelten Neuenmarcki gegen Norgkau
Berngrys^) 4 Meyl gezogen.
Ist ein Stetlein des Bischoffs von Eystett, under dem Schloß
Hirßperg an der Altniul vischrcich wasser gelegen, an welches
wir nach essens mit meinem O. Herren orespactreth und darnach
vor der herberge mit einem karn vol neuer Häffen Balspil geübeth.
1) [.eodius S. 96 a: Dodor loannes Langius, Medicus tarn eruditns quam lUVte
et iucundus cotncs". Auf S. 5 b nennt ihn Leodiui: „Principis insignts medicus".
>) War, irie ans Lcodias S. Mb hervorgdit» Mvadicihenk. eio widccicr Zedier.
V|^. Leodius S. 103 b.
■) Der Qeschichtschrtibcr und Biograph Pfalzgraf Friedrichs Hubertus Thomas
Leodiu5. Vgl. hierzu Leodius: „et pyo quoque ascitus suni SccrcUiriiis et a rationibus et
tumptibus scriba" (a.a.O. S 96a). Vgl. über ihn Hartfelder in den Forschungen zur deutschen
Oodlichte, Bd. XXV.
*) Wahncfacinlich identisch mit dem bei FriedcmbliTf : Der Reidisfaig zn Speier IS36
S. 458, Anm. 3 ervlhnten Johann Marie.
>) Leodius S. I12a: ..Principis tonsor SdMStianus".
^ Vgl. Leodius S. 96a: ,,I*r.Ttiin> aiitnn omnes viginli".
*) Betlngries. — Wie auch aus Leodius S 94 a hervorgeht, war die damalige Form
des Nameat BeniKilc«.
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Die tagebuchartigen Aufzeichnungen des Dr. Johannes Lange. 391
ingolt-Statt.
4 Meilen. Quarta die Marcy.
Pin zirliche woigcpaiitte Stat der Herrn von Bairii, uff
einer ebent gelegen und kornreich Lanclt; die Donau daran hin-
fh'csset und von der universthet auch bcrumbmct. Halt auch ein
woll erbauet Sioß, in wellicheni hertzogcn Wilhelm*) und Lud-
wig«) gebruder, Fürsten und herren in Baim, der hochwirdig in
gott und durchleuch fürst hertzog Philips,') Pfaltzgrave bei Rhein,
hertzog in Baym und Biscliove zu Freysingen, auch hertzog Otto
Heinrich *) und hertzog Philips ^) gebruder, Pfaltzgraven bei Rhein
und hertzogen in Obern und Nidem ßayrn, auch ein Junger
Grave vom Aigaw und ein herr von Bern meinem gnedigen
herm erhafftig cntpfangen und zwen Tage allerlay kurtzweille
gepflegt*) und sonderlich am Montag^ nach es$ens Antvogel*)
am Wasser gepaist;*) den andern tage darnach, uff das kein
freude one laydt befunden wurde, ist mein gnedigier herre von
Freystngen am Schwengel kranck gelegen; und [es] halt bede tag
geregeth.
Neuburg an der Donau.
3 Meilen. VUI. Marcy.
Ein Stat der jungen fursten und Pfaltzgraven uff ainem
berge an der Donau gelegen/®) hat lustige jageth (adcr gegaydt)
und ein jundcfrau Qoster, In welchem die durchleuchttge furstin,
>) Wilhelm, HcrzoK von Bayern 1S0R-1S$0.
*) Ludwill, Herznf» vnn Bayern 1S03-1S44
») Bischof Philipp von Freising (1499- lS4t), Administrator tinii Bi&chof von Naum-
burg 1SI7-1S4I. Über den Leumnnd. In dem er bei sdnen Zdtgenoiwii Slmd, vgKBuick:
Zimncrifchc Chronik IV <, t87 f.
Pfal^^af von Neuburg 1507 - 1556; Kurffirtt von der Pfah t5S6-l5$9.
»} Pfalzgraf 1507-1 548 Beide Söhne Pfalzsraf Ruprechts, Neffen Pfalzgraf Friedrichs.
^ Ober dnen poliUscben Auftrag an den Kaiaer, den die bayrischen Hctzofe durch
PMafitf Friedrich vorlnceii Keßen, vgl. Rlcdcr: Oeadildtte Bdems tV, SM.
MS. .\Urz.
*■) /al.rne Ente; vgl. Orimm: Deutsches Wörterbuch. Ldpzis 1SS4. 1, »07.
1) ^tpaist ^ gejagt.
X') Eine anschauliche Anseht der Stadt untl ihnr l'iT!^;t:(v,:ni;, v: :i ?'iJ<-:i .1115, .itis
dem Jahre 1546 ist dem 63. Jahrgang de« Ncuburgcr KoUekuaccnblattcs (Naiburg 1899)
voigdinicirt. - Der Florentiner Serristori tdilldert die Lage der Stadt im September iS4d
folgcnderni.iRc'i ; ,,N"it i-nbi!r^'h . 6 pi">sfo «iil D.ir.ntibio, <Uo per nnlurn n^sr.i pritrHardo,
sendo -SU uii ctillc spicc.iio ; i t ^an.* iiioiti) piu, &t non h,i\c-'-i iin pi>i:^:ftli:> .i civalitrc, i
di fv>rnia rolci:ul.i, ciKuiiJato per piii della metä da '• s',! proff.inii et si-cchi, cl restanle
bagna el (iume, ctuto di due inuraglie per la maggior parte." (Frieücnsburg: Nantiatnr*
bcriciite 1. Bd. IX, S. S97.)
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392
Adolf Hasenclevcr.
frau Marigaretha, hertzog Oeotigen ^) Seligen geborae tochfer und
ein Swester der obgemelten Jungien Pfoltzgraven Muter, frauen
Elbethen, Ebtissin ist, und aldo ist Andeis Hiltner und Maister
Benedict Stainschneider zu meinem O. Herrn kumen.
Wemdingen.
4 Meilen. Nona Marcy.
Ist ein kl^in Sietlein, der herren von Bairn^ do wir bev
einer hosen unverträglichen ehf-, sonder doch von einer holdt>
seligen wirthin seint berherbei^ worden.
Sehwabenümde,
3 Meil. Bewingen. x. Marcy.
Ein dorff in einem gantzen fruchtbaren und getraidreicfaen
landt, nachent bey Norlingen gelegen.
2 Meil. Elbang.-)
Ain offen Stettlein mit sanibt der Probstey hertzog Hain-
richen •) Pfaltzgraven und Bischoff zu Uiiich ziisteiidig. Do ist
drey schefflen guiter vische und der habern meinem gnedigen
herrn geschenckt worden.
« •! Qayldorff, ^,
3 Meli. ' XI. Marcv.
Ist ein klains stellein, im gründe gelegen, Schenck Wil-
helms/) welcher meinem G. H. erhafftig beherberget, mit aller
expens genugsam versorget. F^iß Stetlein hat sonderlich von
Natur wolgepiltte und schöne weybsbilder. AMdo ist herr Wolff
Diettrich'^) mit dreien pferden zu uns komen, und meinen O. H.
paß gegen Ponth hinder Cuniagk beleyttet
t) Oeoif der Rdche von Bcyern^Undshut fd». f 4SS, p^t. IMS.
•) Ellvangen.
>) Hetnricb, Bruder Pfalzgraf friedrichs, geb. 1487, Bischof von Worms 1S23-1SS3,
von UtRcbt MU^iS», von Ft«lilnBn iS4t>i55i: gat S.Jaiiair IMS.
Vgl. über Ihn Barack: Zimmfri che Chronik III*. 62 ff. Er !<taminte aus dem
reichsgräflichen Oeschtecht der Schenken una Herren von Liinpurg-Oaildorf, gest. 1552.
*) Wolf Dietrich von Knörringen. Er war ein Beamter Herzog Wilhelms von
Bayern: 1537 finden vir ihn als Pfleger io Schwabeck (Chroniken der deubdKO SOdte:
Augsburg (1896) V. 244, Anm.2). desgleichen 1S3»(Rotb: Augsburgs Reformatieincadltdlte.
1904. 11,445). 1528 und 1532 wird er als Pfleger in FricdhcrK bei AuRsburii; crwihnt. -
Ob Wolf Dietrich einen politischen Auftrag an den französischen König hatte, vemuig ich
nicht aazngdwn; «ahisdiicinlicli ht e$.
Die tagebudiartigen AufzddiRui^cn des Dr. Johannes Lan^. 393
öring am Kocher«
3 meil. XII. Marcy.
Ein zimliche statt der Oraffen von Holoch,^) der auff-
rurischen Baursdiafft auch anhengig geweBen.*)
Wympffen.
2 Meilen. XIII. Marqr.
Ein grosse Reichstat, vor Christi geburt Cornelia*) genant,
hat dnen Thumbstiffl und kydt am anfang des Neckertals. Alldo
ist mein G. herr mit dem von Haydeck, Wolff Ditterichen von
Knerigen, Wolffen von Mulheim, Jobsten Prantner, Bastei Partbim,
Arnolden Koch uff dem Necker gegen Erberbach, meines g. hcri n
Stat, gdareii und d;c iiaclil aldo gelegen und an dem 14. tage
Marcy gegen Haidelbergk gefaren.
Der Neckertal.
Ist ein gantz lustiger tall, in welchem un beyden seythen
dise nachvolgende Schlosser gebaut syndt ErstUch Harneck
Ernberg, darnach Horneck, ein schloß der Teutschen herrn, von
den paum außgebranth und zerrissen, darnach Hornberg, Götzen
von Herlingen, der paurn vor WirtsbLirg veitfluchtigen hauptmans.
Nachvolgent Dehausen, Bartholoniey von Roß sloß, darnach
Mynnenburg, Wühalms von Haberns^) und ander slosser vil mer.
H aide! b erg.
5 Meli. XV. Marcy.
Ist der Pfaltz*) Churturätlicher sitz, am Necker zwuschen
den bergen gelegen; hat ein l^nnivcrsithet und auff dem berge
ein groß wolerbauethes Sloli iiiii selbentspringenden brunnen,
Weichs mein gnedigster herr Pfaltzgrave Ludwig*) mit wall,
schütten und ihurmen und Mauren etlicher zwaintzig schue dick
bevestiget; halt an bayden bergen , am ende des Neckertals
«> Hohenlohe.
») Über den Verlauf des FJauenikricffcs im Holicnloheschen Vgl. J«k. Stnnas Bciidlt
von 22. April 1S3S bei Virck: Polit. Corr. v. Straßburg 1, 196 f.
• ») Vgl. mm Ursprung und M^riKh« Wert diaer Lq^ende Heid: Oetdiidite der
Stadl Wimpfen, DamslMlt 1836^ S. 19ff., sowlc A. von Loitttt: Uljopfcn «m Ncckir, Statt*
gart 1870, S. tff.
«) KarpOtelKlwr MmdMll; seit 1524.
Or.: der der. Kwfint von der Pfalz 1508-1344.
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394
Adolf Hasendever.
ligende, überflüssigen fruchtbar weinbachs^ Necker wein und Stroß-
berger genanth und über den Rhein Pfedershcmcr, und im lall
negste an der Stat zwen lustige weide, darauß allerlay wildts in
eben felts mit sonderlicher lust und kurtzweil zu jagen ist. Aldo
haben hertzog Hainrich Bischoff zu Ulrich und hcrtzo^^ Wolff-
gang*) auch mein G. Herrn entpfangen und seindt aldo die
Osterliciieii zeyt verharret.'-)
Manaim.
3 Meli. Tertia die Aprilis.
Ist ein offen Stetlein, ain Meil über den Rhein gelegen;
aldo seindt bede obgemelten Pfaltzgraven die nacht bey mdnem
O. H. bllben,.und am Rhein an der uberfurth leydt ein sloß,^
auf welchem der pfaltzgrave einen Bapst Sdsmaticum hat ge-
fangen gehalden.
Neuestat
4 Meil.
Ist ein Stat zwuschen fruchtbaren weinbeiigen am anehing
des tals gelegen, und nahen t uff einem berge an der Stat ist ein
lustigs haus, Wintzingen genant, uff wellichem mein gnediger
herr hertzog Friderich gcborn ist.^)
In diser Stat hatt der Risclioff von Speyer*) sich zu meinem
O. herrn verfuget und im eerhe erzaigct. Ist ein alte Stat, in
welcher kirchen des Pfaltzgraffen Rupprechts Romischen konigs
her vater/) der eyne konigin auß Arrogania') gehabt hat, und
Pfaltzgrave [Ludwig III.]/) der eine konigin auß Engelandt ge-
1) Dci jüii^^tc ÜiUi^Ur rtal^gtat 1 ricdrichs, ein Anhänger Luthers; vg]^ über ihn
Bossen in ZQO. XVII, 59, sowie R. Salzer: Beiträge zu einer Biographie Ottheinridü,
Heidelberg 1886, S. 24: „£r hatte eine gelehrte Bildung etnpteiigai und i^ich in sdncm
splteren Leben und in seinen Neigungen am meisten Otthelnriel)."
5) Über die imliiischcn Verh.uulhinj^'cn vrahrL-rid l'riccirichs Heidelberger Aufenthalt
Vgl. Friedcnikburg : Der Reichstag zu Speier 1526, S. 124 ff. - Hier erst scheint sich Leodius
dem Oefolge des Pfalzgrafen angesdilossaii tu liaben, vaitg»1ens datiert erst von Hcidd»
bet;g ab sein RL^rbirichl.
5) Die Burg Rheinhausen.
<) Am 9. Dezember i483; vgl. Leodius S. Ma.
6) Georg, seit 1513 Bisdtof von Spdcr, ein Bruder PMi^ral Pricdrklis, fdi.
10. Februar i486, gest. 1529.
•) Ruprecht IL, Kttfflbst von der Pfalz (1390-1398).
') Beatrix, Tochter des amgonisdien Königs Pder II. von Sizilien; vgl. Himao':
Geschichte der rbeintsclien Piuli l,2\2.
>) LOdie im TtA Er «»r vennihlt ta eister Ehe mit Blanlca v«o Enflaiid. fot 14W
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Die tagebuchartigeii Aufzeichnungen des Dr. Johannes Lange. 395
heurath hat, begraben sindt. Zwnschen Haydelberg und Neuen-
stat ist sechs ineylen lang ein eben getraydrcichs und vischreichs
landt, mit überflüssiger weinwachs ^etziret, also bequeme gelegen,
das man gegen Wurmbs, Speyr, Haydelberg in einem halben ta;;e
und eeher von einer Stat in die andern reythen oder geen mag.
Kaiserslautern.
6 Meli. Quinta die Aprilis.
Ist ein wolgebauthe Reichstat, der Pfaltz versetzt,^) in wel-
lichem[!] kayser Friderich Bnrh.i Rossa genant, uff den welh'schen
gebrauch und haydenische art, ein schlos hat angefangen zu
bauen*) und nicht volendet; von der Neuenstat dahin zeucht
man vier meylen zwuschen den bergen und wasser, in welchem
foren und holtz gegen der Neuenstat fließen.
Lantstal.*)
2 Meli.
Ein Slos des Frantzen von Sickingen gewest, in welchem
er') durch Pfialtzgraven Ludwigen und Bischove von Trier,*^)
bede Churfursten, und den Lantgraven von Hessen belegert Ist
durch ein Schießloch •) yn Neuenbaue gestossen und in einem
klaynen gewelbe ober dcni weiiikcUcr gestorben, ist vast zer-
brochen und mit dem umbgeschossen thurmb verfället.
Köbelburg,')
Ist ein dorff der Baurschafft das Reich genant, welliche die
andern auffrurigen Bauren gefangen haben und bestricket;*) do
sein wir die nacht gelegen und von den Baum bewacht worden
mit sambt unsern reysigen auch uffs veldt verordnet
>) EfldKÜltig seit dem Jahre 1417, *) Im Jahre 1152. ^ Luidstuhl.
4) Vgl. hierzu H. Ulmann: Fnnz von Slckingen S.37lf.
>) Richard von Qreiffenklau (t5li-iS3i).
^ Vgl. die verschiedenen Angaben über den Ort und die Art der Vervnndnng bei
Ulouuin a. a. O. S. 371, Anm. 1, nnd S. 372, Anm. t.
f) Kibelberg; vgl. zum dortigen Aufenth.ilt I.cüdius S. 96 a.
0) Bei Hartfelder : Zur Geschichte des Bauernkriegs in Südwestdeatschlapd (Stutt-
gart 1884) wird von dieser F.pisixle, vciche aud) LMkUus (S.96a) erwähnt, nlcitla bcricMct.
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396
Adolf Hasoiclever.
2 Meilen. VH. ApnUs.
Ein ziemliclie Stat des Bischoffs von Trier, vvellicher aldo
ist meinem G. herrn entgegen geritten und seinen Gnaden vil
errhe erzaigel. In diser Stat wircket gott durch Sanct Wendel
vil wnndcrzaichcn und ist a!do leybtlich begraben, und sein Er-
hobner Corper uff den hohen Altar gestalt. Aldo ist einem
Maurer ein stain mer dan hundert zentner swar uffs haubt, durch
die gnade gottes an allen schaden, gefallen.
Aldo macht man Caicedainen Pater noster. Dise Stat hat
Frantz von Sickingen dem Bischoff angewunnen*) und widerumb
verloren.^ Aldo sein wir von dem Bischoff zwen Tag^ uffge-
balden worden.*)
Felschberg.
5 Meilen. X. April.
Auff dis wolgebauths lottges^) Slos hat der Philips Helm-
stetter*) meinen gnedigen herrn geladen und mit funfftzig pferden
wolbeherbeigiet und vil eerhe erzaiget Ein viertayl wegs under
dem Slos leyt ein Stetlein,*) do beraydt man die Lasur; aldo so
wir über das Wasser^ Moß genanth, gefaren seindt, ist zu uns
komen der Grafen von Nassau^) und hat meinen 0. Herren
paß gegen Metz belaittet*)
Metz.
6 Meilen. XI. Aprilis.
Ist ein wolerbauthe Reicfastat, alls groß alls fünf! Ambergk,
hat mer dan sechzig kirchen und Closter und ein gasae, do man
«) Am 3. September 1522; vgl. Ulmann a. a. O. S. 286 f.
*i Abi 24. September 1522; vgl. Utmaon m. a. O. S. 39i.
>^ Nidi W. PriedemlniTs: Der Rddniig n Spcgrnr 1526, S. tu, handelte es sidt
aÜrrn Anschein nach um politische AoftTifC an den KaltCf, «CldM Ridwd VOR OicUtaiklaB
dem Halzgrafcn iiiiUugeben hatte.
*) Lotig^Ocvicht habend, gewichtig ; vgl. Orimm : Deutsches W5rterbudl. Bd.VI. 1107.
») VkI über ihn ZOO. XXIV, ?9 ff., sowie ZOO.N.F. XVm.73f(.
•) Nach Lcodius S.v6b VX'alderfingen.
t) Oraf Wübelm von Nama oder Graf Jofaami Lvdvig vod NaaaM-ZwdbtActet.
») Wahrscheinlich hat sich Ornf Vt'ilhclm von Nassau, falls es sich hier um Hin
li.iiuii'lt, zu Pfalzgraf Friedrich l>esclHti, u.n lüe Schrine des Landgrafen in der katzen-
ellcnbogcnschen Frage zu paraly«,ierLn >Mci;i.udii< : Der kat^enellenbogcrsilu- !;i> folge-
streit, Ba.I|. Nr. ItS). Dieses Schriftstück kann man (nach Friedensburg: Der Hctdistag
ZD Speyer tSM, Sb tt4» Anm. 4) getrost auf den Sl. Dezember 1525 datieren. — Wie ans
Meinardus a. a. O. S. 182 und 183 hervorgeht, sund Pfalzgraf Friedrich damals in dieser
Streitsache mehr auf seiten Hessens; deshalb wird Graf Wilhelm wohl auch vermieden
Ihm Bride n «dnen am HofUfer de» itelaen «file«leii Bruder Hdarid» mitmgdMi
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Die tagebudiartigen Aufzeichnungen des Dr. Johannes Lange. 397
Uber die Heuser reutthet und feret Oibt dem kayser {erlicheii
tausent gülden tributs, welche sy nicht schuldig sein zu betzahlen,
der kayser hole die dan in aigner person.*) Die Stat hat meinem
G. herrn geschenckhl und erhafflig belaytthet, hat unib sich
einen fruchtbarn und mercklichen grossen ucinuachs und lunrf
meylcn lang zu ritten, und wirt durch einen futh (oder vogth),
von der Ritterschafft und Adel erweit, geregirt. Dise statt hat
Frantz von Sickingen im Weinlesen überzogen und unib funff-
iiiuizwaintzig tausent gülden geschatzet. -) Auch ist der stat
Bischoff der Cardinal von Loltringen , •'') in welcher ein treffliche
wolgebautte grosse kirchen mit vii umbgegen gebaut ist, darin
ein Cnicifix also groß alls ein khindt von zwayen Jaren hencket,
man saget, es sey lauter golL
3 Meilen. Gorsia. ) duodedma Aprilis.
Ist ein offen margk und hat ein Abtey, dem Cardinal zu
Lutringen zugehörig; uff disem wege anderthaibe meyle von
Metz, als man über das wasser Mosa gciianth, wcichs gegen
stets (?) lleysset, [küiuiiit], stet noch ein zerbrochener Aque ductus,*)
von den Bolonesern genant Seratin, \or Christi gepurt gebauet,
darauff das Trinckwasser in die stat Metz geflossen ist.
Franckniäi und Lotringen,
13. Aprilis. Santh Mich.«) 7 Meil.
Ist ein klain stetlein aa cici Mosell ") und einem berge,
daruff ain Closter ist gelegen; redet frantzosischs ; uff discr tag-
I) Eine Notiz, die ich sonst nirgends bel^ finde. Wahrscheinlich handelt es sich
vm <lie RoioBiiitislefci daei fät die angeblichen Vomchtc idiier V«laitadt begeistierten
LokilpatriotaB. Oende lOiiser Ktrl V. hat Immer «ieder trotz atlw RemoBStralioncn seine
Stenerkünstc an der freien Kcidissl.idf Meiz mit ^i'^^'ß*'':! Erfoli; gfübt.
>) Im Jahre 15I8, nicht während der Fehde uiit dem Erzbiichof von Trier; vgl.
nr Stehe Wa^ibat : Oesehldite der Stadt Mclx 1, 939 ff., «owie UtnuMn : Fniu «on SkUageii
s 97 ff., bes. s. 99, Anm ?. die versdilcdcnoi 2dtgaiö»l«elien Aiigdm ftber die Höhe
der Abfindungssumme verzeichnet sind.
*) Bischof Johann, Hcnog ven Lotttringen, ans dem OeidilcAt der Ooiae (I90> bis
1S90), seit IMS Kardinal.
«) ÜÜTZC.
») Vgl. über diesen Aquidulct Westphal: Geschichte der Stadt Metz. Metz 1875.
Teil I. S. 16 f. - Noch heslc üoA Reale dieser rfimiachcn Waaacrldtnng bei Aft an der
Mosel tu sehen.
9 SL MIchld 1) Unrlchlif : aa der Maas.
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398
Adolf Htseadever.
layse hat es in dreyen derffiern gestoiben, derbaSben wir In einem
futer ungessen 7 meylen geritten.
Barledu ck.
7 A*cil. X\V. April.
Dis sind zwue Stet aneinander, dem herzöge von Lottringen
von der Grone auß Franckreich gelyhen, in wellichen der konig
von Franckreich ym noch alle obrikheit behalten hat; die eine
Stat mit sambt dem Slosse und tbumb leut uff dem berge, die
ander unden im tall an einem vtSGhrddien lustign wasser; ist ein
getraidreichs landt und hatt einen gantz mercklichen großen wein*
wachs uff den beigen und täUem unübersichtlich.
Scäampanla.
7 Meil. Vitrich.>) XV. Apnlis.
ist die erst stath in Shampania, das ein kredigs Land, in
weilidiem [man] mit kreydenstein maureth; beherbeigt vil! kriegs-
leuthe und Buben, derhalben in einer meyle bey Utrich findet
man siben g;algen; die Stat ligt am Wasser Meria,^ wdchs kayser
Julius Matronam nenneth.
Schalon.
7 Meil. XVI. Aprilis.
Leut auch in Schampania, ein Stat als groß alls Amberg;
am Wasser; hat ein ßistomb und in einer klainen Mfolerbautten
kirchen leut und ist Sannt Albinus begrebtnus und Sannt Lups
heyithumb in einem Gasten verschlossen; tregt man von einem
dorff zum andern umb gelts wegen zu samein. Aldo hatt mein
O. H. Annillen und der herr von Haydeck und her Wolff
Dittrich etztiche güldene Teffelein und ich Dodor Lange zway
klaine ringle gekaufft von einem Pariser goltschmid.
Ambry das landt,
7 Meilen. Pernes.«) XVIL Aprilis.
Ist ein klaines und das letzte Stctiein Schampanie, h Inder
wellichem am jucile sich das Landt Bry und Ambry genanth
1) Vltiy-te-f rtnfioif. i) Marne. ^ ^Kniaj.
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Die tagebuchartigm Aufzddinungen des Dr. Johannes Lange. 399
anfonget; leydt zwusdten den bergen, doran holtz, wein und
getrayde wechst und unden an den bergen wolgebautter vil
dorffer» nicht ein kleine halbe meyll von einander gebauth; der
lall hat ein grossen lustige wysenwachs (vil wißmats), durch
welches das wasser Merla, Latine Matrona, fleust, uff wellichem
gegen Pariß holtz, kolen und weinpftle gciuit werden.
Der man. XVIIL Aprilis.
Ist ein klaines offen Stetlein am wasser la merla gelegen.
6 MeiL Schettyo thyre.«)
Ist Amberg in der grosse gemeß; am wasser und in einem
berge gelegen, uff wellichem ist ein groß und weyUis Sloß ge-
bauth. Dise Stat mit sambt Dorman und andern zngehorenden
dorffern, welche jerlicher Rendt zwaintzig tausent Grone einkomens
haben, hat ko . rnt einem gebornen Fdelman deutzscher nacion,
Ruprecht von Arnburgs Son, von wegen seiner riiterlichen that
in veltschlachten geubeth seine Labtage langk gegeben, welchem
man istp] von seinem schlos nennent Printz de Florania.
Item in disem tall von Schetthyottura bis gegen Aiauerte
muß man vier meyl über das wasser Merla schiffen.
6 meit. Aiauerte. XVIIJI. Aprilis.
Ist ein dorff, darin man gutte herberg überkommt
Meous.*)
Ist ein alte Stat wo! erbauet, Lateinischs Meldum genant,
anderhalb Nurmberg gemeß, darvon das eussere tayl vom wasser
Merla gantz absunder und umbflossen ist, derhaltien nie das ge-
wunnen noch irem herren abgefallen ist, danimb auch alles tri-
buts befreyet Hat einen freyen platz, daruff in einer kriegs-
ordnunge funffundzwatnfzig tausent man sten können, und auch
ein Stifft, welchs Bischoff*) von wegen der Lutherischen leer
man zu Pariß hatt wollen verbrennen, und ist durch des koniges
») Chateau Thierry. *) Meaux.
■) Ouillaume BriQonnet; vgl. Soldan: Oeschichte des Protestantismus in Frank-
reich, Leipzig 1855, I, asff., »ovie bes. Erich Mareks: Oaqwtl voa Coligny, Stuttgart
1192« I|, S76f.
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4ÜÜ
Adolf Hasendever.
swester') gonst doch bey dem Episcopath noch erhalden. In
diser Stat sein sonderlich vil fuchmacfaer.
7 Meil. Selibri. ^ ^p^j.^
Ist ein dorff, drei meylen von Pariß gelegen.
3 Meil. XXI. Apiilis.
Dise Stat haben wir mit sambt unserm gncdifjen herrcn
von einem hohen thurm besichtigtet und fiinff Nurmberg gleich-
messig geschatzet. Hat ein fiirtieffliche Universteth, welche kain
kayserUch recht lernet/-) und die doch das Perlament gebraucht,
und der Theologen halben auch niercklich abiiympt. Am Montn?::
vor essens hat das Perlamcnt in pallast unsern gncdigen herrn
erhafftig entpfangen und unter ine erliche stelle gegeben; aldo
haben wir zwue stunde ernstliche richtshandlunge und recht-
lichen gebrauche gehört, auch hat man meinem gnedigen hem
obgemeltes pallast alle Camern und gefencicnus getzaiget, welche
mit ubergultten tafelbergk und decken, auch seyden tapissrien
wolgeziret syndt Durch dise Stat flyssen geweitige wasscr, über
welche ein klayne brücke, genanth der goltschmid, gebeuche hat
bey hundert gleuchformige heuser;*) die ander große bruclce hat
vast zwayhundert gleichgebautter gutter kauffmanshetiser; die
stat enge und gepflasterte, stetig unfletige nasse wege und gassen;
aldo habe wir zwen tage gerueth.
7 meil. Monthcri.
Ist ein offen Stetlein, hat auff dem berge daran g^egen
ein Sloß und gutte weinwachs und getraidlandt, dohin der weg
von Pariß mer dan halb gepflastert ist
*) M«fatclhe von Navamu
^) \>' l a Or.indc FjicyclopWie XXV. ?6B: >I.'en^eiKiiemcnt du droit et ptirticulier
du dfoit iuiti..in, inlerdit k Paris, y (in Orleans) fut surtout prospire«, sovie K. Dareste:
Framoisi Hotm.in (Rcv. bist. 1. Jahrg., 1876) II, 2ff. : .L'nniversit6 de Paris n'enseigna que
le droit canooique. Oriduis, au contrtirc, n'avait qo'ime facultt de droit dvii, nuis an>
dcniie d iltastre.«
8) Vgl. I.. Paslnr: Die Reise de> Kardinals Ltiici d'Aragon etc., Freihurg i. Rr. 1905,
S. 13t : üTra quali ponti quello di Ii aurcftci crcdo sia longo apprcsso ccnto passi, dove
«e lavon d'on» d dVuiento lanlo d cos) •rttfidomaente, cooe tn parte dd «wikUi."
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Die tagebuchartigen Aufzeichnungen des Dr. Johannes Lange. 40 1
7 MdL
Das Landt Beaous.^)
Cthamps.
XXV. April
Ist ein stat fast als Paris ader ein virteil meylwegs lang,
nicht über zwayer gassen dicke, hat der konig seinem Camer-
lingen sein lebetage geschenckt und eingeben. Leudt im landt
.Beaouß genanth, welches sich baß gegen Oriiens erstrecket, und
ist nicht über 3 meyle prayt; von getraide ser ein fruchtbar und
eben landt, hat wenig weinwachs und noch weniger holtz.
10 meil. TurL«)
Ist ein zimlich dorff, do wir der wirthin umb die kamer*
Schlüssel haben ducaten und Cronen und Stiffeln müssen ver-
pfenden.
Ist ein Stat also groß alls Augspurgk, darvon auch das
herizogthomb, des konigs menlichen erben zugehörig, genanth
Wirt Bauet von dem weintzehnet ein vesfe streubpere und zir-
hafftige maur, hatt einen vast fruchtbaren wetnboden, darauff
sonderlicher gesunther und schmackhafftiger clarer rotter wein
wechst, hat auch in kayserlichen rechten ein berumbtte univer-
sithet und auch ein Bistumb; neben diser Stat fielst ein schiff-
reich wasser, Lateinischs Uguris genanth; und einen stain wegk
von Thun 8 nieyle langk.
4 meiL Noster Damma d'ClerL*)
Ist ein offen marckt, do gott durch die junckfrauen Marie
wunderzaichen wtrcket und der gottesdinst mit der briester
nutz mit wachs prennen und auffgesteckten Hechten vast geübt
Wirt, welche, so sie auffgesteckt sein, balde durch einen ver-
ordenten diener werden auBgelescht und nachvolgents wider
vemeuert durch die weyber vayl getragen und frembden leuthen
dngezwungen zu kauffen.
In diser kirdien leudt konig Ludwig') begraben. Dieser
wegk ist auch über das halbe tayl gepflastert, darbey audi fleist
Oriiens.
10 meil.
XXVil. Aprilis.
') Beaiice, Landschaft im Südwesten von Paris, ^ i.r «^ctnitlcreich,
«) Tüury. ») Cliry. «) König Ludwig Xi.; gest. 1483.
Archiv für Kulturgeschichte. V.
26
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402
Adolf Hasenciever.
das Wasser Semleyn genant, welches zwue nicylcn limdcr Orlieiis
auß einem grundlosen brunnen entspringt. Aldo hat Cimradt,
Thumblier zu Bies und zu Thürs, des weyerniaysters Son vom
Neuenmarck pu rtig, meinem gnedigen herrii den Wein geschenckt
und mit vier pierden belayih.
3 (meil.) Santh Lorents.*)
Ist ein dorff, sauber lustige herbergcn; uff discm wege hat
obgeineltter herr Cunradi mein Gnedigen Herren zu wolgefalle
miiii dicy i)loefussen -) alastern gepeyst; und aail' dii icchten
handt lassen ligen zwue stette des Bisciioffs von Orliens Beaucfi-'*)
und Mölie,*) und über eine Meyle darnach ein stetlein Longa
Villa genant des Marggrafen von Rottelle, der vor Pavia er-
schossen ist; under sannt Lorentz fieust ein wasser jena genant,
hindcr welcheni leyd ein thiergartten. Diß alles ist ein eben
weinreichs lustiges Landt.
Bles.'')
8 tnetl. XXX. April.
Ist ein Stet Augspurgk in der grösse gleich an einem berge
über dem wasser Ltguris genant gelegen, uff welchem leydt ein
vest wolgebauts und zirhafftiges scblos, welches unden an dem
Berge hat ubereander vier undergeschteden gerten*) mit Ci-
pressenpaume und gmnaten, opffel, maulpeerbaumen und wein-
hotten und andern edeln gekreuttem und prunnen wolgetziret,
und sunderlich ym obersten garthen ist ein lustign kunstreicher
Laborinth mit einem Summerheyßlein gemacht; auß disem Garten
ist in das Slos ein eingangk, daran uff der lincken hannt ein
hindtcontrafeth gesielt ist,') welches uff seinem haubtc ein recht
naturlich hirsclisgehuinc liat von XXII enden, welches Marggrave
Christoff von Baden hat an einem hinde befunden und das dem
') S(. Laurent des Taux.
*) ploefuessen : Blaufüsse — Wanderfalken. Vgl Archiv für Kulturgesch. II, 11 ff.
^ B«ugency. *) Mcung. •'-) Btots.
*) Auch in der Zimmcrischcn Clirotiik (od Barack IIP, 24H) «erden die schönen
Girtcn von Blois rühmend hervort^trhoben. „In der tUt bliben &ie [die Grafen Zinunern]
ain tag odicr zwen, die stat, das schloß und dum öle «Miicn<^eii ni besch«, «le avdi
gOdUldt"; d)cnso bei I-. Pastor a. a. O. S 144
•) Vgl. I.. I'astor a a. U. S. U4: „hurato ia porta dcl /ardino ad tiinii dcxtra i
contrafacia una ccrva con uno paro de coma grandi de una vera crrva. (pi-ilc secondo
dicm U inscripüone fu ammaiata dal marcbete dl Bau, et la donö al duu dd Rbeoo
IHcnog Reni von Anjou], et qndlo il roj Ladovko."
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Die tagebuchartigen Aufzeichnungen des Dr. Johannes Lange. 403
konigc von Franckrcich zugcscliickt mit versigelten getzeugknus
etlicher edelleut, die das obgenielt wildt haben gesehen und
heUfen fangen, welcher nainen auff einer taffei angetzaichnet
under dem hindl hangen.
In disem garlhen liab ich auch mit doctor Wilhelm G)po,*)
des kunigcs imiter*) leibartzct, kuntschafft gemacht.
in diesem obgemeltten S!oß [liegt] in einem verpichlen Sarck
des koniges von Franckreich ecüche gcmahels") C^orper, vor zwayen
Jaren verschieden, noch iinbcgrabeii von wegen der uncost, nem-
lich taiisent Crnnen, dy Irer bcgrebniis gebracht erfordert, und
kriegs halben unbegraben, und wirth allererste im September
dises Jars begraben werden.
Diß ist ein lustiger wecksteich neben dem wasser Liguris
uff der rechtten faandt füessende, do zeucht man 6 meyl zwuschen
seer fruchtbaren und wolgepauten weingertten und darnach
i meyle auff einem eben getraidreichen Lande.
10 Meilen. Ambas.^)
Ist ein stat am wasser gel^n, dorin des koniges slos auff
einem feb g^bauth ist,*) in welches gratien seinth drey grosse
aide leben (?), und in disem slofi dn grosser schneck,*) in welchem
man auff und abe rcytcn und faren kan.
Das Land Tkyrenia.'')
8 mdL Mantellan.*)
Ist ein dorff im landt Thurenia, welchs dem Bisthumb
Tliiiis /Übt' ndig ist, gelegen; auff disen acht Meylen ist nier
gciraidlswaclis den weinwachs.
I) Der berühmte Leibarzt Viotug Franz' I., aus Basel gebürüg: ge$t. t532. - Sein
Sohn Nicolas «ir bdonatticb bdrcwidct toit CaMn.
•) Lai«p von Savoyen, geb. 1476, gc^t, I53t.
•) Claude de France, Toditcr König Ludvigs XII., geb. t+w, vermählt ist4, gest 1524.
^ Ambotoe.
5 Mnri vgl. Pastor: A de Reatis Reisebeschr. S. 142 f.: Amboys . . ., quäle sl
bene c poca vuii, i allegra et ben posu; lei t in piano, ma ha un castello in pogecto, che
•i aon i di fortezza i commodo de stantie et ha bellissima prospcctiva."
") In abertragener Bedeutung Wenddtreiipei bier «ahncbdalicfa WanddgMlg.
f) Touraine. ■) Manthelan.
26*
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404
Adolf Haaendcver.
7 Meil. Schatelrla.*)
Ist ein Stat Arnberg gleiichincyssig des herlzogs von Bur-
bon,-) von welcher Slat wege, so des konigs muten mit recht ym
angewonnen hat, ist ohgemeller hertzog zum kayser gefallen.
Uft' der virde meylen bey dem dorff Rr.lhpicl ^^enant
seint wir über das wasser kreude*) geschifft, welches man latey-
nischs Sycorym^) nennet, und uff der rechtten haat von Schate! ria
fteusset auch ein mercklich groß wasser, Wycnna genant; bey
disem wasser hat Julius Cesar die Franzosen geschlagen.*)
Auff disen 7 meylen eben landts weckhs[t] wenig weins und
uberflussigk vill guttes getraidts, das pilUch des Franckreichs
kornhauß soll genant werden. Bey obgemelteni wasser kreuda
endet sich Thurenia und fenget an das Landt Poytirs, Lathei-
nischs Pittavia genant.
Das Landt Piäavia,'^
7 nicyl. Poytyrs.
Ist ein Stat grosser dan Nurniberj^k und nn der Lcnr^c
Parüj irleichmcssig auf einem pcv^c .gelegen, in welcher ist ein
Bisthiuub und in der ihumbkirchen leydt Sanctus Hilarius ein
Bischoff begraben. In diser Stat haben wir erstlich das woisser
müssen kauffen, sonder^) der wein ist von den Thumbherren
und einem Rathe doselben meinem gnedigen Herren g^schenckt
worden.
Vivon.
3 [Meilen).
Ist ein klaines Stetlein, do man auch hintzu der Mutter
gottes und wol r-llich gott zuvoran wallet, wan sie ye der
gnaden und BarmherUigkhait ist und vil genad zu erberben hat
alis die muter gottes.
1) Chltellenutt.
Kurl \nn Bourbon, der Verräter, geb. 1490, geht ISO auf dl« Seite Kifli V. ibcr,
stirbt 6. Mai 1S2; bei der Lr$türmung Korns.
>) Le Port de Pilcs. <) Creme, im Altertni» Crott gettanst
^) nuiB lüct t ine Vervcchielung oder Wortvcntfimmehmg voett^geR; die Cieiiee
heittt auf lateinisch Crosa.
«) In dieser Qegend tut Iceine Schlactit zwi«ehen Jallas CUar tmA den OalUen
stattgefunden \X'nhrschrinIifh wurde durch Lokillr^rrndr die Erinnemilg ttl irgend cioc
frühere SchLtcht mit dem berühmten Kumer ia Verbindung gebracht,
f) Pbilou. •) s= aber.
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Die tagebii Chart igen Auflehnungen des Dr. Johannes Lange. 405
2 Meil. Lusimer.")
Ist ein kleines, von sclbentspringencioii bruncn gcrten und
holtzwachs ein histii^es stctiein auft einem berge gelegen, do
auch der hednisclie gothin iWchisyn, von welcher liie pfahzgiaven
sollen Ursprung h.iben, wolgebauts Schlos stet, in welchem der
Burgundische hertzog von Urania gefangen gelegen hat; under
dem schloß ym tail am berge, do ist der Melusyn hrun, darin
sie sich gebadet hat, und darüber ist ein neues kirchlein gebauet.
Daran unden im tall fanget sich an der thiergartten, ein
deutsche meyle ianck, in welchem wir vierhundert stuck wilts
gesehen haben, und durch disen garthen fleysset zwue meyl ein
vischsreichs wasser.*)
Wnn sagt, das obgenielte Melusina noch vor des Franck-
reichischen koniges und i^onigin tod zwen tage sichtigklich
erscheyne.
Goy.*)
3 nieii.
Ist ein kleines dorff, darin seint wir ein nacht gelegen.
7 meiien. Büfetts.*)
Ist auch ein klainer fleck, darynn wir auch seinth ain nacht
gelegen.
Mala.«)
3 meiien.
Leydt an einem grossen wasser.*)
Hertxogtkumb Aaguleim,
4 nieyl. Angulenia.
Ist die haupthstat des obgemeltten hertzoglhunibs, jctz des
kontgs niutter zustendig, auß welchem diser konig Franciscus
geboren ist/) hat ein zirlich Schlos mit einem lustigen garten
1) I n=icrnai!. Vonnc.
") Vgl. Zimrncri<^hc Chronik iU!«, 49; „Zu Lusiiigen, sagt man, wann ein kimig
von Frankreich sterben, hOre man etliche nicht darvor ein snuisams sttchnii nmb dftS
«chloH, und das soll df" Mtlüsina sein."
«) Couhe. Buifec ") Mansie. ^ Clurcntc.
^ Am it. September 1494 in Cognac.
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406
Adoif Hasendever.
und ein altte thumbkirchcn, welche balde nach dem tode Sanct
Petri ist gebauet worden.^)
3 meyi. Schetgenau.-)
Ist ein kleiner offner matigk, darinne wir seint atn nacht
gelegen.
Schymau.*)
2 meylen.
Ist ein klains Stetlcin an einem lusti^^en wasser gele^rr,
daran wir vast über ein zerrissne unebne lange bnicken haben
müssen reytten und uberfaren. Üarinne hat der Ammiral^) ein
lustiges wolgebautes schloß mit lustigen sälen und Camem,
welche mit sonderlicher wolgemachten tapissreien und bethen
wolgeziret sein, darinne halt Er meinen O. herren l>eherbefiget
und vll erhe ertzaiget
Cuniagk.*)
2 meil.
Ist ein Stetlein nit grosser dan der Neuenmarckt, in
welchem der konigk auff diß mall hoff hielt. Aldo seint meinem
G. herren zwin hertzogen von Lotringen, Musignor de Goß*)
und sein Bruder von Vadmon,') und der viceregli von Xeapoüs**)
[entgegengcrilten] und haben meinen erledigen herrn in des ko-
nigcs schloß belayttet und in des koniges Omer;") aldo h..it
der konig meinen gncdigen herren freuntlich mit freuden ent-
pfangen und nachvolgens auch in seiner nuiter Giuier und in
das frauenzimer belayt und dan in seine '_::eniach, welche sun-
derlich für meinen gencdigen herren verordent und beraydt
worden. Dise obgemeltten Camern sein getziret gewest mit
gülden und auch silberen tapisereien und etliche mit sametcn
I) La Cathcdrale St. Pierre, im XII. Jahrhundert ertiaat, tpiter ratttlricrt
•) Ch.ite.iu neuf sur Charc-nte >) Jamac (?).
*) Philippe Chabot, seij^neur de Brion, seit 1526 in dieser Würde; gieat. tS43.
•) Cosnac. ^ Claude^ pranlcr duc de OuCse (1496* <5S0).
"O Louis, duc de Otiise, comte de V.itidfmnnt, fjest. 1528 vor Neapel.
•) Karl von Lannoy. Über den Zweck seines Aufenthaltes am französischen Hof
und «dae dorti0eii Vcilmidliiiifen vgl. Fr. Deenie: Anne de Montmorency, Pari» im, S. M.
») l'bor des Pfahgrafen FrTipfnng vgl. Di.irii di Marino Sinutn, Btl XLI, Sp.
(Ucrichl uci Sekretärs Rosso vom lu. Mai 1526): ,,i zonto qui il coiitc Palatino coii iSca-
valli, va in Spngna. Li andö contra monsignor di Lutrech, et i; stÄ honorato assai, alozü
in casidto col Victr^. Li and6 etiam contra monaignor il Oran Maestro et poi U Viceri."
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Die tagebndiartigen Aufzeichnungen des Dr. Johannes iJknge. 407
tapisreien, auff welchem die fabeln und geticht Virgily in Buoco-
licis mit golt und perlen kunstreich getickt, und bethe wol-
getztret.
Der konig hatt vierhundert harschirer, welcher jetzlicher
zway pferd helt und hundert Schweitzer, welche alle sambt von
dem konige gedaidet werden und helleparthen tragen und tag
und nacht uff den konig warten; disem königlichen hoffe zihen
kromer und kronicr (sie!) und allerlcy kauffleutc und hanck-
wergks Lcutt nach, das man sechtzig tausent person, das mayste
tayl berietten, schätzet dem ho\c ;inch7.iehen.
Item der konig liau meinem gnedigen lierrn obcnts und
morgens ein freyhc fürstliche taffei gehalden und alle ritterliche
kurtzweil und lust mit meinem Gnedigen herrn gef leget, wie dan
hernach volget,
Erstlichs Am Samstage*) nach essens haben sye mit son-
derlichen woll ahgerichtten hunden weiß und rattfarben un-
angekuppelt einen hirschen gejaget , uff welchen ungefordert
kayner für den Jeger iauffet, so sie doch glcuch das wiit sehen
ader an jagen hören.
Auff den Sonlag-) nach essens haben sye sich in tuchem
vorhaltten in gegenburt des frauenzimers gejaget und etliche
Frischlinge gefangen und acht gestochen, under welchen ein weyß-
gescheckts befunden ist.
Auff den Abent hat der konig meinem gnedigen herrn ain
Panckhett gehalden und aldo meinen gnedigen herren über sich
und den vicerege von Neapolis und Engelischen legat*) und
Cardinal gesetzet, und nach essens einen tantz und Mummerey
gehalden mit seyden und samathen kleydern verklaydet, darunder
der konig und mein gnediger herre und der Cirdinal und
hertzog von Lotteringen erschinen und auch vercleydet worden.*)
Auff den montag*) hat der konig meinen gnedigen herren
zu tische in den garten geladen und auff den obent des kontgs
•) 12. Mai. «) 13. Mai. ■>) Thomas Chcyne.
*i Daß neben diesen niBnigbcheo Vcrgnüsfungcn «uch Zeit na enutoi poUtisdicn
aespriehea fibrig blieb, geht ms Lfodluf* Dantellung S. 9t f. hervor. Ober umaittdlMU«
Aufträge des französischen K.^htnetis an Pfalzgr Lf Friedrich dir Kaiser Karl vgl. Fr. Decme:
Anne de Mootmoreacy, Paris 188S, S. 84, aucii Anni. 3
•) 14. Mal.
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408
Adolf Hasetickver.
muter in das frauenzimer. Item alle tage und obent seint
des koniges Musid on meines Onedtgen herren tapffel und
scfaloßkamer erscfainen und freude gemacht.
Ponth.1)
Ist ein stetlein alls der Neuenmarckt, hatt doch ain . . .*)
graben aller voll lustiges reynes flyssenden wassers. Ist einer
Witfrauen, welche meinen gnedigen herren geladen hat und
freuntlidi mit dem weyn und andern vereret.
Aldo ist herr Wolff Dietterich von Knorigen mit sambt
seinem bruder und dem Srethebach von uns abgeschaiden.
Auch der konig meinem gnedigen herren einen r^gen
botten und einen Edelman zugeordet, welche allen stetlein
schrifftlu:hen bephel uberantwurt haben, daz sye meinem gnedigen
herren alle erhe ertzaigen und nicht anders halden sollen, dan
wers der konig in aigner person, welchs dan dem fleissig nach-
komen und gescheen ist von allen nochvolgenden Stetlein.
4 Meil. Etholie. XVII. May.
Ist ein dorff, darin man gutte herberge und alle notturfft
fyndet
3 meil. Blay.
Ist ein klains stetlein auff einem berge am eusern Merhe
gelegen, in welcher vorstat ist ein alte gebautte kirche, do in
der understen grufft auff der lincken handt leut Sanct Rolandt
und uff der rechtten hant Sanct Oliveri, Santh Romanus Eucha*
nus und Faustina und auff der lincken handt der Staffel sich[t]
man sannt Apolanie begrebnus.") Aldo sein wir auff einem Arm
des Mers siben meylen gegen Burdeos gefaren, pferdt und allen
droß uffis schiff geladen.
') Pons. *) Ein nicht zw cnUitferndcs Wurf, ich lese: ..druiachügcn",
^ Man v;r|. damit Leo von Rozmital: Reise durch die Abenillaiide Inden Jahren
146S, 1466 und 1467, besdiricbcn durch Osbriel Tctzel von Nürnbcri;, henusgcsi^en von
J. A. Schindler \n der Bibliothek d. üfemr. Vere!«» In Stuttfrart. Stuttgart i844, VII, 165:
,.\'on J.imicn litf wir ,ui>s ctwan vil tai;:tL~ in vin i^ni'M- stat, heilst Pla.i, do Icit die hei-
lige junkfraw sand Appolonia und sant .Kcvcrin'. Itcni du leit .-»utli Olyicriui- tiiid der
groß Rulant und Min Klivester. Seind auSdernussen groß leut gc^cstn. Des Rulml
•cfavader ist meiner spannen irucinzig lang gevcst, und ir bruder gßt vil länger und gröwer
tIButam." Zn diesen Mitteilungen vgl. msn die «ngeblich «nf Autoptie berahendtn kri-
tisdwn Benerlninsen M Leodius S. 5.
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Die tagebuchartigen Aufzdchnungen des Dr, JobaniHS Lange. 40 9
7 meiL ' XVIIL May.
Ist ein kostliche altte stat,*) bey welücher in ayner meylen
lang in das merch flyessen treffenlicher grosser drey wasser:
Dordonea, Gyrunda, Garunna.') In diser Stat fyndet man noch
vil altter haydenischer gebeue, nemlich templum Lutele und vor
der Stat ein zerbrochen Theatruin ; ^) hat einen großen wein>
bachs uff der andern seythe.
V meyl. Biuiensa. XX. May,
Ist ein zimiich dorff, dohin wir auff dem wasser Garuna
gefaren seinth, an welchs über vill merhhunde sich samethen.
5 meil Longon.^)
Ist ein klaines Sletlein, lateinischs Lyngonia genanlh, neben
welchem wir seint vorc^erytten und che Bürger und [Ambt-
leut] •) man nach königlichem bcveich liabcn wein und (^.ollacion
uns auff den wege mit i^fcdachter lafel angericht. Alhie fangen
sich wider an grosse meylen.
Castanier'Land. ")
Bcsas.
Ist eine zimtichc stat, Phasacum vor alders (oder vor
zeitten) genandt; liat einen Bischoff und aldo haben sie Sannt
Johanns pluei Alhie ist der anfanck Castanier Landts, welches
vast fruchtbar ist umb die obgemeltte Stat; sunder nachvolgens
ist dreyssig grosser deutscher meylen ein gantz eben und san-
dichs unfruchtbars Landt, hat vill poser puben und kriegsleute,
wenig wein und getraids und auch dürre wayde.
1) Bordeaux.
>) Vgl. L. V. Rozmital a. a. O. S. 165: „Von der $lat mss (Bbqr) muosten vir mft
unscm pfcrdtn iV. ' r < m r r' r:'^^cr v.ircn, siben tciitsch mdl Vmg, In ein slat, heiSt
Burdeus, ist scr ein '^chonc kostiichc siat."
•) In Wahrheit bl die Qiromie beVanntlieh kein besondeter Strom, sondern das
Astnariunt der vereinigten Flüsse Oaronnc uik'. Dordogne.
<) Les niines des Ar^es, diti-s \<t pjlaiä Gallien.
PodCnsac. *j Langion. ^ Durchstrichen. Oaaoogne. Baias.
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410
Adolf Haseadevcr.
3 meil. Capsious.*) XXL May.
Ist ein kleines Stetlein, do man vil Eysenerizt vindet und
die Statmauer auch darvon gemacht ist; hat schönes viedi und
kynder.
Rockeforth.
4 meil.
Ist ein kleins Stetlein.
3 meil. M o n t Ii ni a i- s c h a n s. *)
Ist ein Stetiein, darinne sich anfecbt wunderbarlicbe schlay-
rung und kiaydung der weyber.
4 meil. Tartas.
Ist ein kleins Stetlein an einem grossen wasser gelegen,
hat auch ein sloß au ff dem berge, erkennet für iren herren den
vertriben konig von Navarr, *) hat auch ain zinilichen grossen
Weinbachs. In diser Stat an dem pfynstmonedt^) haben sy einen
Bischoff geklaydet und frauen und gesellen die nacht und
gantzen tag mit sambt den pfaffen getantzeL
Ad Axs.»)
4 meil. XXIII. may.
Ist ein Stat Amberg gleichmessig an einem schiffreichen
wasser, Dosa") genant, gelegen, darin der konig von Frandc-
reich ein groß tayll seines geschutz haldet In diser Statt ent-
springt ein lautter clares warmpaedt, in wellichem man homer
pruet und ayer syden mag, und von seiner hitz wegen muß an
einem andern orthe zum bade gekuelet werden.
In diser Stat am pfingst eristag ^ haben sie ein groß schiff
in trucker stat umbgetzogen und auff freyer gasse Colladon ge*
hatden die schiffleute.
3 meil. Sant-Vincens.*)
Ist ein dorff von vier heuscrn, hat doch gutte und woll-
versorgtte beiicrberunge.
1) Captleux. S) Mont<de*Manan.
») Johann von Navarra, im Jahre 1S12 durch Fcroinaiu! vi n Antonien vertrieben.
*i II. Mid. () Dauc Adour. 22. Mai. St. Vincent de Tynme.
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Die tagebuchartigen Aufzeichnungen des Dr. Johannes Lange. 4it
Das Land PeschajftL^)
Bago n i a.
Ist ein haubtstat des Landts Pischaye, nohent an dem merhe
gelegen, in der grosse Amberg gleichmessig, durch welche fleiist
ein groß wasser mit dem merch vermischet, in welchem man
treffliche guttc Lechs und karpffen und ander vischs fanget.
Aldo haben wir ein karpffen von XXXV pfunden faist und
schmackhafftiiT umb zwaintztgCrutzerund ein Salma von XL pfunden
umb 1 11. gekaufft.
Discr Stat Ambtman ist tmserm gnedigen herren entgegen
gieritten und die herrn des Raths in rotten kappen, wie die
dodores tragen, haben auch, an der prucke vor der Stat ver-
samletp meinen gnedigen herren erlich entpfangen und nachvol-
gendt von allen thurmben schlangen und haubtstukke abgeschossen.
Pyrenei-montcs.
3 racil. Anyou.«) »XXVL May.
Ist ein kiains dorff, in wellicliem sich endet Franckreich
und das gebiet des koniges von I'ranckreich, und was hernach
volget, ist Hyspanien zugehörig und zuskndig.
Das Landi Bascko.
4 meil. Elysando.*) XXVll. may.
Ist auch ein dorff nn dem pampaionischen gepirge gelegen,
welches man Lateinischs Pyreneos montes nennet; do muß man
etliche berge ain halbe meyle hoch, auch einer meylen hoch
zwen tage überreitten, weiiche on etlichen ortten gar unmöglich
zureutten seint.^)
In disem obgemeltten gepirge leydt das Landt Baschko,
wellichs ein unhofflicli volck hat, eine sunderliche sprocfae,
welche mit dem weliscben Latein, frantzosischcn, deutschen und
hispanischen nichts gemaynes hat, darin die Junckfrauen alle
>) Biscayi ») Ainhnue. Plirnncl'''
•) Wie Lcoütu^ (S. 101 a) mitteilt, wahite I'faUgrnf f"riai:ith ditscn \\ cj; durch
das unvirtliche Gebirge, weil er vermeiden wollte, seiner cinsii'^en Jugendgelicbtcn, Jt-r
venritwcttn Königin Eleonore von PortnjpU. der Braut Vtarn' I. von Fnntcreich, der
9ÜiMm Schvetter Kalter Karls V., zu becepicn.
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412
Adolf Hasenctever.
beschoren seyndt kolbith') und nach der paucken singen zum
lantze, und an dem tantze zuspringen und alle geradigkheit zu
üben, auch des pales zu spielen ist den pristern unverweifiltch.*)
Diese obgemeltte Junckfrauen mit den henden an enander ge-
schlossen und nach der paucken singende in den dorffem ver*
balden den Reuttem die Strosse und begeren von in eine vcr-
ehrunge. Auch hat diß Landt sonderlich ungelerte priester,*)
welchen die weyber, so sie auß der kirchen geen, die hende
küssen, und in der kirclien offte den sauen an der Casseii.-')
4 meil. Alantza.«^) ^^^^^^
Ist in dem obgemelten gepirge auch ein dorff, in welchem
der pfarrher am Sontage trinitatis*) zu dem umbgange sangSalva
Regina und in der kirche zu einer ziere nichts dan Tischstucher
und hanntzweheP) hatt auffgehangen.
Kpnigreick Navarr,
3 meil. Pampalona.
Ist ein zy[in]liclic raynküche stnt, grosser dan Amberg,
weliiciie des konii;^ von Navar ^tv/cst ist, darinne noch des
kayscrs kriegsleute ligen, welchen er über XX 11 nion.idt«; soldts
sciiuldig ist; haben uns zum frucstucke geladen und alle Erhe
crzaiget.
Dieses obgemelts Landt hatt dises kaysers vatter konig
Philips dem konige von Navar*^) genomen,*) welcher sich noch an
des konigs von Franckreichs hoff stettiglich erhäldet
') kolbith (: r Viu' ili . ' "ibicht", -kolbik;"; li.'.yrisch: »kolbcth*) = ^ia'.t geschoren.
Vgl. Qrimra: Deutsches Wünerbuch. V, t6ii: v. kolbicht: 4a, sowie dicnda 1607 v.
kolbe: 9.
2) Die Bctciliptinj; m öffentlichen Spielen war den Oeistiiclicn btk:inntlic)i vcrboltn.
■) Vgl. L. V. RozmiUl a. a. O. S. tM: «In dem laod haben die pfaffeti veiter and
sein Obel Relert und predtj^n fnich nichts dan die zehen gebot und tederman beirbtet kein
andre bcicht. dinn die der pric-.'cr vorm a-lar sprich;. Er tinb ;;i •'der klein «iincl
gcthucii, so ncnt er doch keine mit namai, sunder niii der bcic'at wil er s .TJ-sgeiichtct haben."
*} Saum an der Casel; casula, veslis sacerdotalls ; Orimm a. a. O. III, 608.
») l anr. «) 27. Mai. ^) Handblchcr Jean d'Albrct
») Diese Notiz ist unrichtig: der Großvalcr Kaisei Ivarls, König I crdinand, eroberte
im jahfe isi2 Navarr*.
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Die tagebuchartigen Auüeiüinungeii des Dr. Johannes Lange. 413
4 meil. Varasonia.*) XXIX. Alay.
Ist ein zimlich dorff auff einer höhe gelegen, auff welches
kirchoff vast vil Cucuiner asinium^) wechst
4 meil. Taffallia. XXX. May.
Ist ein klayne st;U, hat ein s!oß, j:^rosser und weytter dan
die gantze stat, welcher haubtmann meinem gnedigen herren ist
enlgegen gerithen und eingeladen und vill erhe ertzaiget.
In discr Stat hat des doctor Lenibcrgcrs pferdt nach essens
auß einem sienden wasser, darzu slangen und frösche lyeffen,
sich zu rehe') getruncken und 4 myl darauff gegangen.
4 tneyl Peraltha.
Ist em klains stetlein an einem großen wasser*) und stalnigem
berge gelegen.
7 meil. Servier..»)
Di6es Stetlein ist eyne lange gösse, an einem hohen beige
gelegen, hat im tall ein kleyns flyessende wasser") und vil feygen-
baume. Aldo sein wir am tage Corporis Christi^ still gelegen,
do haben die Bürger in weyßen hembden mit gemaftten rayffen
vor dem Sacrament nach dem altten judischen gebrauch getantzet
und gesprungen.
Auf discm wege drey meylen nach Paraltha fleusset das
bcrumbt wasscr Yberus, durch welches wir mit den pferden und
Eseln gerytien sein, und ich, doctor Leniberger, mit meinem
gnedigeii herrn ubergefaren. An diseni wasser endet sich das
konigkreich Navar und fanget an Castilia.
CastUUa Konigkreich*
4 meil. Matelebreres.*)
In diesem dorff haben sie den halben tag circuirt oder
drcuitum gehalden, und Gott mit schreyender stymbe umb regen,
wasser und barmhertzigkeit gebetten, und altte Menner, auch
1) Barisoain. >) Die Spring-, Spritz- oder Eselsgurke (Ecballium elateriutn).
^ rebe, rftbe — Stöflidt. nur von Tieren, bcModcn von Pferden. Arga. Cerven
dd Rio AHnma. 9 Rio Atbam. 31. Mtl. •) Matiktncntt.
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414
Adolf Hasendever.
knaben, junckfrauen und kynder nacket und parfueß gegangen
und sich mil gaysein gehauen.
5 meil Qomora.
Ist ein kleines Stetlein, darin wir seint von einem pfaffen
beherberget, welcher von meinem gnedigen herren versIcherunge
forderthe, das im nichts empfrembt wurde auß seinem Gasten,
die er in meines O. H. kamer häthe. Alhie hat man kain brot
zu verkauFfen gefunden, sunder vor uns auß bevdch der hcrr-
schatft sonderlich pagen, wie dan auch zu Scrviera und in andern
nachvolgende Slctk-in offt gescheen ist.
In diser L^mtschalft hats in funff Monadtten nit geregnet,
derhalben umb wasser grosser mangel waß allenthalben.
4 meil. Maron.») ,„
Ist ein dorff unter einem Slosse gelegen, in wellichem ein
weih das ander auf der gassen gefangen nam von wegen des
weins, den sie uns gestolen hetten und die Justicia anrucffcn,
und der ungetreue wirth von uns forderet ainen silbern becher,
den wir in seiner kamer widerfunden.-)
2 nicil. Font ha willa.
Ist ein klains dorff, auf dentschs zu dem morgenbrnnlein
genant,*) imd habe doch mangel an wasser gehabt, der brennen
stet hinder dem dorff im gründe.
6 meil. Reoffrio.
Ist ein zimlich dorff in einem gründe gelegen, aide hat
nach zukunfft meines gnedigen herm got einen grossen Regen
dem Armen volck verlihen, daiumb sagetten, got het unsern
hcrrn zu yn geschickt mit einem fruchtbaren regen. Diß dorff
ist des Marckgraven von Nassa.^)
») Muiön.
t) Leodius crzälilt (S. 103 f.) dieses an sich recht harmlose Ereignis sehr amstandJich.
>) Wie der Verfasser zu dieser Detinui^ kommt, vermag icfi nidit Muocdm;
{.iciiH' die Quelk-; viila d.is 1 andient, die kli-inc Stadt. I codius (S. 103) aemit döt Ort
•ToutaiilU pagus", was uns aber auch der Deutung nicht näher bringt.
4) Oraf HdnHeb von Nassau. Er var seit Juni 1524 in dritter Ehe mit Mendt
Zenette aus dem Hause der Mendoza vermählt i:nd dadurch Besitzer großer LiegenschaflOl
in Spanien. Vgl. Meinaidas: Der KatzeieUenbogensdie Erbfolgestreit I}, 78 f.; dne Be>
adirdlMmg der gUniaidcn Hodtzdtafderlichlidten ebenda 1» ist ff.
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Die tagebuchartigen Aufzeichnungen des Dr. Johannes Lange. 4 \ 5
Item von Pampilana baß gegen Schedrack seiniht wir tege-
lich zwuschen Koßmaryn, Lavendel und Salve-Segel bäum geriten,
und wo dise obgemeltte kreiitter wachsen, do habe wir dorre
und unfruchtbars stayniges Landt fanden. Derhalben soll Teutsch
nacion dise uol sc! im eckende kreutter vor ir graß und thanzepffen
kains wechssels begeren.
4 meil. ' V. Juny.
Ist ein groß dorff des Marggraven von Nassa, in welchem
wir ain ducaten für einen wasserhaffen muessen zu pfandt geben»
und sein von einem pfaffen beherbei^get worden» der alles vor
uns geflohet hete und den gartten verschlossen, in wellichem
wir die ersten reyffen opffel funden haben.
3 meil. Hyta.'')
Ist ein klains Stetlein, darin vdr yn eines briesters haus sein
beherbergert worden j bat auch ein schloß auff dem berge.
., Ouadalashara.*) ,
4 med. VI. Juny.
Ist ein Stat grosser dan Amberg, dem hertzogen von guada-
laschara^) zugehörig, hat viU Ölbaume und zimliche weinwachs.
3 meil. Sant Türckas.
Ist ein ziemlich groß dorff, welches mit sambt einem ander
ain doctor der Eriznei besoldet und vil grosser weynhäffen machet,
einen umb ain ducaten, auch anderthalben.
In disem obgemeltten Stetlein und Stetten Castilie und
Navarie seint weichsei feygen und allerlay g^yde, Gerste und
kom, umb Corporis Christi*) reyff gewest und abgeschnitten^
welches sie nidit außdreschen, sonder mit Eseln, Ochsen und
pferden, die ein predt vol spitziger eingeschlagen steine darüber
füren und schleppen, also außtretten, das das stroe allayne glidslang
pleibet, derhalben pferde und Rinder kain stroe haben.
>) ladraque. *) Wahrscheinlich Hnmines. *) Quadalajan.
*) Die Herzogsvflidc voo Oimialijaim wir crblidi ia der FainUie der Meodoia.
») 31. Mai.
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416
Adolf Hasenclever.
4 meii. Valdelagunna. VII. Juny.
Ist ein klains dorff, in welchem der Edelman mefnem
gncdi'i^en Herrn bclicrbcrgctc und von einer swanzen Morin vil
kindcr ime zuverkauffen auffzeuet; iiat sunderlicheti großen
weinwaclis.
In gantz Hisj-)onia die Fvcichcn und die Edlleut die swartze
verkaufftte inoryn und leybaygen haben, vergönnen yderman die
fleyschlich zu erkennen, also doch das die frucht des herren
beleyben syndt, welche er ym sibenden und zehenden Jare, auch
Eltter umb XVI oder zwaintzig ducaten, auch vill teurer verkauffet
5 meii. Octavia.*}
Ist ein Stat in der grosse fast Nurmberg gleichmessig
des Biscboffs von Tholeth, in welcher ein eddman meinem
gnedigen herren erbarlichen beherbeiget hatte, und der Ambt-
man meinen gnedigen herren auff den Abendt zu Gaste gehabt
des andern tages, in welchem wir synt still gelegen, und mein
gnediger herr, der von Haydcck, ich und zwen knaben haben yn
einem wcynhaffen ein volbadt gehabt und wol den sweiß ab-
gewaschen.
Iteui Navar und Castiiia und fast gantz Hisponia hat nn
holtz so grossen mangel, das sie iren wein in erden heften be-
haltten müssen, welcher einer i*/« f"dcr weins hellet, auff die
forme gemacht*) Auch habe wir alle speyse müssen mit kleynen
reyssen syden und brothen und das offte das schwerlichen
bekomen mögen.
Item drey meilen nach Valdelagunna seindt wir über das
berumpte wasser Lateinisch Tagus genant geschifft, in welchem
vortzeitten man vil Goldes gefunden hat.')
1) Ocaöa.
^ Am Rande eine {ans flBcbtige Zeidmaac beigefaKt
S) Vi,'l I.ühker: KciliivIIidii di^ ki.isMscIien Altertums, Leipzig 1891, & 1177:
»(Der Tagus) tuhrte nucli drn beridilcn der Alien vid Goldsand mit sieb, wovon tidl
fetit nur geringe Spuren zeigen.* Vgl. hierzu Dillon: Kefw dnrdi Spanten, Ldplicimf
1, '.'Ii' f. - Zahlreiche Litcr^iturangabeii über Ooldvorkommen im Tajjii? bei den nltct»
Sclinlistellem findet man verzcidinet l>d Pauly: Realcnzyklopädie des klassischen Aiteitums,
Stuttgart 18S2, Bd. VI, Sp. tm.
i^'iLjuiz-uü by VjOOQte
Die tagebucbartigen Aufzeichnungen des Dr. Johannes Lange. 4 1 7
5 mefl. Tcmpleck.^) X. Juny.
Ist ein offen marck, in welchem unser wirth von wegen
der Marranischen *) Seeth verbrant waß und sein nomen auff
ein gelbes tuch grob gcbchriben in die kirche gehenckt.
Merck! so yndert ein person, weyb oder man, wirtt bey
dem Richtter bey dem Eyde beschuldiget, auch in irem abwesen,
das sie der Marannischen adcr judischen secth anhennig sein,
so Wirt die beschuldigt perboii in abwesen des heymlichen zeugen
gefordert, und so sie des gcsieeht, so hatt die beschuld igtte person
hr^b und all ir Riitt verwirckct, das dem richtter und der obrikheit
haimtalict. So aber obgemcltte bcclagtte person das laucknet, so
hatt sy auch alles gut verlorn und autf gethonen Aydt des
haymlichen anclagers wirt sie verbrent und ir Namen auff ein
gelbs tuch, ayner elenn prayt und lanck, grob geschriben in die
kirche an einer schnür uffgehangen, darumb sieht man vast in
allen kirchen Hisponie zwaintzig, auch 40 und 70 tucher hangen.
Durch dise Jurisdiction werden vil rechtter Leute urob
neudes und guts willen beclagt und auff falschen Aydt des an-
clagers und geytz des Richters leybs und guts beraubet, der-
halben Nyemandts in Hispania wider die Qeystlichen reden oder
der Lutteryschen und Evangelischen sache one ferlikhait seines
lebens gedencken [darf].
5 meil. Villafranck. XI. Juny.
Ist ein zymlich dorff, do sein wir zu mittage am XL Juny
gelegen und gezogen gegen Willabarta.
3 meil. Willaharta.
Ist ein zimlich dorff, in welchem sich unser wirth vor
funff tagen hat lassen tauffen. In diser tagraysse seynd von
hitze und starckes weins halben uff dem wege die nacht blyben
ligen Hans Eseltreyber mit seinem gesellen und Arnolt, Koch,
am grymen,") und Vintzents und Gregorius auch kranck worden;
derhalben sein wir ein tag still gelegen.
>) Tcmblequc.
i) Mjranen, ein Schimpfe crt der Spanier fär gctiafle, «fecr ihnr RdigiOD im
geheimen treu gebliebene Juden und Mauren.
^ Ldbwdi, [)inilniHk. - CoUca, du krimniai ttifmDcn).
Aidiiv ttr Kuilai«eMiiidM& V. 37
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418
Adolf Hasendevier.
5 mdl. Mantzanares.
Ist ein dorff, hau aiicli weinwachs. In Castilia in vi! dorffern
und Stetten ist verpot.i'n lIu- milch zu vcrkauffcn, auff das sie die
junge rynder und kelbei alsu vil leni^er lassen s^iLigcii und slarck
grosse ochssen auffzichen, mit welciien sie das veldl paiicn liulI
faren; haben schene Horner, aynes Elbogen lang und diitliiübcr
Spanne von einander gewachssen mit den spitzen, und halden
das vieche gantz sauber.
3 meil. Valdepenies.*)
Ist ein zimlich dorff, welches sccr ein grosse weinwachs
hat; aldo ist mein gnediger herr vom AinpUnan Sannt Jacobs-)
orden crhafftig beherbergt.
Alhie anicncklich mufi man wein, brott, fleisch und auch
fueticr mit sich füren, dan auff disem naihvolgcnde wegk etliche
meylen findet man weder dorffer, noch stet, sunder allaine
etliche heuser auffs veldt von wegen der wanderleute und kauff-
leute gebauet, darin man auch kain bethe oder koche heldet.
Dise herbergen hispanischs nennet man ventas.
5 meilen. Venta le rueleos.
Ist ein eintzig dorff zwuschea grossen bergen gelegen, aldo
seindt wir auff der erden und etzliche auff der kaufleutte wol-
secken gelegen.
Finis Castilie.
CaUaionia konigreich.
6 meil. Vilschis.
Ist ein kleins Stetlein uff einem hochen berge gelegen, ^)
In disem flecken muß man 5 nie) Im über grosses gepirgc reyten
gantz stayiiigen und eben*) weck, der do nit all enden zu reytten ist.
Item [inj gantz Hisponien ist yderman freye, das wiltproth
alieiiey zu schiessen, welches die pauern sunderlich in disen
») Valdqjciias.
') Orden des heili^n Jakob vntti Sdr.vrrt, ^pnnlschcr .NUIit.lroidcn.
■) Vilches: >inaJcnsch zwischen zwei Ucigcn gelegen" (Baeückcr: Spanien und
Poitngii S. 313). S<rtl wobt Matt und eben «neben bdBen. D. R«iL
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Die tagebuchartigen Aufzeichnungen des Dr. Johannes Lange, 419
pergen mit vergyfftten klaynen pfeylen schyessen, welche gifft
also starck ist, das sie den menschen todet, so allain des menschen
pluet oder klaynes wundlein darmit bestrichen wiit^)
4 meil. Ubyda.-)
Ist ein Stat Arnberg in der grosse gleichmessig, hat vil
wein und getraidt und Mauelberbaum und auff dem velde drey
meylen lang und sunderllch an dem wege wachsen seer vill
Capren. Auff disem wege zwue meylen nodi Vilschis im gründe
am wasser hat der Jobst Brantner, Riigas Steffan, WasAel Barbirer
und Bock ain ainem Steige Verstössen, den hat auß bevelch
meines gnedigen herren der Bock nachgerent und sein pferdt
verderbet und ist auch schwerlich widerfunden.
3 meil. Schoda.^)
Ist ein dorfflein, in welchem wir die pferde nicht woll haben
können gesteüen, und ain meyll hinder dem dorfflein fenget sich
ain gepiiischs landt an paß gegen Granaten, und uberall auff den
bergtii sieht man klaync ihunilcm und warthen von den morischen
gebauethet,^) darvon sie an einander beruffen und Irer vheinde
zukunfft verkondiget haben.
4 meil. Venta Karafaschall.
Ist un aintzick liauß, darinna(!) wir nicht alle haben kunnen
stellen und ayn tnvls auff der erden im hause, die andern vm
Velde gelegen. Aldo ist der Marschalck mit seinem knechte und
Gregorio") und dem Lehendell (?) gegen Granathen von Vii Ida ')
geritten und hat durch des kaysers bevelche uns herberge
I) über diese vergifteten Pfeile, welche die Mauren auch im Kampf gfgn die
Cliristen verwaiidtea, vgl. Prcscott: Geschichte Ferdinands und Isabcllas I, 390.
•) Ubeda.
*) Fin Reise.ibcn{euer, dessen tatsichtidier Kern in dioer knappen ScbUdenuig
nicht recht deutlich zu erkennen ist
4) I6dar.
8) Vgl. Prcscott: Ferdinand und Isabella (deutsche Ausgabe) I, 387: innerhalb
der Oren/.en Oranadas gab es . . . zehnmal mehr feste Plät/c, ali jetzt in der ganzen Halb-
insel. Sie standen auf dem Kamm irgend eines Abgrundes oder einer steilen Sierra, deren
natfirliche Stärke noch durch das feste Mauerrerk vermeiirt wurde, von dem tlc umgeben «aren.»
«) Qregorius Mayer, Silberschliefkr.
Vgl. Lcodius S. 107a: (Marcscalltt»], qiwn CK Ubeda pnembeiat Princepa
Oianalam, ut noMs de iMwpiÜis pro^iceret*
27«
420
Adolf Hasendever.
bestellen muessen, und an des kaysers vorbitte und bevddi lict
er uns kain herberge können bestellen.
6 meil. Ouadatia-Horruna.
fst ein dorff durch konig Ferdinandum von wegen der
Ruber, die sich in dem obgemeltlen gepirg^e erhalden haben,
gebauet. Aldo macht man schone und wolgeierbte gleser.
4 meil Asanalios.
Ist ein dorff, darinne wir haben uff die herberge zu Gra-
nathen zu bestellen 3 tage gewarlel. Ist der Morischken gewest,
darinne man noch ir sclilos zurbrochen sieht uff einem berge.
4 meil. Allabalath.
Ist ain dorff ein halbe meil von Granathen gelegen, in
welliciiem, so \\n auß kayserlichem bevelch herbeiLT* emgenonien
hatte, ist der wirth von Granathen selb driUhe kernen mit sj^eyße
und uns außzutreiben im furgenomen.
Das Königreich Oranaten,
Granaten.^)
Ist ein Stet eines namens zwuschen den bergien also gelegen,
das man die von kaynem eusserlichen berge aber orte gantz besehen
kann. Ist vast zway Nurmberg groß, und auff den eusserKcben
bergen vindet man in den allerhaisten tagen vill schnees,-)
darmit man den wein kniet. Diso sUit Icyi nicht zwoltf meylen
von dem mittelmer, also das man darauß in 3 tagen mag in
Affrica sein, und vier Tagen am ende der weit und nydergangs.
Dise stat ist der weyssen moren gewest imd hott zwen
konige-') gehabt, vor welcher konig V'erdinandns iiat sechs Jar^)
gelegen und ein Stetlein mit seinem here Santha hede genant ^>
t) Am 23. Juni kam Pfalzgraf Friedrich in Oranada an. Vgl. Alex. Schveist an
Ornf Wilhelm von Nassau, Oranada, 25. Juni 1526: >Pfait7graf Fridreich hi für zweien
tagen hie bcy k. m. ankoinen« (Meinardus: Der Katzenellenbogensche hrbfoigestrdt 1^ 1S2).
Seit (km 4. Juni treiltc der Kaiser in Granada. (Forschungen zur deutschen Ondiichle Bd. V.>
*) In der siid.'istlich von Gr,in.Ki.i KLl<."x:cnen Sierra Nev-icLi.
•) Boabdii und nach Abu! Hassans lodc (H85) Es Sagall, »der Recke."
*) Scdis Jahre währte der ganze Krieg um Oranada, nicht aber die Bdagcmng der
Stadt. B) Binnen «cht Wochen im Spätherbst des Jahre* - Wenige Monate später
ergab sich Oranada.
i^'iLjuiz-uü by VjOOQte
Die tagebuchartigen Aufzeichnungen des Dr. Johannes Lange. 42 1
gebauet, ^) und nochvolgens im 7. Jare von der kunigin Eltza-
bcth gewunneu und Christen worden.
Item das halb tayll diser Stat volcks sein weysse moren,
welcher weyber und junckfrawen alle weysse schyffhosen und
ploderthc *) antragen, und das haubt und leib mit einem weyssen
tuche, vast wie bey uns die dorffhirtten , bedaydet paß auff
die waden, und das Tuch vorne alle für das halbe Antlitz halden,
und das dise klayde mögen ine nachgelassen und freyer seie,
muß ein Jetzliche person dem kayser darvon jerlichen ain
ducafen geben, und welche am Sontage die predige versäumet,
dem pfarher ein Reall. In diser Stat an den betigen sieht man
noch tiffe gruben, in welchen die gefangen Cristen mit sambt
einem Bischoff des nachts geschlossen und am tage zu allerlay
Arbait vermyet und gebraucht sein worden.
Item dise obgemeltle Stat ist an sandh Johans tage')
erobert,*) derhalben sie jerlichen an dem selbigen tage des
morgen frue die Edelleut und Burger auff Morischkhen und
Turckgsche art mit Schilden und lantzcn gerust vor der Stat
ein sctianuil/c! Iialden und einen triumph nach cssens; so lassen
syc äLili dem niarcklhe sechs oder siben ost[!] ochsen dem geniaynen
man jagen und stechen, darnach komen die Raysigen auff turckischs
und Morischkisch zu rosse gerust und in zway tayll getayllef,
schicssen mit schweren dicken ruem uff einander und ein tayl
umbs andere begibt sich die fluecht und stellet sich wider zu
der were.
Dises Spiel habe wir den kayser zu Granaten in aigner
person und gegenwurt der kayserin mit irem porthugalischen
>) Vgl. hierta Procott: PerdioMtd und tnbdit. Uipdf 1I4S. I, 411 : »Die Stadt
hatte eine vlereckis»r Otx^tnlt und war mit 'wei rTäiimiR:cn Zugängm vcnefipn, die sich In
der Mitte rechtwinkelig durch<;chnittcn, in 1 orni eines KrtUJes. an dessen vier äußersten
Fnden sich stattliche Tore befanden. . . . Als sie fertig Mir, wur;scliic das gan/c Hevr, die
netie Stjdt möchte den Namen »einer berühmtoi Kfioigin eihallcni; doch IsabeU« lehnte
die« Haldigmig Iwadiddai ab sud gab dan Orte da Nuon Santa- Fi.'
3) Abgeleitet von »blöd«»* 1» flncfc, laxnm esse, bauschen); vg). Orfmm: Denliitei
WörtertHtch II. 141.
») 3. jairaar 14M.
•) Diese Noii/ ' i l icht ^.ym ^aiiu: die Bcdirigunv;en 7iir l'bcrgjtbc \xurden von
Fcfdtnand und Isabcila bestätigt am 25. Noveinber I49t, die Übergabe selbst und der
fderlidK Einzag erfolgte am I. Januar 1492; vgl. PiCMOtt a. a. O. S. 4lSf. sovie S. 4t6,
anch kam. M.
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422
Adolf Hasendever.
fruienzimer zu Oianatheit an sannt Johanns tage ') Haiden [sehen],
in welchem drey menner von den Ochsen sdni auff den tode
ven\'undt worden und ein gaul mit einem Ror auff das haubt
geschossen, ist also balde nydergefallen und auff der stat belieben.
Item den obeemeltten Moren seint allcrlay werhee bc\ m
zu tragen, sie wnuiern dan über feit, oder in irem hause /u
halden bey grosser pene verboten, außgeschlossen ein klaines
protmesser und ein fleyschmesser, darmit sie zuhauen, welches
an ein kethen ^efast i"^t, derhilben die Obrikheit alle viertzehen
tage ihre Heuser lasset besuchen.
Item auff den letzten tage zu üranathen hat der kayser
meinen ünedigen herren in den gartten unter dem schlösse-)
gelegen zu besichtigen den Morischken tantz gefuret, welche
alle mit sunderlichen gutten Perlein und edeim gestaine umb die
ören, Stirne und Arme getziret und gedaydet, fast wie bey
der messe dyaconi, auff ires Landes art getantzt haben nach
der Lauften, geygen und pauckcn, auff welchen 3 weyber bey
funffzig, auch eine umb die viertzig jare alt gespilet haben und
mit heßlicher pauerischen sfymme darunder gesungen und etliche
die hende ineinander zu frolocken geschlagen.
Am ende des tantz seindt auff einen beiig komen Morischken
weyber und haben sich mit außshacklen baynen uff einem sayle
an zwyn nußbaueme g^knopfft gegen dem kayser g^schackdt und
gerötzschet und auff ir sproche gesdirien: wer wol lebet alhie,
der feret allso in den Himel Noch dtsem tantze hatt man yn
wasser zu trincken giegeben.
Item die weyssen moren und junckfrauen in Castilia ferben
[mit] gelbfarbe die N^In an den fingern, wie bey uns die
Gerber, welches sie halden für ein sunderliche zier, und ist einer
Junckfrauen ein grosse schände, wann sie wein truncke, der
halben sie alle wasser trincken.
In der obgemelten Stat Granathen macht man allerlay seyden
geu^ndt, sonder ausserhalben schwartz, keines von ander be-
stendiger färbe und weniger oder nichts wolfayler dan in deutschen
1) 24. Juni: Jonnriii baptiste. - Der V«rlitt«r wie «ddi Leddiiu» S.IIO1, Bduncn
MOf Orarud.i sei im 74. Juni gefallcB.
*} Die AUuiiibra.
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Die tagebuciiartigen Aufzeichnungen des Dr. Johannes Lange. 423
üindcn, niifjLü'noiiicn döpcl Taffath, der so [do? D. Kcd.J seer
wolgematht isi, und perlcin seindt auch do wolfayl.
Unib die stat ist aucli ein grosser histiger weingarthe und
weinbachs; die ersten zwen tage haben wir kain bethe in der
Stat können bekomen und auff der erden gelegen, darnach
haben wir belhgewandt von den weyssen moren bestell, darumb
wir in funttzchen ducaten haben müssen verpfenden. Sein
14 tag zu Granattcn (gelegen und am 7. tag July in dem
namen gottes mit treuden widerumb gekeret.
Item des kaysers schloß ist von den Morischken auff einen
bergk in der Stat gebauet, darinne man noch sieht die histige
und kunstenreiche bade') des Morischken koniges, in welchem
er mit seinen beybern gebadet hat, welcher er dann vil nach
seinem wolgefallen gehabt hat; und welche er dan noch dem bade
begert hat, der hat er ainen Apffel zugeschickt
Aus disem obgemeltten schlösse, darinne auch ain weyer
ist,*) fleysset das wasser vast durch alle namhafftige heuser der
statt Oranathen.*) Ist ein ungesunt wasser, darvon man die
Rure lyderlich uberkomet, und haben kam ander wasser, auch
kainen bninnen.
RedUtts oder wldenug von OmmUhe» am Sibenden Tag Jufy
angefangen, wie nadivo^eHi,
\ meil. Albaloth. VI. July.
Am VI. tage des Monadts July ist mein Gnediger herr
von Qranathen zu dem graven von Nassau in sein schloß, Alla-
kalahorra^) goiant, geritten und wider zu Ubida zu uns komen;
>) In scinrn t'pistol.ic niedidnales (Basel 15S4) S. 184 stellt unser Vcrf.isscr dic^
Bäder als vorbildlich hin. .... quis balneonim in Galliis et Romae fragmrnt.i et v-cttis
etUm illud in Hispaniii Oranaü resam Mauritanite baUioua in «rce Albambrc viderit,
ad iUonim normain comtniere possit*
^ Der bOR. «Myrtetihof".
Vgl. dazu Leodins S. Uta: «S«la [ic. m admiranda Oranada'»!, ett Dami»
anntt sen torrais, qui septeadeocm miNibo« ptmmm ab tut« cx aho ivgp «««(i» Oflua,
Omnibus ft-rc civitatis domibot aqtui abnnde piaebct, et «ahtbentmas e*«e dlcunt, licet
aliter dcprehendimus."
«) Calahorra am Altneria. Ostttch von Omada (ielbstversfindlich nicht Calahorra
am Ebro, «-ie Meinardns: Der Kat7cncl!mboj:en«che Erbfolgestrcit l|, 79 meint); vgl. die
begeisterte Schilderung dieses Schlosses durch den nassauisclien Seliretär Alexander SchwdB:
rund «as mir hcrtilichen lieb, das der pfjltzgraf dohin kam, allein nur 'olch haus, «an*
stuut umb anders nichts willen gcvescn war, auch zu besebeo. Wand ich sag c. g. zu^
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424
Adolf Hasendever.
sunder wir den 7. Tag July auff den Abent seindt pali gegen
Albaloth geritten und nachvolgens die alile Strasse biß zu der
venta le ruelleos.
Venta Le Ruelleos.
3 meil.
Aldo in disem dorff habe wir kärrheii gemuet und wein
und Speis mit uns gefuret von wegen der pöfien zukunfftigen
herbergen.
Venta de Canales.
4 meil
Ist ein aintzigs hauß in einem wuesten veldt gebauet, dohin
seindt wir über einen feur[!] staynigen weg gefaren und nicht also
vil Walsers bekomen, daß wir die pierde und Esel betten können
nach notdurftt trencken.
5 meil. Alamacra.
Ist ein Stetlein dem Neuenniarck gleichmessig, darinne uns
die Pucker beherberget und alle erhe ertzaigetten. Aldo*) haben
die Fucker des kaysers und etlicher ortten Hisponie zehenet be-
standen, darvon sie sich betzalen von des kaysers wegen.
Auff disem wege zwu meylen von der obgemeltte venta
scbepfft man an einem Rade mit einem Esel wasser, das verkaufft
man den Eselin und pferden und menschen ain trunck umb
ayn heiter.
5 meil.
Ist ein dorff nit groß aui disem wege. Ist bey einer
Meile ein zerbrochen sloß, bey welchem das vadianuni, das siben
meil under der erden fleust,'^) wider herfur an Tag entspringet
Ist ein dar wasser und hat doch einen bösen Rauch.
dflt Ich vn hfibictaer bem hauer In Htotitniai gjiewhen, aber nodi kdn «o Imdg, aadi
reich von mcrmclstpynen, senlen, stiegen und ."indcrm intd sunderlleh \on so guten ordi-
r.antien, als das, da^ auch mit seinen vIlt thiirnicn ii-iibher und t^tcn v<stun)?rm und
ijcschut/ imcli diL-scr bridart «nl vcrselin uml an allctii nicliti gespart ist. . . . Ich hett
gern gehabt, das lu. g. b. c. g. das haus hett abessen lauen und zugeschickt, so mönt
sein g., es wer nit «ol tmiiilidi, das es «o1 verstanden mocbt Verden.* (AI. SdiwdB «a
Qraf Wilhchr von Nassau. Cifnhorra. 9 Juü i Meinardu-S a. a. O.
') hl Alinigro war der Sit/ der Oencr.ilvcrviaUuni; der Tu^crschcii l'.«cli!ung am
den Einkünften der drei si\iiiischen geistlichen Ritterorden Santiago, AJcantara und Cala-
trava. Zur Sache vgl. IC Häbler: Die Oeschichte der Puggcrscben Handlung in Sfonicn
(Weimar miy S. 72 ff.. Ober die Nlcdcrtassnng in Almagro dxnda S. 79fr.
*) Oiiidiana, im Altertum Anas. Vgl Pauly-Wissova: Rea!m7yklopädfe des kla^-
siscliLti Altertums (Stiitt^rt 1894) Bd. I*, Sp. 2064: «Anas .. . nimmt, nachdem er anfangs
in einetu rc^^eiiT: ai ij^en Hcite^ zuwdlen ttQter dcr Ente sidi verlierend, veMwirü gicstrihnt,.
eine s&dliche Richtung.'
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Die tagebuchartigen Aufzeichnungen des Dr. Johannes Lange. 425
Item mein G. H. hat seyden zu Granathen umb zehen ducaten
gei<aiifft und sein gülden Paternoster achtzig gülden werdt zu
Alamagra verlorn; die hat der Futkcr diener here gegen Malai^^on
und das paternoster gegen Tholeth uns nachgefuret und Uberant-
wort, darumb in mein g. H. mit einem seyden wambes vereret bat
4 mei). Venta Sutanda.
Ist ein hauß, eytzlich in feldt gebauet, und so wir kain
kamer noch bethe darinne gefunden haben, seyndt wir die g^ntze
tiachtvierMeylen gegen Jeuenesgetzogen und auff dem velde gessen.
4 meil Jeuenes. ')
Ist ein dorff, darinne man doch ailerley hantwercksleut f3'ndet.
Auff disem wege sein wir in der nacht durch einen Aqua-
dudum gerithen, uff weichem das trinckwasser in die Stat Tholeth
gefuret ist worden und auch in eine andere Stat uff der recbtten
handt gelegen.
Item ain meyle vor der ot^emeltten venia ist ein berg, an
welchem sechstausent Piscayn haben 1 5 Tausent Moren erschlagen,
darumb man noch auff dem berge all enden in den klaynen
staynhauffen vil Creutze stecken sieht
4 meil. Zoffrinum.
Ist ein haimlich groß wolgepauets dorff, darinne wir gulte
tierbcrge gehabt haben, hat ein grosse weinwachs und holtz ein
notdurfft.
Item in dem konigreich Navare und Castilia, auch sonderlich
in Oittilonia von wegen Abbruch des Regens und wassers haben
sie in den gerihen Bronne, darauf f sie mit einem wasserradt den
gantzen garten bei^issen, darmit sye in den heyssen monadten
die fruchtbaren bäume und pflantzen erhalden.
3 meil. Tholeth.
Ist ein Stat fast also Nurmbcrg groß ongeveriicli, hat drcy
zimliche berge, und daran fleusset das wasser Tagus genant;
aldo sein die Thumbherren meinem Q. H. entgegen gerythen,
1) Yibenes.
426
Adolf Hasendever.
und in dnes thumbhemi hause, mit graß und bauem gdzirt,
beherberget, und vor essens des gestiffts kleynet und Iic> lüiumb,')
hundert tausent ducaten werth, getzaiget, welches konig ferdi*
nandus und konig Ludwig auß Franckrdch in von Canstantinopel
zugeschickt hatt, des brieff und Sydel sie uns audi zaigten.
Diß gestiffts Btschoff hat jerlich achtzig teusent ducaten
Rendt') und ein kirchen, der gleichen mit zierheit der Capein
lind e^cbcude ich in gantz Hisponia, Franckrcich und in deutschen
LanJcri nicht gesehen habe; hai zu erhalüunge des gebeudes
jerlichs Rendt 10 tausent ducaten.
Ilem in discr Stat ist mein gncdiger h. mit sambt dem hcrren
von Haydeck, Jobsten Prantner, Santi Marie und Bastei Barbirer
die post auff den Reichstag gegen Speyer gerythen, und ich bin
mit saniht dem Marschalck und andern gesynde diße noch-
geschribcn weckh getzogen. In diser Stat ist gantz bose trinck-
wasser und secr böser geschvvilder lufft; darin man vor tzeitten
offeliche freue schulen der swartzen kunst gehalden hat.
6 meil. Lyestkes.')
Ist ein zimlichs dorff, in welchem wir unser spey^e und
lichte vor des wirths dybischen tochtern nicht verhaiden konden.
Diesen im ist vast grosse hitze gewest, und des nachses[!]
des marschalcks zeitter ym stal gestorben.
6 meil. Matril.
Ist ein zimliche grosse stat, darinne der Moren konig ist
gefangen gehalden und jefz diser konig von Franckreich auch
gegen neun monedt gefangen gehalden. Dise Stadt leydt mitten
in Hisponien.
>) Wahrscheinlich die Custodia; vgl. über dieselbe Th. von Bemhardi: Reise>
Erinnerungen «us Spanien (Berlin 1886) S. 422: .Namottlich besitzt diese KindiC die
berühmteste und f^öttic silberne Custodia, die es überhaupt gibt, die ihres Umfanges wegen
auseinandergenommen und verpackt aufbewahrt und nur zum Frohnleichnamsfest zusammen-
gcfij.tlt wirii ; ^ic wird d.inn. «ic man vii;t, durch 8üO<Hi SchraiilKTi /usaitinicnKclialten. l')ie
Anweisung, wie die einzelnen leilc aneinander zu fügen sind, füllt einen kleinen Oktav-
band." - Ober ein anderes besonderes Kleinod dieses Stiftes, das hier «nch gemeint sein
kann, vgl. Rozniital a. a. O. S. »87: „in der stat sahen «ir san( Johaiis Bapüslae haiibt
und vil kostlichs heiltum, und sahen die kostlichsten l>ibil. die man meint, die in der
Ctiiti-nhcii ücy." - Uber die Schätze dir K.-.fhcdraic von Toledo insgaant Vgl. M. WiU-
komm: Wanderungen durdi .... Spanien (Leipzig 16S2) II, 306 ff.
*i Ober die Einkfinfle dn Erzbifcbof» von Toledo vgl. Piescott: fenUiiaad imd
Isabella 1, 34 f. sowie II, sa6. An». 14.
•) lllescas.
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Die tasebiidiartlgen Aufitdchnungen des Dr. Johannes Lange. 427
7 meil. Santh-Augustin.
Ist ein dorff, darin wir bösen wein und stincken wasser
liaben müssen tnmcken, dan dem Esel, den wir mil 4 krogen
ein halbe iiieyle nach wasser geschicket hetten, den hafte ein
ander lediger esell umbgestossen und die wasser kruge zerbrochen.
7 nieil. Butrago. ')
Ist ein kleines Stetlein de? hertzoi^an von Cmadalaschara
an einem wasser und lustigen gepirgen mit sambi dem eim
wolgebauten schlösse gelegen; aldo haben wir an santh Jacobs^)
abent fleisch gessen.
7 meil. Busigillas.«)
Ist ein dorii au ff einem fruchtbaren und getraidraichen
erbothen gelegen, de haben wir pösc wasser gehabt und gantz
ein büse hcrberge und mangel am brothe.
Dise tagrayse ist durch einen heymlichen lustigen tall, auß
welches berge vil gutter bnip.iic entspringen, und das korn und
gerste noch umb sannt Jacobs Tag bluet, sunst in gantz Hy-
spania all enden abgeschnitten und außgetroschen.
7 meil. Aranda de Duro.
Ist ein Stat also groß alls der Neuen margkt, dardurch ein
grosses wassers, Duro genant, fleysset und hat grossen und
fruchtbaren weinwachs und auch getraide.
7 meil. Lermes.
Ist ein kieins Stetlein uff einem hohen berge gelegen, do
man die grönen vische ane wissen des pflegers nit verkauffen
darff; aldo hin ist des vice Regis von Neapolts hoffgesinde auch
alldobin komen.
7 meil. Burgos.
Ist ein Stat in der groß Amberg, an einem wasser gelegen,
daran ein grosser handel mit wolle ist, und hat in der Stat ein
Bisthumb und wolgebauete kirchen mit gezincthen thurmben
vast woU getziret; in welcher Stat der Contestabuli hat eine
1) Bialngo. ^ 25. Juli. S) BocQtuilJos.
428
Adolf Hueodevtr.
solche lustige wolgeteirte Oipel^) gebauet, der gleidi in Hi-
sponia, Franckreich, Italia und Germania nit befunden wirt
Vor der Stat ist sanct Augustin ku che, in welclier in der
Capel des Creutzgangfcs stet ein Crucifix, welches auff dem wasser
ein kauffman gefunden hat, und Nicodemus nach der u'estalt
Jhesu Christi am Creutze hangende soU geschnitten haben
bengen darbey viü wexerbilde.
Auß diser kirchen vor zwayen Jarcn am heyligen Char-
freytag*) ist ein pueßfertiger sunder wallen gegangen und ain
kreutz auff seinem Rucken getragen und under seinen fuessen,
wo er gangen ist| ist das gniB alles verbrant und verdorret:
Nu rathe, wer mag das gewest sein?^)
Item ein halbe meyle vor der slat ist ein königlich hospttall»
welches hat sechs tausent ducaten jerlichs Rendls, darvon elzlk^e
Reysige edelleut in dem hospital wonende erhalden werden,
und von dem uberigen alle Jacobsbruder gespeysset und beher-
berget ain nacht und die krancken, piß das sie genesen. Dises
Spitals Spitalmayster hat mit sainbt seiner tochter bey 500 Pil-
gramsleut mit gift getodet und ire Barschafft behalden, darumb
er auch gericht worden ist mit sambt der tochter.
Dise stat leut auff der rcchtten Strosse zu sanct Jacob,*)
darvon noch zu sannt Jacob gerechent wirt hundert meyl.
Item in einem dorffe von Biirgus ain meyl an der Strasse
treibt man des morgens frue die kliue bey dem kirchoflen durch ein
stöle und besprengt der briester das vtche mit geweihttem wasser.
8 meil. Breineske.«)
Ist ein kleines Stetlein des Contestabuli, darinne der jOngste
son des koniges von Franckreich, hertzog zu Orliens,^ gefangen
Wardt und mit Spissen und krichsleutten bewardt war.
>) Die grolle gotische .Capilla del Condcstable« in der Xklhcdnile hinter dem Hoch»
altar, seit M82 für den Cor-nd tbl.- Pedro Hcmandez de Veh?co, Qrafen von Huo. obaaL
*) \gl hierüber sehr ausführlich Kozmiul a. a. O. S. 168 ff,
■) SS. Mirz 1524.
*) Ich vermat: leider nicht anzugeben, um \ren es slcb Wer banddt.
*) San lago di CompostcUa. Bribicska.
I) Der spitm K6n1s Hrinridi lt. Yon Fnuikreich; er wie «dnillHcr Bmder waren
auf Orund dvi Pricdrns von Madrid an Kaiser lOui «IS OdKln fBr die pankttiche Dttldl-
führung der Bestimmungen ausgeliefert vordco^
I
i^'iLjuiz-uü by VjOOQte
Die Ugebucbartigen Auteidinungen des Dr. Johannes Lange. 429
7 nieil. Mi ran da.
Ist ein kleines Stetlein am wasser Ibero gelegen, darinne
der eiste Son des konigs^) von Franckreich Delphin*) gefencklich
bewart wirhe.
PysÜtaya das Landt
5 meii. Victoria.
Diß ist ein zimliche grosse stat, hat in einer meyle umb
sich mer dan 60 dorffer ligende. Ist ein anfonck des landes
Piscbaye, welches zwusdien den bergen leydt In einem tall
darinne nichts mer dann Opffel uberflussiglich vil wacfassent,
darvon sie iren tranck machen, und vil eysenhemer haben und
fast gantz Castilien mit eysen versorgen und Britlannia,<<) welchem
sie bey fönte Rabinie*) eysen umb kom und js^etraide über das
nierhi zuschicken. Diß Landt hat schöne wcibsbilder und be-
schorne kolbige Junckfrauen und ein sonderliche spreche, welche
sich mit keines andern Landes spreche vermischt und vergleichet.
Item zu Victorie seint uns betrieglicher weyse paßbrieffe
ein^eret worden von der Stat obristen, und die wirthia hat den
Marschalck für einen Juden gehalden und j^escholtten, derhalben
&ie auch in anderthalben stunde uns kain brot wollte verkauffen.
5 meil. Alharta.
Ein dorff under sannt Adrian berge gelegen, darinne wir
schwartze wein und dicker dan die tinckte und sauer haben
müssen trincken.
Santh Adrian bergk.^)
Ist vast einer deutschen nieyien hoch gantz böses sleyniges
weges, welcher schwarlich auff zu reyten ist und ungleich herab
zu reyten. So man von der höhe herab zeyhet, so muß man
durch einen außgehom (ader durchholertten) vels, großer dan
ein zimlicher grosser keller, reyten, darinne man ein kleines
Capellelein findet und auch wein sambt einer schonen wirthin.
') Karl; Rcst. 1536. *) Am Rande mit roter Tinlc: .Der Delphin*.
>) Bretagne. *) h'uentenabü. Sierra de San Adrian.
430
Adolf Hasenclever.
3 meil.
Seen ra.
Ist ein kleins Stetlein under sannth Adrian berge gelegen.
Diße 8 meylen scint wir dnen tag geritthen mit sonderlicher
muehe; ich lialts dafür, das in anderthalber meyle umb dise stat
mer öpffel dan in meines gnedig^n herren hertzogthumb wachssen.
Auff diseni wege hats vi! Opiielbaum durch den gantzen
tall und ein sehen mer, ^) derhalben [man] auch in disem steüein
4ie besten hyspanischen Spaden macht
Auff disem wege sieht man offt in einem klaynen Acker
acht hundert junger Öpffelbaume zwayer eilen hoch gepflantzet,
und vast in vill gertten jung^ eschenttaume vom stamen biß in
den gypffel beschnytten und ein dreytzehn eilen hoch und nicht
dicker dan 5 aber vier, auch 7 vinger, darauß sie gantz veste
4ind werhafflige Lantzen und knechstzspiesse machen in der
Pyschkay und sich allayne der erbait etlicher hantwerdcsleute
erneren.
Sant Marie de Korne und Fonteraui.*)
Ist ein klaines dorff am eusem merhe gelegen, ein klaine
halbe meyle von der Stat Fonterraui, welche am mereh Icydt,
nit vil grosser dan- Sultzpacb, welche der konig von Franckreidi
hat vor funff Jaren dem kayser abgewunnen,^ durch die deutz-
schen Landsknechtte, und über zway jar hots der kayser mit
den obgemeltten knechtten widerg^onnen.*)
In diser stat zu besichtigen, wie sie zuschössen und ge-
wonnen sey, bin ich mit dem marschalck gefaren auff dem
merehe, und weyl wir wider heimfuhren, ist das merhe nach
seiner eigenschafft uns entwichen und das schiff uffgestanden,
daz man uns ein teyl wegs hatt müssen aulJ dem wasser tragen,
und des andeitaylb haben wir zu fuesse durch den schleym und
kolt muLssen wathen. Uber dem wasser bei Sannt Marie fanget
an Franckreich.
1) Die von mir gc$trbene LesMt M tweifetlm; den Sim vcrstdM ichnidiL (Eiacn«
hämmcr Ü. Kcd. \^\. S. 429.)
Fuentcrrnbia. •) Im Septonber 1SS1 dttrch den Adminl Bomilvci
*) Im Februar t5l4.
5 nieyicn.
T h 0 1 osetha.
Die tagebuchartigcn Aufzeichnungen des Dr. Johannes Lange. 431
Principium regni Francie.
An disem wasser leydt des kaysers schloß, darauff er etz-
liche knechttc heldt, die oiie paßbrieve des kaysers nyemandts
in Fnmckreich lassen, und allein müssen die kaufleute alle ir
gutter vertzoHen.
Von den hispanischen herbergen und wirtthen.
Der diße obgemeltte Strasse mit etzlichen pferden ader
fueßkncchtten in Hyspanien ziehen will, dem ist von notten, das
er auß und ein zu reytten sicher gelayte habe des Königs von
franckreich, sunst wirt er an frontirn oder Grentzen gefenckiich
auffgehaltten, und auch von dem Kayser schryff[t] liehen und ernst-
lichen befel habe an alle stette und dorffer Hyspanie, das man
im herberge schaffe und, weß er notdürftig sey, umb ein zim-
lieh geldt verkeuffe und mitlheyle.
Zum andern das er an der frontzosischen grentz zu Bayona
kauffe shiel, Tisch, hälfen, brolspeis, kessel, Kellen und pfannen,
waz man in der kucben geprauchet, und uff einem Esel nach-
fure, dan in den Hisponischen Herbeigen vindet mans nicht zu
kauffen, noch zu entlehen, und so sie doch solchen obgemeltten
haußroth hetthen, das do seltzam ist, so verleugnen sie den und
verschliessen in. Auch findet man in obgemeltten herbergen
kain stallunge, kain heue noch streue, auch weder roBbaren^)
noch rayffe, sunder klein zerriben Strohe glydtslang und gerste,
auch waitze an stat des haberns, dariiiit man fuetterL
Das beiligcwant ist nicht von iedern, sunder mit wolle,
etzHchs auch mit erbstroe außgcfüllet und die Lcyloch sein von
vast gutter und subtiler leynbath, welche sie mit waschen sauber
und reyn Halden, jedoch hätten on vil orten die leuse, wantzen
und niuckhen die herberge vor uns bestelt und emgenomcn.
Auch vindet man vast in allen Heusern Hyspanie und sunder-
iich yn den herbergen kein haymlich gemach oder sproch-
heuslein, sunder yderman leufft in die stelle, darvon die stallunge
also stincken, daz nicht wunder wer, das gestancks iialbe die
geulle verduri>en.^
') Krippen.
») Vgl. hierzu Alvin Schultz: Das häusliche Leben der europäischen Kiilhirvölkcr
vom Mittelalter bis 2ur zweite» Hälfte des IS. Jahrhunderts (München 1903) S.2S: »Bei
432
Adolf Hasendcvcr.
So aber der htußwirth ein stathafftiger man istj so boldt
er zwe seiie eingeschlossen, die lest er auff den abent den un-
Hat ttffessen, das er ym darmit auch einen nutz schaffete.
Item in den hisponischen herbergen vindet man seltten
holtz zu kochen oder des brots ein nolturfft, dan von wegen
mangel des holtz helt man in den dorffern und stctlcin einen
geinayacn Ofen, darin ne ein ytzlichcr iiauiiwirth ym nicht mer,
dan er auff ein tag nottürfftig ist, pachen lest,' derhalben die
obrikheit hat müssen offte schaffen, das man vor uns auch
bueche. Ursache solcher bösen und ungebauten herbergen ist
des Landes unfruchtbarkheit und das ein itzlicher burirer in
Castilia schuldior ist, die edeileute halb unibsunst zu behcihcrgcn
und in das halbe tayl ires hauß und haußraths einzugeben, der
halben die Heuser nicht stathafftig gebauet werden.')
Itcm Hysponia ist ein seer birgiß Lande von gantz un-
truchtbam gebirge, halt starcke ungebreuchliche weyne, welche
man in erdthefen haldet und in gezierhtten Qeyßheutten über-
landt füret, darnach sie alle schmecken, und dysse wein, so man
sye trincket, mflessen das halbe ader drytthayl mit wasser ge-
mischen{!J, und von dem ersten Trunckhe, den einer trinckhet,
bricht im von stund an der Schweis über den ganzen leyb auß.
Auch seint vast alle stett, heuser, thurme und Statmauern
in Hysponia nicht von holtz oder Steine, sunder von gedurthen
erdtkloBen, wie die ungebranthen ztegel gemacht, gefaauet und
geweyfiset. Auch bedarff Hysponia nit sunderlich vest gebeue,
dan mans des wassers und herberge und allerlay provandt ge*
brediens halbe und, das stethe vast weyet von einander ligen,
kan sich kein beer in hysponia lang erhaltten, derhalben man
auch in der nacht die stette nicht zuschleusset.
aller Pracht tclil'.c .:i ütu Konig&schlüsscrn manches, «as uns als uiibcUingl erforderlich
erscheint .... Hier mag nur darauf hingewiesen werden , daß in den französischen
Königsadilösscm und nicht minder in den spanUchen eine uns unbegreifliche Unsanfacriieit
herrsdite. daB die Besucher «ich Frdheilen gestatteten, die sich lienfe einer in dem Innslen
Hnu'C lüctit crlaubm lÄ-firJe. Die Foljjc davon war, daß bei .tH lU-m I uxii5 die KimnC
der i^^i.i^^c vua ubku üvrutliin t*nülU erschienen. Die Leute u.irin aLtr daran gewöhnt
und fanden nichts daran auszusetzen."
1) Man vergleiche mit dieser Schilderung spanischen Hertiergsvesens im Jahre 1926
das Urteil des Nümbergers Oabri«! Tetzel aus den seduiger Jahren des 15. JArhunderte
I'lI P'>ziint.il n, .1. O 170 und besonders den bcÄ-cgliclitn Schluß seiner Klnp?: also
dii ich mein, das die Zigeuner in allen landen gar vil herrlicher gehalten werden, dann
wir in dem land gehalten wurden. Man findet gar selten huner, ayr, milch, käs noch
schmalz, wann es hat itdn Ini, und i6t selten fldscb, und lüt nichts dann der frachL'
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Die tagebucbartigeii Aufzeichnungen des Dr. Johannes Lange. 433
5 meylen- Bayonia.
Aldo habe wir das kochgeschir müsse umb zwue Cronen
geben, welches wir umb 13 Cronen nicht gekuifft hatten(i], und
sein ain lag still gelegen.
CastoniiL
4 mdh Sanct-Vintzentz.
Alhie sein wir ain und dreissig nieylen über die Castanische
grosse hayde getzogen, welche eben, sandig und unfruchbar ist,
hat das euser merhe nune auff der lencken hant paß gegen
Burdeos flycssen, über welches kain erdreich wonhafftig gegen
niittemacht weytter befunden wirt,*) an welches mer wir offte
sein gewesen und etzliche nieylen daran gerithen.
3 meil. Mayestke.*)
Ist ein düilt der Castanischen hayde, darinne wenig wein-
wachs und vil hirsche befunden.
6 meyl. A 1 h a r r e.
Ist em dorff, darinne man in kainem geflochtten korbe
die bynen auffyng.
, Reboffier.
4 meyl.
Ist ein klaynes stetlein, darbey der Bastei Barbirer auff der
postht sein messer hat verloren.
4 meyl. Moret.*)
Ist ein klaines dorff, hat auch vill hirsche.
I) Eine recht merkwürdige Notiz in Anlxtracht der großen Entdeckungen der Spanier
vihrend der letzten Jahrzehnte; ich möchte sie dahin deuten, daß unser Verfasser nur von
Inseln im fernen NX'cltnieer gewußt hat, «ic auch aus folgender Stelle ielm f nn Jahre 1554
in Basel crsducnenen epistolaus medicinaks (S. 253) bervorgdit: «Nee soa laude fraodandi
innt itloirtrls Ferinumdnttn Cistiliae, ac tolumnes et HcnHcns k Enuuad indyti Porta-
galliac regr- qTtnnim opera et expensts saluberrimum illud ligntun Guaiacum, quod nuprr
ab Austialis Uceani insulis nobis allatum est: quo uno plus commodi miseris moftalibus
attulemnt, quam omnes iiU avaridae cuniculi, metellonun argenti et auri fossores: qal dura
in Tiicen terrae crnntoai ptnatis saevinot, plus apcndont et iniumont, qoani cnnnt;*
dne Bemerlmng, «Ue anf die Vettamdtaming unaaca Verfttim dn inflimt intcfCMaittea
Lkbt wirft
») Magescq. Muret.
Ardiiv für Kaltnrgnchidite. V. 28
434
Adolf hiasenclever.
4 meyl. Bargk. ^)
Ein dont, von welchem der Bock einen botten geschickt
hat nach seinem Rapier zu Moreth verlosen.
Xanthonia. ^)
6 mcyl. Burdeos.
Aldo endet sich die Castanier grosse hayde, in weldier
gantz vil Hirsche und flachs gebauet wirt. Alhie sein [wir}
widei" aufl' die alten und ersten Strosse konicn. I-'iß L:.e>::ea
Ponth, aldo sein wir wider von der ersten Strosse gewichen
gegen Econio.
5 mcyl. '
Ist ein doiff nit weyt von Coniak, weldis auff der rechten
hant leut, gehört zu dem hertzogthumb Angulem.
Auff disem wege 3 niejlcn von iicuaiü sein wir über das
wasser Scherranda-) gefaren.
4 meil. One.
ist ein klaincs Stctlcin des Hertzogthumbs Angulem.
5 meil. Santh Ligir de Meli.
Ist ein dorff, ein halbe Meyle von der biat Meli *) gelegen
uff der rechtten hant.
, Lusmer.
7 meyl.
Aliiic hat der Air.btiiian uns wollen auffhalden und nicht
lassen passiren, auffs letzte doch uns vergönnet, doch also das
wir an königklichem hoffe angetzaigten, das wir bey uns hethen
Steffan, des von Rogendorff kayserüchs haubtnians diencr, welcher,
so wir yn haben am hoffe angetzaigt, hat müssen widerumb in
Hyspanien reutten.
Alhie sein wir wider auff die alden slrosse komen bis gegen
Porthpil,*^) do sich endet Xanthonia und fenget an Tburenia,
des Bischoffs von Thors landt.
>) l.e Barp «) SiiatongB. *) Cluureiite. *) M«Ue mr BCroone. Le port
de Fiic« an der Creuse.
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Die tagetmchartigen Aufzeichnungen des Dr. Joiianncs Lange. 435
3 meiL Santh-Moer.^)
Ist ein kleynes Stetlein, hatt aber vil volcks.
4 meil. Mambason.*)
hl ein kleines Stetlcin an einem grossen wasser Scheer*)
gelegen, hatt auff dem berge ein Sloß.
3 meil. Thors.
Ist ein wollgebauthe stat, darin sant Martin begraben Icudt
hinder dein hohen altar, welches grab vor etzh'chen Jaren mit
Silber woll gezirt, sey[t]her ictz durch den konig in ciisen kriegs-
leuffen seer entplost. In diser stat hatt man allerlay und vil
hantiiwcrgksleudt, darin man auch allerley seyden gewant machet.
An diser Statt fleuß[tj auch das namhafftige wasser Ligeris genant,
frantzosischs Loer.
7 mdl. An, baß.')
Di6e Siben meylen sein wir stets an dem über*) des wassers
Ligiris getzogen, und uff der recbtlen handt an den bergen, in
welchen über 150 Heuser gehauen sindt, und under der Strosse
seindt auch Heuser, darüber man reyt und feret Einwoner
diser Heuser machen seher viel ziegel zu decken und zu pflastern.
Alhie zu Ambaß hat man dem Marschaick in dreyen li iichen
uberantwuri die siiber und ubergolthe Crcdents, welche der
konig zu Franckreich meinem G. H. geschcnckt hat, welche
umb 5000 fl. geschätzt.«)
Alhie sein wieder die aide und erste Strosse getzogen biß
gen Metz.
Auff disem wege von Pariß bis gein Metz hat es fast in
vil dorffem angefangen zu sterben und sunderlich zu Sannt
1) Sdnt-Manre. Monibiioii nr l'lndrr. ^ Cber. ^ Ambobe.
S) Ufer.
Vgl. Leodius S. ii3a: »(Fridericus] Axnbosiam contendit, ubi honorifice a Rege
cxeeptas et aliqaot dks eoatentas et donatni atomn] mentae Rtf^nt suppeliectili deaurata,
valoris sex miliiiim coronatonira." Am 10. Aiiffiitt hatte Pf.nl/graf Friedrich den fran/S-
sischen H<.)f in Amboisc verlassen. V't;l. Sekretär Rossn an den Rat der Zehn in Vcnedit;,
10. Au^iist ^S26: „In qucsta ni.it'.ina e partilo de qui per AI magna il Contc Palatino vennto
di Spailna, apresentato da qucsU MaesÜ; e va mal contento di Cesare*. (I Diarii di Marino
Sanoto. Venedig 1I95. Bd. XUI, Sp. 437.)
28*
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456
Adolf Hasendever.
Mihi, da worn die Burger herauö in die weide gewichen, doch
haben aklo tnuessen vor der Stat zu Mittage essen, und ciweil
wir assen, ist ein gantz hauffe . . uff den einen Esel gefallen,
welchen wir haben an allen schaden herfurgebrocht
Frantzosische herberge.
In diesen herbergen ist yderman wolgewart von knechten
und niegden, und mit woll gekochtter speyß und wiiproth, auff
welche zeyt er das begert, auch mit sunderlichen raynen beth-
gewanthte woll versorget, und mit gutler stallunge und aüer
notturfft des f Utters.
Item in Franckreich hals vil Bislhumb, welche doch kaine
weilliche cjebiet oder obrikheyt haben, und vast seer ungelartiie
briester haben, und vast ihre kirchen mit wenig pilden getzirt,
und halden alle mit zynen kelchen messe.
Auch wirt grosse Justicia darinne gehalden, also wan das
Perlamenth den geweldigisten hertzog auß Franckreich zitirethe,
zu Marmelsteyn zu erscheynen erfordert, wen er auff den be-
stympten Tag nicht erschyne, so hatt er leyb und gut verloren.
Auch ist grosse gehorsam und underthenigkheit des volcks, und
alles Bauerßvolck thar sich nicht anders dan in grav Uxbc oder
lichfbloe färbe gemaynes grobes Tuchs beklayden.
5 meyl. Santh Trefoer.
Ist ein kleynes Stetlein des Btschoffs von Metz, und ist des
hertEOgen von Lothringen.
5 mell. Sarburg.-)
Ist ein kleine stath, darinne der graffe von Nassau''') hoff-
haltct, an einem wasser gelegen, durch welchs, so wir rytthen
ist der Locay mit sampt dem pferde dareyn gefallen.
3 meil. Lautenbbach.
Ist ein groß dorff Herzog Ludwigs von Grauens zu fdde,^)
Weichs paur des pfaltzgraven Ludwigs Churfürsten gefangen sein!
') Lücke Uli Text.
Wie sich aus der ganzen Reiseroute ergibt, ist Saarbtückeu gemeint
s) Johann Lndwfg von Namn-SMibriicken.
«) I xhU-'^ W. von Pf.il7-7Micibrü'.-Ven-Vetdent. Odk 1M2, regiert TOH 1S14-1S3I»
Viter des Herzogs Woifgang von Pfalz-Zweibriicken.
i^'iLjuiz-uü by VjOOQle
Die (asebudiartigen Aiifttidmungen des Dr. Johannes Lange 437
3 meil. Landstal.
Ein kleines Stetlein des Frantzen von Sickmgen gewest,
welches er selbs hat außgebrant, do er von den fursten über-
zogen Wardt
Alhie sein wir wider uff unser aide Strasse biß gein Haydel-
bergk getzogen, do wir dan wider zu j^s- rm gnedigen Herren
uff der birschbrumpfft zu Gerberßheym am Rhein komen seyn.
Addicciones.
Item nach Satith Johanns Baptiste Peyer sein zu Oranatben
in der nacht zwen erbiden gewest, das sich alle heuser vast seer
erschutlten.
Item alle witbfiauen nach irer emenner todte oder geschwister,
Bruder und eldem Tode bedecken daz gnibe etzHche tage mit
einem thebiche, und so sie in die kirche komen, stellen sie
ain brynneth liecht auff das grab und ein preth mit einem
weyssen tucchlcn bcdeckh, und knycii darbey, piß das der Briester
die messe vollendet hat, darnach get der briester zu dem grabe
und bethet Miserere mei deus ader de Profundis, und sprenget
das grab mit geweihttem wasser und gibt der frauen sevne
hendt ader Q^el zu kusen und nymbt das broeth von der Seel
wegen; der gebrauch ist in gantz Hyspanien und in Frank-
reidi. Bey
Bayona,
Item in der Pyschkaya und zu Granatha, audi in Navare in
etzlichen stetthen, so man des verstorben Corper zu der erden
bestath, so seynd aide weyber bestett, die zuvor wol gezecht und
gespeyst den Toden mit hesslichem geschray beweynen.
6 Meyl. Haydelbergk.
Aldo der Churfurste befestiget sein schloß mit einer zwi-
vechtigen Mauren und Thurmen, welcher ein itzliche fünft und
zwaintz(ig] schuen lang von grossen werckstflcken gemacht, und
zwuschen den bayden Mauren ein schutthe 55 schueche breyt;
hinder diser schueth und Mauer ist ein tieffer und praytter
^>'as$ergraben und darnach ein streydende und umblauffende.
438
Aduli Hasenclever.
weihe, 12 schuc dicke. Aldo scinth wir 14 tage stille gelegen
in der hirsclibrunfft und seind aufi den ersten Tag des monats
Octobris weggerithen.
Hayschbach.^)
3 meyin.
Ist ein klaines Stetlein des Pfaltzgraven, daryn wir in der
kellereyn sein beherbergt worden.
3 mayllen. Helbron.
Ist ein reichstat in der große vast Amberg gleidimessig an
dem Necker gelegen, und hat der I^th meinem gnedigien Herrn
mit dem haliem weyn und fiscbhen verert.
Item ein klain viertl w<ges hinder diser Stat fenget sidi
an der WeinBpeiger tall, desgleichen mit weinwachs Holtz wasser
und getrayde in kainem Lande ich gesehen habe, darinne iigdt
das Stetletn Weinßpcrgk mit sambt einem schlösse auff einem
weynberge hart daran gelegen, weichs die pauem haben auß-
geprant und den graven mit sambt ander 17 edelleuten in
gegenwart seiner frauen und zwayer Junger Kinder durch die
Spisse gciagct -') und daz aine kneblein zu gedechtnus der zer-
schnitten hosen auch über die payn und Arme geschnitten und
einen cdelman oben von dem thurmb herab geworffcn, dcrtialbcn
der bunt und i:f;ilt-/gravc diß stetlein haben glal ausgepranl,";
Weichs die pauein widerunib anlangen zu pauen.
3 meyllen. Oryngen.
Ist ein stat der graffen von Holoch, welche unsem wirth
umb 6 hundert gülden straffen, darumb das er den pauem
ist auch anhengigk g^est
») YC'ahrsdicinlich ist Hilsbach im Kiciclisan );emcint.
*) Vgl Jakob Sturm an den Rat von Straßburg, 22. April 1S3S; . . und winipcrg
•chloß ttnd Stat nitt dem Stunii «rabtrt uff den ostertaj; (16. Aprtl), dorin tarnt Lndvlc
von Hclffeiisfcln snmpt sibenzehn vom Adel und ettlfch gera^-sigen znm thcy\ an der icTpr
crrurgt, 7.um theyl und namüch den grauen durch die spiciJ gcjaiit . (Virck: l'olit. Corr.
ftm Straßbarg I, 196).
Vgl. Truchseß Georg an Markgraf Kasimir, Ncd(ii|UtiGh ZZ. Mai I $25: Hat . . .
insbcMadoe «Wlnsperg samt einigen dazu gehörigen Dörfern ttnr inSntariidNa, Mactt
Tat nach geplündert und ganz ausgebrannt " (I r. L. Baumann: Aktra r. Oeadu d. deObdMt
Bauernkrieges aus Obcrschvaben. Prciburg i. Br. IS77. S. 292f.).
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Die ütgebucfasrtigen Aufedchnung^en des Dr. Johannes Lange. 439
S meylen. Halle.
Dyße reichstat leydt an der Tauber in einem grosse ge-
pirge, an welchem wein wechst, hat eine enge Montze und eine[!]
enges verschlossens Land, ist halbs an den bercfk und Halbs in
grundt gebauet, in welchem ist ein seichter und praytter Saltz-
hrun, der do hundert und sybentzig pfannen benuget wassers
zu dem saltzsyden, also doch das alieine das halb thayk dyßer
pfannen ein woche umb die ander gebraucht werde.
4 meilen. Olewangk.*)
Ist hertzog Henrichs Pfalzgraven bey Rhein Hertzog^n In
Baiem etc., hat ein vast woli erpauet*) schloß.
Hier brechen die Aufzeichnungen ganz unvermittelt ab.
Man wird annehmen dürfen, daß die Reisenden von Elhvangen
ab dieselbe Route wie auf der Hinreise eingehalten haben.
i) Ellvangen.
3) Bei Jakob Wille: Die deulschen Pfälzer Handscliriften, Heidelberg 1903, II, 17
liest nwn irrliitiiUdi ««rqMMCt*.
Quellenstudien
zur Geschichte des neueren französischen
Einflusses auf die deutsche Kultun
Von CURT GEBAUER.
Die Bedeutung des französischen Einflusses auf die deutsche
Kultur für unsere geschichtliche Entwicklung ist neuerdings von
Georg Sieinhausen auf Grund seiner früheren Arbeiten in seiner
•Geschichte der deutschen Kultur« (Leipzig und Wien 1904)
und diesem folgend von Karl Lamprecht in seiner .Deutschen
Geschichte« (Band VII, i, 1 905) eingehender und vorurteilsloser, als
es in fHlheren Oesamtdarstellungen zu geschehen pflegte, gewürdigt
worden. Es ergab sich, daß der französische Einfluß jedenfalls
nichi überwiegend schliiniiic 1 olgen gezeiiii^i hatte, indem er die
deutsche Kultur entnationalisierte; ältere Geschichtsschreiber haben
diese Auffassung der Dinge meist zu einseitig in den Vorder-
grund gestellt. Es zeigte sich vielmehr, daß die guten Seiten
dieses Einflusses den schlimmen mindestens die Wn^ie liiei-rii,
da die deutsche Kultur durch die französische Schulung in for-
maler Richtung vervollkommnet und zum guten Teil auch von
den E)anden einer starren einseitig kirchlichen oder theologischen
Weltanschauung befreit wurde. Formgefühl in gesellschaftlicher
wie in künstlerischer Beziehung und Verweltlichung des Lebens-
ideals sind aber neben anderen Faktoren zur Entwicklung einer
gedeihlichen höheren Kultur zweifellos notwendig.
Die Geschichte des französischen Kultureinflusses auf die
Deutschen vor erneuter, umfassenderer Darstellung des gesamten
Zur Geschichte des französischen Einflusses auf die deutsche Kultur. 441
EnKvicklung^njjfes, welche insbesondere für die wichtigen letzten
Jahrhunderte einem Bedürfnis entspricht, durch immer vollstän-
digere Ausschöpfung der Quellen zu vertiefen, ist die nächste
Aufgabe des Geschichtsschreibers. Auf diesem Gebiete gibt es
aber noch so manches nachzuholen. Diese Erkenntnis gab dem
Verfasser den Plan ein, in einer zwanglosen Reihe längerer oder
kürzerer Aufsätze und Nachrichten in diesen Blättern einiges A\a-
terial aus den Quellen des 16., 17. und 18. Jahrhunderts zu bieten,
die ihm hei seinen seit längerer Zeit betriebenen Studien zur
Oesrhicliie des neueren ffriiizüsi^^chen Finfhisses in die Hand
kamen. Untereinander nur fragmentarisch verknüpft, werden diese
Versuche doch in sich abgerundete Kulturbilder bringen und
vielleicht nicht nur für den Gelehrten, sondern auch für weitere
Kreise von einigem Interesse sein.
I.
Die Bedeutung Heinrichs IV. für die deutsche Geschichten
Nachdem das Königshaus der Valois in Frankreich mit dem
schlaffen und wanicelmfittgen Heinrich III. 1 589 ausgestorben war, Icam
mit Heinrich von Navaria, dem eisten Bourbonen, ein Mann auf den
französischen Thron, dem es vorbehalten war, das von den Furien
eines schon t>einahe 30jihr^n Bfligericrieges zerfletschte Land
durch kmge, muhevolle Tätigkeit zu beruhigen, es von seinem
mächtigen äußeren Feinde Spanien zu befreien und es endlich noch
zu einer bis dahin unbekannten wirtschaftlichen und politischen
Machtstellung zu erhöhen.*) Heinrich IV., dem sein dankbares
Volk den Beinamen des Großen gegeben, war vielleicht der
beste Monarch, den Frankreich Je besessen. Auf der von Ihm
geschaffenen Grundlage haben später Richelieu und Mazarin
weiter gearbeitet, und die in Politik und Kultur tonangebende
Stellung Frankreiciis im Zeitalter Ludwigs XIV. beruht auf dem
festen Staatsgcbiiude, welches Heinrich IV. seinen Nacliioigern
hinterließ. Hätte nicht vorzeitig im Jahre 1610 Ravaiilacs Mord-
Stahl den Siebcnundfünfzigjährigen dahingerafft, so wäre nicht
abzuseilen gewesen, wie sich die europäischen Geschicke im
I) Näheres siehe bei Alfltd RwnbMid, Hitloir« d« 1« dvUlnflon fkinfalw. 9e
Pirls tMI. I, 53S-5$8.
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442
Curt Gebauer.
17. Jahrhundert gestaltet hatten. Damals war der König im
Begriff, sich an die Spitze eines seiner drei schlagfertigen Heere
2u setzen, um durch seine Teilnahme an den jfliich-klevischeit
Wirren die den Weltfrieden und die Freiheit der protestantischen
Religion bedrohende habsburg- spanische Macht dnzusdirftnlnn.
Hätte er damals den Kaiser t>esiegt, so wäre wahrscheinlich dem
deutschen Volke der 30jährige Krieg erspart geblieben, der auf
ein Jahrhundert und länger den materiellen Wohlstand Deutsch-
lands zerstört und die Sitten schwer geschädio^t hat
Ein solcher Mann wie Heinrich IV. äiuilite auch auf seine
deutschen Zeitgenossen und noch auf die folgenden Generationen
einen tiefen Eindruck machen. Das verursachte vor allem der
Zauber seiner machtvollen und liebenswürdigen Persönlichkeit.
Und diese wirkte nicht nur auf diejenigen ein, welche in
politischen Absichten und nach ihrer religiösen Überzeugung
mit dem Könige einig waren, sondern auch auf seine Gegner.
Alsdann aber waren hier die politischen Beziehungen eines Teiles
der deutschen Fügten und Völker zu dem französischen Könige
von hervorragender Tragweite. Heinrich war in seiner Jugend
Protestant gewesen und hatte bei seiner Mutter, der Fürstin von
Bearn und Navarra, eine ernste religiöse Erziehung genossen.
Politische Rücksichten allein hatten ihn 1593 bestimmt, in den
Schoß der katholischen Kirche, welcher die übenviegende Mehr-
heit des französischen Vollces angehörte, zurückzukehren. Seinen
alten Glaubensgenossen, den Protestanten, war er aber deshalb
auch fürderhtn nicht abgeneigt, und wie er sich, zum Teil freilich
wiederum aus politischen Erwflgungen heraus, im Edikt von
Nantes (1598) den Hugenotten weitgehende politische und religiöse
Rechte innerhalb des französischen Staates einzuriumen bewogen
fühlte, so hat er während seiner ganzen Regierung auch den
Protestanten des Auslandes, vornehmlich Deutschlands, gegen die
katholisierenden und absolutistischen Tendenzen des Kaiseis und
Spaniens seine Unterstützung zuteil werden lassen. Mit den
protestantischen deutschen Fürsten unterhielt er einen lebhaften
diplomatischen Verkehr, mit dem gelehrten Landgrafen Moritz
von Hessen einen regen persönlichen Briefwechsel über alle die
beiden Fürsten interessierenden Fragen der europäischen Politik,
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Zur Geschichte des französischen Einflusses auf die deutsche Kultur. 443 -
ihre sogenannte cause commune.^) Uneinigkeit und Unent-
schlossenheit im Lager der deutschen Protestanten verhinderten
aber leider auf Jahre hinaus tatknittiLic Alaliiiahmen. Erst im
Jahre 1610 sollte der lange vorbcrcii t Schlag geführt werden,
als Heinriciis Ermordung, wie i)ereiis erwähnt, allen weittragenden
Plänen und Erwartungen ein Ziel setzte.
Waren also die deutschen Protestanten gewöhnt, in Heinrich
ihren natürlichen Schutzherrn und Vorkämpfer gegen den katho-
lischen Kaiser zu erblicken, so gesellt sich zu dieser politischen
Konstellation noch eine allgemeine Neigung der Deutschen zur
Auslanderei, wie sie uns etwa um die Wende des 16. und 17. Jahr-
hunderts durch die Ethographia mundi des Olorinus bezeugt
wird.*) Da wird der i>i1zige Status Mundi« beschrieben, «wie
es jetzundt in Teutschen landen an moribus und Sitten, Religion,
Kleidung und gantzen Leben eine große merkliche verenderung
genommen, also daz so die jenigen, welche vor zwantzig Jahren
Todes verblichen, jetziger zeit wider von den Todten aufstunden
imd ihre Posteros und nachkömlinge sehen, dieselben garnicht
kennen würden, soiiLicni meinen, das es eitel Frantzösische,
Spanische, Welsche, Engelische und andere Völcker weren, die doch
auß ihrem Vaterland niemals kommen sein." Auf die teilweise
weit zurückgreifenden Ursachen dieser Ausländerei der Deutschen
jener Zeit hier näher einzugehen, würde zu weit fuhren. Wich-
tiger ist es zu betonen, daß schon damals unter allen jenen
fremden Einflüssen sich immer starker das französische Element
geltend machte, um dann im Laufe des 17. Jahrhunderts die
übrigen fremden Kulturelemente schließlich fast ganz zu ver-
drängen und der deutschen Kultur in den höheren Kreisen seit
etwa 1660 oder 1670 ein stark französisches Gepräge aufzu-
drilcken. Die nächste Ursache dieser Französiening der deutschen
Kultur ist vornehmlich in dem gewaltigen kulturellen Aufschwung
Frankreichs seit dem Beginn des 16. Jahrhunderts und dem
1) Correspondance inMite de Henri IV, roi de Fnutce et de Navarre, avec Maurice-
l?-?:tvnnt, inndj^nve de Hose. Ptf M. de Rommel. Hambotirg et Paris 1840. Siehe die
Inlroductiuii d;ii«ib$t.
*) Ethographia nvndl. Loftiget artige und kurtzveilige» jedoch varhafftige and
glaubwirdige bescbreibaac der heutigen Ncwen Welt onr. Darcb joluniicm Olorinttm
Variscum. 1607.
444
Curt Oebauer.
gleichzeitigen Iculturelien Rückgange Deulschlands zu suchen.*)
Diese Umstände beförderten noch die Hinneigung der Deutschen
zu dem französischen Könige. Umgekehrt aber hat auch das
Ani>clicii, dessen Heinrich !\^ in deutschen Landen genoß, ebenso
wie die politische i-age gerade seit dem Ausgange des 16. Jahr-
hunderts die Zunahme des französischen Kuiluieinliusses mächtig
begünstigt.
Welclies Interesse man im protestantischen Teile Deutsch-
lands schon während der französischen Religionskriege und
während der Regierung Heinrichs iV. an den französischen Dingen
nahm, beweist die Masse der in unseren Bibliotheken aufbe-
wahrten Flugschriften jener Zeit, zum einen Teile Übersetzungen
französischer Schriften, zum anderen deutsche Originale.
Auch im katholischen l-ager verfolgte man eifrig die Ereignisse
jenseits der westlichen Grenze. Man berichtete über die Ver-
folgungen der französischen Protestanten, über Rüstungen tmd
kriegerische Verwicklungen der streitenden Parteien, über die
Religionsedikte der französischen Könige und die Aussichten der
neuen Kirchenlehre. Die Bartholomäusnacht (24./25. August 1572)
rief einen Sturm der Entrüstung hervor. Später, im Jahre 1593,
erschien im Druck, doch ohne Angabe des Druckorts^ das »Glaubens-
bekenntnis Heinrichs, des 4. dieses Namens". Auf protestantiscber
Grundlage ruhend, steht diese Schrift doch dem Gedanken einer
Vermittlung zwischen den beiden feindlichen Religionsparteien im
beiderseitigen Interesse nahe. Aus dem Französischen wurde sie
zuerst ins Lateinische, aus dem Lateinischen aber ins Deutsche
übersetzt.*)
Die Ermordung Heinrichs IV. rief eine wahre Flut von
Flugblättern und Flugschritten hervor. Jetzt, da der Löwe
gefallen, zeigte sich freilich, daß Heinrich auch hei den Prote-
stanten nicht überall die warmen Sympathien gcnoo, die man im
allgemeinen für ihn hatte. Doch regten sich Tadler nur hier
und da bei den übereifrigen ortiiodoxen Protestanten. In ihren
Kreisen erschienen in der Pfalz Spottepigrammc auf den Er-
1) OtOTK Strinhnsen, Die Anfinge dn frutzMsdiai Utentur- vnd Kaltweiii-
f Imsen in Deutschland in neuerer Zeit. Zeitschrift für vergleichende Literitlirg!EKlllcllte.
Neue ^olge (1894). VII, 349 ff. Stadlbibliothek Breslau 4. V 23/53.
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Zur Geschichte des französischen Einfhtsses auf die deutsdie Kultur. 445
mordeten, dessen jäher Tod als Strafe für seinen Abfall von der
religiösen Überzeui^ung seiner Jugend betrachtet wurde.') Aber
es überwog doch bei weitem die Entrüstung über den heim-
tückischen Mörder, der Schmerz um den guten Monarchen und
Landesvater und der Schrecken über den Hingang des mäch-
tigen Vorkämpfers der evangelischen Freiheit. Die Verdienste
des Verblichenen wurden laut und rückhaltlos gepriesen. So
erschien I610 in Antwerpen ein Elogiuin historicum Henrici IV.')
und innerhalb des Reichsgebietes in Straßbutig, aber von nicht-
deutschen Verfassern, eine Sammlung von Lobschriften unter dem
Titel: »Henrici IV. regis Prancorum elogia a Sciplone Qentili et
Isaaco Casaubono. Quibus accesserunt in eius indignissimam
caedetn carmina. Argentinae excudebat Antonius Bertramus
academiae typographus.'*)
Der Kampf der weltlichen Macht gegen den Jesuitismus
und die kirchliche Reaktion ist in seinem Ursprünge auf Frank«
reich und die Regierungszeit Heinrichs IV. zurückzuführen.
Wiederholte, teils erfolgreiche, teils vergebliche, Mordanschläge auf
die Könige Heinrich Iii. und Heinrich IV. (auf jenen 1589, auf
diesen 1593 und 1594) lenkten den Verdacht der Urheberschaft,
mindestens aber der Billigung, auf den Orden der Oesellscliaft
Jesu, und so erfolgte 1594/95 seine feierliche Verbannung aus
dem französischen Staatsgebiete durch Parlamentsbeschluß. Erst
im Jahre 1604 wurde er unter dem Drucke der Verhältnisse auf
den Wunsch des Königs wieder zugelassen, aber nur unter
bestimmten Beschränkungen und Sicherheitsmaßregeln.^) Auch
in der antijesuitischen Theorie ist Frankreich führend voran»
gegangen. Nicht erst Blaise Pascals ».Lettres provinciales" vom
Jahre 1656 haben den »ersten furchtbaren Keulenschlag**)
au! das Lehigebäude der Jesuitenmoral geführt, sondern schon
während der Regierung Heinrichs IV. erhob sich in Frankreich
ein literarischer Sturm gegen den Orden, der mit allen Mitteln
I) Quellen zur Qeidilcbte des geistigen Lebens in Deutschland während des
17. Jahrhumlcrts. Nach Handscbriften hcr.iu>Kc^chen uiul erläutert von Aiexamler Hciffv-
Kbdd. HeUbronn I8S9. I, 704. >) SUdtbibliotbek Breslau 8. O 24 1/4.
^ IMffienclieid S. 7«4/s. Das Bach beHndct sich in der BlbllotNct Rndoliihiiia
In Liegnitz. Casuibon war Genfer. QcnttUs ItaUcoer, doch In Deulsdiland hdiatsdi
KTvorden. *) Rambaud S. S4'«/45.
•'} J. j llonegi^er, Kritische Oesdtidll« der frtttaötäadlm KBltereinfMsse in "doi
.'ctzten Jahrhanderten. Berlin 187S. S. it.
446
Curt Gebauer.
die woitiiclic .'\ii:oriläl zugunsten der Herrschaft des Papstes
ZU untergiabeii trachtete. Diese Streitlueiaiur zog auch uie I'erson
Heinrichs IV., des großen Jesuitengegners, in den Kampf hinein.
In Deutschland weckte sie lauten Widerhall; massenhaft entstanden
hier in protestantisclien und sogar katholischen Kreisen Nach-
drucke und Übersetzungen aus der französischen Antijesuiten-
literatur und gleichgeartete Nachbildungen. Nach Heinrichs Er-
mordung nahm diese geistige Bewegung noch weiter zu. Eine
Sammlung solcher antijesuitischer Schriften erschien z. B. damals
(1611) in Hanau bei Thomas Willier, zu einem handlichen Bande
vereinigt, unter dem Titel: -Von der Jesuiten wider König- und
Fürsthche Personen abschewliche, hocbgefährliche Practiken, An-
schlägen und Thaten."')
Der erste in diesem Bande gedruckte Traktat gibt das
Urteil des Pariser Parlaments gegen den Königsmörder Ravaillac
wieder. Darauf folgt »Der Theologischen Facultet zu Paris Be-
dencken und Censur von der Jesuiter Lehr, daß Unterthanen
erlaubt sey König und Fürsten umbzubringcn« (vom 4. Juni 1610)
nebst Dekret des Königlichen Parlaments vom 8. Juni 1610,
durch welches das Buch des Johannes Mariana >De rege et legis
Institutionen, das den FQistenmord verteidigt, verboten wird.
Femer enthält der Band einige Schriften über die durchweg
bejahte Frage, ob den Jesuiten die Schuld an der Ermordung
Heinrichs IV. beizumessen sei.^ Den Schluß machen vier anti-
Jesuitische Schriften anderweiten Inhalts:
1 . » Erinnerung der Frücht und nutzbarkeit, so au6 der Jesuiten
ankunfft und wider einkunfft in Frankreich entstanden." Darin ist
ein Sonett von Ronsard: «Bitte Im Nahmen der Kirche an die
jesuitische Societät« mitgeteilt Hier wird im Schöße der recht-
gläubigen Kirche der Wunsch geäußert, die Jesuiten möchten
doch zum Heile der Kirche selbst nicht länger Ränke schmieden
und im Trflben fischen.
') St.idtbiWiütlRk RrcsLiu K 56". J) Die Tciln.ihmc der Jesuiten an der
Hrinordiing Heinrichs IV. hl biiiher nicht stdar nachgeviesen. Das Buch des Juan Mariana,
eines spanischen Jesuiten, erschien 1398 in Toledo, vnnie aber auch vom Orden Jesu ver-
dammt. In Fnutkccidi deckte sich die Uhre der «og. Monaidiomadiai zum Teil mit
Mariinu Theorie, eher am abwdehendeii Oriladeii (die Vtndidte contra tyrannoi des
rgnlli'^chen Brutus ' von f^o. Suchler und Birch-Hir«chfdd, Otschichte der französischen
Literatur, Leipzig u. Wien 1900, S. 338). Ihre Ldire bat in Deutschland keine Schule gemacht
Digiti. oci b
Zur Geschichte des franz^ischen Einflusses auf die deutsche Kultur, 447
2. „Von der Jesuiler Sect, d. i. kurtzer und suniniarischer
Bericht von der Jesiiiter ersten ankiinfft, Stifftung, Orden, Ver-
mehrung desselben usw. Vom Stephan Pasquier, Könighchem
Rat und Parlamentsadvokaten.« (Schon 1564 geschrieben und
1611 ins Deutsche übersetzt.)
3. »Von der Jesuiten Gewissen usw.« Von einem »guten
romainisch-katholischen Mann.« Das Buch war lateinisch verfaßt^
dann ins Französische, endh'ch ins Deutsche übersetzt
4. Ein Gutachten des Pariser Parlaments vom 24. Dezem-
ber 1603 gegen die Wiederzulassung der Jesuiten in Frankreich
(dem der König leider kein Gehör geschenkt hat).
In Deufsdiland hat man Heinrich IV. nach seinem Tode
lange ein treues Andenken bewahrt, und dieses festigte noch die
Beziehungen der deutschen Protestanten zu Frankreich, welche die
gemeinsame, vom Hause Habsburg drohende Gefahr geknüpft
hatte. Wiederum haben , wie schon erwähnt, diese politischen
Beziehungen nicht minder als die Persönlichkeit des grofien Königs^
diese letztere auch selbst in katholischen Kreisen, die Neigung
der Deutschen des 17. Jahrhunderls zur Aufnahme französischer
Kulturelemente wesentlich verstärkt. Heinrichs Qeltaing und
Ansehen in Deutschland finden wir noch in manchen späteren
Quellen bezeugt. In einer Bestallung fQr den Haushofmeister
der Söhne des katholischen Pfalzgrafen Philipp Wilhelm von
PfalZ'Neuburg — der älteste Sohn, Johann Wilhelm, war 165ft
geboren - heißt es, die Prinzen sollten eigenhändig Briefe
schreiben lernen, da »mit einem handbrieff mehr alß mit vilea
expenscn auli urichten, wie dann der König Heinrich iV. seinei>
söhn eniialinl, alle jähr etliche buch papicr und etliche Hüte nit
anzusehen, weil solches die kosten wol einbringen würde, anzu-
zeigen, daß junge Herren sonderlich im briefschreiben und hut-
abziehen nit zu gespärig sein solitcn Wie hier Heinrich in
einem einzelnen Zuge als vorbildlich hingestellt wurde, galt er
überhaupt als Muster eines guten Herrschers lur die jungen
deutschen Fürsten, in dem folgenden Aufsatz werden wir uns-
1) f ricdrich Schmidt, Geschichte der Erziehung der Pfälzischen WitieUbacher.
(MoomMte OenottiUw pttOimufi» XIX) BcrUn 1899. & ittß Ann. Vgl. dMdbtt «k1^
S. U9 Aam. und ikn Stumbtum & CV.
biymzed by Google
448
Cttrt Gebauer.
naher mit einem von Heinricbs Person abgezogenen Regenten-
Spiegel beschäftigen. Hier sei nur noch auf eine lehrreiche Stelle
aus dem 18. Jahrhundert hingewiesen. In einem französisch
geschriebenen Erziehimgsplan für den Prinzen Karl August von
Zweibrücken -Birkenfeld, welcher 1746 geboren und vorn
15. Lebensjahr ab am Hofe seinem Uhcims in Zweibrücken von
dem französischen Oberstleutnant Keralio erzogen wurde, ist
Heinrich IV. als Vorbild für den jungen Prinzen in eine ivcüie
mit den bedeutendsten Männern des griechischen und rönnsrhrn
Altertu ms f''es teilt. t> L'histoire parliculiere des grands ho!ii:7^cs
!ui fera coiinoilre ceux, qu'eile (i. e. son Altesse le Prince Ch.)
doit prendre pour modeles. Sans doute eile aimera Aristide^
Epaminondas, Scipion, Henry IV.**)
Greifen wir noch einmal ins 17. Jahrhundert und auf das
politische Gebiet zurück, so kann es wohl nicht wundernehmen,
daß die Erwartungen, welche die deutschen Protestanten von Hein-
rich IV. hegten, auch auf seinen Sohn und Nachfolger Ludwig Xlll.
übertragen wurden. Indessen zeigten diese Erwartungen sich
zunächst nur wenig gerechtfertigt Die Heirat Ludwigs mit der
spanischen Prinzessin Anna von Österreich bewirkte am Hofe
eine starke Neigung für Spanien, die an eine Unterstützung der
vom Kaiser bedrängten Protestanten nicht denken ließ. Noch im
Jahre 1628 schrieb M. Bemegger an Robertus Robertinus in
Paris: «Rex vester securus e.xcidii nostri spcctator ncscit iiurndiLun
suo parieti proximum."'-) Aber inzwischen haue doch sein n der
Kardinal von Richelieu die Ruder des französisciien Siaatbwesens
ergriffen; und in der richtigen Erkenntnis, daß allein Heinrichs IV,
zielbewußte antihabsburgische Politik Frankreich groß machen
könnte, begann der französische », Prinzipalminister" damals die
deutschen Protestanten im Kampfe gegen den Kaiser und Spanien
zuerst im geheimen, alsdann öffentlich auf diplomatischem Wege
und durch Subsidien zu unterstützen. Im Jahre 1632 hieh eben
der genannte Bernegger im Auftrage der Straßburger Obrigkeit
eine öffentliche Lobrede auf Ludwig XIII. in Anerkennung der
>) Fr Schmidt S ^10 Vgl. auch S. 403, CIA'VII und CI.XXVHI.
^ Reifferscheid, Quellen zur Oeschichte usv., S. 31 s (Brief datiert Straßtmrg,
S./IS. Februar l6tl).
i^'iLjuiz-uü by VjOOQte
Zur Ocsebidile des fniufisisdien Eiailtmes auf die den4sclie Kulhir.
449
veräiiderten franzCsiscfaen Politik, die dem Redner von aetten
Ludwigs eine goldene Medaille mit des KOnig$ Bilde einbrachte^*)
Seit 1635 hat Frankreich dann auch militariKh in den dKi6ig-
jährigen Krieg auf protestantischer Seite ehigegriffen.
Dem französischen Vorgehen ist es freilich zu danken
gewesen, daß die Übermacht Habsburg-Spaniens auf die Dauer
gebrochen wurde und die protestantischen Reichssüinde Deutsch-
lands im Frieden zu Münster und Osnabrück 1648 politische und
Wrchh'chc Gleichberechtigung mit den kaihülischen und das Recht
der Souveränität erhielten. Das den Reichsständen durch die
Souveränität gewährleistete Recht des F)ündnisses mit fremden
Mächten trug aber den Keim zu weiteren Eingriffen Frankreichs
in die inneren deutschen Angelegenheiten in sich, welche Ein-
griffe in der Zukunft nicht nur politisch, sondern auch für die
kulturelle Entwicklung Deutschlands eine zunächst unberechenbare
Tragweite erhielten. Das Übergewicht in Europa war dadurch
von Habsbuxg-Spanien auf Frankreich flbeigegangen, und im
Zeitalter Ludwigs XIV. zeitigte die in der ersten Hälfte des
17. Jahrhunderts angebahnte Verschiebung der Machtverhältnisse
ihre Frödite.*)
II.
Ein französischer Regentenspiegel als Anldfug für einen
deutschen Fürsten (1615).
Mit dem Namen Regenten- oder Fflrstenspiegel pflegt man
Anleitungen zur Erlernung der schwierigen Kunst des Regierens
für junge Fürsten zu bezeichnen. Schon im klassischen Altertum
bekannt und beliebt^ entwerfen sie entweder in der trockeneren
Form gelehrter Abhandlungen oder in künstlicherer Gestalt, als
Romane oder Oe^rädie, Idealbilder weiser und gerechter Herrscher,
Völkervftter und Friedensfürsten. Xenophons »Cyropädie", deren
') Panegjricus Christianissimo Callianim et Navarrt« regi Ludovico XIII. ob
susccpfam ab ipso maioribusquc libertatis Oemianlcat curtm, iusstt procerum reipublicae
Argmtoratensis in amplissiTni) crmsciksu .ic idriTiio) duius a M. BcnUQKIO, hMOT. piof.
publ. die 29. Octobr. Argentonui 1632. Reiifersctadd S. 9ti.
t) BcModm tdt tM7 teiflile mtA dfe dwtebe Pribtlittlft, die bft znn Wcrt-
I :i ilitn Triedcn, zum Teil noc^ ■^pifer, antispanisch ge«< cn Mar, eine verstärkte Richtung
gegen die drotaoule franz6u9cbe Odahr. O. Mcntt, die doitKhe Publizistik im 17. Jabr-
ihmdert. Hamborg lt9T. & tl, 19.
Ardiiv fSr Kultaiscadkkhle V. 2Q
450
Curt Gebauer.
Name auch Oattung^bezeidinung geworden, ist das bekannteste
Beispiel des Altertums fOr diese Klasse literarischer Eizeugnisse.*)
Mit der Renaissance wurde der Brauch, Regentenspiegd zu
sdireiben, in den europ&iscfaen Kultarländero wieder aligemeiner,
wozu nicht nur das antilce Muster, sondern auch die damals ein-
setzende Befreiung des Staates von den Banden der mittelalterlichen
Kirche und das vermehrte Interesse an politischen fragen l)eitrug.
Wie nun seit dem Ausg^mge des 16. Jahrhunderts auf fast
allen Gebieten der Kultur Frankreich tonangebend auf Deutsch-
land einzuwirken begann, so auch bereits einigermaßen auf dem
Boden des Staatswesens. Wohl hatte die staatsrecfatlidie Ent-
wicklung unter dem Zwange der politischen Ereignisse hßben
und drflben im ganzen einen völlig verschiedenen Verhuif
genommen, indem in Frankreich das Königtum immer zentraKs-
tischer und absoluter wurde, während in Deutschland die Gewalt
des Kaisers immer mehr an die Fürsten verlor und das Reich in
eine große Anzahl verselbüiandigtcr Territorien aubeinaiuierfiel,
welche kaum noch durch die bloße Idee zusanimengchalien
wurden. Aber schon begann der Gedanke der absoluten Fürsten-
macht aus Frankreich, wo er zuerst in der Praxis zumal durch
Ludwig XI. (1461- 1483) und Franz I. (1515 - 1547),') dann
auch in der Theorie durch Bodins berühmtes Werk »De la
republique" (1577, lateinisch von ihm selbst 1586) ausgebildet
worden war, auch in Deutschland einzudringen. Hatten hier
doch schon die Reformatoren, Luther voran, aus religiösen An-
schauungen heraus dem Absolutismus vorgearbeitet. Nur wurde
in Deutschland, der poMtischen Lage entsprechend, die Theorie
des Absolutismus nicht auf die Zentralgewalt, auf Kaiser und
Reich, sondern auf das Territorialfürstentum angewandt. Bodins
Werk entfesselte in Deutschland eine umfangreiche juristische
Streitliteratur über das Wesen der Souveränität, mit welchem
Schlagwort der gelehrte Franzose die Summe der staatlichen AU-
>) Die .Cyropädic, citi Rottian, entwirft ein ßiid des älteren Cyrus, vcrvendet
aber da/u /ü^o des jünjicercn. Audi Xcnophons Gesprach ■ Hiero" scMMCft dtc RlQl^cnnigl-
kunst, Tie auch sein .AgesiUus* ein vervaiidtes Thema bdunddi
•) Ober die polititdw Ocftaltons des firmiflsitdiai KSnlj^mi vgl. Ranke, Praii«
zosischc (jcsehichtc, vornehmlich im 16, und 17. Jahrhundert, 1. 65 ff, 86, 87. «Die
Könige von Frankreich galten für die unumschränktesten Türsten der Welt; das Volk leistete,
«is sie vertangtcn."
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Zur Geschichte des franzflsischen Einflttsses auf die deutsche Kultur. 45 1
macht bezeichnete, und fiber Ihre Anwendung au! die steats-
nechtlichen Verhältnisse des Reiches.*) Nach dem Vorgänge
franzfisischer Könige sahen fodan audi deufsdie Fürsten davon
ab, die Stände ihres Territoriunis zu berufen, und führten die
Regicrungsgeschäfte in auiokratischer Manier, Schließlich eiferten
in der zweiten Hälfte des 1 7. Jaln hunderts die deutschen Fürsten
ganz allgemein dem »Sonnenkönige" Ludwig XiV. nach, der von
Versailles aus nach persönlichem Ermessen wie ein Halbgott
nicht nur die Geschicke seines Landes, sondern halb Europas
2U leiten sich unterfing.
Da das französische Beispiel auf dem Boden des Staats-
-wesens damals so bedeutsam wirkte, scheint es Cfldärlich, daß
auch die Regententugenden deutschen Fürsten gelegentlich im
Bilde eines fianzösischen Herrschers vor Augen geführt wurden,
lind Heinrichs IV. Persönlichiceit war hierfür natuigemäß die am
meisten geeignete. Nachdem Heinrichs Sohn im Jahre 1610 als
Ludwig XIIL den französischen Thron bestiegen hatten erschien
in Frankreich eine Schrift, die dem jungen Fürsten die schweren
Pflichten seines hohen Amtes nabelten und das Beispiel seines
seligen Vaters vor Augen führen wollte, auf daß er in gleicher Hoheit
und Autorität wie der Verblichene regieren könnte. Aus dem Inhalt
dieser Schrift erfahren wir, daß der Verfasser ein Franzose war
und das Alter von 70 Jahren schon überschritten hatte. Dieser
« Regen tenspiegel« wurde anscheinend bald nach seinem Erscheinen
auch in Deutschland bekannt und von einem Ungenannten,
Untertan des Kurfürsten von Brandenburg, ins Deutsche über-
tragen, um dem jungen Kurprinzen Georg Wilhelm, dem die
Übersetzung gewidmet war, als Anleitung zu einem gerechten und
weisen fürstlichen Leben zu dienen. Diese Tatsachen können wir
der kurzen Vorrede entnehmen, die der deutsche Übersetzer
meinem Werkdien voranschickt In dieser Vorrede wird auch der
Person Heinrichs IV., des Großen, vergleichsweise kurz gedacht.
Die Obersetzung erschien unter dem Titel »Der Frantz6sische
I) Bodins .Staat' wurde von Johann Otwnldt, MAaipdgardt 1592, int Octttldie
übersetzt. Die Literatur über Bodln führt an und benutzt Hancke. Bodin, Stndle ttber
^\rn B'\;:ir' der Souveränität. Breslau 1894. Er nc:in; S hrifh n v n Tobias Paurmeisfcr,
Henning Amisäus, Jakob Bomitius, Theodor Reinkingk, Christoph Bcaoid, Johanne«
^Orastns n. «.
29*
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452
Ciirt OebMicr.
Cato. Das ist nützliche Unterriclitun0e, wdcher geslalt der jetzige
König in Frmdcreich seine nunmehr angehende Regierang nfllz-
lidien und wol ansfdlen solle. DaruiB auch andere Potentaten
gute anldtuttg nehmen können, sich ihrem Stande gemeB und
so wol im Regiment alB sonsten löblich zu erzeigen.« Das
BQchlein sollte also nach den letzten Worten des Titels Ober die
Pfliditen der Regierung hinaas auch noch die rein menschlichen
Eigenschaften des guten Forsten, die mit seinen beruflichen so
enge verknüpft sind, dem jungen Leser schildern. Das mir vor-
liegende Exemphir ist gedruckt zu Berlin «bey Oeoi^e Rungen,
In Verlegung Johann Kallen, Buchhflndtem und Buchbindern«,
im Jahre 1615 und befindet sich in der Breslauer Stadtbibliothek.*)
Es verlohnt sich wohl der Mühe, die wesentlichsten Lehren dieser
Schrift hier wiederzugeben, weil sie ein Slreiflicht auf die damals
in den Köpfen politisch fein^ebildcter f ranzosen herrschenden
Anschauungen über könighchc Wurcje und Kegierungskunst werfen^
Anschauungen, die dnrth Vermitihtngdes französischen Beispiels auch
auf den Bildungsgang deutscher Fürsten Einfluß gewinnen mochten *)
Der ^ürst, heißt es, soll stets und ausschheßhch auf das
Wohl seiner Untertanen bedacht sein. Nur der Wandel des
Fürsten ist »rechtmessig", «welcher die Tugendt neben der Unter-
ihanen wolfahrt und erhaltung zum Zweck hat." Die Wahrung
des Fliedens iiTi inncrn und nach außen hei h((elisteni Anselien
der Regicrnni^' im Auslände ist das zu erstrebende Ideal. Damit
es erreicht werde, soH der Fürst schon seit seiner zartesten
Jugend sich für semen hohen Beruf bilden und üben. Er soll,
wenn er zur Regierung gelangt ist, sich nicht blindlings auf
seine Diener verlassen, sondern selbst »ein wachendes Auge
darauff haben'«, in allen Dingen zum Rechten sehen. »Es ist
niemahln ein Fürst besser bedienet worden, alß weylandt unser
König (Heinrich IV.), 80 lange er gelel)etf welches alleine seinem
flciß und fehigkeit zuzuschreiben." Von seinen »wichtigen und
ernsthaften geschefften« soll sich der Fürst nicht durch „unnütze
und vergebliche Dinge", wie tbörichte Kurzweil und fleischliche
>) Signatur 4. W 88/6. ») Die Ausführongen des Regen ifiisfiiegrls »Ind fiberall
etwas weitläufig und nmstindllch. Wir abstrahieren vtn allen üinzelhdtea und sielicn
nr die Onmditlic fdt
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Zur Geschichte des fnuizfisischen Einfluases auf die deutsche Kultur. 45 3
Oenfisser abhalten lassen, wozu unredliche Diener, um im Trüben
fischen zu kOnncn, ihren Herrn zu verlocken pflegen.
.In allen Regieruns^geschafften soll er »Urtheil und Recht
ergehen hosen«. »Diese beyden Wort begreiffen alles.« &
werden nun 12 Aufgaben des guten Fürsten aufgezählt, die alle
Zweige des Regieningswesens umfassen, Kirche und Gottesdienst,
welche vorangestellt werden, Justiz, Polizei, Finanzen, Verkehr mit
fremden Staaten, Landessdiutz und Landesverteidigung, Ämter-
besetzung und Erhaltung des inneren Friedens. Alle diese Auf-
gaben werden näher ausgeführt und häufig mit Beispielen aus
der Geschichte, auch der jüngsten Vergang^enheit, belegt. Vor
allem wird dem jungen Fürsten immer wieder das leuchtende
Beispiel des verewigten großen Heinrich vor Augen geliailen.
Es wurde zu weit führen, folgten wir hier dem V^erfasser überall
durch die verschlungenen Pfade seiner Ausföhningen. Doch
können wir ihren wcsentlicfisten Inhalt etwa durch die Wieder-
gabe folgender Sätze skizzieren.
Zunächst wird die fürstliche Freigebigkeit besprochen. Sie
soll, wie unter I lemrichs IV. Regiment, eine »Vergeltung der
Tugent und trewcr Dienste" sein, nicht aber zur Verschwendung
ausarten Der französische Verfasser macht bei dieser Gelegen-
heit semem ehrlichen üroJl über die während der Minderjährig-
keit des Königs eingerissene Qünstlingswirtschaft Luft.*) Qegen
ungetreue Diener und solche, die ihr Amt zu selbstsüchtigen
Zwecken mißbrauchen, soll der König schonungslos vorgehen;
es wird sogar der Vorschlag gemacht, nach altrömischem Muster
Aufsichtsbeamte, Zensoren, einzusetzen, welche die schuldigen
Beamten zur Rechenschaft ziehen und mit Amtsentsetzung und
Qütereinziehung bestrafen. Der Fürst soll gelegentlich bei wich-
tigen Angelegenheiten auch persönlich eingreifen und vor allem
»unterm schein der billigkeit dem Rechten keine Gewalt thun
oder die Verwaltung und Execution desselben hindern und stecken«,
daher auch in der Ausübung seines Begnadigungsrechtes »sehr
zurück halten«, damit die Schuldigen der verdienten Strafe
nicht entgehen.
() Den Ollen AnlaB zn dem Ottnttliwgwiiiweten lurtte die KOnieinmatter, Mail«
von Modici, selbst gegeben, Indem -^ic ihrer Kammerfrau und deren Oaf'rn, rteii sie nn
Marsdull d'Ancre beförderte, einen starken Einfluß auf die Suatsgrsdiäfte gewährte.
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454
Curt Gebauer.
Dagegen soll der Fürst die Beschwerden seiner Untertanen
geduldig anhören und den Elenden und Verlassenen eine Zuflucht
sein. Er schuldet allen Untertanen die gleiche Liebe. »Denn
in dene sie ihme zum Könige eingesetzet, seind Sie ihr gemeiner
Vater unnd sie alle dcro Kinder.« Durch »gemeine Reichs-
Abschiede also durch gesetzliche AAaßregeln, sollen wohlerworbene
Rechte und Privilegien nicht verletzt werden.
Des weiteren ist der FQtst gehalten, den Rat seiner getreuen
Diener anzuhören, sich auch in Dingen, deren tieferes Verständnis
ihm abgeht, whlgemeinte «Erinnerungen« gebllen zu lassen.
Nichtsdestoweniger soll er darauf halten, daß sein Wille in »bil-
liehen Dingen« prompt vollzQgen werde. Der Vorschlag, dem
Pariser Parlament bei gesetzgeberischen Akten den Vorzug vor
den fkbrigen zuzuerkennen oder die Parlamente der versdiiedenen
Provinzen zu einem einzigen Rdchspariamente zu vereinigen,
erkürt sich durch die alte französische Gewohnheit, daß die
Erlasse des Königs erst durch Registrierung bei den Parlamenten
Gesetzeskraft erhielten, und bezweckt die Herstellung der oft
vermißten Rechtsgleichheit. Der hierdurch ausgesprochene Ge^
danke der Zentralisierung ließ in den deutschen Territorien jeden-
falls nur eine mittelbare und ganz allgemeine Anwendung zu.
Sehr ins einzelne gehende Bemerkungen betreffen nun die
Unterdrückung des Aufruhrs, die Sühnung des Königsmordes,
begangen am Vater des iian/nsischen Herrschers, die Vermeidung
ȟberschwen^^lichcr gelindigkeil" und Griadc, die Ausweisung
unbequemer und gefährlicher Ausländer, Freundschaften usw.
Wir übergehen sie und leiten sogleich zum folgenden über.
Bündnisse mit fremden Mächten werden empfohlen, sofern
dadurch der Ehre des Fürsten kein Nachteil zugefügt wird, die
„Freundschafft", d. h. die redliche Gesinnung der Verbündeten
außer Zweifel steht und »das Regiment insonderheit Nutz und
Frommen davon haben" kann. Fine politische Verbindung: setzt
aber auch „eine durchgehende üleichhcit ' beider I cile, etwa eme
solche in den Suien und politischen Verhältnissen, \ oraus. Der
damals in Frankreich und auch in Deutschland^) viel erwogene
0 Z. B. V<dineinender wtthaffhr Dlsain. vmnib und vk die ROmtodi-eiaioBMlKii
in TcntiddiiMl dcb Mlllch von Spulem vnd Jcstüten «iMondmi > . . lollai und kBaiMn «s«.
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Zur Geschichte des französischen Einflusses auf die deutsche Kultur. 455
Anschluß an Spanien, den Hort des uliraniontanen Katholizismus,
wird in längerer Ausfühnirif)^ für schädlich und unratsam erivlärt,
weil Spanien seit 100 und nuhr Jahren den französischen Staat
.rcntweder durch öffentliche KrieL,'c oder heimliche listicre Prac-
tiken'' geschädigt habe, damit es «mitten inn der Unordnung
empor schweben möchte."
ffixsten, heißt es weiter, sollen sich keinem Menschen
«unterwürffig machen«. «Die Könige machen die andere Menschen
dienstbahr; sie bleiben alletne frey in allen andern Sachen auB-
genommen der gerechtigkeil^ welcher sie verbunden, und machet
sie eben diese dienstbarkeit zu Königen und freyen.* »Dann
ob sie schon gleich die macht haben alles zu thun: so fordert
doch die Justitz, das sie sich unterwerffen nidits zu begehen,
was nicht gerecht oder biilich." Die Aufgabe besteht für sie
darin, sich « verniiiteist ihrer Unterthanen ^iitwilliqen gehorsambs
in freyheit, als in eine vollkommene gewalt, zu seUeti." Hiermit
hängt auf das enjSfste die Torderung religiöser Duldung zusammen.
Denn der allgemeine Gottesdienst ist das »vomembste stück bey
der Justitz". in der Fi Wartung späterer »gänt^Hcher Vereinigung"
aller Gläubigen zu einer Kirche darf also einstweilen kein Zwang
in religiösen Dingen ausgeübt werden.
Eine weitere Folge der notwendigen Herrschaft in Freiheit
ist es, daß der Fürst sich dem Schlüsse der recfatmflßigerweise
versammelten Stinde des Reiches unterwerfie. Scheint es also,
als ob hierin eine Beschränkung der königlichen Machtvoll*
kommenhett zu erblicken sei, so ist demgegenfiber doch zu be-
tonen, daß der Enlschluß des Königs, die Sfinde zu berufen,
ein freier ist. Will er es nicht tun, so unterbleibt es, und tat-
sächlich hat die Entwicklung der absoluten Monarchie in Frank-
reich es auch mit sich gebraclu, daß die Stände im Jahre 1614
das letztemal vor der großen Revolution einberufen wurden.')
Die guten Lehren des „französischen Cato", der Fürst solle die
Klagen der Stände, die ihm die Wünsche des Volkes übermuteltcn
1616 ohne Dnickort. Bmlauer Staittbibliothdt 4. W M/5. Vgl. auch O. Mentz, die deutsche
PfebHzfitNt fm 17. JahiliuiMkil. ütubtctg 1197.
R. Sternfeld, Französische Geschichte. Leipzig 1898 (Göschen). S. 101. Attdl
Heinrich iV. hatte die Stände seit 15M nicht mehr berufen. Ebenda S. 99.
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456
Gurt Gebaut.
gnädigst anhören und ihnen abhelfen, sich auch »von Punct zu
Pund ob deme, was geschlossen wird, halten«, waren hier also
völlig in den Wind gesprochen. Wir sahen schon, daß auch
die deutschen Fürsten sich der Mitregierungsbefugnis ihrer Stände
bald genug entäußerten.
Unser Regentenspiegel schließt hieran den Ratschlag an, der
Fürst solle, wenn er durch bösen Rat zu ungerechten Verord-
nungen verführt worden, sich nicht scheuen, auf geeignete Vor-
stellungen diese Verordnungen wieder aufzuheben, zu welchem
Zwecke in Frankreich die Mitwirkung des Parlamentes oder besser
der Pariamenie bei der -Gesetzgebung dngeffihrt sei. Cr solle
auch nie seinen Dienern eine zu große Macht einiftumen, so daß
diese in Wahrheit die Herren seien. Die vomehmslett Amter
wiren daher am besten jeweils nur auf 3 Jahre zu verleihen (!)*
Schließlich soll die »allgemehie Verwaltung der Empter (sonder-
lich der Finanlz)« nur einem tflcfatigen Manne anvertraut werden,
der sie unter alleiniger Veruitwoitung zu führen hat »Dann
die menge der Diener bringt nur Verwirrung.« Mit diesen Worten
ist das Institut der allgewaltigen Prinzipalminister gemeint, welches
sich seit Heinrich IV. im französischen Staatswesen eingebürgert
und in Sully, Richelieu und Mazarin drei Minner von seltener
Energie hervorgebracht hat, die Frankreich an die Spitze des
europäischen Völkerkonzerts zu setzen verstanden. Alle Beamten,
auch die höchsten, aber darf der Kunig absetzen und strafen
nach scHv.'ni Ermessen, auch, wo es ihm gut scheint, in ihre
Amtskonipt lenzen persönlich eingreifen.
Prüfen wir zuletzt noch kurz die wichtigsten Grundsätze
des »französischen Cato" in ihrer tieferen Bedeutung, so läßt
sich nicht verkennen, daß sein Verfasser in den politischen Kämpfen
seines Vaterlandes einen offenen Blick für das erworben hat,
was jener Zeit not tat, und daß er überall auf der Höhe der
Situation stand. Seine politischen Ideale verraten eine ge-
wisse Ähnlichkeit mit denen Bodins. Auch bei Bodin, dem
Schöpfer der modernen Staatstheorie, finden wir betont, daß das
<) Vgl. Haocke, Bodin; J. C. Bluntscfali, Oescbichte do allgemeinen Staaterechts
und der Pottllk Mit den I«. |ibilMmdai; Polladc^ OocMchte der StaHiMiic. LOp^.
S. 44ff.
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Zur Qeschichte 4es französischen Einflusses auf die deutsche Kultur. 457
Wohl des Volkes der oberste Grundsatz der Re^ierimti sein
müsse (sehr im Gegensätze zu der extrem egoistischen Lehre
Macchiavells), daß der Herrscher keiner gesetzlichen Autorität
unterworfen, vielmehr nur durch die Forderungen von Gerechtig-
keit und Billigkeit, also nur moralisch durch das Naturrecht,
g^nden sei, daß den Ständen lediglich eine beratende oder
warnende Stimme zukomme, und daß die Beamten dem Souverän
energisch untergeordnet seien. Auch die Forderung der religiösen
Toleranz findet sich dort wieder. Wir erblicken also in der
Obersetzung des französischen Cato als Anleitung fllr einen
deutschen Fürsten einen der fdnen Kanäle^ durch welche zu Be-
ginn des 17. Jahrhunderls die Aufklärung in der französischen
StaatsHieorie, und zwar in einer von Bodin beeinflußten Prägung,
in Deutschland Eingang fknd.
III.
Frankreich als Reiseziel der Deutschen zu Beginn
der iiciierca Zeit
Neben den politischen Verhältnissen und der kulturellen
Oberlegenheit Frankreichs tiber Deutschland haben seit der Mitte
des 16. Jahrhunderts die an Zahl und Um&mg zunehmenden
Helsen Deutscher nach Frankreich am meisten zu der Steigerung
des französischen Kuitureinflusses auf Deutschland beigetragen.
Während bis dahin besonders Italien den Strom der deutschen
Reisenden, Gelehrte, Künstler, Studenten, Wallfahrer, Diplomaten
und Krieg^slciiic, an sich orezogen hatte, wurde aus den ver-
schiedciisicii Ursachen nunmehr Fraiikrcich tui die Deutschen
das beliebteste Reiseziel, zunächst für die Protestanten, welche
der gleiche Antagonismus gegen die katholische Reaktion mit
den in Frankreich zu großer poUlischcr Macht gelangten Kal-
vinisten (Hugenotten) verband. Schließlich lockte während des
Verlaufes des 17. Jahrhunderts die höhere Kultur Frankreichs
auch die katholischen Deutschen immer mehr ins Land. Frank-
reicii wurde die große Bildungsschule, das gesellschaftliche Muster-
land nicht nur für Deutschland, sondern für das ganze zivili-
sierte Europa.
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458
Curt Gebauer.
Sehen wir aber nälicr zu, so entspringt die damals hcrrschcr.d e
Neigung zu Reisen nach Frankreich doch auch noch anderen
Quellen. Spangenberg zählt in seinem Adelsspiegel ^) fünferlei
verschiedene Ursachen des Rciscns überhaupt im einzelnen auf,
nämlich Botschaften und Legationen, Handel und Gewerbe, Ek--
suche von Freunden und Bekannten, das Unterhaltunc^s- und liil-
dungsbedürfnis (das sich in der Neigung, fremde Sitten und
Gebräuche zu beobachten, Sprachen und Künste zu lernen, äuBcr^
endlich zwingende Umstände wie Not und Verfolgung. Wer aus
einer dieser fünf Ursachen reise, sagt Spangtenbeiig, den soll min
jifgemeines Landfriedens mit genießen lassen*; außerhalb der
Reihe dieser privilegierten Reisenden stehen Kundschafter, Ver-
räter, Zigeuner und sonstige Herumtreiber, wddie des Schutzes
nicht wfirdig seien. Kommen die hier aufgezahlten Uisacfaen
des Reisens natflrlich auch auf Frankreich in Anwendung^ so
spricht sich eine andere Quelle des 1 7. Jahrhunderls, nämlich
ein Empfiehlungsbrief des Stnßburger Professors Matthias Bemegger
an Theodonis Oothofredus vom 5./15. Januar 1625, über die
Gründe der Reisen nach Frankreich noch besonders folgender-
maßen aus:*)
»Et habemus sane oiusas, cur tanto studio Galliam Ger-
mani pelamus, non illas modo veteres, discendi linguam, poiiendi
mores, ingenium excolendi, sed et hanc recenteni, quod immor-
tali beiitdicio nos, antiquos illos tralres vestros germanos, eius
faucibus, qui imperuim spe improba totius Orbis amplectitur,
modo non inhaerentes, eripere coepistis et, ut ominamur opta-
musque, felici successu propediem eripietis» non nostro tantum
t>ono, sed si verum amamus, etiam vestro, qui pro excellend
sapientia vcstra prospicitis ipsi, ubi nos a Deo et rege Christia-
nissimo^ quos unice respidmus^ destituti, omen abesto! deflagra-
verimus, istud inoendium viclnos quoque parietes esse correpturum.*
Hier werden also die Bildungsinteressen der DeuMien,
das Streben, die französische Sprache zu erlernen, die Sitten zu
I) Cyriakus Spangcnbcr^, Adclsspie^jcl. Histoiischer ausführlicher Bericht, wiis
Adel sey und hcisse usw. Oedruckt zn Schmalkalden bey Michel Schmück t59i. Bd. II,
Bl. 151, ROchidte.
n Reifferscheid, Quellen zur Geschichte de« geisSfOl LcbCM in Ooitidllaild
während des W. Jahrhunderts. Hdlbronn 1889. S. 842.
Zur Qeschidite des französischen Einflusses auf die deutsche Kultur. 459
verfeinern und den Geist zu vervoHkon^iinieri, daneben aber die
fremeinsame politische Gca^nerschaft der prolcstnntischen Deutschen
und Franzosen gegen die meist dem Uitramontanismus verbündete
habsburgische Weltherrschaftstendenz als Motive der »phiiogalli*,
als Ursachen ihrer Reisen nach Frankreich bezeichnet
Betrachten wir diese Ursachen etwas näher, so reisten
deutsche Studenten, oft auf Jahre, in französische Universitfits-
stadte, um dort ihren Studien obzuliegen und gleichzeitig fran-
zösische S|>rache und Lebensart kennen zu lernen. Ein Beispiel
solcher Studienreisen bietet Felix Platters Reise nach Montpellier.*)
BiesaB diese Universität Ittr die medizinische Fakultät einen ht-
sonderen Ruf, so andere Hochschulen wie die zu Bourges und
Orlens wiederum für die Juristen. Von jungen deutschen Pro-
testanten Oberhaupt, nicht nur von evangelischen Theologien,
wurden die hugenottischen Akademien Saumur und Sedan beson-
ders häufig besucht Paris behieK natürlich seine alte Anziehungs-
kraft für Studenten aller möglichen Fakultäten. Im übrigen war
aber, seit die Pflege der Wissenschaften unter humanistischen
Einflüssen in Deutschland immer nachdrücklicher und reger
geworden, das Universilätssludium in Frankreich schon etwas in
MifjkrL'Liit <_Tekommen, weil c.ic jinigen Suulcukn sich dort nur
zu iiäufig um alles andere kuiiHiitrten, nur niciil um ihre Wissen-
schaft. »Etsi, ut tibi dicrm in aurem, sludendiim magis domi
quam loris. Qui bonas disciphnas secum patria non extuht, raro
refert," schrieb der Heidelberger Professor Jan Gruter am 28. Fe-
bruar 1613 seinem jungen Freunde Wilhelm Zink^ref, als dieser
Studierens halber nach Frankreich reisen wollte und um die Wahl
seines Aufenthaltsortes verlegen war.*)
Mit dem steigenden Interesse für Frankreich aber wurde es
Sitte, dieses Land nicht nur eines bestimmten Berufssludiums
wegen aufzusuchen, sondern aucli um seiner selbst willen, also
um die gesamten französischen Verhältnisse an der Quelle
kennen zu lernen und vielleicht spftter in iiigend einer poli-
tischen Stellung verwerten zu können. Bei dieser neueren Art
von Studienreisen, zu deren Aufkommen die Religionsgemeinschaft
1) Siebe S. -Ml, Am. l. ■) Rriffenchdd S. SOu
460
Curt Gebauer.
der deutschen und franzosisclien Protestanten wohl das meiste
beigetragen hat, ist der Aufenthalt im fremden Lande, um zu
lernen, ausgesprochener Selbstzweck. Als eine Anleitung zu solcher
Reise werden wir im nächsten Aufsatz den Traktat des Thomas
Erpenius, im Druck erschienen 1631, näher besprechen.
Für die Leute von Stande aber blieb doch die Hauptur-
sache der Reise nach Frankreich, um nicht zu sagen, die Ver-
gnügungssucht, so jeden falls dasgesteigerte Bedürfnis, die Welt kennen
2U lernen, den durch die begrenzteren Zustände der Heimat be-
engten Bück zu erweitem und sich draußen den gesellschaft-
lichen Schliff anzueignen, den man, abgestoßen von dem in
Deutschland noch vielfach herrschenden groben Ton, als not-
wendiges Rüstzeug einer verfeinerten Lebenshaltung zu empfinden
begann. In adligen Kreisen hatte sich dies Bedürfnis^ verbunden
mit praldischen Zwecken, bereits recht frfih geregt Schon 1564
rät der Qraf Reinhard von Solms in seinem zu Pnuikfurt a. M.
erschienenen Buche vom Ursprung des Adels den jungen Edlen,
an fremden Höfen zu dienen, damit sie später ihrem eigenen
Fürsten desto besser dienen könnten.^) Seit der Wende des
16. und 17. Jahrhunderte wurde dann das Reisen in fremde
Länder überhaupt beim Adel zur festetehenden Sitte. In der
Regel umfaßte dte sogenannte »Kavaliertour« außer Frankreidi
noch Italien, die Niederiande und England.*)
Bei den Bildungsreisen des Adels nach Frankreich blieb
die Erlernung der französischen Sprache immer wesentlich, denn
das FranzSsisdie wurde im 17. Jahrliundert die Sprache der
feinen Welt und der Diplomatie. Schon im Jahre 1613 ver-
breiteten Pfälzer Diplomaten in Deutschland eine Denkschrift
über den Reichstag zu Kegensburg in französischer Sprache
Und auch der Bericht des Fiirsten Chr;:>tian I. von Anhalt an
den König von Böhmen und Kurfürsten von der Pfalz über die
verlorene Schlacht am Weißen Berge bei Prag, datiert Cüstrin,
') Das Bucli dtfs Orafcn Solms wird von SiiinKenbcrj^' (Adelsspicjid, Bil II,
Blatt 199 Rückseite) angeführt Rdnbard von Solms, geboren 1491, gcstortMm noi, war
Kdttrlidier Rat und Fdänarscball und tat sicfa IwKMidcn als mililirischer Schriftsteller
hervor. Sein hedetitendtia Werk war da» sog. «KricgidMcti.' Vgl. Alle, devladie Bio*
graphie XXX iV, i&i.
StainhanMii, Ocschichle der deatsdien KollBr, S. SM, S93.
9 Karl Lampncbt, Oeatsdic OcKblcbte: 7. Bd.. i. Hilfle, S. M.
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Zur Geschichte des französischen Einflusses auf die deutsche Kultur. 461
den 1. fanuar 1621, ist französisch, v.cnn auch in einem nichtsehr
fließenden und etwas umständlichen Französisch abgefaßt^)
Nach der Äußerung einer anderen Quelle galten etwa
Orl&nsy Toulouse, Tours^ Blois und Poitiers als die Städte, in
denen das beste Französisch gesprochen wurde. In einem Akten-
stücke des Kreisarchivs in Neubuig, überschrieben «HertzQgs
Augusti pfaltzgnivens raise inn Franckreich betr. a. 1600-1604«,*)
heiBt es, der Henog solle sich in diesen Städten 3 Monate und
längier aufhalten, um Französisch zu lernen. Cr solle aber auch
vdie memorabilia und sehenswürdigen Sachen jeden Orts fleißig
perlustrieren und in ein besonder Büchlein aufeeichnen." Den
Menschen jenes Zeitalters kam es vor allem darauf an, auf den
Reisen auch zu lernen, ihre Kenntnisse zu bereichem. Das ent-
sprach dem etwas trockenen, pedantischen Ödste des f 7. Jahr-
hunderts. Das Oefühl war damals Nebensache, und so werden
denn auch in allen Reiseführern und Reisebeschreibungen jener
Zeit die Nalurschönheiten ganz übergangen oder doch mit wenigen,
meist nüchternen Bemerkungen abgetan.
Dem gesteigerten Reisebedürfnis der Deutschen kam übrigens
auch, was nicht zu ubersehen ist, seit dem Ausgange des 16. Jahr-
hunderts der bedeutende wirtschaftliche Aufschwung Frankreichs
l)egünstigend entgegen.^) Während des 30 jährigen Religions-
und Bürgerkrieges war das ganze Land von Räuberbanden und
Wegeiagerem erfüllt. Paris selbst war nach den Schilderungen
der um 1 594 veröffentlichten Satire M^nippee') kaum etwas
anderes als ein Schlupfwinkel von Gaunern, Dieben, Räubern
und Meuchelmördern. Den Anblick der französischen I^nd-
stmßen machten auch die seit den 60er Jahren allenthalben
wahrnehmbaren Spuren der Ketzerhinrichtungen, von denen z. B.
1) TtgciMdi diristtaat de» Jflmmn, Fnnten xn Anludt. Midi dem Manuskript
hcrausgfK^H n v n Q. KrtiM. Leipzig i«st. Anbtng, S. 310-314. Der Bericht ist
hJcr wörtlich abgedruckt.
*) Vgl. J. Brciteiibach, Aktenstücke zur Geschichte des Pfalzgrafen Wolfganfr
WilbdiB von Ncntarg. Neuburg 1896, Einlntang S. XXXiVtf^ and Sdinidt, Enidiuoff
der pUhiKbcB WflteUMidKPt 8» CXUI«
•) Zum fblgcaden vgl. A. lUadimd, HffUrif« de 1a dvflhilim tnagim. Flute
IfW. I, 54« ff.
«) Vgl. aber dlcK Safii« Sodikr und Blidi-HtndilMd, Octdridrie der trwirartidwi
Uienliir. Leiinic «md Wien IM». S. 343.
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462
Ciict Od»iier.
fdix Platter in seinem Tagebucfae imuidics berichtet,^) wenig
eifreitKch. Hierzu lomen noch der mangelhafte Zustand der
Straßen und die ungenügenden Verbindungen selbst zwischen
den bedeutenderen Städten des Landes. So waren von Paris
aus überhaupt nur Orleans, Amiens und Rouen auf fahrtisiren
Straßen zu erreichen. Dies alles wurde anders, als es Heinrich
gelungen war, seinem Reiche die heißersehnte Ruhe wiederzu-
geben. In wenigen Jahren befreite es der Könis^ von seinen
Plagegeistern und leerte ein Netz guter fahrbarer Straßen an, die
er, was bis dahin unbekannt gewesen, mit schattenspendenden
Baumen besetzen ließ. Alle Straßen eriuelten regelmäßige Po^t-
Verbindungen, die Benutzung der Posten aber stand jedermann
gegen mäßi^^e Ver<^ütung frei. Sogar mit den^ Bau von schi^f^
baren Kanälen hat schon Heinrich IV. begonnen.
So wurde also erst seit dieser Zeit Frankreich dem großen
Vericehr wirklich erschlossen, und das Reisen in diesem Lande
g;ewann für die Deutschen gegen das jüngst vergangene Jahr-
hundert unendlich an Reiz und Annehmlichkeit
Bezeichnend für die damals unter den Deutschen ein-
gerissene Sucht, nach Frankreich zu reisen, ist eine kleine Anekdote
aus jenen Tagen, die ich hier nicht verschweigen möchte. König
Heinrich IV. von Frankreich begegnet eines schönen Tages auf
der Jagd etlichen Kutschen voll deutscher Edelleute und Studenten,
die von der Frankfurter Messe aus in sein Land gereist sind.
Als er vernommen, daß es Deutsche wären, sagt er zu seiner
Begleitung: uLast sie frey in [ ranckreich ziehen. Diese seynd
es, so die alte ersparte Mutter Pfenning, die in vielen Jahren die
Sonn nicht gesehen, in Franckreich und unter die Leut bringen."-)
Der Erfolg der Reisen nach Frankreich war natürlich je
nach den damit verknüpften Zwecken und der Wesensart des
Reisenden ein sehr verschiedener, immer aber doch der, daß die
Deutschen mit dem französischen Volksgeist und der französischen
Zivilisation vertraut wurden, zumal die Reisen damals viel längiete
1) Thomas und Felix Platter. Zur Sittengeschichte des 16. Jahriiunderts. Beubdiet
von Hdflrldi Bom. Ldpdc 187S. S. ilt, i<7, Sl4ff., Sti.
Jul. ^JC'ilh. ZinVfiief, Tcnitsclic Apophthegmata, d i. der Ttiit ihrn liurf in .
klage Sprüche, vermehrt durch Joh. Bernhard Wetdaem. Amsterdam i653 b«i L. Eizvtera).
9. Tdl, & 348.
Zur Oescfaichte des franzOstscben Einflusses auf die deutsche Kultur. 463
Zeit in Anspruch nahmen ab heule und die Berührung mit dem
Volke eine weit intimere war. Das mufite im Laufe der Zeit
auf die Entwicklung^ der deutschen Kultur einen starken Einfluß
ausüben. Nationale Eiferer haben daher schon immer gegen die
im Gefolge der französischen Reisen unvermeidlich auftretenden
Mißstände gepredigt und dabei die guten Seiten geflissentlich
übersehen. Unzweifelhaft harrten in Frankreich und besonders
in Paris der jungen Reisenden ja viele Verlockungen, die sie
vom rechten Wege abbrinp^en konnten, und der Glanz des fran-
zösischen Lebens konnte schwache Charaktere wohl zur öden
Nachäfferei und zur Verachtung der einfacheren vaterländischen
Sitten verleiten. Auch der Hang zur Schwelgerei und zu geschlecht-
lichen Ausschweifungen wurde, wo er im Keime vorhanden, durch
die Berührung mit der freidenfcenden französischen Oesellschaft
begOnstigt Sehr zu beherzigen war daher jener väterliche Rat, den der
alte Fürst Christian von Anhalt seinem Sohn gab: »Item, man
sollte auf den Reisen auf das honestum und udle sehen. Sonsten
flöge eine gans flbern Rhein und kirne eine gans wieder heim.«
Unter den Tadlem und Wamern steht gegen die Mitte
des 1 7. JahrhundertSi was die in Deutschland aufgetretene Reise-
wut und die damit zusammenhängende Modesucht betrifft, Johann
Michael Moscherosch obenan. In seinen »WunderHchen und
wahrhafftigeii Gesichten Ilulandcrs von Sittewalt" *) spricht er
sich über das Reisen folgendermaßen aus. Warum man in
trenuie Länder reisen solle, sei den meisten zwar aus den Büchern
wohlbekannt; ,pkönnen davon zierlich reden und prächiig sprechen:
die mehrt len aber haben ihr absehen vornemblich dahien, wie
sie ein wälsch Kleid, wälsche Geberden, wälsch Wesen, wäischen
Übelstand, ein wäischen Bart, wäischen Hut, Malsch Haar, wäischen
Überschlag, wälsches Wanibst, wälsche Hosen, wälsche Strimpff,
wälsche Stiffei, wäischen Mantel, wAlschen Dägen,- wälsch Gehende
mit nach hauß bringen mögen, und das ärgste ist, offt die
Frantzosen gar im Hertzen: Gott gebe, wo Alte Tugend und
1) Tagebuch Christians von Anhalt. S. 87.
*) Moscherosch, g^eboren 1601 zu Willsddt bei Straßburg, gestoiben als He«dadier
OchdBter Rat in Kassel 1669 auf einer Reise in \^'onns.
1 Zoost 1640 ia dncn Tdl, dam i643/ij and anor in i«d BAnden eracUcnea.
I«h littcve hier nach der Angabe von iW,
464
Curt OdMuer.
Redlichkeit, Kfinste, Er&threnheit, Wdfiheit« Gedult» Sittsamkcst
und anderes» umb deß willen sie hienitiß verschickt worden,
bleiben. Dann das alles ist Ihnen Thorheit und Ihren hohen
Einbildungen viel zu geringe; die Alte in ihren Tugenden haben
nichts verstanden, die Naaßweise Herrchen wissen es alles besser
und sufftiler an tage zu geben."') An einer andtien Stelle
schildert Moscherosch in ergötzlicher Weise das Treiben des
juiiL^en Deutschen, der studaTciishalber nach Paris gezocren ist.-)
Di<-^ bedeutenden i^rufessoren kennt er freilich von Anseilen, hat
auch alle schon mit Hutabziehen gegrüßt, aber ins Kolleg ist er
nie gegangen. Auf die Frage, ob er etwas gelernt habe, womit
er dem Vaterlande nützen könne, antwortet er: »Ich hab die
schönste Nestel gesehen machen.« Er weiß genau Bescheid, wie
die neueste Mode beschaffen, kennt die besten Pariser Kabarefls^
wo man guten Wein trinkt und geOllige Damen bedienen. Und
der patriotische Tadler schließt:*) »Oott wolle Teutsche Hehlen
erwecken, die dem unmäßigen reysen in fremde Lande ihre Zeit
und Maß setzen, damit das Vatterbmd sich der Jug^d kfiniftig
besser 2U erfrewen und zu getrösten habe. Ja« die es dahien
ordnen, daß die redliche deutsche Jugend die fremt)de Sptacfaen
im Vatierland lernen: und bemach ihre reyse, als ob sie durch
die Brenne kuffen sollen, eilig fortsetzen mfissen. Damit sie von
den Wälschen Lastern, insonderheit der Heydnischen Abgötterei,
icli sage dem Wälschen Atheismo, nicht angesteckt werden mögen."*)
Ein frommer, aber aussichtsloser Wunsch ! Denn immer hat gerade
die Deuiscijen die Ferne mächtig angezogen und das Fremde in
seine Netze gelockt. Kann man doch auch nach der Enge des
Mittelalters dem neuen Heißhunger, den Horizont des Wissens
und der Bildung zu erweitern, ganz gewiß seine tiefere Beredi-
i) Philaodcr van Sittewalt. Bd. U, Erstes Ocsicbt (Almodc^Kdiraafi), Vor>
rede S. i2, n.
S) PhiUnder. Bd II. Zweites Gericht (Hanß hii-iüihcr, Q«l81ieffSbcr), S. 244ff^ ISSlf.
•) Ebenda Schluß de^ TvrUfn f">esichts, S. 266. ?r~
*) Auch Joachim Rachel spricht einmal sehr u ogucrfcnd von «nrm jungen Deut-
«drni, der m» Fteis helnkehrt :
*eln kahler Straßenprunker,
Der etva von Pariß nur Titel bringt zu haufl,
Den Hut auf einem Ohr, im Beutel eineLanß '
J. KAdidt Mljniidic Ocdidile. Nach den Ansgiben von 1664 und 1677 hcrtn^egebca m
Kwl Diadicr. Httle a. S. f 903. Sttfre IV.
Zur Oeschichte des französischen Einflusses auf die deutsche Kultur. 465
tigung nicht absprechen, so iineifreulich manche Nachteile sein
mochten, die dabei in den Kauf zu nehmen waren. Es handelte
sich hier um eine notwendige Entwicklungsstufe, die das zum
individualistischen Denken erwachte deutsche Volk durchmachen
mußte, um zu freieren Gedanken und Anschauungen zu gelangen.
Richtig ist es, daß die Reisesucht zur Verwelschung, besonders
zur Französiening der Kleidung und der Gebärden, zuweiten zur
V^rflachung des Geistes und Verweichlichung des Charakters,
endlich auch hier und da zur Irrdlgtositit in Deutschland bei-
getragen hat Aber was die damalige Welt als Atheismus bezekhnete,
war doch häufig nur die Abkehr vom starren Kirchenghuben und
der Keim jener freieren Regungen, welche den Segen der Aufklärung
fiber die von der finsteren Orthodoxie geknechtete Menschheit
herabschfitteten. Und außerdem waren die Klagen der nationalen
Eiferer auch vielfach übertrieben wie alle Tendenzäußerungen.
Sie verschwiegen geflissentlich, daß ein guter Teil aller Fraiik-
reichfahrer wohl Rückgrats ^enug besaß, um die Spreu vom
Weizen zu sondern, den Verlockungen des fremden Lebens zu
trotzen und die nationale Würde zu bewahren.
Zu diesen das rechte Maß innehaltenden franzosenfreunden
gehörte im 16. Jahrhundert der bereits genannte Felix Platter
aus Basel. Felix, der Sohn des Thomas Platter, wurde von
seinem Vater zur Absolvierung seiner medizinischen Studien auf
die Universität Montpellier in Südf^kreich geschickt Seine
Erlebnisse in Montpellier und auf einer im Anschluß an die
Studienjahre unternommenen Reise durch ganz Frankreich Ober
Narbonne, Toulouse, Bordeaux, Poitiers, Tours, Blois, Orl^Si
Chartres und Paris, im ganzen die Zeit vom Oktober 1552 bis
Anfang Mai 1557 umfassend, hat er nach gleichzeitigen Auf*
Zeichnungen später im Jahre 1612 in einem Tagebuche eingehend
geschildert. Das Tagebuch, welches übrigens auch noch die
späteren Lebensjahre einschließt, ist kulturgeschichtlich höchst
interessant.') Für die Oeschichte des französischen Einflusses
ist es in seinen den Aufenthalt in Frankreich behandelnden Teilen
deshalb besonders wertvoll, weil es ersehen läßt, nach welcher
>) Siehe S 462, Anm. J.
Ardtiv für Knltorgicsdiicbte. V. |0
466
Curt Gebauer.
Richtung hin sich dieser Finfluß zunächst geltend machte, und
wie nicht nur der deutsche Adel, sondern auch schon der bessere
deutsche Bürgersland sich frühzeitig die Elemente französischer
Bildung anzueiijnen begann.
Daß Felix Platter in Frankreich die französische Sprache
erlernt, und anscheinend bis zu völliger Beherrschung, so daß er
auch im spateren Leben bei Gelegenheit gern davon Gebrauch
macht, ist ja selbstverstftndlich. Aber er widmet sich auch eifrig
der Musilc. Das Lautenspiel erlernt er mit solchem Erfolge, daß
ihm die auszeichnende Benennung l'AlIemand du lut zuteil wird.
Er beteiligt sich an nächtlichen Ständchen, treibt Hausmusik und
findet dabei Gelegenheit, auf den verschiedensten Instrumenten
virtuoses Können zu erwerben. So lernt er auch auf dem Sptnett
spielen und übt fleißig Harfe, die, wie es heißt, in Basel
noch niemand kennt Des Rondeletius Tochter unterweist er im
Lautenspiel. An der französischen Geselligkeit findet er lebhaften
Geschmack. Dort herrscht nicht das wüste Trinkstubenwesen
wie in der Heimat; die Nüchternheit des Volkes überrascht den
deutschen Studenten. Dagegen gibt es in den Bürgerhäusern
Gesellschaften, die beide Geschlechter froh vereinen und wo man
tanzt die Nadit hindurch bis gegen Morgen. Hier lernt Feluc
alle jene graziösen Tänze wie Branlen, Gaillarden, Volten, die
eine Hauptzierde der französischen Geselligkeit bilden. Der
freiere gesellige Verkehr zwischen beiden Geschlechtern aber
läßt die zarte Galanlcnc einj)ürblu!ie;i, die den deut^cht-'n Baren
damals etwas Ungewohntes war und doch für die Bildung des
Gemütes und des Charakters der Männer einen so hohen
erzieherischen Wert hat. Wie bezeichnend ist hier eine Stelle
aus dem Tagebuche, die sich auf eine spätere Zeit bezieht.*)
Felix Platter ist wieder in Basel und iieiratet. Auf seiner Hoch-
zeit gedenkt er seiner französischen Lehrzeit. »Ich wolt höflich
sein mit meiner hochzeiteren , wie ich in Trankrich by den
Dentzen gewont; wil sy mich aber frintlich abniant und sich
schampt, lies ich ab, dantzt doch auch, doch allein em gaillarden^
aus anstiftung D. Miconii." Die Deutschen mußten eben erst
>) Boos, S. 319.
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Zur Oeschidite des fhuuMchoi Einflusses auf die deutsche Kultur. 46 7
noch längere Zeit in die Schule der Franzosen gehen, um zu
einer höheren Stufe gesellschaftlicher Gesittung zu gelangen. Denn
der seit dem Ausgange des 1 5. Jahrhunderts in Deutechland ein-
gerissene Grobianismus hatte die Frauen mit Hohn überschüttet
und in den Schmutz gezerrt,^) so daß hier kein Raum für zarte
Rücksichten auf das schwächere Geschlecht vorhanden war.
Hundert Jahre später hätte eine Braut sich der Huldigungen ihres
Bräutigams vor der Hochzeitsgesellschaft auch in Deutschland
nicht mehr zu schämen brauchen.
So wirkten denn die Reisen nach Frankreich wie jede
Berührung mit diesem Lande in gesellscfaaltlicherf ja in ethischer
Beziehung zum Teil sehr segensreich. Eine andere Seite der
dadurch bedingten Abhängigkeit von der franzAsischen Kultur ist
allerdings bedenklicher gewesen, nämlich die Neigung zur Ein-
mischung französischer Wörter in die deutsche Rede. Sie ergriff
nicht nur die vaterlandslosen Verächter deutscher Art, sondern
merkwürdigerweise oft auch gute Patrioten. Schon bei Felix
Flauer linden wir eine ziemHch reiche Ausbeute französischer
Fremdwörter, im Vergleich zu welchen die lateinischen und
Italienischen stark in den Hintergrund treten.*) Das erklärt sich
nur durch den langen Aufenthalt in Frankreich. Im 17. Jahr-
hundert setzt dann Moschertv.rhs „Philander von Sittewalt", ein
durchaus nationales Werk, durch die fast unglaubliche Menge
eingestreuter fremder, besonders französischer Wörter und Redens-
arten in Erstaunen. Wenn der Verfasser in einer Vorrede dazu
versichert, er habe die k la mode Tugenden mit ä la mode
Farben schildern wollen, so war dies Mittel, welches vielleicht
abschrecken sollte, doch bei der Richtung der Zeit nicht gut
gewählt, weil es eher zur Nachahmung reizte. Aber gegenüber
#
») O. SteinlMaMii. OcMiiidife der deotodiai Knllnr, & 4S4, slo/11 «t«.
*) Ich celic hier einp Auslese französischer Fremdwörter aus F. Ptatters Tagebuch :
panchetcn=^üaätmahkr, haubaden »Ständchen, los.iinent — Wohnung, Upißery = Tapeten,
iibery s= Bücherei, port = Hafen, komiDcndierni = empfehlen, befdiien, guamison =
QamiiQo, ffiBlin — Gewehr, koavcniernt » sich unterhalten, conpigny OesclUduit,
ooiladon &frischung, disconr« >■ Rede, dtret— Wein, contrafetangf * Bild (Konterfei),
contrafcten = ablTildcn, faiitestig — wufliicrlich (ph.intastisch) usvi. Intcrcsiant ist es, *'ic
auch der muntere Plauderton der Fran20<>eii in Deutschland durch die Berührung mit dem
frunMadien Wesen eindringt und die bedächtige deutsche Art in der gesellschaftlichen
Unterhaltung veniräiii^'t. Tl-Hx PLittcr »ird von seinem Vater ermahnt, «nicbt «1 acfaneU
zu reden, wie die Wälschen &onst im Brauch haben". Boos S« 298.
30*
468
Curt Gebauer.
dem Eindringen französischer Wörter in die deuLsche Sprache,
das freilich durch die Reisen zunächst beguiisds^rt wurde, möge
man sich daran ermnern, daß außer anderen Pai<toren auch gerade
die Bemühungen der Fran/osen um die Aushildiing ihrer Sprache
und Literatur seit I3e;./inii cies 17. Jahrhunderts in Deutschland
eine Richtung begünstigten, welche den reinen Gebrauch der
Muttersprache in der literarischen Produktion auch hier als
höchstes ästhetisches Gesetz hinstellte.
(Schluß folgt.)
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Frauenhäuser und freie Frauen in Leipzig
im Mittelalter
Von GUSTAV WUSTMANN.
Wie in allen großen und auch in vielen kleinen deutschen
Städten, gab es auch in Leipzig schon im Mittelalter öffentliche
Frauen und Mädchen. Man nannte sie hier »lieie Frauen.«
Aus der bürgerlichen ( jesellschaft waren sie ausgeschlossen, wie
am besten aus den innun:ij;^ordnungen der Handwerker liervor-
gcht. So bestimmt die Ordnung der Leipziger Bäckergesellen
vom Jahre 1453: «Wo die Gesellen einen Ort haben oder
Zechen, so wollen die Meister und das ganze Handwerk, daß
kein Gesell eine freie Frau hei sich setzen soll, bei einer Buße
dem Handwerk und Gesellen." Die Ordnuna der Schuhmacher-
gesellen von 1465 schreibt vor: »Wann die Cjeselien beisammen
sein in emrr l'rtcn, SO soll ein itzlicher seine Wehr von sich
geben und kerne freie Frau in die ürten nicht führen." Die
Artikel der Leineweber von 1 470 fordern von dem zugewanderten
Knappen (Gesellen): »Bringet er ein Weib mit ihm, so soll er
in vierzehn Tagen Kunde bringen, daß es sein Eheweib sei.«
Die Schuh macherordnung von 1497 endlich schreibt vor: »So ein
Geselle ein unzüchtig, sträflich Leben führet oder mit einem offenbar-
lichen Weibe einen Anhang haben würde", so solle ihm kein
Meister Arbeit geben, bei Strafe von einem Pfund Wachs. Aber
auch eine Ordnung für die Weinschenken vom Jahre 1467 setzt
fest, daß kein Weinschenk eine «offenbare Fraue« in seinem Keller
solle sitzen lassen und ihr Wein auftragen, weil davon zwischen
den Studenten und den Handwerksknechten «viel Zwietiächte mit
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470 Gustav Wustmann.
Schlagen, Mörderei und ander Untat mehr" geschehen sei;
nur »auswendig des Hauses und des Kellers" sollten sie aii »fahrende
Frauen" Wein verkaufen dürfen.
Um sie, die so Verachteten, nicht mit dem Hause und der
Familie in Berührung kommen zu lassen und doch zugieidi
ihnen, den armen Schutziosen, die von Seiten der Männer vielen
Roheiten ausgesetzt waren, einen gewißen Schutz angedeihen zu
lassen, errichteten die Behörden sogienannte » Frauenhäuser wo
die freien Frauen zusammen wohnen, überwacht werden und
Schutz genießen sollten. Was in der Gegenwart der Hauptzweck
der Überwachung der Öffentlichen Mädchen ist: die mit ihnen
verkehrenden Männer vor Ansteckung zu schützen, fiel im Mittel-
alter weg; da es damals noch keine ansteckende Geschlechts-
krankheit in Europa gab; die >franzÖsische Krankheit« (der mor-
bus Galliens) kam erst um 1495 nach Deutschland.')
In solche Frauenhäuser - in Leipzig auch ».das freie Haus" und,
sogar anitlich, auch das Ilüihaub genannt - be^ab s:ch aber
doch immer nur ein Teil der freien Frauen; in den Stadt-
rcLiuiungen von 1472 werden sie die irfrommen Huren", d. h.
die gefügigen, gehüisainen genannt. Daneben gab es immer
auch andere, die es vorzogen, ihr Gewerbe auf eit^^ne Hand zu
treiben und in Burgerhäusern zu wohnen. Diese nannte man in
Leipzig die «fheimhchen« Dirnen - »heimlich" nicht im heutigen
Sinne, denn auch sie waren stadtbekannt SO gut wie die andern,
sondern heimlich" in dem Sinne, daß sie ihr Gewerbe in ihiem
eignen Heim trieben. Herumschweifende, wilde, fahrende Dirnen
waren nicht geduldet; als t523 zwei aufgegriffen wurden, wurden
sie »ins gemeine Haus geführt und ihnen zu wandern befohlen.'
Die Frauenhäuser gehörten der Stadt und wurden vom
Rat in baulidiem Wesen erhalten. Dafür bezahlten die Insassen
einen kleinen Zins an den Rat — wöchentlich zusammen
3 Groschen - ,und dieser Zins floß dem Beamten zu, der über sie die
Aufsicht zu führen hatte. Dies war in Leipzig im Mittelalter der
1) In Leipzig erscheint die Syphilis arkundlich zuerst im Jahre 1498. Die davoa
Ergriffenen wurden in dem Ji^h.inni?hospifnl, dem aJten Aussätzigetüiospital der Stadt, unter-
gebracht. Die Stadtrechtuingcn vct/,cichncn zwttit im Mint 1498 und von nun an Unger
als rrei Jahre regelmäßig eine Beisteuer des Ri:s an das Hotpitil von wfldieatlicil lOOmdMi
•fär die Franzosen", Mt die annen Franzosen«.
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Frauenhänser und freie Frauen in LApng im Mittelalter. 471
»ZQchtiger« oder Sdiarfrichter. Er erhielt jede Woche außer
seinem Wochenlohn von 7 Groschen noch 3 Groschen »von
den Frauen' oder «vom Frauenhaus" oder auch bloß »vom
Haus'', de domo, de domo communi. Erst 1519, wo der Scharf«
richter in Leipzig das einträgliche Geschäft des Abdeckers mit
übernahm, das bis dalim der Totengräber besorgt hatte, und
infolgedessen seine Besoldung wegfiel, wurde die Aufsicht über das
Frauenhaus den beiden -.Marktmeistern" niit übertragen, die an
der Spitze der Stadtwache, der »Stadtknechte", standen; von nun
an bezogen diese wöchentlich die 3 Groschen Zins.
!n der ältesten Zeit lagen die Frauenhäuser es waren
wohl mehrere, wenn sie auch öfter unter dem Namen »das
Frauenhaus" zusammengefaßt werden - in der innern Stadt,
und zwar auf dem Neumarkt (der heutigen Universitätsstraße).
Um die Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts bittet der Prior der
Dominikaner den Rat, daß das Frauenhaus aus ihrer Nachbar-
schaft entfernt werden möge (ut amoveretur prostibulum de vid-
nitate eorum). Der Rat veraprach es auch, vertröstete aber den
Prior auf gelegnere Zeit (usque ad tempus aptius ad construendum).
1458 aber heißt es im Schöffenbuche bei dem Besitzerwechsel
eines BQiigerhauses, das Haus liege auf dem Neumaricte »bei den
alten Frauenhäusem." Damals mössen sie also schon geräumt
gewesen sein. Die neuen lagen — es ist auch spftter bald von
einem, bald von mehreren die Rede — in der Vorstadt, und
zwar vor dem Hallischen Tore, in einem der stillsten und abge-
legensten Teile der Vorstädte, an der Nordseite der Stadt am
Ein gange der Neustraße (der heutigen Nordstraße), etwa da, wo
jetzt das Leihhaus steht. Da an dieser Stelle damals noch nicht
einmal ein Steg über den Stadtgraben führte - dieser wurde
erst 1468 gebaut so war die üige des Frauenhauses nicht
eben sehr verführerisch; im Gegenteil, man mußte es aufsuchen.
Anfang Dezember 1 489 wurde es einmal durch eine Feuersbrunst
zerstört, so daß der Rat, um die Bewohnerinnen anderweit unter-
zubringen, sofort auf der Neustraße für 31 Schock ein Haus
kauf^ mußte »zu Enthalt der gemeinen Dirnen.« In einem
Verzeichnis der Leipziger FestungsiOrme von 1529 wird ein
Turm, der am Ausgange der damaligien »Innern Neustraße*
472
Oustav Wustnuiniu
(der heutigen Plauischen Straße) lag, als dem Frauenhause gesen-
fiberltegend bezeichnet Zu dem Hause gehörte auch ein Garten.
Die Leitung und Bewirtschaftung der Frauenhäuser lag In
den Händen von Wirfinnen, die natürlich selbst freie Frauen
waren. In dem Tflricensteuerbuch von 14S1 werden sie genannt;
da bezahlt »die Wirtin auf dem Hause, Grete von Frankfurt, für
sich und ihre Dirnen« 13 Groschen, und »die Wirtin auf dem
Hause Breida (Brigitta) fflr sich und ihre Dirnen" 1 1 Groschen,
vitem fttr ihren Hellen Mann« 1 Groschen. Da die Person
jedenfalls mit einem Groschen eingeschätzt war, so lernt man
hier zugleich die Anzahl der Dirnen kennen. Der »liebe Mann«
aber war nicht etwa der Ehemann der einen Wirtin, sondern
mit diesem zärtlichen Namen wurde der ständige Buhle einer
freien Frau bezeichnet: die Wirim hatte also ihren Zuhälter.
1492 wird auch einmal »der gemeinen Dirnen Diener" erwähnt,
./Merten Beisatz, alias Tolheller«. Es war ihm die Stadt verboten
worden, trotzdem war er wieder hereingekommen und wird nun
zu 20 Cirosciien Strafe verurteilt; 1493 ist er sogar wieder
im Frauen hause.
Für die Frauenhäuser muß es eine Ix'Stimnite < )rdnung
gegeben haben, nach der sich die Ins3<^sen zu richten hatten.
Erhalten hat sie sich zwar nicht, aber David Peifer berichtet es
ausdrucklich in seiner „Lipsia" (sub antistita sua praeceptis atque
legibus meretriciis tenebantur). Eine Anzahl von Vorschriften,
die die Ordnung enthalten haben muß, läßt sich aus andern
Quellen, namentlich aus den Strafen für Übertretungen, die die
Stadtrechnungen verzeichnen, entnehmen.
Weder die Wirtinnen noch die Dirnen durften Leipzigerinnen
sein. Die BesUaften und Ausgewiesenen, die gelegentlich mit
Namen genannt wurden, sind alle von auswärts. Unverheiratete
Männer durften das Frauenhaus unbeanstandet besuchen; ver-
heiratete wurden, wenn sie dabei betroffen wurden, als Ehebrecher
bestraft Einheimische Ehemftnner mögen es denn wohl auch
selten gewagt haben, ins Frauenhaus 2u gehen ; Hans von Pirna,
der 1459 im Frauenhause in offnem Ehebruche betroffen
worden war, wurde verurteilt, auf drei Jahre die Stadt zu
rSumen. Auswärtige Ehemänner dagegen mögen es nicht selten
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Fraitenhäuser und freie Fruien in Ldpzig im Mittelalter. 473
besucht häbm, besonders wahrend der Messen. So wurden
1534 zwei, der eine aus Zeitz, im Frauenhause betroffen und
mit hohen Geldstrafen belegt» der eine mit 2 Schock 1 8 Groschen,
der andre mit 2 Schock 27 Groschen. Un verwehrt war es den
freien Frauen, solche, die - vielleicht aus Neugierde oder aus
Leichtsinn - das Fiaueiiliaus aufgesucht hatten, in das Haus
hereinzulocken. Peifer berichtet, sie hätten wie zum Kauf aus-
gestellt, geputzt, fast den ganzen Tag an der Tür gesessen und
mit schmeichelnden Worten die Vorbeigehenden angelockt
(comte et scitc cullae ganearum fores, quae binae invicem distantes
erant, totas fere dies obsidebant et blandis vocibus ad coUoquia,
veluti emptioni expositae, invitabant praetereuntes). Der Besuch
des HauSes war wohl zu jeder Tageszeit erlaubt; doch wurde
nachts bisweilen visitiert, weil sich verdächtige Leute gern im
Frauenhause aufhielten. So wurde 1498 ein Goldschmied, Franz
Heerdegen, der einige Zeit zuvor aus der Siadt ausgewiesen
worden war, II nachtsauf dem freien, gemeinen Hause begriffen«;
nun wurde beschlossen, ihn «ewiglich« auszuweisen. Natürlich
mußten die freien Frauen jedem zu Willen sein, der das Haus
besuchte, doch kam es auch vor, daß einer versuchte oder sich
einbildete, eine Dirne für sich allein im freien Hause zu halten. So wird
1 532 Wolf Haßfart aus Leipzig ausgewiesen, weil er in Verbindung
mit Studenten Schlägerei mit den Schneidern gehabt hatte; »auch
hat er ein eigen Weib im freien Hause gehalten und also ein
böse Leben geführt« An kirchlichen Feiertagen und deren Vor-
abenden war der Besuch des Frauenhauses verboten. 1501 wurde
ein Tischlergesell, der am Vorabend von Marift Geburt darin
betroffen worden war, mit 30 Groschen bestraft Ganz geschlossen
war das Haus in der Karwoche. Ffir diese Woche zahlten die
freien Frauen auch keinen Zins an den Rat; der Scharfrichter
und später die Marktmeister erhielten fOr diese Woche ihre drei
Groschen aus der Stadtkasse. Selbstverständlich wurde es nicht
geduklet, wenn freie Frauen Strafienunfug trieben oder gar
unbeschollne Frauen behelligten. 1458 wurden Hedwig die
Schlesierin und Grete die Fränkin aus der Stadt verwiesen, weil
sie »sich untereinander gezweiet und mancherlei Aufläufte
gemacht"; sie sollen nicht eher wieder hereinkommen, als bis
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474
Ottstav Wustmann.
jede ein Schock bezahlt hat Und 1459 heißt es: »Klein Annchen
und Käthe von Widenhain, freie Frauen, haben eine ehrbar
fromme Fraue angegriffen und wollten sie zu sich ziehen und
haben ihr doch groß Unrecht gethan"; auch sie werden beide
ausgewiesen. Es ist nicht ganz sicher, ob es steh in beiden
Fällen um Insassen des Frauenhauses handelte; im zweiten
Falle doch wohl.
Sowohl für die freien Frauen im Frauenhause wie für die
„heimlichen" bestanden bestimmte Vorschriften über die Kleidung.
Für die erstem set;^te der Rat 1463 fest: »Sie sollen nicht tragen
kuiallen Schnure, noch Seide untet arn Mänteln, Silber noch
Gold auf der Gassen; sie sollen aucii tinen großen gelen Lap-
pen tragen, der eines Groschen breit ist (also ein langes gelbes
Rand); sie sollen auch keine lange Kleider tragen, die auf die
ffrdc gehen." Für die „heimlichen" wurde bestimmt, wie es
in etlichen andern großen Städten gewöhnlich Set '. II Sie sollen
Mäntel auf den Häupten tragen, wo sie auf den Gassen gehen;
und welche man anders finden jwird] gehen, der soll man den
Mantel nehmen; das soll sie verbüßen mit 10 Groschen also
dicke (oft), als es geschieht; davon soll man dem Knechte, der
ihr den Mantel genommen hat, 2 Groschen geben. Daß sie auch
kein korällen Paternoster, noch seiden Tuch, noch Silber noch
Gold nicht tragen, noch die Mäntel mit Seide nicht unterfüttem
sollen. Sie sollen auch nicht lange Kleider tragen, die auf die
Erde gehen, bei der obgeschricbenen Buße, also dicke sie des
besehen würden. Sie sollen auch bei keine fromme Fraue
in der Kirchen in die Stühle treten, bei derselbigen Buße.«
Diese Vorschrift zeigt deutlich, daß auch die »heimlichen" Frauen
stadtbekannt waren. Sie zeigt auch, welchen Sinn die Kleider«
Ordnung hatte: die freien Frauen sollten sofort durch die Klei-
dung von den ehrbaren Frauen unterschieden und kenntlich
gemacht sein. Damit hängt es auch zusammen, daß seit Anfisng
des sechzehnten Jahrhunderls - in den Stadtrechnungen ist es
wenigstens seit 1501 nachweisbar ~ Mädchen, die außerehelich
gieschwängert worden waren, sowie es bekannt wurde, einen
Schleier tragen mußten, der ihnen vom Rate geliefeit wurde.
Alljährlich kommen in den Stadtrechnungen Ausgatien vor -
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Frattenhäuser und freie Frauen in Leipzig im Mittelalter. 475
anfangs 3 Groschen, später 4 - f&r einen Schleier für ein
Humiädchen, eine beschhfene Dirne, ein Jungfermädelein, »ein
jungfnramaidichen, die Venusfrau genannt* (1512), »ein Jungfrau-
maidelein von vierzig Jahren« (1528) usw. In den fünfziger
Jahren des sechzehnten Jahrhundcrls trlKilten sie für 6 Groschen
Schleier und Haube. Zu verwundern ist es freilich, daß dem
Rate nicht der Gedanke kam. daß durch auffällige Kenntlich-
machung der freien Frauen der Verkehr mit ihnen doch eher
befördert als erschwert werden mußte.
An der Kleiderordnung der freien Frauen wurde im fünf-
zehnten Jahrhundert streng festgehalten; 1472 wurde Grete von
Frankfurt, die Wirtin des Frauenhauses, mit 5 Groschen bestraft,
weil sie Seide getragen hatte, 1476 Anna von Oschatz mit
16 Groschen y weil sie einen silbernen Gürtel, und nochmals,
weil sie einen GQrtel und ein korätlen Paternoster getragen hatte.
Die »heimlichen« Frauen wurden geduldet; wenn sie sich durch
ihre Kleidung zu ihrem Gewerbe bekannten. Einen ununter-
brochenen und, wie es scheint, vergeblichen Kampf hatte der
lUt gegen die »heimlichen' Dirnen im heutigen Sinne zu
kämpfen, gegen die, die sich nicht zu ihrem Gewerbe bekannten
und deren Anzahl gegen Ende des fünfzehnten und Anfang des
sechzehnten Jahrhunderts, in einer Zeit wachsenden Wohlstandes
und wachsender Üppigkeit, in Leipzig immer größer wurde.
Sowohl gegen die Dirnen selbst, gegen die Wirlt und Wininnen,
die solche in ihren Häusern duldeten, als auch gegen die Männer,
die «dem Wirt zum Trotz« eine gemeine Dirne ins Haus geführt
hatten, wurde eingeschritten. In den Stadt rechnungcn finden sich
(seit 1 473) oft Fälle, wo Bürger und Bürgerinnen mit Geldstrafen
belegt werden, weil sie »eine freie Fraue", «verdächtige Frauen",
«ber&chtigte Frauen", »eine verläumdete Di heimliche
Dirnen", »gemeine Dirnen«, »die gemalte Anna« (1513) bei sich
»beherberget", »gehauset* haben. Daß dieser Kampf des Rats
bei den \\ännem auf mandien Widerstand stieße beweist ein Fall
aus dem Jahre 1477, der im Raisbuch aufg^ichnet ist. Am
13. November 1477 erschien der Rektor der Universität, Christoph
Eckel, mit drei Doktoren und Magister Heinrich Rodilitz (d. i.
Magister Heinrich Heideier aus Rodilitz) vor dem sitzenden Rate.
476
Gustav Wustmann.
Magister Rochlitz war vom Rate beschuldigt worden, »daß er
solle gesackt haben, daß der Bürgermeister und der Rat allhier
zu Leipzig gedächten, die heimlichen Huren zu verweisen, und
etzliche hätten doch ärgere Huren hinter ihren Ärschen liegen,
denn die wären, die miii v« rireiheii wollte«. Er versicherte zwar
wbei seinem guten Gewissen und auf seine Priesterschaft *, daß
er das nicht gesagt habe, daß er ganz unschuldig sei, «denn er
wollte jemand ungerne nachsagen, das ihm an Ehre und Glimpt
zu nahe sein suUte", und daß er von den Herren des Rats und
ihren Weibern „anders nicht wisse, denn alles Gut«, worauf der
Rat auf Bitten des Rektors und der Doktoren »die Sache gütlich
zerrinnen« ließ. Doch wird an der Anschuldigung Rochlitzpns
schon etwas gewesen sein, und er wird nicht der einzige gewesen
sein, der so dachte. Der Rat ließ sich aber in seinen Be-
mühungen nicht irre machen; 1498 beschloß er, »daß man die
heimlichen Dirnen, die da eheliche Männer haben und sich liier
des unzüchtigen Lebens befleißigen und enthalten, verweisen und
zu ihren Ehemännern soll heißen ziehen; desgleichen soll man
es auch halten mit denjenen, so vormals verweist und darüber
wieder hereinkommen wären". Wenige Wochen darauf wird
einer in der Grimmischen Vorstadt auf dem »Langen Graben«,
Hans Voigt, über den sich die Nachbarn beschwert haben, daß
er mit ihnen in Zwtetrscht lebe, und daß fort und fort »verdächtige
Dirnen« bei ihm aus- und eingingen, zu einer Geldstrafe ver-
urteilt und ihm ang^kfindtgt, daß er, wenn die Klagen nicht auf-
hörten, »ohne Behelf und Widerrede sein Haus und Güter ver-
kaufen und sich von dannen aus der Stadt wenden solle«.
1 500 wird Heinz Probst vorgeworfen, daß sich »gemeine Dirnen«
in seinem Hause aufhalten und »viel ünfuhr« treiben; der Rat
beschließt, sie zU »verstören« und sie oder den Wirt zu be-
strafen. Der genannte Hans Voigt ist aber 15t 7 noch in Leipzig
und wird gewarnt, er solle sich enthalten, zu der »gemalten
Anna« oder zu andeni verdachtigen Orten zu gehen. Mit dem
Anwachsen der Bevölkerung und dem Zunehmen des Luxus
scheint aber doch die Bdtörde duldsamer geworden zu sein, so
daß nun aus den Kreisen der Bürgerschaft selbst Beschwerden
kommen mußten, ehe die alten Vorschriften wieder eingcsciiärft
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h'rauenhäuser und treie Frauen in Leipzig im Mittdalto'. 477
wurden. In der Osterwoche 1522 beschließt der Rat: Nachdem
von den BüpTern viel Klaffe erhoben, daß die unzüchtigen Weiber
iiinj Spezial m köstlichen Kleidern den Frommen zur Ärg^erung
gehen, ist befohlen, daß der Richter darauf sehen und sie darum
strafen solle." Und 1 52 7 heißt es wieder: „Die Nachbarn auf
dem Neumarkte bitten Einsehen zu haben, daß nit so viel un-
züchtiger Weiber gehalten und daß derselben Kleider gemäßiget
[werden], denn ihre Weiber und Kinder werden daran geärgert
Hierauf ist beschlossen, daß es dermaßen, wie sie gebeten, ge-
schehen solle." In demselben Jahre wurde der Rat in einen
langwierigen Prozeß verwickelt mit einer Frau WaUheimin, der
der Marktmeister auf dem Markt den Mantel w^enommen hatte,
weil sie »als ein verdächtig Weib nit einen gelen Mantel (?)
nach des Rats Verordnung hat tragen wollen«. Sie hatte deshalb
den Marktmeister verklagt und war mit ihrer Klage bis an den
Henog Oeorg gegangen. Dem Rate, der sich natfirlich seines
Beamten annahm, kostete der Prozeß im Jahre 1S27 22, im
nächsten Jahre noch einmal 11 Schock.
Der mannigfachen Beschränkung, der die Bewohnerinnen
des frauenhauses unterlagen, stand aber nun gegenfiber der
Schutz, den sie genossen. Sie wurden in Leipzig selten mit
garstigen Namen belegt Selbst Beamte des Rats fanden kein
Aig darin, sie in amtlichen Aufzeichnungen mit den Scherz- und
Kosenamen zu bezeidinen, die sie im Volksmunde führten, wie
die »fette Hedwig«, die »gemalte Anna« u. a. Auf ihre Ver-
achtung drangen wohl mehr dte Frauen. Die JMänner hatten
den armen Geschöpfen gegenüber Nachsicht, Duldung, Mitleid.
Wenn Ratsmitglieder amtlich im Frauenhause zu tun haben,
zeigen sie sich freundlich gegen die Insassen, spenden ihnen so-
gar aus der Stadtkasse ein Trink<^eld. Als 1474 ,.der Bürger-
meister und die Baumeister mibauii den andern Herren des
Rats die Gebrechen auf dem Hause besahen«, erhielten die
Frauen 2 Groschen, 1489, »als die Herren auf der Neustraß
die Wasserläuft besahen", 5 Groschen Trinkgeld. Man male sich
aus, wie die leichtfertige Schar die gestrengen Herren, die sich
in ihrer Nähe blicken ließen, umringt und angebeUelt haben
mag! Friedebruch, im Frauenhause verübt, wurde hoch be-
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478
Gustav Wustntann.
straft Nach einem falle, der 1451 voiigekommen war, beschloß
der Rat ausdrQddicfa, daß es bei der bisherig Bestimmung
bleiben solle, daß, wer Aufläufe oder Zwietracht errege «auf
dem Rathause, auf dem BQiigerkeller, auf dem freien Hause«,
»unerläßlich« mit 10 Schock bestraft werden solle. Wie be-
zeichnend ist hier die unbefangne Zusammenstellung dieser drei
Örtlichketten! Die Vorstetlung des Frauenhauses als eines Ortes
des Lasters und der Schande tritt hier völlig zurück hinter der
eines Ortes, wo unbedingt Friede zu herrschen habe. Die Strafe
für Friedebruch war so hoch, daß sie der Ausweisung aus der
Stadt gleichkam, denn wohl die wenigsten konnten sie bezahlen;
es wurde aber streut; daran festg^eh alten , und das war nötig,
denn es kamen irotzdem noch oft grobe Ausschreitungen vor.
Daß auch Männer aus den höhern Kreisen der Gesellschaft
die Frauenhäuser in Leipzig besucht hätten, läljt sich zwar nicht
durch urkundliche Zeugnisse beweisen, es ist aber kaum zu be-
zweifeln. Die Hauptbesuchcr waren aber wohl Studenten ~ sie
nannten das Frauenhaus scherzweise das »fünfte Kollegium"
Handlunesdiener und Handwerker. Da war denn das Frauen-
haus oft genug der Schauplatz von Zank und Streit. Man schlug
sich um die freien Frauen, ja sogar oft mit ihnen, und
unter den Vorgängen, von denen wir Kunde haben, sind Bei-
spiele großer Roheit. 1451 wird einer aus der Stadt verwiesen,
weil er «einer freien Frauen auf dem Hause die Waden auf-
schnitt^y 1457 einer, weil er »eine Dirne auf dem Frauenhause
mit einem' Steine geworfen, daß man sie für tot gehandelt hat«.
1472 wurden drei ausgewiesen, weil sie »Messer und gcrackte
Wehr auf dem freien Hause über Studenten gezogen und da
gefrevelt und Aufläufe gemacht haben und sich mit denen also
geunwilligt und geschlagen haben«. Diese alle sollten nicht eher
nach Leipzig zurückkehren dürfen, als bis sie die zehn Schock
Strafe bezahlt hätten. 1463 hatte ein Student, Otto Weidemann
aus Lichtenfels, eine freie Frau auf dem freien Hause ermordet!
Er war ein äußerst wüster Geselle. Schon 1461 war er einmal
vom Rate 14 Tage lang im Geftngnis gehalten worden, weil er
»des Nachts mit mordlicher Wehr aufgehalten'' worden war. Da
er auch schon dfter Aufläufe verursacht hatte, auch g^r nicht
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Fnuenhiuser und freie Fnucn in Leipzig im MitteUiter. 479
studierte» sondern eine Zeitlang Weinschenk gewesen, dann Mönch
geworden, aber aus dem Kloster auch wieder fortgelaufen war,
so halle sich die Universität \on ihm losgesagt, und der Rat
halle ihn auf ein Jahr aus de: Stadt verwiesen. Nach einem Jahre
war er wieder da, schkiL^ eine freie Frau auf dem Frauenhause,
und die Stadt wurde ihm abenuals verboten, wenn er nicht
10 Scliück Strafe zahlte. Im August 146^ schlug er nun gar
eine freie Frau auf dem Frauenhnuse toi und floh dann von
Leipzig. Die Studenten erklärten, man könne ihn nicht richten,
denn die Wahrheit sei nicht bewiesen, auch sei er ein Alcoluth
(Kirchendiener). Damit nun der Gerechtigkeit genug geschähe,
wurde doch »ein Ding geheget (eine Gerichtsverhandlung abg!e^
tialten) und verftchtet der oder die, die die arme Dirne vom
Leben zum Tode gebracht habe«. 1474 zahlt einer ein Sdiock
Bu6e, weil er »auf dem freien Hause giefrevelt und daselbst mit
gezückter Wehr in die Fenster geschlagen". Unter den baulichen
Wiederherstellungen, die der Rat im Frauenhause machen lieB,
werden am hflufigsten die Öfen und die Fenster erwähnt; sie
hatten unter den Fäusten der rohen Gesellen am meisten zu leiden.
Aber auch Diebstahl kam 6fter vor, und zwar auf beiden Seiten,
bei den Insassen wie bei den Besuchern. 1447 wurde Katharine
von Meißen aus dem I'rauenhaiise und aus der Sladt verwiesen,
weil sie beschuldigt war, einer andern »ein korällen r^aternoster«
gestohlen zu haben; aber auch die lkstohlene, Orthie aus der
Mark, wurde mit ausgewiesen, weil sie es nicht beweisen konnte.
In der Neujahrsniesse 1507 stahlen zwei »freie Dirnen" auf dem
freien Hause Georg Birp:m^nn aus BerHn 10 Gulden; der Rat
beschloß, sie dafür »zu Haut und Haaren zu strafen«. Da aber
das Gerücht ging, daß der Bestohlene ein Eheweib habe, so
sollte er auch nicht ungestraft davonkommen, und man beschloß,
Achtung zu geben, ob man ihn etwa »auf künftigen Märkten zu
Händen bringen möge"; erwische man ihn, dann wolle man ihn
»ein Stück an der Mauer bauen lassen«. In der Ostermesse 1 522
wurde ein Erfurter, der auf dem Frauenhause Ehebruch getrieben
hatte, »auch ein frei Weib mit gezogener Wehre genötigt, daß
sie ihm einen Oulden g^ben müssen«, mit Ruten ausgestäupt und
aus der Stadt verwiesen. 1537 wurde .Ulrich Springsfeld, Spitz*
480
Gustav Wuslmann.
bube," ausgewiesen, nachdem ihn der Rat »mit 6 Groschen im
Hurhaus gelöset" hatte. 1540 wurde gar einer im Frauenhause
von einem freien Weibe erstochen!
Am Ausgange des Mittelalters war man in der Beaufsichtigung
der freien Frauen wesenth'ch milder geworden. Wurde doch 1523
beim Haiswcchsel und der Neu Verpflichtung der Ratsbeamten den
beiden Marktmeistern ans Herz gelegt, daß sie »die Frauen im
Frauenhause mit Bußnehmen nicht beschweren" sollten! Daß
sie von dem Verkehr in Wein- und Bierstuben später nicht mehr
so streng ausgeschlossen waren, zeigt ein merkwürdiger Vorfall
aus dem Jahre 1521. Im Dezember dieses Jahres kam Luther,
als Rcitersmann verkleidet, auf seiner Reise von der Wnrtburg
nach Wittenberg durch Leipzig und kehrte hier bei dem Schenk-
wirt Wagner auf dem Brühl ein, ebenso wieder auf der Rück-
reise. Die Sache wurde ruchbar, und als Herzog Georg davon
erfuhr, gab er dem Leipziger Rat Befehl, den Schenkwirt zu ver-
hören. Der sagte denn unter anderm aus, er wisse nichts davon,
daß Luther bei ihm eingekehrt sei. Es sei zwar »desselbigen
Tages ein Freiweib in seinem Hause zu Biere gewest, die hab
gesagt, es sei gewißlich Doctor Martinus, sie kenne ihn wohl; er
habe aber auf dieser leichtfertigen Person Rede keine Achtung
jHegeben". Offenbar hatte die Dirne Luthem 1519, wo er zur
Disputation mit Eck nach Leipzig gekommen war, auf der StniBe
g^hen, und sie hatte sich sein Gesiebt so gut eingeprigt, daß
sie ihn trotz des Bartes, den er sich auf der Wartbut^ hatte
wachsen lassen, wiedererkannte.
Einmal im Jahre wurde geduldet, daß sich die Bewohnerinnen
des Frauenhauses alle zusammen in der Öffentlichkeit zeigten:
in der Zelt, wo so vieles geduldet wurde, zu Fastnacht Sie
fOhrten da eine Art von Todaustreiben auf (nach Peifers SchiU
derung). Sie banden eine Sbrohpuppe an eine hinge Stange,
«ine trug die Stange voran, die andern folgten paarweise »ach
und sangen ein Lied auf den Tod. So ging es bis hinaus an
die Parthe, wo sie die Puppe ins Wasser warfen. Damit be-
haupteten sie die Stadt zu reinigen, so daß sie dann das ganze
Jahr über frei von Pest wäre. (Quotannis primis jejunu quadra-
genarii dicbus ludum faciebant. Imaginem e stramento ad deformis
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iTBuenhäuser und finete fraaen in Leipzig im Mittelalter. 48 1
viri similitudinem longa pertica suffixam nna earum praeferdNit
sequebatur hanc vduti ducem fotum sororum rellquarum agmen,
binae incedebant, et carmina in pallidam mortem dicentes a
lustris suis ad anineni Pardam propcrabant; eo cum venissent,
ad flumen simul decurrentes stramentum in aquam demittebant.
Atque hac caeremonia oppidum se lustrare dicebant, uti anno
insequenti immune a pestilentia esset.)
Daß es ein Universitätsmse^ister war, der sich 147 7 den
groben Vorwurf wider den Rat erlaubt hatte, ist höchst bezeich-
nend. In den Universitätskreisen war der Verkehr mit den freien
Frauen besonders verbreitet, nicht nur unter den Studenten,
sondern auch unter den Professoren, die ja, solange sie in den
Kollegjenhftusem wohnten, zum Zölibat verurteilt waren. Die
Studenten nahmen Mftdchen mit in ihre Buisen wie in die
Bflrgerhättser, in denen sie wohnten. Als der Rat 1495 die
Meißner Burse einem neuen Konventor übergab, stellte er ihm
die Bedingung, »daB er sie redelichen Magistris und Gesellen
vermieten, auch die Bursa redelich hallen solle und nicht ge-
statten, daß man unzüchtige Dirnen aus- und einführe«. 1505
wird Hans Franke, »der Vater der Dirnen, die mit den Studenten
hat zu tun gehabt«, aufgefordert, binnen vierzehn Tagen mit
seiner Tochter die Stadt zu räumen. Als 1502 nach der Eröffnung
der Universität Wittenberg Herzog üeorg aus Besorgnis für seine
Landesuni versitäi samtliche Dozenten zu einem Gutachten über
ihren gegenwärtigen Zustand aufforderte, wurden auch Klagen über
das iiiizüciitigc Leben laut, das manche Universitätslehrer führten:
sie haben »Weiber und Kinder, von denen sie doch nicht Väter
heißen wollen". Über einen Man:ister Nikolaus Curia wird geklagt,
es sei allen Doktoren, Magistern und Studenten bekannt, was für
ein unzüchtiges Leben er führe: »er läßt seine Buhlschaft offen-
t)arHch alle Tag und wann es ihn gelüstet, zu ihm gehen und
speist sie über seinem Tische, daß es seine Gesellen alle sehen.'*
Besonders schlimm ging es im Fürstenkollegium zu: wEs ist ein
CoIIegium zu Leipzig, genannt das Ffirstenoollegium. Es soll das
Bubencollegium genannt werden; was da Unzucht offenbarlich
geschehen ist und noch geschieht, das ist Gott bekannt Es werden
nicht allein dadurch verffihri die Studenten, sondern auch viel
ArdUv KU Ktdtnrgcachlchte. V. 21
482
Gustav Wnstmanii.
Magistri, so sie solch Uiifugc sehen von den Collegiaten, so fiin
sies auch; wann der Abt Würfel auflegt so spielen die Mönch.«
In der »Reformation« der Universität, die der Henos darauf
erließ, wurde angeordnet: »Es soll auch kein Dodor, Magister
oder jemands anders von der Universität öffentlich seine Concu-
binen bei sich haben oder über den Tisch setzen, noch auch ohne
alles Scheuen offenbaihch aus- und eingehen lassen." Der Rektor
solle ein Mandat erlassen, daß jede ÜbertrctuniJ: mit 10 Gulden
bestraft werden würde. Das liatte jedoch c^ar keinen lirfol^r. fn
einem Bericht, den ein Universitatsniitghed neun Jahre später dem
Herzog erstattete, heißt es, der Arttkc! über die Konkubinen sei
nie gehalten worden; »und wiewohl ctziich in dem Falle sträflich,
ist nie keine Execution geschehen, denn es will keiner der Katzen
die Schellen anhängen." Es war aber auch in andern Kollegien-
häusem nicht viel besser als im Fürsteniiollegtuni. Namentlich
um die Weihnachtszeit ging es toll her. 1518 wird einer vom
Rate bestraft, weil er >eine Hure oder Spezial in seinem Hause
geherl)erget, die in der Chrishiacht auf unser Neben Fnuen
Collegio gewest", und 1520 wird eine »Betschläferin« bestraf^
die »an der Christnacht auf unser lieben Frauen Coll^o er-
griffen worden*.
Ein Ende hat den Frauenh2usem in Leipzig nicht, wie ander-
wärts, die Reformation gemacht, wenn sie ihm auch vorgearbeitet
haben maf^, sondern die Belagening der Stadt im Januar 1547
durch Kurfürst Johann Friedrich. Ab ilerzog Moritz vor scincin
Abzüge die Vorstädte in Brand stecken ließ, ging auch das
Frauenhaus mit in Flammen auf. „Diese Woche ist das Frauen-
haus verbrannt", steht am 8. Januar in den Stadtrechnungen;
»man soll es weiter in Bedacht neiinien, ob man von dem ab-
gebrannten Hurhause den Marktmeistern die 3 Groschen Zins
gebe". Einige Wochen lang erhiehcn sie noch das Geld aus der
Stadtkasse; mit Beginn des nächsten Amtsjahres aber fiel es weg,
sie wurden dafür durch eine Zulage entschädigt Das Frauenhaus
wurde nicht wieder aufgebaut Fortan gab es nur noch »heim-
liche" freie Frauen m Leipzig. Auch von Vorschriften über ilue
Kleidung ist von nun an nicht mehr die Rede.
Besprechungen.
Rudolf Eisler, Oeschicbte der Wissetisdiaften. Leipadg, J. J. Weber,
1906. (VII, 440 S.)
Es »anspruchslose, zusammenstellende Arbeit" will Schülern, Stu-
dierenden aller Fakultäten, Scnnftstcllern. Lehrern u. a. einen raschen,
vergleichenden Oberblick gewähren und zur Vorbereitung für das Studium
der SpezialWerke und einer rnnfossenden allgiemeinen Wiasensdiafts-
jgeschichte dienen. Dies tut sie in gunz vonflglichcr und zuverlässiger
Weise, indem sie eine fiberraschende Ffille wichtigster Daten zur Oeschidite
der Forschungsprobleme, der Forscher und ihrer Schriften gut geordnet
vorführt. Daß die Probleme der Wissenschaften in diesem Rahmen nur
kurz angedeutet werden, nicht aber in ihren Einzelheiten beleuchtet und
in ihrem Zusammenhang entwickelt werden konnten, bedarf natürlich
keines Wortes der Erklärung oder der Entschuldigung.
^ O. Kotifctdt
Hugo Marcus, Die allgemeine Bildung in Vergangenheit, Gegen-
wart und Zukunft. Eine historisch*kritisch-dogmatische Grundlegung.
Berlin, E. Ebering, 1903. (72 S.)
Nadi einigen allgemeinen ErMentngen fiber Ziel und BcscbafüeD-
heit der allgemeinen Bildung kommt hi zu dem EigebniSi daB die
Wissenschaft, die diese allgemeine Bildung zu vermitteln babe^ die Philo-
sophie als Weltanschaungslehre uael, daB aber in unseren heutigoi höheren
Schulen, die Berufsschulen seien, von einer solchen Vermittlung nicht die
Rede sein könne. In einem historischen Rückblick betrachtet M. dann die bis-
herigen Haupttypen der allgemeinen Bildung: die hellenisch -römische,
in der die Philosophie im Mittelpunkt stand, in der es aber wegen mangel-
haften positiven Wissens an der rechten Etahdt fehlte, die diristiiehe
Bildung des Mittelalters mit ihrer 0nheit von Wissen und OUuitKn, und
4ie Bildung der Neuzeit, in der nacheinander der Versuch gemacht wurde,
durch empirische Naturlxtraditung, durch reine Spekulation und dufdi
historische Erklärung zu einer einheitlichen Weltanschauung zu gelangen.
Die historische Betrachtun esvvei«:e sei auch heute für die Philosophie, die
die allgemeine Bildung vermittle, richtunggebend; Philosophie sei im
letzten Sinne Geschichte, Entwicklungsgeschidite des Universums, der
Menschheit und des Individuums. Eine solche Philosophie, Weltanschauung,
allgemeine Bildung zum Gemeingut zu machen, sei die Aufgabe freier
Verbinde, freier Gemeinden und freiwilliger Lehrkrifte in Instituten, die
vielleicht nach Art der modernen Volkshochschulen einzurichten wären.
— Das kleine klar und anregend geschriebene Buch von M. lehnt sich
vielfach an die bekannten ethischen und pädagogischen Ansichten Paulsens an.
O. Kohfeldt
II*
484
Besprediungeit.
Onter Wutem, Oeschidite der Stadt Leipzig, Bilder und
Studien. Bd. I. Leipzis, C L Hirsdifdd, 1905 (VIII, 552 Seilen mit
32 Abbildungen).
So reich die stadtgeschichtliclie Literatur Deutschlands ist, so w cnig
haben wir abj![e?ch!o'»ene Stadtgeschichten, die wirkhch den Anspruch auf
volle Wissenschaftlichkeit erheben kniiucn. Besonders schlimm steht es
in dieser Hinsicht gerade mit unseren größten Städten. Für Berlin haben
wir neben den Alteren Arbeiten von Streclcfuß (1S65) und Schvebel (1SS8)
jetzt die Oeschidite der Stadt Berlin von Fr. Holtee, deren Icnappe Faasunjr
aber doch dem Wunsche nach einer umfassenderen vollwertigen Dar-
stellung Raum läßt. Dasselbe silf für die Geschichte der Stadt Dresden
von O. Richter. Die Geschichte der Stadt Köln von Knnen ist heute
vollkonimen veraltet, ebenso \x ic Karl Großes Geschichte der Stadt Leipzig.
Für Hamburg und München sind, soweit ich sehen kann, solche Art)eiten
nodi gar nidit gesdirieben. Le}p2ig wfirde also mit Wustmanns gtoß-
gephinter Arbeit, von der bisher nur der erste Band vorliegt, an der
Spif/e marschieren, wenn nur das \X'ustniannsche Werk mit vollem Recht
den Anspi uch, eine „Geschichte der Stadt Leipzij^" zu sein, erheben könnte.
Das ist aber leider nicht in vollem MaBe der Fall. Wustmann hat seinem
Werke den Untertitel «Bilder und Studien" gegeben. Fr wollte damit
den Charakter des Buches deutlicher kennzeichnen, in Wirklichkeit gibt
aber dieser Ziisatztitd, der zu dem Haupttitel in Qcgensatz steht, Iceine
Erlidterung, sondern er allein entspricht dem Wesen des Buches, das
keine zusammenhängende Oeschichtsdarstellung, sondern eine Reihe von
lose .?n»:nanderjj;ereihten, unter sich fast selbständigen Studien nir Ge-
schichte Leipzigs gibt. Die einzelnen Kapitel des Bucfics lassen sich
deshalb zumeist auch ohne die Gefahr, den Zusammenhang zu verlieren,
außer der Reihe lesen, was bd einer wirklichen Oesciiiciite niciit der Fall
sein dürfte. Der Verfosser, der in dem Nachwort bemerkt, daß er ur-
sprfinglidi daran gedacht habe, an Steile dieser Geschichte zu dem eisten
Band des Urkundenbuches der Stadt Leipzig, der der bürgerlichen Ge-
schichte der Stadt gewidmet ist, aber nur bis 14S5 reicht, einen Eigänzungs-
band zu liefern und damit die bürgerliche Geschichte Leipzigs auch bis
etwa zur Mitte des 16. Jahrhunderts zu führen, bis wohin der /.weite und
dritte Band des Urkundenbuches, die die üeschiclue der Leipziger Klöster
geben (1559 und 1543) und das Urkundenbudi der Universität (1555)
neichen, mdnt an der genannten Stelle, er habe den Untertitel »Bilder
und Studien" gewählt, weil die Darstellung in den einzelnen Kapiteln
des Ruches etwas imgleichartig sei. Die Begründung für diese Ungleicli-
artigkiit - „es ist wohl selbstverständlich, daß sie (d. h. die Darstellung)
da, wo sie schon vorher bekannt geviesenes .Matena! verarbeitet, sich löb-
licher Kürze befleißigt, dagegen neues, bisher unbekanntes Alaieiial etwas
anspruchsvoller vor dem Leser ausbrdtet« - wird man dunhaus nicht
gelten lassen dürfen. Auch diese Ungleichartigkeit der Daistdlung wider^
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Besprechungen.
485
spricht dem Charakter einer -.Geschichte prinzipiell. Wusimann uill,
wie er ausdrücklich erklärt, die älteren mangelhaften und überholten Dar<
Siellungen der Leipziger Ocsdiichte flberflQssig madien: zu diesem Zwecke
hätte aber seine Oesdiichte durchaus auf «nen Unterschied zvisclien
bereits bekanntem und unbekanntem Material verzichten und sich einzig
nach der Wichtigkeit oder Unvi ichtif^keit für die Entwicklung der Stadt
bei der Behandlung des Materials richten ni.i-^en. Die von Wustniann
dabei angewandte Methode nujß notwendigerweise irreführend wirken.
So steht z. B. die Behandlung, die Wustmann den Ereignissen der Re-
forroationsgeschichte widmet» in Icelnem riditigen Verliftltnis zu anderen
weitaus loupper behandelten illeren Fartien der Stadtgesdiichte. Ein
weiteres Bedenken, das man e^en Wustmann vorbrinL:' :i muß, ist das,
daß er die Entwicklung Leipzigs zu wenig in lebendigen Zusammenhang
mit der Entwicklung seiner Umgegend, der ganzen sachsischen und
meißnischen Lande, ja Ostdeutschlands setzt. Am meisten Vorteil hätte
die Arbeit wohl von einer auf eine breitere Basis gestellten Betrachtungs-
weise in den Kapiteln gehabt, die der Entstehunfi^ der Stadt und seiner
Rats- und Oerichtsverfassung etc. gewidmet sind. Hinstditlidi der Ent-
stehung Leipzigs vertritt Wustmann mit vielem Scharfsinn die ältere
Auffassung, nach der der vor .Nbrkgraf Otto z>x'i5chen 1156 und 1170
ausgestellte Stadtbrief nur die planmäßige Erweiterung einer älteren all-
mählich entstandenen stadtähnlichen Anlage und deren Bewidmung mit
Stadtrecht bedeute, während z. ß. nocii neuerdings Krelzschmar (^Die
Entstehung von Stadt und Stadtrecht in den Odsieten zwischen der
mittleren Saale und der Lausitzer NdBe^* Breslau 1905) die Ansicht ver-
fochten hat, daß Markgraf Otto durch planmäßige Neugründung die
Marktniederlassimc ins Leben gerufen rnd dic-se gleich/eilig mit städtischem
Recht bewidmet hat. Mag man miraeriun, wie der Referent es tut, mehr
der Auffassung Kretzschmars zuneigen = eine nähere Begründung des
Für und Wider ^^bietet sich schon durch den Raum - , so wird man doch
nicht verkennen dürfen, daß Wustmann fflr seine Auffossung ebenfolls
eine groBe Reihe an sich ansprechender Gründe anzuführen weiß, die
nicht ohne weiteres von (!er Mand gewiesen werden können. Ein absolut
zwingender Beweis, der jede Qegennnsicht für immer ausschließt, wird sich
hier wie bei vielen ähnlichen Fragen kaum je führen lassen. Es ist ein
Vorzug der Wustmannschen Darstellung, daß sie die bei solchen Untär-
sudiungen wünschenswerte Vorsicht in ausgiebigem Maße wahrt und
erst nadi ausführlicher Darlegung des Für und Wider zur Feststellung
der eigenen Auffassung schreite^ der man auch bd tdhrebe afawekhender
Ansicht eine umsiditige und gewissenhafte Fundierung deshalb nirgends
absprechen kann. Das eben für die Frage nach der Entstchring der Stadt
Gesagte gilt auch für die Frage nach den ältesten Beziehungen Leipzigs
zu Merseburg, wot>ei es hauptsächlich auf die Frage ankommt, ob Mark-
graf Otto bei der Gründung Leipzigs nicht nur als Landesherr, sondern
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486
Besprechungen.
lucb a]s Onmilhcnr Leipzigs sich betrachtet und ab solcher die Macht
geübt habe, oder ob Otto den Bischof von Mcrsebufc als Onindhemi
Ldpags, wie Wustmann es will, anerkannt habe. Auch hierbei wird
man absolute Qcwißhcit kaum jemals schaffen können. Ober die Mesen
imd das Leipziger Handwerk, die beide nur in kurzen Kapiteln berührt
werden, soll das Wichtigste erst in dem folt^enden Bande gegeben werden,
während in dem vorliegenden nur die aulieren U mrisse gezeichnet werden.
Viel Neues und Wertvolles besonders auch vom kultuigeschichtlicben
Standpunkt enthalten die Kapitel Aber die Universitit Über das kinfaliehe
und bürgerliche Leben. Vortrefflich und voll feinsinniger Bemerkungen
über den Charakter mittelalterlichen Städtebaues, über das Straßenbild etc.
sind die Abschnitte, die der Bau (beschichte der Stadt gewidmet sind. Der
Band schh'eßt ab mit der helaj^« luni^ Leipzigs im schmalkalUischen Kriege
durch den Kurfürsten von Sachsen. Befriedigt die Anlage des Ganzen
auch nicht, so bietet das Werk im einzelnen doch viel Schönes und Neues,
das man dankbar in Empfang nimmt, zumal man hoffen darf, daß der
oder die folgenden Bände, für deren Ausarbeitung sich der Verfasser wohl
mehr Zeit lassen wird, und die gerade den Zeiten gewidmet sind, in denen
sich Leipzigs eigenartige Bedeutung für die deutsche Oeistesge«chichte
entfaltet, in mehr geschlossener Form ein abgerundeteres Bild der Leipziger
Geschichte uns geben werden.
W. Brucbmfiller.
Neujahrsblätter der Bibliothek und des Archivs der Stadt Leipzig.
l. 1905. Ii. 1906. IIL 1907. Leipzig. C. L Hirschfeld, 1905-1907 (112,
162. 112 S.).
Die von Gustav Wustniaim ins Leben gerufenen Neujahrsblätter
sollen eine StStte für die Veröffentlichung größerer und kleinerer Beiträge
zur Leipziger Sladigeschichte bietoi, für die es bisher an einem besonderen
Organ gefehlt hat. Mit der Form der Neujahrsblätter glaubt NX^ustinann
die Schwierigkeiten, die sich der Gründung einer eigentlichen Zeitschrift
für die Geschichte Leipzigs entgegenstellen, am besten umgehen zu können.
Die vorliegenden Hefte entstammen alle seiner Feder, also der eines um
die Geschichte Leipzigs außerordentlich verdiciueu Gelehrten. Sie bilden
eine willkommene Cigftmning zu der von Wustmann begonnenen verdienst^
liehen Oeschidite der Stadt Leipzig (Bd. I, ebenda 1905), deren VonOge
ich meinerseits noch stärker betonen möchte, als es in der vorangehenden
Besprechung unsres Mitarbeiters Rruchmüller geschehen ist. •)
Im ersten Heft bietet Wustmann eine Geschichte der heimlichen
Kalvinisten (Kryptokalvinisten)in Leipzig, 1574 bis 1SV3, in der aber durchaus
*) Wenn es in dem Prospekt heißt, d<B sich in kdner denlsdien Kulturgeschidrtc
der Nme der Stadt Leipde finde, oder raf dner Unudilagnotiz, daft, ver fn den diAn-
beti^ch«! Register efncr detihschen Kulturgtschidite den Namen Leipzig suche. vcr^cb<>ns
suchen werde, so ist anzunehmen, da« W. meine Oeschichte der Deutschen Kultur noch
nidit getaint hit (Vgl. dort ct. u Im RegMer anfrfflbrtc SMlot)
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BcspfcditiiigOL
487
nicht nur das kirchengescfaichflidie Interesse obwaltet, vidmehr das Leipziger
Leben überhaupt, das geistige wie das wirtsdiaftliche, mannigfach gestreift
wird. So werden z. B. Buchdruck und Buchhandel berührt; denn das
erste Opfer der konfessionellen Kämpfe in Kursachsen war „ein gelehrter
Buchhändler, der ... die bedeutendste Bnchdruckerei und Buchhandlung
von ganz Mittel- und Ostdeutschland geschaffen hatte, und der nun binnen
zwei Jahren infolge der kirchlichen Kämpfe seine Schöpiung wieder
zusammenbrechen sehen mußte** Ernst Vfigdin. Als Opfer «is Bflriger*
kreisen erscheint neben ihm Weinhaus, wUirend die beiden Hauptofifier
der Kalvinistenverfolgung am kurfürstlichen Hofe Craco und Krell waren.
Natürlich beleuchtet die Schrift auch den theologischen Zankgeist der Zeit,
die Schmähsucht und Hctzleidenschaft, die die weitesten Volksscliichten
damals ergriffen, in greller Deutlichkeit (vgl. z. R. S. 55 ff ). - Angeschlossen
ist ein kleinerer Aufsatz über Hieronymus Letter den Jüngeren und die
Fürstenbildnisse im Leipziger Rathause. Dieser »Beitrag zur Geschichte
des Leipziger Kunstbebricbcs und Kunsthandeis in der zivdten fttifte
des 16. Jahrhundeiis« zieht auch eine Korrespondenz Lotten mit dem
Landgrafen Wilhelm IV. von Hessen heran und ist u. a. durch die Mit-
teilung des vollständigen Verzeicfanisscs der Oendlde in Lotters Nachlaß
interessant.
Das zweite Heft bringt die erste Hälfte einer Geschichte der Leipziger
Stadtbibliothek (1677-1801), die, von Huldreich Groß gestiftet, itiren
besten Bibliothekar in dem bedeutenden Geschichtsschreiber Johann jakub
Masoov hatte. Wir erhalten zum Teil ein typisches Bild der Bibliotheken
jener Zeit, die ja oft auch Museen darstellten und Münzen, Kunstwerke,
naturvissenschaftlkhe Objekte, nicht zum wenigsten aber auch die der
Zeit so recht entsprechenden »Kuriositäten* zu sammeln hatten (vgl. in
dem Heft z. R S. 3if., 64 f., 73), an denen das Interesse er^t Ende des
18. Jahrhunderts schwand (vgl. S. 109 f.). Als ein kleiner Beitrag zur
Geschichte des deutschen Briefes mag der Mahnbrief von 1690 (S. 21 f.)
erscheinen. Einen größeren Qu eilen bei trag zu demselben Thema bildet
die am Schhiß des Heftes abgedruckte Auswahl aus Briefen Friederike
Oesers, von denen der Bibliothek neuerdings Ober zweihundert geschenkt
sind. Friederike war Briefiidireiberin ans PMon (vgl. S. 128), ganz nach
dem Geiste ihrer Zeit. Für W.'s Veröffentlichung kommt aber in erster
Linie das stoffliche Interesse der Briefe in Betracht, „die sich auf Leipzig
imd Leipziger Verhältnisse, besonders auf Oeser und die Seinigen, daneben
auf Literatur, Kunst und Theater beziehen«. »Die erste Stelle (rebührt
hier dem hübschen Briefe vom Dezember 1770, worin i riederike dem
zwölfjährigen MQhmchen etwa im Stile von VdBes ,Kinderfreund' die
Oescfaicfate der Familie Oeser enihli«
Der Leipziger Kupferstich im 16., 17. und 18. Jahrhundert ist da»
Thema des dritten l l fte^ Eine große Rolle desselben ist schon aus der
Bedeutung des Buchbandeis, mit dem der Kupferstich immer im engsten
438
Besprechungen.
Zusammenhang gestanden hat, für Leipzig zu entnehmen. Wustinanns
Darstellung beruht auf einem umfassenden und zuverlässigen Quellen-
und Bildermaterial. Im Mittelpunkt der Darstellung steht Martin
Bemigeroth. Audi in diesem Heft fallen flbfigens fflr die Kultufsesdiidiie
kleine Nebengevinne ab, so die Bemerkungen über Frentzds Stammbudi
(Sw24f.), über die Ausdehnung der akademischen Gerichtsbarkeit (S. iSf.),
übet die Sitte, nach dem Tode eines wohlhabenden Mannes sein Bildnis
in Kupfer stechen ni lassen und zu verteilen (S. 49 f.) u. a.
Mögen die Hefte eine ebenso glückliche Fortsetzung finden.
Oeorg Steinhausen.
Ernst Schumann, Verfassung und Verwaltung: des Rates in Augs-
bttl^ von 1276 ^ 1368. Inangural-Disscrtation. Kiel t9üS (X und 196 S.).
Die Schuniannsche Arbeit, die sich zuni Ziel gesetzt hat, die Ver-
fassung und Verwaltung des Rates in Augsburg von der Kodifikation
des zweiten Stadtrechfs von 1276 bis zur Zunftrevolution von 1368 dar-
zustellen, gliedert sich in zwei Teile, A. die Verfassung des Rates und
der übrigen städtischen Ämter (S. 7-48) und B. die durch den Rat
ausgeübte Gesetzgebimtr imd Verwaltung (S. 49-196). Im ersten Teil
gibt der Verfasser nac li i im m Verzeichnis der von ihm benutzten Schriften
und einer kurzen Einleitung über die Zeit von 1156 bis 1276, in der die
öffentliche Gewalt zirisdien drei Faktoren, König, Bischof und Gemeinde,
geteilt erscheint, folgendes Bild der Raisverfassung: Den Mittelpunkt des
städtisdien Venvaltungsorganismus bildet der aus 24 Mitgliedern bestehende
»kleine Rat«, der sich aus dem Zwölferrat der bischöflichen Stadt dadurch
herausgebildet hat, daß der letztere nach und räch in seiner Mitglieder-
zahl auf 24 gesticgeii :s:. \'on diesen 24 RatsmitglmU in, die aus<5chließ-
lich «ehrbaren" oder patrizischen Geschlechtem angehörten, schieden,
mindestens vom Jahre 1291 an, alljährlich 12 JMilglieder aus. Die andern
12 kooptierten sich dann durch 12 neue Mitglieder; doch bildeten die
12 alten Ratgeber oder »Die Zwölfer« unter dem Namen »Der alte Rat*
einen Ausschuß für sich, der dem Plenum oder dem regierenden kleinen
Rat als vorberatende Behörde zur Seite stand. Der letztere wählte ni!s
seiner Mitte den .Ausschuß der «Vierer" für handelspolizeiliche Funktionen
und die beiden Pfleger und endlich aus der ßürgerschatt den großen Kat,
der sich in dem Jahre 1290 urkundlich zum ersten Male erwähnt findet,
dessen Mitgliederzahl sowie Redite und PHiditen aber damals noch nicht
abgegrenzt waren.
Diese patrizische R^ierungsform Augsburgs bestand bis zur Mitte
des 14. jahriiu Uderts. Die Bestrebungen der Bürgerschaft, die ausschließ-
liche Herrschaft der Geschlechter zu brechen, die schon im Anfang des
H. jahrhuudcris eingesetzt hatten, luhrtcn im Jahre I3tȊ zur iirrichtung
einer Zunftver&ssung, nach der fortan ein kleiner Rat aus 15 iVUtgliedeni
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ßcsprediungen.
489
der Geschlechter und 29 Deputierten der Zünfte und ein großer Rat
aiisschließlicfa aus Vertretern der Zfinfte, und zwar je 12 von jeder der
18 ZQnfte, bestand.
Nach einer Besprechung der Ratsfimter (Bürgermeister, Baumeister,
Silier, Steuermeister), deren Träger aus dem kleinen Rat gewählt wurden,
und der für die Exekutive notwendigen Subalternbcamten (Stadtschreiber,
Ratsdiencr, W'eibel, Henker etc.) behandelt der X'erfasser die reichsstädtische
X'erwaltung in 6 Kapiteln (1. Allgen;eines, 2. Ausu artiges, 3. >X lIwa ct-
fassung, 4. Finanzverwaltung, 5. Polizei, 6. Gerichtsbarkeit des Rates),
von denen das 4. und 5. Kapitel vegen ihrer hervorragenden Bedeutimg
ffir das stidtiscbe Gemeinwesen den größten I?aum einnehmen und auch
das stärkste Interesse des Lesen beanspruchen Ic5nnen. Daß gerade diese
zwei Abschnitte der Dissertation die Beantwortung zahlreicher Fragen,
wie die Regelmäßigkeit der Mobiliarsteuer, den Bcs't? der verschiedenen
Zölle, das Scliut/.verhältnis der Juden zur lUirgerscliatt etc., offen lassen,
hat darin seinen Onind, daß die hier einschlägigen Oiieücn entweder
lückenhaft oder unter sich widereprudisvoil sind. Der Vcrtasbcr iiat es
sidi in allen diesen fVlen angelegen sein lassen, das vorhandene Qttdlen-
material, wenn nicht Im Text, so doch in den fuBnotcn, so weit heran-
zuziehen, daß sich die Leser eventuell selbst ein Urteil fiber diese strittigen
Fragen zu bilden vermögen.
Ein genaues Sachregister erleichtert die Benutzung der Abhandhmr,
die zwar - schon infolge des Verzichts des Verfassers auf eigene archiva-
lische Forschungen — zu keinen neuen Resultaten kommt, aber die zicniiich
reichlich vorhandene Literatur gut zusammenfaßt und so von der \ er-
fasBung und Verwaltung der Rdcbsstadt Augsbuqr im Rühmitteialter
ein zutreffendes Bild entwirft.
J. Müller.
Max Jacobi, Das Weltgebaude des Kardinals Nikolaus v. Cusa
Ein Beitrag zur Geschichte der Naturphiloonhie und Kosmologie in der
Frührenaissance. Berlin, A. Köhler, 1904. i\ , A9 S.)
Die kleine Schrift befaiit sich mit den naturwisscnschaitiiclien An>
siditen des Kusaners und wendet iddi hauptsächlich an die Kreise der
Nidit&chgelehrten. In dem verhältnismäßig großen Anmerkungsapparat
des sonst kleinen Bfichleins bitten die gelegentlichen temperamentvolten
Vorstöße gegen andere Forscher wohl fehlen können.
O. Kohfeidt
Ludwig Keller, Jolnnr^ Gottfried Herder und die Kultgesellschaften
des Humanismus. Fin rieitrag zur Oeschichte des Maurerbundes. (Vor-
träge und Aufsätze aus der Comenius-Geselischaft, XU, 1.) Berlin, Weid-
mann, 1904. (106 S.)
Kellers Herdeistudie bildet eine wertvolle Ei^glnzung zu den bis-
490
BespRchungen.
hcrigen Lebensbesdirdbiingen des Dichter» Philosophen. Sie beschäftigt
sich mit Bezieh ung^en und Bestrebungen Herders, die bisher t^ering"
geschätzt oder falsch beurteilt worden sind. K., der durch langjährige
Studien mit dem Geist und der Geschichte der geheimen Gesellschaften ver-
traut erscheint, ist wohl wie kaum ein anderer imstande, diese Beziehungen
aufzuklären. Indem er der Lebensffihrung und den VerkehisvcfhiltnimB
Herders von der Jugend bis ins Alter nachg^t, indem er den Oeist
seiner Schriften und seine gelegentlichen Äußerungen prüft, kommt K.
zu der Überzeugung, daß Herder stets ein Anhänger des Maurerbundes
geblieben sei, ja, daß seine Anteilnahme trotz j^^elegentlicher persönlicher
Zurückhriltimi: und trotz der Verurteilung mancher Ordensmißbräuche
mit den Jaiiren gewachsen sei. K. schätzt den Einfluß des Ordens auf
Herder außerordentlich hoch ein, er bezweifelt sogar, daß Herder otine
seine Logenmitgliedschaft einen so großen geistigen Einfluß auf Mit- und
Nachwelt gehabt haben würde. Kelleis Buch mit seiner anschaulidien
Schilderung des lebendigen Verkdus so vieler bedeutender Logenange>
hörigen in allen Teilen Deutschlands läßt in dem Leser wohl den Wunsdi
entstehen, daß der Verfasser auch noch andere führende Geister des 1 S. Jahr-
hunderts zum Gegenstand ähnlicher Nachforschungen machen möchte.
G. Kohfeldt
Heinrich Boos, Geschichte der Freimaurerei. Ein Beitrag zur Kultur-
und LitenturOcschichte des 1 8. Jahrhunderts. 2. volbtXndig umgearbeitete
Auflage. Aarau 1906, H. R. Sauerl&ndcr 8t C6. (VII, 429 S.)
Der Unterzeichnete ist an dieses Werk, soweit es die interne Ent-
stchungs- und Entwicklungsgeschichte der Freimaurerei behanddt, von
vornherein nur als ein Lernender und nicht Kritiker hemnge5:aniTen.
Zu dem letzteren fehlte ihm als Vorbedingung jede nähere Kenmnis
maurcrischen Wesens und seines Schnfttums, er kann somit auch nur in
der Rolle des erstcicu hict über das Buch sprechen. Da ist zunächst fest-
zustellen, daß Boos den für den Laien vielfach schwierigen und leidit
unfibersichtlichen Stoff gut zu grupptemi und in flüssiger Darstellung
zu gel>en versieht, daß er hinsichtlich der Entstehung der Frdmauitro
mit vielem, noch immer in weiten Kreisen besonders auch der Maurer
selbst herrschenden Aberi^lauben unter scharfer Kritik aufräumt, so z. B.
mit dem Glauben an einen Zusammenhang zwischen Templerorden und
Freimaurerei oder dem Ursprung der Freimaurerei ans den Bauhütten des
Mitteialters. Boos weist dagegen nach, daß die Freimaurerei auf englischem
Boden entstanden nnd von dort nach Frankreidi und besonders nach
Deutschland übergegangen ist. Hier besonders ist die Freimauroei an
wichtiger Faktor der Kultur des an OegensSfzen reichen I8.|ahriittnderb
geworden. Was Boos hierzu im 8. und 9. Kapitel seines Werkes t)eibringt,
ist das, was seine Arbeit in erster Linie für den Kulturhistoriker wichtig
macht. Im allgemeinen wird man hier den Ausführungen des Verfassoi
i^'iLjuiz-uü by
Dcspfoditu^goi.
491
wohl folgen dfiifen, wenn mir Boos auch hier und da, was ich im ein-
zelnen nicht belesen willf den Einfluß der Freimaiirerei auf die geistige
Kultur und besonders unsere klassische Literatur zu überschätzen scheint.
Das ist bei dem Verfasser eines ?o1c!ien eirtf^ehenden, auf umfassenden
intensiven Studien beruhenden Spcziai Perkes nicht nur leicht erklärlich,
sondern auch sehr entschuldbar, ja sogar wohl kaum ganz zu vermeiden.
Jedenfalls bedeutet die Darstellung des Verfassers gegenüber der gänz-
lichen Aufienditiasaung der freimaurerischen Einflösse auf die Kultur des
18. Jahihunderts einen Fortschritt
W. BruchmaUer.
Otto Hense, Die Modifizierung der Maske in der griechischen Tra-
gödie. Zweite Auflage. Frdbuiig i. Br., Herdersche Verlagsbuchhandlung,
1905. (VI, 3S S.)
Ein Hinweis auf diese treffliche Untersuchung, die zueisi iyo2 in
der Festschrift der Universität Freiburg zum ffinfzigjährigen Regierungs-
jubiUium des Oroßhetzogs von Baden erschienen ist, dürfte die Leser
dieser Zettschrift interessieren. Die Vollmaske der athenischen Schauspieler
hinderte bekanntlich das Mienenspiel, einen so wichtigen Teil der szenischen
Aktion. Beseitigung der Maske wnr aber nicht moghVh, da das Schnu^piel
seinen ursprünglich gottesdienstlichen C^liarakter nicht abstreifte; beson-
ders bei der in der älteren Tragödie so häufigen Verwendung von Oötter-
roUen konnte eine altgläubig naive Gottesverehrung sich die unvergang»
Kchen Wesen ihrer Gottheiten nicht in den Zflgen dieses oder jenes
DaisteUers^ sondern nur unter dem Schutze einer den Typen der Kult-
büder entlehnten Maske voizustetlen wagen. Diese wurde denn auch
nicht etwa nur als ein lästiges Inventarstück von dc-n Dichtem mitge-
'^chleppt, sondern von ihnen unter Würdigung der dadurch gegebenen
Schwierigkeiten in die dramatischen Pläne einbezogen. Es ist des öftcrn
bereits hervorgehoben, welche Einwirkung die Maske auf die Prägung der
tragischen Charaktere und für die Ökonomie der Tragödie geliabt hat:
sie drflngte mit Notwendigkeit auf die Schaffung einheiflich geschlosseno-,
pbstisch vor Augen gestellter Charaktere und auf Vereinfachung der
Handlung, auch durch Verlegen eines Teiles derselben in die Voigeschichte,
schloß aber gewisse dramatische Vorgänge von der Bühne aus, so ent-
scheidende Kampfszenen, Blendungen, Mord, Selbstmord, weil die un-
vermeidüche Spannung und Veränderung des Oesicht^ausdnicks in solchen
Momenten sich mit der Maske nicht vereinigen ließ. Andere Nachteile
konnte man beispielsweise dadurch ausgleichen, daß der Chor durch ver-
schiedene Formationen einzelne PäsÖnlichkeiten, deren Haltung die Illu-
sbn stAren wQide^ vcrdeclite. Die von Hense untersudite Frage ist nun,
sdt wann man diese Schranken archaischer Gebundenheit zu durchbrechen
vo^cht und sich zu einer Änderung oder einem Wechsel der Maske
entschlossen hat. Mit Recht wird betont, daß eine solche Modifizierung
492
B«8pradittngen.
flberfaaupt nur dt in Enrilgung zu ziehen ist, wo die Dichtung sdlist dncn
auf das verftnderte Aussehen der Maslce ttezfiglichen unzweideutigen Winlc
entiiilt, und das ist verhältnismSßig selten. Auf Einzelheiten der diesen
wenigen Hinweisen bei den großen Tragikern sorgsam und scharfsinnig
nachspürenden Erörtening ist hier nicht einztir^ehen. Zuerst ist ein Bei-
spiel der veränderten Maske in der letzten Schöpfung des Äschylus, der
Orestie (4S8 v. Chr.), nachzuweisen: Klytämnestra erscheint nach der Er-
mordung des Agamemnon mit einem BlutÜcck an der Stirn. Sophokles
dann Ufit Ödipns nach der Blendung in einer entspiediend veiSnderten
Masice auftreten, wie auch die grausis^n Worte des Choif&hrers bezeugen.
Weitere Spuren derart finden sich bei Euripides. Spärlicher sind aller>
dings sichere Andeutungen, daB die gegenüber einem früheren Auftreten
stark veränderte Gemütsverf.issung: einer Person durch Unigestaltung der
Maske veranschaulicht wurde. Doch über Henses Atiffassung dieser Steilen
würde eine genauere Auseinandersetzung erforderlich sein, die hier aus-
geschlossen ist. Liebenam.
r. Marfoir (Ludwig Hermann Wolfram), f^ust. Ein dramatisches
Oedidit in drei Abschnitten [Ljeipzig 1839). Neu herausgegeben und mit
einer biographischen Einleitung versehen von Otto Neurath. Teil 1 (A.
U. d. T]- Ludwig Hermann Wolframs Leben, als Finleitrinpf sfinem
„Faust". Nebst drei Registern, einem faksimilierten Bnef und einer
Stammtafel. - Teil 2 [A. u. d. T.J: Faust. (Neudruck.) (Neudrucke
literarhistorischer Seltenheiten, herausgegeben von Fedor von Zobeltitz,
Nr. 6.) Beriin, Emst F^«isdorff, s. a. [1907j. (VI, 8, 518; [IV], XX, 21 8 S.)
Ludwig Hcraiann Wolfram ist heute so gut wie veigcssen, aber,
wie man dem Herausgeber zugeben nnifi, nicht ganz mit Recht. Für
die Beurteilung der geistigen Strömungen zur Zeit des jungen Deutsch-
lands ist er von gewisser, wenn auch untergeordneter Bedeutting. Er
empfand die Leere seinerzeit und glaubte sich berufen, der Erstarkung
des inneren Lebens und dem »Siege des Gedankens in der Dichtung«
vorzuarbeiten. Einige Ansätze schienen Gutes zu versprechen, aber dem
Wollen fehlte das Können und die dttliche Orbüt, In seiner Unstetigldt
erinnert er an Waiblinger, in seinem Unvermögen an Stieglitz. So hat
er nichts für die Ewigkeit hhiterlassen, und das einzige, was in seinen
Werken einiger Beachtung wert ist, sind gel^entliche kritischef mitunter
in phantastisches Gewand gehüllte Auslassungen fiher i'^eistiV^e, insbesondere
philosophisch -literarische Fragen seinerzeit. Sein Hauptwerk »Faust",
dichterisch unbedeutend, darf daher auch nur von diesem Standpunkt
aus gewürdigt werden. Wolfram selbst hatte offenbar das riciitige Gefühl
der Unzulänglichkeit seines Könnens, indem er dem Drama ein erldirendcs
Vorwort vorauschidcte, worin er im wesentlichen das taf^ was aus der
Dichtung selber MLfte sprechen mfissen. Immerhin verdient das Werk,
i^'iLjuiz-uü by VjOOQle
Besprechungen.
493
daß die Forschung nicht einfach achtlos an ihm vonlbcrgeht, und SO
mag denn auch vorh'egender Neudruck nicht ganz überflüssig sein.
Bedenken erre<:rt nur die Art der VeröffentHcluing. Der Heraus-
geber bit über seiner eingehenden Beschäftigung mit Wolfram und dessen
Werken den historischen Maßstab völlig verloren. Er spricht wohl
gel^entlich von dem geringen Ideenreichtum Wolframs und seiner
mangelnden B^bung, aber alles In allem überschätzt er den Dichter
doch ganz erhd)lich. Und mit dem Inneren Mafislabe verliert er auch
den rein ftuflerlichen. Die sehr nötige und auch sehr sorgfältige Einleitung
konnte um zwei Drittel gekürzt werden, ohne an Sorgfalt zu verlieren.
So z- B. hätte die ganze bis auf die kleinste Kirchenbuch notiz abgedruckte
Genealogie der Vorfahren gestrichen werden sollen. Nicht als ob der-
gleichen Forschungen überflüssig wären - im Gegenteil: die Anthro-
pologie und Oesellschaftsbiologie betont ja die Wichtigkeit der Familien-
ehndforschung aufs nachdrfiddichste nur soll nicht alles unverarbeitete
R<^material auch gleich gedruckt werden. Zumal nicht an solcher Stelle,
denn für die famitiengeschichtllche Forschung ist Wolfram nicht der
mehr oder minder bekannte Dichter des Faust, sondern nichts weiter als
ein Exemplar der Spezies Mensch. -- Von dem übrigen, oft noch viel
überilüöigeren Ballast der pj'nleitunn^ mir ein Beispiel. Der Herausgeber
erwähnt in einer an sich schon ?cnr iiebensächlicln n Anmerkung, daß
die GrobniuUer von Wolframs 1 rau aus Sehlis bei 1 auctia stanuiuc, und
findet sich gemOßigt, hinter »Taucha« wörtlich folgende Klammer dnzu*
schalten: [nach K. Fr. VoHnth Hofinnnn. »Deutschland und seine Be-
wohner.« 1835. III, S. 318: »Taucha, Stadt mit 242 Häusern und
1660 Ew. ^'i Meilen ostnordw. v. Leipzig*]. Der Leser schlägt sich
vor den Kopf, blickt abermals ins Buch und kann sich nur wieder vor
den Kopf schlagen. Dieselbe unerfreuliche Kleinigkeitskrämerei zeigt sich
in der Einrichtung des DntcK ^: alle, auch die gleichgültigsten Personen-
und Ortsnamen (wie z. B. in der eben angeführten Klammer) sind gesperrt
gedruckt, Sperrungen des Herausgebers auBerdem noch In bttdniscber
Kursive gesetzt, die unbedeuiehdsten Auslassungen fein säuberlich durch
eckige Kfaimmem und vier Punkte angedeutet, - kuizum: die g^uize typo-
graphische Ausstattung ist so pedantisch und zugleich buntsdieckig, daß
man unter andauerndem Unbehagen liest. Was sagte nur der Verleger
dazu, den man doch so oft als geschmackvollen Bücherkenner rühmen hört?
Insgesamt: eine an sich nicht ganz unverdienstliche Veröffentlichung,
die sich aber durch die Art ihrer Arbeit selber um ihr bestes Verdienst
bringt. Was der Herausgeber dieser Zeitschrift erst kürzlich noch an
dieser Stelle betonte, Paulsens Wort: »Der Historiker muB den Mut zur
Auslese haben«, das gilt in gleichem JMafie vom Literarhistoriker. Ja, fut
noch mehr, denn der Betrieb der Literaturforschung, wie er heute vidfach
im Schwange ist, kann einen wirklich verdrießiich stimmen.
Hans Legband.
Kleine Mitteilungen und Referate
Das Augiistheft der Contemporaiy Reviev (Nr. 500) bringt cüien
beachtenswerten Aufsatz von A. H. Sayce, Social life in Asi« Minor
in the Abraham ic Age.
Erwähnt sei dabei ein Aufsatz von Max 1.6 iir itu 2. Jahrgang des
Palästinajahrbuchs des deutschen evangelischen hibiituts für Altertums-
wissenschaft, in dem er die Gastfreundschaft im Lande der Bibel
«inst und jetzt scliildert.
Walter SchOdcing handelt in sehr eedringter Form in dcrZdt>
Schrift für Sozial Wissenschaft (itihrg. 10, Heft 9) Uber den Kosmopoli*
tismus der Antike.
Unter Betonung der allgemein- und kulturgeschichtlichen Bedeutunj?
der Entwicklung des Kriegswesens und der Kriegswissenschaften sowie
des Spiegelbildes derselben, der Militärliteratur, stellt W. Stavenhagen
in der Militirisdien Welt (1907, Heft ii) in ansprechender Form das
Wissenswerteste fiber die altgriectaische Militärschriftstellerei
zusammen. Daß er zwar ein belesener Offizier, aber kein Philologe und
Historiker ist, spürt man allerdings wiederholt. Überdies wird die Ab-
handlung durch eine große Zahl äußerst störender Druckfehler, z. R. in
den Namen, entstellt. Gelegentlich muß es statt vor Christus: nach Christus
heißen (so bei Aelian) und umgekehrt (so bei Philon, wo auch die Jahres«
aahl selbst falsch ist). Am fehlerhaftesten ist die Wiedergabe der griechischen
Titel der zitierten Werlte, so daß man zugunsten des Verf. 's annehmen
muB, daB er überhaupt keine Korrektur erhalten hat. Die von St anderSF
woher übernommene Notiz, daß man von K. K. Müller eine Sammlung
der griechischen Kriegsschriftsteller «warten df;rfe, ist veraltet, da M. seit
einigen Jahren tot ist. Übrigens wäre dLn^clhe seiner ganzen Natur nach
über die .allerersten Vorbereitungen und Anlauie zu der umfa^nüen Auf-
gabe nidit hinausgekommen.
V. von jagic handelt in der Internationalen Wochenschrift für
Wissenschaft, Kunst und Technik (1, Nr. 22) kurz Ober die Anfinge der
slawischen Kultw und Sprachen.
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Kldne Mittdlungen und Rdente.
495
In Heft 29 (V, 5) der MitteOungen der Ulaiiisdieti Hfenrisclien
Oesdlsduft findet sich ein Ai^tz von C Cappel 1er, Wie die alten
Litauer lebten.
Zimmer's in den Sitzungsberichten der Preußischen Akademie der
Wissenschaften (1907, Phil.-H;f;t. Klrr^fie, Nr. 1') erschienene Abhandhing
über den Einschlag aus den Kuliurzuständen der vorkeltischen
Bewohner Irlands in dem in den Erzähhingen der alten nordirischen
Heldensage voriK^endcn Kulturbild aus dem älteren Irland betont
die Bedeutung der vorkdtischen Zustande fiir die altkeltiache Kultur. Die
Zustände, wie sie in den Erzählungen des Cuchulinnsagenkreises sich zeigen,
entspiidicn nicht der aiüidtiadien Kultur des Kontinents» viebnehr mOssen
Einsdilige angenommen werden, die von den nichtindogennanischen
älteren ße\('ohnern des inselreiches stammen, wie Z. dies an der Stellung
des Wellies zeigt.
Hierbei sei auf einen Artikel David Mac Ritchie's, Celtic
Civilization (Celtic Rev., 1907, p, 2S2/6) hingewiesen.
Nicht ohne kulturgeschichtliches Interesse ist die Arbeit Max
Kemmerichs Aber den körperlichen Habitus deutscher mittel-
alterlicher Herrscher in der Politisch-anthropologischen Revue
(Jahrg. 6, Heft 5). Er beschränkt sich dabei auf das frühe Mittelalter
(bis Rudolf von Habsburg), bringt aber das erreichbare Material so voll-
ständig als möglich; daß diese Zusammenstellung als erster derartiger
Versuch verbessern ngs- und erganzungsfähig ist, betont er dabei selbst.
Schlüsse aus dem Material zu ziehen, überläßt er andern, weisl aber auf
die Gesichtspunkte hin, unter denen man vom Standpunkte der Rassen-
Inge aus einschlägige Untersuchungen anstellen kann. Ab ein Resultat
der Untersuchung hebt er hervor, »daß die Qberwiegende Mehrzahl der
deutschen Herrscher der Rasse nach Qermanen waren". Audi ohne
Rücksicht auf die Rassenfrage können wir aber unseres Erachtens aus den
Kemmerichschcn Arbeiten (so nn? seiner Zusammenstellung mittelalter-
licher Porträts im Repertorium f. Kunstwissenschaft) mancherlei gewinnen.
J. Outtmann behandelt in der Monatsschrift für Geschichte und
Wissenschaft des Judentums (Jahrg. 51, Heft S/6) die wirtschaftliche
und soziale Bedeutung der Juden im Mittelalter.
Eine Mitteilung von J. Asbach in den Beiträgen zur Geschichte
des Niederrheins (XX, 40S/9) (Ein italienischer Reisebericht Qber
Deutschland a. d. Jahren 1517-1518) bezieht sich auf die von Pastor
herausge^::ehene Reisebeschreibung des Krirdirnls 1 uigi d'Aragona.
Von Beiträgen zur landschaftlichen Kulturgeschichte Deutschlands
seien hervorgehoben die »kulturhistorischen Streifzüge« von E. Stöck-
hardt, Einst und jetzt im mittleren Maingebiet (Westernunns
illustrierte deutsche Monatshefte, Jahrg. 51, Heft 9), sowie vor allem der
anziehende Aufisatz von O. Winckelmann, Zur Kulturgeschichte
des StraBburger Mfinsters im iS. Jahrhundert (Zeitschrift für die
496
Kldm Mlttdlunsen tuid Referate.
Geschichte des Oberrheitis, N. F. XXtl, Heft 2). Er lehrt recht deutUdi,
wie fruchtbar die so oft vernachlässigte kulturgeschiditUche Betnchtung
der Dinge sein kann. W. zei^^t durch »Zusammenstellung und Prüfung
der älteren, hie und da zerstreuten Nachrichten, cr^nri durch einige
aichivaiisclie Funde, deutlicher bisher, wie es an einer der ehr-
würdigsten Kultusstätten der ChnsiLuheit mit dem Gottesdienst und
namentlich mit der Andciclit des VoUes bestellt war.* Wie es im
Mfinster damals zuging, übertrifft nach Ausdruck »die schlimmsten
Erwartungen«. Der Dom wurde »durdi dte profansten Dinge und Hand-
lungen entweiht, ohne Unterschied, ob Fdolag war oder Wcridag, ob
Gottesdienst gehalten wurde oder nicht.« Man denkt hier an Gobineaus
Schildening der Gespräche im Mailänder Dom. Weiter geht W. auf den
.railer Andacht hohnsprechenden Unfug der sogenannten .Roraffcn'"
während der Pfintjstfeier ein, beschreibt dabei auch die noch heute er-
liaUcnen, iruhcr äußerst volkstümiiciicn Hguren unter Beifügung von
zuverlässigen Abbildungen eingehend. Weiter behandelt er die Mißbriuche
in der St Adolfonacht» In der es im Mfinster wte im Wirlsbause herging,
sowie die Belustigungen zur Weihnachtszeit, sodann die bedenklichen
bildnerischen und malerischen Daistdlungen im MSnster, endlich den
Kampf, den bekanntlich Geiler von Kaiseisberg gegen jene Mißbitudie,
vor allem gegen den Roraffen führte.
G. H. Müller handelt in der Zeitschrift des Historischen Vereins
für Niedersachsen (1907, Heft 2) über die Einwohnerschaft der
Stadt Hannover im Jahre 1602.
Für die Sittengeschichte des ausgehenden 18. Jahrhunderts
kommen die von A. Burckhardt-Finsler im Basler Jahrbuch (1907)
mitgeteilten Auszüge aus einer von dem Landvogt zu Waldenburg,
Wilh. Lindner, verfaßten Kleinbasler Chronik in Bebadit.
Ztur Geschichte der italienischen Einflüsse in Krakau betitelt sich
eine im Krakauer Jahibuch (IX, 1907, 1-148) erschienene Arbeit von
J. Ptasnik (Z olziejöw Kultury wtoskicj Krakowa), die wesent-
lich die wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse des Xt, Jahrhunderts,
u. a. besonders die Entwicklung des Postwesens^ behrifft
E. Samter kommt in seiner Abhandlung über Hochzeits-
bräuche (Neue Jahrbücher f. d. klass. Altert., Gesch. u. Deutsche Lit ,
Jg. 10, XIX /XX, Heft 2) zu dem Resultat: „daß die Hochzeitsbräuche
ebenso wie die Toten brauche (über die S. in derselben Zeitschrift früher
gehandelt hat) Sühnriten sind, bestimmt zur Versöhnung und Abwelir
unheilbringender Geister." S. geht insbesondere auf das Schuhwaren
ein (Spende zur Abfindung und Versöhnung) sowie auf die Urmzeremonien
(zum Verjagen der Ödster). Das entq)rediende Scherbenhinwerffen und
Töpfezerbrechen am Polterabend hat sidi von diesen Riten wn tti^sten
und allgemeinsten erhalten.
Kleine Mittdlungien und RefcntCi
497
Die Mittdlungen der sdilcsisdten Oesellsdiirt für Volkskunde
(H. IS/6) enthalten einen Beitrag von Stäsche über Bäuerliche
Hoch ?'eifsbr!?i)che im Kirchspiel Klein-Ellsuth, Kr. Öls, um
Mitte des von gen Jahrhunderts.
Im Palästinajahrbuch (Jahrj^f. 2) bespricht W. Frankenberg die
israelitischen und altambischen Trauergebräuche sowie die
muslimisclien Totengebriuche.
In den eben ervihnten Mitteilungen handelt M. Brie Aber den
germanischen, insbesondere den englischen Zauberspruch.
Auf ein von jeher mit Vorliebe behnn deltes dunkles Oebiet der mensdi*
liehen Qlaubens- und Oeistesgeschichte führt der Aiifsnt? von Ch. Pfister,
Nicolas Remy et la sorcelierie cn Lorraine ä la fin du
XVif siccle (Revue historique, t. XCIII, 2; XCIV, 1). Nirgends «ütete
die Epidemie der Hexenvertoigung stärker als in Lothringen, und ein
Haupturhd>er der Blinde var der Oeneralprokurator Remy, der Autor
der 1592 verfaßten, 1595 erschienenen (1598 ins Deutsche flberselzlen)
Daemonolatria. Nadi einem mehr biogiaphisdien Teil wendet sich Pf.
der eingehenden Betrachtung dieses Remy'schen Werkes zu.
Petrus Ramus als Reformator der Wissenschaften betitelt
sich eine im 18. Jahrgang des »Humanistischen Oyninasiunis" veröffent-
lichte Arbeit M. Ouggcnheims, der dem großen gelehrten Franzosen,
dem Ketormer der Logik, der auf die ganze zivilisierte Welt seinerzeit,
vor allem auch auf die deutsche gelehrte Welt wirkte, gerecht zu werden
und sein Lebenaweric, seinen Einfluß nach allen Seiten von eigenen Oe-
sichlspunkten aus «i beleuchten sudit
Das Vorlesungsverzeichnis der Leipsiger Universitftt
vom Jahre 1519, ein Dokument der durchgreifenden Reform des Leip-
ziger UniversitStsbetri^be«;, im blühenden Humanistenlatein abgefaßt, von
F. 2^mcke s. Z. nach einer sehr flüchtigen Abschrift ]. J. Vogels abgedruckt,
gibt O. Giemen jetzt in den Neuen Jahrbüchern f. d, klass. Altertum usw.
(Jahrg. 10, XIX /XX, Heft 2) nach dem in der Zwickauer Ratsschul-
biUföthdc gefundenen gednidden Original neu heraus. »Das Verzeichnis
stellt sich dar als dn Kompromiß zwischen Mitlebdier und neuer Zeit,
zwisdicfl Scholastik und Humanismus. Studierende aller Riditungen und
Bestrebungen sollten auf ihre Rechnung kommen. Jedoch neigt sich der
Sieg offenbar anf die Seite dps Humanismus.*
Aus der Zeitsctinfi des Historischen Vereins für Niedersachsen
(1907, 3) cnx'ühnen wir den Aufsatz H. Hofmeisters, Die Univer-
sität Hclmsledl zur Zeit des Süjährigen Krieges.
E Schwabe handelt in den Mitteilungen der Oesdbcfaaft für
deutsche Endehung»* und Schulgesehichte (Jahig. 17, Heft 2) Aber PI Ine
und Versuche, nm in Kursachsen eine Ritterakademie zu
errichten. Ein Plan liegt im Druck vor. Für die allgemeinen Zu-
sammenhinge hätte Steinhausens Aufsatz »Idealerziehung im Zeitalter der
Acdiiv IBr KüHuccMliUhte. V. S2
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498
Kleine Mitteilungen und Referate.
Perficke* ai» dem vierten Jdhrgßng derselben Zettschrift heiaogiezoKen
Verden können.
Zahlrciclie Arbeiten liegen überhaupt, wie gewöhnUch, aiit dem
Ocb!ete der Schulgcschichte vor Es seien genannt: W. Killmer,
Kasseler Sch ulverhai inibbc am Ende des Mittelalters (Htsbcn-
land, Jalirg. 21, Nr. 18); O. Kaemmel, Ein Cbarakterkopf ans der
älteren Leipziger Schulgeschichte (Orenzboten, Jahrg. 66, Nr. 26)
~ es handelt sich um Johann Muschlcr, Rektor der Niholaischule
1525 -1535, der gewissermaßen als zweiter Gründer der Schule gelten
darf -; Zwei {lateinische) Schulmeisterbriefe von 1541 und 1542,
mitgeteilt von Otto C leinen (Neue Jahrbüclier f. d. klass. Altertum,
Gesch. u. Deutsche Lit., Jahrg. 10, XIX X.X, Heft 8); Karl Weiler,
Die üeschichte des humanistischen Schulwesens in Württem-
berg (ebenda, Heft 3) - ansprechender Oberl>lidc über ein Gebiet, das
noch sehr der niheren Erfonchung bedarf Th. Wotschke, Das
Lissaer Oymnasium am Anfange des 17. Jahrh. (Zeitschrift der
histor. Oesellsch. f. d. Provinz Posen, Jahrg. 21, Halbbd. 2); Stenger,
Beiträge zur üeschichte der Schule in der Mark im 18. Jahr-
hundert (Jahrbuch des Vereins f. d. evange!. Kirchengesch. Westfalens,
Jahi^. 9); R. Peters, Zur Kenntnis des Bergischen Schulwesens
in französischer Zeit (Festschrift des Düsseldorfer Gymnasiums,
Progr., S. 36^43); A. Wegner, Zur Geschichte des baltischen
Schutvesep-. (Baltische Monatsschrift, 1907, Juni); Marnix van
Vlaanderen, Eenige bladzijden uit de geschiedenis van ons
volksonderwijs (Vlaamsche Gids, 1906, VI, 557 65); V. G. Sim-
khovitch, History of the school in Russia (Educational Review,
1907, Mail.
im Unierhaltungsblatt des Fränkischen Kurier (1907, Nr. 2.S, SO,
32, 34, 36) veröffentlicht Emil Reicke einen höchst anziehenden Beitrag
zur Geschichte des Familienlebens, der zugleich mancherlei für die Sitten-
gesditcfate und die Geschichte der Lebenshaltung abwirft und auch ffir
die Geschichte der geistigen Kultur sdion wegen der im Mittdpunkt
stehenden Persönlichkeit Wllibald Pirckheimers in Betracht kommt. Die
wesentlich auf zum Teil unveröffentlichtes Briefmaterial gestützte Studie,
die den Titel: Wilibald Pirckheimers Familienbeziehungcn
trägt, handelt von den vielen Frauen in der Familie, von Pirckheimers
Vater, von P.s Ehe und lockerem Wiiwerleben, von seinen bcliweslern,
den Mißhelligkeiten mit ihnen, und als Gegenstück dazu davon, wie der
Bruder fflr sie zu sorgen pflegte. R zieht für das letzte Kapitel nament-
lich die Briefe der unbekannteren Pirckbeimcrinnen, der beiden Schwestern
Sabina und.Eufemia im Kloster Ber^gen heran.
Einiges neue Material bringt der sonst vielfadi zu ergänzende Auf-
satz von A. Hackemann, Zur Geschichte unserer niehrfachen
Vornamen (Zeitsdirift des allgem. deutsch. Sprachvereins, Jaiurg. 21, Nr. 12).
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Kleine Mitteilungen und Referate.
499
Sehr beaciitenswert und verdieiiäUicli ibl die vor allem das Land-
volk berücksichtigende und bis zum 17. Jahriiundert rddiende Arbeit
H. Wittes in den Jatirbödiem des Vereins ffir mecklenburgiaclie Oe-
schidite (LXXI, 1S3-290): Wendische Zu- und Familiennamen
aus nificklenbuisiscfaen Urkunden und Akten gesammelt und mit Unter-
Stützung von E. Mucke bearbeitet.
W. Schoof teüt irr HessenUnd (J^^S* 7) Beiträge zur
Schwälmer Namenkunde mit.
Die Freunde der Altertumskuntic wird der uns zugegangene
30. Jahresbericht des Vereins für das Historische Museum zu
Frankfurta.M. interessieien. O. Lauffer widmet darin dem verstorlwnen
Direktor des Museums» Philipp Otto ComiU, einen vannen Nachruf,
O. Wolff berichtet über die Arbeiten der Ausgrabungskommission 1906,
R. Wclcker und O. Lauffer über die ErK'erbungen im Jahre 1906, jener
über frühgeschichtliche und römische Altertümer, dieser über solche aus
Mittelalter und Neuzeit. Letzterer läßt aus seinem Bericht auch ein gutes
System der Ordnung der Zugänge erkennen, das Nachfolge verdient
Äclit Lichtdnicklafeln zieren den Bericht
In den Mitteilungen der Litauischen literarischen Ocscllscfaaft
<Heft 29) handelt A. Kurschat über Haus und Hausgerät im
preußischen Litauen.
Der Artikel von K. Spieß, Trachtenkunde (Deutsche Oe-
schichtsbliitter 1907, März/Aprii) gibt auch eine Obersiebt über die ein-
schlägige i.iteraiur.
P. Drechsler teilt in den Mitteilungen der schlesischen Oesell-
scliaft für Volkskunde (H. 15;16) einen Breslaucr Küchenzettel aus
dem Jahre 17S2 mit.
Aus derselben Zeitschrift errthnen w den Artikel von P. Feit,
Wirtshausschilder.
Eine nicht üble Zusammenstellung, auch unter Heranziehung von
Quellenstellen, bietet der Artikel von W. Kühn, Unsere Vorfahren
als Abstinenzler und Temperenzler (Blätter für Volksgesundheits-
pflege, Jahrg. 7, Heft 8).
Hierbei sei auch ein AiiiKci von Schrohe, Bier, Wem und Essig
jEurZelt des 30 jährigen Krieges (Bienncraeitttng 714 f.) ervihnt
Eine kleine Mitteilung von Gustav Sommerfeldt in der Alt-
pieußischen Monatsschrift (XLIV, Heft 3) Aber ein Zerwürfnis des
Reinhard von Halle, kurfürstlichenjägermeisters des Herzog-
tums Preußen und Amtshauptmanns zu Rhein, mit den
Städten Königsberg, 1621, bringt ein ganz interessantes Schreiben
des Jägermeisters an Kurfürst Georg Wilhelm. Es handelt sich um die
Veramwortung gegenüber einer Beschwerde der vereinigten drei Städte
Königsbei:g wegen unerlaubten Bierausschanks im Jägerhause. Es hd6t
.darin; «Ich halle aber dafür: sie brauen nur gutt Biehr, sie «erden es
S2*
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*
500 Kleine Mitteilungen und Refctate.
«oll lo8 «erden, und «irdt sie das JägeHiauß nldtt hindern, biette zum
tmderthenig»len den Heften von Stttlen ttx «ufferl<^, diß sie midt
mit meinem BIchr im Jägerhauß zufrieden lassen, oder sollen selber
solches Biehr brawen, daß, die trir vom Lande sein, es trincken können,
so will ich das ihre trincken und bey hoher Stnf zusagen, das
meines nicht soll hinein kommen."
Die griechisch-römische Abteilung des Britischen Museums hat vor
kttRem eine Ausstellung antiker Kindcfspielteuge vcianslaltet,
die dnen Qnblitk in das liitialiche Leben utid die Klnderemehnng der
Oriechcn tind Römer gewährte. Unter dem Spielzeug ttlrtimt die Puppe
den ersten Plat2 ein. Unter den Gegenständen der frühesten Qriechenzeit
befiTidpTi sich auch eine ovale tönerne Klapper und mehrere archaische
Spieli^eräte. Später üflhmcn die geschickten Arbeiter von I phcsos die
Anfertigung der Spielwaren in die Hand und fertigten allerlei reizende
SacbM an, In Cips und Elfenbein. Auch eine ganze Anzahl von Puppen*
hinsmoddlen sind aosgiestellt und mit ihnen die Ocfttschaften und Möbd
fSr diese Puppenhaushaltungen und Kfichen, alles mit großer Kunst in
Bronze, glasiertem Ton und Porzellan gefertigt. Daneben sieht man eine
Mettge runder Wurfscheiben und kleinerer Platten, die offenbar als Spiel-
marken galten; Widderköpfe, Vögel, Ratten und Fliegen sind darauf ein-
graviert, uiid man vermutet, daß diese Zeichen zugleich als Cintrittsniarkeu zu
Schaushälungen gedieht haben. Femer findet sich das Knöchelspiel; die
KnOchel «uiden aus Bronse und Chaloedon gefertigt (Deutsche Uteratur-
zdtung, I9ü7, Nr. 12.)
Beachtung verdient eine Arbeit von O. Langer im Neuen Archiv
für Sächsische Geschichte (XXVUl, Heft 1/2) über Toten hcctattung
im 16. Jahrhundert, vornehmlich in Zwickau. Hierbei sei ein
anonymer Aufsatz aus der Sonntagsbeilage zur Vossischen Zeitung 0*^07,
Nr. 30) erwähnt: Das 16. Jahrhundert ein Wendephnlct aneh in
der Bestattung der Toten.
Ein Attf^tz R. H&pkes in den Hansischen OeschichtsbUttem
(1906, 2) über die Herkunft der friesischen Oewebe richtet sich
gegen Klunikers Ansicht von der Herstellung der feineren H mdelswarc
in England und sucht d?is spätere Flandern als den Herstellungsort der
schon früh n\ das Frankenreich eingeführten Ocwet« und als einen
alten Hauptsitz der Tuchindustrie zu erweisen.
In detselben Zeitschrift (1907, 1) gebt O. Fengler der seit den
Normanneneinftllen versdivundenen Bedeutung des Handels von
Qnentowic (wie er meint, mit ^ples identisch) für die Zeit der Mero-
winger und Kr^roTinger nach, Mfinzfunde und alle einschllgigen Quellen^
stellen heranziehend.
Aus Kring5jaa(1907, 1) verzeichnen wir einen Aufsatz Alex. Bugges,
Minder om Normaends handel paa Flandern og om noisl»^
pntestefs opliold 1 et Idoster udenfbr ftUgge.
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Kleine Mitteilungen und Referate.
501
Die Geschichte einer hervorrag;enden Pisaner Kaufmanusfamih'e
des 14. Jahrhunderts, der Delle Brache, sciireibt nach Aufzeichnungen
und Urkunden P. Pecchiai (Una famiglia di mercanti pisani qtl
treten to) in mehreren Bdtrigen zu den Studi storfd QCV, 1-3; XVI, 1).
& P. Haak iddldert in den Büdingen voor vndorl. OMchiedente
(Deel X, 1/2, 7-66) die Handd^Mdeutimg von Brielie (Brieili ts
vrije en bloeiende HandeUtUdt in de 154* eenv.)
Mit dem Handel von Montanban im 16. und 1$. Jaliriiandert be-
schäftigt sich H. de France, Notes sur le commerce I Montanban
(Soci^t^ archfol. de Tarn-et-Oaronne, Bulletin, 1906, 1).
O. Kcnde bringt in der 2^itschrift des historischen Vereins für
Steiermark (V, i 2) einen Beitrag zur Handelsgesch jchte des Passes
über den Semmering von der Mitte des 15. bis zur Mitte dt»
15. Jahrhunderts.
In der 109. Versammlung der American Orieiital Society zu Phila-
delphia im April d. Js. sprach Prof. Johnston über da§ babylonische
Postwesen und babylonisclie Privatbriefe.
Die Revue liistorique vaudoise (1906, Nr« 9/11) bringt einen post-
geschiditlichen Au&atz von Marc. Henrioudi Les anciennes postes
Fribourgeoises 15S7-1848«
Zur Geschichte des Reisens trägt eine Mitteilung von E. Teilhard
de Chardin im LXVII. Bande der Bibliotheque de l ecole des chartes:
Comptes de voyage d'habitants de Montferrand k Arras en
1479 bei, ferner ein kleiner Artikel von L. Armbrust in der Zeitschrift
des Vereins f. he^. Geschichte (N. F. XXX, 166 — 171): Ein englischer
Paß von 1599. Es ist ein von Robert Cedl unterschriebener Paß für
zwei hcntsdie Eddlente, die auf der ftblictai KiivallcrtDur fn^mi
(jQ'eist waren*
In der ZdtKiinft filr Ethnologie ([ahig. 39, Heft 1/2) handcit
Eduard Hahn über Entstehung und Bau der fitesten Seeschiffe.
Er beabsichtigt »im Zusammenhang einmal die verschieffenen (ühnVens
sehr mannigfaltigen) Materialien zu behandeln, aus denen cier Mensch
sich seine Schiffe baut, und so zu zeigen, v'ps für den Kündigen ja
eigentlich nicht bewiesen zu werden brauciit, daü der Mensch in seiner
historischen Uutbahn keineswegs immer in seiner Entwickejung die Wege
gegangen ist, die uns, vfnn whr die bistoriichen Vorginge durch reine
Ocdanleenarbeit zuradczuverfolgen suchen, als die von Natur gegebaien
erscheinen würden.« Er möchte weiter »mit guten Gründen die Ent-
wickelung einer sehr leistungsfähigen Schiffahrt für eine lo weit zurück-
liegende V^ergangenheit wahrscheinlich machen, daß unsere sonstigen ge-
schichtlichen Dokumente auch nicht von fem an sie heranreichen "
H. führt übrigens „die Entstehung des ältesten Seeschiffes für unseren
Kulturkreis aui den Typus des genähten Schiffes zurück*.
502
Kleine Mitteilungen und Referate.
Zur Geschichte der Medizin, soweit sie latltnrgesdüditlich von
Interesse ist, verzeichnen wir folgende Ariieiten: A. F. R. Hoernle,
Studies in Ancient IndianMedi'cine, II (The Journal of tfae Royal
Asiatic Sodety, Januar); K. Baas, Studien zur Geschichte des
mittelalterlichen Mcdizinalwesens in Kolmar (Zeitschrift f. d.
Gesch. d. Oberrheins, N. F. XXII, 2); Alb. Ostheide, Medizinisches
aus einer Essener Handschrift (Beiträge zur Geschichte von Stadt
und Stift Essen, Heft 29). Letzterer veröffentlicht seine kurzen Mitteilungen
auch in den Hessischen Blättern für Volkskunde, V, Heft 2/3. Es handelt
sich dabei um ein Mittel gegen das Podagra, als welches das Mamibium,
deutsch Andorn, dessen Heilkraft öfter erwShnt wird, hingestellt wird.
Daß gerade die Geschichte der Medizin kuUuigeschichtlich wertvoll
ist, betont Oeorg Li ehe zu B<qpnn seiner Beiträge zur Geschichte der
Wundarzneikunde im Herzogtum .Ma tideburg bis zur Medizinal-
ordnung vo n 17 2 5 (Ocschichtsblättcr für Stadt und Lind Magdeburg, 1007,
Heft 1 ). „Die Verbreitung medi/iniscber Kenntnisse", sagt er, „und diebür^'er-
liche Stellung der Arzte bieten einen Kulturinaßstab von seltener (d. h. her-
vorragender) Zuverlassiglcdt.« Liebe, der uns namentlich auf Orund von
Ardiivalien eine Qesdiidite jenes bis ins 18. Jahrhundert ab untei^geordnet
geltenden Zweiges der Medizin im Magdeburger Land bietet, weiß über
haupt durch Betonung der allgemeinen Zusammenhänge seine Arbeit be-
sonders interessant zu gestalten.
Mit der Geschichte einzelner Krankheiten beschäftigen sich W. H.
S. Jones und O.G. Ellctt, Malaria in ancient Greece (The Clas-
sical Review, XXI, Nr. S); Sauve, Les cpidemies de peste ä Apt
(Annales de la sodä£ d'ftades pioven^ales, 1905, 39-50; 87-101); und
W. Lippert, Das Auftreten der Franzosen krankh ei t in der
Niederlausitz 1S02 (Niederlausltzer Mittdiungen, IX, 279 -88) (weist
auf eine für die Geschichte der Krankheiten überhaupt u-ichtige Quelle
hin, die Miracula St. Bennonis, Rom 1512, und lehrt einen berühmten
Fianzosenarzt in Ullersdorf bei Sorau kennen)
In Villard's Mitteilung über das Leprosenhaus in .Marseille (La
Uproserie de Marseille au XV« siede et sou reglement) in
den Annales de la soc d'^tudes proven<^les (1905, 183-19S) wird das
Reglement desselben in provenzalischer Sprache verOfÜentlichi
Im Neuen Archiv filr die Oescfa. d. Stadt Heidelbeiig (VII, 2)
teilt B. Schwarz eine (Michelfelder) Badstuben Ordnung vom
Jahre 1503 mit.
k'ur/e Notizen über R^destuben im alten Hannover (1392 5)
enthalten die Hannoverschen Ueschichtsblätter (Jahrg. 9, Heft 7/9); auch
sind dort die Abbildungen zweier Badestuben (von 1700, resp. 1720) aus
Redeckers Chronik beigefügt.
Erich Ebstein veröffenUicht in der Medizinischen Woche (1906,
Nr. 29- 32)einen BeitrtgzurO esch i c h te der deu t s c h e n Nords eebider.
i^'iLjuiz-uü by VjOOQle
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BOUS 1a domintÜbll romaine. 3« Paris (VIII« 342 p) ^ Btetlfhet,
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