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Das spätmittelalterliche Niedergericht auf dem platten
Lande am Mittelrhein
von
Dr. Georg Grosch
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IJntersuchiingcn
zur
Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte
herausgegeben
von
Dr. Otto Gierke
Professor der Rechte an der Universität Berlin
84. Heft
Das spätmittelalterliche Niedergericht auf dem
platten Lande am Mittelrhein
von
Dr. Georg Grosch
Breslau
Verlag von M. & H. Marcus
1906
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U ^tmittelalterliche NiedergericJir
aut ftem platten Lande am MittelrDein
Eine rechts- und verfassungsgeschichtliche Untersuchung
auf Grund derWeistümcr
von
Dr. Georg Grosch
Breslau
Verlag von M. & H. Marcus
1906
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Inhaltsangabe
Seit®
Einführung. I>le WelstUnier 1
I. Abschnitt
Überblick Uber die Nledergerlehte 1!)
M
II. Abschnitt
Das Nledergerlcht; Hochgericht lind Nledergerlcht: Nledergerlohts-
herrschaft und Driindherrsehuft; vogtfreic und hevogtetc
Herrschaft ■>’’
III. Abschnitt
Die Rezilge ans der Nledervogtel; Herrschaft und Untertanen . . <!4
IV. Abschnitt
Die Tagung des Niedergerichts; der Dingvogt» die Schöffen und
der Umstand ; der Uerlchtsknecht; die Kompetenz und die
Uebilhrcnordnuiigeii. Das Weisding 82
Anlage 95
Verzeichnis der angeführten Schriften 97
144H4(>
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Einführung. Die Weistümer.
Ausgehend von dem Studium der Geschichte der Bauern-
befreiung im 1 8. und 1!). Jahrhundert sah man sich in jüngster
Zeit, um zur Klarheit zu kommen, veranlaßt, sich naher mit
den sozialen Verhältnissen des Bauernstandes überhaupt zu be-
schäftigen, insbesondere die Abhängigkeit zu untersuchen, von der
die Bauern befreit wurden. Auf diesem Wege kam die national-
ökonomische Forschung in Verbindung mit der sozialhistorischen,
soweit sich diese mit der Untersuchung der Zustände auf dem
platten Lande befaßt, zu wichtigem Ergebnis '). Denn man fand
den Unterschied, der zwischen der nordostdeutschen „Erbunter-
tänigkeit“ und der süd westdeutschen „Leibeigenschaft“ von jeher
bestanden hat. Diese beiden Begriffe hatte man bisher nicht
auseinandergehalten, weil man ihren Inhalt einfach als identisch
ansah, und man hielt sich umso eher zu dieser Meinung berechtigt,
als seit dem 17. Jahrhundert die ostdeutsche Erbuntertänigkeit in
den meisten rechtselbischen Gebieten schlechthin mit Leibeigen-
schaft bezeichnet wurde2): also, so meinte man, der gleiche Name
für das gleiche Institut.
') Es kommen besonders in Betracht: G. E. Knapp, Pit Bauern-
befreiung und der Ursprung der Landarbeiter in den älteren Teilen i’ren liens.
2 Bde. Leipzig 1887. Th. Ludwig, Der badische Bauer im achtzehnten
Jahrh., Abhandlungen aus dem staaUw. Seminar zu Straßburg XVI. Slraß-
burg 189G. Theodor Knapp, Gesammelte Beiträge zur Hechts- und Wirt-
schaftsgeschichte vornehmlich des deutschen Bauernstandes. Tübingen 1902.
G. v. Bcluw, Terrilorinm und Stadt. Münelien I9<K).
1 ) Theodor Knapp a. a. O. S. 381.
Groscb, Niedcrgcrlrbt 1
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Daß dem nicht so sei, das ist das Resultat der neuesten
Forschung. „Die Leibeigenschaft im westlichen Deutschland ist
ein Vermächtnis des Mittelalters, die Leibeigenschatt im östlichen
Deutschland ein Erzeugnis der Neuzeit“ '); „die Leibeigenschaft
des deutschen Westens ist im vorigen Jahrhundert fast nur noch
eine altertümliche Seltsamheit, schreckhaft mehr durch ihren ab-
stoßenden Namen als durch ihre wirkliche Bedeutung, die sich
mit der Gerichtsherrschatt einerseits, der Grundherrschaft andrer-
seits entfernt nicht messen kann. Im östlichen Deutschland ist
sie der brutale, aus Mißverständnis hierher übertragene Ausdruck
für die höchste Steigerung der vereinigten Grund- und Gerichts-
herrschaft, also für eine furchtbare Macht des wirklichen Lebens,
die den Bauern an Händen und Füßen gefesselt hält8).“
In dieser Zusammenfassung liegt beschlossen, wodurch sich
die südwestdeutsche Leibeigenschaft von der ostdeutschen Erbunter-
tänigkeit unterscheidet.
Erbuntertänigkeit bedeutete Vereinigung der Gerichts- und
Grundherrschaft über die Bauern und das Bauerngut in derselben
Hand; diese Vereinigung wurde später mit „Leibeigenschaft“, die
Bauern, die in diesem Abhängigkeitsverhältnis standen, als „Leib-
eigene“ bezeichnet. Den Namen übertrug man wohl deshalb aus
Süddeutschland auf die ostdeutsche Institution, weil man der
Meinung war, daß es sich um ein ganz analoges Verhältnis handle;
und doch war es durchaus verschieden von jenem.
Die deutschen Kolonisten, die im Beginn des späteren Mittel-
alters die rechtselbischen Gebiete besiedelten und diese Land-
schaften dem Slaventum abrangen, dem Deutschtum zurück-
eroberten. waren ursprünglich als freie Männer angesiedelt worden :l).
') Th. Knapp a. a. 0. S. 34t! f.
*) Ebenda S. 388. Ein einige, zeitgenössische Erteile über die sfidwest-
dentsche Leibeigenschaft anzufOhrcn, »ei verwiesen auf Kreittmayr (175!)
zu Cod. Max. I. 8: 1.), der für Bayern äußert: „daß heut zu Tag ein Leib-
eigener und anderer gemeiner Bauer fast wie zwei Tropfen Wasser einander
gleich sehen:“ Freiherr von Bibra, ttoniknpitular und Regierungspräsident
zu Fulda bezeichnet 178G die Leibeigenschaft schlechthin als „politischen
Schnickschnack.“ (Journal von und für Deutsch], 3. Jahrgg. 7 — 12. Stück
S. 216).
5) Vgl Theodor Knapp a. a. 0. S. 371 ff. Bes. O. von llelow a. a.
0. S. 6 ff.
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3
Erst allmählich gerieten sie in Abhängigkeit von den späteren
patrimonialen Gewalten, besonders den Kittern, als diese durch
Umgestaltung des Heerwesens vom Kriegsdienst mehr und mehr
abgedrängt wurden und sich der Gutswirtschaft zuzuwenden be-
gannen. Sie verstanden es, die Kauern in die von uns eben er-
wähnte Erbuntertänigkeit zu bringen.
Dies geschah indes erst mit dem Beginn der Neuzeit, und
in der Folge kam es dann soweit, daß der Bauer zum wirklichen
Sklaven herabgedrückt wurde. Wir finden im 17. und im Anfang
des IS. Jahrhunderts, ja teilweise bis in das josephinische Zeit-
alter in unserem Osten und Südosten fast dieselben Zustände wie
in den slavischen Ländern, in Rußland und in Polen1). Der
Bauer konnte als Sklave verkauft werden, er wurde tatsächlich
zur bloßen Ware herabgewürdigt8). Es ist möglich, daß die
slavischen Verhältnisse vorbildlich waren für diese unerhörte Be-
handlung deutscher Einwohner; vor allem aber war es der dreißig-
jährige Krieg, der einen solchen Rückfall in die alte Barbarei
begünstigte.
Anders in Südwestdeutschland. Hier — es handelt sich um
die Zeit von etwa 1 550 bis 1 800 — ist Gerichtsherrschaft, Grund-
herrschaft und Leibherrschaft grundsätzlich getrennt. Was zu-
nächst die Leibherrschaft anlangt, so ist sie ein rein privatrecht-
liches Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Berechtigten und
dem Verpflichteten und hat wesentlich die Bedeutung einer Renten-
quelle für den Herrn3). Gewiß konnte der Leibeigene des Westens
auch „verkauft“ werden, aber das bedeutete nur, daß der bisherige
Leibherr seine Ansprüche auf die Leibabgaben — Leibschi Illing,
Leibhuhn, Salzscheibe (eine Heiratsgebühr für Weiber) und Todfall
— einem andern abtrat4). Weder in der Gerichtsherrschaft noch
in der Grundherrschaft ist die Leibeigenschaft etwa zugleich ent-
*) Über Rußland vgl. «len Artikel: »Die Bauernbefreiung in KnUland“
iin Handwörterbuch der Staatswiascnschaften. 2. Aull. Jena 1808 If. Daselbst
die Literatur.
*) Th. Knapp a. a. 0. 8. 384 f. Kr gibt auch Beispiele von solchen
Bauemverk&ufeu und die Belegstellen dafür. Vgl. dazu <1. v. Belnws Er-
klärung a. n. 0. S. 13.
3) Theodor Ludwig, Der badische Bauer S. 14.
4) Th. Knapp a. a. 0. 8.384. Vgl. auch <J. v. Below a. a. O. 8.2.
1*
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halten. Sie ist eine Institution für sich mit ganz charakteristischen,
noch aus dem Mittelalter herrührenden Eigentümlichkeiten , die
sich mit Grund- und mit Gerichtsherrschaft in Südwestdeutsch-
land ständig kreuzt ').
Aber auch Gerichts- und Grundherrschaft gehen durcheinander,
sie sind durchaus nicht in derselben Hand vereinigt. Es hat
weder jeder Grundherr die Gerichtsbarkeit über seine Erbpächter
und Lehenleute, noch ist jeder Gerichtsherr auch Grundherr in
dem ihm geriehtsuntertanen Sprengel. So fallen, um einige Bei-
spiele anzuführen *) , in den Landorten des Oberamts Heilbronn
Grundherrschaft und Gerichtsherrschaft keineswegs zusammen;
nur ausnahmsweise kommt es vor, daß der auswärtige Grundherr
eines Hofes auch dessen Geriehtslicrr ist; die Kegel ist vielmehr,
daß sich die Gerichts- mit der Grundherrschatt durchkreuzt.
„Auch die ländliche Verfassung Badens laßt sich um die Mitte
des 18. Jahrhunderts nicht auf einen einheitlichen Gesichtspunkt
zurückführen, sondern wird vielmehr von drei unter einander zu-
sammenhangslosen Institutionen bestimmt, nämlich der Gerichts-
herrschaft, der Leibeigenschaft und der Grundherrschaft *).“
In großen Zügen sind hier die Verhältnisse des platten Landes
nach dem Ergebnis der neuesten Forschung aufgezeichnet. Aber
wohlgemerkt: so stellen sie sich im Beginne der Neuzeit dar,
etwa von 1550 — 1H00; über den Bauernkrieg hinaus geht keiner
von den erwähnten Forschern; wie die Zustände auf dem platten
Lande im Mittelalter waren, an diese Frage gehen sie nicht
heran.
Und doch liegt es recht nahe, von hier aus den Blick rück-
wärts zu wenden und an der Hand dieser wichtigen Ergebnisse
ins spätere und schließlich auch ins frühere Mittelalter vorzu-
dringen. Denn nach der herrschenden Lehre war es in jenem
Zeitraum anders als in der Neuzeit, man kann das neueste Ergebnis
nicht an die geltende Ansicht anreihen. Es ist darum die Auf-
gabe weiterer Untersuchungen, die frühere Forschung zu revidieren,
■) Hayern zeigt eine etwas andere Entwicklung. Vgl. Tli. Knapp
a. a. (). S. 85 IT. ; Heinerklingen filier sfidweatdculsehe Leibeigenschaft (Knr-
liayern und Reichstädt lleilbronn).
J) Weiter ausgeführt bei Knapp S. 188 ff.
a, Theodor Ludwig, Her badische Hauer S. 14.
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neue Tatsachen beizubringen und dann etwa bestellende Wider-
spruche auszugleichen.
Daß die Zustande auf dem platten Lande zumal im späteren
Mittelalter nicht völlig verschieden von den eben geschilderten
sein können, ist von vornherein anzunehmen, schon im Hinblick
auf die Eigenart der Hauern. „Der Bauernstand ist zu allen
Zeiten das konservativste Element des Staates gewesen, der mit
Beharrlichkeit am Alten hangt und für dasselbe mit der größten
Energie eintritt1).“ Der Bauernkrieg — für den Bauernstand
die Grenzscheide zwischen späterem Mittelalter und neuer Zeit
hat allerdings durch seinen für die Bauern unglücklichen
Ausgang die soziale Lage derselben teilweise beeinflußt*), der
Druck auf die Bauern wurde wohl allenthalben etwas stärker, als
er zuvor gewesen. Doch zu der Behauptung versteigt sich niemand,
daß in der Folgezeit, eine völlige Neuordnung der ländlichen Ver-
hältnisse“) angebahnt und durchgeführt worden wäre. Im einzelnen
mag manches schlechter, manches freilich auch besser geworden
sein, im großen und ganzen blieb alles beim alten; der Bauer
geht in die Neuzeit herüber ganz als der, welcher er vorher ge-
wesen war; es ist nicht einmal eine allgemeine Verschlimmerung
seiner Lage eingetreten. Und von da ab ist fast nirgends eine
Änderung der Zustände zu bemerken; „mit so unerhörter Starr-
heit behaupteten sich hier (in Baden) vielmehr die alten Formen
der bäuerlichen Verfassung, daß man sagen darf, die Zustände
des lli. Jahrhunderts waren beispielsweise in den badischen Ge-
bieten in allen wesentlichen Funkten genau dieselben wie in der
Mitte des IX.4).“
') Handwörterbuch der Staat sw issensehaften : Artikel: Bauerngut und
Bauernstand, statistisch. II, 43!). Jena, 2. Aull.
-’) Hs handelt sich im folgenden uni Sfidwcstdcutschlaml: von Ost-
deutschland wird abgesehen: die allgemeine Entwicklung dieser liebiete,
die sich anders gestaltete als im Siidwesten, ist von mir bereits skizziert
worden.
s) Vgl. etwa Theo Summcrlad: Bauernkrieg im Handwörterbuch der
Staatsw.
') Theodor Ludwig, Der badische Bauer S. !)7 f. Vgl. ebenda S. 1 16 IT.
Über den Ausgang des Bauernkrieges und die Folgen desselben wird daselbst
bemerkt (S. Hilf.): -Trotzdem nun der Kampf mit einer Niederlage der
Bauern endete, verfolgten doch die siegreichen Herren die betretene Bahn
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fi
Also der Bauernkrieg bewirkt keine Umwälzung in den sozialen
Verhältnissen des platten Landes; er markiert nicht den Anbruch
einer neuen Zeit für den Bauernstand, sondern alles geht im alten
Geleise weiter; und wenn wir ihn oben die Grenzscheide zwischen
Mittelalter und Neuzeit genannt haben , so taten wir’s lediglich
im Anschluß an die gewöhnliche Einteilung der deutschen Ge-
schichte, nicht aber, weil er in der Entwicklung des platten Landes
den Beginn einer neuen Epoche bedeutet hätte. Wie waren nun
aber die Zustände daselbst während des Mittelalters nach der
herrschenden Lehre ?
Mit dem früheren Mittelalter beschäftigt sich eine sozial-
nnd verfassungsgeschichtliche Publikation '), die die herrschenden
Ansichten kritisch prüft und ihnen scharf zu leibe geht. Es wird
die Frage aufgestellt, ob die Grundherrschaft wirklich die gewöhn-
lich als selbstverständlich vorausgesetzte soziale und rechtliche
Wirkung im 10. und 11. Jahrhundert gehabt habe.
wenigstens der Mehrzahl nach nicht weiter, wenn sie auch vielleicht noch
weniger allgemein geradeaus zurückwichen: cs trat anscheinend in den
meisten Füllen ein Stillstand ein. Ihr Verhalten erklärt sieh zunächst gewiü
aus dem tiefen Eindruck, welchen die Revolution allgemein zurücklicU. —
Koch weniger mochten die besiegten ihre (iedanken von neuem aufnehmen:
keine der beiden Parteien hatte im Kampfe die andere vollständig bemeistert.
Davon, daß die bauern ihr Programm hätten durchsetzen können, war
überhaupt nicht die Ucde: aber auch die Herren hatten den Mut zu Neuerungen
verloren. Der Versuch einer Umgestaltung der siidwestdoutschcn Agrar-
verfassung brach sich im bauernkrieg und wurde darauf von keiner Seite
mehr zum zweiten Male unternommen.“ Was die Entstehung betrifft, so
nimmt man an, es sei die fürchterliche Lage gewesen, die die bauern zur
Empörung getrieben hätte. Vgl. den Artikel: bauernkrieg, wo es beispiels-
weise heillt: .Die Grunilherren .... waren an vielen Stellen im besitz
der höchsten Gewalt in der Mark und übten diese Gewalt in der fortwährenden
Auflage zahlloser Lasten auf die Schultern der Hauern. Die Benutzung von
Wald und Weide war nur noch gegen die drückendsten und raffiniertesten
Zinsabgaben gestattet, das persönliche Leben von der Wiege bis zum Grabe
unterlag den Zwangs- und bannrechten der Grundherren.“ Wir werden im
Verlauf unsrer Darstellung noch manchmal auf diese unzutreffende Ansicht
zuröckkommen. Vgl. auch G. v. bolow, Territorium und Stadt S. öl ff.,
der mit Recht eine andere Ansicht vertritt.
*) Gerhard Seel i gor, Die soziale und politische bedeutung der Grund-
herrschaft im früheren Mittelalter. Untersuchungen über Ilofrccht, Immu-
nität und Landleihen. Leipzig 11)03.
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Denn trotz mancher voneinander abweichenden Ansichten
sind die Vertreter der grundherrlichen Theorie darin einig, daß
„die Entwicklung der Grundherrschaft als das eigentlich Treibende
auf dem Gebiete des Wirtschaftlichen, Sozialen und auch des Staat-
lichen in diesem Zeitalter der vorwaltenden Naturalwirtschaft war,
daß auf Veränderungen ihrer Verhältnisse die wichtigsten Wand-
lungen des inneren geschichtlichen Lebens zurückzuführen sind ').“
Was man alles auf diese grundherrliche Theorie aufgebaut
hat, was alles in der Grundherrschaft seine Wurzel haben sollte,
das interessiert hier umso weniger, als schon viele der daraus ent-
springenden Behauptungen bestritten und als irrig erwiesen worden
sind. Uns geht hier nur der Bauernstand an; wir richten unsem
Blick lediglich auf die Abhängigkeitsverhältnisse der Bauern.
Im 8. und !>. Jahrhundert, so lehrt ein Hauptvertreter der
grundherrlichen Theorie*), erfolgte ein allgemeiner wirtschaftlicher
Zusammenbruch, der die Freien veranlaßte, unter der Macht der
großen Grundherren einen sozialen Unterschlupf zu suchen. Die
Folge war, daß seit Schluß des 9. Jahrhunderts die freien und
unfreien Hintersassen immer mehr zu der einen Klasse der grund-
holden Bauern verschmolzen, einer Klasse, in welcher die ursprüng-
liche Rechtlosigkeit der Unfreien und die absolute Rechtsfülle
der Freien zu einem neuen halbfreien Recht durchdrangen. Nach
diesem Recht lebte dann die Mehrzahl der deutschen Bauern vom
10. bis zum 12. Jahrhundert. Die Rechtslage der grundhörigen
Bevölkerung war seit dem 10. Jahrhundert im wesentlichen eine
einheitliche; flenn die vorhandenen Verschiedenheiten bei den
Grundholden hatten weniger in den Standesverschiedenheiten der
Vergangenheit als in dem abweichenden Charakter der einzelnen
Grundherren (König, Kirche, Laienadel) ihre Ursache.
Nun hat man aber zur Genüge nachgewiesen, daß die Grund-
herrschaft durchaus nicht das freie Bauernland ganz aufgesogen
und dem Stande der Gemeinfreien ein Ende bereitet hat, daß viel-
mehr durch das ganze Mittelalter hindurch ein vollfreier Bauern-
stand sich erhielt.
■) Ebenda S. 5 f. Zunächst kommt die Einleitung in Betracht 8. 1 — !).
r) Vgl. K. Lamprccht, Deutsches Wirtschaftsleben im Mittelalter.
3 Ilde. Leipzig 188Ö u. 80. Ferner von demselben die Artikel: Bauer,
Bauerngut und Bauernstand (im Handwürterb. der Staats Wissenschaften).
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8
Aii dii> andere Behauptung, „daß die Grundherrschaft alles,
was zu ihr gehörte, in das Verhältnis strammster Unterordnung
gebeugt habe,“ hat sich die Kritik noch nicht gewagt. Man
war sich einig, daß sich der Grundherr als Zwischeninstanz zwischen
Staat und Hintersassen einschob, daß vor allem jeder Grundherr
Inhaber der Gerichtsbarkeit wurde, daß also in der Grundherrschaft
— besonders durch das Institut der Immunität — Gerichtsherrschaft
über die Grundholden und Unfreiheit derselben einfach eingc-
schlossen waren. Denn „das neue halbfreie Hecht setzt den
Abschluß der Grundholden zu eigenen Gerichtsgemeinden voraus;“
es begründet allerdings „strafrechtlich eine gewisse Selbständigkeit
dieser Gemeinden gegenüber der Disziplinargewalt des Herrn und
seiner Vertreter1)“.
Mit der Erstarrung der Grundherrschaft, — um gleich die
Entwicklung durch das spätere Mittelalter zu verfolgen — die
eine Folge des Verfalls der grundherrlichen Eigenwirtschaft war,
bildete sich um die Wende des 12. und 13. Jahrhunderts auf
dem alten grundherrlichen Boden ein neuer Stand freier bäuer-
licher Pächter. Also die Grundherrschaft wurde aus der Betriebs-
grundherrschaft des früheren Mittelalters zur Rentengruudherrschaft
des 13. und der nachfolgenden Jahrhunderte, und die halbfreien
Grundholden wurden damit zu freien Pächtern. Der Grund hier-
für war darin zu suchen, daß der Pachtschilling nicht mehr der
Grundrente entsprechend war; er war schon im 10. Jahrhundert
festgesetzt worden und darum fürs 12. viel zu niedrig, ein Zustand,
der durch gütlichen Vergleich mit den Grundholden beseitigt
wurde. Der Grundholde erhielt die Freiheit, ward Erb-, Vital-
oder Zeitpächter seines früheren Herrn und zahlte dafür einen
der Grundrente angemessenen Pachtschilling. Das Recht der
neuen Pachtgüter war ein freies; nur vor den ordentlichen Ge-
richten konnten wesentliche Differenzen zwischen Pachtherr und
Pächter entschieden werden, kurz, der ganze Stand war völlig
frei. An die frühere Gebundenheit erinnerte nur noch, daß ein
sogenanntes Bauding bestehen blieb, eine Jahresversammlung der
Pächter des gleichen Herrn, und daß sich hier und da einzelne
Leistungen, wie Vorheuer u. a. erhielten.
') K. Lainprecht in dem Artikel: Bauer. Für «las folgende dieser
Artikel und „Ilaucrngut und Bauernstand.'1
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Kine glückliche Zeit hatte damit begonnen für den Bauern-
stand, der als der letzte der drei Stände sicli gebildet; ja, zu-
nächst war die Lage der Bauern so ausgezeichnet, daß „eine
Zeit bäuerlichen Übermutes und ritterlichen Neides gegenüber
stolz zur Schau getragenen bäuerlichen Heichtümem *)“ anbrach.
Das kam daher, weil die Abgaben an die Grundherren bei dem
Steigen der Grundrente in keinem Verhältnis zu den Einnahmen
der Bauern mehr standen. Als dann dieser Zustand eine Änderung
erfuhr und durch Vertrag die Grundholden zu freien Pächtern
wurden, die Grundherren dafür angemessene Zinse erhielten, hatten
gleichwohl die günstigen Verhältnisse auf dem platten Lande
Bestand, und zwar das ganze 13. und 14. Jahrhundert hindurch.
Dann aber, mit dem 15. und besonders seit der zweiten
Hälfte des 15. Jahrhunderts erfolgte ein rapides Sinken bäuerlichen
Glückes und bäuerlicher Wohlhabenheit; je näher man dem Bauern-
krieg kommt, umsomehr verschlechtert sich die Lage der Bauern.
Jetzt „erscheinen der Grund und Boden des Dorfes, seine Ge-
bäude, seine Einwohner als im Eigentum des Dorfherm befindlich“,
also die Schicht freier Pächter, die sich früher gebildet hatte,
ist jetzt plötzlich wieder verschwunden. Der Dorfherr hielt sich
für berechtigt, „für den Aufenthalt im Dorfe überhaupt unge-
messene Zinse und Dienste zu fordern1)“, „das persönliche Leben
von der Wiege bis zum Grabe unterlag den Zwangs- und Bann-
rechten der Grundherren3)“.
Als dann der Druck der Grundherren, die zum Teil gleich-
zeitig Landesherren waren, geradezu unerträglich wurde, erfolgte
die naturgemäße Keaction: die geknechteten Bauern, zum äußersten
gebracht, erhoben sich gegen ihre Ausbeuter und Unterdrücker.
Es begannen die agrarischen Revolten, die bekanntlich mit der
großen Revolution des Jahres 15*25 endeten: diese ergriff ganz
Süd Westdeutschland und dehnte sich über Franken und Thüringen
bis an die Elbe aus, ohne freilich über diese hinüberzusetzen. —
Mit dieser Erklärung des Bauernkrieges schließt sich für
uns, die wir die Ergebnisse der jüngsten Forschung für die Neu-
zeit verfolgt haben, der Ring nicht. Auch sonst stießen wir,
‘) K. Lamprecht a. a. 0. Es ist die Zeit des .Meier Uolmbreeht“.
*) Ebenda.
3) Theo Somincrlad a. a. 0. Vgl. die Amu. 4 S. 5.
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10
indem wir die ältere Lehre in ihren Hauptpunkten zusammen-
faßten und in großen Zügen die Ansichten eines ihrer Haupt-
vertreter Wiedergaben, auf seltsame Widersprüche. Ist es möglich,
diese auszumerzen, und war der (lang der Entwicklung derartig,
daß die Zustände auf dem platten Lande während des Mittelalters
sich mit denen während der beiden ersten Jahrhunderte der
Neuzeit ohne Schwierigkeit in Einklang bringen lassen?
Beginnen wir wieder mit dem früheren Mittelalter, und zwar
können wir uns da kurz fassen; wir brauchen nur das Gesamt-
ergebnis der oben erwähnten Publikation1) anzuführen.
Die Entwicklung des Bauerntums war nicht so, daß am
Schlüsse der Karolingerzeit die Bauern in Unfreiheit versanken,
um durch eine gewisse Halbfreiheit hindurch im 12. Jahrhundert
zur Freiheit emporzusteigen und während der beiden letzten Jahr-
hunderte des Mittelalters wieder zur Hörigkeit hinabzuneigen;
es ist nicht ein solches Auf und Ab wahrzunehmen, in gerader
Linie vielmehr führt die Entwicklung langsam aber stetig abwärts
zu einer eigentümlichen persönlichen Gebundenheit. Der Haupt-
fehler, in den man bisher verfallen ist, scheint der zu sein, daß
man die Verhältnisse, die man bei einer Herrschaft vorfand, für
das ganze Land generalisierte; und doch erfordert, wie wir noch
sehen werden, gerade das platte Land eine sorgfältige Untersuchung
nicht nur einer, sondern möglichst vieler Herrschaften, um die
soziale Lage der Bauern festzustellen, die Abhängigkeitsverhältnisse
derselben zu charakterisieren. Hätte man dies beachtet, wäre
man kaum darauf verfallen, der Grundherrschaft jene ungeheure
Wichtigkeit beizumessen, wie es geschehen ist.
Gewiß hat die Grundherrschaft, zumal in nachkarolingischer
Zeit, große Bedeutung, aber nicht als Herrschaft über den Grund
und Boden, sondern durch die mit ihr verknüpfte Immunität*).
Ober deren Entstehung und anfängliche Bedeutung können wir
■) Gerhard Socligcr, Oie soziale und politische Bedeutung der Grnnd-
liorrscliaft im früheren Mittelalter, bes. die SchluUbcmcrkung, S. 193 ff.
’) Die Immunität nimmt bei Sceliger mit liecht den größten Kaum
ein (S. 5l> — 173), denn die Entwicklung dieser Institution ist fiir das ganze
frühere Mittelalter von Bedeutung. Mit mancher bisher in Geltung gewesenen
Ansicht über die Immunität wird gerade hier aufgeräumt: vgl. z. B. S. 170
und 171.
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11
hinweggelien; wohl aber ist ihre Fortbildung im !). Jahrhundert
für uns sehr wichtig.
Die Immunität und die ihr verwandten Privilegien, die zahl-
reiche Grundherrschaften zu politischen und sozialen Machten
erhoben, waren vom König verliehen worden; dieser hatte den
Privatpersonen — denn das waren die Grundherren als solche —
öffentliche Befugnisse verliehen. Im !). Jahrhundert nun verlor
die Immunität den privaten Charakter und den Gegensatz zu den
staatlichen Institutionen, „Immunitätsherrschuft trat ein in den
Organismus der vom Staate geleiteten und beaufsichtigten Mächte.“
Damit hörte die Immunität zugleich auf, einheitlich zu sein und
überall dieselben Wirkungen zu haben; sie hatte nicht mehr die
Bedeutung als gleichmäßiges, dem herrschaftlichen Grundeigen
schlechthin zukommendes Vorrecht; vielleicht hat sie das auch
nie gehabt.
Eine weitere Folge war die, daß sich seit dem 10. Jahrhundert
die Gerichtsherrschaft, von der Grundherrschaft emanzipiert; „die
politischen Rechte und Gewalten, die aus der Immunität erwachsen
waren, lösten sich aus der Verbindung mit der Grundherrschaft,
bestanden fortan für sich.“
Hierin liegt die Entscheidung, denn durch diesen Verlauf
wurde verhindert, daß die Bauern, die grundhold geworden waren,
auch unfrei wurden. Es erfolgte aber gleichfalls nicht die Ver-
mischung von frei und unfrei zu halbfrei innerhalb der Grund-
herrschaft, nein, nur das Verhältnis der Bauern zu den ihnen
zunächst stehenden Trägern der politischen Gewalt änderte sich,
vor allem „das Verhältnis zu der Macht, die am ständigsten und
unmittelbarsten über sie Gewalt übte: zu den Inhabern der
niederen Gerichtsbarkeit.“
Nach der grundherrlichen Theorie waren das natürlich die
Grundherren. Für das Verfassungsleben unseres Volkes und für
die Gerichtsverfassung1} im besonderen war das lß. Jahrhundert
*) Vgl. II. Schröder, Lehrbuch der deutschen Heehtsgesehichte,
4. Aull. 1902. S. fi03 IT. Ich beschränke mich auf die genaue Wieder-
gabe des Wichtigsten, imiU zunächst aber, was die Entstehung der Nieder-
geriehte des späteren Mittelalters anlangt, mich noch im allgemeinen einem
Vertreter der grundhcrrlichcn Theorie ansehlielien, da andere Forschungen
nicht vorlicgcn; es geschieht indes mehr, um denselben zu widerlegen.
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12
eine Zeit durch greifen« ler Veränderungen und Neuordnungen. Die
Gerichtsverfassung wurde insofern abgeiindert, als die niederen
Landgerichte, abgesehen von ihrer Beschränkung auf die niclit-
eximierte Bevölkerung und den ehemaligen Niedergerichtssprengel
mit einer einzigen Dingstatt, ganz an die Stelle der früheren Grafen-
gerichte traten. Sie rückten also in der Kompetenz auf und
erhielten die Bezeichnung „Hochgericht“.
Unter ihnen bildeten sich — oder hatten sich schon gebildet?
für die Handhabung der niederen Gerichtsbarkeit neue Unter-
gerichtsbezirke, die sich in der Hegel auf einzelne Kirchspiele
oder Dorfschaften (mit Einschluß etwaiger Tochterdörfer) erstreckten.
Diese Dorfgerichte waren, früher noch als die Landgerichte, zu
grundherrlichen Gerichten geworden ') und mit der niederen Vogtei
verschmolzen, indem entweder die niedere Gerichtsbarkeit, wie in
den bayrischen Hofmarken, schlechthin den Grundheiren auf ihren
Besitzungen übertragen wurde, oder die mit der Gerichtsbarkeit
Belehnten ihre ( terichtsherrlichkeit zu voller Grundherrlichkeit
umzugestalten wußten. Da auch die Dorfgerichtc keine unteilbare
Einheit bildeten, so konnten die verschiedenen Gehöfte eines Dorfes
unter ebenso vielen verschiedenen Gerichtsherren stehen.
Waren wirklich in Südwestdeutschland denn von Bayern*)
sehen wir ab, weil da die Entwicklung zum 'feil anders vor sich
ging — bis zum Bauernkrieg Niedergerichtsbarkeit und Grund-
herrschaft ineinander verwoben? Wie erklären sich dann die
Verhältnisse bei Beginn der Neuzeit, wo die beiden Institutionen
sich ständig durchkreuzen? Wir erklärt sich das, da wir doch
gesehen haben, daß der Bauernkrieg keine Umwandlung schafft
und in der Folgezeit erst recht keine Änderungen mehr vor-
genommen werden? Ist die Ansicht von der alles unter sich beu-
genden Grundherrschaft — weil eng verschmolzen mit der Gerichts-
herrlichkeit, ja diese einfach in sich begreifend — die sich für
«las frühere Mittelalter als unhaltbar erwies, für das spatere
Mittelalter doch in Geltung, etwa in der Modification, daß „die
') K. Schröil<-r vertritt also starr die grundherrlichu Theorie. Wir
werden glcich'auf die Wicderlogung eingchen.
*) In Kurbavern ist besonders die Leibeigenschaft noch verbreitet und
wird mit der (ierichUherrlichkcit oft verschmolzen ; vgl. Th. Knapp a. a. 0.,
S. bä tl\ Th. Ludwig a. ». 0., S. 1SG f.
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13
mit Gerichtsbarkeit Belehnten jetzt ihre Gerichtsherrlickeit zu
voller Grundherrlichkeit umgestalteten?“
Das sind Fragen, zu denen uns die Widersprüche, auf die
wir gestoßen sind, einfach herausfordern. Könnte man, fragen
wir weiter, nicht zu einer Auffassung gelangen, die sich in Einklang
setzen ließe mit den für den Beginn der Neuzeit gewonnenen
Ergebnissen? Eine solche gibt es'), nämlich: „Die Entstehung
der Bannkreise und Bezirke der Niedergerichtsbarkeit, die im
10. Jahrhundert einsetzende Verteilung der provinzialen politischen
Gewalt unter verschiedene Besitzer, das hat Herrschaften ge-
schaffen, die wohl vom Großgrundbesitz ausgingen, aber sich
keineswegs an seine Grenzen hielten, sich vielmehr einzelne Teile
fremder Grundherrschatt, vor allem auch freies Bauernland unter-
warfen. Gerichtsherrschaft und die ihr vielfach überall nach-
folgende und sich mit ihr in die obrigkeitlichen Rechte teilende
Vogtei haben allgemein die untere Bevölkerung in Abhängigkeit
gebracht. Und diese Beherrschung der breiten niederen Be-
völkerungsklassen hat nicht aufgehört, sie hat auch im 12. und
13. Jahrhundert keine grundsätzliche Änderung erfahren.“
Diese Bannbezirke *) sind im 10. Jahrhundert entstanden;
eine längst mit Immunität ausgestattete Grundherrschaft hat sich
in den Besitz der fiskalischen Gerichtsgefälle und der zwingenden
Gerichtsgewalt selbst gesetzt, und zwar über ihr eignes grund-
herrliches Gebiet hinaus. Freilich war der Grad und der Umfang
der so erworbenen Gerichtsbarkeit verschieden und wurde im
weiteren Verlauf der Entwicklung immer verschiedener; doch das
eine Merkmal findet sich durchgehends : Loslösung von der Grund-
herrschaft.
» Wir wollen uns zunächst mit dieser allgemeinen Deutung
der spätmittelalterlichen Niedergerichtsherrlichkeit begnügen, auch
auf die Vogtei im Niedergericht, die Niedervogtei, hier nicht
weiter eingelien; wir werden uns mit den beiden Institutionen
noch genugsam zu beschäftigen haben. Mit voller Absicht nämlich
*) Oerhard Scoliger n. a. 0., S. 1U7. In der Hauptsache haben wir
hier die Entstehung der Bannkreise und Niedergerichtsbezirke erklärt und
zugleich eine Widerlegung der grundherrliehen Theorie, bcs. der Sc hröder-
schen Ansicht: vgl. Anm. 1 S. 11.
*) Ebenda, S. 117 !T.
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14
sind wir von den allgemeinen AbhangigkeitsverMltnissen der
Ilaucm abgegangen und haben uns mehr und mehr auf die
Niedergerichtsherrschatt beschränkt; diese, deren Entstehung wir
soeben skizziert haben, wollen wir von nun ab in das volle Licht
der Betrachtung rücken *).
Es wird dabei, wie ja auch unsere Überschrift besagt, die
Untersuchung des spatmittelalterlichen Niedergerichts, also für
die Zeit des 14. und 15. Jahrhunderts vorgenommen; wir werden
bis an die Schwelle der Neuzeit, bis an den Beginn der agrarischen
Revolten herangehen.
Das Gebiet*), auf das wir die Untersuchung ausdehnen, soll
ein begrenztes sein, nämlich das Gebiet «les Mittelrheins, da wo
Main, Nahe und Mosel einmünden, um zu einem guten und ab-
schließenden Resultat zu kommen. Das Ergebnis wird sich viel-
leicht für ganz Südwestdeutschland *) verallgemeinern lassen, denn
Schwaben, Franken, Elsaß und Deutsch-Lothringen, also ganz
Altdeutschland außer Sachsen und Bayern, zeigen im wesentlichen
dasselbe Bild sozial-historischer Entwicklung.
Die Grundlage für unsere Untersuchung sollen die Weis-
tümcr darbieten; doch bevor wir zur Darstellung übergehen,
müssen erst noch einige Bemerkungen über diese Urkunden vor-
ausgeschickt werden4).
’) Meine liier vorliegende Arbeit ist anzusehen als ein Teil einer
größeren Untersuchung, die die sozialen Verhältnisse des llauernstandcs
im späteren Mittelalter überhaupt ins Auge laßt. Teil gebe zunächst diesen,
wohl den wichtigsten Abschnitt und behalte mir vor, die anderen folgen
zu lassen. Vorausgehen müßte eigentlich eine Untersuchung über das
Hochgericht in diesem Zeitraum, aber das ist zum Verständnis der nie-
deren Rechtspflege nicht unbedingt notwendig; es wird genügen, wenn ich
bei Gelegenheit darauf liinweise.
a) Zu sehr beschränkt sich Heinrich Sicveking, Die rheinischen
Gemeinden Erpel und Unkel und ihre Entwicklung im 14. und 15. Jahr-
hundert. Leipzig 1891!.
3) Vgl. Th. Ludwig, a. a. 0., S. 185 ff. über die Verallgemeinerung
der für Raden gewonnenen Ergebnisse.
4) Vgl. Richard Schröder* a. a. 0. § 58. Die ländlichen Rechtsquellen.
Ferner K. Lamprccht a. a. 0. 2. S. C57 (f. Hier wird hauptsächlich von
den Weistiimem die Rede sein, welche das Niedergericht angehen; über die
verschiedenen Arten der Weistümer vgl. die Zusammenstellung durch Schröder
bei Grimm, Weist, lid. VII. S. 387 ff.
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15
Seit dem 13. Jahrhundert begann man die Weistümer oder
Öffnungen aufzuzeichnen. „Ne gesta rerum cum lapsu temporis
evanescunt, decet ea, quae geruntur in tempore, scripturae memoria
perennari“ ’); „ne facta modernorum, que digna .sunt memoria
posteronim, frustrentur ignorantia, decet et expedit ea sigillorum
et scripti munimine atque testimonio roborari’).“ So und ähnlich
heißt es in den Urkunden dieser Zeit, und das Weistum von
Wöllstein'1) beginnt mit folgenden Worten: „Durch die gewalt
des ewigen gottes seindt wir menschen ursprünglich vor alle andere
creaturcn diessen erdtboden handtheblich zue besitzen ’ordinirt,
warumbe wir auch gepflichtigt, vorsichtiger gesätz fruchtbarlich
zue leben, alss wass ein ewige handtfest geheischen soll werden,
dass bedarf!’ zeitiger vorraths, umb gneter begründung willen, dan
welcher baw auff ein unbefestlich iundament gesetzt wird, der
baw mag nit beharren; darbey sollen wir vorsehen: nachdem wir
menschen alle stund dess todss warten seind, darumb ist notli,
daß wir an stadt diesser wehrender Ordnung nit allein uff unss
vergänglich persohnen, alss die heut leben undt morgen dess todss
seind, setzen, sondern dass in geschrift verfassen sollen, uf dass
solche ohn argwöhn als löblich in gcdechtnuss bleibe möge.“
Obwohl sich nämlich eine typische Form für die mündliche
Weisung herausgebildet hatte, die die Weisung erleichterte und
den Inhalt derselben von Geschlecht zu Geschlecht übermittelte,
so war die Aufzeichnung jedenfalls sicherer. Besonders die geist-
lichen Herrschaften, die Stifter und die Klöster, bedienten sich
dieses Mittels, um sich bei Beeinträchtigung immer wieder auf
ihr schriftlich niedergelegtes Recht zu berufen.
Was die Weisung des Rechts und die Art, Satzungen oder
Gesetze zu normieren durch Erfragung der Untertanen, anlangt, so
ist dies bei uns von jeher gebräuchlich gewesen ; schon die Volks-
rechte scheinen auf diese Weise entstanden zu sein. Als dann
Gerichts- und Grundherrschaft infolge der von uns oben ge-
schilderten Entwicklung der Immunität zum Teil schroff aus-
einandergingen und sich daraufhin tiefgreifende Veränderungen
') Mittclrhcinisches Urkundenbuch lld. III. Nr. 1340.
’) Codex diplomaticus Rheno-Morsellanus Hd. II. Nr. 281. S. 427. Aus
d. Jahre 1277.
s) (Iriuiin, Weistfimer Hd. II. S. 157. Das Weistum ist v. Jahre 1480.
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bemerkbar machten, fixierte jede Herrschaft möglichst bald den
neuen Zustand und lieh ihr Recht schriftlich aufzeichnen. Dieses
wurde sodann an den Weisdingen nicht mehr mündlich vorgetragen,
sondern öffentlich verlesen und von der Gemeinde bestiitigt, gewiß
ein Fortschritt gegen die rohe Art der sich wiederholenden münd-
lichen Weisung.
Auch die niedere Rechtspflege hatte davon großen Vorteil,
einmal natürlich deshalb, weil die Herrschaft auf Grund des fest-
gelegten Rechts die Gerichtsbarkeit bequemer ausüben lassen
konnte und die Rechtsprechung darum geordneter wurde. Das
eben erwähnte Weistum von Wöllstein') bemerkt mit vollem
Recht: „ daß und angesehen, wie an regierung nit allein
der obrigkeit weisthumb des jahrgedingss, sondern auch an andrer
ubung dess gemeinen brauchs in Wöllstein an vielen stucken
initiier gar unlauter und unordentlich gepflogen ist, darab die
jahr mercklich beschwerung erwachsen.“ Ferner war dadurch
auch den Niedergerichtsuntertanen eine gewisse Sicherheit garantiert.
Die Herrschaft konnte nicht so leicht mit Beschwerungen gegen
sie Vorgehen oder ohne weiteres Änderungen eintreten lassen, weil
ihr dann das Recht des Weistums, das für die Herrschaft ebenso
bindend war wie für die Untertanen, entgegengehalten werden konnte.
In der Folgezeit sind dann hauptsächlich zwei Gründe die
Veranlassung zu einer Neuaufzeichnung des Weistums oder über-
haupt zu einer Aufzeichnung desselben. Der eine ist nämlich
dann gegeben, wenn die Herrschaft nach einer längeren Pause
ihre Gerechtsame wieder erfragte. Dann stellte sich jedesmal
heraus, daß die Menschen recht vergeßlich waren2), und um sich
für die Zukunft zu sichern, legte man das Recht, wie man es
nun mit Mühe und Not wieder festgestellt hatte, schriftlich nieder
und fügte gelegentlich, wenn einmal neue Zweifel auftauchten,
neue Antworten hinzu.
Die Weistümer sollten nur das althergebrachte Recht ent-
halten, wie „laut alten Herkommens“, „nach der Überlieferung
') Vgl. Grimm, Weistümer IW. II. S. 167. Vgl. auch G. v. Bclow
a. a. 0. S. 14.
7) Vgl. z. 11. das Weistum von Metternich v. J. 1401 in: Die Weis-
tfiiner der Itheinprovinz. I. Abteilung: Die Weistümer des Kurfürstentums
Trier. 1. Bd., herausgegen von Hugo Lörsch. Bonn 1900. Xr. 101.
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von ihren Eltern und Vorfahren“ die Dinge sich gestaltet hätten.
In der Tat sind sie aucli Bezeugungen des alten Rechts, das auf
dem platten Lande im allgemeinen nur wenigen Änderungen
unterworfen war. Aber ganz stabil ist es nicht; man bemerkt im
späteren Mittelalter auch auf dem platten Lande eine Fortbildung,
und ferner brachte die Ausbildung der Dorfgemeinde1), die in
nnserm Zeitraum vor sich ging, mannigfache Änderungen hervor.
Sonstige Umänderungen des Bestehenden fanden ebenfalls statt,
die Herrschaft verkaufte ihre Gerechtsame an eine andere, oder
das Verhältnis zwischen Herrschaft und Bauern erfuhr, wenn irgend
welche Streitigkeiten zwischen ihnen ausgebrochen waren, eine
neue Regelung, so daß man — das ist der zweite Hauptgrund —
sich zu einer neuen Aufzeichnung entschloß8).
Infolgedessen sollen bei unsrer Untersuchung nur die Weis-
tümer herangezogen werden, die nach ihrer Datierung vom 13. s)
bis Ende des 15. Jahrhunderts, also in dem für uns in Betracht
kommenden Zeitraum, entstanden sind, weil es sehr leicht möglich
wäre, daß spätere tiefergehende Veränderungen enthielten. Um
aber ein möglichst genaues Bild der Verhältnisse zu erhalten,
werden von uns auch die späteren, aus dem 1(5. Jahrhundert
stammenden benützt, doch nur, um die Ergebnisse zu stützen, die
wir aus den Weistümern unsres Zeitraumes gewonnen haben.
Es verlangt aber die Behandlung der Weistflmer4) eine ge-
wisse Sorgfalt, weniger mit Rücksicht auf etwaige Fälschungen
als vielmehr auf Auslassungen. Ein jedes Weistum enthält ge-
wöhnlich nur eine bestimmte Materie, entweder das Recht der
Herrschaft, sei es der Niedergerichts- oder der Grundherrschaft,
oder das des Niedervogts oder sonst ein Recht, freilich nicht
immer vollständig, sondern nur insoweit, als es die betreffende
') Auf die Entstehung der Dorfgemeinde kann nicht eiugegangen
werden. Ich verweise auf Sieveking, der sich mit dieser Präge beschäftigt.
(A. a. O. S. 36 ff.) Ich werde diese Frage noch mehrfach zu berühren
haben, aber sie nicht beantworten.
s) Vgl. die Weistümer von Metternich, und zwar das von 1491 mit
dem v. J. 1563. Lörsch, Weistümer Nr. 101 u. 102.
*) Aus dem 13. Jahrh. stammen ganz wenige. Vgl. die Anlage.
4) Herangezogen sind die Weistümer gesammelt von Jakob Grimm,
fortges. von Richard Schröder (7 Ilde. Göttingen 1840 — 78), und besonders
die von Hugo Lörsch herausgegebenen Weistümer der Rlicinprovin* I., I.
Groscb, Niedergericht 2
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Herrschaft erfragt hatte; Nachträge durfte sie darum jederzeit
machen.
Die Gerechtsame, die andere Herrschaften im selben Dorfe
hatten, mußten dabei oftmals gestreift werden, nämlich dann,
wenn sie mit denen der erfragenden Herrschaft konkurrierten; die
Aufzeichnung dieser Gerechtsame ist natürlich erst recht unvoll-
ständig1). Wenn daher bei einem von der Niedergerichtsherrschaft
erfragten Weistum die Rechte des Niedervogtes erwähnt werden,
so ist damit durchaus nicht gesagt, daß der Niedervogt nur diese
Rechte gehabt hätte®); er konnte noch andere haben, die aber
die Herrschaft nicht aufzeichnen ließ, weil sie kein Interesse
daran hatte.
Dieser Umstand ist es vor allem, der die Behandlung der
Weistümer erschwert; man wird immer fragen müssen nach dem,
der sich das Recht weisen läßt, und zur richtigen Interpretation
der meisten Weistümer gehört eigentlich die genaue Kenntnis
sämtlicher hoher und niederer Herrschaften eines Dorfes und
ihrer Gerechtsame. Indes so vollständig und gesichtet liegt das
Urkundenmaterial wohl nirgends vor, und wenn man trotzdem an
„Untersuchungen auf Grund der Weistümer“ geht, so muß man
eine Anzahl Niedergerichtsbezirke untersuchen. Dann fällt ein
Irrtum, in den man bezüglich eines Dorfes oder einer Herrschaft
ja einmal gerät, nicht so schwer in die Wagschale, das Gesamt-
ergebnis wird ihn wieder tilgen. Das ist der Weg, den wir eiu-
schlagen wollen.
!) Ein recht vollständiges Weistum, eine richtige Ilorfordnung, ist das
von Wellmich v. J. 1509. Lörsch, Weistümer Nr. 30.
s) Siehe das Weistum von Oberhiracnach und Karbach: Lörsch, Weis-
tümer Nr. 34. Hier werden die Kochte des Niedervogtes nur unvollständig
gewiesen.
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I. Abschnitt.
Überblick über die Niedergerichte.
Ein Überblick') über die Niedergerichte oder besser die
Niedergerichtsbezirke wird uns am ehesten mit den besonderen
Verhältnissen eines jeden derselben bekannt machen. Es werden
die Unterschiede deutlich hervortreten, die das eine Niedergericht
von dem andern aufweist, zugleich aber auch das, was sie alle
miteinander gemein haben, oder was wenigstens mehrere zu einer
Gruppe mit bestimmten Kennzeichen vereinigt. Dieser Überblick
wird nicht nur auf das allgemeinste sich zu erstrecken haben,
sondern wir werden jedes Niedergericht genau untersuchen und
das für unsere Absicht Wichtige festlegen, dabei manche Fragen
berühren, auf die wir später näher einzugehen haben, andere
wenigstens aufwerfen, deren Beantwortung wir freilich im Rahmen
unserer Darstellung nicht durchführen können. —
Das erste unserer Niedergerichte ist Mündersbach bei Hachen-
burg*). Hier besitzt Dietrich d. J. von Isenburg Güter, wie es
heißt, das sogenannte alte Erbe. Dieser Grundbesitz war ver-
erbpachtet an Leute des genannten Dorfes, und der Grundherr
') Vgl. die Anlage, wo die hier zu untersuchenden Niedergerichte von
mir zusamuiengestellt sind.
*) Urkundenbuch zur Geschichte der jetzt die prcuQiscben Regierungs-
bezirke Koblenz und Trier bildenden mittelrhcinischcn Territorien. 3 Bdc.
Koblenz 18(>0 — 74. (Künftig zitiert als: Mittelrheinisches Urkundenbnch.)
III. Bd. Nr. 930. I >ic Urkunde stammt aus dem Jahre 1247. Hachenburg
liegt im Oberwesterwaldkreis (L. G. Neuwied): es ist die frühere Haupt-
stadt der Grafschaft Sayn.
2*
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setzt die Abgaben fest, die die Beliehenen zu leisten haben.
Weiter bestimmt er, daß „jeder, der Gut daselbst von ihm besitzt,
ihm jährlich zu Fastnacht ein Huhn geben soll,“ und ferner,
„daß alle Inhaber seines Gutes dreimal jährlich zu seinem Hof
daselbst kommen sollten, um anzuzeigen, ob der Grundherr irgend
einen Abbruch an seinen Gütern erlitten habe, oder wenn einer
dem andern ein Unrecht zugefügt hat, damit er — Dietrich —
urteile, wie das Recht es erfordere').“
Wir erfahren also, daß Dietrich der Jüngere zu Mündersbach
Grundbesitz hat, den er in Erbpacht5) ausgab; seine Erbpacht er
müssen dreimal jährlich in seinen Hof daselbst kommen, einmal
um zu melden, ob irgendwelcher Abbruch am herrschaftlichen
Gut geschehen ist, und ferner, um anznzeigen, wenn einer dem
andern ein Unrecht zugefügt hat. Darüber wird dann gerichtet,
wie das Recht es erheischt, und zwar, wie es scheint, von dem
Inhaber der Herrschaft persönlich. Denn für Besitzänderung hat
die Urkunde die ausdrückliche Bestimmung, daß die betreffenden
Leute, die Gut abtreten oder neu erwerben, „zu uns oder zu
unseren Beamten“ kommen sollen, während bei der dreimaligen
Tagung des Gerichts von „Beamten“ (officiales) nichts erwähnt
wird.
Der Grundherr ist also zugleich Niedergerichtsherr, und er
leitet die Niedergerichtsherrschaft aus seiner Grundherrschaft ab;
wer Gut von ihm besitzt, ist zugleich sein Niedergerichtsuntertan.
Eine ähnliche Herrschaft5), und zwar im Besitze des Erz-
bischofs von Trier, ist das Dorf Wiebelsheim4).
') Item quicumquc possidet bona nostra in villa supradicta, dabit nobis
pulluin unum annuatiin in depositiono carnium. Kl omncs possossorcs
bonorum nostrorum vcnicnt tribus vicibus in anno ad curiam nostram ibidem
sitain accusaturi, si aliquote defectum haboamUB bonorum nostrorum, vol si
aliquis eorum altcri iniurictur, ut indc, sccundnm quod ius eiigit, iudicomus.
*) Ks heißt: „ . . . . quod nos bona nostra in Wundersbach, quno
dicuntur antiqua hcreditas, concessiinns hominibUB dictae villae .... hcro-
ditarie in perpetuum possidenda.“
*) Ich werde in diesem Abschnitt häufig das Wort „Herrschaft“
schlechthin verwenden: die genaue Abgrenzung der Machtbefugnisse der
einzelnen Herrschaften, Gerichts-, Grundherrschaft usw. gebe ich erst im
zweiten Abschnitt.
4) Lörsch, Weistümer Nr. '29 § 1 und § 3.
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„Der gnädige Herr von Trier hat ein Gericht zu Wiebelsheim1)
mit einem Schultheißen und sieben Schöffen, mit jährlich zwei
ungebotenen Dingtagen, und der Schultheiß soll das ungebotene
Gedinge besitzen von wegen des gnädigen Herrn.“ Auch hier
gehören zum Gericht alle, die von Trier belehnt sind, ausgenommen
die Witwen und der Hirte. Der Schultheiß selbst ist Wirtschafts-
beamter2) der erzbischöflichen Grundherrschaft, die sich wohl
über das ganze Dorf erstreckt, wenigstens wird von einer anderen
nichts erwähnt. Der Schultheiß hat als solcher vor allem die
Wahl des Besthaupts bei Todesfall vorzunehmen; beim Verkauf
wird ihm das Lehen aufgelassen, und der Käufer soll dem
Schultheiß Handgelübde tun, dem Erzbischof treu und hold zu
sein. Alle Schmälerungen am herrschaftlichen Gut hat er zu
rügen.
Also auch in Wiebelsheim innige Verbindung zwischen Nieder-
gerichts- und Grundherrschaft; der Schultheiß des Dorfes ist vom
Herrn, dem Erzbischof von Trier, eingesetzt und übt in dessen
Namen die Funktionen des Niederrichters und des Wirtschafts-
beamten der Grundherrschaft aus.
Genau so liegen die Verhältnisse von Wellmich’). Hier
hält der Schultheiß das Hochgeding4) am nächsten Montag nach
dem Dreikönigstag, den anderen Dingtag am Montag nach Ostern
und den dritten Dingtag am Montag nach Johanni. Das Gericht
ist besetzt mit einem Schultheißen und sieben Schöffen; der
Schultheiß führt im Namen des Erzbischofs den Vorsitz an den
') Wiebelsheim liegt im Kreise St. Goar (Regierungsbezirk Koblenz),
südwestlich von Oberwesel: in unsenn Zeitraum zum Amt Oberwesel ge-
hörend, untersteht es in Ilocbgerichtssachcn dem Amtmann daselbst. § 24.
*) §§ 6, 8, 20 und 21.
3) Lörsch, Weistümer Nr. 30 § 1. Wellmich liegt am rechten Rhein-
ufer, rhoinabwärts unweit St. Goarshausen. Mit dem Gallschcider Hoch-
gericht wurde es zu einem Amt und Hochgericht vereinigt gegen Endo des
15. Jahrhunderts. Vgl. Lörsch, Weistümer Nr. 15 § 8 mit Nr. (17) §3.
Das W'cistum Nr. 17 führe ich deshalb in Klammern an, weil es nicht be-
zeichnet, aber in der ganzen Reihe bei Lörsch mitgezählt ist.
*) Hochgeding ist nicht Hochgericht. Dieses hält der Amtmann von
Wellmich ab. Ich verweise auf das Ende meines IV. Abschnitts: Das
Wcisding.
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drei ungebotenen Dingen'); er wird auch von ihm eingesetzt
und schwört nur ihm, oder wem der Erzbischof dies befiehlt.
Außer den ungebotenen finden noch weitere Gerichtssitzungen
statt. Hat nämlich jemand etwas zu rügen vergessen, der soll
nach vierzehn Tagen kommen und soll es Vorbringen, denn
dann hält man ein Afterding ab, man „schlägt das Gericht zu
vierzehn Tagen auf“. Ferner kann ein sogenannter ungewöhnlicher
Gerichtstag gehalten werden vor stehenden Schöffen, indes nur
auf Antrag einer Partei, und diese muß dein Gericht dafür acht
Weißpfennige geben: handeln die Parteien aber solange, daß die
Schöffen niedersitzen müssen beim Geben von Klage und Antwort,
so ist dem Gericht die Kost an diesem Tage in ziemlicher Weise
zu geben.
Den Vorsitz führt immer der Schultheiß, und wenn man alle
vierzehn Tage Gericht hält, so steht es doch dem Schultheißen
zu*). Der Schultheiß ist zugleich Gerichtsknecht3); er muß das
Ding, besonders das ungewöhnliche ansagen, die Leute an das
Gericht entbieten und die Pfändungen vornehmen; er hat also,
obwohl er selbst den Vorsitz im Niedergericht hat, zugleich das
Amt des Büttels zu versehen.
Der Schultheiß erfüllt seine Obliegenheiten im Auftrag des
Erzbischofs, nicht etwa als Beamter der Dorfgemeinde. Mit der
Verwaltung der Gemeinde hat er nur insofern zu tun, als er bei
der Ernennung der eigentlichen Gemeindebeamten mitwirkt, aber
auch hier wieder als Vertreter oder Beauftragter des Erzbischofs.
Es ist streng zu scheiden zwischen dem Niedergericht des
Dorfes Wellmich, dessen Personal der Schultheiß und die sieben
Schöffen bilden, und der Gemeindebehörde des Dorfes, den Beamten
der eigentlichen Dorfgemeinde; es sind dies, genau wie in
der Stadt, die Bürgermeister und der Rat. Also der Schultheiß
ist nicht der Ortsvorstand in unserem Sinne, wie der heutige
Schultheiß etwa.
*) Das Weistum von Wellmich (Lörsch, Weistiiiner Nr. 30) v. J. 1509
ist so ausführlich, daß der Zollschreiber von üoppard, Christoph Eschen-
fclder, zwei Tage nötig hatte, es aufzunchmen, nämlich den 20. April und
den 9. Mai jenes Jahres. Es kommen zunächst in Hetracbt §§ 1, 2, 6, 8 u. 70.
*) § 71. s) § 8 und §§ 19, 75 und 7G.
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23
Bei der Einsetzung1) der einzelnen Beamten und der Be-
hörden kommt dies zum Ausdruck. Den Amtmann als Richter
über Hals und Bauch*) und den Schultheiß als Niederrichter
setzt der Erzbischof ein; das Schöffenkollegium der Sieben wird
so ergänzt, daß die Schöffen beim Fehlen eines oder mehrerer
an Stelle jedes fehlenden Schöffen drei Leute dem gnädigen Herrn
zum Vorschlag bringen; der läßt aus diesen den Mangel ersetzen
durch seinen Amtmann, den Zollschreiber oder sonst jemand.
Also der Schultheiß hat als solcher bei der Ergänzung des
Schöffenkollegiums nicht mitzuwirken; infolgedessen ist die Stellung
der Schöffen ihm gegenüber eine freiere und unabhängigere.
Dagegen wirkt der Schultheiß bei der Ernennung der Dorf-
behörden mit, denn Schultheiß und Rat mit den alten Bürger-
meistern wählen die neuen Bürgermeister und den neuen Rat,
also die Organe der Dorlverwaltung *), so oft es nötig ist. Der
Schultheiß vereidigt sie des gnädigen Herrn und der Gemeinde
wegen. Ebenso setzt der Schultheiß mit den Bürgermeistern die
Feldschützen ein, und der erstere nimmt wegen des gnädigen
Herrn und der Gemeinde wegen den Eid von ihnen.
Der Schultheiß ist Beamter nur des Kurfürsten und darum
der Gemeinde übergeordnet: es tuen, heißt es ausdrücklich, Gebot
und Verbot der Amtmann und der Schultheiss wegen des gnädigen
Herrn, und die Bürgermeister der Gemeinde wegen. Deshalb ist
der Schultheiß auch frei vom Gemeindedienst, „aber zu wachen
soll er mitt Zusehen“.
Das Niedergericht zu Wellmich ist wie das in Wiebelsheim
zugleich Verwaltungsgcricht der Grundherrschaft, was besonders
dadurch erleichtert wird, daß Niedergerichtsbezirk und Grund-
herrschatt zusammenfallen und keine Zwischengewalt weiter daselbst
Einfluß hat. Wenn daher ein Gut von einer Hand in die andere
kommt, außer bei Vererbung auf die direkten Nachkommen,
soll Empfängnis geschehen vor dem Schultheißen und den Schöffen ;
*) Vgl. fürs folgende die §§ 11, 15, 20 und 21, 79.
*1 Vgl. die Anmerkung 3 S. 21.
*) Vgl. hierzu Theodor Knapp, Über die vier Dörfer der Reichsstadt
Heilbronn (a. a. 0., S. I IT.): II. Hauptteil: üemeindeverfassang und landes-
herrliche Regierung, 8. 43 ff. Ich werde am linde des letzten Abschnittes
darauf zurückkommen.
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als Handändernngsgebühr fallen zwei Weißpfennige drei Heller,
dem Schultheißen ein Weißpfennig, das andere den Schöffen1).
In Wirtheim2) — eine weitere geistliche Herrschaft ohne
Vogtei — gehört das Eigentum des Bodens, Grundes, Wassers,
Landes und der Weiden der Dorfmark dem Stift, Dechant und
Kapitel von Aschaffenburg zu. Ebenso hat das Stift die Gerichts-
herrschaft, denn es hat den Schultheiß, der das Gericht nach altem
Herkommen besitzen soll, einzusetzen, gelegentlich auch abzusetzen.
Einmal, im Jahre indes sollen Dechant und Kapitel persönlich
das Gericht besitzen, im Sommer oder Winter, wann es ihnen
bequem ist; dann soll die Gemeinde die Kosten, die die An-
wesenheit der Herren verursacht, von Rechts wegen und ohne
jede Widerrede aufbringen. Zu der Zeit, wenn sie das Gericht
besitzen, dürfen Dechant und Kapitel in der Dorfmark Fischfang
treiben und der Jagd obliegen, „und mögen auch ein hasen mit
iren winden und hunden hetzen und ein repphune oder ein ander
wildhume beiszen und fallen“. Von Jagdfronen oder dergl.,
die die Eingesessenen dabei zu leisten hätten, findet sich nichts
erwähnt.
Das recht dflrftige Weistum von Oberrod3) berichtet mir,
daß die Herren von Frankfurt4) in Dorf und Gericht zu Oberrod
zu gebieten und zu verbieten, zu setzen und zu entsetzen haben;
ferner, daß die Herren von Frankfurt — es ist damit Bürger-
meister und Rat dieser Stadt gemeint — von jedem, der zu
Oberrod sitzt nnd eignen Rauch hält und zu „Weg und Steg“
geht, jährlich ein Fastnachtshuhn und nach seinem Tode ein
Besthaupt erhalten 5).
>) § 78.
*) J. Grimm, Weistümer IM. V, S. 309 §§ 1, 2, 10 und 11. Das
Dorf liegt am linken Ufer der Kinzig, oberhalb Gelnhausen. Da die
Grimmsche Sammlung keine besonderen Krklfirimgeii nnd dazu nötigen
Urkunden bei den einzelnen Wcistiimcrn gibt., sondern in der Regit mir
einfach das Weistum auffiilirt, liäulig sogar nur als Fragment., habe ich nur
diejenigen beigezogen, deren Inhalt einer besonderen Erklärung nicht bedarf.
3) J. Griinm, Weistnmer lid. I. S. 520.
4) Oberrod liegt unweit. Frankfurt, nämlich am linken Mainufer, dicht
bei Sachsenhausen. Vgl. K. Bücher, Die Bevölkerung v»n Krankt. a.,'M. I,
8. 658.
s) S. dazu die Ausführungen im III. Abschnitt.
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Das Gericht selbst besteht aus einem Schultheißen und sieben
Schöffen; wer Gut zu Oberrod inne hat, der soll jährlich die
Gerichte der drei ungebotenen Dinge aut'suchen; tut er es nicht,
wird er für jedesmaliges Unterlassen mit 20 Pfennig gebüßt —
Die bisher geschilderten Niedergerichtsbezirke haben ein
gemeinsames Kennzeichen: innerhalb der Dorfmark hat nur eine
Herrschaft Gerechtsame1); neben ihr sitzt weder eine andere
Herrschaft, noch findet sich zwischen ihr und den Untertanen
irgend eine Zwischengewalt. So ist es indes nicht in allen, viel-
leicht nur in den wenigsten Niedergerichtsbezirken; besonders
auf eine Institution — auf die Zwischengewalt zwischen Herrschaft
und Untertanen — trifft man in den meisten Niedergerichten;
wir meinen die Vogtei oder, wie wir zum Unterschied von anderen
Vogteien*) sagen wollen, die Niedervogtei, die fast in allen einer
geistlichen Herrschaft gehörigen Niedergerichten zu vollem Recht
besteht. —
In Kesselheim3) ist Grundherr des ganzen Dorfes das Marien-
stift zu Aachen: „Ecclesia Aquensis habet et possidet totam villam
in Kessel lieym tamquam suum verum predium et purum allo-
dium4).“
Der Niedervogt ist anfänglich der Graf von Wied, und zwar
ist er damit vom Propst der Aachener Kirche belehnt5). Der
Graf hat aber die Niedervogtei weiter begeben, denn es hat sie
von ihm der Ritter Dietrich von Hadamar erhalten; dieser scheint
in der Folgezeit über die Niedergerichtsbarkeit hinaus Gerecht-
') Darauf, daß im selben Dorf nur eine Herrschaft sitzt, lege ich nicht
besonderes Gericht, nur muß ich diesen Fall bei der Gruppierung der
Niedergerichte berücksichtigen.
*) Z. ft.: die Vogtei im Hochgericht, die Markvogtei, die Vogtei über
eine reine Grundhorrschaft u. a.
3) Lörsch, Wcistümcr Nr. 77 und 78. Itesonders die Einleitung zu
den Weistuinern. Die Zeit der Abfassung der beigezogenen Weistümer ist
in der Anlage erwähnt.
4) Lörsch, Weistümer Nr. 77 §1. Kesselheim liegt am Khein und
gehörte zum Hochgericht der Bergpflogc (das alte Hochgericht auf dem
linbenheiiner Berg: vgl. Lörsch, Weistümer Nr. 74 — 7fi); die Bcrgpllege
ist wio das Gallscheidcr Hochgericht ein kurtrierisches Amt geworden:
sie umfaßte etwa den heutigen Landkr. Koblenz.
5) Ebda § 3: Ipscquc comes teilet eam iure foodi a domino preposito
ecclcsie Aquensis.
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same beansprucht und sich Eingriffe in die grundherrlichen Rechte
erlaubt zu haben. Aber die Grundherrschaft wachte scharf darüber,
daß der Niedervogt seine Befugnisse nicht überschritt, und es
gelang der Kirche tatsächlich, den Ritter auf seine Vogtrechte
zu beschränken. Denn der Ritter von Hadamar entsagte am
17. März 1347 in seiner Eigenschaft als Vogt allen Übergriffen,
die er sich in bezug auf die Herrlichkeit und das Gut des Marien-
stifts in Kesselheim erlaubt hatte, und gelobte, das Stift fürder-
hin an der freien Einsetzung eines Hofverwalters nicht zu hindern.
Die Niedervogtei war durch diesen Vertrag nicht berührt
worden, sie bestand in vollem Umfange weiter. Denn der Vogt
war gehalten, auf Grund seiner Vogtei jährlich drei Gerichtstage
an den bestimmten Terminen im Hofe des Marienstifts daselbst
abzuhalten; an allen andern Gerichtstagen dagegen hatte er nichts
anzuordnen und kein Recht'). Die Niedervogtei selbst fiel am
7. Nov. 1486 bei der Teilung des Nachlasses der Elisabeth von
Brohl, der Witwe des Wilhelm von Vlatten, an Georg von der
Leyen, Herrn zu Olbriick, und an Dietrich von Braunsberg.
Nachdem aber sämtliche Anteile an der Herrschaft Brohl bis 1554
an den minderjährigen Wilhelm von Braunsberg gelangt waren,
erscheint dieser gemäß einer Urkunde vom 22. Juni 1558 im
Besitze der Vogtei ’).
Becheln’), im trierischen Erzbistum gelegen, ist insofern von
dieser letztgenannten Herrschaft verschieden, als wir hier eine
weltliche Niedergerichtsherrschaft bevogtet finden. Die Besitzer
sind die Grafen von Nassau; von allen Wetten, die „verdedingt“
werden, erhalten sie zwei Teile, der Junker von Greifenklau den
Rest. Wenn indes die Grafen auf ihren Anteil verzichten, dann
darf auch der Junker den ihm zufallenden Teil der Wetten nicht
eintreiben.
') § 4. Item in omnibus aliis iudiciis idem advocatus nicbil disponerc
ncc quidquam iuris habet. Die andern Gerichtstage hält der Verwaltungs-
beamte der Grundherrschaft wohl ab: vgl. meinen letzten Abschnitt.
*) Vgl. W. Günther, Codex diplomaticus Kheno-Mosellanus. (5 Udo-
Koblenz 1822—26) IV. Bd. 8. 672 Nr. 368: „. . . . Item die Vaydic und
Gute mit iren Gerechtigkeiten zu Kesselheim.“ V. Bd. Nr. 56: S. 322 Nr. 155.
3) Grimm, WeistSmer I. Bd. S. 595. Das Weistum enthält nur die
Hechte des Niedervogtes. Becheln liegt unweit der Mündung der Lahn in
den Rhein, südlich von Ems.
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Dieser ist Niedervogt1); er erfragt das Weistum vor der
versammelten Dorfgemeinde; er erhillt die Fastnachtshühner, und
wenn einer außerhalb des Dorfes einen Garten macht, so soll er
dem Junker ein Gartenhuhn geben, „oder soll zehenden geben
bussen des dorfs freiheit, ' oder wie er dan mit sein lieb ge-
worden kan.“
Wenn ein Schöffe ausbleibt vom ungebotenen Ding, ist er
dem Junker verfallen um 20 Pfennige, und bleibt einer der Nach-
barn der Gemeinde aus , so zahlt er 1 0 Pfennige. Auf die Er-
nennung der sieben Schöffen, die zum Teil aus Frücht stammen *),
oder auf die Ergänzung des Schöffenkollegs hat er keinen Einfluß;
überhaupt scheint der Junker nur einen Dingtag im Jahre zu
haben, an dem die Weisung erfolgte; „was er oder jemand in
seinem Namen entscheidet an diesem Tage, das sollen die Schöffen
tun.“ Das betr. Weistum läßt uns über so manches unklar, was
wir gerne wissen möchten, obwohl es recht weitschweifig abgefaßt
ist; es wird nur noch genannt der Schultheiß des Junkers und
erwähnt, daß die Schöffen dem Junker und dem Schöffenstuhl
schwören.
Die beiden Niedergerichtsherrschaften, die wir nun betrachten
wollen, erstrecken sich nicht nur über ein Dorf, sondern über
zwei, die nicht weit von einander entfernt liegen und je einen
gemeinsamen Niedergerichtsbezirk bilden. Es sind dies die Dörfer
Oberhirzenach und Karbach einerseits und die Vogtei Beulich und
Morshausen andrerseits.
Hirzenach5) besteht aus den beiden durch den Lindenbach
getrennten Dörfern Oberhirzenach und Niederhirzenach. Zwischen
beiden, in der Gemarkung von Niederhirzenach, liegt die Propstei
Hirzenach der Abtei Siegburg, die 1110 begründet wurde4).
*) Ob der Junker auch grnndherrlichc Gerechtsame hier besitzt, ist
zweifelhaft. Es wird ihm nämlich dor Fronhof zugewiesen, wo das Gericht
tagt, und dem Dorfe die Pflicht auferlegt denselben in gutem Zustande zu
erhalten. Vgl. Abschnitt III.
*) Frücht scheint mit Becheln einen Niedergerichtsbezirk gebildet zu
haben: die Verhältnisse wären dann so wie in den beiden nun folgenden
Niedergerichten. Frücht liegt 4 km. nördlich von Becheln.
5) Lörsch, Weistftincr Nr. 33. Einleitung: ferner Nr. 34.
*) Vgl. Mittelrhcinischcs Urkundenbuch II. Bd. S. CLXXVII: Hirzenach.
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Erloph von Stomberj? nämlich, ein Ministeriale Kaiser Hein-
richs IV., übergab letzterem sein Allod Hirtzenauwe, und der Kaiser
schenkte es auf die Kitte des Erzbischofs Friedrich von Köln der
Benediktinerabtei Siegburg zur Gründung eines Klosters, die Abt
Kuno in dem erwähnten Jahre vollführte. Dotiert wurde die neu
gegründete Propstei mit den beiden Dörfern Hirzenach und zwei
anderen Dörfern, die vermutlich gleichfalls zum Aliud Erlophs
gehört hatten.
Mit Oberhirzenach nämlich war der Ort Karbach, zu dem
der Hof Quintinach zugeschlagen war, mit Niederhirzenach der
Ort Kheinbay verbunden. Es bildeten Oberhirzenach und Karbach,
ebenso Niederhirzenacli und Rheinbay ') einen Niedergerichtsbezirk.
Die Schirmvogtei *) über die Vogtei war uisprünglich dem
Reiche Vorbehalten. Schon um die Mitte des 13. Jahrhunderts
ist sie indes von der Abtei Siegburg, da ihr die Ausübung der
vogteilichen Rechte und Geschäfte zugestanden worden war, geteilt
und als Lehen vergeben worden, und zwar die über Oberhirzenach
und Karbach an die Pfalzgrafen als Inhaber der ihnen vom Erz-
stift Trier zu Lehen gegebenen Ehrenburg, die über Niederhirzenach
und Rheinbay an die Rheingrafen; diese kam nach mannigfaltigem
Wechsel mit der durch Erzbischof Balduin 1320 erworbenen Veste
Stemberg als deren Zubehör an das Erzstilt Trier.
Die Niedervogtei über Oberhirzenach und Karbach3) blieb
') Bis vor etwa 50 Jahren bildeten — diese Angabe verdanke ich dem
jetzigen Ortsvorstehcr von Niederhirzenacli, der mir eine dahingehende An-
frage bereitwilligst beantwortete — Niederhirzenacli und kheinbay eine
gemeinsame Dorfgemeinde: also erst in jüngster Zeit ist die Trennung der
beiden Ortschaften durchgeführt worden. Es kann dies ein weiterer Beweis
dafür sein, daß die Dorfgemeinde erst im späteren Mittelalter im Anschluß
an die Entwicklung der Stadt — daher auch die gleiche Bezeichnung der
Behörden — sich gebildet hat und zwar unter dem Niedergericht, dessen
Competenz sich indes auch über die Dorfverwaltung orstreckte.
’) Vgl. Pani Wagner, Die Entwicklung der Vogteiverhältnissc in der
Siegburger l’ropstoi zu Hirzenach. Annalen des histor. Vereins für den
Niederrhein LX1I, 35. Hirzenach liegt am Mittelrhein, etwa in der Mitte
zwischen Boppard und St. (ioar.
3) Nur dieser Bezirk soll hier untersneht werden. Das Weistum von
Niederhirzenacli von 143f> ist aufgenummen nach einer Abschrift aus dem
17. Jh., und zwar ist es teilweise verfälscht, trotz der gegenteiligen Be-
hauptung von Lörsch.
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Zubehör der von Kurpfalz lehnrührigen Herrschaft Ehrenberg.
„AVer den obersten Stein zu Ehrenberg inne hat, hat jährlich
zwei Dingtage des genannten Gerichts der Vogtei wegen“ heißt
es darum im AVeistum v. J. 14521).
Dieses Weistum, auf das wir näher eingehen müssen, enthält
hauptsächlich die Gerechtsame der Propstei Hirzenach. Die Rechte
des Niedervogts werden nur insoweit angemerkt, als sie die der
Herrschaft berühren oder mit ihnen konkurrieren. Der Hergang
bei der Erfragung des Weistums ist dafür bezeichnend*); es sind
anwesend der Propst von Hirzenach, der Untervogt und die sieben
Schöffen des gen. Gerichts.
Der Propst läßt zunächst durch seinen Schultheiß um einen
Vorsprecher bitten, ihm und seinem Gotteshause einige Fragen zu
beantworten, was der Untervogt gewährt. Als „verspreche“ wird
daraufhin einer der Gerichtsschöffen bestimmt, und dieser fordert
den Untervogt auf, des Propstes und des Gotteshauses wegen an
die Schöffen verschiedene Fragen zu richten. Der Untervogt legt
dann immer die betr. Frage den Schöffen vor, worauf sich diese
kurze Zeit beraten und sie dann durch einen Mitschöffen beant-
worten lassen. Der Schultheiß des Propstes hat demnach bei der
AA’eisung eine ganz untergeordnete Rolle; dagegen ist der Unter-
vogt auch dabei der Vorsitzende.
Nach der Weisung der Schöffen nun 3) linden in jedem Jahre
in dem gen. Gericht drei ungebotene weisliche Dingtage statt,
und zwar werden zwei Dingtage dem zugewiesen, der den „obersten
Stein von Ehrenberg“ inne hat; der dritte steht dem Propste zu.
Der Untervogt (faid)4), der bereits mehrere Male erwähnt
wurde, ist dem Propste und dem Gotteshause zu Hirzenach eben-
sowohl mit Eid und Huhl verbunden wie den Niedervögten (gleich-
falls „faiden“) von Ehrenberg, einem jeden nach seinem Rechte.
■) Lörsch, Weistümer Nr. 34 § 3.
J) Ebenda. Eingangs des Weistums und § 1.
*) Ebenda. § 3.
4) | 5. Die gleiche Benennung des Beamten und des eigentlichen In-
habers der Gerechtsame (faid), auf die ich hier stieß, war für mich der
hauptsächlichste Grund, die Bezeichnungen Nieilcrvngt und Niedervogtei
anzuwendon: gleichzeitig war die Untorschcidung vom Vogt des Hochgerichts
mit bestimmend.
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Der Untervogt ist Vorsitzender im Niedergericht, denn es wird
von ihm ausdrücklich gesagt, daß er das Gericht von Hirzenach
besitzt'), aucli an dem Dingtag, an dem der Propst Gerichts-
herr ist.
Über die Ergänzung des Sehöffenkollegs und die Einsetzung
der Schöffen erfahren wir nichts; bei der Weisung sind sieben
zugegen. Auch von den Bezügen aus der Niedervogtei wird nicht
gehandelt, weil eben nur die Rechte des Propstes gewiesen werden
und dieser keinen Anteil daran hatte.
Dagegen wird aufgezeichnet: „Dar off liant die scheffen ob-
genant gewijst eime proibste zu Herzenauwe und dem gotzhuse
daselbs zu die erste kure aller besten heubt in dem egenanten
gereichte, nach dem ein proibst zu Herzenauwe sij ein rechter
grunthere desselben gereicht« s).“ Denn dem Propst und seinem
Gotteshause wird „das Eigentum des Gerichts“ zugewiesen, Propst
und Gotteshaus werden für einen Grundherrn und für den „Geber
der Wälder“ des genannten Gerichts erklärt.
Nun wird auch die Stellung des Schultheißen klar; er ist
Wirtschafts- und Verwaltungsbeamter der Grundherrschaft, der
mit der niederen Rechtspflege nichts zu schaffen hat. Er hat nur
dann im Niedergericht, bei Weisungen usw., zu tun, wenn er als
Vertreter des Propstes bestellt wird 5).
Mit der Vogtei von Beulich und Morshausen liegt es ganz
ähnlich4). Sie ist seit 1255 im Besitze des Johann von Waldeck,
dessen Burg sich etwa 4 km südlich von Beulich befand. Im
14. Jahrhundert war sie Lehen der Herrschaft Kobern, gelangte
mit dieser an die Grafen von Sayn, und als letztere i. J. 1347
die Herrschaft an den Erzbischof Balduin, diesen ständigen Mehrer
ein ietliche fait, der dan zu zijden besiegen ist das ob-
gcBchriben gerächte zu Herccnauwe . . . .“
*) § 7 und das folgende: § 1.
3) Eingangs des Weistums und § 9. Dem Propste wird gewiesen (§ 7):
„ .... die erste kure aller besten heubt . . . ., nach dem ein proibst . . .
sij ein rechter grunthere . . . .“ Also wieder das Resthauptrecht ein Aus-
lluU der Grundherrschaft. Vgl. Abschnitt III.
4) Lörsch. Wcistümer Nr. 18. bes. die Einleitung zum Weistum. Ras
Weistum ist undatiert. Es ist kein eigentliches Weistum, sondern nur eine
auf Grund eines Weistums von einem kurfürstlichen Kellner angefertigte
Aufzeichnung über die Leistungen der Uevogteten von Reulich und Mors-
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trierischer Macht, verkauften, kam sie an das Erzstift Trier. Be-
lehnt blieben mit der Vogtei die Herren von Waldeck.
Nach dem Tode Simons von Waldeck 1370 nahm plötzlich
wieder der Graf Johann von Sayn die Lehnsherrschaft in Anspruch:
aber der Erzbischof behauptete sein wohlerworbenes Recht und
belehnte mit der Niedervogtei als einem Mannlehen am 5. Juni
1385 den Emmerich von Waldeck, nachdem der Graf von Sayn
nach einem längeren Streit auf jedes Anrecht darauf verzichtet
hatte').
Im 15. Jahrhundert ist dann das Lehen geteilt worden; 1467
besaß Johann Boos von Waldeck ein Sechstel der Vogtei und noch
ein Fünftel, das vor ihm die Familie Eich inne gehabt hatte.
Mit diesen beiden Anteilen blieb die Familie Boos von Waldeck
bis 1787 belehnt, während die andern Teile anscheinend nicht
weiter verliehen wurden, sondern in der Hand des Kurfürsten von
Trier blieben.
Also die Herren von Waldeck, und seit der Mitte des
15. Jahrhundert noch einige andere Familien, die man unter dem
gemeinsamen Namen Lehn- oder Vogtherren *) zusammen faßte,
wurden vom Erzbischof von Trier mit der Niedervogtei Beulich-
Morshausen belehnt. Wie gestalteten sich bei dieser Lage die
Verhältnisse des eigentlichen Niedergerichts8)?
Es haben am Mittwoch nach St. Marxtag ') drei gebanne
Tage statt und ebenso am Mittwoch nach St. Paul drei gebanne
hausen an den Kurfürsten und an die von ihn) mit einem Anteil an der
Vogtei belehnten Herren von Waldeck. L>as Feuerstättenbuch des Kurfürsten-
tums Trier von 1563 führt die Leistungen ebenso auf, das Weistum ist also
älter, vermutlich noch aus d. 15. Jalirh. Die beiden Orte liegen im Kreise
St Goar; sie gehörten zum Gallscheider Hocligoricht.
') Vgl. Codex diplom. Kheno - Mos. III. Bd. S. 499 Nr. 341; S. 742
Nr. 521: * .... die Vadyen von Bulychc und von Moyrshausen“ (1370);
S. 834 Nr. 589: „. . . . bebcltliche yme (Trier) doch der obersten Herschafft
und des Hocngerichts derselben Dorffcre und siner Hoebe und Gute daselbes,
die nyt zu derselben Vodycn gehorent und waz Besserung von
den geuellct, die sal halb myns Herren von Triere . . . und halb myn sin,
beheltnisse doch myme vurgen. Herre und simc Stifftc des Hocngerichts
und Busen, die Lyff und Gut antreffent, und was dazu gehocrct, darane ich
keyn Recht han oder haben sal.“ (1381.)
*) Lörsch, Weistüincr Nr. 18 § 1. *) Ebenda, die §§ 1 — 3.
4) St Marxtag ist der 25. April; St Paul wohl der 25. Januar.
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Tage; also das Gericht tagt zweimal jährlich und zwar immer
drei Tage.
Den Vorsitz führen zwei Untervögte; es hat nämlich der
gnädige Herr von Trier einen Untervogt (vaigt) und die Lohn-
herren haben ebenfalls einen. Der Untervogt des Kurfürsten
schweigt und der der Vogtherren dingt; was er dingt, soll dann
des gnädigen Herrn Vogt richten, „und sollen doch beide bei
einander sein.“
Über Schöffen, ihre Zahl und ihre Ernennung erfahren wir
nichts; es mag vielleicht in einem älteren Weistum darüber be-
stimmt gewesen sein; in dem uns vorliegenden Auszug ist nichts
darüber enthalten.
In Schwanheim ') ist der rechte Grundherr das Kloster anf
dem St. Jakobsberge bei Mainz, denn bei der Weisung der „rechte,
lryheide und herlickeide, die ein apt und ein convent des cloisters
nff sant Jacobsberg by Mentze als ein rechter gnindhcrr, und die
stnit Franckfort als eyn foyt hont fallende in dorffe, gerichte und
marcken in Sweynheim“, wird ersterem, eben als dem rechten
Grundherrn, Wald, Wasser und Weide zu rechtem Eigentum zu-
gewiesen; wer zu Schwanheim etwas besitzt, der besitzt es zu
rechtlichem Erbe von ihm.
Die Niedervogtei hat die Stadt Frankfurt inne; die ganze
Einwirkung der Herrschaft, in unserem Falle also des Abtes von
St. Jakobsberg, auf die Niedergerichtsbarkeit besteht darin, da Li
ihm der Untervogt der Stadt Frankfurt, der „underfaut des ubriston
faute“, ebenfalls nach seinem Rechte nnd Herkommen schwören
soll, nnd (lall er von den Gerichtsgeldern ebensoviel erhält wie
der Inhaber der Vogtei, nämlich von jedem Pfund elf Schillinge.
Der Untervogt soll alle Gebote und Verbote, die der Schult-
heiß erläßt, — natürlich als Wirtschaftsbeamter wie in Kessel-
heim — ausführen helfen. Fenier hat der Untervogt (faut) drei
ungebotene Dinge im Jahre abzuhalten, das erste im Mai, das
zweite im Herbst und das dritte zu Neujahr. Was an Frevel
und Rußen fällt, wird geteilt zwischen Abt, Niedervogt und der
Dorfgemeinde.
') Grimm, Weistümcr Bd. I. S. 521. Schwauheün. früher Swcinheim,
auf dem linken t'fer des Mains, Höchst gegenüber. Das Weistum ist er-
fragt im Iuturessc der Grundherrschaft.
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Ähnlich liegen die Verhältnisse in Odisheim1). Hier ist der
Grundherr ebenfalls das Kloster auf dem St. Jakobsberg bei Mainz.
Mit der Gerichtsbarkeit, und zwar mit der Hlutgeriehtsbarkeit ist
vom Abte des gen. Klosters der Junker von Isenburg belehnt.
Dieser setzt einen „fautli“ ein, der in seinem Namen jährlich drei
ungebotene Dinge halten soll. An jedem dieser Dinge darf der
Junker da sein „mit innglichem gesyndt“, „unnd was zu dene
drye ungebode dingenn verzirt wirdt, do soll ane gebenn wydwenn
unnd weysen, unnd wer inne pflicht ist.“
Dagegen hat der Abt einzusetzen den Schultheiß, der das
Gericht alle vierzehn Tage abzuhalten hat, das dem Abte zusteht.
Der Schultheiß hat, wie es heißt, „das vierziengen dage gericht“
zu Gensheim *). Ursprünglich liatte der Schultheiß wohl nur dem
Abte zu schwüren, wenigstens findet sich in dem Weistum von
1455 keine Erwähnung, daß er auch dem Vogte hätte schwören
müssen. Dagegen ist er nach einem späteren Weistum’) ver-
pflichtet, „als der gekoren schultheiszen zu geloben und zu
schweren, zum ersten unserm herrn dem apt und dem konvent
zu s. Jacob und darnach dem voigte und der gemeine, iglichem
zu seinen rechten.“
In Eich4) hat das Stift St. Paul zu Worms die Gerichts-
herrschaft, und zwar auch die hohe. Die Vogtei über Eich besitzt
Hermann von Hohenfels; sie erstreckt sich über die ganze Gerichts-
herrschaft, hohe und niedere; der Herr von Hohenfels, der von
den Pöngeldern, den „Freveln“ einen oder zwei Teile erhält, soll
dreimal alle Jahre auch das Niedergericht besitzen oder durch
') Gensheim oder Geinsheim, am rechten Ufer des Kheins gelegen,
gegenüber Oppenheim. Grimm, Weiätümcr Bd. I. S. 490 u. Bd. V. S. 239.
Es scheint, daß Gensheim sich aus einem Niedergericht zu einem Hochgericht
entwickelt hat: auf Grund der Weist ümer allein läßt sich indes diese Ent-
wicklung nicht verfolgen.
*) Oder: Vierzigtage-Gcricht, also Gericht alle sechs Wochen.
Siche IV. Abschnitt: Tagung.
5) Das Weistum ist undatiert, vermutlich aus dem XVI. Jahrh.
4) Grimm, Weistümcr Bd. I, S. 808: Über den Fischzehnten zu Eich.
Ferner Bd. IV. S. 628 bes. die §§ 5, 6, 9 und 11. Eich liegt am Khein
zwischen Worms und Oppenheim, etwa Gernsheim gegenüber, und gehörte
zum Wormser Sprengel. Das Weistum ist im Interesse der Gerichtsherrschaft
erfragt und enthält hauptsächlich deren Hechte.
Grosch, Niedergerlclit 3
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seinen Untervogt abhalten lassen. Wenn der Sehultheiß der
Herrschaft, der das Recht hat, mit dem Untervogt zu Gericht zu
sitzen, von seinem Rechte Gebrauch macht, so teilen die beiden
die „Wetten“, die gerade fallen, unter sich. Tut er es nicht,
so behält sie der Untervogt allein.
Der Schultheiß, „den“, wie das Weistum vermerkt, „dieselben
Herren da zu Dorfe haben“, darf täglich Gericht daselbst haben
und besitzen ihretwegen; er soll einem jeden, der es fordert und
begehrt, sein Recht werden lassen. Wenn der Untervogt an diesen
gebotenen Gerichtstagen nicht teilnimmt, so braucht der Schultheiß
nicht mit ihm die Gerichtsgelder zu teilen; dagegen muß der
Vogt oder sein Untervogt dem Schultheißen beistehen, wenn er
in der Ausübung seines Amtes auf Widerstand stößt.
Der Schultheiß ist von der Herrschaft ferner über das Dorf
gesetzt; er hat „alle eynunge zu machen und zu setzen und nit
ein faudt“; aber, wie eben bemerkt, er ist von der Herrschaft
dazu bestellt und nicht etwa von der Dorfgemeinde zum Vor-
steher oder dergl. erwählt.
In Trimbs1) hat der üurggraf von Reineck alle Jahre drei
Vogtgedinge (vaitgedinge) abzuhalten und zwar in dem Hof der
Frauen von Kaufungen. Dafür erhält er die vorgeschriebenen
Dienste; doch wenn er zu einem Geding nicht kommt, so hat
ihm der Schultheiß an Stelle der ausfallenden Dienste drei Mark
kölnischer Währung zu geben.
Burgschwalbach5) ist eine weltliche Herrschaft, denn Eigentum
und Grund des Dorfes und Gerichtes mit allem Zubehör hat die
Herrschaft Königstein geerbt von der Herrschaft Falkenstein; es
ist 1453 im Besitze Eberhards von Eppenstein, des Herrn vom
Königstein.
Die Vogtei ist im Besitze des Junkers Bernhard von
Schwalbach; die Vögte von Sehwalbach — also ähnlich wie die
*) Grimm', Weistnrner Bä. II, S. 470. Das Dorf Hegt an der Nette,
Östlich von Mayen.
*) Grimm, Weist firner Bd. I, S. 591. Wo Schwalbach liegt, ist nicht
ganz gewiß; vielleicht ist cs das zwischen Dörsdorf und Kirberg gelegene,
oder noch wahrscheinlicher das Schwalbach zwischen Künigstcin und Höchst,
bei Soden und Sulzbach.
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Vögte von Rübenach') — sind schon seit alters mit derselben
belehnt, und so ist der Junker „ein geborener Vogt“ des Dorfes;
aber nur zu drei Teilen. Den vierten Teil nämlich besitzt der
Niedergerichtsherr, der Herr vom Königstein, da er denselben
dem „fayd“ abgekauft hat.
Das Gericht selbst ist besetzt mit einem Schultheißen und
sieben Schöffen; es wird gehegt des Herrn von Königstein und
der Vögte von Schwalbach wegen und aller derjenigen wegen, die
Recht und Macht daselbst haben. Dieser Ausdruck läßt ver-
muten, daß ursprünglich mehrere Herrschaften zu Schwalbach
saßen; aber erwähnt wird 1453 außer der Königsteiner keine
andere mehr, nicht einmal eine Grundherrschaft. Soviel ist sicher,
daß mit der Niedergerichtsbarkeit nur der Niedervogt zu tun hat,
dem deshalb die Schöffen schwören müssen, „getruwe und holt
zu sin, sinen schaden zu warnen, als ferre sie macht und cratft
trüge“.
Das Dorf Planich endlich2) ist ein Beispiel dafür, daß der
Niedervogt geradezu die volle Niedergerichtsherrschaft erlangen
konnte. In diesem Dorfe hat die Herrschaft das Domstift zn
Mainz; in seiner Grundherrschaft schon ist es eingeschränkt,
denn es bezieht das Kloster auf dem St. Jakobsberg bei Mainz
daraus den Zehnten und die Kirchsatzungen; mit der Nieder-
gerichtsherrschaft hat es fast gar nichts mehr zu tun, diese übt
in vollem Umfange die Herrschaft Löwenstein als Inhaberin der
Niedervogtei.
Aus dieser Lage der Dinge ist es zu erklären, daß alle drei
Herrschaften als „unsere lieben gnädigen Herren“ bezeichnet
werden, daß jeder neugesetzte Schöffe erst dem Domstift zu Mainz,
dann dem Abt des Klosters zu St. Jakobsberg und schließlich
den Edelherren von Löwenstein schwören soll. Auch das Kloster
') Vgl. dazu I.örseh, Weistümcr Nr. 87— 89. Nachtrag 105 und 106
Das älteste Weistum stammt aus d. J. 1519 und ist recht dürftig; ich
verweise darum hauptsächlich auf die Einleitung zum Weist. Nr. 87. Die
Herrschaft hat in Itübenach die Abtei St. Mazinim zn Trier; die Niedor-
vegtei war im 13. Jh. im Besitze eines Geschlechtes, das sich nach derselben
„Vögte von Itübenach- nannte. Zu Anfang des 14. Jahrhs. starb dieses
Geschlecht aus. Itübenach gehört zur Bergpflege.
*) Grimm, Weistümer Bd. I, S. 810. Planich (ehemals Blenich) liegt
am rechten Ufer der Nahe, unweit Kreuznach.
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auf dem St. Jakobsberg hat demnach für seine Bezüge grunrl-
herrliches Recht, was besonders dadurcli zum Ausdruck kommt,
daß es dem Niedervogt alle Jahre ein Binger Fuder Weines zu
entrichten hat.
Es könnte auffallen, daß der Niedervogt erst an dritter Stelle
genannt wird; man ist versucht, daraus den Schluß zu ziehen,
daß seine Herrschaft unbedeutender sei, als die der beiden anderen.
Aber es scheint, daß ihm die dritte Stelle nur deshalb angewiesen
ward, weil er ein Ritter ist, und daß die anderen Herrschaften
vor ihm rangieren, weil sie als geistliche Herrschaften auch
sonst über ihm standen. Seine Gerechtsame sind weitaus wichtiger
als die des Klosters St. Jakobsberg, und das Domstift Mainz
steht auch hinter ihm zurück. Der Umstand, daß die Schöffen
ebenfalls der Grundherrschaft den Treueid leisten müssen, ist so zu
erklären, daß sie als Grunduntertanen für die Grundherrschaft
Obliegenheiten zu erfüllen haben1).
Der Niedervogt ist ganz uneingeschränkt; er hat die vollen
Bezüge aus der Niedervogtei, ferner „wer da sesse jar und tag
ane nachfolgende herren, den mochten die vorg. herren von Lewen-
stein beluden und in eren eid dun“; die zwei ungebotenen Ding-
tage besitzt in ihrem Namen ihr Amtmann; kurz „die Herren
von Löwenstein sind Herren und Richter5) zu Planicli über Feld
und im Dorfe, soweit die Mark geht und die Schöffen und das
Gericht weisen, Kirche und Witwen ausgenommen.“
Man sieht daraus, daß hier Niedervogtei einfach gleich-
bedeutend mit Gerichtsherrschaft ist; die Niedervögte haben darum
ganz andere Gerechtsame als das Kloster von St. Jakobsberg und
das Domstift3).
wan daz ir Schultheiß kommet .... und vnrdert ire zinse,
so sullent die schetteu und der budcl zu Bienchen emo also gehorsam sin
zu dren verzcnnachten “ Der Schultheiß wiederum der ltcamte
(Wirtschafte- und Vcrwaltaugsbeamtcr) der Grundherrschaft.
J) Von Blutgerichtsbarkeit ist nicht die Kode, es ist N iedorgerichtsbarkeit.
3) G. Seeliger (a. a. 0., S. 120) bemerkt: .Auch die Immunität, die
am Grundbesitz haftet, hat öffentlichen Charakter, sie schuf nicht Befugnisse
kraft privaten Hechts.“ Die daraus abgeleitete Gerichtsherrschaft hat darum
auch öffentlichen Charakter, ist also eine stärkere Gewalt als die Grund*
herrschaft, die immer auf privatrechtliehor Grundlage ruht. Vgl. ebda.
S. 198 f.
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Bisher haben wir Niedergerichte behandelt, bei denen die
Herrschaft sich über den ganzen Bezirk erstreckte; sie schieden
sich in zwei Gruppen: bei der einen war keine Zwischengewalt
zwischen Herrschaft und Untertanen vorhanden, bei der anderen
schob sich zwischen die Herrschaft und Untertanen eine besondere
Gewalt ein: der Niedervogt Damit ist aber noch nicht alles
gesagt, was sich über die Vielgestaltigkeit der Niedergerichte
bemerken lallt, im Gegenteil, die Mannigfaltigkeit beginnt erst jetzt.
Um uns nicht die Untersuchung zu erschweren, müssen wir,
unseren späteren Erörterungen vorausgreifend, gleich hier einige
Bemerkungen eintlechten, die uns über weitere Besonderheiten
orientieren sollen.
Es kam vor, dall im selben Dorfe nicht nur eine, sondern
mehrere voll ausgebildete Grundherrschaften saßen; von ihnen
hatte aber nicht jede die Niedergerichtsbarkeit über die eigenen
Besitzungen und Grunduntertanen, sondern der einen von ihnen
war es gelungen, die Niedergerichtsherrschaft über das ganze
Dorf zu erwerben. Am ehesten konnte dies geschehen, wenn eine
weltliche und eine oder mehrere geistliche Grundherrschaften in
einem Dorfe begütert waren; dann lag es für die geistlichen
Herrschaften nahe, der weltlichen die Niedervogtei einzuräumen,
und auf Grund dieser konnte dann die weltliche ihre Befugnisse
zur vollen Niedergerichtsherrschaft ausdehnen.
So ist es in Metternich1); hier finden sich folgende Grund-
herrschaften: Es haben die Herren von Isenburg, der Abt von
Marienstadt und der Abt von Himmerode je einen Dinghof daselbst
mit Gütern und Zinsen-, desgleichen haben der Abt von Sayn
und der Abt von Rommersdorf einen Hof daselbst*).
Die Niedergerichtsherrschaft über das ganze Dorf hat aber
der Herr von Isenburg, denn ihm steht es zu, daß kein Amt
l) In der Bergpllege. Lörsch, Weistümer Nr. 101 — 104. Das Weistum
v. J. 1401 (Nr. 101) scheint deshalb von dem Junker üerlach von Isenburg
erfragt worden zu sein, weil dieser nicht mehr wußte, was ihm für Gerecht-
same in Metternich zustandeu. Seit zwei Menschenaltern etwa hatten die
Herren von Isenburg ihr Recht nicht mehr ausgeübt, und so sind 1491 diu
Leute von Mettornich über manches iin Zweifel. Wir müssen, da kein älteres
Weisturn vorliegt, uns an das v. J. 1491 halten. Vgl. bes. die §§ 1 — 4.
*) Lörsch, Weistümer Nr. 102 § 2 und § 10.
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daselbst angesetzt oder befohlen wird ohne seinen Willen; die
vierzehn Schöllen des Niedergerichts haben die Herren von Isenburg
in fröherer Zeit wohl allein vereidigt oder auf iliren Hof ver-
eidigen lassen, und zur Erfragung des Weistums von 1491, ja
sogar noch 15(53 wird die ganze Gemeinde von ihnen zusammen-
berufen und „vergadert“, nicht nur ihre Grunduntertanen ').
Allerdings scheinen die Herren von Isenburg wie vor 1491
so auch nachher ihre Pllichten nicht erfüllt und ihre Gerechtsame
nicht wahrgenommen zu haben. So linden wir denn, daß 1563
der Kurfürst von Trier — als Landesherr und als Herr der Herg-
pflege, denn besondere Gerechtsame hat er vordem in Metternich
nicht gehabt — die Niedergerichtsherrschaft über das Dorf erlangt
hat. „Metternich“, heißt es jetzt, „daß dorf mit sambt seinem
bezirk, auch allen inwoneren, ess sien anderer hem eigenleut ader
nit, gehören einem erzstift und dissem churfurst zu Trier mit
der hocheit, gruntgerechtikeit, mit gepot, verpot und schütz, on
allen mittel allein zus).“
Die Herren von Isenburg dagegen haben nur noch die
Gerechtsame, wie sie die andern Grundherrscliaften des Dorfes
auch besitzen3).
Genau so liegen die Verhältnisse in Piesport3). Hier linden
die Schöffen drei Grundherren, und zwar ist die vornehmste
Grundherrschaft die von Esch6); ferner haben der Kurfürst von
Trier und die Edelherrschaft Üeren6) hier eine Grundherrschaft.
Die Niedergerichtsherrschaft besitzen die von Esch; aus diesem
Grunde wird sie als die vornehmste bezeichnet. Ihre Gerechtsame
scheint sie erlangt zu haben auf Grund der Niedervogtei, denn
') Lörsch, Weistflmer Nr. 101. Hingangs des Weistums.
*) Nr. 102 § 1.
s) Vgl. mit dem Weistum Nr. 102 die Weistflmer Nr. 103 und 104.
*) Grimm, Weistflmer II. Bd. S. 344. Das Weistum ist v. I. 1575,
ziemlich unklar gehalten und, wie es scheint, verstümmelt. Piesport ist der
bekannte Weinort am linken Moselufer unterhalb Neumagen. Es gehörte
in unserer Zeit zum Berncasteier Hochgericht. Vgl. K. Lamprecht,
Deutsches Wirtschaftsleben I. Bd. 1, S. 170 ff.
6) Esch liegt an der Salm, westlich von Piesport, an der alten Kölner-
straffe von Trier nach Mayen.
“) Ob hierunter das Kloster St. Irmin odor Deren bei Trier zu ver-
stehen ist, kann ich nicht entscheiden: ich halte es aber fflr leicht möglich.
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bereits am 5. Januar 1285') werden in einem Spruch über fünf
streitige Punkte die Gerechtsame und Bezüge im dornkapitularischen
Hefe Piesport zwischen dem Trierer Domkapitel und dem Herrn
von Esch — dem advocatus, was hier sicher Niedervogt bedeutet,
denn Piesport gehört, wie bereits erwähnt, zum Berncasteier Hoch-
gericht — geregelt. Es wird dabei bestimmt, daß der Vogt am
Hofe des Domkapitels kein Recht weiter haben soll, „als dreimal
im Jahre, wenn er sein Gericht abhält, das man gewöhnlich
„Frongedinge“ nennt, fünf Schillinge trier. Den. zu empfangen und
nur dann, wenn er Recht spricht über streitige Angelegenheiten
der Herren und des Hofverwalters5)“; außerdem erhält er aus
dem Vogtgut jährlich */* Ohm Wein.
Zur vollen Niedergerichtsherrschaft haben es die Herren von
Esch nicht gebracht. Sie haben die Bußen, die sie eintreiben
müssen, in drei Teile zu teilen, wovon sie einen erhalten, und
je einen erhalten die beiden anderen Herrschaften. Sie sind
eigentlich nur Niedervögte, worauf eine Bestimmung besonders
hinweist; will nämlich ein Bürger von Piesport den Richtern
nicht gehorsam sein, soll er durch den Boten ergriffen und in
den „ploch“ geschlagen werden; hier wird er bei Wasser und
Brot solange gehalten, bis er gutwillig Gehorsam leistet. Kann
er sich selbst oder können ihn seine Freunde ausbürgen, dann
fällt den Herren von Esch von dem Stock, worin er gelegen hat,
ein Goldgulden. Diesen Vorzug vor den anderen Herrschaften
haben die Esch eben wegen der Niedervogtei.
Von dem Niedergericht erfahren wir nur, daß es mit einem
Meier und den Schöffen besetzt ist, und daß Meier und Schöffen
sich mit den Herren zu Gericht setzen sollen, wenn es den Herren
selbst beliebt, zu Gericht zu kommen.
Daß auch eine geistliche Herrschaft die Niedergerichtsherrschaft
über andere Grundherrschaften besitzen konnte, dafür ist zunächst
ein Beispiel das Dorf Weilbach1).
') K. Lamprccht a. a. 0. III. Bd. Nr. 68.
a) Item super secundo pmnuntiamus, quod advocatus in dicta curtc
penitus nichil iuris habebit, nisi tribus viribus in anno, qtiando tenebit suuui
piacitum. quod dicitur vulgariter „vronegedinge“, habebit quinque s. Trcv.
d., si iustitiam fecerit de iudicatis dominis ct curtario predictis.
3) Weilbach liegt zwischen Mainz und Höchst. Das Weistum bei
(Jrinim, Weistümer III. Bd. S. 741.
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In diesem Dorfe sind begütert das Kloster auf dem St. Jakobs-
berg bei Mainz, das Stift zu Erbach, das Deutschordensstift zu
Frankfurt und das Stift St. Stephan zu Mainz. Die Nieder-
gerichtsherrschaft hat das Kloster auf dem St. Jakobsberg '). Die
Abhängigkeit der anderen Herrschaften kommt dadurch zum Aus-
druck, daß jede von ihnen ein Glied ihres Stiftes als „muntbur“
zu setzen hat; dieser „muntbur“ soll die drei ungebotenen Dinge
zu Weilbach besuchen oder diese Verpflichtung mit Wissen und
Willen des Schultheißen des Abtes von St. Jakobsberg abtragen.
Zum Schultheißen des Gerichts ist nicht ein Grundhöriger
des Abtes bestellt, sondern es ist der Junker Dietrich von Erfen-
bach vom Abte als Schultheiß belehnt. Er hat im Namen des
Abts das Gericht abzuhalten und hat den Vorsitz an den unge-
botenen Tagen, was sich daraus schließen läßt, daß der „muntbur“
nur mit seinem Wissen und seiner Zustimmung die Verpflichtung
ablösen kann. Die Tage für die drei ungebotenen Dinge sind
der Montag nach Philippi und Jacobi, der St. Remigiustag und
der dritte Tag nach St. lirictiustag 3).
Jedenfalls soll der Schultheiß persönlich das Vierzehntag-
Gericht besitzen; ist er jedoch verhindert, so soll er einen anderen
als Stellvertreter ernennen, der indes aus dem Gericht stammen
muß. Von den Bußen, hier Fronen genannt, erhält der Schultheiß
ein Drittel, zwei Drittel empfängt das Gericht, bestehend aus
sieben Schöffen.
Das Grundeigentum, Hubgüter oder andere, die in des Abtes
Gericht liegen, sollen ebenfalls vor dem Gericht aufgelassen
werden; wenn dem nicht nachgekommen wird, soll der Schultheiß
Buße verhängen.
Ein weiteres Beispiel ist Güls3); auch in diesem Dorfe besitzt
eine geistliche Grundherrschaft die Niedergerichtsherrschaft über
andere, allerdings geistliche Grundherrschaften genau wie in
Weilbach.
') „Item zum ersten, das ein abt uf saut Jacubsbergk sy ein rechter
obrister erber und grttntber des dorfs und gerichts zu Wilbach."
*) Philippus und Jacobus ist der 1. Mai, St. Reinigiustag der 1. Oktober
und St. lirictiustag der 13. November.
*) hörsch, Weistftmer Nr. 93 — 100; Einleitung zürn Weistum 93,
S. 257 ff.; ferner die Anlagen 1 — 5 daselbst, tjftls liegt in der Bergpllege.
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Tn Güls sind begütert die Abtei Rommersdorf, das St Servatius-
still zu Maastricht, das die sogenannten elf Hufen besitzt, und
die Abtei Siegburg. Die beiden ersteren haben nur grundherrliche
Gerechtsame, jede von ihnen hat von ihren Höfen bestimmte
Dienste und Abgabe zu fordern '). Dagegen hat die Abtei Sieg-
burg nach dem Weistum von 1385 Eigentum, Gericht und
Herrlichkeit zu Güls, also die Niedergerichtsherrschatt über das
ganze Dorf2).
Schon in den Stiftsurkunden für Siegburg von 1064 und 1066
wird Güls als einer der Orte angeführt, wo der Abtei vom Erz-
bischof Anno Güter angewiesen werden; es werden Güls und
Bettendorf der Sehirmvogtei des Pfalzgrafen Hermann von Gleiberg
unterstellt3). Anno regelt das den Vögten an den Gerichtstagen
zu reichende Servitiuin, und für Güls wird dabei die besondere
Bestimmung getroffen, daß der Niedervogt hier kein Bier erhält,
weil es daselbst keines gibt.
Diese Niedervogtei ist zunächst Bestandteil der pfalzgräflichen
Berechtigungen gewesen, von den Pfalzgrafen aber bald weiter
verleimt worden. Im ersten Drittel des 13. Jahrhunderts sind
die Herren von Brohl (Burgbrohl), und zwar offenbar schon
seit längerer Zeit, im Besitze der Vogtei über das Dorf Güls,
denn 1227 schließen die Brüder Enlinar und Dietrich von Brohl
(de Brule) mit dem Abte Lambert von Siegburg einen die
Rechte der Vögte wie des Abtes in wichtigen Punkten klarstellenden
‘) Lörsch, Weistnmer Nr. Ul: Hof (1er Abtei Kommersdorf (1772)
und Nr. 92: Hof des St. Servatiusstiftes zu Maastricht (1494). Es werden
die liechte der Grundherren gewiesen.
*) Lörsch, Weistümer Nr. 9ä § 1: „Des hayn wir schelten . . uns
daruft wol beraden und hayn dat scmyntlich und eyndrechtclich gewijst uff
den eyd für recht, .... dat der eygintum, gerychte und heirlicheyt zu
(lulse sint unsers heirren des abtz und des gnytzhusz zu Sybergh, und
schultheyzen und schelten zu tiulse sint gesworen des abtz und conventz
des goytzhusz zu Sybergh und hem Dyederichz vurgenannt, erffvaytz zu
Gulse, . . .“
*) „ . . . Gulsea et Bettendorf commcndata sunt in manum Herimanni,
coinitis de Glitzbcrc.“ Ks ist der dem Glciberger Zweige der Luxemburger
angehörende Pl'alz.graf Hermann von Lothringen, der Nachfolger des Pfalz-
grafen Heinrich, der Siegburg an Anno hatte abtreten müssen. Vgl. Th.
J. Lacomblet, Urkundcnbueh für die Geschichte des Niederrheins. Bd. I.
S. 129. Nr. 202 und 203.
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Vergleich1). Es waren Streitigkeiten entstanden, die die Aus-
übung der vogteilichen Befugnisse betrafen.
Nach diesem Vergleich2), den die Grundherrschaft in ihrem
Interesse vorgeschlagen hat, und der ähnliche Zugeständnisse
enthält wie der, deu 131)7 Dietrich von Hadamar mit der Aachener
Kirche schließt, sollen die Leute des Siegburger Hofes in Hüls,
wenn sie rechtmäßig zusammenberufen worden sind, nur anzeigen,
ob sich der Hof der schuldigen Pflege erfreue, und etwaige
Schädigung soll vom Hofe abgewendet werden. Wenn das ge-
schehen ist, dann solle nichts weiter von seiten des Vogtes des
besagten Hofes zur Beschwerung und Belästigung der Siegburger
Abtei vorgenommen werden. Insbesondere setzt der Abt den
Hofverwalter daselbst ein und ab; die Ritter sollen alles Recht,
des Hofes überhaupt unangetastet lassen, wie es bei Lebzeiten
ihres Vaters bestanden habe. Wenn sie ihre Vogtei verkaufen,
oder wenn ihnen diese irgendwie entfremdet wird, soll der neue
Inhaber sie nur mit demselben Rechtsinhalt haben wie sie.
Die Niedervogtei *) bleibt aber, ohne daß irgendwie die
rechtlichen Grundlagen verändert worden wären, im Besitze des
Geschlechts als Lehen zu gasamter Hand und wird 1314 wieder
in einer Hand vereinigt. Es verkaufen nämlich am 4. September
1314 „Sivert- van Ifroele inde Deymout (seine Ehefrau) alle dat
govd inde alle dat recht, dat uns vallin mach zoy Gülse, liarin
Coynrade, eyme ritter, dem heyrrin van Broyle, minin broyder,
umbe anderhalfhündirt mark Andemeyscher werüngin,“ unter
Vorbehalt des Rückkaufs „vans kirsenacht over eyn jayr ove binin
den seys woehin vür den selven winaclitin“; erfolgt die Einlösung
nicht, so wird der Kaufpreis um vierzig Mark erhöht. Der
') Vgl. Lörsch, Woistümer, S. 262: Anlage I.
a) Hotuincs dictc curtis, cum iu.ste requisiti fuerint. accusabnnt ipsam
curtim debita culturu n»n gaudere ct hoc vergere in detrimentum ipsius
curtis. Hoc facto nihil amplius ei parte advocati dictc curtis fict in gravamen
vcl prciudicium ecclesie Sibergensis. Abbas eciam proconvm ibidem instituot
ct destituet, ct ipsi nobilcs omne ins curic c<inscrvabunt, quod patre ipsorum
vivente servabatur . . . . 8i vorn ipsos advocaciam vendere vel nlio modo a
se alienare contigerit, hii, qui ipsain ernennt rcl alio modo hubucrint, idem
quod dicti advocati in vita sua obscrvarc promiaerunt, quamdiu vixerint,
obsorrabunt.
3) Kür das Folgende vgl. Lörsch, Weistümer, S. 257 ff.
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Rückkauf ist unterblieben, so daß der Käufer, Konrad von Brohl,
nunmehr die ganze Vogtei inne hatte.
Eine wirtschaftliche Notlage mochte Siegfried von Brohl
veranlaßt haben, seinen Anteil an der Niedervogtei seinem Bruder
zu verkaufen; aber auch der nunmehrige Inhaber scheint bald
in Schwierigkeiten geraten zu sein; er veräußert die ihm gehörige
Niedervogtei ganz.
Die Abtei Siegburg nämlich, die vielleicht eine sichere Kunde
von dem Rechte der Pfalzgrafen als Lehnsherrn der Ritter von
Brohl nicht mehr hatte, jedenfalls das verdunkelte Recht ignorierte,
suchte sich eine feste, rechtliche Grundlage für die tatsächlich
von ihr ausgeübte Lehnsherrlichkeit zu schaffen.
Bereits am 8. September 1318 erklären Konrad, seine Frau
Elisabeth und sein Sohn Konrad, daß Abt und Konvent „suis
denariis, nobis per ipsos prestitis asstiterunt, ne advocaciam, quam ego
. . . . Conradus . . . a domino abbate nomine homagii
teneo, obligaremus vel venderemus, prout debitis nos ad hoc
compellentibus facere et vendere volebamus.“ Sie versprechen
deshalb: „quod nos nec simul nec divisim nec aliquis nostrum,
qui alium vel alios supervixerit, ipsam advocaciam .... aliquibus
dominis, huminibus vel personis magnis vel parvis obligabimus vel
vendemus, sed ipsam .... in manu et potestate nostra tenebimus
vel supervivens tenebit nec ad aliquem .... obligando, alienando
vel vendendo transferemus.“
Damit war also die Abtei als Inhaberin der Lehnsherrlichkeit
anerkannt, aber zugleich hatten es Abt und Convent „suis denariis“
erreicht, die freie Veräußerlichkeit der Niedervogtei, die 1227
ausdrücklich erwähnt war, aufzuheben; man war nun gegen die
Erwerbung der Niedervogtei durch eine andere territoriale Gewalt
gesichert.
Doch das genügte der Abtei nicht, man ging noch weiter.
Am 15. Juni 1321 verkaufen die gen. Ehegatten mit Zustimmung
ihres Sohnes Konrad und ihrer andern Erben der Abtei: „omnia
iura ac servicia, que . . . racione iuris advocacie nostre in Gulse
ex curtibus . . . monasterii Svbergensis ibidem sitis persolvuntur,“
und die dann im einzelnen in der Urkunde aufgezählt werden,
für 60 Mark. Am !). Januar 1325 verkaufen dieselben: „advo-
caciam nostram in Gulse, precariam nostram et ius secularis iudicii
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in dicta villa Gulse cum omnibns suis attinenciis, que precaria
supradicta vulgariter „meybede“ nuncupatur“, ferner ihre dortigen
von der Abtei herrtihrenden Lehen, „excepta precaria vini ibidem
cedente,“ für 70 Mark mit dem Vorbehalte: „quia dictum iudicium
in aliis locis preoccupetur, idcirco prefatis ementibus unam carratam
vini singulis annis tempore vindemiarum persolvemus pro iudicio
supradicto; cum autem iudicium fuerit solutum, tune cessabit
solucio carrate vini supradicti.“ Ferner behielten sich die Ver-
käufer den Rückkauf vor.
Die Abtei Siegburg hatte also die freie Vcräußerlichkeit der
Niedervogtei aufgehoben, sie hatte ferner die Bezüge aus der
Vogtei für 60 Mark und diese selbst für 70 Mark an sich ge-
bracht, freilich noch nicht endgültig.
Am 1. Februar 1335 jedoch verkauft Konrad von Brohl, der
Sohn, die Niedervogtei' an Siegburg um den Preis von 720 Mark,
so daß die früheren, mit der Abtei abgeschlossenen Rechtsgeschäfte
sich als Verpfändungen für empfangene Geldsummen darstellen.
Jetzt verkauft sie Konrad dem Abt Wolfrath1), indem er aus-
drücklich wieder anerkennt, daß er wie vordem seine Vorfahren,
sie von der Abtei zu Lehen trage: „advocaciam et iurisdictionem
meam ac omnia et singula bona et iura mea, quam et que habeo
et hactenus habui ex causis quibuscunque in villa de Gulse et
eius districtu et confinio, .... cum iudicio seculari, precariis
vulgariter dictis meybede et wynbede, theloneo, feodis et homagiis
ac cum omnibus et singulis bonis, rebus proventibus, pertinenciis.
emergenciis et iuribus quibuscunque miehi in dicta villa et eius
coufiniis ac districtu competentibus racione qualicunque ... Kt
renunciavi et effestucavi ac renuneio et effestuco pro me et meis
heredibus .... super advocacia et iurisdictione . . . .“ Auch
hier wurde durch eine besondere, ihrem Wortlaute nach nicht
vorliegende, aber durch die andern in Betracht kommenden Ur-
kunden verbürgte Verabredung ein R fickkaufsrecht auf vier, vom
22. Februar 1335 an laufende Jahre Vorbehalten. Konrad versprach
außerdem in besonderer Urkunde8) für den Fall, daß er das Rück-
kaufsrecht ausübe, die so wieder erworbene Vogtei seinerseits nicht
zu veräußern, ohne sie vorher dem Abte ftir die Summe von
') Vgl. Lflrsch, WeUtümcr S. 2G3: Anlage 2.
’) libenda. 8. 265: Anlage 3.
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820 Mark anzubieten. Doch schon am 23. Februar 1338 erklärt
er, die 100 Mark erhalten zu haben, die dem Kaufpreis zugeffigt
werden sollten, wenn er die Niedervogtei nicht wieder zurück-
kaufen würde.
Mit diesem endgültigen Verkauf wäre nun die Abtei im
besitze der Niedervogtei gewesen, wenn ihr nicht von seiten der
Verwandten des Konrad von Brohl — der Agnaten — Schwierig-
keiten gemacht worden wären1).
Schon Siegfried von Brohl8) scheint mit den Verpfändungen
seines Bruders nicht einverstanden gewesen zu sein, und um einen
rechtlichen Rückhalt bei einem etwaigen Einspruch zu haben,
ließ er sich von dem Pfälzgrafen, dem „dux Bauwarie,“ der be-
kanntlich der eigentliche Lehnsherr war, mit der Vogtei von Güls
belehnen. Darauf scheint sich der Sohn Siegfrieds, der gleichfalls
Koni ad hieß, berufen zu haben, als sein Vetter die Niedervogtei
an die Abtei Siegburg verkauft hatte und er gegen diesen Verkauf
— eben als Agnat — Einsprach erhob.
Daraufhin ließ der Abt von Siegburg 1340 zu Güls durch
den Kellermeister des Klosters ausdrücklich die Veräußerung der
halben Vogtei von seiten Siegfrieds an seinen Bruder Konrad
konstatieren und das Zeugnis darüber durch Augenzeugen unter-
schreiben; doch Konrad, der Sohn Siegfrieds, berief sich auf die
Oberlehnsherrschaft des Pfalzgrafen, wogegen der Abt 1347
*) Für das Folgende bes. die Notiz Lörsch S. 259 Z. 40ff.; ferner die
Weistümer Nr. 93 u. 94 und die Anlagen 4 u. 5.
3) Lörsch stellt die Sache unrichtig dar: er sagt: „An den tatsächlichen
Verhältnissen wurde durch diesen Vertrag (Anlage 3, Verkauf von 1335) offen-
bar nichts geändert, nach wie vor blieb Konrad von Brohl — gemeint ist
der Sohn Konrads — als Vasall in der Ausübung der Vogtei.“ Das wäre
merkwürdig, dann hätte Siogburg die 820 Mark einfuch umsonst gezahlt:
Lörsch durchschaut nicht die Verwandtschaftsbeziehungen der Brohl; von
1314 bis 1385 werden folgende erwähnt
Brüder
Siegfried von Brohl (1314.) Konrad von Brohl (1314: 1321 — 25.)
I I
Konrad von Brohl (1340: 1357.) Konrad von Brohl (1335; 1337 u. 38)
I
Dietrich von Brohl (1385.)
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wiederum zu Güls sieh weißen ließ, daß die Vogtei von ihm allein
herrühre ').
Auch das half nichts. Konrad, der Sohn Siegfrieds, drang
mit seinen Ansprüchen durch und erlangte tatsächlich die Nieder-
vogtei. Er verhalt' aber dem Abt wenigstens zur Oberlehnsherrlich-
keit, denn die Erklärung von Pfalzgraf Ruprecht dem Alteren,
vom 11. Dezember 13ü7s): „die vagtye zu Gulsse uf der Musel,
die uns von andern unsern lehengüten enpfremdet unde enczogen
ist, die der edel Chunrat von Brüle, unser lieber getruwer,
verlom hat und die furbaz an den apt von Syberg, an sin closter
und an sinen convente chornen ist, daz der egenant Chunrat von
Rrüle und sine erben die selben vogtye von dem egenannten apte
von Syberg zu leben enpfahen, daz ist unser gut wille, gunst
und verhenknuesse, wanne er uns und unsern erben dieselben
vogty mit andern sinen güten widerlegt hat, dar an uns wol be-
nüget,“ besagt ganz deutlich, daß es den Bemühungen Konrads
von Brohl, Siegfrieds Sohnes, gelungen ist, dem Abt die Lehns-
herrlichkeit zu verschaffen. Am 14. Dezember desselben Jahres
regelt dann Erzbischof Wilhelm von Köln, der von der Abtei
und dem neuen Vogtherrn zum Schiedsrichter gewählt worden ist,
die dem Vogte zustehenden Bezüge.
Das Niedergericht seiht wird als Vogtding bezeichnet, denn
es heißt: „Na sente Mertyns dage alz des vaydes dinck ist’).“
In einem Weistum von 1 54t> 4), das aufgenommen wurde, nur
um die Rechte und Einkünfte des Erbvogtes festzustellen, wird es
etwas anders ausgeführt; nach diesem hat derselbe den dinglichen
Tag im Jahre und zwar: „. . . . der erste den zweiten dinstagh
nach Martini, der zweyte den zweiten dienstagh nach ustem, der
dritte den zweiten dienstagh nach St. Johans tagh.“
Der Erbvogt hat, wie daraus zu folgern ist, persönlich den
Vorsitz im Vogtding; aber auch der Schultheiß und die vierzehn
Schöffen sind Geschworene des Abtes und des Gotteshauses von
Siegburg. Sie werden also — anders wie z. B. in Kesselheim
wan «lat djo vaydige zu < iul.se rürthe inde qucme von unsinc
Herrin ine apthe des cloystirs von Syberg.“
*) Lörsch, Woistünicr S. 2(>6. Anlage 4.
3) Lörsch, W'eistiimer Nr. 9(>. § 3.
4) Lörsch, Weistümer Nr. 97. § 1.
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in des Niedervogtes Namen ebenfalls vereidigt; an den gebotenen
Tagen wird dann wohl der Schultheiß das Gericht besitzen.
Wir nähern uns bei unserem Überblick über die Niedergerichte
dem Ende; wir treffen nur noch auf eine Gruppe von Nieder-
gerichten, die indes wenig Neues mehr zeigen. Es konnte nämlich
auch Vorkommen, daß ein Dorf nicht einen geschlossenen Nieder-
gerichtsbezirk, bezw. eine geschlossene Niedergerichtsherrschaft
bildete, sondern daß ein Dorf in zwei oder mehrere Niedergerichts-
bezirke zerfiel. In der Organisation und in der Verteilung der
Gewalt glich jedes dieser Niedergerichte den vorhergehenden;
Besonderheiten finden sich nun nicht mehr, höchstens Ergänzungen.
In Sulzbach1) hat das Eigentum des Gerichts der Abt von
Limburg, aber seine Herrschaft erstreckt sich nicht über das
ganze Dorf, es sind vielmehr ausgeschieden das Freigericht, das
Königsgut, das Birkstätter Eigen und das Fölbelgericht.
Mit der Niedervogtei über des Abtes Herrschaft ist von
diesem belehnt als ein „faid“ der Junker von Königstein; mit
der Niedervogtei ist ein Lehngut verbunden, denn es wird aus-
drücklich unterschieden zwischen des Abtes Eigen und der Herrn,
d. h. der Vogtherren Lehn.
Die Niedervogtei ist vor allem Schirmvogtei; wenn Schützen
und Märker von einer Macht bedroht werden und sich ihrer nicht
erwehren können, so soll’s der Märker dem Vogt anzeigen, und
der soll der Gewalt wehren.
Die Verteilung der Befugnisse in der niederen Rechtspflege
zwischen Herrscnaft und Vogt ist ähnlich wie in Oberhirzenach.
Das Gericht, das dreimal im Jalire statthat, das die „Überfahrt“
an dem Gericht büßt und die Handänderung der grundherrrlichen
Güter vornimmt, wird gehegt wegen des Abtes von Limburg als
des Eigentümers und wegen des Junkers vom Königstein „als vor
ein faid.“ Es tagt dreimal im Jahre: die beiden ersten Tage,
nämlich Donnerstag nach Neujahr und Donnerstag nach Walpurgis,
hegt des Abtes Schultheiß; das dritte Gericht, am Donnerstag
nach unsrer lieben Frauen Tag“) hegt dagegen des Niedervogts
’) (irimm, Weistümer I. ]!d. S. 572. Sulzbach liegt zwischen Höchst
und Künigstcin.
*) Walpurgistag ist der 1. Mai: Unsrer lieben Frauen Tag wohl der
15. August.
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Schultheiß. Vierzehn Tage nach jedem der drei ungebotenen
Dinge ist abermals Gericht, das indes nur die vierzehn Schöffen
suchen sollen.
Wie in Sulzbach finden wir in Kärlich1) eine vollständige
Trennung; das Dorf Kärlich zerfällt in zwei Niedergerichtsbezirke.
Da ist einmal Grund- und zugleich Niedergerichtsherrschaft das
Stift St. Florin in Koblenz5). Die Vogtei darüber wird als ein
ursprünglich den (trafen von Sayn zustehendes Lehen bezeichnet,
das sich indessen im 14. Jahrhundert im Besitze der Herren vom
Burgtor (de Porta) befindet. Am 4. März 13(55 nämlich stellt
Simon von dem Burgtor in einem Vergleich mit dem Stift seine
Einkünfte aus der Vogtei fest*); die Fälligkeit der Bezüge und
die ganze Art derselben'), daß sie nämlich nach Ostern, um
Johanni und im Herbst entrichtet werden, ferner das Schwein,
das Pfund Pfeffer und die andern Abgaben, sowie der Umstand,
daß den Kittern und Knechten Wein gereicht wird, lassen darauf
schließen, daß die Herren vom Burgtor ehemals die drei un-
gebotenen Dinge im Jahre abgehalten haben. Aber wird davon
schon 13(55 nichts mehr erwähnt, so wird durch eine spätere Ur-
kunde einfach bestätigt, daß die Herren vom Burgtor mit der
niederen Rechtspflege überhaupt nichts mehr zu tun haben.
Am 1. März 135)0 verwandeln4) Simon von dem Burgtor d.
J. und sein Vetter Simon der Alte die ihnen aus der Vogtei
Kärlich zustehenden Bezüge in eine feste Getreiderente, eine
Jahresrente von sieben Malter Korn und sieben Malter Weizen.
Die Verpflichtung, die sie dafür haben, ist festgesetzt: „. . . .
doch sullen wir und unsere Lehenserben vur die egenant Frücht
gentzliche und getmweliche den egent. Hoff und die vurgen.
Hem Decken und Capitell schüren, schirmen und behalden by
irren Fryheiden und Rechten wie verre daz an uns triftet und wir
') Kärlich und die gleich zu erwähnenden Dörfer Kettig und Mnhlhcim
gehören zur Bcrgpflege. Kettig liegt etwa 3 km nordwestlich, Mühlheim
1 km östlich von Kärlich.
*) Lörsch, Weistümer Nr. 80—83. Bes. die Einleitung zum Weistum 80.
3) Codex diplurnaticus Rheno-Mosellamis 111. Bd. 8. 714. Nr. 501.
*) Über diese Bezüge wird noch des näheren gehandelt im III. Abschnitt.
s) Codex diplomaticus Rhcno-Mos. III. Bd. S. 880. Nr. G20.
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daz schuldig syn zu dune als verre sie des an uns und unsere
Erben gesinnent.“
Die Herrschaft des Stifts erstreckt sich nicht nur Ober Kärlich,
sondern auch Ober Kettig1), denn „der Schultheiß von Kärlich
soll auch Kettig in Frieden halten und in schuldigem Zustand
bewahren*).“ Also der alte und der neue Hof zu Kärlich und
der Hof zu Kettig bilden einen Niedergerichtsbezirk. Die früheren
Inhaber der Niedervogtei, die Herren vom Burgtor, sind bloße
Schirmvögte geworden; sie haben aus der Niedervogtei nur noch
bestimmte Bezüge; von Kettig erhält übrigens „der freie Vogt“
gleichfalls bestimmte Abgaben.
Der Untervogt, der vom Niedervogt ernannt wird, muß vor
allem diese Bezüge für ihn einsammeln *); ferner hat er das
Recht, im Namen seines Herrn das Weistum zu erfragen4). Da-
gegen hat er mit der eigentlichen niederen Rechtspflege nichts zu
schaffen.
Den Vorsitz im Niedergericht führt vielmehr der Schultheiß
des Stifts St. Florin. „Denn die Herren von St. Florin sind ge-
halten, in Kärlich einen Schultheißen zu haben, der das Gericht
der Herren oder den Gerichtshof, auf Deutsch: Dinghof, ab-
halten soll*).
Man dingt sechsmal im Jahre: am Montag nach den heil,
drei Königen, am zweiten Montag nach Ostern und am Montag
nach Johanni; vierzehn Tage nach jedem „Gedingnus“ ist noch
ein Nachgeding, ebenfalls ungeboten6).
In Kärlich besteht eine weitere Herrschaft, die des Kurfürsten
von Trier1). Wenn die Gemeinde Bäume in ihrem Walde fällt,
') Lörsch, Weistümer Nr. 80 § 7 u. Nr. 85. Das Weistum Nr. 85, das
speziell Kettig behandelt, ist v. J. 1570.
et Kettge sullicitare et statu debito cunservare, ac optimalia
ibidem cedencia debet dominis libere tradere . . . .“ Es ist vom Schult-
heillen von K&rlicli die Hede, der also gleichzeitig Wirtschaftsbeamter und
Niederrichter ist.
3) Lörsch. Weistümer Nr. 80 § 14.
4) Vgl. ebenda Nr. 82. Das Weistum stammt aus d. J. 1531.
*) Ebenda. Nr. 80 § 7 : „Notandnm, quod dnniini tenentur habere in
Kerlich scultotura, qui deberet iudicium dominorum seu curias iudiciales,
tbeutonice dinckhoff . . .“
6) Ebenda. Nr. 81.
Groscb, Nledergericbt 4
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dann wählt der Trierer Herr zwei Teile und die Herren von
St. Florin einen Teil aus der Gesamtheit*), vermutlich weil des
ersteren Grundherrschaft bedeutender war und mehr Holz benötigte
als die andere.
Was die Trierer Herrschaft betrifft, so erklärte schon am
8. November 1277 Friedrich von Kobern, daß er den Hof zu
Kärlich vom Erzbischof und der Trierer Kirche zu Lehen trage
und ihn dem Lehnherrn zu Pfand setze für 1330 Mark Aachener
Denare. „Protestamur“, heißt es „quod nos curtim sitam in
Kerliche cum omnibus iuribus suis et attinentiis, nemoribus vide-
licet, pratis, pascuis, piscationibus, villicationibus, censibus, vineis,
agris cultis et incultis .... titulo pignoris obligavimus.“ Darüber
stellte ihm der Erzbischof am 9. September 1278 einen Revers aus1).
Diese Herrschaft, die sich wohl von Anfang an bis Mühlheim
erstreckt hat, ist jedenfalls von dem Erzstift in unmittelbare
Pflege genommen worden, bis sie mit der dazu gehörigen Burg
am 16, Oktober 1344 dem Andemacher Schöffen Johann Provis
und seiner Ehefrau auf Lebenszeit verpachtet wurde4).
Die Niedergerichtsherrschaft über diese Besitzungen steht
indes auch fernerhin dem Erzbischof zu, denn bei der Verpachtung
an Johann Provis wird das Gericht ausdrücklich dem Erzbischof
Vorbehalten, dem Pachter jedoch die Gunst gewährt, beim Ding
anwesend sein und die Hälfte der Bußen in Empfang nehmen zu
dürfen.
Auch diese Niedergerichtsherrschaft ist bevogtet; es besteht
gleichfalls Schirmvogtei, wie aus dem Pachtvertrag mit Provis zu
schließen ist; von einer Anteilnahme des Niedervogtes an der
niederen Rechtspflege wird nichts erwähnt. Die Vogtei selbst
war schon von Friedrich von Kobern mitsamt dem Hofe an den
Erzbischof verpfändet worden. 1452 wird sie als Lehen des
Philipp von Helfenstein in einem Revers angeführt; nach seinem
Tode fielen diese Lehen an Johann von Helfenstein zu Spurken-
') Lörsch, Wcistfimer Nr. 84 bes. die Einleitung. Das Weistum selbst
stammt aus dem Jahre 1598.
*) Ebenda. Nr. 80 §5.
*) (Index diplom. Khono-Mosell. II. Ild. S. 427 Nr. 281 S. 432 Nr. 289.
4) K. Lamprecht, Deutsches Wirtschaftsleben III. Hd. S. 190 Nr. 102.
Bes. § 6.
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51
bürg, der sie 1475 mit seinen übrigen Lehen vereinigte*). Im
Jahre 1503 belehnt dann Erzbischof Jakob von Trier einen Helfen-
steiner mit seinem Anteil an Helfenstein und seinen übrigen
trierischen Lehen, worunter: „was er haitte an den Vadyen zu
Kerlich und zu Moelenheym und iren Zugehoerungen“, und Jo-
hann Ludwig von Trier schloß am 14. November 1541 mit den
Vormündern des jungen Johann von Helfenstein zu Mühlenbach
einen Vertrag, wodurch demselben die Hälfte dieser Vogtei „zu
mehrung und besserung anderer seiner lehen“, verliehen wurde*).
Als dann 1578 mit diesem Helfenstein der Mannesstamm des
Geschlechts ausstarb, belehnte 1580 der Erzbischof den Trierer
Marschall, Rat und Amtmann Johann von Eltz, dessen Bruder
Hans Richard und ihren Vetter Hans Anton mit dem durch das
Aussterben der Helfenstein erledigten Marschallamt, mehreren
anderen Güten) und der halben Vogtei zu Kärlich und Mühl-
heim. Dem Anton von Eltz wurde dann in der Erbteilung mit
seinem Bnider am 2. Juli 1597 der gesamte Besitz in der Berg-
ptlege, insbesondere die erwähnte halbe Vogtei überwiesen, und
dieser Erwerb war unzweifelhaft die Ursache zur Aufnahme des
Weistums von 1598*),
Zum Niedergerichtsbezirk des Erzbischofs in Kärlich gehörten
auch die Besitzungen zu Mühlheim. Noch 1784 sagt die Amts-
beschreibung, es sei in Mühlheim ein Grundgericht vorhanden, das
aber in Kärlich gehalten werde im Hause des Schultheißen; Schult-
heiß sei derjenige, der den kurfürstlichen Hof in Kärlich habe.
Das Gericht — ein rein grundherrliches Gericht — tage zweimal
im Jahre; als Vogt praesidiere ein zeitlich Eltzischer Amtmann.
So ragen auch anderorts die Gebilde der Vergangenheit bis
weit in die neue Zeit herein, um dann entweder ganz überwunden
zu werden, oder sie werden den Bedürfnissen der Gegenwart ent-
sprechend umgestaltet und führen unter veränderter Gestalt, ge-
wöhnlich noch mit ihrem alten Namen belegt, ein neues Leben fort.
') Codex diplom. Rheno-Mos. IV. Bd. S. 404 Amn. 2.
*) Cod. diplom. Rheno-Mos. V. Bd. 8. 114. Nr. 13: S. 206 Nr. 124. Die
„halbe1- Vogtei: wohl iin Gegensatz zur andern Hälfte der Niedervogtei z.
Kärlich, die «ich über die St. Floriner Herrschaft erstreckte.
*) Vgl. Roth, Geschichte der Herren u. Grafen von Eltz. I. Bd. S. 236
u. 8. 248: Anmerkungen S. XXVI. Nr. 500.
4.
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II. Abschnitt.
Das Niedergericht; Hochgericht und Niedergericht;
.Niedergerichtsherrschaft und Grundherrschaft;
vogtfreie und bevogtete Herrschaft.
Eine bunte Mannigfaltigkeit trafen wir bei unserem Überblick
über die Niedergerichte an, da wir die Organisation der niederen
Gerichtsbarkeit auf dem platten Lande und die Verteilung der
Herrschaftsgerechtsame in ihrer ganzen Vielgestaltigkeit verfolgten.
Wir fanden indessen schon, daß sich wie von selbst Gruppen
von Niedergerichten zusammenfassen ließen, die durch gemeinsame
Züge von andern sich unterschieden. Der Grund hierfür war die
Verteilung der Herrschaftsgewalt im Niedergerichtsbezirk; noch
mehr Gemeinsames bietet die eigentliche Rechtspflege, besonders
dadurch gefördert, daß zwischen einzelnen Dörfern, die unter
verschiedenen Herrschaften standen, die Meinungen ausgetauscht
wurden, daß das eine Dorf sich im Zweifel bei einem andern Rat
holte, oder daß mehrere Dörfer ein gemeinsames Obergericht
hatten, das bei einer Appellation eine Entscheidung des Streit-
falles gab. So heißt es im Weistum von Wellmich1): „Item vor
jaren holten die von Husen und Werlenn ire erfahrungh an
scheffen hie, und die von Welmich bei inen, und ir recht urthell
holten sie zu Ingelheim. Ist beider seits abgangen, und berußen
sich die von Welmich nliun glien Niederlan. stein *)“. In Wiebels-
heim3) ist bestimmt: „. . . . dessglichen moegen schulteis und
•) Lörsch, Weistümer Nr. 30 §7. Husen ist St. Goarshmiscn und
Werlenn Werlau.
*) Die Berufung ist vorgeschrieben durch die kurtrierische Münz- und
Gerichtsordnung v. J. H93. Lörsch, Weistümer S. 88 Antn. 3. Vgl. auch
H. Lörsch, Der Ingelheimer. Oberhof. lt. Schröder4, S. 605.
3) Lörsch. Weistümer No. 29 § 17.
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scheffen, wan sie der urteile nit wisse sien, sich erfaren, wie recht
sy. Und wanne der scheff'en zu Wiebelsheim das urteil gchoilt
hait, sali der schulteis beide theile gen Wiebelsheim uf den nesten
gcrichts tag bescheiden, ire urteil usprechen zuhoeren“. Ihre
„Erfahrung“ hatten die Schöffen in Oberwesel zu holen, denn bei
einem Streit zwischen dem Stadtgerichte von Oberwesel und dem
Gerichte von Wiebelsheim über den beiderseitigen Gerichtsbezirk
und die Zuständigkeit in Rechtssachen, besonders in solchen, die
die Veränderung des Grundeigentums betrafen, entschied der Erz-
bischof Johann von Trier am 24. Februar 1492 unter anderem:
beheltlich doch unserm gerichte zu Wesell des uber-
hoiffs“ ').
Diese Niedergerichte, auch Zendereien oder Vogteien5), ge-
wöhnlich indes einfach Gerichte genannt , erstreckten sich über
ziemlich enge Bezirke, sie umfassten nur einzelne Ortschaften,
höchstens ein ganzes Kirchspiel, häufig zerfiel ein Dorf sogar in
mehrere Niedergerichtsbezirke5). Nicht mit Unrecht weist man
daher jedem Dorfe sein Gericht zu, denn es heißt beispielsweise
im Gerichtsweistum des Gallscheider Hochgerichts: „Auch weist
man hie einem jeden dorf sein ingericht zwischen seinen vier
falderen, dabey soll man es schützen und handhaben wie von
alters“ 4).
Wie diese Niedergerichte entstanden sind, wird sich im
einzelnen nur schwer verfolgen lassen. Als die früheren Nieder-
gerichte, die niederen Land- oder Hundertschaftsgerichte (placita
minora), zu Hochgerichten geworden waren und sich nicht mehr
mit der niederen Rechtspflege befaßten, bildeten sich unter ihnen
') Ebenda. 8. 80 Anm. 3.
*) K. Lam precht a. a. 0., S. 172. Zenderei hatte schon das niedere
Landgericht des froheren Mittelalters in der Moselgegend geheißen; das
Niedergericht des späteren Mittelalters fährt teilweise denselben Nauien.
Vogtei, wenn das Niedergericht bevogtet war, und dann durch Übertragung.
Die Vogtei wird von mir zum Unterschied von den hohen Vogteien Nieder-
vogtei genannt.
*) Soweit ist die herrschende Lehre richtig; vgl. R. Schröder4
S. 603.
*) Lörsch, Weistömer No. (17) § 9. Das Weistum ist vom Anfang
des 16. Jahrhunderts.
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neue Niedergerichte *). Diese Bildung ist aber nicht einheitlich
und in unserem, dem Mittelrhein-Gebiet etwa zur selben Zeit er-
folgt, sondern allmählich; darum war für die Organisation des
neuen Niedergerichts und die Verteilung der (Jewalten ein weiter
Spielraum gelassen.
Das Beispiel der einen Herrschaft konnte für andere mall-
gebend werden und diese veranlassen, ihre Einrichtungen analog
denen der ersteren zu gestalten. Hauptsächlich entstanden sie
durch Exemtionen oder durch Zersplitterung der bisherigen niederen
Landgerichte, die dadurch oft völlig aufgelöst wurden, so daß die
neuen Niedergerichte in der Folge sogar Blutgerichtsbarkeit erlangten.
Der Hauptanlaß dazu war wieder die Immunität*), die ja von
Anfang an direkt Exemtion der Immunitätsleute aus dem niederen
Landgericht gewährte.
Die Entwicklung der Immunität war nicht so, wie man bisher
angenommen und behauptet hat. Die niedere Immunität der
fränkischen Zeit wurde nicht zur hohen am Ende des 9. oder im
10. Jahrhundert, es ist kein durchgehendes Aufrücken von niederer
zu hoher Gerichtsbarkeit zu bemerken. Vielmehr erfolgte in dieser
Zeit eine Differenzierung der Immunitätsrechte; Immunität konnte
an sich ebensowohl hohe wie niedere Gerichtsbarkeit in sich fassen ;
das war in nachfränkischer Zeit; jetzt, im 10. Jahrhundert, trat
auch eine Differenzierung der durch Immunität erworbenen herr-
schaftlichen Gerichtsbarkeit innerhalb desselben Gebietes ein, „die
Auflösung des ursprünglich einheitlichen Immunitätsgerichts in
mehrere nebeneinander wirkende Gerichte, die Bildung von .Sonder-
gerichten auf der Immunität“ s) fand statt.
Die Tendenz in der Gerichtsverfassung während der nach-
karolingischen Zeit ging überhaupt dahin, an die Stelle der Ein-
heitlichkeit Vielgestaltigkeit zu setzen. In der niederen Rechts-
') Auch dies nach der herrschenden Lehre, Vgl. K. Lamprecht
a. a. 0., S. 197 ff., S. 201 ff. u. bes. S. 215. Ich stelle das Niedergericht des
späteren Mittelalters dar und beschränke mich darauf, die Entstehung des-
selben nur in gToßcn Zügen zu schildern; uni sie im einzelnen zu verfolgen,
bedürfte es erst einer Untersuchung über das Hochgericht des späteren
Mittelalters, die indes nicht vorliegt. Vgl. S. 14 Anm. 1.
ä) Vgl. H. Schröder4) S. 179 ff.; bes. Ucrh. Secliger a. a. 0.,
S. 56—173.
3) Herb. Seeliger S. 158.
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pflege erreichte man darin das Äußerste; es kam soweit, daß jede
Ortschaft ihr „Ingericht“ hatte, ja, daß ein Dort in mehrere
Niedergerichtc zerfiel.
(legen die Hochgerichte lassen sich diese Niedergerichte leicht
ahgrenzen. Sie unterscheiden sich von jenen einmal durch die
Kompetenz1). Am besten findet sich dies — freilich negativ —
ausgedrückt im Weistum von Herbisheim *), wo es heißt: „Item
ein meiger zu H. hat zu richten alle ding und zu entrichten, ane
fünfferhande dinge, zu wissen diepstail, noitzucht, nachtbrant,
mordt und meissei wondten-, dieselbe funff stucke hait der caiss-
voigt macht zu richten und zu entrichten“.
Diese „fünferhand Dinge“, die dem Hochgericht Vorbehalten
sind, sind die schweren Verbrechen; sie gehen an „Hals und Bauch“,
wie im Gailscheider Hochgerichtsweistum normiert wird3): „Item
auch weist man ihm (sc. dem Kurfürsten von Trier als Herrn des
Hochgerichts) zu einen edel gestrengen herm ainbtmann, der soll
wohnhaftig seyn auf dem hauss Wellmich, zu richten über haltz
und. bauch und über alle gewaltige Sachen, die böse zu strafen und
die gute zu erhalten von wegen unsers gnädigsten herm zu Trier“.
Vom Hochgericht unterscheidet sich das Niedergericht — bis
auf den Fall, wo das neue Niedergericht selbst wieder mit Blut-
gerichtsbarkeit begabt wurde oder sich diese aneignete — ferner
durch seine Ausdehnung. Als bestes Beispiel mag hierfür dienen
die Bergptlege, ein Hochgerichtsbezirk unter der Herrschaft des
Kurfürsten von Trier4). Zur Bergpflege gehören die folgenden
zwölf Orte5): Kettig, Kärlich, Mühlheim, Metternich, Gülss,
Urmitz, Kaltenengers, St. Sebastianengers, Kesselheim, Wallersheim,
Bubenheim und Rübenacli. Die Mehrzahl von diesen haben wir
*) Über Kompetenz des Niedorgerichts wird noch im IV. Abschnitt
gehandelt.
*) Grimm, Weistnmer II. Bd., S. 22. Das Weistum ist vom J. 1458.
Die Abtissin von Fraulautern ist die Herrin, der Graf von Nassau hat diu
hohe Vogtei: „t.'aissvogt“, also Blutrichter ist in seinem Namen der Junker
Kudolf Beyer. Der Meier ist Dingvogt im Niedergericht.
3) Lörsch, Weistnmer Nr. (17) § 3.
*) Ein früheres niederes Landgericht. Lörsch, Weistfimcr Nr. 74 — 76.
Vgl. oben S. 25 Anin. 4.
5) Lörsch, Weistfimcr Nr. 76: Eingangs dos Weistums. Das Weistum
ist vom Jahre 1556.
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fftr das 14. und 15. Jahrhundert als eigne Niedergerichtsbezirke
naehweisen können, und noch 1538 wird erkannt1): „Fortan sali
unser gnediger herr beschurren und beschirmen witwen und weisen,
den herkomen mann mit seinem röstigen spieß gleich den in-
wendigen, usgehalten Gulles, Revenach und Metterich mit iren
instoesslichen herrn bei alter herlicheit und freiheit zu lassen
als von alte her breuchlicli ist“.
Ebenso liegt im Bezirk des Gallscheider Hochgerichts*) die
Niedervogtei Beulich und Morshausen; auf weitere Niedergerichte,
ja daß jedes Dorf sein eignes Gericht hat, weist deutlich die von
uns schon herangezogeue Bestimmung: „Auch weist man hie
einem jeden dorf sein ingericht zwischen seinen vier faldem, dabey
soll man es schützen und handhaben wie von alters“, wo man also
für den Hochgerichtsherm den Schutz dieses Niedergerichts aus-
drücklich festsetzt.
Zum Hochgericht Oberwesel gehört der Niedergerichtsbezirk
Wiebelsheim, denn „schulteis und Schelfen“ zu Wiebelsheim sprechen :
„das hoegerichte daselbs und was daran hange, das hoere gen
Wesel“ *), und das Niedergericht Piesport ist eingeschlossen in
das Berncastler Hochgericht4).
Nicht so leicht ist eine Scheidung zwischen Niedergerichts-
herrschaft und Grundherrschaft möglich, da beide vielfach durch-
einandergehen.
■) Ebenda. Nr. 74 § 6 (v. J. 1538 also).
*) Im alten Trechirgau (Trigorium 820, brachere 1023, Trechgere 1 1 97).
Vgl. Mittelrheiniscbes Urkundenbuch Bd. II, Einleitung S. XXIII. Ferner
Vuy, Geschichte des Trechirgaus und von Oberwesel. Der Gau zerfiel in
die niederen Landgerichte Koblenz, Boppard, das Gallscheider Hochgericht
und Oberwesel. In der Mitte des 14. Jahrhdts. hatte das Erzstift Trier das
ganze Gebiet, das ehemaliges lieichsgut war, erworben; es wurde die Amts-
Verfassung daselbst cingeführL ln einer Abhandlung über das Hochgericht
wäre hierauf näher einzugehen.
3) Lörsch, Weistümer No. 29 § 24. Vgl. auch die Anm. 2 dieser
Seite. Zur Orientierung: Geschichtlicher Atlas der Itheinprovinz, hcrausgg.
von der Gesellschaft für rhein. Geschichtskunde. Bonn 1894—98. Bes. die
2. Karte.
4) Vgl. Abschnitt I, S. 38. Über das Berncasteier Hochgericht vgl.
K. Lamprccht a. a. 0.. S. 170 ff. Dasselbe hatte 18 Vogtcicn, darunter
Piesport. Ebenda S. 172.
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In dem uns schon bekannten Vertrag1), in dem Emmerich von
Waldeck und der Kurfürst von Trier ihre Rechte in der Niedervogtei
Beulich und Morshausen festsetzten , wurde dem Kurfürst Vorbe-
halten: die oberste Herrschaft und das Hochgericht derselben
Dörfer, „beheltnisse doch myme vurgen. Herren und sime Stiffte
des Hoengerichts und Busen, die Lyff und Gut antreffent, und
was darzu gehoeret, darane ich keyn Recht han oder haben sal“,
sowie die Huben und Güter daselbst, da diese nicht zur Vogtei
gehörten. In diesen Worten liegt in groben Zügen eine Ab-
grenzung des Niedergerichts — hier gleichbedeutend mit Nieder-
vogtei — gegen das Hochgericht vor, aber auch — in dem Vor-
behalt der Huben und Güter — gegen die Grundherrschaft.
Wir können nicht — um die Trennung von Niedergerichts-
und Grundherrschaft genau nachzuweisen, die Grundherrschaft und
die Fronhofsverfassung des früheren Mittelalters untersuchen*).;
wir können auch nicht den Beginn des Auseinandergehens von
Grund- und Niedergerichtsherrschaft verfolgen’). Wir beschränken
uns auf das 14. und 15. Jahrhundert, und indem wir die Ver-
hältnisse in den von uns untersuchten Niedergerichten klar-
legen, bereiten wir gleichzeitig die definitive Beantwortung jener
Fragen vor.
Da finden wir als einfachste Lage der Dinge, daß die Grund-
herrschaft auch die Niedergerichtsherrschaft hat. Keine andere
Herrschaft sitzt neben ihr im Dorfe, keine Zwischengewalt schiebt
sich zwischen Herrschaft und Untertanen ein4). Die Verwaltung
') Der Vertrag S. 31 Anm. 1 erwähnt.
*) Ich verweise vor allem auf (ierh. Seeliger a. a. 0.
*) Gcrh. Seeliger behandelt: „Die Emanzipation des Gerichtsbezirks
vom grundherrlichen Kreis“: (S. 117). „Immnnitätsherrschaft und Grund-
herrschaft gehen im 10. Jahrhdt. auseinander“. (8. 122.) Seit dem 9. Jahrh.
Loslösung der Immunität von der Grundherrschaft und überaus ver-
schiedene Abstufung der geriehtshcrrlichcn Gerechtsame. (Ebenda.) Ge-
nauere, mehr ins einzelne gehende Untersuchungen werden Sceligers An-
sicht wohl als richtig erweisen.
4) So die Gruppe A Ziffer I. Vgl. die Anlage. Wären die Verhältnisse
überall so, dann könnte man wie Lamprecht (a. a. 0. S. 1033) von einem
„Grundgericht“ reden; auch Lamprecht sagt indes, daß es sich zum Bezirks-
untergericht erweitert hätte. Dieses deckt sich mit dem Niedergericht, das
ich hier untersuche.
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der Grundherrschaft sowohl als die niedere Rechtspflege ist Sache
der Herrschaft, alle Beamte, Wirtschafts- wie Niedergerichts-
beamte, werden von ihr eingesetzt, und wenn auch die Dorfge-
meinde bei der Ernennung der Dorf behörden , der eigentlichen
Gemeindebeamten , mitwirkt , so müssen diese doch von der
Herrschaft bestätigt werden, und sie schwören nur ihr, oder wen
sie zu ihrem Stellvertreter ernennt; sie hat die Dorfherrschaft
schlechthin.
An dieser Lage der Dinge wird nichts geändert, wenn mehrere
Grundherrschaften im Dorfe sitzen und jede von ihnen die Nieder-
gerichtsbarkeit über ihre Untertanen hat'), wie es im Weistum
von Groß-Hombach ausgedrückt ist’): „Daz ider herre uf sinen
guten in dorfe und in felde faut und herre ist, und uf welichs
herren gut der frevel geschieht, des selben ist die busz“, oder wie
das Habsburger Urbar festsetzt: „Jeder richtet über die Sinen“5).
Selbst im 17. und 18. Jahrhundert kommt es noch vor, daß der
auswärtige Grundherr eines einzelnen Hofes in einem Dorfe zu-
gleich auch der Gerichtsherr dieses Hofes ist, während das übrige
Dorf einen eignen Niedergerichtsbezirk unter einem andern Herrn
bildet4).
So ist cs indes durchaus nicht durchgängig; häufig ist die
Lage derart, daß mehrere reine Grundherrschaften in einem Dorfe
sitzen. Deren Banding ist dann reines Grundgericht, d. h. nur
für den Grund und Boden der Herrschaft und ihre Grund-
untertanen zuständig; es befaßt sich nur mit »Sachen, die die
Grundherrschaft angehen, regelt die Bewirtschaftung des Gutes,
die Abgaben der Erbpächter und Lehenleute u. a. m. ; der Vor-
sitzende in diesem Hubgericht ist der Wirtschaftsbeamte der
Grundherrschaft, wie auch die Schöffen Eigen von der Grund-
herrschaft zu Lehen haben. Mit Niedergerichtsbarkeit hat dieses
Verwaltungsgericht der Grundherrschaft an sich nichts zu schaffen.
') Vgl. die Gruppe C.
*) Grimm, Weistümer VI, S. 8 v. J. 1397.
5) So i. B. Habsburger l'rbar S. 106 (Riedern), S. 108 (Nicderglatt),
S. 233 (Trfillikon). Vgl. auch Wyss, Abhhandlungen zur Geschichte des
Schweiz, ßffcntl. Hechts. (Zürich 1892) S. 42 n. Anin. 1.
*) Vgl. Theodor Knapp S. 188 f. Eine Ausnahme, aber sic findet
sich doch.
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Von diesen Grundherrschaften, die ursprünglich sicher ein-
ander völlig gleichberechtigt waren, gelang es einer, Zwing und
Hann über die ganze Dorfmark1) zu bekommen, die andern unter
ihre Niedergerichtsherrschaft zu beugen. Ihr Gericht wurde zum
wirklichen Niedergericht, indem diejenigen Strafsachen, die eben
dem niederen Gericht Vorbehalten waren, daselbst anhängig gemacht
wurden. Der Vorsitzende in diesem Gericht ist wirklicher Richter*),
die Zahl der Gerichtsschöffen, entweder sieben oder vierzehn3),
ist bestimmt und die Ergänzung des Schöffenkollegs ausdrücklich
vorgeschrieben. Den dingpflichtigen Umstand bilden alle, die
Eigen uud Erbe in der Gerichtsmark besitzen, nicht nur diejenigen,
welche Erbpächter der einen Grundherrschaft sind. Kurz, wir
haben hier das Niedergericht, dessen Bezirk die ganze Dorfmark
umfaßt4).
Wir können auf frühere Ausführungen zurückgreifen5) und
bemerken, daß dies am ehesten da geschehen konnte, wo eine
weltliche und eine oder mehrere geistliche Grundherrschaften in
einem Dorfe begütert waren. Dann lag es für die geistlichen
Herrschaften nahe, der weltlichen die Niedervogtei einzuräumen,
und auf Grund dieser konnte dann die weltliche ihre Befugnisse
zur vollen Niedergerichtsherrschaft ausdehnen*).
Wir sind damit auf diejenige Institution gelangt, die in der
niederen Rechtspflege eine bedeutsame Rolle spielte: die Nicder-
■) Vgl. die Niedergerichte der Gruppe H, in der Anlage.
*) Dieser Kichter im Niedergericht unterscheidet sich vom Yorsitrenden
dos Hubgerichts, wie der Amtmann als Blutrichter von dem Kellner des Erz-
stifts. Ein Analogon aus der neuesten Zeit anzuführen — etwa Amtsrichter
und Landrat — ist nach dem eben Bemerkten überflüssig.
3) K. Lamprecht a. a. U., S. 172 Anm. 7 zu vgl. mit Lörsch, Weis-
tnmer No. 101 § 3: erklären, weshalb 14 .Schöffen vorhanden sind. Darüber
später.
4) Diese Lage fallt wohl Lamprecht ins Auge, wenn er sagt, das
Grundgericht hätte sich zum Bezirksuntergericht erweitert.
*) Vgl. Abschnitt I, S. 37 ff. Es ist das nur ein Fall von mehreren,
aber bezeichnend.
6) Vgl. etwa I'iesport, wo die Herren von Esch die Niedervogtei über
die andern innc haben, mit Metternich; hier haben die Isenburg die volle
Niedcrgeriehtsherrschaft
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ßO
vogtci')- Wie ein Keil schob sich in unserer Zeit die Nieder-
vogtei zwischen Niedergerichts- und Grundherrschaft einerseits und
den Untertanen andererseits ein. Wie die Herrschaft, so erlaubte
sich auch der Niedervogt Übergriffe; indessen gerade dadurch, daß
beide mit einander rivalisierten, gerieten sie immer und immer
wieder in gegenseitigen Zwist, und dann berief sich jede der beiden
Gewalten auf das herkömmliche Recht und versprach, es in Zu-
kunft streng einzuhalten, dasselbe auch vom Gegner fordernd.
Den Vorteil hatten die Bauern; es ist demnach gerade die Nieder-
vogtei das hauptsächlichste Moment, welches verhinderte, daß die
Bauern in völlige Abhängigkeit von der Grundherrschaft gerieten,
da die Niedervogtei eine Verschmelzung von Niedergerichts- und
Grundherrschaft unmöglich machte; kam es doch häufig sogar so-
weit, daß diese ganz von der niederen Rechtspflege zurflektrat
und der Niedervogt auf Grund seiner Vogtei zur vollen Gerichts-
herrschaft kam*).
Man muß sich der Verbreitung der Vogtei erinnern, um ihre
Bedeutung nach Gebühr zu schätzen.
Es fehlte während des ganzen Mittelalters zu keiner Zeit an
Vogteibedürftigen. Besonders die geistlichen Stifter und Klöster
bedurften ständig des Schutzes weltlicher Großer, den gegen Ende
des früheren Mittelalters die geistlichen Landesfürsten s) allerdings
wieder abstreiften, dessen aber die vielen kleinen geistlichen
Herrschaften, zumal für entlegenere Besitzungen nicht entraten
konnten. In der Rechtspflege zumal blieb die Vogtei bestehen,
•) VgL für die Verhältnisse Alemanniens die, denen im Mittelrhcin-
gebiot sehr ähnlich sind (Th. Knapp a. a. 0. S. 331 f.), Wyss, Abhandlungen
zur Geschichte des Schweiz, öffentl. Hechts, S. 40 ff. : Die weltliche niedere
Vogtei. Kerner: • K. Lamprecht a. a. 0., S. 1062 ff. : Die Vogtei; ebenso
Gerh. Secliger a. a. 0., S. 158 ff.
*) Vgl. das Niedergericht Planich; über die mannigfachen Übergänge
s. d. I. Abschn.
s) So erlangte der Erzbischof von Trier über sein Territorium die
Vogtei am 6. April 1197, denn an diesem Tage verzichtet Heinrich, Pfalz-
graf bei Rhein, zugunsten des Erzbischofs auf seine Vogteirechte über Kirche
und Stadt Trier, auf seine Befugnisse und Rechte im Trochirgau und in
den Dörfern an der Mosel. 8. Mittelrhcinisches Urkundenbuch II. Bd. No. 165.
Über Vogtei im allgemeinen vgl. G. Waitz, Deutsche Verfassungsgeschichtc
Bd. VII, S. 320 ff., S. 372 ff.; Bd. VIII, S. 63 f. (Beide Bde. in der 2. Aufl.)
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für die Blutgerichtsbarkeit war es sogar unbedingt nötig. Der
Grund hierfür war wieder die Herrschaft der Geistlichen.
Nach strengem canonischen Recht durfte kein Geistlicher
jemand mit der Ausübung der Blutgerichtsbarkeit beauftragen,
geschweige gar selber als Blutrichter fungieren1). Diese Ansicht
bestand das ganze Mittelalter1) hindurch, noch 1507 heißt es:
„Weyset der höfer und lehenmann, mein her der abt mag einen
vogt haben, welcher die vogtey von seinen wegen empfangen solle,
deshalben, ob yemants soweit mißhandelt und begriffen wurde,
daß er vom leben zum tot geurtheilt würdt, dass solle der vogt
lassen thun, so mein herr geistlich ist“; und als Kuriosum
sei angeführt eine Bestimmung aus der Ordnung von Schieferstadt,
wo über die Blutgerichtsbarkeit gesagt wird: „Zu dem ersten, das
ein apt von Limpurg ein gerichtsher ist mit unserem gn. h. von
Speyer; der hat zu richten über blut und fleisz, dweil mein her
von Limpurg geistlich ist“ *).
Ähnlich liegt es mit der Niedervogtei. Seit dem 10. Jahr-
hundert lassen sjch darauf bezügliche Abmachungen zwischen den
Herrschaften und den Vögten verfolgen. Dabei wurde nicht etwa
eine Teilung in der Art vorgenommen, daß die Hochgerichtsbarkeit
dem Vogt zugewiesen wurde, die niedere Rechtspflege der
Herrschaft Vorbehalten blieb. In der Regel umfaßte die Gewalt,
die zwischen Herrschaft und Vogt zu verteilen war, gar nicht die
Hochgerichtsbarkeit4), sondern es handelte sich in den meisten
Fällen um Niedergericht und Grundherrschaft. Da kommt es auf
den jeweiligen Vertrag an, den Herrschaft und Niedervogt mit-
einander geschlossen haben, oder auf die sonstige Auseinander-
setzung der beiden Gewalten; dadurch wird die große Mannig-
faltigkeit der vogteilichen Rechte erklärt4). So finden wir, um
*) Vgl. R. Schröder, Deutsche Rechtsgeschichte4, S. 573 u. An im. 162.
*) Das gleich zu erwähnende Weistum ist vom J. 1507. Vgl. Grimm,
Weistümer II, S. 391: Weistum von Wulferscheid. Auf die hohe Vogtei
gehe ich nicht näher ein.
5) Grimm, Weistümer Bd. V, S. 585: Weistum von Schieferstadt II, § 1.
4) Die Hochgerichtsbarkeit im späteren Mittelalter suchten diu Landes-
herren zu erwerben, und wo es ihnen gelang, Hellen sie dieselben durch be-
sondere Beamte ausüben. Indes, hierauf kann ich nicht näher eingehen.
4) Vgl. die unter Ziffer II in den drei Gruppen aufgefnhrtcn Nieder-
gerichte.
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die beiden äußersten Punkte zu bezeichnen, daß Niedervogtei einfach
gleichbedeutend mit Niedergerichtsherrschaft sein konnte1); es
begegnen aber auch Niedervögte, die keine Richtergewalt mehr
haben s), sondern nur als Schirmvögte neben der Gerichtsherrschaft
stehen, ja sich bloß darauf beschränken, die ihnen früher einmal
zugesagten Bezüge für sich einsammeln zu lassen. Bei dieser
Lage der Dinge verhindert der Umstand ein Zusammenfallen von
Niedergerichts- und Grundherrschaft, daß die eine Grundherrschaft
die Niedergerichtsbarkeit über andere besitzen kann, daß also da,
wo die Niedervogtei fehlt, Niedergerichts- und Grundherrschaft
nicht schlechthin vereinigt sein müssen. Bevogtet kann eine solche
Herrschaft natürlich gleichfalls sein’).
Die Niedervogtei selbst, so verschiedenartig sie war, wird als
nutzbares Recht behandelt, man hat an ihr eine Gewere; sie wirkte
als eine auf dem betreffenden Grund- besser Gerichts-Eigentum
ruhende Last, wurde geteilt, vererbt, verkauft, abgelöst; sie blieb
selbstredend auch dann bestehen, wenn geistliches Gut in Hände
von Laien kam4).
Auf die Grundherrschaft aber hatten die Niedervögte keinen
Einfluß, in die Verwaltung, Einsetzung des Hofverwalters usw.
hatten sie nichts einzureden. Dahinzielende Versuche lassen sich
allerdings nachweisen, besonders aus der Zeit des Interregnums,
aus der Zeit, wo die Herrschaften am meisten des Schutzes be-
durften, wo es andrerseits für die Vögte verführerisch war, ihre
Macht gegen ihre Schützlinge zu mißbrauchen5), und im späteren
Mittelalter fehlt es gleichfalls nicht daran c), bis die erstarkende
Territorialgewalt derartige Gelüste unterdrückte.
Solche Versuche wurden von der Grundherrschaft, die sich mit
Recht in ihrem Besitzstand dadurch bedroht fühlte, energisch
zurückgewiesen; wo aber der Niedervogt Einfluß auf die Grund-
herrschaft gewann, wo es ihm gelang, etwa den Hofverwalter und
die Hubschöffen einzusetzen, da lag es nahe, die bisherige
') Z. B. in Planich. *) So in Kcsselheim. s) Vgl. Güls.
*) Gcrh. Seeliger a. a. 0., S. 1GG. Vgl. auch den ersten Teil des fol-
genden Abschnittes.
&) Beispiele bei Lamprccht III. Bd. No, 45 u. 4G, 50,58; bes. G3 § 2.
6) Vgl. Kesselheirn und Güls (oben S. 25 u. S. 40).
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f,3
Herrschaft ganz aus ihrem Besitz zu verdrängen, besaß er doch
ohnedies die stärkere Gewalt, die Niedergerichtsbarkeit.
Verschieden wie die Wirkung der Niedervogtei ist auch ihre
Begründung. „Sie kann möglicher Weise noch den Trägern der
obem Gewalten, den Gau- oder nunmehr Landgrafen, oder den
Grafen und freien Herren, die durch Ablösung oder Exemtion
größere Gebiete als Herrschaften mit oder ohne Grafenrechte be-
sitzen, als zu der Graf- oder Herrschaft gehörend und die Kom-
petenz der alten Centenare mit in sich begreifend, verblieben sein.
Weit häufiger aber ist sie in neuer Weise über einzelne Gemeinden
auf dem Wege der Lehenserteilung oder etwa auch durch Pfand-
schaft Leuten des Ritterstandes als erbliches Recht zugeteilt
worden und später dann nicht selten durch Kauf auf Städte oder
auch Leute des Bürgerstandes übergegangen“ ').
Nachdem wir so noch die „weltliche niedere“ Vogtei kennen
gelernt haben, können wir, auch ohne daß wir die Grundherrschaft
und ihre Wirkungen genauer untersuchten, doch als Ergebnis
unsrer Untersuchung feststellen, daß Niedergerichts- und Grund-
herrschaft sich im Mittelrheingebiet während des späteren Mittel-
alters durchkreuzen, daß Niedergerichtsherrschaft, Niedervogtei und
Grundherrschaft auf dem platten Lande als besondere Gewalten
neben einander bestehen.
■) Vgl. Wyss, Abhandlungen zur Gesell, des Schweiz, üflcntl. Rechts,
S. 40.
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III. Abschnitt.
Die Bezüge aus der Niedervogtei; Herrschaft und
Untertanen.
Die Niedervögte hielten, wie wir sahen, zUh an ihren Gerecht-
samen fest, und nur selten gelang es der Herrschaft, die Nieder-
vogtei an sich zu bringen1). Der Grund hierfür waren natürlich
nicht die Pflichten, die die Niedervögte übernehmen mußten,
sondern die Rechte, die an der Niedervogtei hafteten. „Die
Adligen Altdeutschlands sind der Hauptsache nach aus den
Ministerialen hervorgegangen. Diese, eine künstliche Schöpfung
der Landesherren für die Zwecke der Kriegführung und Verwal-
tung, waren keineswegs überwiegend auf die Erträge von Grund-
besitz angewiesen, stellten keineswegs eine eigentliche Landaristo-
kratie dar. Es war ein kompliziertes System von Einnahmen
und Berechtigungen, auf das sich ihre Existenz gründete5)“.
Und zu diesen Einnahmen und Berechtigungen gehörten auch die-
jenigen aus der Niedervogtei ; während die Pflichten — wir werden
noch darauf zu sprechen kommen — von keiner allzugroßen Be-
deutung waren, gewährten die Berechtigungen dem Inhaber der
Niedervogtei nicht zu unterschätzende materielle Vorteile.
*) In Güls beispielsweise. Die große Anzahl bis zum Beginn der Neu-
zeit bestehenden Niedervogteien ist ein Beweis dafür.
*) G. v. llelow, Territorium und Stadt, S. 34. Die Weiterbclehnung
der Yogteicn von fürstlichen Personen auf Ministeriale, auf die wir mehr-
fach trafen, bietet die Illustration zu den Belowschen Ausführungen. So in
Kesselheim, in Hirzenach, in Bculich und Morshausen usw. Über die Standes
Verhältnisse vgl. Below, Ministerialitüt; Artikel im llandw. der Staats-
wissenschaften. Ferner 0. v. Zall ingcr. Die SchfifTenbarfreien des Sachsen-
spiegels. Innbsr. 1887. Derselbe, Ministerialen und Milites. Innshr. 1878.
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65
Diese Einnahmen ans der Niedervogtei ’) bestanden einmal in
den Geriehtsgeldern oder wenigstens in einem Anteil an denselben,
weiter in dem Servitium an den Dingtagen und schließlich in
festen Bezügen, die der Niedervogt von seiten der Niedergerichts-
herrschaft oder der Niedergerichtsuntertanen empfing.
Wenn der Niedervogt in irgend einer Weise, sei es persönlich,
sei es durch Stellvertretung oder durch einen von ihm eigens dazu
bestellten Beamten , gewöhnlich Untervogt von uns genannt,
noch an der eigentlichen niederen Rechtspflege teilnahm, dann
hatte er einen Anspruch auf einen Teil der Gerichtsgelder, der
Wetten oder Bußen, die einkamen. Gerade da spielen die be-
sonderen Verhältnisse der einzelnen Niedergerichte, die Verteilung
der Gerichtsgewalt zwischen Herrschaft und Vogt eine besondere
Rolle, sodaß es zu weit führen würde, die einzelnen Niedergerichte
daraufhin zu untersuchen. Manches ist bereite erwähnt8), über
anderes wird später noch zu reden sein. Nur soviel sei hier be-
merkt, daß da, wo eine Teilung der Gerichtegelder stattfand, dies
zumeist in dem alten Verhältnis von */3 zu '/3 geschah; der
Niedervogt erhielt dann gewöhnlich das alte Grafendrittel.
Ein weiteres Emolument war das Servitium an den Gerichts-
tagen; es war die Pflicht der Herrschaft, den Vogt und sein Ge-
sinde während der Tagung des Gerichte zu verpflegen und zu
beherbergen. Dem Niedervogt war es erlaubt, „mit muglichem
gesyndt“ zu kommen; wir werden noch sehen, daß er gelegentlich
recht ausgiebigen Gebrauch davon macht, bis zu dreißig Reiter
bringt er an dem einen Ort mit1).
Das Servitium war in der Regel festgelegt; es umfaßte teil-
weise bestimmte Kleidungsstücke, wie Socken, Schuhe, Stiefel,
Pelze und Mäntel; in unserem Zeitraum, mit dem Fortschreiten
der Geldwirtschaft4) löste man es gerne in Geld ab. Indes, da
') baiu Lamprecht a. a. 0., 8. 1080 ff., S. 1096 ff., wo besonders von
der hohen Vogtei, aber auch der Niedervogtoi gehandelt wird.
3) Siehe etwa Hecheln, Hculich-Morshausen u. a. Vgl. Gcrh. Seeliger
S. 158—166.
*) Lörsch, Weistümer, S. 268 Anl. 2 § 2: In Güls.
4) bas spätere Mittelalter ist für die abendländischen Knltnmationeii
ein Zeitalter der Gcldwirtschaft: schon iin 12. u. 13. Jahrh. bricht diese
überall siegreich durch. Ich verweise dazu auf eine Abhandlung von mir:
.Geldgeschäfte hansischer Kaufleute mit englischen Königen im 13. und
Uroseh, N iedergericht 5
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66
das Servitium dem Vogte nur als Entgelt und Unterhalt an den
Gerichtstagen zugebilligt war, so konnte es ihm vorenthalten werden,
wenn er seiner Pflicht nicht nachkam, oder es setzte ihm die
Niedergerichtsherrschaft für diesen Fall eine bestimmte Summe
aus '). Dabei mochte die Absicht mallgebend sein, dem Nieder-
vogt die Vernachlässigung seiner Pflicht so bequem wie möglich
zu machen, um eine Handhabe zu bekommen, ihn ganz aus der
niederen Rechtspflege zu verdrängen*). Für den Gerichtsherrn
war es jedenfalls am zweckmäßigsten, das Servitium dem Nieder-
vogt selbst auszuzahlen, und es kam tatsächlich selten vor, daß
er diese Last auf die Untertanen abwälzte3).
Wo dagegen der Herrschaft das ausschließliche Recht zustand,
den Dingvogt zu ernennen, und wo sich der Niedervogt von der
niederen Rechtspflege ganz zurückgezogen hatte, hatte er keinen
Anspruch auf die Gerichtsgelder und eigentlich auch nicht auf
das Servitium. Wohl aber standen ihm die Bezüge zu, die ihm
auf Grund der Niedervogtei dauernd gewährt waren; es wurden
dazu teilweise Gebührnisse aus dem Servitium geschlagen, weil
man deren Charakter nicht mehr erkannte; zum Teil bestanden
die regelmäßigen Bezüge auch in der Ablösungssumme, die man
dem Niedervogt gewährt hatte dafür, daß er sich von der niederen
Gerichtsbarkeit überhaupt zurückgezogen.
Die Bezüge konnten wieder zweierlei Art sein: einmal Be-
züge, die der Niedervogt von seiten der Herrschaft, und dann
solche, die er von se;^en ,jer Untertanen empfing.
14. Jahrh.“ im Archiv fiir Kulturgeschichte II. IM. Heft 2 u. 3. lies. S. 139,
Aum. 1.
') So in Trimbs.
'Jt „Wie aber historische Vorgänge immer sehr komplizierter Art sind,
sehr mannigfache Förderung und sehr mannigfache Hemmnisse erfahren, so
assen sich auch bei unserem Problem vielerlei Momente erkennen, welche
die Entstehung, Verbreitung und Art der (lutsherrschaft mit oder genauer
bestimmt haben“. Ich erinnere hier, und hätte es schon mehrmals tun
können, an einen Gedanken llclow’s (a. a. 0. S. 36), um mich gegen den
Vorwurf zu sichern, als hätte ich immer die Absicht gehabt, alle Momente
anzufnhren, die die Förderung oder ein Hemmnis für einen historischen
Vorgang gebildet haben.
3; Aber es kommt doch vor. Pies gegen Lamprecht a. a. f>. S. 1098.
u. Anm. 1. Vgl. fiensheim.
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67
Die ersteren bestanden im „Genüsse eines bestimmten aus
den Fronhofspertinenzen ein für allemal übenviesenen Grundbesitzes“
oder in dauernden Abgaben, die die Herrschaft dem Niedervogt
aus ihren Einnahmen gewährte. Es ist natürlich gut möglich,
daß er beides empfing, mochte es ihm nun durch Ablösung ge-
währt werden oder als Schirmgeld zuerkannt sein.
Ebenso empfing er von den Niedergerichtsuntertanen bestimmte
Abgaben ; gerade diese charakterisieren die Stellung der Unter-
tanen zur Herrschaft, so daß wir in der Folge darauf besonders
unser Augenmerk richten. Wo eine Niedervogtei überhaupt nicht
bestand, wo die Grundherrschaft zugleich volle Niedergerichts-
herrschaft war, da nahm sie auch alle Abgaben ein. Um aber
diejenigen kennen zu lernen, die nur aus der Niedergerichts-
herrschaft herrührten, die nicht grnndherrlicher Natur waren, sind
die Bezirke zu untersuchen, die unter einem Niedervogt stehen.
Beginnen wir mit dem Orte, wo der Niedervogt gewisser-
maßen die volle Niedergerichtsherrschaft hat, mit Planich ').
Dot Niedervogt, der Herr von Löwenstein, hat hier inso-
fern eine besondere Machtstellung, als er jeden, der zu Planich
sitzt ohne nachfolgenden Herrn, in seinen Eid tun darf; er hat
die Niedergerichtsherrschaft, und diese erstreckt sich über alle
Einwohner des Dorfes.
Sein Servitiuin wird von den Huben erhoben, die außerdem
die freien Zinse an die Grundherrschaft abzuliefern haben. Diese
interessieren uns zunächst nicht, nur die Art der Erhebung ist zu
erwähnen. Während nämlich der Beamte der Grundherrschaft, der
Schultheiß, deren Zinse eintreibt, besorgt dies für den Niedervogt
der Gerichtsknecht. Denn an dem Tage, an dem die Herren von
Löwenstein einreiten, „so soll ein gesworen budel von denselben
hubem eime ritter gewinnen ein hun und sime genösse ein hun,
der zu dem gerichte höret, und iglichen pherde ein summer liabern
und dem rosse ein vemzal habern den dach und die nacht.“
Ferner, wenn sich nach St. Joh. Bapt. s) Tag kommen, soll ihnen
der Büttel das Falltor aufmachen und soll ihnen „einen wech ader
eine anewende“ vorschneiden, das sie zu nacht essen mögen.
■) (iriinm, Wi'ixtflinor IM. I. S. SIO.
*) Der ‘J 4 . Juni.
5*
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68
Am eigentlichen Gerichtstag soll jeder „einen phening“ geben,
„zu verdrinken mit eime amptmanne zu den zweien nngeboden
dingen;“ auch diejenigen, die die Huben inne haben, sollen geben
„eime amptmanne zu den zwein ungeboden dingen einen pheninc;“
„und wer die hüben hait und der faitpheninge nit engebit ader
zu den ungeboden dingen nit enwere, he were an dorfe ader uiss-
wendig dorfes, so mag ein foit sin gut an ban dun unde deme
gute nachfolgen, alse die scheffen wisent.“
Außerdem erhalten die Herren von Löwenstein die ständigen
Bezüge; zunächst von den Herren von St. Jakobsberg jährlich
ein Binger Fuder Weins, wohl deshalb, weil sie die Schirmvogtei
über die Einnahmen des Klosters aus dem Dorfe ansüben. Ferner
von den Huben „hunre und haben»“; diese soll der Büttel ihnen
aus den Huben gewinnen bis zum 24. Juni, und zwar soll jede
Hube soviel geben als die andre. Die Huben sind pflichtig,
„sechzehn morgen schussen den zwein unser frauwen tage den
vorgen. hem von Lewenstein; alle jar ein malder komes Binger
maisse und seis Schillinge heller und zehen gelten wines in dem
ersten Banne Binger maisse.“
Wer zu Planich sitzt und keine Hube hat, „und die herren
nit angehoret“, der ist den Herren von Löwenstein nur ein Fast-
nachtshuhn zu geben schuldig; dämm darf er dann Wasser und
Weide gebrauchen.
Vergleichen wir damit die Abgaben, die an das Domstift ab-
zuliefem sind, so erhält dieses seine freien Zinse nach Martini;
auf St. Martinstag fallen ihm neun Kappen, vermutlich nach der
Zahl der Huben. Jeder, der eine Hube inne hat und dem Dom-
stift freie Zinse gibt, ist ihm auch das Besthaupt schuldig; dieses
wird indes nur dann fällig, wenn ein Mann stirbt; dessen Erben
haben es an das Stift abzuführen.
Also die Fastnachtshühner empfangt der Niedervogt von allen
denen, die ihm keine sonstigen Abgaben, nicht „hunre und habern“
wie die Huber schuldig sind; die Grundherrschaft dagegen erhält
von den Hubern das Besthaupt.
In Triinbs ') hat der Niedervogt Anspruch auf die „vaitdvnste“,
auf das Servitium, und zwar empfangt er zu jedem Ding einen
l) (i lim in. Weintüiner Kd. tl, S. 470.
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60
Vogtdienst; kommt er zu einem „Oeding“ nicht, so erhält er
vom Schultheiß für jeden Dienst 3 Mark kölnischer Währung.
Die Dienste selbst sind spccialisiert. Zum ersten Ding darf er
kommen mit zwei Pferden, mit einem Habicht, mit einem Wind-
und zwei Vogelhunden. Dann soll man dem Burggrafen und
seinen Dienern gütlich tun und soll dem Habicht ein Huhn geben;
der Windhund soll „vur der taiffelen“ gehen und den beiden
Vugelhunden soll man einen reinen Stall mit frischem Stroh
geben nebst Wasser und Brot, ebenso den Pferden ihr Futter,
soviel ihnen zukommt. Ferner soll der Niedervogt beim Wegreiten
ein Malter Hafer erhalten, damit er Futter habe in der nächsten
Herberge. Dieselben Dienste bekommt er am Dienstag nach St.
Johannstag und am Dienstag nach Quasimodogeniti, nur das Malter
Hafer wird nicht gereicht.
Kommt einer der Höfer nicht zu den vorgeschriebenen Dingen,
der wird am ersten, dem sogen. Geschworenen-Montag, mit 10 den.,
zu Ostern mit 10 den. und zu St. Johannis Messen mit 7'/s Schilling
leichten Geldes gebüßt. Sonstige Bezüge des Niedervogtes werden
nicht erwähnt.
Sehr gut unterrichtet werden wir über die Einnahmen des
Niedervogtes von Güls.
Schon 1066 bestimmt Erzbischof Anno von Köln über das
dem Niedervogte an den einzelnen Gerichtstagen zu reichende
Servitium „Sitque servitium, quod abbas advocato in unaquaque
die placiti dare debeat: 2 modii tritici; ama vini; 2 amae cer-
visiae; porci 2 valentes duos sol.; porcellus denariorum 6;
anseres 2; pulli 4; ova 20: avenae modii 6“, und für Güls wird
speziell hinzugefügt: „In Gulsea tantundem excepta cervisia, que
non potest dari eo, quod ibi non sit.“
In der Urkunde' vom 15. Juni 1321 werden diese Abgaben
an den Niedervogt von seiten der Niedergerichtsherrschaft folgender-
maßen aufgezählt: „Insuper dimidium maldrum tritici, una uma
vini, unum maldrum avenae, decem et octo denariata carnium,
dimidium talentum piperis et unum talentum cere, que nobis
tribus vicibus anni in iudicio, dicto wislichdinc, solvebantur2).“
') Lörsch, Weistfimer, S.268 Anm. 1. Einleitung zu den Weist, von Güls,
S. 257 Z. 1 1 IT. Über die HerrschaftsvcrhSltmsse von Güls, s. Abschn. I, S. 41 ff.
*) Lörsch, S. 258. Über „wislichdinc“ unten IV. Abschnitt.
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70
Außerdem wird als jährliche Abgabe ffir den Niedervogt, und
zugleich als Grund, weshalb er sie erhält, festgesetzt: „ ... et
ipsi nobiles omne ius curie conservabunt, quod patre ipsorum vi-
vente servabatur, pro quo ipsis annis singulis datur carrata vini“ —
nach einer Bestimmung vom Jahre 1227 ') — und 1321 erhalten
sie: „Una karrata vini, pelliceum unum duo cotumi, singulis
annis nobis solvi consueti®).“
Es erfolgte sodann der bekannte Verkauf der Niedervogtei an
die Abtei Siegburg durch die Urkunden vom 1. Februar 1335 und
23. Februar 1330; freilich erlangte die Abtei dadurch nicht den
vollen Besitz der Niedervogtei, sondern nach einem langwierigen
Streit setzte sich bekanntlich Konrad von Brohl, der Sohn Sieg-
frieds, in ihren Besitz, worauf die Bezüge durch einen Schieds-
spruch des Erzbischofs Wilhelm von Köln vom 14. Dezember 1357 3)
neu geregelt wurden. „Abbas et conventus“ heißt es da, „tene-
bantur et tenentur, tribus vicibus in anno quolibet prefatum Con-
radum advocatum ad dictam curtem deelinantem cum sua comitiva
infra numerum triginta equitum seu equorum graciose ad eorum
ibidem hospicium admittere et curialiter recipere et in cibariis
iuxta modum et condicionem patrie et temporis exigencium et
personarum qualitatem honeste procurare et equis ipsis . . . pa-
bulum ministrare.“ An die Stelle dieser Naturalverpflegung setzt
Erzbischof Wilhelm eine jährliche Geldrente von 30 Mark: „ ... et
dabunt et solvere tenebantur dicto Conrado . . . dicto curtis
advocato, perpetuos annos redditus triginta marcarum Hollan-
densium. . .
Außerdem erhält Konrad auch die jährlichen Bezüge weiter:
„, . . racione dicte advocacie unam carratam vini, solvendam in
ipsa curte de Gulse libere, iam doliatam et in dolio et vase dic-
torum . . . abbatis et conventus“. Weiter empfängt er: „Singulis
annis in festo obitus beati Martini . . . unum pelliceum aguinum
de Dacia, duos cotumos sive botos, bntschoen appellatos, unam
libram piperis, unum porcum valoris extimacione communis octo
sol. monete communiter currentis . . . vel octo solidos eiusdem
monete, pro eodem neenon et octo sol. monete supradicte.“ Das
‘) Lörsch, Anlage 1.
3) Ebenda, S. 258.
3) Ebenda, Anlage 5 §§ 2 — 5.
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Pfund Pfeffer, das Sehwein und die 8 Schillinge gewöhnlicher
Währung, die er im Gegensatz zu früher jetzt- mehr erhält, hatten
ursprünglich zu den dreimaligen Einkünften gehört, obwohl diese
durch die Geldrente von 30 Mark abgelöst worden waren, waren
jene doch erhalten geblieben und zu den jährlichen Bezügen ge-
schlagen worden. Man kann daraus ersehen, daß Servitium und
Bezüge nicht etwas bestimmt Normiertes war, und wenn von uns
beides gegen einander abgegrenzt wurde, so geschah dies zur Er-
leichterung des Verständnisses dieser Einnahmen; es ist lediglich
Sache der Herrschaft, sich mit dem Vogt in dieser Hinsicht
vertragsmäßig auseinanderzusetzen, wie ja das Verhältnis dieser
beiden Gewalten ganz auf dem Vertrag beruht, den sie mit ein-
ander abgeschlossen haben.
Im Jahre 1325 hatte Konrad von Brohl der Abtei die
sogen. Meybede mit verkauft, die dann 1385 dem Niedervogte
Dietrich von Brohl wieder zugewiesen wird '). In dem eben an-
geführten Vergleich wird sie nicht genannt, vermutlich deshalb,
weil sie der Niedervogt von den Untertanen und nicht von der
Herrschaft des Niedergerichts empfing. Außerdem ist 1335 eine
Einnahme verzeichnet, die bis dahin überhaupt nicht erwähnt
worden ist, wohl aus demselben Grunde nicht erwähnt, wie
die Meybede. Am St. Martinstag nämlich, wenn Vogtding ist,
fällt dem Vogte von jedem Hause zu Güls, in welchem ein Mann
wohnt, ein Vogtpfennig; ausgenommen sind die Häuser, die im
Eigentum der Leute stehen, welche dem Reiche angehören, oder
Dienstleute des Trierer Erzbischofs oder Schöffen von Güls sind.
Hierbei interessiert vor allem die Bestimmung, daß der Vogt-
pfennig von jedem Hause fällt, in dem ein Mann wohnt, und daß
gewisse Häuser davon befreit sind, nämlich diejenigen, deren
männliche Bewohner in einem besondern Dienstverhältnis stehen.
Die Abgabe ruht also auf dem Hause, nicht auf der Person2).
') Lörsch, Weistnuicr No. 95 §2. Das Folgende ebenda. §3.
*) Dingpllichtig sind aber nur die Männer, die Frauen gehören nicht
zuui Umstand; die Verhältnisse sind bei unserm Niedergericht also dieselben
wie beim niederen Landgericht der vorhergehenden Periode. Ich erwähne
folgende Bestimmungen: .Dan fraigt der schultheisc furter die scheffenne,
were an solich gedingc gehoere ? Sprechen die scheffene : werc da belebend
si von mim gnedigsten hem von Trier, der gehoere dar und der sulle sich
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Abgesehen davon stimmt das dem Niedervogt 1383 gewiesene
Beeilt mit dem ihm durch den Vertrag von 1357 zuerkannten
überein, nur hat man ihm für die 30 Mark jährlicher Rente einen
Zoll zugestanden; für jedes Faß Wein nämlich, das von St.
Remigiustag bis Martini (1. Oktober bis 11. November) ausgeführt
wird, erhält er einen Heller1).
Am 11. Januar 1546, also nach einem Zeitraum von 160 Jahren
wird eines Erbvogts zu Güls Gerechtigkeit von neuem gewiesen*);
das Weistum, das darüber aufgenommen wird, erwähnt tatsächlich
nur Vorschriften über das, was dem Niedervogt zusteht. Da er-
fahren wir über die Bezüge des Vogtes folgendes:
Am ersten Dingtag, d. h. am zweiten Dienstag nach Martini,
erhält er einen bfilunischen Pelz, ein Paar Botschuhe, ein Pfund
Pfeffer, und ein Schwein im Wert von acht Albus. Am zweiten
Dingtag — am zweiten Dienstag nach Ostern — empfängt er die
Meybede; sie soll ungefähr acht Albus betragen. Am dritten
Dingtag — am zweiten Dienstag nach Johanni — erhält er die
Weinbede, und zwar erhält der Niedergerichtsherr — es ist jetzt
der Landesherr, der Kurfürst von Trier — zunächst ein Fuder
Wein im voraus; den Rest teilen sie, doch so, daß der Kurfürst
seinen Teil nach großem, nach Bacharacher Gemäß, der Niedervogt
dieselbe Anzahl Ohm, aber nach kleinem, nach des Dorfes Güls
Gemäß bekommt1).
Nicht überall sind wir imstande, die Einnahmen aus der
Niedervogtei durch einen Zeitraum von fast fünf Jahrhunderten zu
verfolgen wie in Güls; gerne ergriffen wir daher die Gelegenheit,
bewisen im unguboden gedinge, ussgcscliciden wiedfrauwon und den hirten
(Lörsch, No. 29 §3) ferner „die Herren von Löwenstein sind Herren und
Hicbtcr zu Flanich über Feld und im Dorfe, soweit die Mark geht und die
Schöffen und das Gericht weisen, Kirche und Witwen ausgenommen.“
(Uri mm, Weistnmer Bd. I, S. 810.) Vgl. dazu S. 79 u. a. a. 0. dieser Arbeit.
() Su ist am besteu die neue Bestimmung zu erklären: „ . . . und ejn
zoll alleiar van seilte Kemeys dach bis sente Mertyns dach und dainbinuun
horint uymo vade bysunders zu.“ Vergl. Lörsch, Weistnmer No. 95 § 2;
No. 97 § 3: S. 352: Zoll.
*) Ebenda, No. 96.
3) Ein Ohm Wein hat 18 Gülser Viertel oder 20 Viertel nach Haclia-
raclicr Gemäß. Dieses ist also um zwei Viertel größer als jenes. Vgl.
Lörsch, Wcistümor No. 92 § 5.
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diese Bezüge in ihrer ganzen Vollständigkeit anfzuzeichnen, so
ausführlich, als es die vorliegenden Urkunden überhaupt gestatteten.
Anderswo liegt in der Regel nur eine Urkunde darüber vor, und
wo die Herrschaft ein Weistum aufnehmen läßt — es ist schon in
der Einleitung davon die Rede gewesen — , läßt sie die Gerecht-
same des Niedervogtes nur soweit aufzeichnen, als sie mit den
ihrigen konkurrierten. Daran muß man denken und sich der ge-
nauen Gülser Weisung erinnern, wenn man findet, daß die Ein-
nahmen aus der Niedervogtei verschwindend klein sind, ja, wenn
überhaupt dem Niedervogt keine gewiesen werden; ebenso können
stets die Gülser Bezüge zur Erklärung unklarer Formulierung der
Einnahmen aus der Niedervogtei dienen.
In Beulich ') — auf solche Ausführlichkeit wie in Güls stoßen
wir nun nicht mehr — soll der Heimbürge an den drei Banntagen
nach St. Martinstag 40 Albus zusammenbringen, und zwar von
denjenigen, die daselbst begütert sind. Er soll sie an die Unter-
vögte abliefern, die sie zu gleichen Teilen für den Kurfürsten
und die Lehnherrn teilen sollen. An den drei gebannten Tagen
nach St. Paul sollen vom Heimbürgen 20 Albus aufgebracht
werden, mit denen in gleicher Weise verfahren wird.
Ferner geben die beiden Dörfer 34 Malter Getreide, Bopparder
Maßes, für Nachtlager, Vorspanndienste*) und alle Beschwerung,
die man den Dörfern etwa auferlegen könnte; davon gibt der
Kurfürst den Lehnherren 13 Malter ab. Dazu sollen alle bei-
steuern, welche begütert sind, und zwar gibt der, der nur soviel
Grund hat, daß er einen dreibeinigen Stuhl darauf setzen kann,
genau soviel wie ein andrer, dessen Gut 2000 Gulden wert ist.
An gemeinsamen Abgaben leisten Beulich und Morshausen
noch folgende: Wer daselbst begütert ist, der ist alle zwei Jahre
ein Simmer Vogthaber und den sogen. Vogtheller — im Betrage
*) Lörsch, Weistümer No. 18 §§ 2, 3, 5, 7 — 9. Das Weistum ist vor
15fi3 aufgenommen : zu den Abgaben, die nur von Beulich aufgefnhrt sind,
hat wohl Morshausen ebenfalls beigesteuert: die beiden Orte bilden eine
gemeinsame Niedervogtei.
*) Heerwagen. Lörsch (Weistüuiur, S. 333) erklärt Vorspannleistung
als Frondienst, abgelöst durch Haferabgabe. Die Beulicher haben Wagen
für den Transport zu stellen, wenn der Landesherr einen Heereszug unter-
nimmt. (Vgl. G. v. Below, Territorium u. Stadt S. 12fi.) Diese öffentliche
Lost wird durch die Getreideabgabe abgclöst.
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von IV, Heller — den üntervögten schuldig, und zwar deshalb,
weil sie das Straßengericht besitzen und handhaben; der Heim-
bürge gibt ihnen noch ein Essen; das ist der Vogtlohn. Ferner
erhalten die Lehnherren von Beulich drei Hammel und von Mors-
hausen zwei Hammel und etliche Böcke; „sie wissen nicht, wes-
halb, und meinem gnädigen Herrn (dem Kurfürsten) wird nichts
davon“, fügte der Notar, der das Weistum aufzeichnete, liinzu.
Hier wird wieder darauf hingewiesen, daß nur der zu Ab-
gaben herangezogen werden kann, der begütert ist, d. h. Grundbesitz
hat, also nicht auf der Person schlechthin ruht die Abgabe. Bei
den Fastnachtshühncm wird ausdrücklich bemerkt, daß nur der, der
Feuer und Flamme hat, ein solches Huhn geben muß, denn es heißt :
„Darnach kompt die fastnacht, so sollent die von Beulich, diejenige,
so feur und flam halten, meinem gnedigsten hern ein fastnacht hon
geben, die beyde vaigt sollen umb gehen und die uf heben und
gleich theilen“ '). Der betreffende Einwohner muß es also geben,
weil er Feuer und Flamme hat : das Rauchhuhn ist eine dingliche
Abgabe.
Das Weistum von Oberhirzenach und Karbach, auch das von
Rübenach, das wir gelegentlich einmal erwähnten, enthalten von
Einnahmen des Niedervogtes gar nichts. Beide Weistflmer sind
im Interesse der Grundherrschaft aufgenommen, darum wird von
Bezügen nichts erwähnt: diese werden wohl ähnlich denen von
Güls gewesen sein.
In Kesselheim2) ist die Herrschaft dem Vogt an jedem der
drei Gerichtstage eine Mahlzeit schuldig.
In Schwanheim5) werden die Abgaben an den Vogt an den drei
ungebotnen Dingtagen entrichtet. Am ersten derselben, im Mai,
fallen ihm zwei Mark Geldes innerhalb der nächsten 14 Tage nach
dem Gericht, aus des Abtes Hof. Der zweite ist im Herbst; an
diesem erhält der Vogt aus des Abtes Hof zwei Schweine, sogen.
Frischlinge, unter ein Jahr und über ein halbes Jahr; ferner fünf
Simmern Hafer, '/s Pfund Pfeffer, '/s Pf’ur|d Wachs, ein großes
■) Lörsch, Weistömer Nu. 18 §7.
*) Lörsch, No. 77 §4.
*) Grimm, Weistömer, Bd. I, S. 521. Becheln soll Übergängen werden,
weil daselbst der Niedervogt auch grimdherrlichc Gerechtsame hat. Kbenso
Sulzbach und Niederwalincnacb, wo wir über Bezöge gar nichts erfahren.
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Viertel Wein; und am dritten ungebotncn Ding, zu Neujahr, er-
halt der Vogt einen Wägen mit Holz; ferner soll er vorfinden:
„eyn diseh und evn wiss tuch, daruff dry spisse, nichts darinne,
und zwen becher, und auch nichts darinne“.
In Kärlich ‘) ist der Fronbote dem Niedervogt zu verschiedenen
Diensten verpflichtet; einmal muß er demselben an einen bestimmten
Ort, wohin der Vogt will, 17 Malter Winterweizen schaffen, die
dem Niedervogt fällig sind in Koblenz, Andernach, Kärlich, Kettig
und Mühlheim; ferner muß er mit dem Schultheißen und dem
Untervogt gehen, wenn der Untervogt sich anschickt, das den
Herren oder dem Vogt Pflichtige einzusammeln. Trifft es sich,
daß ein Haus oder der Einwohner den Herren und dem Vogte
zugleich verpflichtet ist, so soll der Untervogt erst das den Herren
Schuldige einnehmen und dann erst das des Niedervogts.
Von den Bezügen selbst hären wir in einem spätem Weis-
tum *), nach welchem der Vogt von jedem Huber '/i Simmer Haber
wegen seines Vogtrecht-s erhalten soll. Die Abgabe lastet auch
hier auf dem Gute des Hubers. Wenn es daher früher hieß:
„domus seu inhabitans“, so ist der Einwohner verpflichtet zur Ab-
gabe eben als Besitzer des Hauses. Wir können darum schließen,
daß auch hier die Abgabe rein dinglich ist.
Zu diesem Schlüsse gelangen wir noch auf einem andern Wege,
indem wir nämlich verfolgen, wie die Huber dem Vogte pflichtig
wurden.
Im Jahre 1305 stellen in einem Vergleich der Ritter Simon
von dem Burgtor und das Stift St. Florin zu Koblenz des ersteren
Vogtrechte zu Kärlich fest3). Für die Ausübung der Niedervogtei
erhält er folgende Abgaben: Der Pächter der Hofes ist ihm alle
Jahre nach Ostern '/, Malter Winterweizen, '/, Malter Kom und
ein Malter Hafer für Futter, Andernacher Maßes, zu geben
schuldig. Der Schultheiß ist alle Jahre pflichtig: „eynen Eymer
Wines den Rittern zu Schanke nyt von dem besten und auch nyt
von dem lielisten, den Knechten eynen Eymer Wines und eynen Eymer
Byeres, dez dat Viertel eynes Tryessen Penniges wert ist, zwene
*) Lörsch, Weistümer, No. 80, § 13 u. 14. Das Weistum ist ungefähr
aus dem Jahre 1304.
5) Kbenda No. 82, Absch. V: „Belangen die faedey“.
3) Codex diplomaticus Hheno-Mosellanus III. Bd., S. 714, No. 501.
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Schillinge vor eyn Swin, zwey Hunre, eyn I’ont Wascs, eyn Pont
Puffers , eynen Tryessen Pennick unbedacht“. Auch der Hof ist
schuldig zu dienen; es muß ein Fuder Holz geliefert werden.
Dasselbe Recht muß man alle Jahre zu St. Johannes Messe
geben, nur soll man dann ein Schaf für das Schwein abliefem
und dazu zwei trierische Pfennige für Speck. Ferner soll den
Rittern gegeben werden: „tussen den zweyn unser Vrauwin Missen,
dat sye zu Hymele vur und geboren wart '), gelegen vor Herbcste
syben Malder Weyses und syben Malder Kornes, dye dürre und
drucken sin molengar“.
Nach einem Vergleich des Jahres 13!)0J) erhalten dagegen die
Niedervfigte nur noch „sieben Malder Wcyss und sieben Malder
Korns, dürre, drucken und mulengar, alle Jahre zusschen den
zweyen unser Frauwen Missen, als sie zu Hiemel fure, daz man
nennet Assumptio, und als sie geboren ward, die man nennet zu
latine Nativitas, vur dem Herbste .... uss dem vurgen. yrem
höbe zu Kerlich vur sulichen Dienst, den sie uns jerlich plichtig
wäre zu dune uss demselben Hobe, als vurges. ist“.
Die Dienste an den Gerichtstagen sind in Wegfall gekommen,
weil der Niedervogt das Gericht nicht melir besitzt und sich von
der Niedergerichtsbarkeit überhaupt zurückgezogen hat. Die Be-
züge erhält er weiter, aber diese hat die Herrschaft auf die Huben
abgeschoben; er empfängt sie nicht mehr von dem Pächter des
Hofes, sondern von den Hubern. —
Es ist so ausführlich auf die Bezüge eingegangen worden
zunächst deshalb, weil sie das Wesen der Niedervogtei mit be-
stimmen; nicht nur die niedere Gerichtsbarkeit, auch die Bezüge
gehören zum Inhalt- der Niedervogtei. So finden wir, daß der
Niedervogt mancherorts, z. B. in Kärlich, mit der Niedcrgerichts-
tiarkeit gar nichts mehr zu tun hat, daß er aber doch mit der Nieder-
vogtei weiter belehnt wird, weil er einen Anspruch auf die Bezüge
aus derselben hat.
Die Niedervogtei ist also Lehen, vererblich, teilbar und be-
sonders auch frei veräußerlich und frei verpfändbar.
Die Teilbarkeit der Niedervogtei ist nicht so zu verstehen,
daß jeder Teilvogt selbständiger Niedervogt geworden wäre, und
') 15. August und 8. September.
*) Codex diplomaticus Kheno-Mosellanus 111. Bd., S. 880, No. 620.
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77
daß vielleicht jeder seinen eignen Untervogt hätte bestellen können;
sie werden vielmehr zu gesamter Hand belehnt und haben ge-
meinsam ihre Pflicht zu erfüllen. Dafür erhält jeder seinen Teil
von den Einnahmen aus der Niedervogtei. Die Teilbarkeit bezieht
sich also auf die Bezüge; in Sachen der Niedergerichtsbarkeit
haben sie gemeinsam zu verfahren.
Auch veräußerlich und verpfändbar ist die Niedervogtei ; aber
wieder ist dabei maßgebend, daß mit der Niedervogtei bestimmte
Einnahmen verbunden waren. So verweist am 21. Januar 1293')
der Erzbischof Boemund von Trier seinem Getreuen und Amtmann
Hermann von Helfenstein für eine Schuld von 60 Mark kölnischer
Währung wegen Übernahme der Burgmannschaft auf Ehrenbreit-
stein auf den Ertrag der Gerichtsgefälle von Niederberg, indem
er bestimmt: „daß der Helfensteiner als Pfand oder Hypothek
alle unsere Niedergerichtsbarkeit (iurisdictio) von Niederberg, wie
sie uns zu vollem Rechte zusteht, mit Ausnahme der zur Zeit der
Fastnacht uns daselbst fälligen Hühner, habe, besitze und ge-
brauche, bis er für die erwähnte Summe voll befriedigt ist“. Er
soll später dafür ein regelmäßiges Burglehen erhalten.
Auch der Vorgang bei der Veräußerung einer Niedervogtei
ist der Erwähnung wert; die Übertragung geschah auf dem platten
Lande noch in unserem Zeitraum durch eine symbolische Handlung.
In der Stadt war man von dieser Art des Verkaufs längst abge-
kommen; das sich entwickelnde Kreditwesen hatte andere Formen
hervorgebracht.
In Güls*) hatten bis 1314 die Brüder Siegfried und Konrad
v. Brohl gemeinsam die Niedervogtei inne. In diesem Jahre ver-
kaufte Siegfried alle Rechte und jede Forderung, die ihm Zuständen
oder auf irgend eine Weise zustehen könnten an der Vogtei und dem
Dorfe Güls, an Konrad mit aller nötigen Feierlichkeit und der
dabei zu beachtenden Gewohnheit, nämlich durch die sogenannte
effestucatio 3) ; denn zum Zeichen des Verzichts und der Übertragung
warf Siegfried einen Krug mit Bier an die Mauer des Hofes, den
') K. Lamprecht, Deutsches Wirtschaftsleben, III. Bei., No. 74.
*) Lörsch, Weistümer, No. 93.
s) „Et rcnunciari et effestucavi ac renuncio et effestuco pro me et
meis hercdibus publice . . . .“ heiUt es an einer Ähnlichen Stelle. Lörsch,
Weistümer, S. 2G4.
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Abt und Convent zu Güls besaßen, indem er dabei folgendes
öffentlich verkündete:
„Ich habe kein Recht mehr an der Vogtei, dem Besitztum und
dem Dorfe Güls, sondern alles Recht, was ich an demselben hatte
oder haben konnte, gebe und übertrage ich meinem Bruder Konrad.“
Aus einem andern Grunde noch ist so genau auf die Bezüge
eingegangen worden: gerade an der Hand dieser können wir die
Stellung der Niedergerichtsuntertanen zur Herrschaft erkennen.
Stellen wir darum noch einmal alles zusammen, was wir in dieser
Beziehung im Verlaufe unserer Untersuchung erfahren haben1).
In Becheln erhält der Niedervogt besondere Abgaben von den
Huben; weiter muß jeder Einwohner des Dorfes, die Huber nicht
ausgenommen, an den Gerichtstagen dem Dingvogt einen Pfennig
entrichten; ebenso ist jeder, sowohl der Huber, wie der, der keine
Hube hat, dem Niedervogt ein Fastnachtshuhn schuldig.
In Güls finden wir diese hier etwas undeutlich gelassene
Bestimmung genauer gegeben. Am St, Martinstag nämlich, wenn
das Vogtding ist, fällt dem Vogte von jedem Hause in Güls, in
dem ein Mann wohnt, ein Vogtpfennig; ausgenommen sind die
Häuser, die Eigentum der Leute sind, welche dem Reiche ange-
hören, ferner die der Dienstleute des Trierer Erzbischofs und die
Häuser der Schöffen von Güls. Also die Abgabe haftet ain Hause,
sie liegt nicht auf dem Besitzer, sie ist dinglicher Natur, nicht
etwa ein Leihzins.
In Benlich wiederum bringen diejenigen die Abgaben auf,
die daselbst begütert sind, und wer Feuer und Flamme hat, muß
den Herren ein Fastnachtshuhn geben. Auch in Kärlich sind die
Huber schuldig, den Vogthaber abzuliefern; hier ruht ebenfalls
die Abgabe auf dem Besitztum, nicht auf der Person, wenn auch
der Vogthaber eine andere Abgabe ist als das Fastnachtshuhn.
Wie war nach dem eben Angeführten nun die Stellung der
Niedergerichtsuntertanen zur Herrschaft ?
Der Bauer am Mittelrhein ist während des 14. und 15. Jahr-
hunderts frei gegenüber der Niedergerichtsherrschaft 2). Denn nach
') Ich beschränke mich auf die hier untersuchten Niedcrvogtcicn und
der bezöge aus diesen. Vgl. dazu K. Lamprccht a. a. 0. 1.2 S. 117h 11
*) Hie Abhängigkeit von der Orundherrsrhaft ist noch zu untersuchen:
du die reine Urumlhcrrschuft eine viel weniger zwingende Marht ist wie die
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deutscher Auffassung sind die Abgaben derart, daß seine Person
durch dieselben nicht berührt wird; sie halten am Besitztum, nicht
an der Person.
Freilich über das Besitztum, über das (lut, erstreckt sich die
N iedergerichtsherrschaft.
Die Dorfmark, oder das ganze Kirchspiel, ist Niedergerichts-
bezirk; alles, was innerhalb derselben liegt, ist gerichtsuntertan.
Zur „Rekognition“ dieser Tatsache erhalt der Niedergerichtsherr
als Rekognitionszins — denn eine andere, etwa materiell ins Ge-
wicht fallende Leistung sind weder die Hühnerzinse noch der
Vogtpfennig für die Verpflichteten — von den Häusern die Rauch-
hühner und von denen, die begütert sind, den Vogthaber und den
Vogtpfennig. Es sei hier noch einmal erinnert an die Verpfän-
dung der Jurisdiktion von Niederberg '), wo der Niedprgerichtsherr
ausdrücklich die Fastnachtshühner von der Verpfändung ausschließt
und für sich Vorbehalt, weil er das Niedergericht nicht veräußert,
sondern nur verpfändet. Dadurch, daß er noch weiterhin die
Hühnerzinse einnimmt, erweist er sich als der eigentliche Nieder-
gerichtsherr.
Mit dem Rekognitionszins ist aber ausgedrückt, daß alles
Gut unter der Gerichtsherrschaft steht, wie es ja auch vorkommt,
daß das ganze Dorf gemeinsam eine derartige Abgabe abzuliefem
hat. Es erhalten, wie wir gesehen haben, die Niedervögte von
Beulich und Morshausen jährlich 3 Hammel von Beulich und
zwei Hammel und etliche Böcke von Morshausen; wenn diese
Abgabe nicht etwa ein Rest des Servitiums ist, was auch möglich
wäre, so wird durch sie ausgedrückt, daß die beiden Ortschaften
unter gemeinsamer Niedergerichtsherrschaft stehen.
Vergleichen wir mit unserem Ergebnisse die spätere Zeit2)
vom Beginn der Neuzeit bis zur Bauernbefreiung (etwa das 17.
Niedergerichtsherrschaft, ist eine persönliche Bindung des Bauern durch sie
unwahrscheinlich; nur das Out ist ihr unterworfen. Oer Hochgerichts-
herrschaft gegenüber ist der Bauer ebenfalls völlig frei. Vgl. dazu Lörsch
Wcistümer No. (17) § 6.
■) S. 77.
s) Th. Ludwig, Der badische Bauer, S. 25. Ich sehe, im Oegensatz.
zu jenen Lainprechtschen Behauptungen, die ich in der Umleitung skizziert
habe, folgende Entwicklung des deutschen Bauernstandes: früheres Mittelalter,
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so
nnd 18. Jahrhundert), so finden wir, gewissermaßen als Bestäti-
gung, fast dieselbe Lage der Dinge noch vor. „Die gerichts-
herrlichen Abgaben müssen immer im Bezirk einer ganzen Ge-
meinde, nie von einzelnen Untertanen geleistet werden. Als
verpflichtet wird nämlich nicht der Vermögensbesitzer, sondern der
in dem pflichtigen Bezirk befindliche Vermögensbesitz selbst an-
gesehen. Es müssen daher auch Personen , welche gar keine
Gerichtsuntertanen sind, doch von gerichtspflichtigem Vermögen,
wie wir uns ausdrücken wollen, die Abgabe bezahlen. Die Gerichts-
gefälle sind regelmäßig wiederkehrende Zahlungen, welche mit
Vermögensbesitz überhaupt oder bestimmten Arten von Einkünften
verknüpft sind“.
Die Bewohner des Niedergerichtsbezirks sind demnach per-
sönlich frei'); als Niedergerichtsuntertanen sind sie nicht leibeigen
oder hörig dem Niedervogt. Gewiß sind sie gerichtspflichtig, denn
wenn auch die Weistümer in den einzelnen Bestimmungen von
einander abweichen, im allgemeinen wird daran festgehalten, daß
jeder Gerichtseinwohner dem Niedergericht unterworfen ist: er
muß vor Gericht erscheinen, er nimmt an der Tagung im sogen.
Umstand teil u. a. m Diese Gerichtspflicht indes bedeutet keine
Minderung seiner persönlichen Stellung, nach deutschem Begriff
ist es geradezu ein Beweis persönlicher Freiheit, wenn der Be-
treffende an der Rechtsprechung teil hat.
Unfreiheit von Person und Eigen oder Vollfreiheit; dann vielleicht Übergang,
ein gewisses halbfreies Hecht: späteres Mittelalter, Freiheit der Person,
Unfreiheit des Eigens: dann wieder eine stärkere Bindung der Person, Bauern-
krieg: Neuzeit, Bauernbefreiung: Vidifreiheit der Person, und Freiheit des
Eigens. Ffir das spätere Mittelalter hatte ich die Freiheit der Person nach-
zuweisen, und ich habe das getan, indem ich eben darlegte, datl der Bauer
gegenüber „der Macht, die am ständigsten und unmittelbarsten Gewalt
über ihn übte, gegenüber dem Inhaber der niederen Gerichtsbarkeit“
persönlich frei war.
') „Die Itadizierung der ursprünglich persönlichen Lasten auf dem Grund
und Boden“, von der Lamprecht in dem erwähnten Artikel im Handw. der
Staats ». spricht, bedeutet Freiheit des Bauernstandes, Gebundensein des
Eigentums. Den Grund für diese „Itadizierung* kennt Lamprecht nicht:
weitere sozialhistorische Untersuchungen werden mich hoffentlich bnld in
die Lage versetzen, diesen Grund nachzuweisen.
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Niedergerichtsherrschaft ist also nicht identisch mit Leib-
herrschaft, sie begründet nicht Unfreiheit oder Halbfreiheit der
Bauern ').
Die persönliche Freiheit gegenüber der Niedergerichtsherrschaft
bestand darin, daß der Untertan Heiratsfreiheit und Freizügigkeit
besaß und keine Leibzinse zu zahlen hatte. Es ist ausdrücklich
darauf aufmerksam zu machen, daß sich in allen von uns unter-
suchten Niedergerichtsbezirken*) keine einschränkenden Bestim-
mungen finden, Vorschriften, die den Bauernstand mit besonderen
Fesseln eingeschnürt hätten, wenigstens im 14. und 15. Jahr-
hundert nicht. Soviel ist sicher, daß der Bauer unseres Gebietes
nur da Anlaß zur Klage hatte, wo die Herrschaft über ihre Be-
fugnisse hinausging, und wir haben keinen Grund anzunehmen,
daß das häufig und überall geschehen sei. Da nun die Nieder-
gerichtsbarkeit zugleich die Polizeigewalt und die Macht in sich
schloß, die unsere heutigen höheren Verwaltungsbehörden — Land-
') Was (len liauernkrieg anlangt, so bemerkt G. v. Below (a.a.O.S.65)
mit liecht: „daß es eine unbewiesene Voraussetzung ist, daß bloß schwerer
Druck Revolutionen veranlasse“; im 17. und 18. Jahrhundert haben die
Bauern in den ostelbischen Gebieten, die unter dem schwersten Druck der
Gutsherrschaft seufzten, nicht den geringsten Versuch unternommen, den
Zwang zu brechen. G. v. Below führt darum als den hauptsächlichsten
Grund der Bauernrevolten „die Ausdehnung und den Mißbrauch der landes-
herrlichen Rechte in den kleinen Territorien“ — eben Schwabens, Frankens
und Thüringens, wo der Bauernkrieg tobte — an, „die die Bauern am
meisten erbittert hätten“. Also der Versuch, die Bauern aus ihrer Freiheit
wieder in Unfreiheit zu zwingen, nicht die fürchterliche Lage hat sie zur
Empörung getrieben. Darum basiert der Artikel „Bauernkrieg“ von Theo
Sommerlad im Handw. d. Staatsw. auf ganz falschen Voraussetzungen,
ist durch und durch unkritisch und ebenso falsch sind die phantasiereichen
Ausführungen K. Lamprechts in seiner „Deutschen Geschichte“ (5. Bd.
1. Hälfte, S. 75 IT., 2. Aull. Freib. i/Br). Dagegen schildern die Zustände
richtig E. Gothein, Die Lage des Bauernstandes am Ende des Mittelalters,
vorn, in Südwestdeutschland. (Westdeutsche Zoitschr. für Geschichte und
Kunst, Jahrgang 4, 1885, S. 1 ff.). Ferner G. v. Below, Territorium und
Stadt, S. 64 ff.
s) Es werden sich gewiß in andern Gegenden, besonders je näher man
der Zeit des Bauernkrieges kommt, entgegengesetzte Erscheinungen nach-
weisen lassen: aber wo sie nicht sporadisch auftraten, da kam es eben zu
einer Reaktion gegen die Versuche, die Bauern zu binden; der Bauernkrieg
begann.
Oroseb, Niedergericht 6
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rat, in Süddeutschland Oberamtmann — ausüben und darum am
tiefsten in das tägliche Leben der Bauern eingrifT, — die Grund-
herrschaft hat keine zwingende Gewalt über ihn, das Hochgericht
kommt nur für schwere Verbrechen in Betracht und gegenüber
der Obrigkeit der Dorfgemeind e ist der Bauer freier Dorfbürger —
so dürfen wir den Schluß ziehen, daß die Bauern, von der Nieder-
gerichtsherrschaft geschützt und nicht von ihr unterdrückt, sich im
14. und 15. Jahrhundert eines günstigen Daseins erfreuten.
IV. Abschnitt.
Die Tagung des Niedergerichts ; der Dingvogt, die
Schöffen und der Umstand; der Gerichtsknecht;
die Kompetenz und die Gebührenordnungen.
Das Weisding.
Wie die Niedergerichte im allgemeinen von einander die
größten Verschiedenheiten aufweisen , so findet sich auch bei der
Organisation der Gerichte, auf die wir noch eingehen müssen,
keine durchgehende Gleichmäßigkeit. Man darf also niemals die
Ergebnisse, die man durch Untersuchung eines Niedergerichts ge-
winnt, für die andern verallgemeinern. Da es indes zu weit
führen würde, wollte man jedes Niedergericht für sich wieder
untersuchen und schildern, so sollen, was die Organisation und
die eigentliche Rechtsprechung anlangt, nur die gemeinsamen Züge ')
gegeben werden, die die Niedergerichte mit einander haben.
Da ist zunächst für die Tagung zu bemerken, daß das Nieder-
gericht ungebotnes echtes Ding ist, das an bestimmt festgesetzten
') Im folgenden werde ich mich kurz fassen, da das Wesentlichste schon
iin I. Abschnitt gegeben ist; ich bringe jetzt mehr eine Zusammenstellung,
teilweise nur eine nähere Ausführung davon. Verweisen kann ich auch auf
K. Lainprecht, Deutsches Wirtschaftsleben, Bd. I, S. 1047 ff., wo eine
Darstellung der Organisation des „Grundgerichts“ gegeben ist. Dieses
„Gruudgcricht“ konstruiert Lainprecht, indem er von der Competenz des-
selben ausgeht, nämlich als kombiniert aus Markding und Bauding, und es
als Gericht der Grundherrschaft hinstellt. Es entspricht etwa den Nieder-
gerichten der (iruppe A. (Vgl. die Anlage.) Lainprecht beschränkt sich auf
das 13. Jahrhundert.
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Tagen statthat; Ausnahmen kommen natürlich vor, denn es können
die echten Gerichtstage gleichfalls angesagt und der Gemeinde
durch Glockengeläute kundgetan werden.
In der Anzahl der Tagungen ergibt sich sogleich wieder
ein Unterschied. In den meisten Dörfern — wenigstens in den
meisten der Dörfer, die wir betrachtet haben — findet man sich
dreimal jährlich zum Ding zusammen; in einigen nur zweimal.
In Mündersbach ') müssen die Erbpächter jährlich dreimal
auf den Dinghof daselbst kommen; in Wellmich’) hält man das
Hochgeding am nächsten Montag nach dem Dreikönigstag (6. Januar),
den andern Dingtag am Montag nach Ostern, den dritten Ding-
tag Montags nach Johanni. Wer Gut zu Oberrod3) inne hat, der
soll jährlich die Gerichte der drei ungebotnen Dinge aufsuchen.
In Kesselheim4) ist der Erbvogt gehalten, auf grund seiner Vogtei
jährlich drei Gerichtstage zu den bestimmten Terminen im Hofe
der Herrschaft zu besitzen, und in Oberhirzenach 5) finden jährlich
ebenfalls drei ungebotne Dinge statt.
Die gleiche Anzahl ungebotner Tagungen6) finden wir ferner
in Schwanheim, in Gensheim, in Eich, Trimbs, ebenso in Weilbach,
in Güls und in Sulzbach.
In Wiebelsheim 7) dagegen haben jährlich nur zwei ungebotne
Dinge statt ; ebenso tagt in Heulich und Morshausen 8) das Vogt-
gericht zweimal jährlich, am Mittwoch nach St. Marxtag und am
Mittwoch nach St. Paul; es währt indes immer „drei gebanne Tage“.
Auf eine nur einmalige Tagung lassen schließen das Weistum
von Hecheln9) und bestimmt das von Wirtheim lu). Es handelt
sich hierbei wohl nur um das Weisding11), das in Hecheln der
Niedervogt, in Wirtheim die Herrschaft selber abhält.
•) Mittelrheinisches Urkundenbuch, III. Bd., No. 930.
*) Lörsch, Weistümer, No. 30, § 1.
3) Grimm, Weistümer, Bd. 1, S. 520.
4) Lörsch, Weistümer, No. 77, § 4.
5) Ebenda No. 34, § 3.
6) Vgl. die Ausführungen im I. Abschnitt.
*) Lörsch, Weistümer, No., 29 § 1.
*) Ebenda No. 18, §§ 2, 3, und 5.
*) Grimm, Weistümer, Bd. I, S. 595.
**) Grimm, Weistümer, Bd. V, S. 309.
••) Darüber später S. 91 ff.
6*
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An das Ding schließt sich — ob aber allgemein, ist recht
zweifelhaft — ein Nachgeding an, das vierzehn Tage später abge-
halten wird: „das Vierzehntagegericht“, „das Gericht zu vierzehn
Tagen“. Wenn jemand etwas zu rügen vergessen hat, der muß
nach vierzehn Tagen kommen und es Vorbringen. Dieses Nach-
geding ist in Kärlich für immer festgesetzt und ungeboten, und
so dingt man daselbst sechsmal im Jahre l).
Doch diese sechsmalige Tagung reichte mancherorts nicht aus;
der Grund hierfür war wohl die stetige Volksvermehrung auf dem
platten Lande in unserem Zeitraum. Nach dem Osten Deutsch-
lands stockte bald der Abtluß, und auch die Städte sperrten sich
gegen Zuzug vom Lande ab: so verblieb der Zuwachs seit dem
Beginn des 14. Jahrhunderts im Dorfe, und naturgemäß wuchs
die Zahl der Zwistigkeiten mit der Zahl der Menschen. So finden
wir, daß man in manchen Bezirken Gericht alle vier Wochen ab-
hält5), und ebenso war vorgesehen, außerordentliche Tagungen des
Gerichts stattfinden zu lassen, „ein ungewöhnliches Gericht“ ab-
zuhalten*). Jedoch konnte dies nur auf den Antrag einer Partei
hin geschehen, die dem Gerichte eine bestimmte Summe dafür
zahlen mußte. Darauf zielt die Bestimmung des Weistums von
Eich‘), daß der Schultheiß täglich Gericht haben darf. Daneben
bestehen aber die ungebotnen Dinge fort, denn es wird ausdrücklich
unterschieden zwischen den ungebotnen Dingen und den Gerichts-
tagen als den gebotnen5).
Den Vorsitzenden im Niedergericht, den Niederrichter, wollen
wir mit dem Namen: Dingvogt bezeichnen. Ein Titel desselben
existiert nicht; der Name Dingvogt6) ist gewählt worden, um eine
') Lörsch, Weistümer, No. 83.
J) Z. B. in Becherbach. (Grimm, Weistümer, B<i. II, S. 142.) I)it*
Verteilung der Gerechtsame zwischen den beiden Herrschaften ist aus dem
Weistum nicht ganz klar zu erkennen, deshalb habe ich cs nicht herange-
gezogen. Es ist aber ein Niedergericht. Becherbach liegt südlich von Kirn,
auf dem Hunsrück.
3) In Wellmich; Lörsch, Weistümer, No. 30, §6 und §8.
4) Grimm, Weistümer, Bd. IV, S. 628.
*) In Becherbach.
6) Der Name Dingvogt begegnet häufig, so Mittelrhein, l'rkunden-
buch 111. Bd., No. 11 : Dincvoide; Dingvoigt auch Grimm, Weistümer, Bd. 11,
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einheitliche Bezeichnung für den Vorsitzenden im Niedergericht zu
haben.
Bei der Ernennung des Dingvogts spielen wieder die be-
besonderen Herrschaftsverhältnisse in den einzelnen Niedergerichten
eine Rolle; dieser Umstand hat es vermutlich verhindert, daß ein
Titel für den Niederrichter eingefiihrt wurde.
Wo niimlich die Niedervogtei besteht, da kann einmal der
Niedervogt persönlich den Vorsitz im Niedergericht einnehmen,
oder er kann für sich einen eigenen Beamten, einen Vogt, von uns
Untervogt genannt, als Dingvogt einsetzen '). Es ist aber auch
möglich, daß der Niedervogt mit der Niedergerichtsbarkeit nur
insofern zu tun hat, daß er das Weisding noch abhält. Dann er-
nennt er in diesem den Dingvogt, der zugleich als Beamter der
Herrschaft erscheint; oder selbst diese Befugnis steht dem Nieder-
vogt nicht mehr zu: die Herrschaft setzt den Dingvogt ein.
Wo dagegen keine Zwischengewalt zwischen Herrschaft und
Untertanen mehr besteht, ist der Dingvogt Beamter der Herrsclmtt.
Sie allein hat das Recht ihn zu ernennen oder abzusetzen, und er
besitzt und hegt das Gericht in ihrem Namen8).
Liegen die Verhältnisse so, dann erhält der Dingvogt keinen
bestimmten Sold von der Herrschaft. Er bekommt nur einen Teil
aus den Gerichtsgeldern, die aus den Bußen und Wetten fallen
oder von den streitenden Parteien entrichtet werden müssen. Bei
llaudänderung fällt häufig die ganze Gebühr an das Gericht, der
Dingvogt teilt sie mit den Schöffen.
Der Niedervogt aber, wenn er noch Dingvogt ist oder einen
Untervogt für sich ernennt, hat nicht nur einen Anspruch auf die
Gerichtsgelder, sondern wie wir bereits des Genaueren verfolgten,
auch auf das Servitium an den einzelnen Gerichtstagen. Daß
dieses Servitium zu einer beträchtlichen Einnahme des Niedervogtes
werden konnte, sahen wir in Güls3), wo es mit 30 Mark jähr-
licher Rente abgelöst wurde.
S. 207: hier bedeutet er aber Richter im Hochgericht; für diesen ist ein
anderer Name festzulegen.
■) Ich verweise für das Folgende auf meine Ausführungen im I. Abschnitt.
3) So in Wellmich besonders: vgl. oben S. 21.
*) Vgl. Lörsch, Weistümcr, 8.207, Anlage V, oben 8.71. R. l’auli,
Geschichte von England, 111. lld., 8. 483, berechnet den Wert einer Summe
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Stand der Dingvogt zur Herrschaft in einem Abhangigkeits-
verhältnis, oder, wie der Niedervogt im Lehnsverhältnis, so war
dagegen die Stellung der Schöffen zur Herrschaft eine ziemlich
freie '). „Die Pflicht der Schöffen war es, im Ding das Recht zu
weisen: „die scheffen sollent helfen dem meiger alle dedinge
halten.“ Der Schöffenstuhl war somit gegenüber dem tierichtsherrn
der eigentliche Hort des Rechts. Kränkte der Herr das Recht,
dann versagten die Schöffen die Dingpflicht“.
Freilich war das ein recht zweifelhaftes Mittel, das Recht der
Untertanen zu erhalten, denn der Herr konnte dann einfach alle
Rechtspflege ruhen lassen und nach Willkür schalten und walten.
Bei der bekannten Zähigkeit allerdings, mit der die Bauern ihr
Recht vertraten, war ein solcher Zustand auch für den Herrn sehr
unbequem, denn die Bauern in unseren Gegenden, viel besser ge-
stellt als später die ostdeutschen und selbst ihre Nachkommen
im 17. und 18. Jahrhundert, wichen dann nur der Gewalt, und
in jedem einzelnen Fall mußte die Herrschaft Gehorsam erzwingen.
Beide Teile fuhren darum am besten, wenn sie in Frieden mit
einander lebten, und in der Tat lassen sich in unserm Zeitraum
Zwistigkeiten, die bis zum völligen Bruch zwischen Herrschaft und
Bauern geführt hätten, kaum mich weisen !).
Was die Zahl der Gerichtsschöffen betrifft, so sind es in den
meisten Gerichten sieben ; vierzehn Schöffen finden sich in Metternich,
in Güls und in Sulzbach3). Diese Verdoppelung konnte einge-
des 13. Jahrhunderts auf das Künfzeknfachc hoher als im 19. Jahrhundert.
Vgl. aber dazu Avenol, Ilistoiro economique I, 8. 27, der den Geldwert
auf das 3'/,— 4 fache, schätzt, und ähnlich K. Laniprecht (Conrads Jahr-
bücher N. F., Bd. XI, S. 333), der den Geldwert von 1250— 14UO viermal ao
hoch anschlügt als den heutigen. Proilich zieht Pauli auch den Preis der
Wareu mit in Betracht.
') Ich verweise auf K. I.amprccht, Deutsche« Wirtschaftsleben, Bd. I,
S. 1048 ff., wo gerade über Schöffenstuhl und Umstand alles Nähere gesagt
ist. (Bes. 8. 1054, 1056.)
*) Minen solchen Streit, der im Anfang des 18. Jahrhs. zwischen einem
Christoph von Gcnimingcn und seinen Untertanen, den Bewohnern dos
Dorfes Michelfeld im Odenwald, ausbrach, schildert Theodor Ludwig, Der
badische Bauer, S. 76 ff. Man darf indes daraus nicht einfach den Schluß
ziehen, daß das in unserm Zeitraum häulig geschehen wäre.
s) Ebenso in Rübenack, einer Niedervogtei in der Bergptlege. Das
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treten sein nach dem Beispiel eines andern Bezirkes; am leichtesten
ist sie zu erklären durch die Annahme, daß zwei Herrschaften
im Dorfe saßen und sich zu einem Niedergericht vereinigten; dann
wurden wegen jeder Herrschaft sieben Schöffen bestellt1). Aul
einen solchen Vorgang läßt schließen das Weistum von Metternich2).
In Metternich haben, wie schon ausgeflihrt worden ist, drei
Grundherrschaften, die Herren von Isenburg, der Abt von Marien-
statt und der Abt von Himmerode einen Dinghof mit Gütern und
Zinsen. Die vornehmste Herrschaft ist die Isenburgsche; auf
ihrem Hofe und von ihrem Schultheißen werden die vierzehn
Gerichtsschöffen vereidigt. Doch werden bei der Erfragung des
Weistums im Jahre 141)1 gerade darüber Zweifel laut; etliche
von den vierzehn Schöffen behaupten nämlich, sie seien auf dem
Hofe der Abtei Marienstatt von ihrem Schultheiß vereidigt worden.
Vielleicht war es so gewesen, daß die Abtei auch einige Schoflen
zum Niedergericht stellte oder zu stellen sich ehedem ausbe-
dungen hatte, als sie dem Isenburger die Niedergerichtsbarkeit
einräumte J).
Die Schoflen erhielten ebenfalls, einmal als Entgelt für ihre
Tätigkeit im Gericht, die sie mit der Zeit sehr in Anspruch nahm,
dann in Anbetracht ihrer Stellung eine Anzahl von Gerechtsamen
zugesprochen. Sie bekamen einen Teil der Gerichtsgelder; sie
waren teilweise von Lasten und Abgaben frei, d. h. weniger an
sich, vielmehr als Inhaber ihrer Häuser. Darüber waren wieder
in jedem Bezirk besondere Bestimmungen getroffen, in manchen
fehlten sie ganz, wie ja auch der Satz, den sie von den Gerichts-
geldem erhalten sollten, für jedes Dorf und da wieder für jede
Sache besonders normiert war.
Weistum ist zu dürftig, deshalb sah ich von einer Beizichung ab. Vgl.
Lörsch, Weistümer, Nr. 87.
') I)cr Erklärung Lamprccht’g (a. a. 0., 8. 1053), daß die Ver-
doppelung eingetreten sei, wenn ein Huf zwei Herren gemeinsam gehört
hätte, vermag ich mich nicht anzuscblicßcn: sie ist ein Ausfluß der grund-
herrlichon Theorie.
*) Lörsch, Weistümer, Nr. 101, § 3.
*) Es sei nochmals darauf hingewiesen, daß der Junker von Isenburg
für seine Urundherrschaft noch ein eignes Bauding hat. Dieses ist besetzt mit
einem Schultheißen und sieben Schöffen. Lörsch, Weistümcr, Nr. 101, § 4.
Über Vogtding und Bauding vgl. Herb. Seeliger, a. a. U., S. 1(53 f.
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88
Die Schöffen wurden der Gerichtsgemeinde entnommen; nur
für die ungebotnen Dinge war die Anwesenheit des Umstandes fest-
gesetzt; an den gebotenen Gerichtstagen kamen nur die Parteien
und die Schöffen vor das Gericht. Die Pflicht, an den ungebotnen
Dingen, zumal im Weisding zu erscheinen, ist auf diejenigen begrenzt-,
welche einen selbständigen Haushalt im Gerichtsbezirk haben oder
von ihrem Eigentum dem Grundherren zinsen; die Gerichtspflicht
lastet also auf dem Besitztum, ist eher eine Erhöhung, als eine
Minderung der persönlichen Stellung des Betreffenden. Darum
werden die Witwen besonders ausgenommen '), nur Männer dürfen
am ungebotnen Ding teilnehmen. Eine Vertretung des Hausvaters
durch die Hausfrau ist gleichfalls ausgeschlossen, wie es im Weis-
tum von Querstedt heißt *): „so einer oder melie, die zu dem jar-
geding verbotet wurden, das veraclitcnt und ir wiber dar schicketen,
hat jeder 5 s. den. verbrochen“.
Über den Gerichtsknecht, den Büttel, ist nur soviel zu be-
merken, daß dieser unterste Gerichtsbeamte in den meisten Be-
zirken vorkommt, und daß er das ausführende Organ des Nieder-
gerichts ist-. In Wellmich liegt die Sache etwas ungewöhnlich
insofern, als hier der Schultheiß, trotzdem er Dingvogt ist, doch
das Amt des Gerichtsknechts mit zu versehen hat, denn es wird
gewiesen5): „Item zu Wellmich ist kein gerichtss buddell von alters,
sonder ein schultess thuet es selbss, und so er ein an gericht gebudt,
davon geboren ime 2 heller, so er ime aber zum zweiten gcbuit,
folgt 4 Heller, und zum dritton 8 heller, gebürt eim schultessen“.
Etwas näher indessen muß noch eingegangen werden auf die
Kompetenz des Niedergerichts. Was nicht vor das Niedergericht
gehört, ist bereits erwähnt worden bei der Abgrenzung gegen das
Hochgericht, nämlich Diebstahl, Notzucht, Nachtbrand, Mord und
Meissei wunden*), nach einem andern Hochgerichtsweistum noch
Zauberei b), also die schweren Verbrechen, die an Hals und Bauch
treffen.
') So in Wiebelsheim : also auch eine Frau, diu eignen Uauch hält,
darf nicht erscheinen.
*) Grimm, Weistümer, II. Bd., S. 45
3) Lörsch, Weistümer, Nr. 30, § 75.
*) Grimm, Weistümer, Bd. II, S. 22, oben S. 55.
s) Lörsch, Weistümer, Nr. (17), § 4.
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80
Hat dagegen einer dem andern ein leichteres Unrecht zuge-
fügt, so soll der Gekrankt« vor das Niedergericht kommen, wo ihm
sein Recht gegeben wird1). Besonders Klagsachen um Schuld’),
um Erbe oder Eigen gehören vor das Niedergericht. Ferner, wenn
sich zwei prügeln, so sollen sie ebenfalls vor dem Niedergericht,
wo ihre Handlungsweise gerügt wird, abgeurteilt werden 3). Über-
haupt alle rügbaren Dinge, Brüche oder Frevel4), alles, was im
Gerichtsbezirk „überfahren, Überdrungen oder geschmält ist, oder
wenn sonst ein Abzug geschehen ist mit Worten oder Werken“ 5),
das muH vorm Niedergericht vorgebracht werden und wird durch
dasselbe abgeurteilt. „So ist das Vogtding allseitig kompetent
außer für Verbrechen, die an Hals und Bauch treffen, vornehmlich
für Frevel, Messerziehen und blutige Wunden, Watlengeschrei,
Übergriff' und gestörte Marken, falsches Maß und Gewicht, endlich
für Vergehen an Eigen und Erbe“6).
Noch besser werden wir mit der Kompetenz des Niederge-
richts bekannt gemacht durch die Gebührenordnungen, die für
einzelne Niedergerichte aufgestellt sind. So wird am 13. Novbr.
1505 eine Gerichtskostenordnung für Rübenach7) niedergelegt, weil
„irrtbume, spenne und missel“ geschwebt haben zwischen Schöffen
und Gericht zu Rübenach einerseits und der Gemeinde andrerseits.
Es finden sich darin folgende Bestimmungen: jeder, der am Ge-
richt zu Rübenach gerichtlich zu handeln hat und eine Sache
verurkunden will, soll für die Urkunde dem Gericht f> Heller geben;
wenn einer den andern auf die Heiligen und den Eid drängt und
dieser nicht schwören will, so soll derselbe dem Gericht mit zwei
Weispfennigen verfallen sein; hat einer zu klagen an dem gen.
Gericht und begehrt dazu einen Redner aus den Schöffen, so
') Mittclrheimschcs Urkundenbuch, III. Oil., Nr. 930.
*) Lörsch, Weistümer, Nr. 29, § 17.
5) Grimm, Weistfimcr, Kd. I, S. 521.
*) Ebenda, Bd. II. S. 142. Zur Vervollständigung meiner Darstellung
habe ich für die Kompetenz des Niedergerichts andere, von mir nicht unter-
suchte Bezirke beigezogen.
*) Lörsch, Weistümer, Nr. 29, §4.
*) K. Lamprccht a. a. 0., S. 172 f. Vogtding ist das von mir unter-
suchte Niedergericht.
*) Lörsch, Weistümer, S. 243, Anm. 1. Uber Kübcnach, vgl. die
Anm. 3 S. 8ti.
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braucht er dafür nichts zu geben, der Schliffe soll ihm folgen,
wie es seit alters Brauch ist. Das Niedergericht ist ferner zu-
ständig tür die Gemeindemark, und wenn die „Mark“ gesetzt
wird, so erhält das Gericht datiir zwei Albus. Ferner für eine
„bcstendnus '), ein Jahr lang zu behalten“, sollen die Parteien
den Gerichtsleuten einen Albus geben.
In andern Weistümem finden sich gleichfalls derartige Be-
stimmungen; noch häufiger indes werden die Bußen für Ver-
gehen festgesetzt. So beginnt das Weistum von Nußdorf1) mit
der Festsetzung der Strafen für einzelne Vergehen: „Wenn zwei
sich schlagen mit trockenen Streichen, so ist jeder der Herrschaft
verfallen mit ein Pfund dem Gericht mit 2 ß ^ und den Dom-
herren mit 15 Wenn sich zwei hauen oder einander ver-
wunden, so verbricht jeder 30 ß Jy und dem gericht 2 ß Jj. Wenn
einer den andern vor Gericht schmäht, so steht der Herrschaft zu,
ihn gebührend zu bestrafen. Schilt einer den andern einen
Bfisewicht, so wird er mit 10 ß und für das Gericht mit 2 ß Jj,
für die Domherren mit 15 ij gebüßt. Wenn einer eine Wette
bricht am Gericht, so verbricht er 2 ß 9 ^ der Herrschaft, 2 ß ^
dem Gericht und den Domherren 15
Auf Vollständigkeit machen diese Aufstellungen natürlich
keinen Anspruch, aber doch ist ihr Vorhandensein ein weiterer
Beweis dafür, daß die niedere Rechtspflege auf dem platten Lande
in unserm Zeitraum eine recht wohlgeordnete war. Für die Ge-
richtsverfassung überhaupt kann man für das 14. und 15. Jahr-
hundert jeden herben Tadel sparen; insbesondere ist man nicht
berechtigt von einem „Wüste“ von Gerichten zu reden3). Man
darf nur nicht das Veraltete, das noch eine geraume Zeit neben
dem Neugewordenen herging, als gleichwertig verzeichnen und
sich nicht durch die Vielgestaltigkeit derselben Institution beirren
lassen.
In unserer Ansicht werden wir bestärkt, wenn wir noch eine
recht wesentliche Seite des Niedergerichts charakterisieren. Es
') Vgl. Deutsches Wörterbuch von J. u. W. Grimm (Leipzig 1854).
Bd. 1, S. 1655 unter Beständnis: cs bedeutet soviel wio Leihe.
*) Grimm, Weistfimer, Bd. V, S. 547. Nulldorf liegt bei Landau und
wurde 1508 von dieser Stadt den Herren von Heideck abgekauft.
3) Vgl. etwa K. Schröder a. a. 0., S. 605, bes. S. 599 ff.
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erübrigt nämlieh , das Nicdergericht als Weisding zur Dar-
stellung zu bringen; dabei wird gleichzeitig auf den innigen
Zusammenhang eingegangen, der zwischen niederer Rechtspflege
und niederer Verwaltung auf dem platten Lande bestand.
Zu diesem Zwecke wollen wir, um ein geradezu klassisches
Beispiel beizubringen, die Gerichtsverhältnisse des Territoriums
der Stadt Heilbronn uns ansehen und zwar wie sie im 1 7.
und 18. Jahrhundert bestanden*).
Der Reichsstadt Heilbronn gehörten vier Dörfer: Böckingen,
Flein, Frankenbach und Neckargartach5); sie waren der landes-
herrlichen Gewalt der Stadt Heilbronn unterworfen. Die höchsten
Behörden der Stadt, Bürgermeister und Rat, sind darum auch die
eigentliche Regierungsbehörde — mit derselben Stellung wie ein
Landesfürst — für die Dörfer und deren Einwohner. Ihnen steht
deshalb die höhere Gerichtsbarkeit zu; in dieselbe teilen sich der
Rat mit dem wieder unter ihm stehenden Stadtgericht, dessen Vor-
sitzender der Stadtschultheiß ist.
Die laufenden Regierungsgeschäfte indes kommen nicht an
Bürgermeister und Rat, sondern sie werden in deren Namen von
dem jeweiligen „Vogte“ besorgt. Jedes Dorf hat einen solchen
eignen Vogt; seit der Mitte des 17. Jahrhunderts sind die drei
Bürgermeister, die es seit 1552 in Heilbronn gibt, Vögte von
Böckingen, Flein und Neckargartach, der (Stadt-) Schultheiß ist
Vogt von Frankenbach. Also die Niedervogtei, denn Vogt ist
') Ich schließe mich dabei aufs engste an Theodor Knapp an. Vgl.
Gesammelte Beiträge usw. I. Über die vier Dörfer der Reichsstadt Heil-
bronn, bcs. 8. 58 ff., und LII. Über die vormalige Verfassung der Landorte
des jetzigen Oberamts Heilbronn, bcs. S. 111 f.
*) Ich wende mich also einer andern Gegend und einer spätem Zeit
zu, um mit dem daselbst gewonnenen Ergebnis das Weisding auch in unseren
Niedergerichten und in unserem Zeitraum genau kennen zu lernen. Gleich-
zeitig ist dies eine Art Probe auf unser Exempel, denn wenn die Verhält-
nisse des 17. u. 18. Jahrhs. in Heilbronn keine merkliche Abweichung zeigen
von denen, die ich für das Mittelrheingebiet für das 14. und 15. Jahrh.
gewonnen habe, so ist klar, daß das Ergebnis meiner Untersuchung im all-
gemeinen richtig ist. Schon wir also, ob die Kette sich schließt, oder ob
wir auf Tatsachen stoßen, die sich mit meinem Ergebnis nicht in Einklang
setzen lassen.
*) Th. Knapp a. a. 0., S. 2.
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gleichbedeutend mit dem, den wir Niedervogt genannt haben, ist
hier ein städtisches Amt geworden; an ihre Bedeutung mahnt
deutlich der Umstand, daß die höchsten Beamten der Stadt mit
der Niedervogtei (Iber die Dörfer betraut sind.
Der Vogt nun hat jährlich einmal über sein Dorf das Vogt-
gericht abzuhalten. Dabei wird nicht etwa, wie man aus dem
Namen schließen könnte, nur Gericht, besessen oder Recht ge-
sprochen, sondern es wird das Dorfgericht, die Vierundzwanziger
und die andern Ämter, außer dem des Schultheißen, des Anwalts
und des Gerichtsschreibers besetzt, die neugewahlton Beamten ver-
eidigt, die im Amte bleibenden auf ihren Eid verwiesen. Sodann
werden die Rechnungen abgehört, die Dorfordnung verlesen, Ver-
ordnungen und Rügen der Obrigkeit mitgeteilt, Beschwerden und
Anfragen entgegen genommen, von. neu aufgenoinmenen Gemeinde-
bürgern der Bürgereid, von volljährig gewordenen Bürgersöhnen
der Dorfschaft die Erbhuldigung geleistet.
Im Anschluß daran wurde in manchen Orten ein Ruggericht
abgehalten, wobei jeder Dorfbürger alle die Verfehlungen anzu-
zeigen, zu rügen hatte, die seit dem letzten Ruggericht zu seiner
Kenntnis gelangt waren.
Darauf beschränkt sich die richterliche Tätigkeit des Vogtes;
der eigentliche Niederrichter, der Dingvogt also, ist der Schultheiß
des Dorfes'). Er wird vom Vogte vorgeschlagen, vom Rate —
der Herrschaft — verordnet und vereidigt; dann wird er der
Gemeinde vorgestellt und empfängt von ihr das Handgclöbnis des
Gehorsams. Er ist also Beamter der Herrschaft — der Nieder-
gerichtsherrschaft; er wird von ihr als Niederrichter über das Dorf
gesetzt und nicht etwa von der Dorfgemeinde gewählt.
Ihm zur Seite steht zunächst das Gericht, bestehend aus zwölf
Schöffen. Das einzelne Mitglied heisst Gerichtsverwandter, Richter,
des Gerichts. Es ist ein wirkliches Niedergcriclit, denn vor dasselbe
kommen einerseits bürgerliche Streitigkeiten, andrerseits leichtere
Vergehen und Übertretungen. Sachen, „die ihm zu schwer fallen
wollen,“ verweist das Dorfgericht an den Rat oder an den Vogt2).
') Die Zustände sind alsu hier die nämlichen wie in den Niedergc-
rirhtcn, die ich unter der Zahl II zusammcngefaUt habe. Vgl. die Anlage.
3) Kat und Vogt, sind für die Dörfer hier das, was anderswo der Ober-
hof ist, denn auch die Appellation erfolgt wohl an die Heilbrunner Behörden.
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93
Neben dem Schultheiß stellt noch eine andere Behörde, deren
Namen von ihrer Zahl hergenommen ist, die Vierundzwanziger oder,
wo es eben nicht mehr sind, die Achtzehner, der Rat des Dorfes,
ein Name, der ihnen aber hier von der Stadt Heilbronn nicht zu-
gestanden wird, weil man ihn der höchsten Behörde der Stadt
selbst Vorbehalt. Diese Vierundzwanziger sind die Verwaltungs-
behörde der Dorfgemeinde. Die zwei Bürgermeister1), die in
anderen Dörfern an ihrer Spitze stehen, z. B. in Wellmich, sind
hier nur die Verwalter der Dorfkasse; die Vierundzwanziger unter-
stehen direkt dem Schultheiß; aber dieser ist, was wir nochmals
betonen wollen, nicht Gemeindevorstand, sondern Niederrichter.
Wir finden also die Trennung des Niedergerichts in zwei
Gerichte klar durchgeführt: in das Weisding des Niedervogtes
und in das Gericht des Schultheißen. Das Weisding ist unge-
botnes Ding, es findet einmal im Jahre statt, und zu ihm haben
sämtliche männlichen Dorfbewohner zu erscheinen, weil eben das,
was im Weisding vorgenommen wird, für alle von Interesse ist.
So vorzüglich wie in Heilbronn mochten anderswo die Ver-
waltung und die niedere Rechtspflege nicht gehandhabt werden;
aber im allgemeinen, können wir sagen, waren die Verhältnisse
anderswo dieselben. Gerade wie in den Dörfern der Reichsstadt
Heilbronn werden in den andern Niedergerichten im Weisding
der Dorfrat und die Bürgermeister erwählt und die Ämter der
Dorfgemeinde besetzt, vor allem die Dorfordnung verlesen, even-
tuell das Recht neu erfragt und ein Weistum darüber aufge-
nommen. Es sind dann wohl noch Rügen und Verordnungen der
Obrigkeit mitgeteilt, Beschwerden und Anfragen von seiten der
Niedergerichtsuntertanen entgegengenommen worden, und mancher-
orts ist schliesslich im Anschluß daran noch ein Ruggerieht
abgehalten worden.
Schon in unserm Zeitraum. Denn gerade durch die Darlegung
der Verfassung der Heilbronner Landorte finden wir die Verhält-
nisse auch in unseren Niedergerichtsbezirken geklärt; zumal über
das Weisding — in seiner vollendeten Gestalt — haben wir nun
den gewünschten Aufschluß.
■) Th. Knapp a. a. 0., S. 56.
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Zunächst da, wo sich zwischen Herrschaft und Untertanen
keine Zwischengewalt einschiebt, hält das Weisding — das un-
gebotne Ding, den dinglichen Tag im Jahr usw. — entweder die
Herrschaft selbst oder der Dingvogt des Niedergerichts ab, oder
es wird von der Herrschaft ein eigner Beamter, ein Vogt wie in
Heilbronn, dazu ernannt.
Wo dagegen die Niedervogtei noch zu vollem Rechte besteht,
da hält der Niedervogt, auch „wissentliche“ oder „wissliche“ Vogt1),
das Weisding (wislichdinc) ab, oder es tut dies ein von ihm be-
stellter Beamter, ein Untervogt, Burggraf, oder wie er sonst heißen
mag. Die Vielgestaltigkeit der Niedergerichte gibt sich nämlich
auch darin kund, daß für die Beamten des Niedergerichts oder
die mit Befugnissen Belehnten, sowie für die Herrschaften die
verschiedensten Bezeichnungen bestehen. Man muß überall darauf
achten, daß derselbe Name nicht auch dasselbe Amt oder die-
selben Gerechtsame zu bedeuten braucht. Daß der Meier von
Herbisheim ebensowohl Dingvogt ist wie der Schultheiß von
Wiebelsheim, und daß der Schultheiß von Weilbach dieselbe
Stellung inne hat wie der Vogt von Sehwalbach, das läßt sieh
nicht aus dem Namen schließen, aber aus ihrem Recht und ihrer
Befugnis geht es genugsam hervor*).
') Vgl. Lörsch, Weistümer, Nr. 87, § 3 u. § 5.
*) Mit dieser allgemeinen Bemerkung will ich schließen. Ich will
nicht anf Grund meiner Arbeit schon weitere Schlüsse machen auf die so-
ziale Lage des Bauernstandes im späteren Mittelalter überhaupt, denn, wie
schon früher angedeutet, es bedarf dazu noch weiterer Untersuchungen, die
aber die bisherige Lehre — soviel darf ich jetzt schon behaupten — noch
weiter modifizieren, ja geradezu umstoßen werden.
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Anlage.
A. Niedergerichtsbezirk und Dnrfmark fallen zusammen. In
dem betreffenden Dorfe sitzt nur eine Herrschalt, wenigstens hat
keine andere daselbst Niedergerichtsbarkeit. Auch zwei Dörfer
können einen geschlossenen Niedergerichtsbezirk bilden.
I. Zwischen Herrschaft und Untertanen besteht keine
Zwischengewalt.
1. Mündersbach. (Mittelrhein. Urk.-Buch III. Bd.
Nr. 930.) 1247.
2. Wiebelsheim. (Lörsch Nr. 29.) 1499.
3. Wellmich. (Lörsch Nr. 30.) 1509.
4. Wirtheim. (Grimm V. S. 309.) 1361.
5. Oberrod. (Grimm I. S. 520.) 1452.
II. Herrschaft und Niedervogtei bestehen nebeneinander.
6. Kesselheim. (Lörsch Nr. 77.) Um 1350.
7. Becheln. (Grimm I. S. 595.) 1482 u. 1541.
8. Oberhirzenach und Karbach. (Lörsch Nr. 34.) 1452.
9. Beulich und Morshausen. (Lörsch Nr. 18.) Vor
1563.
10. Schwanheim. (Grimm I. S. 521.) 1421; 1453.
11. Gensheim. (Grimm I. S. 490; V. S. 239.) 1455.
12. Eich. (Grimm IV. S. 628.) 1478.
13. Trimbs. (Grimm II. S. 476.) 1390.
14. Burgschwalbach. (Grimm I. S. 591.) 1453.
15. Planich. (Grimm I. S. 810.) 15. Jalirh.
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B. Über mehrere Grundherrschaften desselben Dorfes hat die
eine von ihnen die Niedergerichtsherrschaft.
I. Zwischen Herrschaft und Gerichtsuntertanen besteht keine
Zwischengewalt, oder es hat die eine Herrschaft die
Niedergerichtsbarkeit auf Grund der Niedervogtei.
16. Metternich. (Lörsch Nr. lül.) 1491.
17. Piesport. (Lamprecht III. Nr. 68. Grimm II.
S. 344.) 1285; 1575.
18. YVeilbach. (Grimm II. S. 344.) 1489.
II. Die Niedervogtei besteht neben der Niedergerichtsherr-
schaft.
19. Gttls. (Lörsch Nr. 36.) 1385.
C. Im selben Dorfe sitzen mehrere Niedergerichtsherrschaften.
Zum Niedergerichtsbezirk jeder Herrschaft kann noch ein anderes
Dorf gehören.
I. Die Herrschaft hat auch die Niedervogtei.
II. Die Niedervogtei besteht neben der Niedergerichtsherr-
schaft.
20. Sulzbach. (Grimm I. S. 572.) 1408.
21. Kärlich und Kettig. (Lörsch Nr. 80.) Um 1394.
22. Kärlich und Mühlheim. (Lörsch Nr. 84.) 1598.
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Verzeichnis der angeführten Schriften
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im Handwörterbuch der Staatswissenschaften. S. unter Harnlwb.
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A. Favorke, vorm. Kdoarri Trewendt'fl Huclidruokerei. Bresliu
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Die Bedeutung der Gewere des Mannes am Frauengut
für das Ehegüterrechtssystem des Sachsenspiegels
von
Dr. Karl Kiesel
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Untersuchungen
zur
Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte
herausgegeben
Dr. Otto Gierke
Professor der Rechte an der Universität Berlin
85. Heft
Die Bedeutung der Gewere des Mannes
am Frauengut für das Ehegüterrechtssystem des
Sachsenspiegels
von
Dr. Karl Kiesel
Breslau
Verlag von M. & H. Marcus
l'JOti
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Die Bedeutung der
Gewere des Mannes am Frauengut
für das
Eilegüterrechtssystem des Sachsenspiegels
Dr. Karl Kiesel
Breslau
Verlag von M. & II. Marcus
1906
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Inhaltsverzeichnis
Einleitung
I. Ille Ausschliesslichkeit der (lewere des Mannes am Franengut
II. Ille Bedeutung der (lewere des Mannes am Franengnt . . .
Erster Abschnitt. I >io Bedeutung der ehemännliehen Gewere
im Allgemeinen
Zweiter Abschnitt. VerffigungsbeschrSnkung der Ehefrau
Dritter Abschnitt. VerSußerungsrecht des Mannes und Nicht-
haftung des Frauengutes für des Mannes Schulden . . . .
Vierter Abschnitt. Siindcrgewero der Frau an der Gerade
und um Vorbehaltsgnt
Seite
S
43
43
70
80
96
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cod. Hum. 47
Wasserscbleben I
Wasserschieben II
Friese-Liesegang
Abh. d. Akad.
Abkürzungen
Die bei Houieyer, Die deutschen Rechtsbüchcr des
Mittelalters und ihre Handschriften (Berlin 1856)
unter Nummer 47 verxeichnete Handschrift
Wasserscbleben, Sammlung deutscher Rechtsqucllen.
Gießen 1860
Wasserschleben, Deutsche ßcchtsquellcn des Mittel-
alters. Leipzig 1892
Magdeburger ScliölTensprüchc. Im Aufträge und mit
Unterstützung der Savigny -Stiftung herausgegeben
und bearbeitet von Victor Friese und Erich Liese-
gang Bd. I. Berlin 1901
Philosophische und historische Abhandlungen der
Königlichen Akademie der Wissenschaften zu Berlin.
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Einleitung.
Der Sachsenspiegel und die jüngeren sächsischen Rechtsquellen
enthalten über die Regelung der Besitzverhältnisse im Güterrechts-
system der ehemännlichen Verwaltung und Nutznießung zahlreiche
Äußerungen, mit denen die herrschende Geweretheorie schlechter-
dings unvereinbar erscheint. Agricola und auch Martitz haben
sich durch solche Quellenaussprüche zu den seltsamsten Kon-
struktionsversuchen verführen lassen. Agricola hat, befangen im
Banne der Albrechtschen Geweretheorie, ein System des ehelichen
Güterrechts aufgebaut, dessen Grundprinzip darin bestehen soll,
daß der Mann am eingebrachten Gut die Gewere hat. Trotz des
energischen Angriffes von Heus ler ist dies System nicht all-
gemein aufgegeben ’) ; in erster Linie liegt dies daran, daß man
in gerechtfertigtem Vertrauen zu den von Heusler gewonnenen
Ergebnissen eine Ergänzung seines Beweismaterials für überflüssig
ansah. Es ist aber von Anfang an von berufener Seite*) hervor-
gehoben worden, daß Heusler durch die umfassende Vielseitig-
keit seines Werkes zu großer Beschränkung in der Bearbeitung
der deutschen, insbesondere sächsischen, Quellen gezwungen war,
und diese Kritik trifft auch diejenigen Ausführungen Heuslers,
welche dem ehelichen Güterrecht des Sachsenspiegels gewidmet
sind.
') Niese, Die Leibzucht nach den älteren sächsischen Rechtsquellen
(Greifswalder Diss., 1899) S. 21: „Die Lehre von der Einheit der Gewere
die insbesondere von Heusler verfochten wird, ist unrichtig“.
3) Lab and, Kritische Vicrtcljahrsschrift für Gesetzgebung und Rechts-
wissenschaft XV S. 421.
Kiesel, Gewere 1
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Die vorliegende Arbeit versucht das von Heus ler beige-
brachte Qnellenmaterial zu vervollständigen; sie soll zur Festi-
gung der Geweretheorie, wie sie von Heusler begründet, von
Huber zur Vollendung gebracht ist'), einen bescheidenen Bei-
trag bieten.
') Die Grundgedanken der Huberschcn Lehre hat schon Gierke, Das
deutsche Genossenschaftsrecht II 8. 137 (18737 angedeutet. Die Punkte, bei
denen ein Gogcnsatz zwischen Heusler und Huber besteht, sind für die
vorliegende Arbeit nicht erheblich.
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Erster Teil.
Die Ausschließlichkeit der Gewere des Mannes
am Frauengut.
Ssp. I 31 § 2 lautet:
„Swenne en man wif nimt, so nimt he in sine gewere
aL ir gut to rechter vormuntscap“ — „Quurn vir mulieri co-
pulatur, tune omnia eius bona in suam recipit tutelam“
(versio vulgata)1).
Das Recht des Ehemannes am Frauengut kleidet sich also in
die Form der Gewere. Die Frage ist, ob an dieser Gewere des
Mannes die Frau teilnimmt, oder ob der Frau, wenn sie von der
Teilnahme an dieser Gewere ausgeschlossen wird, wenigstens eine
eigenlike Gewere neben oder unter der ehemännlichen Gewere ver-
bleibt. Die Grundprinzipien der Geweretheorie, insbesondere der
’) Cod. Hom. 61 (Berlin Kgl. Bibi. Ms. lat. fol. 299). Mit dem Text
dieser Handschrift stimmen die älteren Drucke, welche die Vulgata ent-
halten, fast stets wörtlich überein.
Ssp. 1 31 § 2 lautet in der Berlin - Steinbeck’schen Handschrift (cod.
Hom. 47): „Quando quis contrahit, ex lunc omnia bona sue conthoralis in
tutela asurnit“; in der Görlitzer Handschrift von 1387 (cod. Hom. 250):
.Quando aliquis contrahit, omnia bona sue mulieris in sua sunt possessione
in uera tutela“. Homcyer, Ssp. 3. Ausg. S. 59 und Steffenhagen,
Sitzungsberichte der phil.-hist. Klasse der kais. Akademie der Wissenschaften
zu Wien, XCVTII. Band, l.Heft, S. 56 haben festgestellt, daß der lateinische
Text dieser Handschriften .neben vereinzelten Abweichungen eine vor-
wiegende Übereinstimmung gegenüber den sonstigen Handschriften der versio
vulgata“ zeigt. (Cod. Hom. 250 habe ich nach der von Wackernagel
gefertigten Abschrift, Berlin Kgl. Bibi. Ms. germ. fol. 436 und 437 benutzt,
vgl. Steffenhageu a. a. O. S. 51 No. 3).
1*
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Streitpunkt, inwieweit an einer Sache mehrfache Gewere möglich
ist, sind damit berührt.
I.
„En wif ne mach ok ane irs mannes gelof nicht, ires gudes
vergeven, noch egen verkopen, noch liftucht uplaten, durch
dat he mit ir in den geweren sit“ (Ssp. I 45 § 2).
Der Nachsatz „durch dat he mit ir in den geweren sit“ sagt
etwa soviel als „weil er mit ihr in ehelicher Gemeinschaft lebt“.
Es ist allgemeiner sächsischer Sprachgebrauch, das Zusammenleben
der Ehegatten als Beieinandersitzen zu bezeichnen:
Parteivortrag bei Wasserschieben II S. 77 c. 235:
(Die Ehegatten Buckolt) „hebben szeten vredeliken III
verndel jars myt eynander“ ').
Geriehtsleufft zu Eisenach c. 51:
„Eine ygliche frauw, die dae sitzet mit yrem elichcn man
die frauwe magk nichts vergeben noch verloben ane yres
mannes willen, das yn schaden möge“2).
Rubrikenregister des Holländischen Sachsenspiegels art. 23*):
„Van echtscap te schevden van die te samen niet sitten
en moghen“.
Willkür der Sachsen in dem Zips c. 2:4)
„ . . . wo ein erbarer mann mit seiner erbaren frauen in
der ee sitzt“5).
In der gleichen Bedeutung wie hier von sitten mit einander
gesprochen wird, gebraucht Ssp. I 45 § 2 den Ausdruck in den
') Vgl. ferner Magdeburger Fragen I 9d. 4, d. 5, 14 d. 2, d. 6.
») Vgl. c. 25, 45, (11, 70, 93, 95, 100: Rechtsbuch von Eisenach 1 c. 20,
57,58,60,61; Purgoldts Uechtsb. I c. 66, 69, 99, 103, 104, 116, XII c. 18, 24.
3) Ausgabe von Smits, Nieuwe Bijdragen voor Regtsgclecrdheyd en
Wetgeving XXII S. 11.
*) In der Ausgabe des Ofner Stadtrechts von Michnay und Lichner
S. 221.
5) Vgl. auch Purgoldts Rechtsb. I. c. 85: „Sitzet eyn man an eyncr
unee midt cymc wibo, . , . . . sterbet der eyn, das ander mag sein erbe
nicht genemen midt rechte“; Magdeburg-Breslauer Systematisches Seböflen-
rccht IV 2 c. 55: „Eyn man siczczc mit eynir vrauwin, die nicht syn dich
weip ist vnd gewynne kindir mit er . . . .“
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gewcren sitten. Gewere bedeutet in dieser Stelle Hausgemeinschaft ').
„Durch dat he mit ir in den geweren sit“ ist also nichts weiter
als eine beiläufige Motivierung des Verfügungsverbotes, die nicht
den Anspruch prinzipieller juristischer Konstruktion erhebt. Daß
es ungenau und irreführend ist, von Sitzen des Mannes mit der
Frau in der Gewere als in dem Besitze ihres Gutes zu reden,
wurde schon zur Zeit der Rechtsbüeher empfunden, und mit gutem
Grunde haben die Verfasser der Rechtsbücher, die sich sonst eng
an den Wortlaut des Sachsenspiegels anschließen, wie das Stadt-
recht von Goslar und das Rechtsbuch nach Dist., den mißverständ-
lichen Zusatz fortgelassen a); ebenso der Spiegel Land- und Lehn-
rechts für Livland I 33, wo unter Wegfall des Zusatzes sofort
der zweite Satz des Ssp. I 45 § 2 folgt3):
„Ein wif mach er gut nicht vorgeven, noch egen noch
liftucht uplaten, ane ere mannes vulbort edder vorlöf. Sünder
megede unde unbemannede wive mflgen liftucht uplaten . .
In der modernen Literatur ist denn auch früh erkannt worden,
daß das „Sitzen des Mannes mit der Frau in der Gewere“1 ein
für die Klarstellung des Gewerebegriffes unverwendbarer Ausdruck
einer natürlich-sinnlichen Auffassung ist; bereits Gropp 4) sagt
mit ausdrücklichem Hinweis auf unsere Ssp. -Stelle, daß Were
gleichbedeutend — allerdings nicht mit Hausgemeinschaft, sondern
— mit Haus und Hof und nicht mit Besitz sei, wo „davon, daß
Jemand unter einem Andern in der Were sitzt, geredet wird“.
Gropp ist mit dieser Ansicht vereinzelt geblieben5). Für ihre
') Vgl. Gicrkc, Deutsches Privatrecht II (1905) S. 188 No. 7.
*) Stadtrecht von tloslar (Goeschen S. II Z. 26 f., S. 29 Z. 27 t.):
Rcchtsbuch nach IJistinctionen I c. 20 d. 16 zweiter Satz: Rechtsbuch von
Eisenach I c. 41 zweiter Satz. Über die Fassung dieser Stelle in den
süddeutschen Rechtsbüchern vgl. Heusler, Gewere S. 154 No. 1.
3) Ausgabe von Bunge, Altlivlands Rechtsbücher S. 105.
*) Der Diebstahl nach dein älteren Rechte der freyen Städto Hamburg,
Lübeck und Bremen (1825 in Hudtwalker und Trümmer, kriminalistische
Beyträge Bd. II) S. 20 f.
s) Vgl. u. a. Stobbe, Gewere in Krsch und ürttber, Allgemeine Ency-
clopädie der Künste und Wissenschaften I. 65. S 434: „l'in den Besitz von
Immobilien zu bezeichnen, wird auch der l'luralis des Wortes gebraucht: . . .
Ssp. 1 45 § 2“; llomeycr, Ssp. 3. Ausg. Register S. 433 sub verbo gewere
Ziffer 4 a: Heusler, Institutionen des deutschen Privatrccbts II S. 359:
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Richtigkeit bietet einen Beleg die Lesart des Cölner Primärdrucks
von 14KO l):
„dar he myt er an den erve syttet“.
Eine sachliche Abweichung zu den übrigen Texten ist in dieser
Lesart nicht zu sehen1).
Die falsche Deutung der Ssp.-Stelle hat vielfache Irrtümer
hervorgerufen. Den schwerwiegendsten Fehler beging Martitz,
als er die Wendung vom gemeinschaftlichen Sitzen der Ehegatten
auf das geeinte Gut bezog. Martitz spricht von einer Gesamt-
gewere’), in welcher die Ehegatten ihr — bewegliches wie unbe-
„Selbst die Liegenschaften sind in der Zeit des Ssp. noch nicht völlig der
Genieinschaftsidee entzogen : der Mann, sBgt Ssp. I 45 § 2, sitzt mit der Krau
in Geweren ihres Guts, die Krau ist also Teilhaberin der Gcwcrc und damit
der Nutzung; cs ist nicht, wie man nach Ssp. I 31 § 2 glaubt annehmen zu
sollen , an diesem Gute eine ausschließliche Gewere des Mannes zu rechter
Vormundschaft begründet Aber das ostf&lischc Recht hat diese Ge-
meinschaftstendenzen in llezng auf Liegenschaften nicht nur nicht klar aus-
gestaltet, sondern gegcnteils wieder von sich abgestossen“. Vgl. auch die
eingehenden Deutungsversuche, welche Heusler ebend. S. 388 f. der Stelle
Ssp. I 45 § 2 gewidmet hat und vor allem Gierke, Ltl’R. II S. 200 No. 58 a. E.:
„Bei der vormundschaftlichen Gewere des Ehemanns wird die Eigengewere
der Frau durch ihren Mitgenuß in Kraft gehalten, vgl. Ssp. I 45 § 2.“ —
Neuerdings erst hat die Gropp sehe Ansicht vereinzelte Anhänger gefunden
in Schilling, Archiv für bürgerliches Recht XIX (1901) S. 272 f. und
Bchre, Die Eigentumsverhältnisse im ehelichen Güterrecht des Sachsen-
spiegels und Magdeburger Rechts (1904) S. 56 f.
') Nach den beiden Berliner Exemplaren. In Hotneycrs Ssp. 3. Ausg.
S. 199 ist unter der sonst nicht existierenden Variantenbezeichnung 11k die
Lesart „dem erve“ (also „in dem erve“) angeführt. Der Cölner Druck hat bei
llomeyer die Bezeichnung Ck.
*) Es sind noch folgende Lesarten zu erwähnen:
Die im Besitz von Baron de Geer van Jutphaas befindliche Hand-
schrift C: „daer hi mit hare in besvt was“: cod. llom. 289: „om des
willen dat hi mit hoer in der gewere öd' besittinghe aittet“; codd.
Hom. 290, 292 und 375: „om des wil dat hi mit hoor inder besittinghe
is als een Vormünder“. (De Saksenspiegel in Nedcrland 1888 I S. 30,
II S. 40).
Diese Lesarten können unsere Deutung der Ssp.-Stello nicht erschüttern.
Den holländischen Verfassern war, wie auch aus zahlreichen anderen Stellen
hervorgeht, der Ausdruck gewere in seiner technischen Bedeutung ungewohnt.
3) Martitz S. 130 f„ 170, 221 No. 22, S. 231, 253, 254, 255, 269, 332
No. 16.
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liebes') — Vermögen besitzen. Diese Vorstellung findet schein-
bare Bestätigung in einem, von Martitz allerdings übersehenen,
jüngeren Zusatz zur Buch’schen Glosse von Ssp. 131, wo von
„der Eheleut Gut, wie sie das mit einander in unzerteilter Gewere
besitzen“ gesprochen wird2). Es ist aber zunächst zu beachten,
daß die Stelle sich nicht ex professo mit der Frage, wer von den
Ehegatten Träger und was Gegenstand der Gewere ist, befaßt:
*2. Zobelsche Ausgabe von 1561 und sämtliche folgenden
Zobel sehen Ausgaben:
„Man und Weib etc. Nachdem die Ehe allein vor das
geistliche gericht gehörig ist, darum!) saget er weder hie
noch anderszwo in diesem gantzen Buche ichts davon, son-
dern saget hie allein von der Eheleuth gut, wie sie das mit
einander in unzertheilter gewer besitzen. Dann des gehöret
etlichs zu weltlichem gericht. Aber weil ich sage Etliches,
möchstu fragen, welches dann das gut sey, das man vor
geistlichem gerichte fordern mög ? “
Geht man ferner auf die erste Zobelsche Ausgabe von 1535 und
deren Vorgänger zurück, so zeigt sich, daß dort überall die Worte
„wie sie das mit einander in unzerteilter Gewere besitzen“ fehlen-1).
Wir haben es also in diesen Worten mit einem überflüssigen und
irrtümlichen Zusatz zu tun, auf den Gewicht nicht zu legen ist.
Die Tragweite der Martitzschen Annahme einer Gewere
der Ehegatten am geeinten Gut erhellt, wenn man sich den Begriff
') Martitz S. 174 ist Anhänger der, Ton Albrecht, Die Gewere als
Grundlage des älteren deutschen Sachenrechts S. 19 ff. aufgestellten, Lehre,
daß die Gewere an einem Grundstück die Gewere der auf dem Grundstück
befindlichen Fahrnis nach sich zieht. Vgl. hierüber Be sei er, Erbverträge I
8. 168: Heusler, Gewere 8.66, 278 ff. und Institutionen des deutschen
Privatrechts II S. HK), 389: Huber, die Bedeutung der Gewere im deutschen
Sachenrecht 8. 40 f. und die dort gegebenen Literaturnachweise: Schröder.
Lehrbuch der deutschen Hechtsgeschichte IV. Anfl. S. 714.
*) Es ist unrichtig, wenn Agricola S. 74, 203 f., 642 sagt, daß die ge-
meinschaftliche Gewere beider Ehegatten am gesamten Gut erst im Jahre
1572 in den sächsischen Constitutionen aufgetaucht sei.
3) Die Wurmsehe Glosse (benutzt nach der Abschrift der Görlitzer
Handschrift von 1387) ist auch an dieser Stelle bedeutend „weiter ansge-
sponnen* (8 tef fen h a gen , Sitz. - Ber. XCVI1I. I. S. 59) als die Huchschc
Glosse, sagt aber von unzerteilter Gewere kein Wort.
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der Gewere vergegenwärtigt: die Gewere ist die bei Fahrnis
aus dem Haben, bei Liegenschaften aus der Nutzung zu erkennende
tatsächliche Herrschaft über eine Sache, an welcher demjenigen,
der die tatsächliche Herrschaft ausübt, ein dingliches Recht
wenigstens seiner Behauptung nach zusteht1). Voraussetzung einer
Gewere der Frau am geeinten Gut ist demnach ein dingliches Recht
der Frau an den zum geeinten Gut, mithin auch an den zum Ver-
mögen des Ehemannes gehörenden Gegenständen. Mit der An-
nahme einer Gesamtgewere der Ehegatten am geeinten Gut wäre
also das Grundprinzip des Güterverbindungssystems, daß die Zu-
ständigkeit des ehemännlichen Vermögens nicht berührt wird,
preisgegeben. Zu diesem befremdenden Ergebnis scheinen in der
Tat einzelne Bearbeiter des sächsischen Landrechts gelangt zu sein.
Johann von Buch gehört aber nicht zu ihnen; wenn er in der
Glosse zu Ssp. I 31 die Verfügungsbeschränkung der Ehefrau unter
anderem damit zu begründen versucht,
„dat man vnd wyff gesamet gud liebben vnd van ge-
samende gude mach me nicht vorgeven ut dig. pro socio
lege 2,“ *)
so soll diese romanisierende Floskel nur „formellen Halt und
äußerliche Stärkung“ 3) dem deutschen Rechtssatz bieten. Im Ernste
darf man dem märkischen Ritter nicht Zutrauen, daß er sein
■) Vgl. die Formulierung vunl’lanck, Das deutsche Gerichtsverfahren
im Mittelalter I. S. 644 f. „Der tatsächliche Besitz . . . muß Ausfluß eines
behaupteten Itcchts am Gute sein“: Hcusler, Gewere S. 119 f.: „Gewere ist
möglich sofern sio sich als Ausübung eines dinglichen Hechts dokumentiert,
mag ein solches Recht in Wirklichkeit vorhanden sein oder nicht“, und Inst. I
S. 379: „Damit die Gewere in der Rechtsordnung Anerkennung finde, muß sie ein
Hecht hinter sich haben, als dessen Ausdruck sic erscheint“, sowie ebend. II
S. 20: Huber, die Bedeutung der Gewere im deutschen Sachenrecht S. 22:
„Ein dingliches Recht ist stets wenigstens der Behauptung nach bei der
Gewere vorausgesetzt“; Gierke DPR. II S. 189: „Jede Gewere ist der Aus-
druck eines in ihr behaupteten dinglichen Rechtes“.
*) Cod. Hom. 30 (Berlin Kgl. Bibi. Ms. gern. fol. 284). Aus dieser
Glossenstellc erklären sich die Inhaltsangabe von I 31 iui Rubrikenregister
des Basler Primärdruckes von 1474: „Von gesampten gute mag nymant ge-
geben“ und die Überschriften zu I 31 in cod. Hom. 289 von 1479: „Van
samende gudes als man ende wyff“ und im Cölncr Primärdruck von 1480:
„Wodano guet' echte lüde ond eruen to sauien hebn“.
3) Homcyer, Prolog i. Glosse, Abh. d. Akad. 1854 S. 167.
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heimisches Ehegüterrecht als eine Unterart des Societätsvertrages
aufgefaßt habe. *
Bedenklicher schon klingen die Erläuterungen, welche Me-
nius der Stelle Ssp. I 31 zu Teil werden läßt, ln der „dem
deutschen Text des Sachsenspiegels vor der Glosse artikelweise
folgenden eigenartigen Glossengruppe“ ') findet sich zu dem Satze,
daß Mann und Weib kein gez weites Gut haben, folgende An-
merkung:
„In possessione szt. et quantum ad usumfructum
iuxta tex. latinum h. et Bart, in 1. 2 C. ne uxor pro marito
et 1. eo. art. 45. §. Das weib, et Lehenr. c. 69 in gloss.
Et licet hic textus dicat, uirum et uxorem habere sua
bona communia, non tarnen ideo talia bona fiunt mariti, ita
quod ea possit in solutum dare pro suis debitis, sed semper
salva manent uxori“.
So heißt es denn auch in den Summarien zu Ssp. I 31 in der
zweiten und den späteren Zobel sehen Ausgaben:
„Man und Weib haben zu ihrem leben oder narung kein
geteilt oder gezweiet gut weder an nutzung noch an gewere“,
und so fügt Menius zu Ssp. 145 §2 „durch dat he mit ir in
den geweren sit“ die Anmerkung:
„hoc est, quantum ad possessionem et usumfructum ut
supr. eo art. 31, ubi dicitur, quod maritus et uxor constante
matrimonio omnia bona habeant indivisa, scilicet quantum
ad sustentationem utriusque“ *).
An diesen Aussprüchen interessiert am meisten, daß die angeblich
quantum ad usumfructum sich erstreckende Ungezweitheit auf den
Satz „Man unde wif ne hebbet nein getveiet gut“ gegründet wird.
Verfolgt man die Entstehungsgeschichte des ersterwähnten Aus-
spruches zurück, so trifft man ihn zuerst im Leipziger Druck von
1528 als erläuternde Anmerkung zu „Man unde wif u. s. w.“ in
folgender Gestalt:
') Steffenhagen, Sitz.-Bcr. CX. 2. S. 248.
*) .Quantum ad sustentationem utriusque“ ist die miüverständlichc
Übersetzung von „to irme live“, vgl. die eben angeführten Summarien: „zu
ihrem leben oder narung“.
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in
„Scz. in possessione ut textus latinus, vide Hart. 1 2
Cod. ne uxor pro marito“.
Wie klar ersichtlich, ist diese Anmerkung einschränkend gemeint;
sie will ein Mißverständnis über die Art und Tragweite der durch
die Ehe hervorgerufenen Ungezweitheit verhüten, will betonen,
daß die rechtliche Zuständigkeit von Mannes- und Frauengut sich
nicht ändert, daß vielmehr eine Ungezweitheit nur in Bezug auf
die possessio eintritt. So gerechtfertigt demnach die Anmerkung
ist, so läßt sich doch nicht verkennen, daß sie die vermögens-
rechtlichen Wirkungen der Ehe nur unzulänglich charakterisiert,
da sie das Recht zur Vormundschaft, welches der Mann am ein-
gebrachten Gut erwirbt, ganz übergeht. Menius mag dies
empfunden haben, und es läßt sich dann verstehen, daß er den
verbessernden Zusatz „quantum ad usumfructum“ einfügte, nicht
um ein beiden Ehegatten gemeinschaftlich zustehendes Nießbrauch-
recht zu behaupten, sondern um darauf hinzuweisen, daß der
Mann außer der tatsächlichen Herrschaft, der possessio, auch ein
Recht an dem mit seinem Gut geeinten Frauengut erwirbt1).
') Als usuafructus wird das Hecht des Mannes ain cingebraehton Gut
bereits im Jahre 1499 bezeichnet, vgl. die Notiz unter einem Magdeburger
Schöffenspruch für Naumburg bei Friese -Liesegang lid. I S. 406 Nr. 33.
Diu gelehrte Jurisprudenz des 16. Jahrhunderts hat den Ausdruck dann ein-
gebürgert, vgl. Martitz S. 281 No. 6 und Jacgcr, De origine ususfructus
maritalis (Hallenser Diss., auch unter dem deutschen Titel „Diu Entstehungs-
geschichte des ehcm&nnlichen Nießbrauchs“, 1872) § 4, insbesondere die
treffliche Würdigung der von Martitz und Jaeger zusammengestellten
Aussprüche bei Schilling S. 279 f. Inwieweit diese Aussprüche sich auf
die Bearbeitungen des Landrechts zurückführen lassen, hat Jaeger nicht
untersucht. Er hätte sonst nicht von Thoinings Decisiones (1579), wo es
gelegentlich heißt, die Güter der Frau kämen in inariti possessionein, be-
hauptet: „Hier findet sich in den Quellen zuerst für den alten, viel weiteren
Begriff Gewere das römische Wort possessio“, l'nd wenn Thoming das
Hecht des Mannes am Praucngut durch den lateinischen Ausdruck tutela
wiedergibt, so ist das nicht eine „unbestimmte Äußerung“ (Jaeger S. 16,
25 No. 2), sondern entspricht den ältesten Überlieferungen der Vulgata. Die
Bezeichnung paraphernalia für einen Teil des Frauengutes findet sich nicht
zuerst bei Wesenbeck im Jahre 1568 (Jaeger S. 18), sondern begegnet
uns z. B. schon in der bald nach 1329 (Steffenhagen, Sitz.-Bcr. XCVI1I
1. 78 f.) entstandenen Berlin -Steinbeokschen Handschrift, in sämtlichen Ar-
beiten Wurms, in Hocksdorffs Gerichtsforuieln (Zeitschr. f. Hcchtsgesch. 1
S. 430), auch als Überschrift in den Statuten von Halle (Förstemann
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Aber mit solchen Interpretationsversuchen gerät man auf das Ge-
biet der Vermutung; unsere Deutung läßt sich kaum verteidigen,
wenn wir die Möglichkeit zugeben, daß Menius sich an die von
Heynitz 1553 veranstaltete Ausgabe des Landrechts angelehnt hat.
Denn dort heißt es als Erläuterung des Satzes, daß Mann und
Weib kein gezweiet Gut haben:
einteilige quoad usumfructum, habent enim promiscuum
rerum usum“.
Nun haben aber theoretische Erörterungeu und Erläuterungen der
sächsischen Postglossatoren, zumal wenn es sich um einen deutsch-
rechtlichen Begriff wie die Gewere handelt, wenig Wert. Anf die
eben angefülirten dürftigen Formulierungen weiter einzugehen, ist
daher nicht erforderlich.
Martitz scheint zu seiner Vorstellung einer ehelichen Gesamt-
gewere zum Teil unter dem Eindruck des sogenannten „ehelichen
Güterrechts von Todes wegen“ gekommen zu sein. Wenn man,
wie Martitz, das Institut des Dreißigsten als ein Recht des über-
lebenden Ehegatten auf Fortsetzung der Gütergemeinschaft auffasst ’)
und der Witwe bis zum Dreißigsten eine Gewere an allen zum
ehelichen Gut gehörigen Gegenständen beilegt’), dann ist es aller-
Neue Mitteilungen aus dem Gebiet hist.-ant. Forschungen I. 2. S. 80) für die
eingebrachtc Gerade (vgl. ferner v. N orniann, Wendisch-rügianischer Land-
brauch tit. 5G und für das englische Recht Köhler, Jahrb. f. Dogm. XXIV
S. 204 No. 5); u. a. m. Daß Jaeger seine Quelle Martitz hätte angeben
müssen, hebt bereits Schilling S. 271 No. 78 hervor.
') Martitz S. 163 ff., 166: „. . . Es erscheint also nicht der Augenblick,
da der Gatte stirbt, sondern die Beendigung der Monatszeit als der Termin,
an dem regelmäßig die eheliche Gütereinheit ein Ende findet“.
’) Laband, Kritischo Viertcljahrsschrift für Gesetzgebung und Rechts-
wissenschaft XV 8.401; anscheinend ebenso Martitz S. 165: „Der Erbe hat
ein Recht, die Aufnahme in die Gewere“ — also neben der Witwe? — „zu
fordern“, (vgl. 8. 166, wo dem Witwer eine Gewere an den fraulichen Liegen-
schaften bis zum Dreissigsten zugeschrieben wird, ohne daß das dingliche
Recht, welchem die Gewere Ausdruck verleihen sollte, genannt wird). Es
könnte allerdings scheinen, als sei die Witwe bei der durch die Tatsachen
gegebenen Sachlage Dritten gegenüber zur Verfügung über die Nachlaß-
gegenstände legitimiert, sobald sie ein — ihr in Wahrheit nicht anstehen-
des — Recht daran behauptet: ein Korrektiv hiergegen bietet aber die
präsumtive Kündbarkeit dos Todesfalles und des damit bis zum Dreißigsten
eintretenden Veräußerungsverbotes. Gegen eine Gewere der Witwe am
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dings nur folgerichtig, der Frau schon zu Lebzeiten des Mannes
eine Gewere auch an seinem Gut zu geben. Gegen die erstere
Prämisse entscheidet aber der Umstand, daß bei der Berechnung
der Erbansprüche, mit Ausnahme des Anspruchs auf den Mußteil '),
nicht der Dreißigste, sondern der Tag des Sterbefalles zu Grunde
gelegt wird*). Es heißt ferner in den Quellen für den Fall des
Vorversterbens der Frau, daß der Witwer schon am Sterbetag die
Befugnis verliert, die von der Frau stammenden Geradesachen
durch tatsächliche Verwaltungshandlungen in Ungerade zu ver-
wandeln und damit dem Erbrecht der Niftel zu entziehen*). Die
rechtliche Verbindung der Vermögensmassen beider Ehegatten ist
also in der Tat im Augenblick des Erbfalles gerissen, und nur die
faktische Realisierung der hierdurch bewirkten Rechtsänderung
wird hinausgeschoben, um den Frieden des Sterbehauses bis zum
Ablauf der alttestamentarischen Trauerzeit zu wahren. Zu deut-
lichem Ausdruck gelangt dieser Gedanke in der Glosse zu Weich-
bild art. 23*):
„Stürbe y man de an gerade ader hergewete, wie wol is
an en irstorben ist zu hant, also er tot ist, is sy wip
ader man; vor dem dreizigisten ist er aber nicht
phlichtig von em zu antwerten.“
Schon hiernach entfällt die Möglichkeit, aus den Verhältnissen
vom Eintritt des Todesfalles bis zum Dreißigsten einen Rückschluß
auf die Regelung während der Ehe zu ziehen5).
Nachlaß des Mannes bis zum Dreissigstcn hat sieh besonders Hcuslcr Inst.
II S. 39 f., 567 ausgesprochen: vgl. auch Humcycr, Abh. d. Akad. 1864
S. 203 bis 205, wo die ältere Literatur angegeben ist.
') Ssp. I 22 § 3; vgl. die Schöffensprnchc bei Wasscrsch leben I S.
205 c. 65b, S. 207 c. 65 e, Kricsc-Liosegang S. 575 c. 117 vorletzter Abs.
*) Sobm, Göttinger gelehrte Anzeigen von 1867 8. 1906.
*) Glosse zu Weichbild art. 23, Ausgabe von Daniels und Gruben
1858 Sp. 290 Z. 37—52.
4) Sp. 285 Z. 40 — Sp. 286 Z. 12. Nur vorläufige Sichcrungsmaßregcln
sind schon vor dem Dreißigsten gestattet; so muß sich der Witwer
Inventarisierung der Gerade durch die Niftel unter Zuziehung von Richter
und Fronoboten gefallen lassen, Weichbildglosse Sp. 286 Z. 13—23.
5) Richtig Agricola 8. 197: Die Ähnlichkeit des Verhältnisses bis zum
Dreissigsten mit dem während der Ehe sei eine ganz äußerliche.
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So ergiebt sich nirgends ein Anhalt für die Annahme, daß
der Ehefrau eine Gewere am eingebrachten Gut verbleibt, oder
gar, daß ihr eine Gewere am Vermögen des Mannes oder ein Recht
an seinem Vermögen zustande. Insbesondere ist die Ssp. -Stelle
I 45 § 2, von der wir ausgegangen sind, von jedem Anklang an
gütergemeinschaftliche Tendenzen rein. Es ist nötig, dies zu be-
tonen, wenn man der Äußerung Beselers1) gedenkt, daß in der
gemeinsamen Gewere, von der Eike in Ssp. I 45 § 2 spreche, der
Übergang „zur höheren Stufe“, zur Gütergemeinschaft, zu sehen sei.
n.
„Ab eynem wibe yn eyner zusampnen lobunge gelobit
wurde von irem eligen wirte eyn gelt vor den luten, do die
ee zusampne gelobit wart; unde benente daz uff synem huse
ader Vorwerke ader uff eynem wyngarten; die frauwe besesse
mit dem manne yn geweren unde gewelden jar unde
tag unvorrucket in dem selbien gute, do erir ire rnorgen-
gabe uff vorheissin hatte, der man hette ir aber keins
vorschrebin, unde stürbe; des mannes erben sezin der frauwe
stul vor dy thor mit eynem rocken, als sy lichte nach dem
drizigsten zu der kirchen were, unde weiden sy abwisen mit
der gewalt; die frauwe spreche uff das gut umme ire morgen-
gabe; die erben sprechen: hette sy bewisunge, sy weiden
tun was sy sohlen; die frauwe spreche: sy wolde is bewisen
mit erbsessin luten, . vor den er ir ire morgengabe bescheiden
hette; die erbin meineten eyne bewisunge eynes gehegeten
dinges ader eynes brives ader der stat buches; vermochte sy
des nicht, so kerten sie sich an keine gezuge, nach dem alzo
sy ir nicht gelabit hätten; so meint die frauwe alzo: als sy
das erbsessin lute hot, das er ir is gelobit hatte, is were
*) System des gemeinen deutschen Privatrechts I S. 581. Vgl. dagegen
die richtige Bemerkung schon von Sohm, Das Recht der Eheschließung (1875)
S. 96 {.: „Durch die neueren Untersuchungen ist klargcstellt, daß, abgesehen
vom ostfälischen Recht, alle übrigen deutschen Stammesrechte von dem
alten Gütertrennungsrecht mit bloßer Verwaltungsgemcinschaft eine Fort-
entwickelung zum GQtcrgcmcinschaftsrccht durchgemacht haben“. Martitz
8. 366 No. 49 hebt ausdrücklich hervor, daß die Rechtsprechung des Magde-
burger Scböffenstuhls sich von der zur Gütergemeinschaft hinneigenden Ent-
wicklung des magdeburgischen Statutarrechts nicht hat beeinflussen lassen.
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genug; nn bitten wir yn eynem rechten orteil zu irfaren:
ab die frauwe mit sollichin gezugin volkomen möge unde
ire morgingabe behalden billichir, nehir unde ehr, wenne sich
die erben des geweren mohin: ader was darumme recht sy.
Gelobit eyn man synem wibe vor den Muten eyne morgin-
gabe, er bestetigte die morgingabe vor gerichte ader nicht,
das wip beheit die morgingabe uf den heiligen, unde die
gewere, do ir die morgingabe uff gegeben was, mit
gezuge billichir unde ehr, wenne sy des roannes erben da-
von gewisen mögen; von rechtis wegen“. (Glosse zu Weich-
bild art. 22 in der Ausgabe von Daniels und Gruben
1858 Sp. 278 f.)
Zweimal gebraucht hier der Glossator des Weichbilds eine
Wendung, als stände der Ehefrau eine Gewere an Gnmdstücken
des Mannes zu.
Der Sinn der ersten Stelle ist folgender: Der Bräutigam hatte
seiner Braut eine Geldsumme zu Morgengabe gelobt und ihr zur
Sicherung dieser Forderung sein Haus oder eines seiner Vorwerke
oder einen seiner Weingärten zu verpfänden versprochen. Bevor
er dies letztere Versprechen erfüllt hat, stirbt er; die Grundschuld
ist also nicht zur Entstehung gelangt. Die Witwe aber glaubt
Gewicht darauf legen zu dürfen , daß der Mann niemals den
Willen, die Grundschuld nicht zu bestellen, zum Ausdruck gebracht
oder gar betätigt hat. Sie meint, es sei für ihren Anspruch auf
Herausgabe des für die Grundschuld in Aussicht genommenen
Grundstückes erheblich, daß der Mann das Grundstück nicht ver-
äußert habe1)- Diesem Gedanken gibt sie mit der Wendung
Ausdruck, sie habe mit dem Manne „yn geweren und gewelden“
Jahr und Tag in dem Grundstück gesessen. Ich sehe hierin eine
ungenaue und falsche Formulierung, die für die Existenz einer
Gewere der Frau am Vermögen des Mannes nicht beweiskräftig
ist*). Geht die Witwe doch auch insofern von einer unrichtigen
') Die Witwe ist sich klar darüber, daß sie, wenn der Mann das Grund-
stück veräußert hätte, von deui dritten Erwerber die Herausgabe nicht würde
verlangen können.
*) Juristisch inkorrekte Parteivorträge begegnen uns in den Schöffen-
ansprüchen häutig (vgl. unten S. 33 f.), und cs ist wohl möglich, daß der
Glossator sieh an einen solchen faktisch stattgehabten Parteivortrag ange-
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Rechtsansicht aus, als sie zu glauben scheint, daß zur Erlangung
der sogenannten rechten (lewere Besitz von Jahr und Tag ohne
voran gegangene gerichtliche Fertigung genüge.
Einfacher ist die zweite Stelle. „Das wip behelt die morgin-
gabe uff den heiligen“ heißt: die Erben werden zur Auszahlung
der zu Morgengabe gelobten Geldsumme verurteilt, wenn die Witwe
den Beweis des Gelöbnisses mit ihrem alleinigen Eide erbringt.
„Das wip behelt die gewere, do ir die morgingabe uff gegeben
was, mit gezuge“ heißt: die Erben werden zur Herausgabe des
Grundstücks, auf welches ihr die Morgengabe angewiesen
ist, verurteilt'), wenn die Witwe den Beweis der Errichtung der
Satzung durch Zeugen erbringt. Gewere hat hier also nicht die
Bedeutung von Besitz, sondern von Haus und Hof*). Unter einem
lehnt oder den frei erfundenen Hechtsfall absichtlich in der üblich laienhaften
Ausdrucksweise dargcstcllt hat.
') Auf diese Verurteilung wird die Witwe besonders bei Überschuldung
des Nachlasses Wert logen , da der Anspruch aus dem bloßen (lelöbnis der
Morgengabe den übrigen Krbschaftsschulden nachsteht, vgl. Behre, Die
Eigentumsverhältnisse im ehel. Güterr. des Ssp. u. Magdeb. Rochta. 8. 71.
Ist die Herausgabe des Grundstücks erfolgt, so hat nunmehr die Witwe die
Wahl, ob sie es bewirtschaften und die Erträgnisse zu ihrem Lebensunterhalt
verwenden, oder ob sie den durch das Morgengabegelöbnis erstrebten wirt-
schaftlichen Erfolg direkt, nämlich durch Weiterverpfändung des Grundstücks
erreichen will. Dies Letztere scheint das Häufigere gewesen zu sein, vgl.
Weichbild art. 92 (Ausg. von Daniels u. Gruben 1858 Sp. 153): „So cyn
man synem elichcn wibc cyn gelt zu morgingabe gelabet unde ir sien eigen
ader sien erbe dovor zu phande sezit under wichbildis rechte, stirbit der
man, die fruuwe mag das phant mit rechte vorsezen vor ir gelt, wenne sy
wil“. Diese Stelle bietet einen neuen Beleg für die Richtigkeit der von
Köhler, Pfandrechtliche Forschungen S. 15 ff. vertretenen Ansicht, daß auch
beim Vertragspfand und zwar auch bei der älteren Satzung, ein Weiterver-
pfändungsrecht des Gläubigers existierte.
*) Abw. Ans. Behre S. 88 No. 1 : „da die Bestellung einer Grundschuld
(Satzung) wie jede Bestellung dinglicher Rechte an Grundstücken deren Auf-
lassung“ — richtiger wohl: gerichtliche Fertigung, vgl. Heusler, Inst. II
S. 76 f., 141 und Schröder, Rcchtsgeschichte S. 721 — „erforderte, mit der
Auflassung aber die Gewere an dem Grundstück auf den Erwerber überging
(Heusler, Inst. II S. 146), so ist in der Stelle ganz kurz bloß vom Beweis
der Gewere die Rede“. Wie hält Behre, der an anderer Stelle S. 56 f. für
die Ausschließlichkeit der Gewere des Ehemannes am geeinten Gut eintritt,
den Übergang einer Gewere zu Satzung au die Ehefrau für möglich? Nur
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16
Besitz, worauf die Morgengabe gegeben sein soll, kann man sich
nichts vorstellen.
in.
In der Wurmschen Glosse zu Ssp. IH 76 wird bei Erörte-
rung einer vermögensrechtlichen Streitsache zwischen Ehegatten,
deren Ehe fiir nichtig erklärt worden ist, gesagt, während der Ehe
habe die Frau mit dem Manne in geweren gesessen (Berlin Kgl.
Bibi. Ms. germ. fol. 437 Blatt 571):
„Der uorspreche .... gestelle seine clage so uon der
frauen wegin in sotanir weise*). Herre her richter wolt ir
frauwen Bertan wort uomemen, so ste ich hir an inn worte.
und spreche gar bescheidenlichin. Einen rechten elichin
man hatte sy. der ir getreutit und gebin waz alz einr rechtin
ee recht ist. und hot mit im gesessin in gütlichen und
erlichin geweren, also lange daz sy beide undirweisit
sein von den nehsten magen beiderthalbin daz sy uon rechter
sibbeczal sich nicht gehabin mugen und uon rechtis wegen
den sy gerne behaldin hette czu einem rechtin ee wirte,
hette sy gemocht uon gotis wegen und uon gericlitis wegen.
Der ir gebin hot czwenczig schock groschin czu rechtir
morgengabe, der er ir iczunt weigert czu gebin. und uor
inthaldin hot uon der czit also sy gescheiden ist biz s)
und bitit gericlitis und begert der antwort. Secundo. So
clagit sy got und euch daz er ir uor inthelt geweldielich ir
leipgedinge daz er ir gebin hot an seim eigen eigintlichin
ein houz ein hof schune. und alliz gebude aber do wider
insoweit stimmt Hehre mit uns überein, als er 8. 98 den Satz „Morgengave
behalt dat wif uppen hilgen, de gewere aver mit getfige“ (Ssp. I 20 § 6)
folgendermaßen übersetzt: _l)en Beweis des Morgengabegelöbnisses erbringt
die Krau mit ihrem Eide, den Beweis, daß dies Gelöbnis später in eine
Grundschuld uingewandelt worden ist, erbringt sie selbsicbent“.
') Nicht immer zeigt Wurm so deutlich wie hier, daß die von ihm
mitgetcilten Schöffensprüche nur eine Form sind, in welche er eigene Rechts-
sätzc kleidet. Vgl. Homeycr, Richtsteig Landrechts S. 341, 362 : Böhlau,
Nove constitutiones domini Alberti S. XXXIV f. und Blume von Magde-
burg S. 16; Stobbe, Rcchtsquellcn 1 S. 381, 418; Steffenhagen, Sitz.-
Ber. XCVI1I. 1. S. 58, 76.
’) Zu ergänzen ist hier wohl „iczunt“.
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17
redin wil .... Tercio. Auch clagit sy daz erz hir gerade
und alliz daz dorczu gehört und musteile und dar dorczu
gehört di er ir uor inthelt und ir weigert ezu gebin. und
bittit gerichtis und begert einr antwort . . .“
Der fingierte Rechtsfall wird dann nach verschiedenen Rich-
tungen umständlich erörtert, ohne daß die Frage der Gewere
erwähnt wird, wie ja auch in dein hier abgedruckten Bruchstück
nicht die geringste Konsequenz aus den „gutlichin und erlichin
geweren“, in welchen die Khegatten gesessen haben, gezogen wird.
Gewere kann also hier nicht Besitz bedeuten; die Bezeichnung des
Besitzes als „gütlich und erlich“ ist schon an sich außergewöhn-
lich, in dem hier vorliegenden Fall aber, wo Besitz und Beschaffen-
heit des Besitzes nicht in Frage steht, ganz und gar unverständ-
lich. „Mit im gesessin in Geweren“ bedeutet, wie in Ssp. I 45
§ 2, so auch hier „mit ihm gelebt in ehelicher Gemeinschaft“ ').
Die Klägerin sagt, sie habe „mit ihrem Manne als rechtmäßige
Ehefrau in Frieden und Ehren zusammengelebt“; darin kommt
ihre Befürchtung zum Ausdruck, die Bestellung von Morgengabe
und Leibzucht werde Gelleicht deshalb als nichtig angesehen
werden, weil sie in einer mit einem impedimentum dirimens be-
hafteten Ehe erfolgt sei2). Zugleich ergibt sich zwanglos der
*) ln einem ganz ähnlichen KechUfall in den Magdeburger Fragen I 9
d. 5 heißt cs von den Eheleuten: „Dy selbin czwe scssin an der e in das
czende iar, lenger wile adir korczer, in gantezen truwen, so das sy key n
hindernisze wüsten czwu sehen on unde sy ouch ny angesprochen
worden, dy wile das sy lebeten, nmb kevnerleyc schelunge, dy czwuschen on
solde syn gewest“. Im weiteren Verlauf des Rechtsstreits verweigern die
Beklagten die Herausgabe der Morgengabe an die Stiefmutter mit der Be-
gründung, „sy mochte nicht rechte ce be siezen (!) mit irem (der Stief-
kinder) vater“. In dein Rechtsfall bei Wasscrschlebcn IS. 117 c. 242 ist
auf Trennung von Tisch und Bett erkannt, und es heißt dort von der Zeit
vor dem Urteil, als die Frau noch in häuslicher (ieineinschaft mit dem
Manne lebte: „die weile sie mit ym yn rechte sas“.
*) Diese Befürchtung der Frau ist unbegründet. In P u rg o 1 d t s Rechts-
buch I 8G, dessen Khegiitorrechtssystem sich allerdings von dem des Ssp.
unterscheidet , wird ausgesprochen , daß der rechtmäßigen Ehe die von
den Ehegatten in Unkenntnis des impedimentum dirimens für recht-
mäßig gehaltene Ehe gleichsteht: „die Unwissenheit on schadet wedder den
eil dem noch den hindern, wedder an den erin noch an dem gude noch
an erem rechtin“.
Kiesel, üewere 2
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18
Zusammenhang mit dem folgenden Satz: Frieden und Ehre des
ehelichen Zusammenlebens waren dahin, als „sy beide undirweisit
sein von den nehsten magen beiderthalbin daz sy uon rechter
sibbeczal sich nicht gehabin mugin“.
IV.
„Blift aver de wedewe na irs mannes dode mit iren kin-
deren in der kindere gude, dat ire nicht n'is, unde ungesceiden
van deme gude. unde nemet ire sone wif bi inne live, stervet
ire sone dar na, des sones wif nemet mit mererae rechte ires
mannes morgengave unde müsdele unde ire rade an ires
mannes gude, dan sin müder, of se irs mannes unde irs
selves umbesculdenen were dar an getögen mögen“ (Ssp. I ’20
§ 4).
In den letzten Worten dieser Stelle hat besonders Gaupp1) den
Beweis fflr das Bestehen einer Gewere der Frau neben der Gewcre
des Mannes gesehen*).
Fflr sich allein betrachtet, bietet die Stelle fflr Gaupps An-
sicht keinen Anhalt, wenn man das „und“ in „irs mannes unde
irs selves umbesculdenen were“ disjunctiv deutet: J. W. Planck1)
meint, die Sohnsfrau habe ihres Mannes oder ihre eigene Gewere
zu beweisen, nämlich ihres Mannes Gewere, soweit es sich um
Gerade und Musteil handele, ihre eigene Gewere , soweit ihr
') Germanistische Abhandlungen 8. 84 f. Gaupp geht davon aus, daß
das eingebrachtu Gut und die Gerade identisch seien, und spricht deshalb
von einer Gewere der Frau nicht am eingebrachten Gut sondern an der Gerade.
*) Man wird sich demgegenüber nicht mit Haenel, Das Bewcissystem
des Ssp. S. 1GI darauf berufen dürfen, dal! § 4 mit den §§ 3 und 5 bis 7 in
der alteren Überlieferung des Ssp. noch nicht enthalten ist (vgl. Homcyer,
Ssp. 3. Ausg. S. 89: „wir hätten, selbst wenn wir Mikes Handschrift noch
bcsäUen, uns bei und mit diesem l'rbilde nicht zu beruhigen, sondern seiner
weiteren Umgestaltung nachzugehen“, und Martitz 8. 173 No. 18: „un-
zweifelhaft ist dieser Zusatz, der dem Urtext des Ssp. nicht mehr angehOrt,
seinem Rechte gemäß“). Auch der Hinweis darauf, daß die Worte „unde
irs selves“ in fünf zur zweiten Klasse gehörigen Texten fehlen, kann uns
einer Erörterung dieser Stelle nicht entheben (abw. Ans. Hehre 8. 27 f. No 3).
*) Zeitschrift für deutsches Recht X S. 2G9: ebenso, wenigstens in
diesem Punkte Jolly, über das Beweisverfahren nach dem Rechte des
Ssp. 8. 41.
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19
Anspruch auf die Morgengabe gerichtet sei; umgekehrt sagt Kraut '),
an der Morgengabe habe d>e Witwe des Sohnes seine Gewere, bei
den als Gerade geforderten Gegenständen habe sie ihre eigene
Gewere darzutun. Planck wie Kraut hätten sich auf die Variante
berufen können:
„effte se eres mannes edder eres sulues onbeschulden
were dar an getugen mach“*).
Trotz dieser Lesart vermögen wir keinem 'der eben genannten
Autoren uns anzuschließen, sind vielmehr überzeugt, daß gleich
dem übrigen geeinten Gut auch Gerade, Musteil und Morgengabe
wahrend des Ehemannes Leben allein in seiner Gewere stand.
Der Urheber der Lesart „oder“ mag, wenn er bei seiner Änderung
sich überhaupt etwas gedacht hat, dies „oder“ in korrigierendem
Sinn als ein „oder vielmehr“ gedacht haben. Das wäre ein ganz
einleuchtender Gedanke, denn es ist wirklich nicht zu erklären,
weshalb die Witwe außer der gegenwärtigen eigenen auch noch
des verstorbenen Mannes frühere Gewere beweisen soll.
Bei Zugrundelegung der von Al brecht3) erwähnten Lesart4):
„of se ires mannes gut und ires selbs unbeschulden ge-
were daran gezeugen moegen“
entfällt die Annahme mehrfacher Gewere ohne weiteres. Die zu
beweisende Gewere ist nach dieser Lesart diejenige, welche der
Witwe des Sohnes nach seinem Tode an seinem Gut, soweit dies
Morgengabe, Musteil oder Gerade ist, zusteht.
Wir kehren zum Homey ersehen Text zurück. Es liegt dabei
außerhalb des Kähmens unserer Aufgabe, in eine Erörterung der
') Die Vormundschaft nach den Grundsätzen des deutschen Hechts II
S. 545 No. 30: ihm stimmt Har, Das Beweisurteil des germanischen Pro-
zesses S. 147 und Agricola S. 518 No. 36a bei.
*) Stcndalcr Druck von 1488.
3) Doctrinae de probationibus secundum jus Germanicum medii aevi
adumbratio II S. 14 No. 56 a.
*) Augsburger Druck von 1482 (bei Homcyer, 8sp. 3. Ausg. S. 69 als
Nr. 5 verzeichnet): Leipziger Druck von 1490 (ebend. Nr. 10;: Augsburger
Druck von 1517 (Nr. 16); Leipziger Druck von 1528 (Nr. 18): Ausgabe Löss
von 1545 (Nr. 22). — Der Basler Primärdruck von 1474, von welchem Nr. 16
und 18, und die erste Zobelsche Ausgabe, von welcher Nr. 22 abgeleitet
sind, haben den Homey ersehen Text.
2*
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20
unzähligen Streitfragen, welche die Ssp. -Stelle hervorgerufen hat,
einzutreten. Es genügt, als das Gemeinsame der im Einzelnen
weit auseinander gehenden Ansichten festzustellen, daß es sieh in
dieser Stelle nicht um zwei Beweisakte, sondern nur um einen Akt
handelt, und daß Gegenstand dieses einen Beweisaktes nicht die
Besitzfrage '), die Gewere, sondern die Rechtsfrage ist*). Die
Witwe des Sohnes wird unter Umständen dartun müssen, daß ihr
Mann Eigentümer .der streitigen Gegenstände war, aber vor allem
wird sie ihre und ihres Mannes „Unbescholtenheit“ zu beweisen
haben, d. h. sie wird beweisen müssen, daß die Gewere, welche
ihr unstreitig zusteht und ihrem verstorbenen Mann unstreitig
zugestanden hat, nicht von Anfang an durch die Art, wie sie er-
langt worden ist, eine bescholtene war und auch nicht später
eine bescholtene geworden war3). Von Anfang an bcscholten
') So I, aband, Di« vermögenarechtlichen Klagen nach den sächsischen
ltcclitsquelien des Mittelalters S. 393 f. No. 28, 30 und Kritische Vierteljahrs-
schrift XV S. 420.
*) Delbrück, Z. f. deutsches K. XIV S. 238 f.: Gerber, Z. f. Oivilr.
u. Pro*. N. F. XI S. 8: Har, Das Beweisurteil des german. Prozesses S. 147.
s) Die versio Vratislaviensis (cod. Hom. 85, Breslau 11 F. 8) übersetzt
„umbesculdcnen werc“ mit „possessio non irrita et quieta“: Sandomiriensis
(cod. Hom. 91, Breslau II Q. 4): „inviolata“: Johann von Lasco (vgl.
Hoinejcr, Ssp. 3. Ausg. S. 70 Nr. 14): „irreprobata“ : die Berlin - Stein-
bockache Handschrift hat die Lesart: „Si lnoritur tilius, relicta tilii dotu-
litiuin et domcsticalia nec non parafenialia tollit, si possessionem sui mariti,
impetitam cum testibus demonstrabit“; Görlitzer Handschrift von 1387: „Si
inoritur tilius, nurus eius in parafernalibus et commestualibus cum dotalicijs
secus cst qui mater disecssi. si mariti possessionem ati|ue sui ipsius iuuen-
ditatem testibus apprubauerit“. Auch diejenigen Überlieferungen der Vulgata,
die sonst wörtlich unter einander übereinstimmen, zeigen in der Wiedergabe
von Ssp. I 20 die widersprechendsten, zum Teil unverständliche, Lesarten,
ln den meisten Überlieferungen fehlt der hier interessierende Konditionalsatz,
in anderen wird er an späterer Stelle eingefngt. Vgl. Leipziger Druck von
1490 (Homeycr, Ssp. 3. Ausg. S. 69 Nr. 10): „Manet autem vidua in bonis
mortui sui cum filiis suis indistincte. Et si filius matrimonium contrazerit
mortuo postea tilio, uior iilii in dotibus et in domesticis cibariis percipiendis
matri sue prefertur. Et quod ipsa mater adliuc eam dotem non accipit non
iinpedietur et c convcrso. Si tilius in bonis matris dccesserit et si hoc
attestare potcrit in perceptione dotis iuribus nuri preponetur“ ; im Basler
Primärdruck von 1474 lauten die letzten beiden Sitze: „Kt quod ipsa mater
adliuc dotem non acceperit non iuipcdict et ecoimerso ost. Si tilius in bonis
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21
war ilie Gewere, wenn der Rohn nach dem Tode des Vaters die
von seiner Mutter in Anspruch genommenen Gegenstände ihr ent-
rissen hatte1); später konnte die Gewere dadurch zur bescholtenen
geworden sein, daß der Sohn dem jederzeit berechtigten5) Ver-
langen der Mutter, die Zweiung vorzunehmen, nicht stattgegeben
hatte*). Die späteren Rechtsbücher haben diesen Gedanken korrekt
ausgedrückt, ohne die Gewere auch nur zu erwähnen:
Rb. n. Dist. I 13 d. 1:
„ sterbet der son, des sones wip behildet mit merem
rechte ores mannes morgengabe unde mustevl unde gerad an
ores mannes guten1) wan sin muter, ab sy (seil, die Streit-
sache) ores mannes unde or seihest unbeschulden ist, unde
sy (seil, die Sohnsfrau*)) daz beczugen mag“6).
Auf jeden Fall wird man zugeben, daß Ssp. I 20 § 4 sich
auch ohne die Annahme einer gleichzeitigen Gewere beider Ehe-
gatten erklären läßt.
inatris dccesserit et hoc si matcr in perceptione dotis viri mortui prepunetur
dotein mnlier cum proprio obtinebit iuramento*: im Augsburger Primärdruck
von 1516 lautet der letzte Satz: „. . . . decesserit, et hoc si umter probare
poterit possessionem paciticam quam r?) uiater in pcrceptionc dotis iuribus
nurus (nuri: cod. Honi. 61, erste Zobclsche Ausg. v. 1535 u. a.) preponetur".
Diese Lesarten zeigen jedenfalls, daß die Schwierigkeiten des Homeyer-
schen Testes nicht erst von den Germanisten des 19. Jahrhunderts empfunden
worden sind.
') Heusler, Die Ucwcre S. 282 f.
*) „Cum sibi placuerit“ (Vratislaviensis, cod. llom. 85) - - „svenne se
sik dan van in sceidet“ in Ssp. I 20 § 3.
*1 Behre S. 30 f.
*) Statt .guten“ hat die von Ortloff zugrunde gelegte Handschrift
„morgengabe-. Ich verbessere diesen olfenbaren Flüchtigkeitsfehler nach
der übereinstimmenden Überlieferung, wie sie in den von Ortloff S. 355
angegebenen Varianten und anderen Handschriften (cod. lloin. 45, Berlin
Kgl. Bibi. Ms. germ. fol. 625) erhalten ist.
*) Der Subjektwechsel ist in drei von Ortloff S. 355 verglichenen
Handschriften zum Ausdruck gekommen.
6) Vgl. ferner die von Heusler, Gewere S. 283 No. 1 angegebenen
Quellen, sowie Kb. von Eisenach II 15 und l’oel mann IX 11 d. 5. — Der
hier interessierende Konditionalsatz fehlt in den holländischen Handschriften
codd. Hum. 289, 290, 292 und 375.
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22
V.
„Liftucht ne kan den vrowen neman breken, neweder na-
borne erve, noch neman uppe den dat gut irstirft, se ne
verwerke’t selve; so dat se ovetbome uphowe, oder lüde van
deme gute verwise, die to deme gude geboren sin, oder to
swelker wis se ire liftucht ut van iren weren let“ (Ssp. 1 2 1 § 2)').
Die Frau verwirkt die Leibzucht, wenn sie sie aus der Gewere
laßt. Andererseits: d’e Witwe behält die Leibzucht, wenn sie sich
wieder verheiratet2). Hieraus folgert man, daß der Witwe trotz
Verrückung des Witwenstuhls eine Gewere an dem Leibzuchtsgut,
welches der Gewere des Mannes zweiter Ehe unterstellt ist, ver-
bleibt, mithin, daß die Gewere des Mannes am Frauengut eine
gleichzeitige Gewere der Frau nicht ausschließt3).
Es ist zu prüfen, ob den Worten des Ssp. I 21 § 2 eine
streng technische Bedeutung zukommt, oder ob nicht vielmehr das
„Lassen der Leibzucht aus der Were“ ein nicht ganz genauer
Ausdruck für „Veräußerung“ der Leibzucht ist. In der ähnlich
formulierten Stelle Ssp. II (JO § 1 „to svelker wis he die varende
have ut von sinen geweren let“ oder „von sinen geweren utdede“ *)
ist das „Lassen“ nur als eine sinnlich wahrnehmbare Handlung
denkbar. Ebenfalls ist das „in die gewere laten“ in Ssp. I 9 § 5,
I 52 § 3, III 83 § 3 und das „laten“ überall dort, wo von „laten
und geven“ die Rede ist, nicht als ein untätiges „Zulassen“ sondern
als eine auf Herbeiführung von Rechtsfolgen gerichtete Tätigkeit
zu verstehen. Auch in unserer Stelle I 21 § 2 hat Eike zweifellos
den Fall im Auge, daß die Frau durch rechtsgeschäftliche
Verfügungen das den Erben des Bestellers zustehende Heimfalls-
recht „unbillich“ 6) zu beeinträchtigen versucht6). Zwischen Ver-
äußerungen, bei denen die Frau in der Gewere bleibt und solchen,
’) Die letzten Worte .oder — let“ fehlen in codd. Hoin. 289, 290 und 292.
7) Ssp. III 76 § 3: Stück von der Beweisung bei Houicyer Ssp. II 1
S. 365 f.: Extravagante zu Ssp. III 74 bei Homeyer, Abb. d. Akad. 1861
S. 248 f.: auch Ssp. 1 45 § 2.
s) Niese, Die Leib ziiclit nach den älteren sächsischen Reclitsqucllen S.21 f.
4) Vgl. Homeyers Variantenverzeichnis.
5) Vgl. die dritte Bocksdorfsche Addition zu Sp. I 21.
6) Johann von Buch in der Glosse zu Ssp. 121 §2: „Lyftucht ot
eren weren etc. Dit is of se ere cruen ontcrueu woldon“.
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23
bei denen sie die Gewere aufgibt, bat Eike nicht unterscheiden
wollen, ln den lateinischen Bearbeitungen in der Form der Vul-
gata ist denn auch jede Bezugnahme auf die Gewere ausgeschaltet:
„Dotalicia mulieribus nullus infringere potest neque here-
des iam nati neque posthumi, nisi lingna fruetifera succide-
rit, vel asscriptios fugaverit, vel qualicunque modo do-
talicium in alium transferat dominum. Nisi hoc in
spacio competenti iure revocetur, quum in iure fuerit requi-
sita“ ')•
Es fallt demgegenüber nicht ins Gewicht, daß die ungenaue
Fassung des deutschen Textes in den spateren sächsischen Quellen
wortgetreu wiederkehrt:
Glosse zu Weichbild art. 56:
„Gibt eyn man sinem wibe eyn lipgezucht an eigen,
die frouwe mag das gut keinem lassen. Wonne worumme?
lest sy is uz iren geweren, sy vorlust is, Ssp. I 21s).
') Cmt. Hoi». 61 ; „vel qualicunque modo in alium dotalieii transferat
dominium“: cod. Hom. 33 (Berlin Kgl. Bibi. Ms. germ. fol. 390): in der
Berlin - Steinbeckseben Handschrift fehlt der hier interessierende Passus:
.Nemo mulieribus donatiunes frangere potest, neque heres nisi ipsa per
culpam negleierit: videlicet si arbores fertiles detruncaverit aut licentiat
homincs ad bona nata (sic!) sui dotalitii. Si fecerit, refundet tempore
actionis. Si cclebretur divurtium inter virum et uxnrem, ipsa obtinet dona-
tionem propter nuptias sibi datam“: dagegen ist in der Görlitzer Handschrift
von 1387 der Passus enthalten: „Dotaliciuui nemo passivis frangerc potest
nec legitimus heres adque ipsa bona succedere possunt nisi demeruit ut
pote si fertiles arbores succederit aut in natos homincs de bonis resignaverit
aut quoquo modo dotaliciuui de sua posscssionc obmiseril nisi refundet in
tempore accionis alias privatur in eisdem“: die Vratislavicnsis (cod. Hom. 85.1
übersetzt wörtlich: „vel si quomod» praedicta bona desinat posidere“:
Ähnlich die Sandomiriensis (cod. Hom. 91): „vel qualicunque conditionc
suam vitae provisionein u sua possessionc dimisit“.
*) Ausgabe von Daniels und Gruben 1858 Sp. 375. Vgl. ferner
Kitravagante zu Ssp. 1 21 §2 bei Homeyer, Abh. d. Akad. 1861 S. 240:
(jlnsse zu Landrecht und zu Lehnrecht mehrfach: mehrere Handschriften
des landrechtlicbeu Bichlsteigs in Homeyers Ausgabe S. 180 No. 42: ltb.
n. Dist. I c. 20 d. 17: Poelmann IX 1 1 d. 15: Schüflcnspruch bei Wassersch-
ieben I S. 419 c. 74.
Abweichend das sogenannte W i k -Oeseisehe Lelinreelit I c. 2 (Ewers,
des Herzogthums Ehstcn Bitter- und Landrecht 8. 101): „autf welche Weise
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Das iiiiiR sich aus der bis zur Buchstabenverehrung gesteigerten
Autorität Eikes erklären, ist aber außerdem deshalb unbedenklich,
weil auch die späteren Quellen das „aus der Were lassen“ als ein
„Veräußern“ schlechthin verstanden haben werden. Der Verfasser
des Aufsatzes von der Beweisung um Lehn und Leibzucht scheint
der einzige zu sein, der den Widerspruch zwischen Ssp. I 21 § 2,
wenn man die Stelle wortgetreu auslegt, und der Bestimmung,
daß durch Verrückung des Witwenstuhles die Leibzucht nicht
verwirkt wird, empfunden hat:
„War mede eyn frouwe ore lyfftucht verwerten onde ver-
Iysen mach vindestu lib. I ar. 21 , . . . . Doch is der frouwen
gut onde lyfftucht in ores mannes vorstendinge onde her-
schapp, all dy wile sy beide leuen“ ').
Das „doch“ wäre unverständlich, wenn die Ansicht, daß die
Frau trotz Wiederverheiratung die Gewere behält, richtig wäre.
Gegen die technische Bedeutung des aus der Were Lassens
spricht ferner die Art, wie in den Quellen die Frage, ob eine
Verpachtung des Leibzuchtsgutes zulässig ist, behandelt wird.
Diese Frage ließe sich auf Grund von Ssp. I 21 § 2 ohne weiteres
bejahen1), da der Verpächter durch Einräumung einer Gewere zu
Pachtrecht an den Pächter seine „Obergewere“ s) nicht verliert4).
sic ihr Lcibzucht in Ehren verlissen“: ferner eine Druckausgabe von 1537
und eine spätere Dresdener Handschrift des mittleren livländischcn Kittor-
rechts, vgl. Bunge, Altlivlands Rechtsbücher S. 100 No. 2 zu art. 12: sowie
die holländischen codd. Hont. 3, 280, 200, 374 und die im Besitz von de Qeer
belindlichen Handschriften 0 und C.
') bei Homcyer Ssp. II 1 S. 366.
*) Vgl. Martiti S. 198 No. 27 und S. 298 No. 29 a. K., der allerdings
von der unrichtigen Annahme ausschließlicher Gewere des Pächters ausgeht
und deshalb die Verneinung der Krage auf Grund von Ssp. I 21 § 2 für
selbstverständlich hält. — Es sei hier auf ein Versehen Heuslers, Inst. II
S. 127a. E. aufmerksam gemacht, der jede Veräußerung des Leibzuchtgutes,
wie es scheint, auch nach Ssp. -Recht, für zulässig erklärt.
3) Ein zuerst von Heusler, Gewere S. 64 gebrauchter Ausdruck. In
anderem Sinne spricht Gicrke, Die Bedeutung des Kahrnisbesitzcs für
streitiges Recht S. 8 No. 18 von einer „stillgestellten Obergewere" des Eigen-
tümers bei Leibzucht oder älterer Satzung, vgl. DI’R. II S. 200.
<) Schon Cropp, Diebstahl S. 25 f. scheint gleichzeitige Gcwero des
Pächters und des Verpächters angenommen zu haben: „So.... hat der
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25
Statt dessen wird, und zwar sogar in unmittelbarem Zusammen-
hang mit Ssp. I 21 § 2, die Verpachtung erst nach erfolgloser
Anbietung an die Eigentümer des Leibzuclitgutes zugelassen1):
Bocksdorfsche Addition zur Glosse von Ssp. I 21 §2:
„Doch (!) mögen sie ire lipgedinge vszthun vnd vermyten.
Sie sollen is abir den erben vor anbieten, anders mögen sie
is nicht vszthun ader verkouffen, vt wich. ar. LVI Keyn weyp
in glo. ante medium etc“.
Glosse zu Weichbild 57 3):
„Were is sache, das eyner frouwen eyn lipgedinge gegebin
were , und mochte sy das nicht behalden durch armut
wille . . . ., so vint man is ir zu rechte, sy solle is den erben
zu losen geben. Weigert der erbe das, so tut sy is uz
umme zinz, wollen is aber dy erben umme solchen zinz
nemen, als man is anders wo besteen wolle, die erben sien
es nehir“ 3).
Mit größter Deutlichkeit sprechen spätere Quellen aus, daß
die Gewere des Mannes am Leibzuchtsgut eine gleichzeitige Gewere
der Frau ausschließt:
Pächter die Gewehr des gepachteten Guts und kann Störungen in der Gewehr
auf eigenen Namen verfolgen, aber den Besitz und die possessorischen Interdikte
hat er nicht, sondern der Verpächter“. Vgl. ferner Laband, Vermögens-
rechtlichc Klagen S. 160 ff., besonders S. 162 f. No. 10.; Huber, Gewero
S. 24 ff.; Gicrke, Fahrnisbesitz S. 8 No. 17; Amira in Pauls Grundriß
S. 179; Schröder, Kcchtsgescbichte S. 716 No. 43; Herbert Meyer, Ent-
werung und Eigentum im deutschen Fahrnisrecht S. 54.
f) Nach dem Basler Bruck von 1474. Der 2. Zobel sehe Druck (1561
Bl. 70) gibt die Addition lateinisch wieder: „Possunt tarnen (!) foeminac
talia bona dotalitii sui alteri locare pro annuo precio, vel ctiain nonnun-
quam cum pacto de retrovendendo divenderc. Oportet autem tune quod
heredibus primum ca taliter obtulerint, quod si facere nolint, prorsus non
licet illia quiequam cum extranco aliquo super iis contrahere“.
3) Daniels - Grubon Sp. 375 f.
3) Nach einem in den Zobclschen Landrechtsausgaben abgedruckten
Leipziger Schöffenspruch (Ausgabe 1535 Bl. 26 des Anhangs) ist Verpachtung
und Vermietung des Leibzuchtsgutcs ohne weiteres zulässig. Auch aus einem
für Naumburg gegebenen Magdeburger Schöffenspruch bei Fricso - Liese-
gang 1 S. 500 Nr. 59 geht nicht hervor, daß dein Abschluß des Pachtver-
trages eine Anbietung an die Heimfallsbercchtigten vorhergegangen wäre.
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Rb. n. Dist. I 12 d. 1 (Rb. v. Eisenach II 11, Poelmanns
Dist. IX 11 d. 1):
„Lipgedinge ist daz eyn man sinen wibe leth lin und
dinge den hem an sime gut, daz sy besicczen sal unde
gebruchen noch sime tode, dywile daz sy lebet unde
wol evnen andern man nempt noch sime tode“ ').
Die ausschließliche Gewere des Mannes besteht in gleicher
Weise an dem Grundstück, welches er selbst der Frau zur Leibzucht
gegeben, als an dem aus erster Ehe stammenden Leibzuchtsgut2).
VL
In Ssp. 131 § 1 wird von der Ehefrau gesagt, daß sie Eigen
nur dann vererbt, „of se dat hevet“. Die holländischen Hand-
schriften codd. Horn. 292 und 375 haben statt dessen die Lesart
„of si dat in hoorre were lievet“ , der Cölner Primärdruck von 1480:
„off se id hebbet in dem gewere“.
Aus so vereinzelten Erscheinungen wird man nicht auf eine
Gewere der Ehefrau an den zum eingebrachten Gut gehörenden
Grundstücken schließen dürfen. Es ist auch zu berücksichtigen,
daß in Holland der Ausdruck gewere eine technische Bedeutung
nicht gehabt zu haben scheint3).
') Cod. Houi. 45 (Berlin Kgl. Bibi. Ms. germ. ful. 625) hat die eigen-
tümliche Fassung: „das si besiczin sal nach scyiiic tode, und auch dioweyle
her lebit gebrauchin“. Noch in der jüngsten GInsscngruppc der Zobel sehen
Drucko seit 1560 heillt cs ganz richtig (litt, d zu Ssp. I 21, Ausgabe 1561
Bl. 70):
„. . . . neque marito superstitc mulier eius (seil, dotalitii) possessioneui
aut administrationeni habet sed demum cu dcfuncto (seil, possessio
et administratio) ad ipsaui redit.“
Mit diesem letzteren Ausspruch ist die „unzerteilte Gewere“ (vgl. oben S. 7)
allerdings schwer vereinbar.
*) Freilich ist auch dies bestritten, wie überhaupt die Ansichten über
die gewere am Lcibzuchtsgut schwanken. Gicrku erkennt bei der vom
Manne gegebenen Leibzucht während der Khc drei Geweren an: eine soge-
nannte „ruhende" Eigengewere des Mannes (vgl. Dl’K. II S. 205 mit
No. 82), eine „ruhende“ (S. 201 No. 6 a. E.) bezw. durch MitgenuU in Kraft
gehaltene also „gegenwärtige“ (S. 200 No. 58 a. K.) Lcibzuchtsgewerc der
Frau und drittens eine „gegenwärtige“ Vonnundschaftsgewcrc des Mannes.
3) Vgl. oben S. 6 No. 1 a. E.
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vn.
Nach sächsischem Recht erfolgte die Witwenversorgung der
Frau häufig im Lehn des Mannes. Dies war auf fünf verschiedene
Arten möglich: nur in einem dieser Fälle'), nämlich wenn der
Ehemann mit der Ehefrau sich vom Lehnsherrn eine Gesamt-
belehnung erteilen ließ, erlangte die Frau schon bei Lebzeiten des
Mannes eine eigene Gewere*). Aus dieser vereinzelten Besonder-
heit des Lehnrechtssystems können Schlüsse auf die Möglichkeit
mehrfacher Gewere der Ehegatten nach Landrecht nicht gezogen
werden.
VIH.
„Si alicui hominum uxor sua moritur, bona ipsorum, quae
possident, spectabunt ad maritum, excepto quod Rade vocatur“
(Haifisches Schöffenrecht von 1235 § 25).
Mit den bona ipsorum quae possident kann wohl nur das
ungezweite Gut gemeint sein’). Agricola, der sich auf diese
') Es ist der bei Homcyer, System des Lehnrcchts S. 362 unter B 2
aufgefnhrte Fall.
*) Vgl. Homeyor a. a. 0. S. 359—369; Martitz S. 209 No. 24 mit dem
Citat der Glosse zu Ssp. III 75 § 2 und S. 210 No. 26 mit dem üitat des
lehnrechtlichen Richtsteigs 25 § 1; Heuslor, Gewere S. 159.
*) Ebenso Nietzsche (Handschriftlicher Nachlaß II 1 Ziffer 2 und
II 25, Berlin Kgl. Bibi. Keliquiac Tirorum doctorum acc. 1889, 186 und 208),
der zu .bona ipsorum“ bemerkt .man ergänze conjugum“; Ilcydomann,
Die Elemente der Joachimischen Constitution S. 54: .das beiderseitige Ver-
mögen heißt hier bona quae possident: womit freilich nicht ausgeschlossen
ist, daß der Mann schon bei Lebzeiten der Frau das derselben eigentümlich
gewesene Vermögen unter seine Obhut, in sein Mundium genommen“;
Heuslcr, Inst. II S. 361 No. 7: „Es darf auch darauf hingewieson werden,
daß sächsische Stadtrechte gern von den Gütern der Eheleute reden z. B.
der Haifische Brief von 1235 § 25 und 26. Die alte Gemeinschaftsidee klingt
unwillkürlich nach“ (? '.): ferner Behro S. 52: „mit dem bona der §§ 25 und
26 ist also die Ungerade des ungezweiten Gutes gemeint“. —
Es sei hier eine Abschweifung gestattet: Behre, der die ehe- und
erbrechtlichen Bestimmungen des Haifischen Schöffenrechts sorgfältig er-
örtert, geht S. 51,88 davon aus, daß das bona ipsorum in §25 und dem
.rätselhaften“ § 26 dasselbe bedouto; er befindet sich hierin, wie wir eben
sahen, in Uebcreinstimmung mit Heusler; in der von Nietzsche vor-
bereiteten Ausgabe des Haifischen Schöffenrechts heißt es abor in § 26
„bona ipsius“: es scheint auch, daß Nietzsche diese Lesart in mehr als
einer Handschrift gefunden hat. (Weshalb Homeyer in seiner Ausgabe von
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Stelle berufen hat, versteht darunter bald das eingebraclite, bald
das ungezweite Gut: S. lfil sagt er, die Stelle scheine „die beider-
seitige Gewere am beweglichen Frauengut im Auge zu haben“ '),
und S. 444 will er mit dieser Stelle beweisen , daß die Niftel-
gerade auch die vom Ehemann herrührenden Geradestücke umfasse.
Die Lesart „quae possident“ ist in wenigstens vier Hand-
schriften überliefert3). Es wird also nicht sehr ins Gewicht fallen,
daß eine einzige, noch dazu als nachlässig geltende’) Handschrift
die Lesart „bona ipsorum quae possidet“ aufweist 4).
Agricola scheint es für selbstverständlich anzusehen, daß
die Ausdrücke Gewere und possessio gleichbedeutend seien und
daß überall dort, wo von einem possidere der Ehegatten oder der
Ehefrau gesprochen wird, den Ehegatten oder der Ehefrau eine
Gewere zugeschrieben werde. Diese Ansicht ist nicht richtig.
Es handelt sich hier um eine Frage, die sich so allgemein über-
haupt nicht beantworten läßt, die vielmehr für jede einzelne
lateinisch geschriebene Rechtsquelle gesondert zu untersuchen wäre.
Wenn in den Quellen possessio und Gewere als gleichbedeutend
gebraucht wird, so kann das oft daran liegen, daß ein Tatbestand
vorliegt, bei welchem sowohl die Voraussetzungen der rfimisch-
rechtlichen possessio als der Gewere gegeben sind. Zuweilen, und
das wird besonders bei Übersetzungen aus dem Deutschen der
Fall sein, liegt es aber daran, daß der Übersetzer den Begriff der
1861 Nietzsches interessante Variantensaininlung zum haitischen liecht
von 1235 nicht berücksichtigt hat, habe ich nicht feststellen können: aller-
dings hatte Homeyer den hier in Frage stehenden Teil von Nietzsches
NachlaLS schon 1859 an H. Böhl au gegeben.) —
■) Agricola scheint übersetzen zu wollen: „Wenn einem Manne die
Frau stirbt, so verbleibt ihm diejenige Fahrnis, welche sich in der gemein-
schaftlichen Gewere der Ehegatten befindet, d. h. also die von der Frau
eingcbrachte Fahrnis“, vgl. 8. 161 No. 7 : .Es kann hier doch nur vom Frauen-
gut .... die Rede sein und das ipsorum nur auf die Gewere bezogen
werden, wie cs dann auch durch possident erläutert wird“.
*) Es sind dies die bei L ab an d, Magdeburger Rcchtsquellen 8.7 mit I),
B und 0 bezeichueten Handschriften und zum mindesten eine der beiden
mit S’undS’ bezeichnetcn Schwcidnitzer Handschriften.
’) Homeyer, Abh. d. Akad. 1861 8. 265.
*) Homeyer a. a. 0. S. 263 cap. XVII. Agricola 8. 65 No. 2a hat
diese Lesart gekannt.
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Gewere und ihren Unterschied von der possessio nicht kennt und ans
diesem Grunde den deutschen terminus mechanisch stets durch
Gewere wiedergibt. Andere Quellen wieder unterscheiden sorgsam:
wenn es sich bei dem Ausdruck Gewere vornehmlich um das in
der Gewere formalisierte dingliche Recht handelt, suchen sie nach
einem lateinischen terminus für dies Recht, kommt es aber auf
das in der Gewere enthaltene tatsächliche Herrschaftsverhältnis an,
so wählen sie den Ausdruck possessio und zwar ohne Rücksicht
darauf, ob die von der römischen Rechtslehre aufgestellten Er-
fordernisse des juristischen Besitzes gegeben sind; sie sprechen
dann weiter auch dort, wo sie den Ausdruck Gewere vermeiden
würden, von possessio und verwenden dies Wort als eine nicht
technische Bezeichnung gleich dem deutschen „Haben“.
Die verschiedenen Übersetzungen des sächsischen Landrechts
bieten in dieser Beziehung lehrreiche Beispiele. Die Vratisla-
viensis, die Sandomiriensis und dementsprechend die Ausgabe von
Johann von Lasco hängen sich meist ängstlich an den Wort-
laut des deutschen Urbildes und setzen für Gewere stets possessio,
dagegen scheint die Vulgata in ihrer gewöhnlichen Form zu den
eben zuletzt geschilderten Quellen zu gehören. Schon in der im
vorigen Abschnitt erörterten Stelle „to swelker wis se ire liftucht
ut van iren weren let“ in Sp. I 21 § 2 brachte die Vulgata zum
Ausdruck, daß nicht die Gewere, sondern das hinter der Gewere
stehende dingliche Recht maßgebend ist, wfihrend die anderen
Bearbeitungen von der possessio nicht loskommen. Für die Vul-
gata ist possidere ein ganz untechniseher Ausdruck:
131 § 1 : Man unde wif ne hebbet nein getveiet gut = Maritus
et uxor inter se possident indivisa bona (vulgata) — Mascu-
lus et ferne! la ad usum eorum habent bona indivisa (Berlin-
Steinbecksche Handschrift) — Conjugatos in matrimonio
non habent bona divisa adusum eorum (Görlitzer Handschrift
von 1387) — Maritus et uxor non debent habere divisa bona
(Vratislaviensis) — Maritus et uxor nulla habent bona divisa
(Sandomiriensis) — Maritus et uxor nulla divisa habent bona
(Johann von Lasco).
Oder: Stirlt. aver dat wif bi des mannes live, se ne erft
neue varende liave wenne rade, unde egen, of se dat hevet =
Si autem viro vivente mulier decessit, nulla mobilia praeter
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utensilia, proprietatem vero si possedit, in proximiorem here-
ditabit (Vulgata)') — proximus non succedit ei in rebus
mobilibns sed tantum in suppellectili et in proprio si habeat
ipsum (Vratislaviensis) — ... nulla hereditat hona mobilia
nisi supellectilem et proprium si habuit (Sandomiriensis) —
nullus proximus succedet ei in rebus mobilibus duntaxat in
suppellectili aut proprio si aliquid habuerit (Johann vonLasco).
Diese Beispiele lassen sich vielfältig vermehren*). Agricola
würde in allen solchen Stellen der Vulgata den Beweis für die
Gewere der Ehefrau am eingebrachten Gut gesehen haben.
Es fragt sich nun, welche Bedeutung der Ausdiuck possidere
im Hallischen Schöffenrecht hat. Behre, der sonst die Ansicht,
daß der Frau eine Gewere am eingebrachten Gut zustande, ver-
wirft, meint S. 5*2 No. 2, possidere sei hier gleichbedeutend mit
„eigentümlich besitzen“, wie auch aus § 21 des Schöflenrechts
hervorgehe:
„Si pueros vero non habuerit, proximus ex parte gladii
bona ipsius possidebit“.
M. E. steht nichts im Wege, das possidere hier ganz untechnisch
zu deuten: „Wenn er keine Kinder hat, so erhält der nächste
Schwertmage die Erbschaft“. Und ebenso in § 25: „Wenn einem
Mann die Ehefrau stirbt, dann fällt ihr Vermögen, welches sie
') l)ic Herlin-Steinbeckschc und die Gürlitzer Handschrift von 1387
haben auch hier habere.
s) Ssp. I 43 § 2 lautet in der Vulgata: „Mutier ctium nulla bona sua
sine mariti conscnsu douaudi vendendi neque resignandi habet potestatem,
et hoc propterea quod ipse ea bona cum ipsa nuscitnr possidere“. Auch hier
bedeutet „possidere“ nichts anderes als „haben“, und man wird die Stelle
übersetzen müssen mit: „weil er offenbar — weil es nach außen hin so er-
scheint — sie mit der Frau zusammen hat“. Die Gürlitzer Handschrift von
1387 schließt sich dem deutschen Vorbild wieder wörtlich an: „racione in-
diuise possessionis“. In der Berlin-Steinbeckschen Handschrift: „ideo quod
sunt in nna posscssionc“, in der Sandomiriensis: „ob hoc quod cum ea in
possessione vir ejus sedet“ und bei Johann von f.asco: „quod ipse cum
ea in possessione manct“ kann possessio sehr wohl gleichbedeutend mit Haus
und Hof sein. In der Vratislaviensis fehlt der hier interessierende Passus:
„Legitima cuiusque non potest res suas distribucre aut proprium vendere
nec vite Provisionen) resignarc absque tutoris assensu ubi tutor ipse eis
succedere debeat de iure“.
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haben, an den Mann, mit Ausnahme der Gerade“’). Diese An-
nahme findet im Sprachgebrauch der Vulgata des Landrechts aus-
reichende Stütze. Aus der Reihe der von Agricola für die
Gewere der Frau am eingebrachten Gut beigebrachten Argumente
scheidet die Stelle damit aus.
IX.
„Bürget eyn fruwe icht ane ores mannes wissen, dy un-
geraten ist, daz he bewisen tar mit syme eyde adder dy
fruwe nicht guten wicczen had, der borg kan deme manne
nicht geschaden, den also vel: funde man der gute icht by
ime in oren gewern, dy sal man wedder geben; were or ouch
eyn teyl vertan, daz queme deme manne nicht czu schaden
noch sinen guten; funde man ir auch keine der gute in sinen
geweren, er schol ez aber bliben ane not“ (Rechtsb. n. Dist.
III 9 d. 11).
Agricola S. 161 bemerkt hierzu: „„Ebenso setzt die beider-
seitige Gewere an dem beweglichen Frauengut der Vermehrte Sachsen-
spiegel IJI 9 d. 1 1 voraus, wenn er bemerkt „funde man der gute
icht by ome in oren geweren“, und am Schluß das „by ome“
prägnanter dahin ausdrückt „funde man ir auch keine der gute
in synen geweren““. Dies ist nicht überzeugend; die Schluß-
worte „in synen geweren“ entscheiden gegen Agricola. Mit dem
vorhergehenden „in oren geweren“ ist nicht die gewere der Frau
sondern die Gewere der Ehegatten, und zwar Gewere hier im Sinn
von Haus und Hof gemeint: „findet man des Gutes etwas bei den
Ehegatten, so soll es wiedergegeben werden“ *). Zwingende Gründe
lassen sich lür diese Deutung freilich nicht anführen, aber un-
wahrscheinlicher als die von Agricola gegebene Auslegung ist
sie nicht3).
') Eine solche Tautologie „ihr Vermögen, welches sie haben“ ist nicht
außergewöhnlich. — Spectare hat hier dieselbe Bedeutung wie in § 20 „Si
aliquis uioriens bona dimiscrit, si pucros habucrit, sibi pares in nacione,
bona ipsius ad pueros spcctabunt.
s) „by ome“ fehlt in mehreren Handschriften, vgl. Ortloffs Varianten-
vcrzeicbnis.
3) Die Stelle bietet übrigens zu zwei textkritischen Bemerkungen Anlaß.
Erstens ist in einer von Ortloff verglichenen Eisenacher Handschrift statt
„by ome in oren geweren“ die Lesart „by ome in synen geweren“ überliefert
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32
Agricola S. 161 No. 8 beruft sich ferner auf Rb. n. Dist. I
9 <1. 2, wo von einer Witwe mit Kindern gesagt wird:
„Nempt sy eynen inan czu der e, waz sy ores dritten
teyls czu om brenget, daz ist sin unde or. Dii vordem
kinder haben keynen anefal doran“.
In dieser Stelle werden die Kinder einerseits und Mutter und
Stiefvater andererseits gegenübergestellt, und es wird gesagt, daß
das Dritteil, welches die Mutter bei Auflösung der ersten Ehe er-
halten und in die zweite Ehe eingebracht hat, den Kindern erster
Ehe für immer verloren ist. Dies Dritteil geht in dem unge-
zweiten Gut der zweiten Ehe auf, an welchem nicht die Kinder
erster Ehe, sondern nur Mutter und Stiefvater — und eventuell
Kinder zweiter Ehe — ein Recht haben. Die Stelle verliert jeden
Sinn, wenn man mit Agricola die Worte „daz ist sin unde or“
übersetzt mit „daran hat sowohl ihr zweiter Mann als auch sie
eine Gewere“.
Ganz unerheblich ist schließlich die ebenfalls von Agricola
S. 161 No. 8 angeführte Stelle Rb. n. Dist. I 20 d. 5.
— vgl. das Variantenverzeichnis bei Ortloff S. 461 — . Ferner ist die
Distinctio 11 deshalb aufTallend, weil sie im wesentlichen eine Wiederholung
von Distinctio 10 ist, und in dieser wird nur von einer Gewere des Mannes
gesprochen. Distinctio 1 1 scheint denn auch in manchen Handschriften zu
fehlen, so in cod. Hom. 45 (Berlin Kgl. Bibi. Ms. germ. fol. 625), wo Kapitel !l
nicht 14 sondern nur 13 Distinctiouen hat, und an dist. 10 sich sofort die
Ortloffschen dist. 12, 13. 14 als dist. 11, 12, 13 anschliellen. Auch in
l'urgoldts Kechtsbuch ist sie nicht aufgenommen (Rb. n. Dist. III 9 d.
I — Purgoldt VI 83: d. 2 - P. V 52: d. 3 = P. VII 15 und 16: d. 4-7 —
P. VII 19—28; d. 8 = P. V 56: d. 9-10 = P. V 58-59). Ob dies daran liegt,
dail man an dem ungenauen Ausdruck .bv ouic in oren geweren“ Anstoß
genommen hat, läßt sich ohne Vergleichung sämtlicher Texte und Bestimmung
ihres Vcrwandtschaftsverhältnisses nicht entscheiden. Um zu einem sicheren
Urteil zu gelangen, wäre außer den Texten des Kcclitsbuchs nach Distinctionen
— Hom. Rbb. S. 171 zählt 61 Handschriften auf. Die hier in Rede stehende
Distinctio ist in einer Fuldaer Handschrift in die Ssp.-Glosse aufgenommen,
vgl. Steffenhagen, Sitx.-Ber. CXI. 1. S. 613. Schon Ermiscli in der Ein-
leitung zu seiner Ausgabo des Freiberger Stadtrechts S. XXVI f. klagt da-
rüber, daß wir eine befriedigende Ausgabe des Rb. n. Dist. noch immer ent-
behren müssen — die handschriftliche und gedruckte Überlieferung der
„IX Bücher Magdeburger Rechts“ daraufhin zu prüfen, ob sie die Distinctio
II und zutreffendenfalls , ob sie die Eisenacher oder die Ortloffsche Les-
art enthalten.
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33
X.
Agricola und seine Anhänger haben ferner mehrere Schöffen-
sprilche angeführt, aus denen sieh die Existenz einer Oewere der
Ehefrau am eingebrachten Out neben der Oewere des Mannes
ergeben soll.
1. In einem Dresdener Sehöffenspruch ') heißt es:
„Mertin hat eine eliche frauwe gehad die wile got wühle,
mit der hat her erbe und gut geliat und das hat her teu
seyner liant brocht und hat daz dornoeh fumflezin jar
ane allerleye ansproche“.
Wie Agricola aus den Worten „mit der hat her erbe und gut
geliat“ eine Oewere der Frau herauslesen will, ist unertindlirh,
zumal im weiteren Verlauf des Textes, den Agricola aller-
dings nicht mitteilt, zweimal von der alleinigen Oewere des
Mannes gesprochen wird:
„Nu bittet Mertin eynes rechtin orteyls ... ab her mit
synen erblehnen unde seyner stillir gewere seyncs
gutes icht neher czu behaldene sey .... Hirutl' spreche
wir schepphin vor recht Ist das alz das Mertin das erbe
. . . . yn seyner gewere gehad jar unde tag ane rechte
ansproche So ist her des erbis neher zcu behaldin . . . .“
2. In einem Hechtsfall bei Böhme’) VI S. 133 streiten nach
dem Tode einer Frau der Witwer und ihr Bruder um die
Hinterlassenschaft. Vom Witwer wird gesagt:
„I)or noch quam der selbe man vor gehcgit ding vnd
frogitte orteils: Sintdemmale das her gesessen hettemit
seyner elichen frawen yn erem gutte mit vollem
rechte . . . .“
Bereits nach dem, was oben S. 4 f. über den Sprachgebrauch
des gemeinschaftlichen Sitzens der Ehegatten ausgeführt ist,
wird dieser Stelle die von Agricola ihr beigelegte Beweis-
kraft abzusprechen sein. Dies zeigt auch die weitere Dar-
stellung des Rechtsfalles, die Agricola wieder nicht mitgeteilt
hat. Die Schöffen entscheiden nämlich ganz korrekt:
l) Wassursclilcbcii I S. 317 f. c. liil). Vgl. Agricola S. IfiO No. 3.
■) Wasserst li leben I S. tUl r. I7S. Vgl. Agricola S. 1(!1.
Kiesel, (iewere 3
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'34
„Was der man seynir elichen frawcn farnder habe, dyweyle
sy lebet«, yn seyne were nam und hatte, dy sal her
belialdin, sundir das czu der gerade gehont“.
3. Ein ähnliches Ergebnis liefert der Rechtefall bei Wassersch-
ieben I S. '268 f. c. 131. Dort wird eine Witwe, die von
ihrem Manne eine Leibzucht erhalten hat, von den Erben des
Mannes auf Herausgabe dieser Leibzucht verklagt; zu ihrer
Verteidigung führt sie an:
„ich habe domoch (nach der Leibzuchtebestellung) mit
ym (dem Ehemann) gesessen ane alle ansproche yn ge-
ruglichir gewere iar und tag“.
Auch hier formulieren die Schöffen in engem Anschluß an
den Parteivortrag, aber unter Ablehnung einer gemeinschaft-
lichen Gewere der Ehegatten:
„Mag die frawe dirwevszen mit guter wissinder kuntschafft,
alzo recht ist, das ir ir man seliger das leipgedinge
gereicht hat und1) das geruglichin yn lehn und gc-
wern gehabt hat iar unde tag und meir denne iar und
tag alz sie schrybet ane allirleye ansproche . . . zo ist sie
nehir dobey zeu bleibin . ...“*)
Die letzteren beiden Beispiele zeigen in lehrreicher Weise,
wie gefährlich es ist, bei der Deutung technischer Rechts-
begriffe laienhafte Äußerungen zugrunde zu legen, und zu-
gleich bieten sie für die Würdigung aller der übrigen Fälle,
in denen im Partei Vorbringen eine Gewere der Ehefrau oder
eine Gesamtgewerc der Ehegatten am eingebrachten Gut er-
') Agricola S. 491 No. 37a und Niese S. 22 nehmen hier ohne Be-
gründung einen Subjekt Wechsel an, indem sie zwischen „und“ und „das“ ein
„sie“ einschieben, was allerdings nach mittelalterlichem Sprachgebrauch
nicht unmöglich ist.
,J) Brink, Bestellung der dinglichen Rechte an fremden Immobilien
im Mittelalter (Breslau 1887: die erste Hälfte der Arbeit ist auch als Breslauer
Piss, erschienen) S. 65 gelaugt mit abweichender Begründung zu dem gleichen
Ergebnis, dal! aus dieser Stelle das Nebcneinanderbestehen einer Gewere der
Ehefrau neben der Gewere des Mannes sich nicht ergibt: „Pie Stelle ist
vielmehr so zu verstehen, dnll die Gewere des Mannes wühreml
seiner l.ebzeit der Frau für den Erwerb der rechten Gewere zugerechnet
wird“.
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wähnt wird, einen willkommenen Anhalt. Wenn in diesen
übrigen Fällen eine Korrektur des ungenauen Parteivortrages
unterbleibt, so liegt das daran, (lall die die Gewere betreffende
Behauptung als unerheblich im Tenor des Schöffenspruches
übergangen werden konnte. Wir dürfen in Fallen wie
Wasserschieben II S. 2!) c. SO, S. 59 c. 177 und Glosse zu
Weichbild art. 23 ’) überzeugt sein, daß die Schöffen, wenn
sie auf die Gewerefrage eingegangen wären, dieselbe in unserem
Sinne entschieden haben würden.
4. Das eben Gesagte gilt auch von einem Magdeburger Schöffen-
spruch von 1337»*); allerdings scheint bei diesem die in-
korrekte Wendung „Des besät die man das erve mit der
vrowen“ nicht von der Partei , sondern von den anfragenden
Stendaler Schliffen herzu rühren, aber andererseits ist zu be-
achten, daß zwischen den Ehegatten eine „vertragsmäßige
Gütergemeinschaft“3) bestand und vielleicht mit Rücksicht
hierauf an eine Gesamtgewere der Ehegatten gedacht werden
kann.
XI.
Von allen gegnerischen Argumenten bleiben nur zwei von
Agrieola S. 100 No. 3 angeführte Guellenstellen übrig.
Glogauer Rechtsbuch c. 22 bei Wasserschieben I S. 4:
„Gebe eyne frawe ir anirstorben erbe yrem manne in ge-
liegitem dinge vnde dy gäbe bey jare vnde tage nicht
wedersproehen wurde vnde der man dy gäbe in samppter
were besessen, dor nach kan nymand au daz erber (sic!) von
rechte gesprochin, wenne sv es vorswegin han vnde do weder
nicht gereth han hei frist jar vnde tag“ ').
') Ausg. v. Daniels u. Gruben 1858 Sp. 288 Z. .'58 — 8p. 289 Z. 49:
„unde bin mit der bube beseasin mit ir sampt jar undo lag“. Daß es sieb
hier um einen fingierten Kechtsfall bandelt, darf uns nicht beirren. l>er
Glossator hat eben im 1‘arteivortrag die übliche laienhafte Ausdruckswei.se
nachgeahmt.
a) Kehrend, Ein Stendaler Urtcilsbnch aus dem 14. Jahrhundert 8. 84
c. XX 2. Vgl. Agrieola 8. 160 Xo. 3.
3) Schröder, Geschichte des ehelichen Güterrechts in Deutschland
II 3 8. 55.
4) Für die Würdigung dieser Stelle ist es wohl unerheblich, daß dor
von Wassersehleben nhgedniekte Text „flüchtig und fehlerhaft, zum Teil
3*
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3ß
Magdeburger Schöffonspruch für Glogau1) bei Wassersch-
leben I S. 80:
„Erbe vnd gut ist meynem weibe anirstorben
das habe icli mit meynem weibe besessen vnde gehad yn «l**r
gewere jar vnd tag Nu vrogit, ab wi das gut iclit
billiclier behalden sullen yn der gewere Hir off spreche
wir vor eyn reeht. Ist das erblich gut der eldisten swestir
man mit ir gegebin vor dem richter vnd vor den scheppin
yn gehegtem dinge vnd haben sie das besessen iar vnd tag
an ansproche, So sal dy gäbe erafft haben das die
eldiste swester vnde ir man das besessen haben yn der ge-
were “
Eine Erklärung dieser beiden Stellen wäre, wenn in Glogau
das Güterrecht des Ssp. gegolten hat, von unserem Standpunkt aus
nnmöglich. Es drängt sieh daher die Vermutung auf, da LS in
Glogau Gütergemeinschaft bestand*), und dann kommen die beiden
Stellen nicht in Betracht.
XII.
Wenn wir an dieser Stelle einen Rückblick auf die bisherige
Erörterung werfen, so müssen wir zugestehen, daß wir an manchen
Punkten über eine lediglich destruktive Kritik nicht hinausge-
kommen sind. Aker das genügt auch schon vollkommen. Denn
den besprochenen Quellenstellen stehen die unzähligen anderen
gegenüber, in welchen stets von ausschließlicher Gewere des
Mannes geredet wird. Wenn man unserer bisherigen Erörterung
nur soweit beistimmt, daß man in keiner der besprochenen Quellen-
stellen einen zwingenden Beweis für die Ansicht unserer Gegner
sicht, schon dann glauben wir die Haltlosigkeit der Annahme, daß
völlig; sinnlos- ist (vgl. W asaerschlebon I S. X), und daß das Ologaucr
Recht sburh nicht direkt magdebnrgisches Hecht darstellt (vgl. Wassersch-
lelien I S. IV — X und Buhrcnd, Stondalcr l'rteilshuch S. .r)7).
') Vgl. Wasserschlebcn I S. XIII Note und Laband in der Einleitung
zu seiner Ausgabe des Magdeburg - Breslauer Systematischen Schnflenreehts
S. XVIII.
-) Sn sagt (fierke I'l’U. II 8. 203 unter Berufung auf (ilogauer Rechtsh.
e. 22. der (iemeinsehaft zur gesamten Hand entspreche eine »lewere zu ge-
sunder Hand.
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37
das Frauengut in einer (lewere der Ehegatten zu gesamter Hand
oder in vormundseluiftliclier (lewere des Mannes und zugleieh
egenliker (lewere der Frau sich befinde, dargetan zu haben.
Der Vollständigkeit wegen sind zunächst noch zwei belanglose
Argumente Agricolas zu erwähnen: Nico laus Wurm') gebraucht
einmal den Ausdruck, die im ungezweiten Gut der Ehegatten be-
findliche Gerade sei „vndir der frawen beschinnunge vnd hüte“;
das ist nicht ein , prägnanter“ Ausdruck für eine (lewere der Frau
an der Gerade, sondern sagt nichts weiter, als daß die Gerade-
sachen, ihrer wirtschaftlichen Zweckbestimmung entsprechend, sich
meist unter der Obhut der Hausfrau befinden:
„gerade haist Suppeilex .... vnd ist zotan gerete das
die frawen mit rate vndelentzlichin1) ezewgen in ir liawsz das
sie teglichin notezen .... zotan stucke legin an der
frowenn sunderlich geschellte vnd vorsichtikait“ *).
Wenn Agricola sich ferner auf einen Schöffenspruch4) be-
ruft, in dem gesagt wird, die Frau habe „farende habe von ir
gegebin aws des mannes gewere“, so entscheidet dieser Ausspruch
eher gegen als für eine Gewere der Frau*); mit dem „von ir“ wird
lediglich zum Ausdruck gebracht, dall der veräußerte Fahrnis-
gegenstand zum eingebrachten Gut gehört6).
Einer Erörterung der von Agricola S. 160 No. S erwähnten
Hremer Schedung von 1343 bedarf es bei den Besonderheiten des
bremischen Ehegüterrechts nicht.
') ßoehme III S. 72. Vgl. Agricola S. 16">.
*) = umle lentzliehin, bedeutet soviel als „allmählich, nach und nach*
(Mnd. WB. II 607).
J) Boehmc III 8. 72 und 73.
') Wasserschieben I S. 104 c. 203. Vgl. Agricola S. 162.
s) Heusler, Inst. II S. 380 sicht gerade in diesem Schotfenspruch
einen Beweis für die ausschließliche (lewere des Mannes.
•) Herbert Meyer, Entwerung und Kigentum im deutschen Fahrnis-
recht >S. 73 bezieht diesen SchüfTcnspruch sowohl auf das (lut der Krau wie
das des Mannes. Aber nicht nur aus dem l’arteivortrag, sondern auch aus
dein Tenor des Spruches geht klar hervor, datl es sich in dem zugrunde,
liegenden Hechtsfall allein um eingebrachtes (int, „der todin frawen habe",
handelt. Nur soviel ist richtig, daß. wenn die Worte „von ir* fehlen würden,
die Motivierung des Scliötfeiispruches ebensogut auf Verfügungen der I rau
über Fahrnis des Mannes passen würde.
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38
XIII.
Nicht nur Aussprüche der Quellen, auch Folgerungen aus
einem a priori aufgestellten Gewerebegriff sind für die Annahme
mehrfacher Gewere am eingebracliten Gut vorgebracht worden.
Man hat gesagt, das dingliche Recht der Ehefrau an ihrem
Gut sei eines Schutzes, wie ihn nur die Gewere verleihen könne,
bedürftig, und ohne die Annahme einer der Frau zustehenden
Gewere sei es nicht zu erklären, daU sie Eigentümerin des der
Verwaltung und Nutznießung des Mannes unterworfenen Ver-
mögens bleibe. Die Vermögensrechte der Frau würden gewähr-
leistet durch die aueli in der Ehe fortgesetzte, wiewohl in ihren
meisten Wirkungen gelähmte Gewere der Frau. Insbesondere
gelange in der Mitwirkung der Frau bei einer Veräußerung ein-
gebrachter Liegenschaften durch den Mann ihre Gewere zum Aus-
druck: „Hinsichtlich der Immobilien .... hatte die Gewere der
Frau ihre große praktische Wichtigkeit, indem sie deren Eigen-
tum etc. einen sicheren Halt gegen einseitige Veräußerungen des
Mannes bot“1), und: „nur eine selbständige Gewere .... konnte
die Frau während der Ehe gegen alle etwaige beeinträchtigende
Verfügungen seitens ihres Mannes sichern“2). Wir haben es hier
mit der irrtümlichen Vorstellung zu tun, dingliche Rechte würden
im Rechtsverkehr nur soweit berücksichtigt, als sie in einer gegen-
wärtigen Gewere zur Darstellung gelangen. Es braucht dem gegen-
über nur an das Wartrecht der Erben erinnert zu werden’).
Immerhin ist es interessant, daß Heus ler diese unrichtige Vor-
stellung dem Spiegler selbst zutraut: „Da die Ehefrau .... zu
Verfügungen über ihre Liegenschaften vollgiltigen Konsens geben
kann, .... so hat dieser Umstand wohl dazu verleitet, von
*) Agricola S. 1C>3.
») Niese S. 22.
8) Es ist dinglicher Natur: Stubbe, (lewere S. 284: Zimmerte, Das
Stainmgutssjrstcm nach seinem Ursprünge und seinem Verlaufe S. lÖOff. ;
llar, Bcwcilurteil S. Hi.'): Kipper, das Beispruehsrccht nach altsächsischcm
Hecht S. 77, 87, SO: Hellster, Inst. II S. 59: Kranken, Lehrbuch des
deutschen Privatrechts S. 170: Huber, (lowere S. 22: Schröder, Hechts-
geschiehtc S. 722. — Nach früherer Doktrin freilich haben die Erben schon
hei Lebzeiten des Erblassers eine Gewere an dem dem Beispruehsrccht unter-
liegenden Grundstück, vgl. Zimmorle S. 212 No. 2: .Der nächste Erbe
hat schon vor der Veräußerung eine Gewere“.
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39
Sitzen des Mannes mit der Frau in der Gewere ihres Gutes zu
reden“ ').
Für die eingebrachte Fahrnis ist geradezu die Notwendigkeit
der Fortdauer der Gewere auf Seiten der Frau behauptet worden :
„man konnte die Frau nur dann fort und fort als Eigentümerin
ansehen, wenn man ihr auch die Gewere an ihrem Gute zuschrieb“ 5).
Es ist das ein letzter Anklang an die hauptsächlich von Sand-
haas*) verfochtene Idee, daß das Recht an Fahrnis dadurch er-
lischt, daß der Berechtigte die Sache freiwillig aus der Gewere
läßt4).
Andere Verteidiger der Frauengewere sind von dem Begriff
der Gewere ausgegangen, haben darauf hingewiesen, daß sowohl
die Ehefrau als der Ehemann am eingebraehten Gut dinglich be-
rechtigt ist, und haben gesagt, daß auch in tatsächlicher Beziehung
die von der Frau ausgeübte Sachherrschaft von der vom Manne
ausgeübten sich nicht unterscheide; es sei deshalb nicht einzusehen,
weshalb diese Sachherrschaft nur auf Seiten des Mannes und nicht
auch auf Seiten der Frau als Gewere anerkannt werde.
Hierbei ist das Wesen des zum Vorhandensein einer Gewere
erforderlichen tatsächlichen Elements verkannt. Die Vorstellung,
daß „Liegenschaften ihrer Natur nach auf eine gemeinsame Gewere
beider Ehegatten angewiesen seien“ 5), gründet sich auf den „un-
sichem und wesenlosen Begriff der Detention bei Immobilien“6).
Nun kommt aber bei der Liegenschaftsgewere die Detention gar
nicht in Betracht. Die räumliche Beziehung zur Sache läßt sich
') Inst. II S. 388. Ebenso Schilling S. 273: „Die Stelle Ss|>. I 45 § 2
mag auch daraus erklärlich erscheinen, daß der Mann in der Verfügung
über Liegenschaft der Krau an ihre Mitwirkung gebunden ist“.
*) Agricola S. 166, 167; vgl. S. 101: „es gibt der sein Hecht an der
Sache auf, welcher den Besitz überträgt“.
3) Germanistische Abhandlungen S. 153 fl'.
*) Vgl. hiergegen die charakteristische Äußerung schon von Gilde-
mcister, Beyträge zur Kenntnis des vaterländischen Hechts (1808) II S. 182:
„Wird denn jemand dadurch, daß ihm die Sache anvertrant wurde, berechtigt,
sie in die dritte Hand zu bringen“? Heusler, Inst. II S. 6 No. 6: „Das
wäre eine sonderbare Rechtsordnung, welche aus dem Vertretungsrecht,
das ja freilich dem Vertrauensinanne durch Übergabe der Sache vollständig
eingeräumt ist, auch ein Veräußerungsrecht deduzieren wollte“.
s) Martitz S. 255; Rivc, Kritische Yierteljahrsschrift XIII S. 190.
*) Martitz S. 255.
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40
allerdings zu Gunsten mehrerer konkurrierender Berechtigter voll
Herstellen, aber dem deutschen Immobil iarreeht ist die Betonung
dieser räumlichen Beziehung fremd; als Kennzeichen der tatsäch-
lichen Herrschaft Ober Liegenschaften erscheint dem Mittelalter
die Nutzung, welche als Gebrauch und Fruchtziehung zu verstehen
ist1). Daß neben landrechtlicher (lewere an demselben Gut (lewere
nach Lehnrecht oder Holrecht bestehen kann, ist zweifellos; in
diesem Sinne kann man sogar sagen, daß die Koexistenz mehrerer
(leweren nicht Ausnahme, sondern Regel ist“). Die Möglichkeit
mehrfacher (lewere nach Landrecht ist aber nur dann gegeben,
wenn durch Gebrauch und Nutzung die tatsächliche Herrschaft
(Iber ein und dasselbe Gut von mehreren Berechtigten ausgeilbt
wird, wie es beispielsweise bei freien Pachtverhältnissen der Fall
ist. Auf Seiten der Frau fehlt es nun an einer Realisierung ihrer
Rechte an den eingebrachten Liegenschaften, „der Mann übt alles,
wodurch sich die (lewere manifestiert, allein aus“’). Man müßte
denn in der vom Manne der Frau gewährten Alimentierung den Aus-
druck der Rechte der Frau am Frauengut sehen4); hiergegen spricht,
') Vgl. z. I(. Laband, Vennögensrechtlichc Klagen S. 15!) f.; Hctisler,
Inst. II S. 189: Huber, (lewere S. 22 ff.: tiierkc, Fahrnisbcsitz S. 4 uml
DPR. II S. 191: Ainira in Pauls (Jrundrill III S. 179: Schröder, Rechts-
geschichte S. 274, 71.0.
■) So ist wohl diese Änderung von Franken, Lehrbuch des Deutschen
Privatrccbts S. 171 aufzufassen: vgl. Franken, Französisches Pfandrecht im
Mittelalter S. 267: .tVähreml am Iuimobiliar, parallel der wirtschaftlichen
Verteilung der Rente auf die einzelnen Stufen der feudalen Hierarchie,
mehrere Gcweren möglich sind, ist das juristische Verhältnis zur beweglichen
Sache mit der Detention durchaus erschöpft“.
’) Ueusler, Inst. II S. 388.
*) Folgende , beiläufig hingeworfene Auller ungen der Glossatorcn wird
inan als unerheblich mischen dürfen:
zu Ssp. 1 20: .maritus ad uznris sustontationem fruclus percipiat“
'Augsburger Druck v. 1517 Hl. 20 R., 1. Zobelsehe Ausg. Hl. 22 I!.}:
zu Ssp. III 76 § 1 wird in einer Variante des Meniua die Un-
wirksamkeit eigenmächtiger Verfügung der Frau über eingebraehtes
Gut damit begründet, „daü sic dem Man das seine cntzcucht, darvun
er das Weib entehren sollt“ (2. Zobelsche Ausg. v. 1561 Hl. 455):
zu Lehnrecht 31 : .die früebte des leibgedings in den gutem der
frawen nimpt der mann darutnb, das er die bürde der Klie tragen sol
für die frawen und sie versorgen. Als er sie denn nicht versorget,
so nimet er sie auch nicht“ 1. Zobelsehe Ausg. v. 1589 111.86):
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41
tliiß diese mittelbare Nutzung des unter die Verwaltung des Mannes
gegebenen Vermögens von dem Vorhandensein und dem Umfang
eingehrachten (lutes unabhängig ist. Sie ist nicht Ausfluß eines
dinglichen Rechtes der Krau, sondern ergibt sich aus den tamilien-
rochtlichen Pflichten des Mannes:
rI)y man schal syn wiff vuden vnde an temmelike nottorflt
besorgen, vnde des echtes borden dragen. oft he ok wol inet
or neyn eeghelt edder gud to der ee genomen hedde“ ').
Auch in Ansehung der eingebrachten Fahrnis ist das tat
sachliche Herrschaftsverhältnis des Ehemannes ein anderes als das
der Ehefrau. Die Frau befindet sich gleich dem unabgesonderten
Kinde und gleich dem Knecht in offenkundiger3) häuslicher Ab-
hängigkeit von dem Inhaber der (lewere am Grundstück. Um im
Rechtsverkehr als „Rechtsverhältnis“, als Gewere Anerkennung zu
finden, fehlt der von der Ehefrau ausgeübten Sachherrschaft das
Kennzeichen der Selbständigkeit 3). In tatsächlicher Reziehung ist
das Verhältnis der Frau zu der eingebrachten Fahrnis das gleiche
zu Lehnrecht- 57: „Mul irr est in possessione (seil, dutis)
respectu alimcntationis, non auteni respectu administrationis“
(ebend. Marginal« zu Bl. 132).
l) Aufsatz von der Beweisung um Lehn und Leibzucht bei Homeyor
Ssp. II 1 S. 306. Ebenso die jüngere Glosse zu Ssp. I 45 (Augsburger Druck
v. 1517 Bl. 36 K., 1. Zobel sehe Ausg. Bl. 41: „Scias quod uxor etiam non
dotata debet ali a virn"). Vgl. Huber, System und Geschichte des schwei-
zerischen Privatrechts I 8. 216 f. und Gewere S. 28: „Der Mann bezieht in
freier Weise den Nutzen des F rauen Vermögens ohne weitere Gegenaullage,
als dal) er im Allgemeinen so wie so verpflichtet ist, für Frau und Kind
zu sorgen-. — Unverständlich ist mir die Bemerkung von Schröder, Keehts-
gcschichto S. 715 No. 35: Bei der ehelichen Verwaltungsgemeinschaft sal!
der Mann mit der Frau in der Gewere ihres eingebrachten Gutes (Ssp. I 45
$2), weil sein N'utznieBungsrucht auf der ihm obliegenden Fürsorge
für die Familie beruhte“.
*) Die Offenkundigkeit wird durch den Unterschied der Kleidung ver-
heirateter und unverheirateter Frauen erleichtert.
3) Modern gesprochen ist der Hausherr nicht „mittelbarer Besitzer“
und der Gewaltuntergebene „Besitzmittler“ (so Herbert Meyer, Knt-
werung und Eigentum S. 62, der denn auch den Unterschied zwischen der
Auffassung von Stobbe und Laband verwischt), sondern der Hausherr
allein ist Besitzer, und die übrigen Hausgenossen, auch die Ehefrau, sind
„Besitzdiener" \ gl. §855 des Bürgerlichen Gesetzbuchs, nicht § 868 .
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42
wie zu der in ihrer Hand befindlichen Fahrnis des Mannes. Daß
sie über letztere nicht verfügen kann, liegt nicht an dem Mangel
im Recht — denn zur Legitimation gegenüber Dritten und damit
zur Wirksamkeit der Verfügung würde genügen, daß die Frau
Eigentum an den dem Manne gehörenden Mobilien behauptet
— sondern daran, daß ihr, ebenso wie bei einer Verfügung über
eingebrachte Fahrnis, das zur Herstellung der Gewere erforderliche
Element selbständiger tatsächlicher Herrschaft fehlt1).
') Laband, Vermögensrechtliche Klagen S. 81 spricht von der Ehe-
frau als von einem derjenigen Hausgenossen, welche „tatsächlich in der
Lage sind, eine physische Herrschaft über die Fahrnis auszuüben, welche
aber .... keinen selbständigen Besitz daran haben“. Abweichend motiviert
(iildemeister, Beiträge 11 S. 181: „Mau läßt zwar mit seinem Willen die
Sache aus seiner Gewahrsam: aber cs ist etwas unvermeidliches“. Ähnlich,
aber ohne sich deutlich darüber auszusprechen, ob durch Hingabe an ab-,
hängige Hausgenossen der Hausherr die Gewere aufgibt, Uluntschli
Staats- und Rechtsgeschichtc der Stadt und Landschaft Zürich II S. 103 und
Huber, Schweizerisches Privatrecht IV S. 750: „Es findet sich unter der
Herrschaft der Regel „„Hand muß Hand wahren““ die Ausnahme, daß der
Eigentümer vindiciercn kann, wenn dem Vertrauensmann, der die Sache
einem Dritten veräußert hat, die Sache nicht aus freiem Vertrauen, sondern
infolge nötigender Verhältnisse überlassen worden ist, wie einem
Dienstboten oder Familicnmitgliedc zur Besorgung“.
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Zweiter Teil.
Die Bedeutung der Gewere des Mannes am
Frauengut.
Erster Abschnitt.
Die Bedeutung der ehemännlichen Gewere im Allgemeinen.
I.
In der Gewere des Ehemannes am Frauengut haben Agricola
und seine Anhänger die Grundlage, die Signatur, das Prinzip und
„Centrum“1) des sächsischen Ehegüterrechts gesehen. Gewiß ist
Agricola von einem unrichtigen und unklaren Begriff der Gewere
ausgegangen, aber er hätte sein System nicht mit solcher Zuver-
sichtlichkeit ausgebaut, wenn nicht der Wortlaut der Quellen ihm
vielfache Stützpunkte geboten hätte.
Zu diesen Quellenaussprüchen gehört vornehmlich Ssp. I 31 §2:
„Svenne en man wif nimt, so nimt he in sine gewere al
ir gut to rechter vonnuntseap“.
In knappen Worten wird hier das Recht des Mannes am
Frauengut als ein vormundschaftliches Recht bezeichnet. Zu einer
Kritik bietet die Stelle keinen Anlaß. Man darf nicht deshalb,
weil moderne Germanisten ihre theoretischen Gebilde auf mißver-
ständliche Auslegung dieser Stelle gegründet haben, gegen Eike
den Vorwurf erheben, daß er eine äußerliche Wirkung des leitenden
Prinzips über Gebühr hervorgehoben und selbst dem Grundprinzip
’) Agricola S. XX, 76. Vgl. S. 17: „I>ies ist die Frage, ob dieser
Besitz des Mannes das die eheliche tlntorordiiung beherrschende Prinzip ist.*
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44
substituiert habe1). Ebenso verkehrt ist die bewundernde Kritik
Schillings*), der von dem richtigen ltestrebi>n {jeleitet ist, die
dingliche Natur des ehemännlichen Rechtes am Frauengut nach-
zuweisen. Schilling geht von dem Dogma aus, daß alle Rechte,
die sich in einer (lewere realisieren, dingliche Rechte sind, und
begeistert sich nun für die „klassische Präzision“ unserer Ssp.-
Stelle deshalb, weil sie ihm den Nachweis der dinglichen Natur
des ehemännlichen Rechtes erspart: „denn mit der Bezeichnung
(lewere zu rechter Vormundschaft ist das Wesentliche genau her-
vorgehoben: nicht bloß der vormundschaftliche, familienrechtliche
Charakter des 'ehemännlichen Rechtes, sondern zugleich das ding-
liche Recht der Verwaltung und Nutzung am Frauengut“.
Der unbefangenen und naiven3) Darstellung Eikes werden
solche Beurteilungen nicht gerecht. Daß Eike in Ssp. I 31 § 2
von der (lewere, die der Mann am Frauengut erlangt, statt von
dem Recht des Mannes am Frauengut spricht, erklärt sich ganz
einfach aus der genugsam bekannten Neigung der mittelalterlichen
Quellen zu einer sinnenfälligen Ausdruckweise, welche „im Ver-
trauen darauf, daß der Leser den Rückschluß auf das Recht von
selbst machen werde, die tatsächlichen Wirkungen und Äußerungen
der Rechte anzugeben sich begnügte4).
Gegenüber der Vorstellung Agricolas, daß die in Ssp. 1 31
§ 2 erwähnte (lewere des Mannes die Grundlage des sächsischen
Ehegüterrechts bilde, hat Heusler5) auf spatere Quellen hinge-
wiesen in denen die einzelnen vermögensrechtlichen Wirkungen
der Ehe nicht auf die (lewere des Mannes, sondern auf sein Recht
am eingebrachten Gut zurückgeführt werden. Die Beweiskraft der
hierbei von Heusler beigebrachten Argumente ist nicht zu unter-
schätzen®). Immerhin ist es von Wert, an der handschriftlichen
') So Heusler, (lewere S. 154.
s) Archiv f. bürg, lt XIX S. 271 — 274.
s) Amir», Die Dresdener Uilderhnmlscbrift, Kinl.S. 22: -die Illustration
eines so naiven Bccbtsbuches wie des Sachsenspiegels".
*) Heusler, Inst. 11 8. 20.
*1 (lewere S. 155 f.
®) Vgl. Köhler, Jahrb. f. Dogmatik XXIV S. 11)4: -Es ist von anderer
.Seite bereits vortrefflich dargetlian worden, datl der Ausdruck (lewere xu
rechter Vormundschaft trotz Ssp. 1 Öl § 2 weder ijuellenmäliig noeb in irgend
einer Weise charaktcristiscb ist*.
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45
Überlieferung und den Bearbeitungen des Sachsenspiegeltextes selbst
zu sehen, daU trotz der Humey ersehen Fassung von Ss]i. I Hl
§ 2 von jeher nicht die (lewere sondern das Hecht des Mannes am
Frauengut als (frnudprinzip des ehelichen ( Iflterrcehts galt. Iler
lehrreiche Text der Vulgata ist bereits am Eingang dieser Arbeit
niitgeteilt. Es sei ferner erwähnt:
de (ieer’s Handschrift 0:
„So wannecr een man wyf neemt so neeiut hi an oer
guet te rechter vormunderseap“.
Bocksdorffsche Addition zu Ssp. I 31:
„Vermin doran, das her ym text spricht, das eyn man
seynes wibcs gut in seine vonnundeschaft nympt“.
Inhaltsangabe von Ssp. I 31 in dem Kemissorium cod.
Hom. 31 '):
„Wat di man rechtes liebbe an synes wyues gude“.
Rubrik im Register des Weichbildrechtes der Berlin -Stein-
b eck sehen Handschrift 2) :
„Von elichir uormuntschaft vnd von gute, daz eliche lute
haben“.
Rubriken im Register zum ersten Buch des Ssp. in der Berlin-
Steinbeckschen Handschrift (Bl. 42 K):
132: „Von eliger lute gute, vnd irer vonnundeschaft“.
145: „Von elichir vonnundeschaft. waz ein wip ane irz
vormunderz wille nicht tun mag“.
Inhaltsangabe von Ssp. I 31 im Rubrikenregister des Basler
Primürdruckes von 1474:
„Der man nympt in seyne vonnundeschaft alle das gut
scyner frauwen“.
') Berlin Kgl. Bibi. Ms. germ. fol. 285 Bl. 42. Hs wäre eine interessante
Aufgabe, aus den Abeccdarien und sonstigen alphabetischen Arbeiten, wie
lloincyer. Die deutschen Kechtsbncher des Mittelalters und ihre Hand-
Schriften S. 57— (il und S. 173 sie zusainmcngcstcllt hat, fest/.ustellen. ob die
ehegüterrechtlichen Bestimmungen des Ssp. jemals unter dem Stichwort
_< lewere zu rechter Vormundschaft" nufgc führt werden.
’j Ahgedruekl bei St effen h agen . Sitz. Iler. Xt'VIII I S. 82.
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Überschrift zu Ssp. I 31 in cod. Hom. 250:
„von elicliir lute und uon irm gute, wi ein man ein lioup
ist sines weibez. und sy ane sin uolbort nicht gotun mag“ ■).
Überschrift zu Ssp. I 31 § 2 in der von Johann von Lasco
1 ">00 besorgten Ausgabe polnischer Gesetze:
„De marito qui bona uxoris sue rccepit in tutelam“ *).
Jüngere Rechtsbücher, denen der Text des Sachenspiegels zu
Grunde liegt, sprechen nicht von der Gewere am Frauengut sondern
von dem Recht des Mannes:
Sächsisches Weichbild 78 § 2 3):
„Wente en man en wif nimt, so untveit he mit ir al
dat gut, dat men mit ire gilt, unde wat sie to etne brinct,
to rechter vormuntscap“.
Holländischer Sachsenspiegel 83:
„Nemet een man een wyflf soe nemet hy all lioir goet in
rechter mombaerscap“.
Man wird hiernach zugeben, daß die Vorstellung, „die Gewere
zu rechter Vormundschaft sei das Güterrechtsprinzip des Sachsen-
spiegels xit’ 4), durch Hinweis auf die Quellen sich nicht
mehr verteidigen laßt.
n.
Ob Gewere zu rechter Vormundschaft überhaupt ein quellen-
mäßiger Ausdruck ist, läßt sich bezweifeln. Die Anfangsworte
von Ssp. I 31 § sind kein zwingendes Argument; sie sagen
vielleicht nur, daß der Mann das Frauengut in seinen Besitz nehme
kraft seines vormundschaftlichen Rechtes.
') Dal) hier von der Gewere keine Rede ist, ist mn so bemerkenswerter,
als im lateinischen Text der Handschrift die jtosscssio eine gröUore Rolli'
spielt als in der Vulgata.
3) Auch dies Beispiel ist besonders beachtenswert, weil im Text Lasco
sich dem deutschen Vorbild wörtlich anschlielit: .Quando vir uxorem legi-
time duxerit extune in suaiu sortem sine possessionem ouinia ipsius bona
recipit, loco vere tutele“.
3) Ausgabe von Daniels nach einer Handschrift von 1369 (Berlin 1853)
4) Schilling S. 274. Die oben angeführten Quellenzeugnisse müßte
Schilling im Vergleich zu dem deutschen Text von Ssp. I 31 <s 2 für
weniger .korrekt und präzise- anschcn.
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47
In den holländischen Lesarten
. „so neemt hi in sijnre were al hoor goet in rechter vor-
munderschap“ (codd. Horn. 2H!> und 21)0)
oder
„so neemt hi in sijnre were al hoor goet ende vor-
mundscap“ (codd. Horn. 202 und 375)
ist jedenfalls von einer speziellen Gewere zu rechter Vormund-
schaft nichts wahrzunehmen. Und bei der von Homeycr1) mit-
geteilten Lesart:
„so nimt he si in sine gewere und al ir gut to
rechter vormuntscap“
möchte man denken, daß Gewere in Ssp. 131 § 2 überhaupt nicht
Besitz sondern Haus und Hof bedeutet.
Immerhin kann man von einer Gewere zu rechter Vormund-
schaft in demselben Sinne reden, wie man von einer eigenliken,
einer Satzungs- und Leibzuchtsgeweree spricht, indem man näm-
lich in den Worten „zu rechter Vormundschaft“ den Rechtsgrund
der Gewere, das in der Gewere zum Ausdruck gelangte Recht,
sieht*). Nur legt man damit dem terminus „Recht zu Vormund-
') Ssp. 3. Ausg. S. 18!) No. 11 zu I 31: codd. Hom. 433, 164, 260 und
Leipziger Frim&rdruck von 1488. Vgl. auch den SchüfTenspruch bei Rocbnie
VI S. 152, wo im Parteivortrag gesagt wird, daß der Ehemann „bcyde 1 e y b
und gut (seil, seiner Ehefrau) yn scyno voruiuntschaft und yn seync ge-
were entfangen und ge no inen hette*. Freilich könnte inan diese
Stellen, wenn man au der Bedeutung von Gewere gleich Besitz durchaus
festlialten will, auch aus der ursprünglichen Auflassung, daß der Herrschafts-
begriff sich ununtcrschieden auf die Personen und die Dinge der Hausherrschaft
bezog, erklären, vgl. Heusler, Inst. I S. 98 f. und Huber, (lewere S. 79.
Ein Gegenstück zu der von Huber No. 182 erwähnten Urkunde von 1300,
wo von „dienstlicher Gcwer* an der Person des Klostcrpfürtners die Hede
ist, würde dann vielleicht der Schöffenspruch bei Wasserschieben I S. 161
c. 26 bieten, wo vom Ehemann gesagt wird: „Nu hat her sie (seil, die Ehe-
frau) laszen furen in seyn gewere von dresden kern pyrne und hat die
frawe ynne gehat nicht vollen 14 tage*. Bohre S. 57 No. 1 hält Gewere
in dieser Stelle gleichbedeutend nicht mit Besitz sondern mit Hans und Hof,
und das ist wohl auch richtiger.
a) Anders Agricola S. XXI, 109, dem sie die „Qualifikation* der
Gewere sind.
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48
schuft“ eine engen' Bedeutung bei als das Mittelalter es tat.
Denn unter Hecht zu Vormundschaft verstehen die (Quellen nicht
nur die Vermögensrecht! iclien, sondern zugleich auch die rein
]>ersonenrechtlichen Befugnisse, welche der Mann durch die Khe-
schlielluiig erwirbt:
1. Wurmsche Glosse zu Ssp. III 77 (Berlin Kgl. Bibi. Ms. genn.
fol. 437 Bl. 157 B);
„Von dez elichin man normundeschafft ubir sein weip und
ubir ir gut“.
2. Glosse zu Weichbild 26 (Daniels-Gruben Sp. 313 Z. 50 ff.):
„Wenue daz wib deine manne getruwit wirt, so nvnipt
er sy und alle ir gut in Vormundschaft“.
3. „Doktrineller Aufsatz“1) bei Hochine VI S. 111:
„Ein man mag billich seines elichin wibis vnd eres gutis
vorrath vnd Vormunde wesin“.
4. Schöffen sprach in cod. Horn. 737 (abgedruckt bei Martitz
S. 270 No. 10):
„Do habe er si und alle irgut in vormnndeschaft genomen“.
5. Wasserschieben I S. 28 8 c. 74:
(Die Frau) „hat eynen man zeu der ee genomen der sie
und ere guter yn phlege und yn vormundeschatft gehabt hat“.
(i. Glosse zu Lehnrecht (Zobel sehe Ausg. v. 1557 Bl. 84):
„Der man ist ein Vormund ihres guts, dieweil sie lebt
und ist darzu ihres leibes Vormund“.
7. Urkunde von 1131 (Haitaus, Glossarium gennanicum medii
aevi S. 3(!(i):
„ mariti sui Sigfridi, in cuius nmndiburdio ipsa
et bona ipsius habebantur“.
Das Hecht zu Vormundschaft erschöpft sich nach diesen
Quellenzeugnissen nicht in vermögensrechtlichen Befugnissen.
Der Begriff des ehemannlichen „Hechtes zu Vormundschaft“
ist weiter als der Begriff „Recht des Mannes am Frauen-
gut“*). Durchaus zutreffend sagt Martitz S. 8(i: „Der Ssp.
') Vgl. Stobhe, Z. f. deutsches R. XVII S. 410.
s) Streng genommen erschöpft auch der Begriff des chcmftnnlirhcn
Rechtes zu Vormundschaft noch nieht alle dein Kheinanne ziisti'hendcn Be
fngnisse. Vielmehr ist das ehemitnnliehc Beeilt zu Vormundschaft, das ehe-
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40
führt die Befugnisse des Ehemannes über Person und Vermögen
der Frau auf seine Vormundschaft zurück“, und ähnlich Hehre
S. Das Recht der Verwaltung und Nutznießung wird im Ssj>.
zusammen mit der personenrechtlichen Stellung des
männliche Mnndium. nur ein Bestandteil, allerdings der weitaus bedeutendste,
in dem noch umfassenderen Begriff der eheherrlichen Gewalt, vgl. Brunner,
Jenaer Literaturzeitung v. 187G S. 498 Xo. 1: Habicht, The altdeutsche
Verlobung in ihrem Verhältnis zu dem Mundium und der Eheschließung S. Sf.
Xo. 1 und Entscheidung des Reichsgerichts in Civilsachen XVI S. 149: „die
eheliche Vormundschaft charakterisiert sich .... als ein Ausfluß der ehe-
männlichen Gewalt“.
Daß die Quellen über die personenrechtlichen Befugnisse, welche der
Ehemann durch die Eheschließung erwirbt, so wenig enthalten, erklärt
sich daraus, daß Streitigkeiten hierüber zur Zuständigkeit des geistlichen
Gerichts gehörten, vgl. die Buchscho Glosse oben S. 7. Bemerkenswert sind
einige Sätze in Purgoldts Rechtsbuch 1 9(i, von denen wir annehmeu
dürfen, daß sie auch dem Kcchtszustand im Geltungsbereich des landrecht-
lichen und magdeburgischen Ehegüterrechts entsprechen: „Globcth eyn wip
aihler vorlobeth etwas gote, das enne manne unbcqumnlich ist, von geheysses
wegin eris mannes sal sie das brechen, und sterbet der man domoch, sie
endarff dasselbe globede vorder nicht Imidin, sic globcth osz dan anderweyt.
Did schribet meister Wilhelm. l"nd globcth eyn hinder orem manne etwas,
also kusheyt, vasten und wallen, das sal sie vonn er selber nicht brechen:
aber von eris mannes gubothe sal sie osz brechin. Globit sie euch anders
was, welcherley das ist, darmete sie die ere eris mannes letzid, das sal.. sie
brechin und ab sie os mit ermc eyde bestetigt bette. Globet sie aber et-
was, das crin man nicht hindert noch letzidt. das sal her er oucli
nicht weren, noch sic dorane hindern, erkennedt her anders, das es er
unschede lieh ist. Did leredt der maister Itaymundus“.
Aber auch die Ehefrau erlangt durch Eheschließung Rechte an der
Person des Gatten (vgl. den Passus der Wurm sehen Glosse oben S. IG, wo
es vom Ehemann heißt, daß er „ir getreutit und gebin war“; ferner So hm , Das
Recht der Eheschließung S. Gl : „die Trauung ist die ein gegenseitiges
Treueverhältnis erzeugende Tradition der Braut an den Mann“: anders
Pr. v. Wyss, Zeitschr. f. schweizerisches Recht XX S. 98: „Die Braut wird“
— durch die Trauung — „der Treue und dem Schutze des Bräutigams ali-
vertraut, was die Bezeichnung erklärt, sie wird dem Bräutigam, nicht aber
der letzter^ der ersteren vertraut oder getraut“). Sie kann den Ehe-
mann, wenn er ohne ihre Einwilligung in einen Orden eingetreten ist, dem
Kloster abfordem (Ssp. 1 25 § 4), sie kann von seinem Gläubiger, der ihn in
Schuldknechtschaft abführt, Sicherheitsleistung für unversehrte Rückkehr des
Ehemannes beanspruchen (Weichbildglosse Daniels - Gruben Sp. 318
Z. 34 - 38).
Kiesel, liewere 1
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Ehemannes zur Ehefrau als vormuntscap bezeichnet.“ Es er-
scheint daher nicht unbedenklich, wenn Heusler1) von diesem Ver-
waltungs- und Nutznießungsrecht als dem „dinglichen Hecht zu Vor-
mundschaft“ spricht. Freilich das Verwaltungs- und Nutznießungs-
recht ist ein gegen jeden Dritten verfolgbares Sachenrecht und daher
dinglich8), aber der aus vermögensrechtlichen und personenrecht-
lichen Befugnissen zusammengesetzte Komplex, den die sächsischen
Quellen unter ehemännlicher Vormundschaft begreifen, läßt sich in
die Kategorie der dinglichen Rechte nicht einreihen. Die sächsischen
Quellen bestätigen durchaus das, was Gierke3) als eine allgemein
deutsche Auffassung bezeichnet, daß nämlich die Familiengüter-
rechte „nicht besondere Sachen- und Forderungsrechte, sondern
Sachen- und obligationenrechtliche Bestandteile eines vom Personen-
recht durchherrschten und gebundenen einheitlichen Rechtsver-
hältnisses sind“. In dieser Erscheinung, daß das Mittelalter zu
') Inst II S. 338. Auch in der eben angeführten Reichsgerichtsent-
Scheidung heißt es: „Die eheliche Vormundschaft charakterisiert sich
als das Recht des Ehemannes an der Person und dem Vermögen der Frau“,
lleinsheimer, Das Recht des Mannes am Vermögen der Frau u. s. w. (1903)
S. 81 hat diese Stelle in. E. mißverstanden; mit dem Recht des Ehemannes
an der Person der Frau sind die nicht Vermögensrecht liehen Befugnisse des
Ehemannes (vgl. 1354, 1358 BGB) gemeint, aber nicht soll damit gesagt
sein, daß die vermögensrechtliehen Befugnisse des Ehemannes Befugnisse
„an der Person der Frau als der Herrin ihres Vermögens“ seien.
s) Die Dinglichkeit ist außer von Heusler, Köhler und Huber
neuerdings besonders von Schilling, Archiv f. bürg. R. XIX S. 2(51 — 2!>7
verteidigt worden. Unbegreiflich ist mir die schon einmal erwähnte Äuße-
rung von Schröder, Kcchtsgcscliichte S. 715 No. 35: „Bei der ehelichen
Verwaltungsgemeinschaft saß der Mann mit der Frau in der Gewerc
ihres ein ge brachten Gutes (Ssp. I 45 § 2), weil sein Nutzungsrecht
kein dinglicher Nießbrauch war, sondern auf der ihm obliegenden
Fürsorge für die Familie beruhte“.
») DPR. I s. 2(51 No. 12. Vgl. Köhler, Jalirb. f. Dogm. XXIV
S. 1!)4 f. : „M as die rechte Vormundschaft betrifft, so bezeichnet dieselbe
allerdings das Verhältnis, aus welchem gerade im gegebenen Falle das Ge-
»ußrecht des Mannes entspringt. Allein es handelt sich darum, das Genuß-
recht überhaupt zu charakterisieren, es zu charakterisieren ohne Rücksicht
auf das individuelle Verhältnis, aus dem es im einzelnen Falle hervorgeht ....
Die dinglichen Rechte haben ihren Bestand und ihren Rechtsinhalt, der be-
einflußt sein kann durch den Entstebiingsgrund: aber einmal entstanden, sind
sie selbständige Größen, die als solche ihre Charakteristik verlangen und
nicht nach ihrer „Mutter“ genannt werden dürfen“.
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51
einer scharfen begrifflichen Scheidung der Vermögensrecht liehen
von den nicht vermögensrechtlichen Wirkungen der Ehe nicht ge-
langt ist, liegt wohl einer der vornehmlichsten Gründe, weshalb
die Wissenschaft so lange in unpräzisen Vorstellungen über die
Natur des ehemännlichen Rechtes am Frauengut haften blieb.
Wenn z. B. Agricola ausnahmsweise einmal, statt mit der beim
Manne vorhandenen Gewere zu operieren, auf das „die Grundlage
der Gewere bildende Recht“ zurückgeht, so meint er damit nicht
etwa, wie man erwarten sollte, die vermögensrechtliche Befugnis
des Mannes über die in seiner Gewere befindliche Sache, sondern
„die familienrechtliche Gewalt des Mannes über die Frau“ '); als
ob in der Gewere, dem Besitz an der Sache, etwas anderes zum
Ausdruck gelangen könnte als ein Sachenrecht.
IO.
Wir sagten. daU man von einer Gewere zu rechter Vormund-
schaft sprechen könne, wie man von einer eigcnliken, einer Satzungs-
und Leibzuchtsgewere spreche. Agricola erklärt diese Gleichstellung
für unberechtigt; er meint, die Gewere des Ehemannes an den
zum eingebrachten Gut gehörenden Sachen sei eine „rein faktische,
gemeine Gewere (blote gewere), d. i. einfach körperlicher Besitz“1);
er beruft sich hierfür auf zwei Schöffensprüche 3), in denen von
■) Agricola S. 296, vgl. S. 17: „Dieser Besitz des Mannes als der
Ausdruck der vormundschaftlichen Familiengcwalt“. Ähnlich schon vorher
Martitz S. 82 f.: „Die Gewere des Mannes .... ist die gesetzliche Folge des
persönlichen Verhältnisses, in welches durch die Trauung die Frau zum
Manne gestellt wird“, und Sohin, Gött. gel. Anz. v. 18*57 S. 1904: „Dem
Manne steht kraft seiner ehelichen Vormundschaft, d. h. kraft seiner ehe-
männlichen Gewalt über die Person der Frau, eine Machtvollkommen-
heit (Gewere) auch über ihr Vermögen zu“.
*) Agricola S. 141. An anderer Stelle, S. 125, nennt Agricola dann
wieder diesen „einfach körperlichen Besitz“ eine „Gewere von besonderem
Rechtsinhalt, geradeso wie etwa die des Eigenthfimcrs, Pfand-
gläubigers, Zinsmannes, Leibzüchters oder wenigstens des Treu-
händers, Amtmannes, Pächters oder Micthcrs“, und S. 73 und 149 billigt er
diesen „einfach körperlichen Besitz* dem Manne auch an denjenigen Sachen
zu, die sich bei der Eheschließung garnicht in der tatsächlichen Gewalt der
Frau sondern etwa hei dritten Personen befanden, denn das Frauengut sei
als eine Universitas aufzufassen, „die als solche mit allen ihren Bestand-
teilen in des Mannes Besitz überging“ (1).
3) Wasserschieben I 8.227 r. 73, S. 429 r. 85. Vgl. Agricola 8. 142.
4*
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der Gewere zu rechter Vormundschaft im Vergleich mit der eigen-
liken Gewere gesagt wird, sie sei „keyne rechte gewere“, „keyne
volkomene gewere“.
Noch erstaunlicher ist die Ansicht von Czvhlarz1), der dem
Ehemann eine Gewere am Frauengut überhaupt abspricht. Czyhlarz
geht vom böhmisch-mährischen Landrecht aus, vertritt seine Auf-
fassung aber auch für das sächsische Landrecht:
„Die sog. Gewere des Mannes zu rechter Vormundschaft
war wenigstens nach böhmischem Landrecht keine selbständige,
die Gewere der Frau ausschließende possessio, sondern nur
die tatsächliche Ausübung der dieser zustehenden Pfandge-
wcrc*) seitens des Mannes kraft seines ehemännlichen Vor-
mundschaftsrechtes. Hierdurch setze ich mich in Widerspruch
mit der auch noch von Heusler die Gewere S. 149 f. ver-
tretenen Ansicht, daß der Mann eine selbständige Gewere
am Frauengut habe, wodurch die Gewere der Frau ausge-
schlossen wird. Es ist das nur eine Konsequenz des von
Heusler für die Vormundschaft überhaupt aufgestellten
Grundsatzes, dem zu Folge der Vormund das Mündelgut in
Nutz und Gelde hat, nicht der Mündel Dagegen
macht sich aber sofort das Hedenken rege, daß sich die
Stellung des Vormunds nur nach dem Vormundschafts recht
bestimmt, indem seine Dispositionsbefugnis bezüglich des
Mündelgutes nur ein Ausfluß dieses Rechtes ist. Zu Folge
seines Vormundschaftsrechtes zieht er die Nutzungen, ver-
fügt er faktisch über die Sachen, hat er überhaupt den
Genuß, der sich aus dem Verhältnis des Mündels zu den
betreffenden Sachen ergibt. Nur so genießt der Vormund
die Vorteile der Eigengewere, Pfandgewere u. s. w. , welche
dem Mündel zusteht. Folgeweise hat dann der Vormund
keine selbständige Gewere, sondern übt lediglich die Gewere
des Mündels, die in derselben gelegene Macht aus, ist daher
nur Vertreter des Mündels, aber allerdings kraft seines
') Zur Geschichte des ehelichen Güterrechts im bfthinUch - mährischen
Lamlrccht S. 72 f. No. 7.
J) Was hier von der I’fandpewere tfesayl wird, muU auch von der
eigenliken Gewere u. s. w. gelten.
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eigenen Vormundschaftsrechtes. Bei dieser Auflassung kann
nicht davon die Rede sein, daß die Gewere des Mündels der
des Vormunds gegenüber verschwindet, von dieser absorbiert
wird, vielmehr gibt es ihr zu Folge nach wie vor nur eine
Gewere, die des Mündels, welche der Vormund übt
Heusler, der selbst a. a. 0. das Vormundschaft recht be-
tont, hat diesen Weg angedeutet, ohne ihn jedoch, wie ich
meine, consequent zu verfolgen.“
Diese Ausführungen, wonach jemand kraft eigenen Rechts,
aber doch nur als Stellvertreter eines anderen die dem anderen
zustehende Gewere ausübt, sind schlechthin unverständlich. Czy h 1 a rz
hat den richtigen Gedanken, daß die Dispositionsbefugnis des Vor-
mundes und Ehemannes nicht Ausfluß seiner Gewere sondern seines
dinglichen Rechtes am Mündel- und Frauengut ist, übertrieben.
IV.
Die .Vorstellung, daß die Gewere zu rechter Vormundschaft
das Grundprinzip des ehelichen Güterrechtssystems sei, setzt not-
wendigerweise voraus, daß die Gewere zu rechter Vormundschaft
eine Gewere von ganz besonderer Art sei. Dies ist in der Tat.
die Auffassung von Agricola. Ihm ist die Gewere, welche der
Mann am eingebrachten Gut erlangt, eine Gewere von „besonderes
Eigenschaft“, „von besonderem Rechtsinhalt“'), die von anderen
Geweren „ihrem Umfang und Inhalt nach“ sich unterscheide.
Einen Schein von Berechtigung erhält diese Ansicht durch die
merkwürdige Fassung von Ssp. I 31 § 2:
„Svenne en man wif nimt, so nimt he in sine gewere al
ir gut t« rechter vormuntscap; dar umme ne mach nen wif
ireme manne nene gave geven ; wende die man ne
mach an seines wives gude nene andere were ge-
winnen, wen alse he to dem irsten mit ire untvieng
in vormuntscap“®).
') S. 125. Ebenso Niese S. 23, der einzelne Befugnisse des Mannes
hinsichtlich des J.eibzuchtsgutes der Krau aus seiner Eigengewere, andere
wieder ans seiner vormundschaftlichen < lewere herleitet.
,J) Die Fassung des dritten Satzes ist in jüngere Quellen wörtlich fiber-
gegangen, vgl. die bei Agricola S. 128 IT. citierten Stellen, denen Wasser sch-
ieben II S. 4f> c. 133 hinzuzufügen ist.
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Eike stellt liier die Gewere, welche der Ehemann durch die
Vergabung erlangen würde, der Gewere zu rechter Vormundschaft
als „andere“, das heißt aber nicht als „anders geartete“ sondern
als „anders entstandene“, auf anderem Rechtsgrund beruhende,
gegenüber. Eine qualitative Verschiedenheit könnte nur zwischen
dem Recht, welches in der auf Vergabung gestützten Gewere zum
Ausdruck kommen würde, gegenüber dem gesetzlichen Recht,
welches der Mann ohne die Vergabung haben würde, bestehen. „Die
Gewere ist ihrem Begriff nach dieselbe bei allen Rechten“ '). In
den lateinischen Übersetzungen des Ssp. ist jedes Mißverständnis
dadurch ausgeschlossen, daß nicht der Gewere die Gewere, sondern
dem Recht das Recht gegenüber gestellt wird. So heißt es in
der Vulgata (cod. Hom. (11):
„Ex eo apparet quod vir in substantia sue uxoris non
aliam potest acquirere*) nisi ut prius tutoriam accepit po-
testatein“.
Die Vratislaviensis (cod. Hom. 85) sagt, daß der Mann kein
anderes „ius possidendi“, die Sandomiriensis (cod. Hom. !H), daß
er keine andere „potestas“ erwerben dürfe, als er von Anfang an
bei Schließung der Ehe erworben habe3).
Beachtenswert ist auch ein Parteivortrag bei Wasserschieben I
S. 219 f. c. (1H und 69, wo es heißt:
„der man hat an dem hawsze keyne andir gewere ny ge-
gewonnen noch gerechtikeyt wenne yn vormundeschalll
seynes weibis“.
') Huber, Gewere S. 4.1. Vgl. Hcuslcr, Gewere 8. 154: .ich kann
zwischen der Gewere, die der Mann au seinem eigenen Hufe, und der, welche
er an einem Gut der Krau hat, keinen Unterschied entdecken, sondern nur
zwischen dem Recht, das er an seinem Hofe, und dem, welches er am
K rauengut hat4.
5) aequirerc fehlt in cod. Hom. fil : ich füge es aus anderen Hand-
schriften ein.
s) Vgl. aucliLasco: .Quia mnritus in bonis sue uxoris aliam partein
nullo modo: nec aliquntontis aequirerc vendicarcque potest quam id quod
in pritno contractu cum ipsa suseepit loco tutclc scilicet tarn mulieres quam
rerum tutelam.4 Abweichend aber die Gürlitzer Handschrift von 1387 (cod.
Hom. 250): _t)uia uir in bonis sue mulieris maj’ ore m po ssessionem ac-
qnirere quam prius cum ea sumpsit in auetoritate — — 4 (sie).
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55
Mit Recht bemerkt Heus I er') zu dieser Stelle, daß die Partei
durch den Zusatz „noch gerechtikeyt“ die Ungenauigkeit, die sie
in der Fassung von Ssp. I 31 § 2 erblickt, verbessern wolle.
Ein Seitenstück hierzu bietet die Lesart der de Geerschen Hand-
schrift C:
„want die man en can syns wyfs goet gheen recht noch
besyt hebben dan die mnmberscap“ 1).
Immerhin hat es doch seinen besonderen Grund, wenn Eike
in unserer Stelle lieber von der Gewere als dem Recht spricht.
Die Unzulässigkeit einer Vergabung eingebrachten Gutes seitens
der Frau an den Mann erklärt sich nämlich in der Tat daraus,
daß der Ehemann den Gegenstand der Vergabung bereits in seiner
Gewere hat3). Sie ist lediglich eine Anwendung des allgemeinen
sachenrechtlichen Grundsatzes, daß, wer ein Gut vergibt, ohne der
Gewere daran sieh zu ledigen, nicht sich sondern seinen Erben
das Gut entzieht'). Eine Ledigung der Gewere seitens der Frau
ist ausgeschlossen, weil die Frau seit der Eheschließung keine
Gewere mehr hat3).
•) Gewere S. 156.
*) Freilich kann diese Lesart sich auch erklären wie oben S. 6 No. 2.
3) Auch entgeltliche Verfügungen der Frau zu Gunsten des Mannes
sind unzulässig. Abw. Ans. Sydow, Darstellung des Erbrechts nach den
Grundsätzen des Sachsenspiegels 8. 248. Die Vulgata und Sandomiriensis
sprechen von dnnare, I.asco von donnm dare. Vgl. aber Vratislaviensis
(cod. Hom. 85): „Et ideo non potest eonferrc marito res mobiles aut pro-
prium, ut per hoc post mortem ipsius a veris eins heredibus clongetur“;
Berlin-Steinbeck sche Handschrift : „Ideo marito suo nee de proprietatibus
aut de mobilibus dare debet quod heredibus suis vult alienare“: Gürlitzer
cod. Hom. 250: .Ideo nulla inulier viro suo quitquam dare potest de suis
rehus tarn mobilibus quam immobilibus si suis heredibus alienare volnit“
Die B u ch' sehe Glosse scheint auch die entgeltliehen Verfügungen im Auge
zn haben.
') Buch'sche Glosse zu Ssp. 152.
s) Ebenso, trotz ihrer Annahme einer Gesamtgewere der Ehegatten
oder des Nebeneinanderbestehens einer Gewere der Frau neben der des
Mannes: Kraut, Vormundschaft II S. 43211.: Martitz S. 237: Agricola
S. 546 IT. Abw. Ans. Bar, Beweisurteil S. 200 f., der einen positiven
Heehtssatz annimmt, nach welchem Gaben der Frau an den Mann verboten
gewesen wären: „Man wird einwenden dürfen, daß ein früherer Besitz auf
Grund des Titels einer G. z. r. V. nicht eine Umwandlung dieses Titels
wird verhindern können. Wäre dies der Fall, so würde auch der Pächter
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So ist in diesem einzelnen Punkt die ehemännliche Gewere
allerdings die Ursache einer materiellen Wirkung. Aber einmal
gehört diese Wirkung nicht zu dem vermeintlichen spezifischen
Rechtsinhalt der Gewere als einer vormundschaftliehen, sondern
ist die Anwendung eines auch außerhalb des Ehegtiterrechts geltenden
Grundsatzes, und ferner ist die Unzulässigkeit von Vergabungen
des Frauengutes an den Mann in keiner Weise für das System
der Gütereinheit charakteristisch.
V.
Nach manchen Stammesrechten begründet schon die Verlobung,
„mit welcher die ersten Wirkungen der Ehe eintreten“ *), das ehe-
männliche Recht am Frauengut.
Matthaeus v. Normanns Wendisch - Rugianischer Land-
gebrauch (herausgegeben von Gadebuseh, Stralsund und Leipzig
1777) tit. 57 S. 71 :
„Wert eine Jungfruwe by eres Vaders vnd Moder Leven
vthgeraden vnd se leth nicht aff in der Vorlavinge, Vor-
oincs Grundstücks an diesem niemals eine rcclitc Gewere erwerben können,
wenn ihm so lange er noch als Pächter besitzt, das Grundstück verkauft
und aufgelassen wird“. Dies Beispiel ist nicht gut gewählt, denn durch
Verkauf und Auflassung an den Pächter würde der Verpächter das Gut nicht
nur seinen Erben, sondern sich selbst entziehen, wofern es sich nicht etwa
um einen Pachtvertrag handelt, bei welchem als Zeitpunkt der Beendigung
des Pachtverhältnisses der Sterbetag des Verpächters bestimmt wäre. Außcr-
dem würde der Verpächter aber in der Tat durch Verkauf und Auflassung
an den Pächter sich seiner Gewere am Pachtgut ledigen: Bar scheint an-
zunchmcn, daß der Verpächter schon durch Einräumung einer Pachtgewerc
an den Pächter die Gewere am Gut aufgegeben habe. Dies ist aber nicht
richtig, vgl. oben S. 24f. Anm. 4). — Heusler Inst. II S. 391 nennt die
Stelle Ssp. I 31 § 2 „in ihrem Motive nicht rocht verständlich.“
') Sohin, Trauung und Verlobung S. 3li: vgl. Sohtn, Das Itcclit der
Eheschließung S. 78: „Die Ehe wird nach deutschem ltecht durch das Ver-
sprechen der Ehe geschlossen. Die Willenseinigung über künftige eheliche
Gemeinschaft bedeutet die Willenseinigung über schon gegenwärtiges eheliches
Verhältnis. Es gibt keine Verlobung in unserem heutigen Sinn, d. h. keine
Verlobung, welche Versprechung künftiger Eheschließung wäre. Die Ver-
lobten sind schon Ehegatten vor der Trauung“. Bekanntlich ist dies der
Grundgedanke der eben genannten beiden Arbeiten von Sohin. Später hat
Sohin, Zur Geschichte der Auflassung S. 10t* No. 29 unter dem Eindruck
der Kritik die Frage als noch unter Kontroverse stellend bezeichnet.
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57
truwinge edder dama mit Vorwcten eres Bruedigams
edder Eliemanss vam Vader vnd Moder Erve, dama stervet
de Moder, se nimpt er Anpart vam Moder Erve vnd Heyrath,
glik den Breedern“:
tit. 54 S. tili:
„Datt mosten offt de Jungfrowen im Fall der Nothtruflt,
wenn se vorlavet wurden, sick aflseggen vnd holden, dat se
na der Beradinge eren Broedern ock wol dem Vader lohen,
dat se ahne dat, wat en in der Beradinge verspraeken, nicht
mehr dama vmb vaderlike edder moderlike Erve na deren
eren doetlikem Affgange wolden sprecken, vndt solkes moste
de Bruedigam annehmen vnd semptlich holden. Wo overst
sodane Affsegginge mit Bewilligunge des Bruedigamss
nicht geschach, so was idt ehr vndt enie, in ehrem Nahmen
fry, vmb solk vaderlik edder moderlik Erve tho sprecken“.
Stadtbuch von Groningen (herausgegeben von Telting in den
Werken der Vereeniging tot uitgave der bronnen van het oude
vaderlandsehe Recht I 9, Utrecht 188(1) c. ’2’2'2 S. 79:
„Noch vrouwen, noch junefrowen en moten enghenerhande
gued gheuen nae der tyd, dat se tho manne ghelovet syn,
ten sy by orloue oers mannes“ ').
') Demnach ist zu berichtigen die Äußerung von Sohm, Eheschließung
S. 76: „Die Verlobung als solche (ohne Trauung) entbehrt der positiven
Wirkungen des ehelichen Verhältnisses. Kein Eintreten der verlobten Braut
in das Haus des Bräutigams, keine eheherrliche Gewalt, keine Standesgemein-
schaft, kein eheliches Gnterrecht“; und S. 247 f. No. 105: „Jene von
dein älteren deutschen Recht abweichende Meinung, welche schon
mit dem Brautverhältnis das gegenseitige eheliche Erbrecht eintreten ließ,
bedeutet eine von modernen und römisch-rechtlichen Vorstellungen ausgehende
theoretische Spekulation, welche aus der ehebegrnndenden Wirkung der Ver-
lobung zugleich den vollen Eintritt aller Rechtsfolgen der Ehe ablciten zu
müssen meint, welche also, indem sie die Konsequenzen des geltenden
deutschen Eherechts ziehen wollte, dennoch gerade in Gegensatz zu dem-
selben trat". Gerade bei dem von Sohm erwähnten Erkenntnis der Rostocker
Juristenfakultät wird inan die Kenntnis des Wendisch-rngianischcn Eand-
gebrauchs vermuten dürfen. Cbrigens bietet die von uns befürwortete Be-
richtigung einen neuen Beleg für die Richtigkeit der Sohin’schen Ansicht,
daß schon durch Verlobung die Ehe zustande kommt.
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Anders nach dem Ssp. und nach magdeburger Recht. Hier
beginnt der Unterstand mit der traditio puellae, mit der Trauung.
Zugleich mit iler Braut wird ihre Aussteuer1) dem Manne ge-
gegeben :
„Cum vir mulieri copulatur, tune omnia eius bona in
suam recipit tutelam“ (Ssp. I 31 § in der Vulgata).
Der Zeitpunkt der Trauung ist gemeint, wenn es so vielfach
heißt, daß der Mann die Frau und zugleich ihr Gut in seine
Vormundschaft nimmt2). In Ssp. I 31 § *2:
„die man ne mach .... nene andere were gewinnen,
wen alse he to dem irsten mit ire untvieng in vor-
muntscap“
sagen die letzten Worte unzweideutig, daß die Gewere des Mannes
über das Frauengut gleichzeitig „mit ihr“, d. h. mit der Frau,
also mit der Trauung „empfangen“ wird3). Diese Gleichstellung
der Person und des Vermögens, welche dem Manne anvertraut
werden, ist zugleich insofern wertvoll für uns, als sie unbewußt
zum Ausdruck bringt, daß auch das Vermögen nicht bloß in die
Gewalt sondern zugleich in den Schutz des Mannes gestellt wird,
„also eine den Empfänger nicht bloß berechtigende, sondern ebenso
') An den Regelfall, dal! das cingcbrachte Gut nur aus Fahrnis besteht,
denkt Eike, wenn er, statt von dem ehemiinnlichen Recht am Frauengul
zu sprechen, sagt, dal! der Mann das Gut in seine Gewere nehme. Vgl-
u. a. Hehre S. 56: „In der Regel wird die Besitzftbertragung mit der
Trauung zusammen gefallen sein, da es nur natürlich war, dal! die Eltern
der Braut zugleich mit ihrer Tochter auch deren Ausstattung dem Manne
anvertrauten“.
*) Vgl. die oben S. 48 Ziff. 2 und 4 angeführten Stellen. Bei der Trauung
wird dem jungen Ehemann mit der Gattin Vermögen „mitgegeben“, wie
ihm bei der Verlobung neben der Braut Vermögen „mitgelobt“ worden ist
vgl. Wasserschieben I S. 168 c. 35: „Barbara gab ir tachtor zeu der ce
Itruszmc burger tcu oschsehacz und globit mit ir tachter acht schog
gr. crem eydem Brnszme“ d. h. sie gelobt die Tochter und dazu acht Scheck
Groschen: vgl. auch tit. 66 des Wendisch-rngianischen Landgebrauchs S. 84:
„In der Vorlavinge“ — die der Truwe 8. 85 Zeile 21 gegen nbcrgeatcllt wird —
„der Jungfrauwen edder W'dcwen wer( vndt geboeret sick van oldcrshero . . •
dat dem Breutgam ein gewisse Autall Geldes wart mitgclawet.“
3) Ebenso Sohm, Eheschi iellung S. 95 No. 1.
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5t)
verpflichtende Übergabe ist“ '). Gerade hierin liegt ein charakte-
ristischer Unterschied des ellemännlichen Rechtes am Frauengut
von anderen dinglichen Rechten: der Manu ist zur Verwaltung
des cingebrachten Gutes verpflichtet, einseitiger Verzieht auf das
Recht zu Vormundschaft ist ihm nicht gestattet.
Am deutlichsten zeigt Ssp. III 45 § 3, daß der eheliche Güter-
stand mit der Trauung beginnt:
„Die man is ok vormünde sines wives to hant als sie
ime getrüwet wert. Dat wif is ok des mannes genotinne
to hant alse sie in sin bedde trit“.
Diese letzten Worte bieten übrigens besonderes Interesse, da
man aus ihnen hat entnehmen wollen, daß dem Ssp. die Einheit-
lichkeit des alten Mundiums verloren gegangen sei*). Mir scheint,
daß diese Empfindung nicht gerechtfertigt ist, daß es vielmehr
nicht nur dem Ssp., sondern auch der älteren Zeit entspricht,
unter dem ehemilnnlichen Recht zu Vormundschaft nur den In-
begriff personen- und sachenrechtlicher Befugnisse zu verstehen,
welche der Ehemann gegenüber der Frau erwirbt. Wirkungen
der Ehe, welche unter diesen Begriff nicht zu bringen sind, haben
mit dem ehemännlichen Recht zu Vormundschaft nichts zu tun,
wie es auch nicht im Sinne des alten Mundiums gelegen haben
kann, etwa bei der Alters Vormundschaft dem Mündel den Stand
des Vormundes zu verleihen.
') Mit diesen Worten charakterisiert Sohin, Eheschließung S. 60 die
Übergabe der Braut an den Mann. Übrigens scheint er sich 8. 61 gegen
die von uns aus der (Gleichstellung von Person und Vermögen gezogene
Folgerung auszusprechen: „Neben der Sachtradition kennt das Deutsche
Recht eine Personentradition. Die letztere zeichnet sich dadurch
aus, daß sie immer“ (— die Sachtradition wenigstens zuweilen? — )
„eine Traunng, d. h. eine ein gegenseitiges Treuverhältnis erzeugende
Tradition ist“.
*) Sohin, Eheschließung S. 95: „Die volle Energie des alten
Mundium ist vergessen, und wird die Standesgenieinschaft anstatt aus
dem tienaltverhältnis aus dem Gcnosscnschaftsverhältnis dor Ehegatten
abgeleitet“. Ebenso Fr. v. Wyss, Zeitschr. f. schweizerisches Recht XX
S. 112 f. Dasangeisächsische Recht, welches der Ehefrau nicht das Wergeid
ihres Mannes, sondern das ihres Vaters gibt, zeigt, daß ilie Standesgemcin-
schaft für den Begriff der Ehe und des Mundiums entbehrlich ist, vgl.
Habicht, Die altdeutsche Verlobung in ihrem Verhältnis zu dem Mundium
und der Eheschließung 8. 74 No. 1.
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fiO
Vereinzelt kommen in den späteren Quellen Wendungen vor,
als oh das Recht des Mannes am Frauengut erst mit dem Beilager
beginne. Es heißt z. B. im Magdeburg-Breslauer systematischen
Schöft’enrecht IV 2 c. 93'):
„Ayn man der vorlobe adir gebe sevne tachter ader freun-
dynne eyme manne und der man globe der iunckfrawen adir
frawen evn benant gelt ezu geben ader czu vormachen vn
alle seyn gut noch seyme tode czu thun und czu lassen adir
mit andirm undirscheide wissentlich den ecwarten in deme
nehesten dinge, dornach als her sy besliffe “
Der Bräutigam gelobt also der Braut eine Geldsumme zu
Morgengabe und verspricht ihr die gerichtliche Erneuerung
dieses Morgengabsgelöbnisses, sobald die Mitgift, als deren
Äquivalent die Morgengabe gedacht ist, in sein Verwaltungs-
und Nutznießungsrecht kommen würde2). Als diesen Zeitpunkt
bezeichnet er statt der Trauung das Beilager. I)a beide Vor-
gänge nur wenige Stunden auseinander liegen, ist diese Un-
genauigkeit unerheblich, sie erklärt sich wohl daraus, daß man
die gelobte Morgengabe mit der tradierten, deren Bestellungszeit
gewohnheitsrechtlich mit dem auf das Beilager folgenden Morgen
fixiert war, in Zusammenhang brachte. — •
') Fernere Beispiele sind die von Agricola S. 19G f. angeführte Lesart
des Weichbildes und ein Sehöffenspriich bei ßoehme, aus welchem Agricola
gefolgert hat, daß der Mann dadurch, daß er das Bett der Ehefrau über-
schreitet, die (iewere, also den .bloß körperlichen Besitz“ (Agricola S. 141),
am eingcbrachten Gut erlangt! Ich halte beide Stellen für ungenau. Die
beiden von Schröder, Gesell, d. ehel. Gütern II 3 S. 326 No. 95 leider nur
unvollständig mitgeteilten Schöffcnsprfiche hat bereits Sohm, Eheschließung
S. 94 f. No, 50 besprochen •
*) Dieser Stelle unmittelbar vorher geht eine andere, welche den
SchöfTenspruch bei Wasserschieben 1 S. 288 f. c. 154 wiedergibt. Dort
handelt cs sich darum, daß nicht die gerichtliche Erneuerung des Morgcn-
eabegelöbnisscs, sondern die Sicherung dieses Gelöbnisses durch Grund-
schuldbestellung versprochen wird, und cs heißt: .Hat eyn man eynem wibe
eyn egelt, ader eyn« morgengabe zu verlobungo gelobt, linde das wip deme
manne cvne metegifft: — und wirt daz mit sollichcn bcscheidenlichcn
Worten gesazt: wenn« die frauwe iro metegifft ynbrochtc, so soldc
er ir man vnrschriben daz vorlobetc gelt . . .“ Also vom Einbringen der
Mitgift, nicht vom Beilagcr macht, der Bräutigam seine Verpflichtung zur
Grundschuldbestellung abhängig.
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C, 1
Mit der Frau wird auch ihr Vermögen dem Manne anvertraut,
nur darf man sich dies Anvertrauen des Vermögens nicht als eine
rechtsgeschäftliche Handlung, als eine „Auflassung“ ') des Frauen-
gutes an den Mann vorstellen. Das ehemännliche Verwaltungs-
und Nutznießungsrecht entsteht vielmehr ipso iure als gesetzliche
Folge der Trauung. Die Hingabe der Mitgift seitens der Eltern
der Braut an den jungen Ehemann ist kein Rechtsgeschäft, sondern,
ebenso wie die Trauung, nur „tatsächliche Vollziehung eines schon
früher geschlossenen Rechtsgeschäftes“2), nämlich des bei der Ver-
lobung abgegebenen Mitgiftversprechens.
Vom Erwerbe des Rechtes zu unterscheiden ist der Erwerb
der Gewere. In der Regel freilich erlangt der Mann auch die
Gewere ohne weiteres dadurch, daß die Frau in unmittelbarem
Anschluß an die Trauung mit ihrer Aussteuer auf seinen Bauern-
hof zieht3). Diesen Regelfall hat auch Eike im Auge, wenn er
in Ssp. I 31 § 2 sagt:
„Svenne en man wif nimt, so nimt he in sine gewere
al ir gut to rechter vormuntscnp.“
') Bewer, Sala Traditio Yestitura S. 16 spricht im Hinblick auf das
ehelich« Güterrecht des Ssp. von einer Auflassung der Gewere zu rechter
Vormundschaft an den Ehemann seitens des bisherigen Alters- oder Ge-
schlechtsvonmindcs der Braut. Es ist dies wohl unter dem Eindruck der
beiden von Agricola S. 193 angeführten Quellenzeugnisse geschehen. Von
diesen gehört das eine, eine Stelle des Mühlhituser Stadtrechts, dem Reehts-
gebiet des sächsischen Güterrechts nicht an; das andere ist dem Rigischen
Ritterrecht entnommen, entladt aber wohl eine rigischc Besonderheit, da sonst
in sächsischen Quellen eine Auflassung der vormundschaftlichen Befugnisse
nirgends erwähnt wird.
a) So charakterisieren die Trauung Sohm, Eheschi icUung S. 91; Fr.
v. Wyss, Zcitschr. f. schweizerisches Recht XX S. 98: Habicht, Ver-
lobung S. 72.
3) Das Gleiche gilt, wenn die Ehegatten statt auf dem Gut des Mannes
auf einem der Frau gehörigen Grundstück Wohnung nehmen (vgl. Wassersrh-
lebcn II S. 139 c. 10: „Hans Roll', jwe man zeliger do gy en in jwe guder
tnr che geuamen": Wasserschieben I S. 202 c. 62: „Ich habe eine haws-
frawe genomen zeu der ich czocfy yn ir gut yn haws und holt undo undir-
wand mich allis das sie hatte“). Auch in diesem Fall erwirbt der Mann
au den der Frau gehörigen Sachen, wenigstens soweit sie sich auf ihrem
Grundstück befinden, ohne Weiteres die Gewere.
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In der Regel erlangt eben der ostfiilische Rauer am Hochzeits-
tag über alle Sachen seiner Frau die tatsächliche Gewalt '). Der
Fall, daß Sachen, die sich in der Gewere eines Dritten befinden,
daß Außenstände und Liegenschaften zum eingebrachten Gut ge-
hören, ist in Ssp. I 31 § 2 nicht besonders berücksichtigt. Daher
ist es verkehrt, wenn man auf diese Stelle des Ssp. die Vor-
stellung einer ipso iure eintretenden Gewere an der Universitas
des Frauengutes*) und ähnliche Ideen gründet. Derartiges erklärt
sich immer wieder aus dem Wahn, ohne Gewere sei ein Recht
an Dingen unmöglich.
Nicht für alle Teile des Frauengutes ist die Ansicht, daß mit
der Trauung das Ehegüterrecht beginne, anerkannt. Es wird be-
hauptet, daß die eingebrachte Fahrnis, soweit sie nicht aus
Geradesachen besteht, also die sogenannte Ungerade, erst dadurch
dem dinglichen Rechte des Mannes unterworfen werde, daß dieser
sie in seine Gewere nehme. Wir lernen damit diese Gewere in
einer neuen Bedeutung kennen, als angeblichen Faktor für die
Entstehung des ehemännlichen Rechtes am Frauengut. Richtig
ist an dieser Auffassung wohl nur, daß nach magdeburger Recht
zur Begründung des ehemännlichen Verwaltungs- und Nutznießungs-
*) Vgl. Behrend, Stendaler Urteilsbuch 8. 52 f.: .Nach dem Ssp. wird
der Mann Vormund seiner Frau und zwar im Augenblick der Eheschließung
selbst Als eine selbstverständliche Folge des eheniännlichcn
Mnndiums sieht es der Ssp. an, daß der Mann das gesamte Frauengut in
seine Gewere nimmt Unter Gewere ist hier der körperliche Besitz zu
verstehen. Der Sinn des Ssp. kann demnach nicht der sein, daß schon durch
die Ehe an sich eine Gewere des Mannes an den der Frau gehörigen Gegen-
ständen begründet werde: vielmehr ist hierzu immer noch die wirkliche
Besitzergreifung erforderlich“. Ferner Behre S. 5G: .In der Hegel wird die
llesitznbertragung mit der Trauung, dem Eheschluß zusainniengcfallcn sein,
da es nur natürlich war, daß die Eltern der Braut zugleich mit ihrer Tochter
auch die Ausstattung dem Manne anvertrauten. Prinzipiell aber ist beides
scharf auseinander zu halten, das Werden der Ausstattung zum eingebrachten
Gut und das Kommen der Ausstattung in des Mannes Gewere“.
*) Besonders Köhler, Jahrb. f. Dngm. XXIV 8. 201 No. 4 betont,
welch große und verderbliche Holle auf dem Gebiete des ehelichen Güter-
rechts der Begriff der Gesamtsache gespielt habe. M old aber ist es haltbar,
wenn Gierke, I>PK. 11 S, 183 Nu. 27. nachdem der Mann an den einzelnen
eingebrachten Sachen Gewere erlangt hat, von einer Gewere des Mannes an
dem Inbegriff der fraulichen Fahrnis spricht.
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ß3
rechtes ein besonderer Illationswille auf Seiten der Ehefrau er-
fordert wurde, und dali die Erklärung dieses Illationswillens, so-
weit es sich um Fahrnis handelte, durch Besitzübertragung erfolgt.
Rechtsbegründend war also nicht der Erwerb der Gewere — welche
der Mann unter Umständen, nämlich wenn es sich um Sachen
handelte, die sich im Besitz eines Dritten befanden, auch zufällig,
auch gegen den Willen der Frau erlangen konnte — sondern die
von der Ehefrau vorgenommene Rechtshandlung, die an die Form
der Gewereübertragung gebundene Illationserklärung. Im einzelnen
gehen die Ansichten über das Schicksal der eingebrachten Ungerade
auseinander1): Albrecht2) und Schröder3) lassen sie mit der
Eheschließung in des Mannes Eigentum übergehen. Die Fassung
von Ssp. I Hl § 2
„Svenne en man wif nimt, so nimt he in sine gewere al
ir gut to rechter vormuntseap“
steht dem nicht entgegen , denn mit dem ehemännlichen Vor-
mundschaftsrecht über das Vermögen — al ir gut — der Frau
ist ein Eigentum an einzelnen Bestandteilen dieses Vermögens
') Insbesondere streitet man, ob nicht die Illationsabsicht präsumicrt
zu werden pflegte und eine besondere Rechtshandlung der Frau nötig gewesen
sei. nicht um die Ungerade einzubringen, sondern um sie sich als .Sondergut
vorzubehalten: ferner ob die Regelung im I.andrecht und im Stadtreeht die
gleiche gewesen sei: ob eingebrachtes Held ebenso behandelt worden sei wie die
übrige Ungerade. Hehre S. 92 No. 1, S. 101 stellt die Ansicht auf, daß der
Ehemann kraft Rechtssatzes Eigentümer der Mitgift werde, wenn sie der
Frau schon vor der Trauung gehörte, dagegen kraft Rechtsgeschäftcs, kraft
dinglichen Übertragungsvertrages, wenn dies nicht der Fall war. Im übrigen
ist die Hehandlung dieser Fragen ans der bisherigen Literatur bekannt,
vgl. besonders Agricola S. 222-233.
*) Gewere S. 262 IT.
3) Gesch. d. chcl. Gfitcrr. II 3 S. 320 ff. Das von Hehre S. 50 für
das Eigentum des Mannes an der Ungerade aus Ssp. 1 12 entnommene Argu-
ment halte ich nicht für durchgreifend. Hereits Schroeder a. a. 0. S. 8
No. 18 bemerkt, daß unter Umständen schon durch das bloße Zusammen-
bringen beweglicher Sachen in eine auf demselben Hof gemeinschaftlich
geführte Wirtschaft eine wirkliche Verschmelzung von Mobiliarvermögen ein-
treten kann. Ssp. 1 12 ist also aus dem Restreben, die mißverständliche
Annahme einer solchen Verschmelzung auszuschließen, ohne weiteres ver-
ständlich
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64_
wohl vereinbar1). Allerdings wird in einem Schöffenspruch bei
Friese-Liesegang S. 542 Nr. 97 von dem zum eingebrachten Gut
gehörigen Geld gesagt, daß es sich in der Vormundschaft des
Ehemannes befinde:
„Margaretha von Heszeler, des gnanten Ulrich Phonchs
selgin wertynne, had dorczu geantwert, das Ponch ir
wert seligin, das geld in formundeschaft gehabit had von
irem wegin“,
aber damit ist vielleicht nicht mehr gemeint, als daß das Geld
zu dem in der Vormundschaft des Mannes befindlichen Vermögen
gehört. Auch die folgenden Worte der eben erwähnten Ssp. -Stelle
sind nicht entscheidend:
„dar umme ne mach nen wit ireme manne nene gaven
geven an inne egene, noch an irer varende liave dar se't
iren rechten erven inede veme na irme dode; wende die
man ne mach an sines wives gude nene andere were ge-
winnen, wen alse he to dem irsten mit ire untvieng
in vormuntscap“.
Die Schlußworte sind insofern nicht entscheidend, als die
vorhergehenden Worte „dar se’t iren rechten erven mede verne na
irme dode“ zeigen, daß der Frau nur solche Gaben untersagt
') Anderer Ansicht anscheinend dir jüngere Glosse zu Ssp. 1 31 :
„Merke euch das vil lute dissen articiilmn vbil vorslehen, Neinoliche den §
Wenne meinen vil lute niete das die trau wen alle ire varnde habe vnd
nietegift noch ires lnannes tode widder Meinen das der man in deine gute
nicht en habe, wenne evne Vormundeschaft von des wibcs wegen. Das vor-
nym recht dissen §. Der man njmpt der frauwen metegift an
gereytem gelde nicht czn vo r uni ndcsch a f t. Sünder si gibbit is ym
doriunbe das er ir widder eine statiingc thun miisz an morgengabe" — vgl.
lieh re S. 03 No. 2 — „vnd an lipczucht, Abir gerade eigen vnd lipgedinge
der frauwen nympt der man in vormundcschaft Also man findet in
dissem selben arti. wer is merken wil, daz die frauwen ire melhegiflt nicht
widdemcnien1' (basier Druck v. H74). Das Schicksal der nicht aus Geld
bestehenden Ungerade bleibt hier wie in vielen ähnlichen Fällen unerörtert.
Kür unsere Ansicht bietet ein Analogon aus dem modernen ltecht der Nieß-
brauch an einem Vermögen. Die zu dem Vermögen gehörigen verbrauchbaren
Sachen sind Eigentum des Nießbrauchers (§ 1007 des bürgerlichen Gesetz-
buchs).
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r,5
sind, welche das Recht ihrer Erben beeinträchtigen würden. Hei
der Ungerade ist dies nicht der Fall, da sie bei Auflösung der
Ehe dem Manne beziehungsweise seinen Erben verbleibt. Mithin
ist wohl möglich, daß mit den Worten „noch an irer varende
have“ nur die Gerade gemeint ist1). Auch einige Quellonzeug-
nisse lassen sich zu Gunsten dieser Interpretation beibringen; in
codd. Hom. 289, 290 und 292 lautet die Ssp.-Stelle:
„Daeroin so en mach gheen wijff hören man enighe gaven
gheven an hören eyghenen goede noch oec aen gherade,
daer si dat goet hären rechten erven mede onterven mach
na hoorre doot“,
und die Glosse bemerkt zu Ssp. I Hl § 2:
„Ouch sagit er hie sie enmogen iren mannen ire varnde
habe nicht geben, do meynt er die gerade mete“ ’).
Die eben erörterte, Ansicht, daß der Mann mit der Trauung
Eigentümer der fraulichen Ungerade werde, hat Belire neuerdings
in interessanter Weise modifiziert. Kr geht davon aus, daß das
Schicksal der fraulichen Ungerade im Landrecht und im magde-
burger Recht das gleiche gewesen sei3). Nach Landrecht wie
nach Stadtrecht habe der Mann ipso iure mit der Trauung das
Verwaltung*- und Nutznießungsrecht wie über das andere Ver-
mögen der Frau so auch über ihre Ungerade erlangt (S. 55). Dies
Verwaltungs- und Nutznießungsrecht „gab dem Manne in erster
Linie die Befugnis, das eingebrachte Gut der Frau in seine gewere
*) So Albrccbt, Gewere 8.266; Kraut, Vormundschaft II S. 428:
Schröder, Oesch. d. ehel. Gnterr. 113 S. 372 f.: Hcusler, Inst. II S.31H).
*) Basler Bruck v. 1874 u. a. Jüngere Ausgaben, so die Zobcl’schc
v. 1535, bringen außerdem an dieser Stelle die Marginalbemerkung .Die
fraw mag y rvni manne die gerade nicht geben“. In Widerspruch hierzu stellt
eine Bemerkung in der Wurm’schen Glosse (Berlin Kgl. Bibi. Ms. genn.
fol. 434! Bl. 66): „Von der andern gäbe“ — nachdem die Gabe aus Ssp. I 31
§ 1 Satz 2 erörtert ist — „do er hi von spricht Di ist absy irm manne an
irem eigen und an irer uarender habe, daz ist auch an irer gerade und
an irem kistengewande“.
3) So besonders S. 112 No. 1. Übrigens spricht Beb re versehentlich
davon, dal! Martitz eine von Behrend aufgestellte Theorie übernommen
hätte. Das Buch von Martitz ist früher als das von Behrend erschienen,
vgl. die zahlreichen Martitzsehen t'itate mul die Note zu S. 52 bei Behrend.
Kiesel, tiewere ,J
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zu nehmen Dadurch, daß sich der Besitz zu dem, bereits
mit der Trauung dem Manne angefallenen, freien Verfügungsrecht
über die Ungerade gesellte , erhielt der Mann dieser gegenüber
eine Rechtsstellung, die sich praktisch von der eines Eigentümers
in nichts unterschied“ (S. ü(5, f>7). Ich vermag einen Unterschied
zwischen der Rechtsstellung, welche der Mann vor Erlangung
und derjenigen, welche er nach Erlangung der (lewere gegenüber
der eingebrachten Ungerade hat, nicht zu sehen; wenn nach Er-
langung der (lewere seine Rechtsstellung sich von der eines be-
sitzenden Eigentümers praktisch in nichts unterschied, so unter-
schied sie vor Erlangung der (lewere praktisch sich in nichts von
der des nichtbesitzenden Eigentümers. Auch kann ich keinen
Unterschied entdecken in der Rechtsstellung, welche der Mann
gegenüber der in seiner Gewere befindlichen Gerade und der in
seiner Gewere befindlichen Ungerade einnimmt1). Abgesehen
freilich von dem sogenannten Mobiliarerbrecht des Ehemannes und
seiner Verwandten, welches nur an der Ungerade besteht. Die
Magdeburger Schöllen machen allerdings dies Mobiliarrecht in
unzähligen Schöffensprüchen davon abhängig, daß der Ehemann
die Gewere an der Ungerade erlangt hat-), ob aber dieser Grundsatz
den Anschauungen des Landrechts entspricht, ist zum mindesten
zweifelhaft3). In der jüngeren Glosse zu Ssp. I dl (Zobel sehe
•) Man denke nur daran, daß der Mann zu tatsächlichen Verwaltungs-
handlungen berechtigt ist, welche einem eingebrachten Geradestück den
Geradecharakter nehmen, es also seinem Mnbiliarerbrccht unterwerfen, vgl.
Priese- Liesegang S. 043 Nr. 16(1: „so darf Haus Wuchenschnch soten
silberwcrgk das by sines wybes wolmarht verändert und verwandelt ist.
uwer elichen huszfrauwen, «rer techter, zu gerade nicht geben nach
volgen laszen“.
s' llelireud S. 53: „Der eigentliche Grund für die Hechte des Mannes
in bezug auf das Frauengut ist nach dem Ssp. immer die Ehe selbst . . . .
Nur soweit besondere Rechte von der Gewere abhitngen, wie z. 1!. das
Hecht des Mannes auf die fahrende Habe bei Auflösung der Ehe, muß der
körperliche Besitz hinzukommen.
3) Ich befinde mich hier im Gegensatz zu der herrschenden Ansicht,
vgl. Agricela S. 030: „Das Mobiliarrceht des Mannes ist nur eine
Konsequenz seiner Gewere am Frauengut und füllt mit dieser hinweg“;
Marti! z S. 255 ff.: „das sächsische Stadtrecht macht das Erbrecht des
Mannes davon abhängig, daß er die Fahrnis der Frau in seine Gewere
gebracht“.
I
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G7
Ausg. v. 1614 Sp. 312) wird ausdrücklich der entgegengesetzte
Grundsatz ausgesprochen:
„Si tarnen uxor talibus mobilibus sola pro se usa fuisset1),
suut qui putent, illa quoque post suum obitum non ad
maritum sed haeredem proximiorem transmitti. Ita aliquando
D. Henningum consuluisse dicunt per text. art. 76 infr. lib. 3.
Licet falsum hoc esse vel ex vetcri quodam exemplari apparct,
quod in hac urbe Lipsia in bibliotheca Paulina reservatur,
in quo glossae itoc insertum non est, neque etiam id in
practica attenditur d. art. 76 lib. 3 ut qui directe con-
trarium dicit, scilicet quod maritus post mortem suae uxoris
indistincte omnia bona mobilia consequatur“.
Es ist ja ein alter Streit, ob das Mobiliarrecht des Ehemannes
und seiner Erben auf die von der Frau eingebrachte Ungerade
wirklich ein Erbrecht, eine erbrechtliche Wirkung des Güterstandes,
ob es ein eherechtlicher Anspruch ist, oder ob es sich daraus er-
klärt, daß der Ehemann schon wahrend der Ehe Eigentümer ge-
worden ist. Die Juristen des Mittelalters sind sich dieser Frage
garnicht bewußt geworden, und daher ist es nicht verwunderlich,
wenn für jede der eben genannten Möglichkeiten Quellenzeugnisse
sich anführen lassen:
Wasserschieben I S. 346 c. 194:
„die czwu kuhe, gereith geld und ander farnde habe, die
ezu gerade nicht gehört, die noch der frauwin tode blebin
ist, had die verstorbene frauwe mit merem rechte u(T iren
elichin man geerbit, denn uff iren bruder“’).
•) Es handelt sich also um Vorbchaltsgut, um Gut, welches nicht in
die Gewcrc des Mannes gekommen ist
*) Behrc legt sonst alle Quellcnzcugnissc mit peinlichster Akribie
aus (vgl. z. H. S. 40: „Jewelk wif orft diese Hude, die Kade muß also des
Weibes Eigentum gewesen sein“). Um so auffallender ist es, daß er S. 53
gerade diesen Dresdener Schiifl'enspruch, der von der Vererbung der ein-
gebraehten Ungerade auf den Ehemann spricht, als Argument dafür beibringt,
daß „die Ungerade, welche die Frau in die Ehe einbringt, wenn und sobald
sie der Mann in seine (lewere nimmt, in des Mannes Eigentum übergegangen
ist“ (S. 4ß). Bereits Agrieola S. 228 bat den Sehöffensprueh in unserm
Sinne verwendet.
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«8
Schüflenspruch in der Zobel sollen Weichbild- und Lehnrechts-
ausgabe von 1557 Bl. 128:
„Wo der erbteil, den jm sein Schwager mit dem weihe,
seiner Schwester, gegeben, an barschafft, oder andern farenden
habe gewere, so were das aus krafft der Ehe sein, als
des mannes eigen gut geworden .... ander farende habe,
die nicht zu der Gerade gehoert, bleibt jme aus krafft
der ehe billich“.
Gewiß sind dies keine zwingenden Argumente, aber ebenso
wenig sind das die von Behre S. (!() angeführten Schöft'ensprüehe,
aus denen „klipp und klar“ hervorgehen soll, daß der Ehemann
schon zu Lebzeiten der Frau Eigentümer der eingebrachten Un-
gerade werde. „Welch gut unde varnde habe die vrouwe czu iren
manne brachte, daz ire waz, daz was des mannes, unde daz er
brachte uff seine erbin“, mit solchen Stellen laßt sich Eigentum
des Mannes nicht nach weisen. „Die Sache ist mein“ kann be-
deuten „ich habe ein dingliches Recht an der Sache“ oder „die
Sache gebührt mir“ zuweilen besagt es auch nur „die Sache ist
in meinem Besitz gewesen“ '). Ein technischer Ausdruck für „ich
bin Eigentümer der Sache “ ist es nach dem Sprachgebrauch
unserer Quellen nicht. Außerdem stehen der von Behre gegebenen
Interpretation Stellen wie Ssp. III 76 § 2
„stirft dat wif, die man behalt al des wives recht in
der varender liave, sunder dat gebu unde sunder die rade“
strikt entgegen. Die Bemerkung von Behre S. 48:
„Diese Wortfassung, die an und für sich betrachtet zu
dem Schlüsse führen könnte, daß die Ungerade bis zur Auf-
lösung der Ehe im Eigentum der Frau geblieben sei, ist
lediglich aus äußeren Gründen gewählt; denn so konnte das
Schicksal der dem Manne angefallenen Ungerade und der
der Ehefrau verbliebenen Ausstattungsgerade in demselben
') Ks braucht nur an die Fahrnisklage erinnert zu worden, bei welcher
vom Kläger der Beweis „dat dat gut ayn kv“ verlangt wird. Bekanntlich
ist damit nicht der Kigcntuinanachwois. sondern nur der Identitätsnachweis
gemeint, vgl. Lnband. Vermögensrecht! ielm Klagen S. II IS IT. und Herbert
Meyer. Kiitwcrung und Eigentum im deutschen Kahrnisreeht S. 1-ltT.
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69
Satze mit dem denkbar geringsten Aufwand von Worten
dargestellt werden*
läßt sich hören, aber überzeugend ist sie nicht. Viel besser wird
eine Remerkung, wie etwa Haenel in der Zeitschrift für Rechts-
geschichte I S. 287 sie macht, dem Geist unserer Quellen gerecht:
„Wollen wir auch ganz absehen von der Streitfrage, in-
wiefern etwa die fahrende Habe der Frau in das Eigentum
des Mannes übergehe, so wirkt doch das freie Verfügungs-
recht über sie so viel, daß es eines scharfen juristischen
Hinsehens bedarf, um im Tode der Frau einen neuen Erwerbs-
titel zu erkennen. Daher charakterisiert der Ssp. selbst
diesen Vorteil nicht als Erbrecht, sondern als ein Zurück-
behalten, Unberührtlassen: se ne erft nene varende
have wenne rade unde egen in den nesten“.
Gerade im Eherecht, wo ethische Momente mehr als auf
anderen Gebieten mitsprechen, ist das Fehlen straffer Formulierung
der Rechtsbegriffe verständlich. Wie Eike bei der Aufweichung
des ostfälischen Gewohnheitsrechtes diesen Mangel nicht empfand,
so hat auch die Praxis der Schöffenrechtsprechung, ihre Sicher-
heit, ihre Zuverlässigkeit, unter diesem Mangel nicht gelitten.
Nur in der modernen wissenschaftlichen Darstellung des sächsischen
Ehegüterrechtssystems macht er sieh bemerkbar, aber das wahrlich
darf uns nicht verleiten, diesem System, wie es „unausgesprochen“
in unsem Vorvätern lebte, inneren Halt abzusprechen. Die skep-
tischen Schlußfolgerungen, zu denen Martitz gelangt, werden
heute nicht mehr gebilligt. Zum Teil erklären auch sie sich aus
der unklaren Überschätzung der Gewere des Mannes am Frauengut.
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70
Zweiter Abschnitt.
Verfügungsbeschränkung der Ehefrau.
I.
Die Ehefrau bedarf zur Verfügung über eingebrachtes (iut
der Zustimmung ihres Mannes. Dies soll in der Gewere des
Mnnes seinen Grund haben'), wie unter andern aus Ssp. I 45
§ : 2 „durch dat he mit ir in den geweren sit“ hervorgehe.
Es sei demgegenüber auf unsere früheren Erörterungen über
Ssp. I 45 § 2 und I 31 § 2 sowie auf die treffenden Ausführungen
von Bar*) und B ehrend3) verwiesen. Erwähnenswert ist noch
l) Vgl. Martitz S. 258: .Der Ssp. läßt als oberste Folge der ohe-
lnännlichen Gewere eine Beschränkung der Verfngungsfrciheit der Frau cin-
treton“: Agricola S. 105 f. : Zweifelhaft und bestritten sei, „ob demjenigen
der dingliche Klagschutz gebührt, welchem ein Grundstück von dem Eigen-
tümer etc. zwar übertragen, aber nicht zu einem dinglichen Recht und darum
nicht in Form der Auflassung übertragen worden ist. Ich glaube, daß in
diesem Falle der Besitz dem Erwerber einen selbständigen Klagschutz auch
gegen Dritte wenigstens insoweit verleiht, als sein Kecht durch spätere
Dispositionen des Eigentümers selbst beeinträchtigt wird Eine ganz
schlagende Bestätigung erhält jenes Princip gerade im ehelichen Güterrecht,
wo des Mannes Kecht zur Bevocation einseitiger Veräußerungen von Grund-
stücken der Frau ganz ausdrücklich auf seine Gewore an denselben basiert
wird, und diese doch ohne Auflassung von ihm erworben ist“ (S. 107 No. 14).
„Darin, daß unsere ljuellcn dcui Ehemauno ausdrücklich den bloßen
Besitz zusprechen, und dennoch auf diesen seinen Besitz das Kecht zum
Widerspruch gegen einseitige Dispositionen der Frau und die Geltend-
machung desselben auch gegen Dritte stützen, liegt ein neuer Beweis für
den oben S. 107 Nu. 14 aufgestellten allgemeinen Satz über die Gewere*
(S. 140 No. 10). An anderer Stelle wieder sagt Agricola von dem Wider-
spruchsrecht des Mannes gegen eigenmächtige Verfügungen der Frau: „Die
Zurückffihrung jenes Rechts auf seine Gewere bedeutet eben nur die Rück-
führung auf seine vormundschaftliche Gewere. Daß die Gewere als solche
dies Recht nicht involviert, geht schon zur Genüge daraus hervor, daß die
Frau ja auch die Gewere“ (!), „keineswegs aber (bei Mobilien) jenes Recht
dem Manne gegenüber hat“ (S. 178 No. 11a). Daß Agricola hier wieder
die vormundschaftliche Gewere der Gewere „als solcher* vorzieht, stimmt
schlecht dazu, daß er an anderer Stelle, vgl. oben S. 51. die ehemännliche
Gewere als „rein faktischen Besitz“ charakterisiert.
*) Beweisurteil 8. 202.
3) Stendaler Urteilsbuch aus dein 14. Jahrh. S. 53.
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die Umbildung, welche Ssp. I 31 in der Weichbildglosse 'j er-
fahre» hat:
„Ouch so mag eyn wip ane ires Vormunden wille widir
ires gutis vorgebin, noch gelobin, noch vorknuffen, noch vor-
sezin, noch Vorkammern, ane ires mannes loube, das er is
durch recht^ dulden durfTe; unde dis ist darummc das
sie mit eynander ungezweite gutere haben“.
Auch Quellenstellen wie Blume von Magdeburg II '1 c. 140:
„Kein weip mag irs gutis, daz ir man mit ir in uor-
muntschaft intpfangin hab, nicht uorgebin on irs mans laube“
lassen nicht erkennen, daß die Gewere des Mannes Grund oder
Voraussetzung der Dispositionsbeschränkung der Ehefrau ist. Die
Dispositionsbesclminkung tritt vielmehr ipso iure mit dem Abschluß
der Ehe ein und besteht auch in Ansehung derjenigen Bestand-
teile des eingebrachten Gutes, welche sich in der Gewere dritter
Personen befinden. Beispielsweise ist ehemännliche Einwilligung
erforderlich, wenn die Frau auf Niftelgerade, welche ihr ange-
fallen ist, sieh aber noch im Nachlaß befindet, verzichten will.
So beruft sich in dem Rechtsfall bei Friese- Liesegang S. 515
Nr. 7!) der Vater der Frau auf den von ihr erklärten Verzicht
mit den Worten:
„was er gerade behalden had, das habe er gethan mit
der Tochter willin unde eres elichin Vormunden“*).
■) Ausgabe von Daniela-Qrubcn Sp. 313 Z. 52 ff. Die Bedeutung
des Begriffes „Ungczwcithcit“ kommt in dieser Stelle 7.u prägnantem und
korrektem Ausdruck. Ähnlich im Aufsatz von der Beweisung um Lehn und
Leibzucht bei Home^-er Ssp. II I. S. 366: .Doch is der frouwen gut unde
liftucht in ores mannes vorstendige unde herschapp, alle di wilc si beide
leven, wente man unde wif nein gctvcict gut hebben mögen bi
orem levcndc. Woldemen dat di man also an sines wifes gude di her-
schapp an der fruchtbrukingc hebben mach, dat is doch van vormuntsehapp
wegin. “ Auch hier wieder kein Wort von der cbem&nnlichcn Gewere als dem
Grundprinzip des Ehegüterstandes. Agricola S. 126 f. No. 1!) freilich sieht
in den Worten .vorstendinge unde herschapp“ eine „Umschreibung des
technischen Ausdruckes Gewere“.
*) Im Tenor des Schöffenspruches wird vom Vater nur der Beweis
verlangt, daß die Tochter verzichtet hat, nicht auch, daß zu diesem Yer-
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Auch zur Veräußerung solcher Vermögen Subjekte, welche gar-
niclit Gegenstand einer Gewere sein können, ist Konsens des
Mannes erforderlich. Mag ein Verwandter der Ehefrau, dessen
nächste Erbin sie ist, sein Grundstück veräußern, mag ihre ver-
witwete Mutter ihr Leibzuchtsgut aus der Were lassen wollen,
stets bedarf die Frau zur Erteilung des in solchen Fällen von
ihr erforderten Gelofs der ehemännlichen Einwilligung1). So be-
hauptet in dem Rechtsfall bei Wasserschieben II S. 73 ff.
c. 337 die Witwe Kunnen bei der Klage auf Gut, welches ihr
von ihrem verstorbenen Manne vergabt worden sei, daß ihre
Tochter Grete und deren Mann die Vergabung bevollwortet
hätten :
„da lief Grete unde ere man ja tho gesecht“;
Gretes Mann Claus Wyggher bestreitet hierauf prinzipaliter, daß
seine Frau den Gelof, eventuell, daß er zu diesem Gclof seine
Zustimmung erteilt halte:
„oft't Grete syn wiff ichtes wat bevulwordet hadde sunder
synem willen unde wytschop, dat scholc machtlos syn, wente
he er here unde Vormünder ys8)“.
II.
Herbert Meyer hat kürzlich die Frage untersucht, welches
Rechtsmittel dem Ehemanne zusteht , wenn die Frau über einge-
brachte Fahrnis, welche sich in seiner Gewere befindet, ohne sein
Wissen und Wollen verfügt. Solche Mobilien gehören zu den
„abgetragenen“ Sachen, und über deren Behandlung im sächsischen
zieht ihr Ehemann zugestimmt hat. Uieser letztere Beweis wäre auch fiber-
llfissig. denn es ist unstreitig, <iaU der Ehemann das Anfechtungsrecht,
welches ihm, falls er nicht zugestimmt hätte, zustehen würde, nicht aus-
geübt hat.
■) Vgl. hierzu Agricula S. 23G f. Von den dort No. 3 und bei Sjrdow,
Ilarstellung des Erbrechts nach den (Jrundsätzen des Ssp. S. 207 angeführten
Urkunden gehört leider kaum eine dem (ieltungsbereich des ostfälischen
Ehegüterrechls an.
J) l>cr Tenor des SchöfTunspruuhes bringt nicht mit wünschenswerter
1 teilt lichkeit zum Ausdruck, daU die Zustimmung des Ehemannes erforder-
lich ist.
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73
Landrecht sagt Meyer1): „Die Mehrzahl der deutschen Rechte
begnügt sich damit, ohne nähere Begründung einfach die Ane-
fangbarkeit des abgetragenen Gutes festzusetzen“. Als Beweis
hierfür nennt Meyer, ebenso wie schon vor ihm Hertz2), Ssp. III
<i § 1. Die Stelle spricht zwar nur von dem Knecht, aber man
darf sie, darin ist Meyer beizustimmen, unbedenklich auch auf die
Ehefrau und andere Familienmitglieder, welche eigenmächtig die
in der Gewere des Hausherrn befindliche Fahrnis veräußern, be-
ziehen. Die Ehefrau ist ja auch sonst in dem Verhältnis der
Unterordnung zum Hausherrn dem Gesinde gleichgestellt3), und
wenigstens auf die Kinder des Hausherrn wird Ssp. III t! § 1 schon
in der Buch’ sehen und Wurm’ sehen Glosse ausgedehnt.
Oh dem Hausherrn zur Wiedererlangung abgetragener Sachen
nur die schlichte Klage, oder ob ihm auch die Anefangsklage zu-
steht, geht nun aber aus Ssp. III (i § 1 gar nicht hervor:
*) Entwcrimg und Eigentum im deutschen Pahrnisrecht S. 59. Es
heißt allerdings S. 71 f. : „Wenn die Ehefrau ihres Mannes Gut widerrecht-
lich veräußert, so ist cs ihm gewiß ebenso wider Willen aus der Wcrc ge-
kommen, wie bei Veräußerungen durch andere Mitglieder des Hausstandes.
Doch scheint hier der Anfang auf Grund der Entwerung noch weniger all-
gemein Eingang gefunden zu haben, als bei den durch den Sohn oder Knecht
veräußerten Sachen“. Aus Ssp. I 31 § 1 scheint Meyer dann folgern zu
wollen, daß die von der Ehefrau veräußerten Sachen nicht anefangbar seien:
wieso das aus dieser Stelle hervorgehen soll, ist mir nicht erklärlich. Für
das spätere sächsische Landrecht will Meyer anscheinend die Anefangbarkcit
dieser Sachen vermuten, vgl. S. 74: „cs ist von den betreffenden Rechten
anzunchmen, daß sie nach Aufkommen des Rechtssatzes von der Anefang-
barkcit aller wider Willen verlorenen Sachon, auch in unserem Falle den
Anefang in dritter Hand zuließen“.
*) Die Rechtsverhältnisse des freien Gesindes S. 52: „Die Klage kann
schlicht angestellt, sie kann unter Anefang erhoben werden“ (No. 4:
Ssp. III 6 § 1).
3) Ssp. I 52 § 4 : Görlitzer Landrecht 45 § 8. Vgl. Brunner Schöffen-
buch 277 (Rößler, Deutsche Rechtsdenkmäler aus Rühmen und Mähren II
S. 127): „Si mor mariti vel fainulus res domini eo ignorante vendiderit,
dominus venditionem, si ipsain ratam habere nolucrit, rovoeabit, nec unter
vendentein, quod de re tali euni potentem faciat, cum venditio nulla fuerit,
coinpellere poterit via juris“; Westerwoldcr Landrecht XIII § 9 (Rieht
liefen, Friesische Rechtsquellen S. 274): „Van voerspreken. De vader mach
spreken vocr syn kinder, een man voer syn wyf, cn een heer vocr syn
denstknecht sonder bevel“.
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74
„die herre mach it wol weder vorderen mit rechte, deste he
sik dar to tie als recht is“;
Nach den eignen Worten Meyers S. 83, daß „für die Anefangs-
klage stets das Wort anevangen gebraucht wird“, muß man an-
nehmen, daß der Hausherr nur die schlichte Klage hat. Johann
von Huch hat denn auch in der Glosse zu Ssp. III t! § 1 die Ane-
l'angsklagc für unzulässig erklärt:
„Dy here mach yd wol weder vordem. Wy mach yd dv
herre weder vorderen. Eclike seggen: mit anvange
Grave hoyer van valkensteyn wolde dat man
scholde clagen up den knecht Ik
segge yd höret tu deine anvange nicht1). Wan wy
wat anvanget, dy mut tugen selff drudde dat id em gestolen
sy odder ave gerovet, videndum 1. II ar. 3(5. Daromme mach
he ncynen anvang dun, he durf ok vp den knecht nicht
clagen. Wan hir steyt he möge dat perd wol weder
vordem met rechte, hir steyt nicht dat he den
knecht beclagen mach met rechte. Wen he hed des
den heren weder met worden odder met briuen aff
gelegen, noch dy knecht hed em nicht geredet noch
met worden noch met briuen noch met vulbort weder
tu dunde. vnd darumme sprekt he bilker syn ding
an, wan he svk vorlyte up evneclage up den knecht.
Wan uppet ding ys dy clage wysser wan sy up den Per-
sonen sy ff. de regulis iuris plus cautionis“ (cod. Horn. 30).
Zu der durch den Druck hervorgehobenen zweiten Hälfte dieser
Stelle bemerkt Meyer S. (51, man habe versucht, die Vindizier-
barkeit abgetragener Sachen zu erklären, indem man von dem
Satze Hand wahre Hand ausging; „so bemüht sich schon der
Glossator, nachzuweisen, daß dieser Satz hier keine Anwendung
finden könne, weil kein Vertrag mit Rückfallgeding, keine commen-
datio vorliege“. Meyer nimmt die Äußerung des Johann von
Huch wohl etwas zu gewichtig. Es handelt sich doch nur um
eine beiläufige Widerlegung der vereinzelten Ansicht des jüngeren 2)
') Dieser Passus ist an der von Meyer S. S9 citierten Stelle (de tiee’r
11 S. 1 .'!!•) abgedruckt.
3) Vgl. Homcyer Ssp. 3. .Ausg. S. 7 Note.
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Grafen Hoyer von Falkcnstein, welcher den geschädigten Hausherrn
auf einen Ersatzanspruch gegen den ungetreuen Hausgenossen
beschränken wollte. Eigentlich ergab sich ja die Vindizierbarkeit
abgetragener Sachen von selbst, da dem veräußernden Haus-
genossen mit der Gewere auch die Legitimation zur Veräußerung
fehlte. —
Auf Agricolas Ansichten brauchen wir an dieser Stelle
kaum einzugehen. Mit dem vermeintlichen besonderen Rechts-
inhalt der Gewere zu rechter Vormundschaft hat das Rück-
forderungsrecht des Ehemannes nicht das mindeste zu tun. Das
zeigt sich schon daran, daß die dingliche Klage dem Hausherrn
in genau der gleichen Weise zusteht, wenn es sich um seine
eigene Fahrnis handelt, welche sich in Händen der Frau befand
und von ihr veräussert worden ist. In beiden Fällen ist Grund-
lage des Herausgabeanspruches das dingliche Recht des Ehemannes,
sein Eigentum an den eigenen, sein Dispositionsnießbrauch — in
Eikes Sprache sein Recht zu Vormundschaft — an den von der
Frau eingebrachten Mobilien. Daß sich formell die Klage des
Hausherrn auf seine frühere Gewere stützt, ist nichts dem System
des ehelichen Güterrechts Eigentümliches.
IU.
Neuerdings haben einzelne Autoren sich dadurch, daß das
Mittelalter die personenrechtlichen und vermögensrechtlichen Befug-
nisse, welche der Mann durch die Eheschließung erwirbt, unter
dem Namen „Recht zu Vormundschaft“ zusammenfaßt, dazu ver-
leiten lassen, das Rttckfordeningsrecht des Mannes mit Geschäfts-
unfähigkeit der Ehefrau zu begründen '). Sie setzen sich damit
*) Herbert Meyer S. 72 — 74: „Im übrigen ist überall deutlich die recht-
liche Stellung der Frau als Begründung für das Kückforderungsrecht des
Mannes angegeben Ssp. 131 § 1 Culm V 57 Magdeburger
Schöffenspruch Meist wird jedoch der Frau eine beschränkte Geschäfts-
fähigkeit zugestanden Her Ausgangspunkt fnr das Kückforderungs-
recht des Mannes ist bei allen oben angeführten Stellen sicher die mangelnde
oder beschränkte Geschäftsfähigkeit der Frau“; Bartsch, Hie Rechts-
stellung der Frau als Gattin und Mutter S. 87: „Zu Rechtsgeschäften ist die
Unverheiratete im Gegensatz zur Ehefrau handlungsfähig“ (No. G: Ssp. I 45
§ 2), S. 92: „Am stärksten tritt die eheherrliche Vormundschaft im Ver-
mögensrecht zu Tage Die Frau ist auch in bezug auf ihr eigenes Gut
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in Widerspruch zu der gesamten bisherigen Literatur, die sich
bezüglich dieser Frage in ungewohnter Übereinstimmung befindet ')•
Dali es dem System des sächsischen Land rechts nicht entspricht,
das dingliche Recht des Ehemannes am eingebrachten Gut in die
Retlexwirkungen einer Geschäftsunfähigkeit der Ehefrau aufzulösen,
sagt schon Johann von Buch in der Glosse zu Ssp. III 76:
„Offt syt eyme gefft met erer eruen willen ane eres mannes
wille, Segge dy gave schege vnd is stede, sy ne vromet nur
deine sy gegeuen was nich er, dat wyff en sterue; vnd dy
nut en bliuet des mannes, dy wile sy leuet, vnd wan sy
steruet so wert id . . .*) demc is gegeuen was, und nicht
der eruen, dorch dat sy id gevulbordet hedden“ 5).
handlungsunfähig: sic kann ohne Zustimmung des Mannes keine kontrakt-
lichen Yerjitlichtungen eingehen“ (S. 93 No. 3: .... Ssp. I 31 § 1 45 § 2 . . . .).
') Vgl. z. I!. schon Finaler, De obligationc uxoris circa solvenda
mariti debita (1822) S. 12, 17: „Quantum ad uxoris facultatem agendi siiui-
miini accipio principiunt: uxori omnia licere, modo mariti condicionein du-
tcriorem non faciat, jusque eins, omnia quac uxoris sunt possidendi atque
administrandi , illaesum servet, undc sequitur, omnes actus, qui maritum
dominio alicujus rei aut certe possessionc privarent, uxori esse intcrdictos.
l'xor nil alienarc polest, ncc mariti rem, nec suam Entere potost
nxor, sed pretium non solvorc. tpiia alienarc nequit". Agricola S. 117 No. 4:
Als eine der bedeutendsten Abweichungen des neuen sächsischen Rechts,
welche es zum alten in einen wesentlichen Gegensatz bringe, könne gelten
ilie Aullassung der Frau als durch die Elle in ihrer Handlungsfähigkeit be-
schränkt. Ferner Köhler, .labil), f. Dogm. XXIV S. 205: „Die Frau kann
über die dem (xenußrechtc des Mannes verfallenen Eigentumsobjekte nicht
disponieren, ihre Dispositionen sind ungültig, gegenüber dem Ehemanne,
aber auch nur gegenüber diesem: sio sind nicht etwa ungültig, als ob der
Ehefrau die Handlungsfähigkeit fehlte, sie sind ungültig, sofern sie sich am
Rechte des Mannes brechen, sie können das Recht des Ehemannes nicht
kränken, sic übertragen eben auch die nuda proprictas nur vorbehaltlich des
Rechtes des Mannes — ganz ähnlich, wie verpfändetes Eigentum nur salva
hypothoca veräußert werden kann“. Vgl. zuletzt noch Hcinshcimer, Das
Recht des Mannes am Vermögen der Frau S. 94.
’) Ein Wort unleserlich.
*) Cod.Hom. 30. Noch in der letzten Zobelschen Ausgabe von 1614
Spalte 1G81 ist diese Glossenstelle erhalten. Erwähnt sei hier eine sehr
verständig formulierte Anmerkung, welche Menius zu Ssp. 1 31 macht
(2. Zobelsohe Ausg. v. 1561 RI. 97): -Pro declaratione huitis textus nota, quod
titulier citra consensum sui mariti nihil disponere potest in bonis ad eum
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Auch die Rechtsprechung der Magdeburger Schöffen bringt klar
zum Ausdruck, daß einseitige Dispositionen der Frau über ein-
gebrachtes Out unwirksam sind nur weil und soweit sic das ding-
liche Nutznießungsrecht des Mannes verletzen:
Wasserschieben II S. 55 c. 1*>4:
„Eyn man nam eyne frowe to der ee, umle er starff dama
gudh van erem vader unde heft dat gegeuen evnen papen
tho zelegherade, des heft er man darieghen gevraghet, oft
sze jemande geuen möge ane synen willen, nademmale dat
he er Vormünder ys1 * 3). H_yr np etc.: Dat de frowe de
frucht des angestoruen eines nicht vorgeuen mach ane
eres mannes wylle, sunder de man mach sick des gudes
myt er bruken in Vormund erscop, de wile sze leuet“.
Insbesondere stellt bei der Veräußerung eingebracliter Liegen-
schaften die Mitwirkung des Ehemannes sich nicht nur als gericht-
liche Beistandschaft, sondern als Ausübung und Wahrnehmung
seines dinglichen Rechtes dar*).
Nur eine Konsequenz der eben als irrig zurückgewiesenen
illatis, per quod aliquo modo ususfructus sibi indc debitus
possit attenuari“. Freilich ist in der späteren Glossenlitcratur auch
häufig der richtige Gesichtspunkt verkannt worden: so in der Weichbilds-
glosse bei Daniels-Gruben 1858 Ssp. 296 Z. 6 — 13 (vgl. die ganze höchst
merkwürdige mit römischrechtlichen (’itaten gespickte Stelle Sp. 294 Z. I —
Sp. 296 Z. 33); dort wird der Pfaffe, dem die Ehefrau ohne Einwilligung des
Ehemannes die Gerade gegeben hat, nach dem Tode der Frau zur Heraus-
gabe an die Niftel verurteilt. Biese Entscheidung entspricht bekanntlich auch
den Grundsätzen des modernen Hechts. Schon Suarcz erklärte es für
selbstverständlich , daß die Frau ohne Einwilligung des Mannes auch nicht
salvo usufrnctn maritali veräußern könne, vgl. Hoinsheimcr, Das Recht
des Mannes am Vermögen der Frau S. 25 No. 29.
l) Auch hier also kein Wort von der ehemännlichen Gewere als dem
Grunde der Verfügungsbeschränkung.
3) Bewer, Mala Traditio Vestitura S. 16 f.: „Bei den Grundstücksver-
äußerungen der Kiuder und der Frau ist das Vollwort des Vormundes nicht
bloß formell für das Rechtsgeschäft und die Autlassung wesentlich, sondern
auch materiell. Denn der Vormund, welcher an den Gütern seines Mündels
selbst diliglich berechtigt wird, begibt sich durch die Veräußerungen
der Frau eigener Rechte.“
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Ansicht wäre es, wenn die Befugnis des Ehemannes zur gericht-
lichen Geltendmachung der zum eingebrachten Gut gehörenden
Rechte auf die Prozeßunfähigleit der Frau zurückgeführt würde1).
Mit den Quellen ließe sich dies nicht vereinigen. * Der Ehemann
erscheint dort zur gerichtlichen Geltendmachung nicht nnr als
Prozeßvertreter der Frau, sondern auch kraft eigenen Rechtes am
eingebrachten Gut legitimiert*). Am deutlichsten zeigen dies
diejenigen Schöffen Sprüche, in denen er gleichzeitig im Namen
der Frau und in eigenem Namen auftritt:
!) So Agricola S. 140 — außer für den Fall eigenmächtiger Ver-
fügung der Frau über cingebrachtes (Jut — ; ferner Sulun, Eheschließung
S. 93 f. : „Sobald wir in die Zeit der Reehtsbücher eintreten, geht
die Entwicklung darauf hinaus, auch die eheherrliche Vormundschaft zu
einer bloßen Prozeßvormundschaft abzuschw Achen Die
Übergangsstufe stellt der Ssp. dar“. Ebenso, allerdings nur für das Magde-
burger Recht, Behren d. Stendaler Urteilsbuch S. 54: „Das aus der Ehe
selbst hervorgehende Mundium wird beschränkt auf die Gcrichtsvormund-
scliaft in streitigen Sachen, d. h. auf die Legitimation des Mannes zur Pro-
zcßführung im Namen der Frau. Dies ist keine eigentliche Gewalt
über das Vermögen, sondern mehr ein persönliches Schutzverhältuis. Die
Einschränkung ist dem Ssp. fremd“. Für die im Test vertretene entgegen-
gesetzte Ansicht hat sich Heuslcr, Inst. II S. 380 entschieden.
*) Man wird sich nicht wundern, über diese immerhin schwierige Frage
mehr theoretischer Natur keine Erörterung ex professo in den Quellen zu
linden. Wenn es immer wieder heißt, daß der Ehemann „in Vormund-
schaft“ seiner Ehefrau klagt, so kann damit sowohl gemeint sein, daß er
seine Frozeßlegitimation auf sein dingliches Recht am Frauengut stützt,
als auch, daß er sie auf seine Eigenschaft, als gesetzlicher Prozcßvormuud
der Frau gründet. Die dritte Möglichkeit ist schließlich, daß unter Vor-
mundschaft in solchen Fällen der ganze einheitliche Komplex sachen-
rccbtlicher und pcrsoncnrcchtlicher Befugnisse, welche der Mann durch die
Trauung erwirbt, verstanden wird. Ein vereinzeltes und wohl nicht sehr
stichhaltiges Zeugnis zu Gunsten der zweiten Möglichkeit bietet die Bock s-
dorffschc Gcrichtsformel in der Zcitsclir. f. Rechtsgesch. I (18G2) S. 4IÜ:
„Bi quis agit nomine alieno, puta tutorio nomine, sic ponat: Disz sint
schulde anclagc vnd gerechtikeyt die ich H. burger zeit L. in vormund-
schafft K. myner elichcn huszfrawen habe, gebe, seteze vnd thu
widder den gestrengen man N. zeu B. gesessen“. Auch in den im Text
erwähnten zwei Schöffensprüchen bei Friese- 1, iesegan g ist die Klage,
welche der Mann in Vormundschaft seiner Frau anstrengt, eine Klage in
fremdem Namen, da sie der Klage „von seinetwegen“ gegenübergestellt
wird.
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Friese-Liesegang S. 52 Nr. 22:
„Unsen fruntliken grut tovom. Erszamen besundern guden
frundes. So gy uns Brictius Beckers in formuntscliaft
Walburgen und Metten, Clausz Beckers, synes bruders
seliger, kindere schulde und gerechticheyt und Steffen Feth-
kols von synet und von formuntschop wegen Jden,
syner elikenhusfrouwen, wereword und antwerde gesant
und uns recht dar up to spreken gebeten hebbet etc., . . . .“
Ebend. S. 75 Nr. 31:
„Nach den schulden, thospruken, anclagen unde gerech-
ticheyden Hans Bomhauwers, borgers tliome Groten Solte,
vor sick unde in vormuntschap Ilsen, syner eeliken
husfrouwen, “
In einem Rechtsfall bei Wasserschieben I S. 207 — 214 '), klagt
Graf Otto von Orlamflnde aus einem zum eingebrachten Gut
seiner Ehefrau Agnes gehörenden „Anlassbrief“ gegen Graf Hon-
steyn, und es wird vom Klager gesagt, er habe
„scyne und seynes weybes gerechtikeyt die sie von
der briffe wegin habin mögen nicht vorworcht und verloren“,
und ferner, er habe
„von seynes elichen weybis wol macht ir schulde und
czinse zcu irmanen und dovor czu n einen gut unde
habe was ym behagitte das mus sie ouch noch stete
lialdin noch seyme toile“.
') Oer Itechtsfall ist leider, da die Parteivorträgc nur unvollständig
wiedergegeben sind, nicht in allen Einzelheiten klar. Es scheint sieh um
mehrere zum eingebrachten Gut gehörende Forderungen zu handeln
(S. 207 : der Kläger muß Gcwcrc geloben wegen „der schulden und yczlicher
besundern“, S. 213: „uff die dritte schult“, S. 214: „uff die vyrdc schult“);
die Schöffen tonorieren zu Gunsten von „graffen otten orlcmundc und agniszen
seyner hawsfrawen“ (S. 211), daß cs sich aber wirklich um Forderungen der
Ehefrau undh nicht etwa um den Ehegatten gemeinschaftlich zustchond
Forderungen handelt, ergibt sich aus S. 209 („Graffe otto ir elicher herrc
rii mag do nicht wodir mit sulchen artikcln und helffreden die her do kegea
gesaezt hat Sintdcmmal das is gesellen ist vor der czeyt ir sie ym zcu
der ee gegeben wart“).
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80
Dritter Abschnitt.
Veräusserungsrecht des Mannes und Nichthaftung des Frauen-
gutes für des Mannes Schulden.
I
Nach sächsischem Landrecht ist der Ehemann bei der Ver-
butterung eingebrachter Fahrnis an die Einwilligung der Frau
nicht, gebunden. Die Frage ist, ob diese Vcrfügungsfrciheit mit
der Gewere, welche der Mann über das eingebrachte Gut erhält,
zusammenhängt.
Die Gewere verschafft dem Manne formale Verfügungsmacht.
Er hat die Legitimation für den Hechtsverkehr, die Machtvoll-
kommenheit, eingebrachte Fahrnis mit voller Wirkung an Dritte
zu übertragen. Der Dritte, welcher eingebraehtes Gut vom Ehe-
mann erwirbt, würde, selbst wenn er die Illatenqualität kennt,
vor jedem Anspruch der Frau auf Herausgabe geschützt sein, da
die wirkliche Hechtslage in Ansehung des ihm übertragenen
Gegenstandes der Offenkundigkeit entbehrt.
Falsch wäre es, aus dieser translativen Funktion der Gewere,
aus dieser Verfügungsmacht, eine Verfügungsbefugnis zu folgern').
Als Inhaber der Gewere steht der Ehemann zu dem eingebrachten
Gut in demselben Rechtsverhältnis wie der Entleiher und Ver-
wahrer zur anvertrauten Sache; sie sind zur Verfügung legitimiert,
aber nicht berechtigt. Wenn die Befugnisse des Ehemannes über
die eingebrachte Fahrnis weiter gehen ' als die eines Entleihers
oder Verwahrers, so ist das ans der Gewere schlechterdings nicht
zu erklären, sondern nur aus der Art des dem Ehemanne zu-
stehenden Rechtes am Frauengut. Bereits Pauli*) hat das be-
’) So noch neuerdings Gürgens, I)ic Lehre von der ohclichcn Güter-
gcmcinschaft nach Inländischem Stadtrecht (18SIS) S. -17: „Sieht man zu-
vörderst auf das VeräuUerungsrecht des Mannes, so ist dasselbe in bezug
auf die von der Frau offerierte Fahrnis unbeschränkt. Dieses ist eine
konsequente Folge davon, daß sie solche aus ihrer (iewähr gelassen und sie
dem Manne anvertraut hat“.
*) Abhandlungen aus dein liibisclicn Rechte II 8.30. Vgl. Albrecht,
Gewere S. ‘277: „Die Ähnlichkeit der Gewere z. r. V. mit der Gewere zu
treuer Hand ist unverkennbar: der wesentliche Fntersehied zwischen beiden
liegt darin. dalJ das liecht des Mannes den Charakter der selbständigen
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8t
tont, und selbst Agricola, der sonst in der Gewere des Mannes
die Grundlage des sächsischen Ehegüterrechtssystems sieht, ist,
wenn auch auf falschem Wege, zu dem gleichen Resultat gelangt.
Er argumentiert folgendermaßen'): Der Mann sowohl als die
Frau habe eine Gewere am eingebraehten Gut; verfüge also der
Mann einseitig über Mobilien der Frau, so sei sie wider Willen
der Gewere verlustig geworden und könne sich prima faeie der
veräußerten Sachen nach allgemeinem Grundsatz unterwinden;
wenn die Frau dies Revokationsrecht auffallender Weise nicht
habe, so könne das nur als eine Wirkung des die Grundlage der
Gewere bildenden Rechtes angesehen werden*).
Daß der Ehemann nach sächsischem Landrecht zu freier
Verfügung über die eingebrachte Fahrnis nicht nur durch seine
Gewere legitimiert sondern kraft seines dinglichen Rechtes auch
befugt ist, wird zwar in thesi nirgends in den älteren Quellen
ausgesprochen, ergibt sich aber daraus, daß er für eigenmächtige
Veräußerungen Ersatz nicht zu leisten braucht3).
II.
Es ist vielfach als selbstverständlich angesehen worden, daß
das eingebrachte Gut, soweit es der Veräußerungsbefugnis oder
eigenen Befugnis nicht bloß gegen die Außenwelt, sondern auch nach Innen,
d. h. im Verhältnisse zur Frau, behauptet“.
') S. 296. Ebenso schon vorher Martitz S. 140: An sich müßte der
Frau das Hecht zustehen, die vom Manne einseitig veräußerte Sache bei
jedem Besitzer pretio non refuso zu vindicieren, „denn die Gewere, in der
sie mit ihrem Gatten sitzt (Ssp. I 4.j § 2) ist ihr ohne ihren M illen durch
diesen entfremdet worden“; da sie diesen Vindikationsanspruch nicht habe,
„so ist damit die Veräußerung als rechtmäßig erklärt“.
3) Agricola hat sich freilich an anderer Stelle S. 320 f. nicht gescheut,
das Fehlen der Ersatzpflicht aus dem Prinzip der beim Mann vorhandenen
Gewere am Franengut zu erklären: vgl. auch S. 72: „Wem die Gewere
rechtlich zukommt, dem wird damit ein Hecht auf Disposition zu-
gesprochen“.
3) Vgl. besonders Martitz S. 140 und Heuslcr, Inst. II S. 5 no. 5,
S. 18 f. Auch Roth, welcher in Bekker't und Muthcr's Jahrb. d. gern,
deutschen Hechts 111 8.318 mit Eichhorn, Deutsche Staats- und Rcehts-
geschichte 5. Auflage II S. 685, K raut, Vormundschaft II S. 461, 473 f. und
Sandbaas, Fränkisches chel. Güterr. S. 80 Krsatzpflicht des Mnnncs annahm,
hat in der Zeitachr. f. vgl. Kechtsw. 1 8. 55 den Standpunkt gewechselt.
Vgl. ferner Haenel. Zeitsehr. f. Kecbtsgesrh. I (1861) S. 281 no. 25.
Kies *1. Oewere 6
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Veräußerungsmacht des Ehemannes unterworfen ist, auch seinen
Gläubigern als Exekutionsobjekt hafte'). Hierbei ist außer Acht
gelassen, daß die dem Manne eingeräumte Gewalt sich unter der
stillschweigenden Voraussetzung rechtfertigt, er werde nicht anders
als im Interesse der ehelichen Gemeinschaft von ihr Gebrauch
machen. Dieser Gedanke ist zwar in einem erzwingbaren Rechts-
satz nicht zum Ausdruck gekommen, aber das ist nicht ver-
wunderlich, der Spiegler vermeidet es auch sonst, „mit kahler
Rechtsformel dort einzudringen, wo die lebendige Sitte allein-
herrschend war“ *). Die Machtvollkommenheit des Ehemannes
ist diskretionärer Natur, an der äußersten Ausnutzung hemmen
ihn sittliche Motive. Von seinen Gläubigern dagegen ist eine
Rücksichtnahme auf die Interessen der Ehefrau nicht zu erwarten.
Die Parallele zwischen Veräußerungsrecht oder Veräußerungsmacht
einerseits und Schuldenhaftung andererseits ist daher keineswegs
selbstverständlich 3).
Im Sachsenspiegel fehlt es an einer ausdrücklichen Bestimmung,
ob das eingebracbte Gut den Gläubigern des Mannes haftet.
Ssp. II 31 § 3 „Nieman mach verwerken enes anderen mannes gut,
of lie't under ime hevet“ hat nur strafrechtliche Bedeutung, wie auch
aus den kasuistischen Erörterungen der Buch’schen und Wurm-
sehen Glosse zu dieser Stelle hervorgeht4). Der Aufsatz von
■) So Hasse, Zeitschrift für gcschichtl. Rcchtswissensch. IV S. 84;
Martitz S. 153, 158, 303: Sohin, Gött. gel. Anz. v. 1887 S. 1904; Stobbc,
Hamlb. d. deutschen Privatrechts 1. Aull. IV S. 79 f.: Gürgens, Dorpatcr
Zoitschr. f. Rcchtswissensch. IV S. 30: „Güter, die der Mann nach freiem
Heliebcn veräußern kann , lassen sich der Disposition seiner Gläubiger
nicht entziehen“; Gürgens, Die Lehre von der ehelichen Gütergemeinschaft
nach inländischem .Stadtrecht S. 9, wo bei der Darstellung des Ssp. = Rechtes
gesagt wird: „Für die Schulden des Mannes ist das Vermögen der Kran
soweit verhaftet, als seine Vcräußcrungsberechtigung hinsichtlich ihres Gutes
reicht: ihre Mobilien können daher von den Gläubigern für seiue Schulden
in Anspruch genommen werden“.
3) Martitz S. 89.
*) Dies hat Agriculu S. 384 ff., 384, 392 richtig nusgeffthrt. Ihm
schließen sich Schröder, Gesell, d. ehel. Güterr. II 3 S. 285 f. und Köhler,
Juhrb. f. Dogtn. XXIV' S. 202 f. an.
4) Die Behauptung von Herbert Meyer, Entwcrung und Eigentum
S. 79 no. 10. der Grundsatz, daß niemand fremde Sachen verwirken könne,
werde mehrfach von seiner anfangs strafrechtlichen Bedeutung auf Schulden-
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s.3
der Beweisung um Lehn und Leibzucht1) spricht nicht von exe-
kutivischem Zugriff auf das Frauengut, sondern nur davon, ob
der Ehemann berechtigt ist, es seinen Gläubigern auf rechts-
geschäftlichem Wege an Zahlungsstatt zu geben:
„Woldemen dat dy man also an sines wyves gude dy
herschapp an tler fruchtbrtikinge hebben mach, dat is doch
van vormuntschapp wegin; dar vnnne so mach he des gudes
nicht versetten, verkopen, noch vor sine schulde edder broke
wech geven“.
Unvereinbar mit den Prinzipien des Güterstandes der ehe-
männlichen Verwaltung und Nutznießung wäre die Haftung des
Frauengutes für die Schulden des Mannes nicht*).
Die eingebrachten Liegenschaften kommen, wenigstens zur
Zeit des Ssp., als Haftungsobjekt nicht in Betracht. Denn wegen
privater Schulden gibt es keine Fronung, sie wird nur wegen
Gewedde und Wergeid, und auch da erst nach Erschöpfung der
Fahrhabe zugelassen. Nach anderer Ansicht sind zwar die in
Ssp. II 41 aufgestellten Grundsätze auf alle persönlichen Ansprüche
auszudehnen’), aber auch hiernach würden die eingebrachten
Grundstücke immer nur als subsidiäres Vollstreckungsobjekt in
haftung übertragen, würde für das sächsische Landrecht nicht zntreffcn.
Xoch in der Blume von Magdeburg 112 c. 180 steht dieser Grundsatz unter
strafrechtlichen Bestimmungen, und in den Magdeburger Kragen findet er
sich in c. 6 d. 3 des dritten Buches, welches „von mancher hande ungcrichte:
also totsiege, wunden, dube, wegeloge usw.“ handelt.
') bei Homeyer Ssp. II 1 8.366.
*) Gleicher Ansicht Gürgens, Dorpater Zeitschr. f. Rechtswissensch.
IV S. 19: Der Koditikator des ostsceprovinziellen Rechts habe einen Fehler
begangen, wenn er sich dadurch, daß im Güterrecht der Inländischen
Städte die Gesamtmasse für die Schulden des Ehemannes hafte, habe ver-
leiten lassen, dieses Gütcrrccht als Gütergemeinschaft zu bezeichnen:
allerdings sähe die Praxis in der Haftung der Gesamtmasse für die Schulden
des Mannes ein Merkmal der Gütergemeinschaft.
s) Sn Albrecht, Gewere S. 46 no. 89 a: „In anderen Stellen wird
die Pfändung (seil, der Fahrnis) allein genannt, als Beweis, daß sie das
Erste war, wozu man schritt“; ebenso Meibom, Bus Deutsche Pfandrecht
S. 106, Martitz S. 153 zu no. 4 und Eckert, Der Fronbote im Mittelalter
S. 53. Die Ansicht des Textes vertritt Schwind, Wesen und Inhalt des
Pfandrechtes S. 25.
6°
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84
Betracht kommen. Jedenfalls stellt also im Vordergrund des
Interesses die Frage der Fahrnishaftung.
Sandhaas1) hat bezüglich der fraulichen Fahrnis behauptet,
der Mann sei für eigenmächtige Veräußerungen ersatzpflichtig, zu
Veräußerungen ohne Einwilligung der Frau also nicht berechtigt;
trotzdem hafte das eingebraehte Gut für die Schulden des Mannes.
Vielleicht hat Sandhaas hierbei ein sehr richtiger Gedanke
vorgeschwebt. Soweit es sich nämlich um die eingebraehte Fahrnis
handelt, könnte man fragen, ob sie nicht schon allein deshalb,
weil sie in der Gewere des Mannes sich befindet, seinen Gläubigem
als Zwangsvollstreckungsobjekt preisgegeben ist. Wir berühren
hiermit eine interessante Frage des deutschen Fahrnisrechts: Soll
die dingliche Klage des Eigentümers, der einem Anderen Fahrnis
anvertraut hat, nicht ebenso ausgeschlossen sein, wenn die Gläubiger
des Anderen sie unter ihrem Schuldner pfänden, als wenn der
Andere sie den Gläubigem an Zahlungsstatt gibt? Nach der
Formulierung von Huber*), „wer die Gewere hat, gilt als legiti-
miert, das dingliche Recht, dem sie Ausdruck gibt, sowohl aktiv
als passiv geltend zu machen“, möchte man die Frage bejahen *).
') Fränkisches eheliches Gäterrecht S. 80: „Da nämlich der Mann über
Mobilien der Krau Dritten gegenüber frei verfügte, nur mit der Maßgabe, daß er
der Krau zum Ersatz verpflichtet wurde, so bildeten dieselben (immer nur unter
der ltedingung der Krsatzpflicht des Mannes) auch ein Kxckutionsobjekt zu
Gunsten der Gläubiger des Mannes“. Diese Ausführung bezieht sich zwar
mir auf das ältere fränkische Khegütcrrechtssystem, würde aber auf das des
Ssp. ebenso gut passen.
*) Gewere S. 49.
3) So bezeichnet Herbert Meyer, Neuere Satzung von Fahrnis und
Schiffen S. 104 ff. es als „Folge eines allgemeinen Grundsatzes des
deutschen Sachenrechts“, dafl bei neuerer Satzung an einer Mebilie
das Pfandrecht, „einem anderen Gläubiger gegenüber, der die Mobilie im
Besitze des Schuldners pfändet“, versagt; „dem pfändenden späteren Gläubiger,
der die Pfandsachc im Vertrauen auf das durch die Gewere legitimierte
liecht des Schuldners an der Sache als Kxokutionsobjekt beanspruchte,
konnte deren frühere Verhaftung mangels Kündbarkeit dieser Pfandver-
strickung nicht entgcgengehalten werden Dieser Bechtszustand kann
für alle übrigen deutschen Itechtsgcbiete (soweit sie nicht eine erhöhte,
durch Publizität bewirkte Bindung der Pfandsache kennen) als bestehend
angenommen werden“. Meyer stellt es also als ganz selbstverständlich hin.
daß die Kahrnisgeworc die Funktion eines soebenrechtlichen Legitimations-
mittels auch zu Gunsten der vollstreckenden Gläubiger des Gewereiuhabera
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Die mittelalterlichen Quellen haben die Frage verschieden
beantwortet1). Seihst innerhalb des sächsischen Rechtsgebietes
habe. Demgegenüber sei erinnert an die Bemerkungen von Goldschmidt,
Zeitschr. f. d. ges. Handelsr. VIII S. 2.3.5: „Nur ganz ausnahmsweise
haften die noch im Besitz des ersten Empfängers befindlichen Sachen dessen
Gläubigern“ und von Bar, Beweisurteil S. 1.53 no. 262: „Daher können auch
nach den meisten Hechtsquellcn die Gläubiger des Kommodatars sich
nicht an die geliehenen Sachen halten“, ferner an die mühevolle Unter-
suchung, welche Franken, Das französische Pfandrecht im Mittelalter I
S. 272 IT., 292 ff. der Frage gewidmet hat, ob wir es bei der Nichthaftung der
geliehenen Sachen für Schulden des Kommodatars wirklich mit einer Aus-
nahme zu tun haben: auch ist I! lun sc hl i, Staats- und Kcchtsgcschichtc
der Stadt und Landschaft Zürich 11 S. 105 zu nennen, der aus — freilich
unzutreffenden — allgemeinen Erwägungen heraus den Kommodauten zur
Exekutionsintervention verstauet: „War auf Seite des Eigentümers ein äclites
Vertrauen vorhanden, als er die Sachen an einen andern übergab, und dieser
veräußerte die anvertrauten Sachen, aber nicht, weil er jenes Vertrauen
mißbrauchte, sondern indem er einem äußeren Zwange nachgab (z. B. diese
Sachen werden trotz seinem Widerspruche durch den Bechtstrieb ge-
pfändet), so kann auch hier wieder der Eigentümer die so veräußerte
Sache frei ansprechen. Der Mißbrauch seines falschen Vertrauens trifft eher
ihn, als dun unschuldigen dritten Erwerber: aber wenn kein Mißbrauch
seines Vertrauens vorhanden ist, sein Vertrauen somit auch nicht ge-
täuscht wird, so kann auch von keinen Folgen eines Mißbrauchs die Rede
sein“. Besonders merkwürdig ist, daß Meyer den „allgemeinen Grundsatz
des deutschen Sachenrechts* auf eine Stelle aus König Ludwigs oberbaierischem
Land- und Stadtrecht stutzt. Denn aus dem sogenannten Anhang zu diesem
Hechtsbuch § 33 (abgedruckt bei Heumann, Opuscula, Norimbcrgac 1747,
S. 152 f., besprochen bei Albreclit, Gewcre S. 92 no. 192 c und Meibom
Das deutsche Pfandrecht S. 64 no. 112a f.) geht klar hervor, daß für baierisches
Hecht von einem solchen allgemeinen Grundsatz keine Hede sein kann:
„Wer guett hin leicht vmb Ion, oder vmb tzins, oder durch trew . . . , ehöm
ycinan an jenem dem es gelihn ist, vnd wolt im daz gut nemen mit dem
rechten vmb gelt, so sol es iener versprechen des avgen es ist“. Die ab-
weichende Kugelung bei neuerer Satzung erklärt sich also in der Tat —
entgegen Meyer — aus einem Mangel im Hechte des Pfandgläubigers.
■) So schon Albreclit, (lewere S. 92. Unerfindlich ist, weshalb
Meibom, Das deutsche Pfandrecht S. 62 sich gegen Albreclit wendet:
„Fremde Sachen im Besitze des Schuldners, welche er nicht veräußern
durfte, konnten von seinen Gläubigern nicht zur Exekution gezogen werden.
Diesem dem einfachsten Hechtsgefühl unmittelbar einleuchtenden Satze ist
auch für das ältere deutsche Hecht nicht bloß partikuläre, sondern
allgemeine Geltung zuzuschreiben“: einige Zeilen weiter, S. 63, heißt es
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ist keine Einheitlichkeit. Für eine einzige Stadt wie Nordhausen
sind die widersprechendsten Regelungen bekannt:
Eine Nordhäuser Oberhofentscheidung für Frankenhausen ')
gewährt dem Eigentümer die Rückforderungsklage gegen den
Gläubiger des Gewereinhabers:
„Ein smed leit dem andern zu hülfe sine balge umsus.
Under des entran die, der die balge in lieude hatte. Des
quam der huswert, und wolde die balge phende vor sinen
huscins. Umme daz quamen sie beider siet vor unse herren,
die onschieden sie also: Liet ein dem andern durch
fruntschaf des sinen ettewaz, und wert daz gephand dorch
des willen, deme ez gelegen ist, so mag die, des daz ding
ist, daz sine wol uz zien ufle den heiligen“.
Eine Goslarer Oberhofsentscheidung für Nordhausen -') ver-
sagt dem Eigentümer die Rückforderungsklage:
„Ab ein dem andern varnde habe lege, und sie dem abc
gephant wirde, spreche wie vor recht, daz die, die sie vor-
legen hat, an nimande dicheine vorderunge getun mag, den
an deme, dem he sie gelegen hat“.
Im Stadtrecht von Nordhausen § Sb s) wird die Rück-
forderungsklage nur dann für zulässig erklärt, wenn es sich um
nämlich ganz richtig: „l>ic Anwendung des Grundsatzes Hand muß wahren
auf den Fall, daß die geliehene, versetzte nder sonst anvertraute Sache dem
Besitzer abgepfämict wurde, bedarf einer Erörterung, weil verschiedene
Kcchtsquellen sich darüber verschieden äußern“. Wenn Meibom
dann fortfährt: „Nach dem Hechte des Ssp. und verwandter Kcchtsquellen
unterliegt es keinem Zweifel, daß die Eigentum sklage gegen den Pfand-
nehmer oder den Käufer der gepfändeten Sache ausgeschlossen war“, so hat
schon I.aband, Vermügensrcchtlicho Klagen S. 8fi no. 37 die Beweise hier-
für vermißt.
') Erwähnt von Stobbe, Handbuch, 2. Aul). II S. <>22 no. 30. Dio
Stelle ist abgedruckt bei Körstemann, Neue Mitteilungen aus dum (iubiet
historisch-antiquarischer Forschungen 1 Heft 3 S. 5!) $ 3 und bei Loersch
und Schröder, Erkunden zur Geschichte des deutschen Hechts 2. Aull. I
S. 185 Nr. 251.
Erwähnt von Stobbe ebend.: abgodruckt bei Förstemann S. 30 und
bei Locrsch und Schröder S. 185 no. 2.
3) Bei Förstemann, Neue Mitteilungen III lieft 1 S. 40.
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87
Sachen handelt, denen anzusehen ist, daß sie dem Vollstrecknngs-
schuldner nicht gehören1):
„Nullus potcrit pignorare, uel iudicio optinere aliqua bona
uel aliquas res, que notorie non sunt illius, racione cuius
fit pignoracio“.
lici neuerer Satzung an Fahrnis schützt dies selbe Stadt-
recht § 13 schlechthin, ohne Rücksicht darauf ob die Satzung
erkennbar ist, den Pfandgläubiger gegen den Dritten, welcher
das Pfandobjekt beim Pfandschuldner pfändet:
„Qnicumque pignoraverit talia, que de possessione pigno-
rati possunt duei siue pelli sub potenciam pignorantis et
relicta in possessione pignorati fucrint, alius si superuenerit,
saluo iure pignorabit“.
Die Pfändung wird also nur salvo iure d. h. vorbehaltlich
des dem Satzungsglaubiger zustehenden Rechtes gestattet *).
Das Stadtrecht von Ooslar S. <>(i Z. 27 — di3) und die Gerichts-
leull't von Eisenach c. H7 4) gewähren dem Eigentümer die Rück-
forderungsklage gegen den vollstreckenden Gläubiger, das Stadt-
recht von Freiberg c. I § 28 3) versagt sie ihm. Eine entscheidende
') Man mag hierbei an Vieh, das mit der Hausmarke des Eigentümers
gezeichnet ist, und an ähnliche Fälle denken. Die Regelung in § 35 ent-
spricht den Grundgedanken des deutschen Sachenrechtes durchaus, und es
paßt darauf das, was Huber, Gewerc S. 12 von der Liegenschaftsgoweru
sagt: -Die Gewerc in ihrer eigenartigen Beschränkung ist ütfcntlich bekannt.
Jeder Dritte weiß, oder kann und soll es wissen, was es mit ihr für eine
Bewandtnis hat“. — Albrecht, Gewerc 8. 92 und no. 192 c und Laband,
Yennogensrechtliche Klagen 8. 8G fassen den § 35 dahin auf, daß er die
Rück forderungsklage schlechthin gestatte.
Zur Rechtfertigung dieser Übersetzung der Worte .salvo iure“
vgl. die oben S. 7K f. no. 1 und 3 angeführten Aussprüche von Köhler und
Suarez über eine Veräußerung „salva hypotheca“ „salvo usufructu maritali“.
Auch hier wieder befinde ich mich im Gegensatz zu Herbert Meyer,
Neuere Satzung von Fahrnis und Schiffen S. 105 f., der den § 15 des Stadt-
rechts von Nordhausen dahin auslegt, daß der pfändende Gläubiger dem
Satzungsglänbiger vorgehe.
3) Bei Laband, Vermögensrechtliche Klagen S. 8fi erwähnt.
*) ,Soe ein man den anderen pfendet umb schuldt, kempt aber eyn
ander und spricht, das pfandt sey sein, wil er des nicht gleuben, er sali
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Bedeutung für unsere Frage, ob nach dem Recht des Ssp. die
eingebrachte Fahrnis lür die Schulden des Mannes haftet, kann
allen diesen Rechten nicht zukonunen. Denn in Goslar und Nord-
hausen sowie in Eisenach galt eine vorn Ssp. durchaus abweichende
Normierung des ehelichen Vermögensrechtes1), und Freiberg, in
dessen Stadtrecht nirgends Spuren des Ssp. sind, steht auch in
anderen als ehegüterrechtlichen Fragen ganz außerhalb des magde-
burgischen Rechtskreises
Aus dem Rechtsgebiet, in welchem das landreehtliche und
später magdeburgische Ehegüterrechtssystem herrschte, sind mir
und »me* cs Hilft den heiligen ausszziiten, als recht ist, das sein scy ge-
west für und nach der pffandungc“ (Ortloff II S. 365). Ähnlich l’urgoldts
ICochtsb. VII öS (ebend. S. 221). Nicht verwendbar ist c. S2 der Gerichts-
leulft zu Eisenach: „Wer gewandt thuet zu einem Schneider, das er lest zu
kleideren schneiden, oder körn thuet in die mullen, oder uichcl in das back-
haussz das sal um niemandt bekümmeren“. Denn wfr wissen nicht,
ob nicht das Recht von Eisenach dem Eigentümer des Gewandes, Kornes
oder Mehlcs die Eigentumsklagc auch dann versagt, wenn der Schneider,
Müller bezw. Hücker sie freiwillig an Dritte verändert. Es würde sich
das daraus erklären, dalJ das Recht von Eisenach möglicherweise noch von
dem ursprünglichen llofverhältnis der Handwerker ausgeht und dem Hand-
werker eine Gewerc an den zur Hcarbcitung erhaltenen Sachen abspricht
(vgl. hierüber Goldschmidt, Zoitschr. f. d. ges. Handelsr. VIII S. 253;
Daband, Vennögensrechtliche Klagen S. 84: lleusler, Inst. II S. 215;
Huber, Gcwcre S. 41; Meyer, Kntwcrung und Eigentum S. 7t> f.) Die
Bestimmung in c. S2 der Gerichtsleuift würde sich dann nicht als eine Be-
schränkung der Translativfunktion der Gewerc darstellen, sondern sie würde
nur eine Konsequenz davon sein, dal! Gewand, Korn und Mehl nicht als in
der Gewerc des bearbeitenden Handwerkers, sondern als noch in der
alleiuigen Gewcre des Bestellers befindlich angesehen Werden.
■) Vgl. für Goslar und Nordhausen den Aufsatz von Haenel in der
Zeitsehr. f. Kechtagesch. I (1861) S. 273 ff., fnr Eisenach Schröder, Gesell,
d. chcl. Gütcrr. II 3 S. 73 f. llacncls Resultate, soweit sie diu im Text
behandelte Frage betreffen, sind u. a. auch von Martilz S. 5, Agricola
S. 32 Note, S. 35 und Schröder a. a. O. S. 73 no. 22 anerkannt worden.
7) Nur ein einziger Fall ist bekannt, in dem Freiberg sich nach
Magdeburg um Uechtsbelehrung wandte, vgl. Knnisch in der Einleitung
zu seiner Ausgabe des Freiberger Stadtrechts S. XXVIII. Agricola S. 370
verwendet zwar gelegentlich das Freiburger Stadtrecht, gibt aber S. 401
no. 55 zu, daü es auf fremdartigen Grundlagen beruht.
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nur zwei Stellen1) bekannt, welche sich fiher die Frage der
Vindicierbarkeit der beim Vertrauensmanne gepfändeten Fahrnis
aussprechen :
Magdeburger Schöffenspruch bei Wasserschieben II S. 83
c. ‘2(i5:
„Philippus ließt vor syne packt gepandet Ulriks kuye,
de Philippus pacht 5) mede hadde yn syner were. Hyr up
ete.: Kan Ulrick mvt gerichtes tuchnysse edder anders alze
r. ys bewysen, dath de kuye in der tydt der pandinge syne
weszet syn, alzo ys Philippus plichticli, ein syne kuye wedder
tho bestellende, dar he de kuye gepandet lieft, na Mayd. r.“
Magdeburg-Breslauer Systematisches Schöffenrecht V c. 4 3):
„Gebit eyn man vnd tut syn gewant eyme snyder czu
machyn, adir vonnitet eyme andirn syn pfert adir anders
vyhes, welchyrlcye daz ist, vnde wirt der snyder adir der
mytinan abetrunnyg vnd blibit den lutin schuldic vnd lozin
daz gewant adir vihe in erym gemache, dorynne ze gewonit
') Per knappgefaßte Urteilstenor bei Wasscrschlcben II S. 79 c. 240
„Vormidct eyn man cyno woninghe, wen de tynstvdt kumpt, zu mach he
well paridcn, wath he yn der woninghe vindet“ besagt wahrscheinlich nur,
daß der Hauswirt ein Pfändungsrccht auch gegen den Aftermieter hat. Auch
der Kechtsfall S. 131 c. 47U gehört nicht hierher: die Hardonick’achen Ehe-
leute sind von Neuruppin nach Prenzlau gefahren und haben Pferd und
Wagen dort in Tornas Lenebergs Hause untcrgestellt. Einer ihrer Gläubiger
pfändet nun bei Eeneberg die beiden Pferde und den Wagen: cs stellt sich
heraus, daß Pferde und Wagen nicht den Bardeniek’schen Eheleuten, sondern
dem Fuhrmann gehören, der die Eheleute gefahren hat. Auf die Interventions-
klage, welche Leneberg „mit dem Fuhrmann“ anstrengt, wird der Gläubiger
zur Freigabe verurteilt. Der Kechtsfall ist insofern für uns unerheblich,
als man wird sagen müssen, ilaLl nicht die Bardenick’schen Eheleute, sondern
Leneberg Pferd und Wagen in Gewere hatte.
3) „Philippus pacht“ == „des Philippus Pächter“, vgl. c. 206.
®) Bereits Albrccht, Gewere no. 192 c und Laband, Vermögensrecht!.
Klugen S. 85 haben sich auf diese Stelle berufen und darauf hingewiesen,
dall nach System. Schöffenr. V c. 7 bei freiwilliger Veräußerung durch
Handwerker die Knckfordcrungsklage ausgeschlossen ist, — Zu den von
Laband S. 8(i no. 34 aufgeführten Parallelstcllcn ist Glogaucr Kechtsb.
c. 573 bei Wassersehleben I S. G8 hinzuzufügen.
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habin, 7,0 mogin dv leute, der da 7, gewant adir vihe ist,
dorczu sich wol czihin vnd vorantwortin mit rechte vud di
leute, den der abetrunncge man ist sciiuldic blebin, da/, ge-
wallt adir pfert adir andir vihe mogin ze nicht vor ere
schult beseczcin noch irclagin“.
Zieht man von diesen beiden Aussprüchen einen Schluß auf
das eheliche Vermögensrecht, so wird man die Frage, ob die ein-
gebrachte Fahrnis schon allein dadurch, daß sie in die Gewere
des Mannes gelangt ist, seinen Gläubigern haftet, verneinen müssen.
Für die Frage der Schuldenhaftung ist der Umstand, daß der
Mann die Mobilien der Frau in seiner Gewalt hat, bedeutungslos.
III.
Befrachten wir die Frage der Schuldenhaftung, und zwar so-
wohl der cingebrachten Liegenschaften als der eingebrachten
Fahrnis, unabhängig von der auf Seiten des Ehemannes vorhandenen
Gewere, so ist zunächst auffällig, wie häufig in den Quellen der
Fall erwähnt wird, daß die Ehefrau sich den Gläubigern ihres
Mannes neben ihm, sei es als Selbstsehuldnerin, sei es als Bürgin
verpflichtet. Der Zweck eines solchen Verpflichtungsaktes ist
unerfindlich, wenn das Frauengut schon von Hechtswegen für die
Schulden des Mannes haftet, und die Annahme, daß es sich in
allen solchen Fällen um Vorbehaltsgut der Frau1) oder darum,
eine Haftung der Frau mit ihrer Person herbeizuführen, gehandelt
haben soll, unwahrscheinlich.
In den späteren Bearbeitungen der Ssp.-Glosse finden sich
sodann ausdrückliche, bisher nicht beachtete Zeugnisse, welche die
Haftung des Frauengutes verneinen:
Jüngere Glosse zu Ssp. I 20*):
„Nota qnod de dote sua inulier non cogitur solvere debita
mariti“.
•) So Martitz S. 304.
’) Zobol'sche Ausg. v. 1561 111. 68. Es ist nach dem Zusammenhang
der Stelle allerdings nicht ausgeschlossen, daß dos hier nicht „cingcbrachtes
<iut“ sondern „Leibzucht“ bedeutet, und daß es sich nur um die Haftung
nach dem Tode des Mannes handelt.
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Glosse zu Ssp. I 31 l):
„Kt licet hie textus dicat, virum et uxoreni habere sua
bona cütnmunia, non tarnen ideo talia bona fiunt inariti pro-
pria, ita quod ea possit in solutum dar« pro suis debitis“.
Glosse zu Ssp. I 31 a) :
„Ob inariti eulpam mulier non potest conveniri nee per-
dit bona sua“.
Diese Aussprüche haben für die Erkenntnis des zur Zeit der
Entstehung des Ssp. herrschenden Rechtszustandes ein um so
größeres Gewicht, als anerkanntermaßen die Jurisprudenz des
10. Jahrhunderts von dem Bestreben geleitet ist, die Sätze des
Ssp. in ihrer ursprünglichen Reinheit wieder herzustellen5). Einen
weiteren Beleg bildet eine Eintragung im Vogteibuch von Kamieniec
in Podolien aus dem Jahre ltiOti, wo der Satz „uxor ob culpain
mariti conveniri non potest“ auf Ssp. I 31 gegründet wird4).
Hiermit stimmt die Rechtsprechung der Magdeburger Schölten
überein. In einem Naumburger Rechtsfall (Friese- Liesegang
S. 410 — 412 Nr. 38 mit der Erläuterung S. 849) handelt es sich
darum, daß nach Frauwens Tod seine Witwe sich mit Curd Fenver
wiederverheiratet; Curd Fenver ist zu ihr und ihren Kindern in
das Haus ihres ersten Ehemannes gezogen; sein Gläubiger Kuling
klagt auf dies Haus. Die Schöffen erklären diese Klage für unzu-
lässig, weil das Grundstück Frauwens Kindern gehöre; wenn aber
die Frau, etwa als Leibzüchterin oder infolge einer Vergabung zu
Halbseheid oder zu Dritteilsrecht, an dem Grundstück dinglich
berechtigt sei, so könnten zwar die Kinder nicht hindern, daß
Kuling das Recht beziehungsweise den Anteil ihrer Mutter mit
*) Zobel’sche Ausg. v. 1561 BI. 96. Genau genommen spricht die
Stelle nicht von cxckutivUchem Zugriff der Gläubiger, sondern davon, daß
der Mann das Frauengut ihnen an Zahlungsstatt gibt.
*) Augsburger Druck v. 1517 Bl. 29 und in den Zobel’schen Ausgaben.
3) Vgl. Gaupp, Das alte Magdeburgische und Haitische liecht S. 113,
no. 7 a. E.; Martitz 8. 281: Jaeger, De origino ususfructus maritalis,
besonders 8. 2, 11, 29 f. In Leipzig wurde 151*3 den neu erwählten Schöffen
dringend empfohlen, den Ssp. zu lesen, vgl. Distel, Zeitschr. d. Sav.-Stift.
Germ. Abt. VII S. 98.
4) Vgl. Ilalban, Zur Geschichte des Deutschen Hechtes in Podolien,
Wolhynien und der Ukraine S. 97.
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Beschlag belege, wohl aber könne die Mutter selbst fliese
Haftung im Wege der Einrede vermeiden:
„Hette aber die mutter der kindere nach tode desgenanten
Frauwens, ires vorigen mannes, ennige gerechtigkeit an deine
ltausze gehabt und czu deine gnanten l 'urd Ferwere gebracht,
damit mosten denne auch Kulings clagen, szo ferne er die
metlie von der frauwen wegen ane ire adir ires fomiunden
rechtliche insage darczn gethan hette, uff daz tey I haften“.
In einem Rechtsstreit zwischen Eheleuten bei Wassersch-
ieben II S. 139 f. c. 11 entscheiden die Magdeburger Schöffen
auf die Anfrage der Ehefrau:
„efft wol der suluige man jwe man sinen (vorehelichen)
gelouigern up jwe gudere vor gerichte etzlike schult helft
vorteckeu laten, so hellt doch sulcke gerichtlike vorscrininge
up jwen gudern, de wile gy de suluigen jwein manne eygen-
dliomliken nicht gegitftigt, im rechten wedder craftt noch
macht, unde wes he (nach der Eheschließung) wider
an geltschulden by etzliken papcn gemaket unde ane jwen
willen geborget darvor doruen jwe unnerlatene guder
in rechten nicht hafften unde de suluigen cleger mögen
sick mit rechte an jwe guder nicht wisen laten, wes gy
auer vor jwen man uth jwen gudern mit gudern willen sinen
gelouigern betalt, dat moth ock ane wedderforderinge billich
betalt bliuen“ *).
Ähnlich lautet die Entscheidung in dem Rechtsfall bei Friesc-
Liesegang S. 54 1 f. Nr. 97. Es handelt sich dort dämm, daß
Lissenig gegen Ponch eine Summe Geldes erstritten hat, die nach
Ponchs Tode dessen Witwe Margarete als ihr Eigentum in An-
spruch nimmt, weil
•) Haß die Frau einen Anspruch auf Rückerstattung dessen, was
sie für des Mannes Schuld ausgegeben, nicht hat, zeigt auch der Sehöffen-
spruch bei Wasscrschleben I S. 117 c. 242. Auch wenn sie als Bürgin ge-
zahlt hat, hat sie keinen Regreß, es sei denn daß die Zahlung erst nach
dein Tode, des Hauptschuldners, des Ehemannes, erfolgt ist, vgl. Magdeburger
Fragen 11 2 d. 12a: die Interpretation dieser Stelle bei Agricola S. 401
ist der von Martitz S. 305 no. 8 gegebenen vorzuzichcn: so auch Schröder,
Gesell, d. ehel. Gfiterr. II 3 S. 2(17.
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OH
„das geld von ires ersten mannes lipgute herkomen ist,
mide dy frouwe das geld noch orem gclobde had unde Ponch,
ir wert selligin, das geld in formundeschaft gehabit hab von
ireni wegin“.
Wieso das Geld vom Leibzuchtsgute „hergekommen“ ist, ob
in Gestalt einer Rente oder ob in Gestalt des Kaufpreises bei
Verkauf des Leibzuchtsgutes, ist aus der Anfrage. nicht ersichtlich.
Die Schöffen berücksichtigen daher beide Möglichkeiten:
„Ist frouwin Margarethin lipgedinge unde lipguthe, dy sy
von irem ersten manne hatte, vorkouft und in geld gewandelt,
adir sin ire zcinsze von irem lipguthe in gereytschaft ader
der frouwen betaget unde mit clagen begriffen gewest, er
denne Ulrich Ponch, ire wirt, starp, so muszin dy czinsze
adir geld von ires mannes wegen clage lidin. Sy mag der
davor, das sie yr mitte globit sin, und das ire wirt dy in
formundeschaft gehabit had, nicht vorantwertin“.
Ist das Gehl Zins, so haftet es für des Mannes Schuld als
Frucht des in die zweite Ehe eingebrachten Leibzuchtsrechtes; ist
es Kaufpreis, so haftet, es, weil es Eigentum des Mannes ist, denn
es gilt nach Magdeburger Recht nicht successio pretii in locum
rei '), so daß die Frau am Kaufpreis etwa Leibzuchtsrechte er-
worben hätte.
Die gleichen Grundsätze gelten natürlich auch dann, wenn
es sich um solches Gut der Ehefrau handelt, welches von ihrem
Ehemann, dem Schuldner, herstammt. So heißt es bei Wassersch-
ieben II S. 55 c. lf!5s):
„Hofft de man syner vrowen vor gerichte niaket edder
gegeuen watli benantes*) Standes eyghen, darvan derff sze
nicht ghclden eres mannes schulde“.
') Vgl. hierüber Mertitz S. 272 im. 15, S. 284 no. 8, S. 285, 2!>5,
Agrirnln S. 270 — 27!) mul Schröder, Gesell, d. ehcl. Gfitcrr. H 3 S. 17.
s) Allerdings handelt es sich hier nicht um die Zeit während der Ehe,
sondern darum, ob die Witwe fiir die Schulden des verstorbenen Mannes auf-
znkomincn hat.
3) Gegensatz: .hcll't he euer gegeuen unde. gemaket in eyner meinen
wyaze alle syn gut, edder wat deyles an syneni gude na syneni dode, so
sculdeti des mans schulde tho vorne uthgan, darna scal ze nemen, watli er
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94
Die Früchte eines Gutes, an welchem der Mann seiner Frau
eine Vergabung gemacht, halten aber auch nach der Vergabung
seinen Gläubigern. Su heißt es in dem Hechtsfall bei Friese-
Liesegang S. 496 Nr. öl1):
„Nachdemmale, daz der man noch lebit, der syne hus-
frouwen mit sime gute belipgedinget had, so en mag sy dez
by eres mannes lebinde nicht vorantwerten. Sünder dy
czinsze unde nucz, dy von deme gute von jare czu jare
vallen mag, dy mögen dyc schuldener, dy her vorsaezt. had,
unde den her schuldig ist, by synem lebinde mit rechte
irfordem“ 2).
Zins und Nutz des Leibzuchtsgutes haften also den Gläubigern
nur by des mannes lebinde, denn nur so lange er lebt werden
Zins und Nutz kraft seines Rechts zu Vormundschaft sein Eigen-
tum. Nach dem Tode des Mannes wird die Frau als Leib-
züchterin Zins und Nutz frei von dem Zugriff der Gläubiger ge-
nießen. Es kommt in diesem Schöffenspruch ziemlich deutlich
zum Ausdruck, daß die einzelne Zinsrate schon vor der Fälligkeit,
also bevor sie in das Eigentum des Mannes übergegangen ist, den
Gläubigern haftet, daß mithin das Nutznießungsrecht selbst pfänd-
bar ist; wenn auch nicht das Nutznießungsrecht am ganzen
Frauengut, so doch das Nutznießungsrecht an den einzelnen zum
Frauengut gehörenden Gegenständen. Noch klarer zeigt dies ein
Schöffenspruch bei Friese-Liesegang S. 406 Nr. 33:
„Hette die Obelerin irem ehelichen manne die eckere, als
ir von irem vatere anirsturben seyn, an ereftigen steten, als
vor gerichte, nicht aufgetragen noch vorlassen, szo haben
ouch die bottichere den eygenthumb des agkers vor des mannes
behoren mach, nlze vor deine richte begauct ys“. Die Unterscheidung ist
durchaus korrekt, da in diesem letzteren Fall die Frau kein dingliches
Recht an dem einzelnen Exekutionsobjekt erworben hat. Ebenso die Glosse
zum Weichbild in der Ausgabe von Daniels und Gruben Sp. 273 Z. 40 —
Sp. 274 Z. 13.
') Es scheint derselbe Kechtsfall zu sein, den schon Schröder, Oesch.
d. eliel. Gfitorr. II 3 S. 200 no. 4 bespricht.
*) Die Gläubiger berufen sich auf Ssp. I 31: .sinddommal daz der
fromven eliche Vormünder noch lebet, unde man noch fron»« keyne geezweygete
gud czu iren liebin moghen gohabin“.
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schulde nicht erfordern noch mit clagen an sich brengen
mögen. Szundcrn die gebrauchunge desselbien agkers
musz den bottechern jerlichen vor ire schult, dieweyle der
Obelerin eheman ame leben ist, haften und clage leyden“.
Unter diesem Spruche steht von gleichzeitiger Hand:
„Pro debitis mariti potest intentari actio contra
usnmfructum, quem habet maritus in bonis uxoris sue“.
Nach diesen Quellen Zeugnissen lal.lt sich die Ansicht von
Martitz, daß — wenigstens im Landrecht — das gesamte ein-
gebrachte Gut für alle Schulden des Mannes, und die Vermutung
von Agricola') und Schröder1), daß es für die zur Tragung
der Lasten des Haushalts und der Wirtschaft vom Manne gewirkten
Schulden hafte, nicht aufrecht erhalten.
') s. 393 ff.
s) Qcsch. (I. eliel. Oüterr. II 3 S. 2G7.
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Vierter Abschnitt.
Sondergewere der Frau an der Gerade und am Vorbehaltsgut.
I.
Die wirtschaftlichen Verhältnisse, auf welche das eheliche
OQterrecht des Ssp. angelegt ist, mochten es den Ehegatten häufig
wünschenswert erscheinen lassen, daß der Frau die Möglichkeit
rechtswirksamer Verfügung über die Gerade geboten wurde. Me-
reits Heusler') hat die Vermutung ausgesprochen:
„ich weiß nicht, ob gegenüber der kategorischen Ab-
lehnung alles und jeden Verfügungsrechtes der sächsischen
Ehefrau nicht könnte aufrecht erhalten werden, daß die Frau
über Alles, was zur Gerade gehört, frei verfügte, weil sie es
unter ihrer Obhut hatte, seinen Wert am besten zu be-
stimmen wußte, am sichersten beurteilen konnte, wiefern es
zweckmäßig sei, es zu veräußern: ja es mochte der Frau
um so eher überlassen bleiben, als ein rechtes Rauernweib
hierfür mehr Sorge trägt als der Mann, weil in diesen
Sachen ihr Stolz liegt, abgesehen von dem Wunsche mög-
lichster Erhaltung und Häufung wegen des künftigen Heim-
falls an sie bei Tod des Mannes“.
Eine Verfügung der Ehefrau war nur denkbar über solche
Gegenstände, welche der vormundschaftlichen Gewere des Ehe-
mannes entzogen und einer Sondergewere der Frau unterstellt
waren. Die Frau mußte die Sachen unter separaten Verschluß
nehmen, um damit der von ihr ausgeübten tatsächlichen Herrschaft
«las nach außen erkennbare Merkmal der Selbständigkeit aufzu-
') Inst. II S. 3$-> f.
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97
drücken. Anderenfalls war bei jeder Veräußerung, die sie vor-
nalim, der Mann zu der Behauptung, daß er die Sache wider
Willen aus der Oewere verloren habe, legitimiert und konnte sich
des Gutes unterwinden. Für den Dritten, welcher Geradesachen
von der Frau erwerben wollte, war das Vorhandensein der Gewere
auf Seite der Frau die Voraussetzung zum Abschluß des Rechts-
geschäfts.
Die Quellen des 14. Jahrhunderts enthalten nun in der Tat
mehrfach Belege für eine Sondergewere der Frau an der Gerade
unter Ausschluß der Gewere des Mannes'):
Wcichbildglosse eines magdeburger Schöffen (um 132»)*) in
der Berlin-Steinbeck’schen Handschrift3):
„Hat ein gastgebe bettegewant, daz gemeyne ist sinen
gesten, in sinen slafkammern, daz gehört zu dem erbe, hot
sy (die Ehefrau) abir in irem kästen, da sy selber den
slnssel zcu treit4), sotan gerete, daz gehört zcu der ge-
rade Were abir ir man ein goltsmyt gewesin;
der manchirlev ding geworcht hette zcu frawen czirde uf
den kouf, daz gehört zcu dem erbe, hette sy abir sontanez
icht in iren beslossin geweren daz sy vor genuczt
hette vnd genat vnd gemacht were zcu ir notorft, daz ge-
hört zcu der gerade1*.
') Mit Rückaicht hierauf ist unsere Erörterung oben S. 37 über eine
Stelle aus Wurms Stadtrechtsbnch nunmehr zu berichtigen. — In Schweid-
nitz konnte die Ehefrau über .irr klcider und ir gebünde“, in Ilildesheiin
über .peplum sunm et colutn et fusum suum“ frei verfügen, vgl. die Quellen-
belege bei Schröder, Gesch. d. ehel. Güterr. II 3 S. 220 f. no. 13—15.
Ein solches Verfügungsrecht ließ sich unserer Auffassung nach ohne eine
Sondergewere der Frau an den Geradesachen nicht ausüben.
a) Vgl. Steffenhagen Sitz.-Ber. XC'VIII. 1 S. 78 Die Zeitbestimmung
ergibt sich daraus, daß diese Weichbildglosse, welche wahrscheinlich von
dem Verfasser der Bcrlin-Steinbeck'schen Ssp. -Glosse herrührt (Steffen-
hagen S. 59), diesem bei seiner Arbeit, die bald nach 1329 entstand (Steffen-
hagen S. 78), schon vorlag.
3) Abgedruckt bei Steffenhagen a. a. O. S. 02 no. 1 und 2.
*) Wörtlich ebenso die Ssp. -Glosse der Berlin-Steinbeck'schen Hand-
schrift, bei Stoffenhagen S. Gl.
Kiesel, Gewere (
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98
Blume von Magdeburg 112 c. 114:
„Hot ein man seinem weibe gebin ein dritteil in alle
seyn gut, iz sy varend odir vnuarende, wo ers habe, vnd ist
ir dy gäbe bestetigit uor geriehte, als recht ist: dy frawe
nymt czu uorauz ir gherade, dy sy bvnnen ir beslossin
ge wer e hot, vnd dorczu daz dritteil in alle dem gute, daz
ir man ubir seine schulde gelasin hot“.
Wurm’sche Glosse zu Ssp. I 24 (Berlin Kgl. Bibi. Ms. germ.
fol. 43« Bl. 52« 53):
„Ab ein man insime linse keinerley casten me bette wenne
sy weren alle mit irhobin lydin ist weren kästen oder trulen
sulden di alle czu der gerade geboren sint daz er hir spricht
kästen mit ufgehoben laden. Hir uf spreche wir ein recht,
czu welchim kastin irn sunderlichin slnssil treit und
nymant mer der gehöret czu der gerade, hette sy abir
sunderlich kästen trulen oder schryno mit gebrocht die uol-
gin ir auch uonrcchtiswegin. Ab ein koufman hette gani
rohe odir gesotin lynwat gesnyten und ungesnvten und ander
wäre die auch gerade antrife insinem crome. solde daz auch
czu der gerade gehören odir nicht. Hir uf spreche wir ein
recht, waz sotanes dingis ist do eines mannes narunge an
lyt und czu crome gehört daz gehört, czu dem erbe, w a z
si abir inir sunderlich gewere hot und beslust . ..
daz gehorit alliz czu der gerade“ *).
Wnrm’sche Glosse zu Ssp. III 74 (Ms. germ. fol. 437 Bl.
5(58«), wo bezüglich der Auseinandersetzung unter den Ehegatten
bei Nichtigkeitserklärung der Ehe gesagt wird:
„Ir gerade abir muz er ir gebin das ist ir gerete daz
sy selbir beslossin hot in irn geweren, vnd
ir musteile“.
') Vgl. Weichbildglosso bei Daniels-Gruben Sp. 291 Z. 39- 47:
„Alle die hanlwerg, was die solliche gcretes haben da* zu der trglirheii
narunge gehorit, da* gehorit alles zu dem erbe: hette ahir die frauwe
iclit in irer beslossin gewere, do nymant den slnssil zu trüge,
denne sy alleine, uude nn ir genant, unde an ir gebende, adir zu anderin
gezirde gehörnt daz gehorit zu der gerade: Waz ahir anderswo ist. daz ge-
horit zu dem erbe".
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99
Magdeburger Schöffenspruch aus der zweiten Hälfte des
14. Jahrhunderts bei Friese-Liesegang S. 172 Nr. 26, wo es
sich darum handelt, daß ein Witwer, der sich wiederverheiratet,
der zweiten Frau die von der ersten Frau stammende Gerade ge-
schenkt hat1); nach seinem Tode wird diese Gerade von den '
Schwestern der ersten Frau beansprucht; die Witwe führt zu ihrer
Verteidigung folgendes an:
„dun sie in ores bederven mannes hus quam, don ant-
worde he ore de slotele van den kesten, de in deme
liuse weren, unde bevol ore dat gesmyde in den kesten, an
bedde, wände, kussene, dekene, lakene unde warcht sulver
tu mowen spanghen, bederven scolde lik oreme gerede, dat
sie gebrachte, unde lieft des gebruket“.
Schöffenspruch in der Zobel’schen Ausgabe des Weichbildes
und Lehnrechts von 1557 Bl. 129:
„Seind die zwene Grafen todes halben von dieser Welte
verschieden vnd haben jr jtz lieber sein Eheweih Witwe nach
sich gelassen, so müsset jr den selbigen geben
und volgen lassen jr gebuerlich Gerade Vnd zu
Gerade gehören alle Schaff, Gense, alle weibliche
k leider vnd gezierde, Vorspan, Fingerlein, vnd Ringe, die die
Frawen pflegen zu tragen, vnd in jren ge wehren zu
haben, sie sein von Golde oder Silber Sonder
das Gold vnd Silber das zu frawen gezierde nicht gewurcht,
Spanhefftlen, vnd gülden Ringe, die ewer Vettern selbst
getragen vnd in jren ge wehren gehabt, vnd nach sich
gelassen haben, vnd das vngeschnitten Gewand, moegen jre
gelassen witwen zu Gerade nicht fordern noch in jre Gerade
ziehen, Sondern solche alles volget den Erben billich“.
In diesen Aussprüchen liegt manche Schwierigkeit verborgen.
Wie lassen sie sich mit den zahlreichen Quellenzeugnissen, nach
*) Nach dem Tenor <lcs ächöffenurteils hat die Witwe eidlich r.u er-
härten, „dat ore man ore de rade geven hebbe". l uter diesem „Geben“
wird man wohl nicht nur ein Anvertrauen iu häuslicher Obhut, sondern eine
Eigcntumsübertragung zu sehen haben.
7*
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100
denen der Mann die in der Regel aus (ierade bestellende1) Aus-
steuer der Frau in seine Gewerc nimmt, vereinigen? Mehrfache
(lewere an Fahrnis ist doch, wie gerade wieder der eben zuletzt
mitgeteilte Schöflensprueh zeigt, undenkbar. Ferner besteht die
Sondergewere der Frau nicht nur an den von ihr eingehrachten,
sondern auch an den vom Ehemann stammenden Geradesachen*),
und man sieht sich deshalb, da doch auch bei Fahrnis
die (lewere Ausdruck eines Rechtes am Gute ist, vor die Frage
gestellt, ob die Frau dadurch, daß der Mann seine Gerade-
sachen in ihre Sondergewere gegeben hat, Eigentümerin derselben
geworden ist3).
’) Die Ausstattung mit Gerade bildet die Kegel. Vgl. Gaupp, Ger-
manistische Abhandlungen S. 75 ff.: Wendrnth, De institutis quibusdain
iuris dotalis Saxonico- Yratislti vielt sis S. 13, 48; Martitz S. 95, 100 nt>. 29,
S. 131, 241, 253: Jacger, Do originc ususfructus maritalis 8. 8: Schröder,
Gesell, d. eitel. Gfitcrr. II 3 S. 372: .Das Vermögen verheirateter Frauen
bestand unter den Verhältnissen, für welche der Ssp. berechnet war, in der
Kegel nur aus der Gerade*; Hausier, Inst. 11. S. 391; .Die Gerade ist
in der Gestalt, wie sie der Ssp. kennt, nichts anderes als die in der ge-
meinsamen Wirtschaft der Eheleute gebesserte oder geärgerte Aussteuer der
Ehefrau*: Köhler, Jahrb. f. Dogm. XXIV S. 199. Vgl. auch die von Ho-
meyer Ssp. 3. Ausg. mitgeteilte Variante von Ssp. 1 31 § 2: „Svenne cn man
wif nimt, so nimt he in sine gewerc al ere rede gut to rechter vor-
uiuntscap*.
s) Schwierigkeiten bietet auch die Weichbihlglosso bei Daniels-
Gruben Sp. 292 Z. 37-41: .Noch ist nieliir gerete, daz zu der gerade
gehorit: alzo geslisseno federn, kästen mit uffgehabin luden: Lettin sy der
nicht, so nymt sy die, dy sy mit ir broclite, unde sunderlich do sy slussele
zu treit“. Man wird übersetzen müssen .und zwar soweit sie die Schlüssel
dazu trägt*, statt .und auUcrdem diejenigen, zu denen sie die Schlüssel
trägt*. Schwer verständlich ist Sp. 285 Z. 30 — 39: in der Stelle Sp. 291
Z. 10 — 19 endlich wird der verstorbenen Ehefrau eine Sondergewere an
einem Gewand zugeschrieben, weil sic es in ihrer Truhe gehabt hat : aus
diesem Grunde fällt es, als zur Gerade gehörig, an die Niftel und nicht an
die Erben.
3) bekanntlich ist die Ansicht, daU die Krau durch die EheschlicUung
Eigentümerin der ganzen im ungezweiten Gut befindlichen Gerade werde, von
einer ganzen Keilte von Schriftstellern vertreten worden, vgl. die Literatur-
übersicht über diese Frage bei Schröder, Gesell, d. chel. Gfitcrr. II 3
S. 323 no. 84. Hcuslcr, Inst. II S. 382 vermutet einen Zusammenhang
zwischen dem von ihm angenommenen Verfügungsrecht der Frau über die
eheliche Gerade und der Schüsselgewalt.
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101
Kino andere Frage ist, oh nicht diese Sondergewcre der Frau
an der Gerade den Ausgangspunkt bildet für die Konstituierung
von Vorbehaltsgut1). Ist doch die eigentümliche Erscheinung,
daß zur Ausschließung des ehemännlichen Verwaltungs- und Nutz-
nießungsreehtes ein Ehevertrag nicht genügte, noch bis heute nicht
erklärt: Die sächsische Ehefrau mußte diejenige Fahrnis, welche
bei Auflösung der Ehe an ihre Verwandten und nicht an den Mann
oder dessen Erben fallen sollte, ständig unter eigenem Verschluß
halten, auch wenn sie das feste Vertrauen hatte, daß der Mann
seine Verltigungsmaeht nicht mißbrauchen würde. Und ebenso
merkwürdig ist es, daß der Ehemann seinem Dispositionsnießbrauch
über Ungerade der Frau nicht entsagen konnte, ohne zugleich sein
und seiner Erben Erbrecht daran zu verlieren, und daß er aut
dies Erbrecht an der Ungerade nur verzichten konnte, wenn er
schon während der Ehe der Frau die Verwaltung und Nutzung
überließ ’). Diese Schwierigkeiten lösen sich ohne weiteres, wenn
man annimmt, daß das Institut des Vorbehaltsgutes sich im An-
schluß an die Sondergewcre der Frau über die Gerade entwickelt
hat. Denn in diesem Fall war es nur natürlich, daß bei Auf-
lösung der Ehe das Vorbehaltsgut des Schicksals der Gerade teil-
haftig wurde und ebensowenig wie diese an den Mann beziehungs-
weise seine Erben fiel.
Man wird nun auch das psychologische Motiv, welches für die
Einführung von Sondergut bestimmend war, verstehen. Gerade in
dieser Beziehung herrscht bis heute lebhafter Streit:
Martitz S. '208:
„Die Befugnisse, die im Ssp. dem Manne über die Fahrnis
der Frau zugeschrieben werden, sein freies Verfügung* -
recht während der Ehe, sein ausschließliches Erbrecht
daran gefährdeten die Vermögenslage der Frau um so mehr,
je weniger sie in der Gerade einen Ersatz für ihr Einge-
brachtes sehen konnte“.
') Leun Ljon-C«en, I.a fciniiiu nmrice allcnmnil« (1’aris l!)03) 8. '2->
nennt die Gerade „le tiojan du futur Vorbehaltsgut“.
’>) Wenigstens ist dies die Regelung des magdeburger Hechts, vgl.
eben S. 66.
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10-2
Schröder, Gesell, d. ehel. Güter. II 3 S. 12:
„Nach Agricolas Auffassung hätte das Institut des Sonder-
guts vornehmlich der Besorgnis der Frauen, ihre Männer
möchten das ihnen an der Fahrhabe zustehende Veräußerungs-
reeht mißbrauchen, seine Entstehung zu verdanken, also
einem für die Männer sehr wenig schmeichelhaften Motive,
das diese selbst schwerlich so allgemein bewogen haben könnte,
sich den Vorbehalt gefallen zu lassen. Nicht sowohl das
Mobiliarrecht des Mannes, als vielmehr das Hecht seiner
Erben auf sämtliche nicht zur Gerade gehörige
Mobilien, die sich bei seinem Tode vorfanden, war
der schwerwiegende Grund, um beiden Ehegatten die Kon-
stituierung von der Frau zugehörigen Kapitalien als Sonder-
gut äußerst wünschenswert zu machen“.
Diese Ansicht Sch röder’s läßt sich heute nicht mehr halten.
Denn wie Behre1) nachgewiesen hat, war es in den Städten all-
gemein üblich, durch eine gelobte Morgengabe die Frau für ihre
eingebrachte Ungerade zu entschädigen. Aber darin wird man
Schröder beipflichten dürfen, daß das Institut des Vorbehalts-
gutes schwerlich Eingang gefunden haben würde, wenn es nicht
zugleich dem eigenen Interesse des Ehemannes gedient hätte. Ein
Interesse des Ehemannes, seinen Erben die von seiner Ehefrau
stammende Ungerade zu entziehen, läßt sich nun freilich nicht
ersehen, wohl aber mußte es unter den veränderten wirtschaftlichen
Verhältnissen in den Städten ihm wünschenswert erscheinen, wenn
die Verfügungsmacht der Frau über den Kreis der Geradesachen
hinaus erweitert wurde. Besonders die Fortführung eines vor der
Ehe betriebenen Handelsgeschäftes war für die Ehefrau nur unter
der Voraussetzung möglich, daß ihr der Mann unter Verzicht auf
seine Gewere zu Vormundschaft eine Sondergewere an ihrem Waren-
lager einräumte. Dies mußte er selbst dann, wenn, wie es
') S. 90— 10G: so spricht llehrc denn aucli im Schluß wort S. 111 die
Vermutung aus, daLi das Vorbehaltsgut im ostfalischcu ltvcht eine ganz
untergeordnete Holle gespielt habe, da es durch das anscheinend sehr
beliebt gewesene Institut der gelubteu Morgengabe völlig ersetzt wor-
den sei.
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103
meist der Fall gewesen sein wird1), das von der Frau betriebene
Gewerbe den Handel mit „gam, bedde, pole, küssene, lilakene,
dischlakene, dvelen, badelakene, lin, wiilike kledere, Spillen, wocke,
werve, liede, heckele, ribbelappe, ribbeisern, nalden, huven, vlecht-
snure, stanthart, natelfoder*)“ und ähnlichen Waren zum Gegen-
stand hatte. Denn die in den Geradekatalogen anfgefflhrten
Sachen hatten den Geradecharakter nicht schlechthin, sondern nur
dann, wenn sie zu des Eigentümers „vnd synis tegelichen gesindes
notdorft3)“ bestimmt waren; wie Nikolaus Wurm in der oben
abgedruckten Glossenstelle sagt:
„Ab ein koufman — (oder eine Kauffrau4)) — bette . . .
wäre, di auch gerade ant.rife insinem crome .... waz so-
tanes dingis ist do eines raannes narnnge an lyt und czu
crome gehört daz gehört czu dem erbe“ 5).
II.
Es hat bisher als feststehender Satz des ehelichen Güterrechts
des Ssp. gegolten, daß bei Auflösung der Ehe durch den Tod der
*) Die Wcichbildglosse bei Daniels -Gruben Sp. 291 Z. 25 IT. er-
wähnt den Fall, daß die Khefrau Leinenweberin, .Schleierweberin oder Borten-
wirkerin ist.
*) Vgl. Ssp. I 24 § 3 und die von Ho in ey er dazu angeführten
Varianten.
s) Vgl. Magdob.-Bresl. Systemat. Schöffenrecht IV 2 c. ISu u. a.
4) Diese Gleichstellung wird in der Weichbildglosse bei Daniels-
Gruben Sp. 291 Z. 25—38 verworfen.
s) Vgl. hierzu die von Schröder, Gesch. d. olicl. Gütorr. II 3 S. 13
no. 30 anfgefflhrten Schriftsteller, fenier Köhler, Jahrb. f. Dogm. XXIV
S. 200 no. 1. Abweichend die Ssp. -Glosse der Herlin-Steinberk’schen Hand-
schrift, bei Steffenhagen S. 02: .Alz er in dem texte spricht von teptin
vnd schaulun, Dez saltu auch wissin: were fr man oin kramer vnd hotte auch
sogetanz dingis vyl veile, alz zeu der gerade genant ist, wy vyel sal sy iclichs
behaldin ? Ich sjireche : waz er in sime huze hat vnd zeu der gerade gehört,
daz darf man nicht vnderachniden“. Die hier zu Tage tretende Auf-
fassung ist schon in Weichbild art. 23 §2 (Daniels-Gruben Sp. 97) be-
richtigt: .Waz aber ir man eyn kramer, zo daz er veilen koulf hatte, alzo
schalunen. tepte, daz mag die wittwe nicht hehalden wenn alzovil, alzo
zu irem kamergewande gehöret ader zum höchsten izlichz drie
stucke*.
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104
Frau die im geeinten Gut befindlichen Geradesachen an die Niftel
fielen. Neuerdings hat Hehre sich gegen diese Ansicht ausge-
sprochen und darzutun gesucht, daß die Niftel nur diejenigen
Geradesachen erhalte, welche Eigentum der Frau gewesen seien.
Daß diese Regelung den spateren Quellen vielfach entspricht,
hat bereits Agricola1) anerkannt. Für das Recht des Ssp. aber
bedeutet Rehre’s Ansicht einen vollständigen Bruch mit der bisher
herrschenden Lehre. Es wird notwendig und lohnend sein, auf der
von Hehre gegebenen Grundlage den Aufbau uud die geschicht-
liche Entwicklung des Geraderechts einer erneuten Untersuchung
zu unterziehen. Zu einer solchen Untersuchung seien im folgen-
den einige bisher nicht beachtete Quellenzeugnisse beigetragen.
Schon vor 1420, in einer dem Bischof Günther von Magde-
burg gehörigen Handschrift, ist die uns interessierende Frage er-
örtert worden, wie aus einer singulär erhaltenen Bocksd o rfPschen
Addition hervorgeht:
„Mercke hir, As ich in den Glosen vs eyme sachsen-
spigel des Hisscholl's von Meydeburgk gefundin habe: I>ie
vrouwe nimpt ouch yres mnnnes geworchte silber. solde
yre man das ouch yrer gespinnen gebin, ab sin wib
stürbe, is were gordele edder silueren geuesze?
Sage Nein. Was die vrouwe getragen bette, das volgede
yr zcu rade vnde was der man nicht genutzet bette, die
vrouwe rrimpt is abir vs ires mannes gute zcu Rade, wan
ire man stirbt, dar vmme das sie das dicke zeiugen von irer
beider gute, des die gespinne nicht entut. Also ist is ouch
vmme die schaff, als vor annotiert*). Se d casus huius
practicam adhuc non vidi“3).
') Insofern ist Hehres Polemik S. 41 f. gegen Agricola übertrieben.
*) Die in Bezug genommene Stelle lautet:
»Nota hie, (las die Frau alle Schaf yres Mannes nimpt zu gerade. Hotte
aber der man sonderliche Schaf odder einen sonderlichen SchalThirten. der
sein were, die gchoeren yhrcr uifftel nicht, ap seyn weip stilerbe, aondern
was die Krau selber hat an Schaffen, das erbt sie auff ybre nehiate gc-
spinnc Stirbot aber das weyb, sie enterbet keinerley varende hab,
sondern gerade vnd eygen, ab sie das hat. vif yhr nehisten. Hat sie selber
keyue Schaf, die yhr sein, so darif der Man seines weibes gespinnen aeyne
Schaf nicht zu gerade geben. Kt Seabini Magdeblirgenses sic pronuntiant" .
■*) Abgedruett bei Steffenhagen, Sitz.- Her. I’X. 2 S. 244 no. 2.
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105
Es fragt sich , ob das, was hier von goldenen und silbernen
Gefäßen und von Schafen gesagt wird, sich auch auf andere Ge-
radesachen bezieht.
Ein sehr deutliches Zeugnis zu Gunsten der Ansicht Behre’s,
aber freilich auch nur für das jüngere Recht, enthält folgender
Schöffenspruch ') :
„Wenne eyme seyn weyp stirbit vnd lossit di gerade vnd
eyn suester wy der man vnd der totin frawen suester zulden
czu der gerade halden. „Hiroff scheppen von hause czu
Crac. Alle gerade dy eyn frawe czu erem manne brocht hot
oder brocht hette dy gehorit noch der totin frawen ir neheste
spilmogin gancz vnd gor vnd do fon der totin frawen man
nichtisnicht czu geben vnd auch dy gerade dy dy frawe bey
erem manne zampt mit dem manne geczewgit hot vor erem
tode von der gerade zal man dem manne seyn bette be-
decken vnd bestellen tisch vnd banck ader was der gerade
oebrig ist dy sal dy neheste spilmogin nemen zampt mit
der ersten gerade dy dy frawe czu erem manne brocht hot*).
Auch hat der monnen gerade brocht czu seynem weybe ader
vrn seyn gelt ichtisicht gekaufit hot von mantil iaeken oder
desgleycli der geradin dy zal auch dem manne czu vor-
aus bleybin zunder mit der mittelste gerade alzo teilunge
haldin alz obin stest geschrebin v. r. w.“u
Gegen Belire wiederum spricht art. '23 §4 des lateinischen
Weichbildes (I)aniels-Gruben Sp. 100):
„Si inaritus antehac oves habuerat, priusquam uxorem
superduxit, ad id proxima cognata nullum jus habebit.
Quicquid autem in alio muliebri ornatu fuerit, hoc
cognata pereipit, signauter3) omne illud, quod uxor ad
maritum importaverat“.
') Abgedruckt bei Bischoff, Archiv für österreichische Geschichte
XXXVIII S. 19.
3) Interessant ist an dieser Entscheidung auch, daß die Beriehtungs-
pflicht der Niftel (vgl. Ssp. III 38 § 5) nur auf der in der Ehe gezeugten
Gerade lastet.
s) Signanter ist gleichbedeutend mit praecipue, in primis (vgl. Du
fange, Glossarium mediae et iuiimac latinitatis).
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Verlag von M. & H. Marcus in Breslau, Kaiser Wilhelmstrasse 8
Studien
zur Erläuterung des Bürgerlichen Rechts
In zwanglosen Heften horausgegebcn von
I)r. Rudolf Leonhard
ord. Professor an der Universität Breslau
1. Leonhard, Rudolf: I>as neue Gesetzbuch als Wendepunkt der Privat-
rcclt ts- Wis senschaft 2, — Mk.
2. Bruck, Martin: Die Bedeutung der Anfechtbarkeit für Dritte. Ein
Beitrag zur Lehre vom Rechtsgeschäft 3, — Mk.
3. KlingmUlIer, Fritz: Die Haftung fhr die Vcrci nsorgane nach
§ 31 BGB 1,60 Mk.
4. Gaertnor, Max: Der gerichtliche Schutz gegen Besitzverlust nach
römischem und nencrcm deutschen Recht 3,40 Mk.
3. Munigk, Alfred: [las Anwendungsgebiet der Vorschriften für ilie
Rechtsgeschäfte. Hin Beitrag zur Lehre vom Rechtsgeschäft . 10, — Mk.
6. Kllnginltller, Fritz: Der Begriff des Rechtsgrundes, seine Herleitung und
Anwendung 3,20 Mk.
7. Freund, Rudolf: Der Eingriff in fremde Rechte als Grand des Bf-
rcichcrnngsan Spruchs 2,— Mk.
8. Hesse, Albert: Die rechtliche Natur der Miete im deutschen bürger-
lichen Recht . . : 1,20 Mk.
9. Othmer, Wilhelm: Die rechtliche Wirkung der Vormerkung nach
Reichsrecht 3,20 Mk.
10. Maschke, Richard: Die Persönlichkeitsrechte des römischen Iniurien-
systems. Eine Vorstudie für das Recht des Bürgerlichen Gesetzbuchs 3, — Mk.
11. Wöstmann, S.: Die Rechtsstellung des ans mehreren Personen be-
stehenden Vorstandes eines rechtsfähigen Vcroins nach dem BGB.
Ein Beitrag zur Theorie der juristischen Person 1,20 Mk.
12. Mettmann, Gottl. Aug.: Prolcgomcna zu einem System des Vermögens-
rechts. (Erste Abteilung) 6, — Mk.
13. ßrnck, Eberh. Friedr.: Bedingungsfeindliche Rechtsgeschäfte. Ein
Beitrag zur Lehre von der Unzulässigkeit von Bedingung und Zeitbe-
stimmung 5, — Mk.
14. Saleilleti-Leonhard: Einführung in das Studium des deutschen bürger-
lichen Rechts 3,60 Mk.
15. Thal, Alfred: Die Vereinigung von Rocht und Verbindlichkeit beim
Pfandrecht an Forderungen 5, — Mk.
16. Brie, Gerhard: Die richterliche Haftung bei Urteilen (§ 839 Abs. 2
BGB.) 2,— Mk.
17. Leonhard, Rudolf: Stimmen des Auslands über die Zukunft der Rechts-
wissenschaft 3, — Mk.
18. Bein, Wolfgang: Die Verleitung zum Vertragsbruch nach bürger-
lichem Recht 3,60 Mk.
A. Fa vor ko, voriu. Kriunrd Trewemlt'n Huclidtuckerci, Breslau
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Das landesfürstliche Beamtentum in Anhalt
von
Dr. Ulrich Schrccker
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Untersuchungen
zur
Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte
herausgegeben
Dr. Otto Gierke
Professor der Reohte an der Universität Berlin
86. Heft
Das landesfürstliche Beamtentum
in Anhalt
von seinen ersten Anfängen bis znm Erlass bestimmter Verwaltnngsordnnngen
(ungefähr 1200—1574)
Dr. Ulrich Schrecker
Breslau
Verlag von M. & H. Marcus
1901)
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Das landesfiirstliche Beamtentum
in Anhalt
von seinen ersten Anfängen
bis zum Erlass bestimmter Verwaltungsordnungcn
(ungefähr 1200 — 1574)
von
Dr. Ulrich Schrecker
Breslau
Verlag von M. & H. Marcus
1906
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Dem Andenken meines Vaters
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Inhaltsangabe
Sette
I. Das landesfürstliche Beamtentum Anlialts im Mittelalter
(ungefähr 1200 — 1450) l
1. Die Zentralverwaltung 1
a) Die Hofbenmteu ... 2
«) Der Truchsess und Küchenmeister 3
ß) Der Marschall 5
y) Der Schenk '..... 9
rf) Der Kämmerer und Kammermeister 11
i) Allgemeines 13
b) Die Notare und Kanzleibeamten 16
2. Die Lokalverwaltung 27
a) Die Vögte 27
b) Die Ortsbeamten 47
ir) Der ländliche Schultheiss . . 47
ß) Der Stadtpräfekt 50
c) Sonstige Beamte 52
ft) Militärische 52
. 1. Die castellani 52
2. Der Hauptmann 53
ß) Gerichtliche 54
1. Der Schultheiss 54
2. Der Gogreve . . • 55
3. Der Fronbote 56
y) Der MUnzmeister 56
J) Der Marktmeister 57
II. Das landesfürstliche Beamtentum im 15. und 16. Jahr-
hundert 58
1. Die Beamten der Zentralstelle 60
A. Die Landesvcrwaltung 60
a) Der landesfürstliche Bat 60
b) Die Beamten der Landesverwaltnng . 80
k) Die Kanzleibeamten 81
1. Der Kanzler 81
2. Die Sekretäre 89
fl) Die Beamten der Finanzverwaltung 91
1. Der Rentmeister 91
2. Der Sekretär 97
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VIII
Seite
B. Die Hofverwaltung *J7
a) Die Beamten der Hofhaltung 1*7
«) Der Marschall .... 1*8
/*) Der Hofmeister 102
y) Der Hauptmann 104
<f) Die niederen Hofbeauiten lOfi
b) Der Statthalter ... 108
2. Die Beamten der Bezirksverwaltnng 109
a) Der Amtmann 111
b) Die L'nterbeamten 130
«) Der Schosser 130
fl) Der Amtsschreiber 132
;-) Die niederen Domiinenbeamten 134
if) Der Förster 134
<) Der Landreiter 13ß
f) Die Geleitsmänner 137
3. Die Beamten der Ortsverwaltung 137
a) Der ländliche Schulze 137
b) In den Städten ... 138
4. Die Kirchen- und Schulverwaltung . 139
Exkurs: Allgemeine Verhältnisse des Beamtentums 140
III. Schlusswort 144
Anhang 147
Abkürzungen 152
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I. Das landesfftrstliche Beamtentum Anhalts
im Mittelalter (ungefähr 1200—1450).
I. Die Zentralverwaltung.
Die Zentral Verwaltung ist in Anhalt zur Zeit des Mittel-
alters in gleicher Weise eingerichtet, wie an den meisten
Fürstenhöfen Deutschlands der damaligen Zeit1). Sie ist im
wesentlichen Hofverwaltung; eine Trennung der Landes- von
den Hofaugelegenheiten gibt es noch nicht. Die eigentlich ent-
scheidende Verwaltung liegt für alle Angelegenheiten voll-
kommen in der Hand des Fürsten. Nur zu seiner Unter-
stützung, zur Ausarbeitung und Ausführung seiner Verfügungen
zieht er ergebene Männer aus dem ihm nächststehenden Kreise
der an seinem Hofe befindlichen Personen hinzu. Die ursprüng-
') Schröder, Lehrbuch der deutschen Rechtsgeschichte (4. And. 1902)
S. 597 ff.; v. Below, Territorium und Stadt (Historische Bibliothek Bd. XI)
S. 286 ff. ; Bornhak, Preussische Staats- und Recbtsgeschichte (Berlin 1903)
8. 7 ff. ; H. B. Meyer, Hof- und Zentralverwaltung der Wettiner in derZeit
einheitlicher Herrschaft über die Meissnisch-Thilringischen Lande (1248—1379)
(Leipziger Studien Bd. XI Heft 3 (1902)) S. 25ff. ; v. Krones, Verfassung
und Verwaltung der Mark und des Herzogtums Steier von ihren Anfängen
bis zur Herrschaft der Habsburger (Forschungen zur Verfassungs- uud Ver-
waltungsgeschichte der Steiermark Bd. I (1897)) S. 85 ff.; Luschin v. Eben-
greuth, Österreichische Rechtsgeschichte (Bamberg 1896) S. 190 ff. ; Rosen-
thal, Geschichte des Gerichtswesens und der Verwaltungsorganisatiou Baierns
Bd. I (Würzburg 1889) S. 237ff.; Schmoller, Über Behördeuorganisation,
Amtswesen und Beamtentum im allgemeinen und speziell in Deutschland und
Preussen bis zum Jahre 1713 (Acta Borussica Bd. I) S. 50 ff. ; Wintterlin,
Geschichte der Behördeuorganisation in Württemberg (Stuttgart. 1904) S. 13 ff. ;
v. Maurer, Geschichte der Fronhöfe, der Bauernhöfe und der Hofverfassung
in Deutschland (Erlangen 1862) Bd. II S. 297 ff.
ßchreckor, Beamtentum in Anhalt 1
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2
lieh nur dem persönlichen Hofdienst zugeteilten Inhaber der
Hofämter, wie die Schreiber der Urkunden sind die einzigen
Verwaltungsbeamten der Zentrale in dieser Zeit, deren Einfluss
und Wirksamkeit im Laufe der Jahrzehnte immer mehr ansteigt,
bis sie den ganzen Verwaltungsapparat der Zentralregierung
unter sich aufgeteilt und ein festes Beamtentum geschaffen
haben.
a) Die Hof beamten *).
Zum erstenmal treten uns Hofbeamte der anhaitischen
Fürsten entgegen im Jahre. 1181. In einer Urkunde Herzog
Bernhards von Engern und Westfalen, Grafen von Ascharien,
gegen Ende September 1181 ansgestellt2), finden wir unter den
Laienzeugen aufgeführt „Conradus dapifer, Heinricus mars-
calcus, Heinricus camerarius“. Es ist dies die erste bestimmte
Erwähnung von Hofbeamten unter Herzog Bernhard, während
sich in der Umgebung der andern Söhne Albrechts des Bären
schon früher (seit 1172) derartige Beamte finden3). Es ist
‘) über die Hofbeamten anderer deutscher Länder vgl. v. Wrotschko,
Das österreichische Marscballamt iin Mittelalter (Wien 1897) S. 15 ff.; Ficker,
Die Reicbsbofbeamteu der stauiiscbeu Periode (Sitzungsberichte der kaiser-
lichen Akademie der Wissenschaften (Philosophisch -Historische Klasse 40
(1862) Heft 4) S. 517ff.; v. Below, Territorium S.286ff.; ßornhak S.7ff.;
Barth, Das bischöfliche Beamtentum im Mittelalter, vornehmlich iu den
Diözesen Halberstadt, Hildesheim, Magdeburg und Merseburg (Zeitschrift des
Harzvereins XXXIII (1900)) S. 366 ff.; v. Krones, Laudesfürstliche Behörden
und Stände des Herzogtums Steier (1283—1411) (Forschungen zur Verfassungs-
und Verwaltungsgescbichte der Steiermark Bd.IV (1900)) S. 187 ff.; Verfassung
und Verwaltung S. 86 ff. ; H. B. Meyer S. 29ff. ; v. Maurer S. 254 ff., 292 ff.;
Rachfahl, Die Organisation der Gesamtstaatsverwnltung Schlesiens vor dem
30jährigeu Kriege (Staats- und sozialwissenscbaftlichc Forschungen Bd. XIII
Heft 1 (1896)) S. 73 ff. ; Schmoller S. 50 ff. ; Spaugenberg, Beiträge zur
ölteru Verfassungs- und Verwaltungsgescbichte des Fürstentums Osnabrück
(Mitteilungen des historischen Vereins zu Osnabrück XXV (1900)) S. 51 ff.;
Roseuthal, Geschichtswesen S. 237 ff. ; Wiederhold, Untersuchungen zur
Staats- und Verfassungsgeschichte der nordalbingiscbeu Territorien (1234 bis
1261) (Göttingen, Dissertation 1897) S.47ff.; WiuttcrlinS. 16ff.; Schröder,
Deutsche Rechtsgeschichte S. 486 ff., 597 ff. ; Waitz, Deutsche Vcrfassungs-
gescbichte (II. Aufl. Leipzig 1896) Bd. V S. 362 ff.
*) v. H. I 605.
*) v. H. I 533 (1172). 546 (1173). 604 (1181); V 553a (1177).
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3
also wohl anzunehmen, dass auch am Hofe Bernhards schou
vor 1181 Hofämter bestanden habeu, wenn es auch möglich
ist, dass er erst seit der Belehnung mit der Herzogswiirde
(1180) sich eine eigene Hofhaltung eingerichtet hat.
Von 1181 an treten dann Hofbeamte bald mehr, bald
weniger oft in den Urkunden auf, besonders seit der Be-
gründung der eigentlich anhaitischen Herrschaft unter Hein-
rich I. lassen sich einige stets nachweisen. Der Zahl nach
gibt es auch in den anhaitischen Gebieten vier Hofämter in
dieser Zeit, jedoch kommen selten alle vier nebeneinander vor.
a) Das Amt des Truchsess (dapifer) scheint schon im
12. und 13. Jahrhundert sehr bedeutend gewesen zu sein,
jedenfalls das bedeutendste unter den Hofämtern, denn in den
meisten Fällen finden wir den Truchsess als ersten unter den
Hofbeamten aufgeführt1). Er ist seit 1181 urkundlich nach-
weisbar bis zum Ende des 13. Jahrhunderts. Der letzte In-
haber des Amts begegnet 1288, seitdem verschwindet der
Truchsess völlig aus den Urkunden8).
■) v. H. I 605 (1181); II 16 (1215), 100 (1229), 209 (1254); II 302
(1265); II 342 (1267).
’) Mit Samen aufgeführt sind folgende Inhaber des Truchsessamtes:
1181 — 1219 Konrad von Waldeser unter Herzog Bernhard und
Heinrich I. (v. H. I 605, 686, 701; II 16, 23, 32. Ob der I 733 erwähnte
Conradus dapifer derselbe ist, lässt sich nicht entscheiden. Die Urkunde ist
von Bischof Norbert von Brandenburg 1200 ausgestellt. Es wäre möglich,
da Herzog Bernhard zugegen ist, ich glaube es aber nicht, weil ein anderer
Begleiter des Herzogs, der Notar Arnold, noch besonders als „notarius ducis“
bezeichnet wird).
1219 — 1231 Ulrich von Welsleben unter Heinrich I. (v. H. II 32,
54, 71, 93, 94, 95, 100, 103, 104, 108); er (II 108) führt einmal die Bezeich-
nung „dapifer de Bernburgk“.
1239 — 1243 Konrad Schlichtiug (v. H. II 158; M.V.f.A.G. IX 2
S. 188, 189; zweifelhaft ist, zu wem der v. H. II 145 bei einem Vertrag des
Qrafcn Heinrich I. mit dem Abte von Niemburg im Jahre 1239 auftretende
„Conradus dapifer“ gehört, doch glaube ich ihn bei der zeitlichen Überein-
stimmung zu Graf Heinrich ziehen zu dürfen).
1251—1263 Lippold von Heimburg unter Heinrich II. (v. H. II 190,
209, 267, 277, 280, 281).
1265 Heinrich von Alsleben unter Siegfried von Zerbst (v. H. II 302).
1267 Johannes unter Otto I. und Heinrich III. von Aschersleben
(v. H. II 342).
1»
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4
Wie sich schon aus den Namen ergibt, ist der Truchsess
stets aus angesehener Familie, er gehört immer dem Kitter-
stande an, wird auch in allen Urkunden unter den milites auf-
geführt; zu den Ministerialen des Fürsten hat er jedenfalls
auch wohl gehört 1). Gewöhnlich steht der Truchsess als einer
der ersten unter den ritterlichen Zeugen; ausserordentlich oft
sogar an deren Spitze2).
Über seine eigentliche Amtstätigkeit, sowie über die Art
seiner Anstellung ist nichts überliefert. Dass der Truchsess
auch zu allgemeinen Geschäften verwendet wurde, sehen wir
schon aus einer Urkunde vom Jahre 1289, in der Graf Hein-
rich I. bezeugt, „quod ea, que Conradus dapifer noster de bonis
illis in Goltitz et Creym tractavit et ordinavit, ex parte nostra
tenemus“ s). Wir finden den Truchsess hier also als bevoll-
mächtigten Unterhändler des Fürsten aufgeführt, und in einer
Urkunde vom Jahre 1262 tritt er uns als Bürge für seinen
Herrn entgegen 4). In der Begleitung seines Herrn auf Reisen
finden wir den Truchsess öfter5).
Ob zu derselben Zeit mehrere Inhaber des Amts nebenein-
ander au den einzelnen Höfen tätig gewesen sind, lässt sich
nicht sicher feststellen. Aus dem vorhandenen Material ergibt
sich nur ein Fall vom Jahre 1219 6), und auch hier ist es am
wahrscheinlichsten, dass der eine nur zur Unterstützung des
alternden andern, zu dessen Nachfolger er ersehen war, in
dessen letzten Jahren schon mit im Amte tätig war, ohne ein
eigentlicher Unterbeamter zu sein. Denn es ist doch sonderbar,
dass nur einmal sich zwei Inhaber des Truchsessamts finden,
1288 Richard von Alsleben unter Johann I., Albrecbt und Bern-
hard II. von Bernburg (v. H. II 644). Der v. H. II 346 im Jahre 1268 ge-
nannte Anno dapifer gebürt zu dem Herzog von Brauuschweig (v. H. II 176,
177, 178, 888; v. H. VI Seite 14).
') v. H. I 701 (1195); II 100 (1229); ev. II 103 (1230).
*) v. H. II 16, 32, 94, 100, 104, 158, 190, 209, 280, 302, 644.
*) M.V.f.A.G. IX 2 S. 189.
‘) v. H. II 277.
s) v. H. II 277 (1262), 280 (1263), 346 (1268), 644 (1288).
*) v. H. II 32: „testes sunt: Conradus dapifer de VValdeser, Olricus
dapifer de Welsleve“.
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5
and zwar gerade in dem Augenblick, wo der eine zum letzten-,
der andere zum erstenmal auftritt.
Die Besoldung des Truchsess scheint in Naturalbezügen
und Überweisung von Lehngütern bestanden zu haben. Jeden-
falls werden mehrere Male Lehngüter erwähnt, die ein Truch-
sess vom Fürsten erhalten hat1); einige Truchsesse scheinen
auch selbst nicht unbedeutenden Eigenbesitz gehabt zu haben *).
Im 14. Jahrhundert fehlen uns jede Nachrichten von dem
Vorhandensein eines Truchsess. Wohl aber tritt in einigen
Urkunden der Fürsten Bernhard II. und III. in den Jahren
1317 — 1338 ein Küchenmeister, „magister coquine“ auf3).
Derselbe gehört aber jetzt nicht mehr dem Kitterstaude an, ist
vielmehr stets nur unter den Knappen aufgeführt, ein Zeichen
von welch geringerer Bedeutung sein Amt ist gegenüber dem
des früheren Truchsess, als dessen Ersatz es sich aller Wahr-
scheinlichkeit nach im Anfang des 14. Jahrhunderts entwickelt
hat4). Seit 1338 lässt sich dann auch dieses Amt für lauge
Zeit nicht mehr belegen, erst 1560 tritt uns wieder ein Küchen-
meister entgegen.
ß) Das Amt des Marsch alls scheint im 12. Jahrhundert
und in der ersten Hälfte des 13. von keiner grossen Bedeutung
gewesen zu sein. Ausser dem 1181 erwähnten Marschall Hein-
rich finden wir keinen einzigen Inhaber dieses Amts bis 1263
sicher belegt5). Erst mit diesem Jahre tritt der Marschall in
den Urkunden öfter und bedeutender hervor; seitdem sind aber
Inhaber des Amts bis zum letzten Viertel des 14. Jahrhunderts
•) v. H. II 281 (1263); II 23 (1216).
*) v. H. I 701 (1195); II 267 (1261); M.V.f.A.G. IX 2 S. 188 (1289).
*) v. H. III 352, 695; V 507 a; er heisst Hinricas.
‘) Von einer Verdrängung des alten Truchsess durch den Küchenmeister,
wie v. Maurer, Geschichte der Fronhöfe S. 285, annimmt, kann in Anhalt
wohl keine Rede sein. Das Truchsessamt war vielmehr in seinem alten Um-
fang überflüssig geworden und wurde deshalb von dem geringeren Amt des
Küchenmeisters ersetzt.
*) In einer Urkunde des Bischofs Norbert von Brandenburg vom 12. De-
zember 1200 (v. H. I 733) kommt zwar unter den Zeugen neben dem Truch-
sess Konrad ein Iwanus marschalkus vor, der vielleicht zu den Begleitern
Fürst Bernhards gehören könnte, doch ist es aus dem bei Konrad angeführten
Grunde (s. S. 3 Anm. 2) ebenfalls sehr fraglich.
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6
nachweisbar1)- Vom Jahre 1376 an verschwindet dann auch
der Marschall für 1 l/a Jahrhunderte völlig aus den Urkunden,
um erst wieder im 16. Jahrhundert in viel beschränkterer
Tätigkeit aufzutreten.
Seinem Stande nach gehört der Marschall wohl stets zu
den landesfürstlichen Ministerialen, wenigstens lässt sich dies
einige Male mit Bestimmtheit nach weisen *); immer ist er aber
aus der Zahl der Ritter genommen.
Seine Stellung scheint eine ziemlich bedeutende gewesen zu
sein. Oft finden wir ihn in den Urkunden an der Spitze der
ritterlichen Zeugen3), häufig führt er auch noch die Be-
zeichnung dominus4), was sicher gegen eine untergeordnete
Stellung spricht. Als Vertrauensperson des Fürsten wird der
') Folgende Marse hülle sind nachweisbar :
1181 Heinrich unter Herzog Bernhard (v. H. I 605).
1263 bis zirka 1300 Ulrich von Aschersleben unter Heinrich 11.
und dann unter Otto I. und Heinrich III. Er nimmt eine hervorragende
Stellung ein, kommt in nicht weniger wie 77 Urkunden vor, mehr wie jeder
andre Hofhcamte (v. H. II 281, 302, 319, 321, 330, 334, 338, 342, 346, 347,
350, 352, 368, 371, 378, 393, 401, 405, 421, 439, 449, 455, 457, 462, 463,
468, 489, 491, 508 -512, 517, 521, 529, 531, 532, 535, 536, 539, 545, 552,
654, 558—560, 566, 585, 586, 589, 590, 601, 606, 618, 625, 631, 673, 682,
696, 702, 708, 711, 714, 739, 746, 748, 766, 769, 771, 774, 802, 818, 839,
841; V 614 a, 772 a. Ob der II 307 erwähnte Olricus marscalcus der obige
ist, lässt sich nicht sicher sagen, da anhaitische Fürsten in der Urkunde gar
nicht erwähnt werden, doch ist es wohl wahrscheinlich).
(1293) 1300—1314 Heinrich, Sohn Ulrichs (v. H. II 753, 882, 884,
888,889; III 1,8,9, 49, 51, 60, 63, 107, 117, 217, 227, 232, 269, 272, 284).
Dass der spätere Marschnll Heinrich mit dem im Jahre 1287 (v. H. V 617 a)
und seitdem mehrmals erwähnten Hinricus, filius Olrici marscalci identisch
ist (v. H. II 769, 771, 774; V 772 a), ist bei Übereinstimmung der Namen wohl
sicher anzunehmen.
1280 Hermann unter Siegfried von Zerbst (v. H. II 515).
1337 Johann von Morditz unter Albrecht I. und II. von Zerbst
(M.V.f.A.G. VIII 4, 1337 Nr. 6; IX 1 S. 58).
1376 Brakman von Zelingen unter Otto III. von Bernburg (v. H.
IV 486).
’) v. H. II 321 (1266), 330 (1267), 378 (1270), 802 (1296).
*) v. H. II 535, 536, 560, 590, 618, 631, 673, 682, 696, 746, 769, 771,
774, 753; III 49, 60, 227, 232; V 772 a.
*) v. H. n 334, 457, 512, 559, 560, 586, 601, 606, 696, 746, 753, 769,
771, 818; III 217.
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7
Marscliall auch sein- oft hervorgehoben. So finden wir den
Marschall in einer Urkunde des Jahres 1283 neben zwei
andern Kittern als besondcrn Bürgen bei einer Verleihung
seitens des Fürsten Otto I. aufgeführt1), und im Jahre 1288
ist er unter den 4 Schiedsrichtern, die die Grafen Otto I. und
Heinrich III. dem Bischof von Halberstadt gelegentlich der
Verpfändung von Wegeleben stellen2); bei dieser Gelegenheit
steht der Marschall sogar au der Spitze der 19. ritterlichen
Bürgen, die dem Bischof von den anhaitischen Grafen zugesagt
sind, „quod omnia et singula placitata ab ipsis inviolabilitcr
observentur“. Ebenso ist ein Marschall im Jahre 1301 bei
einem Vergleich des Fürsten Otto I. mit dem Marienstift zu
Halberstadt neben einem andern Ritter als Bekräftigungsbürge
aufgeführt3), und in demselben Jahre sehen wir ihn als Ge-
sandten des Fürsten von Anhalt am Hofe des Grafen von
Beichlingen auf Schloss Kelbra4). Der Marschall wird also zu
manchen wichtigen Geschäften verwendet, über seine eigent-
liche Tätigkeit ist jedoch in den Urkunden nichts zu finden.
Nur einmal begegnet ein Marschall in den 30 er Jahren des
14. Jahrhunderts als fürstlicher Hauptmann5), ein Zeichen,
dass der Marschall auch in Anhalt mit der Kriegführung be-
traut wird.
Allerdings ist gerade der Einfluss der einzelnen Persönlich-
keit bei diesem, wie allen Hofbeamten von sehr grosser Be-
deutung. Das kann man bei dem Marschall Ulrich von
Aschersleben (1263 — 1300) in der Stellung seines Namens in
den Urkunden deutlich verfolgen. In den ersten Jahren seines
Auftretens finden wir ihn meist in der Mitte der milites auf-
geführt; bisweilen sogar als deren letzten6), gegen Eude
seiner Tätigkeit steht er aber fast stets an ihrer Spitze7).
Einen Einblick in die einflussreiche persönliche Stellung
») v. H. II 562.
5) v. H. II 631.
») v. H. III 8, 9.
‘) v. H. III 1 (1301).
*) v. H. UI 661 (1335).
*) v. H. II 342 (1267), 393 (1271), 439 (1274).
’) pag. 6 anm, 3.
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8
Ulrichs gewähren noch zwei weitere Urkunden. In der einen
vom Juni 1265 ') führt Graf Siegfried von Anhalt besonders
an, dass er „domini Olrici de Aschersleve marscalci comitis
Henrici fratris nostri precibus inclinatus“ das Kloster Michael-
stein mit Landhufen belehnt habe, und in einer Urkunde vom
Jahre 1282“) wird erwähnt, dass die Grafen von Anhalt „una
cum Olrico milite dicto marscalco“ eine von ihm, dem Grafen
Otto, zurückgestellte Hufe Landes, die er von diesem zu Lehen
erhalten hatte, einer Aschersleber Kapelle geschenkt haben,
wofür als Gegenleistung jährlich am Tage „eene Domini“ „pro
auima iam dicti Olrici nec non et pro animabus progenitorum
successorumque suorum“, den Armen Almosen gegeben werden
sollen.
Bemerkenswert ist, dass wir den Marschall fast stets in
der unmittelbaren Umgebung seines Fürsten treffen, namentlich
bei Reisen scheint er unbedingt im Gefolge seines Herrn ge-
wesen zu sein, wie sich aus der grossen Anzahl von Urkunden
ergibt, die von anhaitischen Fürsten an fremden Orten aus-
gestellt sind und in ihren Zeugenreihen den Namen eines Mar-
schalls enthalten3). Es hängt dies jedenfalls mit dem Amt
des Marschalls als Quartiermacher zusammen, das sich zwar
nicht direkt nachweisen lässt, aber doch wohl sicher anzu-
nehmen ist4).
Mehrere Inhaber des Marschallamts scheinen nicht neben-
einander tätig gewesen zu sein. Einmal wird zwar während
der Amtszeit eines Marschalls noch ein andrer erwähnt, aber
in Abwesenheit des sonstigen Inhabers des Amts5). Jedenfalls
ist auch hier wieder nur eine Vertretung anzunehmen, da der
') v. H. II 302.
*) v. H. II 532.
») v. H. II 319, 330, 346, 347 (1266—1268), 371 (1270), 421 (1273),
489, 491 (1276), 517 (1280), 531, 536, 552, 654, 658, 566, 585, 586, 601, 606,
618 (1282—87), 682, 696, 702 , 708 , 711 (1290—91), 739 , 748 , 753 , 766
(1293—94), 802 (1296), 841 (1297); III 8, 9 (1301), 217 (1310).
‘) Nach dem Beispiel anderer Länder: v. Wretschko S. 37; Bosenthai,
Gerichtswesen S. 248; v. Maurer, Fronhöfe S. 294; Isaaksohu, Geschichte des
preussiseken Beamtentums (Berlin 1874) Bd. I S. 13.
5) Der Marschall Heinrich tritt schon 1293 in Abwesenheit seiues Vaters
als Marschall auf (v. H. li 753).
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9
genannte zweite Marscball im Beisein des ersten sonst nie mit
einem Amtstitel genannt wird, sondern stets nur als einfacher
Zeuge auftritt; bei Verhinderung des Vaters versieht eben der
Sohn die Geschäfte desselben, da er doch zu dessen Nachfolger
bestimmt ist. Erblichkeit des Amts ist aber nach dem Beispiel
der Marschälle Ulrich und Heinrich wohl anzunehmen '), wenig-
stens ist sie sicher nicht ausgeschlossen.
Hinsichtlich der Besoldung des Marschalls lässt sich nichts
Bestimmtes erkennen; bisweilen findet sich nur in den Ur-
kunden Erwähnung eines Lelmguts, das ein Marschall vom
Fürsten gehabt hat a). Jedenfalls wird also die Besoldung, wie
in andern Ländern, in dieser Zeit noch völlig in Güterliber-
weisungen neben Naturalverpflegung bestanden haben.
y) Ein Inhaber des Schenkenamts ist sicher erst im
zweiten Viertel des 13. Jahrhunderts nachweisbar, im Jahre
1229 tritt zum erstenmal ein anhaitischer Schenk auf3). Seit-
dem hat das Amt während des ganzen 13. bis in den Anfang
des 14. Jahrhunderts bestanden, seit 1319 verschwindet es aber
ebenfalls aus den Urkunden, um erst wieder im 16. Jahrhundert
als Hofamt zweiter Ordnung zu erscheinen4).
*) pag. 6 aum. 1.
*) v. H. II 334 (1267), 532 (1282), 714 (1291), 739 (1293); III 227 (1311),
269 (1313).
*) v. H. II 100. Der in II 16 im Jahre 1215 erwähnte Alexander
princerna gehört zum Kloster Niemburg (vgl. auch II 117, 334). Auch wird
ja der ebenfalls anwesende Truchsess des anhaitischen Grafen noch besonders
„dapifer comitis Ascharie" genannt.
4) Folgende Schenken sind namentlich nachweisbar:
1229 Friedrich von Schwechting unter Heinrich I. (v. H. II 100).
1244 Konrad unter Heinrich I. (v. H. II 160, 161).
1254 Lodwicus pincerna de Blankenbnrch unter Heinrich II. (v. H.
II 209); doch ist möglich, dass er zur Grafschaft Blankenburg gehört, wie
v. H. VI S. 32 anuimujt.
1254—1267 Bartold von Welpesleben unter Heinrich II. nnd dann
Otto I. und Heinrich HL (v. H. II 209, 330).
1263—1270 Johann vom Berge unter Heinrich II. und besonders
Otto I. und Heinrich III. (v. H. II 281, 321, 323, 330, 338, 350, 358, 378);
gelebt hat er noch bis 1294 nach v. H. VI S. 80.
Eine Urkunde vom Jahre 1272 (v. 11. II 405) berichtet, dass die Grafen
Otto 1. und Heinrich III. bei eiucin Uinisterialentausch mit dem Stifte
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10
Die Bedeutung des Schenkenamts für die allgemeine Ver-
waltung kann nicht allzu gross gewesen sein, Schenken kommen
immer nur ganz vereinzelt in den Urkunden vor; nur einmal
gegen Ende des 13. Jahrhunderts wird ein Inhaber dieses Amtes
öfter als Urkundenzeuge aufgeftthrt. Auch unter den Hof-
ämtern selbst scheint es weniger Geltung gehabt zu haben.
Wir finden in den Zeugenreihen der Urkunden alle. Schenken
hinter dem Truchsess, später auch hinter dem Marschall anf-
geführt1), nur Johann vom Berge macht eine Ausnahme*) —
er ist auch der einzige Schenk, der als erster der ritterlichen
Zeugen aufgeführt wird3) — und einmal Bartold von Welps-
leben4); doch ist dies wohl weniger seinem Amte, als seinem
höheren Alter zuzurechnen, da gerade in derselben Urkunde
der Schenk Johann vom Berge wieder hinter die andern Hof-
beamten gestellt wird. Auch die Bezeichnung dominus findet
sich nur zweimal für einen Schenken5).
Seinem Stande nach ist aber der Schenk, wenigstens im
13. Jahrhundert, stets aus der Ritterschaft genommen, bisweilen
sogar aus recht einflussreichem Gesehlechte6); sicher hat er
wohl auch zu den Ministerialen des Fürsten gehört7). Im 14. Jahr-
Quedlinburg „Ottonem et Burcbardum filios doinini Theoderici piucerue*
vertauscht haben. Es ist möglich, dass dieser ein Hofbeamter der anhaitischen
Herren ist, aller Wahrscheinlichkeit nach ist hiermit. aber der gleichnamige
Schenk des Quedlinburger Stifts gemeint, der von 1231—78 nachweisbar ist,
wie auch v. H. VI S. 19!) annimmt.
Aus dem 14. Jahrhundert lasst sich überhaupt kein Schenk mit Namen
nachweisen, nur ein einziges Mal im Jahre 1319 wird ein Inhaber des Amtes
erwähnt, dessen Name aber nicht mehr leserlich ist (v. H. III 376).
>) v. H. II 100 (1229), 160 (1244), 209 (1254), 321, 330 (wenigstens
Johann vom Berge) (1266—67); III 376 (1319).
*) v H. II 281, 338, 358, 378 (1263, 1267—70).
•) v. H. II 338 (1267), 378 (1270).
*) v. H. II 330 (1267).
•) v. H. n 323, 330 (1267).
*) Z. B. Johann vom Berge.
*) v. H. II 321, 330 (1266—67), 378 (1270), ev. II 405 (1272). Durch
II 321 könnte man vielleicht in Bedenken kommen, wenn es heisst: „Huius
rei testes sunt ministcriales nostri Johannes de Berge, Olricus et Heinricus
fratres de Wedcstorp, Olricus marscalcus, Concmundus de Monte, Iiermannus
de Wegeuleve et alii milites quam plures Heinricus de Gatersleve, Albertus
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11
hundert dagegen ist der einzig nachweisbare Schenk nur noch
als Knappe aufgeführt; man sieht daraus deutlich, wie auch
das Schenkenamt allmählich an Ansehen verliert1). Ganz un-
bedeutend ist aber dasselbe doch nicht gewesen. Das beweist
ausser dem ritterlichen Stand der Inhaber auch schon der Um-
stand, dass wir bisweilen zwei Inhaber des Amts zu gleicher
Zeit antreffeu2). Wer da der eigentliche Inhaber des Amts ist,
und ob überhaupt der andere sein Unterbeamter ist, lässt sich
jedoch nicht mit Sicherheit entscheiden. Möglich ist, dass in
II 330 Johann vom Berge Unterbeamter Bartolds ist, jedenfalls
lässt seine ganze Stellung in der Zeugenreihe auf ein ge-
ringeres Ansehen schliessen. Nach seinem häufigen alleinigen
Auftreten schon vor dem 1. Mai 1267 scheint er mir aber mehr
als Unterstützung und Stellvertreter des alternden Bartold
schon zu dessen Lebzeiten im Amte gewesen zu sein, denn als
eigentlicher Unterbeamter, wogegen schon die Bezeichnung
„dominus“ spricht, die ihm in einer früheren Urkunde schon
beigelegt ist8).
Auf Reisen scheint der Schenk seinen Herrn nur selten
begleitet zu haben, wenigstens lässt es sich nur einmal er-
kennen 4). Auch über eine allgemeine wie spezielle Tätigkeit
des Schenks ist nichts überliefert, er ist eben mehr eigent-
licher Hausbeamter. Seine Bezeichnung in den Urkunden ist
pincerna, er tritt stets nur als Zeuge auf.
d) Die geringste Bedeutung von allen Hofämtern der
älteren Zeit hat das Amt des Kämmerers. Es ergibt sich
dies schon daraus, dass seine Inhaber nur dem Stande der
Knappen angehören und in den Urkunden nur ganz vereinzelt
Vorkommen. Nach der ersten Erwähnung eines Kämmerers im
de Coxstede, Johannes pincerna “, dass der Schenk Johann nicht zu den
Kittern gehöre, doch ist dies sicher uachzuweisen aus den Urkunden v. H. II
28t (1263), 3ö0 (1268).
') v. H. III 376 (1319).
*) v. H. II 209 (1254), 330 (1267). Allerdings ist es bei II 209 ja nicht
unbedingt sicher, ob beide Schenken anhaitische Hofbeamte sind (vgl. pag. 9
antn. 3).
*) v. II. II 323 (1267 Febr. 10).
*) v. H. II 330 (1267).
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12
Jahre 1181 l) tritt überhaupt nur noch einmal ein Inhaber
dieses Amtes auf, und zwar erst gegen Ende des 13. Jahr-
hunderts*). Er ist bis 1315 nachweisbar, weiter findet sich in
den Urkunden dann kein Kämmerer anhaitischer Fürsten
erwähnt.
Seinem Stande nach gehört der Kämmerer zu den famuli 3),
innerhalb deren Reihe ist seine Stellung in den Urkunden ver-
schieden1). Über seine Tätigkeit ist nichts überliefert, auf
Reisen hat der Kämmerer seinen Fürsten nicht selten be-
gleitet 5).
Im letzten Viertel des 14. Jahrhunderts tritt zwar wieder
ein Inhaber des Kämmereramtes auf, doch wird dieser nunmehr
schon Kammermeister genannt6). Audi über seine Tätigkeit
ist nichts nachzuweisen, er scheint aber eine bedeutendere
Stellung eingenommen zu haben, als die Kämmerer früherer
Zeiten. Zwar hat er jedenfalls noch zum Stande der Knappen
gehört7), ist aber wohl schon ziemlich vermögend8) und von
nicht unbedeutendem Ansehen gewesen, da ihn die Äbtissin von
') v. H. I 605, Heinrich (pag. 3).
*) Heinrich Hobusch, nach dem Sprachgebrauch damaliger Zeit anch
Heinemannus genannt. Er hat am Hofe Ottos I. uud II. gelebt (1291—1315)
(v. H. II 708, 711, 739, 769, 770, 771, 774, 881, 884, 888, 889; III 6, 23,
49, 51, 59, 63, 81, 82, 88, 101, 107, 117, 279, 307). v. Hcincmaun VI S. 125
setzt ihn bis 1322 an, doch scheint es mir fraglich, ob der III 424 genannte
Henricus Kamerarius der nnsrige ist, da die Urkunde vom Niembnrger Abte
ausgestellt ist und der Aschersleber Grafen keinerlei Erwähnung tut.
') v. H. I 605 (1181); II 770, 774, 881, 884, 888; III 49, 51, 59, 63,
81, 82, 88, 101, 107, 117, 279 (1294—1314).
‘) Der Kämmerer Heinrich Hobusch findet sich in den ersten Jahren seiner
Amtstätigkeit meist am Ende, später jedoch anch oft an der Spitze seiner
Standesgenossen (v. H. II 889 (1300); III 59, 63, 81, 82, 101, 107, 117
(1303—05)).
») v. H. II 708, 711 (1291), 739 (1292); III 88 (1304).
*) 1375 — 1377 Oltze von Gilverstedt (v. H. IV 462, 483, 504, 506);
eine bestimmte Angabe, bei welchem Fürsten er tätig gewesen ist, fiudet
sich nicht.
’) v. H. IV 462 (1375).
*) v. H. IV 483 (1376) und besonders IV 501 (1377). Hier wird er mit
einem andern als Stifter und Dotator eines Altars aufgeführt, „quod — aediticare
proponereut, volentes de suis tautniu apponere, quod sacerdos de hiis
congrue posset susteutari“.
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13
Gernrode einmal mit dem Patronatsreclit eines Altars belehnt;
überhaupt scheint er zu dem Stifte Gernrode in näheren Be-
ziehungen gestanden zu haben1). Nach 1377 ist auch ein
Kammermeister fiir lange Zeit in den anhaitischen Urkunden
nicht aufzufinden, erst im 16. Jahrhundert erscheint die Be-
zeichnung gelegentlich wieder.
e) Fasst man das über die einzelnen Ämter Nachgewiesene
zusammen, so ergibt sich, dass auch in Anhalt die Hofbeamten
im 12. — 14. Jahrhundert nach ihrem Geburtsstande durchaus
unfreie Dienstmannen sind, aus der Zahl der Ministerialen her-
vorgegangen. Es gibt im ganzen vier Ämter, ein Hofmeisteramt
findet sich in dieser Zeit in Anhalt noch nicht. Truchsess,
Marschall und Schenk gehören dem Ritterstande an, nur der
Kämmerer ist von vornherein aus der Zahl der Knappen ge-
nommen, später gehen auch die Ämter des Schenken und Truch-
sess in die Hände von Knappen über, letzteres auch im Namen
verändert.
Am einflussreichsten von den Hofbeamten ist der Truchsess,
jedenfalls steht er bis zu seinem letzten Auftreten mit einer
einzigen Ausnahme2) stets an der Spitze derselben. Der Schenk
scheint anfangs bedeutender gewesen zu sein wie der Marschall8),
doch mag dies auch darin seinen Grund haben, dass der Mar-
schall erst seit 1263 wieder mehr hervortritt. Jedenfalls hat
sich schon im Jahre 1266 ein Ausgleich vollzogen4) und gegen
Ende des 13. und im 14. Jahrhundert ist sicher der Marschall
nach dem Verschwinden des Truchsess der einflussreichste von
allen Hof beamten 5). Er ist der einzige, der ritterlichen
Standes bleibt, sein Amt hat sich sichtlich gegen das 13. Jahr-
hundert an Ansehen gehoben. Die geringste Bedeutung hat
anfangs das Kämmereramt gehabt, es hebt sich aber auch schon
im 14. Jahrhundert.
Überhaupt ändert sich im 14. Jahrhundert das Bild des
') v. H. IV 506 (1377); liier nenut ihn die Abtissin auch „nnscrae
truwen dyner“.
*) v. H. II 281 (,1263).
*) v. Ii. II 281 (1263), 330, 3)38 (1267), 350 (1268), 358 (1269), 378 (1270).
«) v. H. II 321.
*) Vgl. H. B. Meyer S. 35 für die wettiniscben Lande.
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14
Hofbeamtentums. Die alten Ämter verlieren allmählich immer
mehr an Bedeutung, werden verändert und schwinden schliess-
lich ganz oder wenigstens für lange Zeit aus unsern Augen.
So wird das Schenkenamt im 14. Jahrhundert nur noch von
einem Knappen verwaltet und ist seit 1319 nicht mehr zu be-
legen. Das alte Truchsessamt ist schon seit 1288 nicht mehr
nachweisbar, dafür ist im 14. Jahrhundert das nunmehr eben-
falls von einem Knappen verwaltete Amt eines Küchenmeisters
eingetreten. Das Amt des Kämmerers hat sich zwar im Laufe
der Zeit an Bedeutung gehoben, doch ist auch hier der alte
Titel seit Anfang des 14. Jahrhunderts verschwunden und dafür
die Bezeichnung Kammermeister eingetreten. Am längsten hält
sich noch das Marschallamt in seiner alten Bedeutung, erst
1376 verschwindet der letzte Inhaber dieses einflussreichen Hof-
amts aus den Urkunden. Der Marschall ist auch der einzige
Hofbeamte, der mit seinem alten Namen in späterer Zeit wieder
bedeutender hervortritt, Schenk und Küchenmeister sind im
16. Jahrhundert nur noch Beamte zweiten Ranges. Seit dem
Ausgang des 14. Jahrhunderts sind sämtliche Hofbeamte aus
den Urkunden verschwunden, um erst im 16. Jahrhundert
zum Teil wiederzukehren, und zwar in viel beschränkterer
Stellung.
Bei den Hofämtern des 12. — 14. Jahrhunderts ist nun auf-
fallend, dass wir meist nur jedesmal zwei Hofämter in einer
Zeit öfter belegt finden. Bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts
kommen in den Urkunden mit alleiniger Ausnahme der Urkunde
von 1181 (v. H. I 605) fast nur Inhaber des Truchsess- und
Schenkenamts vor, Marschall wie Kämmerer werden erst öfter
erwähnt seit dem dritten Viertel oder ganz am Ende des
13. Jahrhunderts, also zu einer Zeit, wo das Truchsess- und
Scheukenamt in ihrer alten Bedeutung schon allmählich zurück-
gehen und bald verschwinden. Die Hofämter damaliger Zeit
scheinen sich also auch untereinander in ältere und jüngere zu
scheiden. Woher das kommt, lässt sich nicht sicher sagen.
Jedenfalls wird der Einfluss der Persönlichkeit der jeweiligen
Amtsiuhaber hier sehr mitgesprochen haben, andererseits hängt
es wohl mit den Befugnissen der Ämter zusammen. Während
Truchsess und Schenk im wesentlichen Haushaltungsbeamte
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15
bleiben, wächst das Ansehen des MarschaUs und Kämmerers
durch Vermehrung ihrer Befugnisse. Aus der ursprünglichen
Aufsicht über den Marstall und die Knechte entwickelt sich
für den Marschall im Laufe der Zeit ein Oberbefehl erst über
die reisigen Knechte, dann auch über die Ritterschaft, er wird
allmählich zu deren Vorstand1). Das Kämmereramt hebt sich
von selbst durch die stetig wachsende Bedeutung der Finanzen
und Geldwirtschaft.
Über die eigentliche Amtstätigkeit der Hofbeamten lässt
sich aus dem vorhandenen Material nichts Bestimmtes feststellen,
von Nachrichten über irgendeine Amtsbefugnis fehlt jede Spur.
Jeder Hofbeamte hat sein althergebrachtes Hofamt, daneben
besorgt er, was ihm aufgetragen ist, auch für die Erledigung
der Geschäfte der allgemeinen Landesregierung. Eine Be-
tätigung in dieser Hinsicht beweist vor allem das häufige Auf-
treten der Hofbeamten als Zeugen irgendwelcher Handlungen
und Abmachungen ihres Fürsten, eigentlich bei jeder Aufzählung
von Zeugen in einer Urkunde anhaitischer Fürsten ist ein Hof-
beamter verzeichnet. Andererseits sind dieselben auch oftmals
als selbtätige Vertreter ihres Landesherrn, als Bürgen, Schieds-
richter oder Unterhändler nachweisbar8), sie sind wohl über-
haupt bei jedem wichtigen Geschäft dabei. Jedenfalls haben
die Hofbeamten in der Landesregierung aber wohl keine selb-
ständige Amtsgewalt, sie sind nur Diener und Gehilfen des
Fürsten, ihre Abmachungen bedürfen stets dessen Bestätigung.
Die Hofbeamteu sind in steter Umgebung des Landesherrn, sie
begleiten ihn wohl in dieser Zeit des Fehlens einer festen
Residenz auch auf seinen meisten Reisen, namentlich der
Marschall fehlt fast nie wegen der ihm obliegenden Sorge fürs
Quartier.
Mehrere Inhaber eines Hofamts sind für gewöhnlich nicht
anzunehmen, es entspricht dies schon dem ganzen Umfang des
anhaitischen Besitzes. Tritt bisweilen der Fall ein, so geschieht
es nur in den letzten Lebensjahren des eigentlichen Hofbeamten
*) Vgl. Isaaksohn S. 13; H. B. Meyer S. 33; v. Maurer, Fronböfe S. 269 ff.;
Luschin von Ebengreuth, Geschichte des Gerichtswesens S. 82.
’) v. H. II 330(1267), 552 (1283), 631 (1288), 277 (1262); III 1 (1301),
8, 9 (1301); M.V.f.A.G. IX 2 S. 189 (1239).
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zu seiner Unterstützung oder notwendigen Vertretung durch
seinen schon vorgesehenen Amtsnachfolger.
Erblichkeit der Hofämter lässt sich aus den Urkunden nur
einmal beim Marschallamt nachweisen Anfang des 14. Jahr-
hunderts, das Fehlen weiterer Belege mag aber in dem früh-
zeitigen Verschwinden der andern Hofämter und auch in der
geringen Zahl der überkommenen Nachrichten, besonders hin-
sichtlich der Namen der Hofbeamten, seinen Grund haben. Im
13. Jahrhundert scheint noch kein Amt erblich gewesen zu sein,
Ehrenämter haben in Anhalt wohl nicht in erblicher Folge be-
standen1). Üblich scheint es dagegen in den anhaitischen Ge-
bieten gewesen zu sein, dass Hofbeamte beim Tode ihres Herrn
von dessen Nachfolger beibehalten werden 2), immerhin ein Zeichen,
dass ihre Stellung doch schon ziemlich gefestigt gewesen sein
muss. Sonst lässt sich über Anstellung und Absetzung der Hof-
beamten gar nichts sagen.
Die Besoldung der Hofbeamten hat wohl, wie überall in
den deutschen Gebieten8), im 12. — 14. Jahrhundert lediglich
noch in Bekleidung und Unterhalt am Hofe, wie in Überweisung
von Lehngütern bestanden. Gehalt in Geld gibt es noch nicht,
die sämtlichen Hofämter sind eben Lehnsstellen „ allem Ansehen
und der allgemeinen teutschen Sitte gemäss“, wie sich Joh.
Christoph Krause in seiner „Fortsetzung der Bertramischen
Geschichte des Hauses und Fürstentums Anhalt“ (Teil II S. 305)
ausdrückt.
b) Die Notare und Kanzleibeaniten1).
Da die Inhaber der vier grossen Hofämter gewöhnlich
ohne schulmässige Bildung sind, ergibt sich von selbst für den
') Bertram-Krame, Geschichte des Hauses und Fürstentums Anhalt (1782)
TI. II S. 304. Es ist dies entsprechend den Verhältnissen in Brandenburg
(Bornhak S. 7, 9).
*) Vgl. die Aufzählung der Hofbeainten S. 3 nnm. 2, S. 6 anm. 1, S. 9
aum. 4, S. 12 anm. 2; siehe auch Barth S. 369 ff.
*) pag. 2 anm. 1.
‘) Vgl. hierzu besonders Jänicke, Beiträge zum Urkunden- und Kanzlei-
wesen der gräflichen Anhaltiner, vornehmlich im 13. und 14. Jahrhundert,
(Leipzig, Dissertation 1904); ferner Barth S. 412; BornhakS.39; Jakobs,
Alter und Ursprung der gräflichen Dienerschaft zu Wernigerode (Zeitschrift
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Landesfürsten die Notwendigkeit, zur Erledigung der schrift-
lichen Geschäfte, vor allem zur Fixierung und Ausstellung der
Urkunden einen schreibkundigen Mann heranzuziehen. Dies
kann nach dem ganzen Stande der Bildung im Mittelalter nur
ein Geistlicher sein, da nur diese in damaliger Zeit lesen und
schreiben können und vor allem des Lateins kundig sind.
Dem ersten urkundlich nachweisbaren Notar anhaitischer
Fürsten begegnen wir im Jahre 1200 in der Person des
„Arnoldus notarius ducis“, der in Begleitung des Herzogs
Bernhard von Sachsen, Grafen von Ascharien in einer Urkunde
des Bischofs Norbert von Brandenburg auftritt1), sich aber
sonst nicht weiter belegen lässt. In früherer Zeit scheint
Herzog Bernhard ebenso wie sein Vater Albrecht der Bär die
Ausfertigung der Urkunden von Fall zu Fall einem gerade
anwesenden Geistlichen übertragen zu haben, meist natürlich
wohl seinen Kaplänen 2), ohne einen eigenen Beamten dafür zu
halten. Seit der Regierungszeit Heinrichs I. hat es aber ein
fest eingerichtetes Amt eines Notars in Anhalt gegeben; vom
Jahre 1213 an lassen sich Inhaber eines solchen Amts beinahe
ohue Unterbrechung nachweisen 3), nach der Teilung des au-
des Harzvereins Bd. XXI (1888)) S.99ff.; v. Krones, Verfassung S. 120, 195;
II. B. Meyer S. 25ff.; v. I’oscrn-Klett, Zur Geschichte der Verfassung
der Markgrafschaft Meissen im 19. Jahrhundert (Leipzig 1863) S. 54; Rosen -
thal, Gerichtswesen S. 265 ff. ; Schröder, Reebtsgeschiehte S.490; Wieder-
hold S. 48; Wintterliu S. löff.
') v. H. I 733.
•) v. H. I 483 (1163), 605 (1181).
') Näheres über die Persönlichkeiten der Notare bis Ende des 14. Jahr-
hunderts ist angegeben bei Jänicke S. 2 — 36, eine Tabelle S. 80. Im 15. Jahr-
hundert finden sich noch folgende selbständige Kanzleibeamte.
1405 Tyle Panthir und Kerstanus, Schreiber des Fürsten Albrecht
(Reg. 42).
1422 - 1426 G n n t h e r W i g n a n d unter Bernhard VI. (Reg. 157, 179, 207).
1436 — 1440 Stephan Rodendorff unter Georg I. (Reg. 294, 332, 333).
1440 Martin Korner unter Georg I. (Reg. 332, 333).
Nikolaus Drifuss unter Georg I. (Reg. 332, 333).
1457 — 1470 Johann Hinrici unter Albrecht V. und Adolf I. (Reg.
515, 719).
1460 Heinrich Körner unter Adolf I. (H.H.St. Arch. Vol. V fol. 275h
N. 20: Kopialbuch von 1460 „Incipit registrum über materiis et uegociis domi
Schrecker, Beamtentum ln Ankalt 2
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haitischen Landes unter die Söhne Heinrichs I. im Jahre 1253
finden sich selbstverständlich bei jeder der drei fürstlichen
Linien Notare1).
Von den ersten Anfängen eines eigentlich anhaitischen
Territoriums an finden sich also Kanzleibeamte, und zwar in
ziemlich eng aufeinander folgender Reihe bis zur Mitte des
14. Jahrhunderts, erst seit zirka 1350 werden Notare und
Schreiber in den Urkunden seltener erwähnt*), scheinen seitdem
also in der Leitung der Landesaugelegenheiten nicht mehr so
hervorgetreten zu sein. Immerhin lässt sich eine Zuziehung
dieser Kanzleibeamten in den Urkunden als Zeugen oder auch
selbsthaudelnd noch bis in die 70er Jahre des 15. Jahrhunderts
nachweisen (1470) 8). Erst dann hört ein selbständiges Auftreten
von Notaren und Schreibern auf; seitdem begegnen uns der-
artige Kanzleibeamte nur noch in untergeordneter Stellung, ihr
Vertreter nach aussen wird vollkommen der Kanzler.
Im 13. Jahrhundert haben sich die anhaitischen Fürsten
wohl durchweg mit einem einzigen Notar begnügt, jedenfalls
treten mehre Personen dieses Titels erst ganz am Ende des
13. Jahrhunderts auf4). Dass aber schon sehr früh unter den
Notaren noch Schreiber tätig gewesen sind, kann besonders
nach den Untersuchungen Jänickes (S. 3ff.) nicht bezweifelt
werden. Einmal weist schon das Vorkommen der Bezeichnung
„prothonotarius“ im Jahre 1223 5) wohl sicher darauf hin, denn
eine fest geordnete Kanzlei mit der Rangabstufung Protonotar,
Notare, Schreiber möchte ich in so früher Zeit doch noch nicht
annehmen — auch widerspricht dem die sonstige Bezeichnung
des betreffenden Kanzleibeamten — , zumal im 13. Jahrhundert
nie wieder von einem derartigen Titel die Rede ist. Ferner
Adolffi principis in Anhalt. Heinricus Korner, notarius prfati dorapni“), er
ist zugleich Probst zu Wörlitz und Domherr zu Zerbst (Reg. 515 (1457)),
seit 1459 Dekan der St. Bartholomäikirche in Zerbst (Reg. 552, 620, 621).
') Jänicke S. 6 ff.
») Jänicke S. 29, 33, 35.
*) pag. 17 anm. 3. Allerdings wird mit dem Titel „Schreiber“ in dieser
Zeit auch bisweilen der Kanzler bezeichnet (Reg. 623, 629 (1463)).
4) Jänicke S. 13, 14, 46 (Die als Notare augefilhrteu Bertram und Wedego
sind wohl nur Schreiber gewesen uach Jänicke) und 3. 24, 25.
») v. Fl. II 68.
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treffen wir auch unter Siegfried I. einen Notar und einen
Schreiber zu gleicher Zeit an1) im Jahre 1259, ausserdem
weist Jänicke das Vorhandensein mehrerer Schreiber im
13. Jahrhundert aus der Schrift der einzelnen Urkunden noch
nach für die Regierungszeit Heinrichs II. *) und Ottos I. *).
Seit Ende des 13. und im Laufe des 14. und 15. Jahr-
hunderts finden sich mehrere Notare öfter zu gleicher Zeit.
Es hat dies in den einzelnen Territorien seine verschiedenen
Gründe. Am Aschersleber Hofe ist eine Vermehrung der
Notariatsbeamten um das Jahr 1300 wohl infolge des An-
wachsens der Kanzleigeschäfte erfolgt, schon damals hat hier
eine Kanzlei bestanden 4). Die Bernburger Fürsten haben sich
bis 1315 gewöhnlich noch mit einem Notar begnügt, nur ein-
mal begegnen uns in früherer Zeit zwei Inhaber dieses Amts 5)
(1293), eine Kanzlei hat es aber damals noch nicht gegeben6).
Erst seitdem nach dem Anfall des Aschersleber Besitzes sich
das Territorium und damit auch die Verwaltungsgeschäfte be-
deutend vergrössert haben, lassen sich häufiger mehrere Notare
zu gleicher Zeit, also eine geordnete Kanzlei nachweisen 7).
Anders ist es im Zerbster Gebiet. Hier brachte es die ganze
Art der Landesverwaltung schon früh mit sich, mehrere Notare
zu gleicher Zeit für die einzelnen Bezirke aufzustellen 8).
Schon seit den 90 er Jahren des 13. Jahrhunderts finden wir
mehrere Notare nebeneinander tätig9), von denen einer sogar
den Titel Protonotar trägt, an sich schon ein Zeichen, dass
mehrere Kanzleibeamte vorhanden gewesen sind. Doch arbeiten
nach Jänicke diese Notare nicht alle zusammen in einer Kanzlei,
*) v. H. II 245 (Jänicke S. 22).
*) Jänicke S. 9.
*) Jänicke S. 10, 15.
*) Jänicke S. 15. Neben ßctemannus finden sich als Notare Bertram
und Wedego (v. H. II 889, 890 (1300); III 1, 23 (1301), 117 (1305)).
») v. H. II 759; M.V.f.A.G. IX 2 S. 191 (1293).
*) Jänicke S. 21.
’) v. H. III 352 (1317), 376 (1319), 393 (1320), 415 (1321) und Jänicke
S. 21, 27 ff.
•) Jänicke S. 25 — 26.
•) v. H. II 812 (1296), 816 (1296), 823, 828 (1297), 880 (1300); III 46
(1302); II 840 (1297); s. Jäuieke S. 24, 25.
2*
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20
vielmehr ist das Zerbster Territorium iufolge des Mangels
eines ständigen Aufenthaltsorts des Landesherrn in lauter
einzelne Notariatsbezirke eingeteilt, au deren Spitze je ein
Notar steht, der dieses Amt zugleich mit seinem geistlichen
ausübt. Ihnen übergeordnet ist ein Protonotar, der die Ober-
aufsicht fühlt und wahrscheinlich in der ständigen Umgebung
des Grafen gewesen ist, während die einzelnen Notare immer
nur dann die Beurkundung vollziehen, wenn der Graf sich in
ihrem Bezirk aufhält. Für das Aschersleber oder Bernburger
Gebiet lässt sich eine derartige Einrichtung nicht nachweisen,
dafür sind aber die Notare des Zerbster Territoriums auch nur
auf ihren eigenen, bestimmten Bezirke beschränkt und durchaus
nicht so vielseitig wirksam, wie ein einzelner Notar unter einem
Fürsten der beiden andern anhaitischeu Linieu.
Auch lässt sich nach Jänicke (S. 27) eine einheitliche, feste
Kanzlei im Zerbster Gebiet auch erst viel später, wie in den andern
Landesteilen Anhalts nachweisen, obwohl ein oberer Notariats-
beamter, ein Protonotar zur Beaufsichtigung der verschiedenen
Notare natürlich hier viel eher nötig war, wie in den andern
Territorien. Von einer festen Kanzlei kann vor 1285 über-
haupt in keinem der anhaitischen Teilgebiete die Rede sein *).
Die erste findet sich unter Otto I. am Aschersleber Hofe, ihre
Einrichtungen werden dann beim Anfall dieser Linie au Bern-
burg von den Bernburger Fürsten übernommen und damit auch
hier eine Kanzlei eingerichtet. In Zerbst wird eine Kanzlei
erst nach der Zentralisierung der Landesverwaltung begründet,
etwa seit 1330 finden sich mehrere Notare von Bedeutung auch
hier zu gleicher Zeit im Amte. Die Organisation der Kanzlei
hing jedenfalls auch in Anhalt mit dem steigenden Umfang der
Geschäfte zusammen a).
Besondere Schreiber für einzelne Mitglieder der fürstlichen
Familien finden sich in Anhalt im allgemeinen nicht; nur ein-
mal hat die Fürstin Mechtild, Witwe Heinrichs II., ihren be-
sondern Schreiber und Kaplan3), doch erklärt sich dies wohl
’) Jänicke S. 36 und S. 15, 21, 27.
*) H. B. Meyer S. 26 für die weltinincben Lande.
•) t. H. II »38 (1267).
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aus dem Witwenstand und der zeitweisen Regen t.schaftsfülming
dei-selben für ihre Söhne; mit dem landesfürstlichen Notariats-
amte hat dieser Schreiber nichts zu tun.
Die Organisation unter den Kanzleibeamten ist auch in
Anhalt während des Mittelalters dieselbe, wie in den meisten
deutschen Territorien. Ist ein oberer Beamter nachweisbar,
so führt er den Titel „ protonotarius er begegnet jedoch nur
im Zerbster Gebiete l). Einmal in dieser Zeit, aber erst in
der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, findet sich auch der
Kanzlertitel für einen Kanzleibeamten8). Gewöhnlich liegt die
Leitung der Notariats- und Schreibgeschäfte in den Händen
von Notaren, unter denen dann ein oder meist mehrere Schreiber
tätig sind3). Zu beachten ist, dass sehr viele Notare anfangs
als Schreiber gearbeitet haben 4), ein Zeichen, dass sie erst den
Dienst kennen lernen und sich erst bewähren mussten, bevor
sie in die verantwortliche Stellung eines Notars aufrückten.
Im allgemeinen ist es wohl auch Brauch gewesen, die Notare
aus der Zahl der Schreiber zu nehmen, sie also gewissermassen
von der Pike auf dienen zu lassen. Sonst wechseln die Be-
zeichnungen Notar und Schreiber aber auch in den Urkunden
in beliebiger Weise. Es sind die gewöhnlichen Titel für die
Kanzleibeamten im 12—14. Jahrhundert. Im 15. Jahrhundert
heissen sie eigentlich nur noch Schreiber, nur ein einziges Mal
•) II 68 (1223), 840 (1297); III 868 , 870 (1349); IV 414 (1371)
(9. Jänicke S. 26 anin. 1).
*) v. H. III 904 (1350).
») v. H. II 889, 890 (1299); III 23 (1301), 117 (1:305) (s. auch Jänicke
8.46); II 245 (1259); III 352 (1317), 813 (1347); IV 272, 302 (1362—63).
• 4) So wird Walter, Pfarrer von Bernburg (1229—30), erst 1230 Notar
genannt (v. H. II 100, 101; 103). Der Notar Bartold am Aschersleber Hofe
(1267—74) wird zuerst nur als scriptor aufgefiihrt (v. H. II 323, 324, 358
(1269)), erst von 1271 an trägt er den Titel Notar (v. H. II 393, 439 (1274));
Johannes von Diben (1287 — 93) ist ebenfalls erst Schreiber (II 612; 626);
desgl. Konrad (1317 — 28) (v. H. III 352; 524, 543, 544); Theodericb von
Qnellendorf (1259—1300) begegnet erst als Schreiber unter dem Notar Richard
von Quellendorf (v. H. II 245 (1259); 412 (1273)); Otto von Zeinitz und
Johanu von Morditz (1332—57) worden erst 1336 Notare genannt (v. H. III
599 ; 658); desgl. Tilemanu (1347—52) (v. H. III 813; IV 46) und Andreas
Mychow (v. H. IV 272; 419, 467).
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habe ich den Titel uotarius noch gefunden *). Ausserdem findet
sich gelegentlich noch die Bezeichnung coufector*).
Dem Stande nach sind sämtliche Kanzleibeamte im 12 — 14.
Jahrhundert Geistliche; im 15. Jahrhundert ist es bei den
wenigen Nachrichten nicht genau zu erkennen, aber wohl auch
noch oft der Fall3). Sie gehören also nicht zum Kreise der
eigentlichen fürstlichen Mannschaft, sind neben ihrer Tätigkeit
als Notariatsbeamte immer noch Diener der Kirche, haben ausser
ihrem Amte noch andere Stellen kirchlicher Art, die sie ver-
sehen und wohnen bisweilen nicht einmal dauernd am fürstlichen
Hof, wie es im Zerbster Gebiet sich findet*). Für die grössere
Mehrzahl der Notare, wenn auch nicht für alle, lässt sich eine
solche Nebenstellung nachweisen. Gewöhnlich sind sie noch
Pfarrherrn irgendeines Ortes6). Entweder haben sie diese
Stelle schon von ihrer Notariatszeit innegehabt oder sie be-
kommen sie später für ihre Dienste als Pfründe verliehen8),
vertauschen auch wohl eine frühere Stelle mit einer besseren
neuen7). Dass die Überweisung solcher Pfarreien au Notare
’) S. 17 anm. 3 „Heinrich KBraer“.
*) v. H. III 745 (1341).
*) Reg. 515, 552 und H.H.St. Arch. Vol. V foI.275b Nr. 20 (S. 17 amu );
b. auch Beckmann, Historie des Fürstentums Anhalt (Zerbst 1700) TI. VH S. 1 16.
*) Vgl. pag. 20; s. auch Schmoller 3. 52 ff.
') v. H. II 100, 101, 103 (1229—30), 301 (1265), 682 (1290), 727 (1292),
746 (1293), 849 (1298), 877, 881, 882- 884 (1300); III 6 (1301), 31 (1302); 49,
61, 59, 62 (1303), 88 (1304), 690 (1337), 719, 721, 738, 741 (1339—41), 868,
870, 873, 875, 884, 903, 904 (1349—50); IV 46 (1352), 133 (1356); IV 471
(1375); V 110 (1389) (Jänicke S. 2— 36).
*) So ist der Notar Tbeoderich (1284—94) erst seit 1290 als Pfarrer
von Millingen nachweisbar (v. H. II 682, 746); der Notar Richard (1259—63)
erscheint erst später als Pfarrer von Quellendorf (II 301 (1265)); ebenso
treten Otto von Zeinitz und Johann von llorditz (1332 — 57) erst seit 1335
als Pfarrherrn auf (v. H. III 690). Der Notar Konrad Picht ist später Pfarrer
in Bernburg und Kanonikus von 8t. Bartholomäi in Zerbst (v. H. III 653,
787; IV 34 (1334—52), Jänicke S. 28); s. auch Schröder, Rechtsgeschichte
S. 524, Barth. S. 414.
T) Der Notar Betemannns (1294 — 1315) ist erst Pfarrer in Erkesleben,
seit 1304 dann in Seedorf (II 877 (1300); III 62 (1303); III 88 (1304));
ebenso ist Johann von Morditz (1332—57) erst Pfarrer von Hain, seit 1349
von Dessau (v. H. III 741; 868); der ehemalige Schreiber Tilewaun ist dafür
1352 Pfarrer zu Hayn (v. H. IV 46j.
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eine Pfründe ist, beweist, dass für geleistete Dienste der No-
tare nicht diesen, sondern den Kircheu, welchen sie vorstehen,
eine Schenkung zngewiesen wird, deren Nutzung den Notaren
als ihren Inhabern natürlich an erster Stelle zufällt. So schenken
im Jahre 1337 *) die Fürsten Albrecht II. und Waldemar I.
der Kirche zu Wörlitz ein Dorf „nec non Ottonis de Ceynitz,
plebani in Wörlitz ob merita servitiornm nobis crebrius exhibi-
torum“, und im Jahre 1349®) überweisen dieselben Fürsten der
Marienkirche zu Dessau Güter, wobei sie besonders erwähnen,
„in super ob servitiorum merita nobis per Johannem de Morditz,
nunc in Dessau plebanum, crebrius exhibita“.
Eine andere Art der Besoldung der Kanzleibeamten als solchen
in Geld oder sonstigen Gütern ist nicht nachznweisen a). Sie
erhalten ihren Unterhalt in Kost und Kleidung wohl vom Hofe
selbst, ihre sonstigen Bedürfnisse werden aus den Einkünften
ihrer geistlichen Stellen bestritten. In späterer Zeit treffen
wir die Kanzleibeamten, auch bisweilen sogar noch neben ihrem
Pfarramt, als Inhaber irgendwelcher Stiftsstellen, als Kanoniker
oder auch Pröpste, Dekane irgendeines Klosters; es ist dies
sicher wohl ein Zeichen für die gesteigerte Bedeutung ihrer
Stellung.
Eine Vereinigung der Kauzlei mit der Kapelle, wie sie in
manchen deutschen Gebieten besteht4), findet sich nur im Zerbster
Territorium ; in Aschersleben und Bernburg fertigen wohl bis-
weilen Hofkapläne Urkunden aus, zumal in der allerersten Zeit,
im 12. Jahrhundert, als noch gar keine eigentlichen Kanzlei-
beamten vorhanden sind, ist dies wohl der gewöhnliche Brauch
gewesen5). Später sind aber die Notare fast nie zugleich
Kapläne, in mehreren Fällen findeu sich sogar neben ihnen noch
>) v. H. III 690.
*) v. H. III 873.
• *) Einmal im Jabre 1339 überweisen allerdings die Fürsten Albrecht II.
und Waldemar I. „ Johanni plebano in Hayn, nostro notario“, sowie einigen
andern Mitgliedern der Familie Morditz eine Hufe Landes vor dem Breiten-
tore zu Zerbst; doch bandelt es sich hier eben um eine Angelegenheit der
ganzen Familie, nicht sowohl des Notars an sich.
•) Wiederhold S. 48; Barth. S. 404.
•) v. H. I 483 (1163), 60ä (1181) (s. pag. 17 anm. 2).
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besondere Kapläue in den Urkunden erwähnt1). Nur bisweilen
tritt der Fall ein, dass einem Notar für geleistete Dienste die
Würde eines Kaplans übertragen wird *). Im Zerbster Gebiet
sind dagegen, besonders im 14. Jahrhundert, die meisten Notare
auch zugleich Kapläne8), allerdings kommen neben ihnen auch
noch andere Kapläne vor4).
Die Stellung der Kanzleibeamten in den Zeugenreihen der
Urkunden — sonst werden sie ebenso häufig in der Datierungs-
zeile aufgeführt — ist im allgemeinen mitten unter den Kle-
rikern, je nach der Würde der andern Zeugen und ihrer eigenen
Bedeutung mehr vorn oder auch am Ende, nicht selten stehen
sie aber auch au erster Stelle5). Jedenfalls haben die Notariats-
beamten in der Umgebung der Fürsten keine untergeordnete
Rolle gespielt. Darauf weist das häufige Vorkommen des Titels
dominus hin8), wenn auch derselbe gerade bei geistlichen Per-
sonen sehr üblich ist. Bezüglich der Stellung spielt natürlich
vor allem auch die Persönlichkeit des einzelnen Notars eine
grosse Rolle7).
*) v. H. II 9 (1213); III 350 (1317), 745 (1341); IV 527 (1378).
*) So begegnet der Notar Beteuiannus seit 1314 als Kaplan (v. H. III
283). Jiinickc 8. 20 nimmt an, dass er erst von Bernhard II. nach Übernahme der
Ascbersleber Kanzlei im Jahre 1317 (v. H. III 352) zu dieser Würde erhoben
ist, bat sieb aber geirrt, schon unter Otto II. tritt er uns als Kaplan entgegen.
*) v. H. II 245 (1259), 301 (1265), 460 (1275), 812 (1296), 880 (1300);
III 164 (1308), 220 (1310), 257, 270, 286 (1313-14), 659, («56 (1335—36),
719, 738, 741 (1339—41), 875, 884, 903, 904 (1349—50); V 584a (1330);
ev. III 505 (1325).
‘) v. II. II 412 (1273), 460 (1275); III 505 (1325), 454 (1323), 690
(1337), 868 (1349), 482 (1324), 745 (1341); V 51 (1383). Kapläne haben
auch die anhaitischen Fürsten stets gehabt, sie kommen aber für die Ver-
waltung an sich gar nicht in Betracht, haben eine rein persönliche Stellung
zum Fürsten. Ich sehe daher von ihnen ab.
») II 324 (1267), 769, 770, 771, 774 (1294); III 117 (1305), 198 (1309),
234 (1311), 279 (1314), 294, 307 (1314-15), 352 (1317), 415 (1321), 700
(1338); V 772 a (1294).
«) v. H. II 323 (12(57), 612 (1287), 770, 777 (1294), 880 (1300); III 79
(1304), 177, 198 (1308-09), 220 (1310), 234 (1311), 270, 272 (1313), 282,
294, 307 (1314—15), 352 (1317), 376 (1319), 415 (1321), 524 (1327); IV 272
(1362), 467 (1375), 515, 519, 530 (1378).
’) Z. B. Beteuiannus (Jänicke S. 13, 14, 20, 27), Tbeodcricb von Millingen
(Jänicke S. 11, 12), Otto von Zeinitz und Johann von Horditz (Jänicke S. 32).
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Die Tätigkeit ’) der Kanzleibeamtcn besteht vor allem iu
der Ausstellung und Besiegelung der Urkunden; feste, immer
zu befolgende Normen gibt es aber jedenfalls noch nicht. Zu-
meist werdeu die Schriftstücke wohl von dem Schreiber aufge-
zeichnet, der Notar prüft sic dann und macht sie durch seine
Namensunterschrift und Besiegelung rechtskräftig2); bisweilen
haben die Notare sie auch selbst aufgesetzt8). Jedenfalls ist
die Besiegelung wohl stets von ihnen geschehen, sie führen zu
diesem Zweck das fürstliche Siegel und üben so gewissermassen
eine Kontrolle über die Urkunden aus. Auch die Registrierung
der Schriftstücke ist Sache der Kanzleibeamteu; als im 15. Jahr-
hundert Kopialbücher angelegt werdeu, ist deren Einrichtung
und Führung einem Notar übergeben4). Zu weiterer Sicherheit
der in den Urkunden verzeichneten Abmachungen wird es seit
dem 15. Jahrhundert auch Sitte, die Notare die Urkunden noch
besonders unterschreiben zu lassen 5).
Durch die Fixierung und Beglaubigung der Urkunden haben
die Kanzleibeamten selbstverständlich auch auf deren materiellen
Inhalt einen nicht geringen Einfluss und werden schon dadurch
zu wichtigen Beamten am Hofe. Da sie ferner meist die ein-
zigen sind, die lesen und schreiben können, so ist es natürlich,
dass sie beinahe zu allen wichtigen Angelegenheiten herange-
zogen werden. Bei jeder Abmachung konnte es nötig werden,
ältere Verträge einzusehen, darüber Auskunft zu geben oder
auch schnell irgend etwas zu Protokoll zu nehmen, wozu eben
die Notare am geeignetsten waren, da sie als Leiter der Kanzlei-
geschäfte wohl sicher auch für die Aufbewahrung der Urkunden
zu sorgen hatten. Auch das ist ein Grund, weshalb wir die
Kanzleibeamteu soviel als Zeugen aufgeführt finden, ohne dass
sie an der schriftlichen Abfassung der Urkunde direkt beteiligt
zu sein brauchen. Schon deshalb und als Siegelführer sind sie
auch fast immer in der Begleitung ihres Fürsten anzutreffen,
’) Jänicke II S. 36 ff. (desgl. pag. 16 anm. 4).
. ») v. H. II 626 (1287); III 355 (1317), 379 (1319).
») v. II. II 301 (1265), 636 (1288), 727 (1292); III 164 (1308), 690
(1337) (s. Jänicke 8. 8, 22, 23, 29, 36).
*) II. 11. St. Arch. Vul. V toi. 275b Nr. 20 (S. 17 anm. 3).
5) lieg. 452, 28 (1452).
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20
zumal bei Reisen desselben in fremden Gebieten '). Nicht selten
werden sie von deu Fürsten auch als Gesandte, Unterhändler
oder als Bekräftigungszeugen bei schwierigen Abmachungen
benutzt, ebenso von andern Personen in dieser Weise heran-
gezogen *).
Über Anstellung und Absetzung der Kanzleibeamten ist
nichts Bestimmtes überliefert, Bestallungsurkunden haben sich
nicht gefunden. Jedenfalls scheint es aber schon im 13. Jahr-
hundert üblich gewesen zu sein, brauchbare Notare beim Tod
des Fürsten im Amt zu lassen3); wir haben sogar den Fall,
dass bei Vereinigung der Aschersleber und Bernburger Linie im
Jahre 1315 anscheinend das ganze Kanzleipersonal des Aschers-
leber Hofes von dem Bernburger Fürsten herübergenomraen
wird, denn der Notar Betemannus ist im Jahre 1315 anch am
Bernburger Hofe tätig, und zwar in vollem Umfang seiner
Stellung, da er uns auch bei Fürst Bernhard II., als Kaplan
wieder entgegentritt4).
Gegen Mitte des 14. Jahrhunderts werden Kanzleibeamte
in den Urkunden seltener angeführt, ganz verschwinden sie
jedoch nie. Die Kanzlei als solche besteht fort, denn die Re-
gierungsgeschäfte müssen erledigt werden, nur ist es nicht mehr
so gebräuchlich, den Namen des Notars anzugeben; die Be-
siegelung allein genügt5).
') v. H. II 566 (1284), 682 (1290), 711 (1291), 739 (1293), 890 (1300);
III 1 (1301), 88 (1304), 767 (1343); Reg. 157 (1422).
•) v. H. II 890 (1300); III 1 (1301), 79 (1304), 415 (1321), 575 (1330),
602 (1332), 813 (1347); Reg. 179 (1423), 719 (1470).
’) So ist der Notar Bartold (1267—74) am Aschersleber Bofe unter
Otto I. und Heinrich III. schon unter Heinrich II. und später dessen ver-
witweter Gemahlin zur Zeit ihrer vormundschaftlichen Regierung tätig ge-
wesen (v. H. II 324, 358 (1267 — 69) (Jänicke S. 8, 9)), der Notar Betemannus
ist unter Otto I. und II. und dann noch unter Bernhard II. und III. im Amt
(1297-1321) (v. H. II 839 (1297); III 234 (1311), 376 (1319), 415 (1321))
(Jänicke S. 13ff., 20, 27); dcsgl. Theoderich von Quellendorf (1259—1300)
unter Siegfried I. und Albrecbt I. (v. II. II 245 (1259), 636 (1288); Konrad
de Koure (1317 — 28) unter Bernhard II. und III. (v. H III 352, 524 (1327);
Andreas Mychow (1362—75) unter Waldemar I. und Johann II. (v. H. IV
272, 419 (1371)) (Jänicke S. 2 ff.).
*) Jänicke S. 20 und pag. 24 anm. 2.
*) Jänicke S. 30, 35.
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2. Die Lokalverwaltung.
Ist die Zentralverwaltung in Anhalt im Mittelalter durch-
aus in den Händen von Personen des fürstlichen Hofstaats und
stets an die unmittelbare Entscheidung des Fürsten gebunden,
so wird dies naturgemäss in der Lokalverwaltung anders. Schon
die Entfernung einzelner Landesteile vom fürstlichen Hofe
bringt es mit sich, die Beamten der lokalen Verwaltung be-
deutend selbständiger zu stellen. Hieraus ist es auch zu er-
klären, dass wir wenigstens einiges über ihre Befugnisse und
Wirksamkeit in den Urkunden überliefert finden, während bei
den Beamten der Zentralverwaltung nähere Bestimmungen über-
haupt nicht vorhanden sind.
a) Die Vögte.
Wie in der Mark Brandenburg und den wettinischen
Landen ‘) bildet die Grundlage der lokalen Verwaltung in Anhalt
die Vogteiverfassung. Das ganze Gebiet ist in einzelne
kleinere Bezirke eingeteilt, an deren Spitze ein vom Landesherrn
ernannter Vogt, später Amtmann genannt, steht.
Burggrafen finden sich für die anhaitischen Territorien im
12. und 13. Jahrhundert als Beamte nicht mehr2). Es liegt
*) Bornhak S. 7 ff. ; Isaaksohn S. 36ff.; Holtze, Geschichte des
Kamraergerichts in Brandenburg-Prensscn (Beiträge zur Brandenburg-Preussi-
schen Rechtsgeschichte Bd. I (Berlin 1890)) S. 45 ff.; Kühns. Geschichte der
Gerichtsverfassung und des Prozesses in der Mark Brandenburg (Berlin 1867)
Bd. I S. 96 ff.; v. Sommerfeld, Beiträge zur Verfassung.«- und Stände-
geschickte der Mark Brandenburg im Mittelalter (Veröffentlichungen des
Vereins für die Geschichte der Mark Brandenburg (Leipzig 1904)) S. 126 ff;
H. B. Meyer S. 51 ff; Luther, Die Entwicklung der landständischen Ver-
fassung in den Wettinischen Landen bis zum Jahre 1485 (Leipzig, Disser-
tation 1895) S.13ff; ferner Jakobs, Alter und Stand S.97ff; Wintterlin
S. 4ff. ; Wiederhold S. 59; v. Below, Territorium S. 284ff.; Schmoller
S. 47 ff.; Lamprecht, Deutsches Wirtschaftsleben im Mittelalter Bd. I
(Leipzig 1886) S. 1373; v. Maurer, Frouhöfe IV 429; in Baieru entspricht
dem Vogt der Pfleger oder Landrichter (Rosentbal, Gerichtswesen S. 323 ff).
’) In Urkunden anbaltiscber Fürsten bis 1253 als Zeugen einige Burg-
grafen von Wettin (v. II. I 605 (1181); II 32 (1219), 201 (1253)), später im
Jahre 1288 tritt noch eiu Burggraf von Frecklebeu auf (v. II. II 630, 665
(1289)); eiu sicherer Nachweis, dass dieselben anhaitische Beamte sind, lässt
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dies in den ganzen Zeitzuständen begründet. Da die inneren
Verhältnisse des Landes in keiner Weise mehr den Charakter
eines Belagerungszustandes tragen, ist das Burggrafenamt eben
von selbst überflüssig geworden Anzunehrnen ist aber wohl
nach dem Beispiel der benachbarten Gebiete Brandenburg und
Meissen1), dass im 11. und 12. Jahrhundert auch in Anhalt eine
Burggrafenverfassung bestanden hat*), die gegen Ende des
12. Jahrhunderts wie in Brandenburg von selbst eingegangen
ist. An ihre Stelle ist mit dem Beginn des 13. Jahrhunderts
ein neues Beamtentum getreten, das über kleinere Sprengel ge-
bietet und allein dem Landesherrn verantwortlich ist, der Vogt.
Für Anhalt, das als selbständiges Territorium erst Anfang
des 13. Jahrhunderts entstanden ist, kommt also von vornherein
nur dieser neue Beamte in Betracht. Zum erstenmal begegnet
uns ein Vogt im anhaitischen Gebiet im Jahre 1215 s). Seitdem
lassen sich in den Urkunden Vögte durch das ganze 13. und
14. Jahrhundert nachweisen, anfangs seltener, seit dem letzten
Drittel des 13. Jahrhunderts dann häufiger, wenn sie auch nicht
so oft erwähnt werden, wie die Hofbeamteu und Notare, eine
Folge eben ihrer lokal begreuzten Wirksamkeit. Erst im
15. Jahrhundert wird das Auftreten von Vögten wieder seltener,
die selbständige Stellung dieser Beamten hört auf. Die Vogtei-
verfassung erreicht allmählich um die Mitte dieses Jahrhunderts
ihr Ende und macht der geregelteren Ämterverfassung Platz.
Die gewöhnliche Bezeichnung des Lokalbeamten in den
sich nicht finden, nur einmal tritt ein Wettiner Burggraf als Sehultheiss im
Landgericht Heinrichs II. auf, jedenfalls in seiner Amtsstellung also nicht
als Burggraf (v. II. II 201 (1253)). Die Bezeichnung castellauus findet sich
allerdings im 13. 14. Jahrhundert elfter, doch sind hier regelmässig nur Burg-
mannen gemeint (pag. 58).
’) Holtze S. 55; Bonihak S. 6; v. Sommerfeld S, 126; Isaaksohn S. 36;
Lnther S. 29; Rietschel, Das Burggrafenamt und die hohe Gerichtsbarkeit in
den deutschen Bischofsstädten während des früheren Mittelalters (Unter-
suchungen zur Geschichte der Stadtverfassung Bd. I (Leipzig 1905)) S. 241;
E. 0. Schultze, Die Kolonisierung und Gormanisiernng zwischen Saale und
Elbe (Leipzig 1896) S. 310 ff.
*) In den auhaltischen Urkunden des 11. und 12. Jahrhunderts ist aller-
dings darüber keine Nachricht zu finden.
*) v. U. II 14.
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29
Urkunden ist „advocatus; Vogt“. Im 13. Jahrhundert wird er
ausschliesslich mit diesem Titel benannt und auch im 14. Jahr-
hundert ist diese Bezeichnung noch durchaus herrschend. Im
15. Jahrhundert wird sie jedoch schon seltener und kommt all-
mählich immer mehr ab, bis sie seit 1484 in ihrer alten Be-
deutung verschwindet '). Neben der Bezeichnung Vogt wird aber
seit den 30er Jahren2) des 14. Jahrhunderts auch der Titel
„Amtmann“ Brauch, der sich allmählich immer mehr durchsetzt,
bis er im 15. Jahrhundert ganz vorherrschend wird.
Beide Titel sind im Mittelalter nur andere Bezeichnungen
für dieselbe Verwaltungsbehörde. Ein gleiches Schwanken
lindet sich in vielen andern deutschen Gebieten, besondere auch
in Brandenburg und den wettinischen Landen 3). Die Funktionen
des Vogtes und Amtmanns sind durchaus dieselben, höchstens
kommen die Amtleute noch mehr für die landesherrliche Do-
mänenverwaltung in Betracht. Letzteres erklärt sich wohl
daraus, dass bei der Vergrüsserung des anhaitischen Gebietes
im Laufe der Zeit neue Verwaltungsbezirke zu den alten Vogteien
hinzugekommen sind, die nun der ganzen Verwaltungsentwicklung
entsprechend hauptsächlich ihren Stützpunkt in den landesherr-
lichen Domänen erhalten 4). Auch lässt sich das Auftreten der
Bezeichnung Amtmann noch auf die veränderten Verhältnisse
in der Auffassung des Ämterwesens zurückführen; „der Amt-
mauu ist eben der nach Amtsweise, im Gegensatz zur dienst-
>) Keg. 26 (1404), 130 (1419), 179, 180 (1423), 452 (1452), 458, 459
(1453), 591 (1401), 640 (1464); Ö.Qu.d.Pr.S. II 1 Nr. 423 (1455); H.H.St.Arch.
Vol. III fol. 233 Nr. 1 und 2 (1484), Haushaltungsbuch vou Zerbst.
3) Zuerst treffeu wir die Bezeichnung Amtmann im Jahre 1330 (v. H.
III 575, 583).
*) Bornhak S. 38; Isaaksohn S. 47 ff.; B. Meyer S. 55; Luther S. 13;
ferner Schnitze S. 318 anm. 3; Lamprecht S. 1405; Jakobs, Alter und Ur-
sprung 8. 97 ; Schtnolier S. 47 ; Barth. S. 425 ff ; Stölzel, Entwicklung des ge-
lehrten Kichtertums in deutschen Territorien (Stuttgart 1872) S. 145.
4) Z. B. werden im 14. Jahrhundert, zu der Zeit, als den anhaitischen
Fürsten die Mark Biandenburg mit übertragen ist, die dortigen, zur Verwaltuug
nötigen Beamten als Amtleute bezeichnet, entsprechend wohl den sonstigen
Verhältnissen der Mark (v. H. IV 8 (1351), 111 (1355), 192 (1357), 540
(1379)); s. auch Körnicke, Entstehung und Entwicklung der Bergischen
Aintsverfassung bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts (Bonn, Dissertation
1892) 8. 32.
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lehosweisen Verwaltung funktionierende Vertreter des Landes-
herrn, den Begriff des Dienstlehens liess mau allmählich immer
ausschliesslicher in den des Amts übergehen“ *).
Auffallend ist, dass in den Urkunden des 14. Jahrhunderts
bis zur Mitte des 15., wenn der lokale Bezirksbeamte mit Namen
aufgeführt wird, derselbe nie den Titel „Amtmann“, sondern
immer „Vogt“ führt, während bei Erlassen und besonders bei
Aufzählung landesfürstlicher Beamter, wo nach dem Sinn der
ganzen Stelle eben die Vertreter der landesherrlichen Lokal-
behörden gemeint sind, Vogt und Amtmann oft nebeneinander
genannt werden8) oder die Bezeichnungen wechseln8) oder auch
nur eine Bezeichnung begegnet4). Es beweist dies eben, dass
der Titel Vogt im 13. — 15. Jahrhundert doch immerhin der
amtlichere ist.
Von einer Unterordnung des einen Beamten unter den
andern, wie wir sie im 16. Jahrhundert finden werden, ist im
14. und auch 15. Jahrhundert jedenfalls noch nicht die Rede,
vielmehr wechselt in den Urkunden bei gemeinsamer Aufzählung
die Stellung durchaus5). Das Schwanken der Bezeichnungen
beruht jedenfalls nur auf der Verschiedenheit der jedesmaligen,
speziellen Tätigkeit, je nachdem mehr die öffentliche oder privat-
amtliche Stellung hervorgehoben werden soll. Der Vogt be-
zeichnet von alters her den allgemeinen öffentlichen Beamten,
Amtmann weist mehr auf die speziellere Wirksamkeit eines
landesherrlichen Dominialverwalters hin. Da diese letztere
Tätigkeit aber erst in späterer Zeit mehr hervortritt, werden
zum genaueren Verständnis in den amtlichen Urkunden beide
Titel nebeneinander aufgeführt, wo es sich um Angelegenheiten
des gesamten Bezirks einschliesslich des landesherrlichen Privat-
besitzes handelt "). Vielfach bezeichnet das Wort Amtmann,
namentlich in der Mehrzahl „ambechtmanne, amptlute“, auch
') Lamprecht S. 1374 ; auch Schraoller S. 47.
J) v. H. III 575, 583 (1330) ; V 177 (1392).
*) v. H. IV 130 (1350), 377 (1369); V 226 (1394); Reg. 130 (1419).
‘) v. H. III 734 (1340); IV 8 (1351), 111 (1355), 192 (1357), 260 (1361).
‘) v. H. III 575 , 583 (1330); IV 62 (1353),' 277 (1362), 471a (1375),
544 (1379); V 177 (1392); Reg. 26 (1404), 452 (1452), 459 (1453).
*) I.saaksnbti S. 47 — 48.
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nur allgemein einen Beamten an sich, im Gegensatz eben zu
andern Untertanen des LandesfUrsten *). Der Titel Hauptmann,
gleichbedeutend mit Vogt und Amtmann, findet sich in den an-
haltischen Urkunden im 12. — 14. Jahrhundert noch nicht, erst
im Laufe des 15. Jahrhunderts wird auch diese Bezeichnung
für den Lokalbeamten gebräuchlich 9).
Die Vogteiverfassung erstreckt sich über das ganze an-
haltische Gebiet, ln der Einteilung der Bezirke schliesst sie
sich zumeist den grösseren Orten oder sonst festen Punkten im
Lande an. Auf dem flachen Lande bestehen Vogteien gewöhn-
lich im Anschluss an ein Schloss3) oder geistliches Stift4). Nur
einzelne entferntere Plätze werden noch von besonderen Vögten
verwaltet5). Auch Bezirke, die erst später oder nur zeitweise
an Anhalt gekommen sind, bekommen meist selbständige Vogtei-
verfassung oder behalten ihre alte Einteilung. Daher kommt
es, dass wir in Hoim, das erst 1317 an die Bernburger Linie
gefallen ist, besondere Vögte antreffen6). Auch Hartzkerode,
dessen Vogtei den auhaltischen Fürsten vom Magdeburger Erz-
stift 1316 verliehen ist, hat einen eigenen Vogt7), ebenso
werden in zeitweis verpfändete Schlösser und Häuser in der
Regel besondere Vögte gesetzt8).
Die meisten anhaitischen Vogteien sehliessen sich an Stadt-
bezirke an, die getrennt vom flachen Lande ihre eigenen Vögte
haben, welche aber stets landesfürstliche Beamte sind9). Sie
kommen in den Urkunden zwar nicht sehr oft vor, von jeder
Stadt lässt sich aber doch wenigstens einmal mindestens ein
Inhaber dieses Amtes nachweisen, so dass eine Stadtvogtei sicher
anzunehmen ist10).
') v. H. III 734 (1340); V 10 (1380), 68 (1386); s. auch Kömicke S.62;
Kachel, Verwaltungsorgauisation und Äinterwesen der Stadt Leipzig bis 1627
(Leipziger Studien Bd. VIII Heft 4 (1902)) S. 174.
*) Eeg. 296 (1437).
») v. H. II 698 (1291) ; III 46 (1302), 806 (1346) ; V Anhang 11 (1337).
«) v. H. II 95 (1228), 204 (1253), 146 (1239).
») v. H. II 491 (1276); III 98 (1305).
•) v. H. V Anhang 11 (1330); V 91 (1387).
*) v. H. V 146 (1390).
*) v. H. IV 377 (1369), 404 (1370).
*) v. H. II 160, 161 (1244); III 302 (1315); IV 532 (1379).
,0) in Dessau (v. H. II 849 (1298); v. Heinetnann hält den hier er-
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Ausserdem scheint der ganze landesherrliche Dominialbesitz,
namentlich im Aschersleber Gebiet, seit Ende des 13. Jahr-
hunderts der Oberaufsicht eines eigenen Vogts unterstellt ge-
wesen zu sein. Es ergibt sich dies daraus, dass in den Urkunden
anhaitischer Fürsten mehrmals Vögte ohne Angabe eines Ortes
aufgeführt werden, die dafür jedoch meist den besonderen Titel
„advocatus noster“ führen und zur selben Zeit sich immer nur
einzeln nachweisen lassen, niemals mehrere zugleich neben-
einander *).
wähnten Heyuricus advocatus für einen Zerbster Vogt. Die Urkunde ist aber
in Dessau ausgestellt, auch haudelt es sich in ihr nur um Üessauer Verhält-
nisse, ausserdem ist damals in Zerbst der Vogt Walter noch im Amte, fuhrt
auch noch nicht die Bezeichnung autiquus, wie in seiner letzten Zeit (v. H.
III 280 (1314); IV 193, 302 (1357—60)) {». v. H. VI 8. 70).
Bernburg (v. H. IV 09 (1354); Beg. 179 (1423).
Aschersleben (v. H. II 100, 101 (12-14); III 655 A. u. B. (1328)).
Köthen (v. H. III 286 (1314); V Anhang 16 (1370) und II 284 (1263);
III 317 (1316)).
Zerbst (v. H. II 596 , 868; III 66 , 80 , 87, 110, 151, 156, 177, 205,
220 , 286 , 295 , 302 , 385 (1285—1319); III 741 (1341), 806 (1346); IV 532
—534 (1379).
Rosslau (v. H. IV 532—534 (1379)).
Koswig (v. II. II 14, 21 (1215—16); 11 515, 524 (1280—81); III 54,
356 (1303—17); IV 393 (1369)).
') Solche Domiuialvögte sind:
1275 Theodericus de Conre (v. H. II 468).
1291 — 94 Conze (Konrad) de Molhusen (v. II. II 711, 739, 769, 770,
771, 774).
1300 Fredericus de Hoyem (v. II. II 888, 889).
1303 Ileuningus de Hoiinb (v. H. III 51).
1312 Konemannus de Hoym (v. H. III 248). Er findet sich noch
öfter in den Urkunden, und zwar unter den Rittern, und hat von 1290—1314
gelebt (v. H. VI 111).
1314 Johannes (v. H. III 279, 294); v. Heinemann VI S. 54 hält ihn
für den Sohn des Vogtes Walter von Zerbst und ebenfalls Vogt dieser Stadt,
bat aber wohl nicht beachtet, dass er eigens als Beamter der Aschersleber
Grafen aufgefiihrt wird.
1320 Conradus in Hoym, Sohn Konemunds (v. H. VI 112) (III 406).
Dass „in Hoym“ seinen Geschlechtsnamen bezeichnet, ergibt sich aus andern
Urkunden (v. H. VI 112), gelebt hat er noch bis 1332 und ist ebenfalls Ritter
gewesen.
1332 Diderik Dyreke (v. H. III 599)
1376 Syverd von Hondorp (v. H. IV 486).
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Wir haben also in den anhaltischen Territorien zu unter-
scheiden zwischen Vögten des landesherrlichen Dominiums, ein-
zelner Landdistrikte und der Stadtbezirke. Eine direkte Unter-
scheidung in der Bezeichnung etwa gibt es nicht, sämtliche
Vögte werden einfach „advocati“ oder „vogete“ genannt, nur
die Vögte des landesherrlichen Dominiums führen meist noch
den besonderen Titel „advocatus noster“.
Ihrem Stande nach gehören die Vögte gewöhnlich zu den
Knappen1), bisweilen auch zu den Rittern2), in der Regel sind
sie landesfürstliche Ministerialen8), die städtischen Vögte im
14. Jahrhundert mitunter auch Bürger ihrer Stadt4). Eine An-
gabe des Familiennamens findet sich fast nur bei den Vögten
des landesherrlichen Dominiums, bisweilen auch der ländlichen
Bezirke5); städtische Vögte sind meist nur mit der Amtsbe-
zeichnung aufgeführt, erst in der zweiten Hälfte des 14. Jahr-
hunderts wird auch bei ihnen die Familienbezeichnung in den
Urkunden häufiger6). Gewöhnlich tragen sie bürgerliche Namen,
während die Vögte ländlicher Bezirke, vor allem des landes-
herrlichen Dominiums mit geringen Ausnahmen adligen Ge-
schlechts sind.
In jedem Vogteibezirk ist gleichzeitig immer nur ein Vogt
tätig, nur einmal findet sich eine Ausnahme in einer Urkunde
des Jahres 1314 7). Da aber der eine Vogt hier eigens zum
Unterschiede die Bezeichnung „dii aide voget van Scherwist“
führt, ist der andere Inhaber des Amtes wohl als dessen Nach-
folger anzusehen8), der schon bei dessen Lebzeiten zur Unter-
>) v.H. II 770 (1294), 888 (1300); III öl (1303), 110 (1306), 205 (1310),
279 , 286 , 294 (1314), 599 (1332), 515 (1326), 602 (1332); IV 193 (1357),
297 (1363).
*) v. H. III 655 (1328), 806 (1346).
*) v. H. II 14 (1215), 468 (1275); II 204 (1253); III 555 (1328).
*) v. H. IV 236 (1359); IV 532 (1379) könnte cs so scheinen, als ob die
Vögte nuch Ratinanncu von Zerbst wären, doch sprechen IV 533, 534 dagegen.
») v. H. II 491 (1276); III 806 (1346); V Anhang 11 (1330); V 91 (1387).
•) v. H. IV 69 (1354), 193, 302 (1357—62); IV 532—534 (1379). Nur
die Viigte von Koswig tragen schon früher volle Namen (v. H. II 515, 524
(1280-81); III 54 (1303), 356 (1317); IV 393 (1369).
’) v. H III 286.
*) Im Jahre 1340 (v. H. III 738) wird erwähnt „ad pcticioncni nostri
Sckrecker, Beamtentum tn Anhalt 3
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Stützung herangezogen ist. Die doppelte Anführung der Vögte
ist auch hier jedenfalls also wieder iu dem hohen Alter des
eigentlichen Inhabers des Amtes begründet. Die Existenz eines
Vertreters ist sonst nicht sicher nachzuweisen, nur einmal
werden Untervögte erwähnt bei einer ganz allgemeinen Auf-
zählung1). Andererseits lässt sich ebenfalls nicht nachweisen,
dass mehrere Vogteien von einem Beamten verwaltet werden *).
Feste Erblichkeit lässt sich bei den Vögten nicht nach-
weisen. Im Anfang des 14. Jahrhunderts hat zwar eine Familie
das Amt des Dominialvogts im Aschersleber Gebiet mehrmals
in kurzer Zeit innegehabt3), doch nicht bestimmt in ununter-
brochener Reihenfolge und nur einmal vom Vater auf den Sohn
übergehend; ein gewisses Vorrecht der Familie hat aber wohl
bestanden.
Die Stellung des Vogtes ist im allgemeinen natürlich
weniger bedeutend, wie die der Zentralbeamten, das bringt schon
seine lokal begrenzte Tätigkeit mit sich. Er kommt fast nur
in den Urkunden vor, die seinen Bezirk angehen; nur die Vögte
des landesherrlichen Dominiums begegnen mehr bei allgemeinen
Geschäften. Immerhin schliesst dies aber nicht aus, dass auch
die andern Vögte mitunter in ziemlich bedeutendem Ansehen
beim Landesherrn gestanden haben. So überweist im Jahre
1315 Graf Albrecht I. „ad petitionem Walteri dicti Advocati,
qui multis temporibus nobis fidelis exstitit servicndo“ dem
Zerbster Nonnenkloster mehrere Gefälle mit der Bedingung,
dass Walter und seine Familienmitglieder, solange sie am Leben
sind, das Nutzungsrecht haben4). Im Jahre 1319 bestätigt die
Äbtissin des Klosters diese Verfügung und bestimmt noch als
Seelenmesse des verstorbenen Walter ein Pfund Denare5).
fidelis Ileiirici Advocati morantis in Cerwist“. Wahrscheinlich ist dieser
Heinrich mit dem 1314 erwähnten identisch, wie v. Heinemann VI S. 54 an-
nimmt; lässt sich allerdings nicht sicher bestimmen.
■) v. H. III 583 (1330).
’) Vgl. B. Meyer S. 56 ; Isaaksohn S. 59.
*) Hie Hoims (pag. 32 anm. 1). Es wäre ja mfiglich, dass auch der Voigt
Johannes (1314) diesem Geschlecht« augebürt.
*) v. H. III 302.
') v. II III 385.
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Im allgemeinen sind die Vögte wohl nur landesherrliche
Beamte, doch sind sie in ihrem Bezirk auch bei nicht rein
landesfiirstlichen Angelegenheiten beteiligt, wenn auch meist
nur als Beurkundungszeugen. So werden sie von Stiftern und
Klöstern zur Erledigung öffentlicher Geschäfte mit herange-
zogen1), ohne dabei eigentliche Klostervögte zu sein*), und
auch bei den Angelegenheiten der Städte haben sie bisweilen
tätig mitgewirkt s).
Die Tätigkeit4) des Vogtes ist eine sehr vielseitige. Er
ist der allgemeine Beamte seines Bezirks, und fast bei allen
Angelegenheiten in demselben beteiligt, hält sich wohl auch in
dessen Interesse ausserhalb seines eigentlichen Bezirkes auf5).
Er wird für jede Funktion der Verwaltung bestellt, in seiner
Person vereinigt er alle obrigkeitlichen Befugnisse innerhalb
seines Distrikts. Er ist richterlicher, administrativer, finan-
zieller und wohl auch militärischer Beamter, der Beamte xai '
igoxijv, wie ihn Roseuthal (S. 343) bezeichnet. Wenn er auch
meist die Geschäfte allein erledigt haben wird, eine obere Mit-
wirkung behält sich der Landesherr immer vor; von ihm hat
der Vogt den Auftrag, „in seinem Namen hat er zu gebieten
und verbieten“6).
Der Vogt ist der eigentliche landesherrliche Justiz-
beamte, weswegen er auch bisweilen einfach Richter genannt
wird7). Vom Landesherrn wird ihm sein richterliches Amt
>) v. H. II 808 (1399); III 66 (1303), 80, 87 (1304), 110 (1305), 151,
156 (1307), 295 (1315), 356 (1317).
’) v. H. III 356. Wäre der Vogt Johannes klösterlicher Beamter, würde
seinem Namen wohl, wie dem des Dekans, die Bezeichnung des Stifts hinzu-
gefügt sein.
•) v. H. II 21 (1216), 596 (1285) ; IV 69 (1359).
*) Vgl. hierzu Schröder, Rechtsgeschichte S. 565, 607 ff. ; Bonihak S. 7 ff.;
Holtze S. 56 ff.; Isaaksohu S. 36 ff. ; Kilhns S. 101 ff.; B. Meyer S. 54 ff. ;
Luther S. 16 fl. ; Rosenthal S. 323 ff. ; Lamprecht S. 1392 ff ; Schmoller S. 48 ff. ;
Stölzel, Gelehrtes Richtertum S. 159 ff.
*) v. H. II 160, 161 (1244); III 110 (1305), 151 (1307).
•) Schmoller S. 48.
*) v. H. II 888 (1300); III 734 (1340); V 803a (1346). Ist von einem
landesherrlichen Richter in den Urkunden die Rede, so bezieht es sich in der
Regel auf den Vogt.
3*
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übertragen, stets hat der Richter auf das Gebot seines Herrn
zur Stelle zu sein *). In jurisdiktioneller Hinsicht ist der Vogt
Stellvertreter des Landesherrn in der Abhaltung des Vogtei-
gerichts in seinem Bezirk2). Auch in den geistlichen Stiftern,
deren Vogtei den Landesfürsten untersteht, ist ihm nicht selten
die Ausübung der richterlichen Tätigkeit übertragen. Für die
Klöster Niemburg und Thankmarsfelde haben sich aus dem
Jahre 1239 in zwei Verträgen des Grafen Heinrich I. von
Ascharien mit dem Abte von Niemburg ganz genaue Bestim-
mungen erhalten, die uns einen guten Einblick in die richter-
lichen Befugnisse der damaligen Vögte gewähren*).
Im Vogteigericht führt der Vogt den Vorsitz4), er leitet
die Verhandlungen und verkündet das Urteil. Entsprechend
dem Recht des Sachsenspiegels wird er auch in Anhalt nur Ur-
teil fragen und ausgeben, nicht selbst finden, also nur das Auf-
sichtsrecht haben 6). In den Urkunden v. H. II 145 uud
M.V.f.A.G. IX 2 S. 187 werden von seiner Tätigkeit immer nur
die Ausdrücke „presidere, placitare, iudicium habere“ gebraucht,
die also auf eine Leitung schliessen lassen, während Judicare“
sich nie für den Vogt findet, dagegen aber in v. H. II 145
für den richterlichen Beamten des Klosters, den molendinarius,
gebraucht wird; einmal heisst es „si advocatus alicui culpam
dedit“ 6). Zu seiner Unterstützung und Vertretung ist dem
Vogte ein gerichtlicher Unterbeamter beigegebeu, nuncius ge-
nannt7); seinem Gericht hat der Schulze beizuwohnen8). In
der Zahl der Gerichtstage ist dem Vogt nicht etwa freie Hand
■) v. II. III 734 (1340).
*) v. H. V 211 (1394); M.V.f.A.G. IX 2 S. 191 (1293); s. auch Bertram-
Krause S. 317.
*) v. H. II 145 und M.V.f.A.G. IX 2 S. 187.
‘) v. H. II 145 (1239); M.V.f.A.G. IX 2 S. 187.
5) Planck, Das deutsche Gerichtsverfahren im Mittelalter (Hraunsclnveig
1879) Bd. I S. 89—90, 24811'., 301 ff. Auch in Brandenburg hat der Vogt nur
die Leitung und Ordnung der Prozesse (Ktlhns S. 135), ebenso im Bergischen
(Kiirnicke S. 69).
*) M.V.f.A.G. IX 2 S. 187.
’) v. H. II 145 (1239), 888 (1300); V 34a (1219); s. Schröder, Rechts-
geschichte S. 661 ; Beckmann VII S. 116.
•) v. H. III 317 (1316); IV 130 (1356).
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gelasseu, vielmehr findet das Vogteigericht zu bestimmten
Zeiten statt ‘), gewöhnlich dreimal im Jahr s), und zwar sollen
die Gerichtstage nach Beschluss so gelegt werden, dass nicht
eine anderweitige Behinderung eintreten kann3).
Die Gerichtsgewalt des Vogtes umfasst wohl alle Rechts-
sachen des Landrechts und entspricht der gewöhnlichen Grafen-
gewalt4). Sicher hat der Vogt die höhere Gerichtsbarkeit.
Genaue Nachrichten haben sich für die stiftsvogteiliche Ge-
richtsbarkeit erhalten. In der Urkunde von Niemburg5) heisst
es an einer Stelle, der Vogt soll nicht Recht sprechen in den
Dörfern der Kirche, „nisi pro crimine, quod hanthafte dat vul-
gariter appellatnr“. An anderer Stelle wird festgesetzt, dass
er in den Mühlen des Stifts kein anderes Gericht hat, „nisi pro
his criminibus, que personam interimunt vel manum amputant“.
Über die andern Streitsachen soll der Müller richten; der Vogt
soll ihm dabei nichts in den Weg legen, höchstens kann er
diejenigen Leute vom Besuch des Gerichts abhalten, „qui sunt
de prediis suis vacantibus“. Ebenso heisst es in den Vogtei-
bestimmungeu für Thankmarsfelde „Comitis advocatus non pla-
citabit in villis ecclesie nec vocatus pro hanthafte dat, in mo-
lendinis ecclesie universis advocatus non habebit aliquod
iudicium nec pro his criminibus, que pro certamine manum am-
putant“ 6). In den geistlichen Stiftern hat der landesherrliche
Vogt also nur die schweren Zivil- und Kriminalfälle, Achter-
ding wird sein Gericht einmal genannt 7). In seinem weltlichen
Bezirk übt der Vogt auch sicher die höhere Gerichtsbarkeit
aus. Er ist zuständiger Richter über „ungerichte“8), über
Räuber und Friedensbrecher9), wie über schwere körperliche
') v. H. III 317 (1316); II 145 (1239) wird fiir das Vogteigericht im
Kloster der Tag nach dem Gericht in der Stadt festgesetzt.
*) v. H. II 145; M.V.f.A.G. IX 2 S. 187 (1239); v. H. V 34a (1219);
s. auch Planck S. 118.
*) M.V.f.A.G. IX 2 S. 187 (1239).
*) Planck S. 5 ff., 42 ff
») v. H. II 146 (1239).
•) M.V.f. A.G. IX 2 S. 187 (1239).
’) v. H. II 145 (1239).
*) v. H. IV 130 (1356).
•) v. H. V 803a (1346); IV 480 (1376).
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38
Delikte1), hat also die Gerichtsgewalt über Eigen wie Hals
und Hand. Aber seine Gerichtsgewalt erstreckt sich auch noch
auf alle in seinem Bezirk enthaltenen weltlichen Niedergerichte.
Wenn auch diese Gerichtsbarkeit wohl meist von seinen Unter-
beamten in Dorf wie Stadt selbständig ausgeübt wird, so ist
er doch Oberinstanz für dieselben. So steht im Dorfgericht
dem Vogt die Pfändung zu, die vorhergehenden gerichtlichen
Verhandlungen aber gehören in den Amtsbereich des Schult-
heissen, der auch das Rügerecht besitzt. Erst wenn derselbe
fehlt, übernimmt der Vogt alle erforderlichen Schritte s). Gegen
gerichtliche Entscheidungen des Vogtes ist zuständige Be-
rufungsinstanz wohl der Landesherr, in späterer Zeit auch der
landesfürstliche Rat 8).
Aus seinem richterlichen Amt zieht der Vogt nicht
unbedeutende Einkünfte. Er erhält von den Gerichtsgefällen
ein Drittel, die übrigen zwei Drittel stehen dem Gerichtsherrn
zu; die Einziehung und Verrechnung dieser Gefälle ist dem
Vogt anheimgegeben8). Ausserdem wird ihm von den Stiftern
für jede Gerichtssitzung eine Entschädigungssumme gegeben,
deren Höhe in den einzelnen Gerichtsbezirken verschieden ist.
Für Niemburg und Thankmarsfelde ist z. R. ein Pfund fest-
gesetzt, während für das Gericht in „Hazkerodhe“ nur 5 Solidi
bezahlt werden4). Doch wird dieses Geld nur dann ausgezahlt,
wenn der Vogt auch wirklich den Vorsitz geführt hat5). Auch
sonst scheint der Vogt noch zu mancherlei Forderungen an die
klösterlichen Hintersassen berechtigt gewesen zu sein, da in
den Bestimmungen für Niemburg noch besonders festgesetzt
wird, dass der Vogt von den Leuten der zum Kloster gehörigen
drei Burgwarde auch ausserhalb derselben kein servicium for-
') G. Qu.it. Pr. S. II 423 (1455); sonst gibt es nur noch eine Urkunde
mit ganz allgemeinen Ausdrücken Uber die richterliche Tätigkeit des Vogtes
(v. H. II 698 (1291)).
*) G.Qu.d.Pr.S. II 423 (1455).
») v. H. II 145; Jl.V.f.A.Ü. IX 2 S. 187 (1239); s. auch v. Krones,
Verfassung S. 495.
‘) v. H. II 145; M.V.f.A.G. IX 2 S. 187.
*) v. II. 11 145 ,8i non presederit, non dabitur“.
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39
dem sollen, weil sie schon dem Abte und der Kirche häufig
dienen mussten *).
Neben diesen unmittelbaren Gerichtsgefällen®) stehen dem
Vogt auch noch mancherlei andere Bezüge zu in Naturalien,
wie Geld. In den Bestimmungen für Niemburg sind eine Reihe
solcher dem Vogt zuständiger Abgaben aufgeführt, wie „vorst-
mede“, „vogetkorn“, „vare“ und „varschilling“. Die Urkunde
v. H. V 34 a vom Jahre 1219 führt als Einnahme für das
Vogteigericht „servitium in pabulo et expensis“ an. In den
Klöstern scheint auch dem mit der stiftsvogteiliehen Juris-
diktion beauftragten landesherrlichen Vogt beim Tode des
Abtes ein gewisser Anteil an der Hinterlassenschaft zuge-
standen zu haben3); überhaupt ist dem richterlichen Be-
amten anscheinend mancherlei Einfluss auf geistliche Stifter
gestattet4).
Als administrativer Verwaltungsbeamter hat der Vogt
vor allem polizeiliche Pflichten, er ist in seinem Sprengel ge-
wissermassen Walter des Friedens. Die Sorge für Ruhe
und Ordnung seines Bezirks ist ihm übertragen, namentlich die
öffentliche Sicherheit des Landes hat er zu überwachen. In-
folgedessen ist es eine seiner wichtigsten Aufgaben, Räuber
und andere Übeltäter aufzusuchen, zu verfolgen, festzunehmen
und auszuliefern. Hierbei sollen die Vögte benachbarter Be-
zirke sich untereinander helfen, einer den andern benachrich-
tigen6); selbst ein Nachsetzen auf fremdes Gebiet ist ihnen
meist gestattet, wobei dann die dortigen Beamten nach allen
Kräften ihn unterstützen sollen ®). Ja sogar, wenn ein fremder
Vogt auch nur erfährt, dass in des andern Herrn Land Räuber
hausen, so soll er schon von sich aus, auch ohne aufgefordert
zu sein, dem betreffenden Vogt seine Unterstützung anbieten7).
') v. H. II 145.
•) Vgl. auch pag. 41.
*) v. H. II 145 (1239).
«) v. H. II 888 (1300).
•) v. H. IV 480 (1376); IV 511 (1377); V 281 (1398); Reg. 54 (1407),
192, 193 (1424).
•) v. H. IV 544 (1379).
T) v. H. IV 480 (1376).
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40
Damit dies auch wirklich geschieht, wird meist noch bestimmt,
dass die Vögte es sich gegenseitig zur Bekräftigung an Eides
Statt geloben sollen '). Man sieht also, welcher Wert auf diese
Seite der vogteilichen Wirksamkeit gelegt wird, in den meisten
Bündnissen der damaligen Zeit finden wir eine derartige gegen-
seitige Unterstützung der Vögte zur Aufrechterhaltung des
Landfriedens ganz genau festgesetzt. Überhaupt scheint auch
sonst ein Zusammenwirken der Vögte fremder Gebiete bei all-
gemeinen Angelegenheiten nicht selten gewesen zu sein 8).
Aber nicht nur die Verfolgung und Vertreibung der Räuber ist
dem Vogt übertragen, er hat auch die Ergriffenen auf den
Gerichtstagen abzuurteilen und zu bestrafen; auch dabei sollen
die einzelnen Vögte sich mit Rat und Tat zur Seite stehen s).
Auch sonst hat der Vogt noch mancherlei polizeilich -ad-
ministrative Pflichten. Er hat für die Regelung des Wagen-
verkehrs auf den Strassen zu sorgen4), überhaupt den allge-
meinen Fuhr- und Schiffbetrieb im Lande zu beaufsichtigen5).
In den Städten ist ihm zum Teil die Strassenpolizei anver-
traut6), ferner die Überwachung des Gewerbe Wesens7). Als
administrativem Beamten liegt dem Vogt vor allem auch die
Verwaltung der in seinem Bezirk gelegenen landesherrlichen
Schlösser, Domänen oder Häuser ob, zumal dieselben meist
auch den Mittelpunkt der Vogtei bilden und der Wohnsitz des
Vogtes sind8). Auch hier hat der Vogt auf Ruhe und Ordnung
zu sehen und den Burgfrieden zu überwachen 9) , ferner für
guten baulichen Zustand zu sorgen 10). Namentlich wird auf
Gütern, die durch Pfandbesitz auf gewisse Zeit an die anhai-
tischen Fürsten kommen, stets ein Vogt zur Bewirtschaftung
■) v. H. IV 480 (1376), 611 (1377), 471a (1375).
*) v. H. V 226, 225 (1394); Reg. 192, 193, 194 (1424).
*) v. II IV 480 (1376); s. Homeyer, Sachsenspiegel, Landrecht 11 71
§ 4, 5; Planck S. 42.
*) v. H. IV 480 (1376).
s) v. H. IV 62 (1353).
«) v. H. IV 130 (1356).
*) v. H. IV 56 (1353).
«) v. H. IV 277, 278 (1362); Reg. 26 (1404).
*) Reg. 194 (1424).
'«) Reg. 459 (1453).
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41
eingesetzt, der dasselbe zu bewahren hat, bis es durch Wieder-
kauf in die Hände seines früheren Eigentümers zurückgeht1).
Bisweilen scheint ein derartiger Pfandbesitz zur besseren
Sicherung neben dem Vogte noch andern Leuten mit über-
tragen zu sein, allerdings behält der Vogt dann immer die Ver-
waltung *).
Ausserdem steht dem Vogt in wirtschaftlicher Hinsicht
auch die Aufsicht über die einzelnen Feldmarken zu. In
dieser Eigenschaft hat er bei Streitigkeiten über Güterbesitz
u. dgl. als Schiedsrichter zu fungieren3). Er hat überhaupt
für das Wohlergehen der Insassen seines Bezirks zu sorgen,
namentlich auch die einzelnen Abgaben und Lasteu hier gleich-
mässig zu verteilen4).
Dies führt uns auf die finanzielle Tätigkeit des
Vogtes5), die eine der wichtigsten für ihn ist. Als finanzieller
Beamter besorgt der Vogt die Erhebung der landesherrlichen
Einkünfte und hat deren Verwaltung unter sich. In seiner
Eigenschaft als richterlicher Beamter sorgt er für die Ein-
treibung der Gerichts- und Bussgelder6). Bei dem Tode eines
Bezirksiusasseu hat er das Exuvienrecht des Landesherrn in
Geltung zu bringen und einen Teil der Hinterlassenschaft des
Verstorbenen einzuziehen7). Hierbei fällt ihm selbst ein Teil
zu, weshalb bisweilen der Vogt aus seinem eigenen Interesse
zuviel gefordert zu haben scheint, denn in der einen Urkunde
vom Jahre 1275 wird die Höhe der Abgaben genau festgesetzt
und noch besonders hinzugefügt „hanc quantitatem ultra pre-
dictum debitum nullatenus transcendentes“.
Als Vertreter des Fürsten hat der Vogt von den bäuerlichen
Gütern den Grundzins einzufordern, Bede und Schoss eiuzu-
>) v. H. IV 377 (1369), 404 (1370); V 102 (1388), 146 (1390).
J) v. H. IV 404 (1370).
*) v. H. UI 356 (1317); V 12 (1380).
‘) v. H. III 98 (1305).
*) Vgl. ausser den png. 35 angeführten Werken besonders ßrenuicke,
Die ordentlichen direkten Staatssteuern Mecklenburgs im Mittelalter (Marburg,
Dissertation 1900) S. 87(1. ; Eggers, Das Steuerwesen der Grafschaft Hoya
(Marburg, Dissertation 1899) S. 4 ff., 39 ff.
*) S. oben pag. 38—42.
») v. H. II 263 (1261), 468 (1275); IV 460 (1375).
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42
uelimeu '), wie die Leistung erforderlicher Dienste anzuurduen und
zu überwachen2). Namentlich die Einziehung der landesfürstlichen
Bede macht einen beträchtlichen Teil der finanziellen Tätigkeit des
Vogtes aus. In den Urkunden der damaligen Zeit finden wir
die sogenannten „expensae, precariae, exactiones, petitiones“,
womit diese öffentlich-rechtliche Abgabe zumeist bezeichnet
wird, sehr oft aufgezählt und dann fast immer in Verbindung
mit den Vögten gebracht3). Sie werden uicht nur von den
Bauern, soudern auch von den geistlichen Besitzungen erhoben4).
Über ihren Ursprung lässt sich für Anhalt nichts Genaues
entscheiden, jedenfalls hängen sie aber wohl mit der Gerichts-
tätigkeit zusammen6). Ob sie eine Ablösung für zu leistende
Dienste sind, ist fraglich; ist es der Fall, so sind sie es wahr-
scheinlich aber nicht bloss für militärische, sondern auch für
alle möglichen andern, wie Fron- und Spanndienste u. dgl., die
von den Untertanen je nach der Gelegenheit der landesherr-
lichen Verwaltung zu leisten sind. Als feste Abgaben sind sie
jedenfalls wohl auch iu Anhalt anzusehen*), allerdings findet
sich in den Urkunden weder über den Zeitpunkt ihrer Ein-
lösung noch über ihre Höhe irgendwelche Bestimmung. Sie
richtet sich oft wohl nach dem jedesmaligen Fall, dessen Ver-
anlassung alles mögliche sein kann7). Als Stellvertreter des
Landesherrn in der lokalen Verwaltung hat der Vogt natürlich
auch die Leistung der erforderlichen Dienstpflichten zu über-
■) v. H. III 583 (1330); IV 260 (1361); V 70 (1385), 211 (1394).
*) v. H, V 211 (1394); Reg. 350 (1441); v. H. III 583 (1330).
*) v. II. V 34a (1219), II 313 (1266), 371 (1270); III 93 (1304), 379
(1319), 652 (1334), 765 (1344); V 83 (1387); s. hierzu Brennicke S. 3 ff. ;
Eggers S. 2 ff.
•) v. H. II 313 (1266); III 379 (1319); s. auch Brennicke S. 10ff., 47 ff.;
Eggers S. 4 ff. Allerdings kommen hier sehr viel Befreiungen vor (s. unten).
s) v. H. V 34a (1219); III 317 (1316). Auch Brennicke (S. 18) be-
trachtet diese Abgaben als eine Bedingung der Gerichtshoheit (s. auch Eggers
S. 4, 7, 10), lehnt aber einen Zusammenhang mit der Kriegshoheit ab;
H. B. Meyer (S. 64) dagegen hält sie filr ein Entgelt der vom Kriegsdienst
befreiten Bauern und Geistlichen.
*) v. II. III 652 (1334); V 83 (1387); III 93 (1304).
’) v. H. III 765 (1344). Ausserordentliche Bedeabgabeu sind also für
Anhalt auch wohl anznuehmen (vgl. Brennicke 8. 27).
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wachen. Er sorgt nicht nur für die richtige Einzahlung des
Entgelts, sondern setzt meist auch dessen Höhe fest1). Damit
ist ihm aber eine bedeutende Macht über die Bewohner seines
Sprengels gegeben und seinem Handeln grosse Willkürlichkeit
gelassen. Da nun andererseits der Vogt in seinen eigenen
Einkünften vielfach auf Einnahmen aus dem seiner Verwaltung
auvertrauten Bezirk gestellt ist, liegt natürlich für ihn der
Reiz nahe, durch Erhöhung und Vermehrung dieser unbe-
stimmten Abgaben seine eigene pekuniäre Stellung zu heben.
Nicht selten werden dieselben also wohl auch ohne landesherr-
lichen Befehl willkürlich durch den Vogt eingetrieben sein und
so zu mancherlei Klagen Anlass gegeben haben*). Die Folge
davon ist naturgemäss das Bestreben der Insassen der Vogtei,
sich möglichst von dieser bedrückenden Gewalt des Vogtes zu
befreien, was namentlich den geistlichen Stiftern sehr oft ge-
lungen ist3). So erklärt es sich, dass in den meisten Urkunden,
die uns von derartigen Abgaben Nachricht geben, dieselben als
ungerechte Bedrückungen hingestellt werden4) und den Vögten
wegen unbilliger Belästigung ihre Einziehung untersagt wird 5).
Auch sonst wird den Vögten, namentlich geistlichen Stiftern
gegenüber, oft jegliche Bedrückung oder Verletzung verboten6).
Über eine militärische Wirksamkeit des Vogtes finden sich
nur wenig bestimmte Nachrichten und erst ziemlich spät. Nur
einmal wird ein Dominialvogt als Hauptmann bezeichnet7), im
14. Jahrhundert begegnen uns Vogteibeamte sonst nur noch ein-
mal ohne nähere Angabe im feindlichen Land8), und erst im
15. Jahrhundert sind sicher Amtleute mit militärischen Befug-
nissen nachzuweisen9). Anzunehmen ist aber wohl, dass der
') Brennicke S. 84, 87 ff. ; Eggers S. 39.
«) v. n. II 313 (1266).
') v. H. II 313 (1266); III 379 (1319), 652 (1334), 765 (1344); V 83
(1387); s. auch Brennicke S. 44 ff. ; H. B. Meyer S. 65; Schnitze S. 285.
*) II 313 (1266); V 34 a (1219); III 379 (1319), 652 (1334); V 83 (1387).
‘) v. H. II 371 (1270); III 765 (1344).
*) y. H. III 198 (1309); IV 158 (1357); V 205 (1293).
’) v. H. III 661 (1335).
9) v. H. IV 111 (1355).
*) Beg. 26 (1404), 374 (1443).
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Vogt von vornherein auch in dieser Hinsicht tätig gewesen ist '),
jedenfalls schliesst das Vorkommen anderer militärischer Beamter
eine derartige Wirksamkeit nicht aus, macht sie vielmehr nur
wahrscheinlich. Die Leitung der Fehden und Kriegszüge liegt
zwar in den Händen von sogenannten Hauptleuten, doch sind
dieselben in den meisten Fällen jedesmal erst aus der Mitte
der Vogteibeamten genommen2), insofern sind also die Vogte
auch bei Kriegen militärisch beteiligt. An sich sind sie also
zu militärischer Tätigkeit wohl berechtigt.
Neben seinem obrigkeitlichem Amte ist der Vogt aber auch
noch als Vertrauensperson seines Herrn tätig; das zeigt schon
das häufige Auftreten desselben, besonders des landesherrlichen
Dom inial vogts, in der Reihe der Beglaubigungszeugen, wobei es
sich nicht immer um Sachen seines eigenen Vogteibezirks
handelt. So schliesst er im Namen seines Herrn Vergleiche
abs). wird bei wichtigen Verträgen als Bürge heran gezogen 4)
und auch mit Ausführung wichtiger Beschlüsse beauftragt, wie
z. B. von Friedensschlüssen5).
Auf Reisen finden wir den Vogt nicht sehr häufig in der
Begleitung des Fürsten und meist dann auch nur den Vogt
des landesherrlichen Dominiuras 8) , es liegt dies eben in der
Natur des an den Bezirk gebundenen Amtes.
Die Anstellung des Vogtes erfolgt gewöhnlich auf Grund
eines privatrechtlichen Vertrages zwischen dem Landesherrn
und dem Beamten, der die gegenseitigen Rechte und Pflichten
festsetzt. Meist geschieht die Überweisung des Amtes auf dem
Wege der Belehnung7). Anlass dazu sind gewöhnlich Geldvor-
schüsse seitens des Belehnten gewesen8); ob die Vogteien auch
') Nach dem Beispiel der Nachbarländer: s. Isaaksohn S. 54; Iloltze
S. 57; Kilhns S. 142; II. B. Meyer S. 54 ff.; Luther S. 16; auch Barth S. 400;
Kosenthal, Gerichtswesen S. 341; Lainprecht S. 1394.
*) pag. 53.
*) v. II. IV 532 (1379).
‘) v. II. III 575 (1330); V 65 (1385), 76 (1386).
5) v. H. IV 8 (1351).
•) v. H. II 160 (1244); 711, 739 (1291—93); V 91 (1387).
7) v. H. V Anhang 11 (1328, 1334); s. auch Bertram-Krause S. 318.
*) v. H. V Anhang 11 (1330); s. auch Stölzel, Brandenburg -Preussens
Rccbtsverwaltung und Itccbtsverfassuug Bd. I (Berlin 1888) S. 147.
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auf dem Wege der Verpfändung vergabt sind, lässt sich für die
anhaltischen Gebiete nicht fest, stellen *).
Die Ernennung selbst geschieht in der Regel wohl per-
sönlich durch den Landesherrn vermittelst eines Bestallungs-
briefes. Für die anhaltischen Territorien hat sich nur ein ein-
ziger erhalten, es ist dies eine Urkunde vom 19. Oktober 1353,
in der Fürst Waldemar I. einen gewissen Bussen Mylow zum
Vogte von Templin bestellt2). Über die Dauer des Amtes lässt
sich nichts Bestimmtes sagen. Der Vogt bekleidet es auf
Widerruf und kann nach dem Belieben des Landesherrn frei
ein- und abgesetzt werden8;, höchstens ist bei verpfändeten
Gütern der Anspruch des früheren Herrn noch zu berück-
sichtigen4). Es scheint aber eine Kündigungsfrist bestanden
zu haben6). Bei Antritt des Amtes hat der Vogt seinem Herrn
die treue Erfüllung der festgesetzten Pflichten eidlich zu ge-
loben6). Bevor das Gelübde nicht geleistet ist, kauu der neue
Vogt seine Tätigkeit nicht beginnen7). Oft ist dieser Eid schon
einige Zeit vorher abzuleisten8). Auch noch später während
der Amtszeit muss der Vogt, wenn neue Pflichten hinzukommen,
stets deren redliche Erfüllung eidlich versprechen9). Gehört
das betreffende Schloss, in dem der Vogt sitzt, seinem Landes-
fürsten nur auf dem Wege der Verpfändung bis zum Wieder-
kauf, so hat nicht selten der Vogt auch noch dem andern
Herrn zu huldigen 10). Doch bleibt sein eigentlicher Landesherr
für ihn stets noch die erste Instanz, jedenfalls darf er den Be-
’) Nur eine Stelle könnte sich darauf beziehen (v. H. V 246 (1396)),
doch kann damit ebensogut eine einfache Wiedererstattung der Ausgaben
gemeint sein (über Verpfändung s. auch Isaaksohn 8. 49; Meyer S. 55;
Schmoller S. 27).
*) v. H. IV 63.
') v. H. V 146 (1390), 177 (1392).
•) v. H. IV 377 (1369), 404 (1370); Reg. 130 (1419).
s) v. H. IV 404 (1370).
•) v. H. IV 404 (1370); V 146 (1390); Reg. 130 (1419); v. H. IV 377
(1369).
») v. H. V 146 (1390).
•) v. H. IV 377 (1369). 404 (1370).
») v. H. IV 377 (1369).
,0) v. H. V 102 (1388).
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sitz nicht ohne dessen Wissen zurtickgeben, es sei denn, dass
er Vollmacht erhalten hat1). Auf Befehl seines Landesherrn
jedoch muss er es jedem Beliebigen Überantworten, wie es ihm
eben geheissen wird2). Überhaupt ist der Vogt verpflichtet,
sich den Anordnungen seines Herrn zu fügen, widrigenfalls er
zur Verantwortung gezogen wird3).
Die ganze, überaus vielseitige Tätigkeit des Vogtes erfordert
natürlich ziemliche Geldmittel zur Bestreitung der Kosten, die
in der Regel wohl aus den Einkünften des Amtes selbst be-
glichen werden. Das gewöhnliche ist hierbei die Form der
Abrechnung4), der Vogt verbraucht, was er für nötig hält,
das Übrige kann er teilweise zurückbehalten, teilweise muss
er es an den Landesherrn abliefern5). Hat er in seinem Be-
zirk einmal grössern Schaden erlitten, so kann er mit Zu-
stimmung des Landesherrn auch sämtliche Einkünfte zu dessen
Deckung verwenden. Jedenfalls hat er Anspruch auf Wieder-
erstattung der Auslagen und teilweisen Schadenersatz6); scheidet
er aus dem Amte und fehlt ihm da vielleicht noch etwas, so
soll er auch dies nach redlicher Berechnung in der nächst-
folgenden Zeit ohne jede Behinderung erhalten 7). Überhaupt tritt
der Landesherr durchaus für das Wohlergehen des Vogtes ein,
in amtlicher Beziehung wie bei rein persönlichen Angelegen-
heiten desselben").
Die Besoldung des Vogtes selbst besteht einmal in einem
bestimmten Fixum an Geld, wenigstens ist dies in der zweiten
Hälfte des 14. Jahrhunderts nachweisbar9), ferner werden ihm
Naturalbezüge und Geldrenten angewiesen16). Ausserdem er-
hält er meist noch zu seinem Unterhalt ein oder mehrere Hufen
') v. H. IV 404 (1370).
*) v. H. V 146 (1390).
*) Reg. 194 (1424).
4) Vgl. Schmoller S. 49.
») v. H. IV 63 (1353), 192 (1357).
•) t. H. IV 192 (1357); V 246 (1396); IV 63 (1353).
’) v. H. IV 63 (1353).
") v. II. III 499 (1325); IV 63 (1353).
“) v. II. IV 278 (1362).
,0) v H. III 302 (1315); V Auliang 11 (1330).
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Land oder andere Nutzungen lehnrechtlich überwiesen '). Da-
neben ist er in seinen Revenüen vor allem noch auf die Ein-
künfte seines Amts angewiesen. So erhält er von den Ge-
richtsgefällen, Steuern und sonstigen Abgaben, wie wir gesehen
haben, seinen bestimmten Teil und macht sich damit direkt be-
zahlt. Auch steht ihm wohl sicher von den einzelnen Hufen
seines Bezirks das sogenannte voghetgelt zu, das oft in den
Urkunden erwähnt wird2).
Wie wir aber schon bei Besprechung der finanziellen
Pflichten des Vogtes gesehen haben3), kann diese letztere Art
der Besoldung leicht zu Übergriffen verleiten; dass dies wirklich
der Fall gewesen ist, beweist uns ausser den oben angeführten
Fällen eine Reibe von Urkunden, in denen Landhufen „a jugo
advocatorum liberum et immunem“ verliehen werden4); das
Streben der Besitzer ging eben dabin, möglichst nichts mit der
bedrückenden Gewalt des Vogtes zu tun zu haben. Deutlich
zeigt diese selbständigen Übergriffe der Vögte schon eine Ur-
kunde vom Jahre 1263 5), in der Graf Siegfried I. auf die An-
sprüche seiner Vögte von Köthen auf Einkünfte aus Gütern
der Dessauer Kirche verzichtet mit der Begründung, „qnod in
bonis ecclesie in Dessowe, videlicet octo mansis sitis in Greven-
dorp, ex nulla iustitia sed quadam sicut dicitur consuetudinis
corruptela advocati de Cothene consueverunt extorquere.“
b) Die Ortsbeamten.
a) Unter dem Vogte stehen in den Dörfern und Städten
des Bezirks noch rein lokale Ortsbeamte, denen die Verwaltung
der untersten Kreise übertragen ist. Auf dem Lande steht an
der Spitze der Ortsverwaltung ß) der villicus, später nach der
■) v. H. III 406 (1320); V Anhang 11 (1330, 1337).
*) Z. B. v. H. IV 260 (1361); V Anhang 11 (1342).
*) pag. 38—39, 41, 43.
*) v. U. II 439 (1274), 491 (1276), 552 (1283), 828 (1297).
•) v. H. II 284.
*) Vgl. Schröder, Rechtsgescbichte S. 603; Bornhak S. 5; Holtze S. 68 ff. ;
Kilhns S. 156 ff. ; Luther S. 14, 16; Wintterlin 8.8; Schütze, Bezirk und
Organisation der uicderrheinischen Ortsgemcinde (Beiträge zur Geschichte des
Niederrheins XV (Düsseldorf 1900) S. 232 ff. ; Eid, Der Hof- und Staatsdienst
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allmählichen Erweiterung der einzelnen Gehöfte zu Dörfern
und dem stärkeren Aufkommen der deutschen Sprache in den
Urkunden seit dem Ende des 13. Jahrhunderts mehr Schul-
theiss genannt, welche Bezeichnung sich seit der Mitte des
14. Jahrhunderts allein durchsetzt; im Zerbster Gebiet führt
dieser Ortsbeamte auch den niedersächsischen Titel Bauermeister1),
der auch einmal im Aschersleber Territorium begegnet*). Ver-
einzelt findet sich auch die Bezeichnung prefectus3). Das Amt
heisst Schultheissenamt oder auch einfach „gherichte“ 4).
Der Schultheiss stammt aus einer in dem betreffenden Dorf
ansässigen Familie, sein Amt hat er zu erblichem Lehen vom
Landesherrn, oft wird es mehreren Mitgliedern einer Familie
zugleich übertragen5). Bei seiner Ernennung hat die Gemeinde
mitzusprechen, sie selbst wählt ihn sich aus ihrer Mitte6), der
Landesherr belehnt ihn dann eben mit dem Amte, wodurch er
erst vollgütiger Beamter wird. Jedenfalls gilt er als landes-
herrlicher Beamter7).
Ein eigentliches Gehalt hat der Ortsschulze anscheinend
nicht bezogen, viemebr ist der Posten mehr eine Art Ehren-
amt. Immerhin bringt es aber doch mancherlei Vorteile ma-
terieller Art8). Einmal ist das Amt selbst anscheinend mit
einigen Ländereien begabt gewesen 9), und dann wird der zum
Ortsschulzen Ausersehene fast immer zugleich mit dem Amt
noch mit mehreren Landhufen belehnt und ihm sonstige Erträge
im ehemaligen Pfalz-Zweibrilcken von 1444—1604 (Zweibrücken 1897) (Mit-
teilungen des historischen Vereins für die Pfalz Bd. XXI) 8. 216 ff. ; Lamb-
recht S. 873, 1407.
') M.V.f.A.G. IX 1; Lehnbuch Albrechts II. (1307—1470); vgl. Schröder,
Der ostiifnhlisehe Schultheiss und der holsteinische Overbode (Zeitschrift der
Sa vigny- Stiftung für Rechtsgeschichte (German. Abteilung Bd. VII (1886))
S. 9; Borohak S. 5.
*) G.Qu.d.Pr.S. II 423 (1454).
*) v. H. III 875 (1349); M.V.f.A.G. VIII 5 (1358 Nr. 49).
*) v. H. V Anhang 11 (1336, 1338); M.V.f.A.G. IX 1 S. 63 , 68 , 72
(1307—1352), 79 (1382).
5) M.V.f.A.G. IX 1 S. 67, 59, 63, 64, S. 79 (1382).
•) G.Qu.d.Pr.S. II 423 (1454).
*) v. H. III 317 (1316),
•) Vgl. Isaaksohn S. 195 ff.
•) M.V.f.A.G. IX 1 S. 59, 72.
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49
überwiesen *). Ausserdem ist das Amt in der Regel dienst-
und bedefrei®), aber doch nicht ganz aller Abgaben und Zinsen
enthoben“). Meist hat der Ortsschulze auch selbst Eigenbesitz
gehabt, wie sich aus vielen Fällen ergibt4).
Über die amtlichen Funktionen des Schultheissen lässt sich
aus dem vorhandenen Material nicht viel ermitteln. Wie über-
all ist er der Vertreter der Interessen der Gemeinde nach aussen5),
weswegen er auch zuweilen senior genannt wird6). Er hat die
polizeilichen, administrativen und vor allem auch richterlichen
Geschäfte in der Ortsgemeinde zu erledigen7); daher die Be-
zeichnung „Gerichte“ für das Amt. Der Schultheiss sorgt für
die Ordnung in der Dorfgemeinde, zieht die landesherrlichen
Grundsteuern im Dorfe ein 8) und hat die strafbaren Handlungen
in der Gerichtsversammlung zu rügen, ist auch berechtigt, „vom
Lantvolke vor gerichte orteil in zu bringen“ 9). Auch ist ihm
die Regelung des Schuldwesens im Dorfbezirk übertragen. Vor
ihm sind Schuldner zu verklagen, er setzt dann den Zahlungs-
termin fest, die Pfändung steht aber nicht ihm, sondern dem
Vogte zu 10). Als richterlicher Beamter ist der Schultheiss ver-
pflichtet, das Gericht des Vogtes zu besuchen, welche Pflicht
auch dann bleibt, wenn das Amt vom Landesherrn an andere
Grundherren vergabt wird u). Als Beurkundungszeuge in landes-
fürstlichen Erlassen findet der Ortsschulze sich gar nicht, ent-
sprechend seiner untergeordneten Stellung.
«) M.V.f.A.G. IX 1 S. 57, 59, 63, 82 (1391).
*) M.V.f.A.G. IX 1 S. 69 (1353), 83 (1391—1404).
*) Keg. 130 (1419).
*} M.V.f.A.G. VII 4 S. 383 ff. ; VIII 3, 4, 5, 6; IX 1 8. 52-71;
v. II. III 527 (1327), 669 (1336); IV 302 (1363).
») v. H. V 34 a (1219).
•) v. H. III 317 (1316).
’) Planck I S. 1 1 ff. ; Laban J, Magdeburger Rechtsqnellen (Berlin 1869) S.64.
■) Reg. 367 (1443).
•) v. II. III 734 (1340); ü. Qu.d.Pr.S. II 423 (1455); s. auch Saclisen-
siiiegel I 2 § 4; Planck 8. 68.
,0) G. Qu.d.Pr.S. II 423 (1455); s. pag. 38.
v. II. III 317 (1316); IV 130 (1356); vgl. Bertram-Krause II 318;
s. auch v. Posern-Klett S. 28; Planck 8. 69.
Schreckor. Rcamiontnm in Anlinlt 4
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50
ß) In den Städten1) hat unter dem Vogt noch ein anderer
landesherrlicher Beamter gewirkt, zuerst ge wohnlich p r e f e c t u s 2),
später schultetus oder Sehultheiss genannt, welche Bezeich-
nung seit der Mitte des 14. Jahrhunderts allein herrschend
wird8). Seinem Stande nach gehört auch dieser Beamter teils
zu den landesherrlichen Ministerialen4), teils zu den Bürgern
der Stadt5). In der Regel ist er wohl Knappe gewesen6), erst
im 14. Jahrhundert finden sich auch Ritter in dem Amte7).
Vergeben wird das Amt wenigstens im 14. Jahrhundert auf
dem Wege der Belehnung seitens des Landesherrn8), nicht selten
au mehrere Mitglieder einer Familie zugleich *). Die Dauer der
Belehnung geht meist wohl auf Lebenszeit oder sie ist über-
haupt erblich “). Trotzdem ist der Prefekt oder Sehultheiss der
Stadt immer noch landesherrlicher Beamter, wenigstens im
13. Jahrhundert durchaus, vom Landesherrn wird er mit seiner
Amtsgewalt ausgestattet10); dem Landesherrn gehört dies Amt
ebeuso wie die Vogtei zu eigen11). Im Laufe des 14. Jahr-
hunderts wird der Stadtschultheiss jedoch infolge der erblichen
') Schröder, Rechtsgeschichte S. 628 ff. ; Uoltze S. 68; Isaaksohn S. 197;
Barth. S. 315; Luther S. 44; Wiutterlin S. 4 ; Rosenthal, Gerichtswesens 155;
Stolze!, Gelehrtes Richtertmn S. 457 ff.
*) v. H. II 14 (1215), 65 (1223), 242 (1259), 854 (1298); III 379 (1319),
474 (1324), 573, 584 (1330), 661 (1335); M.V.f.A.G. VIII 5 (1343 Nr. 197),
(1345 Nr. 21), (1349 Nr. 90); IX 1 S. 58, 60.
*) v. H. III 719 (1339) ; IV 393 (1369); V 37 (1382). Die Überein-
stimmung der Titel zeigen III 584, 719, in denen der Beamte von Barby
Tilo einmal prefectus, andermal scultetus genannt wird. v. Heinemaun setzt
prefectus mit advocatus gleich, doch ist dies nicht richtig, da in mehreren
Urkunden Vogt und Prefekt nebeneinander aufgefiilirt werden aus demselben
Orte, wobei der Prefekt hinter dem Vogte steht (v. II. II 14 (1215), IV 393
(1369). Prefekt und Sehultheiss stehen dagegen nie in einer Urkunde zu-
sammen; s. auch Rietschel S. 272.
‘) v. H. 11 14 (1215).
‘) v. H. II 854 (1298).
•) v. H. 584 (1330); M.V.f.A.G. VIII 5 (1343 Nr. 197).
7) v. H. III 568, 573, 584 , 661, 719 (1329—39); M.V.f.A.G. IX 1 8.58,
60 (1353).
•) v. II. V Anhang 11 (1327); M.V.f.A.G. IX 1 S. 55.
*) M.V.f.A.G. IX 1 S. 55.
'“) v. H. III 239 (1311).
") v. H. II 277 (1262).
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51
Beleimung des Amtes immer mehr zum städtischen Beamten.
In den Urkunden wird er seit der zweiten Hälfte dieses Jahr-
hunderts schon mitten unter die Ratmannen und sonstigen
städtischen Vertreter gestellt1), bis schliesslich gegen Ende des
Jahrhunderts das Amt durch Verpfändung oder Kauf ganz au
die Stadt übergeht2). Aber auch dann wird es immer noch
als landesherrliches Amt angesehen, denn die Bürger von Köthen
werden, trotzdem ihnen im Jahre 1396 das Schultheissenamt
zur völlig freien Verfügung, sogar zum Weiterverkauf verpfändet
wird, immer nocli besonders mit dem Amte belehnt3).
Der Stadtpräfekt ist vor allem richterlicher Beamter, in
seinen Befugnissen untersteht er dem städtischen Vogt oder
Amtmann4), mit dem er auch zusammen zu Gericht zu sitzen
hat5). Als eigentliche Tätigkeit ist ihm die Ausübung der
niederen Gerichtsbarkeit überlassen, er ist wohl gewöhnlich mit
dem Richter der Stadt gemeint6). Alle kleineren Rechtsver-
letzungen und Polizeiübertretungen hat er nach dem Spruche
der Schöffen abzuurteilen7), desgleichen ist er als Stadtrichter
mit den Schöffen zuständige richterliche Behörde für Verkäufe,
Vergabungen und derartige privatrcchtlichc Fälle8). In seinen
Entschliessungen ist er an den Spruch der Schöffen gebunden 9).
Als Entgelt für seine Tätigkeit stehen auch dem städtischen
Sehultheissen gewisse Gefälle zu, die wohl den grössten Teil
seiner Einnahmen ausgemacht haben 10). Überhaupt lässt die
ganze Art der Belehnung schon darauf schliessen, dass das Amt
mehr im Nebenamt ausgeübt wurde. Die Inhaber haben meist
selbst auch nicht geringen Eigenbesitz u), daneben werden ihnen
■) v. H. IV 69 (1354); M.V.f.A.G. VII 3 (zu v. H. V 198a) (1393)
') v. H. V 240 (1396).
*) v. U. V 240.
*) v. H. V 240 (1396); s. Planck S. 21 ff.
*) v. B. IV 130 (1356).
*) v. H. V 70 (1385), 255 (1396).
’) v. H. III 239 (1311).
») M.V.f.A.G. VIII 4 (1326 Nr. 69); VIII 5 (1359 Nr. 19).
*) M.V.f.A.G. VIII 5 (1359 Nr. 19); v. H. V 70 (1385).
,0) v. H. V 240 (1396).
■') M.V.f.A.G. VIII 4 (1343 Nr. 197); VIII 5 (1345 Nr. 21), (1349
Nr. 90), (1358 Nr. 49); IX 1 S. 55.
4»
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52
wolil auch bisweilen von den Fürsten Ländereien zu Lehen
überwiesen *).
c) »Sonstige Beamte.
Ausser dem Vogte und seinen lokalen Unterbeamten gibt
es nun aber in Anhalt noch einige andere landesfürstliche
Beamte, die auf ganz speziellen Gebieten tätig sind und nichts
mit der vogteilichen Organisation des Landes zu tun haben.
a) 1. Hier finden sich zunächst als rein militärische Beamte
auf den landesherrlichen Burgen und festen Plätzen besondere
castellani, auch castrenses genannt2). Mindestens hat jede
Burg einen derartigen landesherrlichen Beamten gehabt8), ge-
wöhnlich sind aber wohl mehrere Burgmannen zugleich auf
einem Platze gewesen, die dann oft aus einer Familie, vielfach
Brüder sind4). Ihrem Staude uach gehören sie zu den landes-
fürstlichen Ministerialen5), in den Urkunden werden sie meist
als Knappen aufgeführt ß), doch können sie auch Ritter sein7).
Ihnen ist die Bewachung und Schutz der Burg und zugleich
des dabei liegenden Ortes übertragen, selbständige Verfügung
darüber haben sie jedoch nicht 8). Sie sind nur Kommandanten
der festen Plätze, von einer allgemeineren militärischen Tätigkeit,
etwa als Führer des Bezirksaufgebots im Felde, ist nichts zu
finden. Mit den Burggrafen früherer Zeit, die doch zugleich
auch Verwaltungsbeamte waren9), haben sie also nur den Namen
gemein, sonst sind sie gar nicht mit denselben identisch.
Ihre Besoldung hat wohl in lehnsrechtlicher Überweisung
von Ländereien im Umkreis der Burg bestanden10), jedenfalls
treten sie in den Urkunden öfter als Landbesitzer auf11).
*) v. H. III 661 (1335).
*) v. H. II 550 (1275); III 258 (1313); s. auch Kiirnicke S. 40 ff ; Barth.
S. 400: Schröder, Bcchtsgeschicbte S. 519, 608: Eggers S. 41.
*) v. H. II 769, 771, 774 (1294), 753 (1293); III 248 (1312).
‘) v. H. II 875 (1299); 111 258 (1313), 487 (1325).
“) v. H. II 875 (1299).
•) v. II. II 450 (1275), 769, 771, 774 (1294).
’) v. H. III 258 (1313), 248 (1312).
8) v. II. III 487 (1325).
•) pag. 29 amu. 1 ; s. auch H. W. Meyer, Das staufische Bnrggrafentum
(Leipzig, Dissertation 1900): Lainprecht S. 1366 ff.
,0) v. H. III 258 (1313) ; s. auch Körnicke S. 55.
") v. H. II 753 (1293), 875 (1299;; III 248 (1312).
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53
2. Im 14. Jahrhundert finden sich als militärische Beamte
im Falle von Kriegszügen besondere Hauptleute, kommen
allerdings nur vereinzelt vor1). Ihr Amt scheint kein ständiges
gewesen zu sein, wahrscheinlich werden sie immer nur für den
Fall einer Fehde ernannt, und zwar meist wohl aus der Zahl
der dazu fähigen landesfürstlichen Beamten, vor allem der Amt-
leute und der Marschälle. Jedenfalls begegnen uns einmal ein
Marschall und ein Dominialvogt in dieser Stellung“), und auch
sonst wird von den Amtleuten, die überhaupt ihrer ganzen
Tätigkeit nach hierfür sehr geeignet sind, noch öfter, zumal
im 15. Jahrhundert eine derartige Wirksamkeit erwähnt3).
Möglicherweise ist die Bezeichnung Hauptmann nur eine durch
die augenblickliche Art der Tätigkeit veranlasste Umänderung
des alten Titels Vogt oder Amtmann, da auch hier beide Be-
zeichnungen wieder für dieselbe Tätigkeit gebraucht werden4);
seit der Mitte des 15. Jahrhunderts sind jedenfalls die Titel
Amtmann und Hauptmann ganz gleichbedeutend für dieselbe
Persönlichkeit.
Über den Stand der Hauptleute ist nichts nachzuweisen,
ihrem Namen und vor allem ihrem Berufe nach werden sie aber
wohl den Rittern angehört haben.
Die Tätigkeit des Hauptmanns ist eine durchaus militärische,
mit der Verwaltung im Frieden hat er nichts zu tun. Er ist
Leiter der Landesverteidigung und Befehlshaber über das landes-
herrliche Aufgebot im Kriegsfälle; zieht der Fürst nicht selbst
ins Feld, so ist ihm die ganze Leitung übertragen5). Hierbei
ist ihm naturgemäss grosse Selbständigkeit eingeräumt. So hat
er die Höhe des notwendigen Aufgebots nach Beratung mit den
andern Führern festzusetzen6), über die „gedinguis“ die Ent-
') Namentlich aufgcfilhrt sind Hauptleute nur zweimal:
1335 Theodericus Dyrekc et Johannes de Morditz (v. H. III
Mil) unter Albrecht II. und Waldemar I.
1355 Moynke van Schirstedt unter Albrecht II. und Waldemar I.
(v. H. IV 111).
») v. H. III 661 (1335).
*) Pag- 13.
*) v. H. IV 540 (1379).
4) v. H. IV 227, 228 (1359).
«) v. U. IV 540 (1379).
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54
Scheidung zu treffen1). Ferner ist ihm die Verteilung der ein-
zelnen Truppenteile überlassen8), auch hat er zu bestimmen,
wann die Truppen nach Hause zurückkehren dürfen3). Er
scheint sogar das Recht gehabt zu haben, selbständig Waffen-
stillstand zu schliessen oder die Fehde beizulegen4), wie er
auch Bürgen für den Landesherrn in Verwahrung nehmen
kann 6); jedenfalls haben Hauptleute zur Erlangung von Friedens-
schlüssen tatkräftig mitgewirkt6).
Die Kriegführung des Hauptmanus im feindlichen Lande
geht natürlich nicht ohne mancherlei Bedrückung ab, vielmehr
scheinen dieselben bisweilen ziemlich schroff vorgegaugen zu
sein7). Bei Friedensverträgen wird deshalb nicht selten der
Hauptmann noch besonders als in den Vertrag mit einbegriffen
aufgeführt, und so für seine Sicherheit gesorgt8).
ß) Besondere speziell landesherrliche Justizbeamte
hat es neben dem Vogt in Anhalt wohl nicht gegeben. Findet
sich in den Urkunden gelegentlich die Bezeichnung iudex oder
Richter, so sind damit in der Regel der Vogt oder sein Unter-
beamter. der städtische oder ländliche Ortsschultheiss gemeint.
Nur einmal tritt im Jahre 1347 unter den Zeugen ein eigener
Hofrichter der Fürsten Albrecht II. und Waldemar I. auf,
„her Conrad von Lubstorp“. Demnach scheint damals an der
Zentralstelle ein eigener richterlicher Beamter gewesen zu sein,
sonst findet sich aber ein derartiger Beamter nicht wieder
erwähnt.
Andererseits gibt es aber doch noch einige besondere Justiz-
beamte neben dem Vogt in dem anhaitischen Gebiet.
1. In den öffentlichen Landgerichten und Grafendingen,
die von anhaitischen Fürsten abgehalten werden9), findet sich
') v. H. IV fi7 (1354).
>) v. H IV 36 (1352).
*) v. H. IV 540 (1379).
') v. H. IV 402 (1370).
•’•) v. H. IV 286 (1363).
*) v. H. IV 8 (1351)
’) v. H. IV 111 (1355).
*) v. H. IV 58 (1353).
*) Im Vorsitz kann sich der Graf auch durch einen seiner Mannen ver-
treten lassen (v. H. 111 765 (1344); Beckmann III S. 549; Bertram -Krause
11 8.317).
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f>5
als Teilnehmer stets noch im 13. Jahrhundert ein schultetus,
der in diesem Falle nichts mit dem lokalen Ortsbeamten zu tun
hat, sondern der eigentlich sächsische Gerichtsschultheiss ist l).
Die Anwesenheit eines solchen Schultheissen gehört zur ordnuugs-
mässigen Besetzung des Landgerichts2). Gewöhnlich wird in
den Urkunden seine Mitwirkung noch besonders hervorgehoben,
meist durch die Formel „coram sculteto“8), ausserdem steht
er noch stets mit unter den Beurkundungszeugen.
Er ist Beisitzer des Grafen und wohl erster Urteiler, wenig-
stens steht er in den Urkunden stets an der Spitze der Urteils-
finder4). Als Gerichtsperson ist er allgemeiner Beamter, wird
jedoch vom Grafen mit seinem Amt belehnt, weshalb er auch
die Bezeichnung „scultetns noster“ tragen kann8). Nicht ge-
hört er aber etwa zu den Ministerialen des Grafen, ist vielmehr
immer freien Standes, in der Regel sogar aus vornehmem
Adelsgeschlecht 6).
2. Ein anderer öffentlicher Gerichtsbeamter ist der go-
gravius, der in den anhaitischen Urkunden allerdings nur in
den Jahren 1268—74 vorkommt7). Er gehört ebenfalls zu den
Personen des Landgerichts, findet sich aber nie mit dem Schult-
heissen zusammen. Gewöhnlich steht er in der Zeugenreihe
’) Sclirüder, Die Gerichts Verfassung des Sachsenspiegels (Zeitschrift der
Sa vigny - Forschung für Kechtsgeschichte , German. Abteilung Bd. V (1884))
S. 48; Rechtsgeschichte S. 562; Der ostpfählische Schultheiss S. 2 ff. ; v. Sommer-
feld S. 67 ; Planck S. 91 ff. Solche Schultheissen sind :
1156 Otto (v. H. 1 425).
1223 Conradus (v. H. II 70).
1253 Dietrich, Burggraf von Wettin (v. II. II 201).
1280 Walter von Arnstein (v. II. II 508, 509, 511).
1287 Bruno schultetus de Aquis (v. H. II 626).
’) Sachsenspiegel I 59 § 2; III 61 § 1.
*) v. H. I 425 (1156); II 70 (1223), 508, 509, 511 (1280).
*) v. H. II 70 (1223), 201 (1253), 508, 509 (1280); s. auch Luschin von
Ebengreuth, Geschichte des älteren Gerichtswesens in Österreich ob und unter
der Enns (Weimar 1879) S. 129.
*) v. H. II 608, 509 (1280).
•) Sachsenspiegel III 61 § 2.
’) v. H. II 350, 439, 451; mit Namen Riehardus; s. auch Sachsenspiegel
I 55 § 2, 67, 58; Barth. 4 19 ff.; Planck 8. 9 ff.
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56
in der Mitte oder am Endo der Schöffen1). Über seine Tätig-
keit lässt sich nichts nachweisen, er tritt nur als Zeuge iu den
Urkunden auf.
3. Als gerichtlicher Unterbeamter im öffentlichen Land-
wie auch im sonstigen landesherrlichen Gericht findet sich auch
iu Anhalt ein Fronbote, auch preco oder nuncius genannt2).
Auch er ist ein „notwendiges Glied im Gefüge der gesamten
Gerichtsorganisation“, dem Richter zur Unterstützung beige-
geben 8). Ob er lediglich Vollzugsorgan des Richters gewesen
ist, scheint fraglich; jedenfalls scheint er im öffentlichen Land-
gericht bisweilen sogar um seine Stimme befragt zu sein4). Er
wird für den ganzen Gerichtsbezirk ernannt6) und nimmt stets
an den Gerichtstagen teil6). Seinem Stande nach gehört der
Fronbote des Landgerichts wohl zu den Freien7), adlig ist er
wohl selten, doch kommt es auch vor8). Über den Nuncius des
Vogteigerichts lässt sich nichts Näheres nachweisen.
y) Von eigentlich landesherrlichen Beamten gibt es iu den
anhaitischen Territorien endlich auch noch im 14. Jahrhundert
einen Münzmeister; wir finden einen solchen Beamten in
Zerbst9) und Köthen belegt10). Seinem Stande nach ist er
jedenfalls wohl bürgerlich gewesen. Der Miinzmeister ist
durchaus landesfürstlicher Beamter, er erhält sein Amt durch
Belehnung auf eine Reihe von Jahren ll). Er untersteht dem
') v. H. II 439, 451.
’) Schröder, Rechtsgeschichte S. 561; Eckert S. 13 ff. ; Luschin von
Ehengreuth, Geschichte des älteren Gerichtswesens S. 128; Planck S. 94 ff.,
7 ff.; Rachel S. 33 ff.
*) v. H. I 425 (1156); II 888 (1300); Sachsenspiegel III 61 § 1.
*) v. II. I 425 (1156); V 510a (1169); s. Sachsenspiegel III 56.
») v. H. II 626 (1287).
•) v.H. I 425 (1156); II 65 (1223), 439, 451 (1274 -75), 626 (1287);
V 510 a (1169).
7) v. II. I 425 (1156); II 65 (1223), 439 (1274).
•) v. H. II 451 (1275).
») M.V.f.A.G. VIII 4 (1341 Nr. 26): Albertus; v.H. IV 478 (1376).
'“) v. H. IV 324 (1364): Ludolf von Wittenberch, Feuerstein genannt,
und Wenzel von Schwert. Hier bezeichnen die beiden Ortsnamen wohl nur
den Herkunftsort, nicht das Geschlecht; s. auch Schröder, Rechtsgeschichte
S. 594; Barth. S. 386 ff.
") v. U. IV 478 (1376): Auf 3 Jahre.
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57
Befehl des Landesherrn, auf dessen Anweisung hin er jegliche
Geldbeträge oder Zinszahlungen „ane allerleyge weddersprake“
auszuzahlen hat *). Auch die Art der Ausprägung ist ihm nicht
etwa überlassen, vielmehr wird vom Landesherrn der Gehalt
der Münzen genau festgesetzt8). Sonst ist ihm jedoch in der
Ausübung seines Geschäftes Freiheit gelassen, nur bei Falsch-
münzung will der Landesherr einschreiten 3). Auf wessen
Kosten das Münzwerk betrieben wird, ist nicht nachzuweisen;
bei der lehnrechtlichen Übertragung des Amts wird sie aber
wohl der Miinzmeister gehabt haben.
<T) In den Städten ist ausser den erwähnten Beamten noch
zur Leitung und Überwachung des Gewerbebetriebes im 14. Jahr-
hundert ein sogenannter Marktmeister tätig, auch „magister
fori“ genannt, wenigstens ist in Aschersleben ein solcher ur-
kundlich nachweisbar4)- Vor ihm haben die einzelnen Innun-
gen ihre inneren Streitigkeiten zu regeln, und bei Neuerungen
in ihrem Geschäftsbetrieb seine Zustimmung einzuholen.
') v. H. IV 324 (1364), 478 (1376).
*) v. II. IV 324 (1364).
a) v. H. IV 324 (1364).
4) v. H III 81, 82 (1304), 184 (1309): „Johannes ilictus de Bornen".
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II. Das landcsfftrstliclie Beamtentum im
15. und 16. Jahrhundert.
Überblickt man das ganze Wesen des Beamtentums der
anhaltisclien Territorien in den ersten Jahrhunderten ihres Be-
steheus, so macht sich in der Verwaltung vor allem geringe Ein-
heitlichkeit und wenig Übersichtlichkeit bemerkbar1). Es gibt
überhaupt nur örtliche Verwaltung und landesherrliche Hof-
verwaltung, welch letztere zugleich die Stelle einer allgemeinen
Zentralbehörde versieht. Von einer Scheidung der Angelegen-
heiten des Landes und der fürstlichen Haushaltung ist über-
haupt noch keine Rede, die Beamten der Hofhaltung erledigen,
wenn nötig, zugleich auch die Geschäfte der Landesregierung.
Allgemeine staatliche Aufgaben gibt es eben noch nicht, die
ganze Regierung ist patrimonial und mehr oder weniger den
Interessen des Landesherrn angepasst. Dabei kennt man keine
sichere Abgrenzung der einzelnen Geschäftskompetenzen; Son-
derbehörden für die einzelnen Verwaltungsgebiete fehlen noch
völlig an der Zentralstelle; wie sie kommen, werden die
Angelegenheiten den gerade anwesenden Personen zur Erledi-
gung übertragen. Und vor allem fehlt auch ganz ein einheit-
liches Zusammenarbeiten der einzelnen Hauptverwaltungsbe-
hörden; Zentralregierung und Lokalverwaltung stehen sich
noch fast völlig selbständig gegenüber, von einer Beauf-
sichtigung der einen durch die andere ist ebensowenig die Rede,
wie von einem Einfluss der lokalen Verwaltungsbeamten auf
die gesamte Leitung der Landesgeschäfte. Vielmehr zeigt sich
noch völlige Selbstherrlichkeit in der inneren Verwaltung.
') Schröder, Kcchtsgeschichte S. 863; Lainpracht S. 1421.
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59
Anders gestalten sich nun die Verhältnisse seit deni 15.
und vollends im 16. Jahrhundert. Die auf allen Gebieten des
staatlichen Lebens iin Laufe der Jahrhunderte eingetretenen
Veränderungen haben eine völlige Umgestaltung der Behörden*
Organisation herbeigeführt, auch in Anhalt hat sich im Laufe
des 15. Jahrhunderts ein fast ganz neues Beamtentum heran-
gebildet. Der Grund für diese Änderungen liegt in der Er-
starkung der landesherrlichen Gewalt, dem Aufkommen strafferer
Verwaltungsgrundsätze und vor allem auch in der allgemeinen
Verbreitung des römischen Rechts, die sich seit dem 15. Jahr-
hundert in den deutschen Landen bemerkbar macht1).
In allen Verwaltungszweigen werden jetzt grössere An-
sprüche gemacht, überall häufen sich die Geschäfte bedeutend
an, zumal jetzt auch viel mehr Gewicht auf schriftliches Ver-
fahren gelegt wird. Eine Verwaltung mit unbestimmter Ge-
schäftsteilung ist nicht mehr möglich, alles drängt auf die Auf-
stellung eines geregelten Staatshaushalts, auf eine bestimmt
organisierte Verwaltung mit genauer Arbeitsteilung hin. Tren-
nung der einzelnen Verwaltungszweige, Errichtung besonderer
Zentralbehörden, Verteilung der Geschäfte unter mehrere Per-
sonen und Durchführung eines gleichmässigen Verwaltungs-
systems bilden das Prinzip der neuen Verwaltungsorganisation
des 16. Jahrhunderts2). Vorbildlich sind hierfür die öster-
reichischen Einrichtungen geworden. Und dazu kommt auch
noch eine Änderung in der Art des Beamtentums selbst.
Während im Mittelalter die Verwaltung ausschliesslich von
') Schröder, Rechtsgeschichte S. 863; Bornhak S. 32ff., 51, 71; Jakobs
S. 102; v. Below, Territorium S. 287; Rosctithal, Gerichtswesen S. 412 ff., 598;
wegen der Rezeption des römischen Rechts besonders Stölzcl, Die Entwicklung
des gelehrten Ricktertums in deutschen Territorien (Stuttgart 1872) S. 137 ff.,
235 ff, 605 ff.; v. Below, Die Ursachen der Rezeption des römischen Rechts
in Deutschland (Historische Bibliothek Bd. IXX (1905)), besonders S. 12,
121, 129 ff.
’) Schröder, Rechtsgeschichte 863; v. Below S. 287 ff. ; Schmoller S. 59 ff. ;
Lainprecht S. 1439; Rosenthal, Gerichtswesen S. 410, 598; Bornhak S. 43 ff. ;
Lippert, Die deutschen Lehnbilcher (Leipzig 1903) S. 120; Spahn, Yerfassuugs-
und Wirtschaftsgeschichte des Herzogtums Potnmeru von 1478 — 1625 (Staats-
titel sozial wissenschaftliche Forschungen Bd. XIV (1897)) 8. 73.
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Ministerialen und einigen Geistlichen geführt wild, treten jetzt
auch juristisch gebildete Männer, Berufsbeainte, auf.
Die örtlichen Behörden zwar sind im wesentlichen auch
den gesteigerten Anforderungen der neueren Zeit gewachsen
und behalten im Grunde ihre mittelalterliche Organisation, nur
macht sich auch hier das Prinzip der Arbeitsteilung etwas
geltend. In der Zentralverwaltung dagegen ist eino vollkommene
Neugestaltung erfolgt. Überall sind hier Sonderbehörden ent-
standen, die, mit fachmännisch geschulten Beamten besetzt,
ihren ganz bestimmten Kreis von Geschäften haben, und ihre
Angelegenheiten im allgemeinen selbständig bearbeiten. Jedes
Ressort hat auch jetzt seine eigene Schreiberei, ist mit seinen
schriftlichen Arbeiten nicht mehr nur an die Kanzlei gebuuden.
Hof- und Landesverwaltung sind völlig getrennt, dafür ist die
lokale Verwaltung enger an die Zentralregierung angeschlossen.
Ihre Vereinigung und gemeinsame Ergänzung und Berührung
finden die einzelnen Verwaltungsressorts dann in einer allge-
meinen Zentralbehörde, dem landesfürstlichen Rat, dem sämt-
liche Angelegenheiten der Landesverwaltung zur Beratung
unterstellt werden. Kollegialität auf der einen, Ressort- und
Arbeitsteilung auf der andern Seite, das ist also das Wesen
der Verwaltung, wie wir sie seit der Mitte des 15. Jahrhunderts
vorfinden.
I. Die Beamten der Zentralstelle.
A. Die Landesverwraltung.
a) Der landcsfUrstliclie Rat1).
Je mehr die staatlichen Anforderungen steigen, wird es
für den Landesherrn unmöglich, alle Regierungsgeschäfte allein
zu erledigen, die alleinige Verantwortung zu tragen. Die Fülle
') Schröder, Rechtsgeschichte S. 493 ; Bornhak S. 72 ff. ; Isaaksohu
S. 2, 30ff.; Stölzel, Brandenburg-Prenssische Rechtsverwaltnng und Rechts-
verfassung Bd. I (Berlin 1888) S. 97 ff.; B. Meyer S. 19ff.; v. Krones,
Laudesfürstliche Behörden S. 191ff.; v. Poseru-Klett S, 53; v. Wretschko
S. 68, 149 ff.; Rosenthal, Gerichtswesen S. 236 ff. ; v. Be low, Territorium
S. 285, 293 ff. ; Schmollet S. 51, 63 ff. ; Rachfahl S. 74, 435ff.; Lamprecht
S. 1426, 1438 ff.; v. Maurer, Frouhöl'e S. 237, 258ff.; Wintterlin S. 11 ff.;
llintze, Der österreichische Staatsrat im 16. und 17. Jahrhundert (Zeitschrift
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der wichtigen Fragen, die Schwierigkeit selbständiger Ent-
scheidung einzelner Angelegenheiten wird zu gross, nötigt den
Fürsten von selbst zur Rücksprache mit Leuten, auf deren Rat
und Beihilfe er sich verlassen kann. Eine Anzahl geeigneter
Persönlichkeiten ist auch stets in seiner Umgebung; natur-
gemäss findet er in den Männern seines Gefolges, die er kennt
und von denen viele schon irgend ein Hof- oder sonstiges Amt
bekleiden, also mit den Verwaltungsgeschäften vertraut sind,
die besten Gehilfen und Mitarbeiter. So bildet sich ganz all-
mählich, gewissermassen von selbst, im Laufe der Jahrzehnte
aus der unmittelbaren Umgebung des Landesherrn ein neues
Verwaltungsinstitut heran, der landesfürstliche Rat, der für
Jahrhunderte eine der wichtigsten Behörden werden soll.
Bemerkenswert ist hierbei, dass für die anlialtischen Terri-
torien das Auftreten eines eigentlichen landesfürstlichen Rates
erst im vorgeschrittenen 14. Jahrhundert nachweisbar ist, also
zu einer Zeit, wo gerade das alte Hofbeamtentum, die Stütze
der Fürsten in früheren Zeiten, schon im Abnehmen und Ver-
schwinden begriffen oder seine Bedeutung gewaltig zurück-
gegangen ist. Zwar ist eine Zuziehung des landesherrlichen
Gefolges bei Erledigung von Geschäften schon in den früheren
Zeiten Brauch gewesen ') und wohl gerade die Inhaber der Hof-
ämter sind damals die eigentlichen Sprecher und Führer bei
den Beratungen gewesen ; ein besonderer Rat wird aber erst
nötig, als die allgemeine Bedeutung des Hofbeamtentums ge-
sunken ist und dafür in der Umgebung des Landesherrn ein
Ersatz geschaffen werden muss. Der Rat in den anhaitischen
Territorien bildet also gewissermassen die Fortsetzung des alten
Hofbeamtentums nach seiner staatlichen Seite hin.
Die ersten Nachrichten von der Einwirkung eines beraten-
den Einflusses der Umgebung auf den Landesherrn finden sich
iler Savigny-Stiftung fiir Rechtsgeschichte, German. Abteilung Bd. VIII (1887))
8. 138 ff ; Lüdicke, Die landesherrlichen Zentralbehörden iin Bistum Münster,
ihre Entstehung und Entwicklung bis ltiöO (Zeitschrift des Vereins für West-
fälische Geschichte Bd. 59 (1901)) 8.7(1'.; Spangenberg S. 98; Jakobs,
Alter und Ursprung S. 1U1 fl'. ; Barth S.379Ü'.; Luschin vou Ebengreuth,
Österreichische Rechtsgeschicbte 8. 189; Adler, Die Organisation der Zen-
tralverwaltnng unter Kaiser Maximilian I. (Leipzig 1886) S. 416.
') Beckmann VII 8. 168.
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für das anhaitische Gebiet ziemlich früh. Schon in einer Ur-
kunde vom Jahre 1225, durch die Graf Heinrich I. einen Kauf
abschliesst, heisst es „habito super consilio tarn uobilium quam
ministerialium discretorum“ '). Naturgemäss ist hier nocli nicht
im geringsten an einen festgeordneten landesherrlichen Kat zu
denken, es ist vielmehr nur das erste urkundliche Zeugnis für
die Hinzuziehung des fürstlichen Gefolges bei der Erledigung
von landesfürstlichen Geschäften; aber immerhin ist es doch
die erste leise Andeutung eines sich geltend machenden bera-
tenden Einflusses der Umgebung. Aus dem 13. Jahrhundert ist.
sonst nur noch eine ähnliche Nachricht erhalten — 1269
schlichtet Graf Siegfried I. einen Streit „habito consilio pru-
dentum virorum“ ®) — und auch bis über die erste Hälfte des
14. Jahrhunderts hinaus finden sich nur wenige Fälle von der
Mitwirkung der Umgebung bei den Entschlüssen des Landes-
fürsten urkundlich belegt3). Häufiger werden die Nachrichten
erst mit dem letzten Drittel des 14. Jahrhunderts4), um aller-
dings dann immer zahlreicher hervorzutreten. Ganz allmählich
hat sich also auch bei den anhaitischen Fürsten mit dem An-
wachsen der Regierungsgeschäfte ein grösseres Bedürfnis nach
Zuziehung der Vertrauten bei der Erledigung wichtiger An-
gelegenheiten herausgebildet, namentlich die Zeit ist es, die auch
in Anhalt dem landesfürstlichen Rat zu seiner Entstehung und
seinem Ansehn verholten hat.
Die Bezeichnung der zur Beratung hinzugezogenen Per-
sonen ist bis gegen Ende des 14. Jahrhunderts in den meisten
Fällen eiue ganz allgemeine, noch ohne irgend einen näheren
Hinweis auf eine feste Körperschaft. In der Mehrzahl der
urkundlich nachweisbaren Fälle heisst es einfach „mit rade
unser manne“5) oder „vor unsen mannen*®), „mit rade unser
') v. H. II 81.
s) v. H. II 365.
«) V. H. III 117 (1305), 280 (1314), 583 (1330); V 451a (1323).
*) v. 11. IV 543 (1379); V 10 (1380), 39 (1382), 94 (1387), 102 (1388),
146(1390), 177(1392), 226 (1394), 238 (1395), 260, 261 (1397), 269 a (1398),
328 (1400).
■•■) v. II. III 286 (1314), 583 (1330); V 10 (1380), 39 (1382), 146 (1390),
177 (1392).
«) v. II. IV 543 (1379).
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frunt unde manne“1), „mit lade unde vulbort unser lieven
getruwen“2), „mit gutem Vorräte“8), „de fidelium militum
nostrorum consilio“ 4), „mit wohlbedachtem Kate der Unsern“ 5)
u. dgl. Die anlialtisclien Fürsten scheinen sich mit der
allgemeinen Zustimmung ihres Gefolges gewöhnlich begnügt zu
haben, es sind eben die Mannen, die Umgebung des Landes-
herrn ohne Unterschied, die befragt werden. Der Zusammen-
setzung des Gefolges entsprechend gehören natürlich die zur
Beratung Hinzugezogenen in der Mehrzahl den landesherrlichen
Ministerialen an6), doch finden sich auch schon im 13. Jahr-
hundert edle Herren unter ihnen7).
Im Laufe der Jahrzehnte hat sich nun natürlich der Brauch,
in gewissen Fällen das Gefolge zur Beratung heranzuziehen,
immer mehr befestigt und auch weiter entwickelt. Wenn auch
der Landesherr in damaliger Zeit, wo die Verhältnisse in den
anhaitischen Territorien noch leicht zu übersehen sind, sich in
den meisten Fällen an das Gefolge in seiner Gesamtheit ge-
wendet haben wird, so hat sich doch bald ganz von selbst
innerhalb desselben ein Unterschied herausgebildet. Natur-
gemäss werden nicht alle Mitglieder des Gefolges gleichgute
Ratschläge erteilt haben, der Landesherr wird also ganz selbst-
verständlich eine Auswahl getroffen, ein andermal nur die
Begabteren und Geschickteren zur Rücksprache herangezogen
haben, ohne dabei das Recht, das gesamte Gefolge um Rat zu
fragen, für immer aufzugeben.
Die Personen nun, die sich einmal als tüchtig erwiesen
haben, sind dann selbstverständlich immer wieder befragt und
so allmählich mit den Regierungsgeschäften vertraut geworden;
auch gibt es ja immer Staatsangelegenheiten, die ihrer Natur
nach sich für eine Erörterung in einer grossen Ratsversamm-
lung nicht eignen, die nur im engen Kreis von vertrauens-
■) v. H. V 94 (1387).
*) v. II. V 102 (1388), 238 (1395), 280, 261 (1397), Reg. 319 (1439).
*) v. H. V 226 (1394), 269 a (1398), 328 (1400).
4) v. H. III 117 (1305).
*) Reg. 583 (1461).
*) v. H. II 81 (1225); III 117 (1305); pag. 62 Anm. 5, 6; 63 Anin. 1 — 5.
’) v. H. II 81 (1225).
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windigen Männern behandelt werden. So sondert sich ganz
von selbst aus der unmittelbaren Umgebung des Landesherrn
ein fest bestimmter Kreis von Leuten ab, auf deren Rat sicli
der Fürst verlassen kann, die er also zunächst befragen wird.
Es sind die eigentlich landesherrlichen Räte, ihre Gesamtheit
bildet den landesfürstlichen Rat.
Die erste Erwähnung von bestimmten anhaitischen Räten
finden wir erst im 14. Jahrhundert. In einer Urkunde des
Jahres 1323 werden als Zeugen einer Schenkung des Fürsten
Bernhard III. an die Bürger der Altstadt Bernburg aufgeführt:
„herr Herman van Wederde, des Warmestorp is, herr Jordan
van Nendorp, herr Herinan Grudding. herr Bernd von Nienborcli
und herr Gevarth von Sprone, unse radeul). Seit dieser Zeit
lässt sich das Bestehen eines landesherrlichen Rates in den
einzelnen anhaitischen Territorien in ununterbrochener Folge
urkundlich nachweisen. Allerdings wird eine vollständige Kennt-
nis der anhaitischen Ratsmitglieder dadurch sehr beeinträchtigt,
dass in vielen Fällen einfach nur die Namen der betreffenden
Räte ohne Angabe irgendwelcher Stellung oder Titels aufgeführt
werden. Es ist dies ein an sich sehr verständliches Verfahren,
jeder damals lebende Mann wusste ja ganz genau, wer und was
die Betreffenden waren, für uns ist aber hierdurch die Fest-
stellung vieler Räte sehr behindert, wenn nicht gauz abge-
schnitten. Man kann aus der häufigen Wiederkehr gewisser
Namen bei Regierungshandlungen eiue Zugehörigkeit der be-
treffenden Männer zum Rat wohl vermuten, aber doch nicht
sicher behaupten.
Wie in den meisten deutschen Territorien*), setzt sich auch
in den anhaitischen Gebieten der landesfürstliche Rat im wesent-
') v. H. V 451 n. Beckmann scheint diese Urkunde nicht gekannt zu
habeu, denn er sagt (Buch VII S. 1(58) von 1371 auftretenden Bäten (v. II.
IV 414): „welche, soviel man noch zur Zeit ersehen köuncn, die erste Fiirstl.
Käthe sein, so ausdrücklich also genannt werden, wie wohl kein Zweifel, dass
die Bitter, so zu denen und vorigen Zeiten als Zeugen angeführt werden,
dergleichen gewesen“.
*) Schröder, Rechtsgeschichte S. 403; Bornhak S. 73; Isaaksohu S. 2;
B. Meyer 8. 21; v. Wretscbko S. 150; Adler S. 415; Wintterlin S. 12; Bosen-
tlial, Berichts wesen 8. 250 ff. ; Schinoller 8.61, C3; Bachfahl S. 435 ft'.; v. Maurer,
Fronhöfe S. 237 ff. ; Barth. S. 379; Liidicke 8. 7 ; v. Below, Territorium 8. 285
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liehen aus zwei Alten von Mitgliedern zusammen. Einmal ge-
hören dazu die obersten Beamten der einzelnen Verwaltungs-
ressorts *), die durch Übernahme des Amtes wohl gleichzeitig
zur Teilnahme an den Beratungen verpflichtet wurden. Ob
allerdings die Beamten der Hofverwaltung auch Mitglieder des
Eates sind, lässt sich nicht nachweisen, ist aber doch wohl an-
zunehmen. Da die Verwaltungsbeamten, mit der Verrichtung
fortlaufender Dienste beschäftigt, zu dem Landesfürsten in be-
ständiger persönlicher Beziehung stehen, ist es selbstverständ-
lich, dass sie auch als dessen Vertrauenspersonen zu Rate ge-
zogen und mit der Ausführung allgemeiner staatlicher Anfgaben
betraut werden. Wie es scheint, stellen sie im landesfürst-
licheu Rate wohl das grösste und dauerndste Kontingent; da
sie immer in der Umgebung des Landesherrn sich aufhalten,
>) Reg. 294 (1436), 379 (1444), 451 (1452), 460 (1453), 479 (1455), 460
(1453), 498 (1456), 515 (1457), 612 (1462), 650,654 (1465); G.Qu.d.Pr.S. 28,
1485 (1510); 6, 536 (1517); H.H.St.Arch. K. 44, IV 98 Nr. 60 (1477); K.
44, IV 57 b Nr. 37 ; Waldemar und Siegmund verleiben an Hans Buchener
den Steynford (1481): „Und das sint geczuge Ricbardus Zcorze, Hynricus
Koch, Günther von Hoendorff unde Andreas Lubek, unhse genanten fürsten
manne, Amptmann und Dyner“. K. 33, III fol. 65 Nr. 2 (1556); Joachim,
Fürst zu Anhalt urkundet Uber eine Ehestiftung zwischen Karl von Anhalt
und einer pommerschen FUrstiu: „dass wir demnach, weil wir persönlich zu
erscheinen verhindert sind, unsre Rethe und lieben Getreuven Hans von
Zeinitz, unsern Hauptmann, und Johaun Ripsch, unser Kanzler abgefertigt
an unsrer Stat, obgen. Artikel und andre notwendiges bereden, bandeln und
schliessen helfen, dazu wir Ihneu auch vollkommen Macht und Gewalt ver-
leihen, gleich als ob wir selbst gegenwärtig waren“ ; K. 33, Vol. III fol. 71
Nr. 15 (1557). Vorweisregister des Amtes Rosslau: „Wir Karl, F. zu Anhalt,
haben auweisen, huldigen und schwören lassen — — alles durch unseru
Hauptmann, Kantzier, Rethe, Rendtmeyster und lieben Getreuwen Hansenn
Statius, Anthonins Rosenau und Urbannm Otten als unsern aufferlegte Voll-
kommenen“; K. 33, Vol. III fol. 67 b Nr. 8 (1567). Bescheid der Räte des
Herzogs vom Pommern, der Fürsten Joachim Ernst und Bernhard von Anhalt
und der Burggrafen von Meissen über das Leibgedinge der Witwe Fürst
Karls zu Anhalt: „Die gesanten sind gewesen: — — von wegen der Fürsten
zu Anhalt, Hans Statius, Christoph Zanthier Hauptleute, Johan Truckenroth
und Anthoni Rosenau Cantzlerr“ („ihre beiderseits abgesandten Rethe“ wer-
den sie auch einmal genannt) ; vol. V fol. 275 b Nr. 19 (1560). „Wir Joachim,
F. z. A., bekennen, dass wir dem Ehrenvhestcn unssern Hauptmann Rath
und liebenn Getreuven Hannssen von Zeinitz. — — schuldigk worden seindt
500 Gulden“.
Sclirecker, Beamtentum in Anbatt 5
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sind sie als die eigentlichen ständigen Berater anzusehen. Be-
sonders in späterer Zeit finden wir in der überwiegenden Mehr-
zahl der Fälle als Ratsmitglieder landesfürstliche Beamte tätig;
in den einzelnen Ratskommissionen sind sie fast immer die
führenden Persönlichkeiten l).
Ausser den Beamten befindet sich aber im landesfürst-
lichen Rat immer noch eine Anzahl Personen ohne spezielles
Amt, die dem Kreise der landsässigen weltlichen und geist-
lichen Herren entnommen sind und nur als Ratgeben verwendet
werden8); fremde Dynasten finden sich im anhaitischen Rate
nicht *). In der Regel sind diese Ratsmitglieder natürlich
weltlichen Standes3), doch begegnen unter ihnen auch einige
Geistliche, gewöhnlich Pfarrherrn der grossen Städte im Lande,
die der Landesherr als tüchtig erprobt und deshalb zum Rate
zugezogen hat4).
’) H.HSt.Arch. Vol. III, fol. 275/276 Nr. 132 (1546). Rcgimeutsord-
nung des Fürsten Johann von Anhalt: „Truge sich aber ausserhalb der be-
stimmten Zeit sonst Sachen zu , die nicht zu verschieben oder wir wurden
Ihnen semptlich und sonderlich dem Hauptmann, Kantzier, Sekretair oder
andern rethen zu beratschlagen befehlen, sollen sie zu ider Zeit, da solcha
vorfeit, anf des Cantzlers oder dem wirs befelen oder in notfellen fnrhaudcu,
erfordern geborsamlich beratschlagen“.
*) In Brandenburg und den wettiniseben Landen ist es dagegen der
Fall (Isaaksohn S. 29; H. B. Meyer S 21).
•) v. H. IV 414 (1371); V 156 (1391), 451 a (1323); Reg. 207 (1426),
319 (1439), 332, 333 (1440), 379 (1444), 451. 452 (1452), 460 (1453), 479
(1455), 612 (1462), 654 (1465), 719 (1470); H.H St.Arch. K. 44 Vol. IV fol.
101 b Nr. III, 1 (1485). Sigismund, Ernst und Rudolf von Anhalt beleihen
Sigismund von Dessau: „hyr by und obir ist gewesen — — der wirdige
herc Mauricius fabri nnhser pharrer und der tüchtige Hans von Tmpitz,
uuhser rethe“; vol. I fol. 461 b Nr. III (1498). Kammergerichtsentscheid über
die Grafschaft Mühlingen: „Darnach ist verhört Hanns Hode, Bürger zn
Köthen; — — — hat gesagt, er sei ein burger und gastgebe zu Köthen, —
— — sey der Filrsteu von Anhalt Geschworner, sey aber der pflicht zn
diesem thun lolis gesagt“ und „Darnach ist verhört der Erbar Joachim von
Kossieben; — — sagt — sey der von Anhalt gesworner, sey aber zn diosem
Gezeugnis zu geben aller Pflicht losgesagt“; GAR vol. IV fol. 27 Nr. 118.
(1570). Rentereieiunahmen : „Dienstgeltt denn Hoftrethen und Hoffdienern“ :
„171 fl. 19 gr. — — Wolff Schlegell“; (1571) „34 fl. 6 gr. — Wolff von
Pork“.
*) v. H. IV 414 (1371); Reg. 179 (1423), 207 (1426), 515 (1457); H.H.
St.Arch. K 44. Vol. IV fol. 101 b Nr. III 1 (1485); Vol, I fol. 461 b Nr. III
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Die meisten laiischen Räte gehören dem Ministerialen-
stande an1), doch finden sich daneben auch freie Ritter im
Rat2), wie es auch die Stände, zumal die Ritterschaft stets
verstanden zu haben scheinen, einige ihrer Mitglieder in den
landesfürstlichen Rat zu bringen 3). Im 14. Jahrhundert ge-
hören die weltlichen Räte durchaus noch dem Ritterstaude an4),
mit dem 15. Jahrhundert dringen aber allmählich auch Bürger-
liche in den Rat ein, innerhalb des Kreises der Beamtenräte
beginnend5), so dass also fortan adlige und bürgerliche Räte
gemeinsam tätig sind6). Es kann dies nicht wundern, da in
Anhalt überhaupt die Städte stets eine bedeutende Rolle ge-
spielt haben, anhaitische bürgerliche Räte sind daher sehr
häufig in Landesangelegenheiten tätig. Sogar bei der Ein-
setzung einer Regimentsordnung im Jahre 1546 werden neben
drei Adligen auch drei Bürger der Stadt Zerbst als Laudes-
verweser bestimmt7). Wann in den anhaitischen Rat eigent-
lich gelehrte Elemente eingedrungen sind, lässt sich aus dem
vorhandenen Material nicht genau feststellen. In einer Ur-
kunde vom Jahre 1497 werden wohl als Schiedsrichter auf der
Seite des Grafen Ernst von Anhalt genannt: „Doctor packe
und Heinrich packe, und ern Friedrichen von Trothe“8); es ist
(1498). „Mauritius Fabri: — — bat geantwortet, er hab cs gehört im Rat
der von Aubalt mit irer Mannschaft“. — „sev burrig von Zerbest und den von
Anhalt nicht weiter verwandt als ein priester“. Vgl. aum. 3; s. a. Bertram-
Krause II S. 302 — 303.
>) v. H. V 156 (1391); Reg. 207 (1426), 319 (1439), 332, 333 (1440),
451, 452 (1452).
*) v. H. IV 414 (1371); wären die ritterlichen Räte Ministerialen, so
würden sie wohl nicht „milites nostrique consiliarii“ genannt worden, sondern
„uostri milites et consiliarii“ oder dgl.
*) v. H. IV 414 (1371) und vor allem Wolff Schlegel von Trebbichau,
der eine wichtige Rolle gespielt hat (H.II.St. Arch. K. 44, IV f. 197 Nr. 18
(1550); GAR. vol. IV fol. 6 Nr. 3 (1564), Nr. 4 (1568); GAR. vol. IV fol.27
Nr, 118; Codex Anhaltiuus Minor S. 15 (1572)).
‘) v. H. V 451a (1323), 156 (1391); IV 414 (1371).
•) Reg. 294 (1436), 332, 333 (1440), 379 (1444), 451, 452 (1452), 479
(1455,i, 654 (1465) usw.
*) Statthalterordnung (Anhang 2).
’) H.H.St. Arch. vol. III fol. 275/276 Nr. 132 (s. pag. 68, 8; 70, 3); s.
a. Beckmann VII S. 192.
•) li. 11. St. Arch. K. 44, Vol. IV fol. 61 b X. 44.
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ja leicht denkbar, dass diese auch Mitglieder des Rates ge-
wesen sind, lässt sich aber doch nicht sicher feststellen. Im
16. Jahrhundert sind aber manche Beamte schon gelehrten
Standes, seitdem sind also auch gelehrte Räte wohl sicher an-
zunehmen l).
Die Mitglieder des Rates führen meist den einfachen Titel
„Rat“ oder „consiliarius“ *), vom 15. Jahrhundert an begegnet
daneben ziemlich häufig die Bezeichnung „heymlicher“ 3), ge-
wöhnlich in der Wendung „unser heymlicher und lieber ge-
truwer“. Gelegentlich finden sich auch noch andere Bezeich-
nungen wie „Ratgeben“ 4), „mandatarii“ 6), im 16. Jahrhundert
bisweilen „Hoffräthe“ B) oder es heisst mit besonderer Hervor-
hebung „verordnete Räte“ 7), „vorwaute Rethe“ ®). Häufig ist
') H.H.St.Arch. K. 33, III 69 Nr. 10 (1568). Verhandlnng wegen einer
Leibzucht: „Die Abgesandten sind gewesen von wegen der Fürsten zu Anhalt
Johann Trnckenrot Kantzier, Johann vom Berg Magister, und Joban N\. Sc-
kretarius“ (pag. 75, 1).
*) v. H. V 451a (1323); III 884 (1350); IV 464 (1375), 414 (1371);
V 156 (1391); Reg. 207 (1426) 332, 333 (1440), 451 (1452), 460 (1453), 479
(1455), 515 (1457), 719 (1470); H.H.St.Arch. K. 44, Vol. IV f. 101 b Nr. III
1 (pag. 66 anin. 3); K. 33, vol. III fol. 65 Nr. 2 (1556); K. 33, Vol. III fol.
71 Nr. 15 (1557); Vol. V fol. 275 b Nr. 19 (1560) (vgl. pag. 65 anm. 1);
G.Qu.d.Pr.S. VI 536 (1517), 28, 1485 (1610); Beckmann V 2 S. 8 (1413).
*) v. H. IV 511 (1377); Reg. 102, 103 (1416), 294 (1436), 379 (1444),
515 (1457), 612 (1462), 650, 654 (1465).
*) Reg. 461 (1452).
») G.Qu.d.Pr.S. VI 647 (1547).
*) Friese - Liesegang , Magdeburger SchüffeusprUehe (Berlin 1901): An-
hang 4 S. 324, 326 (1528); H.H.St.Arch. vol. V fol. 278 Nr. 36. Bemburgische
Lebnbrieffe: 1670 Klage vor Joachim Ernst wegen eines Geldstreits: „gebe
ich gncdigst zu vermerken, dass nicht von E. F. G. Hoffrethen nff suppli-
zieren und nichtiges unerhebliches Irredeiciren (?)“ ; GAR. Vol. IV 27 Nr. 118
(1570) (s. pag. 66, 3).
’) H.H.St.Arch. K. 33 — III 65 Nr. 2 (1556) „dass wir demnach zu
Alteu-Braudenburg Zusammenkommen oder bei Verhinderung dann mit ge-
nügsamer Vollmacht unsre verordnete Käthe schicken sollen“ ; K. 33 — III
67 b Nr. 8 (1567) (s. pag. 65, 1); vol. III 233 Nr. 1 u. 2 (16. Jahrh.): „Ver-
zeichnis, welchcrmassen mein gnedige fürstin und Fraw mit den Herrn ver-
ordneten Riithen sich verglichen , wie es hiufilrter in ausstheilnng Brot und
Weins — — nllhier gehalten werden soll“.
*) H.H.St.Arch. Vol III 275)276 Nr. 132 (1646). Regimentsordnung:
-Das wir mit wolbedachtem mute, guter Vorbetrachtung und gegeben Rat
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auch die Bezeichnung „ geschworner “ , n geschworne rede “ *).
Letzteres zeigt, dass die anhaitischen Räte ilirem Landesherrn
gegenüber eidlich verpflichtet sind2). Gegebenenfalls können
sie dieser Pflicht entledigt werden3).
Über die Anstellung der Räte erfahren wir nichts Näheres,
eine eigentliche Ratsbestallung hat sich nicht gefunden. Jeden-
falls ist die Auswahl und Ernennung der Ratsmitglieder dem
Ermessen des Landesherrn freigestellt4). Eine Verpflichtung
seinerseits besteht nicht. Die Räte sind wohl auch nicht,
ausser den einzelnen Beamtenräten, ständig am fürstlichen
Hofe anwesend, sie sitzen vielmehr auf ihrem eigenen Besitz
und sind nur verpflichtet, bei Aufforderung im Rate zu er-
scheinen oder spezielle Dienstleistungen zu übernehmen. Nach
dem jeweiligen Aufenthalt des Fürsten wechselnd finden sie
sich am landesfürstlichen Hofe ein, um dann an den Beratun-
gen teilzunehmen. Bei der geringen Anzahl erprobter Männer
ist eben ein zahlreicher Stand von Räten eine unentbehrliche
Aushilfe des Landesherrn, derselbe verleiht daher gewisser-
massen eine Art Ratswürde. Der Titel „Rat von Haus aus“,
der in manchen deutschen Ländern für solche Räte üblich ist5),
findet sich in den anhaitischen Urkunden nicht.
Ein besonderer engerer oder geheimer Rat existiert in An-
halt bis 1574 nicht. Doch wird aus der Gesamtheit der Räte
wohl früh schon immer nur eine kleinere Anzahl regelmässig
zu Rate gezogen sein. Namentlich seit dem 15. Jahrhundert
kehren in den anhaitischen Urkunden die Namen einzelner be-
stimmter Räte immer wieder8). Indem einzelne Mitglieder zu
nnsr fruntlicb lieben Bruder auch ander unser getreuw vorwante Rethe und
Underthan vom Adel und Bürgerschaft“.
') Reg. 461 (1452); Friese-Liesegang I 2 Nr. 30 (1447); H. H.St.Arch.
vol. I 461 b Nr. 3 (1498) (s. pag. 66, 3).
*) Dies zeigt auch Reg. 386 (1444), 452 (1452).
*) H. H.St.Arch. Vol. I 461 b Nr. 3 (s. pag. 66, 3) (1498).
‘) v. H. V 177 (1392).
s) Isaaksohn S. 30; H. B. Meyer S. 22; Rosenthal, Gerichtswesen S. 570;
Rachfahl S. 74; Schmollet S. 51.
*) Johannes Buchener (Reg. 294, 451, 452, 479, 654 (1436 — 1466); Klaus
Lattorf (Reg. 319, 332, 333, 451, 452, 460 (1439—1453); Matthias von Re-
dern (Reg. 379, 451, 452, 460 (1444—1453); Oswaldt Bose (Reg. 460, 479
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regelmässiger fortlaufender Tätigkeit im Rate verhalten werden,
konstituiert sich so allmählich ganz von selbst doch der anhaitische
Rat fester. Und dazu kommt weiter, dass in den anhaitischen
Territorien wie es scheint seit der Mitte des 15. Jahrhunderts
mit der Erledigung der Ratsgeschäfte immer ausschliesslicher
landesherrliche Beamte beauftragt1) werden; seit dem 16. Jahr-
hundert lassen sich als die eigentlich tätigen Räte in Anhalt
nur noch Beamte nachweisen *). Die anhaitischen Fürsten
haben es also verstanden, den ursprünglich ganz allgemeinen
Vertrauensrat allmählich zu einem ihnen fest ergebenen und
fast nur noch in ihrem Dienste wirkenden Beamtenrat zu
machen. Allerdings haben sie die Stände doch nie gauz aus-
schliessen können, wie sich deutlich bei der Einsetzung der
Regimentsordnung im Jahre 1546 zeigt3).
Die Tätigkeit des Rates ist eine sehr vielseitige, die Art
seiner Wirksamkeit findet ihren bezeichnendsten Ausdruck im
Kommissionsweseu4). Eine Mehrheit von Räten bildet einen
gemeinsamen Beratungskörper, der in jedem einzelnen Falle
beliebig neu zusammengesetzt wird. Der Beschluss der Majo-
rität ist bindend5). Einzeln oder in Gruppen, je nach dem Er-
(1453 — 145b); Hans von Zeinitz (H.H.St.Arch, K. 33 — III 65 Nr. 2 (1556)
(s. pag. 65, 1); Vol. V 275b Nr. 19 (1560) (s. pag. 65, 1); Haus Statiua (H.
H.St.Arch. K. 33 — III 67 b Nr. 8 (1567); K. 33 — III 71 Nr. 15 (1557)
(s pag. 65, 1); tfAR. vol. IV 27 Nr. 118 (1570); ebenso Antbouius Rosenau;
s. a. Ilintze S. 138.
•) Reg. 379 (1444), 451, 452 (1452), 460 (1453), 479 (1455), 515 (14571,
612 (1462), 654 (1465); G.Qu.d.Pr.S. 28, 1485 (1510).
*) G.Qu.d.Pr.S. VI 536 (1517); H.H.St.Arch. K. 33 — III 65 Nr. 2
(1556); K. 33 — III 71 Nr. 15 (1557); K. 33 — III 67 b Nr. 8 (1567); vol.
V 275 b Nr. 19 (1560) (s. pag. 65, 1).
*) H.H.St.Arch. Vol. HI 275/276 Nr. 132: „Erstlich wollen und ordnen
wir das Sechs personell als unsre Rete und befehlhabcrer neben unbsern
Cantzier, so wir zu ider Zeit haben wurden, sein und sitzen sollen. Prey
vom Adel und von Bürgern unsrer Stad Zerbst aussm Rat, Schiipfeu-
stubl und gemeine auch drey*.
•) Lamprecht S 1438; v. Wretschko S. 173 ff. ; Schmoller S 51, 59;
v. Below, Territorium S. 298; Rosentbal, Gerichtswesen S. 252 ff. ; v. Posern-
Klett S. 54 ff,
6) H.H.St.Arch. Vol. III fol. 275/276 Nr. 132, Regimentsordnung (1546)
„und worauf der mehrere teil schliesst, darauf das antwort und befehl ge-
stalten'“ (s. ft. pag. 78, 8).
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messen des Landesherrn , werden die Ratsmitglieder zur Er-
ledigung der verschiedenartigsten Geschäfte herangezogeu.
Festbegrenzte, spezialisierte Tätigkeit hat keiner der Räte, be-
stimmte Ressorts oder Dezernate gibt es noch nicht. Ebenso-
wenig ist die Beratung bestimmter Geschäfte an eine feste
Zahl solcher Räte gebunden. Eine geschlossene Behörde ist
der Rat noch keineswegs, dazu fehlt ihm jede Ständigkeit; er
ist vielmehr durchaus formlos und vielfachem Wechsel unter-
worfen.
Ob eine Rangordnung innerhalb des Rates besteht, lässt
sich nicht genau feststellen; nur einmal begegnet, allerdings
schon im Jahre 1371 der Titel „summus consiliarius“ bei
einem Geistlichen, was immerhin auf einen gewissen Vorrang
seines Inhabers unter den Räten hinweist. Doch scheint der-
selbe nur rein sachlich gewesen zu sein. Der Geistliche als
der einzige Schriftkundige ist eben bei den Ratssitzungen der
erste und nächste, den der Fürst befragen wird, die wichtigste
Persönlichkeit für die Fixierung der Beschlüsse. Persönlich
ist der summus consiliarius den ritterlichen Räten nicht über-
geordnet, wird vielmehr in der Zeugenreihe erst nach ihnen
aufgeführt. Immerhin lässt aber der Titel doch auf eine ge-
wisse Ordnung innerhalb des landesherrlichen Rates in dama-
liger Zeit schliessen. Aus späterer Zeit ist nichts Ähnliches
mehr nachzuweiseu, jedenfalls hat wohl der Kanzler die oberste
Ratsstelle eingenommen 8).
Die Zuziehung des Rates zu den einzelnen Regierungs-
geschäften lässt sich aus einer Menge Urkunden nachweisen.
Es heisst dann, die Handlungen seien vorgenommen „de nostro-
rum consiliariorum persuasioue“ *), „usns consilio suorum consi-
liorum“4), „mit wolbedachtem mute und vulbort unsis rathis“ 5),
') v. H. IV 414.
s) Ob summus consiliarius die Kauzlerstelle gewesen ist, wie Beckmann
VII S. 168 vermutet, lässt sich nicht bestimmt entscheiden, da in derselben
Urkunde noch eiu prothonotarius uuter den Zeugen genannt wird, welcher
Titel ebensogut auf die Kanzlersteile binweisen kann.
*) v. II. III 884 (1350).
*) v. H. IV 464 (1375).
s) v. H. V 213 (1394).
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„mit gutem rathe unser heymeliclie» unde lieben gbetruwen“ *),
„mit guthem Vorrathe unser heimlichen und lieben getreuwcu
Manne“8), „mit entrechtigem Rate unser freunde, unsr rete,
unsr lieben Getruven Manschaft und Burger“ 3) u. dgl.
Die Befragung des Rates ist natürlich freier Wille des
Landesherrn, nur zweimal lässt sich eine freiwillige Verpflich-
tung anhaitischer Fürsten nachweisen 4). Bei einem im Jahre
1392 abgeschlossenen Vergleiche machen die Fürsten Sigis-
mund I. und Albrecht IV. ihre „macht zu vorsetzen“ davon
abhängig, „also dicke uns das not wird und unszer rat er-
kennet, das es vor land und luthe sy“4), und im Jahre 1432
verpflichtet sich Fürst Georg von Anhalt gelegentlich einer
Aufforderung zur Hilfeleistung für den Erzbischof von Magde-
burg den Zerbster Bürgern gegenüber, dem Erzbischof keine
Antwort zu geben „ane rat unser manen, uwer und ander un-
ser stete“ 5). Es handelt sich hier also beide Male um eine
grossere Sicherstellung der Interessen der Beteiligten.
Der Wirkungskreis des Rates erstreckt sich auf alle Ge-
biete des Staatslebens®), bei Fragen der äussern Politik, wie
der innern Verwaltung, wie bei gerichtlichen Entscheidungen
finden wir Ratsmitglieder tätig. Im allgemeinen ist er ledig-
lich beratende Behörde, nur in Abwesenheit des Landesherrn
selbständig; er trägt mit die Entscheidung über das Wohl und
Wehe des Landes ’).
Namentlich für jegliche Art von Verhandlungen werden Kom-
missionen von Räten abgeordnet. Mitglieder des landesherrlichen
') v. H. IV 511 (1377); H.H.St. Arch. K. 44 — IV 86 Nr. 41 (1465)
(8. pag. 65, 1).
*) Reg. 102, 103 (1416).
») Beckmann V 2 S. 8; H.H.St. Arch. Vol. III 275/276 Nr. 132, Regi-
meutsordnung (1546) (s. pag. 68, 8).
*) v. H. V 177 (1392).
*) G. Qn.d.Pr. S. 27, 291 (1432); vgl. Barth S. 380.
*) v. Posem-Klett S. 54 ff, ; Isaaksohn S. 33; Stölzel. Brandenb.-Preuss.
Rechtsgesch. S. 98; B. Meyer S. 23 ff. ; Wintterlin S. 12, 17; v. Wretschko
S. 174; v. Below, Territorium S. 293; Schmoller S. 51; Roscntbal. Gerichts-
wesen S. 254 ff. ; v. Maurer, Fronhöfe S. 239 ff ; Spangenberg S. 115; v. Krones,
Landesfiirstl. Behörden S. 201; Rachfahl S. 435.
’) v. U. V 177 (1392).
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Rates begegnen uns innerhalb des Landes als Schiedsrichter, als
Vermittler von Vergleichen *), sie schliessen Kaufverträge und
Belehnungen ab im Namen oder als Vertreter ihres Fürsten2),
oder sie sind doch wenigstens dabei tätig3); einmal wird auch
die Entscheidung über bauliche Veränderungen eines Schlosses
einer Kommission von Räten übertragen4). Gerade eben in
der inneren Verwaltung sind die Ratsmitglieder mannigfach
beteiligt, so mauche inneren Angelegenheiten des Landes, wie
z. B. der gute Zustand von Holz, Mühlen, Dämmen6) werden
im landesfürstlichen Rate bedacht und darüber beschlossen.
Werden in den Ämtern neue Vorweisregister und Haushaltungs-
anschläge angelegt, so haben Räte „alles anweisen, huldigen
und schwören zu lassen“6), „mit den Herrn Räthen“ wird ver-
glichen, „wie es in ausstheilung Brot und Weins“ am anhai-
tischen Hofe gehalten werden soll7). Mitglieder des Rates
werden zur Prüfung von Rechnungen herangezogen 8), in der
Verwaltung der Kammer sind besondere „Kammerräthe“ ange-
stellt9). Die Räte sind die berufenen Vertreter des Landes-
herrn bei Abwesenheit oder Krankheit in der Regierung des
Landes10); bedeutend ist auch ihre Wirksamkeit bei Verhand-
lungen mit den Landständen. Sie sind die eigentlichen Ver-
*) Reg. 440 (1451), 451 (1452), 479 (1455), 612 (1462), 719 (1470).
*) Reg. 207 (1426), 361 (1442), 460 (1453).
*) Reg. 379 (1444); H.H.St.Arch. K. 44 — IV 101b Nr. III 1 (1485)
(g. pag. 66, 3); K. 44 — IV 60 Nr. 41 (1492). Kaufbrief Joh. Bneheners:
„by gütlichem kouffe äiut gewesen — — Heinrich von Ameuilorf nnde Hans
von Trupitz, bei sullichcr vorczihnnge des briefes syn keghenvertuk gewehsen
dy vvyrdigen und erbarn hem Mauricius Fabri unbser pfarer zcu Dessauw“
(pag. 66, 3).
*) Reg. 10 (1401).
5) Rentmeisterinstruktion (Anhang 4) (1574).
*) H.H.St.Arcb. K. 33 — UI 71 Nr. 15 (s. pag. 65, 1) (1557).
*) H.H.St.Arcb. Vol. III 233 Nr. 1 und 2 (16. Jahrh.) (s. pag. 68. 7).
*) Statthalterinstruktion (Anhang 2) (1574).
*) H.H.St.Arcb. Vol. III 233 Nr. 1 und 2 (16. Jahrh.). „Item wann ein
Fass-, es gcy von Räthen, gesinde, ehr oder andern weinen mitt vorwissen
und gutt ansehen Kammermeisters, Hausshofineisters , Kammerräthe, auch
Kastkellers angestochen wurde“.
’°) H.H.St.Arcb. Vol. 111 275 276 Sr. 132 (1546), Regimentsordnung
(s. pag. 70, 3).
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mittler zwischen Fürst uud Ständen, da ja immer mehrere
von ihnen dem Ritterstand angehören lind Mitglieder der Land-
schaft sind. So oft in den anhaitischen Landtagsabschieden
im 16. Jahrhundert Steuern bewilligt werden und ein Ausschuss
dafür eingesetzt wird, sind stets einige Mitglieder des landes-
fürstlichen Rates darin und wirken bei Erhebung der Steuer
als Vertreter der Regierung mit1).
Eine sehr wichtige Rolle spielt der Rat auch auf dem Ge-
biete der äussern Politik. Gerade die diplomatischen Verhand-
lungen mit andern Reichsfürsten werden stets durch beiderseitige
Ratgeben geführt. Räte werden als Gesandte an andere Höfe
geschickt *) und haben an dem Hofe ihres Landesherrn die
Unterbringung fremder Gesandten zu regeln 3). Sie treten als
Werber für ihre Fürsten auf4), führen als Vertreter ihres
') H.H.St. Arch. GAR. vol. IV 5 Nr. 1 (1547), Landtag und gewilligte
Steuer zu Zerbst: „ Auszug der verordneten entnahmen der gewilligten Land-
stener — — Act. in die Petri Pauli anno 1547. durch Johan Schulzen, Ur-
bauurn Paryse und Authonium Rosenau berechent genommen“; GAR. vol. IV
6 Nr. 3. Landtagsabschied von 1564, „Zu diesser und aller der Stede nnd
gemeine Landschafft gewilligter Hulf und Steuer sollen zu iderzeit, zweite
von beidenn nusern gnädigen Filrstenn und Heran, nemlich Wulff schlegel zu
Trebbichauw, und Rentmeister zu Czerbst urbanus Otto — — geordent
werden; GAR. vol. IV 6 Nr. 4, Landtagsabschied von 1568: „Zu dieser und
aller der Stedte und gemeiner Laudschafft gewilligter Hulff und Steuer solleu
in der Zeitt zweite vouu unserm guedigem Fürsten und Herrn uud der Ritter-
schaft, uembliclien Wolff Schlegel und Christoff Zannthier — — geordennt
werden“ ; Codex Auhaltinus Minor 1727 (Leipzig 1864) S. 13, 15, 17.
>) G.Qu.d. Pr.S. XXVIII 1485 (1510).
*) H.H.St. Arch. Vol. III 233 Nr. 1 uud 2 (16. Jahrh.): „letzlich soll
hinfurtter uiemaudt, wer der auch wer, oue unser gnedigen Fürstin und
Frawen vorwissen eingelassen werden, so aber Graweu, Herrn vom Adel oder
anmlerc Gesandten alhir ankhommeu würden, sic betten in der Kanzlei zu
schaffen oder nitt, uud solches den Itiitheu bewusst were ader sonnsten
andere, wer die auch sein möchten, beim marschalkh oder llausshowemeister an-
hiellten und gehn Hofe begerten, Sollen sie cs allerwegen meiner gnedigen
Fürstin und frawen anzeigeu lasssen oder In ein Zettel Uberschicken, wer
dieselbigcn seien und wasss sie zu verichteu haben, wurt Ihme darauf! be-
schcide erfolgen, wie ers initt eiulassung selbiger Personen halten soll“.
“) H.H.St. Arch. K. 34 — III 99 Nr. 1 (1492), Herzog v. Münsterberg
und Georg von Anhalt über einen Ehevertrag: „dem hochgebornen Fürsten Ge-
orgen zu Anhalt und seinem Bruder mitsammt Hanse Traupitzen als ge-
schickten Werbern (s. pag. 66, 3).
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Laudesherrn Verhandlungen, besonders an auswärtigen Orten,
über Ehestiftungen wie die Regelung bei Sterbefällen mit
ganzer Vollmacht1), wobei sie die Interessen ihres Herrn vor-
züglich zu vertreten wissen *). Hat der Fürst mit andern
Herrschern oder Vornehmen etwas zu begleichen, Verkäufe
oder Sühneverträge abzuschliessen, so geschieht dies, wie bei
derartigen Fällen im eigenen Lande, auch hier fast stets durch
mehrere Mitglieder des Rates 3). Streitigkeiten der Anhaltiner
untereinander entscheidet eine Kommission von Räten4). Räte
führen als bestellte Anwälte des Fürsten gerichtliche Pro-
zesse5); allerdings bedienen sich die anhaitischen Fürsten meist
noch besonderer Anwälte 6). Besonders bei Bündnissen mit
andern Fürsten wird meist eine Kommission von beiderseitigen
•) H.H.St.Arch K 33 — III 65 Nr. 2 (1556) (s. pag. 65, 1; 68, 7):
K. 33 — III 67 b Nr. 8 (1567) (s. pag. 65, 1); K. 33 — III 69 Nr. 9 (1568):
Schreiben d. Kurfürsten von Meissen an Joachim Ernst und Bernhard von
Anhalt wegen der Leibzucht der jetzigen Kurfürstin: „Weil dan Jüngsten zu
Leipzigk E. L. Bcthe und Diener, die wir damals durch die unsern dahin
abgefertigten derentbalben haben ansprecheu lassen , sich mit den unsern
dahin verglichen , dass zu abhelfunge angeregter Punkten beiderseits E.
L. sowohl unser nnd die Pommerschen Rethe nf den Montagk nach Invo-
cawit zu Leipzigk zusammen kommen, doch das wir solches E. L. in mittelst
freundlichen anmelden möchten, ob wir mit solchem Tage also zufrieden —
— deswegen so bitten wir freundlichen E. L. wolle derselben Rethe auf be-
rurten tagk nach Leipzigk auch abfertigen, damit solche Handlung
vor die Handt genommen und dadurch Ihre endliche erledigung bekommen
inugen“.
*) H.H.St. Arch. K. 33 — III 67 b Nr. 8 (1567) (s. pag. 65, 1): „welches
(betreffend Holzhandel) die Aubaltischen aus allerhant vorgewanden und
sonst bedenklichen Ursachen ohne sonderlichen Befehl nicht eiugeheu können,
solidem ein jedes Teil solche erst hinter sich bringen4.
*) v. II. V 102 (1388), 156 (1391), 178 (1392) ; Reg. 332 (1440), 515
(1457).
*) Reg. 451, 452 (1452).
*) (J.Qn.d.Pr.S. VI 646, 617 (1547).
•) M.V.f.A.O. VIII 5 8.443, 447, 449; Bertram -Krause II S. 303;
H.H.St.Arch. vol. I 461b Nr. 3 (1498), Kammergerichtsbescheid: „Nachdem
wir selbst entgegen nicht sein, mögen die gelehrten hochwürdigen Doctor Jo-
hann Rechling, Doctor Georgen Schrottei, auch Ern Jcronimtuu .Schulten Liceu-
tiaten und den fursichtigen Ambrosium Schonberg, alle vier — — geben
Ihnen uud ordnen sie zu unsern Auwäldern unser volkommeu gewalt und
macht4.
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Räten, gewöhnlich zwei von jeder Partei eingesetzt, um die
gemeinsamen Angelegenheiten zu regeln, wie Festsetzung der
nötig werdenden Hilfe, Einquartierung der Mannschaften, Ver-
teilung des erbeuteten Besitzes u. dgl., und vor allem um etwa
entstehende Uneinigkeiten als Schiedsrichter zu schlichten l).
Hierbei wird ihnen ganz freie Hand gelassen, die Fürsten ver-
pflichten sich, was sie ausmachen und wie sie entscheiden,
auch zu halten und sich daran genügen zu lassen, ohne es
ihnen irgendwie zu verargen2). Allerdings müssen die Rat-
geben wohl stets durch einen Eid geloben, „ohne Begünstigung
ihres Herrn und ohne Hass gegen die andere Partei“ ihren
Rat zu geben ®). Auch wenn diese Bevollmächtigten sich nicht
einigen können, wird meist noch „aus eines der beiden Herren
Räte“ auch der Obmann genommen4).
Mit die grösste Tätigkeit entfaltet der landesherrliche Rat
auf dem Gebiete der Rechtsprechung5); durch sein Kommissions-
wesen ist er ja auch so recht geeignet zur richterlichen Be-
hörde. Viele Fälle verlangen die richterliche Entscheidung des
Landesherrn selbst, andere Rechtssachen gehören ein für alle-
mal au den Hof des Landesherrn, endlich ist der Landesfürst
oberste Berufungsinstanz für seine Untertanen. Zu seinen richter-
lichen Entscheidungen nun wird er stets durch Erfahrung und
juristische Kenntnisse befähigte Personen hinzuziehen. Diese
findet er natürlich am besten in seinem Rat.
Ein eigentlich beständiges Hofgericht dagegen findet sich
in Anhalt nicht. Nur einmal lässt sich im Jahre 1458 am Hofe
des Fürsten Georg zu Köthen ein Hofrichter nachweisen,
der mit seinen Schöppen „und mete gesessen des genannten
') v. H. V 102 (1388), 225 (1394) 281 (1398); Reg. 102, 103 (1416), 138
(1419). 211 (1426), 386 (1444).
5) Reg. 10 (1401), 26 (1404) 47 (1406) 53 (1407), 66 (1410), 138 (1419),
192, 193 (1424), 451, 452 (1452).
•) Reg. 452, 451 (1452).
') Reg. 47 (1406), 53 (1407), 102, 103 (1416), 192, 193 (1424), 211
(1426), 386 (1444).
5) Stölzel, Brawlenb.-Prenss. Reehtsgeseh. S. 98 ff. ; Holtze S. 107;
H. B. Meyer S. 44; v. Posern-Klett S. 58 ff.: Wintterlin S. 18, 21; Rosen-
tlial, Gerichtswesen S. 135 ff. ; v. Below, Territorium S. 287; Stölzel, Ge-
lehrtes Ricbtertum S. 206 ff., 240 ff.
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hoffegerichtes“ über einen Rechtsstreit entscheidet1). Sonst
haben sich keine bestimmten urkundlichen Nachrichten weiter
vorgefunden. Die Möglichkeit eines gelegentlichen Bestehens
des Hofgerichtes kann aber doch wohl nach den Nachrichten
Beckmanns und Bertram-Krauses2) nicht ohne weiteres abge-
wiesen werden; auch in der Polizei- und Landesordnung vom
Jahre 1572 wird auf eine ev. nötig werdende Einrichtung einer
solchen Behörde hingewiesen3).
Im allgemeinen scheinen jedoch Landesherr und Räte in
Anhalt das Hofgericht gebildet zu haben, das in jedem ein-
zelnen Falle nach Umständen besetzt wird; die notwendigen
Angelegenheiten werden im übrigen an die Kanzlei verwiesen4).
Die Stellung der Räte als gerichtlicher Personen ist sehr ver-
schieden. Mitglieder des Rates werden entweder nur als Bei-
sitzer und Urteilsfinder verwandt, der Landesherr tritt selbst
als Richter auf und zieht die andern nur zu Rate5), oder er
tiberlässt seinen Räten die Voruntersuchung, was namentlich
bei Verhandlungen an auswärtigen Orten der Fall ist6), oder
die Mitglieder des Rates sitzen als „verordnete Räte“ zu Ge-
richt und fällen selbst das Urteil7).
Den Räten ist vor allem die Beurteilung und Entscheidung
über Streitigkeiten des Hofgesindes unter sich tiberlassen8).
Ferner ist der anhaitische Rat richterliche Behörde bei pein-
') Reg. 537. „Vincentins Czorre“ mit Kamen.
’) Beckmann IV 6 S. 550 (1561); Bertram- Krause S. 301, 320.
') P.u.L.O. VIII (1572). „Und do wir es vor nottwendig achten, in
unsern Landen ein Boffgerichte zu ordenen, zu bestellen und zu Publicieren“.
*) Beckmann IV 6 S. 550; Bertram-Krause II S. 320; s. a. Stölzel, Ge-
lehrtes Richtertum S. 255, 423 ff.
*) Friese-Liesegang I Abt. 2 Kr. 30 (1447); Reg. 382 (1444).
*) G.Qu.d.Pr.S. VI 536 (1517); H.H.St.Arch. vol. V 278 Nr. 35 (1570)
(s. pag. 68, 6).
’) Friese-Liesegang, Anhang 4 S. 324 , 326 (1528).
e) H.H.St.Arch. vol. III 234 Nr. 6, Hofordnung (1570): „Würde aber
einige Uneinigkeit sich zwischen jemand zntragen, so soll uff den Fall
niemand sein eigner Richter sein, sondern solches an unsre Rethe und Be-
feblhaber gelangen, sollen die, wo wir selbst verhindert, gebührliches und
billiges einsehen haben , denn rechten schützen , den Unrechten straffen und
sie auch der Uneinigkeit vertragen“.
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liehen Sachen im Lande1), Berufungsinstanz für die Bezirks-
gerichtsbarkeit 8) des Vogtes und Amtmanns; Oberinstanz über-
haupt für mancherlei Fälle der ländlichen Gerichtsbarkeit, wie
wir aus der Polizei- und Landesordnung von 1572 erfahren8).
So ist das Kollegium der Räte z. B. bei Ehe-4) und Vormund-
schaftssachen5) zuständig, etwaige Schädigungen der Ämter
sollen dem Landesherrn oder seinen Räten gemeldet werden6),
die Verordnungen für die Anwälte im Lande ergehen ebenfalls
vom Landesherrn und seinen Räten7).
Der Hergang bei einer Gerichtssitzung der Räte wird in
der Regimentsordnung von 1546 beschrieben8). Es wird hier
bestimmt, dass der Kanzler, bei dem die Klagen einzureichen
sind, dieselben den andern Räten zu einer bestimmten Stunde
vorlesen soll. Jeder sagt dann nacheinander seine Ansicht,
ohne dass ihm ein anderer dazwischenredet. Hierauf hält der
Kanzler die Umfrage, und alles wird kurz aufgezeichnet; die
Mehrheit der Stimmen entscheidet.
') H.H.St. Arch. vol. III 275/276 Nr. 132, Regimentsordnung (1546): „In
peinlichen Sachen sol sich kein Amptmaun oder Schosser einlasseu, sondern
wo Jemandes von wegen seiner Misshandlung ader auf anzeichen eines
clegers, der doch zuvor solchen mit Recht abzubriugen geloben sol, einge-
zogen, ausserhalb hauthafter Tat. welche sie doch, wo die suchen nicht
eylend und zu besorgen das sie entwenden mochten, au unser Rath und unsre
Rethe, Befeblhabere vorwissen nicht tliun sollen, so soll alsbald dasselbe
uusern Reten und Befebelhaberu nach gütlich Bruch vormcldet werden“.
') (i.Qu.d.Pr. S. II 423 (1454); s. a. Stölzel . Gelehrtes Richtertnm
S. 206 ff.
') P.u.L.O. VIII Abs. 1.
“) P.u.L.O. III Abs. 15.
s) P.u.L.O. XXXVII Abs 2.
•) P.u.L.O. XII Abs. 2.
’) P.n.L.0. IX Abs. 4.
*) II. II. St. Arch. Vol. III 275/276 Nr. 132: „den lenten, so zu clagen
haben geistlich oder weltlich, vormeldet werden soll, dass sic ihre snpplica-
tioues uff n. tage in der Wocli dem l 'anzier gegeu Abend zu erbrechen, so
nicht in unser eigen haut geschrieben, überantworten. Welcher d. volgemles
tags N. dieselben den andern Rethen ferner umb n. hora ira Sommer und n.
hora im Winter furlesen, daranf ein Jder sein bedenken nach einander sagen
soll von Hanptman anzusetzen, do keiner deine andern iureden sondern güt-
lich aushoeren und der Caiitzler die umbfrage thun und alle Ordnunk kurz
aufzeichnen und worauf der mehrere teil schlicsst, darauf das antwort und
befehl gestalten“.
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In der Ausübung der richterlichen Tätigkeit werden den
Bäten ganz bestimmte Vorschriften gegeben. „Die Laster und
Misshandelunge “ sollen sie „ vormuge der Rechte ernstlich
strafen und darin nicht conniuiren“, andererseits sollen sie aber
auch nicht „mit unbilligen Straffen und Buessen jemandes be-
schweren“; es wird darum angeordnet, dass, „wo dieselbige
in beschrieben Rechten ausgedruckte Peen haben, das vormuge
derselbigen Vorfahren und mit keiner höher Straffe die Leute
beleget werden, aber in willkürlichen Straffen soll in alwege
die billigkeit und umbstende der Sachen betracht und bewogen
werden“. Wenn es der Gerichtsherr „gar zu grob macht“,
will ihn der Landesfürst „selbst in straffe nemen“ ,).
Die Besoldung der Räte B) wird wohl in den ersten Jahr-
hunderten in der Verleihung von Lehen und sonstigen Natural-
bezügen3) bestanden haben; seit der Mitte des 16. Jahr-
hunderts bekommen die Räte ebenso wie die Beamten überhaupt
feste Besoldung in Geld*). Sind die Räte zugleich Beamte, so
erhalten sie für ihre Tätigkeit im Rat keine besondere Besol-
dung. Befinden sich die Räte am landesfürstliehen Hofe, so
sind sie die Gäste des Landesherrn und erhalten Wohnung und
Beköstigung5). Sie gehören dann mit zum Hofpersonal und
haben sich der fürstlichen Hausordnung zu fügen6). Ausser
diesen Reichnissen bekommen die Räte aber für ihre Dienste
') P.n.L.O. XI Abs. 1, 2 und 4
’) Isaaksobn S. 33ff; B. Meyer S. 23; v. Wretschko S. lßl ; Scbmoller
S. 52; Rachfahl S. 435; Lamprecht S. 1430.
') Reg. 294, 295 (1436), 354 (1441), 650 (1465).
‘) H.H.St. Arcb. GAR vol. IV 27 Nr. 118 (1570) (s. pag. 66, 3 (1571).
5) H.H.St. Arch. vol. III 233 Nr. 1 uud 2 (16. Jahrh ). „Item soll ge-
handelt werden, das natnblich die besten und ernst igs teil wein über unsere
gnedigen fürsten und Herrn Tafell, und die schlechtem uff der Räthe. Truch-
siisssen und Junkherntisch verspeist werden“, u. pag. 73, 9; K. 33 — III
70b Nr. 14 (1557): „Volgen die andern Tische von vornehmsten Rethen und
Junkern — — daselbst soll vorm ersten gehen und Marschalk sein Arntli
Stammer vom Essen, Hans vom Tharl (?) vom Trinken“, (Ordnung für Fürst
Karls Hochzeit).
’) H.H.St. Arch. vol. III 234 Nr. 6 (Hofordnung Fürst Bernhards): „Wir
wollen unser Hanshnltnng nnstellen. das nach folgender Ordnung von nn*ern
Rethen, Beneblhabcrn, Dienern und Gesinde getreulich und vleissigk solle
gehalten werdenn*; Vol. III 233 Nr. 1 und 2 (16. Jahrh.) (s. pag. 74. 3).
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80
mancherlei Vergünstigungen1); Auslagen werden ihnen natür-
lich ebenfalls wiedererstattet.
b) Die Beamten der Landesverwaltung.
Hat so der Landesherr in seinem Rat sich ein Institut ge-
schaffen , in dem er stets die Angelegenheiten seines Landes,
sobald er will, mit seinen Vertrauten besprechen, dessen Mit-
gliedern er auch alle möglichen allgemeinen wie speziellen Auf-
träge erteilen kann, so braucht er natürlich doch zur Erledi-
gung der laufenden Geschäfte seiue besonderen Verwaltungs-
beamten. Die Tätigkeit des Rates ist doch nur eine ganz un-
bestimmte, bald dies, bald jenes wird ihm zugewiesen; haupt-
sächlich ist er doch nur zur Beratung, weniger zur Ausführung
da; das können nur Personen tun, die ständig in einem be-
stimmten Ressort arbeiten und in die Geschäfte völlig einge-
weiht sind. Auch kann der Landesherr nicht jede kleine
Angelegenheit dem Rat unterbreiten. Er hat daher zur eigent-
lichen Geschäftsführung seiue Beamten, vereinigt aber diese
Verwaltung mit der des Rates eben dadurch, dass sämtliche
obersten Beamten der einzelnen Ressorts, bisweilen auch noch
einige andere Beamte desselben , auch zugleich Mitglieder des
Rates sind, ja, wie wir gesehen haben*), die eigentlichen und
ersten Ratgeben darstellen. Der Rat ist gewissermassen die
allgemeine, beschliessende Behörde, die eigentlich ausführendeu
Organe der Staatsregierung bleiben die landesfürstlichen Be-
amten.
In dem Beamtenwesen der anhaitischen Zentralverwaltuug
hat sich seit dem 14. Jahrhundert eine grosse Änderung voll-
zogen. Die alten Hofämter mit ihrer allgemeinen Bedeutung
für die Landesregierung sind verschwunden, dafür sind neue
mehr spezialisierte Ämter geschaffen, Hof- und Landesverwaltung
mehr geschieden, vor allem die obersten Beamten der Lokal-
verwaltung der Zentralregierung enger angeschlossen. Natür-
lich ist diese ganze Veränderung sehr langsam vor sich gegan-
gen, einen eigeutlichen Abschluss erreicht sie sogar erst in den
’) P.n.L.O. IL (1572)
*) pag. 65 nml 70.
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70 er Jahre» des 16. Jahrhunderts, denu damals, als Joachim
Ernst die anhaitischen Lande in seiner Hand vereinigt, werden
zuerst bestimmte Ordnungen für Hof- und Landesverwaltung
gegeben und den einzelnen Beamten ihre Ressorts und Pflichten
genau zugewiesen. Immerhin ist aber die neue Beamten-
organisation doch schon vom Ende des 15. Jahrhunderts an
sicher anzusetzen.
a) Oie Kanzleibeamten.
1. Wohl der bedeutendste Beamte der anhaitischen Zen-
tralverwaltung im 15. und 16. Jahrhundert ist der Kanzler').
Dem Titel nach vom Mittelalter her völlig unbekannt, ist sein
Amt im wesentlichen das erweiterte Notariatsamt der früheren
Jahrhunderte. Aus dem ehemals an der Spitze des Schreib-
wesens stehenden Notar ist allmählich mit dem Anwachsen der
Kanzleigeschäfte ein Protonota'r 2) und dann ein Kanzler geworden.
Zum erstenmal lässt sich dieser Titel in einer Urkunde
vom 27. Mai 1350 nach weisen, wo als Zeuge „her Johannes
van Dessou cancellarius und capellan“ 3) erscheint. Es ist der
Notar der Zerbster Fürsten, Johann von Morditz4), der hier
zum einzigen Mal diesen Titel führt. Sonst wird er nur als
Notar, einmal auch als Protonotar bezeichnet; man sieht also,
wie damals alle drei Bezeichnungen noch nebeneinander Vor-
kommen, ein eigentlicher Kanzler in späterem Sinne ist Johann
von Morditz wohl noch nicht gewesen. Im 14. Jahrhundert be-
gegnet sonst die Bezeichnung Kanzler nicht wieder. Vielmehr
sind die beiden Hauptzweige der Tätigkeit des Kanzlers,
Führung der Kanzleigeschäfte und Leitung im Rate, noch in
verschiedenen Händen gewesen; im Jahre 1371 kommen ein-
mal nebeneinander ein prothonotarius und suramus consiliarius
') Schröder , Rechtsgesch. S. 490 ff., 598; Isaaksohn S. 16; Bornhak
8.8, 72; Roseuthal, Gerichtswesen S.215, 249, 265 ff. ; Lamprecht S. 1432 ff.;
Lüdicke S. 41 ff. ; Barth 8.412; Wintterlia S. 16; Fellner, Zur Geschichte
der österreichischen Zentralverwaltung (1493 — 1848) (Mitteilungen des Instituts
für üsterr. Geschichtsforschung Bd. VIII) S. 275; Stölzel, Gelehrtes Richter-
tmn S. 253 ff., 399ff.; Adler S. 415; v. Maurer, Frohuhöfe S. 258, 295.
s) vgl. pag. 19 ff.
') v. H. III 904.
*) Jänicke 8. 32, 33.
Scltrecker, Beamtentum ln Anhalt 6
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vor *). Erst mit dem 15. Jahrhundert beginnt die eigentliche
Wirksamkeit des anhaitischen Kanzlers, seit dem zweiten
Drittel dieses Jahrhunderts treten Inhaber dieses Amtes in den
Urkunden häufiger auf8).
>) v. H. IV 414.
*) Hit Namen angegeben sind folgende Kanzler:
1436—1492. Johannes Bucbener unter Georg I. (Reg. 283 , 295,
308, 353, 354, 361, 362, 396, 451, 452, 460, 477, 479, 498, 522, 623, 629,
654, 725; H.H.St.Arcli. 57 b Nr. 37, 60 Nr. 41; s. a. Beckmann VII S. 168);
er wird allerdings nur ein einziges Mal als Kanzler bezeichnet (1441
Reg. 354). Möglich ist, dass er später nur noch als fürstlicher Rat tätig ge-
wesen ist, in den 50 er und Anfang der 60 er Jahre des 15. Jahrhunderts ist
er jedenfalls wohl nicht Kanzler gewesen, ob er später wieder die Kanzlei-
geschäfte führt, lässt sich nicht nachweisen ; da aber kein anderer Kanzler
mehr genannt wird, Buchener dagegen noch vielfach in fürstlichem Dienste
vorkomint, ist es nicht unmöglich. Vielleicht hat er sich von 1454 — 1463
von seiuem Amte zurückgezogen , um sich mehr mit der Bewirtschaftung
seiner Güter zu befassen (R. 477). Jedenfalls ist er eine der wichtigsten
Persönlichkeiten Anhalts in damaliger Zeit, namentlich im landesfürstlicben
Rat spielt er eine bedeutende Rolle. Gr scheint ein sehr guter landwirt-
schaftlicher Verwalter und Wirtschafter gewesen zu sein (Reg. 477 (1455)).
1454—1457. Petrus von Ranow (vgl. Reg. 472, 477, 522), einmal
trägt er noch die Bezeichnung „oberster Scbriber“. In denselben Urkunden
wird Job. Buchener stets ohne Titel erwähnt neben ihm.
1463. Nikolaus Krull (Reg. 623). Gin anderes Hai führt er aller-
dings nur den Titel „Schreiber“ (Reg. 629). Auch neben ihm wird Buchener
stets ohne Titel aufgcfUhrt.
1498. Mauricius Fabri (vermutlich). Gr ist .Pfarrer zu Dessau
und Domher zu St. Nikolaikirchen zu Magdeburg“, „burrig von Zerbest“
und damals „bei 60 Jahr alt“ (H. II. St. Arch. vol. I 461b Nr. 3; pag. 66
nnm. 4).
1507 — 1539. Paulus von Berge (G.Qu.d. Pr.S. VT 536; II. II. St. Arch.
vol. V 278 Nr. 35; G.Qu.d. Pr.S. VI 609 (Hansen ist wohl verschrieben
für Paulum); Beckmann VI S. 168) in Dessau; er ist vielleicht „der erst«,
der als Laie in wirklichem Amte stund“, sagt Bertram-Krause II S. 303, ich
glaube aber vielmehr Buchener.
circ. 1530 — 1538. Marcus Förster, bei Fürst Wolfgang in Köthen,
er war erst Bürgermeister in Köthen und hat gelehrte Bildung (Beckmann
VI S. 85, VII S. 168).
1538. Ludwig Rabe, auch in Köthen (Beckmann VII 168; Bertram-
Krause II 304).
1540—1560. Johann Ripscli, zu Dessau (U.H.St. Arch. K. 33 — III
32 Nr. 16: GAR. IV 5 Nr. 1 (s. pag. 114, 4); K. 33 — III 65 Nr. 2; K. 33
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Seinem Stande nach ist der Kanzler nicht mehr Geistlicher,
sondern Laie1). Nur einmal scheint gegen Ende des 15. Jahr-
hunderts ein Geistlicher die Geschäfte der Kanzlei geführt zu
haben, der Pfarrer von Dessau Mauricius Fabri, denn nach
seiner eigenen Aussage hat er das grosse Siegel des Fürsten
„über 7 Jahr in seinen Händen gehabt“, auch „vil Brieff selbst
mit dem tittel geschrieben“2); den Kanzlertitel führt er aller-
dings nicht. Sonst sind es Angehörige des Adels8) oder noch
häufiger Männer bürgerlichen Standes, einer derselben ist
Bürgermeister von Köthen gewesen4), bevor er die Stelle eines
Kanzlers in Anhalt erhielt.
Ob die Kanzler schon im 15. Jahrhundert juristische oder
sonstige gelehrte Bildung besitzen, lässt sich nicht nachweisen;
im 16. Jahrhundert ist es sicher der Fall 5). Jedenfalls ist
das Kanzleramt das erste Landesamt, das der Bürgerstand er-
obert hat! Ist die Verwaltung der Kanzlei in früheren Jahr-
hunderten von Geistlichen ausreichend geführt worden, so
braucht man jetzt, wo ein neues Recht und straffere Ver-
waltungsgruudsätze sich geltend zu machen beginnen, vor allem
— III 71 Nr. 15; Friese-Liesegang I 2 Nr. 82; G.Qu.d. Pr. S. VI 688), er
ist magister (s. a. Beckmann VII 168).
1546—1568. Anthonius Rosenau in Zerbst, zuerst kommt er noch
ohne Titel vor (H.H.St, Arch. GAR. — IV 5 Nr. 1; K. 33 — III 71 Nr. 15;
K. 33 — III 32 Nr. 16; K. 33 — III 67 b Nr. 8, GAR. III 252 Nr. 13;
G Qu.d. Pr.S. VI 688 anm. 2; s. a. Beckmann VII S. 168.
1567 — 1600. Johann Trnckenroth unter Joachim Ernst (H. H.St. Arch.
K. 33 — III 67 b Nr. 8; K. 33 — III 69 Nr. 10; GAR. IV 27 Nr. 118;
s. ferner Beckmann VII S. 168 ff.), auch er ist gelehrten Standes (ßeckmanu
VII 169).
>) Vgl. bes. H.H.St. Arch. K. 44 — IV 60 Nr. 41 (1492): „Ich Hans
Buchener vor mich und als ein Bevollmächtigter Elizabeth meiner ehelichen
Hausfrau bekenne"; Reg. 308 (1438); er ist also verheiratet.
’) H.H.St. Arch. vol. I 461 b Nr. 3; s. pag. 82 anm. 2.
*) P. von Berge.
*) Markus Förster (Beckmann VI S. 85).
s) H.H.St. Arch. K. 33 — III 32 Nr. 16 (1540), Verzeichnis der Kleinodien
der Fürstin Margarete: „und dies Verzeichnis ist gethan bey unsers Hern
Gregorius Peschei pfarr zu Dessow, Magister Johan Rippisch l'antzler, Ernst
Melwitz marschalgh, Johan Schultz rentmeister, Caspar Drouschwitz, Adam
Bauu Sekretaire und Hansen Flunsch* ; vgl. auch Beckmann VI S. 85, VII
S. 169.
6*
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Beamte, die, womöglich durch gelehrte Studien, sich die nötige
geschäftliche Bildung erworben haben, deren Beruf eben das
Amt ist. Es sind die Anfänge des Berufsbeamtentums, die uns
hier beim Kanzleramt zuerst im anhaitischen Gebiet entgegen-
treten.
Über die Anstellung des Kanzlers ist nichts Sicheres über-
liefert, meist geht sie jedoch wohl vertragsmässig auf mehrere
Jahre ’); von einem Amtseid des Kanzlers ist auch keine Nach-
richt überkommen. Selbstverständlich ist der Kanzler stets
Mitglied des landesfürstlichen Rates, sehr oft begegnen wir
einem anhaitischeu Kanzler in irgendeiner Ratskommission *).
Die Stellung des Kanzlers ist sehr bedeutend, beim Landes-
herrn hat er wohl stets in hohem Ansehen gestanden, wie sich
aus der Menge der Verleihungen ergibt, die einzelnen Kanzlern
zuteil werden3); allerdings spricht gerade hier die Persönlich-
keit des einzelnen sehr mit*). Der Landesfürst tritt in jedem
Fall für seinen Kanzler ein, für Johannes Buchener wird z. B.
in einem Vertrage noch ganz besondere Sicherheit verlangt5).
Die Tätigkeit des Kanzlers ist äusserst mannigfaltig;
durch seine gelehrten Kenntnisse, welche andern Beamten ab-
') Ludwig Rabe wird zunächst auf ein Jahr angestellt (Beckmann VII
S. 168; Bertram-Krause II 301).
*) Reg. 294 (1436), 451 (1452), 479 (1455), 654 (1465); K. 44 — IV
101 b .Nr. 3, 1 (1485); K. 33 - III 65 Nr. 2 (1556); K. 33 — III 71 Nr. 15
(1557): K. 33 - III 67 b Nr. 8 (1567); K. 33 — III 69 Nr. 10 (vgl. Nr. 9)
(1568) (s. png. 65, 1; 66, 3; 66, 4 ; 68, 1 (75, 1)); GAR. vol. IV 27 Nr. 118
(1570), „Dienstgellt den Hoffrcthen und Hoffdienern: 114 fl. — 6 gr. — dem
Kanzler“; 1571: „57 fl. — 3 gr. — Johann Truckenrodt“ ; G.Qu.d.Pr.S.
XXVIII 1485 (1510); VI 536 (1517).
*) Reg. 283 (1435), 294 (1436), 354 (1441), 477 (1455); H.H.St.Arcb
K. 44 — IV 57 b Nr. 37 (1481), Waldemar und Sigmund von Anhalt ver-
leiben au Hans Buchener den Sleyuford : „das wir gnanten — deine gnanten
Hanse Buchenere zcu menlicheu lehen den Steynford, uuse leben frawen
wese, alda die mol, den tich unde den ortb alda, unhses Landes, der hochgebor-
nenn hertzogen von Sacbhsen — — unde unhsrer lierrscbaft scheidnnge, alda
den von Buden unde Hitzkcndorff wissende, mit allen gerichten unde rechten,
als der gnäte Hans Buchener von dem gnanten unlisem lieben vater zcu
leben insampt und besunderu zcu leben gehabt bat, gelegen haben unde lihen“.
*) Haus Buchener (pag. 82, 2).
*) Heg. 460 (1453).
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gehen, ist er nach und nach zur einflussreichsten Stellung
in der Landesverwaltung emporgestiegen. In seinen Händen
liegen fast alle geistlichen und weltlichen Angelegenheiten des
Landes, in ihm konzentriert sich die ganze Verwaltung1).
Ihren Ursprung hat seine Tätigkeit natürlich in der Kanzlei,
deren Vorstand er ist und die sein eigentliches Ressort aus-
macht. Er leitet die Geschäfte derselben, hat die Regelung
des schriftlichen Verkehrs zu überwachen; an ihn ergehen die
Beurkundungsbefehle, er veranlasst die Abfassung der Schrift-
stücke und ist dafür verantwortlich2); wichtige Urkunden
gegenzeichnet er selbst8).
Durch diese schriftliche Tätigkeit erhält er natürlich Ein-
fluss auf alle Regierungsangelegenlieiten, wird daher zu allen
möglichen wichtigen Geschäften der Hof- und Landesverwaltung
verwendet. Er gehört zur ständigen Begleitung des Fürsten,
folgt ihm auf Reisen und Kriegsfahrten4) und ist daher bei
den meisten Verträgen und Erlassen als Zeuge beteiligt5). Er
*) Bornhak S. 74; Isaaksohn S. 16ff. ; Rosentbal, Gerichtswesen S. 249,
265; Lamp recht S. 1435; v. Maurer 3. 223.
*) Reg. 354 (1441).
*) Friese-Liesegang I 2 Nr. 82 (1545).
*) H.H.St.Arch. GAR. IV 5 Nr. 1 (1547), „Landtag und gewilligte Steuer
zu Zerbst: 16 Gulden an 12 thalern Authonio liosenau zur Zerung ins
Lager gegeben“. „20 thaler durch genanten Magrn dem Kautzler und
Oswalt Rodern zur Zerung zugestelt, als sie das erst mahl für Wittenbergk
in das lager zcogen*. „16 thaler Authonio zu Zerbst gegeben, die ehr ins
krygslager vor Wittenbergk volgendc nach Bitterfeldt und darnach ghen
Ilalle gezcogen“.
6) Reg. 522 (1457), 623 , 629 (1463); G.Qu.d.Pr.S. VI 688 (1560);
H.H.St.Arch. GAR. — IV 5 Nr. 1 (1546), Vorweisung Fürst Georgen und
Joachims der Stadt Zerwist an Fürst Johanssen: „Dies ist geschehen zu
Zerbst uffm Ratbause in gegenwertickeit des Raths und gemeine daselbst
und weil hochgedachte dry fürsten daselbst uffm Rathause auch kegenwürtig
sein gewest, haben ihr f. g. bei sich gehapt den wolgebornen Herrn Graffen
zu Gleichen, Niklas Schlegel Hauptmann zu Rosslau, Hans Statius Haupt-
maun zu Zerwist, Joban Ripsch Kanzler, Oswalt Roder Fürst Georgen
Hauptmann an s. f. g. hoffe, Kaspar Knoche Hauptman zu Warmsdorf, Valtin
Schlegel Hauptman zu Lindau. Nickol Mohr Schosser zu plozick, Franz Bose,
Heinrich von Prawinkel, Balzer Schonerinark, Urbany parybs, Anthony Rose-
nau, Alex Bulz und ander mehr“.
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wird zu Gesandtschaften benutzt1), wir finden ihn als Vertreter
seines Herrn bei auswärtigen Verhandlungen 2), wie als Mitglied
der Kommissionen für die innere Verwaltung. Siud Verzeich-
nisse oder Inventaraufnahmen zu machen, so ist der Kanzler
dabei beteiligt3). Auch die Verwaltung der Lehen ist ihm
übertragen, er legt Verzeichnisse derselben an und führt die
Lehnbücher4), nimmt auch wohl selbst Belehnungen im Namen
seines Herrn vor5); gelegentlich wird er sogar mit Geld-
zahlungen für den Fürsten oder das Land beauftragt6). Der
Kanzler findet sich auch in den Kommissionen zur Aufstellung
der vom Landtage bewilligten allgemeinen Landesstcuern 7) und
vermittelt den Verkehr des Landesherrn mit den Ständen8).
In Abwesenheit des Fürsten ist er der zuständige Beamte für
wichtige Eingänge, er ist berechtigt, dieselben in Empfang zu
') H.H.St.Ärch. GAR. IV 5 Nr. 1: „(1547) 2 Gulden 14 groschen An-
thoni Rosenau, zu Torgau verzcrt, als er die Herzog Morizischen Salvegarde
geholet“. „Ausgabe vom vorigen Gelde: 205 tlialer zu Halle vor kuchen,
keller und ander notturft ausgeben vormuge magr. Fkurmuns recbnung
darunter seint die 10 thaler Antbonio zur Zerung dem keiser gben der
Nauenburgk zu uolgen“.
*) Reg. 725; H.H.St.Ärch. K. 33 — III 69 Nr. 10 (s. pag. 68, 1).
•) H.H.St.Ärch. K. 33 — III 32 Nr. 16 (1540) (s. pag. 83, 5); (1560)
„Inventar der Fürstinnen Maria und Elisabeth“. „In Beisein der Fürstin
Anna, Gemahlin Fürst Karls, Ihrer filrstl. Gnaden Hoffemeistern Christoph
Creitzen seligen nachgelassenen Witwen, also auch des Kanzlers Anthoni
Rosenau und Johann Bernhardts Kuehmoister“ ; K. 33 — III 71 Nr. 15
(1557) (s. pag. 65, 1).
‘) H.H.St.Ärch. vol. V 278 Nr. 35 Bernburgische Lehnbrieffe 1531
„Augefangen durch mich Paulus von Berge der Zeit Cantzier, Nicki Slegell
Hauptmann und Adam Ban cantzeleyschreiber“. Vol. III 275,276 Nr. 132
„dass die Zeddeln der Lehnssachen an den Kanzler gegeben werden“ (1546).
») G.Qn.d.Pr.S. VI 609 (1538).
•) Reg. 362 (1442); H.H.St.Ärch. GAR. IV 5 Nr. 1 (1546) „272 thaler
zu abfertjguug aller Soldaten Valtin Schlegel und Antbonio überantwortet,
welche dieselben hernach fürder vertheilt, vormuge einer bei verzeichnus so
vorhanden“.
r) H.H.St.Ärch. GAR. - IV 5 Nr. 1 (1547) (s. pag. 74, 1).
•) H.H.St.Ärch. GAR. — IV 6 Nr. 2, Landtag von 1555 „Antwort d.
Landstände: die von den Prelaten, Ritterschaft und von Stedten haben
E. F. G. durch ihren Kanzler, gnedige vorlesene Notel, wasserley gestalt
E. F. G. durch mancherlei Beschweruugc zu unratb kommen und wie E. F. G.
daraus zu hclffen, uudertheniglich voruommeu“.
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nehmen und dem Überbringer eine Quittung auszustellen *).
Als Vorstand der Kanzlei ist ihm die Entscheidung Uber
Stipendiatgesuche mit Uberlassen *). Da ferner die Kanzlei
zuständige Behörde für Berufungen und Urteilsausfertigungen
an Stelle eines Hofgerichtes ist3), übt der Kanzler auch eine
bedeutende richterliche Tätigkeit aus. Bei Beschlüssen des
fürstlichen Gerichts wird ihm mitunter die Ausführung über-
lassen, wie er auch für die Fixierung und Aufbewahrung der
Akten zu sorgen hat4). Auch in der Hofverwaltung hat er
eine wichtige Stimme, er hat die Befolgung der Hofordnung
mit audern Beamten zusammen zu überwachen und die Be-
strafung der Säumigen vorzunehmen s).
Namentlich aber nimmt der Kanzler im landesfürstlichen
Rat eine hervorragende Stellung ein. Er überwacht die richtige
Konzipierung der Ratsbeschlüsse und deren Ausfertigung6).
Ob er in Abwesenheit des Landesherrn den Vorsitz im Rat
geführt hat, lässt sich nicht entscheiden, doch wird ihm in
vielen Fällen die führende Rolle bei den Verhandlungen von
Räten zugewiesen. So wird ihm bei den gerichtlichen Sitzungen
der Räte in der Regimentsordnung von 1546 7) die Leitung
') H.H.St. Arch. gak. III 252 Nr. 13 (1568), Schreiben des Anthonius
Rosenan an Fürst Bernhard: „Es ist gestern Abent ein krigs Bothe in mein
Hans kuruen, und ein offen gedruckt — Mandat flberanthwort mit anzeige,
das solches alle Fürsten zu Anhalt haben sollten und gebeten, solches anzu-
nehmen — hab ichs zu mir genom und mich erboten, dasselbe E. f. g.
zuzuschickeu, hab ihn anch ein bekenntnis — Zeddel gegeben“.
*) P.u.L.O. VII Abs. 3 (1672).
') Beckmann IV 6 S. 650 (1551); s. a. Bertram-Krause II 320.
4) H.H.St. Arch. gak. III 252 Nr. 13 (s. anm. 1): „Was die Appelation-
sachen anlangte, in welchen ich neben dem Renthineistcr die Straff, so Bre-
digke gegeben, wider gefordert, dieselb in E. f. g. Kammer zu nberanthworten,
darum haben sie gebeten, sie bei altem Gebrauch zn lassen — daneben uinb
Kopey des Unheils gebeten. Als hab ich vor gntt angesehen, dass sie E.f. g.
Kopeyen von solchen vertragen oder ausznge derselben übersenden und die
Kopey des Urteils bey E. f. g. selbst suchen sollen’.
*) Hofordnung (Anhang 1).
•) pag. 84, 2.
’) H.H.St. Arch. vol. III 275/276 Nr. 132 (s. pag. 66, 1; 78, 8; 88, 1)
u. „Und dieweil als gute Regiment von Got herkompt, sol alwegs ferner im
anfang der Zusammenkunft, weil mau bey der predigt und gemeinen Kircheu-
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übertragen, er bereitet den Verhandlungsstoff vor, an ihn sind
die Klageschriften eiuzureichen. In dringenden Fällen ist er
berechtigt, das Kollegium der Räte zusammenzurufen, vor jeder
Sitzung hat er oder ein Sekretär das Gebet zu sprechen —
wohl noch ein Überbleibsel des ehemaligen geistlichen Standes
der Kanzleibeamten — , er ist auch im Besitze eines der drei
Schlüssel zu dem Aufbewahrungsort des Siegels für die Be-
urkundung der Beschlüsse1). Gerade eben die Regiments-
ordnung des Fürsten Johann von 1546 zeigt deutlich, wie un-
entbehrlich der Kanzler in der ganzen Verwaltung ist. Für
die Zusammensetzung der Regimentskommission werden hier
sechs Personen vom Adel und Bürgerschaft „neben unsern
Kantzier, so wir zu ider Zeit haben“ verordnet, der Kanzler
soll also auf jeden Fall bei der Regierungsvertretung dabei
sein *).
Die Besoldung des Kanzlers besteht, wie bei allen Be-
amten in den anhaitischen Territorien, im 15. Jahrhundert
durchaus noch in Überweisung von Lehengütern und sonstigen
Verleihungen3), wie z. B. von einzelnen Regalien, Wegegeld,
Gerichten u. dgl.4); bisweilen geschieht dies in erblicher Be-
lehnung5). Seit der Mitte des 16. Jahrhunderts erst erhält er
festes Gehalt in Geld, das im Jahre 1570/71 pro Jahr 57 fl.
3 gr. betragen zu haben scheint6). Ausserdem bekommt der
gebeten nicht sein kan, der Cautzler oder Sekretaritis ein psalmen — nach-
einander ader ein stuck aus dem Evangelisten den andern kurtzlick furlesen
und darnach den heiligsten Vater — treulich anruffen“.
•) H.H.St.Arcb. vol. III 275/276 Nr. 132 „So aber Vorschreibung mit
anhangenden Insiegeln zu befestigen, das selbe sigel, so sonderlich darzn ge-
ordnet, soll in ein sonder ort nuder dreyeu Schlüsseln, deren der Hauptmann
einen, der Kautzler einen und der jüngste unter Inen einen habe, an-
gehangen werden“.
*) pag. 70, 3.
») Eeg. 204 (1436), 205 (1436), 477 (1455); H.H.St.Arch. K. 44 — IV
57 b, 37 (1481); K. 44 — IV 60 Nr. 41 (1402).
*) Besonders Keg. 477 (1455).
5) Reg. 204 (8. H.H.St.Arch.): „dem vorsichtigen Johannes Buchener
unserrn lieben getrnwen und heymlichen zeu libes lehnerbin unde ouch durch
sines getruwen dienstes willen, den er uns getan hadt und thun uiagk“.
•) H.H.St.Arch. GAR. — IV 27, 118: „1570: 114 11. 6 gr. — dem
Kanzler; 1571: 57 11, 3 gr. Johaun Truckenrodt. Dass das Jahrgehalt 57 U.
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Kanzler natürlich freie Beköstigung und Kleidung *), bei Reisen
besondere Zulagen zur Wegzehrung und sonstige Vergütungen2).
2. Natürlich kann der Kanzler nicht alle Geschäfte der
Kanzlei allein erledigen oder auch nur annähernd deren Aus-
führung überwachen. Er hat nur die Leitung der Kanzlei, die
Ausführung der einzelnen Arbeiten, wie Konzeption der Ur-
kunden u. dgl. ist Sache seiner Unterbeamten3). Auch diese
scheiden sich wohl in einige, gewissennassen mittlere Beamte
und die grosse Zahl der einfachen Schreiber, die „Kanzleiver-
wandten“, wie sie einmal genannt werden4). Nur erstere be-
gegnen öfter in den Urkunden. Sie führen den Titel Sekre-
täre oder Kanzleischreiber5). Die alte Bezeichnung
„Schreiber“ im Sinne des selbständigen Kanzleibeamten ver-
schwindet bald Dach dem Auftreten des Kanzlers6), der Titel
„notarius“ kommt nur noch einmal im Jahre 1460 vor7). Die
Kanzleischreiber werden ebenfalls weltlicher Herkunft gewesen
sein und tragen bürgerliche Namen *).
3 gr. um! nicht 114 tt 6 gr. betragen hat. geht aus der annähernd gleichen
Hübe der Gehälter der übrigen oberen Beamten wohl ziemlich sicher hervor
(pag. 102 anm. 3; pag. 108, 109, 8; pag. 133 anm. 9).
>) H.H.St. Arch. GAB. — IV 27, 118: ,1571: für Stiefeln 2 fl. — dem
Cannzler*.
*) H.H.St. Arch. GAB. IV 5 Nr. 1 (1546) (a. pag. 85, 4; 86, 1) n. „26 Gul-
den 14 groschen an 20 thalern Urbano paryhs aus bewehlich Fürst Georgen
überantwort, dieselben fürder Oswalt Kodern und Anthonio zu Halle zu
ubergeben1. „20 thaler hat Urbanus paryhs mit sich ghen Halle gefhurt
und folgendes Oswalt Bodern und Anthonio zugestalt, welche sie dau auch
vorzert, vormuge ihrer gehaltenen reclmung“.
*) Schröder, Bechtsgeschichte S. 816; Lüdicke S. 51; Isaaksohn S. 20;
Schtnoller S. 65; Bosenthal S. 271.
*) Vgl. H.H.St. Arch. vol. III 233 Nr. 1 uud 2 (16.Jabrh.) .desgleichen
auch, wo denn Kanzleirerwandten ader Hofgesinde ein verwandter zur Hauss
kommen — wolt“.
*) Reg. 379 (1444); G.Qu.d.Pr.S. VI 643 (1547), 609 (1538); XXV11I
1210 (1502); H.H.St. Arch. vol. V 278 Nr. 35 (1531) (s. pag. 86, 4); K. 33
— III 32 Nr. 16 (1546) (s. pag. 83, 5); K. 33 — III 69 Nr. 10 (1568)
(s. pag. 68, 1); GAB. — IV 5 Nr. 1 (vgl. pag. 90, 6) (1547); die Über-
einstimmung der Bezeichnungen zeigt G.Qu.d.Pr.S. VI 609 uud vol. V 278
Nr. 35.
*) Keg. 719 (1470).
’) l»ag. 17, 3.
*,i Namentlich angeführt sind folgende:
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Ihre Tätigkeit beschränkt sich im wesentlichen auf die
Geschäfte der Kanzlei, sie erledigen die laufenden schriftlichen
Arbeiten und haben auch wohl hier eine gewisse Selbständig-
keit1). Treten sie einmal als Beurkundungszeugen in der
Öffentlichkeit auf, so ist es fast stets in Gegenwart des Kanz-
lers oder sonst eines hohem Beamten: so bei Verträgen, Lehns-
verhandlungen u. dgl. , wo sie also jedenfalls als Protokoll
führer beteiligt sind2); gelegentlich werden sie auch Gesandt-
schaften beigeordnet3). Ganz unbedeutend ist aber ihre Stel-
lung doch nicht; auch sie können dem landesherrlichen Rat
angehören4) und zu recht wichtigen Geschäften verwendet
werden. So ist z. B. in der Regentschaftskommission, die im
Jahre 1546 eingesetzt wird, auch ein Sekretär nicht ganz un-
wesentlich beteiligt b), er scheint hierbei zur Unterstützung und
Vertretung des Kanzlers verordnet zu sein; und auch den
Rechnungskommissionen, welche die vom Landtag bewilligten
Steuern zu verwalten haben, werden gelegentlich Sekretäre
von seiten des Fürsten beigegebeu e).
1444. Nikolaus Freder (Reg. 379).
1531—1547. Adam Ban (fl. H. St. Arch. vol. V 278 Nr. 35; K. 33 —
III 32 Nr. 16; GAR. IV 5 Nr. 1; G.Qn.d.Pr.S. VI 609).
1547 — 1568. Johann Keller (G.Qu. d. Pr.S. VI 643; H.H.St.Arch.
K. 33 — III 69 Nr. 10). Ob der H.H.St.Arch. GAR. IV 27 Nr. 118 er-
wähnte Sekretair Ulrich Kanzleiheamtcr ist oder Rcntbeamter, ist fraglich.
') H.H.St.Arch. vol. V 278 Nr. 35 (1531) (s. pag. 86, 4).
*) G. Qu. d. Pr.S. VI 609 (1538), 643 (1547); H.H.St.Arch. K. 33 — III
32 Nr. 16 (s. pag. 83, 5) (1540).
*) H.H.St.Arch. K. 33 — III 69 Nr. 10 (s. pag. 68, 1) (1568).
•) H.H.St.Arch. K. 33 — III 69 Nr. 9 und 10 (1568) (s. pag. 68, 1;
75, 1) ; Reg. 379 (1444).
5) pag. 66, 1 ; 87, 7.
*) H.H.St.Arch. GAR. IV 5 Nr. 1 (1547), , Auszugk der verordneten
einnahmen der gewilligten Landtsteuer, welcher verordenter seiut gewesen
Er Johan papa, probst zu Hecklingenn, Lorenz Zinck und Georgen Walwitz,
Christoph — ? — und Lorenzen vom Berge Bürgermeistern, Adam Bahne
und Johan Mertcnn“; GAR. — IV 6 Nr. 2, Landtag von 1555. „Und damit
diese gewilligte Steuer — — Rechnung gethau, so haben alle Stände ein-
mftthiglich zu der Herrschaft gestelt, Ihre FUrstl. Gnaden solches auch ge-
williget, zwene von der Ritterschaft, zwene wegen der Städte und Landschaft
zu erwehlen, auch von lhrentwegen einen oder zwene Sekretarien zuzngeben,
welche die Zeit Uber der wehrenden Steuer dieselbe Üeissig — — einsamlen.
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Als Besoldung erhalten wohl auch die Sekretäre seit der
Mitte des 16. Jahrhunderts Geld, und zwar jedenfalls 15 fl.
pro Jahr 1570/71 *), daneben aber haben die Kanzleibeamten
noch andere Einnahmen, indem sie. Briefe auch für andere
Leute schreiben und sich bezahlen lassen 2). So können sie
für die Ausstellung von Lehnbriefen eine Geldentschädigung
beanspruchen, für die eine ganz bestimmte Taxe festgesetzt
ist, wenigstens seit dem 16. Jahrhundert (1520) 8).
/ 1 ) Die Beamten der Finanzverwaltung.
1. Die Finanzverwaltung scheint im 15. Jahrhundert im
anhaitischen Gebiet noch nicht selbständig gewesen zu sein,
jedenfalls kommen noch keine eigenen Beamten dafür in den
Urkunden vor. Wahrscheinlich wurden die Geldgeschäfte von
der Kanzlei damals mit besorgt, denn wir finden den Kanzler
ja auch derartig tätig4).
In einem Schriftstück aus dem Anfang des 16. Jahr-
hunderts wird einige Male ein Kammermeister erwähnt.
Derselbe ist jedenfalls Finanzbeamter gewesen5); ob er aber
dieselbe Stellung eingenommen hat wie nachher der Rentmeister,
lässt sich nicht feststellen, da er sich später nicht wieder findet.
Eine bestimmte Besserung ist im anhaitischen Finanz-
wesen erst seit den 40 er Jahren des 16. Jahrhunderts nach-
zuweisen. In dieser Zeit wird zuerst eine feste Rentkammer
in Verwahrung nehmen und zu Ihrer Fiirstl. Gnaden Nothdurft gebrauchen
sollen“ (s. n. Codex Anhalt. Minor. 8. 8).
l) «AR. — IV 27 Nr. 118 „1570 : 30 fl. — dein Sekretario Ulrich; 1571:
15 fl. — dem Sekretario Ulrich“ (vgl. pag. 88 aum. 6).
*) G.Qu.d. Pr.S. XXVIII 1210 (1502).
*) Jänicke S. 55 und 56 (1520).
*) pag. 86, 6; s. a. Wintterlin S. 31.
3) H. H.St.Arch. vol. III 233 Nr. 1 und 2, Haushaltnngsverzeichnis:
„s. pag. 73, 9 und 79, 5 — verspeist werden — und jedessmals Kamcrraeister
und Hansshovemeister Ihr anffmerkhens und nussteilens haben*. Es ist aller-
dings möglich, dass der Kammermeister nur andere Bezeichnung für Küm-
merer ist, doch scheint es mir nicht so glaubwürdig, da in demselben Schrift-
stück noch ein Kämmerer besonders erwähnt wird“ (s. pag. 107, 3); vgl. in
andern Territorien: Isaaksohn S. 9; Bornhak S.53; B. Meyer S. 78; Rosenthal,
Gerichtswesen 8. 249; „die Behördenorganisation Kaiser Fcrdinnnds I“ (Archiv
für österreichische Geschichte Bd. 69, Wien 1887) S. 106; Wintterlin S. 33 ff.
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erwähnt1), und sämtliche Geldgeschäfte werden der Oberauf-
sicht eines eigenen Beamten übertragen. Dieser führt den
Titel Rentmeister*). Er scheint also an die Stelle des Kam-
mermeisters getreten zu sein. Von einem scharf ausgeprägten
Gegensatz in der Tätigkeit beider, wie er in Brandenburg sich
findet8), kann in den anhaitischen Territorien nicht die Rede
sein, da beide Beamte ja niemals zu gleicher Zeit Vorkommen,
ebensowenig von einer Überordnung des einen4).
Der Rentmeister stammt durchgängig aus dem bürger-
lichen Stande5), ist auch wohl gelehrter Bildung6). Man sieht,
wie auch hier wieder ein neues Amt von vornherein mit Bür-
gerlichen besetzt wird. Der Rentmeister ist wohl nicht ohne
') H. H.St. Arch. vol. V 275 b Nr. 19 (1660): .Wir Joachim, Fürst z. A.,
— — geloben item genannten unsern gläubiger, Haunssen vou Zeynitz, solche
Hauptsnmma der ftinffhnndert guldeun jerlieh mit fuuff und zwantzigk
guldenn gleicher wehrnng auss unser Kammer oder Rentcrey allhier unvor-
zoglich zu uorzinsen“ ; GAR. vol. IV 6 Nr. 3, Landtagsabscbied von 1561
„Uf das solche Steuern iun Irer f. g. Kammer nicht gegeben, sondern wie
gemclt allein hierzu gebraucht werdenn' (s. a. Codex Anhaltinus minor S. 13).
*1 LUdickc S. 61, 74; Jakobs, Alter und Ursprung S. 104, 107; Spahn
S. 20; Rachfahl S. 74; Rosenthal, Gerichtswesen S. 28911.; v. Maurer S. 245;
Stülzel, Gelehrtes Richtertum S. 154 ff.
*) Bornhak S. 53; Isaaksohn S. 10.
4) Rosenthal, Gerichtswesen S. 461.
*) Mit Namen angegeben sind folgende Inhaber des Amtes:
1540—1547. Johann Schultz (H. H.St. Arch. K, 33 — III 32 Nr. 16;
GAR. — IV 24 Nr. 93, GAR. IV 6 Nr. I).
1547—1574. Magister Wolfgang Fuhrmann, er tritt im Jahre 1547
noch ohne Titel auf (H. H.St. Arch. GAR. IV 5 S. 1; Kammerinstruktion (An-
hang 3).
1557 — 1564. Urbanus Otte (II. H.St. Arch. K. 33 — III 71 Nr. 15;
GAR. vol. IV 6 Nr. 3).
(1560)— 1574. Alex Pultz (H. H.St. Arch. Rentmeisterordnung (An-
hang 4), 1560 ist er noch Sekretair (G.Qu.d. Pr.S. VI 688); 1547 wird er
noch ohne Titel erwähnt (GAR. IV 5 Nr. 1 [s. pag. 85, 5])).
1570. Johann Troldenier (H.H.St. Arch. GAR. III 27 Nr. 118: »des
durchlauchtigen Fürsten Herrn Joachim Ernstcnn Renterei fiinnam und ans-
gab, durch mich Johann Troldenier seiner f. g. Diener gehaltenn* : s. a. Beck-
mann VII S. 190);
vgl. dazu Jakobs, Alter und Ursprung S. 107; Roseuthal, Gerichtswesen
S. 289; Stülzel, Gelehrtes Richtertum S. 155.
*) Wolfgaug Fuhrmann.
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weiteres in sein Amt gekommen, sondern schon früher in der
Rentkammer als Sekretär oder sonst irgendwie mit Finanz-
sachen beschäftigt; jedenfalls lässt sich dies mehrmals nacli-
weisen l). Auch der Rentmeister ist Mitglied des landesfürst-
lichen Rates8).
Bis zur Einigung der anhaitischen Territorien im Jahre
1572 führt in den einzelnen Gebieten je ein Rentmeister die
Finanzgeschäfte der landesherrlichen Verwaltung, mit dem
Jahre 1574 werden sämtliche Ämter zur Hofhaltung geschlagen
und ihre finanzielle Verwaltung der Hofkammer unter Leitung
ihres Vorstandes übertragen, dessen Titel nicht weiter erwähnt
wird, in dem wir aber den eigentlichen früheren Rentmeister
zu selieu haben8). Es findet sich also auch nur wieder ein
oberster Finanzbeamter, der andere Rentmeister wird dadurch
entschädigt, dass ihm die Verwaltung eines Bezirksamtes über-
tragen wird1).
Die Tätigkeit des Rentmeisters erstreckt sich auf die Ver-
waltung sämtlicher Einnahmen und Ausgaben des Hofes wie
des Landes 6), eine prinzipielle Scheidung der persönlichen Ein-
künfte des Fürsten und der Laudeseinnahmen gibt es noch
nicht6). Alles fliesst in die Kammer oder Renterei, deren
Vorstand der Rentmeister ist; nur etwaige vom Landtag aus-
geschriebene Steuern werden nicht der Kammer überwiesen,
sondern von einer eigenen Kommission aus dessen Mitte ver-
waltet, in der aber doch immer mindestens ein oder zwei Ver-
treter des Landesherrn sitzen 7).
*) W. Fuhrmann uni Alex Pultz (pag. 92, 5).
*) H.H.St. Arch. K. 33 — III 71 Nr. 15 (s. pag. 65, 1).
’) s. Kammerinstruktion (Anhang 3).
*) s. Rentmeisterinstruktion (Anhang 4).
i) Bornhak S. 53; Isaaksohn S. 9 ff.; Jakobs, Alter und Ursprung
S. 104 ff.; Rosenthal S. 289 ff. ; Schröder, Rechtsgeschichte S. 610; Wint-
terlin S. 33 ff.
*) s. a. Isaaksohn S. 11.
’) H.H.St.Arch. GAR. vol. IV 5 Nr. 1, Landtag von 1547. .Erlass über
Erhebung der Steuer: Und damit solches be<iuemlich und füglich eingebracht
werde, so sollen die Prelaten, Ritterschaft und Stelle jeder Stand besonder
macht haben zweuc aus Ihnen zu vorordnen, welche die andern unsere ver-
wandten jeden sonderlich zu getreuer erlegung Ires teils Steuer hei iren
pflichten auhnlten und neben deu uuseru, so wir darzu schicken werden,
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Der Rentmeister ist das Kontrollorgan für alle Gebiete
der fürstlichen Verwaltung. Ihm ist die Verrechnung der
Ämter übertragen1). Jährlich muss er „neben andern“ die
Rechnungen der Amtleute revidieren und, wenn sie richtig sind,
dem Laudesherrn darüber Bericht erstatten; sämtliche Rech-
nungen hat er „in ein kästen wol verwarlich“ zu behalten.
Desgleichen hat er die Rechnungen der Handwerksleute mehrere
Male im Jahr abzunehmen und zu begleichen, wie auch mit
dem Marschall wöchentlich über die Hofhaltung abzurechnen *).
Ferner ist der Rentmeister oberster Kasseubeamter, alle Geld-
sachen gehen durch seine Hand s). Geldüberschüsse der Ämter
sollen an ihn abgeliefert werden, er hat über die Einnahmen
Buch zu führen und genaue Verzeichnisse anzulegen, die mit
den Rechnungen der Ämter stimmen müssen. Auch gericht-
liche Gelder zieht er ein4). Ebenso hat er die Richtigkeit der
Ausgaben zu überwachen, er selbst oder sein Unterbeamter
hat alle Zahlungen zu leisten. So geht die Besoldung der Be-
amten und sonstigen Leute durch seine Hände, die er besonders
pünktlich entrichten soll4). Auch die ganzen Ausgaben für
Küche, Keller und Hofhaltung sollen, wenn irgend möglich,
in der Renterei, und zwar „wie es teglich furkompt“ bezahlt
werden6). Ebenso ist dem Rentmeister die Regelung der
solche gewilligte Steuer ader Nothulffe eiusamtneln“ ; GAR. — IV 6 Nr. 2
(8. pag. 90, 6) (1555); GAR. — IV 6 Nr. 3,4 (1564, 1508) (s. pag. 74, 1); 8.
a. pag. 92, 1.
') Vgl. besonders Kammerinstruktion (Anhang 3), etwaige sonstige
Stellen werden besonders vermerkt.
s) H.H.St.Arch. vol. III 234 Nr. 6, Hofhaltung Fürst Bernhards (1570):
„Uml die Rechnung von Küche, auch vom Keller und Becker soll wöchent-
lich vom Marschalch Magister Wolff geuchmenn und uns fürder berichtet
werden“.
*) Kammerinstruktion (Auhang 3).
*) H.H.St.Arch. gak. III 252 Nr. 13 (1508) (s. pag. 87, 4).
6) Kammerinstruktion und II. H. St. Arch. GAR. — IV 5 Nr. 1 (s. pag. 85, 4,
86, 1).
•) Kammerinstruktien; H.H.St.Arch. GAR. — IV 5 Nr. 1 (1547) „Aus-
gabe vom vorigen Gelde: 120 thnler durch Magi wolfgang fburman im felt-
lager vor witteubergk in die kttcheu und ander der Herren notturft aus-
gebeu, wie ehr den solches zu einem register stuckweis vorzeichent und zu
berechnen erbotig“; und pag. 86, 1.
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landesfürstlichen Schulden übertragen, von ihm fordern die
Landstände die Schuldverzeichnisse ein, er stellt dafür „Qui-
tanzen“ aus *). Natürlich hat er auch über diese ganzen Aus-
gaben genaue Verzeichnisse „nach den Tittel und Posten“ an-
zulegen2); ja, es wird ihm hierin nicht immer völlig freie
Hand gelassen, vielmehr wird in der Kammerinstruktion be-
stimmt: „Es wollen auch s. f. g. sonderlich daran sein, dass
M. Wolff in allen Posten, wass ausszugeben sein mögen, ein
gewissen beuehlich von s. f. g. erlange“. Andererseits kann
aber auch der Rentmeister nicht ohne fürstlichen Befehl ge-
zwungen werden, Geld auszuzahlen oder etwa zu verleihen 3).
Auch die Verwaltung der liegenden Gelder ist Sache des Rent-
meisters, er scheint hierbei auch die von den Landständen be-
willigten Steuern aufbewahrt zu haben4).
Überhaupt ist es wahrscheinlich, dass die Beamten der
Rentkammer auch bei der Verwaltung der von den Landtagen
zu erhebenden Steuern wesentlich beteiligt sind. Jedenfalls
ist der Rentmeister häufig in der zu diesem Zwecke ernannten
Kommission tätig5), wird auch bei den Aufstellungen der ein-
zelnen Abrechnungen mehrfach erwähnt®). Interessant ist
hierfür der Landtagsabschied von 1579, in dem ganz besondere
Bestimmungen für die Tätigkeit des Rentmeisters erlassen
werden 7). Derselbe ist hiernach den einzelnen Landschaftsaus-
') H.H.St. Arch. GAR. — IV 6 Nr. 3, Landtag von 1564: „wie dann
zu iderzeit von Irer f. g. bestallten Rentmeister Inen vorzeichnusse sollen ge-
geben werden, welche schulden am dreuklichsten angelegenn sein, dieselbcun
abzulegen, dnkegen Quitanzen zu entpbahenn und mit vorschreibuugen und
Quitanzen, do es die Landtschaff furdcrnn wurde, zu bercchenn“.
*) Kammerinstruktion; ferner pag. 86. 1; 34, 6; anm 1.
*) Kammerinstruktion (Anhang 3).
4) H.H.St. Arch. (»AR. — IV 5 Nr. 1 (1546/1547): „Vorgemelt Rest ist
vorhanden: 300 thaler bey Magro wolfgang fburmann seiner selbs anzeig
nach vorhanden"; „400 thaler beim Rentmeister vorhanden, so llillcbrant
von Schneidebergk geliehen hat“; „18 thaler beim Rentmeister vorbanden
von den 52 thnlern so Nickol Schlegel von Halle bracht“ ; ,3 thaler einig
1. ort, so Urbany dem Rentmeister zngestalt von den 4 tbalern von Zesing“.
s) H.H.St. Arch. GAR. — IV 5 Nr. 1 (1547) (s. pag. 74, 1); GAR. —
IV 6 Nr. 3 (pag. 74, 1) (1564).
•) H.H.St. Arch. GAR. — IV 5 Nr. 1 (s. pag. 04. 6; 85,4; 86, 1; anm. 4).
’) Codex Anhaltmus Minor S. 17. Ich ziehe diese Stellen, die eigentlich
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schlissen eidlich verpflichtet. Besonders ist ihm die Führung
der für die Steuerverwaltung nötigen Bücher übertragen, die
Zahlungen leistet er nach einem Verzeichnis, das ihm alle
Vierteljahr versiegelt und unterschrieben zugestellt wird. Hier-
über hat er dann im nächsten Quartal Rechenschaft abzulegen,
wie er auch alle Jahr zu bestimmter Zeit vor dem engeru und
vor dem grossen Ausschuss seine Rechnungen vorlegen muss.
Infolge seiner Tätigkeit hat natürlich der Rentmeister
einen bedeutenden Überblick über den Zustand und die Lei-
stungsfähigkeit des Landes. Er wird daher auch vielfach mit
der Erledigung innerer Angelegenheiten der Verwaltung be-
traut, teils allein teils als Mitglied irgendeiner Kommission.
Namentlich bei Besitzaufsteliungen ist er stets beteiligt; er
macht die Haushaltungsanschläge der einzelnen Bezirksämter1),
richtet die Vorweisregister über ihre Benutzung ein8). Wird
irgend ein Verzeichnis, von Kleinodien u. dgl., angelegt, so ist
der Rentmeister dabei3), und selbst die Überwachung der Hof-
ordnungsbestimmungen wird ihm mitübertragen4). Der Rent-
meister dringt sogar derartig in die Verwaltung des Landes
ein, dass ihm gelegentlich auch die alleinige Verwaltung eines
Bezirksamtes anvertraut werden kann 5).
Die Besoldung des Rentmeisters besteht in Geld, im Jahre
ausserhalb des bestimmten Zeitpunkts liegen, mit heran, weil sie gerade über
diese Seite der rentineisterlichen Tätigkeit gute Aufschlüsse bieten. Es
wäre ja möglich, dass der hier erwähnte Rentmeister ein eigener Beamter
der Stände ist, doch glaube ich es nicht, da er wohl dann schon in den
früheren Landtagsabschieden erwähnt wäre, während gerade dort stets nur
der landesfürstlichc Reutbeamte auftritt. Der einmal hier begegnende Titel
Landrentmeister könnte irre machen, doch ist, glaube ich, damit nur der all-
gemeine Rentmeister gemeint.
') H.H.St.Arch. GAR. IV' 24 Nr. 93 (1546) „Anschlag des Amtes Zerbst:
Dieser Anschlag ist auf der — — Fürsten Hern Johanses, Hern Georgens
und Hans Joachims befehlich, durch uns ihrer f. g. underthenige Diener
Johannen Schulzen Rentmeister und Urbanuiu parjhs Sekretniren nach unserrn
besten Vormugen — gemacht und vollendet“.
a) H.H.St.Arch. K. 33 — III 71 Nr. 15 (pag. 65, 1).
J) H.H.St.Arch. K. 33 — III 32 Nr. 16 (pag. 83, 5).
*) Hofordnung (Anhang 1).
s) Rentmeisterinstruktion (Anhang 4); s. a. Stölzel, Gelehrtes Richter-
tuin S. 158.
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1570/71 jährlich 57 fl. 3 gr.1); ausserdem wird auch er freie
Kleidung und Beköstigung erhalten haben.
2. Zu seiner Unterstützung ist dem Rentmeister ein Se-
kretär oder Kammermeister2) beigegeben, der wohl meist
auch sein Nachfolger wird 3). Auch er ist bürgerlichen Standes,
vielfach wird er einfach nur mit dem Vornamen angeführt4).
Er hilft dem Rentmeister in der Aufstellung der Verzeich-
nisse6) und ist vor allem Kassenbeamter, der die Zahlung der
Gelder unter sich hat, auch bisweilen mit wichtigen Geldsen-
dungen nach auswärts geschickt wird6). Besonders die Re-
gelung der Ausgaben ist sein Ressort. Vom Rentmeister wird
ihm jedesmal eine grössere Geldsumme zngestellt, von ihr be-
streitet er die laufenden Ausgaben, bis sie vergeben ist7).
Natürlich hat er hierüber Buch zu führen. Seine Besoldung
besteht wohl wie die der Kanzleischreiber in 15 fl. pro Jahr
1570/71 *), daneben in Verpflegung und Kleidung am Hofe.
B. Die Hofverwaitung.
a) Die Beamten der Hofhaltung.
Die Hofverwaltung hat im 16. Jahrhundert durchaus ihre
eigenen Beamten, die mit den Landesangelegenheiten gar nichts
*) H.H.St.Arch. GAB. IV 27 Nr. 118: Dienstgeltt denn Hoffrethcn und
Hoff dienern : 57 fl. 3 gr. — dem Bendmeister (1570); 57 fl. 3 gr. — dem
Beudtmeister (1571).
*) Hacbfahl S. 74 ; Wintterlin S. 34; Jakobs, Alter und Ursprung S. 111;
Bornhak S. 53.
•) Vgl. pag. 92, 5.
*) Namentlich zu belegen sind folgende:
1546 — 1547. Urbanus Paryhs (vgl. H.H.St.Arch. GAB. IV 24 Nr. 93
(s. pag. 95, 1); GAB. IV 5 Nr. 1 (s. pag. 74, 1; 85, 5; 89, 2).
1574. Benediktus (vgl. Kammerinstruktion, ßentmeisterinstrnktion,
Statthalterinstruktion (Anhang 3, 4, 2)).
ev. 1570. Ulrich (vgl. pag. 89, 8; 91, 1).
•) Vgl. H.H.St.Arch. GAB. IV 24 Nr. 93 (1546) (s. pag. 96, 1); GAB.
— IV 5 Nr. 1 (1547) (s. pag. 74, 1).
') Vgl. H.H.St.Arch. GAB. IV 5 Nr. 1 (1547) (s. pag. 89, 2; 95, 4);
„Ansgaben: 1 tbaler hat Urbanus paryhs zu — Oswalt Bodern ausgebeu
für profartt Briefe bei dem Herzoge von Alba im Lager“.
7) Vgl. Kammerinstruktion (Anhang 3).
-) Vgl. pag. 89, 8.
Schrecket*, Beamtentum ln Anhalt 7
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zu tun haben. Dieselben sind jetzt mehr oder weniger persön-
liche Hausbeamte des Fürsten.
a) Von den alten Hofämtern findet sich nur das des Mar-
schalls1) in annähernder Bedeutung wieder, aber auch in
dessen Befugnissen hat sich vieles geändert und vermindert.
Urkundlich nachweisbar ist ein Marschall erst wieder im Jahre
15408), vorher im 16. Jahrhundert und im ganzen 15. habe ich
keinen Inhaber des Amtes erwähnt gefunden; ob es inzwischen
gar nicht vorhanden gewesen ist, lässt sich jedoch nicht be-
stimmt sagen. Die Bezeichnung ist gewöhnlich „Marschall“
oder „ Marschalch “ , einmal findet sich auch der Titel „hoeff-
marschalch“ 3). Seinem Stande nach gehört der Marschall
der landsässigen Ritterschaft an, die Inhaber des Amtes
tragen wenigstens stets die Namen anhaitischer Adelsge-
schlechter 4).
Die Tätigkeit des Marschalls ist durchaus auf die Hofver-
waltung beschränkt, mit den Angelegenheiten des Landes hat
er direkt nichts mehr zu tun. Dass er sich nicht einmal als
Mitglied des landesfürstlichen Rates nachweisen lässt, mag in
dem verhältnismässig seltenen Auftreten des Marschalls in den
Urkunden seinen Grund haben.
In der Hofhaltung ist aber der Marschall der eigentliche
Leiter, nur noch der Haushofmeister oder Hauptmann haben
gelegentlich gleiche Befugnisse6). Die ganze Verwaltung des
') Isaaksahn S. 14; Kosenthal, Gerichtswesen S. 230 ff. , 246ff.; Wint-
terlin S. 13; v, Wretschko S. 183 ff. ; Fellner S. 275; v. Maurer S. 273, 288.
») H. H. St. Arch. K. 33 — III 32 Nr. 16 (s. pag. 83, 5).
*) G.Qu.d.Pr. S. VI 688 (1560).
*) 1540. Ernst Melwitz (H.H.St. Arch. K. 33 — III 32 Nr. 16
(s. pag. R3, 5).
1547. Hans von Sleiniz (H. H. St. Arch. GAR. IV 5 Nr, 1. „400
thaler von petcrn Hillebrandt zu Schneidebergk , davor Hans vou Sleiniz
Marschalk und Ernst von Walwiz sich als Burgen verschrieben1'.
1560. Heinrich von Prawinkel (G.Qu. d.Pr.S. VI 688), er kommt
schon 1546 ohne Titel vor (s, pag. 85, 5).
1570. Wolff Pagke (H.H.St. Arch. GAR. IV 27 Nr. 118. „22 fl.
18 gr. Wolff Pagke dem Marschalch zur erfullung seiner zwey Iherigen be-
soldung, wie dau im Register des vorigen Jahrs nicht mehr als 100 thaler
zu befinden, do ihme 120 thaler geburtt“.
s) s. pag. 102 ff„ 104 ff.
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Hofes ist ihm übertragen '). er hat gewissennassen die Ämter
aller andern früheren Hofbeamten in seiner Hand vereinigt
und ist der Vorgesetzte aller niedern Hofbeamten. Er hat die
Aufsicht über die Küche wie den Keller®); wöchentlich gibt
er dem Küchenschreiber seine Verordnungen, setzt den Speise-
zettel fest, macht die nötigen Bestellungen und legt pro Woche
die Rechnungen vor3). Auch die Schenken und Becker sind
seinen Anordnungen unterstellt4), er hat die Aufsicht über
Futterkammer5) und Marstall, nur mit seiner oder des Hof-
*) H.H.St.Arch. vol. III 234 Nr. 16 (1570): Hofhaltung des Fürsten
Bernhard (H.O.).
•) H.O.: „Erstlich KUchenordnungk: Der Küchschreiber oder wem die
Kuchelenn wirdt, soll in der Küchenn der Oberste sein, in den Kucbenn zu
schaffen und zu gebieten haben, doch nach wöchentlich Verordnung unsers
Hauptmanns und Marschalks und dann nach nnserm selbst und des Marschalks
jeglichem u. sonderlichen Befehl. Demselben Knchschreiber sollen die Kochs
und KUchennjung gehorsam seinn.
Es sollen auch die Kochs keinenn gewandertenn Koch in die Knch
führen, anch hinnach nicht speisen ohne Verlaub des Marschalchs.
Was auch in der Kucbenn mangeln wirdt, soll der Kncheuschreiber dem
Marscbalch zeitlich auzeigen, Bestellung darnach zu thun, wie sich dann
sonst zu jeder Zeit der Kuchenschreiber mit dem Marscbalch unterreden soll,
was er soll speissen, und wenn gleich etwas vorhanden, was man zur not-
tnrfft bedarf, soll mit allem Vleis vom KUchenschreiber und Koch dahin ge-
trachtet werden, vom Marschalch darüber gehalten werden, dass nichts Un-
nützes verspildet, sondern einem jeden die Notdurft gereicht, Überfluss —
— vermieden werde1’.
„Kellerordnung: Es soll niemand weder in der Herren noch Speise
Keller gehen, allein der Hauptmann und Marscbalch und Befehlbabere be-
stellens halben“.
•) H.O. (s. pag. 94, 2).
4) H.O. „So sol ancb der Schenke keinen Hewen zu vyl nenteu ohne
Vorwissen und Besichtnng das Hauptmanns und Marschalks.
Es sollen auch Schenken und Becker nichts ausser dieser Ordnung thun,
es werde Ihnen denn beuehelenn, dass es mit Vorwissen unsere, des Haupt-
manns und des Marschalks geschehe.
und sonst soll er (der Bäcker) auch mit den Speisen unterscheiden und
die alte gewohnheit nach Anweisung des Hauptmanns , Marschalks und Be-
fehlsbabere bleiben lassen.
Und soll in Summa des Backens mit vleis wartten, ander Ding müssig
gehen, darauf!' der Hauptmaun und Marschalk gnt Achtung geben wirdet“.
s) H.O. „Fntterordnnng: Und uff solch Futter soll der Komschreiber
7*
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100
meisters Erlaubnis darf der Stallmeister Pferde ausrangieren
und verkaufen1); auch Vorwerk und Fischereien fallen in
seinen Befehlsbereich 2). Überhaupt hat der Marschall für das
ganze Getriebe auf dem Hofe zu sorgen; den Verkehr im
Hofe muss er überwachen3), ohne sein Wissen darf der Tor-
wärter niemand einlassen *), fremde Personen sind bei ihm an-
zumelden, er hat dann darüber Entscheid einzuholen und un-
rechtmässige Eindringlinge hinunter zu weisen5). Abends hat
er nach den Feuerstellen und Lichten zu sehen6), und während
der Nacht die Schlüssel zu den Toren an sich zu nehmen 7).
Vor allem hat er auch die Oberaufsicht über das Hofge-
sinde, und für Zucht und Ordnung im Hofe zu sorgen, daher
stehen ihm richterliche und polizeiliche Befugnisse über die
zum Hofe gehörigen Personen zu. Der Marschall soll darauf
sehen, dass der Burgfriede eingehalten wird und das Hof-
gesinde sich gegen fremde Leute angemessen beträgt8). Bei
sonderlich Achtung geben soll er sich Raths bei dem Hauptman, Har-
schalk und Befehlshabern erholen“; s. Anhang 1.
') H.H.St.Arcb. III 33 — 233 Nr. 1 und 2 (16. Jahrh.), „Nachdem auch
die Pferde, so nicht mehr zum Reiten tauglich, lange Zeit uff der Strö ge-
standen u. uff derselben mehr Futter verezen und gebrauchen werden, als sie
werth gewesen sein, so soll Stalmeister oder in seiner Abwesenheit sein
Amtzverweser roitt vorwissen marschalkhs oder Hausshouwmeisters hinfürter
die geliferten Pferde, so nitt mehr zu rentben, forderlichen verkauften unnd
umb billige bezalung weggeben“ ; s. Anhang 1.
*) Hofordnung (Anhang 1).
*) H.O.: „Und da wir ein Gast oder Jemandes fremdes bekommen, soll
ehr bei unser, des Hanptmans und Marsckalchs Verordnung stehen“.
*) H.O. „Torwerterordnung: Er soll auch keinen Bothen einiassen ohne
des Marschalks und Bevehlshabers Wissen“.
*) H.O. „Es soll auch Keiner, Edel oder Unedel einen Fremden auf-
nehmen oder zu Tisch fordern ohne erlangten Urlaub und hierauf soll der
Marschalch sehenn und welcher nicht her auf gehöret, wiederumb hinunder-
weisen"; H.H.St.Arcb. vol. III 233 Nr. 1 und 2 (16. Jahrh.) (s. pag. 74, 3).
*) s. Hofordnung (Anhaug 1).
’) H.O. „Torwerterordnung: und darauff dem Marschalk und Befehl-
haber, der am Hoff sein wird, die Schlüssel zustcllen“.
•) H.H.St.Arcb. vol. III 275/276 Nr. 132 (1546) „Und unser Hauptmann,
Marsch&llk ader wem wir es befelen, soll — — sonderlich ob dem Burg-
friede mit ernst halten. Desgleichen das sich unser Hofgesinde gegen die
Burger auch friedlich halte und do darwider iclites von Inen, das Got nicht
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den Mahlzeiten führt er, unterstützt vom Küchenschreiber, die
Aufsicht1), weist die Plätze an und achtet darauf, dass kein
Unberechtigter sich einschleicht, dass nicht zuviel getrunken
und nichts beiseite gesteckt wird *). Abends hat er darauf zu
sehen, dass das Hofgesinde zur rechten Zeit zu Bett geht und
niemand länger sitzen bleibt3). Überschreitungen und Wider-
setzlichkeiten soll er ernstlich strafen mit „geordneter Straffe“ 4).
Er ist auch ordentlicher Richter über das Hofgesinde, dass ihm
„bei höchster straff“ zu gehorchen hat5). Bei Streitigkeiten
des Hofgesindes unter sich ist er berechtigt, falls der Spruch
der Räte nichts nützt, „mit Ernste durch Bestrickung oder
gefengliche Ahntung drein zu greifen und den mutwilligen
nach gebührlichem Recht zu straffen“ 6).
Dem Fürsten gegenüber ist der Marschall immer noch zu
gewissen persönlichen Diensten verpflichtet, eine Sitte, die sich
wohl von der alten Zeit her erhalten hat; er hat den Fürsten
zu Tische zu holen und ihm das Handwasser zu reichen 7).
Gelegentlich begleitet der Marschall den Fürsten wohl auch
wolle, nngeburlich furgehe, sol dem vermöge des Vertrags nachgegangen
werden“.
*) H.O. „Wenn auch Malzeit gehalten wirdt, soll der Kncheuschreiber
neben dem Marschalk auffachtung geben, was von Tischen uffgehobenn und
zn schusseln bleibt“. „Darbey er doch noch mit nffsehenn des Marschalchs
und Hauptmanns bleiben soll“.
’) H. 0. „Und soll niemand nichts über der Mahlzeit beiseit stecken und
nit vom Tische wegen, hierauf soll der Marschalcb und der Thorwerter mit
allem Vleis aehtung geben; H.O. (Anhang 1); H.H.St.Arcb. vol. III 233
Nr. 1 and 2 (16. Jahrh.): Hinffirdcr soll auch Marschalkh, Hauss-Hofmeister
— — Ihr fleissig und ernstlich aufsehenns haben, da3 uff dem — ? — das
Zutrinkben und aller Überfluss abgestelt werde“.
*) H.O. „Kellerordnung: sondern soll ein jeder zu Bett gehen, dahin
er gehört, darauf! dann der Marschalch und Befehlhabere Uffsehen babenn
sollen, sie in Überschreitung ernstlich bestraffen“; H.O. (Anhang 1).
‘) s. Hofordnnng (Anhang 1).
•) s. Hofordnung (Anhang 1); vgl. Rosenthal Gerichtswesen S. 230.
‘) H.O. „Da sich aber von seinem unwilligen Vorhaben jemand nicht
würde weisen lassen, soll der Hanptmann, Marschalch oder wem wirs
befehlen, macht haben mit ernste usw“.
’) H.O. „Küchenordenungk: und soll der Marschalch uns zn Tische
holen, das Handwasser reichen“; H.O. (Anhang 1).
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102
jetzt noch auf Reisen 1), wenn er auch bei dem festen Sitz der
Hofhaltung meist in der Residenz bleiben wird.
Die Besoldung des Marschalls hat im 16. Jahrhundert
natürlich ebenfalls in Geld bestanden, und zwar 1570 pro Jahr
120 Thaler 8), ebenso erhält er Kleidung und Beköstigung *).
Bei grösseren Hoffestlichkeiten ist das Marschallamt ein
persönlicher Ehrendienst, es werden dann besondere Mar-
schälle aus den Reihen der Vornehmen bestellt, die an den
einzelnen Tischen gesondert als Marschälle „vom Essen“ oder
„vom Trinken“, für die Verpflegung der Gäste zu sorgen
haben *).
ß) Die ganze Verwaltung des fürstlichen Hofes scheint
aber in den anhaitischen Gebieten im 16. Jahrhundert doch so
weitläufig gewesen zu sein, dass sie von einem Oberbeamten
allein nicht erledigt werden konnte. Infolgedessen ist neben
dem Marschall stets noch ein anderer höherer Beamter mit der
Leitung der Hofangelegenheiten betraut. Ein solcher ist der
Hofmeister5), auch Haushofmeister genannt, der uns eiuige
Male in anhaitischen Urkunden begegnet. Es ist dies ein
ganz neues Amt, das vor der zweiten Hälfte des 15. Jahr-
hunderts sich gar nicht in Anhalt nachweisen lässt. Zuerst
tritt es im Jahre 1470 auf6), ist aber auch seit dieser Zeit
') H.H.St. Arch. GAR. — IV 5 Nr. 1 (1547) „Ausgaben: 15 thaler zu
Zerung ins lager und zum tbeil Joseph Trommeter, do er sein abschied
haben wolte, zu geben, dem Marscbalch zu Dessau zugcstelt, davon ehr wirt
wissen bericht zu thun“.
*) H.H.St. Arch. GAB. - IV 27 Nr. 118 (s. pag. 98, 4).
•) H.H.St. Arch. GAR. — IV 27 Nr. 118: „Für Stiefeln: fi fl. — dem
Marscbalch nf 3 Mon.“.
*) H.H.St. Arch. K . 33 — III 70b Nr. 14 (1557), Ordnung für Fürst
Karls Hochzeit: „Marschalk vorm ersten Ingehen sollen sein: Hanus von
Wulffen und Hans von Schierstede, Hans von Barby“. „was sonst im
Frauenzimmertisch mehr von noten, werden die Marschalks bestellen“. „Und
in der Kautzley soll Adolff von Wuthenau Marschalk sein, Essen und Trinken
verschaffen“, „und davor im Zenghanse 5 Tische, do mögen die Marschalks
verordnen, wie ihnen essen und trinken zuzutragen sey. Fber die Haupt-
stuben werden zwei Marschalken verordnet“; vgl. a. pag. 79, 5.
*) Vgl. bes. Seeliger, Das deutsche Ilofmeisteramt im späteren Mittel-
alter (Innsbruck, 1885) S. 448 ff. ; v. Maurer S. 232.
•) Reg. 719.
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103
nur wenig belegt *). In der Hofordnung des Fürsten Bernhard
vom Jahre 1570 kommt es gar nicht vor, wo man es doch
eigentlich erwarten sollte, seine Amtsfunktionen hat hier der
Hauptmann eingenommen. Es ist demnach möglich, dass das
Hofmeisteramt nur kurze Zeit bestanden hat und später dessen
Hofverwaltungspflichten entsprechend den Einrichtungen der
lokalen Ämterverwaltung auf den „Hauptmann am Hofe“ über-
tragen sind, das Amt also von selbst eingegangen ist; doch
möchte ich es nicht bestimmt binstellen.
Jedenfalls ist die Tätigkeit des Hofmeisters im wesent-
lichen dieselbe, wie die des Marschalls, vielfach werden beiden
Beamten nebeneinander dieselben Funktionen übertragen, sie
teilen sich eben in die Verwaltung des Hofes, aber der Mar-
schall ist doch wohl immer der höhere Beamte. Auch der Hof-
meister ist lediglich Hofbeamter und hat mit der allgemeinen
Landesregierung nichts zu tun 8). Von einer Rivalitätsstellung
zum Kanzler B) oder dergleichen hervorragender Regierungs-
tätigkeit kann in den anhaitischen Territorien keine Rede
mehr sein. Wie der Marschall, hat auch der Hofmeister die
Verteilung und den Verbrauch der Getränke in der Hofhaltung
zu überwachen4), den Verkehr im Hofe zu beaufsichtigen*),
wie Entscheidung über Angelegenheiten des Marstalls zu
treffen 6). Nur eine Tätigkeit ist ihm allein überlassen : bei der
wöchentlichen Rechnungslegung hat er die Ausgabenverzeich-
') „Ich habe es nur dreimal belegt gefunden, und auch hier tritt es nur
einmal bedeutender hervor (vgl. H. H. St.Arch. vol. III 233 Nr. 1 und 2;
Haushaltungsbuch ans dem Anfang des 16. Jahrh.), sonst wird ein Hofmeister
immer nur kurz erwähnt (vgl. K. 33 — III 32 Nr. 16 (1560) [s. pag. 86, 3];
GAR. IV 27 Nr. 118 (1570) „Dienstgeltt: 58 fl. 12 gr. dem Hofmeister").
’) Nur einmal findet sich ein Hofmeister auch hei dem Abschluss eines
nicht die Hofverwaltung angehenden Vertrages tätig (Reg. 719 (1470)).
*) Rosenthal, Gerichtswesen S. 241 ff.; Luschin v. Ebengreuth, Rechts-
geseb. S. 190; Lamprecht S. 1437 ff.
4) pag. 101, 2; pag. 73, 9; 92, 5.
s) pag. 74, 3.
•) pag. 100, 1.
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nisse zu prüfen l), während dem Marschall dies nicht zusteht,
er sogar selbst Rechnung ablegen muss8).
Seinem Stande nach ist der Hofmeister wohl nur bürger-
lich, entsprechend dem neu eingerichteten Amte, doch lässt es
sich bei dem geringen urkundlichen Material nicht bestimmt
feststellen 3).
Anscheinend haben auch die einzelnen Mitglieder der
fürstlichen Familie mitunter eigene Hofmeister gehabt, wenig-
stens lässt sich dies bei der Gemahlin des Fürsten Karl sicher
nachweisen *).
Auch der Hofmeister erhält Besoldung in Geld, 58 fl. 12
gr. pro Jahr, und ebenso wohl Kleidung und Beköstigung von
seinem Fürsten5).
y) Nicht immer ist aber die zweite obere Verwaltungsstelle
am fürstlichen Hofe einem Hofmeister übertragen. Seit der
Mitte des 16. Jahrhunderts begegnet in einigen Urkunden und
Akten anhaitischer Fürsten ein „Hauptmann am fürst-
lichen Hofe“6), der dieselben Funktionen ausübt. Das Vor-
handensein eines derartigen Beamten lässt sich schon im Jahre
1546 nachweisen’), also zu einer Zeit, wo auch das Hof-
meisteramt noch sicher besteht. Über die Tätigkeit des Haupt-
manns erfahren wir aber Näheres erst aus der Hofordnung des
') H.H.St.Arch. vol. III 233 Nr. 1 und 2 (1546): „Sodann solches ge-
schehen, sollen die Verordneten zur wochen Rechnung als namblich Hauss-
hauvnioister Paiser und Christo!! Thomas obgeinellte Verzeichnis mit. allem
Heiss belegen und sehen, ob es sich mit der aussgab wein und Brots ver-
gleichen will“.
*) pag. 94, 2.
*) Folgende Namen sind festzustellen:
1470. Gregor Siedeis (Reg. 719) unter Färst Albrecht.
(16. Jahrh.) Paiser und Frautz Knrtzen (H.H.St.Arch. vol. III 233
Nr. 1 und 2 (s. amu. 1) und „inmassen dem Hausshovemeister Frantz Kurtzen
bewusst“).
1560. Christoph Creitzeu (H.H.St.Arch. K. 33 — III 32 Nr. 16
(s. pag. 86, 3).
*) H.H.St.Arch. K. 33 — III 32 Nr. 16 (1560) (s. pag. 86, 3; s. a. See-
liger S. 44).
s) H.H.St.Arch. GAR. IV 27 Nr. 118 (1570) (s. pag. 103, 1).
•) Jacobs S. 104, 112 für Wernigerode.
») H.H.St.Arch. GAR. — IV 5 Nr. 1 (s. pag. 85, 5).
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Fürsten Bernhard vom Jahre 1570 '), in der von einem Hof-
meister nicht mehr die Rede ist. Es ist also möglich, dass
der Hauptmann damals dessen Amt in seinem ganzen Umfang
übernommen hat. Oder aber es sind an den einzelnen auhal-
tischen Fürstenhöfen für diese Tätigkeit verschieden benannte
Beamte tätig gewesen, am Zerbster Hof eben ein Hauptmann.
Jedenfalls ist ein Hauptmann am anhaitischen Fürstenhofe mit
der Leitung der Hofverwaltung betraut gewesen, es fragt sich
nur, ob an allen oder nur bei einzelnen.
Es scheint, als ob der Hauptmann ein ganz selbständiger,
besonderer Hofbeamter ist. Jedenfalls ist in der Hofordnung
von 1570 immer von dem Hauptmann die Rede, ohne irgend-
wie einen Amtsort zu bezeichnen*), und auch im Jahre 1546
heisst es bei Aufzählung der Zeugen „Oswalt Roder, Fürst Ge-
orgen Hauptman an s. f. g. Hoffe“, während alle andern
Hauptleute mit ihrem Amtsort aufgeführt werden3). Sicher
lässt sich allerdings das Bestehen eines solchen besonderen
Amtes nicht nachweisen. Derselbe Oswald Roder erscheint
auch in einigen andern Urkunden wieder als Hauptmann des
Amtes Hartzgerode 4) und wird einmal im Jahre 1570 direkt
unter die „auswerndigen Diener“ gerechnet5), kann also damals
nicht am Hofe tätig gewesen sein. Es ist ja immerhin mög-
lich, dass er später sein Hofamt niedergelegt und die Verwal-
tung eines ländlichen Amtes übernommen hat. jedoch bleibt
stets fraglich, ob der Hauptmann am Hofe wirklich ein be-
sonderer Beamter für sich ist oder damit nicht bloss vielmehr
einer der Amtshauptleute gemeint ist, der sich gerade am
') In der Regimentsordnung von 1546 (H.H. St.Arch. vol. III 275/276
Nr. 132) wird zwar einmal auch die Tätigkeit eines Hauptmanns in der Hof-
verwaltung erwähnt, doch kann sich dies auch auf den znm Regiment ge-
hörigen Hauptmann des Amtes Zerbst beziehen (s^pag. 88, 1; 99, 4; 114, 3).
>) pag. 99—101.
*) H.H. St.Arch. GAR. IV 5 Nr. 1 (pag. 85, 5; auch 114, 3).
*) G.Qu.d.Pr.S. VI 688 (1560); ev. schon VI 640 (1547), doch lässt
es sich hier nicht genau sagen.
s) H.H. St.Arch. IV 27 Nr. 118. „Dienstgellt Auswerndigen Dienern:
57 f. — 3 gr. dem Hauptmau Kottschen anf Osternn, 57 fl. — 3 gr. dem
Hauptman Osswalt Rodern, vermach seiner bekenntnis“.
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landesherrlichen Hofe aufhält oder in dessen Amt die landes-
fürstliche Residenz liegt, der also diese Aufgaben noch im
Nebenamt erledigt ‘).
Die auf die ganze Verwaltung des Hofwesens ausgedehnte
Stellung des Hauptmanns entspricht im wesentlichen der des
Marschalls, scheint sogar persönlich noch bedeutender gewesen
zu sein, da der Hauptmann fast stets vor dem Marschall ge-
nannt wird. Auch er hat die Aufsicht über Küche, Keller,
Schenken und Bäcker, über Brauhaus, Futterboden sowie Vor-
werk, Fischereien 8) ; besonders ist ihm auch die Überwachung
des Feuerungsmatcrials an vertraut8). Er hat ebenfalls auf den
Verkehr im Hofe aufzupassen, auch ihm ist das Hofgesinde
unterstellt, über das er gleichfalls Gerichtsbarkeit ausübt.
Also der Hauptmann hat ebenso auf Ordnung im Hofe zu
sehen und die Einhaltung der Vorschriften zu überwachen.
Seinem Stande nach ist er wie die Hauptleute der lokalen
Ämter adlig 4), überhaupt hat dieses Amt mit dem der Bezirks-
verwaltung wohl vieles gemein5).
d) Von niederen Hofbeamten findet sich in den anhaitischen
Territorien im 16. Jahrhundert ein Küchenmeister oder
Küchenschreiber6) als Leiter von Küche, uud Keller; er hat
zugleich die Aufsicht über das Küchenpersonal, Köche und
Küchenjungen 7). Einmal werden auch im Anfang des 16. Jahr-
hunderts noch „Truchsässe“ erwähnt, jedoch nur bei allge-
meiner Aufzählung7).
Für die Ausgabe der Getränke gibt es einen Schenken8),
') pag. 117 ff.
*) Vgl. für seine Befuguisse die Stellen pag. 99 — 101; ferner H.O.
„Kellerordnung: Dann umb 10. Schläge soll der Keller geschlossen sein und
wenn gleich jemand Fremder komme, soll doch keiner ausserhalb uns selbst,
dem Hauptmaun und Befehlhabere macht haben, deuselben öffnen zu lassen“.
’) Hofordnnng (Anhang 1).
*) Siehe Oswald Koder (s. pag. 85, 5).
s) pag. 111 ff.; 118.
•) H. II. St.Arch. K. 33 — III 32 Nr. 16 (s. pag. 86, 3) (1560); vol. III
234 Nr. 16, Hofordnung (s. pag. 99, 2).
’) H.H.St. Arch. vol. III 233 Nr. 1 und 2 (s. pag. 79, 5).
") Hofordnung (pag. 99, 4).
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einmal auch Kastkeller genannt1), ferner für das Backwesen
einen „ Beck er“2).
Die Verwaltung des Hausinventars hat ein Kämmerer
unter sich3), die Aufsicht über den Marstall führt ein Stall-
meister4), über die Futterkammer ein Kornschreiber5);
Wagenställe, wie Heu- und Stroh Vorräte unterstehen einem be-
sonderen Voigt8). Für die Bewachung der Tore ist ein be-
sonderer Torwärter angestellt7).
Alle diese Beamten sind aber nur Beamte zweiten Grades,
in ihrer Verwaltung an die Vorschriften des Marschalls und
Hofmeisters oder Hauptmanns gebunden. Von der grossen Be-
deutung, die einzelne dieser Hofbeamten im 13. und 14. Jahr-
hundert gehabt haben, ist nichts mehr geblieben; als Zeugen
werden sie gar nicht mehr herangezogen, nur einmal ein
Küchenmeister bei Aufnahme eines Haushaltungsinventars8).
Einzig der Stallmeister scheint noch etwas mehr Bedeutung
gehabt zu haben, da wir 1571 einen Adligen in dieser Stellung
finden3) — sonst sind die andern niedern Hofbeamten wohl
‘) H. H. St. Arcb. vol. III 233 Nr. 1 und 2 (16. Jahrh.) (s. pag. 73, 9).
*) pag. 99, 4.
*) H.H.St.Arch. vol. III 233 Nr. 1 und 2 (16. Jahrh.) „Desgleichen soll
Kaspar Troll Liecht Kämmerer alle Tisch und Personen in unsers gnedigen
Fürsten nnd Herrn und Fra wen Zimmergemach ader wo die Jderzeitt gespeist
werden, über jeden Imbis abzelen“.
*) H. H. St. Arch. vol. III 233 Nr. 1 und 2. „Item so soll auch in unsers
gnedigen Herrn Marstall mit Ausgebnng dieser Ordnung gehalten werden
und Stallmeister denn Schlüssel darzu und mit allem Heiss und ernst sein
auffseheniss haben“; Hofordnung (s. pag. 100, 1); GAB. — IV 27 Nr. 118
(1670) „Dienstgellt: 20 fl. — dem Stallmeister“; vol. V 276b Nr. 19 (1571)
(s. anm. 9).
5) pag. 99, 5; H.H.St.Arch. GAR. — IV 27 Nr. 118 (1570) „Dienst-
gellt: 10 fl. — dem Kornschreiber“.
*) Hofordnung (Anhang 1); H.H.St.Arch. GAR. — IV 27 Nr. 118
(1571) „Für Stiefeln: 2 fl. — Nickel dem Vogt“,
pag. 100, 4; 100, 7; 101, 2.
•) pag. 86, 3 (1560).
*) H.H.St.Arch. vol. V 275b Nr. 19 (1571) „Wir Joachim Ernst be-
kennen, nachdem der erbar unser Stalmeister nnd lieber gctreuwer Adolf!
von Krosigk, uns mit Diensten vorhafft gewesen, dass darnach und zur er-
getzung solches seines — vleisses wir Ihm begnadet wöchentlich audert-
halben scheffel mehl, kleinmass und sonst — ? — von seiner Mühlen zu
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alle bürgerlich — , doch kann es auch in diesem Falle ein
Ehrenamt sein. Nur gelegentlich von Hoffestlichkeiten haben
die Ämter des Küchenmeisters und Schenken noch ihre alte
mittelalterliche Bedeutung bewahrt, dann werden auch sie noch
von Adligen als persönliche Ehrenämter verwaltet*).
Alle diese Hofbeamten erhalten natürlich ebenfalls Besol-
dung in Geld, wenn auch ziemlich wenig, Unterhalt bei Hofe
und freie Kleidung *). Für gute Dienste werden ihnen gelegent-
lich noch besondere Verleihungen, wie Freiheit von einzelnen
Abgaben, zuteil3). Ihre Anstellung und Entlassung behält sich
der Fürst selbst vor4).
b) Der Statthalter.
Mit zu den Beamten der persönlichen Verwaltung der an-
haltischen Fürsten gehört endlich auch noch der Statthalter;
dessen Amt erst im Jahre 1574 anscheinend ganz neu einge-
richtet worden ist zur besseren Beaufsichtigung von „Hauss-
und Hofhaltung“ 6). Es wird einem ehemaligen Ratsmitglied
übertragen, sein Inhaber gehört dem Adel an6).
Der Statthalter ist lediglich Verwaltungsbeamter, ohne
jede gerichtliche und andere Pflichten. In seinen besondern
Verwaltungsbereich ist die Oberaufsicht über die Domänen-
ämter gestellt, unter denen das Amt Dessau ihm noch besonders
MuhlenzinB geben müssen, nunmehr vor sich und seine Leibs Erben solcher
wöchentlich Zinsse gefreiet sein sollen und diesselben von sich geruhigk-
lichen haben“.
') H.H.St. Arcli. K. 33 — III 70 b Nr. 14, Ordnung für Fürst Karls
Hochzeit: „Ein Küchenmeister ist bestallt das ist N. von Drondorff“. „Die
Schenken in der Herren Keller sollen sein N. N.“.
*) pag. 107, 4 — 6.
a) pag. 107, 9.
*) H.H.St.Arch. vol. III 275/276 Nr. 132, Regimentsordnung von 1546:
„Die Bestalung aber nnsers Höffes und annebmung und entorlaubuug unsrer
Hofdiener behalten wir uns selber vor, doch wo wir es ungerechnet und
hierin darumb samptlich ader sonderlich weitre Bcfelich thnu wurden, dass
sollen sie sich auch haben“.
s) Statthalterinstruktion (Anhang 2).
*) H.H.St.Arch. 0 AK. — IV 27 Nr. 118 (1570) „Dicnstgellt den Hoff-
rethen und Hoffdieueru : 285 11. 15 gr. — Moriz Riederun“ ; s. a. Anhang 2.
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angewiesen wird. Er hat darauf zu sehen, dass deren Ein-
kommen möglichst gesteigert und sie nutzbringend verwaltet
werden. Er sorgt dafür, dass die Lieferungen der Ämter an
die fürstliche Hofhaltung richtig abgehen, dass die Einkünfte
zu rechter Zeit einlaufen und andererseits vorteilhafte Ver-
käufe abgeschlossen werden ; im Amt Dessau hat er auch den
Zustand der Grenzen zu überwachen. Ferner achtet er darauf,
dass die Gelderträge der Ämter rechtzeitig in die fürstliche
Kammer geliefert werden. Auch wenn einige Ämter seinem
Wirkungskreis irgendwie entzogen sind, soll er doch nach
Möglichkeit „auf des ganzen Landes nutz“ sehen, allerdings
darf er hier keine Änderungen ohne Wissen des Fürsten
treffen.
Der Statthalter hilft auch an der Zentralstelle die Rech-
nungen mit durchsehen1), hierzu sollen ihm jederzeit „so wich-
tige Sachen furfallen“, „andre Hoff Rethe vom Adel“ zuge-
ordnet werden, mit denen er sich beraten kann. Ferner hat
der Statthalter auf Vorwerke und Ackerbestellung der Ämter
zu sehen, im Amt Dessau wird ihm hierfür ein besonderer
Hausvoigt zugeordnet. Auch soll er die andern Ämter öfter
im Jahr selbst zu Visitationszwecken besuchen und sich mit
eigenen Augen von ihrem Zustand überzeugen, auch die Lie-
ferungen persönlich bestimmen. Über den Befund hat er dem
Fürsten Bericht abzustatten, etwaige Bedenken mitzuteilen und
die darauf ergehenden fürstlichen Verordnungen ausführen zu
lassen. Kurz, er soll sich des ganzen Landes Vorteil und
Nutzen angelegen sein lassen.
2. Die Beamten der Bezirksverwaltung.
In der Ortsverwaltung ist im Laufe des 15. Jahrhunderts
ebenfalls eine Änderung eingetreten, so dass sich uns im 16.
Jahrhundert ein anderes Bild darbietet, als im 13./ 14., doch ist
die Veränderung bei weitem nicht so bedeutend, wie an der
Zentralstelle. Einmal ist die Umwandlung der Verwaltungs-
bezirke, die sich in der Bezeichnung schon im 14. Jahrhundert
') Vgl. auch Kammerinstrnktion (Anhang 3).
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110
vorbereitete l), seit Ende des 15. Jahrhunderts zur Tat gewor-
den. Die Ausdrücke „Vogt“ und „Vogtei“ sind als vorherr-
schende Bezeichnungen verschwunden, an ihre Stelle ist das
„Amt“ mit dem „Amtmann“ oder „Hauptmann“ getreten. Aus
der alten Vogteiverfassung ist allmählich eine geregeltere
Ämterorganisation geworden *). Sodann ist seit dem Ende des
15. Jahrhunderts die ganze Verwaltung des Bezirks nicht mehr
einem einzigen Beamten anvertrant, wie zur Zeit der Vogtei-
verfassung, sondern eine Vermehrung der Beamten eingetreten,
der Vorsteher des Amtes hat einen oder auch mehrere Ge-
hilfen erhalten 8).
Natürlich ist diese ganze Umwandlung nicht mit einem
Mal erfolgt, sic hat sich vielmehr erst ganz allmählich im
Laufe des 15. Jahrhunderts vollzogen. Fest abgeschlossen ist
sie sicher erst im 16. Jahrhundert, doch kann man wohl die
neue Verwaltungsperiode schon von der Mitte des 15. Jahr-
hunderts au rechnen4). Jedenfalls ist seitdem die Bezeichnung
„Amt“ und „Amtmann“ resp. „Hauptmaun“ durchaus vor-
herrschend, was sich daraus deutlich ergibt, dass, während
noch bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts bei namentlicher An-
gabe nur der Titel „Vogt“ gebräuchlich war8), jetzt bei den
mit Namen angeführten Inhabern des Bezirksverwaltungsamts
der Titel Amtmann oder Hauptmann Regel wird — die Be-
zeichnung Vogt bei namentlicher Angabe dieses Beamten findet
sich nur noch ganz im Anfang6).
') Vgl. pag. 28.
*) Bornhak 8. 38, 52 ff. ; Isaaksohn S. 59 ; v. Below, Territorium 8. 297.
*) v. Below, Territorium S. 297.
*) Allerdings werden schon Reg. 346 (1441) „Amtleute von Dessau,
Käthen, Beruknrg“ aufgeführt, doch kommt dies meiner Ansicht nach für
die zeitliche Ansetzung der Amterverfassung nicht so sehr in Betracht, da es
sich hier um eine allgemeine Aufzählung handelt, in welchem Falle sich ja
auch schon früher eine solche Bezeichnung findet (pag. 30), und da vor allen
zugleich eine ganze Zahl Amtleute anderer Gebiete erwähnt werden, so dass
sich die Bezeichnung nach diesen gerichtet haben kann.
*) pag. 30.
•) Reg. 458 (1453), 477 (1455), 515 (1457); G.Qu.d.Pr.S. XXVIII 1300
(1504) ist mit dem Vogt von Rosslau wohl nur ein untergeordneter Beamter
gemeint.
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111
Bei allgemeiner Angabe werden allerdings im 15. Jahr-
hundert die beiden Bezeichnungen Vogt und Amtmann in den
Urkunden immer noch gleichbedeutend gebraucht1). Erst im
16. Jahrhundert lässt sich allmählich auch hier eine Ver-
schiebung in der Stellung nachweisen. Der Ausdruck Vogt
wird fortan meist nur noch für den der Aufsicht eines Amtmanns
unterstellten Verwalter eines weniger bedeutenden Amtes an-
gewendet2) und ist dann nur noch eine andere Bezeichnung
für einen Unterbeamteft der Bezirksverwaltung, während Amt-
mann im 16. Jahrhundert stets auf einen hohem Lokalbeamten
hinweist.
Jedenfalls ist also seit dem 16. Jahrhundert die Ämter-
verfassung in den anhaitischen Territorien vollständig durch-
geführt8), die alte Vogteiverfassung verschwunden. Das ganze
Gebiet ist nunmehr in einzelne Ämter eingeteilt; d. h. die
landesfürstliche Domäne, das Amt tritt jetzt in den Mittel-
punkt der landesherrlichen Lokalverwaltung4).
a) Der Amtmann.
An der Spitze eines jeden Amtes steht ein vom Landes-
herrn eingesetzter Beamter, gewöhnlich ein Amtmann. Nur
■) Reg. 452 (1452), 640 (1464); H.H.St-Arch. vol. III 233 Nr. 1 und 2
(1484) (Ordnungen für einzelne Ämter) heisst es bei Anfzäblnng gleicher
Pflichten für Zerbst: „Zcum erstenn sal der voyt sich haltenn", fürKoswig:
„Item es sal der amptmann“, für Rosslau anfangs wie bei Zerbst, später
aber „Gesinde lohen: Item dem haupman 15 Gulden“; vgl. Luther S. 13
anm. 10.
’) H. H.St.Arch. GAR. vol. IV 24 Nr. 93 (1546), Anschlag des Amtes
Lindau: Personen, so im Ampt zu erhalten seint: — und ist zu merken,
das hiebeuor das Ampt Lindau durch einen voigt geregieret, und hat der
Amptman zu Rosslau nemblicb Wolff Marzdorf, das aufsehen darüber gehabt,
welches itzt der Amptmann zu Zerbst tuglicher tbun kan“; K. 33 — III
71 Nr. 15 (1557) „Es ist auch zu merkenn, das das Amt Rosslaw geringlicher,
als mit einem Schosser ader Vogte kont bestelt werden“; G. Qu. d.Pr.S.
XXVIII 1300 (1504); VI 688 (1560).
*) Isaaksohn S. 59; ßornhak 8. 38 , 52; Lamprecht 8. 1375; Barth
S. 416; LUdicke 8. 61; Jakobs, Alter und Ursprung 8. 108ff. ; Schröder
8. 610.
•) In Anhalt sind folgende Ämter im 16. Jahrhundert nachweisbar:
Zerbst, Lindau, Rosslau, Koswig, Hcssau, Wörlitz, VVolffen, Wannsdorf,
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112
einige kleinere Ämter können auch von Schossern oder Vögten
verwaltet werden1), sind dann aber meist der Oberaufsicht
eines andern Amtes unterstellt2).
Der eigentliche höhere Lokalbeamte ist der Amtmann,
schon durch diesen Titel als Vorsteher eines Amtes kenntlich
gemacht. Beinahe ebenso häufig findet sich für ihn auch der
Titel Hauptmann, wohl soviel wie Amtshauptmann in andern
Territorien3). Er kommt schon gleich vom Beginn der neuen
Amtsverfassung an in dieser Verbindung vor4) und wird
namentlich bei Namensneunungen gern angewandt5), während
„Amtmann“ gewöhnlich bei allgemeinen Verordnungen und
sonstigen Erwähnungen gebraucht wird6).
Plützigk (s. Statthalter- od. Kammerinstr. (Anhang 2 und 3)), Bernburg
(Reg. 458 (1453)), Köthen (Friese-Liesegang Anhang 3 (322) (1528)), Ballen-
stedt (H. H.St. Arch. Plützkau 601) (15G6); Plützkau (G.Qu. d. Pr.S. VI G40
(1547)), Guntersberg, Hartzgerode (G. Qu. d. Pr.S. VI 688 (1560)).
‘) Rosslau (G. Qu. d. Pr.S. XXVIII 1300 (1504); H.II.St.Arch. K. 33 —
III 71 Nr. 15 (1557) (s. pag. 111, 2); Lindau (s. pag. 111, 2) und GAR.
— IV 24 Nr. 93 (1546): „Ist aber dieser Anschlag gestellet uff einen
Schosser, mit wenigem Gesinde sich daruff zu enthalten, dar ehr einen von
Adel, der Hauptman sein solte, nicht zu enthalten vermochte“; Plützigk
(pag. 85, 5) (1546); G.Qu.d.Pr.S. VI 620 (1542), 688 (1560).
•) pag. 111, 2.
*) Bornhak S. 38; Isaaksohn S. 60; Kiihns S. 155; Schmoller S. 49;
Spahn S. 20; s. a. Bertram-Krause II S. 318.
‘) Reg. 296 (1437), 523 (1458), 654 (1465).
*) Reg. 654 (1465); H. H.St. Arch. vol. V 278 Nr. 35 (1531) (s. pag. 86, 4);
GAR. — IV 5 Nr. 1 (1547) (s. pag. 85, 5) und „Wie denn unser gnediger
Herr Fürst Johannes — eine Regierung zu bestellen bedacht, und die
personen der Regierung biermitt angetzeigett sein sollen, nemblich Hannss
Statius Hauptmann, Claus vonn Walwitz, Valtin Scblegell, Lorentzen fuhr-
mann , Andreas Lamprecht und Urbanus scblingk“ ; GAR. — IV 6 Nr. 2
(1555); K. 33 — III 71 Nr. 15 (1557) (s. pag. 65, 1 ; 111,2); K. 33 — III
65 Nr. 2 (1556); K. 33 — III 67 b Nr. 8 (1567); vol. V 275 b Nr. 19 (1560)
(s. pag. 65, 1); Plützkau 501: Bescheid in sachenn, so furgelauffeu zwischen
Heinrich Stammcrn und dem Radt zu Ballenstedt, zu Harzkennrode auffgericht
(1566): „sondern Ilmu hirumb bei Fürst Joachim Brünsten zu Anhalt be-
elaget, also auf i. f. g. beuelich die ding durch Hans Merteun, Hauptmann
zu Balienstede, Andrehs llentten Kantzlern zu Gernrode und Johansen Trol-
denir in verhör genommen"; G.Qu.d.Pr.S. VI 536 (1517); XXVIII 688
(1560).
•) P. n. L.O. (1572); Kammer-, Statthalteriustruktion (Anhang 2 und 3);
Regimentsordnung (1546) (H. H.St. Arch. vol. III 275 276 Nr. 132).
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113
Beide Titel bezeichnen durchaus denselben Verwaltungs-
beamten. In den Urkunden werden sie derartig häufig neben-
einander gebraucht, sowohl bei persönlicher, wie rein sachlicher
Angabe ‘), dass darüber gar kein Zweifel seiu kann. Von einer
Überordnung des Hauptmanns über den Amtmann, etwa in der
Stellung eines Oberamtmanns oder Landeshauptmanns, wie wir
es in Brandenburg finden®), kann in Anhalt keine Rede sein.
Interessant ist aber, dass jetzt mit der Neugestaltung der lo-
kalen Verwaltung für den Leiter der nunmehrigen Bezirke
eine Bezeichnung ganz geläufig wird, die zur Zeit der alten
Vogteiverfassung eigentlich noch gar nichts mit dem lokalen
Bezirksbeamten zu tun hat, vielmehr im 14. Jahrhundert noch
ganz einseitig einen rein militärischen Beamten bezeichnet3).
Immerhin weist aber auch die jetzige Übereinstimmung der
Titel Amtmann und Hauptmann darauf hin, dass auch schon
früher die Hauptleute in der Regel wohl aus der Zahl der
Vogteiverwalter genommen sind.
Mit der Ämterverfassung fällt natürlich der Unterschied
zwischen Stadt- und Landbezirken, wie wir ihn zur Zeit der
‘) So wird einmal Amtmann, einmal Eanptmaun genannt: Oswald
Bose (Reg. 472, 477, 479, (»18, 623 (1454—1463); 523 (1458), 629 (1463)1
Kaspar Knoche (G.Qu.d.Pr.S. VI 622 (1543); GAR. — IV 5 Nr. 1 (1546)
(s. pag. 85, 5); Hans von Knetling (G.Qu.d.Pr.S. VI 643 (1547); GAR. —
IV 5 Nr. 1 (1546)); Hans Statius (GAR. IV 6 Nr. 1 (1647); Heinr. von
Krosigk bittet seinen Oheim H. Statius ihn beim Fürsten wegen Versäumnis des
Landtags zu entschuldigen: „Dem Ernuesten und erbarn Hanse Statius Ampt-
man zu Zerbst, meinem freuntlichen lieben Ohm“; GAR. IV 24 Nr. 93 (1546)
heisst beim Anschlag des Amtes Zerbst „Ausgaben: Personen, so im Ampt
durchs Jhar uf der kost und lohn, nothwendiglich zu halten seint, der
Hauptman sein knecht Ein Ainptschreiber“. „Ausgabe Gesinde-
lohn: dem Hauptman — 25 Gulden“; „Ausgabe vor cleidung: dem Ampt-
man zwey cleid jerlich thut — 9 gldn“, beim Amt Rosslau: „Personen: Ein
Hauptman, ein Knecht, ein Schreiber“. „Pferde zu futter: 2 reisige Pferde
des Amptmanns“; beim Amt Dessau: „Gesindelohn: dem Hauptman — 25
fl.“. „Kleydung: dem Amptman sambt zweien knechten zu cleiden — 27 fl.“;
beim Amt Warmsdorf: „Gesindeloh nach des Hauptmans anzeig und bericht
der register — 1 th. 76 fl., vor cleydung dem Amptman und seinem Knecht
vier cleid und deine Ainptschreiber eins — 23 fl.“.
') Bornhak S. 71; Killins S. 154; Isaaksohn S. 42, 03 ff. ; Stölzel, Ge-
lehrtes Richtertum 8. 152.
’) pag. 63.
Schreckcr, Deaintentum in Anhalt 8
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Vogteiverfassung finden, weg. Soweit die Städte sich nicht
eigene Verwaltung erworben haben, sind sie eben in äusseren
Verwaltungsangelegenheiten dem Amte unterstellt, in dessen
Bezirk sie liegen. Auch das Amt eines allgemeinen Dominial-
vogts ist natürlich hinfällig, da ja die ganze neue Verwaltungs-
organisation ihre eigentliche Grundlage in dem landesflirst-
lichen Domänenamt hat. Schon seit Ende des 14. Jahrhunderts l)
lässt sich kein Dominialvogt mehr nachweisen ; sowie das Hin-
neigen der Bezirksverwaltung zum landesfürstlichen Amte sich
bemerkbar macht, verschwindet eben dieses Amt von selbst.
In gewissem Sinne hat es aber vielleicht doch eine Fortsetzung
gefunden; nämlich im 16. Jahrhundert in dem Hauptmann am
landesfürstlichen Hofe 8).
Ihrem Stande nach sind die Amtleute wohl meist adlig und
gehören der Ritterschaft des Landes an3); darauf weisen
schon die Namen hin4). Gelehrte Inhaber eines Bezirksamtes
lassen sich der Art des Amtes entsprechend nicht nachweisen.
') pag. 32, l.
’) pag. 104 ff.
*) U.H.St. Arcli. GAK. IV 24 Nr. 93 (s. pag. 112, 1) (1546); GAB. -
IV 5 Nr. 1 (1547) (s. pag. 112, 5); GAR. — IV 6 Nr. 4 (1568) (s. pag. 74, 1);
vol. III 275/276 Nr. 132 (1546): „drey vom adel, aber der Eine sol sein al-
wegs der Hauptmann zu Zerbst“.
4) Folgende Amt- oder Hauptleute sind nachweisbar:
1453. Gewerdt von Beltz, zu Bernburg (Reg. 458).
1454—1463. Oswalt Bosze, unter Fürst Georg (Reg. 472, 477, 479,
502, 622, 523, 537, 618, 623, 629).
1454 — 1467. Heinrich von Hondorf, zu Dessau (Reg. 472, 477, 522).
1457. Klaus von Arnstedt (Reg. 615).
ev. 1457—1465. Heinrich von Ammendorf (Reg. 522, 654); es ist
möglich, dass er erst später in anhaitische Dienste getreteu ist, da er Reg.
522 Amtmann zu Giebichenstcin genannt wird, später ist er unter Georg I.
Amtmann; vielleicht ist er auch gar nicht auhaltischer Beamter.
1465—1481. Günther von Ilondorf, unter Waldemar und Sieg-
mund (Reg. 650, 658; H.H.St.Arch. K. 44 — IV 98 Nr. 60; K. 44 — IV
57 b Nr. 37 (s. pag. 65, 1)).
1510. Wolff Merzdorff, zu Rosslau (G.Qu.d.Pr.S. XXVIII 1485;
pag. 111, 2).
1517. Hans Bosen, Syverd Gerding, bei der Fürstin Margarete
(G.Qu.d.Pr.S. VI 536).
1 528. AndreasSchlegel.zu Köthen (Fricsc-Liesegang, Anhang 3 S. 322).
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115
In der Regel waren die Amtleute zugleich auch Mitglieder
des landesfiirstlichen Rates *). Und gerade hierdurch erst wurde
einerseits die lokale Landesverwaltung enger an die Zentral-
regierung angeschlossen, bekamen andererseits nun auch Vertreter
der Lokalbehörden Einfluss auf die allgemeine Regierung des
Landes. Während die Vogteiverfassung eigentlich noch völlig für
sich stand, in der innern Verwaltung fast ganz freie Hand, dafür
aber mit der Zentralstelle und der äussern Regierung kaum eine
nähere Berührung hatte, höchstens als Berufungsinstanz und
Einnahmestelle, ist durch die Heranziehung der Amtleute zum
landesfürstlichen Rat die grosse Wichtigkeit der innern Ver-
waltung für die ganze allgemeine Leitung der Staatsgeschäfte
1528. Christof von Fi zenhagen, auf Ballenstädt (Friese-Liesegang,
Anhang 4 S. 328 nnm.).
1531 — 1547. "NTRIas Schlegel, zu Rosslau (H.H.St. Arch. vol. V 278
Nr. 35 (s. pag. 8<j, 4); HAR. IV 5 Nr. 1 (s..pag. 85, 5).
1543—1560. Kaspar Knoche, zu Bernburg, dann zu Warnsdorf
(H.H.St. Arch. GAR. IV 5 Nr. 1 (s. pag. 85, 5); GAR. IV 27 Nr. 118 (1570);
G.Qu.d.Pr.S. VI 622).
1546 — 1567. Hans Statius, zu Zerbst (H. H.St.Arch. GAR. IV 5
Nr. 1; GAR. IV 6 Nr. 2; K. 33 - III 71 Nr. 15 (s. pag. 65, 1); K. 33 —
III 67 b Nr. 8 (s. pag. 65, 1).
1546 — 1570. Oswald Roder (s. pag. 105, 3 — 5), erst am Hofe Fürst
GeorgB, dann in Hartzgerode.
1546 — 1547. Valtin Schlegel, zu Lindau (H.H.St. Arch. GAR. IV
5 Nr. 1 (s. pag. 85, 5) ; GAR. IV 24 Nr. 93.
1547 — 1560. Hans Knetling, zu Guntersberge (G.Qu.d.Pr.S. VI
643, 688).
1557. Wolff von Freyberg, zu Koswig (H.H.St. Arcb. K. 33 — III
71 Nr. 15 „Desgleichen Herrn Wolfgangs und Herrn JoachimB Fürsten zu
Anhalt hierzu Verordnetc Wolff von Freyberge, Hauptmann zu Coswig und
Johan Ripsch Kantzier zu Dessau“).
1555—1560. Hans von Zeinitz, zu Dessau (H.H.St. Arch. GAR. IV
6 Nr. 2 ; vol. V 275 b Nr. 19; K. 33 - III 65 Nr. 2) (s. pag. 65, 1).
1566. Hans Mertenn, zu Ballenstedt (s. Plötzkau 501 (pag. 112, 5).
1567—1570. Christoph Zanthier (H. H. St. Arch. K. 33 — III 67 b
Nr. 8 (pag. 65, 1); GAR. IV 6 Nr. 4 (pag. 74, 1); GAR. IV 27 Nr. 118).
■) Reg. 479 (1455), 515 (1457), 612 (1462), 650, 654 (1465); G.Qu.d.Pr.S.
VI 536 (1517); XXVIII 1485 (1510); H.H.St. Arcb. K. 33 — III 65 Nr. 2
(1556); K. 33 — III 71 Nr. 15 (1557); vol. V 275 b Nr. 19 (1560); GAR.
IV 27 Nr. 118 (1570) (pag. 65, 1).
8*
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116
nunmehr anerkannt und das Verhältnis der äussern und innern
Verwaltung in die richtige Wechselbeziehung gebracht.
Dadurch, dass die Amtleute zum Rate gehören, ist ihre Stel-
lung natürlich eine ziemlich bedeutende, sie rechnen mit unter die
obersten Beamten des Landes und gehören zu den Vertrauens-
männern des Landesherrn. Dass sie keine geringe Rolle
spielen, zeigt auch schon eine Urkunde vom Jahre 1441, in der
bei einem Urfehdevertrag mit mehreren Fürsten, darunter auch
den anhaitischen, noch besonders die einzelnen Amtleute mit
einbegriffen sind1). Unter sich haben sie wohl im allgemeinen
gleiches Ansehen; wenn einzelne Amtleute, wie z. B. Statius,
Roder und andere, mehr hervortreten in den Urkunden, so liegt
das wohl an ihrer Persönlichkeit oder an der grösseren Be-
deutung ihrer Ämter. Dass im Jahre 1546 bei Einsetzung des
Landesregiments der Hauptmann des Amtes Zerbst zum stän-
digen Mitglied bestimmt wird1*), könnte allerdings auf ein
höheres Ansehen desselben schliessen lassen, ist aber allem
Anschein nach darin begründet, dass der Sitz des Regiments
jedenfalls in Zerbst war3) — denn auch die Vertreter der
Städte in dem Regiment sind Zerbster Bürger3) — , und man
für mancherlei Fälle die Unterstützung eines Amtes braucht.
Über die Bestallung der Amtleute ist wenig überliefert;
ihre Anstellung und Absetzung geschieht durch den Landesherrn
persönlich, denn sogar dem 1546 eingesetzten Regiment wird
nicht einmal diese Befugnis zuerkannt4)- Für die Verwaltung
werden ihnen besondere Vorschriften und Verordnungen erteilt,
auf deren Artikel sie verpflichtet werden5). Vor allem wird
■) Reg. 345 (1441).
•) pag. 70, 3 nnd dazu 114, 3.
*) pag. 70, 3; H.H.St.Arch. vol. III 275/276 Nr. 132 „In Grenzen-
sachen oder do es sonst besichtignnge bedarf, sollen sie alwege etliche von
Inen verordnen, dartzu der Hauptmaun pfcrd und wagen bestellen wirt“.
*) H.H.St.Arch. vol. III 275/276 Nr. 132: „Doch mit auf, annehmung
und entsetzung der amptlente und Diener sollen sie sich an unsre sonder-
lichen befehel nicht einlassen“.
5) Reg. 573 (1460); H.H.St.Arch. vol. III 233 Nr. 1 nnd 2 (14S4), a)
Vogteiordnung von Koswig: „Item cs sal der ampmann vorbunden sin uff
unden vortzeicbende artikcl. Item zcum erstenn getrow gehorsam nnd an-
wertich zcu sein als cyn kueclit scym liern plichtig ist, syner gnaden schaden
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von ihnen Gehorsam verlangt. In der Ansübung ihrer Amts-
tätigkeit sollen sie gerecht und gewissenhaft sein1). „Wider
die billigkeit und herkommen sollen sie niemandt beschweren
oder an demjenigen, so inen zu Rechte zustehet, vorunruhigen
oder sonst unnotturfftige gezenk erwecken “ *). Geschenke zu
nehmen, ohne besondere Erlaubnis, ist ihnen verboten, Forderun-
gen dürfen sie nur nach vollkommener Rechenschaft über ihre
bisherige Tätigkeit stellen3). Fehler oder Mängel in ihrem
Befehlsbereich haben sie bei der Zentralstelle vorzubringen,
deren Beaufsichtigung und Kontrolle sie überhaupt stets un-
terstellt sind4). Vergehungen oder Nachlässigkeit gegen ihre
Pflichten werden ernstlich bestraft5).
Die Tätigkeit6) des Amtmanns ist auch im 15./16. Jahr-
hundert noch eine sehr vielseitige, wenn auch durch die all-
gemeine Verteilung der Geschäfte au einzelne besondere Stellen
gerade dem Vorsteher des lokalen Verwaltungsdistrikts manche
zcu wenden und zcu vorwaren. Item nach Ianth der vertzeichnunge sich zcu
halten“; b) Haushaltungsbuch von Zerbst (1484): „Item nach ianth unthir
vertzeicbenter weisse sol das gesinde angenommen werden. Zcum erstenn
sal der voyth sich haltenn nach under vortzeichender weisse. Item mynetn
gnedigenn Hem getrowe anwertich unde gehorsam zcu seiude als eynem ge-
trouwen knechte eigent und gebort. Item er sal sich halteu nach vortzeich-
ungbe ym gebenn“; c) ebenso bei Lyndow und Rosslau.
') P.u.L.0. XII Abs. 1; pag. 116, 5.
*) P.u.L.0. XII Abs. 2 (1572).
*) H.H.St-Arch. vol. III 233 Nr. 1 und 2, Vogteiordnung von Koswig:
„Item keyn geschenkc zcn nehmen, suudern mynes herrn wissen und fulbort.
Item von myne hern nicht zcu vordem , er habe denn fulleukomen rechent-
schafft getan“.
•) P.u.L.0. XII Abs. 2 (1672); H.H.St.Arch. vol. III 275/276 Nr. 132
„Des sollen auch alle Amptleute, schosser, vogte, Holtzförster und wer
rechtes in befehel hat und mangol hat, das alsdan furzubringen vorstendigt
werden. Uber das mögen auch unsre Befebelhaber zu ider Zeit, wan es die
not erheischet, die erfordern und wies allenthalben damit gelegen, bei inen
erkundigen. Insonderheit sollen sie die auf bestimpten tag in der Wochen
nach einander des Jars zwei selber Vorbescheiden nnd ihre Gebrechen anhoeren,
auch was auch sonst in der geheim ein Ider erkundet ader erfur, und etwan
unvleis, mangel ader nicht genugsam trawe erplinde. den ander vormelden,
in Zeiten das zcutrifft nnd weiter schaden hintzukomme“.
‘) P.u.L.0. IV Abs. 7.
*) Borahak S. 38, 52 fl. ; L&mprecht S. 1389 ff.
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Befugnisse entzogen sind, namentlich auf finanziellem wie auf
jurisdiktionellem Gebiete durch Einrichtung einer eigenen
Finanzbehörde und eines hofrichterlichen Kollegiums im landes-
fürstlichen Rate.
Die Hauptaufgaben des Amtmanns sind jetzt natürlich
wirtschaftlicher Natur. Vor allem ist ihm die Verwaltung
seines eigentlichen Amtes, seiner Domäne übertragen *). Er ist
unmittelbar dafür verantwortlich, dass „des Amtes nutzung
und gefelle in beste richtigkeit, ordenung und auffnehmen“ ge-
bracht werden*).
Zunächst ist ihm natürlich die Aufsicht Uber das zum Amt
gehörige Schloss und die ganze Haushaltung übertragen *). Er
hat darauf zu achten, dass das Schloss in der Nacht richtig
verschlossen wird. Ohne seines Herrn Wissen darf er dasselbe
nicht verlassen, sondern soll alle Nacht „daruff ligen“. An-
dernfalls hat er für die beste Vertretung zu sorgen4). Für
seinen Herrn oder dessen Botschaften soll er das Schloss bereit
halten, andererseits es aber ohne Befehl „in keynes andern ge-
walt kommen lassen“6). Innerhalb des Schlosses hat er auf
Burgfrieden zu sehen und dessen Übertretung zu strafen6).
') Genaue Nachrichten Ober diese Tätigkeit geben nns einige Amts-
ordnungen von 1484 (H. H.St.Arcb. vol. III 233 Nr. 1 und 2) und die In-
struktion für den Rentmeister Alex Pultz 1574, in der ja die ganze Ver-
waltung des Amtes Dessau genau festgesetzt wird.
’) Rentmeisterinstruktion (Anhang 4).
*) H.H.St.Arch. GAR. — IV 24 Nr. 93 (1546), Anschlag des Amtes
Dessau: „Personen, durchs Jar uf der kost zu halten von noten: Ein Ampt-
man — — — Damit der Hatiptmau der Haushaltung desto bass ob sein
mochte“; vol. III 233 Nr. 1 und 2 (1484), Anschlag der Ämter Koswig (a),
und Zerbst (b).
*) a) „Item das slohs alle nacht zeu versliessen, alle nacht dar uff ligen
adir ob her van etliche nottrofft mit unsserm wissen nsstzoge, dar mit den
besten zeu bestellen“, b) „Item er sal sunder myne hem willen nicht vom
slosse blibenn nnde ez mit dem uff unde zctislissen ufs trauwelichste vor-
warenn. — Item das slohs Hihslich vorslissen, de slossel by sich bchaltenn
ader eynern getrauwen befclenn“.
*) a) „Item myne hern syu slohs uff stehen lassen undc syner gnaden
botschafftenn — Item das slos in keynes andern gowalt kommen lassen
snnder nnssers hern geheis“.
•) b) „Item bnrehfrede haitonn und alle, die burchfrede brecheuu, be-
weihseu als eym fromeu, getrauwen knechte eigent unde gebort“.
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119
Ferner soll er „uff islichen huhsrath trouwelichen sehen“;
Küche, Keller, Brauhaus und Backhaus, auch die Schmiede
unterstehen seiner Aufsicht, Veruntreuungen hat er sogleich zu
melden *).
Entspricht seine Tätigkeit insofern im wesentlichen der
des Marschalls am fürstlichen Hofe, so kommt dazu die eines
Gutsver Walters, denn auch die ganze Leitung des landwirt-
schaftlichen Betriebes der Domäne ist dem Amtmann unter-
stellt. Er hat auf die richtige Bestellung des Ackers und die
rechtzeitige Einbringung der Ernte zu achten8), hat die Vor-
werke zu inspizieren und deren Verwaltung seitens der Meier
zu beaufsichtigen3), wie für die Instandhaltung von Mühlen,
Schäfereien, Dammgebäuden u. dgl. zu sorgen4). Vor allem
sind seiner Oberaufsicht auch die zum Amt gehörigen Forsten
unterstellt5); hier 'hat er besonders den Holzhandel zu kon-
trollieren, der in damaliger Zeit schon sehr wichtig gewesen
zu sein scheint6). Jedenfalls werden in der Rentmeister-
instruktion von 1574 ganz genaue Bestimmungen für die Holz-
’) a) „Item off daz ackerwerk, mülenwerk und isslichen huhsrath trou-
welichen sehen, dar geliehen uff brauwen und alle dingbe an allen gewin“.
b) „Item nffsebenn das im backhuse dy woche nicht meher, dan 1. wispel
rockenn gebacken werde, wan my her hoff dar heit, dar geliehen. Im brau-
wehus.se, kochen, keller unde smydenn eyn uffsehenn haben, wan etwas von
untrauwet wirt, uns sunder vorhaltunghe vorkundigen'1.
*) a) s. anm. 1. b) „Item den acker zu pifigen, eyden, sehen unde das
körn unde haw zeu bequemelicber tziit in zeubringenn, getrenwelichcnn
bestellen".
*) b) „Item sal er alle Vorwerke beriten und uff trauwelichste ussinn,
das myn hem van dem meyger nichts vor untrauwet werde“.
4) Rentmeisterinstruktion (Anhang 4); a) s. anm. 1.
5) H. H.St.Arch. GAR. IV 24 Nr. 93 (1546), Anschlag des Amtes Dessau:
„und so weren beide der Hanptman und der Schosser obriste aufseher über
die bolzmarken und holzfurster“ ; Anschlag des Amtes Wörlitz: „Nota der
Voigt uffira hous were obrister Holzfurster und Amptman, dar hette einen
unterholzfurster und etzlicbc unterleuffer davon jerlich zu bcsoldung —
3 fl.“; P.n. L.O. XXV Abs. 2 (1572); Rentmeisterinstruktion (Anhang 4).
•) Rentmeisterinstniktion (Anhang 4); H. H.St.Arch. K. 33 — III 71
Nr. 15, Vorweisregister von Rosslan (1567) „Nutzung der Holtzmarken: die
alten Holzhauer und Holzfurster, desgleichen der Amptmann selber berichtet,
dass man alle Jahr Jerlichonn und so fort und fort — holtz kann hauen“.
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120
Verwendung im Amte Dessau getroffen. Auch die Überwachung
der zum Amte gehörigen Jagd gehört zu den Pflichten des
Amtmanns1), ebenso hat er Fischereigerechtsame2). Natürlich
hat er auch die Aufsicht über das gesamte Beamtenpersonal
und Gesinde des Amts, er lohnt sie selbst ab und hat darüber
genau Buch zu führen s). Die ganzen Einkünfte des Amtes
sind natürlich ebenfalls seiner Verwaltung unterstellt.
Über die gesamte Verwaltungstätigkeit im Amt hat er jähr-
lich bei der Zentralstelle Rechnung einzureichen und dem
Landesherrn Bericht zu erstatten4). Einnahmen an Geld hat
er an die Rentkammer abzuliefern, die Rechnungen soll er
daher möglichst so schliessen, dass keine Rückstände bleiben,
sondern alles „an barem gelde einbringou“ 6).
Im wesentlichen ist nun aber die bisher behandelte Wirk-
samkeit des Amtmanns ein rein persönlicher Dienst für den
Landesherrn und hat mit der Landesverwaltung an sich wenig
zu tun. Und doch ist gerade der Amtmann durch diese Ver-
waltungstätigkeit auf der Domäne auch staatsrechtlich in den
Mittelpunkt des ganzen Amtsbezirks gerückt. Als Administrator
eines der grössten Güter, meist wohl des grössten im Bezirk,
kennt er die lokalen Verhältnisse und ist so der gegebene
Vertreter des Landesherrn für dessen Verwaltung. Dies ist
jedenfalls auch wohl überhaupt der Grund für die Einrichtung
der Ämterverfassung. Dadurch dass das Amt, der eigentlich
eigene Privatbesitz des Landesfürsten, zum Mittelpunkt eines
ganzen Verwaltungsbezirks gemacht ist, ist eben dem Landes-
herrn vielmehr Einfluss auf dessen ganze Leitung gegeben, als
zur Zeit der Vogteiverfassung, die sich an allgemeine äussere
Punkte anschliesst und daher in sich viel selbständiger ist.
’) a) „Item nymanden zcu jagen lassen sunder mynes liern gebeiss unde
falbort“.
’) G.Qu.d.Pr.S. VI 620 (1542). .
*) H.H.St.Arch. GAB. IV 24 Nr. 93: s. pag. 113, 1 und Anschlag des
Amts Plozigk: „Personen: — Uber das bat es ein manchfalttiges beyspeissen,
wie des schosscrs ubergeben vorzeichnus mitbringt“.
4) Statthalterinstruktion (Anhang 2); Kammerinstruktion (Anhang 3);
und pag. 119, 6.
i) Kentmeistcrinstruktion (Anhang 4).
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121
Der Amtmann ist zwar einerseits durchaus der Nachfolger des
Vogtes in der Verwaltung des lokalen Bezirks, aber er ist
andererseits doch jetzt enger an die fürstlichen Interessen ge-
bunden. mehr rein öffentlicher Beamter des Landesherrn als
früher. Auch in der Lokalverwaltung zeigt sich also, wie in
der Zeutralregierung das Bestreben des Landesherrn, die ganze
Verwaltung des Landes an seine eigentlichen, ihm ergebenen
Beamten zu bringen1).
Die Tätigkeit des Amtmanns in der Verwaltung des zu
seiner Domäne gehörigen Amtsbezirks ist im wesentlichen noch
dieselbe, wie die des Vogtes8). Auch er hat wirtschaftlich-
polizeiliche, jurisdiktionelle und finanzielle Funktionen auszu-
üben, wenn auch letztere meist seinen Unterbeamten über-
tragen sind; er hat sich zu kümmern, „umb Eigenthumb,
Obrigkeit, Volge, Steuer, Gerichte, Wildtpane, Jagd oder
anders“, wie es in der Polizei- und Landesordnung von 1572
heisst3), die uns besonders genaue Nachrichten naturgemäss
über die Pflichten des Amtmanns gibt.
Als administrativem Landesbeamten ist dem Amtmann
auch jetzt die ganze Ordnung der wirtschaftlichen Verhältnisse
im Bezirk überlassen. Er hat darauf zu achten, dass bei Kauf
stehenden Getreides keine Übervorteilung vorkommt4), die
Äcker richtig besät und keinesfalls verpachtet werden5). Vor
allem soll er auch auf die Güter Ausländischer Acht haben
und von ihnen dieselben Lasten und Abgaben einfordern, die
die Untertanen tragen müssen6). Ferner ist ihm die Grenzregu-
lierung iu den einzelnen Feldmarken 7) und die Sorge für die
Strassenbesserungen, Dämme. Wege, Schläge und Landstrassen,
übertragen, Nachlässige soll er strafen oder dem Fürsten an-
>) pag. 70.
2) Bornhak S. 7, 53 ff. ; Holtze S. 56 ff. ; Schröder, Rechtsgeschichte
S. 609 ff. ; Lampreckt S. 1330, 1398 ff. ; Roscuthal , Oericbtswescu S. 326 ff. ;
v. Maurer IV 429 ff.
») P.u.L.0. XII Abs. 2.
‘) P.u.L.O. XVI Abs. 4.
5) P.u.L.0. XX Abs. 6.
•) P.u.L.0. XXI Abs. 2.
’) P.u.L.O. XXII Abs. 1 und 2.
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122
zeigen *). Auch hat er die Aufsicht über die Waldungen und
Fischereien *).
In den Städten und auf den Märkten hat der Amtmann
neben dem Rat und andern Beamten auf geordnete Kaufver-
hältnisse zu sehen3), das Nahrungswesen zu überwachen und
die Gewichte zu prüfen. Zur Erteilung der Gewerbeberechti-
gung seitens des Rates ist seine Zustimmung einzuholen4).
Ferner ist dem Amtmann die Wahrung der landesherrlichen
Kirchenhoheitsrechte übertragen. Alle Jahre hat er mit den
Pfarrherrn die Rechnungen der Kirchen zu revidieren und den
Zustand von Kirchen und Pfarrgebäuden zu besichtigen, ev. Ab-
hilfe anzuordnen5). Gelegentlich darf der Amtmann sogar Be-
lehnungen vornehmen •), wie er auch bei Aufstellung von Lehn-
büchern beteiligt sein kann7).
Die polizeiliche Tätigkeit des Amtmanns erstreckt sich
natürlich auch jetzt auf die Aufrechterhaltung der Ruhe und
Ordnung in seinem Bezirk. Er hat bei Kirmessen und
Spielen darauf zu achten, dass keine unnütze Prasserei ent-
steht8), und selbst bei Hochzeitsfestlichkeiten steht ihm eine
gewisse Kontrolle zu9). Vor allem ist er natürlich für die
Sicherheit des Landes verantwortlich. Auch in der Polizei-
und Landesordnung von 1572 wird den Haupt- und Amtleuten
mit andern lokalen Beamten „in Sonderheit“ aufgetragen,
Räuber im Lande auf alle Weise zu verfolgen und auch auf
fremdem Gebiete darin nicht nachzulassen, damit sie „zu
hafften möchten gebracht werden“ 10). Ebenso sollen sie das
Betteln und Hausieren herrenloser Knechte und Müssiggängcr
nicht leideu, sondern dieselben zur Anzeige bringen und be-
') P.u.L.O. XXIII Abs. 1.
*) P.u.L.O. XXV Abs. 2.
*) P.u.L.O. XXX Abs. 2; s. a. Rachel S. 9 ff.
•) P.u.L.O. XXXI Abs. 5 und 4.
*) P.u.L.O. XXXVIII Abs. 2.
*) Reg. 452 (1452).
*) S. pag. 86, 4.
•) P.u.L.O. XLI Abs. 1.
•) P.u.L.O. XXXIX Abs. 11.
">) P.u.L.O. XLIII Abs. 2.
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strafen; Zusammenrottungen solleu sie melden1), eben für
völlige Sicherheit sorgen.
Auch in jurisdiktioneller Hinsicht2) ist der Amtmaun
Nachfolger des früheren Bezirksvogts, auch ihm ist in seinem
Amtsbereich die volle richterliche Tätigkeit übertragen3). Er
ist wohl der Richter der Landgerichte4), besondere landes-
fürstliche Gerichtsbeamte finden sich auch jetzt noch nicht.
Der Amtmann ist verpflichtet, alle Gerichte und Dingtage
zu besuchen, über alles, „was sich vor den gerichten begibt“,
soll er „eyn sunderlich register machen“, um an einem be-
stimmten Tage im Jahre dem Landesherrn davon Verzeichnisse
einzureichen5). Er ist sowohl Untersuchungsrichter6), als auch
hat er volle gerichtliche Vollziehungsgewalt, sowie das Recht,
Urteilssprüche zu erteilen7).
Gute Auskunft über die richterliche Tätigkeit des Amt-
manns gibt ebenfalls wieder die Polizei- und Landesordnung
vom Jahre 1572. Er ist zuständiger Richter in Ehesachen.
So hat er die Eheverträge „in der Ernpter Handelbuch“ ein-
zutragen und hierbei darauf zu achten, dass keine „uubilliche
betcidigunge“ geschieht8), desgleichen soll er über Ehestreitig-
keiten im Lande wachen9). Auch die Regelung der Vormund-
schaftsverhältnisse ist seine Sache10). Ferner hat er Gottes-
') P.u.L.0. XLIII Aba. 3.
’) Vgl. bes. Bornhak S. 43 ff. ; Lamprecht S. 1330, 1404.
») Vgl. Keg. 574 (1460); P.n.L.O. VIII.
*) Vgl. Schröder, Rechtsgesckickte S. 567; Stölzel, Gelehrtes Richtertum
S. 330 ff.
*) H.H.St.Arch. vol, III 233 Nr. 1 nnd 2 (1484), a) Anschlag des Amtes
Koswig: „Item dy dingh dage zcn besuchen, dar von eyn sunderlich register
machen, was sich vor den gerichten begibt unde da von myn gnädigen Hem
vertzeichnnuge geben in der pingsten heiligen tagen“; b) Anschlag des
Amtes Zerbst: „Item das lionegcrichte und ander gerichte getrau wclichcnu
nach sineui besteun vermögen beriten“.
*) Vgl. Friese-Liesegang, Anhang 3 S. 322 (1528), Anhang 4 S. 328,
anm. (1528).
*) Beckmann IV 6 S. 550 (1551); P.n.L.O. VIII.
») P.u.L.0. XXIV Abs. 6.
») P.u.L.0. III Abs. 15.
'») P.u.L.0. XXXVII Abs. 2.
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lästerern naclizuforschen und sie zu bestrafen1), auch au von
geistlichen Gerichten Verurteilten die Exekution auszuführen a).
Völlerei und alle solche Laster soll er „uunachlässig, vormuge
der Rechte“ strafen und auf keinen Fall dieselben etwa ver-
schweigen 3). Ferner ist der Amtmann zuständiger Richter bei
Schuldvergehen landesfürstlicher Leute gegenüber städtischen
Bürgern4). In peinlichen Sachen soll er, auch wenn kein
Kläger da ist, das Verfahren führen „und die ubertrettunge
nach Ordnung der Rechte peinlich straffen lassen“5). Allerdings
ist ihm hierbei nicht mehr ganz freie Hand gelassen, vielmehr
ist die Entscheidung über peinliche Sachen, „dadurch das
Leben vorwirket“, meist wohl noch dem Gerichte des Landes-
herrn und seiner Räte zugeteilt6).
Überhaupt hat der Landesherr, der natürlich immer Ober-
iustanz ist, jetzt wohl in Sachen der hohem Gerichtsbarkeit
mehr in die lokale Rechtsprechung eingegriffen und vor allem
mehr Kontrolle über die Entscheidungen ausgeübt, als im Mittel-
alter, während die niedere Gerichtsbarkeit noch völlig der lo-
kalen Verwaltung überlassen bleibt. Jedenfalls wird in der
Polizei- und Landesordnung von 1572 bestimmt, „dass die ge-
meinen Klagen, Sonderlich geringschetzig Sachen, die nicht
ohne Mittel für uns gehören, in unsern Ampten, Stedten und
bey ander Gerichtshabern, so solche Sachen zu entscheiden ge-
bären, gesucht werden“ 7). Man sieht also, in den gerichtlichen
Kompetenzen des Amtmanns gegenüber denen des Vogtes hat
sich doch manches geändert. Ist der Vogt früher nur Richter
des Hochgerichts, aber hier fast ganz selbständig, so ist der
Amtmann in seinen oberrichterlichen Befugnissen jetzt mehr
') P.u.L.O. IV Abs. 5 und 7.
*) P.u.L.O. II Abs. 10.
*) P.u.L.O. V Abs. 2.
*) lieg. 574 (1462).
*) P. u. L. 0. VI Abs. 2 und 3.
•) P.u.L.O. V Abs. 2; H.H.St.Arch. vol. III 276/276 Nr. 132, Regi-
ineutsorduung von 1542 (s. pag. 77, 8); s. a. Stölzel, Gelehrtes Richtertuni
S. 353 ff.
’) P.u.L.O. VIII Abs. 2.
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beschränkt1), dafür sind ihm aber wohl manche niederrichter-
liche Kompetenzen wiederum überlassen.
Jedenfalls ist der Amtmann sicher ausübender Richter mit
dem vollen Recht zu urteilen und zu strafen. Eine bestimmte
Scheidung zwischen Urteilfinder und Richter ist nicht mehr zu
finden, der landesherrliche Beamte urteilt ebenfalls allein, ohne
Schöffen3). Er soll hier, wenn es am Platze ist, strtng auf
das Rechte sehen und nichts verschweigen oder vertuschen3).
Andererseits wird ihm aber auch dringend empfohlen, gerade
hierin nicht zu scharf vorzugehen und nicht etwa jemand mit
Willen Unrecht zu tun oder ohne des Herrn Bewilligung zu
bestrafen4), vielmehr, wenn angängig, bei zivilen Streitigkeiten
erst die Parteien anzuhören und möglichst eine gütliche Einigung
zu versuchen, um unnütze Kosten und Mühe zu ersparen5).
Auch die Verwaltung der Gerichtsgeschäfte ist in die
Hände des Amtmanns gelegt. Er hat für die richtige Ver-
teilung der Gerichtskosten zu sorgen und vor allem darauf zu
sehen, dass, wo dieselben dem Kläger zufallen, wie bei pein-
lichen Klagen, diesem keine unnötigen Kosten erwachsen. Ist
der Kläger nicht zahlungsfähig oder überhaupt kein Kläger
da, so sollen die Unkosten „aus Anlagen des Ampts“ und „der
Gerichtsvorwandten“ gedeckt werden6). Ebenso hat der Amt-
mann die Gerichtsgefälle einzuziehen und darüber ein beson-
deres Verzeichnis anzulegen T).
Die Einziehung dieser Gerichtsgefälle, wie die Verrechnung
') Stölzel, Gelehrtes Richtertnm S. 206 ff., 252 ff.
*) Stölzel, Gelehrtes Richtertum S. 332 ff.; v. Below, Rezeption S. 30. 51.
*) P.u.L.0. IV 7, V 2; H.H.St.Arch. vol. III 233 Nr. 1 und 2 (1484),
Vogteiordnung von Koswig: „Item nymanden mit willen unrecht thun unde
keyn hässlich suche zeu verewigen".
*) anm. 3 u. dies. Stelle „Item keynen underthan zeu verbllssen hinder
mync hem wissen und bewilligunge“ ; s. Eggers S. 57.
•) P.u.L.0. VIII Abs. 4.
•) P.u.L.0. VI Abs. 2 und 3; s. Planck S. 156 ff.
*) H.H.St.Arch. vol. III 233 Nr. 1 und 2 (1484), a) Vogteiordnung von
Koswig: „Item das gerichte, feile trouwelichen in zeu mane und die in be-
sunder register zeubringen"; b) Anschlag des Amtes Zerbst: „unde das
gericht, feile unde brache getrouwelichen zceicheu unde in rnyne hern nutz
keren“.
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der Domäneneinkünfte weist nun schon an sich auf eine
finanzielle Tätigkeit des Amtmanns hin, und in der Tat
sind demselben durchaus noch, wie dem Vogt, die finanziellen
Funktionen in seinem Bezirk übertragen; er kann sie aber
auch an einen Unterbeamten abgeben.
Auch der Amtmann hat Grundsteuern und Lasten zu ver-
teilen Und einzufordern1), wie Renten und Zinsen einzu-
mahnen *). Ferner hat er die Einkünfte aus Zoll und Geleite
zu verwalten 3). Zieht er sie nicht selbst ein, sondern geschieht
es durch besondere Geleitsmänner, so ist ihre weitere Besor-
gung doch Sache des Amtmanns, dem diese ihre Rechnungen
wöchentlich vorzulegcu haben 4). Selbst die Einnahmen von
den Wochenmärkten in den Städten gehen durch die Hände
des Amtmanns 5).
Und doch ist auch in der finanziellen Verwaltung des
Amtmanns ein Unterschied gegenüber der des Vogtes6). Wäh-
rend in früherer Zeit der Vogt die Einkünfte meist zu Zwecken
des Bezirks gleich wieder verbraucht und nur die Überschüsse
abliefert, auch nur gelegentlich Rechnung ablegt, hat der Amt-
mann über die ganze Verwaltung Bericht zu erstatten, alle
Einnahmen und Ausgaben genau aufzuzeichnen und abzuliefern,
und darf nur mit Wissen des Landesherrn etwas ausgeben7).
Vor allem aber ist er einer strengen Rechnungslegung zu ganz
bestimmten Terminen im Jahr unterworfen8) und kann auch
'} Reg. 246 (1437), 559 (1460); P.n.L.O. XXI Abs. 2.
«) G.Qu.d.Pr.S. XXVIII 1300 (1504); TI. H. St. Arcb. vol. III 233 Nr. 1
und 2 (1484), Vogteiordnung von Koswig: „Item tziuhse und renthe in zeu
manen".
*) H.H.St.Arch. vol. III 233 Nr. 1 und 2 (1484), Koswig: „Item tzolle
und geleite nach begriff dar redelich zeu nehmen und rnyncn hern daz ge-
trouwelicben behalten und syucr gnaden antworten adir mit syner gnaden
wissen ussgebeu“.
*) Reg. 452 (1452).
s) Reg. 452 (1452).
“) v. Below, Territorium S. 288 ff. ; Lamprecht S. 1389; Winttcrlin S. 5 ff.
’) H.H.St.Arch. vol. III 233 Nr. 1 und 2 (1484); Vogteiordnnng von
Koswig: „Item alle mande soll er myn hern vortzeichent gebenn, was iglicb
wochc und iglich tag geleite worden ist und welch dag nicht worden ist,
sal er das wort setze: nichil“; vgl. auch anm. 3.
") Vogteiordnung von Koswig: „Item er sol rechen in der osterwachen1'.
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stets durch Visitationen kontrolliert werden l). Eine Bedrük-
kung der Anitseinwolmer, wie zur Zeit der Vogteiverfassung,
kann also nicht mehr so leicht Vorkommen, der Amtmann ist
viel zu sehr von der Revision der Rentkammer abhängig, ihm
fehlt eben die grosse Selbständigkeit des Vogtes gegenüber der
Zentralstelle.
Über militärische Aufgaben des Amtmanns ist wieder
nur sehr wenig überliefert, doch lässt der Titel Hauptmann
wohl auf eine derartige Tätigkeit schliessen. Bestimmte Nach-
richten haben wir nur aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts.
Hiernach hat der Amtmann in Vertretung des Fürsten die
Führung des Truppenkontigents bei Fehdesachen zu über-
nehmen*). Ob im 16. Jahrhundert, wo das Süldnertum ins
Kriegswesen eintritt3), ihm auch noch derartige Aufgaben
übertragen werden, lässt sich nicht sicher entscheiden, ist aber
möglich, da einige Male Amtleute im Kriegslager oder in ge-
schäftlicher Berührung mit Soldaten sich nachweisen lassen4).
Natürlich sind die Amtleute in ihrer Tätigkeit nicht nur
auf ihren Amtsbezirk angewiesen, sondern werden, wie schon
ihre Zugehörigkeit zum landesfürstlichen Rat mit sich bringt6),
zu allen möglichen andern Geschäften herangezogen. Sie
führen als Vertreter ihres Landesherrn die Verhandlungen in
auswärtigen Gerichtssachen6), richten Verwaltungsregister mit
ein 7), werden als Gesandte verwendet 8) und übernehmen Bürg-
schaften für ihren Herrn9); dienen auch sonst oft als Be-
’) Statthalterinstruktion (Anhang 2).
*) Reg. 26 (1404), 374 (1443).
*) v. Below, Territorium S. 287.
*) H.H.St. Arcli. GAR. IV 6 Nr. 1; Landtag von 1547, Ausgabe von
vorigem Gelde: „20 thaler fünf Spaniern gegeben, so umb Wannsdorf und
plozk — — gelegen, durch Rodern gegeben worden“. „32 thaler Yaltien
Schlegeln widergegeben, die ehr auch neben der abgesetzten abfertigung der
Ilispanier ausgelegt“; vgl. auch pag. 85, 4; 86, 6.
4) pag. 115, 1.
*) pag. 112, 5 (1566).
’) pag. 65, 1 (1557).
•) H.H.St.Arch. GAR. IV 5 Nr. 1 (1547) „22 Gulden 13 gr. an 19
thalern Hansen Statins zur Zerung einmahl nach Torgau, und zweimabl nach
Berlin gegeben worden“.
•) Reg. 502 (1456).
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urkundungszeugen '). Namentlich wichtige innere Verwaltungs-
angelegenheiten sind wohl nie ohne Beteiligung einiger Amt-
leute erledigt worden. Bei Einsetzung der Landesregiments-
ordnung für das Zerbster Territorium sind auch sämtliche
Amtsvorsteher des Gebietes als Beurkundungszeugen zuge-
zogen 2), und von den 6 Mitgliedern dieses Regiments noch zwei
aus ihrem Kreise genommen3). Einer von diesen, der Haupt-
mann von Zerbst, spielt in der Kommission sogar eine hervor-
ragende Rolle4). Er hat in den Gerichtssitzungen die erste
urteilende Stimme5), führt das „Sekret“ bei sich, unter dem
die Beschlüsse ausgefertigt werden sollen 6) und ist im Besitz
eines der Schlüssel ■ zum Aufbewahrungsort des Siegels7). Auch
in den von den Landständen für Erhebung der Steuern einge-
setzten Kommissionen sind nicht selten Amtleute vertreten8),
wie sie auch zur Erledigung der allgemeinen Geldgeschäfte im
Lande oft verwendet werden 9). Mitunter wird den Amtleuten
sogar neben ihrem eigentlichen Amt auch noch die zeitweilige
Verwaltung und Sicherung fremder Güter in gefahrvoller Zeit
') Keg. 458, 472, 477, 479 (1453—4465), 623,629 (1463); H.H.St.Arch.
K. 44 — IV 57 b Nr. 37 (1481) (s. pag. 65, 1); K. 44 — IV 60 Nr. 41 (1492)
(s. pag. 73, 3); G.Qu.d.Pr.S. VI 640, 643 (1547).
*) pag. 85, 5 (1546).
*) pag. 112, 5.
*) pag. 70, 3, dazu 114, 3.
8) pag. 78, 8; 66, 1.
*) H.H.St.Arch. vol. III 275/276 Nr. 132 „Was dan in genanten Sachen
sic alle oder der mehrere teil entschliessen, das soll in Iren der bcfehelhnber
nahmen under ein besondern Sekret hierzu verordnet, so der Hauptmann bei
sich haben sol, vorfertigt werden“.
’) pag- 87, 3.
8) pag. 74, 1 ; ev. 90, 6.
») H.H.St.Arch. GAR. — IV 5 Nr. 1 (1546) „2 m; el. 26'/« thaler 40
spizgroschlein haben Niclns Schlegel und Lorenz Zincke in den Hartzsteden
und Kmpten als Guutersperge, Harzkcrode, auch warmsdorf und plozk auf-
gebracht und entlohnt“. „15 thaler Joseph Troinuieter, durch Nickoly
Schlegel zu Zerbst ubergeben“. „283 thaler (den Königlichen wegen er-
littenen Schadens) und diese Summe ist genanten konigischeu durch Oswalt
Rodern bezealt“; s. a. pag. 95, 4; ferner „200, 64 thaler 12 patzen an 200
krönen anch vom Chnrfr. zu Brnndenburgk, durch Hansen Stacio und Oswalt
Kodern empfangen".
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übertragen *), ein Beweis für ihre wichtige, obrigkeitliche Stel-
lung, die sie zum Schutze auch fremden Besitzes befähigte.
Ihre Besoldung erhalten die Amtleute, wie überhaupt alle
Beamten der lokalen Verwaltung, aus dem Amte selbst; die
Ausgaben dafür werden mit im Amtshaushalt verrechnet, erst
gegen Ende des 16. Jahrhunderts (1570) werden auch sie direkt
von der Rentkammer ausgezahlt2). Die Besoldung besteht im
16. Jahrhundert nunmehr vor allem in bestimmten Geldbezügen,
die anfangs noch nicht bedeutend sind (1484 — 15 fl. pro
Jahr)3), später aber steigen (1546 — 25 fl.4); 1570 — 68 fl.
12 gr.)6). Daneben erhält der Amtmann freie Kleidung6) und
Verpflegung7), auch stehen ihm einige Pferde zur Verfügung").
Auslagen werden ihm natürlich wiedererstattet8); ausserdem
erhält er bei besonderen Ereignissen noch Entschädigungsgelder 10).
') G. Qu.d.Pr.S. VI 649 (1547), 688 (1560).
*) H.H.St. Arch. GAE. — IV 27 Nr. 118: „Dienstgellt den Rethen und
Dienern: 68 9. 12 gr. Christoff Zannthir seine Jbarbesoldung“; „68 9. 12 gr.
— Kaspar Knoch“ (s. a. pag. 105, 5); s. a. Eggers S. 42.
*) H.H.St. Arch. vol. III 233 Nr. 1 und 2, Vugteiordnuug von Rosslau;
„Gesinde lohen“ „Item dem baupmun 15 Gnlden“.
*) H.H.St.Arcb. GAR. IV 24 Nr. 93 „Amt Dessau: (s. pag. 113, 1),
ebenso Amt Zerbst.
*) anm. 2.
*) Jährlich stehen ihm meist 2 Kleider nnd 1 Paar Stiefeln zu (II.H.St.Arch.
GAR. — IV 24 Nr. 93 (1546): Amt Dessau (s. pag. 113, 1), Amt Zerbst
(s. pag. 113, 1), Amt Warmsdorf (s. pag. 113, 1), Amt I’lozigk: „Kleidung
dem Amptm. und seinem Knecht 4 clcit, dem Schreiber eins thut — 23 9.“;
K. 33 — III 71 Nr. 15 (1557), Vorweisregister von Rosslau: „130 Gnlden
Uesindelohenn. 23 9. kleidung dem Amptmann, knecht und schreyber“.
*) pag. 111, 2; 113, 1; 118, 3; 120, 3.
*) H.H.St.Arcb. GAR. IV 24 Nr. 93 (1546) „Amt Dessau: „Pferde, so
zn haltenn nnd zu futtern vonnoten: 3 reisige pferde des Hauptmans, 1 pferd
dem Schosser“; Amt Zerbst: „Pferde uffim Futter zu halon: 2 reysige
Pferde des Hauptmans“; Amt Rosslau (s. pag. 113, 1).
•) H.H.St. Arch. GAR. IV 5 Nr. 1 (1546/47) „40 Gulden an 30 tbalern
Hansen Statio vor ein genommen pferdt“ ; 200, 39 thaler 5 groschen, enzling
ans der Steuer eingenommen, und wiederumb zu notturftigen Zeningen und
andern ausgaben gebraucht, davon auch Yaltin Schlegel 32 ausgelegte thaler
widergegeben“ „30 thaler Hansen Statius gegeben zn widerstatung des
pferdes, so ihm uf der allerersten reise, die ehr mit Nickol schlegel ghen
Torgau ins lagcr gethan, von den Spaniern genommen“; s. a. pag. 97, 6; 127, 4.
,0) pag. 85, 4; 89, 2; 127. 8.
Schreckcr, Beamtentum ln Anhalt 9
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130
Ob er von landesherrlichen Abgaben befreit ist, lässt sich nicht
erkennen, zu den landständischen Steuern wird er jedoch heran-
gezogen ').
b) Die Unterbeamten.
Infolge der strafferen Verwaltungsgrundsätze, die sich seit
dem 15. Jahrhundert allmählich herangebildet haben, auch in-
folge der grösseren Ausdehnung der einzelnen Bezirke und der
Vermehrung der notwendigen Geschäfte, kann nun aber der
Vorsteher des lokalen Verwaltungsbezirks nicht die ganzen Ge-
schäfte allein führen. Seit der neuen Ämterverfassung sind
ihm daher zur direkten Unterstützung und Entlastung noch
andere Beamte zugeteilt *). Dieselben unterstehen durchaus
der Aufsicht des Amtmanns, haben aber innerhalb der Amts-
verwaltung meist ihren ganz bestimmten Wirkungskreis, nehmen
dem Amtmann geradezu einen Teil seiner Tätigkeit ab. Immer-
hin ist aber der Amtmann auch für ihre Geschäftsführung ver-
an wörtlich, sie sind durchaus seine Unterbeamten und stehen
keineswegs etwa in einem derartigen Verhältnisse zu ihm, wie
früher die niederen Lokalbeamten, Stadtpräfekt und Orts-
scbultheiss, zum Vogt. Während diese reine Ortsbeamte und in
ihrer Verwaltungstätigkeit vollkommen selbständig waren, höch-
stens dass sie der Oberaufsicht des Bezirksbeamten unter-
standen, gehören jene ganz und gar zur Bezirksverwaltung und
sind meist uur ausübende, unterstützende Organe des Amt-
manns, selten selbständig verantwortliche Beamte.
a) Ein derartiger zweiter Beamter in der Verwaltung
eines Bezirksamts ist der Schosser, auch Vogt genannt3),
der sich seit dem zweiten Drittel des 16. Jahrhunderts nach-
weisen lässt. Doch nimmt derselbe immerhin noch eine bedeu-
>) H.H.St.Arch. GAR. IV 6 Nr. 2, Landtag von 1555: „Anschlag der
Stenern der Adligen: Amptt Dessau: 8 Pfg. — Hanhs vonn Zeynitz; Amt
Zcrwest: 6 Pf. Hans Statius; Amt au YVarihsdorff und Plotzigk: 8 Pf.
Oswaldt Rodern.
*) Schröder, Rechtsgcschichtc S. <>08 ff. ; Bornhak S. 38, 68; Isaaksohn
S. 63 ff.; Schmoller S. 48; Wintterlin 8. 5; v. Below, Territorium S. 297.
•) Isaaksolm S. 63 ff.; Jakobs, Alter und Ursprung S. 111; v. Below,
Territorium S. 297 ff.
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131
tendere Stellung ein , wie andere Unterbearote. Nicht jedes
Amt hat einen solchen Schosser, er findet sich vielmehr neben
dem Amtmann nur bei grösseren Ämtern1). Ferner ist er
nicht immer nur zweiter Beamter und bloss neben dem Amt-
mann tätig, sondern auch durchaus zu selbständiger Tätigkeit
berechtigt. Gelegentlich wird dem Schosser nämlich auch die
alleinige Verwaltung eines Amtes übertragen8), namentlich
kleinere Ämter sind oft nur einem derartigen Beamten unter-
stellt8). Er führt dann auch wohl den Titel „Amtsverwalter“ *)
oder „ am ts voigt “ 5), einmal findet sich sogar die Bezeichnung
„Amtmann“ für ihn6). Seine Wirksamkeit entspricht dann
natürlich genau der eines Amtmanns, er ist allerdings meist
noch der Oberaufsicht eines benachbarten Amtes unterstellt7).
Seinem Stande nach ist der Schosser in der Regel bürger-
licher Herkunft8), doch findet sich auch ein adliger Träger
dieses Titels9), allerdings in selbständiger Stellung.
Ist der Schosser einem Amte zugeteilt, so ist ihm be-
sonders die Verwaltung der finanziellen Geschäfte übertragen.
Die Erhebung und Verrechnung der Einkünfte und Ausgaben
ist seine eigentliche Aufgabe, er hat die Geldsachen zu regeln
und mit dem Amtmann jedes Jahr Rechnung zu legen 10); ge-
') G.Qu.d.Pr.S. VI 598 (1534); H.H.St.Arch. GAE. IV 24 Nr. 93
(1546), Anschlag des Amtes Dessau: — „und weil Dessau und Lippene fast
mehr uff Haushaltung dan auf gewisse Zinsen stehet, musste neben den
Amptman ein Schosser gehalten werden, der die Sachen mit hulffe vorhoren,
auch die rechnuug der Fischereyeu, Holzkanfe, und also die Geltregister,
einnabme und ausgabe vorwesete“.
*) pag. 112.
*) So ist z. B. Plötzig wohl stets nur von einem Schosser verwaltet
(G. Qu. d. Pr.S. VI 620 (1542), 688 (1560); H.H.St.Arch. GAE. IV 5 Nr. 1
(1546) (s. pag. 85, 5); GAE. IV 24 Nr. 93 (1546) (s. pag. 120, 3).
‘) G.Qu.d.Pr.S. VI 620 (1542).
s) G.Qu.d.Pr.S. VI 688 (1560).
•) G.Qu.d.Pr.S. VI 640 (1547).
’) pag. Hl, 2.
«) G.Qu.d.Pr.S. VI 598 (1534), 688 (1560); XXVIII 1300 (1504); Eeg.
591 (1461).
•) H.H.St.Arch. GAR. IV 5 Nr. 1 (1546) „Nickol Mohr“ (s. pag. 85, 5);
G.Qu.d.Pr.S. VI 640 (1547).
,0) am». I; Anhang 2 und 3.
9*
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132
legentlich verwaltet er auch zugleich die Geschäfte eines
Schreibers ‘). Daneben unterstützt er den Amtmann in der Be-
aufsichtigung der Forsten*) und ist auch sonst in der admini-
strativen wie gerichtlichen Verwaltung des Bezirks tätig8). Ob
er hier auch selbständige Berechtigung hat, wie es nach der
Polizei- und Landesordnung von 1572 aussehen könnte, scheint
mir fraglich; die Erwähnung des Schossers dort kann sich
auch nur auf Schosser in unabhängiger Stellung, entsprechend
dem Amtmann, beziehen, doch ist es immerhin möglich.
Jedenfalls ist der Schosser der bedeutendste Beamte der
Bezirksverwaltung nach dem Amtmann und ohne Zweifel
dessen Stellvertreter. Seine Tätigkeit kann sich ebenfalls auf
alle Zweige der Bezirksverwaltung erstrecken, wenn er auch
hauptsächlich finanzielle Funktionen hat. Auch dies beweist
wieder, dass er nicht so ganz zu den festen Unterbeamteu des
Bezirksamtes zu rechnen ist, er nimmt mehr eine Mittelstellung
zwischen selbständigen und nur ausführenden Beamten ein.
Seine Besoldung besteht ebenfalls in Geld, ist aber nicht
so hoch, wie die eines Amtmanns, auch wenn er ein selbstän-
diges Amt verwaltet. Sie beträgt ihm Jahre 1546 12 oder
15 fl.4), ausserdem erhält auch er Kleidung und Beköstigung5);
auch wenn er neben dem Amtmann tätig ist, steht ihm die Be-
nutzung eines Pferdes zu8).
pf) Dem Vorsteher des Bezirksamtes regelmässig unterstellt
ist der Amtsschreiber7) als ständiger, zweiter Beamter, der
l) H.H.St. Arch. GAR. IV 24 Nr. 93 (1646), Amt Lindau: Ein Schosser
odder voigt vorweset mit das Schreiber Ainpt.
») pag. 119, 5 (1546); P.u.L.O. XXV Abs. 2 (1672).
■) P.u.L.O. II, XXIII, XXX, XXXI, XXXVIII, XLI, XLIII; G.Qn.d.Pr.S.
VI 598 (1534); H.H.St. Arch. vol. III 275,276 Nr. 132 (1546) (s. pag. 78, 1);
vgl. 131, 1).
4) H.H.St.Arch. GAR. IV 24 Nr. 93 (1546), Amt Dessau: „Gcsinde-
lohn: — dem Schosser 15 fl."; Amt Wörlitz: „dem Schosser ader voigte be-
solduug — 12 fl.“.
*) Anschlag des Amtes Dessau (1546) (s. anm. 4): „Kleydung: — dem
Schosser 2 cleid — 9 fl.“; Amt Wörlitz: „dem Schosser vor 2 cleid —
9 fl.; zu Babe ader Lippcnisch Amt gibt, mau nur 1 cleid“ ; s. a. pag. 111,2;
118, 3; 120, 3.
«) pag. 129, 8.
’) Schröder, Rechtsgeschichte S. 609, 786; Boruhak S. 38, 63; Schmoller
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133
sich in jedem Amt unbedingt neben dem Amtmann findet *) und
auch bei Zuteilung eines Schossers wohl meist im Amte
bleibt2); doch tritt auch der Fall ein, dass dem Schosser seine
Tätigkeit mitiibertragen wird3).
Über den Stand des Amtsschreibers lässt sich nichts nach-
weisen, da kein Name überliefert ist; jedenfalls wird er aber,
wie die Schreiber der andern Verwaltungsbehörden4), auch
bürgerlicher Herkunft gewesen sein; ob er Rechtsgelehrsam-
keit besitzt5), ist nicht erkennbar.
Seine Stellung ist rein lokaler Art, zu allgemeinen Ge-
schäften wird er gar nicht herangezogen. Er ist lediglich Ge-
hilfe und ausübendes Organ des Amtmanns. Seine Obliegen-
heiten ergeben sich aus seiner Amtsbezeichnung, er ist mit der
Erledigung der ganzen schriftlichen Tätigkeit im Amtsbezirk
betraut. Gerade die im Laufe der Jahrhunderte gestiegene
Bedeutung schriftlicher Aufzeichnungen in jeglichem Ver-
waltungszweig ist ja ein Hauptgrund für die Vermehrung der
Beamten und verlangt auch im lokalen Amtsbezirk eine Teilung
der Geschäfte. Der dem Amtmann beigegebene Schreiber hat
daher vor allem die ganze Registerführung im Amte unter
sich6), er muss die Rechnungen verzeichnen, auch wohl selbst
einfordern7 8) und diese Verzeichnisse zu bestimmten Zeiten,
S. 48; in andern Teilen Deutschlands wird dieser Beamte auch Keller ge-
nannt (s. Wintterlin S. 5; v. Below, Territorium S. 297; Lamprecht S. 1410).
') Die gewöhnliche Zahl der Beamten in einem Amt ist: der „Haupt-
mann, sein Knecht und ein Schreiber“ (H. H. St.Arcb. K. 33 — III 71 Nr. 15
(1557) Amt Rosslau: „dies aber sint die Personen, so im Ampt zu erhalten
notigk: Ein Hauptinan, sein Knecht, ein Schryber"; vol. III 233 Nr. 1 und
2 (1646) für die Ampter Zerbst, Lindau, Rosslau; GAR. IV 24 Nr. 93 (1546)
für Dessau, für Zerbst, für Warmsdorf (s. pag. 113, 1), für Plozigk (s. pag.
129, 6).
*) H.H.St.Arch. GAR. IV 24 Nr. 93 (1646) im Amt Dessau.
*) pag. 129, 8 (1546).
*) pag. 89 und 97.
5) Schröder, Rechtsgeschichte S. 609; Jakobs, Alter und Ursprung
8. 111.
•) H.H.St.Arch. GAR. — IV 24 Nr. 93 (1546), Amt Dessau: „Ein
Amptschreiber, der allerley Missiven schreibe, auch mit in den vorhom und
handeln were, alle Ding zu registrieren“.
7) H.H.St.Arch. vol. III 233 Nr. 1 und 2 (1484), llausbaltungsbuch von
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134
meist wohl alle Wochen oder 14 Tage, zur Durchsicht ein-
reichen. Ferner hat er die laufenden Briefsachen zu erledigen,
er führt daher das Siegel des Amtes, darf es aber nur mit Er-
laubnis des Landesherrn oder Amtmanns benutzen. Bei Ver-
hören und sonstigen Verhandlungen dient er als Protokoll-
führer1). Sämtliche Schriftstücke hat er in der Schreiberei
des Amtes sorgfältig aufzubewahren, und es ist ihm strengstens
untersagt, irgendwelche Verzeichnisse fortzugeben. Überhaupt
hat er über seine ganze Tätigkeit strengstes Amtsgeheimnis
zu bewahren.
Als Gehalt bekommt er eine bestimmte Geldsumme, im
Jahre 1484 7 Gulden8), 1546 sind es 10 fl.8), 1570 schon
20 fl.4); ferner steht ihm freie Beköstigung und Kleidung
zu5).
y) Die Verwaltung der landesfürstlichen Domäne erfordert
natürlich auch noch eine ganze Anzahl landwirtschaftlicher Be-
amter und Gesindes, im Amt Zerbst sind es z. B. im Jahre
1546 32 Personen6).
So ist oft auf den einzelnen Vorwerken ein besonderer
Zerbst: „Des scribers Arnpt: Item dy smede zcu vorwarenn unde alle
wochenn rechentschafft zca netnen, getrauw gehorsam und anwertich zcu
seynde, keyue sonder rnyne verwillnnge das sigel neme an zcu drtickenn,
nichts und nymande keine vertzeichunge uhs der scriberie zcugebenn und was
gebandelt wirt ingehcym, bis in den doyth behalten unde alle vertzeeu tage
des sunders rechnnngc vertzeickent gebe unde was da der scriberie van
briven ist, uffe beste zcu verwaren“.
*) pag. 133, 6.
’) H.H.St.Arcb. vol. III 233 Xr. 1 und 2; Vogteiordnung von ßosslau:
„Gesindelohen : — Item dem scriber 7 Gulden 1 Jahr“.
*) H.H. St.Arch. GAB. IV 24 Nr. 93, Amt Dessau: Gesindelohn: —
„dem Amptschreiber 10 fl.“; Amt Zerbst: Ausgabe Gesindelohn „ — dem
Amptschreiber 10 fl.“.
*) H.H.St.Arcb. GAR. IV 27 Nr. 118 „20 fl. Johans dem Amptschreiber
ein Jbarlolmn“.
s) H.H.St.Arcb. GAR. IV 24 Nr. 93 (1546), Amt Dessau: Kleydung
— dem Amptschreiber 2 cleid — 9 fl.; Amt Zerbst, „Ausgabe vor cleydung:
— dem Amptschreiber ein cleid thut 5 fl.“; s. a. pag. 111, 2; 113, 1 ; 118, 3;
120, 3; 129, 6; 133, 1.
•) H.H. St.Arch. GAR. — IV 24 Nr. 93.
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135
Hofmeister1) oder Meier2), auch Hausvogt3) genannt, an-
gestellt, zur Beaufsichtigung des Gesindes und Viehs.
In der Haushaltung des Amtes gibt es einen Küchen-
meister4) für Ausgabe des Essens, wie für Futter und Korn,
dem wieder ein Oberkoch4) unterstellt ist; das Amt Dessau
hat einen Küchen- und Kornschreiber5). Die Getränke
werden von einem Kellner4) verwaltet.
Ferner gibt es noch einen Torwärter6), Ackervogt,
Schirrmeister, Stegemeister und sonstiges Gesinde von
Knechten und Mägden7). Dem Amtmann ist stets noch ein be-
sonderer Knecht zugewiesen 8). Im Amt Dessau hat es vor 1574
auch noch einen besonderen „Futtermarschalch“ gegeben9).
Alle diese unteren Domänenangestellten erhalten ebenfalls
freie Beköstigung und Kleidung10), auch wohl geringen Bar-
lohn, einige wenigstens sicher11). Sie sind aber nur Haus- und
landwirtschaftliches Personal des Landesherrn, nicht landes-
fürstliche Beamte.
6) In der Bezirks Verwaltung gibt es aber noch einige
weitere Beamte, die dem Amtmann unterstellt sind. So ist die
Verwaltung der landesherrlichen Forsten besonderen Holz-
förstern18) überwiesen.
') H.H.St.Arcb. GAE. — IV 24 Nr. 93 (1546), Amt Zerbst: In Bias:
Der Hoffmeister — und hat der Hoffmeister nichts unter seiner liant an
allein das gesinde zu regieren und nfs vihe zu sehen; s. a. Rachel S. 116.
’) pag. 119, 3.
*) .Satthalterinstruktion (Anhang 2).
*) H.H.St.Arcb. vol. III 233 Nr. 1 und 2; Haushaltungsbuch von
Zerbst (1484).
*) H.H.St.Arch. GAR. IV 24 Nr. 93 (1546): Gesindelohn „dem Kuchen
n. kornschreiber — 10 fl.“; Kleydung „dem Korn und Kuchenschreiber 1
cleid 5 fl.“.
•) H.H.St.Arcb. GAR. — IV 24 Nr. 93 (1546), Amt Dessau: Gesinde-
lohn: — dem Thorwärter 2 fl.“.
’) H.H.St.Arch. GAR. — IV 24 Nr. 93 (1546), Amt Dessau; vol. III
233 Nr. 1 und 2 (1484), Amt Rosslau: Gesindelohen: „Item dem Stege-
meister 13 Schock“ (ebenso bei Zerbst).
") pag. 113, 1; 129, 6; 133, 1.
”) Statthalterinstruktion (Anhang 2).
*°) pag. 111, 2; 113, 1; 120, 3; 129, 6.
“) anm. 5 — 7.
,J) Isaaksohn S. 132 ff.; Rachel S. 131 ff.
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136
Von einer besonderen ITorstverwaltung kann aber noch
keine Rede sein. Erst im Jahre 1574 wird im Amt Dessau
ein Forstmeister erwähnt, doch auch dieser untersteht direkt
dem Vorsteher des Bezirksamtes *). Der Amtmann ist auch ira
16. Jahrhundert noch der oberste Aufsichtsbeamte für die
Forsten, „oberster Holzförster“, wie es einmal heisst*); jeden-
falls unterstehen die B’örster stets seiner oder des Schossers
Aufsicht 3).
Ihre Aufgabe ist vor allen Dingen die Beaufsichtigung der
landesherrlichen Forsten. Sie haben auf den Bestand der
Holzungen zu achten, besonders „junge Gehane“ vor Holzlesen
und Eintreiben von Vieh zu schützen4), und die Holzverkäufe
zu regeln5). Ferner sollen sie auf die Wildbahnen und den
Bestand des Wildes aufpassen, auch das Ausnehmen von Vogel-
nestern zu verhindern suchen6). Sonst werden sie aber auch
benutzt, die Grenzen des Amtes zu bereiten, auch hin und
wieder als Boten verwandt7).
Ihrem Stande nach gehören sie wohl der Landbevölkerung
an7); aus dem Amt, das wohl auch ihr Sitz ist, erhalten sie
freie Beköstigung und Kleidung8), auch wohl genügen Barlohn.
e) Im 15. Jahrhundert finden sich in der administrativ-
fiskalischen Landesverwaltung noch besondere Landreiter0).
Sie sind ebenfalls Uuterorgane des Amtmanns I0) und haben im
wesentlichen finanzielle Funktionen, nämlich in den Dorfge-
meinden die landesherrlichen Grundsteuern einzutreiben l0) und
') Rentmeisterinstruktion (Anhang 4).
*> pag. 119, 5.
*) pag. 117, 4; 119, 5.
«) P. n.L. 0, XXV Abs. 2.
*) Rentmeisterinstruktion (Anhang 4) (1572); pag. 119, 6 (1557).
•) P.u.L.O. XXVI Abs. 6.
7) H.II.St.Arch. (»AR. IV 24 Nr. 93 (1546), Amt Dessau: „Blasi Holz-
furster, Martinas Holzfurster, den diese beide Holzfurster muss man uf der
kost halten, die grenzen zn bereyteu, nnd sie lün und wider zu vorscbickcu
und zu brauchen“.
*) H.H.St. Arcb. GAR. IV 24 Nr. 93 (1546), Amt Dessau: „Kleydung:
— dem Holzfurster 1 cleidt 5 fl.“.
•) Schröder, Rechtsgeschichte S. 609; Isaaksohn S. 78 ff.
,0) Reg. 296 (1437).
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137
auch bei den Jahrmärkten in den Städten die fiskalischen Ge-
fälle einzuziehen *). Weitere Nachrichten über sie sind nicht
anzutreffen.
f) Zur Regelung des Verkehrs auf den Landstrasseu gibt
es seit der Mitte des 15. Jahrhunderts noch besondere Ge-
leitsmänner, allerdings werden sie nur sehr selten erwähnt2).
Sie sind also wohl von untergeordneter Bedeutung, aber doch
durchaus landesfürstliche Beamte, die auf den Landesherrn
verpflichtet werden. In der Ausübung ihrer Tätigkeit, über
die nichts Näheres überliefert ist, sind sie wahrscheinlich
auf die einzelnen Städte im Lande angewiesen und haben dort
auch ihren Wohnsitz3). Sie unterstehen den Vorstehern des
Amtsbezirks, denen sic wöchentlich Rechnung legen müssen.
3. Die Beamten der Ortsverwaitung.
a) Der ländliche Schulze.
In der lokalen Ortsverwaltung ist im 15./16. Jahrhundert
keine wesentliche Änderung im Beamtentum eingetreteu. Die
Verwaltung der einzelnen ländlichen Ortsbezirke ist auch jetzt
noch einem Schultheissen oder Bauermeister übertragen;
doch wird dessen untergeordnete, und zwar nach wie vor orts-
polizeiliche Tätigkeit nur einmal erwähnt, die Polizei- und
Landesordnung von 1572 ordnet an, dass bei Hochzeitsfeierlich-
keiten dem Amtmann oder „ Paurmeister “ jedesmal ein Ver-
zeichnis der Teilnehmer eingereicht werden soll4). Die Bedin-
gungen des Amtes sind dieselben wie früher. Der Schulze
erhält auch jetzt vielfach Befreiung von allen möglichen Lei-
stungen 5), hat aber doch einzelne Abgaben zu leisten 6).
») Beg. 452 (1452).
*) Beg. 452 (1452) und P.u.L.0. (1672) 8.1.
*) Beg. 452 (1452) heisst es: „Die Geleitsmänner zu Czerwist und
Kothen“.
‘) P.u.L.O. XXXIX Abs. 11.
*) H.H.St.Arch. vol. V 275 b Nr. 20 (1460), „Schulte sey fry der pacht“.
•) H.H.St.Arch. K. 33 — III 71 Nr. 15 (1557), Vorweisregister von Boss-
lau: „Boddelebeu: — gicbt der Schulze vom Lehnpferde; s. p. pag. 48 ff.
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138
b) In den Städten.
In die Angelegenheiten der grösseren Städte greift der
Landesherr im 15./16. Jahrhundert wohl nur noch selten ein.
Die städtische Verwaltung liegt dem Rat, die Gerichtsbarkeit
in der Stadt dem Stadtrichter ob '). Eigentlich landesfürst-
liche Beamte gibt es nicht mehr, Vogt und Präfekt sind ver-
schwunden oder zu städtischen Beamten geworden. Wenn in
den Magdeburger Schöffensprüchen einmal im Jahre 1540 *) ein
Gericht der anhaitischen Fürsten, „sunderliken vor irer borg“
erwähnt wird, „dat von deine gerichte in der stat met sundir-
liken lichtem unde scheppen gesundert is“, so bezieht sich dies
auf das fürstliche Landgericht8), das allerdings stets für das
Stadtgericht Oberinstanz bleibt *). In der Stadt selbst hat der
Landesherr nur bisweilen noch ein sogenanntes Burggrafen-
gericht, dem Klagen gegen Bürger „wegen Vorgänge in der
Stadt zustehen“6); über seine Zusammensetzung und Kom-
petenz im einzelnen ist jedoch nichts überliefert.
Wenn nun aber auch der Landesherr gewöhnlich keinen
direkten Beamten mehr in der Stadt hat, so ist ihm doch eine
Beeinflussung und ein Eingreifen in die städtischen Angelegen-
heiten nicht ganz benommen. Immerhin ist wenigstens der
Stadtrichter nicht ganz unabhängig von der landesherrlichen
Verwaltung®). Er wird wohl von Rat und Bürgern freigewählt,
bedarf aber doch stets, auch wenn die Stadt die volle niedere
und höhere Gerichtsbarkeit besitzt, noch der Bestätigung und
Belehnung seitens des Landesherrn7). Auch in der Ausübung
seines Amtes ist er immer noch an landesfürstliche Vorschriften
gebunden und überhaupt stets der Vertreter der landesherr-
*) Reg. 140 (1420), 326 (1439), 452 (1452); s. a. P.u.L.O. XXXI Abs. 1
(1572); Bertram-Krause II S. 318; Rachel S. 10.
’) Friese-Liesegang 17, 158. *) Reg. 574 (1462).
*) Reg. 452 (1452); a. a. Stölzel, Gelehrtes Richtertum S. 318 ff.
5) Reg. 574 (1462); s. a. Beckmann III 287.
*) Schröder, Rechtsgeschichte S. 639; Isaaksohn S. 197 ff.; Stölzel, Ge-
lehrtes Richtertum S. 320 ff. ; Rachel S. 9 ff.
’) Reg. 326 (1439).
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139
liehen Interessen im Stadtgebiet, wie sich aus der Polizei-
und Landesordnung von 1572 ergibt *).
Selbst der Rat der Städte ist stets noch etwas vom Landes-
fürsten abhängig. Es besteht zwar freie Ratswahl, „doch soll
das Wahlergebnis der Herrschaft schriftlich unterbreitet und
zur Bestätigung vorgelegt werden. Wenn der neue Rat so
bestätigt ist, soll er der Herrschaft den Eid leisten“ *). Kleinere
Städte gehören in ihrer ganzen Verwaltung wohl einfach zum
Amtsbezirk 3).
4. Kirchen- und Schulverwaltung.
Die Organe für die Kirchenverwaltung und Aufrechter-
haltung der sittlichen Ordnung sind im 16. Jahrhundert in Anhalt
die Superintendenten und Pfarrherrn4). Sie haben auf den
richtigen Besuch der Kirchen in ihrem Bezirk zu achten und
Zuwiderhandlungen den „Gerichts beuehlhabern“ zu melden5);
ferner die geistlichen Gerichte zu handhaben6), hierbei über
Ehesachen7) zu entscheiden, Gotteslästerung zu verhüten8) und
Trunkenheit zu bestrafen9); die Exekution ist den weltlichen
Richtern Vorbehalten 10). Ferner sind sie Schulinspektoren,
jährlich sollen sie die Lehrer inspizieren u) und sonst wöchent-
lich in den Schulen zuhören. Zusammen mit den Amtleuten
müssen sie alljährlich „Kirchen Rechnunge halten“1*).
Die Pfarrherrn sind den Superintendenten unterstellt, die
über ihren Lebenswandel die Aufsicht zu führen haben 1S). Ein
Konsistorium hat in den anhaitischen Landen bis 1572 noch nicht
bestanden, erst die Polizei- und Landesordnung dieses Jahres
nimmt auf die noch nicht völlig durchgeführte Einrichtung
') P.u.L.O.XXX, XXXI. a) Reg. 574 (1462).
*) Vgl. Uber die einzelnen Städte: Büttner Pfänner zu Thal, Anhalts
Ban- und Kunstdenkmäler (Dessau 1894); s. a. Stülzel, Gelehrtes Richtertum
S. 317 ff.
*) P.u.L.O. (1572); s. a. Schröder, Rechtsgeschichte S. 847.
») P.u.L.O. I Abs. 2. •) P.u.L.O. H.
’) P.u.L.O. II, III Abs. 2, 3, 15. ») P.u.L.O. III Abs. 2.
•) P.u.L.O. V Abs. 1. 10) P.u.L.O. II Abs. 10.
>') P.u.L.O. VII Abs. 1 und 2. ■») P.u.L.O. XXXVIII Abs. 2.
'•) P.u.L.0. I Abs. 4.
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140
eines solchen Bezug. Die treibende Kraft dabei sind die
Landstände, besonders die Städte1).
Exkurs.
Betrachten wir zum Schluss das Verhältnis des ge-
samten Beamten wesens in Anhalt während des behandelten
Zeitraums, so ergibt sich folgendes:
Auch in den anhaitischen Territorien lassen sich deutlich
zwei verschiedene Perioden in der Entwickelung des Beamten-
wesens unterscheiden, eine mittelalterliche und eine neu-
zeitliche.
Im Mittelalter finden wir noch wenig fest bestimmte Ein-
richtungen. Zentral- und Hofverwaltung sind durchaus ein-
heitlich. Die für die persönlichen Bedürfnisse des Fürsten und
des Hofes notwendigen Beamten erledigen zugleich die allge-
meinen Landesangelegenheiten; die Hofverwaltung ist also ge-
wissermassen noch der wichtigere, sicher der frühere Teil der
Behörde.
Auch die innere Verwaltung ist noch höchst einfach und
unbestimmt, durchaus von der Vogtei Verfassung beherrscht.
Die gesamte Verwaltung der einzelnen Bezirke ist meist nur
einem einzigen Beamten übertragen, mit fast unbeschränkter
Selbständigkeit. Von einer Kontrolle durch die Zentralver-
waltung ist kaum zu reden, dabei sind auch hier die Amts-
kompetenzen durchaus nicht klar festgesetzt.
Ganz anders ist das Bild in der zweiten Periode, seit der
Mitte des 15. Jahrhunderts; fortan macht sich eine durchaus
feste Ordnung geltend.
Landes- und Hof Verwaltung sind jetzt vollkommen ge-
trennt. Die Beamten der erstereu haben alle wichtigen Ge-
schäfte der Landesregierung au sich gezogen, die Hofbeamten
sind von der allgemeinen Verwaltung durchaus zurückgedrängt.
Dabei ist eine strenge Scheidung der einzelnen Verwaltungs-
zweige eingetreten, ein ständiges Unterbeamtentum ist einge-
richtet, auch die Kompetenzen der einzelnen Beamten genau
>) P.u.L.Ü. II Abs. 12.
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festgelegt. Vor allem aber ist jetzt eine feste Zentralbehörde
entstanden, deren Kontrolle alle Verwaltungszweige unter-
stellt sind.
Ebenso ist die innere Verwaltung jetzt fester ausgestaltet.
Die Bezirksverwaltung ist deutlicher von der Ortsverwaltung
geschieden und nunmehr ebenfalls an die Zentralstelle ange-
schlossen. Dadurch ist die zu grosse Selbständigkeit des Be-
zirksbeamten aufgehoben und eine grössere Gesetzmässigkeit
geschaffen. Daneben ist auch hier eine bessere Arbeitsteilung
eingetreten. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts macht sich auch
eine Einbeziehung von Kirche und Schule in die landesherrliche
Interessensphäre bemerkbar.
Was nun die Verhältnisse des Beamtenrechts *) anbetrifft,
so sind auch die anhaitischen landesfürstlichen Beamten durch-
aus Diener des Landesherrn. Wenn auch der Inhalt ihrer
Funktionen öffentlich-rechtlicher Natur ist, so stehen sie doch
in privatrechtlichem Dienstverhältnis zu dem Fürsten.
Vorschriften für ihren Bildungsgang gibt es noch nicht,
nur für die Stellen der Rechtsgelehrten besteht wohl der Nach-
weis eines akademischen Grades. Zwischen hohem und subal-
ternen Ämtern wird nicht scharf geschieden, vielfach rücken
einzelne Beamte von unten auf.
In der Mehrzahl sind die Beamten dem Kreise der landes-
fürstlichen Ministerialen entnommen , oder sie sind Geistliche.
Im 16. Jahrhundert treten dazu Bürgerliche und in der Zentral-
verwaltung Männer gelehrten Standes. Dadurch, dass der
Landesherr im Mittelalter Ministerialen wählt, erhält er für die
Ausführung seiner Befehle vollständig von sich abhängige
Werkzeuge; später treten mehr und mehr Berufsbeamte ein,
die ja an sich schon abhängig sind.
Die Anstellung der Beamten erfolgt auf Grund eines
Dienstvertrages, in dem die gegenseitigen Rechte und Pflichten
geregelt werden, durch Überweisung einer Bestallungsurkunde.
Ob ein gegenseitiges Kündigungsrecht besteht, ist nicht nach-
') ßez. de» Beamtenrechts in andern Ländern siehe besonders: Lnschin
von Ebengreuth, Üsterr. Kechtsgeschichte S. 428 ff. ; Rachel S. 174 ff. ; Rach-
fahl S. 429 ff. ; Rosenthal, Gerichtswesen S. 553 ff. ; Spahn S. 02 ff.
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zuweisen, aber wohl wahrscheinlich. Die Zeit der Amtsver-
leihung ist verschieden, meist wohl auf eine Reihe von Jahren
oder auch auf unbestimmte Zeit. Ist die festgesetzte Frist
abgelaufen, so wird der Vertrag gewöhnlich wohl wieder er-
neuert oder verlängert, oder auch das gegenseitige Verhältnis
geht stillschweigend weiter; im 16. Jahrhundert erfolgt die Er-
nennung meist schon auf Lebenszeit.
Die Grundsätze des Lehnrechts, besonders Erblichkeit,
werden im allgemeinen nicht auf das Beamtentum übertragen.
Der Landesherr wählt die Beamten frei aus, vergibt die Stellen
nur auf Zeit und wahrt sich so sein Verfügungsrecht über die
Ämter. Eine Ausnahme machen wohl nur die Lokalbeamten der
Ortsgemeinden, sonst sind die Organe, mit denen man an der
Zentralstelle und in der Ortsverwaltung arbeitet, durchweg
noch frei absetzbare Beamte.
Ob eine Veräusserung der Ämter durch Pacht oder Ver-
pfändung an einzelne Personen stattfindet, ist nicht nachzu-
weisen. Immerhin ist es möglich, da der Landesherr vielfach
in Geldverkehr mit seinen Beamten gestanden hat, auch oft
deren Schuldner gewesen ist1). Jedenfalls bewahrt sich aber,
wie in Brandenburg2), der Landesherr dann immer noch eine
Kontrolle.
Das Ernennungsrecht der Beamten hat der Landesherr;
in der Auswahl ist er aber wohl an die Forderungen des In-
digenats gebunden, wenigstens gehört der grösste Teil der Be-
amten den Landesuntertanen an. Vor Eintritt in das Amt ist
von den Beamten ein Diensteid zu leisten; geht das Gebiet
etwa in andere Hände über, so müssen sie erst besonders ihrer
Dienstpflicht entlassen werden s).
Durch den Eintritt in das Beamtenverhältnis übernimmt
der Beamte eine Anzahl von Pflichten, die auch in Anhalt teils
durch den Dienstvertrag, teils durch erteilte Instruktionen, teils
durch das Herkommen festgestellt sind. Vor allem wird von
ihm gewissenhafte und sorgsame Erfüllung der Aufgaben,
>) Reg. 295 (1436); H.H.St.Arch. K. 44 — IV 98 Nr. 60; K. 44 — IV
99 Nr. 61 (1477); K. 44 — IV 69 b Nr. 10 (1465); K. 44 — IV 60 Nr. 41
(1492); vol. V 275 b Nr. 19 (s. pag. 65, 1).
») Ktthus S. 287. •) Reg. 573 (1460).
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143
sowie strengster Gehorsam gefordert, er hat das Dienst-
geheimnis zu bewahren und darf sich jedenfalls auch in keinem
andern Beamtenverhältnis befinden; Geschenke anzunehmen,
ist ihm untersagt. Für Verletzung der Pflichten werden die
Beamten zur Rechenschaft gezogen, die zuständige Gerichts-
behörde ist für sie die Zentralstelle, Vergehungen an Beamten
gehören an die Obergerichte1).
Die Rechte der Beamten bestehen vor allem in Besoldungs-
ansprüchen. Gewöhnlich erhalten die Beamten ein Gemisch
der verschiedensten Arten von Besoldung. Feste Gehaltssätze
gibt es lange nicht, den Beamten werden bis ins 15. Jahr-
hundert Pertinenzen des Amts, Grundstücke, Hebungen über-
wiesen; erst im 16. Jahrhundert erfolgt die Besoldung vor-
wiegend in Geld. Einige Beamte werden auch noch auf
Sporteln angewiesen, doch konnten daher leicht Bedrückungen
kommen. Ausserdem haben die Beamten zu jeder Zeit An-
spruch auf freie Beköstigung und Kleidung, wie sonstige
Naturalreichnisse aller Art. Auslagen werden den Beamten
wiederersetzt, bei Reisen bekommen sie Tagegelder und Ver-
gütungen. Rechtsanspruch auf ein Ruhegehalt gibt es auch
im 16. Jahrhundert wohl noch nicht, doch wird den Beamten
öfter noch eine besondere Gnadenverleihung, wie Überweisung von
Gefällen oder Befreiung von Abgaben, beim Dienstaustritt zuteil *).
Überhaupt fehlt es auch sonst nicht an Beweisen der An-
erkennung der von den Beamten geleisteten Dienste seitens des
Landesherrn; er tritt durchaus für seine Beamten ein, sei es
um sie vor Gefahren zu sichern, sei es um ihnen aus be-
drängter Lage, z. B. Schuldennot u. dgl., zu helfen s). Ob den
Beamten Steuerfreiheit des Einkommens zusteht, lässt sich
nicht sicher nachweisen; ganz befreit von allen Abgaben sind
sie jedenfalls nicht.
Man sieht also, die Verhältnisse der Beamten in den an-
haltischen Territorien sind im wesentlichen denen in den übrigen
Gebieten des deutschen Reiches entsprechend4).
') P.u.L.0. XIII 1 Abs. 1. l) v. H. III (1315); pag. 107, 9 (1571).
s) Heg. 351 (1441), 4G0 (1453); Rentiiicistcriustruktiou (Aubang 4).
*) Vgl. dazu pag. 141, 1.
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Schlusswort.
Vorliegende Arbeit hat den Zweck, die Einrichtungen des
landesherrlichen Beamtentums in den anhaitischen Territorien
vom 12. bis zum 16. Jahrhundert darzulegen. Da fast aus
sämtlichen Anhalt umgrenzenden Gebieten Darstellungen der
Verwaltungsorganisationen vorliegen, wird es um so will-
kommener sein, auch die Einrichtungen eines Landes kennen
zu lernen, das gewissermassen im Herzen des mittelalterlichen
östlichen Verwaltnngsgebietes gelegen ist.
Für die Beurteilung der anbaltischen Verfassungsverhältnisse
ist vor allem zweierlei von Wichtigkeit: Einmal ist durch das
ganze Mittelalter bis zum Ausgang des 16. Jahrhunderts das
anhaitische Land fast nie ein einheitliches Verwaltungsgebiet
gewesen, sondern fortwährend durch Teilungen zersplittert und
in kleine Territorien aufgelöst. Es ist daher kaum imstande,
selbständig auf dem so wichtigen Gebiete der Verwaltungs-
einrichtungen vorzugehen, sondern hierin fast völlig anf das
Vorbild der grösseren Nachbargebiete angewiesen. Anderer-
seits sind die anhaitischen Territorien vollkommen eingezwängt
zwischen Gebiete, die zu den bedeutendsten Länderbezirken
des Deutschen Reiches gehören. Die westlichen Bistümer, auch
Magdeburg, sind allerdings für die anhaitischen Verwaltungs-
verhältnisse wegen ihrer geistlichen Regierung und ihres meist
geringeren Umfangs von weniger grosser Bedeutung, doch
immerhin, namentlich in den ersten Jahrhunderten, nicht ganz
ohne Einfluss. Vor allem aber sind es die beiden weltlichen
Grossstaaten des deutschen Ostens, Brandenburg und die
wcttinischen Lande, die den anhaitischen Verwaltungs-
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Organisationen zum Vorbild gedient, die ihnen ihr Gepräge
aufgedrückt haben. Dies konnte um so leichter geschehen,
als die anhaitischen Fürsten zu den Herrschern beider Länder
fortwährend in engen verwandtschaftlichen oder doch freund-
schaftlichen Beziehungen gestanden haben. Die ersten deutschen
Fürsten Brandenburgs gehören ja selbst dem Hause der Askanier
an, und auch die Wettiner sind in vielfacher Weise mit den
anhaitischen Fürsten verschwägert und verbündet.
Von vornherein ist also bei Betrachtung des anhaitischen
Beamtenwesens eine starke Beeinflussung durch diese beiden
Nachbargebiete anzunehmen. Selbstverständlich sind die Ein-
richtungen dieser Länder nicht ohne weiteres übernommen,
sondern es ist den besonderen Verhältnissen der anhaitischen
Lande durchaus Rechnung getragen.
Hinsichtlich der zeitlichen Begrenzung der Arbeit hat es dem
Verfasser am besten geschienen, die Betrachtung bis zum Anfang
der Regierung Joachim Einsts (1551 — 1603) fortzuführen und
erst mit den Jahren 1572—74 abzuschliessen. Der Anfang der
70er Jahre des 16. Jahrhunderts bildet wie in der politischen, so
auch in der Verwaltuugsgeschichte Anhalts einen bemerkenswerten
Abschnitt. Nicht nur, dass in dieser Zeit sämtliche anhaitischen
Gebiete seit langer Zeit wieder in einer Hand vereinigt werden,
auch die Verwaltungsverhältnisse erhalten jetzt eigentlich zum
erstenmal1) grössere Ordnung und Bestimmtheit. Durch die
Herausgabe der gedruckten „Polizey- und Landes-Ordnung“ seitens
des Fürsten Joachim Ernst im Jahre 1572, der die Aufstellung
einer besonderen Hofordnung vorausgegangen ist, der noch
einige Instruktionen für die Vorsteher der einzelnen Verwaltungs-
ressorts an der Zentralstelle im Jahre 1574 folgen, sind für
die gesamte Landes- und Hofverwaltung dauernde, feste Normen
gegeben, anstelle früherer Willkür und einer gewissen Regel-
losigkeit der jeweiligen Verordnungen sind nicht zu umgehende,
bindende Vorschriften getreten.
In der Behandlung der vorliegenden Arbeit schien es am
angebrachtesten, eine gemeinsame Darstellung der Beamten-
’) Ans früherer Zeit lassen sich nur einige Amtshanslialtabestiimnungen
anführen.
Schreckor, Beamtentum ln Anhalt 10
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Verhältnisse in dem anhaitischen Gesamtgebiete zu geben und
nicht jedes Territorium einzeln zu behandeln. Durch die ver-
schiedenen Teilungen des Landes, die auch noch innerhalb der
einzelnen Gebiete sich wiederholen, ist eine Übersicht über die
Beamtenorganisationen jeder einzelnen Verwaltung sehr er-
schwert, ja fast vollständig ausgeschlossen; ferner ist das zur
Verfügung stehende Material nicht so umfangreich, um für jedes
der Territorien eine eigene Behandlung des Beamtenwesens
zweckmässig und ausreichend erscheinen zu lassen ; endlich sind
auch die Einrichtungen im allgemeinen derartig übereinstimmend,
dass eine getrennte Behandlung nur zu fortwährenden Wieder-
holungen führen würde. Etwaige Abweichungen der Ein-
richtungen in den einzelnen Territorien sind an der betreffenden
Stelle behandelt.
Das für die vorliegende Arbeit nötige Urkundenmaterial
ist für die Zeit bis zum Jahre 1400 dem umfassenden „Codex
diplomaticus Anhaltinus“ des Dr. Otto von Heinemann ent-
nommen; für die Jahre 1401 — 1471 schliesst es sich im wesent-
lichen an die von Archivrat Prof. Dr. Wäschke herausgegebenen
sehr ausführlichen „Regesten der Urkunden des Herzoglichen Haus-
und Staatsarchivs zu Zerbst aus den Jahren 1401 — 1500“ an,
für die letzten ungefähr 120 Jahre bis 1574 beruht die Arbeit
auf Studien des Verfassers im Herzoglichen Haus- und Staats-
archiv zu Zerbst, dessen Benutzung ihn vom hohen Staats-
ministerium gütigst gestattet wurde.
Herrn Geh. Regierungsrat Prof. Dr. Lindner sowie Herrn
Archivrat Prof. Dr. Wäschke zu Zerbst danke ich für die
gütige Unterstützung; zu ganz besonderem Danke aber bin ich
Herrn Prof. Dr. Heldmann verpflichtet, der mir nicht nur die
Anregung zu dieser Arbeit gegeben, sondern mich auch bei der
Bearbeitung jederzeit auf das liebenswürdigste unterstützt und
sich auch bereitwilligst der mühevollen Aufgabe einer um-
fassenden Durchsicht unterzogen hat. Ihm auch an dieser
Stelle meinen ergebensten Dank auszusprechen, ist mir eine
höchst angenehme Pflicht.
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Anhang 1.
Hofordnung des Fürsten Bernhard (circa 1570). (II. H.St.Arch. vol. III
234 Nr. 6).
(Ich gebe hier den letzten Teil geschlossen wieder, weil er noch einmal
die Pflichten sämtlicher Hofbeamten knapp zusammenfasst, das übrige ist
schon an seinem Platze verzeichnet.)
Und letzlich:
Uff dieser Ordnung zusehen, davor um vleissige acht zu haben, darüber zu
halten, die Gehorsamen zu schützen und die ungehorsamen ernstlich zu
straffen, sollen fürnemlich verordent seiun der Hauptmann, Marschalk, Kanz-
ler und Rentbmeister, welche fürnemlich das was Gotes ehre belanget, dar-
nach uff unser nutz und Bestes denken und, bey weme sie die volge nicht
babenn wurden, zu uns sich richnzes und Schirmes vorsehenn sollenn.
Dieselben oder Ihrer einer sonderlich Hauptmann oder Marschalk sollen
obere Hofgesinde vor Kuchenn, Keller, Brauhaus, futterbodenn, Vorwerk,
lischereien und alles zu bestellenn macht habenn , nichts ausgeschlossen,
denen auch Kuchenschreiber, Koche, Fischer, Keller und alles Hoffgesinde,
bey höchster straffe zu gehorsamen sollen schuldig sein, welche oder welcher
sich aber darwider ufflehnen wurde, die oder der sollen nicht gelitten
werden, sondern sich dabinn begebenn, do ehre machen mnge, wie ebs ime
gefällt.
Und soll der Marschalk, wenn wir zu Tische gehen wie vorn gemeldet,
uff unses wartenn, das Handtwasser reichenn, und wer ahn den tisch gehöret,
nach ordenung setzenn und auff die andern tische achtung habenn, das nie-
mandt zu tische gestattet, auch keine Jungs nitt einlauffe, der nicht zu
tische gehöret, welche ehr hartt anreden und abweiseun soll.
Uff die futterung sollenn sie auch gutt acht habenn, das ordentlich ge-
futtert, und uff die pferde, so mahn verschickt, nichts gefordert viel weniger
gegeben werdcnn, Inn Wagenstellenn solch uffsehenn zu habenn, soll dem
voigt bewholen seinn, das mahn auch mitt beuv unde Stro zur notturfft und
nicht zum uberflus und vertrieb umbgehe.
Nachdem auch ahn Brenholtz und Küchenholtz nicht Überfluss vorhan-
denn und auch sonst die führe schwer ankumpt, das man Rahtsam mit dem
Brennen umbgehe, derwegen Hauptmahn und Beuhelhaber hir obenn am Hoffe,
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in Kuch, Hoffstubc, Kantzeley, Thorstubenn und wo feucr gebaltcun wirdt,
uffsehenn habenn sollenn, das nichts unnützes am holtze verspildet, sondern
zur notturfft gebraucht und in radsamkeit abgeschnitten werde.
Im Keller mag nach gelegenbeit der Schenke Arbeit feuer gebaltenn
werdeun, wenns aber nit vonnothen, vermiedenu werden, soll auch nach den
feuerstellen am Howe des abents der Marschalk inn stellenn und ahn allenn
ortlien, desgleichen nach den lichten sehen, das gewarsam damit umbgangen
werde, auch von liicmande leydcn, nbir die Zeitt zu sitzen und wers thnt,
dieselben ernstlich anredenn und wer sich iro walte widersetzigk mache,
kegenn deme oder dieselbenn die geordennt Straffe furnehmeun; also den
vorgnaute soll uffgelegenn seinn, solch vleissigk uffsehenn inn der Ilovstnben,
Meyerey und in stellenn, uffrn Vorwerke des feuers halbeu zu habenu ; dem
Voigte, die Knechte, Meyerschc und Meygde, die in seiuem Gehorsam bc-
uohlen sein, Was er bey Ihnenu oder mit Ihnen schaffen unde gebiet heim
wurde, demselbenn getreulich nachsetzen.
Anhang 2.
Stadtthaltters Instruction (1674). (H.H.St. Arch. GAR. III 248 Nr. 80.)
Instruction, Ordnung und Beneid des durcblauchten Hochgeborneu
Fürsten und Hern, Hern Joachim Ernsten, Fürsten zu Anhaltt, Graden zu
Assanien, Hern zu Zerbst und Bernbnrgk, Wess sich s. f. g. Stadttbalter
Moritz Rieder, in seim Stadttbalter Ambt solle Vorhalten,
Nemlicben, und dieweil s. f. g. Ihnen mitt der Justiciensachcn in der
Regierung, darnach auch mitt den Schultsachen, vorschonen, damitt er der
Hanss und Hoffhaltung, daran s. f. g. viel und hoch gelegen, desto besser
abzuwarten, So sol er Ihme solche treulich lassen benolen sein, Sonderlich,
und alss s. f. g. zur Hofflialtung nachfolgende Emptter deputiert, alss Zerbst,
Lindaw, Rosslaw, Kosswigk, Desssau, Wörlitz, Wolffen, Warmssdorf, Plötzigk,
Soll er dieselbige insonderlichen beuehl haben, und daruf sehen, dass der-
selbigen einkommen fortgesetzet, gesteigert, erhöhet, und aller muglicher
nutz darin gesucht werde.
Und dass aus Itzt bernrten Empttem, wass zur Hofflialtung, fürstlichen
tische, Kuchen, Keller, und Futterboden gehörigk, zu rechter Zeitt vorschafft.,
Das auch die Einkommen zu rechter Zeitt einbracht, Holtz, gctreidich,
Wallen, Hatnel und anders, mitt besten nutz vorkaufft, Sol auch die Land-
grentzen dieses Ampts Dessau, in vleissig acht haben , darniit s. f. g. daran
nichts entzogen,
Item, daruf sehen, das von den Ambttlenten und Schossern, das gelt,
zu rechter Zeitt, in unser Cammer gelieffert, daruf s. f. g. M. Wolffen be-
scheiden, und Ihme Benedictas zum Cammerschreiber, zugeordent, die sich for-
der darmit, nach laut Ihrer Instruction Vorhalten sollen,
Ob auch wol die ander Emptter zum teil zu den schulden depntiret,
zum teil vor s. f. g. Selbsten reseruiret, und also Ihre sonderliche Mass und
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vorordnnng haben, Sol doch der Stadtbaltter nichtes weniger Ihme des ganzen
Landesnutz, wo solcher könne geschafft werden, lassen angelegen sein, seinen
Pflichten nach zu befördern, Jedoch sol er sich darin ohne s. f. g. vorwissen,
vorendernng zu thun, nicht anmassen.
Die Arabts-Rechnung sol er durchaus helffen anhören , darzu s. f. g.
Ihme, sowohl in andern hausshaltungen, so wichtige Sachen furfallen, wollen
andere Hoff Rethe vom Adel jederzeit zuzuordenen wissen, mitt denen er,
wass furfellet, bestes vleisses beradtscklagen und vorrichten solle,
So soll Ihme auch in dem Ambtt Dessau uff die forwerge, und bestal-
lung des Ackerbaues zu sehen, der Futter Marschalg Bernt, alss bestalter
Haussvoigt, zugeordent, welcher Ihme diesclbige wirdet treulich lassen
benolen sein,
Sonsten soll der Stadtthaltter die Ander Erapttor, so zur Hausshaltung,
wie obstehet, geschlahcn, offter im Jahr selbsten besuchen, und sich gegen-
wertig, aller gelegenbeit erkunden, zu sehen und zu erfaren, wie es mitt der
Hausshaltung fortgehet, und wass man vor die Küche und Keller, daraus
jeder Zeit nernen, und in die Hoffhaltung Helfern kan,
Wie es nun die Sachen jederzcitt befindet, so sol er es s. f. g. berichten,
s. f. g. sein nndertheniges trewes bedencken mitteilen, und wass daruf von
s. f. g. vorordent wirdet, also ins werck setzen und vorrichten lassen.
Actum Dessau den 1. Aprilis.
Anno 1574.
Anhang 3.
Kammerinstruktion (1574). (H.H.St.Arch. GAR III 248 Nr. 80.)
Instruction, Ordnung und Beuebl dess durchlauchtigen Hocbgeborneu
Fürsten und Hern, Hern Joachim Ernsten, Fürsten zu Anhaltt, Graften zu
Assanien etc. Wess sich magister Wolffgangus furtnan, in der Renterey und
Cammersacheu, Vorhalten solle,
Nachdem s. f. g. zur Hausshaltung nachfolgende Emptter, alss Zerbst,
Lindau, Rosslan, Kosswigk, Dessau, Wörlitz, Wolffen, Warmssdorf, Plötzigk
etc. deputiret, sol er darüber jerliche Rechuung, neben andern, helffen an-
hören, und alle einnahme von den Ambtleuten und Schössern derselbigen, an
gelde, zu sich nehmen, darmitt uff uegst kommendt Johannis anfaben, Und
die Ainbtleute und Schösser, laut Ihrer Rechnung, wan und so ferne solche
richtigk, s. f. g. allzeit bericht thuen, und s. f. g. selbsten die Quitanzen zu-
uolziehen siegeln lassen, Und dan der Ambten und Schösser Rechnung, in
ein kästen wol vorwarlich behalten, Und über solche sein Einnahme seine
richtige Register und Vorzeicbnus halten, damit solche mitt den Rechnungen
der Ambtten und Schösser ubereinstimmen.
Weil er aber alters und ander s. f . g. Sachen halber die aussgabe nicht
halten kan, Sol Ihme Benedictus zu cim Cammerschreiber zugeordent werden,
der sol die Aussgaben halten, also, dass Ihme 11 : Wolff Jederzeit ein Summa
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gehles zustelle, wan er die aussgegebeu , alssdan ein ander Summa , darum
sollen die aussgaben gehalten werden, nach dem Tittel und Posten wie s. f. g.
solche wollen sonderlich znuorordeuen und zuuorzeichen lassen wissen, Son-
derlich aber der Diener besoldung zu gepurlicher Zeit entrichten,
Die Handtwergslente sollen in eine Jahr, zu etzlich mahlen bescheiden
vor dem Stadtbalter, ßentbineistern und andern, so darzu gehören, abrech-
nnng mitt Ihnen gehaltenn und daruf bezalet werden,
Sonsten was für Kuchen, Keller, und Hoffhaltung für aussgaben vor-
fallen, die werden, wie es teglich furkompt, bezalet, und do wass daran
auffgeborget, das solches nicht in die Merkte vorschoben, Sondern souiel
möglich, alhier in der Renterey die Zalung geschehen möchte, darin
M. YVolff sich doch Jederzeit wol bey seiner f. g. wirdet bescheidts zu er-
holen wissen.
Es wollen auch s. f. g. sonderlich daran sein, dass M: Wolff in allen
Posten, wass ausszugeben sein möge, ein gewissen beuehlich von s. f. g.
erlange,
Ohne das, und wo er s. f. g, benehls nicht gewiss, sol er zur Zalung
von niemandts beschwert werden, viel weniger Jemandes, es sey wer er
wolle, gelt auf Rechnung vorsetzen oder zustellen.
Actum Dessau den 1. Aprilis.
a«. 1674.
Anhang 4.
Reutineisterin struktion (1574). (H.H.St. Arcb. GAR. III 248 Nr. 80).
Instruction und Ordnung des durchlauchtigen Hocbgcbornen Fürsten
und Hern, Hern Joachim Ernsten Fursteu zu Anh<t, Graffen zu Assanien
etc., wess sich s. f. g. Renthmeister Alex Pultz vorhaltteu solle,
Aldieweil s. f. g. nuhnmer die ganze Einnahme und aussgabe der
Empter, so zur Hoffhaltung geschlagen, in die Cammer gelegt, darzu M:
Wolff und Benedicttis, alss ein Cammer-Schreiber vorordnet,
So sol der Renthmeister hinfurder, und von Johannis negstkommendt
anzufahen das Ambtt Dessau allein vorwalten und vorsehen, Und sich zum
höchsten vleissigen, wie er desselbigcu als des furnembsten, uutzung und ge-
fclle, in beste richtigkeit, Ordnung, und auffnehmen bringe, und die Rech-
nung also schliesse, das keine Rctardaten bleiben , sondern alles au barem
Gelde einbringe,
Insonderheit, soll er Ihme den Holtzhandel, das darin nichts vorab-
seumdt, lassen beuolen sein, und wie allzeit bedacht und im Rath beschlossen
wirdet, gar vleissigk treiben, auch uff die Mühlen und Dhamgebeude , im
Ambtt Dessau vleissig achtung geben,
Und weil teglich s. f. g. viel anlauffcns haben, Iloltzes halben, zu uor-
kauffen. Sollen Ihme die Supplicationes, darinnen umb holtz angesucht, zu-
gestellt werdcun, do es gemein Holtz aulange, das solches mitt vorwisseu
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und anweisung des Forstmeisters, vorkaufft und in sein Einnahme bracht
werde, do aber umb baw und ander holtz, daran viel gelegen, angesucbt
wurde, sol s. f. g. bescbeide aizeit darin erwartet werden,
Ob auch s. f. g. Holtz vorscbeuket, sol solches von Ihme auch uffge-
zcichent werden, damit s. f. g. jerlich wissen mögen , wie viel holtz allent-
halben wegk komen,
Er sol auch daran sein, dass die Scheffereien hinwidder zum besten
widder angericbtet, damit die Nutzung derselbigen, sonderlichen mitt dem
wollekauff, im rechten gangk widder bracht,
Weil er aber Itzo etzliche schulden in Leiptziger Merckte noch uff
sich hatt, sol er ein vorzeichnus derselbigen ubergeben, und solche diss Jahr,
von seines benohlen Ambts gefellen, abtragen, aber hinforder sich schulden
uff die Leipzische Merckte zu machen, gar enthalten,
Und do man sonsten seines, als eines alten Dieners, berichts in bawen,
Hausshaltung, und andern, bedarff, denselbigen s. f. g. treulich mitteilen, und
s. f. g, nutz zum höchsten, in allem befördern und bedencken helffen,
Actum Dessau, den 1. Aprilis, a°. 1574.
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Abkürzungen.
v. H.
Reg.
M. V.f. A.G.
G.Qu.d.Pr.S.
H.H.St. Arch.
P.n.L.O.
v. Heinemann, Codex diplomaticus Auhaltinus (Dessau
1867—83).
Wäschke, Regesten der Urkunden des Herzoglichen
Hans- nnd Staatsarchivs zu Zerbst (Heft 1 — 7) (Dessau
1903—1906)*).
Mitteilungen des Vereins für anhaitische Geschichte nnd
Altertumskunde (Dessau).
Geschichtsquellen der Provinz Sachsen und angrenzender
Gebiete (Publikationen der Historischen Kommissiou fiir die
Provinz Sachsen und das Herzogtum Anhalt).
Herzogliches Hans- und Staatsarchiv zu Zerbst.
Des Fürstenthumes Anhalt Polizey und Landesordnung
(1573, gedruckt zu Wittembergk durch Klemens Schleich
und Antonium Schöne).
Bezüglich der anhaitischen Fürsten verweise ich auf :
Wäschke, Abriss der anhaitischen Geschichte (Dessau 1895).
„ , Die Askanier in Anhalt (Dessau 1904).
*) Heft 8 der Regesten ist mir leider erst nach Fertigstellung des
Druckes zugegangen, so dass ich es nicht mehr für die Arbeit selbst benutzen
konnte. Einige kleinere Nachträge, die sich, wie vorauszusehen, nur für die
Anmerkungen gefunden haben, füge ich daher hier bei:
zu pag. 82, 2: Johannes Buchener wird noch im Jahre 1474 als
Kanzler erwähnt (Reg. 781), meine Vermutung bestätigt sich also. Er
ist im ganzen „ fast lange unde hoben vierczig jar “ Kanzler gewesen ; für
diese Dienste ist ihm später vom Fürsten Georg der erbliche Adel verliehen
worden mit dem Wappen .den Sperber unde das feld blawe unnde uff deme
helme zewen Sperber fl 3 ge 1 unde itzlicher eyn teyl blawe unde weysz', was
von dem Fürsten Waldemar im Jahre 1476 bestätigt wird. 1476 ist Buchener
wohl nicht mehr im Amte (Reg. 829).
zu pag. 85, 3: vgl. Reg. 741 (1472).
zu pag. 99, 8: 1475. Heinrich Stolzmnn (Reg. 809).
zu pag. 114, 3: Heinrich von Ammendorf wird noch im Jahre
1477 als Amtmann des Erzbischofs von Magdeburg, zu GiebichenBtein auf-
geführt (Reg. 844) ; ist also wohl sicher nicht anhaitischer Beamter gewesen.
Bezüglich einiger Namen von Beamten siche noch: Reg. 759, 781, 784,
809. 810, 843.
Bachtlrurkeroi Maretzke ti Martin, Trebnitz i Schl
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Geschichte des Werkvertrags nach
deutschem Rechte
von
Dr. Karl Rothenbtlcher
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Untersuchungen
zur
Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte
herausgegeben
Dr. Otto Gierke
Professor der Rechte an der Unlvereltlt Berlin
87. Heft
Geschichte des Werkvertrags
nach deutschem Rechte
I)r. Karl RothenbUcher
Breslau
Verlag von M. & H. Marcus
1906
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Geschichte des Werkvertrags
nach deutschem Rechte
I)r. Karl Rothcnbücher
Breslau
Verlag vou M. & H. Marcus
1906
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Inhalt
Seite
I. Einleitung l
Die Aufgabe. — Plan der Untersuchung.
II. Das deutsche Werkveitragsrecht im Mittelalter . . 4
1. Abschnitt
Die wirtschaftlichen Verhältnisse 4
1. Hofrechtstheorie. — Werkverträge schon zur Zeit der
Volksrechte — Freie Arbeiter der fränkischen Zeit. — 2 Mittel-
alter. — Händliche (iewerbe. — (Jewerbe in der Stadt; Handwerk,
Lohnwerk. — (Jewerbe mit reinem Lohnwerk. — 3. Das Bauwesen
im besondern. — Ländliche Verhältnisse. — Städtische Monu-
X, mentalbauten — Anstellungsverträge mit Baumeistern. — Bauten
■” in eigener Kegie. — Werkverdingungen ohne und mit Stoffliefe-
rung. — Entlohnung nach Zeit. — 4. Münzgeschäft. — 5. Stück-
lohn. — 6. Verbot des Fürkaufs.
2. Abschnitt
Begriff und Abgrenzung des Werkvertrags und die Aus-
drucksweise der Quellen 15
1. Das Wort Werkmiete, — Der Gebrauch des Wortes
..dingen“. — Ausdrucksweise der Quellen für den Tatbestand der
Werkverdingung. — Analogie in der Ausdrucksweise des deutschen
und rümischen Hechts. — Entgeltlichkeit des Vertrags. — Gegen-
stand des Vertrags. — Erziehungsvertrag. — Vertrag mit dem
Fürsprechen — 2. Die Dienstmiete. — Unterscheidungsmerkmale.
— 3. Der Kauf. — Der Werklieferungsvertrag.
3. Abschnitt
Der Abschluss des Vertrags .28
I. Einigung. — Visierung. — Gegengewicht. — Urkunden.
II. Perfektion des Vertrags. — 1. Keiner Kealvertrag. —
2. Versteckter Kealvertrag. — a) Gottespfenning ; Haftgeld; Pfand-
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Seite
geld; Angeld; vormede — b) Weinkauf. — 3. Formalvertrag. —
a) Trengeliibnis; b) Zeugen, Eintrag ins Stadtburh. — 4. Begleit-
erscheinungen. — Verpfändung des Vermögens. — Bürgschaften.
III. Kontrahicrnngsfreiheit. 1. Beschränkung des Bestellers.
— Kontrahierungszwang des Unternehmers. — 2. Objektive Be-
schränkung der Vertragsfreiheit.
4 Abschnitt
Pas materielle Vertragsrecht . .
A. Vorbemerkung ...
Betonung von Treu und Glauben
B. Pie Herstellung des Werks 47
I Pie Pflicht znr Herstellung des Werks. — 2. Persönliche
Herstellung. — 3. Verbot, ein zweites Werk anzunehmen. —
4. Bringschuld. — 5. Rechtzeitige Lieferung. — Gesetzliche Lie-
ferungsfristen. — Fristsetzung. — 6. Erzwingung der Leistung
durch Haft. — 7. Handlungen des Bestellers. — 8. Eigenschaften
des Werks; — a) Pie gesetzlichen Vorschriften; Bedeutung der
Beschau. — b) Haftung des Unternehmers für die Arbeit der
(iehilfen. — c) Dauer der Gewährleistung für Mängel, Abnahme.
— Partikularrechtliche Bestimmungen. — Anzeigepflicht des Unter-
nehmers. — Vertragsmässige Abreden Uber Gewährleistung.
('. Mangelhafte Erfüllung oder Nichterfüllung des Vertrags 65
1. Mangelhafte Erfüllung infolge Verschuldens des Unterneh-
mers: a) Besserung und Schadensersatz; b) Minderung: c) Rück-
tritt vom Vertrag. — 2. Nichterfüllung infolge Verschuldens des
Unternehmers. — 3. Nichterfüllung infolge eines vom Besteller zu
vertretenden Umstands. — 4. Nichterfüllung infolge eines von
keinem Vertragsteile zu vertretenden Umstands.
D. Pie Rückgewähr des Stoffs und die Haftung des Unter-
nehmers hieftlr 73
1. Vorbemerkung; Kein Eigentumswechscl durch Spezifikation.
— 2. Rückgewähr des Stoffs: a) Allgemeiner Rechtssatz; b) Be-
rechtigung des Unternehmers zu Abzügen; r,) Aufsicht des Be-
stellers. — 3. Per Zufall und die vom Unternehmer zu beobach-
tende Sorgfalt. — a) Pie Fälle der höheren Gewalt. — b) Dieb-
stahl der Sache. — c) Ausschluss der Haftung. — d) Haftung
für Verderb der Sache; Frachtvertrag. — 4 Rechte des Bestellers
bei Verletzung der RUckgewährpflieht des Unternehmers: a) Scha-
densersatz. Lohnminderung. — b) Haftung der Innung. — c) Be-
messung des Schadens. — d) Anzeigepflicht des Bestellers.
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VII
Seite
E. Per Lohn . . . .90
1. Bemessung der Höhe des Lohns. — 2. Geldlohn; Natural-
lohn; Geschenke. — 3. Fälligkeit des Lohns. — 4. Schadenersatz-
pflicht des Bestellers. — 5. Behandlung des Werkvertragentgelts
als liedlon: a) Prozessuale Stellung des' liedlons; b) Begriff des
liedlons; c) Stellung des Unternehmers im Konkurse des Bestellers.
— 6, Erzwingung der Bezahlung durch Streik.
F. Pas Zurückbehaltungsrecht des Unternehmers . . 102
1. Zurückbehaltungs- und Verpfändungsrecht am Werke. —
2. Zugriff der Gläubiger des Unternehmers. — fl. Zusammen-
fassung. — 4. Vindikation der versetzten Sache beim Dritten.
G. Das Ende des Werkvertrags 108
Allgemein. — Tod des Unternehmers.
5 Abschnitt
Die Zuständigkeit für die Geltendmachung der An-
sprüche aus dem Werkverträge 109
Allgemeines. — Zuständigkeit der Zunftgerichte.
fi. Abschnitt
Die Bestrafung des Vertragsbruchs . 112
1. Nichterfüllung, Entlaufen vom Werk. — 2. Mangelhafte
Erfüllung. — 3. Verzug. — 4. Verletzung der Rückgcwährpflicht.
— 5. Verletzung der Entlohnungspflicht
III. Die Rechtsentwicklung seit dem Eindringen des fremden
Rechts 117
1. Die Geltung des deutschen Kechts. — 2. Bedeutung des Ge-
wohnheitsrechts. — 3. Römischrechtliche Gesetzgebung. — 4. Die
Behandlung des Werksvertrags in der Literatur. — 5. Behand-
lung des Lohnanspruchs des Unternehmers: a) Retentionsrecht.
— b) Sicherung der Forderungen der Bauhandwerker. — c) Stellung
im Konkurse des Bestellers. — (>. Ergebnis.
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I. Einleitung.
Die bisherigen Arbeiten über das Werkvertragsrecht haben,
soweit sie sich mit der geschichtlichen Entwicklung beschäftigten,
vorwiegend das römische Recht berücksichtigt1). Offenbar aus
dem Grunde, weil Begriff und zum Teil auch Rechtssätze des
modernen Dienst- und Werkvertrags sich enge an die loc. cond.
operarum und operis anzulehnen scheinen. Es hat hierbei nicht
an Bemühungen gefehlt, im besondern die loc. cond. operis aus
den staats- und privatrechtlichen Verhältnissen des alten Roms
geschichtlich zu erklären. Dem gegenüber soll hier untersucht
werden, ob das römische Recht bei seinem Eindringen über-
haupt ein deutsches Werkvertragsrecht vorfand, ob auch das
deutsche Recht selbständig Rechtssätze über den Werkvertrag
entwickelt hat.
Ich begrenze zu diesem Zwecke meine Aufgabe dahin, dass
ich nicht das ganze Gebiet der Arbeitsverträge, die auf Be-
wirkung irgendwelchen Erfolgs gerichtet sind, darstellen werde.
Vielmehr werde ich diejenigen Verträge, die sich nach der Art
ihrer Leistung oder nach ihrem Aufbau von der allgemeinen
Grundlage besonders abheben, nur vergleichend und ergänzend
berücksichtigen. Es scheidet demnach aus der Frachtvertrag,
der als Seefrachtvertrag eine eigene Stellung einnimmt, und
auch als Binnenfrachtvertrag eine besondere, vor allem das
italienische Recht berücksichtigende Darstellung erfordert
(vgl. Goldschmidt, Universalgesch. des Handelsrechts 1891
S. 332 ff.); ferner der schon in die Neuzeit fallende Verlags-
vertrag, der Mäklervertrag und der Lehrlingsvertrag. Denn
') Die bisherige Literatur über den Werkvertrag siehe bei E. Eiezler,
Der Werkvertrag, Jena 1900, S. lff., S. 19 ff. Für das Gebiet des uord-
germauischeu Rechts vgl. v. Amira, Nordgermanisches Obligationeurecht
Bd. I S. 649 ff, Bd. IT S. 787 ff.
Kotlienbüciier, Werkvertrag 1
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2
dieser äst zwar, soweit er die Erziehung des Lehrlings zu
einem Handwerk zum Gegenstände hat, Werkvertrag, aber er
hat im wesentlichen eine an den gewerblichen Dienstvertrag
sich anlehnende Behandlung in den Quellen erfahren.
In einem Hauptteil ist sohin das deutsche Recht über den
Werkvertrag darzustellen. In einem zweiten Teil soll dann
versucht werden, einen Überblick über den Gang der Rechts-
entwicklung seit der Zeit der Rezeption im Grossen zu geben.
Über den bei Untersuchung des deutschen Rechts einzu-
schlagenden Weg sei noch folgendes bemerkt: Das deutsche
Recht des MA. hat es zu einer begrifflichen, theoretischen
Durchbildung seines Vertragssystems bekanntlich nicht gebracht.
Man muss daher, um ein einheitliches Bild zu erhalten, die
verschiedensten Rechtsquellen zusammenfassen. Gerade auf
unserem Gebiete äussern sich die Rechtsaufzeichnungen der
Land- und Stadtrechte seltener, da natürlich mehr in die Augen
fallende Fragen, vor allem des Güter- und Erbrechts, sowie
der dinglichen Rechte die Aufmerksamkeit der Verfasser auf
sich zogen. Immerhin finden sich seit dem Beginn des 13. Jahr-
hunderts in den Stadtrechten, sowie in den Entscheidungen der
Oberhöfe auf den Werkvertrag bezügliche Sätze. Daneben
aber sind in grossem Umfang die zahlreichen, von den Stadt-
obrigkeiten erlassenen oder von den Zünften sich selbst ge-
gebenen Zunft- und Handwerksordnungen zu berücksichtigen.
Diese Ordnungen gehen zwar von gewerbepolizeilichen Gesichts-
punkten aus, und dadurch ist die Fassung ihrer Sätze und der
ganze Geist ihrer Normen bestimmt, aber sie enthalten wie
unsere heutige Reichsgewerbeordnung viele privatrechtliche
Sätze. In einer Zeit, die noch vorwiegend strafrechtlich dachte,
müssen privatrechtliche Grundsätze auch dort aufgesucht
werden, wo sie in Befehlsform gekleidet sind, oder ihre Ver-
letzung nicht nur bürgerlich - rechtliche , sondern auch diszipli-
näre oder strafrechtliche Folgen hat.
Diese Handwerksordnungen, die in den Städten ihren Aus-
gang nehmen, dann in den landesherrlichen Territorien aufge-
nommen werden, und, den sich ändernden Verhältnissen sich
unpassend, bis ins 19. Jahrhundert sich fortsetzen, um von den
modernen Gewerbeordnungen abgelöst zu werden, geben zugleich
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3
ein Bihl für die Bedürfnisse des Verkehrs und kodifizieren das
Gewohnheitsrecht, das sich in unzähligemal wiederholten
Vertrügen ohne Eingriff der Gesetze gebildet hat. Das Gewohn-
heitsrecht aber kommt als Rechtsquelle für unser Gebiet in
grossem Umfang in Betracht. Es ist daher bei dieser Unter-
suchung auch der Inhalt der uns überlieferten Verträge aus
alter Zeit zu berücksichtigen.
Wenn ich nun vielleicht in dem Streben, ein Bild des
ganzen Vertraglebens zu geben, manches aufnehme, was mehr
als Sitte, denn als Recht erscheinen mag. so ist zu bedenken,
dass wir auch in unserer heutigen Rechtsordnung zwischen
zwingendem und dispositivem Recht unterscheiden. Das dis-
positive Recht aber hat erst in den Gesetzgebungen der neuesten
Zeit eine Kodifizierung erfahren, für das ältere Recht muss
man es in den tatsächlichen Vertragsverhältnissen und Vertrags-
sitten finden; denn das dispositive Recht ist seiner Entstehung
und Bedeutung nach nichts als ein Niederschlag der regel-
mässigen, üblichen Vertragsbestimmungen, wie es denn auch
nichts als deren Ergänzung sein will. Von diesen Gesichts-
punkten aus hoffe ich, zwar nicht das Bestehen eines „ge-
meinen“, doch eines „allgemeinen“ deutschen Werkvertrags-
rechts zeigen zu können.
Bei der Darstellung des deutschen Rechts im MA. werde
ich auch diejenigen Quellen heranziehen, die, zeitlich nach der
Rezeption liegend, in ununterbrochener Folge die älteren Rechts-
sätze erhalten haben, die sonach als Fortsetzungen der früheren
Rechtssatzungen betrachtet werden müssen. Denn ich glaube,
dass sich hierbei zeigen wird, dass die Rezeption nicht einen
plötzlichen Schnitt in unsere Rechtsentwicklung gemacht hat,
dass vielmehr die Entwicklung des deutschen Rechts selbständig
auf einzelnen Gebieten, wie dem unsern, bis ins 17. Jahrhundert
fortgegangen ist.
Da zur Erkenntnis allen Rechts erforderlich ist, die tat-
sächlichen wirtschaftlichen Verhältnisse zu kennen, auf die es
Anwendung findet, gebe ich zunächst im folgenden einen
kurzen Überblick über die wirtschaftlichen Verhältnisse auf
unserm Gebiete.
l»
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II. Das deutsche Werkvertragsrecht im
Mittelalter.
1. Abschnitt
Die wirtschaftlichen Verhältnisse.
1. Zu allen Zeiten entsteht da, wo die Bedürfnisbefriedigung
nicht mehr durch Arbeiten im Schosse der Familie und der
Hausgemeinschaft allein erfolgen kann, die Notwendigkeit,
fremde Arbeit nutzbar zu machen. Soweit dies nicht durch
den Tausch und später den Kauf fertiger Arbeitserzeugnisse
geschieht, muss man dazu schreiten, sich vertragsmässig
Arbeitsleistungen zu verschaffen. Es wird dies dadurch
erreicht, dass der eine Teil den andern dazu gewinnt, unter
seiner Leitung Arbeiten, Dienste zu verrichten, für deren
Erfolg der Herr verantwortlich ist, oder aber, dass der eine
Teil es übernimmt, durch seine Arbeit für den andern einen
Erfolg herbeizuführen, wobei auf die hierzu erforderlichen
Handlungen der Vertragsgegner keinen Einfluss hat, eine
Leitung seinerseits ausgeschlossen ist. Hierbei ist Voraus-
setzung, dass die Vertragsteile nicht in einem Herrschafts-
verhältnisse zueinander stehen, auf Grund dessen der eine
Teil dem andern derartige Arbeitsleistungen aufzuerlegen be-
rechtigt ist.
Es ist nun die Meinung vertreten worden, für die mittel-
alterlichen Verhältnisse komme erst spät die wirtschaftliche
Form des Lohnwerks auf, worunter die Volkswirtschafts-
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lehre die gewerbliche Arbeit versteht, bei der der Stoff dem
Kunden, das Werkzeug dem Arbeiter gehört. Es sei ursprüng-
lich alle gewerbliche Arbeit in den Klöstern und Fronhöfen
zusammengedrängt gewesen. Die Arbeiter seien lediglich
Hörige gewesen, Unfreie, mit denen kein Arbeitsvertrag abge-
schlossen werden musste. Erst allmählich hätten die Unfreien
ausnahmsweise auch für den Markt arbeiten dürfen, und erst
seit dem 12. Jahrhundert habe sich dies Ausnahmeverhältnis
zur Regel umgestaltet, indem die hörigen Arbeiter des Fron-
hofs allmählich in den freien Stand aufgerückt seien, und so
die Klasse der freien städtischen Handwerker gebildet hätten.
Ich brauche auf den hierüber bestehenden Streit, der von
Nitzsch und Bücher, allerdings von verschiedenen Gesichts-
punkten aus auf der einen Seite, und von Georg von Below
und Keutgen vornehmlich auf der andern Seite geführt wird,
nicht einzugehen. Von Bedeutung ist die hof rechtliche
Theorie hier nur insofern, als, ihre Richtigkeit angenommeu,
daraus zu folgern wäre, dass bis zum 12. Jahrhundert Werk-
verträge überhaupt nicht abgeschlossen worden wären, da ja
das Bedürfnis in dieser Richtung durch die Eigenwirtschaft
genügend befriedigt worden wäre.
Ich halte dies jedoch nicht für richtig; vielmehr glaube
ich, dass es seit der Zeit der Volksrechte stets freie Arbeiter
gegeben hat (so auch Stieda, Entstehung des deutschen Zunft-
wesens 1877 S. 10 ff.), ferner solche unfreie Arbeiter, die nicht
nur für ihren Herrn arbeiteten, sondern mit jedem Dritten
selbständige Arbeitsverträge abschlossen. Diese wurden nicht
nach römischem Muster von dem Herrn „verstellt“, vermietet,
sondern sic traten selbst als Vertragschliessende auf, „faber,
aurifex, vel spatorius, qui publice probati sunt“, lex Alam.
LXXIV 5. (Diese Tatsache scheint mir, auch wenn man
publice probatus nur als „allgemein, öffentlich bewährt“ auf-
fasst, durch die neueren Ausführungen Koehnes zu dieser Stelle
nicht widerlegt. Vierteljahrsschrift für Sozial- und Wirtscliafts-
geseh. IV S. 186.) Für die freien Arbeiter und die servi, die
wegen ihrer Kunstfertigkeit hohen Wert besassen, und dem-
entsprechend durch höheres Wergeid ausgezeichnet waren,
galten Bestimmungen, wie die folgenden:
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qui anrum ad facienda ornamenta susceperit et adulta-
verit sive aeris aut argenti vel cuiuscunque vilioris metalli
permixtione corruperit, pro fure teneatur. lex Visigoth. VII
6, 3 (Mon. LL. I 1 S. 311);
aurifices aut argentarii vel quicumque artiflces, si de
rebus sibi commissis aut traditis aliquid subtraxerunt, pro
fure teneantur. lex Visigoth. VII 6, 4 (ebd.);
quicumque vero servum suum aurificem, argentarium,
ferrariuin, fabrum aerarium sartorem vel sutorem in
publicum attributum artificium exercere permiserit, et id,
quod ad facienda opera a quocumque susceperit, fortasse
everterit, dominus ejus aut pro eodem satisfaciat, aut
servi ipsius, si maluerit, faciat cessionem. lex Burg. 21,2
(Mon. LL. III S. 542).
Mögen diese Bestimmungen auch nicht frei von römischen
Einflüssen sein, so geht doch aus ihnen hervor, dass zur Zeit
ihrer Entstehung schon Werkverträge von Freien und Unfreien
abgeschlossen wurden.
In der fränkischen und in der unmittelbar folgenden Zeit
war die Unfreiheit überhaupt nicht so verbreitet, wie gerne
angenommen wird. So sind ausser den Goldschmieden sicher
freie Arbeiter die Münzer der fränkischen Zeit, die jedem, der
Metall oder alte Münzen brachte, diese gegen Entlohnung in
neue Münzen umprägten. Erst seit Pippin wurden die Münzer
aus ihrer freien gewerblichen Tätigkeit unter die beauf-
sichtigende Macht des Staats gezogen. (Vgl. hierzu K. Th. Ehe-
berg, Über das ältere deutsche Münzwesen 1897 S. 98, 99
[Schmoller, Forschungen II 5].) Keutgen (Ämter und Zünfte
S. 12 ff.) weist ebenfalls nach, dass sowohl auf den Fronhofen
neben den Hörigen, als ausserhalb derselben freie Handwerker
gearbeitet haben.
2. Für die nun folgende Zeit des „ Mittelalters“ im engern
Sinn muss zwischen ländlichen und städtischen Verhältnissen
unterschieden werden.
Auf dem Lande bestand nur wenig gewerbliche Arbeit,
da sowohl auf den grossen Höfen, wie bei den Bauern in
hohem Masse Eigenwirtschaft herrschte (vgl. v. Inama-Sternegg,
Deutsche Wirtschaftsgeschichte 1891 II. Bd. S. 290 ff.). Immer-
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hin ist der Vertrag, den man mit dem Müller und Schmied ab-
schliesst, meistens ein Werkvertrag. Die Mühle war sehr frühe
als Dienst- und Zinsgut in der Hand des berufsmässigen
Müllers (v. Inama-Sternegg a. a. 0. S. 293 und Koehne, Recht
der Mühlen [Gierke, Untersuchungen Heft 71] S. 18ff.), auch
höher ausgebildete Schmiede, vor allem Edelschmiede, traten
als selbständige Unternehmer auf.
Dagegen entwickelte sich in den Städten seit dem 10. Jahr-
hundert eine lebhafte gewerbliche Tätigkeit, sowohl in der
Form des Handwerks, Arbeit auf den Verkauf, als in der des
Lohnwerks, Kundenarbeit. Diese tritt als Heimarbeit und
Störarbeit auf.
Wo nun Lohnwerk vorliegt, wird man annehmen müssen,
dass die abgeschlossenen Verträge ihrer rechtlichen Natur
nach meistens Werkverträge sind. Nur im Fall der Störarbeit
wird dies bezweifelt werden müssen, da hier meistens der
Arbeiter sich die Anordnungen des Arbeitgebers über die Art
der Arbeit, die Arbeitsdauer usw. gefallen lassen muss. Lohn-
werk und Werkvertrag fallen jedoch nicht begrifflich zusammen,
da bei jenem auf das Eigentum am Stoff und Handwerkszeug,
bei diesem auf die Verantwortlichkeit für den Erfolg abge-
stellt wird.
Wenn Bücher (Artikel „Gewerbe“ im Handwörterbuch der
Staatswissensch. 2. Aufl. Bd. IV S. 360ff.) recht hat, so wäre
die Form des Lohn werks im MA. noch die herrschende gewesen;
es wird dies jedoch, wie mir scheint, mit Recht bestritten.
(Vgl. hierzu G. von Below, Die historische Stellung des Lohn-
werks in Territorium und Stadt, München 1900, S. 303ff.,
323 ff.) Wie dem aber auch sein mag, sicher ist, dass in einer
Reihe von Gewerben, wie zum Teil heute noch, die Kunden-
arbeit herrschte, ja das Handwerk, Produktion auf den Ver-
kauf, vielfach geradezu verboten war. Es gilt dies von den
Bäckern, Müllern, Schneidern, Schustern (Oltflickern), Webern
(in der Leinwandweberei, wogegen in der Wollweberei Hand-
werk herrschte), Malern, Gerbera, Walkern, Goldschmieden,
Bildschnitzern, Färbern, Seilern, Spinnern, Tuchscherern,
Kürschnern, Paramentenstickern , Buchbindern, Bücherab-
schreibern. In diesen Gewerben wurde der Stoff dem Arbeiter
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zur Verarbeitung unter eigener Verantwortlichkeit übergeben.
Der Unternehmer wurde für das Werk als Ganzes entlohnt.
Das MA. bezeichnete diesen Akkordvertrag als „verding“ oder
als „fürgriff“. Daneben tritt jedoch eine Reihe von Fällen
auf, in der ein Werk als Ganzes gegen Entlohnung nach
Zeitabschnitten verdungen wird, vor allem in Verträgen
über Herstellung eines Baus oder von Teilen eines Baus, oder
von bedeutenderen, längere Zeit in Anspruch nehmenden Kunst-
werken.
3. Es muss hierauf noch eingegangen werden. Die länd-
lichen und zum grössten Teil auch städtischen privaten Profan-
bauten gaben in der Regel keinen Anlass zum Abschluss hierher
gehöriger Verträge. Es sind uns über grössere Bauten auf
diesem Gebiete, die eine bedeutendere Kunstfertigkeit erfordert
hätten, Nachrichten nicht erhalten. Der Bauer errichtete
selbst, gegebenenfalls mit Hilfe angedungener Leute, sein,
meistens hölzernes, Haus nach dem Muster des alten. Er
baute mit eigenem Holz oder mit Steinen und Kalk aus dem
eigenen Steinbruch, und so kam es weder wegen der Ausführung
des Ganzen, noch wegen Entwerfung eines Bauplans zu einem
Werkvertrag.
Anders bei den Monumentalbauten, den Kirchen, städtischen
Rathäusern und sonstigen gemeindlichen Gebäuden, bei den
Brücken, und später bei den kunstvoller erbauten Schlössern
der Fürsten und grossen Herrn. In den Anfängen des zweiten
Jahrtausends wird zwar die Bautätigkeit auf diesem Gebiete
noch dadurch bestimmt, dass der Bauherr den Stoff zum Bau,
Stein, Holz, Kalk selbst besitzt, die Hilfskräfte, Handlanger
und Taglöhner, in seinen Untertanen zur Verfügung hat, und
dass die Bauleitung, sowie die Ausführung künstlerisch be-
deutender Bauteile in geistlichen Händen liegt. Allein mit
dem Aufkommen des gotischen Stils und der Reformbewegung
Bernhard von Clugnys kehrten die geistlichen Baumeister und
Handwerker in die Klöster zurück, und an ihre Stelle traten
Laien, Banmeister, die die Baukunst nach bestimmten Regeln
erlernt hatten, und die Steinmetzen, die, in dem neuen Stil ge-
bildet, halb Künstler, halb Handwerker waren.
Überblickt man die Künstlergeschichte dieser Zeit im
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südwestlichen Deutschland und in der untern Rheingegend, so
zeigt sich regelmässig folgendes Verhältnis zwischen Unter-
nehmer und Arbeiter: Der Bauherr, ein Stift, Kapitel, eine
Stadt oder ein Landesfürst bauen immer noch wesentlich aus
eigenem Stoff. Nur der Haustein für die Fassaden muss in
manchen Gegenden z. B. am Niederrhein gekauft werden.
Allein schon der Plan des Ganzen, sowie der einzelnen Teile
muss von einem Sachverständigen entworfen, die Ausführung
des Plans von einem solchen überwacht werden. Wohl mochte
zur Beaufsichtigung eines einfacheren Baus die Erfahrung,
die sich der „Referent für das Bauwesen“ eines Stifts oder
einer Stadt erworben hatte, genügen, allein bei den monu-
mentalen Werken der kirchlichen Kunst, wie den städtischen
Münstern und Domen war die Anwesenheit eines sachverständigen
Baumeisters unbedingt nötig. Bei der seit dem Beginn des
14. Jahrhunderts sich regenden eifrigen Bautätigkeit war die
Nachfrage nach solchen Meistern gross , und es war daher
für den Bauherrn sehr wichtig, den Künstler am Bau zu halten.
So kommt es, dass bei fast allen grösseren Bauten der Bauherr
bestrebt ist, mit dem Baumeister einen Anstellungsvertrag
zu schliessen. In einer Unzahl von Urkunden ist dies festge-
legt: Der Meister wird auf ein Jahr, oder auf fünf, zehn
Jahre, sehr oft auf Lebenszeit angestellt, an dem Werk zu
arbeiten. Er leitet den Bau. Er erhält einen Jahresgehalt
und an den Tageu, an denen er selbst mitarbeitet, einen fest-
gesetzten Taglohn. Dabei kann ausgemacht sein, dass er noch
einen andern Bau annehmen darf, oder es wird ihm dies verboten:
Beispiele: 1339. „recepernnt magistrum Johannem Groten ad
regendura, magistrandum et murandum chorum et ecclesiam
supradictam usqne ad consummacionem earura“. „Dabunt
itaque sibi annuatim, quando per estatem muratur, sex
marcas Lubicenscs et sex ulnas pulchri panni et quolibet
die, quando personaliter cum kella murat XX denarios
pro precio suo“ (Mithoff, Mittelalterl. Künstler und Werk-
meister Niedersachsens 1883 S. 121).
1359. Anstellung Johanns von Gemünd als Werkmeister des
Freiburger Münsters (Alfred Klemm, Württembergische
Baumeister und Bildhauer 1882).
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1370. Vertrag des Rats zu Aachen mit Meister Peter von
der Kapellen (Laurent, Aachner Stadtrechnungen 1866
S. 35).
1392 und von da ab 1465, 1470 die Anstellungsverträge mit
den Ulmer Dombaumeistern (Klemm S. 56).
1423. Anstellungsvertrag eines kurpfälzischen Baumeisters
(Jänner, Die Bauhütten des MA. 1876 S. 114).
1453. Verdingung des Rathauses zu Hannover an Meister
Cord im Taglohn (Mitthoff S. 72).
1458. Vertrag Hans Panrs mit den Kirchenmeistern zu
St. Lorenz in Nürnberg über seine Anstellung als Werk-
meister (Jänner S. 112).
1532 noch bekennt Jörg Pencz in einem Revers, gegen ein
Gewartgeld dem Rat zu Nürnberg stets zur Verfügung
stehen zu müssen (Mitteil, des Vereins für die Geschichte
Nürnbergs Heft 8 S. 246).
Bauten, deren Grösse die Anstellung eines Baumeisters
nicht nötig macht, werden von dem mit der Verwaltung des
Bauwesens betrauten Kapitular, bei Kirchenbauten dem guber-
nator oder magister operis oder magister fabricae, in Städten
von einem Ratsmitgliede, dem Pfleger, Bauherr oder Baumeister
genannt, geleitet. So leitete z. B. in Nürnberg das ganze
eigene Bauwesen der Stadt, das die sehr wichtigen Befestigungen
mitinbegriff, ein Ratsherr, der nicht technisch vorgebildet war,
als „Baumeister“. Es sei nur au Lutz Steiulinger und Endres
Tücher erinnert. Der Baumeister führte die Verwaltung der
erforderlichen Werkzeuge und Rohstoffe, sowie der nötigen
Gelder, er stellte die Handwerker im Dienstvertrage ein. Im
Dienstvertrag stand auch der technische Unterbeamte, der
„Schaffer und Anschicker auf der Peunt“. Daneben wurden
selbständige Verträge mit Architekten, Ingenieuren und Künstlern
über die Anfertigung von Plänen, Erteilung von Gutachten usw.
abgeschlossen (vgl. E. Mummenhoff, Das Rathaus in Nürnberg
S. 163 ff., P. Sander, Der reichsstädtische Haushalt Nürnbergs
S. 276, 278 ff.). Ähnlich lagen die Verhältnisse bei dem Bau
der Kirche des hl. Viktor zu Xanten (vgl. St. Beissel, Bau-
geschichte von St. Viktor zu Xanten 1883) und bei dem Bau
des Münsters zu Basel. Die Steinmetzen wurden im Taglohn
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beschäftigt, dagegen wurde einzeln verdungen die Errichtung
einer Säule 1481 (Beissel, Baugeschichte S. 172), eines Lehr-
gerüsts 1472, des Dachstuhls 1461 in Basel (Basler Münster-
gesch. 1896 S. 221). Weiterhin finden sich in den Banrechnungen
wiederholt Posten, wonach ein auswärtiger Baumeister für das
Bestehen des Turms oder die Prüfung einer Arbeit einen Lohn
erhalten hat. Als weitere Beispiele reiner Werk Verdingungen
ohne Stofflieferung des Unternehmers seien angeführt:
1405 Vertrag über den Abbruch des alten Rathauses in
Bremen (Das Rathaus von Bremen von Ehmck und Schu-
macher im Bremischen Jahrbuch II. Bd. 1866 S. 272).
1483 Vertrag über den Turmbau auf dem Gröditzberg (An-
zeiger für die Kunde der deutschen Vorzeit Bd. 24 S. 298).
1513 Vertrag der Stadt Hamburg mit Hinrik Berndes über
die Errichtung des Turmes bei St. Peter (Mithoff S. 33).
1532 Vertrag über den Bau der Elsterbrücke in Zeitz (Bau-
denkmäler der Provinz Sachsen Bd. I S. 73).
Nach Jänner a. a. 0. S. 111 ist der älteste erhaltene Vertrag
mit einem Laienbaumeister der 1133 zu Würzburg mit
dem Baumeister Enzelin abgeschlossene Vertrag, in dem
cs von dem Laien Enzelin heisst „ . . cni Nos in reparanda
et ornanda ecclesia nostra curam et Magisterium de-
dimus . .“.
Ausserdem treten, wenn auch nicht so häufig, Werkver-
träge mit Stofflieferung des Unternehmers auf. So wurden die
grossen Sandsteinfiguren zwischen den Fenstern des Bremer
Rathauses zwei Steinmetzen als Ganzes verdungen (Ehmck und
Schumacher a. a. 0. S. 303, 381); ferner finden sich vereinzelte
Beispiele in der Baugeschichte der Kirche zu Xanten (Beissel
S. 174 ff.), wo wiederholt dem Meister auch die Beschaffung der
nötigen Hausteine auf seine Kosten und Gefahr übertragen
wurde. 1543 wurde ein ganzes Gewölbe an den lapicida ver-
dungen, der auch das Material zu liefern hatte (Beissel S. 228).
Überhaupt kam es am Niederrhein häufig vor, dass der lapicida
die Hausteine aus seinem eigenen Steinbrnch mitverdang. Ein
Bauunternehmertum jedoch, wie es unsere Zeit kennt, bestand
im MA. noch nicht. Die Arbeiter, Maurer und Steinmetzen
waren nicht kapitalkräftig genug; das Bauen „in eigener Regie“
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überwog. Im Arbeitsvertrag herrschte vornehmlich Zeitlohn,
und zwar auch bei Werkverdingungen für Leistungen niederer
und höherer Art. In einer Reihe von Ordnungen wurde aus-
drücklich hierauf gedrungen. So lautet Art. 3 der Steinmetz-
ordnung von 1459 (Jänner S. 252), der 1563 noch wiederholt
wurde :
„was redelicher werk und Gebäue nu zu zitten sind, die
in Tageion stont, nemlich also: Strossburg, Cöln und
Wien und Passauwe und ander Werk derglichen, und in
den Hütten, so dazu gehöreut, also berkommen sint und
vollbracht untzhar in Tageion: Dieselben Beue und Werk
also vorstot, sol man also lassen bliben in Tageion und
kein verdinget Werk daraus nit machen in geheynen
wegk, umb dass dem Werk von der Gedinge wegen nit
abgebrochen werde, also verne es an im stott“.
Noch 1560 arbeitet der Meister, der den Bau eines Schiffs
übernommen hat, nach der Lübecker Schiffszimmerleuterolle im
Tagelohn. Ja, noch 1610 wird die künstlerische Deckenmalerei
des Nürnberger Rathaussaales im Zeitlohn verdungen (Mummen-
hoff S. 120).
Diese Sitte hat ihren Grund in der Befürchtung des Be-
stellers, die Arbeit werde schlecht gemacht, wenn er sie in
Akkord verdinge. Berthold von Regensburg drückt dies be-
zeichnend ans:
„Unde sie sulnt alle samt getriuwe und gewaere sin mit
ir amten, sie wirken tagewerk oder fürgrif, wan daz tnout
in dem amte vil zimberliute unde Steinmetzen. Unde
wirkent sie tagewerk, si sulnt nilit deste traeger, daz
der werke manniges werde. Ist ez fürgrif, so solt du
niht deste balder da von ilen, daz dü sin schiere
abe kumest unde daz ez über ein j&r oder über zwei
darnider valle; dü solt es mit triuwen wirken, reht in
der wise, als ob ez din selbes waere: so sachest dü gerne,
wie getriuwcliche man dir würhte“ (X. Predigt, Pfeiffer
I. Bd. 1862 S. 147).
Zu diesen Gründen mag noch kommen, dass an den grossen
Kirchenbauten jahrelang gebaut wurde, und es daher auf Zeit-
ersparnis nicht allzusehr ankam, dass überhaupt das Interesse
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an möglichst rascher Lieferung in jenen Zeiten noch nicht in
dem Masse wie heute entwickelt war. Mitgewirkt hat auch
wahrscheinlich das ursprüngliche ältere Verhältnis, wo der
Arbeiter unter der unmittelbaren Leitung des Arbeitgebers
arbeitete, und schliesslich die noch heute bestehende Abneigung
des Arbeiters gegen den Akkordlohn, der zu einem schärfern
Konkurrenzkampf unter den Arbeitnehmern führt.
Es wäre nun falsch, wollte man aus der Tatsache, dass
die Herstellung einer grossen Anzahl von Bauten und Kunst-
werken im Zeitlohn erfolgte, den Schluss ziehen, es läge in
solchen Fällen ein Dienstvertrag vor. Vielmehr ergibt sich in
einer Reihe von Fällen klar der Vertragswille der Parteien,
den Unternehmer für den Eintritt des zu bewirkenden Erfolgs
haften zu lassen, zum Teil aber schliesst schon die Natur der
zu bewirkenden Leistung eine Anweisung oder Leitung des
Bestellers vollkommen aus (vgl. zu der begrifflichen Seite der
Frage 1. 51 § 1 Dig. 19, 2 und neuerdings die hieran geknüpften
Erörterungen bei Rümelin, Dienstvertrag und Werkvertrag
1905 S. 42 ff.).
4. Auch das Münzgeschäft gab Anlass zum Abschluss von
Werkverträgen. Es kam zwar seit Karl dem Grossen immer
mehr in die Hand des Staats; die Münze wurde entweder in
Pacht gegeben oder aber der Landesherr betrieb selbst das
Münzgeschäft und stellte den Münzer im Dienstvertrag an. Da-
neben blieb jedoch immer noch Raum für das Lohnwerk. Der
Münzer prägte jedem, der Stoff zum Münzen brachte, im Werk-
verträge das Metall in neue Münzen um. Im MA. hatte dies
Geschäft noch viel grössere Bedeutung, als unter unsern heutigen
Münzverhältnissen (vgl. Eheberg, Münzwesen S. 103, 110,
von Inama-Sternegg, Wirtschaftsgesch. II 392, 423).
5. Die im modernen Gewerbe vielfach übliche Arbeit um
Stücklohn kommt auch im MA. schon vor. Allein dieses Ver-
hältnis, das in der Regel nicht zwischen dem Kunden und dem
eigentlichen Unternehmer, sondern zwischen diesem und seinen
Arbeitskräften besteht, und das nicht schlechthin den Schluss
auf das Vorliegen von Dienstvertrag oder Werkvertrag zulässt,
vielmehr in beiden Vertragsformen sich denken lässt, wurde im
allgemeinen nicht als wünschenswert betrachtet. Vielmehr war
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der Lohn der Gehilfen und Lehrlinge durch die zlinftlerischen
Taxordnungen fast durchweg nach Zeit bemessen, ja verschiedent-
lich war Stücklohn geradezu verboten , so nach der Ulmer
Barchentschauordnung von 1419 (bei Nübling, Ulms Baumwollen-
weberei im MA. [Schmoller, Forschungen Bd. 9] S. 11) für die
Beschäftigung der Karterknechte , und nach der Armbruster-
ordnung in Strassburg von 1449 (Brücker, Strassburger Zunft-
und Polizeiordnungen 1889 S. 18) für die Gehilfen. Dagegen
war Entlohnung nach Stückwerk zugelassen für die Gesellen
der Böttcher der 5 Seestädte Hamburg, Lübeck, Wismar, Stral-
sund, Rostock 1494.
6. Ein dem Mittelalter eigentümlicher Gedanke ist das Ver-
bot des „ fürkauf“, das für die Entwicklung des Unternehmer-
tums von grösster Bedeutung ist. Nach einer Reihe von Rechten
war es nämlich verboten, dass der Unternehmer selbst den
Stoff einkaufte (fürkauf) und dann das fertige Werk lieferte.
Im Baumeisterbuch des Endres Tücher (1464 — 1475) heisst es:
„Auch so soll furpass kein zimmerman der meister ist,
keinen furgriff besteeu, da im jemant zimberholtz, pretter
oder keinerlay ander zeug verding, woll mag einer umb
sein arbeit fürgriff machen, also daz er nichtsz anders
verding denn die arbeit allein on den zeug“.
Man kann zwar mit dem Arbeiter einen Akkordvertrag
(fürgriff) abschliessen, so dass ihm eine Arbeit als Ganzes gegen
eine feste Vergütung ohne Zeitlohn verdungen wird, aber hier-
bei darf der Unternehmer kein Material liefern, sondern der
Vertrag darf lediglich den durch die Arbeit zu bewirkenden
Erfolg zum Gegenstand haben. Der Unternehmer soll mit dem
toten Stoff keinen Spekulationsgewinn erzielen. Bücher (Artikel
„Gewerbe“ a. a. 0.) erklärt diese im MA. weit verbreitete An-
schauungsweise im Anschluss an eine Frankfurter Steinmetz-
ordnung von 1355 („. . . uff das yman bedrogen werde“) da-
hin, der tote Stoff solle kein Erwerbsmittel bilden, sondern nur
die lebendige Arbeitskraft. In dieser Allgemeinheit ist der Satz
nicht ganz richtig, denn er steht im Widerspruche mit der Tat-
sache, dass im MA. in vielen Gewerben das Handwerk herrschte.
Bei der Erklärung muss auch die strenge, zünftlerische Gliederung
des Gewerbes berücksichtigt werden, nach der jeder auf einen
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eng begrenzten Kreis von Tätigkeit verwiesen war und ein
Hinübergreifen auf fremdes Gebiet strengstens verpönt war
(vgl. hierzu auch Gierke, Genossenschaftsr. Bd. I S. 390).
Aus dem Gesagten ergibt sich, dass die gesellschaftlichen
und wirtschaftlichen Verhältnisse schon frühe so gelagert waren,
dass das Vertragsleben Formen aufweisen konnte und tatsäch-
lich aufwies, die juristisch unter den Begriff des Werkvertrags
gereiht werden. Es wird nun darzustellen sein, wie das Recht
jener Zeit den dem Werkvertrag zugrunde liegenden eigentüm-
lichen Tatbestand erkannt und ihn entsprechend in der Ge-
staltung seiner materiellen Sätze berücksichtigt hat.
2. Abschnitt
Begriff und Abgrenzung des Werkvertrags und
die Ausdrueksweise der Quellen.
1. Mittelalterliche Rechtsaufzeichnungen haben theoretisch
einen Werkvertragsbegriff nicht aufgestellt. Es ist dies in den
Verhältnissen der ganzen Rechtsentwicklung begründet. Das
ältere Recht hat sogar nicht einmal einen gemeinsamen Namen
für die Werkverträge gefunden. Denn die Quellen kennen
weder den Ausdruck „Werkvertrag“ noch den Ausdruck „Werk-
miete“. Dieses letztere Wort ist nicht von dem Worte „mieten“
in unserm heutigen Sinne, einen Gegenstand entgeltlich zum
Gebrauch erhalten, abgeleitet, sondern hängt mit dem mittel-
hochdeutschen Worte miet zusammen, das gleichbedeutend und
etymologisch verwandt ist mit f<toitös , und den Begriff Lohn,
Preis, Gabe, Gescheuk umfasst. Von ihm erst ist das Wort
mieten abgeleitet, das am häufigsten in der Bedeutung vorkommt:
Eine Örtlichkeit entgeltlich zur Verfügung erlangen, einen
Arbeiter für eine Verrichtung dingen. In diesem letztem Falle
ist aus dem Ausdruck mieten uicht der Schluss auf einen Dienst-
vertrag zulässig, wenn er auch bei Werkverdingungen selten
vorkommt (vgl. hierzu Grimm, WB. VI 2175, 2178, Schmeller,
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WB. II 1697). Sonach hat der Ausdruck Werkmiete nur die
Bedeutung: Verdingung eines Werks gegen Entgelt.
Auch aus dem Gebrauche des Wortes dingen, gedinge kann
kein Schluss auf die juristische Natur des betreffenden Vertrags
gezogen werden. Die Quellen drücken sich folgendermassen aus :
Dingt ein man den andern an sin werk . . . Augs-
burger Stadtr. A. 129 (Meyer S. 214).
Dinget ein man sein guet über land es sei wein wachs
. . . Wiener Stadtr. A. 55.
Dinget ainer ainen furman wein auf umb lone . . .
Bayr. Landr. von 1346 XXVII Kap. 346 (v. Freyberg IV
S. 497).
Dieselben Beue und Werk also vorstott sol man also
lassen bliben in Tageion und kein verdinget Werk daraus
nit machen . . . Steinmetzordn, von 1459 Art. 3 (oben
S. 12).
„ . . . wor on abir doheym verdingen wil . . .“ Ver-
trag der Stadt Leipzig mit dem Vorsprechen 1461 (Leip-
ziger UB. I 276); verdingen ist hier gleich andingen, eine
Abrede mit ihm treffen.
wen ein jeglich Meister ein Werk verdinget . . . Stein-
metzordn. von 1465 (Jauner S. 254).
. . . Man sol auch dhynnan fürder dliein werglfite
weder murer, zymberlfite, noch ander tagner in dem
münster nit dingen, noch dhein iibereinkomen mit inen tun
von dlieins gebuwes noch Werkes wegen . . . Strassburger
Polizeiordn, von 1468 (Brücker S. 386).
So jemand verlest oder verdingt leijungen knaben oder
meydlin zu lernung eines hantwerchs oder ander kunst
Nürnberger Reform, von 1479 25. Titel 10. Ges.
„. . . . das wir off beydin teilen eyne eynung und ge-
dinge traffin und gemacht habin also dass . . . Vertrag
des Rats zu Liegnitz mit Nickil Smed 1481 (Anz. f. d.
Kunde der deutschen Vorzeit Bd. 24 S. 296).
. . aber steiu zu hoyen . . sol man tun mit den
gedingten werkluten die iren steten Ion habent oder obe
es witer not dete, in verdinge und keinem tagelone.
Strassburger Bauordn vou 1485 (Brücker S. 132).
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Adam Kraft confitetur das im S. Sehr, und M. S. ange-
dingt haben die figur . . . Vertrag Adam Krafts 1490
(Repertorium für Kunstwissenschaft Bd. 25 S. 360ff.).
haben ein ehrbar und aufrichtig geding gehalten . . .
Baukontrakt des Rats zu Brieg mit Jakob Baar (Anz.
für die Kunde der deutschen Vorzeit Bd. 25 S. 80).
wath de borger offte inwoner, dede buwen leth, also
bediugeth, dat schall eme de mester holden. Lübecker
Zunftrolle der Maurer und Dachdecker 1527 (Wehrmann
S. 332).
In der Holzorduung des Landrechts zu Lofer und Unken
Art. 6 (Österr. Weistümer I. Bd. Die Salzburg. Taidinge von
Siegel und Tomaschek) heisst es, dass gewöhnlich die Anlieger
des Walds als „holzmaister und fürgedinger solcher wäld“ ge-
braucht werden.
Aus den angeführten Stellen ergibt sich: dingen (mit dem
Akkusativ der Person) heisst gewöhnlich eine Person gegen
Entgelt in Dienst nehmen. Wenn es heisst, an ein werk dingen,
so ist damit nur der Gegenstand, an dem die Dienste zu leisten
sind, bezeichnet. Im weitern Sinn aber heisst dingen unter-
handeln, verhandeln, Vertrag abschliessen. Daher ist das ge-
dinge, wie vor allem die Künstlerverträge bezeichnet werden,
sowie die „Andiugung" ein Vertrag überhaupt (vgl. auch
Puutschart, Schuldvertrag und Treugelöbnis S. 51, 53; Grimm,
Rechtsaltertümer, 4. Aufl. Bd. II S. 140 ff.). Dagegen ist „ver-
ding“ der Arbeitsvertrag, bei dem die Entlohnung nicht nach
Zeitabschnitten erfolgt, sondern als Gesamtsumme für das
ganze Werk gewährt wird. Derjenige, der ein Werk als
Ganzes übernimmt, unser Unternehmer, heisst entsprechend
„fürgedinger“ (vgl. hierzu die übereinstimmenden Angaben bei
Grimm, WB. II 1170, Schmeller I 517; ferner Grimm, Kleine
Schriften IV 332).
Als sprachlich durchaus klares Beispiel einer Werk-
verdingung ist oben ausser den dem Frachtrecht entnommenen
Stellen die Steinmetzordnung von 1465 angeführt. Als weitere
Stellen kommen hierfür in Betracht:
a) Ez sol auch kain maister nach disem geböte niht mer
werke besten denne ain werk, weder ze furgriffe noch
Uothenbucher, Werk\ertrag -
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sust . . . Nürnberger Bauordnung aus dem 13. und
14. Jahrhundert (Baader, Nürnb. Polizeiordn. S. 286); für-
griff ist gleich furgeding, Akkord (Grimm, Kleine
Schriften IV 332, WB. IV 737, vgl. auch die oben
S. 12 angeführte Stelle bei Bcrthold von Regeusburg).
Es sol auch der meister oder die solichs werk be-
standen hent, uut fürder verdingen . . . Steinmetz-
ordnung von 1459 (Jänner S. 254); Verbot der Unter-
verdingung für den Werkunternehmer.
So ain Werckmaister oder jemauds anders ein werk
zu machen bestanden oder angenomen . . . Clmr-
pfälz. Landr. von 1582 II. Teil 4. Titel.
b) Swer guot aufnimpt ze fürn umb Ion . . . Münchner
Stadtrecht A. 283 (Auer S. 109); ebenso Portenbeschluss
von 1557 (bei Börlin, Transportverbände und Transport-
recht der Schweiz 1896 S. 58).
Item wan ein schefman annymbt gevasst wegen . . .
Rechte au dem Urfar zu Nussdorf 1450 (Grimm, Weis-
tümer III 704).
. . . dass Meister M. A. Steinmetz mit dem Kapitel zu
Xanten Übereinkommen ist und angenommen hat . . .
eine steinerne Säule im Dom zu errichten 1481 (Beissel,
Baugesch. S. 172).
Wenn auch ein wergkmeister oder arbeiter auffnymbt
oder dingt ein werk oder arbeit zu machen . . . Wormser
Reform, von 1498 V. Buch II. Teil (loc. cond.), wenn auch
römischrechtlich, so doch übereinstimmend die deutsche
Ausdrucksweise.
Item ein schepestimmermann die ein schiff annympt
tho buwende . . . steht im Zeitlohn nach den Lübecker
Schiffsziminerleuteartikeln 1560 (Wehrmann S. 405).
c) Wenn sich aiu werchman, er sey maurer oder zimermann
oder decker, ains werchs unterwint ze taglon oder ze
fürding, daz selb werch sol er mit seinen gesellen volfürn
und volpringen, und sol auch an chain ander werch die
zeit nicht sten und sol daraus nicht gen . . . Münchner
Stadtr. A. 472 (Auer S. 180).
Wo sich auch ein maister ain er arbeit oder gepäus
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untersteht und annympt . . . Bayr. Landr. von 1518
42. Tit. 4. Art.
d) Int erste dat welch man werck verdinget, id were
malwerck edder glasewerk . . . 1474 Lübecker Maler- und
Glaserordnung (Wehrmann S. 329). Hier ist nur Werk-
vertrag möglich, da es den Zunftgenosseu verboten ist,
to vorfang, auf Vorrat zu arbeiten, und Glas- oder Mal-
werk feil zu halten.
. . . hat ein erbar Rat zu Zeitz Meister Bezolten in
Werkstücke verdingt, ein crucifix 1532 (Baudenkmäler
der Provinz Sachsen Bd. I S. 75).
Die angeführten Stellen lassen zum Teil deutlich erkennen,
dass die mittelalterliche Anschauungsweise die Übernahme
eines Werks als Ganzen (ein werk besten, ein werk annemen,
ein werk aufnemen) als eine Vertragsform erkannt hat, bei der
sowohl Akkord- wie Zeitlohn Vorkommen kann. Erst mit der
Aufnahme des römischen Rechts wird die Unterscheidung von
Zeitlohn und Akkord für die Abgrenzung von Dienst- und
Werkvertrag von Bedeutung, bei Zasius, Komm, zu den Dig.
fol. 711 L. XVIII de verb. obl. [Ausgabe von Freigius 1571].
Die Abgrenzung des Werkvertrags von den übrigen Arbeits-
verträgen wird ja schwierig nur bei jener Gruppe von Ver-
trägen, bei der nicht der Stoff dem Arbeiter, womöglich in
seine Behausung übergeben wird, sondern der Unternehmer bei
Bauwerken und Schiffbauten, also an fremder Arbeitsstätte
seine Arbeiten voruimmt, und wo gleichzeitig neben ihm andere
Arbeiter im reinen Dienstvertrag und, wie er, im Zeitlohn be-
schäftigt sind. Denn hier kann nur die Art der zu leistenden
Arbeit und das sich hieraus ergebende Verhältnis zum Arbeit-
geber ein Unterscheidungsmerkmal sein. In all den Fällen
aber, wo verding vorliegt, wird der Vertrag rechtlich als Werk-
miete anzusehen sein.
Es besteht nun in der Ausdrucksweise der Quellen eine
eigentümliche Analogie zwischen dem deutschen und dem
römischen Recht. Man sagt nämlich ein werk besten (nach
Grimm opus aggredi), einen furgrif besten, daneben hat
besten die Bedeutung mieten, „ein Schiff, ein Fahrzeug besten;
„Bestand“ ist gleich Miete. Dem entspricht im römischen
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Recht opus conducere, rem conducere. Es läge nahe, in
beiden Fällen besten und conducere als „in räumliche Gewalt
nehmen“ aufzufassen. Es scheint mir dies jedoch zu gewagt,
vielmehr wird mau besten im Werkvertrag so aufzufassen
haben, dass es „annehmen, übernehmen, unternehmen“ bedeutet.
(Immerhin ist darauf hiuzuweisen, dass auch das nordgermanische
Recht in dem Worte leiga = Miete eine einheitliche Bezeichnung
für Sach-, Dienst- und Werkmiete hat, die dem deutschen „Be-
stand“, der römischen „conductio“ entsprechen würde, so dass
die Annahme nicht ganz ausgeschlossen wäre, es möchte hier
doch nach der primitiven Rechtsanschauung im Grunde eine
Einheit dieser drei Verträge bestehen. Über den Gebrauch
des Wortes leiga, legha, gotl. laigha vgl. v. Amira, Nordgerman.
OblR. I 610, 632, 636, 649, II 740, 741.)
Der Werkvertrag ist ein entgeltlicher Vertrag. Die Quellen
betonen dies auch überall.
„gibt eyner dem andirn zcu machin gewant adir silbir adir
andir ding und man ym dovon Ionen zal vor seyne erbeit . .
Schöffenrecht der Dresdner Handschrift (Wasserschieben S. 111);
Das Lübische Recht von 1294 (Hach S. 347); Hamburger Recht
von 1292 H. XXIII und von 1497 L. VIII (Lappenberg); Augs-
burger Stadtrecht A. 133 (Meyer S. 217); Regensburger Stadtr.
(Freyberg V S. 37); Alte Culm V 3; Ruprecht von Freising
I 162 (Maurer); Münchner Stadtr. A. 164, 472 (Auer); Bayr.
Landr. von 1346. XXVII. Kap. 347. Art. ; Stadtr. von Lüneburg
(Kraut S. 51); Glogauer Rechtsbuch cap. 600 (Wasserschieben).
Gegenstand des Werkvertrags ist die Bearbeitung des
übergebenen Stoffs, Herstellung einer neuen Sache aus den
übergebenen Bestandteilen, wobei die geistige Leitung und
daher auch die Verantwortlichkeit für den Erfolg beim
Unternehmer steht. Gegenstand des Werkvertrags ist aber
auch weiterhin Bewirkung irgend eines Erfolgs, auch eines
geistigen Erfolgs.
Zunächst kommt hier der Erziehungsvertrag in Betracht.
Hier lagen die Verhältnisse im MA. folgendermassen : Das
Lesen, Schreiben und Rechnen wurde von kundigen Personen,
den Schulmeistern oder „deutschen Schreibern“, für die jttngern
Altersklassen auch von Schulfraueu gelehrt. In den kleineren
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städtischen Gemeinwesen, wo nicht, wie in den bedeutenderen
Städten ein grösseres Angebot von Lehrkräften bestand, suchte
man sicli einen Schulmeister dadurch zu sichern, dass man
gegen einen festen Gehalt eine hierzu geeignete Person an-
stellte, die selbständig und auf eigene Rechnung die Erziehungs-
verträge mit den Eltern der Schüler abschloss. Da kein Schul-
zwang bestand, ergab sich also allenthalben die Notwendigkeit,
privatrechtliche Erziehungsverträge abzuschliessen, für die denn
auch besondere Rechtsregeln galten (vgl. Mone, Das Schulwesen
vom 13. bis 16. Jahrh. in der Zeitschrift für die Gesch. des
Oberrheins Bd. I, II, Sander, Der reichsstädtische Haushalt
Nürnbergs S. 225). Dagegen lag der höhere Unterricht in der
Regel in geistlichen Händen, jedoch kamen auch hier An-
stellungen von städtischen Schulmeistern im obigen Sinne vor,
wobei die Rechtsverhältnisse zwischen Schülern und Lehrer
ausdrücklich geregelt waren (Bestallung des latein. Schul-
meisters von Überlingen, die mit wenigen Veränderungen von
1465 bis 1608 galt; bei Mone II S. 153).
Beim Lehrlingsvertrag treten die Normen, die über die
Erziehungspflicht des Lehrherrn gelten, gegenüber den die
Dienstpflicht des Lehrlings betreffenden zurück.
Es ist nach der Natur der hier zu bewirkenden Leistungen
die Annahme eines Dienstvertrags für den Erziehungsvertrag
ausgeschlossen, allein es ergibt sich hieraus auch, dass nicht
alle Regeln, die für den Werkvertrag gelten, Anwendung finden
können, besonders insoweit sie sich auf die Eigenschaften des
Werks und dessen Fertigstellung und Abnahme beziehen.
Weiter muss noch auf den Vertrag mit dem Für-
sprechen eingegangen werden (vgl. zu dem Folgenden Nietsche,
de prolocutoribus, Leipzig 1831; G. L. Maurer, Geschichte des
Gerichtsverfahrens 1824 S. 123 — 132; Planck, Gerichtsverf. im
MA. 1878 Bd. I S. 194 ff. ; ferner Weissler, Geschichte der
Rechtsanwaltschaft 1905 S. 34 ff.). Im mittelalterlichen Prozess-
verfahren ist es allgemein üblich, dass die Parteien vor Gericht
sich eines Vorsprechen bedienen, der ihnen auf ihr Ansuchen
für die Dauer des Dings vom Richter bestellt wird. Vorsprech
kann jeder sein, der im Ding vollberechtigt aufzutreten befugt
ist; aber es bildet sich sehr bald allgemein der Brauch heraus,
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nur besonders rechtskundige Männer hierzu zu wählen. Für
unsere Frage kommt es nun wesentlich darauf an, in welchem
Verhältnisse der Fürsprecher und sein Schützling zu einander
stehen. Der Fürsprecher hat zunächst die Aufgabe, die durch
den Prozessformalismus genau bestimmten Erklärungen seiner
Partei abzugeben, vor allem die Fragen an das Gericht zu
stellen. „Er darf nur sprechen, was ihm die Partei aufge-
tragen hat“, jede seiner Erklärungen muss von der Partei ge-
nehmigt werden. Allein er ist nicht das Sprachrohr seiner
Partei. Vielmehr hat er die ihm von der Partei gemachten
Angaben vermöge seiner Erfahrung und seiner Rechtskunde
möglichst günstig zu verwerten. Er hat die für das Vorbringen
der Partei günstigste Form zu wählen, und es ist seiner Ge-
schicklichkeit überlassen, dem Richter und dem Gegner geeignet
gegenüberzutreten. Er hat die Pflicht, die Partei zu beraten
sowohl hinsichtlich der Wahl der Prozessmittel und der zu
unternehmenden Schritte, als auch hinsichlich ihres Verhaltens
vor Gericht. Er steht überhaupt in einem Treuverhältnis zur
Partei und hat für den Leichnam eines hingerichteten Ange-
klagten und dessen Beerdigung zu sorgen.
Es ergibt sich, dass zwar die Partei, entsprechend dem
heutigen Rechte, dem Fürsprech Weisungen erteilen kann, dass
sie aber auf die Art ihrer Ausführung naturgemäss keinen Ein-
fluss hat, da diese eben von der der Partei fehlenden Ge-
schäfts- und Rechtskunde abhängig ist. Danach kann das
Rechtsverhältnis nicht als Dienstvertrag bezeichnet werden.
Dem steht auch nicht entgegen, dass die Partei das Recht
hatte, den Erklärungen des Fürsprechen die Genehmigung zu
versagen — wovon übrigens wohl nur äusserst selten Gebrauch
gemacht wurde (Planck a. a. 0. S. 202) — , denn dies war nur
für den Prozess, nicht für das zwischen ihr und dem Fürsprech
bestehende Vertragsverhältnis von Bedeutung. Ausserhalb des
Gebiets des Sachsenspiegels konnten aus den Freunden der
Partei einer oder zweie dem Fürsprech als Beiständer zur Seite
gestellt werden, die ihn zu beaufsichtigen und ihm mit Rat
beizustehen hatten. Auch hierdurch wird die Leistung des Für-
sprecher nicht zu einer Dienstleistung. Denn die Aufsicht
konnte nur den Zweck haben, die Partei vor der Bestätigung
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zu warnen ; und durch Ratschläge, die ein Beiständer dem Für-
sprech erteilte, wurde dessen Stellung zur Partei nicht ver-
ändert. (Nicht hierher gehören die „Vorsprecher des Rechtens“,
wie sie im Gebiete des bayrischen Rechts an die Stelle der
Schöffen getreten waren; vgl. Schröder, Rechtsgesch. 3. Aufl.
S. 554.)
Lässt sonach die Natur der vom Fürsprech zu bewirkenden
Leistung die Auffassung eines Werkvertrags zu, so kommt es
noch darauf an, ob die Tätigkeit entlohnt wurde. Nach der
älteren, ursprünglichen Auffassung musste das Amt des Vor-
sprechers, zu dessen Übernahme jeder Dingpflichtige auf Grund
seiner Dingpflicht verpflichtet war, unentgeltlich versehen
werden. Das „heilige Recht“ soll man nicht kaufen und ver-
kaufen (vgl. die bei Weissler S. 54 angeführten Belegstellen).
Nach sächsischem Recht war eine Entlohnung nicht üblich, und
erst die Glosse Johann v. Buchs zu Sachsenspiegel I 60 ver-
teidigt mit Berufung auf das „kaiserliche Recht“ die Zulässig-
keit der Entlohnung.
„Ick segge dy dat, dat ein vorspreke sick wol mfit
meden laten. . . “
Damit stimmen überein Deutschenspiegel 78, Schwaben-
spiegel Art. 72, Kulm V 61 §§ 1, 6, Magdeburger Schöffen recht
II 1 c. 19, ferner die Magdeburger Fragen (cap. V dist. 2).
„Un dir windet sich eyn bedirman voi spreche zu
syn in Sachen um benant Ion, das ist man ym
pflichtig czu gebin. Tliut er es uff genade sunder
benant Ion, so stet is au deme, des dy sache ist, also
daz her deme vorspreche syne arbeit lone. (Man beachte
auch hier den Ausdruck „sich unterwinden“ !)
Dagegen fiudet sich in anderen Quellen schon früh (1240
in Lübeck) der Grundsatz der Entlohnung. Hamburger Stadtr.
von 1292 III. B. (Lappenberg), Bremer Stat. von 1341 (Oelrichs
S. 232), Hannoversches Stadtr. (herausgeg. von Brönnenberg
1844 S. 379), Regensburger Stadtr. (v. Freyberg, V S. 61),
Statuten der freien Reichsstadt Cöln von 1463 A. 73; Prager
Stadtr. 77. Art. von 1354 (Förstemann 1845), ferner die bei
Weissler S. 56 angeführten Belegstellen. Es hängt dies mit
der berufsmässigen Ausübung des Amts zusammen, wie sie
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vornehmlich in den Städten aufkam (Planck S. 207). So kam
es, dass nicht nur der vereinbarte Lohn, sondern überhaupt
eine Taxe gezahlt werden musste. Hiervon waren nur die
Armen befreit. Schwsp. Art. 72; Alte Culm V § 61, Ruprechts
Lehenrecht § 78 (Westenr.).
Entsprechend der Anstellung von Schulmeistern oder von
Ärzten (in Nürnberg) kommt auch hier die Einrichtung vor,
dass die Stadt einen Fürsprech im Dienstvertrag anstellt, dass
er den Bürgern zur Verfügung stehe. So stellt im Jahre 1461
die Stadt Leipzig einen Fürsprech an, der am Dingtag bei Ge-
richt sein muss, und den Bürgern um einen Groschen reden muss,
„wer on abbir doheym verdingen will, von dem mag er
neraen vihr adder funff groschen uugeverlich“.
Ebenso waren die Verhältnisse in Straubing geregelt (vgl.
Rosenthal, Beiträge zur Deutschen Stadtrechtsgesch. 1883
S. 318, 274).
Sonach muss der mit dem Fürsprech abgeschlossene ent-
geltliche Vertrag begrifflich unter den Werkvertrag bezogen
werden. Freilich ist dies materiell von nicht allzu grosser Be-
deutung, da die im wesentlichen auf den gewerblichen Werk-
vertrag zugeschnittenen Rechtsregeln nur selten auf die ihrer
Art nach verschiedene Leistung des Fürsprechers angewendet
werden können.
2. Die Dienstmiete unterscheidet sich von der Werkmiete
dadurch, dass bei ihr der Herr die fremde Arbeit zu dem von
ihm gewollten Erfolge lenkt, während bei der Werkmiete der
Unternehmer selbst für den Erfolg verantwortlich ist. Wie
schon die bisherige Darstellung gezeigt hat, unterschied das
mittelalterliche Recht deutlich diese beiden Tatbestände. Zu-
weilen kommt dies auch iu der Anordnung des Stoffs in den
Rechtsaufzeichnungen zum Ausdruck. So berücksichtigen die
ländlichen Rechtsquellen fast ausschliesslich den Dienstvertrag
und trennen ihn von etwaigen mitberücksichtigten Werkverträgen.
Das Hamburger Stadtrecht von 1292 (Lappenberg) stellt im
12. Abschn. die den Dienstvertrag betreffenden Rechtssätze zu-
sammen unter der Überschrift „van dhenste“. Und im Stadt-
recht von 1497 (Abschnitt F) heisst es dann „van dhenste und
ghesynne“. Dagegen enthält das Bremer Stadtrecht von 1428
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I. Buch cap. 46 (Oelrichs S. 341 ff.) auch die auf den Werk-
vertrag bezüglichen Vorschriften unter der Überschrift „van
denste“.
Aber auch auf Grund äusserer Merkmale, vor allem des
Herrschaftsverhältnisses zwischen den Vertragsteilen, sind
Dienst- und Werkmiete zu unterscheiden. Denn die grösste
Zahl aller Dienstverträge fällt unter den Gesinde- und Ge-
sellenvertrag. Diese Gruppe nun hat in den Landrechten,
Ebalten-, Gesinde-, Handwerks- und Gesellenordnungen, in den
Zunftstatuten eine eingehende Regelung gefunden, ausführlich
ist dort die dem Dienstherrn zustehende Dienstgewalt geordnet,
die sich nicht nur auf die Ausführung der den Gegenstand des
Vertrags bildenden Dienste bezieht. Dazu kommen noch be-
sondere Eigentümlichkeiten, vor allem die Wohnung in der
Hausgemeinschaft des Dienstherrn (vgl. Hertz, Die Rechts-
verhältnisse des freien Gesindes 1879 S. 9; v. Amira, Nord-
german. Obligationenrecht II S. 771). Daneben kommen frei-
lich auch freie Dienstverträge mit dem Taglöhner, Hausbäcker,
Hausschlächter vor; aber auch hier kommt meistens schon in
der Fassung der Quellen die Auffassung, dass es sich um
Leistung von Diensten unter der Leitung des Herrn handelt,
zum Ausdruck.
3. Die Abgrenzung des Werkvertrags vom Kauf war im
MA. leichter wie heute. Schon die äusseren Verhältnisse be-
günstigten dies. War doch, wie schon oben erwähnt, in einer
grossen Anzahl von Rechten die Stofflieferung durch den Unter-
nehmer verboten. Vgl. Brünner Schöffenbuch (Rössler S. 389,
405). Auch bei der Mehrzahl der Künstlerverträge wurde der
Stoff vom Besteller geliefert, so die Tafel, auf die das Bild
gemalt wurde, das Holz, aus dem die Figuren geschnitten
wurden, die Farben und das in der gotischen Kunst reichlich
verwendete Gold. Vgl. die Ausgabeposten für die Ausmalung
eines Gewölbes des Basler Münsters (Münstergeschichte S. 234)
gab im ze Ion 3 Pfd. 5 ß Item hab geben 12 Pfd.
umb 3 buch schön Golt zu dem Crüczgang und zu der
Suilen . . . Item umb öli und farwe und umb lim 30 ß.
Abgesehen von grösseren Bauverträgen, wie dem über den
Turmbau auf dem Gröditzberg 1483, und die Elsterbrücke bei
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Zeitz 1532, lieferte bei einem so bedeutenden Kunstwerk wie
dem 1490 an Adam Kraft verdungenen Grabmal (Repert. Bd. 25
S. 360 ff.) und bei dem Waltzroder Altarbild Hans Brüggemanns
1523 (Repert. Bd. 24 S. 125) der Besteller den Stoff.
Dagegen wird allerdings seit der Mitte des 15. Jalirh. viel-
fach die zum Maleu nötige Farbe und das Gold oder auch
Stein und Holz vom Künstler geliefert. Beim Rathausbau von
Bremen werden Steinfiguren mit Stoff liefcrung durch den Unter-
nehmer verdungen 1406—1407 (Ehmck u. Schumacher 303, 381);
ebenso Vertrag Iseumanns mit dem Martiusstift zu Colmar
1462 (Repert. II 153); Aufgabe des Künstlers ist es, die Altar-
flügel zu bemalen, und die geschnitzten Figuren zu .vergolden.
Durchwegs liefert den Stoff Tilman Riemenschneider 1491,
1496 (Tönnies S. 80, 276); Vertrag M. Wohlgemut s über Liefe-
rung des Schwabacher Altars 1508 (Thode S. 245); Vertrag des
Malers Bruyn über ein Altarbild für das Stift zu Xanten 1529
(Beissel, Gesch. der Ausstattung S. 12); Revers des Goldschmieds
Beyer 1531 (Mitteil, des german. Mus. Bd. I S. 167). Lukas
Cranach hat bald mit eigeneu Farben auf eigene Leinwand ge-
malt, bald den Stoff vom Hof geliefert erhalten (Chr. Schuchardt,
Lukas Cranach des Ä. Leben und Werke 1851 S. 144, 195).
Soweit es sich bei solchen Werkverträgen lediglich um Zu-
taten des Unternehmers handelt, wird man annehmen dürfen,
dass auch nach mittelalterlicher Auffassung die Natur des Ver-
trags hierdurch nicht geändert wurde. Ob jedoch das mittel-
alterliche Recht die Lieferung erst herzustellender, nicht ver-
tretbarer Sachen als Kauf oder als Werkvertrag betrachtete,
geht aus den Quellen selbst nicht klar hervor. Die Ausdrucks-
weise der Quellen ist zur Erklärung nicht zu verwenden. Denn
sowohl bei der Andinguug der Sandsteinfiguren am Bremer
Rathaus, wo die Steinmetzen den Stein lieferten, als in dem
entgegengesetzten Fall der Verdingung des Waltzroder Altar-
bilds wird von kop, Kauf gesprochen. Man wird davon aus-
gehen müssen, dass das MA., wenn es auch theoretisch den Be-
griff der vertretbaren und nicht vertretbaren Sachen nicht aus-
gebildet hat, doch anschaulich genug dachte, um bei solchen
Künstlerverträgen zu erkennen, dass es sich nicht darum handle,
dass der Künstler gegen Entgelt einen Stein oder Ölfarben
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und Gold liefere, sondern dass seine Leistung in der Schöpfung
einer neuen, nur für einen bestimmten Platz geeigneten, einzig-
artigen Sache besteht. Der Charakter dieser Verträge als
Arbeitsverträge trat schon im äussern Vorgang deutlich in die
Erscheinung. Ein innerer Grund, diese Verträge unter den
Kaufvertrag zu fassen, besteht ja nur insofern, als es sich um
Mängel des Werks handelt, die in der Eigenschaft des ge-
lieferten Stoffs begründet sind.
Diese Auffassung wird bestätigt durch den Vertrag des
Rats zu Zeitz mit Meister Bezolt 1532 über ein Kruzifix, zu
dem Bezolt auch den Stoff zu liefern hat. Es heisst dort (Bau-
denkmäler der Provinz Sachsen Bd. I S. 75):
hat ein erbar rath zu Zeitz M. Bezolten in werckstücke
verdingt ein crucifix . . .
Verschiedentlich tritt eine Trennung der beiden Vertrags-
elemente, Stoffliefernng und Arbeit, in der Vergütung hervor.
So erhält der Steinmetz Schröder 1560 anlässlich der An-
fertigung einer Kanzel 50 Taler für die Arbeit und 10 Taler
für den Stein (Mithoff S. 288).
Die Künstlerverträge enthalten fast durchwegs ausser-
ordentlich reichliche materiellrechtliche Bestimmungen, aus
denen meistens hervorgeht, dass sie als Arbeitsverträge be-
handelt wurden. Dies wird bei der Darstellung des materiellen
Rechts zu zeigen sein. Die Eigenart des Künstlervertrags
tritt jedoch in denjenigen Bestimmungen hervor, die, abweichend
vom allgemeinen Recht, eine länger dauernde Gewährleistungs-
pflicht des Unternehmers für Mängel des Werks festsetzen,
und die den Fall der Auflösung des Vertrags durch den Tod
des Unternehmers regeln. Hier hat also die Vertragspraxis
die Sätze des allgemeinen Werkvertragsrechts unter Berück-
sichtigung der besonderen Sachlage durch eigene Bestimmungen
ergänzt.
Eine Abgrenzung des Kaufs vom Arbeitsvertrag überhaupt
gibt Ruprecht v. Freising (Maurer II 81, Westenr. Lehenr. § 66):
Nu sprechen wir von geordentem Ion. Es mag kein
schmid uit gesprechnn über geordenten Ion vor gericht
do kol unnd cysin des Schmidts ist wann damit ver-
chaufft er seyn eysun unnd seyn kol, was er den leuteu
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wurchet. Ist aber das ener kol und eysnn mit jm dar-
pringgt und was er im daraus wurchet. nnnd paid er jm
des unnd lat jns austragenn so mag er jn wol umb seinen
geordenten Ion ansprechnn. Solidi recht liabenn all hant-
wercher dy den leutten jr aigen gnet ze nuetz pringenn,
da sy selbs kaiu aigenn guet bey liabenn (vgl. hierzu
Stobbe, Vertragsrecht S. 98).
Es soll hiernach zwischen dem Fall unterschieden werden,
wo der Arbeiter seinen eigenen verarbeiteten Stoff liefert, und
dem, wo er selbst keinen Stoff liefert, sondern nurseine Arbeit.
Stobbe a a. 0. nimmt hier, da er die Stelle im Anschluss an
den lidlon des Gesindes behandelt, eine loc. cond. operarum an.
Dies ist nicht ganz richtig, denn es geht aus obiger Stelle
über die Art des Vertragsverhältnisses nichts hervor — es
kann sowohl Dienst- wie Werkraiete vorliegen.
3. Abschnitt
Der Abschluss des Vertrags.
I. Die „Einigung“, das „Gedinge“, das „Übereinkommen“
betrifft den Inhalt des Vertrags. Dieser wird je nach den Ver-
hältnissen mehr oder weniger genau bestimmt. Vor allem bei
Bauten und Kunstwerken wird das herzustellende Werk genau
beschrieben, es werden die Masse, die Eigenschaften des etwa
vom Unternehmer zu liefernden Stoffs festgestellt. Es wird
genau bestimmt, welche Heiligen und wie viele auf einem Altar-
bild dargestellt werden sollen, ja der Wunsch des Bestellers
erstreckt sich oft auf Einzelheiten, wie darauf, ob eine mänu-
liclie Figur einen Bart tragen soll oder nicht. Andererseits
werden genaue Abreden über die Entlohnung, sowie für Fälle
getroffen, die abweichend von den gewöhnlichen Rechtssätzen
behandelt werden sollen. Die meisten KUnstlerverträge ent-
halten von der zweiten Hälfte des 15. Jahrh. an hierüber aus-
führliche Abmachungen.
Sehr oft wird dem Vertrag über Errichtung eines Bauwerks
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oder Herstellung eines Kuustgegenstands ein Plan, „Visierung“
genannt, zugrunde gelegt, nach dem das Werk auszuf&liren ist.
Steinnietzordnung von 1465 (Jauner S. 254); Vertrag über
die Herstellung des Münnerstädter Altarbilds durch Tilman
Riemenschneider (Tönnies, Tilman Riemenschneider S. 276).
Vertrag Hans Brüggemans mit dem Propst zu Waltz-
rode 1523 (Repert. f. Kunstw. Bd. 24 S. 125), Revers des
Goldschmieds Beyer 1531 über Anfertigung von Silber-
geschirr (Mitteil, des german. Mus. Bd. I S. 167) ; Vertrag
Wenzel Jamnitzers mit Erzherzog Ferdinand 1561 (Mitteil,
des Inst, für österr. Geschichtsforsch. Bd. IX S. 285).
Ferner gehört hierher das „Gegengewicht“, das nach ver-
schiedenen Ordnungen der Goldschmied beim Empfang des zu
verarbeitenden Metalls dem Besteller zur Nachprüfung bei der
Rückgewähr geben musste.
Der Sicherung des Beweises dient die Beurkundung der
Verträge. Privaturkunden werden einmal ausgestellt, für den
Gebrauch des Bestellers, oder doppelt für den Besteller und
Unternehmer. In diesem Falle wird der Vertrag zweimal auf
dasselbe Blatt geschrieben, das dann an einer mit Buchstaben
bezeichueten Stelle abgeteilt wird. Die Urkunden sind meistens
gesiegelt. Zur ersteren Gruppe gehört der Vertrag Isenmanns
mit dem Martinsstift zu Colmar 1462 (Repert. f. Kunstw. Bd. II
S. 153) und der Vertrag über Errichtung der Elsterbrücke zu
Zeitz 1532 (Baudenkm. der Prov. Sachsen I 73), zu der zweiten
Gruppe gehört der Vertrag über Errichtung einer Säule im
Xantener Dom 1481 (Beissel, Baugesch. S. 172), der Vertrag
des Abts zu St. Godehard in Hildesheim mit Meister Wolter
1504 (Mithoff S. 430), Glaserkontrakt abgeschlossen von der
Stadt Löwenberg 1511 (Anz. f. d. Kunde d. d. Vorz. Bd. 29
S. 174), Vertrag des Malers Bruyn mit dem Stift zu Xanten
1529 (Beissel, Gesch. der Ausstattung der Kirche zu Xanten
S. 12).
II. An welchen Tatbestand knüpft nun das Recht die
Obligation?
1. Es ist hier davon auszugehen, dass der Werkvertrag
verschiedene wirtschaftliche Vertragsformen umfasst, unter
denen zwei vornehmlich sich gegenübertreten: Einmal die
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Gruppe von Verträgen, wo der zu bearbeitende Stoff dem
Unternehmer zur Bearbeitung an seiner eigenen Arbeitsstätte
übergeben wird, und andererseits die Gruppe von Verträgen,
wo der Unternehmer verpflichtet wird, aus seinem eigeuen
Stoff das Werk zu liefern, oder an fremder Arbeitsstätte, vor
allem bei Bauwerken, durch seine Arbeit einen Erfolg herbei-
zuführen.
Jene erste Gruppe von Verträgen erlangt schon durch die
Hingabe des Stoffs und die Annahme durch den Unternehmer
verbindliche Wirkung, ohne dass es einer hierzutretendeu Form
bedürfte. Diese Verträge können als Realverträge gültig
abgeschlossen werden.
Tatsächlich erwähnen die Quellen bei dieser Art von Ver-
trägen nirgends den Gebrauch einer Form, vielmehr lassen sie
schon durch ihre Ausdrucksweise erkennen, dass das Gedinge
durch die Hingabe des Stoffs sofort rechtliche Wirkung er-
langte, dass von diesem Zeitpunkte an die Pflichten und Rechte
der Vertragsteile entstanden.
„ . . . swaer eime snider gewant enpfilcbet ze suiden. .
Augsburger Stadtr. A. 133 § 2 (Die typische Form!
vgl. Lexer I 563); ebenso Ruprecht v. Freisiug I 149 (M.).
« gebit eyn man und tut syn gewant eyme snyder
czu machin . . .“ System. Schöffenr. V c. 4.
„Ap ein man silber ader gewant czu machin tut
umme daz Ion . . Glogauer Rechtsbuch cap. 600
(Wasserschieben).
„Dinget ein man ein chaufschatz überlant, und sich
desselben chaufschatzes der fuerman unterwindet auf
seinen wagen. . Wiener Stadtr. A. 56.
In dieser letzten Stelle ist der Fall so gelegen, dass die
Vertragsteile den Frachtvertrag schliessen, der sofort durch
die tatsächliche Übernahme des Guts vollzogen wird, während
A. 55 des Wiener Stadtrechts („Dingt ein man sein guet über-
lant . . . und geit seinen gotzphenniug daran. . .“) von der
Hingabe eines Gottespfennigs spricht, und hierbei den Fall im
Auge hat, wo sich der Fuhrmann verpflichtet, das Gut zu ver-
frachten, das Gut aber uiclit zur Stelle ist, sondern erst später,
vielleicht an einem andern Orte zur Verfrachtung übergeben wird.
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Nacli Börlin, Transportverbände uud Transportrecht der
Schweiz S. 54, vollzog sich der Vertragsschluss durch Übergabe
der Güter oder durch Eiuzählen in das Schiff. Eine Form für
den Vertragsschluss findet sich bei dem Rodbetrieb nirgends.
Die vorgetragene Auffassung wird weiter dadurch gestützt,
dass in den Quellen, wie weiterhin zu zeigen sein wird, alle
andern Verträge, bei denen nicht der Stoff gleichzeitig mit dem
Gedinge dem Unternehmer übergeben wird, entweder als sym-
bolische Realverträge (Gottespfenning, Weinkauf) oder als
reine Formverträge behandelt werden. Nirgends findet sich
ferner in den Quellen ein Anhaltspunkt dafür, dass die
Gültigkeit des Abschlusses solcher Realverträge von den
Parteien im späteren Prozesse bestritten worden wäre. Es
steht diese Annahme eines Realvertrags auch durchaus nicht im
Widerspruch mit den allgemeinen Grundsätzen des deutschen
Rechts, das ja auch die Leihe, die Hinterlegung und die
Schenkung als Realverträge behandelte.
2. Neben diesen Verträgen, die durch Hingabe des zu ver-
arbeitenden Stoffs an den Unternehmer vollzogen werden, sind
alle diejenigen zu berücksichtigen, in deren Tatbestand dieses
Moment fehlt. Da die reine Übereinstimmung der Vertragsteile
zum Zustandekommen der Obligation nicht genügt, wird künst-
lich dem Gedinge der Charakter des Realvertrags verliehen.
a) Dies ist in der Weise möglich, dass von der einen Ver-
tragsseite, wenn nicht die ganze Leistung, so doch ein sehr
erheblicher Teil im voraus erfüllt wird. Der Besteller macht
eine Anzahlung auf die Vergütung. So im folgenden Fall:
Hirvor ein gelauet (gelobt) vic m & lub. Darvon 1 m &
ret up de hant to dem gadespenning. . . Verdingung des
Turmbaus zu St. Peter in Hamburg 1517 (Mithoff S. 33),
und ähnlich erhält Barward Tafelmaker 1525 für Er-
bauung der Rossmühle in Leipzig 300 Thlr. und 10 Thlr.
Gottespfenning (Mithoff S. 309).
Es handelt sich bei diesen „Gottespfenuingen“ nicht um unbe-
deutende Leistungen, sondern sie stellen eine wirkliche Voraus-
leistung des Bestellers dar. Die Bezeichnung „Gottespfenning“
zeigt, dass nach der Auffassung der Quellen die Begriffe der
arrha und der Anzahlung, unter dem einheitlichen Gesichts-
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punkt der Sachleistung beim Vertragsabschluss Zusammen-
flossen. Hieraus ergibt sich für die Entwicklungsgeschichte der
arrha, dass bei Verträgen der oben erwähnten Art der Ver-
trag durch eine wirkliche Vorausleistung des Bestellers voll-
zogen wurde, dass diese Gabe dann im Laufe der Zeit viel-
fach an Wert verlor, bis sie als zu geringfügig für den Unter-
nehmer nicht mehr in Betracht kam, der sie dann als Almosen
„in die Büchse“ steckte. In dieser Form ist der „Gottes-
pfennig“ in den mittelalterlichen Quellen erhalten. Beim
Werkvertrag jedoch lag es mit Rücksicht auf die oft wirt-
schaftlich schwache Stellung des Unternehmers nahe, in vielen
Fällen die alte „Anzahlung“ beizubehalten, die sich ja tat-
sächlich, wenn auch ohne die alte rechtliche Bedeutung bis in
unsere Tage gerade in den hier in Betracht kommenden Ver-
hältnissen erhalten hat.
Die Hingabe des „Gottespfennigs“ findet sich ausser in
der oben angeführten Stelle des Wiener Stadtrechts (Art. 55)
in folgenden Quellen:
„Item wen men ock mit den meistern mhurwergke
vordingeth, so schollen se mit gadesgelde edder mit
schencken de böigere nicht overlestern und beschnidenn,
sunder truwelicken vordenst nerneu“. Rostocker Ordinanzie
von 1530, angef. bei Mithoff S. 445.
„Wann ein Meister eiue arbeit idt sy nie oder olde
anuimpt, und ein gadespenning darup gegeven werdt,
schall hie densulven, nademe hie gade gegeven ist, in die
bussen stecken. Lübecker Schiffszimmerleuteartikel von
1560 (Wehrmann, Die älteren liibeckischen Zunftrollen
1864 S. 410).
Sehr oft schwankt die Bezeichnung dieser Vertragsgabe;
so heisst es z. B. 1447 von Meister Ebberd, Glasewerte zu
Stendal (Mithoff S. 85), dem der Rat zu Brannschweig die
Fenster im Altstadt- Rathause verdungen hatte, dass ihm ’/s
Verding (der vierte Teil einer Mark) an Trinkgeld, und seinen
Knechten zwei Gottespfennige zugesagt worden seien. Diese
Gottespfenninge sind das Trinkgeld, das die Gesellen gewöhn-
lich erhalten, und das Trinkgeld des Meisters kann ein Gottes-
pfenning oder ein Weiukauf sein.
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Ein Haftgeld erhält der Baumeister der Frauenkirche
in München, Jörg Ganghofer 1468 bei seiner Bestellung (Mayer,
die Domkirche zu U. L. Frau in München 1868 S. 59). Wenn
dieser Vertrag auch ein Anstellungsvertrag gewesen zu
sein scheint, so darf doch angenommen werden, dass auch bei
anderen Arbeiten im Baugewerbe, also auch bei Werkver-
dingungen ein solches Haftgeld gebräuchlich war. Denn
äusserlich unterschied sich eine Werkverdingung mit Zeitlohn
wenig von einem Anstellungsvertrag, bei beiden besteht wirt-
schaftlich für den Besteller das Bedürfnis, den Unternehmer
durch eine Gabe zum Bleiben am Baue zu verpflichten.
„pandesgeld“ wird von Mithoff (S. 453) erwähnt, das
als Handgeld bei Verdingung von Arbeiten gegeben wurde.
„ . . . dar scholde ick em 12 fl vor geuen. Ick bot
em anerst 6 und quam endlik up 8 fl, darup gaff ick em
1 dutken to pandesgelde“ 1563 (Baltische Studien XIX,
angeführt bei Mithoff S. 453).
Gottespfenning oder arrha führen die Lübeckischen
Statuten (III. Bell. 6. T. § 6) als Mittel zur Perfektion des
Vertrags an, und auch die „Teutschen Stadtrechte für Böhmen“
(Wien 1721) bestimmen unter loc. coud. cap. 6: Die Stein-
metzen, Maurer etc. und alle andern Handwerker, die eine
Arbeit verdingen und ein Angeld darauf empfangen . . .
sind verpflichtet, den Vertrag zu erfüllen.
In Niederdeutschland tritt die vormede auf, die ursprüng-
lich beim Vertragsabschluss gegeben worden zu sein scheint.
So nach der Auffassung von Schiller-Lübben V 404 uud Wehr-
mann, Die älteren Lübeckischen Zunftrollen S. 523, der die
vormede oder vorelon, vorhurc in dieser Bedeutung, als bei der
Andingung von Gesellen oder der Miete einer Bude vorkotnmend
erwähnt. Damit stimmt nicht der Gebrauch überein, wie er
bei Verdingung grösserer Arbeiten beim Rathausbau zu Bremen
herrschte (Elnnck & Schumacher S. 291, 310; 357). Dort heisst
es z. B. nach Beendigung des Vertragsverhältnisses in der
Ausgaberechnung:
„Item rncster kurde 36 sware schillinghe unde 4 gülden
vor syne vormede, de wy eme ghelovet hedden, do wy
ersten myt eme vordroghen“.
Rothenbücher, Werkvertrag 3
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Der Vertrag wurde also ohne Vormede geschlossen, diese
dem Unternehmer vielmehr versprochen, zu dem Zweck, ihn um
so sicherer am Bau zu halten, ihm für die Erfüllung des Ver-
trags eine besondere Prämie zu gewähren. Vgl. hierzu die
Verdingung eines Holzgestühls für die Predigerkirche zu Bern
etwa 1302 (Fontes rerum Bernensium IV 112), wo ausser dem
Lohn dem Unternehmer nach Fertigstellung des Werks ein
eigenes Entgelt (im Wert von einem fünften Teil des Gesamt-
lohns) zu minn (zur Erinnerung, Lexer I 2144) versprochen
wird.
b) Der Weinkauf lässt sich in seiner ursprünglichen Form
als leykauf: Perfektion des Vertrags durch gemeinsamen Trunk
mit den zum Vertrag zugezogeuen Zeugen für das Gebiet der
Werkverträge nicht nachweisen. Zwar finden sich in den
Baurechnungen oft Posten wie der folgende:
1394. Item pro duabus quartis vini propinatis magistro
Gerardo lapicidae et suis sociis consilinm dantibus posset
novum armarium construi (Beissel, Xantener Baugesch.),
allein ein Schluss auf die rechtliche Bedeutung ist hier nicht
möglich, da es sich auch um gewöhnliche „Schoppen" handeln
kann, wie sie in Weiuländern bei jeder Gelegenheit getrunken
werden.
Dagegen tritt der Weinkauf in seiner späteren Gestalt, als
„trockene“ Gabe, meistens an die Gegenpartei selbst, sehr oft
auf. Er hat in diesem Falle keine andere Bedeutung als der
Gottespfennig.
1398 erhält Meister Gerhard in Xanten bei seiner
Bestellung als Baumeister 2 sol. 8 den. pro licopio (Beissel,
Baugesch. S. 125).
1405 Wedeken van Boraechen 4 gr tho wynkope eme
undc syne kumpanen, do de raet myt eme vordroghen
umme dat brekeut uude loveden eme 30 m & (Rathaus
zu Bremen S. 272).
Item Koken 1 gr tho wynkope, do wy myt eme vor-
droghen umme den müschelnkalk tho vorende . . . (ebd.
S. 277).
To dem ersten H. Str. 1 m & vor 1 reep wandes tho
wynkope* (ebd. S. 299).
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To dem ersten 3 gr vor 3 quarten wyns do wy den
köp makeden myd den ersten mestere . . . der andere
erhielt 3 sware tho godespennynglien . . . (ebd. S. 303).
Die letzte Stelle lässt deutlich erkennen, wie die beiden
Begriffe wein kauf und godespenning ineinander übergingen.
Möglich, dass bei dem einen Meister noch der Wein wirklich
mit Zeugen vertrunken wurde, möglich aber auch, dass der
Wein hier in natura gegeben wurde, wie sonst an demselben
Bau das Geld hierfür, oder das Geld für ein Gewand gewährt
wurde (vgl. hierzu auch Mithoff S. 461, sowie Stobbe, Deutsches
Privatr. 2. Aufl. Bd. III S. 62 ff. , und Reurecht und Vertrags-
schluss, Leipzig 1876, I S. 12 ff., II S. 4 ff.).
3. Der Werkvertrag wird auch weiterhin als formbedürftiger
Vertrag durch Treugelöbnis abgeschlossen.
a) Die Quellen sprechen in einer Reihe von Verträgen von
„geloben“, „versprechen“, „promittere per fidem suam“,
Formen, die alle dasselbe, nämlich ein Treugelöbnis bedeuten.
a) scriptor promisit per fidem suam . . . Vertrag mit einem
Kunstschreiber (Wattenbach, Schriftwesen S. 478).
. . . also dat de vruchtlude schuldegheden copadzen,
dat he em ghelovet hadde ere got to zeghelude . . . 1303
Statuta Bremensia (Oelrichs S. 254).
Wir och vergehen an disem briefe das wir gelopt
han, vur uns und unser erben . . . 1328 Urkunde über
den Bau einer Brücke (Fontes rerum Bernensium V 650).
Meister Swelbil hat sich vor uns verlobit . . . eine
Uhr zu machen. Am Ende heisst es „Di globde hat syn
bruder mit em globit“. Breslauer Ratsurk. von 1373.
. . . mit hand und mund entruwen geloibet einen
nuwen koer zu buwen (wird in einem Brief des Amtmanns
von Lichtenau an den Rat zu Göttingen gesagt, wo Hein-
rich Herte zwischen 1430 und 1440 am Rathaus be-
schäftigt war. Mithoff S. 146).
. . . altar tafel, de he ne uppe Paeschen geloubet
hefft toberedende . . . 1457. Eintrag im Lübecker Nieder-
stadtbuch (Pauli, Lübeck. Zust. III S. 146).
Zusagen und geloben, eine Wasserleitung anzulegen
1477. Vertrag der Stadt Görlitz mit Mathias Häuwriz
3«
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(Anzeiger für die Kunde der deutschen Vorzeit Bd. 24
S. 103).
1483. Die Maurermeister, die den Turmbau auf dem
Gröditzberg übernehmen, geloben bey eren guten trawen
auch bey irem hantwerke und bey vorlust aller irer
gutter die sy haben (Anzeiger Bd. 24 S. 298).
1493. Hinrick Slappbrenn . . . helft bekandt dat he
. . . twe tafelen entfangen linde . gelaueth helft, de to
Messchede truweliken to bringende . . . Frachtvertrag
im Lübecker Niederstadtbuch (Pauli, Lübeckische Zustände
S. 146).
1511. . . hat Hanns gelobit selbige czu gewerin . . .
Vertrag der Stadt Löwenberg mit dem Glaser Hans
Schwantner (Anzeiger Bd. 29 S. 174).
1520. . . angedingt und versprochen. Vertrag über
Anfertigung eines Altarschreins zwischen dem Rat zu
Zeitz und Pankraz Gruber (Baudenkmäler der Provinz
Sachsen I S. 71).
1523. . . mester Hanssz uns geloveth dat besthe
darinne to thonde. Waltzroder Vertrag mit Hans Brügge-
mann (Report. Bd. 24 S. 125).
1545. . . dat in dem gedinge uthgesecht und belavet
ys. Lübecker Zimmerleuteartikel (Wehrmann S. 460).
ß) Auf Seite des Bestellers:
. . . wes ze eme van wegene der orgelen in Sunte Peters
Kerken gelovet hebben . . . 1463. Eintrag im Lübecker
Niederstadtbuch (abgedruckt bei Pauli, Lübeckische Zu-
stände III 150).
. . . Das uppe byn ek ouereyn gekomen to snyden de
bilde . . . ome darvor gelouet driddehalue mark . . .
Aufzeichnung über die Anfertigung eines Altarbilds für
die Stiftskirche auf dem Petersberg bei Goslar (Mithoff
S. 425).
Das Geloben mit Handreichung ist im Baugewerbe weit
verbreitet. Die im Dienst der Stadt Nürnberg stehenden Hand-
werker werden in dieser Weise verpflichtet.
Item es sullen geloben die zimmergesellen und ir trew
geben . . . Lutz Steinlingers Baumeisterbuch von 1445
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(Heft III S. 13 ff. der Mitteil, des Vereins für die Gesch.
der Stadt Nürnberg).
Wahrscheinlich wurden in dieser Form sowohl Dienst- wie
Werkverträge, die sich bei Zeitlohn äusserlich nur wenig
unterscheiden, abgeschlossen.
Auch in den Fällen, wo nicht von der fides, der trewe die
Rede ist, sondern, wo es einfach geloven, versprechen
heisst, wird man im Zusammenhalt mit der Ausdrucksweiso
der übrigen Belegstellen annehmen müssen, dass dies nicht ein
gewöhnliches „ Versprechen“, sondern ein förmliches Gelübde
ist (vgl. hierzu Puntschart, Schuldvertrag und Treugelöbnis
S. 306, 308, 311 ff.).
Hierfür spricht auch der Umstand, dass der Richterliche
Klagspiegel (Strassburger Ausgabe von 1536) I. Teil fol. 45 die
Überschrift „de actione ex stipulatu“ ins Deutsche übersetzt
„So eyner dem andern etwas verheysst mit der hant“ und als
Muster hierfür gerade einen Bauunternehmerwerkvertrag an-
führt.
„Her richter ich clag euch von R der hat mir verheissen
uff mein frag uff meim grund allda gelegin etc. zi^ bauwen
ein hauss von stein oder von holtz das da zwölff schüch
weit X schuch lang und souil in der höhe sey umb X
pfundt der müntz . . .
Dass in dem Verheissen mit Handschlag der alte deutsche
Formalvertrag zu erkennen ist, hat schon L. Seuffert (Zur Ge-
schichte der obligator. Verträge S. 88) gezeigt. Es sei jedoch
hier noch weiter darauf hingewiesen, dass an jener Stelle der
Abschluss des Vertrags noch durch folgende Beispiele ver-
deutlicht wird:
Zu diser pflicht würden etwan solich wort gebraucht und
geübt du verheisst ich verheiss du gelobest ich gelobe jr
gelobet mit treuwen ich gelobe mit treuwen . . .
Das einfache Geloben ist dem Geloben mit Treue gleichgestellt.
b) Neben dem feierlichen Gelübde treten noch andere
Formen beim Vertragsabschlüsse auf.
Zunächst kommt der Vertragsabschluss vor Zeugen wieder-
holt vor.
„. . . und der Beranku dem W. vor guten geswaren
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lewten versprachen hat, die bey dem gedieng gewesen
sein . . .“ Entscheidung des Oberhofs zu Iglau vor 1416
(Tomaschek Nr. 72).
„Item wor eyn borgher buwen will und desse twe
olderlude dar aver hefft, wath de borger offte inwoner
dede buwen leth, also bedingeth, datk schall eme de
meister holden . . .“ Lübecker Zunftrolle der Mauerleute
und Dachdecker 1527 (Wehrmann S. 332).
Ferner sind Zeugen in einer Reihe von Urkunden er-
wähnt: 1303 Liegnitzer Vertrag mit Meister Wieland (Anz. f.
d. Kunde der d. Vorzeit Bd. 24 S. 210), 1493 Frachtvertrag im
Lübecker Niederstadtbuch (Pauli III 146); 1490 Andingung
eines Grabmals an Adam Kraft (Repert. Bd. 25 S. 360ff.);
1531 Revers des Goldschmieds Beyer (Mitteil, des german.
Mus. I 167).
Dem Abschlüsse vor Zeugen verwandt ist die Eintragung
des Vertrags in das Stadt- oder Gerichtsbuch. Diese kommt
sehr häufig vor, den Parteien wurden Abschriften der Urkunde
hinausgegeben. Vgl. die bisher angeführten Urkunden aus dem
Lübecker Stadtbuch, ferner den Vertrag mit Jodok Tauchen
über Errichtung eines Ciboriums 1453 (Alwin Schultz, de vita
Jodoci Tauchen S. 17), Vertrag der Stadt Görlitz wegen An-
legung einer Wasserleitung 1477 (Anz. Bd. 24 S. 103), Vertrag
über den Turmbau auf dem Gröditzberg 1483 (Anz. Bd. 24
S. 298), Andingung eines Grabmals an Adam Kraft 1490
(Repert. Bd. 25 S. 360ff.), Vertrag über den Druck der
Schedelschen Weltchronik 1492 (Repert. f. Kunstw. Bd. 25
S. 347). In der oben erwähnten mehrfach gesiegelten Urkunde
über eine Verdingung von Chorgestühl für die Predigerkirche
in Bern (1302) heisst es:
Und ich der vorgeschriben R. R. vergyeh (bekenne) aller
der gedingen, die hie vor geschriben sind, und verbind
mich mit disem bryef, si stet und fest zü behalten.
Sowohl beim Vertragsabschluss vor Zeugen, als bei Ein-
trägen in das Stadtbuch scheint jedoch sehr oft das Hand-
gelübde nebenher gegangen zu sein, so dass hier eine Häufung
der Formen vorliegt. Zweifelhaft könnte dies lediglich bei den
Künstlerverträgen der letzten Jahrzehnte des 15. Jalirh. sein,
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liier wäre möglich, (lass das Handgelübde hinter der Bedeutung
der Beurkundung vor Zeugen zurückgetreten wäre.
Aus dem bisherigen ergibt sich: Der Werkvertrag wird
als Realvertrag durch Hingabe des Stoffs an den Unternehmer
zur Bearbeitung vollzogen. Wo dies nicht der Fall ist, kann
er als Realvertrag in der Weise abgeschlossen werden, dass
der Besteller eine Sachleistung an den Unternehmer macht, sei
es nun, dass diese Leistung einen wirtschaftlichen Wert hat,
eine Anzahlung auf das Entgelt ist, oder dass sie wegen ihrer
Geringfügigkeit zu einer symbolischen Leistung, dem „Gottes-
pfennig“ wird, und in dieser Form mit der Gabe des „Wein-
kaufs“ oder „Leykaufs“ zusammenfliesst. Ausserdem wird der
Werkvertrag als formbedürftiger Vertrag, vornehmlich durch
Geloben abgeschlossen. Die reine Willensübereinstimmung ge-
nügt nicht zum Zustandekommen der Obligation. Es findet
sich hierfür in den Quellen nicht der geringste Anhaltspunkt;
vielmehr spricht gerade die nach dem wirtschaftlichen Vorgang
sich bemessende Verschiedenartigkeit der Vertragsmodalitäten
hiergegen. Damit ist auch für unseren Quellenkreis der Gegen-
beweis gegen die Siegelsche Meinung, der Vertrag entstehe
durch gegenseitigen Konsens, erbracht (vgl. hierzu auch Stobbe,
Reurecht und Vertragsschluss S. 8 ff.).
Für den Reugeldcharakter des Gottespfennigs oder Wein-
kaufs findet sich in den hier einschlägigen Quellen keine
Andeutung (vgl. Siegel, Versprechen als Verpflichtungsgrund
S. 33).
4. Beim Vertragsabschluss treten verschiedene Begleit-
erscheinungen auf.
Es kommen vielfach Bestärkungsmittel des Vertrags
vor, ausdrückliche Obligation der Person, des Vermögens oder
von Teilen des Vermögens, ferner Bürgschaften.
„Promisit idem scriptor per fidem suam, quod si desisteret
in scribendo, perficiendo et continuando dictum opus, quod
ipse prisionem in domo dicti magistri in vinculis ferreis
tenebit, inde nullatenus exiturus, quousque dictum opus
fuerit integraliter perfectum, et si in hoc defecerit, quod
praepositus noster vel serviens ubicumque eum capiat et
ad domum dicti magistri adducat pro prisione tenenda.
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Obligavit idem R. per fidem suam se et heredes suos et
omuia bona sua mobilia et immobilia praesentia et futura,
renuncians p. f. s. in hoc facto omni juris auxilio (Ver-
trag mit einem Kunstschreiber, Wattenbach, Schriftwesen
S. 478).
Hier unterwirft sich also der Unternehmer der Verhaftung,
die jedoch mehr Zwangshaft zur Erzwingung der Leistung, als
eigentliche Schuldknechtschaft ist (vgl. hierüber unten S. 55).
Er verpfändet ausdrücklich sein Vermögen, und zwar gegen-
wärtiges und zukünftiges (hierüber bestanden viele Streitfragen
bei derartigen Generalhypotheken; vgl. Stobbe, Privatrecht
3. Aufl. II 2 § 145 S. 139). Er verpflichtet ausdrücklich seine
Erben und verzichtet auf alle Rechtsbehelfe und Rechtsmittel
(vgl. zu dieser Obligation des Vermögens neben der Person
Puntschart, Schuldvertrag und Treugelöbnis S. 12211.). Vgl.
ferner die Verdingung des Baus einer Brücke 1328 (Fontes
rerum Bernensium V 650), wo der Unternehmer erklärt:
. . . Und um die schuld ze werenne nach dien vorge-
nanten ziln, swenne es gevordert wird, setzzen wir uns
und unser erben dien selben herren und ir nachomen
und der gemeind von A., und zu uns Cunrat und Berchtold
Gobin, brudra unverscheidenlich ze gelten und ze
bürgen.
Ähnlich heisst es in dem Vertrag über den Bau der
massiven Elsterbrücke bei Zeitz 1532 (Baudenkmäler der
Provinz Sachsen Bd. I S. 73):
Zue dem allen soll und will ich vor diesem bau allent-
halben mit meinen giitern beweglichen und unbeweglichen
... so ich habe oder künftig erlange . . . einen gnugsamen
schriftlichen Vorstand und Versichrung machen, wie ich
dann mit den strengen und vesten Günthern und Hinrichen
von Bunau gevettern zue Droissigk gethan, dass sie sich
vor mich verschrieben haben dieser gestalt, wo sie der
rath ahn solcher brücken durch meinen unfleiss oder ver-
warlosung schaden nehmen wurden, dass sie sich alsdan
solehs schaden ahn meinen gütern nach gestalt der Sachen
erholen sollen und mögen, ohne mein und menniglichs
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widerfechten oder einige einrede, alles trüelich und un-
geferlich.
Eine Verpfändung einzelner Vermögensteile enthält der im
Lübecker Niederstadtbuch 1463 eingeschriebene Frachtvertrag
(Pauli, Lübeck. Zust. III S. 146):
Dar vor (für die Erfüllung des Vertrags) he synen wagen,
perde unde alle varende liave helft vorpandeth.
Bürgenstellung kommt vor in der oben angeführten Bres-
lauer Ratsurk. von 1373 („Di globde hat syn bruder mit ym
globit“), in der eben erwähnten Verdingung des Baus einer
Brücke 1328; in der Verdingung einer Brücke in Nürnberg
1457 für den Fall des Todes oder der Krankheit des Unter-
nehmers (Nürnberger Ratsverlässe, Quellenschr. z. Kunstgesch.
Neue Folge XI. Bd. S. 3); im Vertrag über die Anfertigung
des Schwabacher Altars durch Michael Wohlgemuth 1508 (ab-
gedr. bei Thode, Malerschule von Nürnberg S. 245), in dem
Revers des Goldschmieds Beyer 1531 (Mitteil, des german.
Mus. I 167), wo jedoch der Bürge nur für die Rückgewähr des
vom Besteller geleisteten Vorschusses bürgt (vgl. hierzu auch
Puntschart S. 144).
Erwähnt mag schliesslich werden der häufige Gebrauch
der formelhaften Schlusswendung „ohne alle gevaerde“, wie sie
sich ausser in den schon angeführten Stellen noch findet in der
Andingung des Sclneyerschen Grabmals an Adam Kraft 1490
(Repert. Bd. 25 S. 360ff.) „alles getrewlich unnd ohngeverlich“,
uud in dem Vertrag des Malers Bruyn mit dem Stift zu Xanten
1529 (Beissel, Gesell, der Ausstattung S. 12) „sonde arglist“.
Diese Formeln, die auch in den Rechtssatzungen als Gebote
wiederkehren, drückeu den Vertrags willen aus, alle unehrlichen
Einreden auszuschliessen, andererseits aber auch dem ge-
schädigten Vertragsteil die Geltendmachung der unredlichen
Vertragserfüllung sicher zu stellen. Berücksichtigt man nun
weiterhin, dass eine Reihe von Verträgen bis in die Einzel-
heiten gehende Bestimmungen enthalten, offenbar um für alle
Fälle eine billige und siungemässe Auslegung des Vertrags zu
sichern, so ist die Annahme nicht ausgeschlossen, dass dort,
wo eine derartige ausführliche Niederlegung des Vertragswillens
nicht erfolgt, die oben erwähnten Formeln ausdrücklich eine
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Auslegung des Vertrags „nach Treu und Glauben“, und nach
dem mutmasslichen Willen der Parteien anordnen, eine wört-
liche oder buchstäbliche Auslegung verbieten wollen.
III. Die Vertragsfreiheit ist im Mittelalter vielfach be-
schränkt, sowohl hinsichtlich des Kreises der Personen, mit
denen Verträge abgeschlossen werden dürfet), als hinsichtlich
des Gegenstands des Vertrags.
1. Der Besteller war meistens gebunden, nur mit Stadt-
angehörigen Verträge abzuschliessen (Münchner Stadtr. A. 478;
Regensburger Statut über die Anfertigung der Tücher 1259 bis
1314 bei v. Freyberg V S. 61, Pauli, Lübeck. Zust. III S. 6).
Innerhalb dieser Beschränkung war ihm, zumeist aus gewerbe-
polizeilichen Gründen , geboten, nur mit Zunftangehörigeu, und
zwar nur mit Meistern, nicht mit Gesellen Arbeitsverträge ab-
zuschliessen. Diese dürfen nicht auf eigene were, d. h. auf
eigene Hand arbeiten. Strassburger Armbrusterordnung 1449,
(Brücker S. 18); Ordnung für die Freiberger Böttcher 1450
(Ermisch, Freiberger Stadtr. S. 287); Lübecker Zimmergesellen
1545 (Wehrmanu S. 462), allgemein das reform. bayr. Landr.
von 1518, 42. Tit. 2. Art. Innerhalb der Zünfte bestand eine
gewerbepolizeilich streng geregelte Arbeitsteilung, die aus
zünftlerischen Beweggründen, wie es scheint, oft geradezu zu
einer Last für die Besteller gestaltet wurde. Darum wurde es
in Strassburg 1522 auf eine Bittschrift der Tuchscherer hin
nötig, eigens die Kontrahierungsfreiheit für die Besteller zu
statuieren (Schmoller, Strassburger Tücher- und Weberzunft
S. 133). Hierher gehört schliesslich noch, dass in Lübeck die
Arbeit für die Schiffszimmerleute durch die Älterleute des Amts
vermittelt wurde 1560 (Wehrmann S. 410). Nach böhmischem
Bergrecht (Zycha, Das böhmische Bergrecht des MA. 1900
Bd. I S. 306) werden die Gedingverträge unter Hinzuziehung
der Geschworenen abgeschlossen, die darauf zu achten haben,
dass niemand übersetzt werde.
In den ländlichen Verhältnissen ist die Vertragsfreiheit
vielfach durch die Bannrechte, vor allem der Mühlen, einge-
schränkt. Vgl. Weistum zu Berrisborn (Grimm II 526), Ding-
hofrecht zu Balschwiler von 1413 (Grimm IV 50), Fischbacher
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Weistum von 1536 (ebd. I 776), Vestenrecht zu Hagen 1513
(ebd. III 35); Dinghofrecht zu Lörrach (Grimm I 327):
§ 13. . . . und in dieselben mtihle sollent alle die malen,
die daruf des gottshuses von sant Alban guter sizent,
und darzu haben die vorgemelten herren recht sy ze
zwingende ze malende uf der vorgenant müle, und wäre
sach, dass sy anderswo mulent, so sollen sie doch nit
destominder dem mtiller Ionen als hätten sy da gemalent
oder sie mochten denn fürziehen, dass inen derselb ranller
anders thäte dann recht wär.
Aber auch die Vertragsfreiheit des Unternehmers ist viel-
fach eingeschränkt; zunächst durch den Kontrahierungszwang.
Die auf Grund öffentlichen Rechts sich ergebende Pflicht der
Handwerker stets zum Dienst der Stadt bereit zu sein (z. B.
in Lüneburg; Kraut Stadtr. S. 29), sowie die aus einem früheren
Fronhofs- oder Hörigenverhältuis sich ergebende Pflicht zur
Arbeit (z. B. in Strassburg) kommt hier nicht in Betracht.
Der Kontrahierungszwang ist ausdrücklich ausgesprochen in der
Handfeste Herzog Albrechts von Österreich für die Schneider-
zunft in Wien (angeführt bei v. Berlepsch, Chronik der Ge-
werbe II S. 226), in dom Regensburger Statut über Anfertigung
der Tücher 1259 — 1314 bei einer Busse von 3 Pfd. oder Be-
strafung an der Hand (v. Freyberg V S. 95), in der Strass-
burger Bäckerordnung von 1460 (Brücker S. 98), Rügisches
Landrecht (Frommhold) 97 § 11. Struve (III. Buch cap. 9 § 9)
führt noch den Kontrahierungszwang der Arbeiter als gewohn-
heitsrechtlich bestehend an. Für die Fürsprechen bestand
Kontrahierungszwaug nach dem Stadtr. von Hannover (heraus-
gegeben von Brönnenberg 1844 S. 379) und nach Kölner Stadtr.
von 1463 art. 37. In dem mittelalterlichen Rodbetrieb der
Schweiz (Börlin S. 50) durfte der Kunde, der Waren trans-
portieren lassen wollte, nicht abgewiesen werden. Desgleichen
bestand für den Müller, der ein Bannrecht hatte, der Kontra-
hierungszwang. Vgl. die oben angeführten Weistümer, ferner
für den Bäcker Albisheimer Weistum Z. 10 (Grimm IV 638);
Niederolmer Weistum Z. 9 (Grimm IV 597).
Andererseits waren die Unternehmer noch innerhalb der
für sie bestehenden Veitragsfreiheit durch zünftlerische Rück-
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sichten beschränkt. So war es verboten, „das von einem
Zunftgenossen begonnene Werk ohne dessen spezielle Erlaubnis
weiterzufiihren. Bei einzelnen Zünften war es sogar untersagt,
von dem Schuldner eines Amtsbruders eine Arbeit anzunehmen,
bevor diese bezahlt war, und noch weiter ging eine Kölner
Weberzunft, die jede Kreditgewälirung an den Schuldner eines
Genossen verbot“ (Gierke, Genossenschaftsr. Bd. I S. 395/396).
In der Steinmetzordnung von 1563 Z. 9 (Jänner S. 275) heisst es:
Ez sollen auch nit zwen Meister ein werck oder ein gebew
gemein haben ; Es were dann dz es ein kleiner baw were,
der in jars frist ein end nemme: den mag man wol gemein
haben mit dem, der ein mitburger ist. Vgl. auch
Lübecker Dachdeckerordnung aus dem 16. Jahrh. (Wehr-
mann S. 196).
Dieser Satz ist zweifellos der Niederschlag einer allgemein
herrschenden Rechtsanschauung; denn tatsächlich findet sich
nur in ganz wenigen Fällen, z. B. beim Rathausbau in Bremen
(dort S. 282), Übernahme eines Werks durch mehrere.
2. Objektiv wird die Vertragsfreiheit vielfach beschränkt.
Wenn man absieht von allgemein polizeilichen Verboten, z. B.
dem in den Freiberger Innungsartikeln der Messerschmiede von
1440 § 3 (Ermisch S. 282) ausgesprochenen Verbot, andern als
Stadtbürgern Messer, und diesen mehr als drei im Jahre zu
machen, so kommen vor allem gewerbepolizeiliche Bestimmungen
in Betracht. Vielfach musste auch Kundenarbeit auf die Be-
schau gemacht und nach den Regeln des Amts hergestellt
werden, z. B. nach den Freiberger Wollweberart. von 1350 bis
1379 § 5 (Ermisch S. 277), der Strassburger Tuchmacherordnung
von 1433 (Schmoller S. 42ff.). Noch 1658 wird die Unterwerfung
unter die Beschau ausdrücklich unter Berufung auf das alte
Recht in den Strassburger Wollweberartikeln ausgesprochen
(Schmoller S. 318). In der Strassburger Barchentschauordnung
von 1537 — 1541 (Schmoller S. 161) ist ausser dem Gebote,
Kundenarbeit nicht anders zu machen, als auf die schowe aus-
drücklich verlangt, der Barchartweber solle dem Kunden sagen
„das er den barchart nit anders gebruchen solle dan in seim
haus und nit auf den kauf“. Denn dies darf nur, wer das
Handwerk gekauft hat.
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Dagegen ist Freiheit von den Regeln des Amts ausdrück-
lich ausgesprochen in der Lübecker Kürschnerrolle vor 1407
(Wehrmann S. 359), in der Nürnberger Polizeiordnung Nr. 13
für die Kannengiesser.
Verschiedentlich verfällt sogar der Besteller in eine Strafe,
wenn auf sein Geheiss das Werk nicht nach den Regeln des
Amts oder der Stadt angefertigt, „verfälscht“ wurde, so nach
den Innungsartikeln der Freiberger Wollweber (Ermisch
S. 277) § 5 (1350 — 1379): Die verfälschten Tücher werden
verbrannt und der Eigentümer wird nach Ermessen der Bürger
und der Meister gestraft; ferner nach der Strassburger Tuch-
macherordnung von 1433 (Schmoller S. 43) und der Hamburger
Ordnung für die Oltflicker von 1434 (Rüdiger S. 280), wo eben-
falls Vernichtung des verfälschten Werks und Busse an das
Amt ausgesprochen wird. Dagegen haftet nach der Münchner
Bauordnung von 1631 Art. 67 (Auer S. 222) für die Verstüsse
gegen die Bauordnung nach dem Polizeirecht nicht der Bau-
herr, sondern der Baumeister.
4. Abschnitt
Das materielle Vertragsrecht.
A. Vorbemerkung.
Vor der Darstellung der einzelnen Rechtssätze muss auf
einen für das ganze Bild bedeutenden Zug hingewiesen werden,
nämlich auf die ausdrückliche und wiederholte Betonung der
Grundsätze von Treu und Glauben, die in den Quellen überall
hervortritt.
Es ist schon oben erwähnt worden, dass in den uns über-
lieferten Verträgen fast regelmässig die Formel „ohne ge-
vaerde“, „sonde arglist“ wiederkehrt; dazu kommen dann
weitere Wendungen, wie „alles truwelich und vast“.
Der snider sal getruwe und gewer sin uff deme hant-
wcrcke deme armen also deme riehen. Rechtsbuch nach
Dist. Buch V cap. XHI dist. 1.
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„. . . Die vorgenanten Sehr, und L. (Besteller) haben
auch alspald bekand das sy allem dem, so ine, wie vor-
Iawt. zugepuere, auch volg und voltziehung thuen wellen,
alles getrewlich unnd ungeverlich“ 1490 Vertrag mit Adam
Kraft (Repert. Bd. 25 S. 360).
. . Also dat he dasselbe Ciborium uffs allerbeste
uud beständigste machen und bereiten sol noch seinem
besten fleisse . . .“ 1453 Vertrag der Kirchenväter zu
St. Elisabeth mit Jodok Tauchen (Alwin Schultz, De vita
J. T. 1864 S. 17).
„ . . . ind dareto allen moegelick arbeidt ind vlysth
kieren ind doen, dat siilks künstlich und waill gemaickt
mag werden . . . “ Vertrag des Malers Bruyn mit dem
Stift zu Xanten (Beissel, Gesell, der Ausstattung S. 12).
Nach der bei v. Berlepsch, Chronik der Gewerbe II S. 14
angeführten Stelle des Nürnberger Polizeibuchs (1302 — 1315)
soll der Mentler arbeiten „wie ein Freund dem andern“. Nach
Münchner Stadtrecht muss der Unternehmer arbeiten „als er
pest mocht“ („das best sy können und mögen“ in einer Grau-
bündner Ordnung f. d. Schiffmeister, Börliu a. a. 0. S. 61), nach
andern Quellen „truwelich und ungeverlich“, so z. B. nach dem
Ofner Stadtr. Art. 144; Innungsartikel der Freiberger Messer-
schmiede um 1440 § 2 (Ermisch S. 282); Freiberger Böttcher-
artikel von 1450 (ebd. S. 285); Hamburger Allgemeine Be-
stimmungen für Handwerker 1563 (Rüdiger S. 128); Bayr. Land-
und Polizeiordnung vou 1616 IV. Bch. II. Titel 3. Art. Vgl.
die entsprechenden Vorschriften über den Kauf in der Frank-
furter Reform, von 1578 II. Teil 2. Titel.
Die Beobachtung dieser Grundsätze suchte man sich zu
sichern, indem die Stadtbehörden oder die Ämter selbst die
Handwerker auf die Innungsartikel oder eben ganz besonders
auf obige Formeln schwören liessen.
„. . . unde dat gi allerhande körn dat in de suluen molen
gebrocht werdt to mclende den luden truweliken vorwaren
und juwe medecumpane vorwaren laten un juwen vift
synnen alse gi best kunnen und mögen . . .“
Eid der Müller nach dem Braunschw. Ordinarius von 1461 (Hänsel-
mann UB.S. 172); ferner Verordnung von 1416 für die Strassburger
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Goldschmiede (bei Meyer, Strassbnrger Goldschmiedzunft S. 4ff.);
Ordnung für die Strassburger Ölmüller aus dem 15. Jahrh.
„als ob es ir eigen gut were“ (Brücker (S. 405), für die Strass-
burger Müller 1452 und 1478 (Brücker S. 376), für die Bäcker
in Strassburg 1478 (Brücker S. 116).
Es ist bezeichnend, dass fast alle Quellen jenen Grund-
satz in der Richtung gegen den Unternehmer betonen. Er
scheint hier auf das wirtschaftliche Bedürfnis hingewiesen zu
haben. Die Klagen, dass die Handwerker nachlässig, ohne
Schonung des Stoffs, „schlampig“ arbeiten, sind sicherlich über-
all da aufgetaucht, wo man auf die fertige Arbeit, die man
nicht beaufsichtigen konnte, angewiesen war. Das Mittelalter
sucht sich hiergegen durch die ausdrücklicke Ermahnung zur
Befolgung von Treu und Glauben zu schützen. Es entspricht
dies der ganzen mittelalterlichen Auffassung, die dazu neigte,
ethische und rechtliche Gesichtspunkte zu verbinden.
Wenn bei der nun folgenden Darstellung der eigentlichen
Rechtssätze nicht von der üblichen Einteilung in Rechte und
Pflichten des Unternehmers ausgegangen wird, so geschieht dies
deswegen, weil jener Weg nur zu lästigen Wiederholungen
führt, ohne viel mehr Klarheit in die Darstellung zu bringen.
B. Die Herstellung des Werks.
1. Der Zweck des Vertrags ist die Herstellung des Werks,
die Bewirkung des Erfolgs. Die Quellen sprechen daher auch
die aus dem Vertragsabschlüsse sich ergebende Pflicht des Unter-
nehmers zur Ausführung des Werks ausdrücklich aus.
Wenn sich ain werchman er sei maurer oder zimerman
• oder decker, ains werchs unterwint ze taglon oder ze
fürding, daz selb werch sol er mit seinen gesellen volfürn
und volpringen . . .
A. 472 des Münchner Stadtr. (Auer S. 180); A. 129 Augs-
burger Stadtr., ebenso fast wörtlich im reform. bayr. Landr.
von 1518, 42. Titel 4. Art. und noch im Landrecht von 1616,
32. Titel 2. Art., vgl. ferner die oben angeführten Ordnungen
für die Handwerker, in denen über die Art der Ausführung
gesprochen wird.
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2. Die Herstellung muss fast durchwegs durch den Unter-
nehmer persönlich erfolgen.
Schon in den allgemeinen Zeitverhältnissen ist dies be-
gründet. „Das Amt oblag als persönliche Pflicht, jeder Ge-
nosse war daher zu seinem Teil verpflichtet zur Arbeit, und
zwar zur Arbeit in Person“ (Gierkc, Genossenschaftsrecht
Bd. I S. 390). War der Kreis der Unternehmer beschränkt,
so war es innerhalb dieses Kreises Vertrauenssache, mit
welchem Meister man den Vertrag abschliessen wollte. Nach
der Lübecker Zunftrolle der Maurer und Decker von 1527
(Wehrmann S. 332) darf ein Meister seinen Knecht zu einer
einigermassen grösseren Arbeit nicht allein senden, es sei denn,
dass der Besteller ausdrücklich damit einverstanden ist. Die
(allgemein geltende) Haftung für die Arbeit des Gehilfen wird
dadurch nicht berührt. (Ähnlich die Lüneburger Maurer-
ordnung von 1570 bei Bodemann , Ältere Lüneburger Zunft-
urkunden S. 169.)
Entsprechend ist die Unterverdingung meistens verboten.
Es ergibt sich dies schon aus zünftlerischen Erwägungen.
Nur seine lebendige Arbeitskraft soll jeder zum Erwerbe ge-
brauchen. Fremde Arbeit darf vom Unternehmer nur durch
Dienstvertrag mit den Gehilfen gebraucht werden. Eine Ab-
grenzung, inwieweit Unterverdingung zulässig ist, enthält für
die Steinmetzen die Ordnung von 1459 Art. 7, 8 (Jänner
S. 254).
Bei den Erziehungsverträgen ergibt sich schon von vorn-
herein aus den Verhältnissen die Pflicht zur persönlichen
Leistung für den Unternehmer. Die Quellen regeln daher auch
nur den Fall des Todes des Lehrherrn, hier nämlich soll der
Lehrling bei dem Erben des Lehrmeisters oder bei einem
andern Zunftmeister „bestätigt“, d. h. untergebracht werden (vgl.
Lüneburger Goldschmiedordnung von 1400 bei Bodemann S. 97).
Die grösste Bedeutung hat die persönliche Herstellung des
Werks bei Künstlerverträgen. So heisst es in dem Vertrag
Hans Imhofs mit Adam Kraft über Errichtung des Sakra-
mentshäuschens 1493 (Wanderer, Adam Kraft S. 16):
Auch soll der mer gut Meister Adam an solchem werck
stettigs verpunden sein mit sein selbs Leib zu arbeitteu
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und zusampt im bestellen vier oder auff das meynst drey
gesellen redlich und künstlich zu solcher axbeit küment
die auch stettigs daran arbeitten unnd sich sunst keinss
andern wercks oder arbeit unterwinten noch daran machen.
Es war demnach die nach der Natur der hier in Betracht
kommenden Arbeit unbedingt notwendige Beihilfe durch Ge-
sellen, wie oben, nur unter der persönlichen Leitung und Haupt-
arbeit durch den Meister gestattet. In der Malerei kamen
Werkstätten, wo Schüler und Gehilfen an den Werken des
Meisters mitarbeiteten, erst ziemlich spät auf. Es ergab sich
daher schon aus den äussern Verhältnissen die persönliche
Ausführung durch den Meister. Erst um die Wende des 15.
zum 16. Jahrhundert, wo die Kunst selbst zur Sache der Persön-
lichkeit wurde, wird diese Frage mehr betont. So verpflichtet
sich Albrecht Dürer in dem Vertrag über Herstellung des
Hellerschen Altarbilds ausdrücklich, dass er das Mittelstück
selbst machen werde und „soll auch kein anderer Mensch keinen
Strich darzu malen, denn ich“ (Lützows Zeitschr. für die bilden-
den Künste Jahrg. 1871 S. 94).
Hieraus ergibt sich, dass durch den Tod des Meisters die
Leistung unmöglich wird, und der Vertrag aufgelöst wird. So
erklärt Tilman Riemenschneider in einer Quittung über einen
Vorschuss 1490, dass für den Fall seines Todes vor Vollendung
des Werks seine Erben die Anzahlung zurückzuzahlen haben
(Tönnies, Tilman Riemenschneider S. 278). Entsprechend der
Vertrag des Rats zu Zeitz mit Pankraz Gruber über Anferti-
gung eines Altarschreins 1520 (Bau- und Kunstdenkmäler der
Provinz Sachsen I 71). Man wird sonach annehmen dürfen,
dass die Rechtslage hier im MA. dieselbe wie in unsern Tagen
ist, dass die Natur der in Betracht kommenden Leistung für
die Frage der persönlichen Ausführung entscheidend ist, ja dass
das MA. sogar mehr geneigt war, gerade persönliche Aus-
führung zu fordern.
Über persönliche Ausführung beim Frachtvertrag und die
Befreiung hiervon durch „schlechten Wechsel“ vgl. Börlin,
Transportverbände etc. S. 56.
3. Schon in dem oben angeführten Vertrag mit Adam
Kraft ist ausdrücklich verboten, dass die Gesellen noch eine
KotlieubUcher, Werkvertrag 4
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andere Arbeit übernehmen. Dieses Verbot besteht in weiter
Ausdehnung für den YVerkvertragsunternehmer überhaupt. Bei
all den Werken nämlich, die ihrer Natur nach nicht vom Unter-
nehmer in seiner Werkstätte hergestellt werden, sondern an
einem bestimmten Ort in ununterbrochener Arbeit zu fertigen
sind, also vor allem im Bau- und Anbringungsgewerbe, besteht
die Gefahr, dass der Arbeiter von dem Werk geht, die Stadt
und die Gegend verlässt, und dass es bei den engeu gewerb-
lichen Verhältnissen dann schwer wird, Ersatz an Arbeits-
kräften zu finden. Daher wird regelmässig den im Dienst-
oder Werkvertrag beschäftigten Arbeitern und Unternehmern
verboten, während des Baus an einem andern Werk zu ar-
beiten oder das angedungene zu verlassen.
Art. 472 des Münchner Stadtr. reiht an das oben
angeführte Gebot, das Werk zu vollbringen, den Satz
. . . und sol auch an chain ander werch die zeit nicht
sten, und sol darausz nicht gen oder dem lichter LX du;
der stat I lib.
Ez soll auch kain maister nach disem geböte niht
mer werke besten denne ain werk, weder ze furgriffe
noch sust, uutz er jenem sein werk zubringet, und sol
auch von dem werke niht gen aue dez willen und wort
dem er wirket. Nürnberger Bauordnung aus dem 13. und
14. Jalirh. (Baader S. 286).
Welck schepestimmermaun enen schipper edder jenigem
anderswo arbeiden will, der scholl den sülven (Unter-
nehmer) erst fragen, elfte he idt arbeit ock eenem andern
thogesegt helft. Und dar desülve man dat arbeit einem
andern thogesecht helft und gelick wohl darup geit, so
schall he davor breken, wrat eme ein ambt finden kann
na gelegenheit der sacke. Hamburger Schiifbauerordnung
von 1554 (Rüdiger, Die ältesten Hamburger Zunftrollen
S. 245).
Übereinstimmend, zum Teil mit Festsetzung von Bussen für
das Fortlaufen entsprechend den Gesindeordnungen, Nürnberger
Baumeisterbuch des Endres Tücher (S. 274), Lübecker Zunft-
rolle der Maurer und Decker 1527 (Wehrmann S. 332), Lü-
becker Rolle der Schilfszimmerleute von 1560 (Wehrmann
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S. 405), Zimmernmnnsordnung von 1570 (Bodemann S. 259),
Lüneburger Malerordnung von 1595, Glaserordnung von 1596
(Bodeiuann S. 165, 92). Ferner gehört hierher der mehrfach
angeführte Vertrag mit einem Kunstschreiber (Wattenbach
S. 478)
promisit per fidem suam quod aliud opus non accipiet.
4. Die Herstellung des Werks umfasst nach einigen Quellen
auch die Pflicht, das Werk dem Besteller zu bringen. Frei-
berger Böttclierartikel von 1450 § 4 (Ermisch S. 286), Strass-
burger Müllerordnuug von 1452 (Brücker S. 376), Strassburger
Bäckerordnung von 1460 (Brücker S. 98), wo allerdings nicht
ganz klar, ob Dienst- oder Werkvertrag, Ordnung der Ulmer
Mangmeister von 1508 (Nübling S. 108).
Allgemeine Geltung der Bringschuld wird kaum behauptet
werden können, vielmehr wird es in den meisten Fällen auf
die Vertragssitte, oder auf den eigens ausgesprochenen Ver-
tragswillen ankommen. So wird in verschiedenen Verträgen
bestimmt, dass der Unternehmer das Werk up egene kost
an den Platz der Aufstellung zu bringen habe; z. B. bei der
Verdingung der Sandsteinfiguren am Bremer Rathaus 1406/1407,
Verdingung des Grabmals an Adam Kraft 1490, Vertrag des
Malers Bruyn mit dem Stift zu Xanten 15 9 („auf seine Kost,
Angst und Arbeit“).
Im Zusammenhang hiermit mag erwähnt werden, dass auf
dem Lande der Müller und Bäcker vielfach auch verpflichtet
sind, den zu verarbeitenden Stoff zur Verarbeitung beim Be-
steller abznholen, sei es, dass dies mit dem Bannrecht des
Müllers zusammenhängt, oder damit, dass es sich um eine ge-
meindliche Einrichtung handelt.
Dar umm soll der moeller dem gemeinsmann hollen zu
mallen in sinem hus oder in einer mill wegs, wo er es
hat; und wer es sach, dass dem moeller das körn zum
ersten mall nit wurde, for er dan meher, darnach soll er
im ein zimlichen Ion geben. Neubamberger Weistum aus
dem 15. Jahrh. (Grimm IV 622), Bibelnheimer Weistum
von 1529 (ebd. I 725), Rechte zu Langenerringen (ebd.
III 645), Gross -Bockenheimer Weistum (ebd. V 625),
Albisheimer Weistum (ebd. IV 638).
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5. Das Werk muss rechtzeitig geliefert werden. Der
Termin für die Lieferung wird nur ganz ausnahmsweise durch
eine Rechtssatzung bestimmt, in der Regel wird er vertrags-
mässig festgesetzt (mit einer Konventionalstrafe in der Verdin-
gung des Baus einer Brücke 1328, Fontes rer. Bern. V 650).
Nach dem Hannoverschen Stadtrecht (Brönnenberg S. 472) muss
der Leinweber den Leuten ihr Gut 4 Wochen nach Übergabe ab-
liefern. Während diese Bestimmung polizeilicher Natur ist,
hat das Rügische Landrecht CXIV §§ 6, 7 (Frommhold 1896
S. 122) einen dahin gehenden privatrechtlichen Satz aufgestellt.
Wenn der Weber nämlich nicht innerhalb 12 Wochen das
Werk abliefert, so hat er die Gefahr des Untergangs der
Sache durch höhere Gewalt zum Teil zu tragen.
Im allgemeinen ist der Rechtssatz, dass die Lieferung des
Werkes fristgerecht erfolgen müsse, in den Quellen selten
ausdrücklich ansgesprochen. Er findet sich in den Freiberger
Böttcherartikeln von 1450 § 5 (Ermisch S. 285).
Item so sullen die pender . . . ouch nemen gut und be-
stendigk holcz und das ouch darczu zu rechter zeit
ausrichten und schicken . . .
Vgl. ferner den von Börlin, Transportverbände S. 58 mit-
geteilten Portenbeschluss von 1557: Der Fuhrmann soll das
Gut uff zil und tag, wie er verheissen hat, unverzogen-
1 ich antwortten.
Im allgemeinen jedoch ist diese Seite der Verpflichtung
des Unternehmers, die in unserm heutigen Gewerbsleben eine
so bedeutende Rolle spielt, im MA. noch nicht entsprechend
entwickelt. Man muss sich hierbei vergegenwärtigen, dass der
Kreis der Unternehmer und der Besteller örtlich und persönlich
ein engbegrenzter war, dass das ganze Geschäftsleben noch
nicht in der hastenden Geschwindigkeit der späteren Jahr-
hunderte sich abspielte. Der Besteller war noch mehr an der
Herstellung des Werks überhaupt, als daran interessiert, dass
es gerade an einem bestimmten Zeitpunkt geliefert werde.
Auch hier wird von Bedeutung, dass bei jener Gruppe von
Werkverträgen, die die Errichtung eines Baus bezwecken, der
Unternehmer meist im Zeitlohn arbeitet. Da er meistens wirt-
schaftlich nicht stark genug ist, als „Baugeschäftsinhaber“ in
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unserm heutigen Sinne aufzutreten, werden die Arbeiter und
Handlanger oft vom Bauherrn selbst eingestellt und entlohnt,
so dass dieser auf die Fertigstellung des Baus grösseren Ein-
fluss gewinnt, als der Baumeister. In solchen Fällen kann
dann natürlich von einem Endtermin nicht mehr gesprochen
werden. Kommt es ja sogar vor, dass sich der Unternehmer
die Vertragsbestimmung gefallen lassen muss, dass, wenn dem
Besteller der Stoff oder das Geld ausgeht, die Ausführung des
Werks auf einige Jahre eingestellt werde, z. B. bei dem Ver-
trag über die Erbauung der Elsterbrücke bei Zeitz 1532.
Andererseits ist zu berücksichtigen, dass die Werkverträge
des MA. grösstenteils von dem konsumierenden Publikum un-
mittelbar abgeschlossen werden. In diesem Verkehr wird aber
bekanntlich auch heute noch die Einhaltung der Lieferungs-
fristen nicht strenge durchgeführt.
Soweit nun in den Verträgen über die Errichtung von
Bauwerken tatsächlich Lieferungsfristen bestimmt sind, sind
doch keine rechtlichen Nachteile an deren Nichteinhaltung ge-
knüpft; vielmehr scheint man sich mit den oben angeführten
vertragsmässigen oder gesetzlichen Verboten, ein anderes Werk
anzunehmen, begnügt zu haben.
Dagegen finden sich für die Verträge über Bearbeitung
eines übergebenen Stoffs in den Quellen Ansätze zur Frist-
setzung.
In der Wismarer Goldschmiedrolle von 1380 Art. 9 (Crull,
Das Amt der Goldschmiede zu Wismar 1888 I) heisst es:
welk goltsmit verclaghet wert vor den werkmestern
umme golt edder umme suluer, dat em ghedaen is to
arbeydende in syne wonynghe, deme schalme bescheden
veerteyn daghe vul to donde deme jenem, de se claghet,
it en were, dat me dat werk binnen verteyn daghen
nicht konde reede maken. So schal me em noch ene tyt
legghen de langhe noch is dat werk to makende. Weret
dat hee denne binnen der tyt nicht nogafteghen voldede
an golde in suluere edder mit reedem ghelde edder mit
panden, de schal en half jaer sines ampts untberen.
Diese Bestimmung bezieht sich nicht nur auf die Verzögerung
des Werks, sondern auch auf den Fall, dass der Goldschmied
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den Stoff „verwartest“ hat, ihn nicht zur Hand hat, also seine
Vertragspflicht nicht erfüllen kann. Denn die Bestimmung,
dass er ein halbes Jahr des Amts entbehren soll, wenn er mit
Geld oder Pfand den Besteller nicht befriedigen kann, hat den
Fall der Veruntreuung im Auge. Aber auch die Fristsetzung
für den Fall der Versäumnis ergibt sich aus der Stelle zweifel-
los. Im Jahre 1543 hat sich der Rechtssatz dahin geändert,
dass für den Fall der Verzögerung — nur dieser ist getroffen
— die Älterleute des Amts dem Goldschmied eine „ziemliche“
Frist setzen sollen, nach deren Ablauf man ihn vor den Herren
(dem Rat) verklagen kann. Ebenso die Lübecker Maler- und
Glaserordnung von 1474 (Wehrmann S. 329).
Jnt were das welck man werck vordinget, id were mal-
werck edder glasewerck unde nicht bereide makede, also
dat dar dachte over queme, dar so schoten de olderlude
over und by gan unde to sehen, wat dar inne raaket is,
unde zetten em ene tyd dar inne he dat reke machen
kan, unde kumpt denne dar noch eyn dachte over, so
schal he dat wedden na uthwisinge unser rollen bovens-
creven so hoch edder so zyd alse dat de hem richtenn
willen.
Ferner Lübecker Leinweberordnung von 1425 (Wehrmann
S. 322); vgl. auch Struve, Systema jurisprudentiae opificiariae
1738 III 3 cap. 9 § 23 unter Berufung auf die Jenenser
Schneiderrolle § 16.
Man wird annehmen dürfen, dass diese Fristsetzung durch
die Älterleute des Amts weiter verbreitet war, als aus den an
sich dürftigen Quellenbelegen hervorgeht. Denn, wie noch zu
zeigen sein wird, bestand für die Ansprüche des Bestellers
gegen den Unternehmer in verschiedenen Richtungen die Zu-
ständigkeit des Amts. Es entsprach dies auch der ganzen
mittelalterlichen Auffassuug, nach der die Organisation dafür
zu sorgen hatte, dass jedes ihrer Mitglieder seinen Pflichten,
nicht nur in rechtlicher, sondern auch ethischer Beziehung ge-
treulich nachkam. Was lag näher als auch dort, wo dies nicht
ausdrücklich ausgesprochen war, die Vermittlung und Hilfe der
Älterleute anzurufen, die an sich schon zur Beaufsichtigung
der Arbeit, und meistens zur Beschau des fertigen Werks be-
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rufen waren ? Der Besteller war vornehmlich daran interessiert,
dass das Werk fertig gestellt werde, ein alleufallsiger Schadens-
ersatzanspruch wegen verspäteter Leistung war nach den ge-
schilderten Verhältnissen für ihn von geringem Wert. Wäre
ihm ein Recht zura Rücktritt vom Vertrag eingeräumt gewesen,
so hätte dies seinem wirtschaftlichen Bedürfnis nicht genügt.
Ihm lag wesentlich an der Herstellung des Werks.
6. Aus demselben Gesichtspunkte heraus griff das mittel-
alterliche Recht zu dem Mittel der Zwangshaft gegen den
Unternehmer, die bei Verzögerung des Werks oder Nichter-
füllung des Vertrags entweder vertragsmässig vereinbart war
oder durch die Obrigkeit verhängt wurde.
In dem bei Wattenbach S. 478 abgedruckten Vertrag mit
einem Kunstschreiber findet sich die Verpflichtung des Unter-
nehmers, für den Fall, dass er das Werk liegen lässt
„quod ipse prisionem in domo dicti magistri (Bestellers)
in vinculis ferreis tenebit, inde nullatenus exiturus, quous-
que dictum opus fuerit integraliter perfectum, et si in
hoc defecerit, quod praepositus noster vel serviens ubi-
cunque eum capiat et ad domum dicti magistri adducat
pro prisione tenenda . . .
Es handelt sich hier um das im MA. sehr häufige Versprechen
des „Einlagers“. Es wird hier nur durch den Zweck, dem es
dienen soll, insoferne von der gewöhnlichen Form abweichend
bestimmt, als er nicht den Zweck hat, eine Geldleistung zu
erreichen, sondern unmittelbar dazu zu zwingen, das Werk zu
vollenden (vgl. Stobbe, Zur Geschichte des deutschen Vertrags-
rechts S. 192 ff., Planck, Gerichtsverfahren II. Bd. S. 335).
Verwandt hiermit ist die reine Zwangshaft, wie sie in
Nürnberg vorkommt. Dort wurde der Ofenbauer Leupold, der
mit dem Pfalzgrafen von Neuburg einen Vertrag über Lieferung
kunstgewerblich bedeutender Öfen abgeschlossen hatte, auf Be-
schwerde des Pfalzgrafen vom Rat in den versperrten Turm
getan , nach einigen Tagen angewiesen , innerhalb eines
Monats die Arbeit fertig zu stellen, und als er dies wieder
nicht befolgte, neuerdings mit Verhaftung bedroht (Mummen-
hof, Rathaus zu Nürnberg S. 154). Zu gleicher Zeit (1619)
wurde einem andern Ofenbauer Veit vom Rat mit Verhaftung
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gedroht, wenn er nicht innerhalb eines Jahrs die für das Rat-
haus zu liefernden Öfen fertig stelle (Mitteilungen des German.
Mus. 1902 Heft I S. 8), wie auch 1539 schon Peter Vischer
vom Rat mit dem Turm bedroht worden war, falls er nicht
ein angedungenes Prachtgitter fertig stelle (Mummenhof S. 97).
Es ist mir nicht gelungen, weitere Belege in dieser Rich-
tung oder eine hierauf bezügliche Rechtssatzung zu finden.
Da die Voraussetzung der Schuldhaft, ein gerichtliches Urteil
fehlt (vgl. Planck, Gerichtsverf. II 258 ff.), kann diese zur Er-
klärung nicht herangezogen werden. Eine verwandte Ein-
richtung findet sich jedoch im Züricher und Luzerner Recht
(vgl. Wyss, Die Schuldbetreibung nach Schweiz. Recht, in der
Zeitschr. für Schweiz. Recht Jahrg. VII 1858 S. 17, 40). Da-
nach wurde nämlich bei besonders privilegierten Schulden der
Schuldner im Auftrag der Obrigkeit durch den Gerichtsboten
gemahnt. Blieben diese Mahnungen unberücksichtigt, so konnte
der Gläubiger den Schuldner gefänglich einziehen lassen. Wyss
bemerkt hierzu, es könnten diese Gebote, zu zahlen, angesehen
werden als eine blosse spezielle Anwendung der allgemeinen
Befugnis der Obrigkeit, Gebote zum Schutze von Privatrechten
zu erlassen, und das Gefängnis sei hier zunächst eher Strafe
des Ungehorsams, als Realisierung eines Rechts des Gläubigers
auf die Person des Schuldners.
Auch im vorliegenden Falle muss meines Erachtens die
Praxis des Nürnberger Rats aus diesem Gesichtspunkte erklärt
werden. Der Besteller hatte vertragsmässig den Anspruch auf
Herstellung der Kunstwerke. Kam der Meister dieser Ver-
pflichtung nicht nach, so half dem Kunstliebhaber, der nun
eben von dem in seiner Art einzigen Peter Vischer das Gitter
haben wollte, der Anspruch auf Schadensersatz in Geld nichts.
Der Meister musste gezwungen werden. Hier musste die Stadt-
obrigkeit eingreifen. Möglich, dass noch der alte Gedanke
lebendig war. dass die Genossenschaft, hier die Stadt, für ihre
einzelnen Mitglieder hafte; auf jeden Fall war Nürnberg daran
interessiert, dass seine Kunstge werbe treibenden Bürger die
Stadt nicht in Verruf brachten. Das Mittel der Haft war das
einzige, das wirken konnte. Die alte Sicherheit der Person
vor willkürlicher Verhaftung aber mochte in der Zeit der er-
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stärkenden obrigkeitlichen Gewalt vergessen worden sein. In-
wieweit diese Einrichtung, die als gewohnheitsrechtliche an-
gesehen werden darf, anderswo verbreitet war, gelang mir
nicht festzustellen. (Wie willkürlich der Rat zu N. oft vor-
ging, zeigt der Verlauf seines Streits mit Veit Stoss: Dieser
drohte, den Rat beim Kaiser wegen Nichtbezahlung seines
Lohns zu verklagen, worauf der Rat am 27. März 1506 be-
schliesst: . . . sich sein zu mechtigen und zu gefengkns dess
lochs zu bringen. Nürnberger Ratsverlässe Bd. I S. 107 ff.)
Auch Knapps Nürnberger Kriminalverfahren 1891 und Nürn-
berger Kriminalrecht 1896 gibt keinen Aufschluss.
7. Zur Ausführung des Werks sind vielfach Handlungen des
Bestellers nötig. Vor allem hat er den Stoff und die Zutaten
zu liefern. Nach verschiedenen Mühl- und Bäckerordnungen
muss das Getreide oder Mehl an die Betriebsstätte des Unter-
nehmers von den Leuten des Bestellers gebracht werden. Das
Rügische Landrecht (Frommhold) CXIV 1 bestimmt:
De wewer mögen ane unrecht dat werk laten liggen edder
auholden went se ere Koeken und vett und meel und
schmittelisse (Gebühr für die Stärke der Scherung) van
den, de en heft sin garne gebracht, nicht bekamen hebbe.
ebenso noch der Wendisch - Rügianische Landgebrauch,
230. Titel (Gadebusch). Vgl. ferner die Bestimmungen des Hof-
rechts von Wangen (Grimm IV 353) über den Fähren. Dort
müssen die Fahrgäste mitrudern helfen.
Art. 20. Item in dem grossen schiff sol er haben drig
rasten (Ablösung im Rudern) und welen er heist ziehen,
der sol es tuon; wöll er aber nüt ziehen, so mag im der
lierr ein pfand nemen und mag es einem andern geben
der für in fert.
Am wichtigsten wird die Anwesenheit des Lehrkinds beim
Lehrvertrag. Hier ist vielfach eine Busse für das Weglaufen
festgesetzt, z. B. Strassburger Küferordnung von 1395 (Brücker
S. 316, 317).
8. Das herzustellende Werk muss bestimmte Eigenschaften
haben.
Diese für den ganzen Vertrag hochwichtige Frage wurde
im mittelalterlichen Recht anders wie heute behandelt. Vor
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allem ist hier die Organisation des Handwerks in den Städten
von grösster Bedeutung. „Aus dem Interesse am gemeinen
Besten und der Ehre des Handwerks ergibt sich die Haupt-
pflicht der Zunft, welche aus dem Begriff des Handwerks als
Amts folgt, die Sicherung der Güte und Brauchbarkeit des
Arbeitsprodukts“ (Gierke, Genossenschaftsr. Bd. I S. 388 ff'.).
Die Ämter und Zünfte stellen teils auf Grund eigenen Gesetz-
gebungsrechts, teils im Zusammenwirken mit der Stadtobrig-
keit Vorschriften für die anzuwendende Technik auf. Es wird
die Herstelluugsweise der einzelnen gewerblichen Erzeugnisse
genau angeordnet, die Beobachtung dieser Vorschriften wird
strenge beaufsichtigt, schliesslich unterliegen die fertigen
Werke der Beschau. Es wird daher auf diesem Wege ge-
werbepolizeilicher Gesetzgebung manche Frage gelöst, die sonst
auf dem Privatrechtswege auszutragen wäre.
Es können die ausserordentlich zahlreichen, hierher gehörigen
Ordnungen hier nicht angeführt werden. Bemerkenswert ist,
dass die Verletzung der aufgestellten Gebote regelmässig mit
Bussen an das Amt, oder die Stadt bestraft wird. Allein diese
Gewette erscheinen nicht als Strafen für den Vertragsbruch,
sondern als Strafen für den Ungehorsam gegen die Ordnung
des Amts.
a) Aber auch die eigentlichen, bürgerlichen Rechtssatzungen
enthalten Bestimmungen über die Eigenschaften des Werks.
Vortmer de glazewerten scholen maken gut glazewerk,
dat truwe und vast si . . . 1375 Hamburger Glaser-
ordnung § 7 (Rüdiger S. 90)
und och einem jeden sine wollen slahen und bereiten
wol und recht nach nutze uf das beste jedem umb sinen
Ion und jedes nach siner ordenuuge und nach sinem werde
und zu gehürde. Art. 24 des Strassburger Tucherbuchs
1400—1434 (Schmoller S. 29).
wen ein jeglich Meister ein Werk verdinget und eine
Vysierunge dazu git wie das werden sol: dem Werk sol
er nit abbrecheu an der Vysierunge, Sünder es sol es
machen, wie er die Vysierunge den hern, Stetten oder im
Lande gezeiget hett, dass es nit geschwechet werde.
Art. 11 der Steinmetzordnung von 1459 (Jänner S. 254).
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Item das alle olute sollent swern . . . deu artickel,
das si einer jeglichen personen sin ole machen sollent,
als ob es ir eigen gut were. Strassburger Ölmüller-
ordnung aus dem 15. Jahrh. (Brücker S. 405).
So sollen auch die smyd gud arbeit und wahr machen
1564 Lüneburger Schmiedordnung (Bodemann S. 207).
... in sinem thogesechten unsträflichen gude tho
levernnde 1560 Hamburger Schmiedordnung Nr. 6 (Rü-
diger S. 254) ; vgl. Hamburger Allgem. Best, über Hand-
werksarbeiten 1563 (Rüdiger S. 128).
Der Sinn dieser Bestimmungen ist: das Werk muss genau nach
der Vertragsabrede hergestellt werden, also die zugesicherten
Eigenschaften haben, im übrigen aber so gefertigt werden,
wie es sich nach Treu und Glauben gehört. Aus diesem
Grunde bestimmt das Münchner Stadtrecht Art. 176 über die
Beweislast:
Swer ainem antwerchsman oder ainen arbeiter anchlagt,
er hab schaden genomen von seiner arbeit, mag dann
der antwerchsman bereden, daz er daz teurist (nach an-
dern Handschriften treuist) und daz pest von seiner
chunst getan hab än gevaerd, des sol er geniezzen, ez
mach dann der chlager war, daz er von seiner arbait
ze schaden sey chomen.
Soweit also nicht der Kläger den Beweis der Mangel-
haftigkeit des Werks erbringt, darf der Unternehmer schwören.
Man beachte auch hier die Betonung der Treue!
Wie eng übrigens noch die ganze Auffassung der Ver-
tragspflichten hierbei war, beweist die Stelle in Art. 5 der
Freiberger Böttcherartikel um 1450 (Ermisch S. 286), wo aus-
drücklich angeordnet werden muss, dass die für das Land be-
stimmten Werke die nämlichen Eigenschaften haben müssen,
wie die für die Bürger der Stadt Freiberg zu liefernden.
Die Feststellung, was unter den nach Treu und Glauben
erforderlichen Eigenschaften zu verstehen sei, ergab sich in
den meisten Fällen durch die Beschau seitens der Älterleute.
Ausser in den bereits oben beim Kapitel über die Vertrags-
freiheit angeführten Stellen, ist die Beschau angeordnet für die
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Gerber im Rechtsbuch der Stadt Memmingen 1396 XLIX
(v. Freyberg V S. 316), in Art, 4 und 5 der Freiberger Gold-
schmiedartikel um 1466 (Ermisch S. 291), in der Lübecker
Zunftrolle der Maurer von 1527 (Wehrmann S. 332) und der
Zimmerleute von 1545 (ebd. S. 460), in der Lübecker Laken-
Wardeyenordnung von 1553 (ebd. S. 310) und in den Lübecker
Schiffszimmerleuteartikeln von 1560 (ebd. S. 410). Hiernach
muss jede von einem Lübecker Schiffszimmermann selbständig
ausgeführte Arbeit von den Älterleuten besehen werden; ist
die Arbeit „tüchtig“, so zahlt der Besteller 6 Pf. in die Kasse
der Zimmerälterleute, andernfalls der Zimmermann. Es ist
klar, dass anlässlich der Beschau durch die anerkannten Sach-
verständigen der Besteller etwaige Klagen vorbrachte, und
dass dann das von den Älterleuten abgegebene Urteil weit-
tragende tatsächliche Bedeutung hatte. Denn es wurde bei
einem etwaigen Prozesse dem Urteil meistens zugrunde gelegt.
b) Es ergibt sich aus dem Wesen des Vertrags, dass der
Unternehmer, der der eine Vertrag schliessende Teil ist, für
die Arbeit der Personen, deren er sich bei Ausführung des
Werks bedient, einzustehen hat. Es scheint dieser Gedanke
als so selbstverständlich betrachtet worden zu sein, dass er
nur selten ausdrücklich ausgesprochen wurde. Erst sehr spät
tauchen Bestimmungen hierüber auf, so in der Lüneburger
Maurerordnung von 1570 (Bodemann S. 169). Bezeichnend ist
eine aus dem Jahre 1730 stammende Satzung aus Basel
(Rechtsquellen von Basel Bd. I 2. Abt. S. 940), in der es heisst,
dass die Gesellen zwar nicht zu schwören haben (was in einer
Reihe von Städten, z. B. in Strassburg, in Ulm bei den Bar-
chartwebern vorgeschrieben ist),
man habe aber dafür gehalten, dass die Meister für ihrer
Gesellen Arbeit stehen müssen.
c) Wie lange musste nun der Unternehmer die erforder-
lichen Eigenschaften des Werks gewährleisten?
Die Frage ist in den Quellen, von wenigen Ausnahmen
abgesehen, nicht glatt beantwortet. Soweit nicht vertrags-
mässig eine längere Gewährleistungsfrist vereinbart war, endete
die Haftung des Unternehmers für Eigenschaften des Werks
in der Regel mit dessen Abnahme. Die Abnahme des Werks
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ist nur selten ausdrücklich vorgeschrieben. In der Hamburger
Leinweberordnung von 1375 § 16 (Rüdiger S. 161) heisst es:
Vortmer so schall nen man edder frouwe linnewand tho
hus senden mit den kämmen (Weberkamm), he schall das
afsniden in sinem huse, und dar schall jegenwerdich wesen,
deme dat linnewandt hörete, edder eine von sineswegen.
Hierdurch soll allerdings nicht nur die Prüfung der Eigen-
schaften des Werks, sondern auch der vollen Zurückerstattung
des übergebenen Stoffs ermöglicht werden, und insofern hängt
die Stelle mit all den Rechtssatzungen zusammen, die anord-
nen, dass der Unternehmer das Werk dem Besteller zuzu-
messen oder zuzuwägen habe, und die später noch anzuführen
sind. Auch für die Abnahme war die Beschau von grösster,
tatsächlicher Bedeutung. Sie erfolgte bei Ablieferung des
Werks, sie sicherte eine Prüfung des Werks und gab dem
Besteller Gelegenheit, die Mängel zu rügen.
Man darf nun wohl annehmen, dass der Besteller durch
die Abnahme, soweit nicht Arglist des Unternehmers in
Betracht kam, das Recht verlor, Mängel des Werks zu rügen.
Es ergibt sich dies schon aus dem Inhalt der Abnahme-
erklärung. Nahm der Besteller das Werk als Erfüllung des
Vertrages an — und dies musste aus seiner Erklärung hervor-
gehen — so begab er sich des Rechts, nachträglich noch einen
Fehler geltend zu machen. Mit Recht konnte ihn dann der
Unternehmer auf seine erste Erklärung hinweisen, die, soweit
nicht Täuschung vorliegt, im Rechtsverkehr nicht zurück-
genommen werden kann. Dass das Mittelalter dies klar er-
kannte, geht daraus hervor, dass die später anzuführeuden
Bestimmungen über die Folgen mangelhafter Lieferung alle an
den Zeitpunkt der Beschau oder der Abnahme anknüpfen, dass
mit wenigen Ausnahmen eine längere Gewährleistungspflicht
des Unternehmers nirgends erwähnt ist, dass diese vielmehr in
Verträgen eigens festgesetzt werden musste. Damit stimmt
auch überein, was Conze (Der Kauf nach hanseatischen
Quellen 1889 S. 95) über den Kauf sagt. Danach kann der
Kauf nicht mehr rückgängig gemacht werden, insbesondere
nicht wegen Mängel der Sache, wenn der Käufer das Gut be-
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sehen, und in seine were gebracht hat. Diese Auffassung
wird, wie mir scheint, bestätigt durch eine Stelle bei Ruprecht
v. Freising I 151 (Westenrieder S. 100).
Swenn dat chore (Korn) ze melbe wirt und daz pant für
den sach (Sack) chümt so sol es der man hin haimfirren
so hat der mulnaer nicht mer damit zeschaffen.
Verwandt damit ist eine ebenfalls dem Mühlenrecht angehörige
Bestimmung des Rügischen Landrechts LXXXXVII 10. Zwar
ist in beiden Fällen vornehmlich an die Verteilung der Gefahr
gedacht, allein hier ist eben der Zeitpunkt, in dem der Ver-
trag als erfüllt angesehen wird, von Bedeutung. Wenn der
Besteller sich das Mehl in dem Sack hat füllen lassen und
diesen zugebunden hat, kann er nicht nachträglich Klage
wegen Mängel erheben (vgl. über die Streitfragen betr. den
merkantilen Empfang Thöl, Handelsrecht 6. Aufl. I § 278
Anm. 28, 31).
In der Strassburger Arrabrusterordnung von 1465 (Brücker
S. 17) heisst es, dass die Meister eine Armbrust nicht länger
„weren“ wollen, als man sie in eines Meisters Haus beschiesst.
Es wird angeordnet, dass man es diesbezüglich beim alten
lassen soll. Danach scheint bis dahin doch eine längere Ge-
währleistungspflicht bestanden zu haben. Hierfür sprechen
auch einige Bestimmungen des Rügischen Landrechts. So
heisst es vom Schmied CVII 2:
Im eggetuige ane behagh stund de schmid vor dat nmme-
leggent und nicht vor dat utbrekent. irame hofschlage
vor dat brekent des nien hofisers, dat erste vorleggent,
upschlant binnen landes 14 dage; brak it edder Alle it
of ungebrakens edder-beschedigen hofes, de schmid moste
ane vorböte darto antwerden, makeu, vorleggen edder
betalen.
Diese Bestimmung ist dann in dem jüngern Wendisch-Rügi-
anischen Landgebrauch (Gadebuseh) 221. Titel noch weiter ins
einzelne ausgeführt. Es wird festgesetzt, dass der Schmied
bei Hufeisen 14 Tage haftet, dann werden die einzelnen Werk-
zeuge, Pflug und Egge usw. einzeln behandelt, die Haftung
für das Lahmwerden oder Brechen der Schlösser wird für ein
Jahr festgesetzt. Im 214. Titel heisst es:
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De Schneider mosten in vortyden alle Näde, so unvor-
dragenss Kleider von sich sulvest upsprungen, ahne Be-
lohnung, wo se dat kleid hedden gemaket, wedder neyen.
Diese Bestimmungen stehen ganz vereinzelt da, sie zeigen
schon in ihrer Kasuistik, dass es sich nur um eine partikuläre
Rechtsbildung handeln kann.
Gegenüber der Klage des Bestellers, dass das Werk mangel-
haft sei, kann der Unternehmer geltend machen, dass dies aus
der mangelhaften Beschaffenheit des zur Bearbeitung über-
gebenen Stoffs sich ergebe. Er muss diesen Fehler des Stoffs
jedoch rechtzeitig dem Besteller angezeigt haben.
weres auch daz ein werk miszettelt wurde, es sie an
tucher werk oder an weber antwerk so sol der weher,
es sie meister oder knecht, dem ein semelik werk fur-
kome und es wirken sol, daz vor und ee sagen dem das
werk ist , daz es missezettelt ist, ee daz er das werk uf
den stul leit bie dem eide den er gesworen hat. Und
wer daz auch were, der daz verswige und dem es nit
enseit, des daz werk were, der sol meyneidig und erlös
und sol dem deheinen schaden bringen, dez das
werk ist.
Strassburger Tuchmacherordnung von 1433 (Schmoller S. 73).
Zweifellos spielt hier auch das zünftlerische Verbot, ordnungs-
widriges Werk zu machen, herein. Allein der privatrechtliche
Satz ist doch die Hauptsache. Ebenso Rügisches Landrecht
CXIV 5:
Töget einer der wever, wen he dat garne vörwaret edder
annimpt, darvan an, dat dat garne is vordorven und kan
bewisen, he lit neinen Schaden.
Die Rechtssätze über Gewährleistung für Mängel des
Werks werden abgeändert, und teilweise ergänzt durch hierauf
bezügliche Abreden in Verträgen. Vielfach wird eigens fest-
gesetzt, dass der Unternehmer für Fehler der Sache einzu-
stehen habe, und diese Haftung wird sogar auf die Erben aus-
gedehnt. So wird in dem Vertrag Caspar Isenmanns mit dem
Martinsstift zu Colmar 1462 (Repert. II 153) für den Fall,
dass sich Mängel zeigen sollten, bestimmt:
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denselben gebrust söllent er und sine erben z& einer jeg-
lichen zytt schuldig sin dem gemelten sant Martins buwe
zebekern und zebewandeln suuder allen gebresten, costen
und schaden, so daruss mit widermachens und sust er-
wachsen möchte, gentzlichen und gar ze bezalen und ab-
zetragen ohne geverde.
Ebenso Vertrag mit einem Uhrmacher 1407 über Lieferung
einer Uhr für das Rathaus zu Basel (Gesell, und Beschr. des
Rathauses zu B. von Alb. Burckhardt und Rud. Wackernagel
1886), Glaserkontrakt der Stadt Löwenberg 1511 (Anzeiger f.
d. Kunde der d. Vorzeit Bd. 29 S. 174).
hat Hannsz gelobit selbige czu gewehrin (liefern) un-
wandilbar und darvor czu stehen 10 jahr.
Was innerhalb dieser Frist abfällt, hat er zu ersetzen.
Ferner der oben mitgeteilte Vertrag über den Bau der Elster-
brücke zu Zeitz 1532, Baukontrakt des Rats zu Brieg mit
Jakob Baar 1570 (Anzeiger Bd. 25 S. 80), Andingung eines
Orgelwerks an Lukas Behaim 1619 (Anzeiger Bd. 29 S. 6),
wonach der Unternehmer Jahr und Tag Gewehrschaft zu
leisten, und jederzeit die Pfeifen auszuwecliseln hat. Anderer-
seits wird Adam Kraft anlässlich der Quittierung der beider-
seitigen Rechnung für ein Grabmal 1492 eigens von jeder
Haftung befreit (Repert. Bd. 25 S. 360 ff.).
Adam Craft hat Sebolten Schreyer und M. L. unnd hiu-
widerumb haben sie ine auch quit, ledig und loss gesagt,
in lawt des Vertrags, Auch umb die pesserung und alle
ander Sachen daz werk antreffend nichtz ausgenomen noch
liindan gesetzt . . .
Hier konnte ein Verzicht auf jeden Besserungsanspruch aus-
gesprochen werden, da wahrscheinlich das Werk von Sachver-
ständigen geprüft worden war. Wenigstens war dies in dem
1490 abgeschlossenen Vertrage vorgesehen. Eine solche
Prüfung durch Sachverständige — eine Ergänzung der Be-
schau — war verschiedentlich in Künstlerverträgen ange-
ordnet, so in den mehrfach erwähnten Verträgen mit Michael
Wohlgemut über den Schwabachei- Altar 1508, und mit Jakob
Baar über den Bau des Brieger Rathauses 1570.
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65
C. Mangelhafte Erfüllung oder Nichterfüllung des Vertrags.
1. Mangelhafte Erfüllung infolge Verschulden des Unter-
nehmers.
a) In diesem Falle billigt das mittelalterliche Recht dem
Besteller den Anspruch auf Besserung und Schadensersatz zu.
Vortmer de glazewerten scholen maken gut glazewerk,
dat truwe und vast si, und scholen dat wol und stark
blyen unde loden, unde ok dat blye reyne unde wol ge-
vallen si sunder rethe. Wer das bricht . . . Darto scal
he dat derne ghenen noch gut maken deme he dat ge-
maket lieft. 1375 Hamburger Glaserordnung Art. 7
(Rüdiger S. 90).
De schmid mag ok vor sin tügh, dat he maket, ant-
worden. wo he dat vorbrende edder sonst dat eggetttch
nicht düchte, men niagh it eme billiger tit wedderwerpen
up sinen schaden, ane unrecht, bedroch und argelist van
beiden parten utgescklaten. bi deme de rnangel de moste
vorböten. Rügisches Landrecht LXXXXVIII 4.
Vorderwet he dat linnewand edder let dat garne vor-
mulschen (verfaulen) edder verrotten, he mot it betalen
na gewerde des linnewandes, dat dar hedde van werden
köuen. sint neste edder brakene eggen an dem linne-
wande und nicht ganz vordorwen, he misset vor dat vor-
dorwene sein Ion. Rügisches Landrecht CXIV 4.
Übereinstimmend Lübecker Zimmerleuteartikel von 1503 (Wehr-
mann S. 460); Laken -Wardeyen- Ordnung in Lübeck 1553
(Wehrmann S. 310). Es ergibt sich hieraus, dass, wo dies nach
der Sachlage möglich war, der Besteller Besserung, und ausser-
dem Ersatz in Geld verlangen konnte. Die den Leinweber
betreffende Stelle des Rügischen Landrechts fasst den Fall zu-
sammen mit der Haftung des Unternehmers bei Verderb des
Stoffs. Der Ersatz des Schadens umfasst nicht nur den Wert
des Stoffs, sondern auch der Verarbeitung. In der Lüneburger
Malerordnung von 1595 (Bodemann S. 165) Art. 22, gleich-
lautend mit der Lüneburger Glaserordnung von 1596 7. Art.
(ebd. S. 93) heisst es:
Rothenbucber, Werkvertrag ö
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66
Da ein Meister eine arbeit verdingte und er schlüge die-
selbe unfleisszig von der liandt dergestalt, dass Clage
darüber kerne, es auch von den Älterleüten mangelhaft
befunden würde, der soll für die Arbeit gebührlichen
Chur und Wandel thun und über das einem erbarn Rahte
und dem Ampte nach billiger Ermessigung geschafft
werden. Vgl. auch Albisheimer Weistum (Grimm IV 638)
„kohrung thun“.
Chur oder Cliör und Wandel sind pleonastische Ausdrücke
für Abhilfe schaffen, Schaden beseitigen. „Chor“ ist gleich
ker, keren, das nach Grimm V 403 rückerstatten, widergeben,
ersetzen, vergüten bedeutet. Schmeller (I 1282) übersetzt
es übereinstimmend mit „Schaden wenden“ und führt die Stelle
an „dass sie dem N. darum Abtrags, Kerung noch Wandel
nicht schuldig seien“. Hier tritt auch die Gleichstellung mit
Wandel hervor, das nach Schmeller bedeuten kann: 1) Ände-
rung, Abänderung, Rückgang eines Kaufs; 2) Gebrechen, das
den Kauf rechtlich aufhebt; 3) Ersatz, Genugtuung, Busse.
Wollte man nun obige Stelle dahin auslegen, dass der Unter-
nehmer Chor tun, den Schaden beseitigen, und wandel, Straf-
geld an den Besteller zahlen muss, so wäre dies sicher nicht
richtig. Es ist doch nicht anzunehmen, dass der Meister ausser
der Strafe an den Gerichtsherrn und das Amt noch eine Privat-
strafe hätte zahlen müssen, abgesehen davon, dass nicht zu er-
sehen ist, wonach diese bemessen worden wäre. Vielmehr
muss „chör und wandel tun“ als „Schaden ablegen“ aufgefasst
werden. Dem entsprechen auch die Bestimmungen der Lüne-
burger Maler- und Glaserordnung von 1497 (Bodemann S. 153)
„die arbeit wandeln“, die Lübecker Schiffszimmerleuteartikel
von 1560 (Wehrmann S. 410) und die Lübecker Dachdeeker-
ordnnng (Wehrmann S. 196) „betern bi sinen egen kosten“;
insbesondere aber der mehrfach angeführte Vertrag C. Isen-
manns 1462, wo er sich verpflichtet, alle Gebresten „zebekern
und zebewandeln“, d. h. „kehren und wandeln“.
b) Ansätze zu einem Recht des Bestellers, die Entlohnung
bei mangelhafter Erfüllung zu mindern, finden sich verschiedent-
lich. Es ist bereits oben S. 65 die hierauf bezügliche Stelle des
Rilgischen Landrechts CXIV 4 rnitgeteilt. Nach der Strass-
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burger Barchentschauordnung von 1537 (Sclimollcr S. 161) kann
der Meister der Spinnerin, die verdorbenes Garn bringt, ent-
sprechend den Lohn kürzen, „am spinnerlon abschlahen“. Ebenso
nach dem jüngern Wendisch- Rügianischen Landgebrauch 230. Titel.
Es lag ja nahe, dass der Besteller sich den Ersatz des
Schadens gleich dadurch verschaffte, dass er eine den Mängeln
des Werks entsprechende Minderung des Lohns eintreten liess.
Man darf hierbei wohl annehmen, dass dies nur da geschah,
wo eine Besserung des Werks ausgeschlossen war.
c) Öfters wird im Vertrag das Recht des Bestellers Vor-
behalten, falls das Werk nicht mangelfrei geliefert wird, vom
Vertrag zurückzutreten. So ist in dem Vertrag, den Hans
Böblinger 1440 in Esslingen über Errichtung eines Turms ab-
schliesst, bestimmt, dass ihm die Pfleger das Werk absagen
können, wenn ihnen bedünkt und von redlichen Werkleuten er-
kannt wird, dass er den Bau nicht nach Nutz und Notdurft
vollbrachte (Klemm, Württemberg. Baumeister und Bildhauer
1882 8. 88). Ebenso ist in der Andingung des Schwabacher
Altars an Michael Wohlgemuth 1508 bestimmt: Wenn der
Fehler des Werks so gross ist, dass er nicht mehr zu ändern
ist, so behält Wohlgemuth die Tafel und muss das Geld zu-
rückgeben. Übereinstimmend Waltzroder Vertrag H. Briigge-
manns 1525; Andingung eines silbernen Waschgeräts au den
Goldschmied Beyer 1531 (Mitt. d. german. Mus. I 167).
2. Nichterfüllung infolge Verschuldens des Unternehmers.
Hier hat der Besteller den Anspruch auf Schadensersatz.
Dinget ein man den andern an sin werk gat er davon
und lat im sein waerk ligen von sin selbes rauthwilleu
geschiett iem chein schade davon, den sol er im abe tun
nah sinem eide . . . Augsburger Stadtr. A. 129.
Wer ainem gepew oder ander werkh andingt, und
ine der werckman über daz geding versaumbt, des der
andinger zu schaden kumbt, wo sich alsdann der an-
dinger und werkman solhs schaden ausserhalb gerichts
nit vertragenn mugen, so sol der werckman dem andinger
nach mässigung des richters widerkerung thun, jedoch sol
obbernert mässigung nach rat der werkleute beschehen.
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68
Reform, bayr. Landr. von 1518 42. Titel 3. Art., ebenso
Landr. von 1616, 32. Titel 2. Art.
Man wird diese Bestimmung des bayrischen Landrechts kaum
als römischrechtliche ansprechen dürfen, vielmehr scheint sie
dem älteren Rechte entnommen, womit auch die wiederholt
schon erwähnte Berücksichtigung der Sachverständigen tiber-
einstimmt. Man beachte übrigens, dass nach Augsburger Recht
der Kläger den Schätzungseid hat, während das spätere Recht
hier eine objektive Schätzung anstrebt.
In andern Quellen ist obiger Grundsatz, entweder, weil
selbstverständlich, nicht ausdrücklich ausgesprochen, oder, und
dies ist meistens der Fall, im Zusammenhang mit andern Fragen
aufgestellt.
3. Nichterfüllung infolge eines vom Besteller zu vertreten-
den Umstands.
Der am häufigsten in den Quellen behandelte Fall ist der
des Entlaufens des Lehrkinds.
Swelich schnoler aht tag in ein schnol get, der geh
daz gantz Ion von einem jar; welle aber er vor dem jar
aus der schuol in die andern gen, so geb peidenthalben
gantzes Ion umb sein unstaet und sein irregenge . . .
Münchner Stadtr. VII 80 (Auer S. 285).
Ebenso das Rechtsbuch Ruprechts von Freising I 162 (Maurer),
mit der Bestimmung:
Und kümbt es wider dy weil es XIIII jar alt ist und
wil es wider zu jm, er sol es enpfalmn unnd sol sein
zeit gar aus lernen.
Ferner Bestallung des lateinischen Schulmeisters zu Überlingen
1465-1608 (Mone II 153) Z. 13:
Wölher schnoler och über die halben vronfasten under
mich z& schül gat, und dann daruss gienge, der soll mir
gantzen Ion vervallen sin.
Dieser Grundsatz, dass bei Unmöglichkeit der Leistung infolge
eines vom Besteller zu vertretenden Verschuldens der Unter-
nehmer seinerseits den Anspruch auf volle Vertragserfüllung
hat, gilt entsprechend auch im gewerblichen Lelirlingsvertrag.
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Dingt ain man ainen lerencknecht ze jaren end get er von
im in den jaren, an sein Urlaub, so ist er dem maister
seins Ions schuldig waz er geweisen mag, daz er der
saumsaluug schaden genomen hab, und dem richter 72
pfenning; cz möcht dann der chnecht bezeugen mit zwaicn
erbern mannen daz er in mit sogetanen Sachen vertriben
hab, die im schedlich waern und mit sogetaner handlung,
die er nicht erleiden möcht, so ist der maister schuldig
dem chnecht allez dez er im schuldig waer, und dem
richter 72 pfenning. Bayr. Landr. von 1346 X 87 (v. Frey-
berg IV 424).
Diese Bestimmung ist dieselbe, wie sie in dem folgenden § 87
für das Gesinde aufgestellt ist. Sie ist fast wörtlich noch
aufrechterhalten im Reform. Bayr. Landr. von 1616 33. Titel
1. Art. Der Lehrjunge ist dem Meister den ganzen Lohn oder
das gedingte Lehrgeld und Schadensersatz schuldig, er könnte
denn mit zwei Mannen beweisen, dass ihn der Meister mit
solchen Sachen vertrieben hat, die ihm schädlich gewesen
wären oder die er nicht hätte erleiden können. Auch hier
wieder ein Beweis, dass auf dem Gebiete des Arbeits Vertrags
das bodenständige Recht sich bei jeder „Reformation“ behauptet
hat. Auch nach der Nürnberger Reformation (1479—1484)
25. Titel 10. Ges. hat deijenige, der sich für einen Lehrjungen
verpflichtet hat, dem Meister bei dem Entlaufen des Lehrlings
für das „Übermass“ zu entschädigen, „wie sich nach gleichem
und billigem Ding nach Lage des Falls gebührt“ (vgl. über
die fast gleichmässige Behandlung des Falls beim Dienst-
vertrag Hertz , Die Rechtsverhältnisse des freien Gesindes
S. 79 ff.).
Selbstverständlich musste der Besteller, der eine ihm nach
dem Vertrage obliegende Handlung versäumte, auch sonst dem
Unternehmer Schadensersatz leisten. So erhielt 1510 Tilman
Riemenschneider, der die Herstellung eines Sakramentshäus-
chens für den Würzburger Dom übernommen hatte, eine Ent-
schädigung, weil er 10 Tage auf das vom Besteller zu liefernde
Gerüst warten musste (Tönnies, TR. S. 207).
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70
4. Nichterfüllung des Vertrags infolge eines weder vom
Besteller noch vom Unternehmer zu vertretenden Umstands.
Das Augsburger Stadtr. Art. 129 bestimmt, dass der Werk-
mann den durch das Verlassen der Arbeit entstandenen Schaden
nach Schätzung des Gegners zu ersetzen hat,
ez enmuge danne der waerkmanu bringen ehaffte not
oder sust ettewaz für geziehen, daz ir beider gedingde
geirren muge oder gebrechen.
Die Quellen sprechen diesen Grundsatz, weil dem ganzen Rechte
angehörig, selten für unseru Einzelfall aus. Auch bei der Ab-
grenzung des Begriffs der „echten Not“ muss auf die allge-
meinen Grundsätze zurückgegriffen werden (vgl. hierzu Artur
Schmidt, Echte Not 1888). Sicher füllen hierunter die im
Sachsenspiegel II 7 angeführten vier Fälle. Man wird jedoch
annehmen müssen, dass seit dem 13. Jahrh. der Begriff der
„echten Not“ eine weitere, die Verkehrsverhältnisse mehr be-
rücksichtigende Auslegung über jene 4 Fälle hinaus gefunden
hat. Es gehören hierher vor allem die Fälle der Unmöglich-
keit der Leistung.
Ruprecht v. Freising (Maurer) I 162 erklärt, dass für den
Fall des Todes des Lehrkinds vor Ablauf der Schulzeit, man
an dem Geld absclilagen soll, „was nach der Zeit gebührt“,
man sol der ersten zeit allermaist abslahen mann so hat
er allermaist arbeitt mit dem chindt.
Hier verliert also der Unternehmer nicht seinen Lohnanspruch,
solidem er wird, wie dies der Forderung der Billigkeit ent-
spricht, nach dem Masse des bisher Geleisteten entlohnt. Dieser
Gedanke ist vor allem im Frachtrecht fast durchwegs durch-
geführt.
Dinget ein mann ein chaufscliatz iiberlant, und sich
desselben chaufschatzes der fuerman unterwindet auf seinen
wagen, und daz dem fuerman desselben nachtes seinen
roz verstollen werdent, als er des morgens varn schol,
der empristet wol mit recht, wann in ehaft not irret.
Hat awer er mer roz, denn die er verlorn hat, so muez
er für sich varn. Wiener Stadtr. Art. 56.
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71
vord eyn man dem andern gut, werd dat gud ge-
nomen edder de perde, alzo verne alze he dat gevoret
hefft, alzo lonet me ome na wechtale. Braunschweiger
Stadtr. um 1445 (Hänselmann S. 114).
Item wenn ein fürman odir ein schiffmau auz fert.
und kümen an die stat, da sie laden sulleu und so sie
auf die widerfart herheim keren und daz dann schade
zu der habe geschehe mit nemen mit aufhalten odir mit
gebot dauon die hab aussen beliebe odir in ein harren
kom, wie verren dann ir einer gefaren wer dez selben
wegg, Sol man in Ionen als vil sich an dem geding da-
für gebürt und gehört auch bescheidenheit für die fart
hinabe ob er lere da durch hinab gevaren ist, wie daz
gerieht daz erkennet. Bamberger Stadtrecht Tit. XXXVIII
§ 401 (Zöpfl S. 111).
Abweichend, jedoch noch günstiger für den Fuhrmann, bestimmt
das Stadtrecht von Lüneburg (Kraut S. 51):
Were dat eu man wunne enen vurman und queme mit
eme up en, so were he eme schuldig halue vrucht; und
vorede he dat gud bitte to halffweghe, und en mochte hc
nicht vordere varen von ghewolt, he ne scholde nicht
mer gheuen men halue vrucht; men vore he vordere und
worde eme dat gud ghenomen, so scholde he eme gantze
vrucht gheuen.
Während also sonst genau der Lohn nach dem Mass des zu-
rückgelegten Wegs, nach „Wegzahl“ zu zahlen ist, wird hier
schematisch die ganze Frachtreise in zwei Teile zerlegt.
Auch für den Seefrachtvertrag gilt obiger Grundsatz, je-
doch ebenfalls mit verschiedener Berechnung des verdienten
Lohns. Ein Urteil des Lübecker Oberhofs von 1463 (abgedr.
bei Löi-sch und Schröder, Urkundenbuch Nr. 308) lautet:
Ein Schiffer, der Salz von Biskaya nach Reval zu führen
hatte, vom König von Dänemark angehalten worden war,
und notgedrungen das Salz in Kopenhagen verkauft hatte,
kann nur die Fracht von Biskaya nach Kopenhagen verlangen.
Pauli (Lübische Zustände III S. 90) macht darauf aufmerksam,
dass diese Entscheidung offenbar auf Grund des hansischen
Rezesses von 1447 Art. 24 ergangen ist:
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Wellik sckippker, de de klifft mid gheladencm sekepe
binnen der keifte des weges offte reisen, dar ke enne
bevrackted is, de sckall kebben de kalve vracht van derae
gude, dat dar an gkeberged were. Blivet ke ok over de
keifte, so sckall ke na antale so vele meer kebben, alse
baven de keifte is ghesegelt.
Im ersteren Fall war die Ladung, in diesem das Sckiff die
äussere Veranlassung, dass die Verfracktung unmöglick wurde.
Nack zwei weiteren bei Pauli III S. 91, 242 angeführten Ent-
scheidungen des Lübecker Rats erhielt der Schiffer, der in-
folge eines Unglücksfalls die Reise nicht vollenden konnte, die
ganze Fracht, soweit aber nicht das ganze Gut gerettet war,
die Fracht, die dem Wert des geretteten Guts im Verhältnis
zu dem zurückgelegten Wege entsprach. Vgl. auch Hamburger
Statuten von 1603 II 14 Art. 3; Lübecker Statuten VI 3 § 1.
Eine abweichende Bemessung des Lohns setzt eine Bremer
Entscheidung (Statuta Bremensia von 1303, Oelrichs S. 254)
fest, die auch den Unglücksfall des Schiffers näher beleuchtet:
En scel quam vor de ratmannen tuschen copadzen unde
sineu vrucktluden also dat de vruchtluden sculdegheden
copadzen dat he em ghelovet hadde ere got to zeghelnde
tho zunderlikcn havenen unde des nicht ghedaen en hadde.
dar to sprak c. he hadde van ze nodes weghene verloren
sin Zeghel unde al sin touwe unde were van nothweghene
komen up de wesere ... er weist einen Brief vor, dass
er gezwungen worden war, Bürgern von Z. zu fahren.
Entscheidung: Na derae dat der bonik en van den dren
brak unde de sciphere lieft sine vrucht vordenet de scolen
eine de vrucktlude gheveu tuschen den minnesten und den
mesten alse use borghere gheven hebbet van schone her.
Es ergibt sich, dass echte Not, höhere Gewalt eine Anzahl
von Möglichkeiten umfasst; vor allem Raub, Arrest, aber auch
andere Unglücksfälle. Es kommt hier ferner in Betracht der
vom Unternehmer nicht verschuldete Untergang der Sache.
Dieser Fall ist in der Lehre von der Haftung des Unternehmers
für die Rückgewähr des Stoffs zu behandeln.
Das deutsche Recht gewährt in diesen Fällen dem Unter-
nehmer den Anspruch auf Lohn, mindestens soweit er verdient
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ist. Es ist dies klar für den Erziehungsvertrag und den Fracht-
vertrag ausgesprochen. Eine gesonderte Stellung nehmen jedoch
diejenigen Werkverträge ein, bei denen es sich um Verarbeitung
eines übergebenen Stoffs handelt. Lässt man hier den Fall
des zufälligen Untergangs des Stoffs zunächst ausser Betracht,
so ergibt sich nur der Rechtssatz, dass echte Not den Unter-
nehmer von der Erfüllungspflicht befreit. Hat er das Werk
noch nicht begonnen, so hat er selbstverständlich keinen Lohn-
anspruch. Ist das Werk in der Ausführung begriffen, so wird
man annehmen dürfen, dass in der Regel kein Lohnanspruch
bestand. Wurde der Schuster in den Turm gesetzt, oder zog
er in des Reichs oder der Stadt Dienst ins Feld, so trug der
Besteller die halbfertigen Schuhe wohl zu einem andern Meister;
ob er dem ersten dann einen Lohn zu zahlen hatte, mag zweifel-
haft sein. Es ist gerade eine Eigentümlichkeit der Werkver-
dingung, dass der Unternehmer die Gefahr der Herstellung
des Werks trägt. Die Rechtsanffassung, die ihm erst nach
Vollendung einen Lohnanspruch gewährt, verträgt sich nur so-
lange mit dem Grundsätze der Billigkeit, als sie den Unter-
nehmer, der unverschuldet, wie in obigem Falle, umsonst seine
Arbeit auf das Werk verwendet hat, durch den Bereicherungs-
anspruch gegen den Besteller, der vielleicht den fast fertig
bearbeiteten Stoff in Händen hat, schadlos hält.
Man wird annehmen dürfen, dass in solchen streitigen
Fällen trotz Fehlens einer theoretisch ausgebildeten Bereiche-
rungsklage die Rechtsauffassung der Richter dieseu Er-
wägungen entsprach.
D. Die Rückgewähr des Stoffs und die Haftung des
Unternehmers hiefür.
1. Vorbemerkung.
Die mittelalterlichen Quellen enthalten über die Pflicht
des Unternehmers, den Stoff zurückzuerstatten, und über seine
Haftung weitaus die meisten Rechtssätze. Diese Frage schien
nach der allgemein herrschenden Anschauung die wichtigste des
ganzen Rechts über den Werkvertrag zu sein. Es ergibt sich
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dies daraus, dass die Gefahr des Verlustes der Sache für den
Besteller die grösste war. Durch Verlust oder Beschädigung
des Stoffs konnte der Besteller am schwersten benachteiligt werden.
Hierüber entstanden offenbar die meisten Streitigkeiten , dem-
entsprechend mussten sich die Rechtssatzungen hierüber äussern.
Durch die Übergabe und Annahme des Stoffs zur Verar-
beitung trat keine Veränderung im Eigentum ein. Es blieb
beim Besteller. Das heutige Recht hat bekanntlich den Grund-
satz des Eigentumserwerbs durch Verarbeitung, und bedarf
daher beim Werkverträge der Konstruktion, der Unternehmer
wolle für den Besteller durch Verarbeitung das Eigentum er-
werben. Das deutsche Recht kannte jedoch den Grundsatz der
Spezifikation noch nicht. Verarbeitet einer wissentlich fremden
Stoff, so gehört das Arbeitserzeugnis dem Eigentümer des
Stoffs, tut er es unwissentlich, so muss er auch in diesem Falle
das Werk herausgeben, hat aber Anspruch auf Lohn und
Schadensersatz. Schwabenspiegel c. 325, 329 (Wackernagel) ;
Entscheidung des Oberhofs zu Iglau vor 1416 (Tomaschek
Nr. 228), ferner Alte Culm. V 71, 72 mit dem weitern Zusatz:
Verlangt der Eigentümer im Fall der unwissentlichen Verar-
beitung Herausgabe des Stoffs, da er an dem Werk kein Inter-
esse hat, so kann der gutgläubige Verarbeiter die Sache so
hoch als möglich verkaufen, und soll aus dem Erlös dann nach
Möglichkeit den Rohstoff kaufen. Wiederholt im jus Culmense
ex ultima revisioue III. Buch 1. Titel 4. und 5. Kap. Über-
einstimmend, jedoch offenbar römischrechtlich beeinflusst (Paul.
1. 4 § 20 D. de usurp. 41, 3) sagt das Brünner Schöffenbuch
316: „Si ex lana furtiva vestimentum feceris, vestis erit furtiva
. . Dagegen trägt das Rechtsbuch Johann Purgoldts HI
60 ff., 70 (herausg. v. Ortloff) unter Berufung auf das „ kaiser-
liche Recht“ römisches Recht vor. Der gutgläubige Verarbeiter
erwirbt das Eigentum und ist schadensersatzpflichtig, war er
bösgläubig, so hat er den entgangenen Gewinn doppelt zu er-
setzen; in III 70 wird auf den höheren Wert der Verarbeitung
abgestellt. Ebenso der Richterliche Klagspiegel 49. Bl., wo-
nach es gemäss Justinianeischem Recht darauf ankommt, ob
die Sache in den früheren Zustand zurückgebracht werden
kann. Vgl. auch Gierke, Deutsches Privatrecht II S. 584.
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2. Die R ilckyre « silir dos Stoffs.
a) Aus der Vertragsabrede ergibt sich die Pflicht des
Unternehmers, den Stoff zurückzugeben. Und zwar in derselben
Masse und derselben Güte, soweit sich nicht durch die Ver-
arbeitung notwendig hierin eine Änderung ergibt. In einer
Reihe von Rechtsquellen ist dieser Grundsatz noch ausdrücklich
ausgesprochen.
Es süllent auch alle müller und müllerin und alles ir
gesinde sweren . . . und oucli schaffen und bestellen das
jederman sin gewerde trocken heym komme, so verre sie
künnent oder mögent by dem eyde, one gevaerde; und
süllent oucli menglichem syn gewerde widerumb ant-
worten unvermenckelt, in solicher mosse und voii solichcr
guten gewerden, da es inen geantwortet ist. Strassburger
Müllerordnung von 1460 (Brücker S. 376).
Der snider sal getruwe und gewer sin uff deme hant-
werke deme armen also deme riehen. Wen her eyme sin
gewant nicht redelich antwerd, so tud her eyne dube.
Rb. nach Dist. V 13, Dist. I.
Ferner Art. 14 des Breslauer Ratsges. von 1360(Koru, Urkund. zur
Gesell, des Gewerberechts 1867 S. 119); Zürcher Ratserkenntnis
über die Bäcker aus dem 14. Jahrli. (Wyss, Gesell, des Kon-
kursprozesses S. 106); Strassburger Bäckerordnung von 1460
(Brücker S. 98), Strassburger Verordnung für Goldschmiede
1466 (Meyer S. 51), Lübecker Goldschmiedrolle von 1492 (Wehr-
mann S. 218), Rügisches Landrecht CXIV 3; Wendisch-Riigi-
anischer Landgebrauch 230. Titel; Weistum zu Niederolm Z. 9
(Grimm IV 597); Reform. Bayr. Laudr. von 1516 XL. Titel
3. Art.; Braunschweiger Echtediug von 1532 (Häuselmann
S. 338).
b) In bestimmten Fällen braucht der Arbeiter nicht die
ganze Masse des übergebenen Stoffs zurückzuerstatten, und
zwar da, wo nach der Natur der Arbeit sich gewisse Abfälle
ergeben. Nach Münchner Stadtrechtbrauch (Auer S. 270) darf
der Sügmüller die „schenv“ des Baumes (vgl. hierzu Schmeller,
Wörterbuch 2. Auf! II 463) abhauen und für sich verwenden.
Die Strassburger Goldschmiede dürfen nach der 1482 erlassenen
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Ordnung (Brücker S. 245) einen „Abgang“ nur dann in An-
rechnung bringen, wenn ihnen altes Geschirr zur Verarbeitung
übergeben wird. Der Abgang beträgt für die Mark ein halbes
Lot. Im Jahr 1584 wurde diese allgemeine Bestimmung dahin
abgeändert (Meyer S. 87), dass der Besteller das sich abrechneu
lassen muss, was beim ersten Guss in seinem Beisein abgeht.
Nach Rügischem Landrecht CVII, Wendisch -Rügian. Land-
gebrauch 221. Titel kann ein Schmied, der aus neuem Stoff
etwas macht, den 10. Teil in Abzug bringen, bei altem Stoff
den 8. Teil. Nicht hierher gehören die aus polizeilichen Er-
wägungen erlassenen Vorschriften, inwieweit die Goldschmiede
Legierungen verwenden dürfen, wie sie z. B. im Rb. nach
Dist. V c. 10 Dist. II ff. enthalten sind.
c) Um eine sichere Rückgewähr des Stoffs zu erreichen
und gegebenenfalls genau zu prüfen, greift das deutsche Recht
zu vorbeugenden Mitteln.
Nach einer Reihe von Bestimmungen muss sich der Unter-
nehmer eine Aufsicht des Bestellers oder seines Gesindes
während der Verarbeitung gefallen lassen. Diese Aufsicht er-
streckt sich nicht auf die Art der Verarbeitung, sondern be-
zweckt nur, Veruntreuung des Stoffs zu verhindern.
Was man deme möllere zeufurt adder her infurt, wen
her by tage nicht gefuren mag, daz sal her bewarn. Ge-
schege schade dorzcu , dene mus he irlegen. Wo abir
eyns gesinde selber by ist, den schaden darf her nicht
irlegen. Rb. nach Dist. V 4, dist. 16.
„. . . und solle (der Bäcker) dem armeu mann, oder
wer von seinetwegen im backhaus ist, darstellen ein sessel
und daruf ein küssen, daruf soll der arm mann sitzen
und dem becker zusehen, dass der becker ihme sein guth
zu nutz mache . . .“ Weistum zu Oberhilbersheim (Grimm
IV 604).
Es mag auch ein jeder bey seinem getrayd ze maln
selbs sein oder yemands von seinen wegen dabei ze sein
verordnen oder schickheu daran sollen die Mttlner aynen
yeden unverhindert lassen. Bayr. Landr. von 1516 XL.
Titel 3. Art.
Übereinstimmend Braunschweiger Echteding (Hänselmann S.338),
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Strassburger Bäckerordnung von 1460 (Brücker S. 98); Tiroler
reform. Landr. von 1573 (VI. Buch 39. und 82. Titel). Cliur-
fürstl. Pfälz. Landesordnung von 1582 26. Titel; Bayr. Land-
und Polizeiordnung von 1616 IV 8 Art. 7. Gesetzlich ist ferner
wiederholt festgelegt, dass der Münzmeister sich vom Münz-
herrn zur Verhütung von Veruntreuungen beaufsichtigen lassen
muss. Braunschweiger Ordinarius (Hänselmann S. 168); Strass-
burger Müuzorduung von 1470 Art. 9 (Eheberg, Münzwesen
S. 207). Auch vertragsmässig pflegt diese Aufsicht ausbedungen
zu werden, z. B. in dem Nürnberger Münzprägungsvertrag von
1594 (Mitteil, des german. Mus. I 235).
Weiterhin ist vielfach vorgeschrieben, dass vor der Ver-
arbeitung des Stoffs und bei der Ablieferung des Werks der
Stoff zur Wage gebracht werden muss. Goldschmiede müssen
bei der Übergabe des Metalls eine Probe des Metalls oder ein
„Gegengewicht“ geben. Es scheint dies eine schriftliche Be-
stätigung des Gewichts gewesen zu sein (Meyer, Strassb. Gold-
schmiedz. S. 50 erklärt den Ausdruck nicht). Lüneburger
Leinweberordnung von 1430 (Bodemann S. 149); Strassburger
Goldschmiedart. von 1534 Art. 44 (Meyer S. 87); Brauuschweig-
Lüneburg. Taxordnung von 1646 (augef. bei v. Berlepsch, Chro-
nik der Gewerbe III 281); vgl. auch Segesser, Rechtsgesch.
von Luzern II 374. Hierher gehört auch ein Urteil des Brünner
Schoffenbuchs Nr. 693 unter der Überschrift: Quod testimonium
factorum praefertur testimonio verborum. Der Schneider wird
beschuldigt, von 4'/s Ellen Tuchs '/* Elle für sich verwendet
zu haben. Sachverständige, die Älterleute des Amts geben ihr
Gutachten im Sinne der Klage ab. Der Kläger beruft sich
auch darauf, dass das Tuch vor der Übergabe „coram testibus
ad hoc assumtis“ gewogen worden sei, und dass das Gewicht
hiermit jetzt nicht übereinstimme. Der Beklagte erbietet sich
zum Beweis damit, dass das Kleid zertrennt und nachgemessen
werde. Diesem Beweisantrag wird stattgegebeu, „est enim con-
suetum, quod pannus mensuratur et non ponderatur“. Dagegen
war in Bremen das Wägen des Stoffs üblich:
So we scrodere wesen wil in unser stad. De scal van
alles weme de id van eme eschct, untvangen dat want.
dat he sniden scal by der wicht. Dar scolen wachscale
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wesen Unde weghen mit lode, unde scolen dat snedene
kleet weder antwurden under derselben wicht. Statuta
Bremensia 1303 (Oelrichs S. 28).
Schliesslich mag noch eine Bestimmung des Rechts der
Reichsstadt Rottweil (1315—1425) angeführt werden, nach
der der Bäcker Wische bereit legen muss, dass jeder das ab-
fallende Mehl aufwischen und heimtragen kann (Greiner, Das
ältere Recht der Rst. R. S. 249).
3. Der Zufall und die vom Unternehmer zu beobachtende
Sorgfalt.
Schon Stobbe (Vertragsrecht S. 290) hat betont, dass „die
Deutschen nicht so weit in ihrer Abstraktion gelangten, um
den Begr iff der Unglücks, Zufalls festzustellen und seine Merk-
male anzugeben, sondern dass es bei einer Aufzählung der ein-
zelnen Fälle blieb“. Dies gilt natürlich auch für das hier be-
handelte Rechtsgebiet. Die Fassung der Quellen ist zugleich
meist derart, dass die Haftung für Zufall und das Mass der
aufzuwendenden Sorgfalt zusammen behandelt werden.
a) Während die Rechtsauffassung über die Haftung bei
Diebstahl der Sache verschieden ist, ist sie im allgemeinen
eine einheitliche hinsichtlich der Fälle, die gewöhnlich unter
dem Begriff der „höheren Gewalt“ zusammengefasst werden.
Geschee aber eyn sulchis daz daz egenannte hantwerke
an ereil tuchen czwisschen des obgeschreben czeyt (d. h.
z. Zt. des Betriebs) in eren walkmolen ich t schaden emp-
fingen es were von herrewalt, von fures not adir yn gotes
gewalt, yn flute wene adir sust von rewbern ichs schaden
empfingen, des sollen die molherrcn nicht gelden. Ge-
schee abir andere ungelucke von dyberye adir umbe rysse
der tuche, so sollencz die molherren geldin adir by namen
alzo halden umbe solche dyberye unde rysse yn allir wise
und masse alz cs die obgenanten webirmeistcre haldin
mit erre gemeyne. Striegauer Walkmühlcnordnung von
1390 (Korn, Urk. z. Gesell, des Gewerber. S. 87).
Item wan ain schefman annymbt gevasst wegen, welher-
lay das wer, und vert dahin in stillem Wetter, und kumbt
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ain wetter an in auf dem wasser, das gots gewalt ist,
und das doch scheflewt an dem scheff sint, maister und
genossen, das inn gots gewalt das sclief nymbt, das sy
nicht sein gewaltig mugen sein . . . Befreiung von jedem
Anspruch. 1450 Rechte an dem Urfar zu Nussdorf (Grimm
III 704).
Gebit eyn man syn gewant eyme snyder tzu machene
. . . do vor he syn Ion von yeme nemen wil. her sal
is ym bewarn und unvorterbit wedir geben. Wirt is ym
abir vorstolen, her sal is ym gelden. vorbrente abir das
selbe beheltnisse. do her is ynne hatte, so en darf her
is nicht gelden ab her synen eyt dor tzu tut und sal
sweren das der braut aue syne warlose tzu körnen sy
und das her is nicht us gebrengen noch geretten künde.
Alte Culm. V 3, hinsichtlich des Brandes ebenso jus Cul-
mense ex ult. rev. 1767 IV 7. Titel cap. 9 S. 174 — 175.
... he (der Müller) mot ok tom körne und secken
van der tit an, dat de winde wert angeschlagen, wente
wedder up den wagen alle var und eventür stan, he konde
den bewisen, dat de möle durch blixen edder donner to
schaden kerne, dat anders is: Sehe to und wäre dine
möle. Rügisches Landr. LXXXXVII 11.
Wurde eme dat werk gestalen, mot de wewer waren,
edder vorbrant dorch sin eigen füer, keine de brand van
gades wedder edder van sines nabers füer, de wewer
drecht den halven schaden; it were denne na twelf weken,
dat he id bi sik gehatt hedde. Rügisches Landr. CXIV 7.
. . . si sub curru transeunte pons frangatur damnum
equorum et currus vector, damnutn autem bonorum eornm
dominus patietur. Brünner Schöffenbuch Nr. 157.
. . . der (Fuhrmann) soll seinem geheiss genuog thuon
und ihm sein guot uff' endt und ohrt auch zil und tag,
wie er verheissen hat, unverzogenlich antwortten, Vor-
behalten Gottes gewalt und Herrenzwang. Portenbeschluss
von 1557 (Börlin, Transportverbände S. 58).
Am reichhaltigsten ist die Aufzählung der „Unglücksfälle“ in
der Strieganer Walkmühlenordnung: Gottesgewalt, Feuer,
Wassersnot, Herrengewalt, Raub. Die Möglichkeit eines Ver-
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schuldens des Unternehmers ist nicht berücksichtigt. Dagegen
kommt es nach den andern Quellen darauf an, ob die Feuers-
gefahr vom Unternehmer verschuldet ist. So ausdrücklich nach
Culmischen Recht, das dem Unternehmer zugleich die Ver-
pflichtung auferlegt, sich um die Rettung des Guts zu bemühen.
Auf das Verschulden stellt auch das Riigische Recht ab, das
nach der Art der altern Rechtsbildung die Fälle anführt, in
denen ein Verschulden als ausgeschlossen gilt, oder angenommen
wird. Kein Verschulden ist möglicli bei dem durch Blitzschlag
entstandenen Brand, stets verschuldet ist der Brand, der vom
eigenen Feuer des Unternehmers kommt. Für den Weber ist
im besondern bestimmt, dass der Schaden, der durch Brand
von Gottes Wetter oder von des Nachbars Feuer entstanden
ist, vom Weber zur Hälfte getragen wird. Es ist nicht ganz
klar, wie dies aufzufassen ist. Man wird annehmen müssen,
dass der Weber den Wert des Garns zur Hälfte zu ersetzen
hat, aber auch Anspruch auf die Hälfte des Lohns hat. Wäre
dies letztere nicht der Fall, so trüge er ja mehr als die Hälfte
des Schadens. Möglich wäre allerdings auch die Deutung, dass
der Besteller den Stoff, der Unternehmer den Lohn verloren
habe. Für diese Auslegung würde der Brünner Schöffenspruch
sprechen, nach dem bei dem Bruch der Brücke der Besteller
= Verfrachter keinen Ersatz des Frachtguts verlangen kann.
Hierzu ist noch eine Bestimmung des Bamberger Rechts § 403
(Zöpfl S. 112) heranzuziehen, wo für den Fall des Schadens am
Frachtgut festgesetzt wird:
So sol der, des die hab ist, den schaden halben tragen
und der fürman den andern halbteil.
Bemerkenswert ist übrigens, dass der Weber nach RUgi-
schem Landrecht jene günstige Stellung verliert, wenn er das
Werk länger als 12 Wochen inne hat. Dann hat er es seiner
Saumseligkeit zuzuschreiben , wenn er den ganzen Schaden
tragen muss.
Allgemein gilt ferner der Satz, dass im Falle des Raubs
oder des Arrests des Guts der Unternehmer von der Haftung
befreit ist. Hier ist zunächst eine oberstrichterliche Entschei-
dung des Landgrafen von Thüringen von 1215 zu erwähnen (Ur-
kundenbuch des histor. Vereins für Niedersachsen Heft 3 Nr. 88).
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. . . abbas de Walkenried exposuit uobis qnod quidam
lioniines pannos suos ad fullandum alias res ad servandura
in grangiis abbatiae deposuerunt, quae a quibusdam ma-
litiosis hominibus simul cum propriis rebus inibi nocte
violenter ablata fuerunt, cumque his reddendis abbati
quaestio coram nobis moveretur, ad judicium calculus sen-
tentiae servabatur videlicet praefatum abbatem restitu-
endis rebus ablatis non teneri non obstante eo, quod mer-
cedem pro fullando acceperunt.
Der Tatbestand ist, soweit er die Werkverdingung betrifft,
nicht ganz klar. Man wird annehmen müssen, dass die Tücher
gewalkt, vielleicht abgenommen waren, sicher aber war der
Lohn bezahlt. Dass dieser vor Fertigstellung des Werks be-
zahlt worden wäre, ist nicht wahrscheinlich. Sonach war der
Werkvertrag beendet, und es lagerten die Tücher nur mehr
auf Grund Verwahrungsvertrags im Kloster. Somit kann die
Stelle nur vergleichsweise hier verwertet werden. Beachtens-
wert ist die Hervorhebung des gleichzeitigen Verlustes eigener
Sachen des Klosters.
Auf dieses Moment, das beim Verlust des Guts durch
Diebstahl von grosser Bedeutung ist, legt keinen Wert eine
Entscheidung des Frankfurter Oberhofs von 1401 (Thomas
S. 318):
ez were dann daz solich wäre raublich genomon oder mit
gerichte uffgehalden were.
Dagegen bringt das Wiener Recht mehr den Gesichtspunkt
der Sorgfalt des Unternehmers zur Geltung.
Fuert ain man kamerguet auf ainem wegsei und
wird beraubt auf der strass bei sunnenscheiu und bewaret
er das, als er zu recht sol, der gilt des kamerguet nicht,
wan es dem hertzogen verloren ist, der frid schaffen soll
in seinem lande. Verleust er aber das gnet ee die sunn
aufget, des morgens, und des abentz, darnach und sie
widerkumbt, der mues das guet zu recht selber gelten,
wann sich niemant verfruen noch verspäten sol mit kainem
guet auf der strass. Wiener Stadtr. A. 37.
. . . Chöment in darüber die rauber an, und nement
im daz guet, und verleuset er seinen roz damit, oder
Kotlien b Hoher, Werkvertrag t>
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anders, das sein ist, ze rechter zeit, weder ze spat noch
ze frue, und ist auch die strazz gevarn, die in der chauf-
raan haizzet varn, mag der fuerman das bewern, als recht
ist, und auch, daz er sein guet damit verlorn hat, er
giltet des guetes nichtes nicht. Vert aber der fuerman
ze frue oder ze spat auf der strazze und vert ein andren
strazze, denn in der chaufman hat haizzen varn, und ver-
leuset dem mann sein guet, wirt der fuerman sölicher
ding überwert, er muez das guet selber gelten. Wiener
Stadtr. A. 55.
Diese Stelle grenzt genau das Mass der vom Fuhrmann zu
beachtenden Sorgfalt ab, und bringt als Merkmal der subjek-
tiven Sorgfalt bereits auch den Verlust eigener Sachen des
Unternehmers. Vgl. weiterhin über die vom Fuhrmann zu be-
achtende Sorgfalt Börlin a. a. 0. S. 67.
Nicht hierher gehört der Fall eines Schöffenurteils der
Dresdner Handschrift ( Wasserschieben , Sammlung deutscher
Rechtsquellen S. 251), iu dem der Fuhrmann zugleich den Ein-
kauf der zu verfrachtenden Ware besorgt, und hierbei trotz
des Verlustes von Wagen und Pferden auch für den Fall der
Beraubung einzustehen hat. Vgl. hierzu Pauli, Lübcckische Zu-
stände III S. 86.
Eine eigentümliche Stellung nimmt der Seefrachtvertrag
ein. Es ist schon oben bei der Lehre von der Nichterfüllung
des Vertrags darauf hingewiesen worden, dass hier der Schiffer
mit seinem Anspruch auf Bezahlung der Fracht besonders
günstig gestellt ist. Entsprechend lautet ein Urteil des Lü-
becker Oberhofs von 1486 (Michelsen Nr. 183).
Is de scipper beneden der helffte des weges dar he vor-
vrachtet wes gebleuen, denne doruen eme de koplude
nicht mer dan de haluen vracht vor sodane duchtige gud
dat se weder entfangen betalen, unde moghen dat ander
unduchtige gud dem scipper vor de vracht laten beliggen.
Die Beklagten hatten geltend gemacht, dass die Waren infolge
der Versäumnis des Schiffers verbrannt seien, allein das Gericht
scheint darauf uicht eingegangen zu sein. Hinsichtlich des
Seewurfs galt allgemein der Grundsatz der lex Rhodia de
jactu, dass der Schade von Schiff und Ladung verhältnis-
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mässig zu tragen sei. Das Alte Liibische Recht Cod. II art. 134
bestimmt:
So war lüde sint an waternot linde er ghut werpet, dat
gut mot dat scbip uude de lüde, de dar gut hebben in
deme schepe, na marktale ghelden na deme alse jewelik
ghut mochte ghelden in der havene dar se to dochten.
Vgl. hierzu die bei Pauli III S. 88 angeführten Ratserkennt-
nisse, ferner Bremer Statuta von 1303 (Oelrichs S. 299), wo
noch bemerkt ist, dass, wenn das Schiff zu tief geladen war,
der Schiffer den Schaden allein zu tragen habe, auch Nowgo-
roder Skra II 38 (Frensdorff, Das statutar. Recht der Kaufleute
zu Nowgorod, in den Abhandlungen der Gotting. Gesellsch.
d. W. 34. Bd. S. 25).
b) Wird die Sache gestohlen, so muss nach einigen Rechten
der Arbeiter auch hierfür einstehen, nach einigen Rechten ist
er hiervon befreit, jedoch nur unter der Voraussetzung, dass
er die erforderliche Sorgfalt gewahrt hat. Äusseres Merkmal
hierfür ist der gleichzeitige Verlust eigener Sachen (s. oben
S. 81).
Wirt aber eime snider gewant enpfolhen unde wirt im
daz verstoln mit andern sime gute, mag er daz bereden
des sol er geniessen. Augsburger Stadtr. A. 133.
Und enpfilcht ein man ainem sein gewandt zu schneidern
oder zu machnn. und wirt es jm gestolnu. es sol der
Schneider gelten. Also ist es umb alles was man ainem
enphilcht. . . . unnd wirt mir aber mein guet gestolenn
mit ains anndern ich gilt sein nicht. Ruprecht von Frei-
sing I 149 (Maurer) und ähnlich in der von Westenrieder
herausgegebenen Handschrift I § 90 (S. 68).
Soror Pessoldi Salomonis conquerebatur super J. latii-
ficem, quoil sibi unum paunorum in suam habitationem
dedisset etc. Sententiatum quod reus suas cum dicto
panno perdidis.se probare deberet, alioquiu actori pannum
solvat, sicut ipse actor juramento suo valorem panni
comprobabit. Entsch. des Oberhofs zu Iglau vor 1416
(Tomaschek Nr. 166).
Ebenso Lüneburger Stadtrecht (Kraut S. 51) für den Diebstahl
des Frachtguts ohne das Erfordernis des Verlustes eigener
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Sachen. Einen Sonderfall nehmen aus eine Entscheidung des
Iglauer Oberhofs aus der 2. Hälfte des 14. Jahrh. (Tomaschek
S. 369) und das Glogauer Rechtsbuch cap. 600, 601 (Wassersch-
ieben). Nach der Entscheidung muss nämlich der Unternehmer
für das von seinem Gesinde gestohlene Gut aufkommen,
wiwol er sein gut domit verlewset, wenn semeleiche ar-
beiter sallen sich gesindes bewaren dem sie fremder lewte
gut getrawen.
Ebenso nach dem Glogauer Rechtsbuch, das sonst den Beweis
des Verlustes eigener Sachen zulässt.
Lediglich den Gesichtspunkt des Verschuldens des Unter-
nehmers bringt das Schöffenrecht der Dresdner Handschrift
(Wasserschleben, Sammlung deutscher Rechtsquellen I S. 111)
zur Geltung:
Gibt eyner dem andirn zcu machin gewant adir silber
adir andir ding was is sey, und man ym do von Ionen
zal vor seyne erbeit, vorburnet ym das in seyner gewere
adir wirt ym gestolen das her verwarlist das mus her
gelden noch seynen wirden und weide is yener tewir
rechen wen ist wert ist das sal her behaldin uff den hey-
ligen mit zeynes eynes liant.
Von ähnlicher Auffassung geht auch eine Bestimmung des
Augsburger Rechts (einzelnes Blatt 145, Meyer S. 246) aus:
Ist auch daz ainera lederer heute oder vel enpfolhen wer-
dent ze wurchen, werdent die verstoln, da ist umb recht,
wann er si an dem wetter haben möz und si ze allen
ziten niht besliezzen mack, mag er bereden zu den heili-
gen ob er ain unversprochen man ist, daz die heute oder
diu vel ane sine schulde und ane gevaerde verlorn sin;
der sol danne ledick sin und muz jener den schaden haben
der si im empfolhen het.
Dagegen muss nach einer grossen Anzahl von Rechten der
Unternehmer für das gestohlene Gut aufkommen. Nach der
oben angeführten Striegauer Walkmflhlcnordnung von 1390;
nach Lübischem Recht (Hach S. 347); Schwabenspiegel Art. 189;
nach einem Urteil des Frankfurter Oberhofs von 1401 (Thomas
S. 318); nach altem Culmischen Recht V 3, wogegen jus Cul-
mense ex ult. rev. IV 7 cap. 9 den Schneider zum Beweis zu-
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lässt, dass das Gut ohne seine Verwahrlosung gestohlen worden
sei, „da er es nebst dem seinen wohl verwahrt, aufs beste er
konnte“.
c) Wie schon aus der oben angeführten Stelle des Rechts-
buchs nach Dist. (V 4 dist. 16) sich ergibt, ist der Unter-
nehmer dann von der Haftung befreit, wenn der Besteller oder
dessen Vertreter während der Verarbeitung des Stoffs an-
wesend ist. Damit stimmt überein das oben erwähnte Weistum
zu Oberhilbersheim § 29 (Grimm IV 604):
. . . und der arm mann soll die beuth lassen als er sie
findet.
d) Es versteht sich von selbst, dass die oben angeführten
Stellen Uber den Zufall sich nicht nur auf den Untergang,
sondern auch auf die Verschlechterung der Sache beziehen.
Dies gilt vor allem auch für die noch zu besprechenden Stellen
aus dem Frachtrecht. Einige Rechte stellen hier auf die Sorg-
falt des Fuhrmanns ab, so das Münchner Stadtrecht A. 164
(Auer S. 64).
Ob ainer salz herfüeret umb Ion, und ob er dem ain
scheiben oder mer zerbrach, wirt er darum angesprochen,
tar er dann bereden, daz er die scheiben von seinen
trenn gefttrt hab, als er pest mocht, und auch den wagen
nicht umb hab geworfen auz der rechten wagenlaist, und
daz salz gedeckt hat, und gevarn sey an gevaerd, des sol
er geniezzen, ez mach dan ener war, als das rechtbuoch
sait, daz er im die scheiben verwarlost hab.
(Vgl. hierzu die auf den Handwerker bezügl. Stelle A. 176
und Bayr. Landrecht von 1346 IX 85 über den Hirten.)
Postquam vasi tractor in scalis et funibus seu vector
in curru vas habuerit, si debile fuerit et frangatur, vel
alio modo sine tarnen negligentia et improvidentia vasi
tractoris ant vectoris stillaverit et effundatur, damnum
tale vasis dominus sustinebit . . . Item si currus ad
aquam venerit quae plus solito inundaverit et excrevcrit
nisi vector vadum prius diligenter examinet et quaerat,
si aquam intraverit improvide, pro damno, quod in bonis,
quae ducit, acciderit, eorum domino respondebit. Brünner
Schöffenbuch Nr. 157.
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Ebenso lässt das Bamberger Recht XXXVIII § 402 (Zöpfl)
dann, wenn das Frachtgut Wein oder andere Getränke sind,
den Fuhrmann zum Entschuldigungsbeweis zu. Dagegen scheint
nach der Mehrzahl der Rechte dein Fuhrmann eine objektive
Haftung auferlegt worden zu sein.
Dingt ainer ainem fuorman wein auf umb Ion und ver-
schütt er den wein wie das geschieht, so sol der fuer-
man den wein halben gelten als er geschanfft ist, da er
geladen ist von dem selben fuorman. Bayr. Landr. von
1846 XXVII § 347.
Wiener Stadtr. A. 56 und Lüneburger Stadtr. (Kraut S. 51)
lassen den Fuhrmann den Wein oder das Gut ganz zahlen,
wogegen ihm wohl der Lohnanspruch bleibt ; so wenigstens nach
Brunner Schöffenbuch Nr. 156 b.
Sententiatum est quod vector ille, qui vas vini pervertens
effundit, tenetur domino vini solvere id ipsum vinum, prout
ipse dominus vini apud vos in loco emptionis comparavit,
et non prout dominus vult estimare. Et dominus tene-
tur vectori dare praetium de quolibet miliari pro rata
juxta couventionem inter eos celebratam.
Eigentümlich verteilt das Bamberger Recht § 403 die Haftung.
Die Schäden, die der Habe beim Fahren zustossen, sei es auf
dem ^rechten Weg oder ausserhalb der Strasse, sollen der Eigen-
tümer und der Fuhrmann je zur Hälfte tragen.
Aber wo die fure stille heldet unverlichen da gibt der
fürman nichts am schaden.
Vielfach ist ausdrücklich hervorgehoben, dass auch hier
der Unternehmer für seine Gehilfen einzustehen habe; Strass-
burger Tuchschererartikel von 1362 (Schmoller S. 8); Strass-
burger Goldschmiedartikel 1363 — 1410 Art. 9 (Meyer S. 4);
Strassburger Müllerordnung von 1452 (Brücker S. 375); Ent-
scheidung des Frankfurter Oberhofs von 1401 (Thomas S. 318).
Das Ergebnis ist: Das deutsche Recht befreit den Unter-
nehmer von der Haftung für die unversehrte Rückgabe des
Gutes in all den Fällen, wo nach der Art des eingetretenen
Unglücks ein Verschulden des Unternehmers unmöglich ist, vor
allem bei Wassersnot. Blitzschlag. Raub und Arrest. Es bringt
jedoch sehr bald den Gedanken zur Geltung, dass der Unter-
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nehmer das Gut nicht „verwahrlost“ haben darf, d. h. unacht-
sam behandelt, die erforderliche Sorgfalt ausser acht gelassen
haben darf. Es verpflichtet den Unternehmer zum Handeln,
er muss nicht nur unschuldig an dem Unglücksfall sein, son-
dern muss sich bemühen, das Gut zu retten. Das Mass der
aufzuwendenden Sorgfalt wird in einer Reihe von Fällen kasu-
istisch bestimmt, im allgemeinen wird die Sorgfalt gefordert,
die sich aus der peinlichsten Beobachtung aller berufsmässigen
Regeln unter Berücksichtigung der Vertragstreue ergibt. Als
Beweis der subjektiven Sorgfalt gilt da, wo dies nach Lage
der Sache möglich ist, der gleichzeitige Verlust eigener Sachen
des Unternehmers. Wo die Rechtssätze dies Merkmal nicht
erwähnen, darf nicht angenommen werden, es habe nicht ge-
golten, vielmehr kommt diese Möglichkeit des Verlustes eigener
Sachen in dem besondern Fall in der Regel nicht in Betracht.
Der Besteller, der den Unternehmer um sein Gut anspricht,
muss die „Verwahrlosung“ beweisen, kann er dies nicht, so
muss der Beklagte schwören, dass er das Gut behandelt habe,
„als er pest mocht“ unter Beobachtung aller gebotenen Vor-
sichtsmassregeln. Eine Sonderstellung nehmen der Seefracht-
vertrag und der Vertrag mit dem Fuhrmann ein. Hier ist die
Haftung des Schiffers durch die Eigentümlichkeit der Ver-
frachtung zur See beeinflusst, sowie durch die besonders be-
günstigende Behandlung des Lohnanspruchs.
Es werden demnach die Ausführungen Stobbes (Vertrags-
recht S. 247) durch die bisherigen Darlegungen bestätigt. Dass
der Handwerker „selbst den unverschuldeten Verlust“ trage,
ist ausgeschlossen. Es könnte dies höchstens für den Dieb-
stahl des Gutes zweifelhaft sein. Allein hierbei ist zu be-
achten, dass die Quellen, die sich für den Ersatz des ge-
stohlenen Gutes aussprechen, die Möglichkeit des Verlustes
eigener Sachen nicht ins Auge fassen, es also uicht aus-
geschlossen ist, dass auch nach ihnen der Beklagte sich durch
den Nachweis befreien kann, dass ihm keine Verwahrlosung
zur Last fällt. Lediglich der Diebstahl durch das Gesinde des
Unternehmers gilt immer als verschuldet.
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4. Die Recht« des Bestellers bei Verletzung der Rliek-
gew ährpflicht des Unternehmers.
a) Die bisher angeführten Stellen über die Haftung des
Unternehmers haben bereits erkennen lassen, dass der Unter-
nehmer, der den Verlust oder die Beschädigung der Sache zu
vertreten hat, Schadensersatz zu leisten hat.
Das mittelalterliche Recht behandelt weiterhin den Fall,
wo der Handwerker dem Besteller die Sache „vorhält und
nicht wiederum gibt“, oder die Sache „verwahrlost“ hat, meist
im Zusammenhang mit dem dinglichen Anspruch auf Heraus-
gabe, regelt die Bestrafung der „Untreue“, und die Verpflichtung
zu Bussen an das Amt. Dass hier der Unternehmer im Fall
der Unmöglichkeit der Herausgabe zum Schadensersatz ver-
pflichtet ist, ergibt sich schon aus den allgemeinen Rechts-
sätzen.
Die Schadensersatzpflicht für Verderb des Stoffs ist in
einer Reihe von Quellen ausdrücklich ausgesprochen. Frei-
berger Stadtrecht cap. XLV § 4; Strassburger Tuchscherer-
artikel von 1362 (Schmollet' S. 8); Lübecker Leinweberordnung
von 1425 (Wehrmann S. 322); Hamburger Färberart. von 1535
(Rüdiger S. 298); Lübecker Dachdeckerordnnng aus dem 16.
Jahrh. (Wehrmaun S. 196).
Liefert der Unternehmer zu wenig Stoff zurück, so hat
der Besteller das Recht, am Lohn den Wert abzuziehen, nach
der Strassburger Barchentschauordnung von 1537 (Schmoller
5. 161). Hierher gehört auch die Bestimmung des Niederolmer
Weistums § 10 (Grimm IV 598), wonach der Besteller solange
den Lohn einbehalten kann, bis der Stoff vollständig zurück-
erstattet ist.
b) Der Anspruch des Bestellers auf Schadensersatz geht
gegen den Unternehmer. Nach Freiberger Stadtr. XLV § 4, 5
haftet aber auch die Schneiderinnung für den Ersatz des
Schadens, der dem Besteller dadurch entstanden ist, dass ein
Mitglied der Inuung das Tuch verdorben, oder unterschlagen
hat. Ebenso tritt nach der Grimselordnung die Gemeinde
für den Schaden ein, den der Fuhrmann nicht zu ersetzen ver-
mag (Börlin a. a. 0. S. 64). Ob diese Rechtssätze eiue weitere
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Geltung auf unscrm Gebiete gehabt haben, lässt sich nicht
feststellen. Sie werden verständlich aus der mittelalterlichen
Auffassung der Genossenschaft, der eine Haftung der Genossen-
schaft für ihre Mitglieder ganz geläufig ist. Vgl. Gierke, Ge-
nossenschaftsrecht Bd. II S. 388.
c) Der Ersatz des Schadens kaun zunächst in der Aus-
besserung des teilweise verdorbenen oder beschädigten Stoffs
bestehen. Ltibisches Beeilt von 1294 (Hach S. 375); Ofner
Stadt recht A. 113 (Michuey S. 83), Wendisch-Rügian. Laud-
gebrauch 214. Titel. Das Lübische und das Ofner Recht be-
handeln übereinstimmend den Fall, dass der Schmied das Pferd
„vernagelt“. Er muss es anf seine Kosten heilen. Nach Ofner
Recht muss er dem Besteller ein Pferd stellen oder mieten,
mit dem er arbeiten kann. Ja ein reisiger Mann kann sogar
verlangen, dass der Schmied ihm ein anderes gleich gutes Pferd
gebe. Wird das Pferd nicht wieder hergestellt, so muss der
Schmied es nach Meinung guter Leute ersetzen.
Massgebend für den Wertersatz ist in dem besondern
Falle des Frachtrechts der Einkaufspreis, den der Verfrachter
gezahlt hat. Brünner Schöffenbuch Nr. 156 b, Wendisch-Rü-
gianischer Landgebrauch 214. Titel, Reform, bayr. Landr. von
1616 IV. Teil lila.
Dagegen ist nach einem Urteil des Lübeckischen Oberhofs
von 1492 (Michclsen S. 290) und nach Rügischem Landrecht
CXIV 4 der Wert zu ersetzen, den das Werk bei der Voll-
endung gehabt haben würde. Diesen Gedanken bringt auch
die Nowgoroder Skra II (Frensdorff a. a. 0. S. 25) bei Berech-
nung des Wertes der geworfenen Güter zur Anwcnduug.
Ist der Wert der Sache streitig, so hat der Kläger ihn
eidlich zu schätzen, so nach einer Iglauer Entscheidung vor
1416 (Tomaschek Nr. 166); dagegen wird, wie in den oben
angeführten Stellen des alten Lübischen und Ofner Rechts auf
die „Schätzung guter Leute“ abgestellt iu den Strassburger
Tuchschererartikeln von 1362 (Schmoller S. 8); in der Lübecker
Rolle der Schiffszimmerleute von 1560 (Wehrmann S. 405), in
den Lübecker Statuta III 8 § 16. Nach dieser Quelle wird
der Unternehmer gegen die Schätzung der guten Leute zum
Eid zugelassen, dass die Sache nicht mehr wert gewesen sei.
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90
tl) Der Ersatzanspruch des Bestellers ist nach Ofner Recht
an die Voraussetzung geknüpft, dass dem Schmied
„der statman pey nacht und pey tag zu wissen tue“, dass
das Pferd vernagelt ist (A. 113).
Diese Anzeigepflicht wird wohl allgemein gegolten haben.
E. Der Lohn.
1. Die Entgeltlichkeit gehört zum Begriff1 des Werkver-
trags. Es ist oben schon gezeigt worden, dass die Quellen
zur Unterscheidung des Tatbestands des Werkvertrags von
andern Verträgen vielfach das Erfordernis des Lohnes aus-
drücklich betonen. Die rechtliche Natur des Vertrags wird
nicht dadurch bestimmt, ob der Lolin als Ganzes für die ganze
Arbeitsleistung oder nach Zeit bemessen ist. Beide Formen
der Entlohnung kommen bekanntlich im Bau- und Anbringungs-
gewerbe vor. Es ist auch darauf hingewiesen worden, dass
vielfach die Entlohnung nach Zeit vorgeschrieben war (S. 8, 20).
Der Lohn unterliegt zunächst der Vereinbarung, die je-
doch in vielen Fällen an die von den gewerblichen Körper-
schaften oder den Stadt- und Landesbehörden erlassenen Tax-
ordnungen gebunden ist. Das Überschreiten dieser Verord-
nungen wird öfters mit Strafe bedroht, so der Art. 24 des
Strassburger Tucherbuchs 1400 — 1434 (Schraoller S. 29).
Der Lohn kann fest vereinbart sein, oder aber es wird
ein Höchstpreis festgesetzt, der nicht überschritten werden
darf, der wirkliche Preis wird dann auf Grund eines Sachver-
ständigengutachtens über das fertige Werk bestimmt (so bei
der Andingung des Grabmals an Adam Kraft 1490 Repert.
Bd. 25 S. 360 ft1.). Es bleibt also innerhalb des gesteckten
Rahmens auch noch ein Spielraum für das Ermessen des Be-
stellers. Auf demselben Gedanken beruht die weit verbreitete
Sitte, dem Unternehmer für besonders gute Ausführung eine
eigene Belohnung zu gewähren. Soweit diese im Vertrage ver-
sprochen ist, besteht dann ein Anspruch der Unternehmers
hierauf.
. . . Unde wo der erbenomede vorman szodane vor-
berorden tafelenn to der erbeuomeden stede, szo he ge-
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91
louet helft, woll bringeth, so willen eme de obgenanten
vonnnndere utb guden willen, noch eynen rinschen gülden
geuen unde vornogen. 1493 Fracbturkunde im Lübecker
Niederstadtbuch, Pauli III S. 147.
. . . unde dar en boven achtentich mark Lub. de ze
eme dorch frundschopp willen gesclienket liebben. 1463
Quittung über die Vergütung für Anfertigung einer Orgel.
Pauli III S. 150.
Nach einem Vertrag von 1191 erhält Tilman Riemenschneider
für besonders gute Ausführung ausser dein ausgemachten Lohn
noch 10 fl. (Tönnies, Tilman R. S. 80). Vgl, auch Mithoff
S. 309 und S. 12. Diese Sitte ist durchaus nichts Fremdes;
auch im heutigen Verkehr mit dem Lohnkutscher ist es noch
allgemein üblich, ein Trinkgeld zu versprechen, dessen Höhe
der Besteller bestimmt, ähnlich, wie in manchen Gegenden der
Baumeister für befriedigende Herstellung des Baus eine eigene,
nicht vertragsmässige Belohnung erhält. Es soll ebeu durch
derartige Sonderversprechen, die tatsächlich einen Teil des
Lohnversprechens bilden, der Unternehmer zu besonderm Fleiss
und Eifer angespornt werden.
Ist eine Vereinbarung nicht getroffen, und besteht auch
keine Taxordnung, so sollen die Handwerker „ein gewöhnlich
Lohn“ nehmen, um „ein bescheiden pfenning“ arbeiten; Recht
der Reichsstadt Rottweil (Greiner S. 511).
Item ein gewonlich Ion sullen sy von irer arbeit nemen
und nymands obirsetzen ; wurden sy abir ymamls zu hoch
obirsetzen wullen, mag yn der ratli das Ion selbs setzen.
Innungsartikel der Freiberger Goldschmiede von 1466 § 9
(Ermisch S. 291).
Nach Bamberger Recht § 405 (Zöpfl S. 112) sollen die Meister
des Handwerks auf ihren Eid erkennen, ob der Handwerker
den Besteller „übernommen“ hat. Dagegen wird der Arzt nach
Rügischem Landrecht CXXVII1 2 bei Klage wegen „Über-
setzung“ zum Eid zugelassen.
In den ländlichen Verhältnissen findet sich vielfach im
Verkehr mit dem Fährmann die Übung, dass die Markgenossen
eine einmalige, jährliche Leistung dem Fergen machen, so dass
Entlohnung für den Einzelfall nur bei Fremden- und bei ausser-
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92
ordentlichen Transporten z. B. von Wagen eintritt. Vgl. Hof-
recht zu Wangen § 20 (Grimm IV 353), Öffnung von Üsslingen
1420 II § 16 (ebd. V 117), Weistum v. Kuessenberg 1497
(ebd. V 221).
2. Der Lohn kann in Geld oder Naturalien bestehen.
Naturallohn findet sich in ganz Deutschland bis ins 18. Jahrh.
beim Vertrag mit dem Müller. Er besteht in eiuem Abzug des
10. Teils oder eines andern Masses von dem Stoff. Rechtsbuch
nach Dist. V 4 dist. 18; Herrschaftsrecht v. Büron (Zeitschr.
f. Schweiz. R. V 112); Augsburger Stadtr. A. 14 § 24; Engel-
berger Thalrecht 1483 (Zeitschr. f. Schweiz. R. VII 29); Bayr.
Landr. von 1346 XXVI 337 ; Rügisches Landrecht LXXXXVII
3 ff., Reform. Bayr. Landesordnung von 1616 IV 8; Reform.
Tiroler Landrecht von 1573 VI 44. Vgl. auch Segesser, Rechts-
gesch. von Luzern II S. 374.
Das Verbot des Naturallohns tritt vielfach in den Städten
auf.
Wir setzen auch daz man allen hantwerchen, die in
beideuthalben wurchent wan bereit phenuing ze lone geben
schol und dehein wert.
Regensburger Stadtr. 1259 — 1314 (v. Freyberg V S. 95), über-
einstimmend Oberehnheimer Weberartikel von 1391 (Schmoller
S. 343), Lübecker Färberrolle von 1500 (Wehrmann S. 488),
Lübecker Rolle der Zimmerleute von 1503 (ebd. S. 466), Ord-
nung der Harter in Ulm 1521 (Nübling S. 58); Strassburger
Tuchschererartikel von 1545 (Schmoller S. 70), wonach als Lohn
Tuch nur insoweit gegeben werden darf, als der Unternehmer
es im eigenen Hause braucht. Massgebend scheint demnach
vor allein der Schutz der andern Gewerbe gewesen zu sein.
Der unserm Truckverbot zugrunde liegende Gedanke kommt
klar erst in einem Nürnberger Ratserlass von 1715 zum Aus-
druck, wo zum Schutze der kleinen Handwerker deren Be-
zahlung in barem, gutem Geld angeordnet wird. Struve III 3
cap. 9 § 27. Nach böhmischem Bergrecht (Zycha I S. 306) ist
Entlohnung in Rohmetall unzulässig.
Geldlohn kann als ganze Summe auf einmal, oder auch in
in Raten ausgezahlt werden; verschiedentlich wird er zum Teil
als Rente, Leibgeding festgesetzt; z. B. in dem Vertrag zwischen
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dem Rat zu Liegnitz und Nickil Smed über Anfertigung eines
Altarbilds 1481 (Anz. f. d. Kunde der deutschen Vorzeit
Bd. 24 S. 296), wonach der Unternehmer hierfür 270 fl. erhält:
Sundir hundirt goldiu davon sal man im off dy genante
kircbe u. 1. fr. vorschribin lossin, 8 marg geldis jerlicher
czinse zu leibrenten, als off zweue leibe, off en und sein
weib und welchs undir en abestirbet, so sal seyne helffte
desselben verstorbenen komen an dy kirche und loss
sterben . . .
Vielfach kommt Naturallohn neben Geldlohn vor. Z. B.
erhalten die Meister beim Bremer Rathausbau ausser dem Lohn
Beträge „to Bere“ (Biergeld) oder „to terynge“ (Zehrung); dies
deutet darauf hin, dass früher die Naturalien wirklich gegeben
wurden, und dass erst später an ihre Stelle der entsprechende
Geldbetrag trat. Bei der Andingung des Turmes zu Samencz
1480 (Anzeiger Bd. 24 S. 210) werden dem Unternehmer ausser
24 M. zwei Seiten Fleisch und andere Naturalien versprochen.
Der Zimmermeister Hinrik Berndes erhält für die Errichtung
der Spitze des Peterskirchturms in Hamburg 1516 (Mithoff
S. 33) ausser dem Arbeitslohn 2 Wispeln Malz und einen halben
Brau Bier, 10 Ellen feinen englischen Tuchs von bestimmter
Güte und freies Logis. Der Maler Bruyn erhält 1529 für die
Anfertigung des Altarbilds in St. Viktor zu Xanten den Lohn
in Raten, und ausserdem ein Leichentuch zu 10 Ellen für sich
und seine Frau,
„up dat Hy oick to vlietiger und guete arbeit dair anne
kieren sali sonde arglist“
(Beissel, Gesch. der Ausstattung S. 12). Vielfach arbeiteten
die Meister geradezu in der „Kost“ des Bestellers, z. B. Til-
man Riemenschneider (Tönnies S. 276). Ähnlich bei der Ver-
dingung des Chorgestühls für die Predigerkirche in Freiburg
1302 (Fontes rer. Bern. IV 112).
Im vorstehenden ist schon angedeutet, dass auch die Frau
des Meisters oft einen Anteil an der Belohnung zugesichert
erhielt; oder es wurde ihr auch freiwillig eine „Verehrung“
gewidmet. So erhielt Michael Wohlgemut für den Schwabacher
Altar 600 fl und seine Frau 10 fl zu „Leykauf“ (1508); die
Witwe Hans Behaims erhält 1615 bei Ablieferung des von
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ihrem Mann gefertigten Leuchters eine „Verehrung“ von 36 fl.
(Mnmmenhoff, Rathaus zu Nürnberg S. 120); 1619 wird bei der
Verdingung einer Orgel an Lukas Behaim dessen Frau „ein
guter Leykauf“ zugesichert (Anzeiger Bd. 29 S. 6). Die Be-
zeichnung Leykauf darf nicht dazu verleiten, diese Verehrung
an die Frau mit dem die Obligation begründenden Weinkauf
zusammenzubringen. (Leykauf heisst auch der Hebewein, der
Hans Multscher anlässlich der Vollendung eines Altarbilds ge-
währt wird; Reber in den SB. der Münchner Akad. 1898
Bd. II S. 17.) Es ist dies schon deswegen ausgeschlossen, weil
der Leykauf für den Fall der Erfüllung des Vertrags ver-
sprochen wird, also einen Teil des Lohns bildet. Wahrschein-
lich wurde in späterer Zeit, als die ursprüngliche Bedeutung
des Leykaufs immer mehr schwand, jede kleine Gabe an den
Vertragsgegner als solcher bezeichnet. Der Zweck dieser Sitte
liegt auf der Hand: Der Besteller wollte die Frau des Unter-
nehmers an der Erfüllung des Vertrags interessieren, und sie
so veranlassen, in diesem Sinne auf den Mann einzuwirken.
Auf einem ähnlichen Gedanken beruht die weit verbreitete
Sitte, dass die Gehilfen des Unternehmers ein Trinkgeld er-
halten. Soweit dies vertragsmässig vereinbart ist, besteht
selbstverständlich ein Anspruch hierauf. Es findet sich dieses
Trinkgeld in den beiden oben angeführten Verträgen aus dem
17. Jahrh., ferner in einer Xantener Baurechnung 1391; 1533,
1536 (Beissel, Gesell, der Ausstattung S. 2, 16), beim Bremer
Rathausbau 1405 als Badegeld; (Ehmck u. Schumacher S. 320);
vgl. auch Mithoff S. 458.
3. Wann entsteht nun der Lohnanspruch und wann ist er
fällig? Zunächst entscheidet hierüber die Vereinbarung der
Parteien. Wo Zahlung in Raten oder wo Zeitlohn vereinbart
ist, kommt es auf die festgesetzten Ziele an. Für den Er-
ziehungsvertrag treffen verschiedene Rechtsordnungen Bestim-
mungen. Nach Miinchuer Stadtrecht (Auer S. 286) ist das
Schulgeld an den Quatembern fällig, nach der Bestallung des
lateinischen Schulmeisters von Überlingen von 1465 (Mone II
S. 153) 8 Tage vor oder nach Fronfasten.
Für den Frachtvertrag bestimmt das Wiener Stadtrecht
Art. 55, dass der Fuhrmann, „als aller wagenleut recht ist“,
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innerhalb 3 Tagen zu entlohnen ist. Wann jedoch der Lohn-
anspruch entsteht, ob erst mit Vollendung der Reise oder schon
während derselben, geht aus jener Stelle nicht hervor. Es
ist oben bei der Lehre von der Unmöglichkeit der Leistung
gezeigt worden, dass die Mehrzahl der Rechte den Lohnau-
sprucli im Verhältnis des zurückgelegten Wegs entstehen lässt,
ja dass nach einigen Rechten der Frachtführer die halbe Fracht
beanspruchen kann, wenn er nur die Reise angetreten hat, die
ganze Fracht aber, wenn er mehr als die Hälfte des Wegs zu-
rückgelegt hat.
Bei der Verdingung eines Werks als Ganzen, also beim
Akkord, besteht ein Lohnanspruch erst mit der Fertigstellung
und gegebenenfalls der Ablieferung des Werks. Die Rechts-
quellen sprechen sich hierüber nicht ausdrücklich aus, allein es
ergibt sich aus dem Vertragsinhalt, der eben dahin geht, dass
der Arbeiter nicht für seine einzelnen Handlungen, sondern für
den Gesamterfolg entlohnt werden soll. Daher ist der Lohn
auch erst in jenem Zeitpunkte fällig.
4. Bei Verzug des Gläubigers mit der Lohnzahlung tritt,
soweit das Entgelt für den Werkvertrag das Privileg des lid-
lons geniesst (siehe unten S. 96), Verzugsbusse für den Gläu-
biger ein. So nach bayrischem Recht (siehe S. 96) und
nach einem Steinadler Weistum (St. Gallen) von 1462 (Grimm
V 187):
§ 29: Item wer sich lät beklaguen umb Ion, es si lidlon
ald ander Ion, so ist aines ainem ammen ze buoss ver-
fallen 3ß 3) und dem cleger 3ß ob es ervordert wird
vor gericht.
Nach Wiener Stadtr. A. 56 hat sich dieser ursprüngliche
Anspruch auf Verzugsbusse in einem Anspruch auf Schadens-
ersatz verwandelt:
swaz er (der Fuhrmann) des Schadens nimbt und fürbaz
zert mit seinen rossen, den sehol er ablegen dem, der ge-
fuert hat, darumb, daz er im lenger saumpt mit seinem
Ion denne recht ist.
5. Von besonderer Bedeutung ist die Frage, ob der An-
spruch des Werkvertragsunternehmers auf Vergütung die be-
günstigte Stellung des liedlon- Anspruches geniesst.
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I
96
a) Der Anspruch auf den „verdienten Lohn“ ist insofern,
besonders prozessual, bevorzugt , als der Kläger zum Beweis
seiner Forderung gegenüber dem Leugnen des Beklagten sofort
zum Eid zugelassen wird. Erfolgt eine Verurteilung, so muss
der Beklagte sofort bezahlen, das Verfahren ist im Interesse
des Klägers ein abgekürztes, summarisches. Das Vorzugsrecht
beim Tode des Schuldners beschränkt sich naturgemäss auf
den Gesindelohn. Vgl. hierzu Planck, Gerichtsverfahren I
439 ff.; Schröder, Rechtsgesch. S. 751; Stobbe, Vertragsrecht
S. 96; Hertz, Rechtsverhältnisse des freien Gesindes S. 89 ff.
b) Der liedlon, im Niederdeutschen auch menasne, bayr.
gearntz Ion, geordneter Ion, umfasst den Begriff Gcsindelohn,
dann weiterhin auch Arbeitslohn für einen, der nicht Gesinde
ist (Grimm VI 994; Hertz a. a. 0. S 85). Die Bezeichnung
liedlon für die Vergütung des Werkunternehmers findet sich
in einer Quittung Tilman Riemenschneiders über den Emp-
fang des Lohns für das Miinnerstädter Altarbild (Tönnies
S. 278) und in der Strassburger Tuchschererordnung von 1545
(Sclimoller S. 171) für den Lohn des Tuchscherers. Hieraus
kann ein Schluss nicht gezogen werden, da hier liedlon eben
einfach für Arbeitslohn gebraucht ist.
Eine sehr umfassende Bestimmung gibt das Herrschafts-
recht von Büron (Zeitschr. für schweizer. Recht Bd. V S. 117).
Item wer umb ein utzit dienet er sy Hantwerchman, sy
werchman oder burman, wer um ein utzit dienet mit
synen glydinen daz ist als lidlou.
Dies ist im allgemeinen die Auffassung der süddeutschen, vor
allem schweizerischen Rechte, die im Gegensatz zu andern
Rechten den liedlon nicht auf den Gesindelohn beschränken,
sondern auch den Lohn einzelner Handwerker hierunter be-
greifen. Das bayrische Landrecht von 1346 X 89 (Freyberg
S. 425) bestimmt die prozessuale Bevorzugung des garentz oder
gearntz Ion dahin, dass der Beklagte vor das nächste Ding zu
laden ist, und zur Zahlung innerhalb 14 Tagen zu verurteilen
ist, allenfalls verfällt der Beklagte in eine Busse von 72 ^
an den Richter. In dem folgenden § 90 wird erklärt, was
gearntz Ion ist:
Swaz der man verdient mit seinem pfluog, mit seinem vih,
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da der man selb oder seyn gedingter ehalt pey ist, daz
haizzt alles garentz Ion.
Gleichlautend Münchner Stadtrecht A. 136, 140; Reform, bayr.
Landr. von 1518 43. Titel 9. Art. und Reform, bayr. Landr.
von 1616 33. Titel 10. Art., Ruprecht v. Freising (II 83 Maurer;
II 57, 66 ff. Westenrieder) bestimmt:
So getanes recht habent-dienstpoten und alle die man ze
arbeit gewinnet ze tag oder Wochen.
Er bemüht sich dann weiterhin, den Begriff des gearntz Ion
gegenüber dem Preis, der beim Kauf gezahlt wird, ferner der
Pachtsumme klar zu stellen (II 66, 67 Westenrieder). Der
Lohn, den der Schmied erhält, wenn er mit fremdem Stoff ar-
beitet, ist gearntz Ion. „schuechlon ist geordentz Ion“ (Maurer
II 83). Es ist schon früher (S. 28) darauf hingewiesen worden,
dass aus der den Vertrag mit dem Schmied betreffenden Stelle
die rechtliche Natur des Arbeitsvertrags sich nicht ergibt.
Die Neigung, bestimmte Handwerker zu begünstigen, tritt dann
besonders im schweizerischen Recht hervor (vgl. Wyss, Gesell,
des Konkursprozesses der Stadt und Landschaft Zürich 1845
S. 108). 1484 wird in Zürich verordnet:
dass smidlon eines hufsmids, es sye zu beslahen oder ros
zu artznen, wie lang joch das stände, lidlon sin und
heissen solle, aber uff einen pflüg bestat wie von altem
harkommen ist, das es ein jar und nit fürer lidlon heissen
sol“ (Wyss S. 108).
Diese Bestimmung ist aufrecht erhalten in einer vor 1553 er-
gangenen Auffallsordnung, und nur aufgehoben für den Lohn
wegen Verarztens:
angesehen daz ein jeder das ross, so er geartznet, in siner
gewalt und macht hat, dasselb nit von banden zu lassen,
im sye dann zuvor umb sinen artzet Ion abtrag be-
schehen.
Es geht aus der altern Bestimmung klar hervor, dass es sich
hier nicht nur um Vergütung im Dienstvertrag handelt. Die
Beschränkung auf ein Jahr entspricht dem allgemeinen Rechte,
vgl. Sachsenspiegel I 22 § 2, Hertz S. 87.
Weitere Züricher Verordnungen dehnen dann das liedlon-
recht. ans auf „der wagner werch“, und auf den Weberlohn 1553
Uothenliücher, Werkvertrag 7
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und 1530 (Wyss S. 108, 112); die Praxis ging schon gegen
Ende des 16. Jahrh. noch weiter, so dass auch Sattler, Schneider,
Schuhmacher das Vorzugsrecht des liedlon genossen (Wyss
S. 113). Vgl. über diese Ausdehnungen auch Hertz S. 86;
Stobbe. Geschichte des Konkursprozesses S. 94; Sickel, Be-
strafung des Vertragsbruchs S. 169; A. Heusler, Bildung des
Konkursproz. nach Schweiz. Rechten (Zeitschr. für Schweiz. R.
7. Bd. S. 196, 197).
Die Vergütung des Arztes wird vielfach als lidlon bezeich-
net; 1496 in Zürich; 1534 in einem bei Grimm WB. VI 994
erwähnten Schreiben.
Auch die rechtliche Stellung des Anspruchs des Fuhr-
manns oder Schiffers ist nicht ganz klar. Während die Bremer
Statuta von 1428 III 7 (Oelrichs) die Klage um Fracht der
Klage um Geld gleichstellen, wird nach Rügischem Landrecht
CXXXII 2 der Anspruch des Schiffers der Klage um „gare
Kost“ gleichgestellt, die dieselbe Bevorzugung geniesst wie die
um Lidlohn (Planck, Gerichtsverf. I 442). Nach Wiener Stadtr.
A. 56 muss der Fuhrmann innerhalb 3 Tagen entlohnt werden.
Eine Abweichung von den für den lidlon geltenden Be-
weisregeln enthält das Rügische Landrecht CXVI Wendisch-
Rügian. Landgebrauch 233. Titel unter der Überschrift Van
betaling der handwerk und arbeideslüeden :
Se mögent mit eideshand jemand umme ere Ion beschul-
digen. wil averst der beklagede nicht schweren, deferirt
actori den eid, und des kan he sik nicht vorweigeru, he
hedde denne bewis und wat he mit sinem eide edder
sonst bewiset, dat betalet der beklagede.
Einen besondern Fall der Klage des Werkunternehmers
um Lohn behandelt das Regensburger Stadtr. (Freyberg V
S. 37): Der Werkmann darf schwören, was er an seiner Arbeit
verdient hat, wenn dies nicht durch Augenschein festgestellt
werden kann; diese Feststellung obliegt den „Werkleuten“.
Nach Augsburger Recht (Mayer S. 246) hat der Werkmann
den Eid schlechthin.
Die bisherige Darstellung zeigt, dass die Vergütung des
Werkunternehmers nicht allgemein als lidlon behandelt wurde.
Die Quellen schweigen, mit den wenigen partikularen Aus-
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nahmen, hierüber völlig, während sie den lidlon des Gesindes
und der Taglöhner fast durchweg ausgiebig besprechen. Es
ist dies auch völlig gerechtfertigt. In all den Fällen nämlich,
wo der Unternehmer die ihm vom Besteller übergebene Sache
anlässlich der Verarbeitung in Händen hatte, brauchte ihm eine
bevorzugte Stellung nicht eingeräumt zu werden, da er ja durch
den Besitz der Sache geschützt war. Er konnte, wie später
noch zu zeigen sein wird, das Werk zurückbehalten, ja weiter-
hin auch verpfänden, und sich dadurch befriedigen. Die Be-
günstigung des „gebrödeten Dieners“ und des Taglöhners aber
hat ihren Grund darin, dass der Gläubiger wirtschaftlich
schwach ist, in der Regel von der Hand in den Mund lebt,
meistens darauf angewiesen ist, zu wandern, und beim Ab-
schluss des Vertrags gezwungen ist, dem Dienstherrn zu kre-
ditieren. Alle diese Gründe fallen beim Handwerk weg. Sie
schlagen je nach den Verhältnissen mehr oder weniger ein bei
den schon früher besonders gekennzeichneten Werkverträgen,
wo der Unternehmer an ein Werk gedungen wird, um an
fremder Betriebsstätte einen Erfolg herbeizuführen. Hier ist
der Tatbestand ein ähnlicher wie beim Dienstvertrag. Wirt-
schaftlich steht dieser Unternehmer dem im Dienstvertrag
stehenden näher. Und hier mag auch vielfach die Vergütung
dem licdlon gleichgestellt gewesen sein. Mit dieser Auffassung
vereinbart sich sowohl die Erklärung, die Grimm (WB. IV 994)
gibt, wonach lid das ahd. lied, gang Wanderung sei, liedlon,
der Lohn, der beim Gehen aus einer Stellung bezahlt werde,
wie die Vermutung Schmellers, der lid mit dem altisländischen
lid, comes, auxilium, Gesinde in Verbindung bringt. Die Ety-
mologie des Wortes ist höchst unsicher, in beiden Fällen wird
jedoch ein Tatbestand vorgestellt, bei dem einer zu einem
andern in eine Stellung geht, oder aus ihr ausscheidet.
c) Mit der bisherigen Darstellung stimmt auch die Behand-
lung überein, die dem Lohnanspruch des Werkunteruehmers im
Konkurse eingeräumt wird, soweit für den hier in Betracht
kommenden Zeitraum ein Konkursrecht besteht. Abgesehen von
dem Honorar des Arztes für die Behandlung des verstorbenen
Schuldners in seiner letzten Krankheit (Stobbe S. 95), besteht
eine bevorrechtete Stellung des Werkvertragnnternehmers mit
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Ausnahme der bereits erwähnten schweizerischen Rechte nicht
(Stobbe S. 94; Heusler a, a. 0. S. 193, 196, 197). In Luzern
war den Handwerkern für ihre Ansprüche das Vorrecht des
liedlons insoweit eingeräumt, als sie nur ihre Arbeit, nicht auch
Material lieferten. Es kann hieraus ein Schluss auf das Vor-
liegen eines Werk- oder Dienstvertrags nicht gezogen werden,
vielmehr könnte dies nur für den einzelnen Fall festgestellt
werden. Eine bevorzugte Stellung geniesst der Schmied, und
verschiedentlich auch der Schneider und Schuhmacher nach
ländlichen Rechtsquellen. Hofrecht zu Loen 1363 und 1547
(Grimm III 156), Öffnung zu Langenerchingen im Thurgau
(Grimm I 269), Öffnung zu Wellhausen ebd. (Grimm I 252),
wonach der Anspruch der genannten Handwerker auf Ent-
lohnung dem Anspruch des Zinsherrn vorgeht.
In diesem Zusammenhang mag erwähnt werden, dass der
Handwerker nach bayrischem Rechte in seinem Lohnanspruch
insofern geschützt ist, als die Gläubiger des Bestellers das in
seinen Händen befindliche Gut nicht schlechthin arrestieren können.
Alle di gut gebent in die stat hintz antwerchsleuten daz
man is wirche, garn hintz dem webaer, haeut hintz dem
Ledrer, gewant hintz dem sneider, oder swelcherlay daz
sei, daz mag nieman verpieten. das ist dar um gesetzet,
daz der antwerchslaent niemand geraten mach (= ent-
raten = entbehren kann).
Ruprecht v. Freising II § 55 (Westenrieder S. 165); so auch
Rechtsbucli des Johannes Purgoldt VII 92. Vgl. ferner Weis-
tum von Pfeffingen 1344 (Grimm, Weistümer V 374) § 11:
Man sol auch nüt pfenden im bachofen, noch in dem (ge-
schirr) am schnider noch am weher.
Dasselbe bestimmt Münchner Stadtrecht A. 347 mit der Aus-
nahme:
an als vil, ob man an sogetanem werk frays (Gefährde,
dolus) erfür, oder ob jener, des daz werk ist, seinen geltern
fraydigen (flüchtigen) fuozz gesetzet hat, so mag man
sölichez werk datz ainem jegleichen hantwerchsman wol
verpieten mit fronpoten auf ein recht . . . (Vgl. hierzu
Auer S. 319).
Demnach kann das Werk nur beschlagnahmt werden bei arg-
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listigem Verhalten des Bestellers, oder wenn er sich seinen
Gläubigern durch die Flucht entzieht. Es ist hier also dem
Unternehmer die Stellung eingeräumt, wie wenn er ein ding-
liches Recht an der Sache hätte, und es ist dieses Privileg
ähnlich dem, das für die zur Stadt gebrachten Lebensmittel
nach Münchner Stadtr. Art. 379 gilt. Vgl. Planck, Gerichts-
verfahren II 379 ff.; v. Meibom, Pfandrecht S. 165.
6. Ausser der gerichtlichen Klage bestand für den Werk-
unternehmer noch die Möglichkeit, zu seinem Lohn mittels
Selbsthilfe da zu gelangen, wo eine gewerbliche Organisation
bestand. Es ist bei der Lehre von der Vertragsfreiheit schon
darauf hingewiesen worden, dass es vielfach verboten war,
von dem Schuldner eines Amtsbruders eine Arbeit anzunehmen,
bevor dieser bezahlt war. Nach den Strassburger Tuchscherer-
artikelu von 1362, 1460 und 1545 (Schmollet' S. 8, 171) konnte
demjenigen, dem Tuch zu scheren gebracht wurde, dies auf An-
trag des Gläubigers des Bestellers durch die Meister verboten
werden. Ebenso Schleswiger Rademacherordnung von 1699 bei
Struve III 3 cap. 9. Das Verfahren wird noch weiter aus-
gebaut in der Hamburger Wandbereiterordnung von 1547 Art. 12
(Rüdiger S. 286). Hiernach soll der Unternehmer den Besteller
den Morgensprachsherren und Werkmeistern ansagen, diese
sollen den Amtsboten dem Säumigen zweimal ins Haus schicken,
und zur Bezahlung innerhalb 8 Tagen mahnen lassen. Zahlt
der Schuldner nicht, so darf ihm kein Wandbereiter arbeiten,
bis er gezahlt hat. Auch der Wendisch-Rügianische Land-
gebrauch 221. Titel gestattet dem Schmied nur dann, einem
andern die Arbeit für seinen Schuldner zu verbieten, wenn er
den Schuldner vorher verklagt hat. Es handelt sich hier also
um eine Art von Boykott, der von der Rechtsordnung als
zulässiges Mittel bei der Zwangsvollstreckung anerkannt ist,
und dessen formelle Voraussetzungen genau geregelt sind. Das
zu beobachtende Verfahren entspricht durchaus den Forderungen
der Billigkeit,
Während aber dieser Boykott nur mittelbar den Schuldner
zur Bezahlung des Lohns zwingen soll, geht eine Bestimmung
des Strassburger Goldschmiedbuchs von 1465 Art. 15 (Meyer
S. 35) noch weiter:
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102
ouch so hant wir erkant, das, wer der were, der eime
iitzent schuldig were an unserm hantwerck von wcrckes
wegen daz er ime gemachet hat, und er sin werk darnoch
zu eirae andern trüge, so mag der, dem er also schuldig
ist, den houbtkannen nemen und dem gebieten, dem das
werck also bracht ward, das werck nit von handen zu
handen zu geben, der sige denn bezalt, von des wegen
ime denn das gebotten wart.
Hiernach kann und muss auf Gebot jeder Znnftgenosse das
dem Unternehmer zustehende Zurückbehaltungsrecht für einen
andern ausüben. Ähnlich die Oberehnheimer Weberartikel von
1391 (Schmoller S. 343) unter Berufung auf das Recht der
Stadt Hagenau. Es mag diese Übung weiter verbreitet ge-
wesen sein, allein in den rechtlich anerkannten Ordnungen
findet sich hierfür kein Anhaltspunkt. Eine Übertragung des
gesetzlichen Zurückbehaltungsrechts des Unternehmers ist seiner
Natur nach ausgeschlossen; es handelt sich hier vielmehr um
das selbständige Zwangsmittel einer gewerblichen Körperschaft.
F. Das Zurückbehaltungsrecht des Unternehmers.
1. Durch die Verarbeitung der Sache oder die Bewirkung
des Erfolgs entsteht auf Grund des Werkvertrags neben der
persönlichen Haftung des Bestellers für den Lohnanspruch des
Unternehmers noch eine Sachhaftung. Das Werk haftet dem
Arbeiter. Er kann das Werk zurückbehalten, wenn und so-
weit ein Lohnanspruch entstanden ist, bis zur Befriedigung
dieses Anspruchs. Unter derselben Voraussetzung kann er das
Werk versetzen:
Eyme kerstene, dem eyn Schröder gesneden want settet,
dar eu sal de gheue nicht mer ane liebbon, dan de schro-
dere dar ane vordent hevet. Dortmunder Statuten (Frens-
dorff S. 109).
Wer auch hie ze M. aim antwercksmann ichtz eut-
pfilcht ze machent und er das versatzti, e er es gemachti,
der sol ain manod von der stat und sol jms dennocht an
schaden lösen. Versatzti er das aber, so ers gemacht
hett, das sol er doch nicht tiurer tuon, denn umb sin Ion
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103
. . . Stadtr. von Memmingen von 1396 XLVI (v. Frey-
berg V S. 312).
Ein iglicb arbeiter mag daz guet oder daz dinck do
er an gearbeit han um daz Ion, daz er zu der zeit vor-
dienet bat, wol czn phant halten an dez richters Urlaub;
bab aber er czu andern zeiten icht verdient, daz schol
er mit chlag vor gericht vordem, sam ein recht ist.
Brunner Schöffenspruch (Einzelne Sprüche Nr. 197, Rössler
S. 393).
In demselben Sinne wendet sich eine Entscheidung (vor 1416)
des Oberhofs zu Iglau (Tomaschek Nr. 121) dagegen, dass
Schmiede die Möglichkeit, das zum Beschlagen übergebene Pferd
zurückzubehalten, dazu missbrauchen, sich eine Sicherung für
frühere Schulden des Eigentümers zu verschaffen. Wegen
dieser soll er den Rechtsweg beschreiten. Dieser Rechtssatz
wird ausgedehut auf Schuster, Schneider und andere Hand-
werker. Dass diese Entscheidung notwendig wurde, beweist,
dass das Zurückbehaltungsrecht des Unternehmers eine vielfach
gebrauchte Einrichtung war. Vgl. hierzu auch den von Kapras
(Das Pfandrecht im böhmisch-mährischen Stadt- und Bergrechte,
Breslau 1901, S. 80) mitgeteilten Rechtssatz gleichen Inhalts
des Lib. Theutob. Art. de impigneracione rei date ad laboran-
dum alicui artifici pro suo pretio.
In der Tat erkennen auch die meisten Rechte das Zu-
rückbehaltungsrecht im Zusammenhang mit dem Rechte, das
Werk zu versetzen, ausdrücklich an:
Lübisches Recht von 1294 (Hach S. 493); Hamburger
Stadtr. von 1270 VI 16; Verden Stat. 60 (Pufendorf,
observ. I 90); Stade Stat. von 1279 V 15 (ebd. 194);
Bremer Statuta von 1303 XXXVI (Oelrichs S. 90) wieder-
holt 1428 und 1433; Lüneburger Stadtrecht CXIII (Kraut
S. 79);
Gerichtsleufft zu Eisenach A. 60 (Anhang zum Rechts-
buch des Johann Purgoldt S. 369); Augsburger Stadtrecht
CXXXHI § 2 (Meyer S. 217); Ruprecht von Freising
II 55 (Westenrieder); Regensburger Stadtr. (v. Freyberg
V S. 37) ; Münchner Stadr. Art. 348 (Auer S. 135) und
einzelner Artikel 74 (Auer S. 284); Bayr. Landrecht von
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104
1346 X. Titel 86. Art., wiederholt in der Reform, von
1518 42. Titel 1. Art.
Auch noch die bayrische Reformation von 1616 32. Titel spricht
dem Arbeiter ein „stillschweigendes Pfandrecht“ an dem Gute
für seinen verdienten Lohn zu. Besteht aber zwischen den
Vertragsteilen ein „Irr“, so darf der Handwerker das Gut
nicht aufhalten, sondern muss obrigkeitliche Entscheidung ab-
warten. Arrest ohne gerichtliche Beihilfe ist also bei Wider-
spruch des Bestellers unzulässig.
Das böhmische Bergrecht (Const. Juris metallici Wenceslai II
Lib. I cap. 15 § 2 bei Zycha, Böhmisches Bergrecht 1900 Bd. II
S. 107) begrenzt das Zurückbehaltungsrecht hinsichtlich des An-
spruchs, für den es ausgeübt werden kann, und setzt ordnungs-
mässige Forderung des Lohns voraus:
Von den smiden und arbeitern und von irem lone . . .
Aber si mugen phenden nur umb di selbe wochen und
noch über ein wochen, die nehest vorgeende ist, umb ir
verdientes Ion, ab ir pergmeister, die das angehoret, das
nicht undernemen und stillen wollen.
(Die Stelle bezieht sich auf Fälle des Dienstvertrags und des
Werkvertrags, und zwar mit Zeit- und Akkordlohn.)
Nach Münchner Stadtrecht VII 80 (Auer S. 285) kann der
Schulmeister das Kind in der Schule pfänden, wenn der fällige
Lohn, den er durch einen Boten hat fordern lassen, innerhalb
8 Tagen nicht gezahlt ist. Übereinstimmend die Bestallung
des lateinischen Schulmeisters von Überlingen Art. 4 (Mone II
153), in Geltung von 1465—1629.
Im Frachtrecht war bereits vor dem 16. Jahrh. das Reten-
tionsrecht am Frachtgut mit pfandrechtlichen Wirkungen aus-
gebildet (Goldschmidt, Universalgesch. des Handelsrechts S. 302).
Auch hier bestand die Befugnis, die Waren zu versetzen, allein
mit ähnlichen Einschränkungen, wie sie oben erwähnt wurden
Portenbeschluss von 1599: dz nun fürohin keiner in
unsern 6 portten keinerlay kauffmanschatz hücher noch
weitter versetzen noch inlegen (Deponierung beim Sust-
meister oder in eines ehrlichen Manns Haus) solle, dan im
eben von demselbigen stuckh oder säum für sein fuerlohn
gehördt, und nit von anderen fuerlöhnen, oder andere
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105
schulden, wie dieselbig möchten genambset werden (Ber-
lin, Transportverbände und das Transportrecht der Schweiz
im MA., Zürich 1896, S. 72 ff.).
Vgl. zu dem Vorstehenden auch Schlegel berger, Das Zurück-
behaltungsrecht 1904 S. 40, 42 ff. , 66, 77 (Abhandlungen zum
Privatrecht und Zivilprozess Bd. XII 1. Heft).
Ausgeschlossen ist das Zurückbehaltungs- und Versetzungs-
recht des Handwerkers nirgends. Es könnte höchstens das
Braunschweiger Stadtrecht § 108 (Hänselmann, UB. I 110) an-
gezogen werden, das bestimmt:
We eynern scradere bringt want dar he ome cledcre van
snyden schal, vorkofft edder vorsed de gerader dat want,
me schal dem scradere volghen myt der veme.
Allein diese Stelle betrifft nur den Tatbestand der Unter-
schlagung, und es ist nicht ausgeschlossen, dass auch diesem
Satz gegenüber die Möglichkeit bestand, für verdienten Lohn
das Werk zu versetzen.
2. Das Recht des Arbeiters hinsichtlich der verarbeiteten
Sache gewinnt noch eine weitere Bedeutung dadurch, dass das
Werk nach einzelnen Rechten dem Zugriff seiner Gläubiger
oder wenigstens eines bestimmten Gläubigers, des Hausherrn
und Vermieters unterliegt.
wanne mau gelt awf eynen sneyder, oder auf eynen ment-
ler, oder awf eynen andern man, der semleicher arbeit
phliget, erstet und schol im dorum pfenden, so mag man
im ander lewt gut nicht genemen, den sundern um als vil
sain her seynes lones dennoch auf demselben gut hat.
Iglauer Entscheidung vor 1416 (Tomaschek Nr. 106).
Übereinstimmend Bamberger Recht XXXIX 404 (Zöptl S. 112).
Dagegen fassen nur die Pfändung durch den Hausherren ins
Auge die Dortmunder Statuten (Frensdorff S. 109):
Rumede eyn schrodere und leite gesneden want in der
were, dar eneyget dey worthere nicht mer af, dan wat
dey schrodere dar ane vordeynet hevet.
Übereinstimmend das Alte Lübische Recht von 1254 (Hach
S. 493) und Lübecker Statuta III. Buch 8. Tit. § 15; Bremer
Stadtr. von 1428 cap. 47 (Oclrichs S. 341) wiederholt 1433
(S. 529).
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106
Dagegen wird das Pfändungsrecht des Vermieters aus-
drücklich verneint in der Basler Gerichtsordnung von 1457
A. 67, 66. Danach kann der Hausherr zwar ein Pfandrecht
an den Gütern, Wein oder Korn austiben, die dem Mieter
gegen Bezahlung zum Einlagern übergeben wurden, nicht jedoch
an den dem Mieter zur Verarbeitung übergebenen Gegen-
ständen. So hatte bereits eine 1394 vom Rat zu Basel er-
lassene Entscheidung gelautet (Rechtsquellen von Basel Bd. I
Nr. 52) in einem Fall, wo einer dem Schneider geschnittenes
fremdes Tuch zum Pfand genommen hatte. Ebenso System.
Schöffenr. V cap. 4; Alte Culm. V 4 und jus Culmense ex ult.
revis (1767) III 5 § 5.
Es ergibt sich somit, dass mindestens zur Zeit der Ent-
stehung der angeführten Quellen der Rechtsstand verschieden
war. Auf jeden Fall scheint das Zugriffsrecht des Gläubigers
des Arbeiters, wenn schon anfangs nicht allgemein anerkannt,
später auch in den meisten Gebieten seiner ursprünglichen Gel-
tung zurückgetreten zu sein, da sich weitere Andeutungen nicht
finden. Immerhin deutet die ausdrückliche Betonung einzelner
Quellen, dass das fragliche Recht nicht bestehe, darauf hin,
dass das Zurückweichen nur ein langsames war.
Bemerkt mag schliesslich noch werden, dass das Zurück-
behaltungsrecht des Arbeiters in dessen Konkurse von den
Gläubigern gegenüber dem vindizierenden Eigentümer geltend
gemacht werden konnte. Vgl. Stobbe, Gesell, des Konkurs-
proz. S. 67.
3. Die eben vorgeführten Ergebnisse bringen zum Teil
schon Bekanntes. Das Zurückbehaltungsrecht des Unternehmers
ist ein Einzelfall des allgemeinen, in weitem Umfang geltenden
Satzes, dass der Gläubiger die Sachen des Schuldners, die er
in Händen hat, zur Befriedigung fälliger Forderungen in An-
spruch nehmen kann. Vgl. Laband, Vermögensrechtl. Klagen
S. 148; v. Meibom, Pfandr. S. 306. Das Zurückbehaltungsrecht
des Unternehmers umfasst, wie das Pfandrecht, die Befugnis,
die Sache zu versetzen, nicht jedoch, wie Stobbe, Privatrecht
2. Aull. II § 146 Note 30 und in der Zeitschr. für das Ges.
Handelsrecht XI 404 ff., annimmt, auch zu verkaufen. Das Pfand-
recht gewährt auch diese Befugnis, allein die Quellen sprechen
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107
nur von einem „versetzen“, nicht auch von „verkümmern“ oder
verkaufen des Werks. Die Verpfändung genügte auch dem
wirtschaftlichen Bedürfnis, der Arbeiter erhielt seinen verdienten
Lohn und nicht mehr. Würde man annehmen wollen, die
Sache hätte auch verkauft werden dürfen, so hätte der Kauf-
preis nur die Höhe des Lohns erreichen dürfen, der Wert des
Stoffes selbst wäre nicht bezahlt worden. Es ist klar, dass
es nicht die Absicht der Rechtsordnung seiu konnte, dem
Käufer so billig die Sache zu verschaffen.
Das Zurückbehaltungsrecht ist dem Arrest nahe verwandt;
es ergibt sich dies aus der Fassung der Quellen, die hervor-
heben, dass man keiner richterlichen Erlaubnis bedürfe.
Auch der Zugriff der Gläubiger des Unternehmers auf die
Sache des Bestellers ist keine Einzelerscheinung; vielmehr
findet sich eine analoge Befugnis des Gläubigers gegenüber
dem Drittschuldner in einer Reihe von Fällen, z. B. bei dem
Gläubiger des Leiheherrn gegenüber dem Leihemann, Sachsen-
spiegel I 54 § 1. Vgl. Meibom, Pfandr. S. 61, 306. Hiebei
ist nicht erforderlich, dass der Anspruch des Schuldners gegen
den Drittschuldner zuguusten des Gläubigers gepfändet wird,
sondern dieser ist kraft eigenen Rechts befugt, in Vertretung
des Schuldners auch gegen dessen Willen seine Ansprüche gegen
den Drittschuldner geltend zu machen. Vgl. Stobbe, Privatr.
II § 177.
4. Im Zusammenhang mit dem Verpfändungsrecht des Unter-
nehmers steht die nach den meisten Rechten dem Besteller und
Eigentümer des Stoffs eingeräumte Befugnis, das Werk beim
Dritten zu vindizieren, wogegen dieser den Anspruch auf Lösung
der Sache durch Zahlung des Lohns des Unternehmers geltend
machen kann. So nach Augsburger Stadtr. Art. 133 § 2; LUb.
Recht cod. II A. 193 und Lübecker Statuta III 8 § 17; Münchner
Stadtr. A. 348; Braunschweiger Stadtr. (Hänselmann, UB. S. 110).
Dagegen ist diese Vindikationsbefugnis ausgeschlossen und aus-
drücklich für den vorliegenden Fall die Geltung des Grund-
satzes „Hand wahre Hand“ ausgesprochen im System. Schöften-
recht V c. 7 und im Alten Culm. Recht V 6. Vgl. hierzu
Laband S. 82; Heusler, Institutionen II S. 214; Goldschmidt in
der Zeitschr. für das ges. Handelsrecht VIII S. 253 ff., die über-
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108
einstimmend die nach obigen Rechten bestellende Ausnahme
von dem Satze „Hand wahre Hand“ auf das (vermeintliche) „ur-
sprüngliche Hofverhältnis der Handwerker“ zurückführen. Der
freie Handwerker werde noch dem Dienstboten gleich behandelt,
der Gut seines Herrn veruntreut habe. Hiergegen macht Stobbe
(Privatrecht 2. Aufl. II § 146 N. 30) mit Recht geltend, dass
dem Eigentümer, dem doch nach jener Auffassung noch der
Besitz zustehen müsste, „nirgends die Klage gegen den dritten
Besitzer auch dann zugeschrieben wird, wenn die Sache dem
Handwerker gestohlen wird“. Stobbe erklärt vielmehr jene
Abweichung von dem Grundsätze „Hand wahre Hand“ durch-
aus befriedigend damit, dass nach den hier einschlägigen Rechts-
quellen der Arbeiter berechtigt sei, die Sache zu versetzen.
In der Tat muss logischerweise die Rechtsordnung da, wo sie
dem Unternehmer dies Recht einräumt, den Eigentümer au den
Dritten verweisen, und diesem hinwiederum den Lösungsan-
spruch einräumen. Es ergibt sich dies notwendig aus dem
Wesen dieser Rechtseinrichtung.
G. Das Ende des Werkvertrags.
Der Werkvertrag wird beendigt durch beiderseitige Er-
füllung des Vertrags, durch beiderseitig unverschuldete Un-
möglichkeit der Leistung, sowie durch den Rücktritt vom Ver-
trag, sofern das Recht hierzu beim Vertragsabschlüsse aus-
bedungen worden ist. Vgl. Waltzroder Vertrag Hans Brügge-
manns 1523 (Repert. Bd. 24 S. 125); Revers des Goldschmieds
Bayer 1531 (Mitteilungen des german. Mus. Bd. I S. 167). In
diesem Falle haben sich die Parteien das bis zum Rücktritt
vom Vertrag beiderseitig Geleistete zurückzugewähren.
Durch den Tod des Unternehmers wird der Vertrag in der
Regel nicht aufgelöst. Es ist dies im gewerblichen Verkehr
auch nicht veranlasst. In einer Frachturkunde des Lübecker
Niederstadtbuchs von 1463 (Pauli III S. 146) ist dies ausdrück-
lich ausgesprochen. Im allgemeinen schweigen allerdings die
Quellen hierüber. Beim Lehrlingsvertrag wurde der Vertrag
in der Regel mit dem Nachfolger des Meisters im Amt, dessen
Witwe, Sohn, Schwiegersohn fortgesetzt. Lüneburger Gold-
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109
schmiedordnung von 1400 (Bodemann S. 97); Hamburger Schiff-
bauerordnung von 1545 Art. 11 (Rüdiger S. 245). Soweit dies
nicht möglich war, konnte die Witwe den Lehrling bei einem
andern Meister „bestedigen“. Also schloss der Lehrling oder
sein Gewalthaber nicht einen neuen Lehrvertrag ab.
Bei Verträgen Uber bedeutendere Kunstwerke ergab sich
wohl meistens ans der Natur der Sache die Beendigung des
Werkvertrags beim Tod des Künstlers. Angedeutet ist dies
in der Vertragsurkunde über die Anfertigung des MUnnerstädter
Altarbilds durch Tilman Riemenschneider 1490 (Tönnies S. 276),
wo ausbedungen wird, dass für den Fall des Todes die Erben
Riemenschneiders den erhaltenen Vorschuss zurückzuzahlen haben.
Der Tod des Bestellers wird in der Regel keinen Einfluss
auf den Werkvertrag haben.
Ob der Besteller das Recht hatte, den Vertrag bis zur
Abnahme des WTerks zu kündigen, wird in den Quellen nicht
gesagt. Man wird annehmen dürfen, dass der Besteller bis zu
diesem Zeitpunkte allerdings den Vertrag kündigen durfte, dass
aber der Unternehmer den Anspruch auf das volle Entgelt in
diesem Fall hatte. Für das Gebiet des Seefrachtvertrags findet
sich eine Bestimmung in diesem Sinne in den Bremer Statuta
von 1303 (Oelrichs S. 291), wonach derjenige, der vom Vertrage
mit dem Schiffer zurücktritt, solange das Schiff noch nicht aus-
gelaufen ist, halbe Fracht zahlt, wenn aber das Schiff schon
drei Meilen seewärts ist, ganze Fracht zahlt („Fautfracht“).
5. Abschnitt
I)ic Zuständigkeit für die Geltendmachung der
Ansprüche aus dem Werkverträge.
Der allgemeine Satz, dass die privatrechtlichen Ansprüche
vor den ordentlichen Gerichten geltend zu machen sind, erleidet
vielfach eine Ausnahme oder Einschränkung da, wo die Arbeit-
nehmer in gewerblichen Körperschaften zusainmengeschlossen
sind, denen eine Gerichtsbarkeit über ihre Mitglieder zusteht.
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110
„Die Zunft war das Organ der zünftigen Gewerbe- und Sitten-
polizei und somit in vielen Angelegenheiten auch für die Un-
genossen erste Instanz“ (Gierke, Genossenschaftsrecht Bd. I
S. 397). Schon bei der bisherigen Darstellung war wiederholt
zu erwähnen, dass die Älterleute des Amts oder die Werk-
meister in vielen Fällen angegangen wurden, auf Grund der
ihnen von der Zunft übertragenen Gewalt dem säumigen Unter-
nehmer eine Frist zu setzen, das Werk zu beschauen, zu be-
gutachten, dass ferner vielfach der Richter bei Prüfung der
Mängel des Werks, oder Schätzung des Schadens an das „Er-
kenntnis der Werkmeister“ gebunden war (S. 53, 54, 59).
Inwieweit nun der Besteller gezwungen war. zunächst die
Gerichtsbarkeit der Zunft anzurufen, kann allgemein nicht fest-
gestellt werden. Es bemisst sich dies danach, inwieweit in
einer einzelnen Stadt die gewerblichen Körperschaften eine
selbständige staatsrechtliche Stellung, Autonomie und Gerichts-
barkeit erlangt haben. Hierbei ist auch noch zu berück-
sichtigen, dass diese Verhältnisse im Laufe der Jahrhunderte
innerhalb einer Stadt sich vielfach änderten. In Lüneburg
waren die Morgensprachen der Ämter nach einer 1554 für die
Schmiede erlassenen Rolle (Bodemann S. XXXI I) zuständig auch
für Zusagen, Gelöbnisse, Verträge, Kauf, Verkauf usw. ln
der Schneiderrolle von 1552 (Bodemann S. 227) heisst es:
Sprickt ein man to einem scroder, he hebbe sin want
nicht alle to sinen klederen, des schall men körnen vor
de werkmester; spreken de, id sy dar nicht, he schall id
ome wedder don; spreken se averst, id sy dar alle to,
de man is darum b dem schrodere nichtes plichtich, dat
he umme sin want sprak. Spricket he aver na des, dat
de werkmestere dat erschededen, dar mach men one umb
schuldigen. Bekant he, he mot id wedden mit dren pfun-
den; vorseket he des, he wert es los mit sinem ede. Id
mach neen radman up ene tugen na deine dat id eine
gewalt ist.
Ebenso muss noch nach der Basler Gerichtsordnung von
1719 (Reehtsqnellen I S. 765) derjenige, der behauptet, bei
einer Handwerkssache übervorteilt, oder durch schlechte Arbeit
geschädigt worden zu sein, die Klage bei den Vorgesetzten
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derjenigen Zunft erheben, iler der Beklagte angehört. Gegen
deren Entscheidung ist dann Berufung an das ordentliche Ge-
richt zulässig. Nach den Strassburger Goldschmiedartikeln von
1482 Art. 18 (Meyer S. 75) geht die Klage gegen den Unter-
nehmer, der den Stoff dem Eigentümer „vorhält und nicht
widernm gibt“ vor die Meister und das Gericht des Gold-
schmiedwerks, das gegen den Meister, abweichend von dem
Rechte anderer Städte, Entziehung des Amts verhängen kann.
Dasselbe gilt nach der Lübecker Goldschiniedrolle von 1492
(Wehrmann S. 218) und der Wismarer Goldschmiedrolle von
1380 (Crull S. I). Dagegen musste nach der Wismarer Gold-
schmiedrolle von 1543 (Crull S. III) Art. 5, der Goldschmied,
dem zur Erfüllung des Vertrags erfolglos eine Frist gesetzt
worden war, „vor den Herren“ verklagt werden. Auch in
Lüneburg scheint die Entwicklung später in dieser .Richtung
gegangen zu sein, denn 1614 wird in einer Leinweberordnung
bestimmt, dass „ohne und ausser eines ehrbaren Rats Gericht“
niemand auf eine Klage um das zur Verarbeitung übergebene
Gut zu antworten braucht. Nach bayrischem Landrecht, Frei-
berger Stadtrecht, Bamberger, Brünner Recht bestand nur die
Zuständigkeit des ordentlichen oder Stadtgerichts für Ent-
scheidung von Streitigkeiten aus dem Werkvertrag. Bayr.
Landr. von 1518 42. T. 4. Art.; Freiberger Stadtr. Zusatz 4
(1380) § 4, Zusatz 5 (1390) § 6 (Ermisch S. 279. 281); Bam-
berger R. § 405 (Zöpfl S. 112), Rössler, Stadtr. von Brünn
S. LXVI.
In Hamburg konnte nach der Wandbereiterordnung von
1547 (Rüdiger S. 286) Art. 12 der Besteller, der den fälligen
Lohn nicht zahlte, zweimal durch den Amtsboten zur Zahlung
gemahnt worden. Allein dieses Verfahren begründete keine
Zuständigkeit der Morgensprache hinsichtlich dieses Lohnan-
spruchs. sondern es bildete die förmliche Voraussetzung für das
oben bereits besprochene Verbot, das dann an die Amtsgenossen
erging, dem säumigen Besteller zu arbeiten.
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6. Abschnitt
I)io Bestrafung des Vertragsbruchs.
Die Bestrafung des Vertragsbruchs muss unter Berück-
sichtigung der wirtschaftlichen Verhältnisse erklärt werden.
Wo ein scharfer Konkurrenzkampf der Unternehmer herrscht,
jeder an der Erhaltung seines Kredits und seines geschäftlichen
Ansehens interessiert ist, genügt die zivilrechtliche Klage, um
dem Kunden Sicherheit für Erfüllung des Vertrags zu ge-
währen. Anders dort, wo mit dem Vertragsbruch für den
schuldigen Teil kein wirtschaftlicher Nachteil verbunden ist,
und er sich durch Wandern der gerichtlichen Inanspruchnahme
leicht entziehen kann. Für diese Fälle hat nicht nur das alte
Recht Strafen aufgestellt, sondern auch unsere heutige Rechts-
ordnung noch glaubt z. B. hinsichtlich der Dienstboten (vgl.
Bayr. Polizeistrafgesetzb. A. 106) und der Seeleute hiervon
nicht absehen zu können. Aber auch weiterhin besteht für das
mittelalterliche Recht ein Bedürfnis nach Bestrafung des Ver-
tragsbruchs darin, dass im Gewerbe dieser Zeit der Kunde auf
den Unternehmer und dessen guten Willen angewiesen ist,
da die Möglichkeit, sich anderweit Ersatz zu verschaffen, be-
schränkt ist.
Hierbei haben von vornherein polizeiliche Bestimmungen
auszuscheiden, wie das unter Strafe gestellte Verbot, im Akkord
zu arbeiten (Baumcisterbuch der Endres Tücher 1464 — 1475,
herausgegeben von Weech und Lexer S. 274), oder das Gebot
des Kontrahierungszwangs (z. B. hinsichtlich der Zimmerleute
und Steinmetzen nach einer Kölner Ratsverordnung, Ennen
S. 128), oder das Gebot, den zur Verarbeitung übergebenen Stoff
zu wägen (Bremer Statuta vou 1303, Oelrichs S. 28) und andere.
Es handelt sich hier nicht um Verletzung von Vertragspflichten.
Am zahlreichsten sind natürlich die Strafen, die auf Nicht-
erfüllung des Vertrags schlechthin gesetzt sind; aber noch
weiterhin tritt eine Differenzierung insoferne ein, als die Ver-
letzung einzelner Vertragspflichten, so die zur Leistung eines
Werks mit den zugesicherten Eigenschaften, oder zur Riiek-
gewähr des Stoffs gesondert behandelt wird.
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113
1. Das Verlassen des Werks, das vor allem im Baugewerbe
häufig ist und Nichterfüllung des Vertrags bedeutet, wird mit
öffentlicher Strafe bedroht. Münchner Stadtr. Art. 472 „dem
richter LX den., der stat i lib“. Lübecker Mauerleute- und
Dachdeckerordnung von 1527 (Wehrmann S. 332) „affweddenn
mith dren marckenn sulvers“. Lübecker Schiffszimmerleute-
ordnung von 1560 (Wekrmanu S. 405):
So averst hirentjegen dede, die schall dem Erbarn Rade
by dem wedde veer marck afwedden und up der lasta-
dien (Ort, wo die Schiffe gebaut werden) noch up der
brawinge nicht angenahmen oder ein arbeit darsulvest
vergönnt werden, ... bis das Werk vollendet ist.
Ebenso Nürnberger Polizeiordnung (Baader S. 286), Bayr. Landr.
von 1518 42. Titel 5. Art. Vgl. hierzu Sickel, Bestrafung des
Vertragsbruchs S. 162 ff.
Nach Bayrischem Landrecht von 1346 X 87 verfällt der
Lehrling, der seinem Meister entläuft, in eine Busse an den
Richter im Betrage von 72 Pf. ; hat aber der Meister durch sein
Verhalten gegen den Lehrling dessen Entlaufen gerechtfertigt, so
zahlt er die 72 Pfennig. Wer also den Vertrag bricht, zahlt die
Busse. Dieser Satz entspricht genau dem für den Gesindever-
trag geltenden des § 88 (Freyberg IV S. 425). Nach der
Lübecker Rolle für die Spinnradmacher von 1559 (Wehrmann
S. 449) darf ein Lehrjunge, der seinem Meister entlaufen ist,
von keinem Meister angenommen werden, che er „den Herren“
und dem Amte geweddet hat. Auch hier verfällt der Meister,
der den Jungen durch seine ungehörige Behandlung vertreibt,
in dieselbe Busse. Vgl. hierzu Sickel S. 122, 126 ff.
2. Die Lieferung schlechter Arbeit wird vielfach bestraft.
Strassburger Tuchschererartikel von 1362 (Schmoller S. 8).
Strassburger Goldschmiedartikel 1363 — 1410 Art. 9 (Meyer S. 4):
5 Schillinge in die Büchse des Amts. Hamburger Glaser- und
Malerordnung von 1375 Art. 7 (Rüdiger S. 90): 10 Schilling dem
Rat, 6 Pfenning dem Werk. Freiberger Stadtrecht XLV § 4
(Ermisch S. 249): Verlust des Amts. Lübecker Leinweberordnung
von 1425 (Wehrmann S. 322). Strassburger Müllerordnung vou
1452 (Brücker S. 375). Hamburger Kistenmacherordnung von
1519 (Rüdiger S. 136):
Bothoobttcher, Werkvertrag H
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114
Item weret, dat ein verdingede ein stuck welkes mit
enem meister düsses ampts, und dat so nicht gemaket
worde, dat idt kopmansware were, und klage darvan kerne
vor de olderlude, dat he sick dar denne nicht mit willen
aver en schickede, de schall dat wedden, na willkör des
rades und dem ampte eine tunne beers.
Lübecker Mauerleute- und Deckerrolle etwa um 1527 (Wehr-
mann S. 332) und gleichzeit. Dachdeckerrolle (Wehrmann S. 196):
einfache Wedde. Hamburger Allgemeine Bestimmungen über
Handwerksarbeiten 1563 (Rüdiger S. 129): gewillkürte Strafe
zum gemeinen Besten. Lübecker Zimmerleuteordnung von 1545
(Wehrmann S. 463):
und de mester scholl vor denn untruwen offte unvorsten-
digen arbeyt ghevenn dem ampte eine thunne beers.
Lübecker Schiffszimmerleuteart. von 1560 (Wehrmann S. 410).
Lüneburger Malerordnung von 1595 Art. 12 (Bodemann S. 165):
Strafe nach billigem Ermessen. Vgl. auch Sickel S. 167.
Die Strafen waren entsprechend der mittelalterlichen Rechts-
auffassnng in ihrem Betrage und in ihrer Höhe normiert, erst
seit dem 16. Jahrh. kommen Strafen „ nach Ermessen a auf.
Sie fallen je nach der Stellung, die die Zunft staatsrechtlich
einnimmt, an die Zunft, oder an das Gericht, oder an beide
Behörden. Meistens wird die Strafe von den Werkmeistern
verhängt; dies hängt zusammen mit der Gerichtsbarkeit der
Zunft über ihre Mitglieder. In der Fassung der Quellen kommt
vielfach zum Ausdruck, dass es die Verletzung der Vertrags-
treue ist, die gestraft werden soll.
3. Die Verzögerung der Vertragserfüllung durch den Unter-
nehmer wird gestraft.
Nach der Wismarer Goldschmiedrolle von 1380 (Crull S. I)
muss der Unternehmer, der in der ihm gesetzten Frist den
Vertrag nicht erfüllt, ein halbes Jahr des Amts entbehren.
Nach der Lübecker Leinweberordnung von 1425 verfällt der
Leinweber, der innerhalb der von den Werkmeistern gesetzten
Frist das Werk nicht liefert, in eine Busse von 3 M. an die
Herren, wovon die Meister 6 Pf. erhalten — wohl als Ge-
bühr für ihre Mühewaltung. Nach der Lübecker Maler- und
Glaserordnung von 1425 steht die Bemessung der Höhe der
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Strafe beim Rat (Wehrmann S. 329), 1560 Hamburger Schmied-
ordnung Art. 6 (Rüdiger S. 254) „inn poene tre punt und dem
arnpte einne tunne bers“.
4. Mit dem gemeinen Strafrecht trifft die Strafe für Ver-
letzung der Rückgewährpflicht zusammen, insofern der Tat-
bestand der Unterschlagung oder Veruntreuung gegeben ist.
Die Quellen behandeln den Fall, wo der Unternehmer den
Stoff nicht, oder nicht vollständig zurückerstattet, oder den
noch unverarbeiteten Stoff versetzt, oder das Werk zu einem
den verdienten Lohn übersteigenden Betrag verpfändet, fast
durchweg übereinstimmend. Bayr. Landr. von 1346 X § 86:
Der Arbeiter, der das Werk um mehr als den verdienten Lohn
pfändet, ist nicht nur schadensersatzpflichtig, sondern zahlt dem
Richter 72 Pfennig. Gleichlautend die Reformation von 1518
42. Titel 1. Art. und die Reform, von 1616 32. Titel 1. Art.,
ferner Schweidnitzer Schneiderstatuten mitgeteilt bei v. Berlepsch,
Chronik der Gewerbe II 230 (Busse von 4 Pfd., wer das Gewand
nicht zurückgibt); Münchner Stadtr. VII 4 (Auer S. 270): Der
Sägmüller, der mehr als die scherw des Baumes abhaut, zahlt
dem Richter 24 du. Lüneburger Schneiderordnung von 1552
(Bodemann S. 227): Der Schneider muss wedden mit 3 Pfunden.
Dagegen tritt neben die Busse die Strafe, „des Amts zu ent-
behren“ nach der Lübecker Goldschmiedordnung von 1492 (Wehr-
mann S. 218) und den Strassburger Goldschmiedartikeln von 1482
Art. 18 (Meyer S. 75). Die schärfere Strafe der letzteren Bestim-
mung ist wahrscheinlich dadurch mit begründet, dass in der wieder-
holten Weigerung, den Stoff herauszugeben trotz Befehls der
Meister ein Ungehorsam gegen die Zunft erblickt wird, der mit
Ausschluss aus dem Amt bestraft wird. Auch soll der Handwerker
dem Stadtgericht zur weiteren Bestrafung überwiesen werden.
Eine Ausnahmestellung schliesslich nimmt das Rügische
Landrecht CXIV § 3 ein:
Und lete einer uptehen bi bind bi stigetalen (Zahlmass
von 12 Ellen), de wever müten tales werdich sein und so
vele bind averantwerden. und tellede, dem dat garn hö-
rede, datsulvige und missede ein bind, dat sind 60 fedeme,
de wever löset den hals van der heerschop, betalet dat
garne brekt 3 pnnd an den kleger.
8»
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116
Hier ist also die Unterschlagung bestraft, und der Besteller
erhält die Busse des Unternehmers.
Vgl. zu dem Vorstehenden Löning, Vertragsbruch S. 396,
402 ff. und dessen Auffassung, dass „das deutsche Recht in dem
Wegföhren oder Verheimlichen einer anvertrauten Sache keine
Unrechtsform sieht, welche an sich eine, über die Rechtsvoll-
streckung hinausgehende Rechtsfolge erforderte, insbesondere
kein diebliches Behalten, keine Unterschlagung“. Dies wird im all-
gemeinen durch die vorstehenden Ergebnisse bestätigt, immerhin
sind in den Bestimmungen, die die Entziehung des Amts verhängen,
sowie in der des rügischen Landrechts schon Ansätze zu einer
strafrechtlichen Behandlung der Veruntreuung des Stoffs gegeben.
5. Die bisherige Darstellung lässt erkennen, dass die Be-
strafung des Vertragsbruchs vor allem seitens des Unternehmers
weit verbreitet ist, dass sie auch im 16. Jahrh. fortdauert, und
dass sie ursprünglich mehr kasuistisch geregelt ist, insofern
die einzelne Vertragspflicht besonders behandelt wurde. All-
mählich wird dann die Fassung der Bestimmungen allgemeiner,
die Strafen werden Ermessensstrafeu. Als Abschluss der Entwick-
lung in dieser Richtung kann die Bestimmung des Art. 10 der Lüne-
burger Leinweberordnung von 1614 (Bodemann S. 151) angesehen
werden, wo der Vertragsbruch schlechthin unter Strafe gestellt ist.
Würde auch einem Meister von Jemandem in oder ausser-
halb der Stadt Garn zu einem Werk gebracht, so er an-
nähme und zusagte, dasselbe in einer benanten Zeit zu
weben und zu verfertigen, käme aber seiner Zusage ge-
bührlich nicht nach, derselbe sol dem Ambte in willkür-
liche Strafe verfallen sein.
6. Die Verletzung der Pflicht des Bestellers, dem Unter-
nehmer die Vergütung zu gewähren, ist nur insofern unter
Strafe gestellt, als nach den einzelnen Rechten diesem Anspruch
des Unternehmers die Stellung des lidlons eingeräumt ist. In
diesem Falle verfällt der in Verzug befindliche Besteller, der
sich verklagen lässt, in eine Busse. Bayr. Landr. von 1346
X 89; und Reformation von 1518 43. Tit. 9. Art.; Münchner
Stadtr. A. 136; Basler Gerichtsordnung von 1457 Art. 62
(Rechtsquellen I S. 168); vgl. Hertz S. 99; Sickel S. 169 ff.
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III. Die Rechtsentwicklung seit dem Ein-
dringen des fremden Rechts.
Die bisherige Darstellung hat ergeben, dass das deutsche
Recht selbständig Regeln für den Werkvertrag entwickelt hat.
Es soll im folgenden nur noch in grossen Zügen der Gang
der weiteren Entwicklung gezeichnet werden. Es soll gezeigt
werden, inwieweit sich das deutsche Recht erhalten hat und
inwieweit das römische Recht aufgenommen worden ist.
1.
Das deutsche Recht ist in einigen Rechtsgebieten, vor allem
dem bayrischen, lübischen und rügischen, und zum Teil
dem Culmischen und Hamburger bis ins 18. Jahrhundert in
Geltung geblieben. Es ist diese Tatsache bereits bei der
früheren Darstellung berücksichtigt worden. Hierbei versteht
sich von selbst, dass das heimische Recht sich nicht überall in
allen Stücken, sondern bald in weiterem, bald in engerem Um-
fang erhalten hat. So wird man nicht bezweifeln dürfen, dass
reine Konsensualverträge überall anerkannt worden sind. Da-
neben finden sich doch noch Spuren, dass das Handgeld und
der Gottespfennig oder die arrha sich in ihrer alten Bedeutung
auf dem Gebiete des Werkvertrags erhalten haben. Voll-
ständige Teutsche Stadtrechte für Böhmen und Mähren (Wien
1721) De loc. cond. cap. IV, ferner de stipulationibus S. 390,
Lübecker Statuta (Lübeck 1728) III 6 § 6. Das Handgeld
und die arrha haben sich hier zum Reugeld entwickelt.
Das Mühlenrecht ist unverändert geblieben: Der Müller
wird noch in natura entlohnt, strenge Vorschriften betreffen
die Rückgewährpflicht, dem Besteller steht noch das Aufsichts-
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118
recht zu usw. Die Müller müssen noch die Ordnungen be-
schwören. Jülich-Clevesehe Polizeiordnung von 1558 (Mühlen-
ordnung), Tiroler Reform. Landrecht von 1573 IV 37 ff. Chur-
fürstl. Pfalz. Laudesordnung von 1582 Titel 26. Bayr. Land-
und Polizeiordnung von 1616 IV 8. Auch die Bauordnungen
ändern sich wenig, vor allem ist das Verbot, eine zweite Arbeit
anzunehmen, aufrechterhalten, daneben das Verbot des „Für-
kaufs“, das auch in allgemeiner Fassung in Tirol gilt. Württem-
berg. Bauordnung von 1567 p. CXXIII. Bayr. Landr. von
1616 32. Titel 2. Art. Neue reform. Landesordnung für Tirol
von 1573 VI 24. Dagegen tritt nach Württemberger Recht
die neue Vorschrift auf, dass über jeden Bau ein „Verding-
brief“ errichtet werden muss.
Das Recht des Lidlohns ist im Bayr. Landr. von 1616
33. Titel, sowie in den Schweizer Rechten aufrechterhalten,
die, wie gezeigt, es gerade in Beziehung auf den gewerblichen
Arbeitsvertrag weiter ausgebildet haben. Das Verpfändungs-
recht des Unternehmers am Werk ist anerkannt in den Lü-
becker Statuta III 17, Hamburger Statuta von 1619 II 9
Art. 18; ferner als „stillschweigendes Pfandrecht“ am Gut uach
Bayr. Landr. vou 1616 32. Titel 1. Art. Dagegen ist in der
Württembergischen Landesordnung von 1567 p. 117 unter den
wueherlichen und verbotenen Kontrakten angeführt, „wenn je-
mand einem Arbeiter auf seine Arbeit leiht“. Das Arrestierungs-
recht des Hausherrn hinsichtlich des Werks, das sein Mieter
für den Besteller aus dessen Stoff gefertigt hat, ist lediglich
in den Lübecker Statuta III 8 § 15 anerkannt. Vgl. hierzu
David Mevius, Comment. in jus Lubicense III 8 Art. 15 (p. 700).
Im weitem Umfang schliesslich hat sich das wesentlich
durch die Hanse entwickelte See f rach tr echt erhalten. Die
Hamburger Statuten von 1603 II 14 und die Lübecker Statuten
VI 1. Titel §§ 9 ff., § 12, 2., 3. Titel gehen, vor allem in der
Behandlung der Gefahr und des Frachtauspruchs, auf die alten
Hanserezesse zurück.
Auch die Rechtssätze über den Lehrvertrag, soweit sie
die Pflicht des Lehrherrn zur Erziehung betreffen, haben sich
erhalten, -wenn sie auch unter der loc. cond. abgehandelt werden,
so z. B. in der Nürnberger Reformation von 1564 II 17. (Von
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119
Hinlassung und Geständnis der Häuser und andern Güter, auch
Hinlassung und Verding der Personen.) Deutsches Recht hat
auch das Geldernsche Landrecht von 1619 IV 4 (Maurenbrecher,
Rheinpreuss. Landrechte 1830 — 1831 II S. 465) erhalten. Die
Überschrift des § 4 lautet: „Van dienstboden ende aenneminge
van Werke“.
2.
Allein nicht nur in jenen bestimmten Rechtsgebieten hat
sich das deutsche Recht erhalten. Vielmehr ist es weit darüber
hinaus in Geltung geblieben. Die Privatrechtsgesetzgebuug
regelte, wie schon das Beispiel der eben angeführten Quellen
zeigt, den Arbeitsvertrag nicht erschöpfend, ja viele Gesetz-
bücher behandeln ihn, oder zum mindesten den Werkvertrag
gar nicht. Auch da, wo das römische Recht formell und ma-
teriell aufgenommen wurde, wurde höchstens der eine oder
andere Rechtsatz kodifiziert. Man darf hieraus nicht den
Schluss ziehen, dass nunmehr das römische Recht als gemeines
Recht schlechthin ergänzend eingetreten sei. Vielmehr muss
behauptet werden, dass gerade auf dem Gebiete des Arbeits-
vertrags und im besondern des Werkvertrags, sich das Ge-
wohnheitsrecht erhalten hat, das ja schon zur Zeit der aus-
schliesslichen Geltung des deutschen Rechts von grösster Be-
deutung war. Das Gewohnheitsrecht hatte sich auf dem Grunde
der besondern wirtschaftlichen Verhältnisse seit Jahrhunderten
als ständige Vertragsübung entwickelt. Es war massgebend
bei der Abfassung der zahllosen Handwerks-, Zunft-, Gewerbe-
und Polizeiordnungen, die in Fortsetzung der mittelalterlichen
Statuten in den deutschen Territorien der Neuzeit erlassen
wurden. Mochten auch die römischrechtlich gebildeten Juristen
der deutschen Landesherren beim Erlasse von Gesetzbüchern
das gemeine Recht zur Geltung bringen, auf diesem Gebiete
mussten die tatsächlichen Verhältnisse, die auf ganz andern
gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Grundlagen beruhten,
als die des alten Rom, ausschliesslich berücksichtigt werden.
Die Volkswirtschaft hatte sich seit dem Ende des Mittelalters
in der hier in Betracht kommenden Beziehung wenig geändert,
vor allem das Gewerbewesen blieb in den vom Mittelalter ge-
schaffenen Formen bis an den Anfang des 19. Jahrhunderts
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120
stehen. Dies ist schon in der Literatur des 18. Jahrhunderts
anerkannt worden. Struve hebt in seinem Systema jurispru-
dentiae opificiariae 1738 I. Bd. IV. Buch cap. 7 de jure opificum
non scripto die grosse Bedeutung der „Handwerksbräuche“ als
Rechtsquelle hervor. Er bestimmt die Geltung des Justin ia-
neischen Rechts (I. Bd. 3. Buch 2. cap. VII) dahin:
. . . interim cum jure Justinianeo, tanquam recepto, in
Germania eommuniter utamur, non possumus ejus autori-
tatem ac usum pcnitus a foro opificum excludere.
Er bespricht einige Justinianeische Rechtssätze, bemerkt aber,
sie könnten
non ita crude ad praxim hodiernam causae opificiariae
transferri.
3.
Überblickt man die gemeinrechtlich beeinflussten Gesetz-
bücher der Neuzeit mit Rücksicht auf den Werkvertrag, so
lassen sich drei Gruppen unterscheiden: Gesetzbücher, die die
loc. cond. operis überhaupt nicht regeln, solche die sie zwar
unter der loc. cond. überhaupt erwähnen, aber nicht besonders
behandeln, und schliesslich eine Gruppe von Rechten, die
allerdings die Hauptsätze des Werkvertragsrechts aufstellen.
a) Der Werkvertrag oder die loc. cond. operis wird nicht
geregelt in der Reformation der Landgrafschaft Hessen von
1535, Frankfurter Reformation von 1578 II. Teil, Kur-Kölni-
sches Landesrecht (Reformation von 1563, Rechtsordnung von
1663, authentica von 1767), Jülich. Bergisclie Rechtsordnung
von 1555, Landrecht der hintern Grafschaft Sponheim von
1578; Salm-Reifferscheidt-Dyckscho Rechtsordnung von 1708;
Kur-Trierisches Landrecht von 1668 ref. 1713 (ebenso die II.
Redaktion von 1714), Rheingräfliches Landrecht von 1754.
Dasselbe gilt von dem Dithmarsischen Landrecht von 1567
(Glückstadt 1667), den Konstitutionen Augusts von Sachsen von
1572 (wozu jedoch die Gesinde-, Taglöhner- und Handwerks-
ordnung Johann Georgs von Sachsen von 1651 heranzuziehen
ist); Lüneburger Stadtrecht (Pufendorf, observationes Bd. IV);
Neumünsterische Kirchspiel- und Bordesholmische Amtsge-
bräuche (herausgegeben von Seestern-Pauly 1824), der Stadt
Basel Stadt- und Gerichtsordnung von 1719 II. Teil (Rechts-
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121
quellen von Basel I 831). Auch die folgenden Prozess- und Landes-
ordnungen, in denen vielfach auch das Privatrecht behandelt
wird, enthalten nichts über die locatio conductio operis: Jülich-
Clevesche Ordnung und Reform, des Prozesses von 1562; Fürstlich-
Hessische Landesorduung in der obern Grafschaft Katznelenbogen
(v. Selchow, Magazin für die deutschen Rechte und Geschichte I
1779); Gerichtsordnung und Landrecht der Grafschaft Solms 1571;
Erneuerte Landesordnnng für das Königreich Böhmen von 1627.
Unter den privaten Rechtsaufzeichnungen sind der Layen-
spiegel (Augsburg 1509) und der richterliche Klagspiegel (Strass-
burg 1536) hervorzuheben. Der erstere behandelt die loc. cond.
überhaupt nicht, dieser nur die Sachmiete. Der Bauunter-
nehmervertrag ist in dem oben angeführten Abschnitte de stipu-
latione erwähnt. Kein Anhaltspunkt findet sich in dem Formu-
larbuch Leonhard Schwartzenbachs (Frankfurt a. M. 1571).
fl) Die Gruppe der Rechte, die die loc. cond. operis im
Systeme unter der Miete vortragen, ohne jedoch meistens näher
auf die materiellen Rechtssätze einzugehen, wird eröffnet durch
die Wormser Reformation von 1498. Dort heisst es (V 2):
Und nit allein hässlich wohnung oder buguter mögen ver-
liehen und bestanden werden, sondern auch arbeit oder
wergk zu machen mögen verdingt verliehen, angenomen
und bestanden werden als Bücher ze schryben, Tafeln ze
malen, Schrynwergk, Schmidwergk, Muwerwerk, Zymmer-
werk, Graben zu machen und derglychen, daruss ent-
springen clag und forderung des verlyhens und besteens.
Ebenso Nürnberger Reform, von 1564 II 17, Vollständige
Teutsche Stadtrechte für Böhmen und Mähren (Wien 1721);
Nassauische Landesordnung von 1616 VI 5; Reformation der
freien Reichsstadt Wimpfen von 1731 II 6; Gräflich Hohen-
lohesches Landrecht von 1738 III 7 § 12; Der Landschaft
Basel Landesordnung von 1757 § 84; Codex Maximilianens
Bavaricus juris civilis IV cap. 6, die letzte grosse gemein-
rechtliche Kodifikation, die jedoch nicht einmal eine grundsätz-
liche Scheidung von loc. cond. operis und operarum durchführt.
Vgl. ferner das kompilator. Werk von Noe Meurer, Liberey
Kaiserlicher auch Teutscher Nation Land- und Stattrecht
(Heidelberg 1582) II. Teil: Von Beständnis der Güter.
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122
y) Während die bisher besprochenen Gesetzgebungswerke
für das materielle Werkvertragsrecht keine oder nur eine ganz
geringe Ausbeute gewähren, hat eine Gruppe von Rechten,
für die das Freiburger Stadtrecht vorbildlich gewesen ist, die
Hauptsätze des Vertragsrechts entwickelt. Das Freiburger
Stadtrecht von 1520 stellt unterm 5. Titel des II. Traktats
folgende Bestimmungen auf:
a) Vollendet ein Werkmeister das Werk innerhalb des
Zieles nicht, oder ist soviel Zeit verstrichen, dass er es bis
dahin nicht mehr anfertigen kann, so hat er dem andern alles
Interesse, Schadfall und Nachteil abzutragen; es steht in
des Bestellers Willen, ob er ihn das Werk noch vollenden
lassen will.
b) Ist aber der Werkmeister bereit und in der Lage, zu
wirken, ist das Hindernis am Besteller, so muss dieser das
verdingte Geld zahlen.
c) Wird er durch einen Dritten gehindert, so hat er gegen
den Besteller keinen Lohnanspruch, dieser gegen ihn keinen
Schadensersatzanspruch. Das Recht gegen den Dritten steht
dem Unternehmer zu.
d) Wird zweien, dreien oder mehreren ein Werk verdingt,
so ist jeder allein dasselbe auszuwirken schuldig, kann sich
nicht auf die Mitschuldner berufen.
e) Ist der Werkmeister dem Gegenteil Schaden und Inter-
esse zu zahlen bereit, so kann der Besteller nur in dringenden
Fällen auf Anfertigung des Werks bestehen.
Im Württembergischen Landrecht von 1567, das ganz nach
dem Muster des Freiburger Stadtrechts bearbeitet ist, finden
sich im II. Teil (auch wiederholt in der Reformation von 1610)
die Bestimmungen a bis e fast wörtlich übereinstimmend. Ihm
folgt das Kurpfälzer Landrecht von 1582 II. Teil 4. Titel
(wiederholt in der Revision von 1698 IV 10). In beiden
Rechten ist anschliessend an Bestimmung d bemerkt:
f) Wenn aber viele ein Werk stückweise, oder sonst ohne
eine Verbindung verdingten, so kann jeder nur für sein Stück
in Anspruch genommen werden.
Das Hatzfeld- Wildenburgische Landrecht von 1607 II
cap. 6 §§ 24, 25 gibt die Bestimmungen a, b, c und setzt noch
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123
fest, dass der Werkmeister erst «ach Vollendung des Werks
Anspruch auf Lolin hat. Das bei Struve Bd. III Buch III
cap 9 angeführte jus provinciale ducatus Prussiae (publiz. 1620)
enthält in Buch IV A. 3 die Bestimmungen b, c, d, f.
Die Fassung der Bestimmungen allein verrät schon die
römischrechtliche Bildung des Verfassers des Freiburger Stadt-
rechts Ulrich Zasius. Auch der Inhalt ist aus römischrecht-
licher Anschauung hervorgegangen ; Bestimmung d z. B. verrät
ganz deutlich die Anlehnung an die auf das Mandat bezügliche
Stelle 1. 60 § 2 Dig. 17, 1. Auch die Einräumung des Rück-
trittsrechts für den Besteller in Bestimmung a ist durchaus
neu und ein Bruch mit dem bis dahin geltenden Rechtszustandc.
Es zeigt sich übrigens, dass auch hier das Werkvertragsrecht
nicht erschöpfend geregelt worden ist, aber immerhin muss her-
vorgehoben werden, dass der Gesetzgeber den der Werk-
miete eigentümlichen Tatbestand erkannt und entsprechend be-
handelt hat.
4.
Entsprechend der Stellung der Gesetzgebung zum Arbeits-
vertrag und im besoudern zum Werkvertrag hat sich auch die
Lehre des gemeinen Rechts nur wenig mit ihm beschäftigt.
Es liegt ausserhalb des Rahmeus dieser Arbeit, die Behandlung
dieses Gebiets durch die Kanonisten, und die italienischen und
französischen Zivilisten darzustellen. Es sei hier auf die Ar-
beiten Wilhelm Endemanns verwiesen, nach dem („Die recht-
liche Behandlung der Arbeit“ in Band 67 S. 688 der Jahr-
bücher für Nationalökonomie und Statistik), der Arbeitsvertrag
als solcher von den Kanonisten selbständig, lind zwar nicht
unter der Sachmiete behandelt wurde, dagegen bei den Zivi-
listen keine oder nur geringe Beachtung fand.
Aus der Literatur des 16. Jahrh. sei erwähnt, dass das
grosse Werk Differentiae aliquot juris Civilis et Saxonici in 4
partes divisae (Köln 1567) den Werkvertrag nicht berührt.
Ulrich Zasius behandelt in seinem Kommentar zu den Pandekten
(Ausgabe von Freigius, Basel 1576) unter dem Titel „de ver-
borum obligatione“ die auch später in den Pandekten werken
viel erörterte Frage, ob durch die Stipulation, ein Haus zu er-
bauen, auch der Erbe des Unternehmers verpflichtet werde,
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124
weiterhin einen Fall für die Verteilung der Gefahr (fol. 711).
Die loc. cond. operis ist als solche nicht berücksichtigt (fol. 718).
Dagegen bespricht Andreas Perneder in seinen Institutiones (Aus-
gabe von Hunger, Ingolstadt 1563) ausführlich unter der Über-
schrift De locatione III 25 die hierher gehörigen Vorschriften
des römischen Rechts, vor allem die Klage des Bestellers wegen
Verderb des Stoffs. Auch die Zulässigkeit der Unterverdingung
wird, wie in vielen andern Pandektenwerken, ausdrücklich be-
sprochen. Bezüglich der Advokaten trägt Perneder die römisch-
rechtliche Anschauung vor, dass der Advokat unentgeltlich
arbeiten müsse und nur eine freiwillig gegebene „Verehrung“
annehmen dürfe. Benedikt Carpzov (opus definitionum foren-
sium ad Const. Elect. Saxon. Frankfurt 1669) behandelt nur
die Sachmiete (II 37), bringt aber sonst einiges hierher ge-
höriges. Er leitet das Rententionsrecht des Fuhrmanns am
Frachtgut aus dem allgemeinen Zurückbehaltungsrechte her
(II 16, 21) und äussert sich über die Stellung der Ansprüche
des Handwerkers im Konkurse (I 28). Ulrich Huber (prae-
lectiones juris civilis 1735) behandelt unter loc. cond. (IH 25)
wesentlich die Sachmiete, und erörtert nur in einem scholium
die Frage, inwiefern die loc. cond. operis hierher gehöre, nach-
dem es sich doch nicht um den Gebrauch einer Sache handle.
Im übrigen bespricht er in eigenen Abschnitten die operae
libertorum und servorum (lib. 38 tit. 1; lib. 7 tit. 7). Ein-
gehender widmet sich Pufendorf (observationes II. Bd. 1748).
der loc. cond. operis (observ. 14), als welche ihm offenbar vor-
nehmlich der Bauunternehmervertrag erscheint. Es werden
die Rechtswirkungen der approbatio, sowie die Haftung des
Unternehmers für Eigenschaften des Werks besprochen. Die
Gesamtauflassung ist römischrechtlich, aber es werden doch
die Sätze der Pandekten selbständig behandelt und weiter aus-
gebildet. Bei auftauchenden Zweifeln kommen naturrechtliche
Anschauungen zur Geltung. So wendet er sich in observ. 14
§ 10 gegen die Meinung von Coler und andern, „conductori,
cujus opus contra legem contractus effectum esset, nihil deberi“.
Pufendorf setzt dem entgegen, „id aequitati conveniens non
est“. Er führt Voet an ad tit. loc. cond. § 40, der darauf
abstellt, ob das Werk gar keinen oder wenigstens einen ge-
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ringen Nutzen habe. Johannes Voet (Commentar. ad Pandektas
6. Aufl. 1734) beschäftigt sich weitaus am ausführlichsten mit
der loc. cond. operis. Im I. Band (Buch 19 Titel 2) bespricht
er zunächst die Sachmiete. Bei der Dienstmiete erwähnt er,
dass sie nur auf mercenariae operae Anwendung finde, nicht auf
„operae liberales advocatorum similiumque, quibus salaria non
mercedes praestari solent“ (6). Im Anschluss hieran führt er
eine Reihe von Sätzen aus dem Seefrachtrecht an über unver-
schuldete Unmöglichkeit der Leistung, über den Frachtanspruch
usw., wobei er sich auf die verschiedenen Seerechte beruft.
Er geht hier notwendig über den Rahmen der Digesten hinaus
und bietet die Grundsätze des im 15. Jahrhundert entwickelten
Seefrachtrechts (27, 28). Von hier geht er zur eigentlichen
loc. cond. operis über. Es wird die Unterverdingung, die pro-
batio und die Verteilung der Gefahr, schliesslich das Zurück-
behaltungsrecht des Arbeiters am Werk bis zur Bezahlung des
Entgelts ausführlich besprochen. Weniger eingehend würdigt
Leyser (Meditationes ad Pandektas III. Bd. 3. Aufl. 1743) die
Werkmiete (spec. CCXII). Erwähnenswert ist hier nur, dass
er dafür eintritt, den Bauunternehmer, nicht nur bei öffent-
lichen Bauten, sondern bei allen privaten Bauten fünfzehn
Jahre für alle Schäden haften zu lassen. Denn die Bestimmung
des römischen Rechts, die nur die öffentlichen Bauten be-
günstigt, widerspreche der Billigkeit. Er führt für seine An-
sicht ein Helmstädter Rechtsgutachten an.
Wendet man sich nach diesem flüchtigen Überblick über
die Pandektenliteratur der Lehre des deutschen Rechts zu, so
ist zunächst zu erwähnen, dass die Vorarbeiten zu dem Würt-
tembergischen Landrecht von 1610 (herausgegeben von Faber
und Schlossburger, Stuttgart 1859) nichts hierher Gehöriges
bieten (S. 198 de loc. cond. S. 206). Dasselbe gilt von Schilters
Praxis juris Romani in foro Germanico (Jena 1698), exercit. 31,
wo die loc. cond. operis nicht ausdrücklich behandelt wird, und
materiellrechtlich nur ein Urteil der Strassbnrger Juristen-
fakultät von 1693 in einer Frachtsache geboten wird, und von
Georg Beyers Delineatio Juris Germanici (Leipzig 1729) III. Buch,
sowie von v. Selchow (Institutiones jurisprudentiae Germanicae
1757), Joh. Rnd. Engau (Elementa juris Germanici 1737) er-
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wähnt zwar (III 11 § 119) die loc. cond. operis, führt jedoch
einen einzigen, noch dazu römischrechtlichen Satz unter Be-
rufung auf Struve an. Justus Runde (Grundsätze des deutschen
Privatrechts. Göttingen 1791) behandelt nur den Dienstvertrag.
Johann Heinr. Fricke (Grundsätze des Rechts der Handwerker,
Göttingen 1771, 1778) und Joh. Friedr. Weisser (Recht der
Handwerker nach allgemeinen Grundsätzen, insbes. nach den
herzogl. Wirttemberg. Gesetzen, Stuttgart 1779) behandeln den
Arbeitsvertrag als solchen nicht, nur letzterer beschäftigt sich
mit der Stellung des lidlons itn Konkurse und der einschlägigen
Behandlung des Entgelts des Werkunternehmers.
Während aber in den angeführten Werken der Arbeits-
vertrag und im besondern der Werkvertrag entweder gar
nicht oder nur in der einen oder andern Beziehung berück-
sichtigt wird, wird ausführlich das Handwerks-, Zunft- und
Gewerberecht dargestellt. Die gewerblichen Organisationen, die
Zwangs- und Bannrechte wurden der Gegenstand zahlreicher
Spezialschriften. Die Literatur über das Handwerkswesen be-
ginnt mit dem Ende des 17. Jahrhunderts, wird wesentlich ge-
fördert durch Beyer und zu einem weitschweifigen Systema
jurisprudentiae opificiariae von Struve verarbeitet (1738). Unter
den späteren Schriftstellern sind vor allem Fricke und Weisser
sowie Ortloff (Corpus juris opificiarii 1820) zu nennen. Auch
in dem Werk Struves nimmt der Werkvertrag einen verhältnis-
mässig geringen Raum ein. Im 3 Buch des III. Bandes cap. 4
ist die loc. cond. abgehandelt. Die Unterscheidung zwischen
loc. cond. operis und loc. cond. Operarum wird in rümischrecht-
liclier Fassung vorgetragen. Das Recht des Hausherrn des
Unternehmers, auf das Werk Arrest zu legen, wird als nach
lübischem Rechte zulässig erwähnt. Weiterhin werden die im
Freiburger Stadtrecht und der hiezu gehörigen Gruppe von
Rechten aufgcstellten Bestimmungen vorgetragen, bei der Be-
sprechung der custodia wird eine Entscheidung des Leipziger
Schöffenstuhls mitgeteilt, nach der ein Schneider, dem bei Nacht
Gewand mit seinen eigenen Sachen gestohlen worden ist, es
bezahlen muss, es sei denn, dass er beweisen kann, dass er
sein Haus und Stuben recht verwahrt hat. und dass ihm keine
Verwahrlosung zugerechnet werden kann. Nur wenn er nach-
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weist, dass die Fenster erbrochen worden sind, ist er von der
Zahlung schlechthin befreit. Der frühere Rechtssatz, dass der
Mitverlust eigener Sachen des Unternehmers ein genügender
Nachweis der erforderlichen Sorgfalt sei, ist also verlassen.
Die Vorschriften über die Gefahr sind dem römischen Recht
entnommen. Im übrigen wird das speziell gewerbliche Recht
über die Fristsetzung durch die Älterleute, das Verbot, dem
Schuldner eines Zunftgenossen zu arbeiten, das Truckverbot,
ausführlich vorgetragen , und es zeigt sich , dass sich hier die
mittelalterlichen Verhältnisse nicht geändert haben. Unter den
privilegia opiflcum wird dann des langem das Retentionsrecht
des Unternehmers, und seine Stellung im Konkurse des Be-
stellers besprochen (Buch IV cap. 3).
5.
Es ist schon erwähnt worden, dass das römische Recht
vor allem in der Lehre vom casus und der Unmöglichkeit der
Leistung, sowie der culpa aufgenommen wurde. Verschiedene
Auffassungen traten wesentlich nur bei der Behandlung der
Frage auf, inwieweit dem Lohnanspruch des Werkvertragunter-
nehmers eine besonders günstige Stellung, vor allem im Kon-
kurse des Bestellers, einzuräumeu sei.
a) Das Recht des Arbeiters, die verarbeitete Sache bis zur
Zahlung des Entgelts durch den Besteller zurückzubehalten,
hat sich im bayrischen und lübischen Recht erhalten, aber auch
im Gebiete des gemeinen Rechts auf Grund des römischen
Rechts gegolten. Das bayrische Recht von 1616 behandelt es,
wie schon erwähnt, als stillschweigendes Pfandrecht und steht
damit völlig allein. Diese Konstruktion wird ausdrücklich ab-
gelehnt von Struve und Mevius. Jener führt das Retentions-
recht unter den beneficia juris opiflcum auf:
reliquiae quaedam pristini juris remanserunt quatenus
scilicet illnd in ratione aequitatis naturali aut civili qua-
dam regula continetur (I. Bd. 4. Buch cap. 3).
Mevius begründet es schon römischrechtlich:
. . . aequiparantur enim operae iis impensis quae in rem
necessario et utiliter impenduntur (Comment. ad jus Lu-
biceuse III 7 Art. 15).
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128
Übereinstimmend ß. G. Lindlieimer, De jure mercedis opificum
in concursu creditorum (Diss. Göttingen 1753) § 5. A. v. Leyser,
Meditat. ad Pand. (1776) spec. CCXIX, Voet, Comment. ad
Pand. I. Bd. (1734) XIX 2 Nr. 40, wo hinsichtlich des Zurück-
behaltungsrechts des Schiffers auf Grotius verwieseu wird;
ferner für den Fall des Konkurses des Bestellers G. L. Böhmer,
Electa juris civilis (Göttingen 1747) I. Bd. exercitatio XII § 5
unter Berufung auf die übereinstimmende Ansicht von Lauter-
bach, Coler, Gayl und Carpzov.
Das Zurückbehaltungsrecht ist anerkannt in dem Hohen-
loheschen Landrecht von 1732, nach dessen Gant prozess der
Handwerker in die I. Klasse gehört, wenn er das Werk noch
in Händen hat, also das Retentionsrecht gebrauchen kann
(VI Tit. 11). Ebenso die Konkursordnung für die Gemeinherr-
schaft Breuberg und die sämtlichen Fürstlich Löwensteinschen
Lande von 1805.
b) Im Zusammenhang hiermit steht die Sicherung der
Forderungen der Bauhandwerker auf Grund von Werkverträgen.
Unbestritten war, dass derjenige, der Geld zur Erbauung eines
Hauses hergeliehen hatte, zur Sicherung seiner Forderung eine
tacita hypotheca an dem Hause besass (Edictum divi Marci).
Die Nürnberger Reform, von 1564 II 22 gestand dem Gläubiger
den Vorrang im Konkurse zu:
So ainer dem andern zu erpawung pesserung und er-
haltung ains hauss odern andern gnts fürstreckung geton
und bewisen worde, das es ain notdurft gewest und sein
dargelihen gelt oder anders dahin gewendet worden were
so soll jme umb solche seine darstreckung vor andern
gloubigern verholffen werden.
Nach dieser Stelle ist es vielleicht zulässig, anzunehmen, dass
auch die Materiallieferung privilegiert war, aber die reine
Lohnforderung fiel kaum hierunter. Dagegen wird nach der
Hamburger Gerichtsordnung von 1603 II 5 Art. 9 dem Hand-
werker, der Arbeit zur notwendigen Erbauung von des Schuld-
ners Haus, Schiff u. dgl. angewandt, vor allen andern
Gläubigern an dem Hause „der Vorzug gegönnt“. Wir haben
hier eine den Forderungen der Billigkeit durchaus entsprechende,
selbständige Rechtsbildung. Immerhin ist diese Erscheinung
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129
vereinzelt. In den übrigen Rechten scheint man nicht so weit
gegangen zu sein. Vgl. Württemberg. Landr. von 1567 S. CCIX
de taeitis hypothecis und über die Praxis, die nur die Material-
lieferung dem Darlehen gleichstellte, C. C. Dabelow, Lehre,
vom Konkurse der Gläubiger 1801 S. 616.
Pufendorf (observationes juris universi tora. II, observ.
CLXX) trat dafür ein, dass der Arbeiter mit seinem Lohnan-
spruch dem Darlehensgeber gleichgestellt werde, denn es komme
auf die causa an, nicht auf die materia. Ebenso Ortwin
Westenberg (Dissert. ), ferner Beuther, de jure praelationis
creditorum I 29, der denjenigen, die nur operae creditiert haben,
eine tacita hypotheca einräumt, und Ginelin, Ordnung der
Gläubiger eap. 3 § 3. Leyser, medit. ad Pand. spec. LXVII
med. 1 gesteht dem Lohnanspruch dann eine tacita hypotheca
zu, wenn der mit der Arbeit verbundene Vorteil nicht einer
einzelnen Person zugute kommt, sondern mit der Sache selbst
auf jeden andern Erwerber übergeht. Dagegen bleiben auf
dem Boden des römischen Rechts stehen : Orth in seinen An-
merkungen zur Reformation der Stadt Frankfurt a. M. 5 Bde.
1731 ff. II S. 451 und 708 ff., der ausführlich den ganzen Stand
der Streitfrage in Rechtsprechung und Lehre darstellt, Lind-
heimer in der oben angeführten Schrift §§ 9 ff., § 17 unter Be-
rufung auf Rechtsgutachten von Leipzig, Halle, Rinteln und
Tübingen; Georg Ludw. Böhmer, Electa jur civ. exercit. XII
de jure mercedis opificum in concursu creditorum §§ 17, 18, so-
wie eine oberrichterliche Entscheidung von 1817 zu Teil I
Titel 7 des Katznelnbogenschen Landrechts (Bopp, Beitr. zum
Verständn. der 4 mittelrhein. Landr. 1854). Struve schliesslich
verneint die tacita hypotheca wegen Fehlens eines Gesetzes,
gesteht jedoch der Forderung des Unternehmers ein Verzugs-
recht im Konkurse zu (IV cap. 3 Z. 9).
c) Was nun die Stellung des Werkunternehmers mit seinem
Lohnanspruche schlechthin im Konkurse des Bestellers anlangt,
so ist davon auszugehen, dass der lidlon auch im Konkursrechte
der Neuzeit eine begünstigte Stellung insofern einnimmt, als er
gewöhnlich in der I. Klasse der Gläubigeransprüche zum Zuge
kommt. Vgl. Stobbe, Gesell, des Konkursproz. S. 91 ; Wyss,
Gesell, des Konkursproz. S. 107 ff. ; Heusler, Bildung des Kon-
Hothen b u ober, Werk vortrat; ^
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130
karsproz. nach schweizerischen Rechten (Zeitschr. f. schweizer.
Recht 7. Bd. 1858) S. 193 ff. ; Hertz, Rechts verh. des freien
Gesindes S. 91. Es wurde schon früher erwähnt, dass vor
allem nach Schweizerischen Rechten diese Stellung des lidlons
auch den Forderungen verschiedener Handwerkerklassen ein-
geräumt wurde. Vgl. Heusler S. 196, 197; Wyss S. 107 — 112.
Auch hier nun zeigt das Hamburger Recht von 1603 eine
besonders hohe Wertschätzung der Arbeit, es privilegiert den
Lohn für die Arbeit. II 5 Art. 9. Es heisst in den Anmer-
kungen hierzu: Färberlohn ist in den dazu getanen Farben
ein gemeines creditum, und nur soviel die Arbeit sich beläuft,
eine privilegierte Schuldforderung. Mit dieser Auffassung stimmt
überein die bei Wyss S. 114 mitgeteilte Bemerkung des Stadt-
richters Escher am Ende des 17. Jahrh.: „Schuhmacher- und
Goldschmiedarbeit ist eigentlich nur Lidlohn, soviel ihre Arbeit
daran ist, ausser es sei eine geringe Anforderung“. Das Hohen-
lohesche Landrecht von 1732 VI 11 Nr. 13 Gantprozess setzt
in die I. Klasse der Gläubiger „die Schmiede, Wagner, Sattler,
Seiler, auf die letzten 2 Jahre vor dem Konkurs noch unbezahlte
Arbeit und hergegebene Sachen, so zu dem Feld- oder Wein-
bergsbau nötig gewesen und angewendet worden“. Hier sind
die nämlichen Handwerkerklassen, wie im Zürcher Recht ge-
troffen, und ebenfalls die Forderungen auf Grund Werk-
vertrags und Kaufs nicht unterschieden. In die III. Klasse
stellt den Arbeitslohn und die Handwerksschulden das Rhein-
gräfliche Landrecht von 1754 (Maurenbrecher S. 273 ff.). Eben-
so nach Lindheimer a. a. 0. § 15 das Oberpfälzer Landrecht
tit. 2 a. 7.
Dagegen ist in der Mehrzahl der Rechte der lidlon auf
das Gesinde beschränkt, in einigen höchstens noch auf die
Tagelöhner und gebrödeten Dienstleute ausgedehnt. Für den
Werkunternehmer ist kein Raum. Nürnberger Reform, von
1564 XI 7, XXII 89. Frankfurter Reform. I 49 § 2. Nassau-
ische Landesordnung von 1616 XVI. Hatzfeld- Wildenburg.
Landr. von 1607 I 18 (Maurenbrecher II 361). Kur-Trierisches
Landr. von 1668 ref. 1713 (ebd. II 48 ff.) tit. 13 §9. Konkurs-
ordnung der Gemeinherrschaft Breuberg von 1805 (in der 4.
Klasse). Des Kaiserlichen Hochstifts Bamberg Landrecht (1769)
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131
II 3. Codex Bavar. judic. tit. 20 § 4 lässt das lidlon-Privileg
den Handwerker geniessen, der in der Wohnung des Schuldners
und in dessen Kost arbeitet. In Basel wurde 1648 die Privi-
legierung der Handwerker abgeschafft. (Heusler S. 197 ff. Dar-
stellung des Konkursrechts durch Dr. Fäsch, abgedr. in den
Rechtsquellen von Basel I 635, sowie Gerichtsordnung von
1719 ebd. S. 805.)
In den meisten der angeführten Rechte ist der Anspruch
des Arztes auf Bezahlung des Honorars für Behandlung in der
letzten Krankheit des Gemeinschuldners privilegiert (vgl. auch
Stobbe S. 95).
Die Rechtslehre verhält sich ablehnend gegen die Privi-
legierung des Werkunternehmers. Böhmer stellt den Anspruch
aus loc. cond. operis und operarum unter die chirographarii
(§ 6). Das Vorrecht des Lidions gesteht er nur den Arbeitern
und Werkmeistern in der Hausgemeinschaft des Schuldners zu
(§ 15). Ebenso Lindheimer (§§ 6, 15) unter Berufung auf eine
bei Carpzov angeführte Entscheidung. Carpzov (Defiuitioues
forenses 1669 I 28 def. 24 ff.) setzt an die 4. Rangstelle die
gebrödeten Diener non autem operarii , vel opifices. Weisser
(XI. Abschn.) stellt darauf ab, dass die Handwerker in der
Kost des Bestellers arbeiten. Dabelow (S. 602) verneint aus-
drücklich die Gleichstellung von Handwerkerschulden und Lid-
Ion und erwähnt nur (S. 638), dass diese nach einigen Rechts-
lehreru in die 4. Klasse zu setzen seien, ebenso wie die Arzte
mit ihrem Honoraranspruch.
Bei diesem Überblick zeigt sich, dass, soweit überhaupt
eine Privilegierung des Entgelts des Werkunternehmers statt-
fand, sie nicht als solche statuiert wurde, dass vielmehr die
Forderung aus dem Arbeitsvertrag als solchem begünstigt
werden sollte, und dass gewisse Klassen der arbeitenden Be-
völkerung eines Vorrechts teilhaftig werden sollten.
6.
Seit der Rezeption hat zwar eine theoretische Behandlung
des Werkvertrags eingesetzt, aber sie ist wesentlich im An-
schlüsse an das römische Recht erfolgt. Die Werkverdingung
wurde gemäss der Anordnung der Pandekten unter den Begriff
der Miete, und zwar der Miete im römischen Sinn gestellt.
s>*
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132
Die Rechtslehre, wie die Gesetzgebung haben bis zum Ende
des 18. Jabrh. die Eigenart des Arbeitsvertrags als solchen
nicht gewürdigt und nicht erkannt, dass nur die besondere ge-
schichtliche Entwicklung in Rom die Werkverdingung mit dem
Tatbestand der Sachmiete in dogmatischen Zusammenhang ge-
bracht hat. In dogmatischer Hinsicht hat erst das Preussische
Landrecht (I 11 §§ 925 — 980) dem Werkvertrag die richtige
Stellung zugewiesen, indem es ihn unter die Verträge über
Handlungen einreihte. Damit ist die alte, gemeinrechtliche
locatio conductio aufgegeben. Ihm ist das österreichische
bürgerliche Gesetzbuch gefolgt, das den Werkvertrag mit dem
Dienstvertrag unter den Begriff des Lohnvertrags zusammen-
fasst, ferner das Schweizerische Obligationenrecht, das Sächsische
Bürgerliche Gesetzbuch und das Bürgerliche Gesetzbuch des
Deutschen Reichs. Man darf sagen, dass erst mit dem Preussi-
schen Allgemeinen Landrecht sich das heimische Recht in dog-
matischer Beziehung von dem römischen Recht emanzipiert hat.
Sicherlich ist dies auf die naturrechtlichen Anschauungen
zurückzuführen, die im 18. Jabrh. neben dem gemeinen Recht
oder gegen es sich geltend machten, und die sich gegen die
nicht verständliche Konstruktion der Sachmiete auflehnten. Es
ist dargelegt worden, dass diese naturrechtliche Auffassuug
auch auf das materielle Recht Einfluss hatte. Auch dies zeigt
sich in der Behandlung der Werkverdingung zunächst im
Preussischen Landrecht, dann aber auch im Code civil, der
zwar die Werkverdingung unter der Überschrift der Miete be-
handelt, aber sie materiellrechtlich durchaus ihrer Besonderheit
entsprechend gestaltet. Mau ging bei der Abfassung dieser
Gesetzbücher davon aus, den wirtschaftlichen Verhältnissen
entsprechende Rechtssätze aufzustellen, griff dabei vielfach auf
die von der gemeinrechtlichen Lehre ausgebildeten Normen
zurück, und suchte von dem schon in der Literatur vielfach
hervorgehobeneu Gesichtspunkt der Billigkeit aus, die einzelnen
Fragen zu regeln. Es kann nicht davon gesprochen werden,
dass die neueren Gesetzgebungen das alte deutsche Recht be-
rücksichtigt hätten, vielmehr waren die Gedanken ausschlag-
gebend, die sich in der Literatur und Gesetzgebung der vor-
ausgehenden Zeit entwickelt hatten.
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133
Vollkommen einheitliche Anschauungen über den Werkver-
trag haben sich übrigens auch in neuerer Zeit nicht entwickelt.
So kann nach dem Preussischen Allgemeinen Landrecht, wie
wenigstens die herrschende Meinung lehrt, und nach code civil
nur ein materielles Werk Gegenstand der Werkverdingung sein,
während nach Österreichischem und Deutschem Bürgerlichen
Gesetzbuch auch geistige Erfolge hierher gehören. Nach
Preussischem Landrecht kann nur ein Werkverständiger einen
Werkvertrag abschliessen. Dagegen ist überall in der Neuzeit
die römische Unterscheidung der operae liberales und illiberales
aufgegeben worden, und wir sind daher zu der Anschauung
zurückgekehrt, die bereits vor der Rezeption in Deutschland
herrschte.
Die neuere Rechtsentwicklung hat weiterhin zu einer aus-
giebigen Spezialisierung des Werkvertrags geführt. Die Ver-
träge des Handelsgesetzbuchs, der Kommissions-, Speditious-,
Frachtvertrag gehen ihre eigenen Wege. Der Verlags vertrag,
der Mäklervertrag, der Vertrag mit dem Arzte und mit dem
Advokaten wird gesondert behandelt. Das Preussische Land-
recht hat nicht mit Unrecht den Bauunternehmervertrag ge-
sondert berücksichtigt.
Ich komme zu dem Ergebnis: Das deutsche Recht hat
selbständig ein Werkvertragsrecht entwickelt, dessen Sätze auch
nach der Rezeption des fremden Rechts in verschiedenem Um-
fang in einzelnen Rechtsgebieten fortgegolten haben. Seit dem
16. Jahrli. werden von Gesetzgebung und Rechtslehre die im
corpus juris enthaltenen Normen weiterentwickelt, wobei die
naturrechtliche Anschauungsweise, die von „Vernuuft“ und
„Billigkeit“ ausgeht, von Einfluss ist. Auf diesem Boden stehen
die Gesetzgebungen der letzten 150 Jahre. Sie suchen in Fort-
bildung jener Ergebnisse das Vertragsrecht in einer den wirt-
schaftlichen Bedürfnissen der Parteien entsprechenden Weise
zu regeln. Sie sind das Werk selbständiger Gedankenarbeit;
sie setzen nicht das alte Recht fort, aber eröffnen auf eigener
Grundlage eine neue Periode des Rechts des deutschen Volks.
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Verlag von M. & II. Mamis in Breslau, Kaiser -Wilhelmstr. 8
Festgabe für Felis Dahn
zu seinem 50jährigen Doktorjubiläam
gewidmet von gegenwärtigen und früheren Angehörigen der
Breslauer juristischen Fakultät
I. Deutsche Rechtsgeschichte
10 Mark
Beyerle, Konrad: Ergebnisse einer alamannischcn Urbarforschung 2. — M.
Brie, Siegfried: Die Stellung der deutschen Kechtsgelehrtcn der Rezeptions-
zeit zum Gewohnheitsrecht 1,20 M.
Hedemann, Justus Wilhelm: Die Fürsorge des Gutsherrn für sein Gesinde
(Brandenburgiscli-Preussische Geschichte) 1,60 M.
Nacndrup, Hubert: Oogmengeschichtc der Arten mittelalterlicher Ehren-
minderungen : 5, — M.
Schultze, Alfred: Gerüfte und Marktkauf in Beziehung zur Fahrnisvcr-
folgnng 2. — M.
II. Römische Rechtsgeschichte
3 Mark
Kleineidam, Feodor: Beiträge zur Kenntnis der lex I’oetelia 1, — M.
Klingmüller, Fritz: Uber Klagenverjährung und deren Wirkung 1,— M.
Leonhard, Rudolf: Die Replik des Prozessgewinns (rcplica rei secundum
me judicatac), ein Beitrag zur Lehre voll den beiden Funktionen der
exceptio rei judicatae 1,20 M.
III. Recht der Gegenwart
9 Mark
Beling, Ernst: Die Beschimpfung von Religionsgescllschaften . religiösen
Einrichtungen und Gebräuchen, und die Reformbedürftigkeit des § 166
StGB 1,20 M,
Fischer, Otto: Vollstreckbarkeit 1,80 M.
Gretener, Xaver: Die Reiigionsverbrechen im Strafgesetzbuch für Russland
vom Jahre 1903 1, — M.
Heymann, Ernst: Die dingliche Wirkung der handelsrechtlichen Traditions-
papiere (Konnossement, Ladeschein, Lagerschein) 3.20 M.
Jacobi, Ernst: Die Pflicht zur Berufung der Generalversammlung einer
Aktiengesellschaft 0,80 M.
Meyer, Herbert: Die rechtliche Natur der nur scheinbaren Bestandteile
eines Grundstücks (§ 95 BGB.) 1, — M.
Schott, Richard: Über Veräusserungsverbotc und Resolutivbedingungen im
bürgerlichen Recht ... 1,20 M.
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Zur Rechtsstellung der Gäste
im mittelalterlichen städtischen Prozess
von
Dr. jur. Hermann Kn der ff
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Untersuchungen
zur
Deutschen Staats- und Rechtsgeschichte
herausgegeben
von
Dr. Otto Gierke
Professor der Rechte an der Universität Berlin
88. Heft
Zur Rechtsstellung der Gäste
im mittelalterlichen städtischen Prozess
Vorzugsweise nach norddeutschen Quellen
VOll
Dr. jur. Hermann Rudorff
Breslau
Verlag von M. & II. Marcus
1907
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Zur Rechtsstellung der Gäste
im mittelalterlichen städtischen
Prozess
Vorzugsweise nach norddeutschen Quellen
Dr. jur. Hermann Rudorff
Breslau
Verlag von M. & H. Marcus
1907
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Herrn Professor Dr. Karl Zeumer
in dankbarer Ergebenheit
Der Verfasser
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Inhaltsübersicht
Seite
Erstes Kapitel. Börger, Mitwobner und Gast 1—24
Die pruze.ssualen Vorschriften, der juristisch interessanteste Bestand-
teil des Gästercckts. Kntstanden und zu behandeln vor allem für
außerhalb, aber auch für in der Stadt gesessene Gäste. Notwendigkeit
einer Feststellung des Gastbegriffs.
I. Die Bürger. l'rsprünglich lediglich städtischer Grundbesitz
und allgemeiner Gerichtsstand mindestens vor einem StadtschulthciUeii
erforderlich: Möglichkeit eines zweiten allgemeinen Gerichtsstandes
vor auswärtigem Grundherrn. Später Aufnahme in das Bürgerrecht
notwendig.
II. Die Mitwohncr. Mangels Grundbesitz oder Aufnahme nicht
Bürger, aber auch nicht lediglich Gäste. — 1. a) Dauerndes und wirt-
. , scliaftlich selbständiges Wohnen in der Stadt, b) Verpflichtung zu
städtischen (direkten) Steuern und Diensten, c) Befreiung \°n
gaben, die Gästen obliegen, d) Allgemeiner Gerichtsstand gemein-
schaftlich mit den Vollbürgern. — 2. l)uellenmällige Bezeichnung,
n) Positiv (-angesessene und Mitwobner, negativ Leute, die >n ,l"r
Stadt wohnen, aber nieht Bürger sind. Zuweilen Bezeichnung
t * Bürger, b) Ausdrücklicher Gegensatz zn in und außerhalb der Stadt
wohnhaften Gästen, c) Bezeichnung als .Gast" seltene Ausnahme.
III. Die Gäste. 1. Gäste, die in der Stadt wohnen. Meist nach
ihrem Stande bezeichnet. Grundsätzlich nicht dein Stadtgericht und
den städtischen Lasten unterworfen. — 2. n) Gäste, die außerhalb des
Stadtgerichts- (Stadtgemeinde-) Bezirks wohnen. Vorzugsweise als
„(fremde) Gäste* bezeichnet, c) Nicht den städtischen Lasten, aber
dein Zoll unterworfen, c) Stadtgericht nur bei V erliegen besonderen
Gerichtsstandes zuständig. Prozessuales Verfahren, im Wesentlichen
ohne Biicksicht auf Kntfernung des Wohnsitzes cl**s LJastus und nach
dein Keeht des Prozcllorts gchandliakt, grundsätzlich nicht von dem
des gewöhnlichen bürgerlichen Prozesses unterschieden.
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VIII
Zweites Kapitel. Yaro, Elcndenoid und prozessuale Stellvertretung 25 — 37
Existenz von prozessualen Ausnahmevorschriften teils zu Gunsten,
teils zu Ungunsten der Gäste. Abgesehen von den Sondergebieten
der folgenden Kapitel zu nennen:
I. Vorschriften ausschließlich für Gäste über Fristen. Ge-
bühren. Rfigebefugnisse.
II. Vorschriften allgemeinerer Natur. — 1. Hegeln über die
Reseitiguug der Varo beim l’nsehuldseid und im Verfahren überhaupt.
— 2. Regeln über den Elendencid. — 3. Regeln, denen zufolge ge-
wisse Prozeßhandlungcn durch I »ritte wahrgenommon werden dürfen.
Klagerhebung von Amtswegen bei Ungerichten. Fürsprecher. Eigent-
liche prozessuale Stellvertretung.
Drittes Kapitel. Vom Gerichtsstände 37 — 80
I. Allgemeines. Allgemeiner Gerichtsstand des Geklagten das
lbrum domicilii. Für das Gästerecht bedeutsamer die besonderen fora
contractns und delicti commissi. Seil 12. Jahrhundert Verwirrung
der Gerichtsstandsverhältnisse infolge schrankenlosen 1‘latzgreifcns der
fora nrrcsti und deprehensionis. — 1. Justizweigerung und Justizvor-
zügerung infolge Schwächung der kaiserlichen Gewalt. Daher zwie-
faches Streben der Städte, a) Entscheidung aller Prozesse, in denen
Riirger Reklagte. durch heimisches Stadtgericht. Aufhebung nicht
nur allgemeiner, sondern namentlich besonderer Gerichtsstände durch
ilie Evokationsprivilegien späterer Zeit, b) Entscheidung aller Pro-
zesse, in denen Riirger Kläger. Gäste Heklagtc, durch heimisches
Stadtgericht. Rcgriindung des Gerichtsstandes zunächst durch Fest-
halten von Person oder Gut des in der Stadt belindliehen Gastes.
Später das Stadtgericht, für Klagen von Rürgcrn gegen die in seinem
Rezirk anwesenden Gäste auch ohne jene Voraussetzung zuständig.
Schließlich das Stadtgericht auch unbedingt für Klagen von Gästen
unter einander zuständig. — 2. Die genannten Restrebnngen der
Städte durch andere Vorschriften abgeschwächt, a, Verbot von Pro-
zessen unter Rürgcrn derselben Stadt im auswärtigen Gericht,
b) Innerhalb der Territorien Einschränkung der städtischen Gerichts-
barkeit über Ministerialen sowie hörige und unfreie Bauern.
II. Die besonderen Gerichtsstände. — 1. Klagen um Schuld,
a) Im sächsischen I.nndrecht allgemeine Geltung des forutn contractns
und der Evokation dorthin. Ebenso ursprünglich das Stadtrecht.
Später nur territorial und sachlich begrenzte Geltung des städtischen
forum contractns. Verfahren bei der Evokation, b) Im älteren Land-
recht kein forum arrcsti. Im Stadtrecht seit dem 12. Jahrhundert
zunächst Rcfughis der Riirger die Person des Gastes festzuhalten,
später auch, trotz, kaiserlicher Verbote, entsprechendes Recht gegen-
über (lern Gut des Gastes. Retähigung der Gäste zu gegenseitigem
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IX
Arrest (und zwar sogar Repressalienarrest), auch wegen außerhalb
kontrahierter Schuld. Schließlich unbedingte Pflicht des anwesenden
Gastes im auswärtigen Gericht zur Hauptsache zu verhandeln, lediglich
auf Ladung eines Bürgers oder Gastes, ohne vorangegangene Besetzung.
Einschränkung dieses fornm arresti durch Verträge und namentlich zu
Gunsten der Ministerialen und Bauern des Territoriums durch Pri-
vilegien. — 2. Klagen um Gut. a) Klagen um bewegliches Gut. Bei
Anefang Zuständigkeit des Gerichts, in dessen Bezirk der Anofang
stattfindet. Bei schlichter Klage Zuständigkeit des forum domicilii
des Gastes oder des Gerichts, in dessen Bezirk der Gast zufällig an-
getroffen wird, b) Klagen um unbewegliches Gut. Trotz Evokations-
pririlegien ausschließliche Zuständigkeit des forum rei sitae. Bei
Klagen wegen einer gegen Grundstücke gerichteten strafbaren Hand-
lung Zuständigkeit des forum delicti commissi oder deprehensionis. —
3. Klagen um Ungericht und Frevel, a) Fomm delicti commissi und
Evokation dorthin das Ursprüngliche. So das sächsische Landrecht.
Ebenso das Stadtrecht, b) Später infolge der Evokationsprivilegien
steigende Bedeutung des forum domicilii des Beklagten, c) Daneben
Erscheinungsformen des forum deprehensionis, ohne und mit Fest-
halten des beschuldigten Gastes. a. Gericht des klägerischen
Domizils, sobald der schuldige Gast daselbst erscheint, ß. Dasselbe
Gericht mit Rücksicht auf zukünftiges Erscheinen, selbst wenn der
Gast tatsächlich nicht erscheint. 7. Das Gericht, in dem der verletzte
den schuldigen Gast zufällig trifft, ausnahmsweise sogar das Gericht,
in dem cs einem Gast beliebt gegen abwesende Gäste Klage zu er-
heben. Das forum deprehensionis auch sonst Privilegierten gegen-
über wirksam. — 4. Gerichtsstand der Widerklage. Wirksamkeit
namentlich bei Prozessen zwischen Gästen und Bürgern, insofern
erstere als Kläger für sofortige Antwort Sicherheit leisten müssen.
Viertes Kapitel. Personal- und Sacharrest 86—110
I. Zulässigkeit und Zweck des Arrests. Angreifen von
Person und Gut des Schuldners grundsätzlich erst nach gerichtlicher
Feststellung seiner Schuld zulässig. Umgekehrte Reihenfolge besonders
häufig bei Prozessen aller Art gegen Gäste. — 1. a) Klagen um Un-
gericht und Frevel. Festhalten der Person des Gastes bei frischer
Tat wie vemachtetem Ungericht. Festhalten von Bürgern, b) Gleichos
Verfahren in der Regel gegenüber dem Gut des Gastes. Besetzung
von Bürgergut. — 2. Klage um Gut. Besetzung von Person und Gut
des Gastes. — 3. Am verbreitetsten der Arrest (i. c. S.) bei Klagen um
Schuld, a) a. Personalarrcst gegen Gäste. Notwendig (behauptetes)
Bestehen einer Schuld und einer causa arresti, als welche in früherer
Zeit Gasteseigenschaft genügt. Personalarrcst gegen Bürger und
Mitwohner. Hier causa arresti befürchtete Flucht wegen Überschuldung.
Erst später, und zwar auch bei Gästen, Minderwert des im Gericht
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X
vorhandenen (unbeweglichen) Vermögens causa arrcsti. fl. Zweck des
Pcrsmialarrests gegen Gäste ursprünglich ineist Begründung eines
Gerichtsstandes, seltener Erzwingung einer Sicherheit. Verpflichtung
zur Sicherstellung für den Gast, im Gegensatz zu den Bürgern, nur
existent, wenn zur Zeit der Besetzung im auswärtigen Gericht uin
(besonderer) Gerichtsstand bereits begründet. Letzteres später die
Regel, y. L'ngetrennte Verhandlung über Hauptforderung und Arrest-
grund. b! Voraussetzungen und Zwecke des Sacharrests gegen Gäste
und Einheimische dieselben wie beim I’ersonalarrest. Eigentümlich
die aus dem Sacharrest entwickelte Klage auf das arrcstierte Gut.
11. Die Ausführung des Arrests. — 1. a) Grundsätzlich
Mitwirkung des Gerichts (Richter, Büttel). Prüfung des einseitigen
klägerischen Vorbringens, b) Eventuell Mitwirkung von Mitbürgern.
Nur ausnahmsweise Arrestanlagc durch Kläger allein. Nachträgliche
gerichtliche Rechtfertigung des eigenmächtigen Vorgehens. — 2. a)
Arrestort der städtische Gerichtsbezirk und grundsätzlich jedes Privat -
hans. b) Arrestzeit. — 3. Maßvoller Zwang. Bruch gewaltsamen
Widerstandes. — 4. a) Nach Art der Arrestforderung sofortige Ver-
handlung oder vorläufige Haft. Vertretungsptlicht der Wirte, b) Ver-
bleib arrcstirten Gastguts bei Bürgern, wenn diese Inhaber. Sonst
in der Regel gerichtliche Verwahrung. — 5. Wiederaufhebung von
Personal- und Sacharrest.
Fünften Kapitel. Marktfriede und Prozeßgeleit III — 146
Einschränkungen der weitgehenden Möglichkeit. Gäste aufzuhalten
und zu beklagen.
I. Allgemeinste Einschränkung der Marktfriede. — 1. Kür Frage
nach der räumlichen Erstreckung des Marktfriedens folgende Punkte
wesentlich. Erteilung des Friedens für Jahr-, Wochen- und Tages-
märkte unter derselben Formel. Rein persönliche Wirkung des Markl-
friedens. Ursprünglich bei Jahrmärkten, z. B. nach dem Privileg von
1035 für Bremen, der materielle Inhalt des Friedens kein anderer
als bei anderen Märkten. Aber in dem Bremischen und dem gleich-
zeitigen Magdeburgiselicn kaiserlichen Jahrmarktsprivileg Besonder-
heit die Erteilung der Handhabung des Banns außerhalb des lmmunitäts-
bezirkes an dun Marktherrn und zwar dort au ihn allein, hier an ihn
und die öffentlichen Richter gemeinschaftlich, w ährend an sich letztere
ausschließlich dafür zuständig. Für Bremen, wo Jahrmarkt und Jalir-
niarktsfriedc 1035 erst begründet, sowie für Würzburg (1030) weitere
Frage, weshalb der Marktherr trotz der ihm früher erteilten lieentia
eonstruendi mcrcatum kaiserlicher Verleihung von Jahrmarkt und
namentlich Jahrmarkt frieden benötigt. Grund, daß dieser Friede sieh
durch weiteren räumlichen Geltungsbereich von anderen Marktfrieden
unterscheidet, Befugnis zu seiner Begründung also nicht in jener li-
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XI
ccutia enthalten ist. Hierfür spricht : a) Anfangs- und Kndpunkt des
Friedens nach Wortlaut aller Marklprivilcgien zunächst elfen, keine
prinzipielle räumliche Krstrcckung des Marktfriedens über das ganz«'
Reich. Aber zeitliche Krstrcckung des mehrtägigen Jahrmarkts, anders
als des inorcatuin cottidianum, als Einheit über mehrere Tage hin-
weg. Entsprechend der Friede des Jahrmarkts, gegenüber dem täg-
lich erneuerten des Tages- oder Wochenmarktes, eine mehrtägige Ein-
heit. Zeitlich Keginn und Endigung des Friedens, sei es innerhalb,
sei es außerhalb des Marktorts, mit Anfang bezw. Ende des Marktes.
Marktfahrcr außerhalb des Marktorts durch den Fricdun also auch
räumlich nur insoweit geschützt, als die Entfernung vom Marktort eine
Teilnahme am Markte nach lieginn oder vor Endigung des Jahr- bezw.
Tagesmarktfriedens möglich erscheinen läßt, b) Her Standpunkt der
Quellen, a. Widerlegung scheinbar widersprechender Privilegien, jä.
Erläuterung der (juellcnzeugnissc, insbesondere der Privilegien für
Schwübisch-Hail (1156) und Aachen (1166). — 2. Materieller Inhalt
des Marktfriedens ursprünglich Androhung des Königsbanncs für
ungerechtfertigte Angriffe, später, namentlich bei Jahrmärkten, auch
für an sich gerechtfertigte Angriffe (Arrest) während der Marktzeit.
ii. Sonstige Einschränkungen. — 1. Ausflüsse des städti-
schen Asvlrechts und der Billigkeit. Insbesondere l’ntcrbinduiig des
Uepressalienarrests. — 2. Prozessuales Geleit, zu unterscheiden vom
Uciscgcleit. a) Privatgeleit, Abart des Prozeßgeleits, b) i. Eigent-
liches prozessuales Ueluit. Ursprünglich allein vom Richter, später
auch vom Stadtrat erteilt. '1. Abwehr gerechtfertigter Klage und
Arrestierung, namentlich in Schuldsachen. y. Mannigfache Erteilungs-
gründe. 8. Verfahren bei der Erteiluug. t. Zuwiderhandlungen gegen
den Geleitsschutz.
Sechste» Kapitel. Die Gastgerichte 147— 194
I. Begriff und Name. Gastgerichte im engeren (zu Gunsten,
der Gäste) und im weiteren Sinn. Terminologie.
II. Entstehung. Gastgerichte inner- und außerhalb der Markt-
zeit. Das Privileg für Magdeburg (1188).
III. Die Bevorzugung der Gäste.
IV. Die Parteien. — 1. Gast gegen Gast, a) Stets Gastgericht
für den Gastkläger, b) Stets Gastgericht für den beklagten Gast, —
2. Gäste und Bürger, a) Stets Gastgericht für den beklagten Gast,
b) Gegenüber dem Gastkläger Verweigerung eines Gastgerichts die
Ausnahme, Zulassung die Regel. — 3. Rerhte der Bürger auf schleu-
niges Verfahren, a) Bürger als Kläger. Wenn überhaupt rasches
Verfahren, dann in der Kegel nur bei Wegefertigkeit der Bürger,
b) Bürger als Beklagte. Wenn überhaupt rasches Verfahren, dann
nur bei Wegefertigkeit der Bürger.
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XII
V. Sachliche Zuständigkeit. — 1. Stets zuständig bei Klagen
mn Schuld. — 2. In der Hegel bei Klagen um Frevel. — 3. Stets
bei Klagen um Fahrhabe. - 4. Sicht bei Klagen uin Ungericht
nnd Erbe.
VI. Der Antrag auf Gastgericht. — 1. Notwendigkeit eines
Antrags dos Berechtigten. — 2. Voraussetzungen, a) Für Bürger,
b) Für Gäste, i. Bestimmte Entfernung des Wohnsitzes vom Gerichts-
ort. ,3. Wegefertigkeit des Gastes, die tatsächlich im Regelfall vor-
handen ist. c) Form des Nachweises.
VII. Die Organisation des Gastgerichts. — 1. Änderungen
in der Besetzung des gewöhnlichen Gerichts. — 2. Eigens für Gäste
eingesetzte Gerichte. a) Hierher nicht genossenschaftliche Recht-
sprechung in dritter Stadt durch die Gäste selbst, b) Bestrachtung
einzelner Städte, i. Magdeburg. J). Riga. f. Wesel. 5. Köln (richtcr
van den gestin).
VIII. Ladungen, Termine, Fristen. Möglichste Abkürzung
für Verhandlungs- und Beweistermine, sowie der Vollstreckungsfristen.
IX. Das Verfahren im Gastgericht. Im Wesentlichen Über-
einstimmung mit dem ordentlichen Verfahren.
Abkürzungen für mehrfach gebrauchte Literatur- und QuuHenwerkc 105 — 202
Berichtigungen 203
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Erstes Kapitel.
Bürger, Mitwohner und Gast.
Der Rechtsbegriff der Stadt ist in Deutschland im Laufe des
1*2. und 13. Jahrhunderts zum Abschluß gelangt1). In dieser Zeit
setzt zugleich die ausführlichere Überlieferung eines in den
Städten herrschenden eigenartigen Privat-, Straf- und Prozeßrechts
ein, Gegenstände, über die sich die Immunitäts- und Markt-
privilegien des 10. und 11. Jahrhunderts in höchst dürftiger
Weise verbreitet hatten. In dem Maße, in dein die Anzahl jener
stadtrechtlichen Aufzeichnungen wächst, mehren sich in ihnen
auch die Sätze über die Rechtsstellung, welche die Gäste im all-
gemeinen (die hospitts, e.rlranei, adrenae , alieni, die utirendigeu
lüde, inkomelinge , feameden und eienden lüde) oder gewisse
wichtige Klassen von Gästen (die mercatores, peregnni, mildes,
ruxtiri, inculatores u. s. w.) in der Stadt einnehmen. Unter
diesen gästerechtlichen Vorschriften sind die prozessualen die
juristisch interessantesten. Denn sie erschöpfen sich nicht, wie meist
das Privat- und Strafrecht, in einfachen Verboten, z. R. des Grund-
stückserwerbs, oder in Erhöhungen und Niederungen gewisser
Sätze, z. B. der Bußhöhen, sondern führen, z. B. bei den sogen.
Gastgerichten, zur Aufstellung neuer eigenartiger Bestimmungen,
die teilweise auf die Gestaltung des gewöhnlichen bürgerlichen
Prozesses zurückwirken.
Nicht leicht ist zu umschreiben, was das mittelalterliche
Stadtrecht unter Gästen, unter Fremden versteht. Auch wenn
') Schröder S. G2U.
Kudorff, Hecht *,««1 eil u ijk der C.äste
1
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2
man den Nachdruck auf die Darstellung der Regeln legt , welche
die von auswärts in die Stadt kommenden Fremden betreffen
non solum paupere» »cd et di eite» cuiwtcitmi/ue ojficii, » tnlu »
eel conditionis e.rtiterint, si re de propinqui» »iee de lonyinqui »
een eiint loci s et per civitatem . . . tramitum fecerint cel ad
eam i piacumque occa«ionc rel raiiea renerint '),
wird sich zur Aufhellung jenes Begriffs ein Blick auf die Zu-
sammensetzung der Stadteinwohnerschaft nicht umgehen lassen,
von der ein Teil mit zu den Gästen, den Ausleuten rechnete.
Diese in der Stadt gesessenen „Gäste1-, zu denen, wie Schröder*)
sagt, „außer den Mietern auch das freie Gesinde und die soge-
nannten Muntmannen gehörten,“ wurden nicht zu den Bürgern,
sondern nur zu den Einwohnern der Stadt gezählt. Namentlich
schieden die Vogtleute der städtischen Fronhöfe, die Geistlichen
und häufig die in der Stadt wohnhaften Ministerialen aus der
Bürgerschaft aus. Das unterscheidende Kennzeichen der letzteren
war, wenigstens nach herrschender Auffassung, einmal Grund-
besitz, alsdann Gerichtsstand vor dem Stadtgericht3).
I. Die Bürger.
Es soll hier unterstellt werden, daß ursprünglich überall nur
die städtischen Grundbesitzer zu den Bürgern rechneten4).
*) Erläuterung des Bremischen Domprupstes, welche Leute appellatione
peregrinorum (t advenarum debent intelligi (1319), Khmck II S. 199; sachlich
übereinstimmend, nur kurzer gefaßt int die Entscheidung des Bremischen
Domkapitels über dieselbe Frage v1287), Khmck I 8. 478. In beiden
Urkunden werden von der Beisetzung auf dem Willehadikirchhofe lediglich
ausgenommen diejenigen pcra>rini und adi'enae, qui civitatem Bremensern visitave -
rinf vet per eam tramitum fecerint . . . . mercandi gra/kt; diese werden ander-
wärts bestattet.
*) S. 032.
3) Schröder S. 631. 032.
4) Schröder S. 032. Häutig wird hierfür der bekannte Satz des
Freiburger Stadtrechts 10 (Zusatz des 12. Jahrh.), Keutgen Urk. S. 122,
angeführt: qui proprium non obligatum sed liberum valens marcham unam in ch'itate
habucrit burqemis est. Aber gerade Freiburg i. B. samt seinen Tochterrechtei»
zeichnet sich durch einen ausnehmend harten und exklusiven Standpunkt in
der Behandlung der Fremden aus (vgl. die Ausführungen im dritten Kapitel),
welcher in der Definition des Bürgerbcgriffs sein Widerspiel gefunden haben
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3
Wichtiger ist für uns, daß die Stadt ein besonderer Ge-
richtsbezirk wurde und die Bürger ihren allgemeinen
und eigentümlichen Gerichtsstand zum mindesten vor
einem Stadtschultheißen hatten, der auch über die Grund-
stücke zu richten pflegte1). Allerdings konnte der Umstand, daß
hörige oder unfreie Personen sich in der Stadt dauernd nieder-
ließen und dort Bürger wurden, in älterer Zeit nicht ohne weiteres
die Rechte der außerhalb gesessenen Grund- und Gerichtsherren
beseitigen. An sich bestand eine ordentliche Dingpflicht der Ein-
gewanderten auch in den Gerichten der Herren, und so wurden
besondere Evokationsprivilegien nötig, die den allgemeinen ur-
sprünglichen Gerichtsstand derEingewanderten aufhoben *). Below3)
freilich läßt mit der dauernden Entfernung des Hörigen oder Un-
freien aus dem Hofgerichtsbezirk die Hofgerichtsbarkeit über ihn
ohne Weiteres aufhören. Aber einmal war diese Gerichtsbarkeit
durchaus nicht regelmäßig auf Streitigkeiten aus und auf hof-
rechtlichem Grundbesitz beschränkt. Seeliger4) weist vielmehr
darauf hin, daß sie von höchst mannigfaltiger ausgedehnter
Kompetenz sein konnte und namentlich in älterer Zeit nicht nur
einen territorialen, sondern auch einen persönlichen Geltungsbereich
besaß. Fenier ist gegen Below zu bemerken, daß eine Person
zweifellos an mehreren Orten ihren allgemeinen Gerichtsstand
könnte. Jedenfalls ist cs nicht unbedenklich, wenn Stolze S. 75 IT. gerade
das Freiburger Hecht zur Grundlage seiner Betrachtungen über .Gäste und
städtische Gerichtsbarkeit“ erwählt.
') Vgl. Kictächel S. 161. 162 für die Marktansicdelungen. Die Ge-
richtsverfassung der Uömerstädte, auf anderer Grundlage entstanden
(Kictschcl S. 162 Aum. 4), bot in der hier behandelten Zeit im Resultat
ungefähr dasselbe Bild (vgl. z. B. für Köln: Heldmanu S. 115. 116).
*) Im Gegensatz zu den späteren Evokationsprivilegien, deren Haupt-
zweck in der Aufhebung besonderer Gerichtsstände besteht, (vgl. unten
Kapitel III), beseitigen die älteren namentlich die Notwendigkeit regel-
mäßigen Aufsuchens auswärtiger Gerichte, also einen allgemeinen
Gerichtstand. So namentlich die bei Keutgen llrspr. S. 29 Anm. 1 ange-
führten Privilegien für Speier (1111. 1182), Mainz (1118 — 1135) und
Straliburg (1129), sämtlich abgedrnckt bei Keutgen Erk. S. 14. 15. 7. 8.
sowie das unten S. 4 bei Anm. 2 abgedruckte Privileg für Münstereifel.
3) S. 108: s. auch S. 106. 107.
4) Besonders auf S. 191. 192.
1*
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4
haben konnte1), also, auch wenn sie Bürger und stadtgerichts-
pflichtig geworden war, trotzdem zum Besuche des Hofdings ver-
pflichtet bleiben mochte. Gerade das Privileg des Grafen von
Hochstaden, hohen Vogts des Stiftes Münstereifel, zu Gunsten
des letzteren:
manripiu , i/ue in prephata rilla anni # pactum complererunt,
ad e.rtera placilu ner ceniant nee citentvr; dominn suo an-
nuatim et in morte xua debitam /lerxolvunt iusticiam !)
beweist, daß die ordentliche Dingpflicht im Hofgericht ursprüng-
lich nicht von selbst durch dauernde Entfernung des Pflichtigen
aufhörte.
Als im 13. Jahrhundert der Satz „Stadtluft macht frei“
allgemeine Geltung erlangt hatte und nach städtischem Aufenthalt
von Jahr und Tag infolgedessen ipso iure nur privatrechtliche
Verbindlichkeiten gegen den auswärtigen Herrn bestehen blieben,
erschien es natürlich, wenn der letztere die ordentliche Dingpflicht
seines fortziehenden Untertanen nach Möglichkeit im Vertragswege
zu wahren suchte. So erklärt sich der von Bclow5) angeführte
Vertrag aus dem Jahre 1238, in dem ein nach Andernach ziehender
Mann aus Krust seinem Herrn verspricht, auch nach Jahresfrist
jährlich einmal in seinem indicium zu erscheinen, si passet *).
Hier wird der allgemeine Gerichtsstand wenigstens noch im Wege
der privaten Vereinbarung und zwar nicht nur formell aufrecht
erhalten. Denn der Einwurf Belows, das Stadtgericht Andernach
hätte sicher Einspruch erhoben, wenn dergestalt der Herr in Krust
Gerichtsbarkeit über städtische Grundstücke hätte erlangen können,
verfängt nicht, weil das forum rei sitae ein anerkannt aus-
schließliches war4).
Lagen die oben genannten Voraussetzungen bei einem Stadt-
bewohner vor, so wurde dieser in älterer Zeit ipso jure Bürger.
Im Gegensatz zu dieser „stillschweigenden“ Aufnahme, die der
') Über derartige Erscheinungen z. U. im sächsischen Landrecht s.
unten Kapitel III.
■>, Mittelrhein, ü. IS. II S. 214.
3) S. 133. 134.
4) ItotuluB der Stadt Andernach in: Ann. d. hist. Yer. f. d. Nieder-
rhein, Itd. 42 S. 37 f.
4) Vgl. unten Kapitel III, sowie I’lanek I S. 47 fT.
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5
älteren Zeit eigentümlich war1), setzte sich im 13, und 14. Jahr-
hundert eine ausdrückliche, von der Gemeinde oder bestimmten
Organen derselben vorzunehmende, meist entgeltliche Aufnahme
in das Bürgerrecht durch. Ks genügen nunmehr also weder
Grundbesitz und selbständige Existenz in der Stadt, um die
Stellung eines Bürgers zu erringen, noch auch allgemeiner Ge-
richtsstand vor keinem andern Gericht, als eben dem städtischen.
Umgekehrt rechnen sogar solche Personen zu den Bürgern, die
nicht nur nicht Grundeigentum 2), sondern nicht einmal selbständige
Existenz in der Stadt besitzen*), offenbar nur deshalb, weil jener
Form der ausdrücklichen Aufnahme Rechnung getragen war4).
II. Die Mitwohner.
Schon aus dem letztgenannten Umstande erhellt, daß die Art, wie
Schröder lediglich zwischen Bürgern und „Gästen“ unterscheidet*),
mindestens für die spätere Zeit nicht zutrifft. Vielmehr wurde
ein Teil der städtischen Einwohner zwar mangels Grundbesitz
oder Aufnahme nicht zu den Vollbürgern, aber trotzdem nicht
') Maurer St&dteverf. II S. 740 ff. Sie ging vor sich durch Erwerb
von Grundbesitz., möglicherweise auch durch dauernde selbständige Nieder-
lassung in einer Stadt (vgl. unten S. 12 in und bei Anm. 3 — 5).
s) Lübeck Weistum für Elbing (vor 1300?) 1! 2, Stobbe Beitr. S. 165;
desgl. (um 1350) 15, ebenda S. 170. Vgl. Freiberg Stadtr. (1290 — 1307)
II § 3, Krmisch S. 42.
3) Osnabrück Begräbnigordnung (1278), Philippi S. 92: on.nes burgenses
, . . in tribus parrochiis nostris conunorantes dh’itts ac poupem , licet quidam ex eis
proprias dontos non habcant et nliis pro prccio serviant, . . sunt . . apitd mniorent
eeelesiam sepeliendi. Vgl. auch unten S. 7 Anm. 1.
*) Die in der vorigen Anm. erwähnte Begräbnisordnung kennt eine
ausdrückliche Bnrgeraufnahme. — Auf die mannigfachen Gründe der „Mit-
wohner, * diese Aufnahme nicht uachzusuchcn, deutet Kocsfeld Stat. (1349),
Niesert U. S. III 157. Unter gewissen Umständen, z.. B. wenn sie die Tochter
eines Vollbürgers heirateten (Soest Verordn, von 1288, Seibertz I S. 512),
gewisse Nahrungszweige, namentlich Kaufmannschaft oder Handwerk treiben
wollten (Kiga umgearb. Stat. § 1 — um 1300 — bei Napiersky S. 142: Lüne-
burg de proc. iud. Eddach — vor 1400, — Kraut S. 31), städtische Liegen-
schaften erbten (Göttingen Stat. von 1354, Pufendorf III App. S. 186),
war ihnen Erwerb des Bürgerrechts vorgeschrieben, und zwar im Gegensatz
zu anderen Personen häufig unter erleichterten Bedingungen (Lübeck Ver-
zeichnis der Einkünfte von 1262, Lnb. U. B. I Nr. 269).
5) Oben S. 2 bei Anm. 2—4.
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zu den „Gästen“ gezählt. Hierher gehören alle die Leute, die
mit sonstigen nichtbürgerlichen Einwohnern das Merkmal eines aut
die Dauer berechneten Wohnens in der Stadt teilen '), die aber
regelmäßig in selbständiger Stellung leben, städtische Steuern und
Dienste tragen und schließlich in der Stadt ihren allgemeinen
Gerichtsstand ausschließlich vor dem Stadtgericht haben.
1. a) Es fehlt nicht an Hinweisen darauf, daß diese Art
städtischer Einwohner in der Stadt auf eigenem Grund und
Hoden, mindestens in einem eigenen Hause sitzt, das dem Stadt-
gericht untersteht*). Häufiger freilich sind sie Mieter, die
entweder ein ganzes Haus in Anspruch nehmen3), oder aber bei
Hfirgern und auch solchen Leuten, die dem Stadtgericht nicht
unterstehen, z. B. bei Geistlichen, Unterkommen4). Jedenfalls
wird, mögen sie nur Mieter sein oder aber Grundbesitzer, betont,
daß sie in wirtschaftlicher Selbständigkeit, in persönlicher
Unabhängigkeit in der Stadt wohnen:
ice to Gotlingen ivonet unde negn borgen! enis ttndc eghenen
rock oder (lisch lieft noch nemande vermalet enie to (leitete, de
gift 6 Gott. ^ to tinee . ... ie he uver eyn ghaet, so nedarf
he nicht t innen, uver he mod tollen 5).
>) In Prag Stat. Hecht (1314—1418) 133, Rößler I S. 95, begründet
schon vierwöchentliches Wohnen cum proprio igne die Vermutung dauernden
Bleibens.
a) Metz Rechtserkenntuis Friedr. II (1314), Mcurisse S. 442: Osna-
brück Bcgr. Ordn. (1278), Philippi S. 32; Hamburg Stadtr. (1232) K 23,
Lappenborg 1 S. 122: Brünn Schöffenbueh (um 1 350) 125, Rößler II S. 64:
Göttingen Stat. (1354), Pufendurf III App. S. 186: Hameln Ratswillkür
(1370), Mcinardus S. 442: Köln Satzungen (1385), Kimen V S. 482. 483:
Lübeck I'rk. (1397), Liib. U. B. IV S. 735. 736.
3) Osnabrück Begr. Ordn. (1278), Philippi S. 32: vgl. Freiberg
Stadtr. (1296—1307) II § 3. 1 § 30. XL § 5, Ermisch S. 44. 35. 234.
4) Goslar Stadtr. (uni 1300), Göschen 63, 20 (vgl. Göschen 101, 26
in der Fassung bei Varges S. 294 Atun. 4): Lübeck Stadtr. Cod. Brokes
II. 202, Hach S. 570: Nordhausen Stat, Saimnl. (tun 1350) II. 33,
Foerstcmann N. Mitt, III, 3 S. 54: Lüneburg De proc. iud. Eddach (vor
1400), Kraut S. 31.
3) Göttingen Notiz im olde bok (um 1375), Schmidt I S. 285 Atun. 2.
Vgl. ferner Freiberg Stadtr. (1296—1307) II §3, vgl. § 1 und 2, Ermisch
S. 44: hot ein man eigen rouch, i/os ist g (mitte ho berge, der heizet euch fie-
setsen; Prag Stat. Recht (1314 — 1418) 139, Rößler I S. 95: qui seiet in
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7
Dieses Wohnen zusammen mit den Vollbürgern muß auf die
Dauer eingerichtet sein, dergestalt, daß auch die Familien-
angehörigen des Betreffenden dauernd in der Stadt weilen ’), daß
er anderwärts keinen Zuhalt besitzt3).
civitate quatuor scptimanis cum proprio igne, refutatur statim pro ave (vgl.
ebenda S. 04: qui redpit ins civiie, Ires prerogativas habet f qmis non höbet Ule, qui
est dvis sen — hier = : und — qui sedet IUI scptimanis cum proprio ig ne);
Dortmund Stadtb. (vor 1350) 11. Kronsdorff S. 68: Herrschaftl. Recht auf
Hccrgewäte u. Gerade wird ausgeschlossen gegenüber jedem mensehe, dai ti
man eder wif \ dey in der stat van Dorpmunde wonachtu h is unde eg he neu royk
luvet; Brünn Schüffenb. (um 1350) 125, Rößler II S. 64 (negativ gefaßt):
inquilinus (Gegensatz: dvis) nec h.reditatem nee proprium in civitate habe ns
residentiam; Kleve Stadtr. (nach 1424) 96 § 4, ZUG. 10 S. 234: alle bürgere
end oir ingesetenen, die binnen der stat vriheit van Cleve roick end vuer holden.
Vgl. auch Metz Rechtserk. Fricdr. II. (1214), Meurissc S. 442, abgegeben
unter Zustimmung des derzeitigen Schöffenmeisters und anderer Metzer
Schöffen : licet homines de Iluy haberent in urbe Metensi domos, nihilominus debitores
esseni t he lo ne i , cum in eadem civitate nec ignem nec /um um face r ent, net eorum
uxores et familiae ibidem mauere nt, nec ipsi in eadem civitate sicut alii dves faccrcnt
excubias ; Frankfurt a. M. Stadtr. (1297) 20, Keutgen l'rk. S. 189, und dazu 26
(Pfahlbürger!). — Auch wer nicht in eigenem Hause sitzt, kann also eigenen
Rauch und eigenes Feuer halten, wofern er nur, wie Freiberg Stadtr.
(1296 — 1307) 1 § 30, Klinisch S. 35, es ausdrückt, ein Haus (oder den
selbständigen Teil eines Hauses) dergestalt mietet und bewohnt, daß er
Ufirt darinne ist, daz he die vier wende inne hat. Hausgenosse dagegen ist, wer
mit dem andern inne ist in sinen vier wenden (Freiberg a. a. 0. § 31). Haus-
genossen sind also namentlich Familienangehörige und Dienstboten des
Hausherren, die diesem gegenüber kein selbständiges, durch Miete und dgl.
begründetes Recht auf Benutzung bestimmter abgeschlossener Wohn räume
haben; vgl. z. B. S. Ld. R. I 20 § 7: die müder is gast in des sons gewerm
unde die sone in der müder , sowie Wcnd isch-Rügian ischer Landgebrauch
(bei Gadebuseh S. 270): Dienstboten sind Leute, die mit der Herrschaft in
einem huse sind unde ein fuer thosammen hebben.
*) Metz Rechtserk. Friedr. II (1214), s. vorige Anmerkung. Osna-
brück Begr. Ordn. (1278), Philippi S. 92: quicumquc domum in civitate emerit
aut conduxerit, cuhtscumque fuerit conditionis, nisi sit propritts, quam diu ipsam do-
mum inhabitaverit et familiam et expensas in ea habuerit , apud maiorem ecclcsiam
sepeliendus est; wegen der nobiles, ministerielles und coloni werden ebenda besondere;
Bestimmungen getroffen. S. hierzu oben S. 5 Anm. 3.
*) Magdeb. Frag. II. 5 d. 3, Bohrend S. 173: vgl. auch Brühl (1285),
Lacomblet II S. 474: nullt tu . . vendere . . debeat vinwn ad brocam nisi oppidum
ipsum inhabitet tanquam oppidanus et iura faciat quecumque exigit oppidum;
Hamburg Stadtr. Anh. (1270) 5, Lappenberg 8. 72: desser stad borger unde
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b) Das Korrelat solchen Aufenthalts in (1er Stadt, der nicht
bedingt ist durch Zugehörigkeit zu einem andern innerhalb der
Stadt befindlichen Gerichte als dem städtischen, bildet die Ver-
pflichtung zum Mittragen der städtischen Lasten'). Nur wer
dauernd innerhalb des Stadtbezirks weilt, ist namentlich im Stande,
persönliche Dienste zu leisten. Meist ist freilich nur allgemein
von der Verpflichtung, die iura riritati '* zu erfüllen, die Rede,
worunter nicht nur jene Dienste, sondern namentlich auch Geld-
zahlungen begriffen werden. Diese direkten Abgaben, meist Scholl
oder Losung genannt, sind häufig nur in Bezug auf Vollbürger
geregelt und vorwiegend nach Verhältnis des städtischen Grund-
besitzes verteilt. Sie treffen jedoch in letzterem Falle natürlich
auch solche Mitwohner, die Eigentümer von stadtgerichtspflichtigen
Immobilien innerhalb der Stadt sind*); auch werden Mieter ganzer
Häuser nach Maßstab dieses Hauses herangezogen3). Da jedoch
der Schoß keineswegs nur vom unbeweglichen Vermögen, sondern
auch von beweglichen Sachen und Forderungen erhoben werden
kann '), so steuern zutreffenden Falles auch solche Mitwohner, die
sich bei Dritten eingemietet haben 5).
borgersche, inwoner unde inwonersehe, de sik under desser stad borger-
sc hop neret; Frei bürg a. E. Priv. (1*294), Sodendorf IX S. 3T4, und
Goslar Priv. (1390), Göschen S. 122.
*) Freiberg Stadtr. (129G— 1307) II § 3. § 9. XII § 1, Ern lisch S. 44.
46. 95: Schotten unde wachen; desgl. Nordhaus c n (um 1350; 11. 33, Foer ste-
in ann N. M. III, 3 S. 54; Göttingen Notiz im olde bok (um 1375), Schmidt I
S. 285 Anm. 2: Jede Wort gibt to tinsc i ßl. Gott, penninge, und ist sie geteilt,
icnvclk hus sinrn tins, und dazu Statut (1354), Pufendorf III App. S. 186: od en
mach neyn unser medeborgerc oder m e davon er e svn hus und ward dal beter is
wen achteyn mark an neme udmanne eder mednvonere de neyn borgher is . . . vor-
kopen. Vgl. auch Metz (1214), oben S. 6 Anm. 5.
*) Osnabrück Begr. Ordu. (1278), oben S. 7 Anm. 1.
3) Osnabrück, oben S. 7 Anm. 1: Freiberg Stadtr. (1296—1307) II
§ 3. XII § 1, Krmisch »S. 44 und 95.
4) Hamburg Stadtr. (1292) E 19, Lappenberg S. 121: Frei borg i. S.
Stadtr. (1296 — 1307) IV §§10. 11, auch 18, Krmisch S. 55: Prag Stat.
Hecht (1314—1418) 104, Rößler I S. 65: Marienburg Stadtordn. (1365),
Voigt S. 526: Braunschweig Stadtr. (1401) 290. 291, Hampelmann I
S. 125.
5) Nord hausen 3. Stat. Satnml. (um 1350; II. 33, Focrstemann N. M.
III, 3 S. 54; Göttingen (1375), s. oben S. 6 hei Anm. 5. Ohne besondere
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c) Ein Aequivalent für solche Leistungen stellt die Be-
freiung von gewissen Abgaben dar, die den Fremden,
den Gästen obliegen, namentlich vom Zoll '). Ein süddeutsches
Stadt recht faßt das in den prägnanten Satz zusammen:
oimiüi tjui Jacit iura rille, non ilat theloneum *),
also auch nicht der nun burgenxis, wofern er facil neun rille.
Ausdrücklich werden denn auch verschiedentlich städtische Mit-
wohnur neben den Bürgern als nicht zollpflichtig bezeichnet J),
meist unter Hervorhebung der oben gegebenen Begründung4).
Demgegenüber sind Außenbflrger, die in der Stadt zwar Grund-
besitz haben, aber wegen Nichtwohnens daselbst zur Leistung von
e.rcubiae u. dgl. nicht im Stande sind, zur Zollzahlung verpflichtet*).
Erwähnung der Wohnungsverhältniaso wird des ferneren der Schollpiliclit
u. g. w. einfacher Mitwohner Erwähnung getan z. B. in: Hern Stadtr.
(1218!') 25, Keutgcn Urk. S. 12«: Freiburg i. ü. Handf. (1249) 102. 107.
108, Gaupp St. R. II S. 100. 101: Brühl I’riv. (1285), Lacomblet II S. 474:
Hamburg Stadtr. (1292) E 19, Lappenberg S. 121: Freiburg a. E. Priv.
(1294), Sudendurf IX S. 374: Goslar Stadtr. (um 1300) bei Göschen 101,
26 und in der Fassung bei Varges S. 294 Amu. 4: Prag Stat. Recht
(1314—1418) 22. 139, Rüßler 1 S. 15. 94: Koesfcld Statute (1849), Niesert
U. S. III. 157: Hameln Ratswillk. (1370), Meinardus S. 422. Ausnahms-
weise können Mitwohner alle Lasten und Dienste mit gewissen Summen im
voraus jährlich ablösen; vgl. Lübeck Urk. (1397), Lüb. U. B. IV S. 735.
') Über die Begründung der Zollpflicht der Fremden als einer Gegen-
leistung für die städtischen Pflichten der Bürger vgl. die richtigen Be-
merkungen bei Scheller, Zoll und Markt (Blankenhain 1903) S. 56 und 57.
— Ub in Namslau (Verkauf der Flrbvogtei, 1333), Tzschoppe S. 535, der
Marktzins, eine Budenabgabe, lediglich von den hosfites und den iwolat non
hiriditati bezahlt oder ob er, insoweit ihn auch Bürger entrichten müssen
(was die Regel wäre, vgl. Gengier ltA. S. 139), vom Liegnitzer Herzog
nicht mitverkauft wird, ist nicht zu entscheiden. Im übrigen stehen in
Bezug auf Abgaben u. dgl. die Bürger und Mitwohner stets geschlossen
den Gästen gegenüber.
*) Freiburg i. U. Handf. (1249) 102, vgl. auch 107, Gaupp St. R. II
S. 100. 101.
3) Hagen Priv. (1296) 9, Seibertz 1 S. 572, und zwar in oiner Über-
setzung aus dem Anfang des 14. Jahrh.: bori^hire und mwomrt sulUn toi fry
syn; Freiberg Stadtr. (1296—1307) XL §2.5, Ermisch S. 234: Göttin-
gen (1375), oben S. 6 bei Anm. 5.
J) Über Mühlhausen Stadtr. (1230 — 1250), Herquet S. 631, vgl. unten
S. 15 bei Anm. 6.
Vgl. Frcnsdorll' in Hans, (fesch. Bl. 1897 S. 130.
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(1) Insbesondere teilen die erwähnten Mitwohner mit den
Vollbürgern den gleichen allgemeinen Gerichtsstand in
der Stadt, ohne daß etwa besondere Vereinbarungen mit Herren,
die in der Stadt Sondergerichte besitzen, nötig waren. Aus-
drückliche Bestimmungen über diese Gemeinschaftlichkeit des
Gerichtsstands sind freilich selten. Das Stadtgericht hat eben in
der Stadt gewissermaßen die Vermutung der Zuständigkeit für
sich. Deutlich z. B. ist jedoch das Stadtrecht von Freiberg ').
Nach ihm hat, wer be*ez:en ist (und hierzu gehört auch der
Mann, der nach Freiberg kommt und dort lediglich ein In/:,
eine herberge zum dauernden Wohnen mietet*)), gleich dem Erb-
gesessenen und im Gegensatz zum einfachen Hausgenossen und
selbstverständlich zum Ausmann und Gast, Anspruch auf mehrfache
Ladung ins Gericht. Gleich dem Erbgesessenen braucht er. wenn
er zwar an Gerichtsstelle, aber «ztctndie den henken steht, dem
Gebot des Richters sofort zu antworten keine Folge zu geben.
Ähnliche Vorschriften wie diese Freibergischen linden sich auch
anderwärts5); meist überwiegen freilich allgemein gefaßte Sätze4).
2. Es erscheint, und damit kehren wir zum Ausgangs-
punkt unserer Betrachtung zurück, von vornherein zweifelhaft,
') (1296—1307) XXXII § 12 und 11, Krmiseh S. 213.
*) II § 3 und XL § 5, Krmisch S. 44. 234.
3) Brünn Schöffenb. (um 1350) 125, Boßler II 8.64, bezüglich des
inquilinns . . hirciütatem . . . oder prof>rbnt in civilate leiben/ resiilen/iain] Magdeb.
Fr. II. 5d. 3, Bohrend S. 173, auf die Anfrage, ob, wer 22 Jahre in einer
Stadt wohne und anderwärts keinen Zuhalt habe, mochte evn pul gttyn: . . .
wer in der stat bol in iar ttndc tag wonhaftig ist rinde andirs in kevner stat besesszen ,
der sal recht habin, gebin und,- nemen g/ich eynem andirn besessen burger; Kleve
Stadtr. (nach 1424) 95 § 1, ZRG. 10 S. 232: Geen burger off burgersehe noch
ingesetenen der stat van Cleve en sal den andern burger off bürg he ruhe off ingesetenen
laiden belasten noch lukroiden voir reuigen ge rieht, dan voir geruhte to Cleve.
Vgl. ferner Lüneburg Priv. (1247), Docbncr St&dtcpriv. S. 28: Landfr. der
Gebiet« zw. Rhein, Lahn u. Main (1285) 8, Böhmer U. B. I S. 122:
Freiberg i. S. Stadtr. (1296—1307) XXXIX §4 (an dinge gen; über burger
in Freiberg s. unten S. 12 bei Anm. 3. 4) mit §2. 3, Krmisch S. 233:
Kleve Stadtr. (nach 1424) 96 §4 und zu Tit. 257 gräil. Priv. (1448),
ZRG. 10 S. 234 bezw. 257.
4) Z. R. Breslau Rechtsbel. an Glogau (1315) 1, Korn S. 91: hli,
qui sedent sub miliari, non astant iuri cor am nostro atlvocato hereditario in nostra
ihn täte, sed tan tum illi astant, sieut se extendit di stritt us nostre civitatis , id est, tibi
fastua nostre civitatis terminantur.
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11
daß die Klasse städtischer Einwohner, welche die bisher be-
schriebenen Merkmale aufweist und auch in anderen Punkten den
Vollbürgern angenähert ist'), ohne Weiteres, wie Schröder
meint*), unter der Bezeichnung „Gäste“ mitbegriffen und also
auch unter die für letztere gegebenen Vorschriften gestellt
worden sein sollte. Wendungen wie: hoajie« reyionh alten'u»
vice cieitalis (diene qui cenerit ml manendum ')“ beweisen natür-
lich für Schröder überhaupt nichts. Anders schon, wenn
/jette , hosjdtf» , ut/ncendige lüde, e.rtranci, die in der Stadt
wohnen, erwähnt und im Gegensatz womöglich zu deu Bürgern,
den cicet genannt werden. Doch darf man bezüglich des letzt-
erwähnten Punktes, was auch sonst von Wichtigkeit ist, nicht
übersehen, daß die Quellen da, wo sie allgemeine Vorschriften
über die Rechtstellung der burger bringen, unter «len letzteren
offenbar häufig nicht nur die sogen. Vollbürger verstanden wissen
wollen. Nicht jedes Stadtrecht besitzt eine so ins Einzelne durch-
geführte und sorgfältig bestimmte Terminologie wie das Frei-
belgische. Es kommt auch in einem so ausführlichen Stadtrechte
wie dem Kleveschen vor, daß Sätze, die zunächst ausdrücklich
auf Bürger und andere Eingesessene bezogen werden, in ihrer
Einzeldurchführung sich auch da lediglich über die Bürger ver-
halten, wo diese unzweifelhaft nicht allein gemeint sind.
a) Tu Wirklichkeit kommt denn auch die Bezeichnung „Gast“
für diese Klasse städtischer Einwohner nicht oder doch nur ganz
vereinzelt vor. Im Gegenteil sind sie es, die im besonderen und
') Z. B. in der Fälligkeit, für andere gerichtliche Sicherheit zu bestellen
bezw. Nichtverpllichtung Bürgen zu setzen (Freiberg i. S. Stadtr. — 1296
bis 1307 — II t}§ 3. 7, Fnnisch S. 44. 46), Liegenschaften zu erwerben (Tul n
Stadtr. — 1296 — 13, Kcutgcn Urk. S. 202: Hameln Katswillk. — 1370 — ,
Meinardus S. 422: vgl. Bist. I. 48 d. .5, Ürtluff S. 88), zu Stadtänitern ge-
wählt zu werden, (Freiburg a. K. 1‘riv. — 1294 — , Sudendorf IX S. 374).
S. ferner Kcinbold S. 56. 57 und die dort citiertcn Urteile aus dem
Wcsolcr Urteilsbuch bei Wolters S. 67 Nr. 131. 134. 136: Heinhold deutet
das Urteil Nr. 136 auf Vorzüge der fern von der Stadt auf lteisen gezogenen
Bürger, während in Wirklichkeit von Aullenbürgem die Hede ist. S. auch
Prag Stat.-Kecht (1314-1418) 139, Kniller I S. 94. 95, z. T. oben S. 6
Anm. 5 abgedruckt.
*) Oben S. 2 bei Anm. 2 und 3.
3) Breslau Abärnl. des Magdeb. Hechts (1261), Korn I S. 29,
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1*2
eigentlichen Sinne von den Quellen positiv als „ Eingesessene“,
als „Mitwohner *)“, und negativ als die Leute bezeichnet werden,
welche zwar „in der Stadt wohnen, aber nicht Bürger sind5)“.
Weiter geht namentlich Freiberg i. S., woselbst zur Zeit der Nieder-
schrift des Stadtrechts allem Anschein nach noch keine förmliche
Bürgeraufnahme existierte8) und infolgedessen das Wort burger,
trotz seines sporadischen Vorkommens, eine so scharf begrenzte
Bedeutung wie in andern Städten derselben Zeit nicht besaß.
Hier werden solche Momente, die allen selbständig und dauernd
in der Stadt Wohnenden, dem Stadtgericht Unterworfenen ge-
meinsam sind, in den Vordergrund gestellt. Als das Entscheidende
erscheint nicht, ob jemand burger, sondern ob jemand bexezzen
ist. Besezzen aber ist nicht nur, wer auf eigenem oder Erbzins-
boden sitzt4); für einen besessenen Mann wird vielmehr auch der
„Mieter“ gehalten1). In Prag, wo eine förmliche Bürgerauf-
') Auch incolae, mquilini, in chitate manentes. Vgl. Lüneburg l’riv.
(1247), Doebncr Städtepriv.; Lübeck Verzeichnis der Einkünfte (1262),
Liib. I". B. I Nr. 269: Hamburg Stadtr. (1270) Anhang 5 und (1292)
E 23, Lappenberg S. 72 bezw. 122: Lübeck Cod. Brokes II. 202, Hach
S. 570: Hagen Priv. (1296) 9 in alter Übers., Scibcrtz I S. 572: Goslar
Stadtr. (um 1300), Göschen 101, 26 in der Passung bei Varges S. 294
Antn. 4: Namslau Erbvogteiverkauf (1333), Tzschoppe S. 535; Heiligen-
stadt Willk. (1335) 43, Wolf Erk. S. 1 1 : Göttingen Stat. (1344) 69,
Zeitschr. d. hist. V. f. N. S. 1885 S. 162: Koesfeld Stat. (1349), Nicsert
U. S. III. 157; Mühlhausen Vcrtr. mit Hessen (1350), Herquet Nr. 1028:
Brünn Schöffenb. (um 1350) 125, Rößler II S. 64: Frankfurt a. AI.
Stat. (um 1350) 65 § 1. 2, Sei. an I S. 59; Hannover Stadtr. (um 1350?)
III. 32, Vaterl. Arcli. S. 379: Göttingen Stat. (1354), l’ufendorf III App.
S. 186: Königsfeld Rcchtsbr. (1360) 4 und 5, Gengier St. R. S. 225:
Hameln Ratswillk. (1370), Meinardus S. 422; Köln Satzungen (1385),
Knnen V S. 482 ff.: Kleve Stadtr. (nach 1424) 95 § 1. 2 und 96 § 4, ZUG. 10
S. 232. 234; Braunschweig Kchtcding (1532) XXVIII §174, Hänscl-
mann I S. 341.
*) Soest Verordn. (1288), Scibertz I S. 512; Göttingen Notiz im olde
bok (um 1375), Schmidt I S. 285 Anm. 2; Wesel l'rt. Buch 134, Wolters
S. 67: Braunschweig Kchtcding (1401) 111, Hänselmann I S. 136. Vgl.
auch Prag Uechtsb. 20, Rößler I S. 107.
5) Wenigstens erwähnt sie das sehr ausführliche Stadtrecht (1296—1307)
nicht. Sie wird vielmehr erst in Statuten aus der zweiten Hälfte des
14. Jahrhunderts genannt: vgl. Ermisch S. 308 s. v. burgtrreeht.
4) Stadtr. (1296—1307) II § 1 und 2, Ermisch S. 44.
5) II § 3 und I § 30, Ermisch S. 44 und 35. Alle Personen, die
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nähme bekannt ist, heißen derartige Einwohner sogar cives ’);
ähnliches findet sich auch an anderen Orten3).
b) Ferner aber werden diese städtischen „Eingesessenen“,
„Mitwohner“ ausdrücklich in einen entschiedenen Gegensatz zu
den „Gästen“ ( hospite «), zu den „Ausleuten“ gestellt3). Dies
besetzen sind, bilden mit den Hausgenossen, namentlich also den Kindern
und dem Gesinde, den Inbegriff der Leute, die zu der Stadt gehöreu (XI. § 2
und XIX § 12, Erwisch S. 234 und 124). Ihnen stehen gegenüber einmal
die, die aulicrhalb der Stadt wohnen ( uzman und gast), dann aber auch
solche, die zwar in der Stadt wohnen, sei es auf der Burg, sei es auf Lehn-
höfeti, sei es schlieülich auch bei Bürgern, die aber nicht dem Stadtgericht
unterstehen (XXXIX § 2—4, vgl. II § 7, Erwisch S. 233. 45).
*) Studtr. Huch (1314—1418) 139, Kollier I S. 94, Tgl. oben S. 6 Anm. 5.
Siehe auch S. 7 Anm. 2.
*) Goslar Stadtr. (um 1300), Göschen 101. 26, mit der Fassung bei
Vargcs S. 294 Anm. 4; vgl. Hamburg Stadtr. (1270) Anhang 5, Lappen-
berg S. 72.
3) Zum Teil allgemein: Namslau Verk. der Krbvogtci (1333), s. oben
S. 9 Anm. 1: Frankfurt a. M. Stat. (um 13.70) G5 § 1. 2, sei. an. 1 S. 59:
kein unser Burger adir der by uns wonet Süll den andeni, bei Strafe von ein-
monatlicher Ausfahrt aus der Stadt oder von vier Gulden, vor geistlich Ge-
richt' laden ; wird aber jemand in solcher Art van eyntt Gaste geladin, so soll
dem Gaste das doppelte, acht Gulden, sofort nuch der Ladung abgepfändet
werden dürfen: Dist. I. 46 d. 10, Ortloff S. 84: wert eyn erbe irstorben in
wiehbilde uf eynen gast, adder uf eynen burger adder der innewendig gezogen wer . . . ;
Braunschweig Echtcding (1401) 111, Hänsclmann I S. 136: Ohne des
Kates Erlaubnis sollen neync geste affte nement de Air neyn borgher en leere
Schwerter u. dgl. führen. Vgl. auch Goslar Stadtr. (um 1300), Göschen
63,20; Lübeck Stadtr. Cod. Brokcs 11.202, Hach S. 570; Kocsfeld Stat.
(1349), Niesert U. S. III. 156 und 157. — Zum Teil treten die ständigen
Einwohner speziell in Gegensatz zu Gästen, zu auswärtigen Leuten, die
entweder in der Stadt: Goslar Stadtr. (um 1300), Göschen 101, 26: we mit
uns nickt ne seotet, de is en gast und nen borghere, zusammen mit der Fassung
bei Vargcs S. 294 Anm. 4: miluanre seotet, de gast nicht-, Kordhausen dritte
Stat. Sainml. (um 1350) II. 33, Fuerstcmann N. M. III. 3 S. 54: eyn borger
mak jool Ansen unde keime solche lute , di da sehozzen un wachen, eder geste, die ir
brotezen sint un di nieheines gnoerbes f- fit gen. Helte ein gast gewerb, des man on
besege mochte, so vorlore sin wert vier mark; Braunschweig Stadtr. (1401) 290,
s. unten S. 15 bei Anm. 8, mit Echteding (1532) XXVIII § 174, Hänselmann
I S. 341: borger, inwoncr, borgers gesittete edder teilt mann, oder aber aullurhalb
der Stadt ihren Wohnsitz haben: Göttingun Stat. (um 1344) 69, Zschr.
d. hist. Ver. f. N. S. 1885 S. 162: neyn user borgere eder medetoonere schal
hager borge eder sakewohle vor utlude werden wenne vor ene mark; Göttingen
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erscheint um so weniger wunderbar, als selbst das Gesinde nur
ausnahmsweise zu den Gästen gezählt1), häutiger neben und nicht
unter ihnen genannt wird*), obwohl man das Letztere erwarten
dürfte. Denn mit Rücksicht auf den Mangel einer selbständigen
Lebensstellung in der Stadt’), mit Rücksicht ferner darauf, daß
das Gesinde, soweit es von außen stammt4), in absehbarer Zeit
seine Wohnung in der Stadt wieder aufgibt, wird es vielfach
neben den „Mitwohnem“, den „Eingesessenen“, als eine besondere
Hevfdkerungsklasse in den Quellen hervorgehoben’), deren Merk-
male die Bezeichnung .als „Gäste“ wohl rechtfertigen würden.
c) Wenn einmal „Mitwohner“ der beschriebenen Art tat-
sächlich unter der Bezeichnung „Gäste“ erscheinen, so handelt
es sich um eine seltene Ausnahme. Aus Norddeutschland dürften
Stat. (1354), oben S. 8 Anin. 1: Güttingen Notiz im olde bok (um 1 37.'»),
oben S. 6 bei Anm. 5: Hannover Stadtr. (um 1 350 j*) III. 32, Vaterl.
Arcb. S. 379: Magdcb. Prägen II. 5 d. 3, «. oben S. 10 Anm. 3: Braun-
schwei g Kchtcding (1532) XXYIII § 174, vgl. diese Anm. oben, mit Stadtr.
(1401) 290, s. unten S. 15: s. auch Freiberg oben S. 12 Anm. 5.
*) Nordhausen dritte Stat. Samml. (um 1350) II. 33, s. vorige Anm.
Vgl. Bremen Erste Statuten (1304) II, Oelrichs S. 44. — Auf die in den
Städten vorkommenden sog. Muntmannen und „coloni“, welche in einem
Schutz- und Abhängigkeitsverhältnis zu einzelnen Bürgern stehen, soll hier
nicht näher cingegangcn werden. Sic werden, von Köln und vielleicht
Magdeburg abgesehen, in der Hauptsache nur in süddeutschen Städten ge-
nannt. Vgl. über sie Maurer Städtevcrf. II S. 234 ff.: Gengier HA. S. 403 ff.:
tiierke I S. 322 bei Anm. 43.
*) Freiberg Stadtr. (129<i - 1307)], s. oben S. 12 Anm. 5: Goslar
Stadtr. (um 1300), Göschen 35, 3G. 55, 9. 63, 20; Lübeck Stadtr. Cod.
Brokes II. 202, Hach S. 570.
*) Vgl. oben S. <i Anm. 5 gegen Ende, sowie Göttingen Notiz im
olde bok (um 1375), oben S. (! bei Anm. 5. Vielfach muUte das Gesinde erst
durchVcrmitteliing der Herrschaft klagen oder verklagt werden (Hertz S. 37—51).
4) Goslar Stadtr. (um 1300), Göschen IG, 15.
’) Goslar Stadtr. (um 1300), Göschen t!3, 20; Lübeck Stadtr. Cod.
Brokes II. 202, Hach S. 570: Heiligenstadt Willk. (1335) 43, Wolf I rk.
S. 1 1 ; Nordhausen dritte Stat. Satnml. (um 1350) II. 33, Poerstemann N.
M. III, 3 S. 54: Braunschweig Echteding (1532) XXVIII § 174, Hänsel-
uiaiin I S. 341. — Ausnahmsweise muH das Gesinde, gleich den ständigen
Einwohnern, schossen (Freiberg Stadtr. IV. § 18 bei Ennisch), ist dann aber
auch vom Zoll frei (ebenda XL § 2): in Goslar Stadtr. (um 1300), Göschen
86. 12, ist das Gesinde auch zum l'rteilfindcn berechtigt.
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nur Heiligenstadt1) und Soest*), aus Süddeutschland Hem3) und
Freiburg i. U. 4) hierher zu rechnen sein; die beiden letzteren
sind Tochterrechte von Freiburg i. Br.5). Eigentümlich äußert
sich das Stadtrecht von Mühlhausen ,:). Zieht jemand zu bleibendem
Aufenthalt in die Stadt, will aber nicht bürgere werde unde teil
doch koyphe unde rirkoyphe, so sal he zu rechte einen royl yebi aUe
ein andir gast. Diese letztere Bezeichnung ist im vorliegenden
Fall gerechtfertigt; denn die „Mitwohner“ in Mühlhausen nehmen
als Strafübel für den Nichterwerb des Bürgerrechts rechtlich nicht
die bürgerähnliche Stellung ein wie in andern Städten, wo sie
namentlich von der Zollzahlung befreit sind7).
III. Oie Gäste.
1. Unzweifelhaft freilich lassen es auch die eben genannten
Aufzeichnungen von Heiligenstadt und Soest nicht, ob die dort
genannten „(»äste*4 nicht lediglich zu der Kategorie von Personen
zählen, die das Braunschweigische Stadtrecht zusammenfaßt als die
gheystliken lude edder uthlude, de neyne stadplicht
plegen to donde , alte schoten, waken, uth jagen, edder der stad
hehulpelik to wesende van oren personen wegen, se woneden
binnen der stad edder dar enbuten *).
■) Hei I igenstadt Willk. (1335) 43, WolfUrk. S. 11: ein put, der nicht
eyn MedJaooner ist, nachdem vorher von Bürger, Ilürgerskuecht und Mit-
wohner die Hede gewesen.
*) Soest alte Schrae (um 1350) 143 und 119, Scibertz II S. 401. 399;
vgl. auch Socstcr Urteil für Siegen (1300—1350) von bete geben, WcstfSl.
Ztschr. XI S. 333.
*) Stadtr. (1218?): dein extranens (XV. XXXVI) steht der hosfes, der in
urbe residet et omnia iura civitatis adim/'let (XXV. XXXIII), gegenüber und er-
freut sich bis zu einem gewissen Grade des ins burgensie (vgl. XIV), Keutgen
Urk. S. 128. 130. 129.
*) Handf. (1249). die zwar die Ausdrücke hospts, advena, extremem, non
burgensis vielfach durcheinander wirft, aber unter dein hospe < non burgensis,
wofern er facit usus vitle (vgl. z. 11. 18 mit 107), den ständigen Mitwohner
zu verstehen scheint, Ganpp St. K. II S. 85. 101.
s) Vgl. oben S. 2 Anm. 4.
*) (1230—1250) llerqnet S. C31 : über Krwerb des Bürgerrechts S. Ii32.
7) Vgl. oben S. 9 bei Anm. 1—5.
8) (1401) 290, Hänselmann I S. 125; vgl. Braunschweig Echteding
(1532) XXVIII § 174, oben S. 13 Anm. 3.
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Die ausdrückliche Erwähnung der t/hei/xtlilen lüde deutet
an, daß hier unter uthluden überhaupt alle die verstanden sind,
die als Pfaffen, Ministerialen, Grundhörige ') ihren allgemeinen
Gerichtsstand nicht vor dein Stadtgericht hatten und die feiner
auch grundsätzlich nicht zum Mittragen der städtischen Lasten
verpflichtet, nicht plicht bare lüde3) waren. In letzterer Be-
ziehung freilich setzten die Städte vielfach durch, daß mindestens
von Grundstücken, die dem Stadtgericht unterlagen, auch durch
Angehörige jener Stände städtische Lasten mitgetragen wurden*).
Und auch bezüglich des Gerichtsstandes gelang es den Städten,
ihre eigenen Gerichte neben den Sondergerichten jener Stände4)
für Klagen gegen letztere in gewissem Umfange kompetent zu
') ln Kap. OCX XVI van hovelmleu timte papen des deutschen Stadt-
rcchts von Lübeck (1294), Hach S. 364, gebietet der Hat bei 50 Mark Strafe,
t/al mn horghere mul selten sin erve vor men g ns! noch nen horghere ne schal vor-
ccptn cn erve, papen oi/er christlichen lütten noch ritteieren io/ hove-
luiten, io negitener wie. — Bei dieser Gelegenheit ist darauf hinzuweisen,
daß bei Vorschriften über diese Art von Gästen letztere in der Kegel nicht
unter dem Gcsamtnamcn .Gast“, sondern unter der Bezeichnung ihres
Standes, d. h. als milites, rustici, derlei und dgl. erscheinen.
*) Braun schweig Stadtr. (1401) 290, Hansel mann I S. 125: vgl.
oben S. 8 bei Anrn. 1 — 5.
3) Vgl. Soest Urt. f. Siegen (1300—1850), Westf. Zeitschr. XI S. 333.
und alte Schrae (um 1350) 143, Seibertz II S. 401: Schwaney Stadtr.
(1344), Wigand I. 4 S. 100: sowie namentlich den Beschluß von Mühl-
hausen (1302), Herquet S. 638, woselbst in Anbetracht des Schadens, den
phaphen, riuere umtc intim der Stadt durch Nichterfüllen der städtischen
Lasten von städtischem Besitz zugefügt haben, für alle Zeiten streng verboten
wird, yeheyttte phaphen, rittcre otlir iu,lcn vrieit tu gehene an hauen otlir an antlermc
xeheynirkygt gute. Auf Lehngut u. dgl. ruht von vornherein nicht städtische
Schoß- und Dienstpflicht; deshalb ist sein Besitzer im Sinne des Stadt-
rechts nicht beseiten (Freiberg Stadtr. II § 7 bei finnisch S. 45). — Ohne
Beschränkung sogar auf eigentümlichen Besitz von Stadtgrüudcn verpflichten
zu städtischen Leistungen z. B. Hameln Stadtr. (1277) 12, Keutgen Urk.
S. 177: Kreibcrg Stadtr. (1296 — 1307) XXXIX § 3, Krmisch S. 233:
Hildesheim Ilatsschluß (1297), Doebner 1’. B. I S. 262.
*) l'ber grundherrliche Gerichte in Magdeburg vgl. Hagedorn S. 348,
in Braunschweig unten Kapitel III. Im Verhältnis zu Dienstmannen-,
geistlichen u. dgl. Gerichten werden sie selten erwähnt. S. dazu Bein»
S. !H( Anm. 1.
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machen ’). Auch für diese letzteren, zwar in der Stadt wohnhaften,
aber nicht zu ihrem Gerichtsverbande gehörigen Personen wird
die dem Sachverhalt entsprechende ausdrückliche Bezeichnung
„Gäste“ selten angewandt2).
2 a) Desto reichlicher findet sich die Benennung „Gast“ für
alle die, die außerhalb des Stadtgemeindebezirks und des mit
ihm in der Regel zusammenfallenden Stadtgerichtsbezirks3) gesessen
sind4). Häutig werden solche Auswärtige zum Unterschied von
1) Vgl. darüber diu Ausführungen in Kapitel III an verschiedenen
Stellen. Die dort cit. Vorschriften beziehen sich meist sowohl auf die in wie
auf die außerhalb der Stadt wohnhaften milites , rustici u. dgl. — Man einigte
sich u. U. mit einzelnen Personen. Die Gebrüder von Weidensee erhalten von
Mühlhausen (1250), Hcrquct Nr. 135, die oportunitas libere residendi in der
Stadt und zwar befreit von teloneum und gescen (s. jedoch oben S. 16 Anin. 3),
verpflichten sich aber dafür, sich im Falle einer Klage gegen sie vor dem
städtischen viflitus zu gestehen.
2) S. oben S. 16 Anui. 1.
3) Das regelmäßige Zusammenfallen des «Gebiets, innerhalb dessen die
Stadt die Hechte einer Ortsgemeinde ausnbt“, mit dem Stadtgerichts-
bezirk vertritt mit Hecht Bclow S. 32 ff. und S. 82 bei Anm. 4; vgl. Gengier
HA. S. 265 ff., aber auch Rietschel S. 221 Anm. 5. Nur wenn der Aftervogt
ist in dem wiebilde , iz si vor der stai oder in den gatten oder in den futsen , uf
dem morde oder wo he ist , da ist in geriehle , nicht aber, wenn er kumit uz
disem 7i 'U bilde uf daz velt oder in ein darf oder in ein vorwere (Freiberg Stadtr.
XXX 11 § 2. 6 bei Ermisch S. 211): wer außerhalb jenes ersterwähnten Bezirks
wohnt, es sei nun auf dem gtbirge, daz in die stat zu V’riberc gehöret, oder auf
dem lande, der ist — obwohl auch für dieses Gebiet die Stadt gewisse pro-
zessualische Vorschriften gibt (z. H. II § 10. 12, XXIX § 4, XXXII § 6, Er-
iii i sch S. 46. 47. 183. 211) — ein uzman (I § 37, Ermisch S. 37). S. auch
Breslau Rechtss. für Glogau (1280) 1, Korn S. 48: landlute, dy beder syte
buzen der stat wichbilde in anderme rechte gesessin sin , verantworten sich U. V.
vor dem Stadtgericht, zusammengehalten mit Rechtsbcl. an Glogau (1315)
1, oben S. 10 Anm. 4: Bautzen Priv. (1282), Tzschoppc S. 398.
4) Insbesondere Brünn Schöffenb. (um 1350) 166. 167. 175, Rüßler II
S. 84. 85. 87, betont, daß, wer aus einem anderen Gerichte kommt, ein
advena, ein Homo extraneus sei. Vgl. ferner Wesel Urk. Buch 142, Wolters
8. 67: die eens vreuidt mans pandt opbaidt voir dem ge rieht off buten dem
Kerspel gesetten; Sachs. Weich b. XXVIII § 1, Daniels S. 103: Dist. IV. 9
d. 5 und IV. 47 d. 4, Ortloff S. 198 und 275: Bresl. I.audr. (1256) 195,
Guupp Schics. LU. S. 167: bairisches Kechtsbuch (1332), abgedruckt bei
Grimm, deutsches Wörterbuch (Leipzig) IV, I Sp. 1456: wir sprechen , daz eilies
gesf sein, die in der stat nicht gesetten (= wohnhaft) sin/ noch in der stat geriehle.
Andere Hechte bezeichnen als Auswärtigen, als alienus einfach den, der extra
ICudorff, UvcUt.'i.HtelluuK der (iä.-t« 2
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18
den stadtbewohnenden Gästen noch ausdrücklich adcena hoxpe«,
hospes alienue, j'remet gast, utwerdig gast genannt,1) und als Männer
gekennzeichnet, die gcstewyz in die Stadt kommen *), als Kaufleute,
die, anders als die im Weichbild gesessenen Krämer, in gaste s
wissze farn *). Sie zeichnen sich vor den in der Stadt wohnhaften
Gästen eben dadurch aus, daß ihnen die Absicht dauernden
Aufenthaltes in der Stadt mangelt4). Gäste, die hir pleghen to
lighende van einer fit tor anderen 4), bleiben eben aus jenem
Grunde Gäste. Solche auswärtige Personen sind, wie das Braun-
schweigische Stadtrecht *) gelegentlich einer Vorschrift über Aus-
antwortung vererbten Gutes an Auswärtige es ausdrückt,
in g hasten wisen in der stad .... mit der vorsate, wen
se dal yhevordert hedden, dat ere wonenl denne hir nicht lengh
en irere.
b) Diese auswärtigen Gäste sind ebenso wie die Stadtgäste
nicht ding/dichtirh edder stadplichtich r). — - Einmal tragen sie
städtische Lasten grundsätzlich nicht mit*), es sei denn, daß sie,
selbst außerhalb wohnend, entweder von ihrem städtischen Grund-
ävitaltm wohnt (Schwerin Stadtr. — 1100? — 22 in ZKG. 9 S. 285: Brann-
schweig Hagen — 12. Jahrb. — 13 und Ottonianum — 13. Juhrh. — 15 in
Hänsclmann 1 S. 2 be/.w. 5). Vgl. auch vorige Anmerkung.
*) Brünn Stadtr. (1243) 31, Rüffler II S. 353: Uersfeld Verordn, d.
Abts (1289), Wenck III U. B. S. 157: Soest l'rt. für Siegen (1300—1350),
Thron, d. dtseh. Städte Bd. 24 S. LXXV: Erfurt Zus. zu den Stat.
(1313), Walch II S. 23: Sehwerte Priv. (1397), v. Steinen I S. 1507.
*) Magdeb. Fragen III. 9 d. 2, Behrend S. 202.
3) Dis t. V. 9 d. 24, Ortlolf S. 295.
4) Vgl. aber oben S. G Anni. 1.
s) Hamburg Stadtr. (1292) M XI, Lapponbcrg S. 147.
6) (1401) 291, llänselinann I S. 125. Vgl. auch Göttingen Stat. (1354),
l’ufendorf III App. S. 175: Bauern, die < tor vreiles willen . . . hir enr mite
wonen wählen, sowie oben S. 2 in und bei Anin. 1.
J) Braunschweig Stadtr. (1401) 291, Hänselmann I S. 125.
") Goslar Stadtr. (um 1300), oben S. 14 Anm. 1; Prag Stat. Recht
(1314—1418) 139, Rüffler I S. 94: Göttingen Notiz im olde bok (um 1375),
oben S. 6 bei Anm. 5: Braunschweig Stadtr. (1401) 290, oben S. 15 bei
Anm. 8.
*) Freiberg Stadtr. (129G — 1307) IV § 3, Krmisch S. 52; Prag,
Rüffler I S. XCIV.
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10
besitz9) oder von den zu ihrem Gewerbebetriebe gehörigen und
ständig in der Stadt befindlichen Gütern ‘i Schoß erlegen müssen.
Anstatt dessen sind sie zollpflichtig*).
c) Weil ferner der allgemeine Gerichtsstand der auswärtigen
Gäste sich außerhalb der Stadt befindet, müssen sie nur bei Vor-
liegen eines besonderen Gerichtsstandes3), namentlich also, wenn
sie sich in der Stadt befinden, vor dem Stadtgericht antworten:
Quicumpie mercandi ca um cicitutem int rarer int , tarn ipxi
t/uam bona eorutn xub iudicio illorum inaneant, ijui publice
iurarerunt, iuxtam iudicii darr sentenciam, id ext seabinorum*).
Wunderten Gäste von außerhalb in eine Stadt ein und wurden
daselbst Bürger, so hing wahrend einer gewissen Zeit ihnen in
bestimmten Beziehungen die ehemalige Gasteseigenschaft an5),
*) Löwenberg i. Schl. Willkür (1311) 4, Tzschoppe S. 489.
2; Vgl. oben S. 9 Anm. 1 bis 5, sowie Braunschweig Ottonianum
(13. Jahrh.) 57, Hänselmanu I S. 7.
*) Barliber s. unten Kapitel 111.
*) Utrecht (11*29), Hans. U. B. I S. G, Festsetzungen Heinrichs V.,
nachdem sich SchulthoilS, Kastellan und Utrechter Bürger über die gegen
fremde Kaulleutc ausgebrnchten ungerechten Zölle beklagt haben. Marien-
burg Hamlf. (1276) 6 und 7, tiengler St. K. S. 277, trifft die Bestimmung,
daß Streitigkeiten zwischen den in der Stadt wohnhaften Leuten des Land-
meisters, die nicht dem Stadtgericht unterstehen ( fxempti ab omni inrt avium),
und solchen Fremdlingen, die nicht auf städtischem, sondern eximiertem
Boden Aufenthalt nehmen, nicht von dem Stadtgericht, sondern von dem
ordentlichen Richter jener Leute zu entscheiden sind.
5) Namentlich im Beweisrecht: Goslar Stadtr. (um 1300), Göschen 76.
3: auch Riga unigearb. Stat. (um 1300) VII. 11, Napiersky S. 183: Eus-
kirchen Stadtr. (1302) 4, Keutgcn Vrk. S. 15G: Bremen Ordale (1305 — 1306)
CXXIl, Oclrichs S. 138. — Umgekehrt wird Bürgern, die ihre Bürgerschaft
aufgeben, auch dann die Behandlung als Gäste, angedroht, wenn sie in der
Stadt bleiben und die Lasten tragen (Hildesheim Stadtr. 141 — um 1300
— , Doebncr U. 11. I S. 293): vgl. Mühlhausen, oben S. 15 bei Anm. G
und 7. Bürger, die eine längere Weile aus der Stadt fahren, hören deshalb
noch nicht auf Bürger zu sein (Braunschweig Ottonianum 50 — 13. Jahrh.
— , Hänsclmann I S. 7 : Goslar Stadtr. — um 1300 — , Göschen 67, 24):
Mitwohner dagegen sollen, um nicht wieder in die Stellung von Gästen
herabzusinken, in solchen Fällen vorher das Bürgerrecht erwerben (Lübeck
l'rk. — 1397 — , Lnb. U. B. IV S. 375. 37G). — Bezüglich der AuOcnbürgor
vgl. Gierke II S. 279 und Zentner in ZKG. 23 S. 87 IT.: ihre Rechtsstellung
ist sehr mannigfaltig, auch in prozessualer Hinsicht, bald mehr der der Gäste
2*
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20
und insofern unterschieden sie sich von den schon längere Zeit in
der Stadt wohnhaften Bürgern. Bei Gästen dagegen, die außer-
halb der Stadt ihren Aufenthalt behielten, machte es bei vorüber-
gehendem Verweilen daselbst in prozessualer Richtung wenig
aus, oh sie selbst wiederum in kleinerer oder größerer Entfernung
von der Stadt gesessen waren, und namentlich, oh außerhalb des
Territoriums, zu dem die betreffende Stadt gehörte. Nur in der
Rechtsprechung des Brünner Schöftenstuhles taucht dieser letzte
Gedanke, ein Ausfluß beginnenden staatlichen Bewußtseins, mit
Klarheit auf und nimmt sogar in dem Satze:
Hoape a Jicitur ia, ipii non eat terrigena, rel elinm, qui eal
aub ilominn ulteriua prineipia ')
die Bezeichnung „Gast“ nur für Exterritoriale in Anspruch, trotz-
dem, wie oben2) gezeigt, in Brünn auch die außerhalb des Stadt-
geriehtsbezirkes Wohnhaften keineswegs als Einheimische betrachtet
und behandelt werden. Anderwärts dreht es sich doch mehr um
Einzelheiten. Am ersten tritt noch der Einfluß von Entfernung und
möglichenfalls exterritorialer Lage des Wohnsitzes des Fremden5)
bei den Vorschriften über die Gastgerichte hervor *). Ferner kommen
diese Umstände, von den Gerichtsstands- und den damit zusammen-
hängenden Arrestprivilegien der Stadt- und Territorialherren für
ihre Ministerialen und Grundhörigen abgesehen 5), bei manchen
Sätzen aus dem Gebiete des Beweisrechts in Betracht6). Schließ-
(Hildeshoim Stadt r. 93 — um 1300 — , Doebner U. B. I S. 288), bald inehr
der der Bürger angenähert (Wosei Urt. Buch 13(1, Wolters S. 67).
') Schölfcnb. (um 1330) 566, llößler 11 S. 263: vgl. ebenda 591 (Rößler II
S. 272), sowie unten Kapitel VI.
;) S. 17 Anm. 4.
3) Er ist dann tilhlcimlcsch (Wittenburg l’riv. — 1345 — , Mcckl. V. B.
IX S. 634), extrapnrvmrialh (Stade Rcchtsbr. 17 — 120!) — , Gengier St. B.
S. 455).
4) S. unten Kapitel VI.
ä) S. oben S. 17 Anm. 1.
6) Zum Nachteil des Exterritorialen z. B.: Eeobschütz l’riv. Ern.
(1270) 43. 44, Gengier St. li. S. 246 (der innerhalb der provimia Gesessene
überzeugt den Dieb mit drei, der außerhalb Gesessene mit sieben
Männern): Salzwedel Kechtsbr. (1273), Pufendorf III App. S. 399 (der
außerhalb der Mark Gesessene kann Bürger nur mit Bürgern, ein anderer
sie auch cum extranch testibm überzeugen). Zum Vorteil de* Exterritorialen:
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lieh hängt die Möglichkeit, in bestimmten Fällen Klage zu erheben,
bisweilen von jenen Voraussetzungen ab1). Die weitere Frage, ob
jemand Beichsangcliöriger sei oder nicht, spielt in den prozeß-
reehtliehen Quellen der damaligen Zeit überhaupt keine Rolle.
Wenn Below’) vom Handelsverkehr sagt, daß die auf die Gäste
bezüglichen Bestimmungen „jedenfalls der Hauptsache nach Unter-
tanen des deutschen Königs, sehr häufig Insassen desselben Terri-
toriums“ zunächst im Auge haben, so triflt das sicherlich auch
für den Prozeß häufig zu*). Ausdrücklich genannt werden außer-
deutsche Gäste überhaupt nur in Verträgen prozessualen Inhalts,
die verschiedentlich mit ihnen abgeschlossen wurden4).
Wenn in diesen Verträgen z. B. Heinrich der Löwe den Gotli-
1 ändern versprach: plcnam e.r iudiciaria potestate no*(ra iusticiam
et cor red tone m conxcquantur, oder Lübeck den Schweden zusicherte,
sie zu behandeln, als wären sie Lübecker, so sind das mehr Be-
stärkungen alter Gepflogenheiten als Zeugnisse dafür, daß die
Gothlünder, die Schweden vorher rechtlos gewesen wären. Denn
grundsätzlich sollte den Gästen überhaupt stets gleich den
Bürgern zu ihrem Rechte verhelfen werden. Unter der Voraus-
Er allein ist u. U. zum Elendcneidc berechtigt (s. unten S. 30). — (Iber
den Eintlull der Stammeszugehörigkeit in älterer Zeit auf dem Gebiet
des Beweisrechts, namentlich bezüglich der Eigenschaften von Zeugen, vgl.
Göhrum I S. 156 Anm. 2.
■) Bezüglich der Klagen von Mitbürgern gegeneinander in fremdem
Lande s. Näheres unten in Kapitel III. — l>er einem Herrn nt extranea
prminaa Entlaufene kann von jenem im Gegensatz zu andern Eigentümern
auch noch nach Jahr und Tag beansprucht worden (Frei bürg i. IT. Handf. 48,
Gaupp St. K. II S. 102). Vgl. auch Katihor Einf. der Verjährung (1315),
Tzschoppe 8. 496: Breslauer Landr. (1356) 195, Gaupp Schics. L. K.
S. 167: Wien Stadtr. (1221) 19, Keutgen Urk. 8.209.
2) Hist. Ztschr. 86 8. 69. S. auch Below in Jahrb. f. Nat. Ük. 75 8. 30.
3) Die Vorschriften indessen z. B. über Gastgerichte haben gerade
ferner wohnende, namentlich auch auücrhalb des Territoriums gesessene Gäste
im Auge: vgl. unten Kapitel VI.
4) Z. B. Vertrag zw. Deutschen und Gothländern, bestätigt von
Heinrich d. Löwen (1163), Lflb. U. B. I Nr. 3: Köln- Flandern (1197
und 1212), Hans. U. B. I S. 25 bezw. 40: Vertr. zw. deutschen Kauf-
1 cuten und 8mnlcnsk (1229 und 1255), Hans. U. B. I Nr. 232 bezw.
398- Lübeck-Schweden (1250) Lüh. I'. B. I Nr. 170: Bremen- Flandern
(1255), Eh nick I 8. 3<>5.
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Setzung, daß sie selbst es halten würden *), sollten sie desselben
Rechtes’), desselben Friedens1) in der Stadt genießen wie die
Bürger selbst. Letztere sollten lediglich wegen dieser ihrer Eigen-
schaft nicht vor einer Partei, die (last ist, bevorzugt sein*). Die
Verpflichtung einer unparteiischen Rechtsprechung zu Gunsten der
Fremden ward nicht selten in die Eidesformel aufgenoinmen,
welche Richter5), Urteiler*), Fronboten J) oder berufsmäßige Vor-
sprecher8) zu leisten hatten.
Hart genug war es schon, daß sich das Prozeßverfahren in
der hier behandelten Zeit auch da, wo ausschließlich Gast mit
Gast stritt, durchweg nach dem Recht am Orte des Prozesses
richtete :
ifuod actor et reu s cnnmietudine * et iura locorum, in tjuibus
litignnt, obsercare debent , licet fortassis in aliis loci» , ubi alia
vigent iura, residentiam habent corporalem 9).
Und wie hier das Brünner, so entscheidet schon in früherer
Zeit das Magdeburger Recht:
< )b sich ztcene ander ein ander leunden binnen icickbilde,
die beide con Kindischer art sin hcre honten unde doch nine
icinedc sin, die eine honte core unde hinge nach Kindischer
site, die andere ne darf inte zu rechte nicht antwarten, ob her
*) Goslar Stadtr. (1219) 22, Kentgen tlrk. S. 181.
’) Riga Stadtr. (1225 — 1238) Ein), und 38, Napiersky S. 3 bozw. 10:
Freising Stadtr. Huch (1328) (19, Maurer S. 309: I.üheck an Burggraf
von Strombcrg (13R8). Lfib. U. B. 111 Nr. f‘>72. Vgl. Siegburg an Köln
(12S4), Lacnniblet 11 S. 488, und Köln Satzungen (1385), linnen V S. 482 ff.
*) Braunachwcig Ottnnianmn (13. Jalirli.) 57, Hünaclmann I S. 7:
Hamburg-Lübeck (um 1230), Hans. 1'. B. I S. 81, Vgl. Straüburg
Erstes Stadtr. (12. Jahrh.) 1, Keutgen l'rk. S. 93.
*) Brünn Schöffenb. (um 1350) lfi7, Rödler II S. 85. Vgl. jedoch
Rostock au Lübeck (um 1300), Liib. U. B. II, 1 Nr. 124.
5) Bist. UL 1 d. 1, Ortloff S. 134: Göttingen grilll. liid auf dem
Leineberge (1421). Havemann II S. 509.
a) Hamburg Stadtr. (1270) XL 11, Lappenberg S. GO: Hist. 111. I d. 2,
Ortloff S. 134.
») Hist. III. 1 d. 3, Ortloff S. 134.
8) Kassel Landgraf!. Satzung (1384) 29, Gengier Cod. S. 472.
'•’) Brünn Schöffenb. (um 1350) 105, Rödler II S. 5G.
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23
tcol beklaget in an der spräche, diu ime angeboren ist, nach
wichbildes rechte ').
Mit Hecht liebt Planck1) hervor, zwar habe jeder Fremde
nach M.igdeburgischem Recht") einen Anspruch darauf, in der
Sprache seiner Herkunft beklagt zu werden, also, wenn diese
') Magdeb. Brcsl. Hecht (1201) 54, I.aband RQu. S. 21. Nicht ent-
gegensteht S. Ld. R. III. 7!) § 2, der im Anschluß an § 1 von neu ausgesetzten
Dörfern zu verstehen ist: ihr entweder vom Dorfherrn erteiltes oder von
den Dorfgenossen selbst gesetztes Recht wird mir als Sonderrecht der Dorf-
genossen, nicht aber als eine gleichberechtigt neben dem I.andrecht stehende
Rechtsbildung (wie z. B. das Markt- oder Stadtrecht) zugelassen. Die Be-
merkungen von Kühns II S. 382. 383 zu Berlin Stadtbuch von 1397 (Buch III
hinter qu. XCVIII), Fidicin I S. 172, sind schon ans dem letzterwähnten
Gründe unrichtig, abgesehen davon, daß in der fraglichen Stelle nicht davon
die Rede ist, cs müsse jemand mit Zeugen sein Fremdtum beweisen (ei/erl),
um nicht nach Berliner fokal-, sondern nach sächsischem Rechte sich ver-
teidigen zu dürfen. — In eine Zeit, da die einzelne Stadt das eigene Recht
noch nicht zu voller Selbständigkeit durchgebildet hatte, fällt das bekannte
und streitige Privileg des Abts Eggehard für Allensbach (1075), Keutgen
I rk . S. 62: Omnibus eiusdem oppidi viltanis mereandi potestatem c oncessimus , ut ipsi
et eorum postcri sin t mercatores, exreptis Ais , qui in txercendis vineis vei areis oeett -
pantur. Ipsi autem mercatores inter se vei inter alios nulla alia faciant
judieia , preterquam quae Constanticnsibus, ßasiliensibus et omnibus mercatoribus ab
antiquis temporibus sunt eoncetsa . , Rietschel s Erklärung (S. 195) der gesperrt
gedruckten Worte dahin, daß „die mercatores [von Allensbach] in ihren
Rechtsstreitigkeiten vor Gericht sowohl am Orte selbst wie an anderen Orten
das allgemeine Kaufmannsrecht genießen sollen“, verträgt sich nicht mit
dem Sinne des Worts fattre, welches nicht ein leiden, sondern ein „handeln“
bedeutet. In Allensbach richtet naturgemäß das Ortsgericht, unter Vorsitz
des advocatus und Beisitz von Gemeindemitgliedern, seien dies nun speziell
die mercatores, seien es die sonstigen villani; es ist nämlich eine einzige Ge-
meinde vorhanden, nicht ein Nebeneinander zweier Personalgemeinden (Below
S. 30). Diese Gemeindemitglieder finden das Recht (iudicia faciant). Sobald
im einzelnen Falle mercatores als Beisitzer fungieren (über die Bildung der
Gerichte im allemannischen Itechtsgebict s. Schröder S. 557 oben) — und
dies dürfte die Regel dann gewesen sein, wenn der im Privileg genannte
Wochenmarkt anstand — , sollen sie, wofern Allensbacher oder fremde euer-
catores (so mit Recht Keutgen Urspr. S. 214 Anm. 3) mit einander prozes-
sieren, ausschließlich das gemeine Kaufmannsrecht, den Vorläufer des Stadt-
rechts, zur Anwendung bringen.
») I S. 136.
s) Vgl. Magdcb. Bresl. syst. Sch. li. III. 1 d. 4. I.aband S. 55: und
ferner: S. Ld. R. III. 71. 70: Dist. VI. 26 d. 1, Ortlolf S. 333.
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•24
wendisch sei, auf wendisch; aber abgesehen von diesem einen Zu-
geständnis darf, selbst wenn beide Parteien Stammesfremde sind,
nur nach wichbilde « rechte, nicht nach windischer site prozes-
siert werden1). Namentlich auf dem Gebiete des Ueweisrechts
war die Frage, welches Beeilt in Anwendung zu bringen sei, wichtig.
Im Rechtsbuche von Herford*) wird sie auf Ersuchen eines Für-
sprechers des Herrn von der Lippe und dessen Meiers um He-
sclieid, wie sie einen in die Stadt gezogenen angeblich eigenen
Mann gewinnen sollen, zu gunsten des Prozeßorts, des Stadtrechts
mit der Begründung entschieden: erex ammete* recht wirte men
hir nicht. — Daß Gäste die Anwendung ihres heimatlichen Prozeß-
rechts hätten in der Fremde verlangen können, war eine Aus-
nahme, bewirkt vielleicht durch ein besonderes Privileg, wie z. II.
das bekannte vom Kaiser an Lübeck erteilte, wonach ein jeder
seiner Bürger überall im Reich
se expurgabit absijue captione xecundum iura jam dicte
civilafU 3).
Wo derartige Ausnahmen nicht galten, das Recht des Prozeß-
orts also eintrat, konnte sich der Gast bei Verstößen gegen Ver-
fahrensvorschriften in der Regel nicht mit Rechtsunkenntnis ent-
schuldigen*).
') Die Antwort mul) vom Beklagten, evtl, mit Hülfe von Versprechern,
so erteilt werden, dall die Gerichtspersonen sic verstehen können (l)ist. VI.
26 d. 1, Ortloff S. 333).
s) (1360) 10, Wigand I, 1 S. 18. Vgl. auch Riga Umgearb. Stat. (um
1300) 2, Napiersky S. 142.
3) (1188) 5, Keutgen Urk, 8. 184. Die Privilegien des Erzbischofs
v. Riga usw. für alle die Ostsee u. Livland besuchenden Kaulleutc (1277) und
des Deutschordens meist ers usw. für die Lübecker (1299), I.üb. l\ B. I
nr. 37!) bezw. nr. 688, lassen die Privilegierten ihre Streitigkeiten unter
einander nach gothländischem bezw. tübischem Recht erledigen: sobald aber
ein Eingeborener mit in Frage kommt, ist, auch wenn der Richter der
Privilegierten richtet, das Recht des Prozollortes in Anwendung zu bringen.
Vgl. übrigens Priv. der Gräfin v. Flandern für die Kaulleutc des Reichs
(1252), Lüb. I'. B. I nr. 180, wonach Erteile der üandriseben Schöffen in
Deutschland in die Güter der Verurteilten so vollstreckt werden sollen,
wie der flandrische Spruch verlangt: gegen ihre Personen jedoch soll nach
dem Hecht des Ortes der Vollstreckung vorgegangen werden.
*) Vgl. jedoch München Stadtr. Buch (1347) 262, Auer S. 101: Recht
iles Billwärdcr (um 1400) 23, Lappetibcrg S. 328.
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25
Zweites Kapitel.
Vare, Eiendeneid und prozessuale
Stellvertretung.
Die grundsätzlich gleiche prozessuale Behandlung der Gäste
hatte jedoch, teils zu ihren Gunsten, teils zu ihren Ungunsten,
ihre Ausnahmen. Nicht nur verhältnismäßig am eigentümlichsten
ausgeprägt, sondern auch, wie schon aus der außerordentlich
häufigen Erwähnung in den Quellen hervorgeht, von ausnehmend
praktischer Bedeutung iur die Stellung der Gäste1) war alles, was
sich auf Gerichtsstand, auf Personal- und Sacharrest, auf Markt-
frieden und Prozeßgeleit, sowie auf die sogen. Gastgerichte bezog;
diese Gebiete mögen deshalb einer gesonderten Betrachtung weiter
unten Vorbehalten bleiben8). An dieser Stelle soll nur kurz auf
einzelne Besonderheiten hingewiesen werden, die nicht jene Be-
deutung besitzen, von denen jedoch ein Teil eine sogar ausschließ-
liche Beziehung gerade auf Gäste hat.
I. Ausschließlich auf Gäste dürften u. a. gehen die Sätze,
die mit Rücksicht auf Entfernung und Art des Wohnsitzes den
Gästen die Fristen zur Klagerhebung •’) oder zur Rechnungslegung4)
verlängern, besondere Bestimmungen über die Orte treffen, wo sie
zu laden oder die Entscheidungen ihnen zu verkünden sind5); die
Sätze ferner, die den Gästen höhere Gebühren als Einheimischen
auferlegen, handele es sich nun um Gefälle an die Gerichtsbehörden
') Vgl. oben 8. 2 bei Amn. 1.
J) Auch irn Vollstreckung verfahren, namentlich aber im Beweisvcr-
fahren zeigen sich umfangreiche Besonderheiten, Beide Gebiete bleiben in-
dessen, vom Elendenoidc und gewissen Besonderheiten des gastgerichtlichen
Verfahrens abgesehen, von vorliegender Arbeit ausgeschlossen.
3) S. oben S. 21 Anin. 1: Freiburg LU. Handf. (1249) 48; Katibor
Einf.d.Veij. (1315): Bresl. Landr. (1356) 195. — Vgl. auch D ist. I. 34 d. 2,
Ortlofl' S. 67, und unten Kapitel VI.
*) Brünn Schöffcnb. (um 1350) 166, KoUler II S. 84.
s) Freiberg Stadtr. (1296—1307) I §37. III §3, Kruiisch S. 36. 50
(Markt: Herberge); Goslar Stadtr. (um I3<>0), Göschen 40, 24. 47,12. 52,23.
52, 26. 67, 37 (Marktlaube: Je htrhtrghe Jur he — sc. der Gast — pleghet in to
ivanJerenJe) ; Frankfurt a/M. Priv. (1376), Bönig p. sp. IV Font. S. 591
(seine herfierge, Jo er — sc. der Gast — inne gelegen hat).
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bei Rückerstattung abhanden gekommener, namentlich gestohlener
oder geraubter Gegenstände '), bei Vornahme bestimmter prozessualer
Handlungen*), hei Auskunft über das in der Stadt geltende Recht1);
die Sätze schließlich, die das Rflgerecht der Gäste betreffen').
II. Wichtiger als die eben genannten erscheint eine Reihe
von Vorschriften allgemeiner Natur. Es zählen zu ihnen nament-
lich die Regeln über die Beseitigung der vare, über den sogen.
Eiendeneid und über die prozessuale Stellvertretung.
1. Die Regeln über die Beseitigung der care wird man
mit Siegel4) am besten zerlegen in solche, die den Formalismus
speziell beim Unschuldseide, und solche, die ihn überhaupt oder
doch in ausgedehnten I’artieen des Prozesses ausschließen sollen.
Vom Unschuldseide nimmt Siegel*) an, daß seine Ableistung
ohne care bei leugbarer Schuld schon Ende des 12. Jahrhunderts
allgemeiner Bestandteil des Kaufmannsrechts gewesen sei7). Wenn
') Münster Stadtr. (1221) 39.38, Keutgen l'rk. S. 153: Dortmund
Lat. Stat. (1254-1256) 11 und l'rteilsbuch (1300— 1350) 1. 2, Frensdorff
S. 26 bezw. 108 : Bremen nngcbl. Vcrtr. des Erzb. mit Stadt (1259), Khmck
I S. 337, und Ordale (1305) I.XXV, Oelrichs S. 109: Hamburg Stadtr.
(1270) XII. 6, Lappenberg S. 67: Hannover Stadtr. (um 1350?) III. 16,
Yaterl. Arch. S. 362: Brest. Landr. (1356) 195, Gaupp Sehlos. Lande. S. 167:
l)ist. IV. 9 d. 5, OrtlnlT S. 198. Eine Befreiung der deutschen Kaufleute von
dieser Gebühr enthält Riga l’riv. d. Erzbisch. (1275), Lüb. U. B. I nr. 362.
*) Dem Büttel für die Ladung: Freiburg i. t . Handf. (1249) 15,
Gaupp St. K. II S. 85. Dem Büttel für die Verwahrung des Schuldners: Frci-
berg i. S. Stadtr. (1296 — 1307) XXXVI §2, Ermisch S. 225. Dem Gericht
bei Mißlingen erhobener Beweise: Münster Stadtr. (1221) 33.32, Keutgen
l'rk. S. 152: Wesel l’riv. Bcstftt. (1277) 13, Wigand IV, 4 S. 410. Dem Ge-
richt vor Erklärung der beantragten Friedloslegung: Werden Vertr. zw. Abt
u. Stiflsvogt (1317), Lacomblet III S. 121.
*) Magdeburg SchöfTenspr. für Stendal (1334) II. 5 und 6, llehrend
l'rt. Buch S. 2. Vgl. überhaupt Goslar Stadtr. (um 1300), Göschen 1, 17:
Magdeburg Alph. Samml. v. Schöflenspr. 338, Wasserschieben S. 98.
4) Braunschweig Stadtr. (1401) 2<>7, vgl. 206, Hänselmann I S. 118,
verbietet überhaupt, daß ltfige gegen Bürger von Nichtbürgern angebracht
werde. Magdeburg Ratsordn. (1329), Magdeb. I'. B. S. 200, verlangt dem-
gegenüber nur eine vorherige Prüfung der Glaubwürdigkeit der uhvtmii^htn ludc.
5) S. 33. 35. °) S. 36.
7) Vgl. Aachen Priv. (1166) 5, Keutgen l'rk. S. 38: Priv. Fricdr. I.
für die Flandr. Kaufleute (1173) 4 und 8, ebenda S. 52: Lübeck Priv.
(1188) 5, ebenda S. 184; Hamburg Priv. (12. Jahrh.), Lappenberg S. XL:
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sich das auch nie mit Bestimmtheit wird nachweisen lassen, so
ist doch die Wahrscheinlichkeit dieser Aufstellung sehr groß.
l>a beim Eid das genaue Nachsprechen vorgesprochener Worte in
Frage kam und eine Vertretung durch Vorsprecher hierbei grund-
sätzlich nicht verstattet war1), so befand sich der Fremde, der in
einem andern Dialekt oder überhaupt nicht deutsch redete, in
einem ganz offensichtlichen Nachteil. Selbst in Hildesheim, dessen
Stadtrecht als das einzige in Deutschland den Gast bezüglich der
rare bei der Ableistung des Eides schlechter stellt als den
Bürger, heißt es:
Siijuix non loi/uitur noxtra lini/un, non tenetur ittrare ad
rare s).
Damit ist die erwähnte ungünstige Vorschrift tatsächlich auf
einen kleinen Teil der Gäste beschränkt. Denn bei der großen
Verschiedenheit der mittelalterlichen Mundarten erklären z. B. die
Schöffen von Brünn*) nicht nur den Sachsen, Schwaben und Rhein-
länder, sondern auch den Wiener Bürger für einen alieniyena alium
haben» modum lai/unidi i/nam hic lot/ui comuetum est ; sie geben
ihm demzufolge das Recht, nach Berührung des Kreuzes die Worte
des Eides so auszusprechen, sicut in suis /lartihus cotisueeit.
Wenn Schröder4) meint, daß die niederländischen Kolonisten
in der Regel das Privileg erhalten hätten, sine mra schwören
oder überhaupt prozessieren zu dürfen5), und daß dies wohl der
Köln Vcrtr. mit Flandern (1197), Hans. l\ B. I S. 25. Aua späterer Zeit
erwähnen dio gefahrlose F.idosleistung Fremder z. B. Köln Vcrtr. mit Flan-
dern (1212), Hans. F. H. I S. 40, und Vertr. mit Berg (12fi2), Lacomblot II
S. 290; Koblenz Altes (ierichtsbuch (13<;r, — 1424) 19 § 1, Bär S. 93.
') Planck I S. 197 oben.
’) Stadtr. (um 1249) 40 und entspr. (uni 1300) 38, Docbnor II. B. I
S. 105 bezw. 283. Nach Stadtr. (um 1249) 37. 38 und entspr. (um 1300) 35.
38, Doebner IT. B. I S. 104 bezw. S. 283, schwört der Gast dem Bürger sub
penn tjuc dicitur varr; ein gleiches gilt für das Verhältnis von Bürger zu
Bürger, während der Bürger dem Gaste gegenüber von der vare befreit ist.
>) Schöffcnbuch (um 1350) 454, Rößler II S. 211.
4) S. 785. — Mas sog. Priv. Friedrichs L für tlandr. Kaufleute (1173) 4,
Keutgen l'rk. S. 52, gibt keineswegs nur diesen das Recht sine van schwören
zu dürfen.
*) Z. B. Erzb. von Magdeburg für die Holländer der Kirche von Naum-
burg (1152), thüring. ltechtsdenkin. 1. 145: Heinrich d. Löwo für die Hollän-
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28
erste Anstoß gewesen sei, im späteren Mittelalter die Gefahr im
Rechtsgang überhaupt aufzuheben, so ist dies wohl nicht richtig.
Einmal weisen Rechtsaufzeichnungen anderer Art in einer mindestens
ebenso frühen Zeit wie jene flandrischen Privilegien auf eine Be-
seitigung der raff hin1). Ferner ist zu berücksichtigen, daß die
Notwendigkeit, den scharenweise anzusiedelnden, fernher stammenden
Kolonisten ihr neues Recht zu fixieren5), zufälligerweise gerade für
sie Niederschriften des Prozeßrechts in einer Zeit entstehen ließ,
die verhältnismäßig nur wenige Aufzeichnungen solcher Art her-
vorgebracht hat. Daß in diesen Niederschriften des Verbots der
care gedacht wurde, geschah, weil man den Ansiedlern natur-
gemäß jene Befreiung von der eure ausdrücklich zusichern wollte,
die auch sonstige Fremde genossen.
Im allgemeinen wurden seit dem 18. Jahrhundert die Ein-
heimischen bezüglich der care nicht anders behandelt als die
Fremden :
precipimm, ut omne ius absque eaptione, quod rulgo rare
dicitur, observetur tarn de e.rtraneis quam de burgemibus 3),
die Regeln über rare überhaupt meist Ununterschieden danach, ob
für Einheimische, ob für Gäste bestimmt, hingestellt. Höchstens
in Verträgen, namentlich den von Köln4) oder den niedersächsischen
der des Fr. von Mcckengtedt (1171), Hoyasches 1'. 11. II, 5 S. 2: I’rir. d.
Erzb. von Bremen für Holländer (1171), Vogt, inonum. Bremcnsia 1.10.
Vgl. I’riv. Friedrichs I. für llandr. Kauflcnte (1173) 4. 8, Keutgen l'rk.
S. 52: s. oben S. 27 Anm. 4.
') s. Siegel S. 31 ff. In dem ebenfalls bei Siegel genannten sog. Vogt-
wuistuin von Gandersheim (1188), Harenberg K. 130, wird bezeugt, daß
schon der Graf und Vogt Siegfried von Bomencburg bestimmte Güter aus der
Hand der Acbtissin empfangen habe, ne f Uitones tccUsiat ] saptioso iuditio debcant
iudicari; jener Vogt ist identisch mit dem Grafen und Vogt Siegfried (IV.),
der in einer l'rkunde des Bischofs von Hildesheim 1134 genannt wird und
vor 1150 stirbt (Harenberg S. 188 — 172).
s) S. Friv. Heinrichs d. Löwen (1171), oben S. 27 Anm. 5: nt outen
prtdictis emtoribus nulla fossil infern violentia, iustieiam eorum distinctc iussimia
subnotari.
3) Goslar Friv. Friedr. II. (121!)) 40, Keutgen l'rk. S. 182.
*) Mit Berg (12(13), Ennen II S.466: mit Berg (1280), ebenda III S. 157:
mit Berg (1318), Lacomhlet III S. 136; mit Reifferscheid (1320), Gnnen
IV S. 63: mit Brabant und Aachen (1351), I.acomblet III S. 39!): mit Ober-
wesel, Koblenz, Andernach und Bonn (1359), I.acomblet III S. 499.
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20
Städten ') abgeschlossenen, versicherte man die Angehörigen anderer
Städte und Länder noch ausdrücklich eines equnm iudicium,
iudicium grutinsnm et sine ragtione , genetlich gerethe sunder rair.
2. Auch zur Entwicklung des Eiendeneides*) wird die
Jtücksicht auf Gäste, welche im auswärtigen Lande der Freunde
und Verwandten entbehren, ursprünglich nicht wenig beigetragen
haben. In späterer Zeit erscheint er jedenfalls, anders als es bei
der Befreiung von der rare der Fall ist, häufig sogar ausschließ-
lich aut (Jäste beschränkt. Wer mit Eidhelfern schwören müßte,
diese aber aufzutreiben nicht im stände ist, darf unter gewissen
Umständen einen «erregt leisten, enelende geswerin, d. h. eid-
lich beteuern, daß er lediglich sinen ellendighen thuch habe’);
nur darf er, wenn er diesen Voreid in Anspruch nimmt, seine
Unschuld noch nicht angeboten haben4). Solche Umstände liegen
vor, zuweilen schon, wenn dem Beweisführer nicht die genügende
Anzahl von Verwandten4), meist, wenn ihm nicht diese oder die
erforderliche Menge von Freunden zur Verfügung steht. Letzteres
wird natürlich am häufigsten gerade bei Gästen eintreten. Nicht
') Monster- Friesland (1276), Wilmanns HI nr. 988: Bündnis zw.
Goslar, Braun s e li weig, Ilalbcrstadt, Quedlinburg und Aschers-
lebrn (1333), Halberstädt. U. B. I nr. 413. Vgl. Priv. des lirlitnd.
I>eutschlaudmeisters für die Inbischen Kauflcutc (1299), I.üb. U. B. I
nr. 688.
3) Vgl. über ihn Planck 11 S. 138 und 139.
s) F.schershausen bischöl!. Priv. (1133 — 1137), Böhmer Acta II S.816;
Nordhausen iura civitatis (1208), nach Scnckenberg visiones S. 330 ge-
druckt bei Sachsse S. 286: Lübeck lat. Stadtr. (1263) LIV, Hach S. 202:
Flensburg Stadtr. (1282), nach Westpbalen monuni. Cinibrica toin. IV
S. 1944 gedruckt bei Sachsse S. 87: Bruchstück eines (Magdeburgischen?)
Gesetzbuchs (13 Jabrh. ?), Dreyer S. 170 und 171: Bamberg Stadtr. (1306)
137. 138, Zöpll S. 46. 47 : Magdeburg SchöfTenspr. für Stendal (um 1340)
XXVII § 2, Bohrend Urt. Buch S. 112: Vertrag zwischen Mecklenburg,
Sachsen, Schwerin und Lübeck, Rostock, Wismar, Grcvismühlcn
usw. (1354), Lüb. U. B. III nr. 218: Berlin Stadtbuch (1397) III. Buch
hinter gu. XGIV, Fidicin I S. 161; RLdlt 45 § 4 und 5: Zweite Keurc von
Popcringbcn Art. 8, Warnkönig III, 1 S. 297: niederdeutscher licchts-
satz, nach Raeer Overysselsche Gedenkstukken 5.387 und 6.87 gedruckt
bei Noordcwier S. 167: Odensee Priv. (1477) 7, nach Kolderup Samml. V
S. 207 gedruckt bei Sachsse S. 87.
4) Lcuhschntz Willknrrecht rf276), Böhme 1 Teil II S. 11.
s) F.schershausen bischüfl. Priv. (1133—1137), Böhmer acta II S. 816.
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30
selten ist infolgedessen bei Erörterungen über den Eiendeneid nur
von ihnen die Rede '). In spaterer Zeit heiüt es sogar, daß in
der Stadt nur der (last Anspruch darauf habe, den Eiendeneid
ableisten zu dürfen, und zwar auch er nur, wenn er außerhalb
einer bestimmten Entfernung von der Stadt 5), oder gar nur, wenn
er außerhalb des Territoriums gesessen ist, in dem die Stadt liegt3).
Hat der Berechtigte den erwähnten Voreid geleistet, so führt
er den ihm obliegenden Eideshelferbeweis derart, daß er den eigenen
Unschuldseid und dazu selbst die Eide der Eideshelfer ableistet,
sei es in gleicher4), sei es in verminderter5), sei es sogar in ver-
mehrter Anzahl6). Oder aber er bringt wenigstens einen Teil
der Eideshelfer auf; dann schwört er seinen Unschuldseid, die
Eideshelfer leisten ihren Eid ab, und hierauf schwört der
Beweisführer, sei es allein7), sei es mit den Eidhelfern*), so viele
') Brünn Stadtr. (nach 13<K>) (1,5, Kollier 11 S. 304: desgl. Flensburg
und Odcnsce, s. oben S. 29 Anui. 3.
*) Braunschweig Stadtr. (vor 1300, SO, Hänselmann II S. 225. Vgl.
Lüneburg Statuten (vor 1400} XXXIX, Kraut S. 54.
s) Magdeburg Schöffenspr. f. Stendal (um 1340) XXVII § 2, Bohrend
Urt, Buch S. 112; vgl. Lcobschütz Willk. Hecht (1276), s. oben S. 29
Anm. 4. S. auch unten S. 32 bei A um. 7. Ls ist nicht richtig, wenn
Planck II S. 138. 139 — unter Berufung auf: Magdeburg für Breslau
(1295) 19, Laband K()u. S. 30; Magdeburg für Görlitz (1304) 58, Tzschoppc
S. 44*1 : Kulm 111. 24, Lenian S. 58; Ulogau Rechtsb. (1386) 225, Wasscrsch-
leben KQu. S. 32; Magdeburg Schöffenspr. für Stendal von 1333, XXVI
§2, und von 1340, XXVII §2, Bohrend Urt. Buch S. 102 bezw. 112: Siebs.
Weichbild UH § 3, Daniels S. 51 — behauptet, das Magdeburgischc
Hecht habe den Llendeneid überhaupt verboten.
*) Ksch ershausen bischöfl. l’riv. (1 133— 1 137), Böhmer acta II S.81G:
Bamberg Stadtr. (1300) 157. 158, Zöpfl S. 4(i. 47; HLdH 45 §4.
5) Nordhausen jura civit. (1208), oben S. 29 Anm. 3; Bruchstück
eines (Magdeburgischcn ?) Gesetzbuchs (13. Jahrh. ?), Drevcr S. 170. 171.
6) Flensburg Stadtr. (1282) und Odensee l’riv. (1477; 7, beide oben
S. 29 Anm. 3.
7) Lübeck Stadtr. (1263) UV, Hach S. 202: Bamberg Stadtr. (1306)
157. 158, Zöpfl. S. 46. 47: zweite Keure von I’operiughcn Art. 8, Warn-
könig UI, 1 S. 297.
9; Bremen Vcrtr. mit Hustringen (1220), Lhmck I S. 141. Hier wird
auch, ohne Beziehung auf Klcnde, eine interessante Abart wiederholten
Lides erwähnt: Der nicht auf handhafter Tluit ergriffene Käuber sr hu um
iuraminlo txpurgti, gtwt Marias actor ah i/'su reguirit.
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31
Eide ab, bis die Eide des mangelnden Teiles der Eideshelfer hier-
durch ersetzt sind. — Bisweilen wird für den Elenden von vorn-
herein eine geringere Zahl von Helfern festgesetzt; diese muü
der Beweisführer dann aber auch sämtlich herbeiführen ').
Die Anwendung des Eiendeneides zu Gunsten der angreifenden
Partei ist höchstens ganz ausnahmsweise gestattet worden8);
sie wird sogar einmal ausdrücklich verboten3). Grundsätzlich
diente der Eid der Verteidigung des Beklagten, und zwar ursprüng-
') Vertrag zw. Mecklenburg, Sachsen usw. (1354), oben S. 29
Amn. 3.
3) l’lanck II S. 138 beruft sich hierfür auf das llallesche Recht für
Neumarkt (1285) §29, Labaml RQu. S. 11, und zwar in der Fassung bei
Homeyer Kxtravag. S. 259 ff. § 19: Si respondet , sc debitum pcrsolvisse, hoc sta-
tin vel ad duas septimanas in rdü/uüs obtinebit seihtet ipsc tereius vcl iurat Ene-
tcndc. Ks handelt sich bei dieser Fassung wahrscheinlich um eine lübisch-
rechtlichc Überarbeitung des genannten Rechtsdenkmals (vgl. Homeyer F.itrav.
S. 2G5 und unten in Kapitel III): bei dieser Überarbeitung könnten die
unklar gefällten §§ 28. 29 der Halleschen Kechtsmittcilung sehr wohl miß-
verstanden und dem Wortlaut des § 29 (ebenso wie vorher schon dem
des § 15) die Worte vd iura t Endende unter Beziehung auf den Beklagten
hiuzugosetzt worden sein, der tatsächlich zwar im $ 15, nicht aber im § 29
der Rechtsmitteilung als schwörender Teil gedacht ist. — Kine gewisse
Wahrscheinlichkeit dafür, dall in der That wenigstens das lü bische Recht
den Klendeneid auch zu dunsten des Angreifers gekannt haben mag, er-
schließt indessen der Landfriede vom 1. November 1354 (oben S. 29 Amn. 3),
an dem sich Lübeck und eine große Zahl der mit seinem Recht bewidmeten
Städte beteiligt haben: derselbe enthält gegenüber dem sonst gleichlauten-
den Landfrieden vom 27. Februar 1353 Lüb. ü. B. III nr. 158) einige Zu-
sätze, unter ihnen den, daß elende lüde nicht wie im allgemeinen die Bürger
ihre bcruehlcden Missethätcr selbzwölft, sondern schon selbdritt gewinnen
dürfen, wofern sic nur zuvor ere elende besioeren mit creme rechte. — Was die
von Bodman II S. 643 aus einem angeblichen Kltvillcr ürtcilsbuch ge-
brachten Belege für den Überführungseid des Klendcn anlangt, über die sich
schon Homeyer RI.dR S. 473. 474 Anui. nicht unbedenklich äußert, so darf
man ihnen gegenüber neuerdings wohl alle Zurückhaltung bewahren. Vgl.
H. Meyer in ZRG. 37 S. 309 ff., namentlich S. 333 ff. über die Fälschung
gerade des Kltvillcr Urtcilsbuchs durch Bodman.
3) Bruchstück eines (M agdoburgischen ?) Gesetzbuchs (13. Jahrh. ?),
Üreyer S. 170. 171: wer de Clevere sea l sine Lüde al hebben, de mit eme al daet
sweren seien; vgl. Magdeburg Rechtsmitt, an Stendal (1333) XXVI § 2,
Behrend ürt. Buch S. 102.
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lieh ausschließlich des wegen Ungerichts Beklagten '). Später wird
er vereinzelt auch für Klagen um Schuld3) und auf Erbe und Wut3)
erwähnt. Je mehr die strengen Regeln über eure verschwanden,
je häutiger die materielle Beweiswflrdigung Platz griff, um so
mehr verflüchtigte sich der ursprüngliche Sinn des Eiendeneides ;
Johann von Buch bezeichnet ihn einmal als t/»/4). Immerhin
hat er sich länger gehalten, als man nach Planck4) vermuten
möchte. Denn wenn man davon absieht, daß das Magdeburgische
Recht ihn für den um Erbe Beklagten gänzlich und im Übrigen
bei Nichtgästen verbietet*) und daß auch im Lübischen Recht
letzteres der Fall zu sein scheint’), steht er im 14. Jahrhundert
noch in voller Geltung. —
3. Endlich besitzen alle die Regeln, die zu gunsten dieser
oder jener Partei gestatten, Handlungen, die ihr selbst ob-
liegen würden, durch Dritte vornehmen zu lassen, natur-
gemäß für das Gästerecht eine besondere Bedeutung. — So liegt
z. B. bei gewissen Missetaten, namentlich bei Totschlag und
kampfbaren Wunden, den städtischen Gerichtsbeamten die
Pflicht zur Erhebung und Durchführung der Klage ob,
') Eschershausen bischöfl. Priv. (1 133 — 1 137 , Böhmer acta IT S. 816;
Nordhausen iura civit. (1208', oben S. 29 Anin. 3: Bremen Vertrag mit
Kustringcn (1220), Ehmck I S. 141: Hallcschos Kocht für Ncumarkt
(123.7) § 15 in der Fassung bei Homejcr Kxtrav. 8. 25!) IT. § 11, Laband
Utpi. S. 10: Lübeck Stadtr. (1203) I„IV, Hach S. 202: I.cobschntz Willk.
Kocht il27l>) oben S. 28 Amu. 4: Bruchstück eines (Magdoburgischcn t)
Oesctzbuchs 113. Jahrh. '( 1 , Droycr S. 170. 171: Bamberg Stadtr. (1306)
157. 158, Ziipll S. 46. 47: zweite Kouro von Po|ieringhen Art. 8, Warn-
könig 111, 1 S. 2!)7.
*) Flensburg Stadtr. (1282), oben S. 2!) Antu. 3; Berlin Stadtbuch
(1387) III. Buch hinter qu. Xl'IV bezw. XCVIII, Fidicin I S. 161. 172:
Kl.ilK 45 §4. Möglicherweise gehört hierher auch Hallcsches Recht für
Neumarkt (1235) § 20 bei Homcyer Eitravag. S. 250 IT. § 19, worüber oben
S. 31 An m. 2.
3) Brünn Stadtr. (nach 1300) 63, Kollier II S. 364. Vgl. aber Magde-
burg Schöflenspr. f. Stendal (um 1340) XXVII §2, Bohrend 1‘rl.B. S. 112.
') RLdK 45 § 5.
s) II S. 138.
c) Oben S. 30 Amu. 3 und S. 32 Anin. 3.
’) Wenn man Stadtr. (1263) UV mit (1294) XU, Hach S. 202 bezw.
289, zusammenhrdt, daneben aber die oben S. 31 Anui. 2 angeführten, fiir
den Elemleneid sprechenden lübischreehlliehen Stellen berücksichtigt.
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wenn diese Missetaten gegen Elende, d. h. gegen Leute ausgeführt
sind, die selbst nicht im stände sind zu klagen und die keine klage-
bereiten Verwandten in der Nähe besitzen '). Nicht selten wird
hervorgehoben, daß dieser Satz in erster Linie den Gästen, den
Fremden zu gute kommen muß *). — Des Ferneren gehören hier-
her die Vorschriften über die sog. Fürsprecher, d.h. Leute, die in
der Verhandlung vor Gericht der anwesenden Partei zur Seite t reten und
ihr Wort sprechen. Etwaige Formfehler bringen dann, weil nur von
den Fürsprechern, nicht von der Partei selbst begangen, der letzteren
nicht den infolge strenger Regeln über rare drohenden Rechts- und
Prozeßverlust. Freilich ist der Satz der flandrischen Quellen, es
müsse der gegen eine opjndanm klagende extraneus setten eenen
porter recht te pleghene , welcher ebensowohl die Aufgahe hat,
den Prozeß an der Seite der betreffenden Partei durchzufuhren,
wie auch die letztere ihrem städtischen Gegner ebenbürtig zu
machen3;, dem deutschen Rechte nicht bekannt. Hier scheint ur-
sprünglich sowohl bezüglich der Frage, ob die Partei sich eines
Fürsprechers bedienen müsse*;, wie bezüglich des Punktes, wer
zum Fürsprecher geeignet sei, auch für Gäste im wesentlichen
■) Freiberg Stadtr. (1296—1307) XXX § 1. 2, vgl. 3. 4, Emiisch
S. 190: Magdcb. Hrcsl. syst. Sch. R. II. 2d. 74, I.aband S. 52; Magdeb.
Fragen 1,2 d. 14 und 15, Hehrend S. 47. 48; Magdeb. Schöffenurteil.
Höhmc II, 2 S. 148. 149; Lüneburg Stat. XCV, Kraut S. 76.
a) Köln Schied (1258) Klagcpunkt 35 des Hischofs und Entscheidung
dazu, Keutgen l’rk. S. 161. 169; Brunn Stadtr. (nach 1300) 70, Rößler II
S. 365. Auch geistliche Gerichte schritten häufig zu Gunsten von Gästen
ein: Vgl. Schreiben Papst Gregors IX. an die Geistlichkeit von Bremen
(1234), Lnb. U. B. I nr. 65; dort waren Pilger aus Soest beraubt worden
propter quod torum voti exeeutio impeditur.
3; Bennccke S. 38 bei Antn. 3 (Jahr 1248) und S. 52.
4) Volle Freiheit, ohne Fürsprecher zu prozessieren, gibt z. B. einem
jeglichen Mann Bist. IV. 26 d. 12, OrtlofT S. 239: vgl. auch Planck I
S. 195. In Köln Kidbuch (1341) VII. 4, Stein Akten I S. 38, wird, vielleicht
mit Rücksicht auf die Formlosigkeit und Schnelligkeit des Verfahrens, ein
Auftreten von Fürsprechern vor den richtcrn von g min (vgl. unten Kap. VI) über-
haupt verboten. — Xur Hannover Stadtr. (um 1350) III. 12, Vaterl. Arch.
S. 361, und Minden Stadtr. (um 1300) 12, Docbner Städtcpriv. S. 33,
drohen dem Gaste, der sine prolomtorc snuvi verbum loquitur , eine Strafe
von 4 Solidi an, zwingen aber auch den Bürger bei 6 Penarcn Strafe zur
Annahme eines Fürsprechers.
Rudorff, Rechtsstellung der tlüstc 3
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34
Freiheit geherrscht zu hüben'). Diese Freiheit wird, wenigstens
in der letzterwähnten Beziehung, später zu gunsten der Bürger-
schaft in zwiefacher Hinsicht eingeschränkt. Einmal kamen näm-
lich, als im Gegensatz zu früherer Zeit5) die Vorsprecher Honorar
fordern durften, berufsmäßige einheimische Vorsprecher auf, die
der Bürger und der Gäste Wort sprachen; wo sie existierten,
wurde den Gästen nicht gestattet, Vorsprecher zu sein 3). Frei-
lich mußten solche berufsmäßige Vorsprecher dann auch für Gäste
unter allen Umständen eintreten *), konnten sich also dessen unter
Berufung auf die Gasteseigenschaft nicht mehr, wie früher zu-
weilen, weigern5). Zweitens sollte in Sachen, die die Stadt oder
den Rat betrafen, bei Strafe ein Bürger nicht oline Erlaubnis
des Rats Fürsprecher eines Gastes werden6), und ferner in Pro-
zessen, in die ein Bürger verwickelt war, der Fürsprecher eines
Gastes nicht mehr als die gesetzliche Taxe für seine Tätigkeit
fordern dürfen1). — Namentlich aber ist die eigentliche pro-
zessuale Vertretung der (abwesenden) Partei für das Gäste-
recht bedeutungsvoll geworden.
Das deutsche Recht kennt die prozessuale Vertretung, von
der notwendigen Vertretung der Weiber, Kinder, Unsinnigen ab-
l) Jeder Mann kann in jedem weltlichen Gericht Fürsprecher werden,
namentlich also der Gast im auswärtigen Gericht: Magdeb. Fragen 1. 5 d. 1,
Bohrend S. 81; so auch schon SLdR. I 61 § 4 und 60 § 2 (vgl. Planck I
S. 198. 199). Als Gegenbeispiel führt Planck ebenda Schwerin Stadtr.
(um 11 GO) 22, ZUG. 9 S. 285, an; aber der Satz: si quis extra dvitatem
mattem queriutoniam de cive feccrit, polest se rii'is cum quolibet defendere, aliettus
vero cum cive aliquo de/endet se bezieht sich nicht auf Fürsprecher, son-
dern auf Zeugen. — her Auswärtige durfte aber, mit Rücksicht auf
mangelnde Rechtskenntnis, anders als der Kinhoiiniscbe, ohne Weiteres eine
Berufung zum Fürsprecher ablehnen (Di st. IV. 26 d. 3, Ortloff S. 238). —
Berufung der Vor Sprecher uth der gemeine schreiben nur vor die späten
Statuten von Verden (1416) 182, Pufcndorf I App. 111 S. 136.
*) Noch in Pösneck Gerichtsordn. (1351) 4 und 5, Gengier St. R.
S. 357, wird verboten, einen Bürger oder Nichtbürger als Vorsprecher zu
miten, d, 1». ihm für seine Tätigkeit Geld zu geben.
3) Kassel lamlgräll. Satzung (1384) 29, Gengier <’od. S. 472.
4) Kassel, siehe vorige Anm.
5) Hannover Stadtr. (um 1350) III. 32, vaterl. Archiv S. 379.
ß) Heiligenstadt Willk. (1335) 79, Wolf l’rk. S. 16.
7) Hannover Stadtr. (um 1350) III. 32, s. oben Anin. 5.
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35
gesehen, ursprünglich nur bei ganz bestimmten Alters- und Ge-
sundheitshindernissen '). Im übrigen darf „ein selbständiger Mann,
der aus beliebigem Grunde vor Gericht nicht erscheinen kann
oder auch nicht will“, zunächst selbst im Falle echter Not nicht
einen gewillkürten Vertreter, einen Vormund, an seiner Statt ver-
handeln lassen*). Der Anstoß zur Änderung dieses Zustandes in
der Richtung, daß zunächst einmal die Bestellung eines Vormundes
wenigstens im heimischen Gericht, später auch der außerhalb von
einem Abwesenden erkorene Vormund zugelassen werden mußtei) * * * 5),
ging von den Städten aus. Denn deren steter Handel mit ferner
Wohnenden drängte in erster Linie auf die unbedingte Möglich-
keit der prozessualen Stellvertretung. Der Verkehr mit Flandern
und Holland scheint für diese Entwicklung wichtig geworden zu
sein. Schon 1212 heißt es in einem Vertrage zwischen Köln und
Flandern :
Si ulUjutx et /am de Colonia in Flandria alüptem Flan-
dremem . . . conrenire rolur rit, Statut um est, ut per nuncium
suum sicut per se ipsum . . . omne ius suum proset/ualur , et,
Flamingi apud Colonium st initiier4).
Es werden also bereits damals in der Fremde bestellte Ver-
treter auswärtiger Kläger im diesseitigen Gericht zugelassen. Ähn-
lich lautet eine Mitteilung des Vogtes und Rates von Bremen an
die Gräfin von Flandern aus dem Jahre 1255:
Si autem merccUor (sc. Flandrie) diem placiti sui e.rpec-
tare non poterit, ßdeiussor suus cel alias poterit pro eo resj Hin-
dere *).
Diese Urkunde beruht auf einem Vertrage, wie er fast gleich-
lautend von einer großen Zahl deutscher Städte mit Flandern ab-
geschlossen worden ist6), der also in hohem Grade zur Verbreitung
des Instituts der prozessualen Vertretung in Deutschland bei-
i) Planck I S. 188-190.
*) Planck I S. 190.
3) Planck I S. 191. 192.
<) Hans. U. B. I S. 40. 41.
6) Khmck I S. 305: wiederholt i. B. 1307 und 1360.
6) Anmerkung des Herausgebers zu der in der vorigen Amn. erwähnten
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tragen mußte. Es findet sich demgemäß die prozessuale Ver-
tretung auch einheimischer Parteien bereits im Ausgang des
13. Jahrhunderts1), namentlich dann, wenn der einheimische Kläger
oder Beklagte eine Reise anzutreten sich genötigt sieht*), immer
jedoch unter der Voraussetzung, daß der Vertreter im heimischen
Gericht der Partei bestellt wird. Zahlreicher freilich sind die
Fälle, wo des Vertreters — und zwar gerade des außerhalb er-
nannten Vertreters — eines Gastes gedacht wird5). Zuweilen er-
scheint sogar das Auftreten eines Boten des (klagenden) Gastes
als das regelmäßig Gedachte4). Überall da, wo der Vertreter des
Gastes nicht im Bezirk des Prozeßgerichts bestellt wird 5), muß
der (auswärts ernannte) Vertreter ein Schreiben des auswärtigen
Gerichts, der fremden Stadt vorlegen können, in dem seine Be-
stellung zum Vertreter des Gastes beglaubigt wird*). Diese Ver-
treter der Gäste, als (plenipotent ex) procuratorex , (perti) nuniii,
interposita persona, eormunder , (wäre) bode, (geweldiye ) beide usw.
l) Z. B. Freiberg Stadtr. (129f>— 1307) XL1X §20, finnisch S. 259.
*) Hamburg Stadtr. (1270) V. fi, Lappenbcrg S. 25; desgl. Riga
Umgcarb. Stat. (um 1300) II. 5 § 1. 2, Nopiersky S. 155.
3) Köln Schied (1258) Klagepunkt 7 der IJürger und Kntschcidung
dazu, Keulgcn l'rk. 8. 164. 170; Köln- Nimwegen Yertr. (1278), I.acomblet II
S. 421: Lippstadt an Lübeck (1281), Lnb. U. B. I nr. 409; Hildesheim
Stadtr. (um 1300) 17. 18, Doebuer U. B. I S. 281; Goslar Stadlr.
(um 1300), Göschen 18, 9 und 70, 8. Vgl. Bamberg Stadtr. (130G) 66
und 68, Zöpil S. 22, woselbst einem Gaste unbedingt, einem Bürger nur
mit Zustimmung des Beklagten prozessuale Vertretung bewilligt wird.
*) Köln - Soest Yertr. (1276), Seibcrtz 1 S. 460; Goslar Stadtr.
(um 1300), Göschen 81, 34.
*) L>as trat z. B. ein. wenn der Gast keine Zeit hatte, das Ende
eines, wenn auch gastgerichtlichen, Verfahrens abzuwarten (Freising Stadt-
rechtsb. — 1328 — 69 bei Maurer S. 319: Magdeburg alph. Samml. von
Schöffenspr. Kap. 427 bei Wasserschieben S. 118). In manchen Städten war
übrigens den Bürgern teils unbedingt (Hameln Donat 25 — 14. Jahrh. — ,
Meinardus S. 567), teils unter gewissen l'mstSnden (Dortmund jüngste
Stat. Samml. 27 — um 1400 - , FrensdorfT S. 175) verboten, Gäste als Vor-
münder vor Gericht zu vertreten.
6) Köln-Soest Vertr. (1276), Seibcrtz I S. 460; Brünn Schiiffenb.
(um 1850) 591, Rößler II S. 272: Dist. III. 10 d. 4, Ortloff S. 154.
Beispiele solcher Schreiben: Lippstadt an Lübeck (1281), Lüb. U. B. I
nr. 409; Wisby an Danzig (1346), Hans. l'. B. III S. 39: Brügge an
Reval (1348), Hans. U. B. III S. 66.
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bezeichnet, nehmen eine Stellung ein tamquam si dictus eorum con-
ciris personaliter presens esset1). Die Sache stellt in ihren Händen
tho winnc unde tho rerlees *). Ja es wird sogar einmal, offenbar
unter dein Einfluß des kanonischen Rechts, gestattet, daß sie hei
Strafsachen in aninuis ihrer Auftraggeber den Reinigungseid
schwören 3). Gleich ihren Vollmachtgebern sind sie insbesondere
verpflichtet, für Klagengewere und Beantwortung der Widerklage
Sicherheit zu leisten 4).
Drittes Kapitel.
Vom Gerichtsstände.
I. Allgemeines.
Der allgemeine Gerichtsstand des Beklagten fiel in der hier
behandelten Periode im Wesentlichen bereits mit dem forum
domicilii zusammen5) und besaß naturgemäß hervorragende
Bedeutung. Doch bietet gerade für eine gästerechtliche Be-
trachtung die Lehre von den sogenannten besonderen Gerichts-
ständen noch mehr Interesse. Diese Gerichtsstände unterwerfen
den Beklagten dem Spruche eines außerheimischen Gerichts, und
die Sicherheit der Rechtspflege eines Landes hängt zu einem
großen Teil von dem Reichtum und der Zweckmäßigkeit der Vor-
') Köln -Soest Vertr. (1276), Seibertz U. B. I S. 460. Ähnlich
Preising Stadtr. Buch (1328) 69, Maurer S. 319: Brftnn Schöffenb.
(um 1350) 591, Rößler II S. 272.
*) Vgl. die Belege oben S. 36 Anm. 2.
*) Köln Schied (1258) Klagepunkt 7 der civcs und Entschcidnng dazu,
Kcutgen Urk. S. 164. 170. Allerdings wird hier die Sendung eines Be-
vollmächtigten ausnahmsweise von iustus mitus des Auftraggebers bezüg-
lich der Reise abhängig gemacht; der Beauftragte hat das Vorhanden-
sein der Voraussetzung zu beweisen.
4) Goslar Stadtr. (um 1300), Göschen 70,8 und 81,34; Dist. III.
10 d. 4, Ortloff S. 154.
&) S. oben S. 3 ff., sowie über den Einfluß des Hantgemals und des
Heimatsrechts auf den Gerichtsstand in der ältesten Zeit Homeyer Heim
und Stobbe Geriehtsst. S. 432 ff.
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Schriften ab, die sich auf jene Gerichtsstände beziehen, von der
Stärke der Garantieen dafür, daß sich der Beklagte diesen Vor-
schriften tatsächlich unterordnet. In dieser Beziehung zeigt die
Rechtsentwicklung in Deutschland seit etwa dem 12. Jahrhundert
eine rückläufige Bewegung. Bei den Klagen um Schuld büßt
das forum contractus, d. li. des Ortes, wo der Vertrag geschlossen
ist, bei den Klagen aus Frevel und üngericht das forum delicti
commissi die Bedeutung, die es nach den älteren stadt- und
landrechtlichen Quellen besitzt, schließlich völlig ein. Dafür be-
wirken die schrankenlos angewandten fora arresti und depreliensionis
in ihren Folgen eine völlige Verwirrung aller Gerichtsstands-
verhältnisse. Nur das forum rei sitae wahrt seine bisherige
Stellung.
1. Der Grund dieser Verwirrung lag in der Schwächung der
kaiserlichen Gewalt, deren Aufgabe es gewesen wäre, der Justiz-
weigerung und -Verzögerung zu steuern1), und in der hieraus
folgenden Auflösung des Reichs in Verbände, deren Beziehungen
einen „halb völkerrechtlichen Charakter“ trugen2). Denn nun-
mehr strebten vorzugsweise die Städte bezw. die Stadtherren,
deren Bürger in weit höherem Maße als die Bewohner des platten
Landes in den Fernverkehr und die hieraus erwachsenden Streitig-
keiten hineingezogen wurden, ein doppeltes Ziel an.
a) Einmal sollten alle Prozesse, in die Bürger als Beklagte
verwickelt waren, nach Möglichkeit ausschließlich vor dem
heimischen Stadtgericht entschieden werden. Diesem Zwecke
dienen die schon im 12. Jahrhundert den Städten verliehenen
Evokationsprivilegien, kraft deren die Bürger bestimmter
Städte Ladungen in auswärtige Gerichte nicht zu folgen, sondern
nur vor den Gerichten ihrer Stadt zu Recht zu stehen brauchten.
Hier freilich müssen dann Kläger, die von außerhalb kommen,
auch stets Recht erlangen können. In der Tat ist dies auch die
Regel gewesen. Nur eine kleine Stadtrechtsgruppe, Freiburg i. Br.
nämlich und einzelne seiner Tochterrechte, nimmt eine Aus-
nahmestellung ein und verweigert dem auswärtigen Kläger Ge-
■) Vgl. Wach S. 39 bei Anm. 1 und 2.
») Gierte II S. 389 ff., Wach S. 38 ff.J
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rieht wegen gewisser Delikte, die er außerhalb der Stadt von
deren Bürgern erlitten hat1).
Schon oben (S. 3 bei und in Anm. 2) ist darauf hingewiesen
worden, daß die älteren Evokationsprivilegien mehr den allgemeinen
Gerichtsstand der Bürger festsetzen, nicht jedoch besondere Ge-
richtsstände für die einzelne Sache ausschließen sollten. Es
mußten die Gerichte „auswärtiger Stifter und weltlicher Herren“,
deren Untertanen die Bürger gewesen, oder die Vögte der Stadt-
herren selbst, soweit sie außerhalb der Stadt richteten, dem Stadt-
gericht weichen2); nur hier sollten die Bürger voll dingpflichtig
sein. Derartige Privilegien brauchten an »ich das forum contractus
und delicti commissi nicht zu verdrängen*). Anders steht es mit
den späteren Evokationsprivilegien, welche nicht den allgemeinen
Gerichtsstand regeln, sondern einfach Ladungen jeder Art in
auswärtige Gerichte verbieten:
V identen ufßictionee et presnuran, quas ab extrtnsecis iudi-
cibu» sustinuerunt, qui eos extra civiUitem ad aliena et in-
solita iura nolrbant evocare , statuimun, ne quis iudex
ext rinnecun manens que mquam ex civibus pro aliquu
causa presumat evocare, nini prius querimoniam suam in
civitate coram civitatis rectoribus vel corain nobin exsequatur
•) Freiburg i. Br. Kotei (um 1200) 69: Si burpnsis rudern in provin-
cia/a txtraneum percusserit vel capillaverit, et extraneus in ewitatem veniens conquestus
fuerit, nultam satisfaetionem erit habiturus (Keutgcn Ulk. S. 125): ähnlich Bern
Stadtrecht (1218?) XXXVI § 1, ebenda S. 130, und allgemeiner, aber mit
einer dem Kläger günstigen Befristung, Kolmar Stadtrecht (1293) 30,
Gaupp §t. R. I S. 120. — In Goslar Stadtrecht (um 1300) wird wenigstens
die Verfestung, die auf den Antrag des außerhalb beschädigten utmannes er-
folgen soll, von der Genehmigung des Kats abhängig gemacht (Göschen
S. 61, 21; vgl. S. 48, 31).
*) Vgl. Keutgen Urspr. S. 28 bis 32, bes. S. 29 Anm. 1.
3) Noch 1258 wird in Köln, das sich eines Evokationsprivilegs erfreute
(vgl. Recht des Burggrafen — 1169? — 4 bei Keutgen Urk. S. 10), im Schied
§ 3 auf die entsprechende Beschwerde der Bürger von den Schiedsrichtern
geurteilt : non debet dominus archiepiscopus pati vel dissimulare, tjuod de contractibus
in Colonia /actis vel rebus ibidem habitis extra Coloniam ad iudicium voeentur
(Keutgen Urk. S. 170. 164), womit freilich nicht gesagt ist, daß die Bürger
bei außerhalb geschlossenen Verträgen noch in der Kegel der Evokation
folgten.
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et secundum civitatis ins consuetudinarium debitam conse-
([uatur iusticiam 'J.
In zahlreichen Füllen teils für das Gebiet des Reichs, teils
für den Bereich eines bestimmten Territoriums erteilt*), scheinen
diese späteren Evokationsprivilegien manchmal, dem Wortlaut nach,
selbst dann eine Klage im auswärtigen Gericht verhindern zu
wollen, wenn der zn beklagende Bürger einer privilegierten Stadt
in dessen Bezirke weilt:
Nullus prelerea burejensis Goslarimsis alicnbi iudicio st-are
debet pretcrtpiam in ips/i civitate in jxdatio imperii , sub ipw
habitat, 3).
Doch dürfte in Wirklichkeit wohl nur an das Verbot einer
Ladung von Goslarer Bürgern, die nicht im auswärtigen Gerichts-
bezirk anwesend sind, gedacht worden sein4).
In gewissen Fällen übrigens, namentlich bei Klagen um
Immobilien, bisweilen auch bei schweren Ungerichten oder Klagen
um bewegliches Gut5), ward auch in einem Evokationsprivilegium
die Evokation gestattet. Regelmäßig geschah letzteres, wenn in
dem Gericht des Schuldners Recht geweigert worden war5).
*) Prir. Friedrichs I. für die Bürger von Osnabrück (1171), Kcutgen
Urk. S. 8.
3) Vgl. l. B. Priv. Rudolfs von Ilabsburg (1274): valentes rivts nostros
Thuricenses ac omnes alias ehitates nobis et imperio attinentis hae gratis prerogath’a
gaudere , ut nullus extra huiusmodi eivitates super quacunque eatisa in iudieium ers-
te tu r (MG. LL. 11.399), oder Priv. des Bischofs von Münster für Dülmen (1311):
opidanis hoc canetdimus, quod extra nostrum opidum praedictum a quoque evaeari non
debent ad malluni gogravii vel aller ins iudieii auetorilate spiritualis iudieis seu civilis
dependentis a nobis (Niesert U. B. 111 S. 24). Ferner sind zu vergleichen die
bei Simon S. 12 ff., Knicke S. 21! ff., Franklin II S. 5 Anin. 1 und S. 10 Anm. 2
gebrachten Belege und Ausführungen, auUcrdcm die Privilegien für Lipp-
stadt (1198)15, Keutgen Urk. S. 149: Bamberg (1234), bei Gonglcr Kod.
S. 109: Mühlhausen (1205), bei Herquct nr. 109: Duisburg (1290) 0,
Gengier Kod. S. 950.
3) Priv. Friedrichs II. für Goslar (1219) 29, Keutgen Urk. 8. 181.
Vgl. ferner die kaiserl. Privilegien für Kolmar (1293) 10, Gaupp St. R. I
S. 117, und Dortmund (1332) 1, Fronsdorff S. 190.
*) Ausnahmen s. unten S. 04 Anm. 7.
5) Kassel landgräflichc Rechtsbest. (1239) 2 mit 3, Gengier Kod.
S. 408: Kolmar Stadtrecht (1293) 10, Gaupp StR. I S. 117.
6) Vgl. Stobbe Gerichtsst. S. 400.
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Sätze, die dem Inhalt der Evokationsprivilcgie» entsprachen,
wurden schließlich als Sätze städtischen gemeinen Rechts auch in
Statuten und Urteile solcher Städte aufgenommen, denen keine
Evokationsprivilegien erteilt worden waren1).
Stobbe*) geht bei der Beurteilung dieser Privilegien von
dem Standpunkt aus, daß „die Städte anfangs beanspruchten,
daß jeder Fremde in ihrem, nicht in seinem eigenen Gerichte
ihnen Rede und Antwort stände“ und daß „für die einzelnen
Städte diese ihre Unabhängigkeit bedrohende Gewohnheit erst
durch die zahlreichen, fast allgemein erteilten privilegia de non
evocando beseitigt werden mußte.“ Richtiger müßte es heißen,
daß die Städte in ihrem Bestreben, ihre eigenen Bürger als Be-
klagte nur vor ihrem Gericht erscheinen zu lassen, durch jene
Privilegien bestärkt wurden; diese Privilegien beseitigten nicht nur
ungerechtfertigte, sondern auch rechtlich begründete Evokationen3).
b) Die Unmöglichkeit rechtlich begründete Evokationen zu be-
wirken, rief das Bestreben der Städte wach, als Ersatz hierfür
die Entscheidung aller Prozesse, in die ihre Bürger als Kläger,
Gäste als Beklagte verwickelt waren, dem eignen Gericht zu-
zuführen.
Es geschah dies zunächst in der Weise, daß man es ge-
stattete, die Person des Auswärtigen festzuhalten, ein Verfahren,
namentlich beliebt und ausgebildet bei Klagen um Schuld, aber
auch bei andern Klagen bekannt4). Der Gast ward hierdurch
■) Vgl. Planck I S. 46, Simon S. 10 ff.
») Vcrtr. S. 152.
3) Vgl. z. B. die Motivierung des Verbots in dem Priv. für Osnabrück
(1171), oben S. 39, welche nicht auf Rcchtsgrnndcn beruht. — Über eine
rechtlich nicht begründete Kvokation in ein auswärtiges Gericht verhält sich
Beilage II zu Magdeb. Fragen I. 1 d. 23, Behrend S. 213.
*) S. Planck II S. 367 ff., bes. S. 370 f. Mit Recht betont Planck gerade
bei den Klagen um Schuld, dalä dem deutschen Recht das Ursprüngliche und
Grundsätzliche die Besetzung der Person des Schuldners ist. Insofern
unterscheidet sich das deutsche Recht von der italienischen Kntwicklung
(trotz Wach F.inl. S. III), welche von der praktisch gebliebenen langobar-
dischen Privatpfämlung an Sachen des Schuldners ihren Ausgang nimmt und
die Pfändung der Person des Schuldners erst später und als etwas Subsidiäres
hervorbringt (Wach S. 34. 42). In Deutschland war jene altgermanische
Privatpfändung in karolingischer Zeit endgültig ansgerottet worden (Brunner II
S. 446 f. ; 522). Vgl. unten Kapitel IV.
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4-2
gezwungen, sich auf eine Verhandlung des ihm vorgeworfenen
Unrechts vor einem Gericht einzulassen, das aus andern Gründen
nicht zuständig gewesen wäre. Im Verfolge dieser Entwicklung
wurde schließlich jedes Gericht für Klagen gegen die in seinem
Bezirke weilenden Fremden ganz allgemein für zuständig erklärt,
auch ohne daß durch die Besetzung ihrer Person die Zuständig-
keit im besonderen Falle erst hätte hergestellt werden müssen.
Dieser Gedanke ist bereits ausgesprochen im Statntum in favorem
principum (1231):
ln rivitafibus nostris aclnr fornm rei sci/nahir, nisi rrus
rel debitor principalia ibidem fuerit inventu s, i/uo ca.su rc-
spnndeat ibidem *).
Hier mag zunächst lediglich an ein Betreffen des Aus-
wärtigen in der Heimatstadt des Klägers gedacht sein. Es fehlt
indessen, namentlich in späterer Zeit, nicht an mannigfachen
andern Belegen dafür, daß auch in Streitsachen, wo ausschließlich
Gast gegen Gast vor auswärtigem Gericht steht, das letztere
nicht nur wegen einer erfolgten Besetzung, sondern ganz allgemein
als zuständig angesehen wurde, in Fällen also, wo nachweislich
irgend ein besonderer Gerichtsstand nicht begründet war.
Es ist bezeichnend, daß in den älteren landrechtlichen Quellen,
namentlich dem sächsischen Landrecht, nichts von einer derartigen
Begründung des Gerichtsstandes erwähnt wird; und ferner, daß
sich in den ältesten stadtrechtlichen Quellen Hinweise darauf
finden, daß der späterhin so wichtig gewordene indirekte Zwang,
den man gegen den abwesenden Gast durch Beschlagnahme seines
im Gericht des Klägers befindlichen Vermögens auszuüben ver-
mochte, um 1200 noch nicht völlig durchgedrungen war *).
In einzelnen Territorien gelang es den Städten sogar dahin
privilegiert zu werden, daß der aus dem Territorium stammende
beklagte Gast der Zuständigkeit des Stadtgerichts unter allen Um-
ständen, d. h. auch dann unterlag, wenn weder das forum eontrae-
tus oder delicti commissi begründet war noch er selbst oder sein
') MO. LL. II. 283. Vgl. dem gegenüber noch Strati barg Stadtr. (12.
Jahrli.) 10, Keutgen Urk. S. 93: Der amsit/iats soll, abgesehen von gewissen
Leuten des Bischofs, über alle richten, die in die Stadt kommen, nisi ratio-
nabiltm opponant r xscptiontw .
*) S. unten S. 56. 57.
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Gut sich in der Stadt befand. Infolgedessen wurde dann eine
Evokation beklagter (laste in das Stadtgericht der klagenden
Bürger für unbedingt zulässig erklärt:
tpsi potct'utU pro debitis rcl pro <iliix entmin ipiox voluerint
licet illi in terra noxtru rexideant, ttudo tjlttdio coratn nostro
indirio Wexalitnsi proclamare xeu vocare ultra xicut tu rix ext
procedendo ').
Wie bei den Evokationsprivilegien Vorschriften zu Gunsten
des beklagten, wurden hier umgekehrt solche zugunsten des
klagenden Bürgers bis in die äußersten Konsequenzen entwickelt.
Grundsatz aber war, daß. wie dort der von außerhalb kommende
klagende Gast in der Stadt Recht finden mußte (S. 38), so um-
gekehrt hier der beklagte Gast, der in Person oder Vermögen in
der Stadt arrestiert oder in die Stadt evociert wurde, daselbst im
Wege eines ordentlichen Gerichtsverfahrens abgeurteilt werden
mußte. Nur Freiburg i. Br. und die von ihm beeinflußten Tochter-
rechte machen auch hier wieder eine Ausnahme und verstatten den
Bürger zur Selbsthülfe:
') Priv. des Grafen von Kleve für Wesel (1329), Lacomblet III S. 198
In Strafsachen wurde nicht selten iui foruin actoris geklagt, ohne dall der
beklagte Gast anwesend oder sonst ein Gerichtsstand begründet gewesen
wäre. Es mag das mit dein Umstande verknüpft sein, dat! hier die Ver-
festung, zumal wenn sie in andern Städten gleichen Rechts ebenfalls Gültig-
keit erlangte, eher praktische Resultate zu erzielen vermochte: Vgl. z. B.
Magdeb. Schöff. Urt. für Stendal (1333) VII, Behrend l'rt. B. S. 36: mark-
gräll. Privileg für Stendal (1345), Riedel I. XV. S. 122: Nau mburg Stadtr.
(1337)12, Gengier St. R. S. 308: auch Nordhausen Weistnmer (1359) b,
Förstemann N. M. 1,3 S. 19 f. — Bei Schuldsachcn pflegte dergleichen
seltener zu sein, worauf eine von Reinhold S. 77 mitgeteilto Urkunde des
NVoseler Katsarchivs (um 1400?) hindeutet, die das oben im Text abgedruckte
Privileg dahin erläutert: Ind so cn is den van Wesell vermids den punte in den
eyssehen nyet sonder tinx gtgeven , dan da t die borgere umb sc holt ind all ander
saicken eyssehen machen, dat sy nae gemeynen vredelosen rechten nyet dan
umb pynlyckc saicken doin cn mochten, dit is sunderlinge gegeven. Kin Bei-
spiel solcher Evokation um Schuld bietet indessen die vom Herzog dem
Vogt von Schweidnitz 1281 erteilte, 1285 allerdings beschränkte (s. unten
S. 53 Anm. 3) Befugnis: quod omnes mililes, filios mi/itum, feodates, servientes, ad-
voea/os, eives, seul/etos, rilUwos et alios omnes ad iudicium evoeet et eisdem eevibus
Suidnieensibus de ipsis, qui debitores ipsorum fuerint, satis/aeiat in pignore et argento
(Tzsehoppe S. 397. 403). — Stobbe Gerichtsst. S. 457 f. übertreibt die Be-
deutung der Privilegien, welche von dem Satz: aetor sequitur forum rei befreien.
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Si ertraneus cicem fugarerit rel ndnerucerit, si civin iudici
notißeacerit prius et si pogtea eortraneus in civifatem renerit,
burgensis i/uidi/itid ei midi intulerit, nullam apud iudicem
penam sustinebit l).
2. Die Begünstigung, welche die Städte durch Evokations-
privilegien erhielten, wurde so zum größten Teile aufgewogen
durch die Tatsache, daß ihr Bürger als Gast fast schrankenlos
in jedem auswärtigen Gericht belangt werden konnte. Immerhin
waren Mittel vorhanden, diese Wirkung wenigstens etwas ab-
zuschwächen.
a) Es verboten einmal die Städte oder Stadtherren ihren
eigenen Bürgern, einander in fremden Gerichten zu beklagen:
Null us eorum tjui civis eester egt et egge eult querimoniam
faciat de conciei guo in alienig regionibus; ged gi tjitis habet
cum eo tigere, coram concicibus ging fumiliariter et amice ter-
minet, gi potegt. Si alter eorum gecundum consilium cieium
suorum ter minare noluerit , tpierimonia dijferatnr et. in oppido
regtro terminetur cicili iugticia. (Jui istud preceptum non ser-
vil verit, decem ß eadiabit SJ.
') .Stadtrechtszusatz (12. Jahrh.) 26, Keutgcn l?rk. S. 120. Bern (1218?)
XXXVI § 2, ebenda S. 130; Straßburg (1214)22, ebenda S. 104; Kolmar
(1293) 12, Gaupp St. K. I S. 116, verlangen in ihren Stadtrechten wenigstens
die förmliche Erhebung der Klage und auch (Straßburg. Kolmar) ihre Mit-
teilung an den Beklagten, ehe der verletzte Bürger sich an dem ohne (ieleit
in die Stadt kommenden (last straflos vergreifen darf. Anders liegt der
Fall im Magdeb. SchöfTonurt. für Stendal (1333) XIV. 1, Bohrend Urt. B.
S. 68, wo der Totschlag straflos bleibt, weil der Erschlagene bereits ver-
festet war. — Jenen süddeutschen Rechten halte man Sätze wie die der
Stadtrechte von Soest (vor 1200)21, Keutgcn l!rk. S. 141; Stade (1259),
Pufendorf II App. V S. 159; Padberg (1290) 9, Gengier St, K. S. 340, u. a.
m. gegenüber.
J) I’riv. des Krzb. von Köln für Medebach (1165) 17, Keutgcn l'rk.
S. 147. Weitere Belege bei Simon S. 6 bis 8. Planck I S. 46. S. auch die
Stadtrechte von St raßburg (12. Jahrh.) 31. Bern (1218) XXIII, Münster
i. W. (1221) 30, sämtlich bei Keutgcn l'rk. S. 95. 129. 152: Riga (1279) 51,
Xapierskv S. 37: Duisburg (1290) 6, Gengler Kod. S. 950: Büren (1300) 6,
ebenda S. 441: Kleve (nach 1424) 95 § 1. ZRG. 10 S. 232. Auch in SI.dR,
III. 87 §2, einem vor 1270, möglicherweise nach Analogie des Stadtrechts
aufgenommenen Zusatze heißt es, daß der I.audmann seinen Gau- oder Dorf-
genossen nicht binnen •arkkbthU oder in cnem utioendigen Berichte beklagen solle.
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Möglicherweise meint dieses Medebacher Privileg mit den
Worten in alienis regionibus etwas ähnliches wie das älteste
Stadtrecht Soests (vor 1200) *29’), welches verbietet, daß Soester
Bürger einander e.rira grorinciam, d. h. wohl außerhalb des
erzbischöflichen kölnischen Territoriums, belangen. Im Übrigen
ist es nicht zweifelhaft, daß namentlich in späterer Zeit eine
Klage vor einem anderen Gericht als dem Stadtgericht durch der-
artige Vorschriften ausgeschlossen werden sollte; anderwärts
herrschten eben aliena et iruolita iura. Die auswärtigen Gerichte
selbst nahmen auf derartige Vorschriften grundsätzlich*) keine
Rücksicht. Aber auch die heimische Gesetzgebung war nicht in
der Lage, ein unbedingtes Verbot auszusprechen. Sie ließ es
namentlich zu, daß der einheimische Bürger den andern außer-
halb beklagte, wenn ihm zu Hause Recht geweigert worden war:
si forte actor a relii/uis burgentibm testimonium habeat,
iptod ille, ijuem convenire mit, adrocato cantuma.r e.rtiteril et
■rebellis 3J.
Sie ließ aber auch, wie Planck (I S. 4fi) ausführt, im ein-
zelnen Falle überwiegende Interessen der klagenden Bürger Vor-
gehen und demzufolge die angedrohte Strafe nur eintreten,
nisi [credilor] causam rationabilem, i/uae ad hoc i/isum
moceat, assignet*).
Einen Fingerzeig, wann eine solche rationahilis carna vorlag,
gibt die Glosse5) zum Weichbild 28. Danach soll man seinen
*) Keutgen Urk. S. 141.
s) Vgl. die Glosse zu Weichbild LXVII, Daniels Gl. S. 389. 391. Im
Stadtrechtsbuch von Kreising (1328?) G9, Maurer S. 320, wird Besetzuug
(und Klage?) zwischen zwei Gästen derselben Stadt verboten, es sey dann
das recht dahaim verzignn.
3) Goslar (1219) 30, Keutgen Urk. 8. 181; Pritzwalk Stadtrecht
(1256), Kuhns I S. 184: Weichbild 28 § 1, Daniels S. 103; Duisburg
(1290) 6, Gengier Kod. S. 950: Kleve (vor 1424) 95 § 1, ZRG. 10 S. 232;
auch vorige Anm.
4) Brünn Schoffenbnch (uni 1350)95, Rößler S. 51.
s) Daniels Gl. S. 319. 320. — Vgl. auch Planck I S. 46 Anm. 9, sowie
unten S. 55 Anm. 5 und Nordhausen zweite Stat. Samml. (1308) 97,
Foerstemann N. M. III. 2 S. 20, wo die Klage gestattet wird, ah (in unsis
borgers mak (dir vrunt erstagen würde von einte unse bürgere undc di Z'romedc richter
nicht state wo/de, daz nun di totenhont uz dem geruhte vierte , he en kette den talslac
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4fi
Gerichtsgonossen außerhalb beklagen dürfen, wenn hier Erbgut
liegt, Missetat getan oder Kaufschlag und Bürgschaft geschehen
ist., im wesentlichen also dann, wenn die fora rei sitae, delicti
commissi und contractus begründet sind.
Übrigens wird dem auswärtigen Verfahren, auch wenn eine
rationabili» causa nicht vorliegt, im allgemeinen die Gültigkeit
nicht abgesprochen. Der Bürger, dessen Gut in einem andern
Gerichte von einem Mitbürger — wenn auch ohne raiionabäi*
causa — besetzt worden ist, wird für verpflichtet erklärt, zur
Verhandlung der Sache sich dorthin aufzumachen *). Dem außer-
halb gegen einen Mitbürger erbrachten Zeugenbeweis wird auch
in der Heimatstadt volle Gültigkeit beigelegt, wofern er dem
Rechte der Heimatstadt entspricht*). Eine im besondern Falle
erteilte Erlaubnis sowie ausdrückliche Parteivereinbarung entbindet
natürlich überhaupt von dem Verbot und seinen Folgen5). Die
letzteren bestehen im wesentlichen nur in der Androhung von
Strafen und von Schadenersatz4); häutig wird eines dieserhalb
eingeleiteten besonderen Verfahrens gedacht*). Nur sehr selten
aber ist von einer Rückgängigmachung des auswärtigen Verfahrens
selbst die Rede, so in Nordhausen, wo der klagende Bürger zwei
Mark zahlen und die Stadt acht Wochen räumen soll
unde ensal us der buze nicht kome he en habe di cluy abe
getan °),
so in Hagenau:
vor sime gtrichte gmordirl; desgl. Kleve (nach 1424) 95 § 1, ZKG. 10 S. 232:
am erfnisst.
') Brünn Schöffen!), (um 1350) 95. Kößler S. 50. 51, woselbst im An-
fang sinnentstellende Interpunktion.
a) Bremen Ordale (1301)29, Oelrichs S. 80.
3) Lippstadt (1198)3, Keutgen Urk. S. 148; Kleve (nach 1424) 95
§ 1, ZUG. 10 S. 232.
*) Soest Stadtr. (vor 1200) 17: Münster Stadtr. (1221) 30; Straß-
burg Stadtr. (12. Jahrh.) 31, sämtlich bei Keutgen l’rk. S. 140. 152. 95, und
viele Belege aus S. 44 Anm. 2.
*) Z. B. in lliga Stadtr. (1279) 51, Xapiersky S. 37: Glosse zu Weich-
bild 67, Daniels Gl. S. 389. 391: Magdcb. Prag. I. 1 d. 23 Beil. II, Behrend
S. 213.
“) Zweite Stat. Saruml. (1308) 97, Förstemann N. M. III, 2 S. 20. Köln
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47
Si i/uis snorum cirium ipienupiarn e.rtra ambitum vi/le
coram (/ittx uiH/ue iudice in causam du.rerit, eundeni a iudire
absolrat xibique ordinatn iudici tres libras / >ersnlrat
b) Die Entwicklung einer uneingeengten Jurisdiktion der
Städte über alles, was in ihren Bereich trat, wurde des Ferneren
eingeschränkt durch die Territorialherren. Der unten S. 411 im
Wortlaut wiedergegebene Satz des § 2 SLdR III. 25 bezeugt, daß
auch vom Standpunkt des Landrechts aus die Angehörigen der
freien, auf dem platten Lande wohnhaften Bevölkerungsklassen
binnen markede antworten müssen, wofern dort ein außerordent-
licher Gerichtsstand begründet ist. Demgegenüber sollten die
Ministerialen, wenn möglich aber auch die unfreien und hörigen
Bauern der Stadtherren der Gerichtsgewalt der Städte entzogen
bleiben.
Bezüglich der Ministerialen gelang das häutig in mehr oder
minder weitem Umfang, zumal sie seit dem 12. Jahrhundert mit
freien edlen Elementen zu einem Adel verschmolzen, dessen eigene
Machtstellung die Bestrebungen nach ausschließlichem Gerichts-
stand vor den höheren Landgerichten und fürstlichen Hofgerichten*)
wirksam unterstützen mußte. Anders stand es in dieser Beziehung
mit den unfreien und hörigen Bauern und Handwerkern. Deshalb
gehört ein Satz wie der des ersten Straßburger Stadtrechts:
Causidicus iudicabit pro furto, pro freeelu, pro geltschulda
in omnes cives urbis et in omnes ingred i ent cs eitm de episco-
pafu isto, nixi ralionabilem oppnnant e.rceplionem, preler minis-
teriellen ecclesiae et eos qui su?it de familia episcopi et
ipii nb ipso sunt ojficiati 3)
in seiner Beziehung auch auf sämtliche auf dem Lande wohnhaften
Bauern und Handwerker des Bischofs zu den Seltenheiten. Da-
gegen sind Vorschriften, welche alle oder doch gewisse Klassen
des Adels, mögen sie nun in oder außerhalb der Stadt wohnen,
Eidbuch (11341)5, Stein I S. 47, erzwingt die Rückgängigmachung der erfolg-
ten Ladung durch Strafandrohungen.
') Stadtr. (1 1G4) 8, Keutgen Urk. S. 1.35.
*) Schröder S. 601 f.: 582.
3) (12. Jahrh.) 10, Keutgen Urk. S. 93.
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48
der Gerichtsgewalt der Städte völlig entziehen, verbreiteter1), zn
schweigen von den Sätzen, die für bestimmte Angelegenheiten die
Zuständigkeit des Stadtgerichts ausschließen2). Solche Privilegierung
bezog sich natürlich, wie schon angedeutet, nur auf den Adel, die
Ministerialen, welche mit der Stadt Angehörige eines Territoriums
waren. Sollte sie auch für Personen anderer Territorien gelten,
so mußten sich die landesherren darüber vertragen:
(Ju intus (sc. articulus) ent, i/uod et unius et alterius errlesiae
homines in territoriis alterulrius iudirio ewili occujiari rel
arrettari non debent, nisi coram domino suo ad VI septima-
ntts fuerint conrenti *).
Solche zugunsten bestimmter Stände erwachsenen Regeln galten
indessen nicht für die Marktzeit4). Mindestens bezüglich der
währenddessen abgeschlossenen Kaufgeschäfte grifl' Platz die Regel
des Vogtweistums von Gandersheim:
Siguis autcm in prefatis locis (d. h. innerhalb der Stadt-
mauer und der Klosterfreiheit) publica s merratura» e.rer-
cuerit, ratione mercationis, non ratione personae legi fnrensi
subiacebit ; eessante eero causa cessabit et eßectus s),
dergestalt, daß dann die personae ecclesiasticae, namentlich auch
die ministeriules, vor dem Stadtgericht zu Recht zu stehen hatten.
Als das Gewöhnliche wird man demgemäß die Vorschrift des Stadt-
rechts von Eferding anseben dürfen, wo es heißt:
De Omnibus venientibus ad foruin iude.r civitatis, cuius-
rumijue sint homines, tudieabit6).
Die infolgedessen an den Markttagen besonders ausgedehnte
Rechtsprechung zwang an vielen Orten dazu, möglichst nur Streitig-
’) Bremen Gerhard. Revers. (1246) 3, Kcutgcn Urk. S. 173, und dazu
l’riv. Gerhards II. (1233), Cassel Saimid. S. 124; Salzwedcl Rechtsbrief
(1273), Pufendorf III App. S. 400: Berlin Priv. (1310), Kidicin II S. 18:
Brünn Schöffenb. 14. 32, Rößler II S. 10. 17: Mugdeb. Bresl. syst. Sch. R.
II. 2 d. 73, I.aband S. 51 ; Magdeb. Rechtsniitt. an Breslau (1369), Korn
S. 215.
*) S. unten S. 65 ff.
3) Vertrag der Bischöfe von Münster und Osnabrück zu Gunsten
ihrer Dienstmannen (1245), Osnabr. U. B. II nr. 464.
*) Vgl. im allg. Rietschel S. 207 ff.
s) (1188), Harenberg S. 130.
°) (um 1260) 2, Keutgen ITrk. S. 199.
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40
keiten, in die auswärtige Marktbesucher verwickelt waren, zu er-
ledigen und Prozesse von Bürgern gegen Bürger überhaupt zu
verbieten:
Nuilus trahet nuum civem in iudicium die foretuti. tri fecerit,
vadiubit II nol.1)
II. Die besonderen Gerichtsstände.
Nach diesem allgemeinen Überblick mag in Kürze betrachtet
werden, wie sich im einzelnen bei den verschiedenen Klagen die
Lehre vom Gerichtsstände gestaltete.
1. Klagen um Schuld.
a) Bei den Klagen um Schuld war, wie schon oben S. 38 be-
tont wurde, das forum contractus und die Evokation in das-
selbe gerade dem älteren Rechte durchaus geläufig.
Schon das SLdR. III. 23 sagt:
§ 2. Binnen marhede noch binnen utieendigen geeichte iw
dar f neman antwerden, he ne hebbe dar tconunge oder gut
binnen, oder he ne. cerwerke sik mit Ungerichte dar inne, oder
he ne verborge ttik dar binnen.
§ 3. Seal so buten deine geeichte gesehiet, des iw darf he
dar binnen nicht antwerden.
Während Homeyer2) in dieser Stelle die Festsetzung einer
ausschließlichen Gültigkeit des forum contractus erblickt, scheinen
sich Stobbe3) und mit ihm Simon4) für elektive Zuständigkeit
der fora contractus und domicilii zu entscheiden. Alle drei lassen
jedenfalls eine Evokation in das Gericht des Vertragsschlusses
gelten. Demgegenüber besteht nach Planck5) ein forum contractus
nur so lange, als der Schuldner auch tatsächlich in dem Gerichts-
bezirk, wo der Vertrag geschlossen ist, verweilt.
') Münster Stadtr. (1221) 29a, Keutgeu l'rk. S. 132. Vgl. ferner die
Belege bei Rietschel S. 206 Anm. 6.
a) Heimat S. 38. Soweit er die Ausschließlichkeit des forum contractus
vertritt, wendet sich gegen ihn mit Hecht l'lanck I S. 71 Anm.; vgl. dazu
KLdR. 46 § 4 nnd Simon S. 45.
3) Gerichtsst. S. 441 ff.
4) S. 45 f.
5) Planck I S. 76. 74 f. 69 ff.
ltudorff. Rechtsstellung der 4
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Diese Meinungsverschiedenheit läßt sich nur durch einen
Vergleich mit der Regelung der übrigen Gerichtsstände entscheiden.
Planck übersieht hierbei, anders als Hornever und Stobbe,
nicht den scheinbaren Widerspruch im § 2, der das (Jericht des
Klagorts als ein für den Beklagten «/ wendiges bezeichnet, obwohl
der Beklagte im Bezirk dieses Gerichts wohnhaft oder doch mit
Gut angesessen ist, hier also seinen allgemeinen Gerichtsstand
besitzt'). Indessen hebt Planck bei seinen Erörterungen, die
diesen Widerspruch aufhellen sollen, nicht mit genügender Schärfe
den entscheidenden, auch für die übrigen Gerichtsstände wichtigen
Gesichtspunkt heraus, den nämlich, daß nach der Auffassung
des § 2 der Beklagte im Zeitpunkte der Klageerhebung
nicht im Gerichtsbezirke des Klagorts weilt. Der Be-
klagte mag, wie in dem Gerichtsbezirk des Klageorts, so auch
in dem seines augenblicklichen Aufenthalts wohnhaft oder an-
gesessen sein; nichtsdestoweniger muß er sich nach erfolgter
Ladung nach dem Gericht des Klageorts auf den Weg machen,
das in diesem Zeitpunkt und unter solchen Umstanden ganz
natürlich als ein utwendiges erscheint. Jene Auffassung nun, die
nach § 2 den Worten utwendiges geruhte zugrunde liegt, muß
auch gelten, wenn es sich um die Regelung der besonderen
Gerichtsstände handelt. Das heißt: § 2 setzt ausdrücklich und
nicht nur mittelbar fest, daß der Beklagte sich aus dem Gerichte
seines Aufenthalts in ein auswärtiges Gericht, in dem er zur Zeit
der Klageerhebung nicht weilt, lediglich deshalb zu begeben hat,
weil er daselbst kontrahiert oder delinquiert hat und nunmehr ver
klagt wird. Hieraus folgt selbstverständlich, daß eine Klage in
diesem letzten Gericht erst recht zulässig sein muß, wenn der
Beklagte in ihm zur Zeit der Klagoerhebung anwesend ist.
Im Gegensatz zu Planck2) möchte übrigens anzunehmen
sein, daß die Zuständigkeit des forum contractus nicht nur dann
Platz griff, wenn der Beklagte sich verbürgt hatte, sondern bei
allen Arten von Schuldverpflichtungen. Abgesehen davon, daß
sich sowohl die Glosse zu SLdR. 111. 25 § 2:
') S. Planck I S. 52 fl'.
*) 1 S. 7(1.
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51
das ist, ob er rielleicht bärgen darinnen setzte rechts zu pflegen
oder daselbst kauft schlagete und contraci machete ,
wie auch die zu Weichbild 28:
kouftslayt ouch eyner in eynem anderen gerichte, oder borgite
er da icht, er muste do mit werten ')
in diesem Sinne ausspricht, liegt dem § 2 in SLdR. III. 25 offen-
bar nicht die Absicht einer erschöpfenden Aufzählung zu Grunde.
Darauf deutet einmal die allgemeine Fassung des § 3 wie auch
die Tatsache, daß SLdR. III. 9 § 2:
Frede sal man unt reden oder beferen binnen deine gerichte,
dar he geloeet is
einen neuen Unterfall bringt, wo ebenfalls der Gerichtsstand des
Vertrages eingreift.
Überhaupt ist nicht zu vergessen, daß die Entwicklung des
Beweisrechts die Bedeutung des forum contractus zunächst unter-
stützen mußte. Namentlich die Möglichkeit, Verträge durch Ge-
richts- oder Dingmannenzeugnis zu erweisen, und ferner das Auf-
kommen eines echten Zeugenbeweises vorzüglich im Stadtrecht
sind hierher zu rechnen. Für den Kreditgeber, der sich dergleichen
Beweismittel sicherte, war es in hohem Grade wichtig, den Prozeß
da zu führen, wo er diese Beweismittel am ehesten zur Hand
hatte. Bestand doch im älteren Recht nicht einmal die Möglich-
keit, das Gerichts- oder das Privatzeugnis mit Hülfe der Urkunde
einem dritten Gericht zu unterbreiten; war doch für den Kläger,
der gegen den Beklagten im forum domicilii Vorgehen wollte,
die Beweisführung vielfach erschwert durch die Vorschrift, nur
Mitbürger des Beklagten dürften diesen überzeugen.
Erwägungen der letztgenannten Art spiegeln sich noch wieder
in dem bekannten Privileg Kaiser Friedrichs I. vom 29. Mai 1173s),
das in seinen drei ersten Abschnitten Bestimmungen über den
Besuch der Jahrmärkte zu Aachen und Duisburg speziell durch
flandrische Kaufleute trifft, in seinen Abschnittten 4 — 9 .aber Vor-
schriften allgemeiner Natur enthält, die sich nicht nur auf die
') Daniels Gl. S. 320. Vgl. auch die allgemeine Fassung von SLdlt. I.
70 § 2, worüber Näheres unten S. 5G Anm. 1.
*) Keutgen Urk. S. öl f., wo die Urkunde nicht recht passend als
„Handelsvertrag des Reichs mit Flandern" bezeichnet wird.
4*
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Flandrer, sondern überhanpt auf Kaufleute, und ferner auf das
ganze Reichsgebiet beziehen. Es heißt da:
4. Quicumque mercatores , sire Flandrensex sive alii, bona
sua cuiquam crediderint , roratn iudice et scabinis hoc faeiant,
qui testimonium rei rredite perhibeant; et merrator ita faciens
per testimonium iudicis et scabinorum bona credita sine eontra-
dictione reeipiet. Sed si super botiis creditis testimonium iu~
dicix et scabinorum non habuerit, ille a quo bona requirun-
lur sacramento sine vara sc e.rpurget , quod bonorum debitor
non e.rtiterit.
5. Cuiuscumque terre mercator bona sua, per testimonium
iudicis et scabinorum credita, rehabere non potuerit, a
iudice et scabinis illius loci quem debitor inhabit at
iusticiam requirat et petat-, ut inde debitor trans-
mittatur ad iudicem et scabinos qui botiis creditis
inter/uerunt; coram quibus debitorem convincat.
Quodsi iusticiam requisitam non inrenerit, deinde illius loci
mercatoribus , ubi ncgata cst ei iusticia, pignus auf erat, donec
iusticiam consequatur, et ob hatu- causam loci alterius merca-
tores non infestet.
Nach diesem Privileg ist, allerdings unter der Voraussetzung
eines durch Gerichtszeugnis beweisbaren Vertrages, die Evokation
ausdrücklich zugelassen. Hier wie in der Bestimmung des Bern-
schen Stadtrechts:
Si burgensix alapiit e.rtra urbem emerit rel aliquid alicui
promiserit xeu debitor alicuius quocumque modo f actus J'uerit
et super hoc in cicitate ab aliquo conreniarur , si negare vo-
luerit, e.rtra rillam ubi talis concentio xeu promissio facta
fuit ire debet, et ibi se per solutionem scu iudicium ab eo
taliter e.rpediat, quod civitas inde non gravetur *)
wird eine Nichtfolge des Schuldners ins forum contractus noch
als eine Rechtsweigerung desselben angesehen, die den Gläubiger
') (1218?) XXI, Keutgen llrk. S. 128. Bas Herrische Stadtrecht ist
eine Fälschung aus der 2. Hälfte des 13. Jahrhunderts. Sicherlich ist in
ihm viel altes positives Hecht nicdergclogt, wie Stutz in ZUG. 23 S. 348 IT.
ausfiihrt: und zwar darf inan mit Zeerleder, die Berner Handfeste (Bern 1891)
S. 55, das oben angeführte Kapitel XXI gewiß zu den ältesten Bestandteilen
rechnen.
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53
zum Repressalien arrest gegen Mitbürger des Schuldners be-
rechtigt.
In so allgemeiner Form, nicht an territoriale Grenzen
bindend, die Evokation des Einheimischen durch den Auswärtigen
betonend, reden vom forum contractus späterhin die Quellen nicht
mehr. Zwar ein ausdrückliches Verbot einer Evokation dorthin
findet sich nur ganz vereinzelt '). Dagegen leidet die tatsächliche
Anwendung einer Evokation mindestens Zweifel, selbst da, wo die
Quellen ein forum contractus, einen loeua contractu s anzuerkennen
scheinen:
Si reut alicuiut debiti recogniti ob alic/uam causam se a
foro actoris absentacerit , actor hincinde si presentiam de-
bil oris in loco talis contractus e.rspectare noluerit,
forum rei sequatur *).
Hier ist offenbar eher ein zufälliges, als ein durch Ladung
veranlaßtes Erscheinen des Schuldners im forum contractus gemeint.
Dagegen wird in territorialer Begrenzung das fonim
contractus in mannigfacher Beziehung praktisch. Namentlich dient
es dazu, die Angehörigen privilegierter Stände als Beklagte dem
städtischen Gericht daun zu unterwerfen, wenn der Vertrag vor
dem letzteren abgeschlossen worden ist:
Item si castrenses non fecerint pactum coram scabinis super
debitis, non sunt, trahendi ad iudicium, nisi infra iudicium
peccacerint manifeste 3).
') König Johann an Breslau (1337) 2, Korn S. 136.
3) Vertrag zwischen dem Grafen von Berg und Köln (1249), La-
coinblct II S. 188. Vgl. ferner Vertrag zwischen dem Herzog von Brabant
und Köln (1251), Hans. IJ. B. I S. 136: Item ordinatum es/ hiru inde , quod in
terra rws/ra, tibi eives Colonienses debita contraxerint , cosroentiones seu pactiones fece-
rint, ibidem stabunt juri et sententie seabinorum . . . Simi/iter et homines nostri de
debitis suis, eonventionibus seu paccionibus in civi/a/e .... Cohniensi, sowie die oben
S. 39 Anm. 3 angeführte Stelle des Kölner Schieds von 1258.
*) Lechenich Kechtsbr. (1279) 34, Gengier St.R.S. 241. Vgl. ferner
die vom Herzog dem Vogt zu Schweidnitz 1285 lediglich bezüglich der
ritterlichen Personen erteilte einschränkende Befugnis: ut omnes . . . super
debitis in dicta eivitate eonlraetis coram nostro provinciali advocato eiusdem civi-
tatis eonventi debcant respondere (Tzschoppe S. 403: vgl. wegen der Einschrän-
kung oben S. 43 Anm. 1); Salfcld Stadtr. (um 1300) 34, Walch I S. 23.
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Oder aber es mildert die Anwendung des forum arresti: Nur im
Gerichtsbezirk des Vertragsschlusses soll der Schuldner belangt
und arrestiert werden dürfen '). Oder es schwächt schließlich die
Wirkung von Privilegien ab, die die Ausschließlichkeit des forum
domicilii zugunsten einiger Städte konstituieren: Ist ein Vertrag
vor einem andern Gericht als dem des Wohnsitzes des Schuldners
abgeschlossen worden, so soll er auch vor dem Vertragsgericht
belangt werden können2).
Stobbe’s*) Satz, das forum contractus sei nur von geringer
Bedeutung gewesen, trifft nach den bisherigen Ausführungen für
das spätere Mittelalter allerdings zu. Hier liegt auch der Grund,
weshalb über die Art und Weise der Evokation verhältnismäßig
sehr wenig überliefert ist. Daß z. B. das SLdR. sich hierüber
nicht äußere, vermochte Planck1) zu der Bemerkung, eine Evo-
kation ins forum contractus sei überhaupt nach dieser Rechtsquelle
') Priv. des Herzogs von Sachsen für Berlin und Köln (1319):
ch'cs coram sno prefecto unroersis . . . bominibus ipsos inculpare . . . pro dcbitis sh't
excessibus in ipso iudicio commissis volentibus dcbcnt solummoiio et non coram Jttdict
alicno rcspondcre (Fidicin II S. 18). Der gleiche Gesichtspunkt liegt einer
von Brünn ergangenen Entscheidung (Schötfenbuch 5, Rößler 11 S. 6) zu
Grunde: hier wird die in Brünn gegen einen Wiener erhobene Schuldklage
eines Breslauer Bürgers mit der Begründung abgewiesen: Ex quo ador de
litte ris, ßdeinssoribus ct verbis rci conßderetur, ambo deberent Wicnnam, i/bi contractus
per ipsos est J actus , rtmitti. Wenn ein Vertrag mit derartigen Garantieen um-
kleidet ist, dann soll dem im Schöffenbuch 29 (Rößler II S. 16) ausge-
sprochenen Satze zuwider dem Gast gegen den Gast nicht außerhalb des
Kontraktsgerichts Recht gewahrt werden; anders, wenn ein Gast gegen einen
Brunner Bürger in Brünn und nicht im forum contractus klagt (Schöffen-
buch 16C, Rößler II S. 84). Simon S. 49 erklärt die Entscheidung der
Brünner Schöffen unrichtig damit, daß Wien I.eistungsort sei ; hiervon ist
überhaupt nicht die Rede.
*) Kleve Grätl. l’riv. (1348), Gengier Kod. S. 495: nullus in lerminis
nostris burgenses nostros CHvcnses, bona torwn aut res obtiqarc seit arrestare presn-
mat; seit si quis contra cos occasionem ( actione tu ? ) habutrit , ad dictum opidu/n, ins
ch’ite ibidem postulaturus . adveniat , nisi aliqna proruiserint . . que contra eos testi -
monio scabinorum potcrunt opprobori, super quibus fanent id quod ins dictaverit et
sententia scabinorum; Huessen grätl. klev. I'riv. (1348), Teschenmachcr Urk.
XXIII S. 14. Vgl. auch Grieth grätl. klev. Priv. (1254), Teschenmachcr
Urk. XXXIII S. 26.
s) Gerichtsst. S. 443.
») I S. 76. 74.
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55
ausgeschlossen. SLdR. I. 70 § 2, eine Stelle, der von Planck1)
und von Meibom*) eine sehr künstliche Auslegung gegeben
wird, enthält jedoch in Verbindung mit SLdR. III. 25 § 2. 3 und
RLdR. 7 § 1 s) einen direkten Hinweis, wie in einem bestimmten
Unterfall, dann niimlich, wenn der auswärtige Schuldner Gut
im Gericht hatte, verfahren wurde. Er wurde, wenn er bei der
Klageerhebung nicht gegenwärtig war, durch Vermittlung des
Richters geladen, um entweder zu zahlen oder sich zu verant-
worten. Tat er keines von beiden, so griff ein eigentümliches
Verfahren gegen das Gut des ungehorsamen auswärtigen Schuldners
Platz, das zur schließlichen Befriedigung des Gläubigers führte.
Wo und wie der Richter den Schuldner, der nicht en dingplich-
tich, der in dem richte nicht wonaftich is, vorbieten läßt,
sagen die Quellen zwar nicht ausdrücklich. I)a es sich aber
um auswärtige Schuldner handelt, die nicht gegenwärtig sind, so
ist das Natürliche, daß die Vorladung in ihrem Gerichtsbezirk vor
sich geht. Eine unmittelbar an den Schuldner in den aus-
wärtigen Gerichtsbezirk ergehende Ladung wird, allerdings nicht
unter spezieller Beziehung auf das forum contractus, in Wesel4)
erwähnt. Aber die weit verbreitete Regel scheint gewesen zu
sein, das Gericht des Schuldners anzugehen, ihn unter Über-
mittlung der Ladung zur Gestellung im forum contractus zu
veranlassen. Und zwar begab sich in früherer Zeit der Gläubiger
anscheinend selbst ins Gericht des Beklagten, um dem dortigen
Gericht seinen Antrag zu unterbreiten5), während es in späterer
Zeit genügte, wenn dem betreffenden Gericht die schriftliche Auf-
forderung zuging6), seinen Gerichtsinsassen zur Gestellung im
Gericht des Klägers zu zwingen. —
b) Im geraden Gegensatz zu dem bisher Besprochenen ent-
■) II S. 270. *) S. 150.
3) S. dazu in der Homeycrschen Ausgabe S. 111 Anm. 14.
4) Urteilsbuch 142, Wolters S. G8.
s) Priv. Friedrichs I. (1173) 5 und — bei Delikten — 6, s. oben
8.52; wohl auch Ilern Stadtr. (1218?) XXI, oben 8.52.
*) Dortmund Stadtbuch (vor 1350) 23, Frensdorf! 8. 71 : Rees Stadtr.
(vor 1400?) 14, Liesegang S. 90, beide allerdings nicht mit spezieller Be-
ziehung auf das forum contractus, Rees anscheinend auch nur mit Beziehung
auf Deliktsklagen.
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hält das Landrecht, namentlich das sächsische, für die ältere Zeit
keinen Hinweis darauf, daß lediglich durch Festhalten einer aus-
wärtigen Person oder ihres Gutes ein forum arresti hätte be-
gründet werden können'). Anders das Stadtrecht*). Hier tritt
seit dem Ende des 12. Jahrhunderts die Befugnis des Bürgers
auf, die Person des auswärtigen Schuldners festzuhalten3), un-
eingeschränkt durch eine Vorschrift etwa der Art, es müsse der
Bürger zuvor im Gericht des Gastes Recht gesucht haben4). Auch
der Arrestierung lediglich des Fremdengutes wird schon früh
Erwähnung getan5). Hier mag zunächst Voraussetzung gewesen
') Vgl. Planck II S. 370, I S. 86. SLdR. I. 70 § 2 — vgl. oben S. 51
Anm. 1 — gehört nicht hierher, weil das ebenda beschriebene Verfahren
einmal Ladung und Fristsetzung voraussetzt, zweitens aber nur in Verbin-
dung mit SLdR. III. 25 § 2/3 — abgedruckt oben S. 43 — eingreift, also
den Gerichtsstand nicht begründet.
a) Vgl. im allg. die Belege bei Simon S. 70—73. 79 — 81 und Flank I
S. 83—86.
s) Z. B. Braunschweig Recht des Hagen 13, Hänselmann I S. 2, und
Ottonischcs Stadtr. (13. Jahrh.) 15, ebenda S. 5: Parchim StadtrechUbe-
widmung (1225—1226) 6, MeckL U. B. I S. 311: Mühlhausen Stadtrocht
(1230 — 1250), Ilerquet S. 621: sowie oben Anm. 2.
*) Charakteristisch der Kölner Schied (1258) bei Keutgen Urk. S. 162.
170. 168: der Erzbischof sagt in Klagcpunkt 46: rum homines ipsius arehiepis-
copi atque rxtranti ad eivitatem Coloniam vrniunt mm rebus venalibus tt non venalibus,
cives ipsi ar restant res ipsorum atque ipsos hominrs , dicentes ipsos sibi in pccunia vel
re alia obligatos, ad iudieiwn snum trahentes eosdern , propter quod evenit, nt ipsi cives
Ca lanir nses et res ipsorum in dh ersis leas extra eivitatem Cotoniensem a diversis il/i-
eite arrest[ejntur et etiam in causam trahantur coram iudice actoris, cum tarnen
iuris sit in utroque casu nt aetor forum rci sequatur. L'ndc ipsi cives
inimiantur et ipsorum iniuriam alia iniuria comitatur, worauf die Schiedsrichter
wie zu Punkt 16 so auch hier den Arrest uneingeschränkt zulassen: sicut
sHpra , quod quidam de hominibus archicpiscopi possuni arrestari et simili'er de extra-
neis. — Das kleine Kaiserrecht (nach 1300) I. 34, Endemann S. 33,
verlangt indessen, (lall man dem Schuldner von aller erst vur sime riehter recht
sal heischen , sitzit er also nahet das man in gereichen mag in eint tag;
erst wenn hier Recht geweigert ist. soll man ilm überall angreifen dürfen.
Ähnlich Altenburg Stadtr. (1256) 28, Gaupp St. R. 1 S. 212: extraneus si
cuiquam civium tencatur in debitis et in rurc impignorari non possit , hie si inirervcrU
eivitatem, pro debitis polest occupari. Vgl. übrigens unten S. 65 in und bei Anm.
3 und 4.
5) Münster Stadtr. (1221) 56, Keutgen l'rk. S. 153: Uolzininden
Rcchtsbrief (1245) 14, Gengier St. R. S. 205: Wismar Ratswillkür (1306),
Burmeister S. 11; sowie oben Anm. 2.
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sein, daß der Eigentümer des Gutes nicht persönlich in der Stadt
weilte'). Zweifellos aber ist wenigstens in späterer Zeit, daß das
Festhalten ausschließlich von Gütern auch des anwesenden Gastes
gestattet war, um ihn in dem betreffenden Gerichte zur Verhand-
lung zu nötigen5). Es verdient indessen hervorgehoben zu werden,
daß die älteste von einem Kaiser über den Sacliarrest erlassene
Vorschrift noch ein glattes Verbot desselben enthält. Es handelt
sich um das Privileg, das Otto IV. itn Jahre 1209 seinem Bruder
Heinrich zugunsten der Ilürger der Stadt Stade erteilte, mit der
beliebst der Grafschaft Stade Heinrich vom Erzbischof von Bremen
belehnt worden war. Es heißt daselbst im § 17, der bezeichnender-
weise in das vom Erzbischof Hilebold 1259 erneuerte Stadtrecht3)
nicht aufgenommen worden ist:
< 'tmcedimus ad haee ipsi«, ut nulli extraprooinciali liceat
in eieitate re« alicuiu « hospitis (hier = Wirt) occupare, sed
«i forte civis vel aliqui s incnla terrae extraproeineialem aliguem
habeat super alii/uo impetere, prius coram iudice extra-
prorinciali per iuris ordinein debet obtinere, ut
licitum sit ei re« ipsiu « occupare*).
Zu unterstellen ist hier, daß der Fremde nicht persönlich in
der Stadt anwesend ist. Bestand doch gerade in wölfischen Terri-
torien, entsprechend dem allgemeinen Rechtszustande, schon früh
die Befugnis, die Person des gerichtsanwesenden Auswärtigen
zum Zweck der Verhandlung festzunehmen:
(Juicumipie extra civitatem manens alicui burgensium teneatur
in debito, si riderit eum in civitate, assumet secum bodellum et.
eunt detinebit. Si autem bodellum habere non possit, cum duobus
•) Vgl. Planck II S. 38G.
s) Münster (oben S. 56 Anm. 5): Lüneburg Statuten (vor 1400) L,
Kraut S. 58. 59. Nach beiden Stellen darf sich der (last, dessen Gut besetzt
ist, sofort verantworten; er muß also in der Stadt »ein. Vgl. ferner Frei-
berg i. S. Stadtr. (1296—1307) XLI § I. Krmisch S. 239; Freiburg i. U.
Handfeste (1249) 73, Gaupp St. lt. II S. 96.
3) Pufendorf II App. V S. 159.
4) Gengier ,St. R. S. 455. § 17 wird von Maurer Städteverf. I S. 377
grundlos auf die Zeit des Marktverkehrs bezogen. Im Sinne des § 17 äußert
sich später einmal der Rat von Reval an den von Dortmund (1358), Hans.
U. B. III S. 165.
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guü conciinbus eum / toterit t hiincre et ad iudicium iter-
trahere
Wie schon oben*) erwähnt, ward auch den Gästen gegen
') Braunschweig Recht des Hagen (vor 1200) 13, Hänsclmann I S. 2.
Braunschweig Kocht des Hagen 14, ebenda S. 2, läßt auch die Pfandnahuic
von Sachen gewisser Schuldner zu: quiiumquc »ti/es aut tlcricus mit rusticus in
dvitate a/ietii tenetur in debito et solvere noluerit bene lieebit cum in tivitate detinere
ct res suas oecupare quousque debitum solvat aut per sententiam evadat; docll dürfte
hier, wie sich u. K. aus § 17 des Ottonischen Stadtrechts, ebenda S. 5, ergibt,
die Festnahme von Person und Gut des Schuldners erst dann erlaubt sein,
wenn der eivis im Gericht des Schuldners geklagt , aber kein Kecht erhalten
hat. — Übrigens sind die angeführten §§ 13 und 14 des Hagen und die ihnen
entsprechenden §§ 15 — 1 14 des Ottonianum geeignet, die von FrensdorlT
(Hans. Gesell. Hl. 6 S. 117 IT.) aufgcstcllte Ansicht zu stützen, wonach das
Ottonianum nicht ein gleichzeitig mit der erhaltenen Redaktion des Hagen-
rechts aufgezeichnetes Gewohnheitsrecht der Altstadt ist, sondern eine später
und zwar zwischen 1250 und 1279 entstandene erweiterte Redaktion der
iura Indaginis. In § 13 des llagcnrechts und 15. 16 des Ottonianum wird jedem
extra dvitatem wohnhaften Schuldner Arrest angedroht, wenn ihn der Bürger-
Gläubiger binnen deine wiebilde erblickt. Dem gegenüber haben § 14 des
Hagenrechts, 17 — 19 des Ottonianum nur Sinn, wenn man sio auf
Schuldner bezieht, die nicht extra dvitatem wohnhaft sind. Während aber
die erwähnten 17 — 19 des Ottonianum sich weit ausführlicher als jener
Paragraph 14 des Hagenrechts darüber verhalten, wie man Geistliche und
Dienstlcute arrestieren und ob man sic zunächst vor ihrem Send bezw. ihrem
Marschall verklagen soll, erwähnt das Ottonianum kein Wort von den im
Hagenrecht § 14 genannten rustici. l'nter ihnen können nur die Bewohnerder alten
Wik begriffen sein, eines grundhörigen Dorfes, das unter Otto IV. im Jahre
1202 durch Graben und Mauer an der offenen Ostseite geschlossen und in
den gemeinsamen Mauerring, der die drei Weichbilde Altstadt, Hagen und
Neustadt, sowie die Burgfreiheit (letztere namentlich Wohnplatz der milites,
der Dienstmannen) umschloß, einbezogen wurde (Hänsclmann in Chron. d.
deutsch. Städte Bd. VI S. XVI— XX). Mit Rücksicht hierauf konnten die
Bewohner der alten Wik in gewissem Sinne als nicht extra dvitatem wohnhaft
betrachtet werden. Zur Stadt im Rechtssinne wurde die alte Wik im Laufe
des 13. Jahrhunderts: ob 1245 — Hänsclmann I S. 10: vgl. auch die Urkunde
I S. 9 aus dem Jahre 1240, wo ein eigener advocatus der alten Wik genannt
wird — , ist streitig (dafür: Hänselniann Chron. S. XIX: Varges, die Ge-
richtsverf. der Stadt Braunschw. bis zum Jahre 1374, Marb. 1890 S. 25:
dagegen: Rietschel S. 95 Anin. 6 und dort Genannte). Jedenfalls aber muß
zwischen der Niederschrift des Hagenrechts und der des Ottonianum die
Stadtwcrdung der Wik liegen, da andernfalls dort nicht von rnstki hätte ge-
sprochen, hier ihre Erwähnung nicht ohne Grund hätte unterbleiben können.
») S. 21.
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59
einander') die Ausübung des Personal- und Sackarrests ge-
stattet. Zwar meint Osenbrüggen8) auf Grund einer Anzahl
süddeutscher Weistüiner*) das Gegenteil als die Regel hinstellen
zu sollen. Indessen würden diese hofrecht liehen Quellen über das
städtische Verfahren keine genügende Auskunft geben. Deshalb
beruft sich Ösenbrüggen gleich Planck4) auf die Vorschrift
der Statuten von Goslar:
En gast ne mach den anderen gast nicht besetten ; orlorede
arer dal de rat, so mochte dat irol sin h),
sowie auf das Stadtrechtsbuch von Freising:
kam gast mag den anndern gast in der stat cerpittenn noch
anvallenn . im seg dann das recht da hui m cerzignn. das sol
er bered nn unnd sol im darnach rieht nn als recht ist6).
Aber in Goslar, das 121)0 die Reichsvogtei erworben hatte,
waren überhaupt viele Punkte des gerichtlichen Verfahrens mit
einer vorausgehenden Erlaubnis des Rats verknüpft, sodaß man
von Goslar, das übrigens den Arrest der Giiste unter einander
gar nicht unbedingt untersagt, nicht ohne weiteres auf andere
Orte schließen darf. Und Freising wiederum hat offenbar nur
zwei Gäste aus derselben Stadt im Auge. Denn daß dem Kläger
dahaim, d. h. in seiner Heimatstadt, Recht geweigert sein soll,
ist eine Voraussetzung, die man nur auf den Fall beziehen kann,
daß der Beklagte ein Mitbürger des Klägers ist. So aufgefaßt,
paßt die erwähnte Voraussetzung zu den zahlreichen Vorschriften,
die Besetzung und Klage von Mitbürgern gegen einander nur
dann im Auslande zulassen, wenn in der Heimatstadt der Kläger
kein Recht hat erlangen können'). Und schließlich stehen den
Bestimmungen von Goslar und Freising die zahlreichen Nachweise
•) Unter Umständen konnte auch gegen Bürger vorsorglich (durch Gäste)
im Wege des Arrests eingeschritten werden. Darüber vgl. unten Kap. IV.
>) S. 4L
3) Grimm L 38 § 36. 210. 219. 225: V. 123 § 16. 127 § 13. 159 § 16-
177 § 14.
*) II S. 372.
s) (um 1300), Goschen 66, 1.
•) (um 1328) 69, Maurer S. 320,
7) Vgl. oben S. 45.
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gegenüber, die unbeschränkt Arrest und Klage der (laste gegen
einander gestatten ').
Mit Recht bat Planck*) darauf hingewiesen, dal,! die all-
gemeine Fassung dieser Nachweise die Vermutung rechtfertige,
dal! man „in bürgerlichen Schnldsachen dem Gast gegen den Gast
selbst wegen auswärts eingegangener Verbindlichkeiten Recht
sprach.“ Hiermit steht freilich nicht in Einklang seine Äußerung
anderwärts*), nicht überall dürfe der Gast den Gast vorsorglich
angreifen, „wenn nicht besondere Gründe dessen Verpflichtung,
gerade hier zu antworten, ergeben“. Indessen fehlt es nicht an
positiven Helegen dafür, daß in der Tat mindestens in späterer
Zeit der klagende Gast in den erwähnten Beziehungen dem hei-
mischen Bürger völlig gleichgestellt wurde. Es kam nicht darauf
■) S. die Belege bei Simon S. 80. 81. Auf Erlaubnis des Arrests gegen
die Person oder das Gut des anwesenden Gastes beziehen sich ferner:
Froibnrg i. U. Handfeste (1249) 117. 128, Gaupp St. R. II S. 102. 103:
Prag Statutarreebt (1314—1418) 117, Kollier I S. 71; Koblenz Gerirhtsbach
(1366—1424) 19 § 3 und 1, Bär S. 93. 94: Kleve SUdtrechUb. (nach 1424)
109 § 1, ZRG. 10 S. 239. — Arrest gegen das Gut des abwesenden Gastes
gestatten: Stade erzbisch. Priv. (1259), Pnfendorf II App. V S. 159, mit der
Einschränkung, daß stets der Vogt hinzugezogen werden muß: Magdeb.
Fragen II. 2 d. 3a, Bebrend S. 156; Magdeb. Schöffenspr. aus der Dresdener
Hachr. Kap. 50, Wasserschi. RQu. S. 188: Brünn Schöffenb. (um 1350) 110,
ltößler II S. 58: sentenriatum /seit , quod situ t etiler potest reittu in omni indieio, in
qteo ipswu personaliter rrperuerit, pro debitis nr re Stil re ; sie etiam potest res eins oeeu-
pare, et tsd illttd iudüiunt debet r ies venire, et res disbrigando, eertoris querintoniis
respondere. — Klage des Gastes gegen den Gast lassen zu die allgemein gehal-
tenen Stellen: Freiburg i. U. Handfeste (1249) 18, Gaupp St. R. II S. 85:
Hamburg Stadtr. (1270) VII. 5 und IX. 14, (1292 M. 11, Lappenberg S. 40.
55. 147: Wien-Neustadt Stadtr. (13. Jahrh.) 45, Winter S. 152: Goslar
Stadtr. (um 1300), Göschen 36, 13: Magdeb. Bresl. syst. Sch. R. II. 2 d. 35,
Laband S. 32: Magdeb. Fragen I. 2 d. 13. II. 2 d. 8. 9 a. 14 bei Behrend
S. 47. 159. 160. 164. Simon S. 79 bezeichnet auf Grund der (späten) Lünc-
burgischen Niedergcrichtaordnung (Pufendorf III App. S. 366) es als das
Wesen des sog. Gastgerichts, wenn eine Stadt Klageanstellung von Gast gegen
Gast gestattet: er hat aber die betreffenden Stellen mißverstanden, welche
unter „Gastgericht“ wie gewöhnlich, (s. unten Kap. VI) schnellen Prozeß
zu Gunsten Fremder verstehen, mag sich die Klage nun gegen Gäste oder
gegen einheimische Burger richten.
T) I S. 85. 86. Falsch Meibom S. 159 f.
3) II S. 372: vgl. auch I S. 86 Zeile 5 und S. 82 Anrn. 19.
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an, ob der schuldige Hast sich wegen außerhalb kontrahierter
Schuld im fremden Gericht dem klagenden Gast stellen wollte,
sondern er war verpflichtet, dies zu tun. Der Kläger konnte
ihn zu diesem Zwecke in Person festhalten:
dominus meus contulil cunctis ciritatibus tale ins, quod possit
quilibet naturalem sibi debitis obligat um in qualibet ciritate
sine de/rimento advocatorum et iudicum rum iustitia obligare ');
in welchem geeicht ein man seinen schuldiger rindet, da
mag er in icol au/halden oder sein guet und mag im c:u-
sprerhen um schulde und her schol im antworten mit einem
rechten ,).
Der klagende Gast durfte, war der schuldige Gast nicht persönlich
anwesend, sein Gut im auswärtigen Gericht arrestieren3). Kurz,
er durfte ihn, wie überhaupt allgemein ausgesprochen wurde,
um außerhalb kontrahierte Schuld an drittem Orte gerichtlich
belangen :
welk ghast enen anderen ghast schuldeghrt in drsser stad
vmme gheldaftighe schuld, de buten drsser stad ghemaket is:
de schult mach he im/f ghasten tughen, de ghude lüde zyn,
vnde de also hoghe in sieden cdder in landen myd rrce beseten
zyn, alse de schult is *) ;
beschuldegite adir beclayete eyn gast den andirn cmb gelt,
daz her ym sculdig wem und czoge sich des an eynen siczinden
rat in eynir andirn stat, das is demr wissende teere, end bete,
■) Anhang i. Werleschcn I’riv. für Penzlin (1263). Mcckl. U.B. II S. 227.
*) Brünn Schöffensatzung (14. Jahrh.), ltölllcr II S. 402: s. ferner
Kleines Kaiserrecht (nach 1300) I. 34, Kndemanu S. 33; Magdeb. Brcsl.
syst. Sch.lt. IV. 2 d. 84, Laband S. 178. Vgl. auch Reichssentenz (1277)
MG. LI,. II. 412.
3) S. die üben S. 60 Anm. 1 abgedruckte Stolle aus Brünn Schöffenb
(uni 1350) 110: vgl. auch Brünn Schöffenb. (um 1350) 95, RiiUlor II S. 50.
*) Hamburg Stadtr. (1292) H. 21, Lappenberg S. 140. Vgl. dazu
Hamb. Stadtrecht (1292) G. 6, ebenda S. 126, sowie Lübeck deutsches
Stadtrecht CXI (1294) nebst den in der dazu gehörigen Anm. abgedr.
Stellen aus dem Omi. Hamb. 175 und aus dem lteval. Cod. : geste de ere sah
hebben, dat sy um me sehult cdder anders war um me, da! bynnen un s er s ladt tdde r
dar lub. r,cht is gesehen is, mach de ine up den anderen nicht Ingen, suss mach
ein up den anderen utol lugen, COX (1294) und CXC.II (Gött. nebst Segoberger
Cod.), Hach S. 302. 303. 357. 442.
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des czu vrogin i/n eg me reclitin, ab man den sclbin sirzinden
rat nicht torhoren nulle rar allir anticort, und do wedir spricht
der andir gast ...').
In negativer Hinsicht wäre noch zu bemerken, daß keine Vorschrift
existiert, die Arrest oder Klage lediglich zwischen Gästen wegen
außerhalb kontrahierter Schuld ausdrücklich verbietet.
Es dürfte im Gegenteil nicht einmal der von Simon2) aus-
gesprochene Satz zutroffen, wonach wenigstens die Ausübung des
Repressalienarrests auf die Heimatstadt des Gläubigers beschrankt
geblieben sein soll. Abgesehen davon, daß vom Repressalienarrest
meist in einer Weise die Rede ist, die keinen Schluß zu Gunsten
der Simon’schen Auffassung zuläßt3), wird nicht selten ausdrück-
lich in einem ihr gegenteiligen Sinne entschieden. Charakteristisch
z. II. ist es, wie die Stadt Frankfurt a. M. in der von ihr im Jahre
1297 bewirkten Rechtsaufzeichnnng die möglichen Folgen einer
etwa in der Stadt vorgekonnnenen Rechtsweigerung beschreibt:
Dicimus eciam, quod si aliquis ceniret ad nostrain ricita-
tem mocendo actione m alicui et optineret in iudicio noslro, iptod
sibi iudiciuni super sua actione jieri deberel: si non iudicare-
tur ei, e.rtunc ubicumj ue locoruni cid et(ur) illum vel
alium de suis concicibus unum, posset eum conrenire per
iudicem et occupare, pro eo iptod iustiria ipsi est denegata.*) —
Angesichts dieses Rechtszustandes des lß. und 14. Jahrhunderts
ist Rosenthals , auf dasLandshuterStadtrecht gegründete Ansicht 5),
') Magdeb. Brest syst. Sch. R. I. 2fi, I.aband S. 11. S. ferner Brünn
Schüflenb. (um 1350) 29, Rößler II S. 16: Hannover Stadtr. (um 1350?)
lib. III (Mind. R.), Yatorl. Arch. S. 425; Magdeb. KragenBeil.il zu I. 1 d.
23, Bohrend S. 213. Vgl. die oben S. 54 Anm. 1 behandelte Stelle ans
Brünn Schöflenbuch (um 1350) 5, die im Gegensatz zu Magdeb. Bresl.
syst. Sch. R. I. 26 auch im „Gastgericht‘ unter gewissen Umstünden auf das
forutn contractus zurückweist.
*) S. 81.
*) Vgl. z. B. Priv. Friedrichs I. (1173; l, abgedruckt oben S. 52.
4) (1297) 25. Keutgen Urk. S. 189. Vgl. ferner Brünn Schüflensatzung
(14. Jahrb.), Rößler II S. 402: Fordert der Klilger Recht in dem geruht, ila der
r.ntu’ur/er in besessen ist, und wiert im da reeht versait, so halt er wol einen andern
auf aus dem selben geriehte , wo er in rindet .
5) Rnsenthal S. 108. Die fragt Stelle des Stadtbuchs von Landshut
(14. Jahrh.) VII. 1, ebenda S. 188, lautet : Verbuittt ein burger einen attzman in
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es habe nach dem Grundsätze arfor arquitur fnmm rei der in der
Heimatstadt des Gläubigers anwesende Fremde nicht gezwungen
werden können, sich anderwärts als vor dem Gericht seines Wohn-
orts auf eine Klage einzulassen, abzulehnen. Sie dürfte auf eine
Verkennung des Inhalts des Landshuter Rechts zurückzuführen
sein '). Grundsätzlich mußte vielmehr der anwesende Gast einer
Ladung folgen und sich auch — wenigstens in späterer Zeit,
nach eingetretener Verwirrung der Gerichtsstandsverhältnisse — stets
auf die Sache selbst einlassen. Leistete er der Ladung nicht Folge,
der stat umb sein gelt und taub ander saeh mit dem vran boten, toi/ dann der anzman
dem b arger ein reeht tun, so soll der auzman an den v ranboten werben, dai er im
ttf das recht gebiet , er well im ein reeht tun und habt im von im für bieten an
gas tc s stat. ehumt dann der bürge r uf duz reeht nicht , dieweil der riehter an qevär
sitzet an dem gerieht und daz es der gast meldet und suchet p so ist dem burger bruch
umb alles, daz er hinz dem gast ze sprechen hat. se geleicher weis für daz der auz-
man dem burger des nacktes an gast es stat furbut mit dem vronboten, chum ir des
morgens nicht uf daz recht an gevar, dieweil der riehter sitzet an dem rechten, so ge-
vellet der auzman dem burger umb alles , das er hinz im zesprechen hat und gcvellet
dem riehter umb das wandel. Roscnthal meint hierzu, die Ladung au den Gast
wurde riiur als eine Aufforderung Namens des Börgers an den Gast be-
trachtet, die dieser nach Gutdünken annehmen und ablehneu konnte“; kündigte
der GavSt dem Pronboten an. er wolle hier zu liecht stehen, und lud dann
seinerseits den Burger vor Gericht, so wurden erst durch diese eigentlich
wirksame Ladung beide Parteien zum Erscheinen vor dein Landshuter Ge-
richt verpflichtet.
') Rosenthal ubersieht bei seinen Darlegungen (vgl. vorige Anm.) die Be-
deutung der Worte fürbieten an gas/es stat, ein Ausdruck, der übrigens im Stadt-
rechtsbuch von Preising (1328) 69 bei Maurer S. 314 gelegentlich der Dar-
stellung des Gastgerichts wiederkehrt. An sich wäre nämlich der Ausmann ver-
pflichtet, der Ladung des Bürgers zu folgen; auf diese Ladung fand im regel-
mäßigen Gange indessen erst binnen einer vier zehntägigen Frist (Stadtb. X. 6,
ebenda S. 191) gerichtliche Verhandlung statt. Der Ausmann besitzt dem
gegenüber das im allgemeinen nicht den Bürgern, wohl aber den Gästen,
seien sie nun Beklagte oder Kläger, zustehende Recht, sofortige Verhand-
lung, ein sog. Gastgericht, zu verlangen. Die vorliegende Stelle nun befaßt
sich mit einem solchen Gastgericht zu Gunsten des beklagten bezw. klagenden
Ausmannes. Nicht das also ist in ihrer ersten Hälfte das Entscheidende,
daß der Ausmann dem Burger Recht tun will, sondern daß er es im an
gas/es stat, d. h. sofort tun will. Dieser Wille aber muß dem klagenden
Bürger gegenüber verlautbart werden; das geschieht in Form einer an den
Bürger ergehenden Ladung zu dem alsbald anzusetzenden Ding.
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entzog er sich vielleicht gar der Verhandlung durch die Flucht,
so war Strafe und eventuell ein Kontuniazialverfahren möglich:
Horpes citatus »i non eenerit in iudicium, eadiabii LX
■solidos; si profnym est, et peremptorie citabitur
Freilich bot das Kontumazialverfahren wenig Aussicht, wenn Ver-
mögen des schuldigen Gastes im Bezirk des Klagegerichts nicht
vorhanden war*). Deshalb wurde der Besetzung der Person des
anwesenden, des Gutes des abwesenden Gastes vor der einfachen
Ladung der Vorzug gegeben und dies Verfahren zur Einleitung
des Prozesses gegen Gäste als das Regelmäßige angesehen ’). Gäste,
die nicht in der Stadt weilten, waren einer Ladung in die Stadt
zu folgen nicht verpflichtet bezw. genötigt4), wofern nicht das forum
contractus begründet war5) oder ihr Gut in der Stadt gefunden
und besetzt wurde.
Sehr selten geschah es, daß zu Gunsten einzelner Städte, sei es
für das Reichsgebiet6), sei es für den Bereich eines Territoriums 7),
das forum arresti aufgehoben wurde. Und auch die zwischen ein-
zelnen Städten geschlossenen Verträge haben eine solche Beseiti-
gung auffallend selten zum Zweck, wenden sich vielmehr meistens
') Münster Stadtr. (1221) 48 bei Keutgen Urk. S. 153: vgl. auch 47 und
20 bis 28. — Für Klag« von (last gegen Gast s. Goslar Stadtr. (um 1300),
Göschen 55, 13.
2) Daher die seltene Krwähnung.
3j Vgl. Wesel Urteilsbuch 130, Wolters S. 07. Den so gegen den
Gast ausgeübten Zwang, sich zu einer bestimmten Verhandlung zu stellen,
bezeichnen die (Quellen verschiedentlich mit dinekfliektieh malern (Al|diab.
Saininl. v. Magdeb. Schöffensprüchen Kapitel 148, Wasserschieben S. 50:
Magdeb. Fragen Heil. II zu I. 3 d. 17, Hehrend S. 223).
4) Salfeld Stadtbuch (nach 1300) Xt 'VIII, Walch I S. 37: Wert dai
der rirhlrr Aisehe einen lantman vor berichte leere he da nirht der hintman welle dem
riehtere darumme kryn ge/t. — In Görlitz (1320), Tzschoppe S. 528, werden
die auf dem Lande wohnhaften Hauern der Kitterschaft nach königlicher
Kntscheidung durch Vermittlung des Vogts in die Stadt vor Stadtrichter
und Schöffen geladen. S. auch Freiberg Stadtr. (1290—1307) III. 39. 40,
Frmisch S. 08.
5) Vgl. oben S. 54. 55: in späterer Zeit unpraktisch.
8) Duisburg Rechtsbest. Rudolfs I. (1290)0, Gcnglor Ood. S. 950.
7) Die gräll. Privilegien für Kleve (1242) und Grieth (1254), Gengier
t'od. S. 495 bezw. Teschenmacher Frk. XXXIII S. 26. Vgl. oben S. 40
Anm. 2 — 4.
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6.r>
nur gegen eine übertriebene Anwendung des Repressalienarrests.
So enthalten denn viele Verträge lediglich ein Verbot des Re-
pressalienarrests und geben damit mittelbar das Fortbestehen des
forum arresti gegenüber der Person des Hauptschuldners zu.
In andern Verträgen wird sogar der gegen Person oder Gut
desselben ausgebrachte Arrest ausdrücklich gestattet'). Auch da,
wo die Städte verabreden, der Gläubiger solle behufs Beitreibung
seiner Forderung das Domizil des Schuldners aufsuchen, ist, wie
z. T. ausdrücklich ausgesprochen wird, lediglich an eine vorbeu-
gende Maßregel gegen mißbräuchlichen Repressalienarrest gedacht *).
Nur vereinzelt wird das forum arresti unzweifelhaft vertraglich aus-
geschlossen5), eine Möglichkeit, auf die übrigens das Stadtrecht von
Kleve4) bei seiner Erörterung des Arrests ausdrücklich hindeutet.
In höherem Grade ward dagegen das forum arresti, wie schon
oben angedentet5), durch die Nonnen beschränkt, welche zu Gunsten
des Gerichtsstandes gewisser Einwohnerklassen eines Territoriums
') Ohne Weiteres z. B. in Hildesheim-Hannovcr (1298), Hann.
Urk. B. ur. 70: Lübe|ck-Hamburg-Wismar nsw. (1358), J.nb IT. B. nr. 310.
Unter ausdrücklichem Hinweis darauf, dall mißbräuchlicher Arrest gegen
Dritte ausgeschlossen bleibe, z. B. in Hamburg- Wursten (1238), Hamb.
U. B. S. 441: Flantlr. Priv. für die Kauft des rörn. Reichs (1252), J.nb.
ü. B. X nr. 180: N im wogen- Köln (1278), Lacomblet II S.421; Arnstadt-
Erfurt (1283), Amst. ü. B. S. 23.
*) Ausdrücklich z. B. in Boppard-Köln (1252), Gengier Cod. S. 25G;
Flandr. Priv. für die Kauf), des röm. Iteichs, s. oben Anmerkung 1:
Bremen-F.msgau (1255), F.limck I S. 307: I. and fr. der Gebiete zw. Rhein,
Lahn und Main (1265) 3 und 5, Böhmer l'. B. I S. 122; Soest-Köln (127G),
Seibertz I S. 460; Xi m wegen -Köln (1278), s. oben Anmerkung 1. Nicht
ausdrücklich z. B. in Oldeuzaal-Koesfeld (1261), Wilmans nr. G85.
s) Münstcr-Osnabrü ck- Soest - Dort mun d (1277) 8, Osn. U. B. III
nr. 598: si aliquis civis de altera predietarnm civilatum in alteram negotiationis seit
alia quacumque de causa venerit , nec ipse nee res sue debent ibi a quoquam hominwn
obligari seit c/iaai arres/ari, sed siqnis ibidem contra eum illiquid duxeril proponendum,
mittetur in dvitntem, in qua facit residentiam ille reus, et eonsules civitatis iltius
facient actori de ipso eorum concive ßeri eorum civitatis iusticüun expeditam; Hildes-
heim-Hannover (1310), Hann. U. B. nr. 101; Halberstadt-yuedlin-
burg (132G), Höfer dtsche. Urk. II. nr. 106; Landfr. des livlind. Deutsch-
ordens und Rigas mit Littauen, Polozk n. Witebsk (1338) II, Hans.
U. B. II S. 277.
4) (Nach 1424) 109 § 1, ZRG. 10 S. 239.
5) S. 24. 25.
Rudorff, Rechlsstelluag der Gäste 3
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66
bestanden. Insbesondere griffen sie Platz zum Vorteile des Adels,
der Dienstmannen, meist ganz allgemein gefaßt, seltener nur auf
solche Angehörige des Standes bezogen, die außerhalb der Stadt
ihren Aufenthalt besaßen und nur vorübergehend in derselben er-
schienen. Ob nun rein negativ das Stadtgericht für Klagen um
Schuld gegen derartige Personen als unzuständig bezeichnet ’) oder
positiv das Hof-, Land-, Dienstmannengericht als das zur Ent-
scheidung solcher Streitigkeiten berufene Gericht genannt wurde2),
jedenfalls war der Ritter, auch wenn er in der Stadt verweilte, in
solchem Falle nicht zu zwingen, auf Ladung des Klagers vor dem
Stadtgericht zu erscheinen. Auch ein Zwang durch Besetzung der
Person oder des Gutes des Schuldners durfte, sollten jene Vor-
schriften praktische Wirkung äußern, nicht Statt haben, wie häufig
ausdrücklich ausgesprochen wurde 3). Der tatsächliche Zustand
freilich mochte mit der Theorie nicht selten in Widerspruch treten.
So soll nach einem Vorhaben Karls IV. die im Weichbild Lübau
gesessene Ritterschaft fortan ausschließlich im Hofgericht zu Bautzen
und nicht mehr vor dem Stadtrichter in Lübau zu Recht stehen.
Hiergegen wendet sich die Ritterschaft mit der Begründung, sie
') Pritzwalk Stadtr. (1236) 14, Genglcr St. R. S. 364: Brieg Kochts-
bi-stät. (1324) 18, Korn S. 102; Freicnwaldc Priv. (1338), Riedel I. XV1I1
S. 111 nr. 22. Vgl. auch Wien Stadtr. (I2!)G) 15, Keutgen l:rk. S. 215.
*) Braunschweig Otton. Stadtr. (13. Jahrh.) 17, Hänselinann I S. 5;
Bremen Gerb. Revers. (1246) 3, Kentgcn l'rli. S. 173; Neu-Salzwedel
Priv. (1247), Riedel I. XVI. S. 3 nr. 5: Kngonwaldo Rechtabr. (1312) 13,
Gengier St.lt. S. 888; Görlitz Kntscheid. des Königs von Böhmen (1329),
Tzschoppc S. 528; Brünn ScliölTenb. tum 1350) 14, Kollier II S. 10. Vgl.
auch Diepholz Priv. (1318), Gengier Cod. S. 759, und Braunschweig
Huldebricf (1371) 15 mit Verweis auf 1299, Hänselinann U. B. I S. 58. S.
auch Kühns I S. 207. 221.
5j Brannschweig (13. Jahrh.) 17, oben Anmerkung 2; Zusicherung
der Fürsten von Werlo (1276), Mccklb. I'. B. II S. 553: Diepholz (1318),
oben Anmerkung 2: Magdeb. Bresl. svst. Sch. K. II. 2 d. 73, Laband S. 51
(höhere Dicnstleulc!), und Magdeburg Ueehtsbezeiigung (1369), Korn S.215:
Pelzen Keehtsbr. (1371)8, Gengier St.lt. S. 496. Xarh Braunschweig
Stadtr. (1401) 76, Hänselinann 1 S. 107, nehmen ore mt^hrdt undt ore knerhte
an dem Gerichtsstands- und Arrestprivileg der herzogl. Pienstmannen nicht
teil. Andels stellt es mit den brotezzen der Vasallen in derGörlitzcr Knt-
schcidung und mit den hominis nobilium et ministn in/inm in Bremen, oben
Anmerkung 2. Vgl. auch Hildesheim Stadtr. (um 1300) 92, Unebner l’. B.
I S. 288.
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fi7
fürchte dann von der Bürgerschaft auch wegen unbedeutender
Schuldforderungen in allzu hohem Maße durch Arrest belästigt zu
zu werden ').
Gewisse Einschränkungen erlitt der erwähnte Rechtszustand
schon dadurch, daß Personen adeligen Standes gestattet wrard, sich
freiwillig vor dem Stadtgericht auf eine gegen sie angestellte Klage
einzulassen s) ; immerhin konnten sie n. U. selbst in einem solchen
Falle verlangen, den ihnen zukommenden Eid vor ihrem Sonder-
gericht ableisten zu dürfen3). Oder er wurde dadurch eingeengt,
daß nur, wenn beide Parteien privilegierten Standes waren, das
Stadtgericht für unzuständig erklärt wurde4). Schließlich aber
ward, von dem Falle der Rechtsweigerung ganz abgesehen s), gerade
bei Klage um Schuld einer Anzahl von Städten der Vorzug, daß
vor ihrem Gericht die ritterlichen Personen nicht allein klagen6),
sondern auch Recht leiden mußten 7). Damit war dann auch die
*) Die Ritterschaft Lübaus an Karl IV. (1348), Tzschoppe S. 559.
*) Salzwedel Rechtsbrief (1273), Pufcndorf III App. S. 400.
3) Hrünn Schüffonb. (um 1350) 452, Rüßler II S. 211; vgl. dar.u
Ilrfinn 14, oben S. 66 Anm. 2.
4) Eger I’riv. (1279) 21, Gaupp St. 11. I S. 192.
5) Vgl. z.B. Braunschweig (13. Jahrh.) 17 und (1371) 15. 16, oben S. 66
Anm. 2; Zusicherung der Fürsten von Werte (1276), oben S. 66 Anm. 3;
Diepholz (1318), oben S. 66 Anm. 2.
*) Kühns I S. 222 scheint das Gegenteil als die Regel hinstcllcn zu
wollen. Doch trifft, soviel wir sehen, einzig Salzwedel Itechtsbr. (1273),
Pufendorf III App. S. 400. mit dem Satze: si ipsi (sc, mi/i/es ct famuli) ab a/iis
ßurgtnsibus non coram nobis sed coram iudiee civitatis super hv s tlc quibus
movent querimoniam volunt iustitiam co/tscqui, eidem (sc, milites et famuli)
coram eodetn iudiee statim respo/utcant aecusati eine Itestimmung, die so ausgelegt
werden könnte. Im Übrigen müssen, wie das auch das Natürliche ist, die Pri-
vilegierten als Kläger im Stadtgericht erscheinen: llrauuschweig (13. Jahrh.)
18, oben S. 66 Anm. 2; Landfr. für das Gebiet zw. Rhein, Lahn und Main
(1265) 8. 3, Böhmer lT. H. I S. 122: Puderstadt I’riv. (1314), Jäger nr. 14:
Prag Schöffonurt. für Glatz, Rüßler I nr. 14. In Eger l’riv. (1279) 18,
Gaupp St. R. 1 S. 192, heißt es sogar von dem coram suo iudiee belangten
auswärtigen Kdeln oder Dicnstmann: si forte ipsum civem reconvencrit, nisi
forte (sc. ch’isl) volucrit, coram iudiee civitatis sibi tcnctur tantummodo tespondere.
7) Bremen Priv. Gerb. II. (1233), t'assel Samml. S. 124 (vgl. dagegen
oben S. 66 Anm. 2); Breslau Priv. (1263), Korn S. 30, unter Vorbehalt der
Berufung an die herzogliche curia,- Schweidnitz Priv. (1281), Tzschoppe
S. 397 (vgl. oben S. 43 Anm. 1); Eger Priv. (1279) 21, Gaupp St. R. I S. 192
5*
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Ausübung des Arrests gegen sie förmlich gestattet'). Auch hier
ist meist nur von den milites, den nobiles im allgemeinen die Bede.
Im Gegensatz zur Ritterschaft2) genossen Landbewohner nicht-
ritterlichen Standes, welche entweder vom Stadtherm oder von
dessen Großen und Ministerialen abhängig waren, nur selten der
Freiheit von Arrest und Ladung im Stadtgericht3). Oft bezog
sich ein bestehendes Privileg auch nicht auf die unfreien und
hörigen Bauern im allgemeinen, sondern nur auf die Bewohner
eines bestimmten Ortes4). Ward in einem solchen Falle im Sonder-
gericht des beklagten Bauern Recht geweigert, so trat natürlich
das Stadtgericht ein5), das im allgemeinen überhaupt für Ladung
Magdeburg Rochtsbczeugung der Schöffen (1369), Korn S. 215 (niedere
Dienstmannen !); Kölner Schied (1258), Klage 16 des Krzb. und Kutsch,
dazu, Keutgen Urk. S. 159. 108: Landfr. (1265) 5 und 3, oben S. 67 Anm. 6;
Kreiberg i. S. Stadtr (1296 — 1307) XLI § 1, Krmisch S. 239. — (Iber Kon-
traktsgerichtsstand vgl. oben S. 53 Anm. 3.
') Vgl. die letzten drei Belege der vorigen Anmerkung, sowie: Breslau
Bccbtss. für Glogau (1280) 4, Korn S. 49 (vgl. dazu über „Landleute“ § 1
und dagegen Tzsehoppc Einl. S. 210): Brünn Stadtr. (nach 1300) 39, Röülcr
II S. 361 ; Duderstadt Priv. (1314), Jäger nr. 14; Lübau Priv. (1329),
Tzschoppe S. 528; Königsfeld Rechtabrief (1360) 4, Gengier St. R. S. 225;
Liegnitz Rechtsmitt, an Karl IV. (1369), Koni S. 218; Perleberg Priv.
(1403), Riedel 1. III S. 409 nr. 118. Vgl. auch Kgor Priv. (1279) 20, Gaupp
St. R. I S. 192: Freiburg i. U. llaudf. (1249) 73, wo milites, die in die Stadt
kommen, nur per mssum snilltli arrestiert werden dürfen (Gaupp St. R. II
S. 96); Klm Stadtr. (1296)28, Keutgen Urk. S. 193.
*) Dies wird auch ausdrücklich hervorgehoben : Freienwalde Priv.
(1338), Riedel I. XVIII S. 111 nr. 22; Ncu-Salzwedcl Priv. (1247), Riedel
I. XVI S. 3 nr. 5; Görlitz Entscheid, des Königs von Böhmen (1329),
Tzschoppc S. 528; Uelzen Rechtsbrief (1371)8, Gengier St. R. S. 496.
s) Bremen Gerli. II. Revers. (1246) 3, Keutgen Urk. S. 173: Marien-
burg Handfeste (1276) 9 zum Teil (vgl. 6), Gengier St. R. S. 277: Zusiche-
rung der Fürsten von Wcrle (1276', Meckl. U. B II S. 553; Erklärung der
Grafen v. Schwerin (1279), Meckl. li. B. II S. 610: Diepholz Priv. (1318),
Gengier Cod. S. 759: Paderborn Priv. Best. (1327), Philippi S. 99: Danzig
Handf. (1378) 3, Gengier Cod. S. 712.
4) Goslar Statuten (1290), Gosl. U. B. II S. 417: Duderstadt Priv.
für Obcrnfeld (1320), Jäger nr. 18: München Stadtr. Buch (1347) 185,
Auer S. 71.
5) Bremen, Werle, Schwerin, Diepholz (s. Anmerkung 3).
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C>0
und Arrest hei Klagen um Schuld gegen Bauern als zuständig be-
trachtet wurde1).
2. Klagen um Gut.
a) Bei Klagen auf bewegliches Gut soll es bezüglich des
Gerichtsstandes einen Unterschied machen, ob mit Anetang oder
oder ob schlicht geklagt wird.
Im erstgenannten Verfahren wird „der Besitz des Beklagten
vor*) Anstellung der Klage durch das Ergreifen der Sache von
Seiten des Klägers fcstgestellt“ und dies Ergreifen alsbald vor
Gericht in rechts förmlicher Weise wiederholt; alsdann ist zur Ver-
handlung und Entscheidung eben das Gericht zuständig, in dessen
Bezirk die (außergerichtliche) Ergreifung stattfand’). Dem ist
zuzustimmen. Insbesondere war auch ohne eine weitere Voraus-
setzung die Ausübung des Anefangs von Gast gegen Gast gestattet4).
Für schlichte Klage um Gut soll dagegen nur „das persön-
’) Vgl. die oben 8. 68 Anm. 2 angeführten Stellen, sowie ferner bezüg-
lich der Zulässigkeit des Arrests: Mühlhausen Stadtrccbt (1230 bis
1250), Herquet S. 621: Altenburg Stadtr. (1256) 28, Gaupp St. R. I S. 212;
Breslau Kcchtss. für Glogau (1280) 4, Korn S. 49: Frankenberg Itechts-
brief (1294), Kuchenbecker Cod. V S. 183; Wismar Ratswillk. (1306),
Bunneister R. A. 8. 11; Iluderstadt Priv. Best. (1314), Jägor nr. 14;
Goldberg Priv. (1325) 5, Tzschoppe S. 511; Heiligenstadt Willkür
(1335) 31. 159, Wolf l'rk. S. 10. 28: Göttingen Statut (1354?), Pufendorf
III App. 8. 199; Königsfeld Rechtsbr. (1360) 4, Gengier St. R. S. 225:
I.iegnitz Uechtsmitt. an Karl IV. (1369), Korn S. 218: Perlcberg Priv.
(1403), Riedel I. III S. 409 nr. 118: Magdeb. Bresl. syst. Sch. R. II. 2 d. 73,
Laband S. 51. Bezüglich der Zulässigkeit der Klage überhaupt:
Schweidnitz Priv. (1281), Tzschoppe S. 397; Brünn SchöfTenb. (um 1350)
108, Rößler II S. 57; Magdeburg Rechtsmitt, an Karl IV. (1369), Korn
S. 215; Landfr. der Gebiete zw. Rhein, Lahn u. Main (1265) 3 mit 5,
Böhmer U. B. I S. 122.
*) Dies das Regelmäßige; über Ausnahmen in späterer Zeit siche
Planck I S. 836 ff.
s) Planck I S. 836. 828, auch S. 82, unter Anführung von Magdeb.
Rechtsbr. für Herzog von Schlesien (1201—1238) 8, Laband RQu. S. 5, und
Glogau Rechtsaufz. (1302) 2, Tzschoppe S. 444. In demselben Sinne Stobbc
Gerichtsst. S. 445.
*) Magdeb. Fr. I. 13 d. 1, Behrend S. 129. Vgl. auch speziell bei
Anefang wegen gestohlener Sachen: Mühlhausen Stadtr. (1230—1250),
Herquet S. 619: Dortmund Stadtb. (1350 — 1400) 63 mit 62, Frensdorff
S. 83. 82.
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70
liehe Gericht des Verklagten“ zuständig gewesen sein1)- Freilich
existierte, darin ist Simon5) zuzustimmen, keine Bege], die die
Zuständigkeit für die schlichte Klage lediglich von der Anwesen-
heit des Streitgegenstandes in dem betreffenden Gerichtsbezirke
abhängig gemacht hätte 3). Aber die schlichte Klage ist ja über-
haupt von der körperlichen Anwesenheit der Sache in der Gerichts-
verhandlung unabhängig. Und es wäre nicht recht verständlich,
weshalb das Stadtrecht, das Klagen der Gaste unter einander um
ausserhalb kontrahierte Schuld zuließ, gerade bei Klagen um be-
wegliche Habe einen engeren Standpunkt eingenommen haben sollte.
Um so weniger verständlich, als sich die Klage um Schuld in eine
schlichte Klage um Gut verwandeln konnte4). — Daß in der Tat
auch bei der schlichten Klage um Gut in späterer Zeit ein ähn-
licher Grundsatz herrschte wie bei den Klagen um Schuld, der
nämlich, den Schuldner nicht nur in seinem Domizil, sondern da
zu belangen, wo man seiner habhaft werden konnte, ist ver-
schiedentlich bezeugt. So bestimmt einmal das Stadtrecht von
Celle (1301) §§ 14 und 15:
Sur lieh man enen gast anspricht umme sollt , Jene mot
he wol uphalden, rennte he (lat richte hebben mnghe. Umme
nicht, bekant gut scal de rrone den man halden, wante deine
rlegere recht geschehe
Hier ist eine schlichte Klage auf Gut gemeint, die jemand
(Bürger oder Gast) gegen einen Gast anstellt, welcher außerge-
richtlich, wie aus dem Zusammenhang mit § 14 folgt, seine Ver-
pflichtung zur Herausgabe einer Sache oder gar deren Besitz ab-
geleugnet hat. Die Sache selbst ist überhaupt nicht zur Stelle.
Sonst würde der Gläubiger gemäß § 30 a. a. 0. das Anefangsver-
fahren wählen und nicht den Mann, sondern die Sache besitten unde
') Laband venu. Kl. S. 103, ib-r sich auf Stnbbo (icrichtsst. S. 445 ff.
bozieht, wo indessen lediglich von Ancfang gehandelt wird. S. auch Simon
S. 56 nnd 57.
ä) S. 16 nnd 17, sowie S. 56 und 57.
3) Vgl. oben S. 311 Antn. 3: de rebus [in Cc/onin] habitU .
4) Vgl. Planck I S. 494. 495 und 836. 837.
6) (lengler Cod. S. 480: das Stadtrecht stimmt im wesentlichen mit
dem It rau lisch we iger Ottonianum (13. Jahrb.) überein, doch ist gerade
§ 15 ein dem letzteren unbekannter Zusatz.
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71
dar up klagen*); denn auf diese Weise wäre er einmal vor der
Entziehung eines Vollstreckungsobjekts geschützt, zweitens aber
wäre auch der Nachweis der Passivlegitimation des Beklagten,
nämlich der Nachweis des Besitzes der Sache, sichergestellt2).
Zweitens aber ist schlichte Klage um Gut in einem dritten
Gericht voraussetzungslos dem Gast gegen den Gast erlaubt.
Magd. Fr. II. 5 d. 1 bestimmt, daß man wegefertigen fern wohnenden
Gästen und ebenso wegefertigen Bürgern soll
uvime schalt und umb varnde habe ytagia richten3).
Anefang stellt hier nicht in Frage; denn bei Anefang galt
überhaupt die uneingeschränkte Itegel: deprehensm in eodem loco
respondebit *), und mindestens würde der Ausdruck umb carnde habe
auch die schlichte Klage einschließen. Über die Passivbeteiligten
verhält sich die angeführte Stelle nicht. Sie setzt lediglich Er-
fordernisse für die Kläger fest, gestattet ihnen aber bei deren
Vorhandensein wie die Klage um Schuld r>), so auch die Klage auf
Gut gegen jedermann, er sei nun Bürger oder aber Gast.
Es mag außerdem darauf hingewiesen werden, daß, von den
möglichen strafrechtlichen Folgen abgesehen6), die Anefangsklage
für den Gast mit gewissen Erschwerungen verknüpft sein konnte,
die, hätte ihm in einem auswärtigen Gericht die schlichte Klage
') Glosse zum SLdlt. III. 23 § 3. In dieser Stelle kommt die spätere
Entwicklung des Anefangs zum Ausdruck, die seinen ursprünglich strafrecht-
lichen Charakter in den Hintergrund treten und ihn als arrestatorische Maß-
regel erscheinen läßt (Planck I S. 835—839, II S. 370); dazu stimmt Celle
Stadtr. (1301) 15 und 30, zusammengebaltcn mit Braunschweig Otto-
nianum 2G.
■J) Cello a. a. 0. 30 und Braunschweig Ottonianum 2C: Letzteres
schreibt überhaupt, ersteres sobald die Anefangsklage auf Diebstahl oder
Kaub gestützt wird, öffentliche Verwahrung vor. Im Übrigen läßt Celle 30
freilich die betreffende Sache in der Hand des Schuldners, eine Itegel, die
indessen, sobald letzterer ein Gast war, gemäß dem arrestatorischen Charakter
des Anefangs nicht zur Anwendung gelangt sein dürfte (s. unten Kap. IV).
3) Behrend S. 172.
4) Magdeb. Rcchtsbr., oben S. 69 Anm. 3: in cod/m kco = auf der
Stelle (Planck I S. 828 Anm. 10).
5) Klage von Gast gegen Gast um außerhalb kontrahierte Schuld im
Gastgericht: Magdeb. Bresl. syst. Sch. K. I. 26, Laband S. 11, und über-
haupt unten Kapitel VI.
*) Laband verm. Kl. S. 94.
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7-2
gegen einen anderen Gast offen gestanden, ihn des Vorzugs einer
Verhandlung häufig hatten berauben müssen. Die Anefangsklage
war nämlich nicht selten von besonderen Sicherstellungen abhängig
gemacht, wenn ein Gast sie erheben wollte1).
Die Klage um Gut mußte übrigens, auch wenn sie ohne
Anefang angestellt war, notgedrungen in ein für beide Parteien
fremdes Gericht gespielt werden, wenn diese sich, wie z. B. das
Magdeburgische Recht im Gegensatz zum Goslarischen und Ham-
burgischen vorschrieb, in das Gericht des < leweren begeben mußten *).
b) Für Klagen um unbewegliches Gut, um Erbe be-
stand im Gegensatz zu andern Klagen ein ausschließlicher Ge-
richtsstand, das forum rei sitae’). Auch Evokationsprivilegien
schützten in solchem Falle nicht gegen eine rechtswirksame Ladung
in ein auswärtiges Gericht4). Umgekehrt durfte der Eigentümer
in einem andern Gericht solange nicht um das Erbe angesprochen
werden, als nicht im forum rei sitae Recht geweigert worden war5).
Eine Ausnahme bedeutet der Satz des Hamburgischen Stadt-
rechts :
. . . Unde um nie erve, dat buten desseme tcicbelde be
legen ie, schal men to rechte kamen an dat richte, dar dat
*) Dafür, dat he syner klughe vol^he: Dortmund Stadtb. (1350 — 1400) G3,
Fronsdorff S. 83: dafür, daß er die mit Anefang geforderte Sache nicht in
rechter Fehde (vgl. Labaml vorm. Kl. S. 77) verloren und deshalb zur An-
stellung der Klage ein Itecht habe: Braunschwoig Krweit. Stadtges.
Samml. (1377 — 1380) 1)6, Hänselmann I S. G9. Der Gast soll auch, bevor er
den Anefang vollzieht, solche Zeugen stellen, die die vermutliche Berechti-
gung des Anefangs versichern (Braunschwreig a. a. 0.).
a) Hierüber finden sich bei Simon (S. 58— tili) noch nähere Ausführungen.
J) Planck I S. 47 ff., Simon S. 21 ff. — Auch wer sonst privilegirten
Gerichtsstandes war, konnte sich dem Gericht der belegencn Sache nicht
entziehen (Brünn Scböffenbuch — um 1350 — 32, bei Rößler II S. 17).
Vgl. oben S. 4.
4) Simon S. 21. 22 und ferner Straßburg Priv. Lothars (1129),
Keutgen l'rk. S. 8, und Oldenburg- Bremen (1243), Khmck I S. 258. Nur
Frankfurt a/M. Stadtr. (1297) 2, Keutgen l'rk. S. 188, verlangt zunächst
Klage in der Stadt uml verweist, nachdem dies geschehen, den beklagten
Bürger vor das Gericht der belogenen Sache. Wenn Karl IV. in einer
I’rivilegsbestätigung für Köln (1355), Lacomblet III S. 45G, es verbietet,
die Bürger prapter possessionet aus der Stadt zu evocieren, so sind dabei
jedenfalls Kölner Grundstücke gemeint.
s) Kassel Rechtsbest. (1239) G, Gengier Kod. S. 4G8.
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73
gud belegen is ; it ne u-ere also, dal it beide uttee boryhere
teeren, den dat gud Io horde: de schoten beide umme
dal gud hyr to rechte kamen'').
Diese letzterwähnte Vorschrift hatte ihre guten Gründe.
Einmal besaß das Gericht der Heimatstadt die Möglichkeit, seine
beiden Gerichtseingesessenen zur Erfüllung eines Urteils über
auswärtiges Erbe indirekt zu zwingen, ohne in die Rechte eines
andern Gerichts einzugreifen. Zweitens brauchten beide Bürger
nicht den immerhin bedenklichen Weg in ein auswärtiges Gericht
anzutreten, wo sie dem Arrest wegen Klage um Schuld ausgesetzt
waren. Zwar heißt es, daß im Gericht der belegenen Sache nur
auf eine Klage wegen dieser Sache geantwortet zu werden brauche2).
Aber dieser Satz ist lediglich so zu verstehen, daß der Eigentümer
bei andern Klagen einer einfachen Ladung in das forum rei sitae
nicht zu folgen braucht. Aber einmal kann er indirekt durch
Besetzung seines Grundbesitzes3) zu einem Erscheinen gezwungen
und zweitens, wenn er um einer Klage auf Erbe willen erschienen
ist, nach allgemeinen Grundsätzen wegen anderer Klagen in Person
besetzt oder vor Gericht geladen werden4).
Nicht zu verwechseln mit diesen bürgerlichen Klagen aui
Erbe sind Klagen, welche aus einer gegen das Grundstück ge-
richteten strafbaren Handlung entspringen, ohne daß durch diese
— vom Täter gewöhnlich abgeleugnete — Handlung ein Recht
an dein Grundstück in Anspruch genommen werden sollte5). Für
solche Fälle gelten die Regeln vom Gerichtsstände bei strafbaren
Handlungen. Insbesondere greifen das forum delicti commissi und
das forum deprehensionis ein. Die Bestimmung des Hamburgischen
Stadtrechts:
*) (1270) IX. 7, Lappenberg I S. 51; vgl. Kleve (unten S. 74 Amn. 5).
*) Simon S. 33. 34. l’ianek I S. 79. 80.
3) Vgl. Planck II S. 384.
*) Z. B. schreibt der Landfriede der Gebiet»? zwischen Khein, Lahn
und Main (1285), Böhmer U. B. I S. 122, in § 3 vor, man solle stets das
Domizil des Beklagten angehen : in § 4 heißt es, daß bezüglich (unbeweg-
licher) Sachen jeder Hecht geben und nehmen müsse im forum rei sitae,
und in § 5, daß bei Klagen um Schuld jeder da beklagt werden dürfe, wo
man ihn antrefle.
s) Beispiele für solche Verletzungen bei Planck I S. 821.
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Mer deit en gast men unsen borghere iceddersat an sgnem
gude, dat buten dessem wicbelde beleghen is, unde wert he
bywnen desseme wicbelde um me de sähe beclaget, he schal eine
darumme hgr rechtes pleghen ')
stellt also keine Ausnahme von den Regeln über das forum rei
sitae dar*), sondern gestattet die gewöhnliche Deliktsklage im
forum deprehensionis. Umgekehrt bezieht sich der Satz des Stadt-
rechts von Brtlnn:
Wier verleiden auch den selben purgern c:u Brunne, da:
man sie tan iers ertces wegen um chainerlai suche in da:
lantgericht aus der stat ran den, die de: lantgcrichtes ampt/eut
sin/, schal laden ; doch nein wier czicu such ans: ist da:, da:
sieh ein purger mit unrecht undcrwindet eins andern numnes
erbe oder da: er czuprichet vreeellich gemerckt, die czwischen
erb gemachet sin, umb die czwai suche mag man sie wol in
da z lantgericht laden3)
auf das forum delicti commissi. Bürger, die auf Grund und Boden
außerhalb der Stadt sitzen, sollen — man sehe namentlich Brünn
Stadtrecht (1243) 24 4) und (131!)) 171 5) — gewissermaßen auf
Stadtboden sitzen und nur vor dem Stadtrichter belangt werden
dürfen. Begehen sie aber unerlaubte Handlungen gegen ebenfalls
im Landgerichtsbezirk gelegene Grundstücke ihrer Mitbürger6),
so können sie dieserhalb ins Landgericht geladen werden, während
als forum rei sitae das Stadtgericht anzusehen ist.
3. Klagen um Ungericht und Frevel.
а) In höherem Grade noch als bei den Klagen um Schuld
das forum eontractus ist bei den Klagen um Ungericht und
Frevel das forum delicti commissi ein von Natur gegebenes.
') Oben S. 73 Anm. 1.
*) So unrichtig Simon S. 84.
3) (1292) 157, Kollier II S. 378.
«) Rößler II S. 351.
s) Rößler II S. 385. S. auch die Citato fiir andere deutsche Städte bei
Simon S. 80, sowie Kleve Stadt r. (nach 1424) 95 § 1. ZltG. 10 S. 232.
б) Es liegt kein Grund vor, mit Simon S. 29 und 30 anzunchinen, daß
hier ausschließlich Ausschreitungen von Bürgern gegen Grundstücke von
Landbewohnern gemeint seien.
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75
Straftaten drängen im Gegensatz zu Schuldverhültnisscn stets
zu rascher Erledigung, und zwar da, wo sie begangen sind1).
Dem Landrecht, nämlich SLdR. III. 25 § 2 und 3, ist das
erwähnte Forum wohl bekannt. Unzweifelhaft kann der Verletzte
bei Ungericht und gewissen Freveln2) nicht nur im Falle der Er-
greifung des Tfiters, sondern überhaupt „auf frischer Tat allhier
die Klage erheben mit der Wirkung der Verfestung beim Ausbleiben
des Täters*)“. Dagegen leugnet Planck4), daß das sächsische
Landrecht bei übernächtiger Klage eine Evokation des abwesenden
Täters vor das Gericht der begangenen Tat gekannt habe; der
Verletzte habe vielmehr dem Täter in solchem Falle vor dessen
ordentliches Gericht folgen müssen, es sei denn, daß er ihn später
im Gericht der Tat zufällig angetroffen habe. Aber wenn auch
zuzugeben ist, daß SLdR. I (!7 ij l und III. 13 einmal zu allge-
mein gefaßt sind, als daß sie diese verneinende Ansicht wider-
legen könnten, und daß zweitens in ihnen überhaupt nur die
Frage im Vordergrund steht, ob wegen Ungericht auch bei nicht
handhafter Tat verfestet werden dürfe, so spricht doch gegen
Planck ein Doppeltes. Einmal dasselbe, was oben*) über SLdR.
III. 25 §§ 2 und 3 bezüglich des forum contractus gesagt worden
ist. Zweitens aber, daß bei Klagen um Ungericht u. s. w. die
Möglichkeit bestand, durch Antrag auf Verfestung innerhalb über-
geordneter Gerichte „die räumliche Wirkung der Verfestung zu
erweitern“ 6), sodaß im Gegensatz zu den Klagen um Schuld, denen
eine Hilfsvollstreckung in einem andern Bezirk als dem des
Spruchgerichts unbekannt war, ein wirksames Mittel existierte,
den Beklagten zum Erscheinen im forum delicti commissi zu
zwingen.
Auch dem Stadtrecht ist das forum delicti commissi und die
') Vgl. I.öning Rein. Kid S. 34.
■') (tanz allgemein war bei geringeren Vergeben Verfestung möglich
im Inbischen Recht (Frcnsdorff in: StraU. Verf. Huch S. XXXII).
3) l’lanck I S. 74, unter Berufung auf SLdR. I. 70 § 3, I. G8 § 2 und
HI. 9 §5.
4) I S. 74. Anders Homeyer Heim. S. 58 und 97, sowie Simon S. 9fi
(vgl. auch S. 45. 4fi).
s) S. 49 — 51: auf S. 49 ist SLdR. III. 25 § 2 und 3 abgedruckt.
*) Planck II S. 303 und 304, auch S. 298.
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7«
Evokation in dieses Gericht wohl bekannt'). Neben dem fornm
contractus wird es in § li des oben *) genannten kaiserlichen Privi-
legs von 1173 erwähnt:
Si quis insccutun fucrit mercatorem de maiori loro ad mino-
rem, imponens ei aliquod malum, ui querimoniam prosequi
eoluerit , reeertatur cum mcrcatore ad locum in qua malum
sibi fatetur esse U lut um et coram ittdice iusticiam consequatur.
Prius tarnen quam reeertatur conqurrens , ßdciussionem fnciat
mercatori, quod querimoniam hu am in maiori loco prosequi velit.
Quam si non fuerit ewsecutus et defecerit sccundum ßdeiussi-
onem prius factam, mercatorem pro graeamine per sati-sfuetio-
nem sibi comiliet. Sed si prius ßdciussionem merratori
de prosequenda querinumia non fecerit, mercatorem non yracn-
bit , sed in pace dimittet.
Anzunehmen ist, daß auch hier, wie bei den Klagen um
Schuld, der Kläger die Hilfe desjenigen Gerichts bei der Evo-
kation in Anspruch nehmen darf, in dessen Bezirk der Delinquent
verweilt; andernfalls würde Rechtsweigerung des betreffenden
Gerichts vorliegen. Auch hier ist die Evokation nicht davon ab-
hängig gemacht, daß handhafte Tat vorliegt. Ebensowenig ist
das in den zahlreichen Magdeburgischen Quellenstellen der Fall,
die Simon dafür anführt, daß man in Magdeburg das forum de-
licti commissi gar als ein ausschließliches betrachtet habe5), und
die Planck durch die Unterstellung zu beseitigen sucht, in ihnen
sei lediglich von Klage auf handhafte Tat die Rede4);
') S. im allgemeinen Planck I S. 80—82 und Simon S. 97 — 99. Vgl.
Köln Schied (1258; Klage der cives 7, Keutgen Urk. S. 164. 170.
a) S. 51 bei Anm. 2.
3) Simon S. 97. 98, namentlich Magdcb. Bresl. syst Sch. R. II. 2 d.
78 und III. 2 d. 5, Laband S. 53. 71, sowie Magdeb. Fr. I. 2 d. 20,
Bohrend S. 53: Alte ungerichte sal man erst clagen unde richten in dem geriehte,
do dy brache gesehen, ab man do geriehte bekommen mag,
*) Planck I S. 80 ff., bes. S. 81 Ziffer 3. Daselbst legt Planck den an
Schweidnitz (vor 1400) erteilten Magdeburger Schöffenspruch (Gaupp
Schics. LR. S. 268 ff.) nicht richtig aus. Zwei Sehweidnitzer haben einander
in Breslau geschlagen und verwundet: der eine läßt in Breslau seine Wunden
besehen und klagt dort, der andere klagt in Schweidnitz. Bezüglich des
letzteren wird entschieden: dat ungerichte solde men von ree/dis wegen habin
gcclagct in deme richte dar it gesehen was, aber da kein Gegner vorhanden gc-
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vielmehr setzt gerade mit Beziehung auf übernächtige Klage
ein von den Magdeburger Schöffen an Stendal erteilter
Spruch') die Ausschließlichkeit des forum delicti commissi’)
wesen, der rechte Urteile hätte fragen können, so hätten die Schöffen von
Schweidnitz an ihrem Urteil keine Schuld. Planck meint nun, die Schöffen
hätten wegen Rechtshängigkeit der Sache in Breslau nicht in Schweidnitz
richten dürfen. Aber in Breslau hatte der Mann, dessen Klage die Schweid-
nitzer Schöffen stattgeben, überhaupt nicht geklagt; folglich lag keine Rechts-
hängigkeit dieser Klage vor und geben auch die Magdeburger Schöffen
Rechtshängigkeit nicht zur Begründung ihres Spruches an. — Dieselben
Bedenken bestehen gegen Planck's Auslegung von Magdeb. Brest, syst.
Sch. R. U. 2 d. 78.
*) (1333) VII, Bohrend Urt. Buch S. 36.
*) Ein Bürger von Seehausen ist in einem auswärtigen Landgerichts-
bezirk erschlagen worden; des quam des dodes mannes vader unde brodete unde
dedess tjce claghe in der stad to Sehnsen dar he eyn borgher was ; de dridtie claghe
wart up ghestoten (wahrscheinl. - deferre , verweisen) mit ordel unde mit richte.
Dali dieser dritten Klage nicht stattgegeben wird, ist nach Ansicht der
Magdeburger dann gerechtfertigt, wenn der (Irund, weshalb nicht vor dem
Gericht der begangenen Tat geklagt zu werden brauchte (van vrsuhten unde
van angheste lives unde ghudesj, nicht mehr stichhaltig erscheint, nachdem
nämlich des Mörders Freunde den clegheren dal ghebaden , da/ si a/dar quemen ,
se wollten se veytighen. Dann soll der Kläger sine claghe dar (d. Ir im aus-
wärtigen Goricht) vul vuren Letzteres ist nur in der Form möglich, daß
(anders als die in der Anfrage ausgesprochene Ansicht will) auch im aus-
wärtigen Gericht wieder zu drei Dingen geklagt wird (unde ist dat he wol
de — erste — claghe intl vort dare dar de mart ghescen is , dach mach he de anderen
— zwei — claghe dar na ah wol vuhioren). Behrcnd Urt. Buch S. 39 mißver-
steht diese letzten Worto, wenn er meint, auch nach Beendigung des Ver-
fahrens im auswärtigen Gericht, d. h. nach Erhebung der einen dritten, noch
aus dem städtischen Verfahren Testierenden Einzelklage, dürfe der Kläger
noch einmal in Seehausen klagen (de anderen chghe vuboren). Die Stelle ist
freilich insofern unklar gefaßt, als sic unter dem Wort claghe ein Doppeltes
versteht, nämlich einmal die in jedem einzelnen Termin vorzubringende
Klage, zweitens dio Gesauitheit der drei einzelnen Klagen, welche erst Ver-
urteilung herbeiführen kann. Wenn Bchrend S. 37 sich für seine Auslegung
auf die Analogie eines bei ihm zum Abdruck gebrachten, 1313 dem Lande
Lebus erteilten Privilegs beruft, so ist der Unterschied der, daß die dritte
(einzelne) Klage hier in einem übergeordneten Gericht, nämlich dem rnark-
grällichen Hofgericht, angestellt werden darf, während cs sich bei der
Stendaler Anfrage um zwei unvermittelt neben einander stehende (Stadt-
bezw. Land-) Gerichte bandelt. Kur für den Fall behalten die Magdeburger
dem Kläger die dritte (einzelne) Klage in Seehausen vor, lassen also insofern
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fest und bestätigt also ausdrficklich die Simonsehen Auf-
stellungen l).
Der Vorzug unbedingter Zuständigkeit verblieb dem forum
delicti commissi stets bei solchen Ungerichten und Freveln, die
auf handhalter Tat geklagt wurden*). Seine Bedeutung trat in
späterer Zeit außerdem namentlich in doppelter Beziehung hervor:
Einmal durften da, wo das forum del. comm. bereits seine Aus-
schließlichkeit verloren hatte, Bürger gewisser Städte kraft be-
sonderen Privilegs wegen solcher Delikte, die sie innerhalb jener
Städte begangen hatten, nur dort belangt werden3). Zweitens
unterlagen nicht nur bei handhafter Tat4), sondern auch sonst
Angehörige privilegierter Stande der Aburteilung durch das Stadt-
gericht, wenn sie in seinem Bezirke strafbare Handlungen be-
gingen3), nur daß bisweilen die Entscheidung kombinierten Be-
richten überwiesen wurde6); wenn es sich auf beiden Seiten um
Privilegierte handelte, ward sie ausnahmsweise dem Stadtgericht
ganz entzogen1).
b) Trotzdem die praktische Bedeutung des forum delicti com-
missi nicht selten durch Auslieferungsverträge zwischen verschiedenen
tit erste (Besamt-) e/ng/ie to rechte stan als} langhe ment he diese (d. li. die außer-
halb Angestellte Gesamt- Je/ai.’A' dar v ■».-/ togh.n hehbe , daß Leibesnot dem
Kläger die Vollziehung dieser letzterwähnten zweiten Klage von neuem un-
möglich mache.
■) Hierfür namentlich auch Brünn SchölTenb. (um 13.00) (SOI, ltößler II
S. 275. Über Erokation vgl. oben S. 7G bei Amn. 2 und S. 55 bei Anm.
4—6.
s) Vgl. Planck l S. 80 -82, Simon S. 100-104.
3) Berlin I'riv. (1319), Fidicin II S. 18.
*) Bitter: Lechenich (1279) 34, Gengier StB. S. 241; Breslau
Ücehtssiitze f. Glogau (1280) 1. Korn S. 48. Bauern: I’riv. d. Fürsten v.
Weile (1276), Meekl. F. lt. II S. 554: Marienburg Hamlf. (1276) 9,
Gengier StB. S. 277: I’riv. d. Grafen v. Schw erin (1279), Meckl. U. B. II
S. 610: Danzig llamlf. (1378) 3, Gengier Cud. S. 712.
5) F.gcr I’riv. (1279) 21, Gau |<p StB. IS. 192: Bautzen I’riv. (1282),
Tzschoppe S. 398: Itügcnwaldc Bcchtsbr. (1312) 14, Gengier StB. S. 3SS:
Berlin I’riv. (1319), Fidicin II S. 18.
°) Görlitz Klitsch, d. Königs v. Böhmen (1329), Tzschoppe S. 529:
vgl. Breslau I’riv. (1263), Korn. S. 30.
7) F.gcr I’riv. (1279) 21, Gnupp StB. 1 S. 192.
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79
Städten und Territorien unterstützt ward1), geschah ihm, wenn
auch nicht in so hohem Maile wie dem forum contractus, Abbruch
einmal durch Evokationsprivilegien. Zwar ward in diesen,
von handhafter Tat abgesehen, bisweilen die Evokation wegen ge-
wisser Ungerichte gestattet1). Meist aber waren sie ganz allge-
mein gefallt3) und schlossen also, befand sich der Verbrecher
einmal innerhalb des privilegierten Gebiets, eine Ladung ins forum
delicti commissi überhaupt aus1). Eine Ausnahme trat in letzterem
Falle nur ein, wenn der Verbrecher unmittelbar auf der Ver-
folgung vom Orte der Tat aus innerhalb des privilegierten Be-
zirkes ergriffen wurde. Dann sollte er der Regel nach beim Vor-
handensein bestimmter Voraussetzungen5) seinen Verfolgern .aus-
geliefert werden. Freilich ward diese Vorschrift häufig entweder
nicht beobachtet oder vertraglich ausgeschlossen*), sodall manche
') Warburg Vertr. der beiden Städte (1333), Wigand IV, 3 S. 295;
Loen-Berg Bündnis (13G1), Lacomblet III S. 311.
*) Kassel Rechtsbest. (1239) 2 vgl. 3, Gengier Cod. S, 468.
3) Simon S. 102, sowie Dortmund lat. Stut. (1234 — 1256) 22, Frens-
dorff S. 31.
4) Wurden Bürger einer privilegierten Stadt trotzdem evociert, so ver-
teidigten u. U. deren Gerichtsbehörden das Nichterscheinen im ladenden
Gericht in eigentümlicher Weise; vgl. J.G.C. Thomas, der Frankfurter Ober-
hof. Frankfurt 1841. S. 584.
5) I)i st. VI. 6 d. 4, OrtlolT 8. 317: Ist aber der gewundel, das er nicht
gevolgert en mat, so schulten dy lute vollen mit ['flieht, diwile si yenen anseheti, der
den frid gebrochen hat. Und ob er in ein ander geruhte fliehet , mugen si in da
gevahen uff dem tarnte unde von dem gerieh/e, das das voll: von dem lande und von
dem geriehte nicht daeztt kum[t, si furen in wol mit in wider. /'Iahet er aber ezu
dorflern oder ezu steten in ein ander geriehte, da schal man das gereifte vornueoen,
und laden darczu den beergerneeister und di burger und den rat, den beirgeriueister
und die gebier, ob er in dor/ern geflohen ist, und alle gute lute, di man in der czit
gehoben utac, und heischen yenen heruz ezu rechten geriehte. Den schal man in ant-
worten, ob er in der hanthaftigen tat begriffen ist, und bestätigen, das si dez geäugen
mugen mit siben mannen, daz si im geva/get hab.n in der lianthafftigen tat von iretn
geriehte in das geriehte, Sa stillen si bürgen seezen vor des manites wer gelt, ob si
nicht recht uff' in eivardern Ist es das si in gewinnen mit rechte , so Juren si in
wider mit in ir geriehte (vgl. Am». 6).
*) Dist. VI. 6 d. 4, Ort Io ff S. 318 (vgl. vorige Anm. 5): Doeh ist grosse
ezweiunge worden in dem lande hiruntl, daz ttberge gewa/t hindert ; raenne ieglieh
herre, edehnan, ritter, und stete meinen, was ezu irent geriehte turnt, ilaz seltolle
man in irem gerechten geruhten. Daz sprich ich wol, was in irent gericht begunst
wirf ; was man aber vo/get in frischer tat uz einte geriehte in das ander uff ffueh-
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80
Städte sich in dieser Beziehung durcli besonderes Privileg1) oder
durch Vertrag*) sicherten.
Unter diesen Umständen mußte dann das forum domicilii
des Beklagten gegenüber dem forum delicti commissi an Be-
deutung gewinnen. Wurde der Missetäter in letzterem wegen
seiner Gasteseigensehaft nicht von vornherein festgehalten oder
später zufällig angetroffen, so mußte der Kläger ihm in seine
Heimat folgen:
ifuicumque civis Landishuetensis in </uocunque iudicio e.rtra
civitatem maleficium aliquod pei'petrewerit, nisi iure el eodem
loco detenlus fueril per iudiccm talein, neress le habebit iude.r
(alle vrl ipiilibet conipterens coram iudire Landishuetensi iusti-
tiam pos/ulare . s)
c) Doch blieb die Entwicklung nicht beim forum domicilii
des Beklagten stehen
i. Wie bei den Klagen um Schuld bewirkte auch hier das
Bedürfnis, den Beklagten überhaupt da festzunehmen und zu be-
langen, wo man seiner habhaft werden konnte daß dem heimi-
schen Kläger in dessen eigenem Gericht in dieser Be-
ziehung weitgehende Möglichkeiten eröffnet wurden. Für den Fall,
daß der Missetäter hierselbst persönlich erschien, ward
sogar die Klage auf handhafter Tat, die dem Kläger große Vor-
teile bot, u. U. vom forum delicti commissi in dieses Forum
verpflanzt:
Si aliquitt infra v el e.rt ra cieitatem spnliatus, rulnera-
tus v el occisits fuerit et infra terminos, in tjuibus iniuriam
sustinuit, ad iudiren proclamarerif, de reo, si eomprehemus
fuerit, debita fiat insticia, aut si aufugerit, si postmodum
Ule, i/ui lesus est, reum invenerit, et iniuriam suam testibus
idoneis se proclamasse probare potuerit, tamquam si iniuria
recens e.risteret, ei satixfaciat*').
tigen fuszc , und gebart damit alzo vor besehreben ist, den schol man rechte /atzen
widerfarn in yenez Berichte, dar sieh das begunst hat, — 11 ran denbur g -l’oinuiern
I.andfr. (1301), Riedel II. II S. 435.
’) Kordhausen I’riv. (1349), Foerstemann l'rk. Gesch. I t rk. nr. 19;
Stendal I’riv. (1349), Kuhns I 8. 252 ff.
*) Ilannenberg-Lübeck (1273—1274), Mcckl. U. K. II S. 470.
5) I.andshut Rechtshr. (1279) 5, Gengier Sttt. S. 234.
*) Magdeburg erzb. Priv. (1188) 5, Laband ItQu. S. 2.
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81
Hat also nicht nur der innerhalb, sondern auch der außerhalb
der Stadt verletzte Bürger das Gerüchte innerhalb des Gerichts-
bezirks der begangenen Tat ') erhoben, ist aber der Schuldige
entronnen, so kann er, wenn er später (postmodum, d. h. nachdem
die Tat übernächtig geworden, immerhin aber nur eine mäßige
Frist verstrichen ist’)) den Schuldigen in der Stadt antrifft, ihn
hier mit Gerüchte beklagen, als ob die Tat unvernachtet sei,
wofern er nur die erforderlichen Schreimannen 3) zu stellen vermag').
— Entsprechend darf der Bürger auch mit vernachteter Klage
gegen den Gast Vorgehen, den er in der Stadt antrifft und möglicher-
weise sofort festgenommen hat5).
[i. Nicht selten ward ähnlich verfahren, selbst wenn der aus-
wärtige Missetäter überhaupt nicht im heimischen Gerichts-
bezirk des Klägers erschien. Es konnte namentlich auch in
diesem Falle im Gericht des Verletzten Klage mit Gerüchte wie
auf frischer Tat erhoben werden:
Si ijuis rcrum facultatumoe /warum abalienationem rel
dampnarionem susi i nuerit iudici nuirime eontermino ubi cio-
leniiam paxxus etil bonisi/ue hominibus Inlimabit (dum modo
ausus «it propter necessitatem rite /tue). Veniens uutem in run-
dem ipta moratur ci vitalem cor am iudire super casu suo cla-
morem publice «uscitabit et si reue inj'ra triduum non rompa-
ruerit reus proscribelur et ubicumpte locorum reum post modum
romprehenderit si suam proscriptionem cum se.r inculpalis
hominibus probare poluerit reus capitali sententie subiacebit 6).
') Die Meinung von Kiihns I S. 170, unter dem Ausdruck extra dvi-
tatem sei nur der ländliche Sprengel des Magdeburger Burggrafen zu ver-
stehen, ist u. E. unbegründet.
’) Vgl. Kries S. 161, Lüning Rein. Eid S. 33 Anm. 28.
*) Die als „Zeugen-* bekunden, „sie seien zu der vom Kläger ge-
machten Wahrnehmung und zu dessen (d. h. zu dem im auswärtigen Gericht
erhobenen) Geschrei hinzugekommen“ (Lüning Rein. Eid S. !)3— 96).
4) Über noch weitergehende Klagen gegen abwesende Gäste vgl.
unten Abschnitt fl.
5) Hamburg Stadtr. (1270) IX. 7 und (1202) N. 10, Lappenberg S. 51
und 154: vgl. auch schon A ugsburg Stadtr. (1 156) 31, Keutgcn l'rk. S. 92,
sowie Simon S. 83.
6) Lübeck lat. Stadtr. (1263; 127, Hach S. 209, in der von Fronsdorff,
Strals. Vorf. ltuch S. XIX, mitgeteilten Form.
Kudorff, Kechlsstellnnff der Uäste 6
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Es ist nicht richtig, wenn Frensdorff1) meint, daß in vor-
stehender Stelle an ein subsidiäres Tätigwerden des Iflbischen
Gerichts gedacht werde. Wie in dem oben a) angeführten Magde-
burgischen Privileg, so wird auch hier zwar Gerüchte im Gerichts-
bezirk der begangenen Tat, förmliche Klage aber prinzipiell im
Gericht des Klägers erhoben, und zwar mit einleitendem Gerüchte,
d. h. unter Zuziehung der auswärtigen Schreimannen, sobald der
Kläger nach Lübeck heimgekehrt ist. Auch hier gilt die Tat als
recrn», insofern sofortige Verurteilung, d. h. Verfestnng erfolgt,
wenn der Schuldige nicht binnen drei Tagen :l) zu seiner Verant-
wortung in Lübeck erscheint. Indem man später das dem Magde-
burgischen ad iudicem /irarlainare entsprechende iudici ma-rime
rontennino bonim/iie hominibu* intinuire*) fälschlich von einem förm-
lichen Klagen im auswärtigen Gericht verstand, setzte man, um
die nunmehr subsidiär aufgefaßte Klage im liibisehen Gericht zu
rechtfertigen, die überflüssigen Worte dum modo ausax «U propter
necexsitatem vite »ue hinzu.
Ferner wurde im späteren Magdehurgischen Recht5) dem
Bürger sogar dann Klage mit Gerüchte und zwar mit auswärtigen
Schreimannen erlaubt, wenn ihm in fremdem Land ohne sein
Beisein durch Raub Schaden zugefügt worden war und er sofort
nach Kenntnis in seiner Heimatstadt Klage erhob. Vermochte er
solche Schreimannen nicht alsbald in genügender Zahl zu be-
schallen, so mußte er zu den gewöhnlichen drei Dingen mit je
vierzehn Tagen Frist greifen und durfte erst dann die Verfestnng
des abwesenden auswärtigen Täters beantragen.
Wie jene qualifizierten, so waren auch einfache übernächtige
Klagen gegen die abwesenden auswärtigen Missetäter nicht nur
') Strals. Verf. Huch S. XIX. XXII. XXXIV.
*) S. KO Amu. 4.
3) Nicht: Drei Dingen, wie Frensdorff will. Die svx iacul/xiii homines,
mit denen der Kläger die (sc. in Lübeck) erfolgte Verfcstung in Lübeck
und im (iebiet des lübischen liechts bezeugen soll, brauchen natürlich nicht,
wie fälschlich Frensdorff S. XIX. XX. anniinmt, mit den (auswärtigen)
Schrei mannen identisch zu sein.
4) Nicht nur an die im (iericht Gesessenen, sondern namentlich aueh
an den Richter richtete sich das (außergerichtliche) Gerüchte: vgl. l'lanck
I 8. 760
5) Magdeb. Itresl. sjst. Sch. 11. III. 2 d. 25, Laband S. 80.
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81
bei Vorhandensein besonderer Gründe '), sondern häufig ganz
allgemein im Domizil des Klägers gestattet*), mit der Wirkung,
dal.) hei Nichterscheinen des Beklagten Verfestung eintrat3).
7. Wie bei den Klagen um Schuld, so zeigte sich schließlich
ebenfalls hier, bei den Klagen um Ungericht und Frevel, das
Bestreben, auch dem Gaste nach Möglichkeit zu seinem Rechte
zu verhelfen.
Es geschah das einmal in der Form, daß ohne weitere Voraus-
setzungen sogar bei außerhalb der Stadt begangenen Delikten dem
Gast gegen den Gast in der Stadt Recht gesprochen wurde:
Welk yhast enen anderen gast » chuldeget in desser stad
uinine men doetslueh edder umme eiten moerd , den he buten
desser stad yhedtm heft, unde bekunde des deyhene de be-
srhuldeyhet wurde , unde spreke he hadde sipien apenbaren
ryant yhesltiyhen: dut en milch eine nicht helpen ; snnder he
seid dut beleren na stet! rechte*).
Im Gegensatz zu ihrer früheren Stellungnahme zu Gunsten
des forum delicti commissi ist diese weitgehende Begünstigung
der Gäste, wie anderen5), so auch den späteren Magdeburgischen
Rechtsquellen *) nicht fremd. Nur freilich ist hier überall voraus-
gesetzt, daß der zu beklagende Gast auch persönlich in dem
') Magdeb. Schöffenspr. an Stendal (1333) VII. oben S. 77 Anm. I
um! 2.
*) Oben S. 43 Anm. 1.
3) Dergleichen ward auch vertraglich festgelegt: Vgl. die Bünd-
nisse von Münster, Osnabrück usw. (1246) und Dortmund, Soest usw.
(1268), Osnabr. I'. B. II nr. 48Ü bei«. III nr. 382, wo die im Domizil
des klagenden Bürgers wegen auUerhalb erlittener Delikte ausgesprochene
Verfestung nach entsprechender Botschaft auf die. Territorien aller Bundes-
genossen gültig erstreckt wird.
4) Hamburg Stadtr. (1292) X. 11, Lappenberg S. 1.74. Festhalten
des Gastes wegen auswärts begangener Verbrechen wird ebenda X. 10
vorgeschrieben.
5) Mühlhausen Stadtr. (1230—1250), Herquet S. 619: Dortmund
Stadtb. (1350—1400) 62, FronsdnrffS. 82, wo die Forderung, die sechs Folger
müßten des klagenden Gastes ualmrt /wen ater Senaten sein, die auswärts
begangene Tat andeutet.
e) Magdeb. Fr. II. 6 d. 1, Behrend S. 174: Alphab. Samml. Magdeb.
Scho ffenspr. Kap. 89, Wasscrschlebeu S. 31.
6*
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84
Gerichte des Klageortes verweilt1). Zweifelhaft dagegen er-
scheint, ob der Gast auch gegen den abwesenden Gast in
drittem Gericht wegen auswärts begangener übernächtiger Tat
klagen durfte, mit der Wirkung, daß bei Nichterscheinen Ver-
pestung eintrat. In Goslar8) war das mit Erlaubnis des Rats
gestattet, in Magdeburg*) in späterer Zeit anscheinend sogar vor-
aussetzungslos:
. . tcirt eg» gast geiront yn euer Stat unde seyne /runde en
vcg fiteren yn eyn andir gerichte unde clagit in euerem geeichte
nicht , do her geu'ont ist , da hat her seyne clage niete rorlarn
in euerem gerichte do her mochte geclagit haben In eyner hant-
ha/tigen tot unde hol dor kein unrecht an geihan unde ist
der nu tot in dem anderen gerichte dar he gefurt ist unde
hat der geclagit czu dreyen dingen so ist do recht gethan.
Ist dor abir geclagit eyne hanthaflige tuet, So ist euerem burger
czu Unrechte in eyne cor/estunge körnen.
Simons4) (Jegenargument, in einem nicht erhaltenen Teil der
Anfrage müßten noch besondere Voraussetzungen genannt gewesen
sein, verlangt nicht, da die Anfrage ebenfalls wortgetreu mit-
geteilt ist5). Natürlich durfte in solchen Fällen der Schuldige
nicht Bürger einer mit Evokationsprivileg begnadeten Stadt sein. —
') Hier wurde der Missetäter häufig zur Sicherheit festgenonraien.
Pie Städte vertrugen sieh bezüglich arger Friedensbrecher sogar dahin,
daß nicht nur die Verletzten, sondern auch deren Freunde den Schuldigen
in der dritten Stadt aufhalten dürften, bis der Kläger selbst komme:
Dortmund, Soest usw. ( 1 268), Osn. U. 11. III nr. 382: (loslar, Braun-
schweig usw. (1335), Halbcrst. U. B. I nr. 443. Vgl. Absatz II dieses
Kapitels.
*) Stadtr. (um 1300) 48,31 bei Göschen S. 48.
*) Scböffenurteil 37, Stubbe Bcitr. S. 105.
4) S. 105.
*) Gegen Simon spricht auch Magdcb. Bresl. syst. Sch. R. III.
2 d. 5, habend S. 71, wo bestimmt ist, ein Gast solle gegen einen Gast
in dem Gericht zuerst klagen, do dy hanthajU tot ynne geschit; ob mit Klage
auf handhafter Tat oder mit vernachtetcr Klage, ist gleichgültig (anders
Planck I S. 81). Kann der Gast den Schuldigen aus bewegenden Gründen
ebendort nicht belangen, so steht ihm die Klage nicht nur in seinem, des
Klägers, eigenem Domizil (so unrichtig Planck I S. 83), sondern in jedem
dritten Gericht offen, di ivi/e duz nymant icedir rrdit. Nur ist in letzterem
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85
So hatte das forura deprehensionis, d. h. des Ortes, wo
der auswärtige Missetäter, vom forum delicti commissi und domicilii
abgesehen, angetroffen und eventuell festgenommen wurde, mannig-
fache Erweiterung im Laufe der Zeit erfahren. Insbesondere
unterlagen ihm häufig auch die Angehörigen privilegierter Stände,
die in den Bezirk eines bestimmten Stadtgerichts eintraten1).
4. Gerichtsstand der Widerklage.
Ein Gerichtsstand, der den verschiedenen Arten von Klagen
gemeinsam und zum Schluß noch kurz zu behandeln ist, ist der
Gerichtsstand der Widerklage*).
Seitdem das forum arresti und das forum deprehensionis eine
so große Ausdehnung erhalten hatten, war dieser Gerichtsstand
von untergeordneter Bedeutung. Die alte Regel: Soor die man
recht vorder et, dar aal he rechtes /liegen linde helpen *), oder: Srar
die man klaget, dar mul he antwerden , of man i ip ine klaget*),
wird deshalb im sächsischen Weichbild1) nicht einfach wiederholt,
sondern nutzbar gemacht für die Frage, wie es zu halten ist,
wenn ein Mann seinen Gerichtsgenossen in einem auswärtigen
Gericht belangt. Dies wird zwar, vom Standpunkte der Heimat-
Gericht Klage auf handliaftcr Tat ausgeschlossen. — l>ie hier noch er-
wähnten Voraussetzungen sind in dem zitierten Schöffenurteil 37 (oben S. 84
Antn. 3) gefallen.
•) Ritter u. a.: Breslau Priv. (12G3), Kern S. 30: I’ritzwalk
Stadtr. (12.56), abgedruckt bei Kühns II S. 202: Licgnitz Rechtsmitt an
Karl IV. (1369), Korn S. 218 f. — Bauern: Stade Priv. (1259), Pufendorf
III App. V S. 159: Goldberg Priv. (1325) 5, Tzschoppe S. 511; Licgnitz
(13G9), s. vorhin.
s) S. im allg. Simon S. 37-44, Planck I S. 72—74 und 80.
ä) SLdR. I. GO § 3.
*) SLdlt. III. 79 § 3. Die Meinung dieser Stellen ist, wie Planck I
S. 73 bei Antn. 9 bemerkt, die, dal] jedem Widerkläger, nicht nur dum
Beklagten geantwortet werden müsse. Auch Brünn Schöffenbuch (um 1350)
14, Rößlor II S. 10, scheint in diesem Sinne gefaßt zu sein. Immerhin
sagt ein Zusatz in Dist. III. 10 d. 4, Ortloff S. 154. wo ein Gastbote mit
versiegelten Briefen kommt und klagt, ausdrücklich das Gegenteil: Nymand
bedarf er (d. i. der Bote) anders antworten von yenes wegen, wenn den:, von des-
wegen der mit kuntsehafft einer offen brife geelait hat .
ä) Bei Daniels Gl. S. 103 (XXVIII § 1 und 2).
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starlt aus, für unzulässig und strafbar erachtet'). Geschieht cs
indessen, so soll der Kläger ebendort wieder belangt werden dürfen,
und zwar offenbar gerade von jenem verklagten Gerichtsgenossen *i.
Das Recht der Widerklage wurde namentlich insofern praktisch,
als dem Gaste vielfach die Pflicht erwuchs für seine eigene dem-
nächstige Antwort Sicherheit zu leisten, sobald er einen Ein-
heimischen belangte, ehe dieser selbst den Gast verklagt oder arrestiert
hatte. Die Verpflichtung des Einheimischen zur Antwort hing dann
von dieser Sicherheitsleistung ab3). Konnte sie nicht beigebracht
werden, so mußte der Gast entweder unverzüglich nach Abhandlung
der Klage seinerseits antworten4) oder aber die Klage des ein-
heimischen Bürgers Vorgehen lassen5).
Über Widerklage zwischen Bürgern und privilegierten Ständen
fehlt es an Vorschriften. Die wenigen, die existieren, sind zudem
widerspruchsvoll*). Doch scheint regelmäßig die Pflicht solcher
Personen bestanden zu haben, im Stadtgericht zu antworten,
wenn sie daselbst gegen Bürger Recht gesucht hatten7).
Viertes Kapitel.
Personal- und Sacharrest.
I. Zulässigkeit und Zweck des Arrests.
Grundsätzlich soll sich ein Kläger der Person oder des
Gutes seines Schuldners — dies Wort in weitem Sinne genommen
— erst dann bemächtigen, wenn seine Befugnis hierzu durch
l’rteil des zuständigen Gerichts ausgesprochen worden ist. Gleich-
•) § I a. a. 0.
3) § 2 a. a. 0.
3) Goslar Stadtr. (um 1300), Gflschon 70,8; Freiburg i. U. Ilarulf.
(1243) 116, Craupp St. R. II S. 102.
4) l)iat. IIL 15 d. 1, OrtlofT S. 164.
5) Freiburg i. U. Handf. (1249) 116, Ganpp St. R. II S. 102.
*) l'ber Eger I’riv. (1279) 18 vgl. oben S. 67 Anm. 6. Entsprechend
entbindet Ilrünn SchiitTenb. (um 1350) 14, RüUlcr II S. 10, den Adel von
der Verpflichtung, im Stadtgericht der Widerklage zu antworten.
r) Salzwedel Recht sbr. (1273), oben S. 67 Anm. 6 abgedruckt, sowie
der von Simon S. 41 aus Riedel II S. 410 Anm. 1 gebrachte Beleg.
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gültig ist es dann, oh der Klager unter Zuhfllfenalmie des Gerichts
oder, mit des letzteren Erlaubnis, in eigener Person die Vollstreckung
gegen den Schuldner betreibt1). Unter bestimmten Umständen
darf indessen jene gerichtliche Feststellung nachfolgen, der
Gläubiger sogar ohne eine auch nur vorläufige gerichtliche Erlaubnis
gegen seinen Schuldner mit Zwang einschreiten. Diese eigen-
tümliche Erscheinung findet sich namentlich im Stadtrecht, bei
Klagen um Schuld gegen Gäste, als sogenannter Arrest aus-
gebildet; doch tritt Entsprechendes auch bei Klagen um Ungericht
und Frevel, sowie bei Klagen um Gut auf.
1. a) Des Festhaltens der Person eines Gastes, der Un-
gericht oder Frevel begangen hat, wird allerdings nur sehr
selten in anderer als in der Verbindung mit frischer Tat gedacht2).
Auch wo diese nicht ausdrücklich genannt ist, läßt die Fassung
der Quellen immerhin eine ausschließliche Bezugnahme auf sie
oder auch auf den Fall erfolgter Verfestung zu*). Trotzdem muß
das Festhalten des Gastes wegen veraachteten Ungerichts allgemein
bekannt gewesen sein4). Es ergibt sich dies mittelbar nament-
lich daraus, daß der Marktfriede oder ein speziell erteiltes Geleit
den Gast davor schützen sollen, wegen von ihm begangener
früherer Straftaten in der betreffenden Stadt festgehalten zu
werden4). Damit ist zugegeben, daß der Gast sonst wegen eines
Delikts, das er vorher in oder außerhalb der Stadt verübt hätte,
hätte besetzt werden können6). Wo der Gast wegen Ungericht
') Vgl. im allgemeinen Planck II S. 235— 238.
*) S. Planck II S. 3(18 und I S. 765 IT.
3) Lechenich Keclitsbr. (12711) 15, Gengier St. lt. S. 241: Landahut
ltochtabr. (1279) 5, Gengier St. Ii. S. 234: Hildesheim Ntadtr. (um 1300) 80,
Doebner U. II. I S. 287; Goldberg I’riv. (1325) 5, Tzschoppe S. 511.
4) Vgl. Planck II S. 368—370. Eine positive Ausnahme bildet nur
Goslar Stadtr. (um 1300), Göschen 40. 24 und 47. 12, wonach ein Gast
wegen übernächtigen Friedbruchs nur vorgeladen und verfeatct, nicht aber
besetzt werden darf.
5) S. unten Kapitel V.
*) Vgl. i. U. den Wortlaut des Stadtrechts von Odcrnheim (1286),
Itühmer Acta nr. 454: quod ! n ipsius fori (d. h. eines forum septimattalc die
Mortis frequcntandum ) die vel loco nullus hontinunt pro ahqua causa vcl culpa
anfiqua, nisi forte codcm die factum novum emcrscrit, qttod tlebite corrigendum
dceernuuus, possit . . . aliqualitcr corrocuiri vcl q uomodolibct uto le stari.
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in Person festgehaltcn werden darf1), soll das mit Maßen
geschehen 2). — Auch Einheimische, selbst wenn sie Vollbürger waren,
konnten in Lübeck wegen vormals begangenen Ungerichts, und
zwar auch durch (taste, aufgehalten und gefangen gesetzt werden’);
ein Gleiches mag von Hamburg gelten4;, während Magdeburg sich
ablehnend verhält4).
b) Derselbe Gegensatz zwischen lübischem und inagdeburgi-
scliem Recht zeigt sich bei der Behandlung der Frage, ob das
Gut des Verbrechers besetzt werden dürfe, um ihn zum Er-
scheinen vor Gericht zu zwingen6). Anderwärts wird sie, wie
in Lübeck, ausdrücklich und zwar gerade bezüglich des Gastes
bejaht7). Erscheint der Delinquent oder sein Vertreter bezw.
■) Köln Schied (1258) Klagepunkte IG und 4G des Erzbischofs und
Entscheidungen dazu, Keutgen Urk. S. 159. 1 62. 168. 170: Hamburg
Stadtr. (1292) X. 10, Lappenberg S. 154: sowie die Schreiben von Bremen
an Lübeck (1320) und von Harlingen und Norden an Köln (um 1340).
Lüb. ÜB. II nr. 393 bezw. Hans. ÜB. III 8. 443.
*) Soest Stadtr. (vor 1200) 21, Keutgen Urk. S. 141; Stade erzb.
l’riv. (1259), Pufendorf II App. V S. 159. Die Frage, ob der besetzte Gast
die Haft durch Bürgenstellung abwenden dürfe, behandelt und bejaht ledig-
lich das in der vorigen Anm. erwähnte Schreiben von Bremen, entsprechend
der 1255 vom bremensehen Vogt und Bat an die Gräfin von Flandern er-
teilten Zusicherung (Khmck 1 S. 305).
3) Lübeck Weist, für Elbing (vor 1300?) B II, Stubbe Beitr. S. 165,
und zwar, ohne Fluchtverdacht zu fordern. Anders in letzterer Beziehung
die lübischrechtliche Bearbeitung der Rechtsmitteilung von Halle an
Neumarkt (1235) 6 bei Homejer Extrav., Laband Ktju. S. 8, die aber
möglicherweise durch § 34 (s. unten Anm. 5) der Rechtsmitteilung beein-
tlulSt ist.
*) Obwohl Hamburg Stadtr. (1270) IX. 8, Lappenberg S. 153, anders,
als Planck II S. 386 anzunehmen scheint, zunächst nur Besetzung wegen
Schuld im Auge hat.
*) Hallesche Rechtsmitt, an Neumarkt (1235) 6 und 34. Laband RQu.
S. 8 und 11, lallt Festhalten der Person des Verbrechers nur bei Flucht-
verdacht zu. Dieses letzte Erfordernis lällt später lallen sächs. Weichbild 27
§§ 1 und 2, Daniels (4L S. 103, woselbst der Verbrecher indessen znr Bürgen-
stellung verstattet wird.
6) Hallesche Rechtsmitt, an Neumarkt (1235) 6 und 34, Laband RQu.
S. 8 und II, sowie lübischrechtliche Überarbeitung dazu (siehe oben
Anm. 3).
7) Bezüglich der Eingesessenen aber verneint: Lüneburg Priv. (1247),
Ducbner Städtcpriv. S. 28, und Uelzen Rechtsbr. (1270; 5 und 6, (jenglcr
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80
Erbe nicht binnen bestimmter Frist, so verfallt das besetzte Gut
der Stadt und dem Richter.
2. Bei Klagen um Gut tritt der Anefang, das Festhalten
des Streitobjekts, in den Vordergrund. Doch auch die Person
des zu Beklagenden kann besetzt werden, namentlich, wenn er
ein Gast ist1).
3. Der durch Personal- oder Sacharrest für den Schuldner
herbeigeführte Zwang, sich im Forum der Zwangsgewalt zu ver-
antworten, und die mittelbar daraus entspringende Folge einer
Sicherung der Vollstreckung für den Gläubiger war im mittel-
alterlichen Stadtrecht von besonderer Wichtigkeit bei den Klagen
um Schuld. Schon oben*) ist darauf hingewiesen, wie Planck
mit Recht im Personalarrest die ursprüngliche und prinzipale Form
des deutschen Arrestes erkannt hat. Gerade, soweit es sich um
Ausbringung des Arrestes gegen Gäste handelt, steht in den
Quellen schon rein quantitativ der Personalarrest im Vordergründe,
während, wie gleichfalls oben3) ausgeführt wurde, sich in der
älteren Zeit noch Spuren eines Verbotes des reinen, gegen Gäste
auszubringenden Sacharrestes nachweisen lassen.
a) a. Der Personalarrest gegen Gäste hat zwei Voraus-
setzungen.
Voraussetzung ist einmal das Bestehen, wenigstens das be-
hauptete Bestehen einer S c h u 1 d v e r b i n d 1 i ch k e i t des Gastes. Ob sie
auch bedingt oder betagt sein durfte oder ob sie fällig sein mußte,
ist gerade mit Bezug auf Gäste nicht ausdrücklich vorgeschrieben.
Oder, richtiger ausgedrückt, die wenigen Fälle, in denen das
Ausbringen des Arrestes tatsächlich an die Bedingung der Fällig-
keit der betreffenden Forderung geknüpft wird4;, beziehen sich
St. R. S. 49(i. Vgl. dazu Planck I S. 13!) bei Anm. 13 und 14, sowie
S. 40«. 407.
*) S. oben S. 70 und 71.
s) S. 41 in und bei Anm. 4.
3) S. 57 und 58, sowie S. 42.
4) Mühlhausen Stadtr. (1230 — 1250), Herquct S. «21: sal iman von
dun i lande emi ttnsimi burgeri ge/di hmne , biseil he den hinne unde i z di las
irgen , diu seipgeldm mae he zech u/haldi mit mi riehtcri edir mit sime betin;
Breslau Rechtss. f. Cilogau (1280. 4, Korn S. 49; Freienwalde l’riv. (1338),
Riedel I. XVIII. S. 111 nr. 22: ca/itati dedimus eomtitutionem , nt quicunque
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auf solche Gäste, die in näherer Umgebung der Stadt auf dem
Lande, die mit den Bürgern in einem und demselben Territorium
wohnen. Sollte hier eine Beschränkung der an sich geltenden
Itegel vorliegen, so mögen Rücksichten auf die Nähe des Wohnorts
in gleicher Weise, wie wir das bei anderen Gelegenheiten beobachten
können'), eingewirkt haben. Als Regel dürfte, freilich erst für
die spätere Zeit, anzunehmen sein, daß auch bei noch nicht existenter
Forderung der Gast festgehalten werden konnte. Denn wenigstens
bezüglich des Sacharrestes gegen angesessene Einheimische wird
einmal angedeutet, daß er auch wegen noch nicht fälliger Forderung
zulässig sei, wofern der Schuldner voraussichtlich zur gericht-
lichen Verhandlung (wegen Krankheit) überhaupt nicht werde
erscheinen können J).
Als causa arresti ferner genügt, mindestens in früherer Zeit,
bei Gästen die vom Gläubiger behauptete Gasteseigenschatt, der
Mangel eines für sie beim Forum der Zwangsgewalt begründeten
ordentlichen Gerichtsstandes. Rücksicht auf das in diesem
Gerichtsbezirk etwa vorhandene, möglicherweise sogar unbewegliche
Vermögen des Gastes ist zunächst kein Hinderungsgrund des
Personalarrestes3). Es1' verlohnt sich, zur Erläuterung dieses zweiten
Punktes die Regeln mit heranzuziehen, die den gegen Bürger
und ständige Stadteinwohner auszubringenden Persunalarrest
zum Gegenstände haben.
Auch hier natürlich ist erste Voraussetzung das Bestehen
einer vom Gegner zu behauptenden Schuld4), wobei — wie hier
ein für alle Mal hervorgehoben werden mag — es gleichgültig
ist, ob der Gegner ein Bürger oder aber ein Gast ist8). Die
villanorum terre acht c nkage n . kerko w, wrienwa/dis et eweryn bona
predictorum ceviutn aceonodteverit et si termino pe rsolue io nis Jebito non
persolverit et in eivitate repertus fuerit, . . . ad iudieium trahatur satisfaciendo
debitis pro eisdem. Vgl. auch ltrüun Stadtr. (nach 1300) 39, Rößler II S. 3G1.
■) Vgl. oben S. 20, S. 56 Am». 4 a. E. und unten Kapitel VI.
J) Magdeb. Fragen II. 2 d. 10. llchreud S. 160.
3) Vgl. aber unten S. 94 f.
4) Vgl. oben bei Anm. 2.
5) Das einzige positive Vcrbnt eines von Gästen gegen Bürger auszil-
briugciidcn (Sach-!) Arrestes enlhält Kiscnach Priv. Krn. (1283) 7, tiaupjt
St. II. I s. 199: r/nod nutlus exiraneus nostros eh’es vet vadimonw seu causa iDir
venliouali a/iaua impngnarc praesumat, nisi prima toram nostro villico et scabinis
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zweite Voraussetzung, eine spezielle causa arrest.i, ist nicht überall
gleichartig ausgebildet worden. Uneingeschränkt war der Personal-
arrest überall zulässig, wenn der einheimische Schuldner um seiner
Verbindlichkeiten willen tatsächlich Veranstaltungen zur Flucht traf:
nullntt civium nostrorum /totest alii/uriH concicem
siniin infra advocutiu in occupare vel bona eius, nisi ipsc
sit causam suam covam adoocato e.recutus, nisi i/>se sit jirn-
fuejus ').
Lediglich die für längere Zeit ins Werk gesetzte Abreise
dagegen lieiLlt öfters ein nicht zureichender Grund2); und auch
da, wo sie die Arrestanlage an sich rechtfertigt *), wird diese für
den Gläubiger zuweilen mit gewissen Einschränkungen verknüpft4).
nostris ifsos in /mit iui/iiii conveniat. Aber 25 ebenda verbietet den Arrest
gegen Bürger allgemein, also auch den eigenen Mitbürgern, und (Personal- !)
Arrest gegen Gäste, den die Bürger jedenfalls ausübten, wird nach 37
auch den Gästen zugelassen. Sonst linden sich keine Anhaltspunkte dafür,
daß in der Ausbringung des Arrestes die Gäste hinter den Bürgern zurück-
gesetzt worden wären. Braunschweig Stadtr. (1401) 78 mit 70, Hänsel-
mann I S. 108, verlangt lediglich, daß der Gast den Personalarrest gegen
den (flüchtigen) Bürger stets mit, nicht, wie der Bürger, auch am geruhte
vollfnhre. Vgl. auch Magdeb. Kragen II. 2 d. 3a, Bohrend S. 156.
') Hildesheim Stadtr. (1249) 49, Doebner U. B. I S. 105, und (um
1300) 46, ebenda S. 283. Vgl. Goslar Aufs. üb. d. Schultb. Amt (14. Jabrh.),
Göschen 110, 13: Magdeb. Kragen II. 2 d. 20, Bchrcnd S. H!7, und Braun-
schweig Stadtr. (1401) 79 und 78. Hänselmann I S. 108. Auch Sacharrcst
ist in solchem Kalle natürlich z.ulässig und, wenn die Klucht gelungen, das
einzig Mögliche (s. unten S. 98).
*) Halberstadt Stat. (1370— 1400) 35, Haiberst. U. B. I nr. 686,
allerdings unter spezieller Beziehung auf Sacharrcst: wer/ ok , dat eyn unser
hurgere emuech toghe edder emueeh /een weide und/ nicht hauten Trelde, dat Zu
sculdieh wert, wur men des avtruundkh wurde, dat he cn wech bringen wo/de, dat
he htdde, des gut stöhle men hindern liker u’is alse eyne/n gaste , id enwtre denn e,
dat he sek des ledegen weide mid rechte , dat he dorch sculde willen nirgen teen
wolde , dat scolde men von eme neuien. Ähnlich muß in Braunschweig Stadtr.
(1401) 79, Hänselmann I S. 108, der Bürger, der seinen Mitbürger aufhält,
alsbald sveren , dat he yd do doteh angst syner schult, o/ft de sehuldener des nycht
wel waberen also langhe went he dat ruhte hebben moghe.
3) Erfurt Stat. (1329), Walch II S. 32, mit spezieller Beziehung auf
Sacharrcst.
*) Magdeburg Kcchtsmitt. an Breslau (12l!l) 31, Eaband ItQu. S. 18:
ist iz also, ' dat ein man beteuerten oder eines kan/es varen wil beizen lindes, wil den
Je man hinderen un/be schult, der ne mach ist tun nicht, her ne nnt'.f ne men sin recht vor
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Wenn von diesen Fällen einer tatsächlichen Begründetheit
gänzlichen oder doch längeren Fernbleibens des Schuldners von
der Stadt abgesehen wird, soll zunächst, wie unstreitig ist, gegen
Bürger, die mit Eigen und Erbe angesessen sind, kein Arrest aus-
gebracht'), ein Zwang zur Bürgenstellung nicht ausgeübt werden*).
Denn Mangel bestimmten Vermögens des Bürgers und des stän-
digen Mitwohners, namentlich auch Minderwert der schuldneriscben
Immobilien gegenüber dem Betrag der gläubigerischen Forderung,
ist ursprünglich kein allgemeiner Arrestgrund. Noch in Freiberg ')
heißt es:
ist ein man besetzen unde wirt heklait umme silbi-r unde
Inikent he des, der darf keinen bürgen setcen rar daz recht,
wen he besetzen ist unde schozzet unde wachet. He darf ouch
nicht keine bewtsunge tun, daz he so u-ol besetzen si,
als he im schult gibet, wend he im Inikent unde nicht ver-
wunden ist. Man sal in bescheiden in duz nehiste dinc.
Hierin liegt zugleich der Nachweis der Unrichtigkeit der von
Planck4) vertretenen Anschauung, es sei unbedingt „ein jeder nicht
mit Erbe oder Eigen ansässige Mitbürger für unsicher angesehen
und daher der Arrest gegen einen solchen ohne eine besondere im
konkreten Falle nachgewiesene causa arresti zugelassen“ worden.
Nur das hamhurgische 5) und müh Ihausen sehe 6), möglicherweise auch
das magdeburgische Recht7) könnte zur Rechtfertigung herange-
simc ruhtere, d. h. di:r Gläubiger muß, wenn er den Arrest ausbringt, bereit
sein, auf Wunsch des arrcstiorten Hfirgers unverzüglich seine Forderung vor
dum Richter cinzuklagen. Vgl. unten Kapitel VI.
') Vgl. Planck II S. 373. S. auch oben S. 91 bei Amn. 1.
*) Münster Stadtr. (1221) 47, Keutgen Urk. S. 153: NmUus eins tractus
in iudicium pro deiitis ponet fideiussortm suo ch’i, nisi a prinäpio posuerit.
•’) Stadtr. (1296 — 1307) II § 9, finnisch S. 46. Über die, den ander-
wärts sog. ständigen Mitwohncr mitumfassende Bedeutung des Wortes btsnun
in Freiberg vgl. oben S. 6 Anm. 5 und S. 12 bei Anm. 3 — 5, sowie S. 16 bei
Anm. 1 und 2.
4) II S. 373: vgl. unten S. 94 und 95.
5) Unten S. 94 bei Anm. 2 und 3.
*) S. unten S. 97 bei Anm. 2.
7) Hechtsbuch von der Gerichtsverfassung XXVII § 1, I.abaml RQu.
S. 68: die Stelle ist dein vor 1269 entstandenen Itechtsbuch später, wahr-
scheinlich erst im 14. Jahrhundert, zugefügt werden (ebenda S. 41—47). S.
auch sächs. Weichbild 34, Daniels Gl. I S. 109.
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zogen werden. Im Übrigen wird zu Gunsten sogar der einfachen
ständigen Mitwohner das, was Lüneburg ') vom Sacharreste sagt:
rolunius, i/nod udracatus Willi in Inte riritatr manenti
bona mui occupet rel impediat vllo modo, quam diu iustitinm
fttrere mit,
auch bezüglich des Personalarrestes häutig ausgesprochen, zum
Beispiel in Braunschweig*), Freiberg3), Goslar*) und Brünn').
Insofern also ist Meiboms') Verwerfung unbedingten Arrestrechtes
des Gläubigers gegen nicht erbgesessene Mitbürger oder Mitwohner
zutreffend, wenngleich gerade die Stelle der Magdeburger Fragen,
auf die Meibom sich stützt:
ei/n ungewiss man, her teere egn gast ader egn bürgrr, der
näht stehende erbe enhette noch so eil varnder habe1),
keine sichere Grundlage dafür abgibt. Denn der ungewiss man
ist als klagender Teil gedacht, über die Stellung von Bürgern
und Gästen in der Stellung des Beklagten läßt sich aus dem Satze
also unmittelbar nichts schließen. Jedenfalls aber wird, wenn
man einen solchen Schluß ziehen will, in der letzterwähnten
Stelle, gegensätzlich zu den oben genannten"), Nachdruck auf
eine bestimmte Hübe und Art des Vermögens des Schuldners ge-
legt, die Ausbringung des Arrestes also im Gegensatz zu früherer
Zeit bereits lediglich auf die Vermutung hin gestattet, daß der
') Herz. Priv. (1247), Docbncr Städtopriv. S. 28.
a) Ottonianum (13. Jahrh.) 15 mit 21, Hänselmann I S. 5: Ein Mann
aus der Stadt, der ane wert ist (21), soll im Gegensatz zu dem außerhalb
der Stadt wohnhaften Schuldner (15) erst dann aufgch<cn und vor den
Kichter geführt werden, wenn er drei ordnungsmäßigen Ladungen nicht
Folge geleistet hat : es handelt sieh hier also um Zwang gegen den bereits
Ungehorsamen (vgl. Planck II S. 276 boi Amu. 8).
3) Oben S. 92 in und bei Anm. 3, sowie Stadtr. XXXV § 16. 18. Er-
otisch S. 220. 221.
4) Stadtr. (um 1300), Göschen 63, 20: Laien, die sich in geistlichem
Hause in^imnetiet Iiabi'l), sollen vorgeladen (vereinten) werden, während ihr
Gesinde und in ihrer Hand befindliches Gastgut besetzt (beseiten) werden darf.
5) Schöffenb. (um 1350) 125, Kodier II S. 64; s. oben S. 6 Anm. 5.
Falsch Planck II S. 379. der proprium rtsidenlbm als eigenen Grundbesitz
versteht. S. auch unten S. 94 Anm. 4.
«) S. 157 f.
’) II. 2 d. 4, Hehrend S. 157.
8) Oben bei Anm. 1—5 und S. 92 bei Anm. 3.
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Schuldner infolge mangelnden Vermögens, namentlich mangelnder
Immobilien, sich seinem ordentlichen Gerichtsstände entziehen werde.
Am entschiedensten und frohesten gelangt die erwähnte Ver-
mutung, vom Mühlhausensehen abgesehen '), in dem Satze des
Hamburgischen Rechts zum Ausdruck:
ei/« ieirelil • man unbeneten mit eree schal borgen netten
rnr schult , de men eine gijt .... Mer ne hecet en man neuen
borgen, no xc/tal de woltbode ene fetten in dat gseren wente
to deine negesten dinge
desselben Rechts, das, sobald es sich um einen erbgesessenen Voll-
bflrger handelt, nicht einmal den Sacharrest gegen ihn zuläßt:
it ne schal ne man tin.se s borghers gut! beseiten, de erce
hecet unde egen; unde deif </«/• ieinan enboren , dat schal
he beferen mit dren punden 3).
Allgemeiner noch befreit Kleve4) nicht allein den ständigen
Mitwohner, sondern auch den Vollbflrger nur dann vom Arrest,
wenn er im Gerichtsbezirk hinreichendes Vermögen (guet) besitzt.
Und von diesem Standpunkt aus ist es schließlich zu erklären,
wenn nunmehr auch Gäste dann vom Arrest befreit bleiben, wenn
sie durch geeignete Vermögensmassen innerhalb des auswärtigen
Gerichtsbezirks Sicherheit für ihr Erscheinen zur mündlichen Ver-
handlung auch im Forum der Zwangsgewalt zu bieten scheinen.
Schon eine so allgemeine Vorschrift wie:
man sal in kci/nie geeichte ymande sin legende gud be-
seelen noch erbe noch sine Jarnde habe, diin/le er czn sinen
schulden domete genug besessen ist i),
braucht nicht nur auf < Jerichtseingesessene bezogen zu werden.
Jedenfalls aber ist es unnötig, den Satz des Hamburgischen Rechtes:
ghift en inan dem anderen schult uinme gelt unde esschet cm
borghen to unn hegt de andere also celc erces bgnncn der stat
') Unten S. 1)7 bei Anin. 2.
-’) Stadtr. (1270) IX. 8, Lappenberg S. 1.73.
3) Stadtr. (1270) IX. 11, Lappenberg S. 1.73: vgl. unten S. 95 bei Anm. 1.
4) Stadtr. Buch (nach 1424) 90 § 3 und 4, ZUG. 10 S. 234. und dam
9.7 § 1 (ebenda S. 232) und 109 § 1 (ebenda S. 239) Vgl. oben S. 11.
4) Bist. III. 4 d. 14, OrtlulT S. 144. — Vgl. oben S. 93 bei Anm. 7,
woselbst der letzte Relativsatz auch auf sw/ zu beziehen ist, was in der
Lesart des Kod. Br.: tyu ungaeis man, , ast n,tir tutrger, der II. s. \v., noch deut-
licher hervortritt.
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95
also de schult is deinen eine gift he en dorff nene horghen
seiten, dwymjhet he ene dar orer dat schal he beferen mit drgn
jiunden *_),
mit Planck*) lediglich von erbgesessenen Bürgern zu verstehen,
da bezüglich dieser irgendwelcher Zwang überhaupt ausgeschlossen
bleiben sollte3) und ferner auch (laste in Hamburg in Besitz von
Erbeigen kommen konnten *). Auch in Duderstadt sollte der
Personal- oder Sacharrest gegen rüdere , hnecht oder bur nur zu-
gelassen sein, wenn sie in der Stadt kein (unbewegliches?) Gut
besaßen :
Weh- man in vnseme richte negn giid enhe/t, dar man up
cfagen möge, unde eyneni unser hurgher schuldich ist, de. mach
en eder sin gut uphalden cor sin ghelt 5).
ß. Als Zweck des gegen Gäste ausgebrachten Personalarrestes
wird, wie auch späterhin sehr häufig, so schon in alter Zeit be-
zeichnet, den Schuldner festzuhalten,
(ftiowupie (lebitum solcat aut per senlentiam ecadat 6),
donec solcat cel insticiam e.rhibeat7).
In der Tat scheint dem Schuldarrest ursprünglich ledig-
lich der Gedanke zu Grunde gelegen zu haben, den schuldigen
Gast selbst unbedingt festzuhalten, um ihn dem Gerichte
zur Verhandlung des Streites persönlich vorführen zu können, die
dann entweder mit der Verurteilung des Beklagten zur Zahlung
oder mit der Abweisung der Klage endigte. Daß von vornherein
ein Anspruch des Klägers darauf bestand, daß der Gast sein Er-
scheinen zur Verhandlung durch Bürgen u. dgl. sicher stelle, und
daß erst, falls der Gast dies nicht gutwillig tat, der Arrest ein-
treten und jenen Anspruch realisieren sollte, ist nicht wahrschein-
') Stadtr. (1270; IX. 12. Lappenberg S. 153; s. oben S. 94 bei Anm. 2 u. 3.
■') II S. 373. 379.
3) S. oben S. 94 bei Anm. 3.
*> Stadtr. (1270) Anhang 5, Lappenberg S. 72, und (1292) K. 23, eben-
da S. 122.
s) Jäger nr. 14.
,;) Braunschweig Kerht des Hagen (12, Jahrli.) 14, Keutgcn Vrk.
S. 178. Vgl. dazu 13 und Ottonianuni (13. Jahrli.) 15, llänselniann I S. 5:
wante he ime vermelde ofte rechtes p/egr.
•) Parchiin Stadtr. Bcwidm. (1225 2li) (i, Meck!. t'B. I S. 311.
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lieh. Schon oben ') wurde ausgeführt, wie das Festhalten der
Person des Gastes vornehmlich bezweckte, einen Gerichtsstand zu
begründen , der ohnedies nicht vorhanden gewesen wäre. Ein
Recht des Gläubigers auf Sicherstellung konnte also begrifflich
in solchen Fallen zunächst garnieht bestehen. So erscheint denn
auch die Sicherstellung, die der Gast mit Hülfe von Rfirgen und
dgl. vornimmt, in der Regel nicht als des Gläubigers, sondern
als sein eigenes Recht, mittels dessen er den Gläubiger zwingt,
seine Person freizugeben. Ausdrücklich wird der Gräfin von
Flandern vom Vogt und Rat zu Bremen versprochen:
( ’alumpniatus Je Ute vel alia re non in vinrulin teneatur,
ei Jure colverit jideiuntorem ydoneum , vel tot bona habeat ibi-
dem, </uod raleant suam emendam, dum modo de hoc conetare
jioesit per dune dein oe euoe non euepectos
Und wenige Jahre später muß dieselbe Gräfin von Flandern
Hamburg gegenüber ausdrücklich bemerken:
merratoree Flandreneee apud Hamburg arreetari non pote-
runt nee cupticari ocraeione alicuiue (juerimonie, de qua parati
fuerint Jure Jideiueeoree eufjidenb* aut pignora ad valorem queri-
monie rompdentia ad e.repectandum ibidem iuetiriam eiee legem3).
Daß in der Tat auch noch in späterer Zeit die Sicherstellung
als ein Recht des Gastes aufgefaßt wurde, geht nicht nur aus
der ausdrücklichen Fassung der Quellen hervor*), sondern folgt
mittelbar auch daraus, daß dem beklagten Gast, der arrestiert
worden ist, ein Gastgericht bewilligt6) und als Motiv dieser Be-
vorzugung unterweilen ausdrücklich angegeben wird, daß er keine
Bürgen für sein Erscheinen im ordentlichen Ding zu setzen im
Stande sei.1’)
') S. 41 IT. und S. 55 ff.
3) 1 1255), Khmck I S. 305.
3) (1208), J. M. Lappenberg, Hamburg. ITrk. liueb. Hamburg 1842.
S. «01.
') Riga umgoarb. Stab, (um 1300; II. 9 § 1, N apiei'sky S. 154: liesot zt
der Gläubiger den von auswärts kommenden Schuldner mit umlhorde drs
voghedes, rinde ‘eil de wert Irren vor de senlt, dar sal he sie an ghenoghen laten .
also vere alse de wert wisse noch is. Ähnlich Kleve St mit r. Huch (nach 1424)
109 § 1, ZRG. 10 S. 239.
s) Lnten Kapitel VI.
s) I nten Kapitel VI.
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97
Diese Unmöglichkeit oder doch große Schwierigkeit, Sicherheit
zu beschaffen, bestand in sehr vermindertem Grade für die eigenen
Gerichtsgenossen des Klägers. Umsomehr konnte letzterer
von ihnen, die in ihrem allgemeinen Gerichtsstände zu erscheinen
von vornherein verpflichtet waren, beim Vorliegen der nötigen
Voraussetzungen eine Sicherstellung dieser ihrer Verpflichtung
unter eventuellem Arrestzwang beanspruchen. In charakteristischer
Weise faßt das Stadtrecht von Mühlhausen den Gastarrest als ein
Festhalten der Person des Schuldners lediglich zum Zwecke
der Sachverhandlung auf1), während es vom nicht beerbten Stadt-
bewohner heißt:
liet ein man enim man sin guit zu eime tage, so inmac
he un vor ditni tage wedir zu phandi noch zu burgin
geticinge. Kumit abir di tue tvi/ri vnde ist he nicht ein
bizezzin man, so sal he diz richteris genize, daz he umi
gebt phant edir phenninge •).
Dieser prinzipale Anspruch des Gläubigers auf Sicherstellung, wie
er namentlich auch im Magdeburgischen Rechte ausgesprochen
wurde 3), mußte späterhin, als schon die bloße Anwesenheit des
Gastes im auswärtigen Gericht daselbst einen Gerichtsstand für
ihn begründete4), auch dem Gast gegenüber Platz greifen. So
heißt es ausdrücklich in Eger von dem e.rlraneus:
ubicumque civis debitorem, preterquam in ecclesia, balneo et
taberna convenerit, iudex tenelur sibi ibidem pro debitis iudi-
care ipsum ßdeiussoribus vel quocunujue modo certijicando s).
Und im Rechtsbuch nach Distinktionen wird, allerdings nach so-
eben vorausgegangener Klage des Gastes, dem Widerkläger ver-
stattet, er möge den Gast
an der stenden stad bedingstadeln, daz ist, daz he bürgen
sal seczen, czu deine nesten dinge icedder zeu antworten, ab
') Der Anfang der Stelle ist oben S. 89 Anm. 4 abgedruckt.
a) Stadtrecht (1230—1250), Herquet S. 032.
3) Magdcb. Bresl. syst. Sch. K. 1.22, Laband S. 9. Vgl. auch Frei-
berg Stadtr. (1206 — 1307) II § 9 mit XXXV § IG. 18, Ermisch S. 46
bzw. 220.
4) Oben S. 41. 42 und auch S. Gl.
*) Eger Priv. (1279) 19 mit 18, (laupp St. K. I S. 192.
Budorff, Rechtsstellung der Gante 7
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98
her (d. li. der Gast) zcu deme gedinge gesessen ist, daz ist in
rir milen. Had he nbir nicht bürgen, unde tud he einen eyd
dorren, so mu; her zeu hunt antworten *).
7. Eine Trennung des Verfahrens, über die Rechtfertigung
der erfolgten Arrestanlage einerseits und über die Begründetheit
speziell der Hauptforderung andererseits ist dem deutschen Rechte
damaliger Zeit so gut wie unbekannt2). Über beides wird, nament-
lich auch im sog. gastgerichtlichen Prozeß, zusammen verhandelt
nnd entschieden.
b) Die Voraussetzungen des Bacharrestes gegen Gäste und
gegen Einheimische unterscheiden sich nicht von denen des
Personalarrestes.
Der Sacharrest gegen Bürger wird namentlich dann betont,
wenn sie wegen ihrer Schulden flüchtig geworden sind*). Goslar
hält auch an dieser ursprünglichen Voraussetzung als an einer
ausschließlichen fest •), wahrend anderwärts schon die länger dauernde
Entfernung des schuldigen Teiles genügt, um einen Arrest gegen
hinterlassene Vermögensstflcke zu rechtfertigen5). Allerdings werden
in diesem zweiten Falle so viele Kautelen gegen eine mißbräuch-
liche Ausbringung und zu Gunsten einer Wiederaufhebung des
ausgebrachten Arrestes geschallen, daß der Arrest wegen Flucht
des Schuldners tatsächlich sehr überwogen haben muß6). Im
Übrigen durften auch hier ständige Mitwohner, wofern sie keine
') III. 15 ,1. I. OrtlolV 8. 164.
s) Kino Art von sofortiger Vorverhnudlung über die causa arresti
stellen höchstens die oben S. !I1 Anin. 2 abged ruckt Oll Stellen dar, in denon
aber Bürger die Arrestierten sind. In Itist. III. 15 d. 1, oben bei
Anni I. bandelt es sieb nicht um eine Verhandlung über die Verpflich-
tung zur Hiirgeustellung. sondern über des Vorhandensein geeigneter
Bürgen.
») Mngdeb. Itresl. syst. Seh. H. III. 2 d. 68 und 70, Kaliand S. 69:
Hürde Kechtsbr. (1340) 9. tlengler St. 11. S. 198: Lünen Hechtsbr. (1811)9,
v. Steinen IV S. 239.
*, Slndtr. (um 13t KJ), Göschen 67. 14. Vgl. dazu Aufs, über das Schulth.
Amt (14. .lalirli.), Göschen 110, 13.
5) ln Mngdeb. Fragen II. 2 d. 10, Bebrcnd S. 160, wird einmal sogar
die Wahrscheinlichkeit, daß ein Einheimischer wegen Krankheit nicht zum
Gericht werde kommen können, als hinreichender Arrestgrund bezeichnet.
c) Vgl. überhaupt l’lanck U S. 374—376.
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9!*
Anstalten zur Rechtsweigerung machten, nicht arrestiert werden1).
Und bezüglich der Frage, ob eine bestimmte Art und Größe des
Vermögens vor Sacharrest schützte, gilt auch hier in Ansehung
der Einheimischen wie der Gaste Entsprechendes wie beim
Personalarrest *).
Auch der Sacharrest wurde gegen Gäste ausgebracht, um sie
zur Verhandlung im Forum der Zwangsgewalt zu nötigen3). Nach-
dem er zum Zwecke der Begründung eines Gerichtsstandes überhaupt
zugelassen worden war 4), ward hier sowohl 5) w ie beim Sacharrest
gegen Einheimische die Tatsache bedeutsam, daß dieser Arrest dem
Gläubiger ein Vermögensobjekt verschaffte, welches einmal den
(mindestens gegenüber Einheimischen bestehenden) Sicherungs-
anspruch des Gläubigers befriedigte und ferner die Vollstreckung
in das Vermögen des Schuldners garantierte. Mit Rücksicht
darauf ist, wenigstens in den Quellen des 13. und 14. Jahrhunderts,
von einer Aufhebung des Arrestes gegen anderweite Sicher-
stellung kaum die Rede; ähnlich wie schon im Sachsenspiegel
dann, wenn der Schuldner in einem begründeten Gerichtsstand
nicht erschien, ein Verfahren gegen sein Gut Platz griff*), ward
der Sacharrest gegen Einheimische und, nach seinem Vorgang,
der gegen Gäste der Beginn einer Klage des Gläubigers auf das
Gut des Schuldners, welches Verfahren hier nicht näher darzustellen
') S. oben S. 93 bei Anm. 1.
*) S. oben S. 94 bei Anm. 3 und 5 und 8. 95 bei Anm. 5.
J) S. oben S. 95 bei Anm. 6 und 7. Auch beim Repressaliouarrest,
d. h. der Wegnahme von Gut aus den Händen der Mitbürger des Schuldners,
wird der Zweck einer Herbeiführung gerichtlicher Verhandlung betont. Vgl.
z. H. Priv. Friedrichs I. für Flandern (1173), Keutgcn Urk. S. 52: itthts
hei mereatoribus, tibi negnta est ei iustieia, filmte auferat , donec iusticiam conse-
qua/ttr, et ob hone causam toei a/ferius mereatores non infestet , utld Vertrag
zwischen Köln und Boppard 1252), Gongier Kod. S. 256: poterunt (nach-
dem Recht geweigert worden ist) nostros arrestarc eoncioes vel pigmra nostra
(apere et tenerc, qtte tarnen . . /. nebuntur, quousque conquerenti f nee it sotis -
factum.
4) Vgl. oben S. 42, 56 IT., 89.
5) Holzminden Rechtsbr. (1245) 14, Gengier St. R. S. 205: Si advena
. . res creium accomodaverit et postmodum recedens non persoiverit, ns illius per in-
dicem obligentur ad rcstitu tionem eoruni, qnibus debitor es/.
6) S. oben S. 55.
7*
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100
ist ]). Bemerkt sei nur, daß Rechtfertigung der Hauptforderung und
des Arrestes auch hier wie beim Personalarrest zusammenfiel s).
II. Die Ausführung des Arrests.
1. a) Die Ausführung des Arrestes ist grundsätzlich von vorn-
herein mit einer Mitwirkung des Gerichtes verbunden.
Der Kläger soll den Gast oder sein Gut cum iwtitia obli-
gare, iuridice urresUire, iuris nrdine sercato detinere3). Und
zwar braucht nicht das zum Urteilfinden vollbesetzte Gericht au-
gegangen zu werden. Es genügt und ist das Gewöhnliche, sich
an den Richter allein zu wenden4). Häufig zwar scheint in den
Quellen der Kläger zu völlig selbständigem Handeln verstattet zu
werden, wenn es sich um Arrest gegen Gäste handelt. Aber ab-
gesehen davon, daß bei letzteren häufig ohne Weiteres Flucht-
verdacht begründet sein mochte, ist nicht zu vergessen, daß trotz
obrigkeitlichen Beistandes immerhin der Gläubiger als der, der
den Arrest ausbringt, als arrestalor angesehen wurde5); die
Quellen können deshalb, unter Übergehung jener gerichtlichen
Teilnahme, lediglich vom Kläger als dem Arrestator reden, ohne
daß man hieraus auf ein prinzipielles Recht desselben, ohne Ge-
richt vorzugehen, schließen dürfte6).
') Vgl. Planck II S. 389 ff.
s) S. oben S. 98 Anm. 2.
3) Penzlin Rechtsbost. (12G3), Mekl. U. B. II S. 227; Lübeck an
Frankfurt (1374), Lfib. U. B. IV S. 247; Verordnung Karls IV. für den
Krzbischof von Köln (1372), Lacomblet U. B. III S. 622. Vgl. auch die
Stadtrechte von Lippstadt (1198) 5 und Hamm (1213) 16, Keutgen l'rk.
S. 148 bzw. 150.
*) Die Ausdrücke Judicium , spricht bezeichnen in dieser Verbindung häufig
nur den Richter. S. z. B. Köln Schied (1258) Klagepunkt 16 des Krzbischofs
bei Keutgen Urk. S. 159, und Freiberg Stadtr. (1296—1307) XXXV. 16
n. 18, F.rmisch S. 220. Manchmal bezieht sich das Wort auch auf den
Büttel; vgl. schon Soest Stadtr. (vor 1200) 21, Keutgen Urk. S. 141.
s) Brünn Schöffenb. (um 1350) 95, Röliler II S. 50.
rt) Daß da, wo ein solches Recht scheinbar erteilt wird, in Wirklichkeit
an Mitwirkung des Richters oder des Buttels gedacht ist. ergibt sich häufig
aus der Nebcneinanderstellung von Bestimmungen derselben oder verwandter
Hechtsquellen. Man vergleiche Braunschweig Hagen (12. Jahrh.) 14 mit
13, Hänseluiaiin 1 S. 2; Lüneburg Stat. (vor 1400) L und zu L, Kraut
S. 58. 59, mit Priv. (1247), Doebner Städtepriv. S. 28; Freiberg Stadtr.
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101
E.“ sollen vielmehr in Ansehung des Arrests da; gericHe unde
eyn rad in urichbilde erkennen , ab is mogelich gesin möge '), und
eine unbegründete Vernachlässigung dieser Instanz zieht Buße an
den Beklagten, Wette an das Gericht nach sich *). Die Hülfe des
Richters soll to rechte van ome gheeschet werden5), d. h. der
Kläger hat — einseitig — alles vorzutragen, was die Besetzung
in dem vorliegenden Falle gerechtfertigt erscheinen läßt4). Im
Besonderen bei Klagen um Schuld wird ihm nahegelcgt, nicht
nur das Vorhandensein der Schuld zu behaupten, sondern auch
sogleich ihre Höhe anzugeben s). Wo der Arrest sich nicht gegen
einen einfachen Gastschuldner, sondern gegen einen von dessen Mit-
bürgern (Repressalienarrest) oder einen privilegierten Gast richten
soll, mnß neben der Gasteseigenschaft auch die vorgängige Rechts-
weigerung im Gericht des Hauptschuldners vorgetragen 6), bisweilen
sogar schon unter vorläufigen Beweis gestellt werden7).
(129fi— 1307) XLI § 1 mit XXXV 16. 18 und XXXVI 1. 3, Ermisch S. 239.
220. 225: Goslar Stadtr. (um 1300), Göschen 8. 9, mit 65, 25. 68, 39.
110, 13: Sülfeld Stadtbuch (nach 1300) LV1II mit VII. LXXV1, Walch 1
S. 28. 15. 33: Brünn SchüfTcnb. (um 1350) 95 mit 389. 391. 392, Rüßler II
S. 50. 177. 179: Köln Ordnung der Messe (nach 1360) III. 10 mit Eidbuch
(1341) XX. 3, Stein II S. 32 bzw. I S. 47.
') Dist. III. 4 d. 1, Ortloff S. 140.
*) Braunschweig Ottonianum (13. Jahrh.) 15, Hänsclmann I S. 5:
Mühlhausen Stadtr. (1230—1250), Herquct S. 621 : Salfeld Stadtb. (nach
1300) LXXVI, Walch 1 S. 33: Hameln Rechtsbestätigung (1335), Meinardus
S. 213: Brünn Schöffenb. (um 1350) 389 und 392, Rößler II S. 177. 179:
Dist. III. 4 d. 1, Ortloff S. 140: Glogau Kcchtsbuch (1386) 486, Wassersch-
ieben KQu. 8.59: Braunschweig Stadtr. (1401) 78, Hänselmann IS. 108.
Vgl. Hildesheim Stadtr. (um 1300) 58 a. E., Doebner U. B. I S. 284:
Heiligonstadt Willk. (1335) 159, Wolf ürk. S. 28.
*) Goslar Aufs, über das Schulth. Amt (14. Jahrh.), Göschen 110, 13.
*) Entsprechend muß, wer Gut eines nicht anwesenden Gastes besetzt,
vor Einweisung in dasselbe schwören, daß er dal $ud also toset h/lbt, also he
van reehte seole (Hildesheim Stadtr. 18 — um 1300 — , Doebner U. B. I
S. 281).
5) Magdeb. alphab. Samml. v. Schöffenspr. Kap. 148, Wasscrschleben
S. 50. Vgl. Hildesheim Stadtr. (um 1300) 17, Doebner U. B. I S. 281, und
Koblenz Altes Gerichtsbuch (1366-1424) 19 § 3 a. K., Bär S. 94.
ö) Arnstadt Vertr. mit Erfurt (1283), Arnst. U. B. S. 23 (asscreret).
*) Zusicherung der Fürsten von Werlo an ihre vasalli (1276), Meklb.
U. B. II S. 553; Dist. III. 4 d. 12, Ortloff S. 144.
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102
Rechtfertigen die Behauptungen des Klagers die beabsichtigte
Arrestanlage, so kann die Mitwirkung des Gerichts in verschiedener
Weise vor sich gehen. Entweder begibt sich der Richter per-
sönlich zu dem Gaste oder zu dessen Gut '), in Begleitung natür-
lich des Klägers. Oder aber er erklärt lediglich seine Einwilligung
und beauftragt mit der Ausführung entweder den Büttel2) oder
läßt den Kläger selbst gewähren3). In Landfriedensvereinigungen
wird die Gestattung der Arrestanlage bisweilen den besonders
eingesetzten Landfriedensrichtern übertragen4).
Der Büttel tritt also in der Mehrzahl der Fälle auf Geheiß
des Richters in Tätigkeit. Der Kläger darf sich aber von vorn-
herein an ihn wenden, sobald er des Richters nicht habhaft werden
kann i). Und selbst ohne diese Voraussetzung wird unter-
weilen ein sofortiges Angehen des Büttels gestattet6), dem dann
allerdings nicht immer dieselben Rechte zugebilligt werden wie
dem arrestierenden Richter7).
') Mühlhausen Stadtr.(1230 — 1250), Hcrquct S. 621; Braunschweig
Ottunianuin (13. Jnhrh.) 15, Hänselniann I S. 5: Holzminden Rechtsbr.
(1245) 14. Gengier St. R. S. 205; Lüneburg Priv. (1247), Doebner Städte-
priv. S. 28: Brühl Priv. (1285), Lacomblct II S. 474: Bodenwerder Stadtr.
(1287) 40, Gengier Kod, S 246; Goslar Stadtr. (um 1300), Göschen 65, 25.
68, 39. 1 10, 13.
-) Preiberg Stadtr. (1296—1807) XXXV § 18 und XXXVI § 1, Er-
wisch S. 221. 225: Brünn Schöffen!). (uin 1350)389. 392, Rö Ul er II S. 177.
179: Hist. III. 4 d. 1. Ortloff 8. 140.
3) Riga uingearb. Stat. (um 1300) II 9 § 1. 2, Napiersky S. 154:
Brünn Schöffcnb. (tun 1350)389, Rößler II S. 177: Glogau Rech tsb. (1386)
486, Wasserschieben S. 59. S. auch Freiburg i. U. llaudf. (1249) 73,
Gaupp Stadtr. II S. 96: Landshut Rechtsbr. (1279) 1, Gengier St. R. S. 233.
•) Landfr. für das Gebiet zw. Rhein, Lahn und Main (1265) 9,
Böhmer U. B. I S. 122.
s) Goslar Stadtr. (um 1300), Göschen 65, 25. 68,39. 110, 13: Salfdd
Stadtb. (nach 134 KJ) XL VI II, Walch I S. 26.
*) Braunschweig Hagen (12. Jnhrh ) 13, Hiinselmann I S. 2: Mühl-
hausen Stadtr. (1230—1250), Herquet S. 621: Lübeck Stadtr. (1263) 49
und 1291 14S. Hach S. 2(H) bzw. 321: Kleve Stadtr. (.nach 1424) 109
\) 1 und dazu 96 § 3. ZKG. 10 8. 239 bzw. 234. S. auch Soest Stadtr.
(vor 1200) 21, Keutgen Urk. 8. 141.
7 ) Freiberg Stadtr. (1296 — 1307) XXXV § 16. 18 und XXXVI § I,
Knnisi li S. 220. 225. und dazu Planck II S. 379.
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in:?
b) Abgesehen von ilera Fall richterlicher Erlaubnis darf sieh
der Gläubiger grundsätzlich nur dann ohne Beihilfe von Richter
oder Büttel an Person oder Gut des Gastes vergreifen, wenn er
dieser gerichtlichen Personen nicht habhaft zu werden vermochte1).
Aber auch hier soll er sich der Regel nach der Unterstützung von
Mitbürgern bedienen, sei es eines2), sei es zweier3), sei es einer
nicht naher bestimmten Anzahl4); selbständiges Vorgehen bildet
die Ausnahme5). — In sehr seltenen Fällen nur wird dem Kläger
grundsätzlich ein Vorgehen gegen den Gast auch ohne Beteili-
gung gerichtlicher Personen zugelassen. So darf der Gastwirt
seine Gäste verfolgen 6), freilich nur auf der Straße, während er
die in ein Haus Geflüchteten lediglich mit dem Gericht heraus-
holen soll. Auch gesetzte, noch nicht übergebene Pfänder dar!
der Gläubiger bisweilen ohne Weiteres den schuldigen Gästen
fortnehmen7) und in einem Sonderfalle grundsätzlich seinem in
die Stadt eintretenden auswärtigen ßdeiussor aut, debitor ohne
') Nach Magdcb. Fragen II. 2 d. 20, Bohrend S. 1*57, sollen Itichtcr
oder Büttel unter keinen Umstanden vom Gläubiger umgangen werden, auch
wenn der Schuldner ym aä^ikitt woLie, Ähnlich für Gäste als Arrestierende:
Braunschweig, oben S. 90 Anm. 5.
-) Mühlhausen Stadtr. (1230 — 1250), Herquet 8.621; Büren Stadlr.
(um 1300) 26, Gengier Kod. S. 442; Uri bürg ltechtsbr. (1345) 11, Gengier
Kod. S. 904.
-1) Braunsebwuig Hagen (12. Jahrh.) 13, Häuselmann 1 8.2: Kleve
Stadtr. (nach 1424) 109 § 1, /HG. 10 S. 239: außerdem die beiden oben
S. 102 Anm. 6 angeführten Lübeck sehen Stellen.
*) Gürlitzer Landrecht (nach 1 34X4) XL IV § 2, Homcyer Görl. LH.
S. 209; Hameln Kechlsbest. (1335). Meinardus S. 213; Dist. 11 L. 4 d. 1,
Ortloff S. 140.
5) Soest Stadtr. (vor 1200) 21, Keutgen Lik. S. 141: Krciberg Stadtr.
(1296 — 1307) XXXV j 16, finnisch S. 220: Brnnn Schiiffeiib. (um 1350)389,
Kößlcr 11 S. 177: Glugau Hechtsbuch (1386) 486, Wasscrschleben Kt^u.
S. 59; Salfeld Stadtb. (nach 1300) VII, Walch I S. 15.
6) S. i. B. Bodenwerder Stadtr. (1287) 39 und 40, Gengier Kod.
S. 246, und die Belege bei Meibom S. 222, woselbst richtig bemerkt ist,
daß sich dieses Arrestrecht hauptsächlich gegen Nichtbürger richtete. Viel-
leicht hing es mit dem Beweisvorrecht der Gastwirte (s. darüber Planck I
S. 442) zusammen. Vgl. auch Freiburg i. U. Hand!'. (1249) 81, Gaupp II
S. 97.
*) Egcr Priv. (1279) 20, Gaupp I S. 192: vgl. auch Lübeck Kod.
Brokes II. 202, Hach S. 570.
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104
vorherige Zustimmung des Schultheißen Vermögensstücke mit
Beschlag belegen, wofern nur der Schuldner kein mt'les aut sa cer-
dos aut homo religionis ist ').
In allen Fällen, wo der Richter nicht von vornherein beteiligt
ist, wird der Arrestierte ihm, u. ü. auch dem Büttel zuzuführen
sein7). Nur in bestimmten Städten ist vorgeschrieben, daß der
Arrestierte nicht fortgefühlt werden, daß vielmehr das Kommen
des Richters oder des Büttels abgewartet werden soll3), es sei
denn, daß der Besetzte sich freiwillig zum Mitgehen entschließt.
Vor dem Richter hat der Kläger auf eine etwaige Beschuldigung
des Arrestierten, he kette on in obermute ufgehalden, d. h. mut-
mutwilliger Weise ohne vorheriges Angehen des Richters oder des
Büttels'), diesbezüglich sein Verhalten zu rechtfertigen, d. h. zu
schwören, duz he daz nicht anders geenden machte ’), dat he den
coghet noch den bodel nicht hebben ne murhtee). Andernfalls würde
er eine misse tat, eine broke, einen frevel begangen und die darauf
gesetzte Strafe verwirkt haben7).
') Freiburg i. U. Handf. (1249) 73, Gaupp II S. 96: vgl. dazu ebenda
§ 81 wegen der Pflicht nachher anzuzeigen, quapropter eum rrtinuU.
%) Braunschweig Hagen (12. Jahrh.) 13, Hänselmann 1 S. 2; Sal-
fcld Stadtb. (nach 1300) VII, Walch I S. 15: Diät. III. 4 d. 1, Ortloff
S. 140: Kleve Stadtr. (nach 1424) 109 § 1, ZUG. 10 S. 239. — Selbst da,
wo der schuldige Gast ohne Zutun des Vogtes vom Kläger auf eigene Hand
aufgehalten und alsbald eine außergerichtliche gütliche Einigung zwischen
den Parteien zu Stande gekommen ist, unterliegt dies Verfahren — bei
Strafandrohung im Falle der Unterlassung — der nachträglich cinzuholenden,
allerdings nicht zu versagenden Genehmigung des Vogtes (Hildesheim
Stadtr. 58 — um 1300 — . Docbner U. B. I S. 284;. S. dazu oben Anm. 1.
3) Mühlhausen Stadtr. (1230 — 1250), Herquet S. 621: Lübeck
Stadtr. (1263) 49 und (1294) 148, Hach 8. 800 bzw. 321: Freiberg Stadtr.
(1296-1307) XXXV § 16, Ermisch S. 220.
') Dist. III. 4 d. 1, Ortloff S. 140. Um dergleichen möglichst zu ver-
hindern, wird in Fällen, in denen der Gläubiger auf eigene Hand den Gast
besetzen will oder besetzt hat, von ihm die Hinterlegung einer Sicherheit
gefordert, die eventuell als Strafsumme verfallen soll (Heiligenstadt
Willkür 159, Wolf Urk. S. 28, bzw. Salfeld Stadtb. VII — nach 1300 — ,
Walch I S. 15).
s) Dist. III. 4 d. 1, Ortloff S. 140.
6) Goslar Stadtr. (um 1300), Göschen 65, 25. Vgl. außerdem oben
S. 91 Anm. 2 und S. 98 Anm. 2.
Hameln Bechtsbest. (1335), Meinardus S. 213, spricht vou einem
(trlictum iudia's (gegen den Richter). Wegen der Strafen s. oben S. 101 Anm. 2.
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105
2. a) Arrest darf gegen Gäste in der gantzen Stadl') ausge-
bracht werden, und zwar nicht nur innerhalb des von der Stadt-
mauer umschlossenen Raumes, sondern auch uz der stad, vor deme
Tore, in der Borger Holze1). Im allgemeinen dürfte sich der so
beschriebene Raum mit dem städtischen Gerichtsbezirk gedeckt
haben5;-, anderwärts aber scheint die äußerste Grenze durch die
Bannmeile bezeichnet worden zu sein 4). Der Regelfall, von dem
die Quellen ausgehen, ist, daß der Kläger den zu Besetzenden auf
der Straße trifft und ihn dort, eventuell zusammen mit seinen
Sachen, namentlich mit Pferd und Wagen, festnimmt oder fest-
nehmen läßt5). Der Arrest innerhalb der Häuser dagegen wird
häufig mit besonderen Kautelen umkleidet“). Insbesondere kann
auch die Besetzung von Gastgut in einem Bürgerhause dadurch
ausgeschlossen werden, daß der Hauswirt sich verbürgt, sodaß also
nur dann, wenn es sich um en wöste hus dar nen irirt inne ne
is handelt, das Gut liker wie alse vj> der strafen besetzt und
der Obhut des Gerichts anvertraut werden kann7). Im Übrigen
gewahrt aber das Privathaus, namentlich auch das des Privile-
gierten, den Gästen keinen Schutz vor Arrest*); ein gleiches
*) Frankenberg i. H. Rechtsbr. (1294), Kuchenbecker V S. 183.
*) Salfeld Stadtb. (nach 1300) LXXV1, Walch I R. 33: Heiligenstadt
Willkür (1335) 31. 159, Wrolf Urk. S. 10. 28. In Nienburg Freiding' (um
1400), Rathlef III S. 106, werden auf die Frage: woferne die von Nienburg
einen Amman mit Kummer verfolgen miigen, vier bestimmte Funkte außerhalb der
Stadt nach den vier Himmelsrichtungen aufgezählt.
3) infra aAvoeatiam oe.uftare (Hildesheim Stadtr. 49 — um 1249 — ,
Docbncr U. B. I S. 103, mit spezieller Beziehung auf tlüchtige Bürger):
ufhaldin in unsirm stat rechte (Magdcb. Bresl. syst. Sch. R. II. 2 d. 73 bei
Laband S. 51). S. auch Bist. III. 2 d. 1, Ortlotf S. 136.
4) Lechenich Rechtsbr. (1279) 28, Genglcr St. R. S. 241.
5) Vgl. Diepholz Priv. (1318), Gengier Kod. S. 759.
*) Mühlhausen Stadtr. (1230—1250), Herquet 8.621, wo, anders als
auf der offenen Straße, ein Festhalten des auswärtigen Schuldners mit Hülfe
lediglich der nakibure nicht schon dann gestattet ist, wenn man richter oder
bote nicht zur Hand hat, sondern erst, wenn jener unwoldi mit gewalt dannin
ge. S. auch Bodenwerder Stadtr. (1287) 40 und 39, Gengier Kod. S. 246;
Brünn Schoffenb. (um 1350) 602, Rößler II S. 276.
7) Goslar Stadtr. (um 1300), Göschen 66, 23.
*) Goslar Stadtr. (um 1300), Göschen 63, 20; Köln Ordn. d. Schöffen-
gerichts (um 1390) 9, Stein I S. 566. S. Straßburg Stadtr. (12. Jahrh.) 32,
Keutgen Urk. S. 95.
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gilt im Allgemeinen von der Herberge, der Taverne und dem
Kaufhaus
b) Auch eine zeitliche Grenze ist dem Arrest gegen Gaste
nicht gesteckt; sie können :n aller ;it, i; ni ta>- oder nacht, be-
setzt werden ’).
3. Überall, wo die Person des Gastes besetzt wird und dieser
nicht freiwillig dem Büttel oder dem besetzenden Klager vor den
Richter folgt oder wartet, his dieser erscheint, kann der Gast nicht
ohne eine gewisse Kraftanstrengnng fortgeführt bezw. auf der Stelle
festgehalten werden. Dieser Widerstand verpflichtet ihn zwar, falls
sich später sein Unrecht herausstellt, zu Wette und Bulle und ebenso
die, die dem Gaste etwa Beistand leisten *,i. Umgekehrt aber soll auch
der Kläger nicht das Mail des erforderlichen Zwanges überschreiten, er
mac in n-ol uf holden mit yen-alt an »inen deine zuehtekliche *). Hinein
(Taste, den ein Bürger ane certiget corebliche, darf der Wirt oder ein
sonstiger Bürger zu Hülfe kommen, allerdings nur dann, »o he
houeichlichi » maci); denn Mißhandlung des besetzenden Bürgers
wird gebüßt. Ähnlich ist es beim Anhalten von Gastgut; auch
hier wird Buße und Wette dem angedroht, der Widerstand leistet
oder ihn unterstützt*), und Straflosigkeit denen in Aussicht ge-
stellt, die gewaltsamen Widerstand brechen halfen7).
4. a) Ist der arrestierte Gast vor dem Richter erschienen,
so wird es bei Klagen um Schuld und Gut und Frevel im allge-
') Ulm Stadtr. (1296) 28, Kcutgen Urlc. S. 193: Köln Ordu. d. Schöffen-
gerichts (um 1390) 9, Stein I S. 566. Eine Ausnahme scheint in dieser
Richtung nnr Kger I’riv. (1279) 19 und 18, Gaupp St. R. I S. 192, fcst-
setzen zu wellen.
r) Freiberg Stadtr. (1296 — 1307) XXXY1 § 3, Ermisch S. 225.
Ähnlich Goslar Stadtr. (um 1300), Gäschen 63. 5, und Dist. III. 2 d. 1.
Ortloff S. 136.
3) Görlitzer Landrecht (nach 1300) XL1V §2, Homoyer Görl. LR.
S. 209: Heiligeust adt Willk. (1335) 31, Wolf Urk. S. 10: Kleve Stadtr.
(nach 1424) 109 §3. ZUG. 10 S. 240. Vgl. Hildesheim Stadtr. (um 1300)
80, Doebncr U. 11. I S. 287.
*) Freiberg Stadtr. (1296 1307) XXXV § 16, Krmisch S. 220.
5) Nordhauser: Zweite Stat. Samml. (1308) 13, Foersteinann N. M.
III. 2 S. S.
6) Dist. III. 4 d. 15, Ortloff S. 145: Kleve Stadtr. (nach 1424) 109
§ 3, ZRG. 10 S. 240.
7) Goslar Stadtr. (um 1300), Göschen 68, 39.
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107
meinen sofort zur Verhandlung (Iber die Sache, zu einem sog.
Gastgericht kommen '). Andernfalls wandert der Gast, wofern er
nicht durch Bürgen u. dergl. frei wird, in gerichtliches Gewahr-
sam *). Bei Klage wegen Ungericht (nicht aut frischer Tat)
existiert kein Anspruch auf sofortige Verhandlung. Hier gelangen
die Gäste, ebenso wie aufgehaltene eivee bene htredati, in obrig-
keitliche Haft3), die häufig sehr willkürlich und grausam ge-
liandhabt wurde4).
Diese Personalhaft mochte indessen bei allen Arten von
Klagen häufig durch die gesetzlich vorgeschriebene Vertretung
der Gäste durch ihre Wirte ausgeschlossen werden. Es heißt
mit Bezug auf diese geradezu:
tpiod unwnpivnpii' rideot ijuem hospitet t/uod tali-e sit pro
tpio ipse reepondere velit 5),
nullue debet alium hospitare nisi velit, respondere pro eo G).
Allerdings sind solche Vorschriften nicht in dem Sinne auf-
zufassen, als ob der Wirt ohne weiteres von vornherein neben
seinem Gaste für dessen Schulden und Delikte hafte. Bezüglich
der letzteren wird eine solche Haftung namentlich bei Vergehen
gegen Leben und Gesundheit, die Gäste im Hause des Wirtes
ohne dessen Mitschuld begehen, häufig ausdrücklich abgelehnt7).
') Vgl. unten Kapitel VI.
J) Freiberg Studtr. (1296 — 1307) XXXV § 18 und XXXVI §2. 3,
Ermisch S. 221. 225: Grafen von Wernigerode an Goslar (um 1330),
Goal. U. B. III S. 575. S. auch Rcchtsbuch von der Gerichtsverf.
(Zusatz, nach 1300) XXVII § 1. Labaml RQu. S. 68. und bezüglich des Ro-
pressalienarrestes Vertrag zwischen Boppard und Köln (1232), Gcngler
Kod. S. 256.
3) Schiedsspr. zw. den Grafen von Wernigerode und Goslar (1290
bis 1323), Gosl. U. B. III S. 129: Freiberg Stadtr. (1296 — 1307) XXXVI
§ 2. 3, Ermisch S. 225: Lübeck Weist, f. Elbing (vor 1300) B II, Stobbe
Beitr. S. 165: Urphede Oldinghofs an Lübeck (1339), Lüb. U. B. II
nr. 690. S. im allg. Planck II S. 368. 369.
4) S. das Schreiben von Harlingen und Norden an Köln (um 1340),
Hans. V. II. III S. 443. Vgl. auch das oben Amu. 2 angeführte Schreiben
an Goslar.
5) Wismar Rürgerspr. (1344) 3, Burmoister Bürgerspr. S. 1.
6) Göttingen Statute (um 1344) 21, Ztschr. d. h. V. f. N. S. Jahr-
gang 1885 S. 149.
’) Hamburg Stadtr. (1270) XII. 2, Lappenberg S. 66: Hist. VI. 28,
Ortluff S. 334: Gingau Rechtst). (1386) 291, Wasserschlebcn RQu. S. 37. —
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108
Wohl aber wird dem Wirte, bei Vermeidung solcher Folgen, im
Falle vorsorglicher Besetzung des Gastes die prozessuale Ver-
pflichtung auferlegt, den Gast im Gerichte zu stellen:
« occupatum hospen sponte abire prrmüerit, pro eo re-
gpondebit. 'J.
Ob er diese prozessuale Verpflichtung übernehmen will, wird
anderwärts jedoch in das Belieben des Wirtes gestellt, handele es
sich nun um Klagen wegen Schuld5) oder wegen üngericht3).
b) Ist lediglich Gast gut arrestiert worden, so bleibt es für
den Fall, daß es sich im Hause Einheimischer befindet, dann mit
der Verpflichtung zur Aufbewahrung in deren Händen, wenn sie
ihre Bereitwilligkeit dazu erklären:
dowinm domux, nisi celii , ad rerum inlrrdictarum conxrr-
oationeni nullatenux obligat «»■*).
Eine so strenge Vertretungspflicht wie beim Personalarrest liegt
also dem Wirte hier nicht ob; er hat jedoch, unter der Voraus-
setzung, daß er dazu überhaupt in der Lage ist5), sich auf Ver-
langen darüber zu erklären, ob er die Aufbewahrung der Gegen-
stände übernehmen wolle8). Gibt er eine bejahende Erklärung
ab, so wird er nur dann von seiner Haftung frei, wenn er die
Bei dieser Gelegenheit sei darauf hingewiesen, daß sich in den stadtreoht-
lichen (Quellen Norddeutschlands vor 1400 nichts von jener privatrecht-
lichen Haftung des Wirtes gegenüber seinen Gästen für solchen Schaden
lindet, den diese durch Verlust ihres Eigentums u. s. w. in seinem Hause
erleiden; in Süddeutschland enthält lediglich das Stadtrcchtsbuch von Frei-
sing (um 1328) 70. 71, Maurer S. 320. 321, eine derartige Haftpflicht, bei
deren Erörterung zwischen speziell anvertrauten uud lediglich eingestellten
Sachen unterschieden wird.
') Altenburg Stadtr. (1256) 28, Gaupp St. K IS. 212. Vgl. Straßburg
Erstes Stadtr. (12. Jahrh.) 32, Keutgen Urk. S. 95.
*) Riga Umgcarb. Stat. (um 1300) II 9 § 1. 2, Napiersky S. 154.
3) Braunschweig Stadtr. (1401) 78, Häuselmann I S. 108.
*) Brünn Schöflenb. (um 1350) 391, Rößler II S. 179; die Stelle fährt
fort: si autein ipsi hospiti (sc. dem Wirte) Ule, ctäus res sunt interdictae, in tx-
pensis vel in debitis vtl istis «i onsimilibus ubligatur, pro talibus res inlerdictas ser-
vare poterit de ipsis pri ncipaliter suum debitum extorsurus.
ä) Dies ist z. B. nicht der Fall, wenn sich der Wirt auf Reisen u. dgl.
befindet: Di st. III. 4 d. 11, Ortloff S. 143.
6) Goslar Stadtr. (um 1300), Göschen 66, 6: Dist. III. 4 d. 11,
OrtlofT S. 143; Braunschweig Stadtr. (1401) 78, Hänselmann I S. 108.
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10!»
gewaltsame Entfernung der Sachen zu beweisen im Stande ist1).
Ein gleiches gilt, wenn er absichtlich die Abgabe einer Erklärung
hintertrieben hat*). Will er sich dagegen auf die Verwahrung
nicht einlassen, so mutt er die Sachen an das Gericht oder den
Kläger sofort ausantworten 3). Ihr Verbleib in seinem Besitz geht
auf des Klägers Gefahr4), dem der Wirt im Falle des Sieges die
Sachen auszuantworten hat. ohne dem Gaste dafür zu halten5).
Gibt der Wirt das bei ihm arrestierte Gastgut heraus oder ist
er verhindert, eine Erklärung abzugeben, oder wird das Gut von
vornherein unter dem Schuldner selbst oder sonstigen Gästen, z. B.
Leuten des Schuldners, aufgehalten, so soll es grundsätzlich bis zur
Verhandlung oder Erklärung — falls diese nicht sofort stattfindet
— in gerichtliche Verwahrung gebracht werden:
bexeczt der richtet * adder der botel gud in egme huse und
der teert nicht hegenwertig teer . . . , ho hu! der, der is bexaezt
hud, da: gud Itetearen, bis duz der wert zeu hme kempt *),
41 tempore interdicti nuntiis iudicis dicit (sc. dominus domus),
tpiod res interdictax nolit cuxtodire, iudex ■ ipsas in xuam reci-
piat cuxtodiam interdicenti de ipsis iu.rta sua/n querimoniam
de iustitia procisurus1).
Bisweilen scheint jedoch auch dem besetzenden Bürger ein Auf-
bewahrungsrecht zugestanden zu werden8). — Verderbliches oder
') Goslar Stadtr. (um 1300), Göschen 67, 1; Diät. III. 4 d. 10, Ort-
loff 8. 143. Vgl. Planck 11 S. 381 in und bei Anm. 17.
*) Bist. III. 4 d. 11, Ortloff S. 143.
s) Goslar Stadtr. (um 1300), Göschen 66, 6; Brünn Schöffenb. (um
1350) 391, Römer II S. 179.
‘) Goslar Stadtr. (um 1300), Göschen 66, 6.
s) bist. III. 4 d. 4, Ortloff S. 141.
ö) bist. III. 4 d. 11, Ortloff S. 143.
•) Brunn Schöffenb. (um 1350) 391, Rößler II S. 179. S. ferner
Magdeburg Alphab. Samrnl. v. Schöffenspr. Kap. 305, Wasserschieben S.91;
Frankfurt a/M. Priv. Karls IV. (1376), Lünig IV. Cont. S. 591: sowie
wegen Repressalienarrest Vertrag Boppard-Köln (1252), Gengier Kod.
S. 256. Im allgem. vgl. Planck IIS. 382. 383.
*) Stend. Urt. Buch (1333; XXII § 1. Allerdings ist hier der Fall sehr
besonders gelagert — vgl. Bohrend Urt. B. S. 93 Anm. a — , sodaß man
kaum mit Planck II S. 383 schließen darf, eine derartige Überantwortung
sei „sehr häutig" gewesen.
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110
lebendes Gastgut darf1), ja muß3), eventuell unter Zustimmung
der Erben und des Gerichts 3), veräußert werden. Der Erlös kehrt
in die bewahrende Hand zurück*).
5. Die Benachrichtigungen, die an den Gast ergehen, in
dessen Abwesenheit Gut besetzt wurde, sind bereits Bestandteil
des Einweisungsverfahrens und deshalb hier nicht zu behandeln.
Zu erwähnen dagegen ist, daß noch vor Beginn des Ein-
weisungsverfahrens, vor Anfang der Verhandlung zur Sache, eine
Wiederaufhebung des Personal- wie des Sacharrestes
stattfinden kann. So z. B., wenn sich gewisse Voraussetzungen
des Arrests sofort als nicht gewahrt heraussteilen1); namentlich
aber, wenn der Kläger seiner Verpflichtung, seine Forderung und die
Ausbringung des Arrestes alsbald vor Gericht zu vertreten, nicht
nachkommt und infolgedessen der Gast einseitig die Aufhebung
des Arrestes beantragt, nachdem er den Besetzer zur Verhandlung
hat auffordern lassen. Diese Aufhebung kann entweder unmittel-
bar nach geschehener erfolgloser Ladung6) oder aber binnen be-
stimmter kurzer Frist danach') stattfinden.
l) Kleve Stadtr. (nach 1424) 110 §5 u. 7, ZRG. 10 S. 241.
*) Magd ob. Alphab. Samml. von Schöffenspr. Kap. 305. Waschersch-
lebcn S. 91.
») Diät. 111. 4 d. 4, Ortloff 8. 141.
*) Bist. III. 4 d. 4, Ortloff 8. 141: Frankfurt a/M. Priv. Karls IV.
(1376), Lünig IV. Cont. 8. 591. In Bist, wird das Gut verwahrt und event.
verkauft, nicht vom Kläger, sondern vom Hauswirt.
5) Vertrag Am st adt - Erfurt (1283), Anist. U. B. S. 23: Sofortige
Aufhebung des Repressalienarrestes, wenn der Rat der andern Stadt schrift-
lich versichert, daß daselbst dem Kläger Rocht gewährt worden sei und
fernerhin gewährt werden solle.
*) Goslar Stadtr. (um 1300), Göschen 66,35: Bist, III. 4 d. 9, Ort-
loff 8. 143: Koblenz altes Gerichtsbnch (1366—1424) 19 § 3, Bär S. 94.
7) Goslar Stadtr. (um 1300). Göschen 66,35: Bist. III. 4 d. 9, Ort-
loff 8. 143: Lüneburg 8tat. (vor 1400) L, Kraut 8.58. Bic hier überall
fe8tgclegte Frist von einem Tage kann nach Goslar a. a. 0. sogar noch eine
Verlängerung erfahren, wenn zur Zeit der Ladung der Besetzer nicht inner-
halb der Stadt weilt: diese Verlängerung wird in Bist. a. a. 0. ausdrücklich
zurückgewiesen mit der Begründung: wen da man is besaezte, da wüste her
(sc. der Kläger) wo/, da: man deute besaezttn ptte seit hand tutete fallen mit rechte
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111
Fünftes Kapitel.
Marktfriede und Prozeßgeleit.
Die allgemeine Geltung des foruin arresti und deprehensionis,
die weitgehende Möglichkeit Gäste aufzuhalten, erheischte not-
wendigerweise gewisse Einschränkungen ').
I. Eine Einschränkung allgemeinster Art war der sogenannte
Marktfriede. Unter seinem Schutz durften die Gäste und ihr Gut
nicht aufgehalten, ja es durften die Fremden nicht einmal vor
Gericht geladen und beklagt werden. In dieser höchsten Aus-
bildung erscheint der Inhalt des Marktfriedens seit etwa dem
13. Jahrhundert. Wie weit er sich indessen im einzelnen Fall
räumlich erstrecken sollte, und ob sein eben geschilderter mate-
rieller Inhalt auch schon in älterer Zeit der gleiche wie späterhin,
ob er namentlich auf Jahr- und auf Wochenmärkten derselbe ge-
wesen, darüber herrscht nicht vollständige Klarheit.
1. Was zunächst die Frage des räumlichen Wirkungs-
bereiches anlangt, so fallt Rietschel seine, auch von anderen
Schriftstellern*} vertretene Anschauung dahin zusammen: „Der
Theorie nach sollte dieser Marktfahrerfriede für alle Besucher
des betreffenden Marktes im ganzen Reiche Geltung haben;
tatsächlich mußte er sich auf die nächste Umgebung des
Marktes beschränken“ s). Dem wäre zu entgegnen, daß in Wahr-
heit dieser Gegensatz zwischen Theorie und Praxis in älterer
Zeit nicht vorhanden war, weil der Marktfahrerfriede ur-
sprünglich gar nicht ohne Weiteres für das ganze
Reich gelten sollte. Wohl aber bestand ein anderer Gegen-
satz. Die räumliche Erstreckung des Marktfahrerfriedens über
den Marktort hinaus war nämlich der Regel nach eine ver-
schiedene, jenachdem es sich um einen Jahr- oder nm einen Wochen-
markt handelte: sie stand in enger Wechselbeziehung zur
zeitlichen Dauer der einzelnen marktlichen Veran-
staltung.
') Kine Reihe von ihnen fallt zusammen Kleve Stadtr. Buch (nach 1424)
109 § 1, ZRG. 10 S. 239.
3) Vgl. v. Bclow S. 95. 90: Waitz VII S. 378; wohl auch Schröder S. 625.
S. 209.
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112
Es sei gestattet, zum Nachweis der Richtigkeit dieser Auf-
fassung zuvörderst an Riets eitel s!) Darlegung zu erinnern, daß
der in den Marktprivilegien der deutschen Könige seit dem
10. Jahrhundert auftretende bannux nicht die Verleihung der öffent-
lichen Gerichtsbarkeit bedeutet. Die Bann leihe gibt vielmehr dem
Marktherm die Befugnis, unter Königsbann einmal die Markt-
abgaben zu erheben, zweitens das ihm meist schon auf Grund
der Immunität zustehende, evtl, ihm noch besonders verliehene
Marktgericht zu halten, insbesondere Verletzungen der Markt-
besucher mit dieser hohen Strafe zu ahnden. Gerade diese sollten
wegen ihrer Teilnahme am Marktverkehr in eundo, cammorando et
redeundo einen durch Androhung des Königsbannes gewährleisteten
Frieden (fax) genießen:
mercatum omni die leyitimum construi concetsimug et om-
nibux quidrm eundem mercatum inquirenlibug paci/icum
aditum ac reditum nostri imperialis bannt distric-
tione firmiter xaneitnug .*)
Die Formel, unter der den Teilnehmern am Marktverkehr der
Friede erteilt wird, lautet in den Privilegien seit dem 10. Jahr-
hundert der eben zitierten Freisingsehen fast durchweg vollkommen
gleich. Es macht also — anscheinend wenigstens — keinen
Unterschied, ob der Friede einem Jahrmärkte3), einem Wochen-
') S. 195-200.
3) Freising Priv. Ottos III. (996), Keutgen Urk. S. 30. Vgl. ferner
Rietschel S. 202 und die Belege ebenda S. 203 Anin. 5 bis 12, sowie außerdem:
Salzburg Priv. Ottos III. (996), MG DD II, 208: Andlati Priv. Heinr. II.
(1004). MG DD III, 79; Magdeburg und Bremen Priv. Konr. II. (1035),
Keutgen ITk. S. 32. 33: Külbigk Priv. Konr. II. (1036), Mon. Bo. XXIXa
S. 49; Priv. Heinr. III. für Erzbischof von Mainz (1049), Bodman S. 200;
Wasserbill ich Priv. Heinr. III. (1056), Mittelrh. U. B. I S. 405.
3) Würzburg Priv. Konr. II. (1030), Mon. Bo. XXIXa S. 30; Donau-
wfirth Priv. Konr. II. (1030), Keutgen l'rk. S. 32 ; Magdeburg Konr. II.
(1035), Keutgen Urk. S. 32 ; Bremen Konr. II. (1035), Keutgen l'rk. S. 33:
Kaufungen Heinr. III. (1041), Stumpf nr. 50: Essen Heinr. III. (1041),
Lacomblet I S. 109: Verdun Priv. d. Bischofs (1082), Calinet III S. 78;
Metz Priv. d. Bischofs (1090), Calmet 11 S. 245, und (1130), Hist, de Metz
III S. 110: Sch vv&b iseh -Hall Priv. d. Bischofs (1156), Wirt. U. B. II
S. 103: Aachen Friedr. I. (1166) 3, Keutgen l'rk. S. 38.
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113
markte ') oder einem Markte zu Oute kommen soll, dessen einzelne
Tennine vom Marktherm auf Grund der ihm allgemein erteilten
Iwentia cimxtruendi mercatum s) nach eigenem Ermessen fest-
gesetzt werden :l). Die Befriedung des Marktes ist ein derart
allgemein verbreitetes Institut4), daß selbst da, wo die pax nicht
ausdrücklich mitverliehen ist, anzunehmen sein wird, daß sie als
eine dem Markte notwendig anklebende Eigenschaft in der Be-
fugnis des m ercatum construendi und in der Verleihung des bannux
von vornherein mit enthalten ist.
Dieser Marktfriede charakterisiert sich als ein Friede per-
sönlicher Natur, der den einzelnen Marktteilnehmern zu
Gute kommt, mögen sie nun speziell mercatares, myotiatores
oder aber sonstige Personen sein s). Abzulehnen ist die u. a. von
') Allensbach Otto III. (998), Keutgen Urk. S. Gl; Weinheim
Otto III. (1000), Keutgen I'rk. S. 31 : Andlau Heinr. II. (1004), MG. DD.
III. 79; Kaufungen Heinr. III. (1041), Stumpf nr. 50: Wasserb illich
Heinr. III. (1056), Mittelrh. U. B. I S. 405; Hagenau Fricdr. I. (1164) 10,
Keutgen Urk. S. 135.
s) Daß mtrcatum in solchen allgemein gehaltenen Verbindungen nicht,
wie Vargcs will, das Hecht des Handelsverkehrs, sondern einfach „Markt“
bedeutet, hat Itietschel S. 42 — 45 gezeigt. Bestätigt wird Rietschels Auf-
fassung noch dadurch, daß das Wort mtrcatum bei solchen Gelegenheiten
bereits in dem übertragenen Sinne von „Markt“, im Sinne nämlich von
Marktstätte, Kaufstadt gebraucht wird : abkati . . . lictntiam conctdimus . . . merca -
tum t d ificandi in viita que nunctcpatur Dumhtrio (Donchcry Heinr. II. —
1005 — in MG. DI). III. 96).
s) Meppen Otto I. (946), Keutgen Urk. S. 26: mtrcatum vtro constituant
publicum in Ulis ubicumqut abbati placuerit loch, paccmqut firmissimam tentant
aggredientes tt rtgreditnlts ct ibi manentes, eodtm modo sicut ab ante-
ccssoribus nostris rtgibus iam pridem aliis publicis mercatorum locis
conctssum erat; Odenhausen Otto I. (973), Keutgen Urk. S. 27; Frei-
sing Otto III. (996), Keutgen Urk. S. 30; Salzburg Otto III. (996), MG.
DD. II. 208: Villingen Otto III. (999). Keutgen Urk. S. 31 ; Helmars-
hansen Otto III. (1000), Keutgen Urk. S. 30: Kreuznach Otto 111.(1000),
MG. DD. II. 367; Priv. Heinr. III. fnr Erzb. von Mainz (1049), Bodman
8. 200; Kölbigk Konr. II. (1036), Mon. Bo. XXIX a S. 49; Wienhausen
Heinr. III. (1053), Janicke I. S. 88; Hirschbruck Heinr. IV. (1057), Mon.
Bo. XXIXa S. 140: Villach Heinr. IV. (1060), Mon. Bo. XXIXa S. 343.
*) Itietschel S. 200—202.
s) Hel marshauseu Otto III. (1000), Keutgen Urk. S. 30: omnes
neqotiatares ceterique m ercatum excolentes; Essen Hoinr. III. (1041}, La-
comblet I. S. 109: ne^otiatores ceterique homines ad pr c die tu »t nurcaiuu;
venientes , u. S. W.
Kudorff, Rechtes. st eil uns der Gäste ®
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114
Schröder1) vertretene Ansicht, daß der Marktfriede dinglich wirke.
Wenn Schröder sich zum Beweise auf die Privilegien beruft, die dem
Marktherrn die allgemeine Erlaubnis conetruendi mercatum geben,
so ist zwar zuzugestehen, daß mit ihrer Hilfe der Marktherr in
der Tat einen „ständigen“ Markt gründen konnte, indem er nämlich
an jedem Tage der Woche Markt halten ließ*). Auf diese für den
Marktherrn bestehende Möglichkeit hat auch schon Rietschel3)
hingewiesen, gleichzeitig aber mit Recht hervorgehoben, daß von
einer solchen Befugnis nur in Ausnahmefällen werde Gebrauch
gemacht wurden sein. Schröder läßt nun nicht nur diesen letzten
Gesichtspunkt, er läßt auch die Frage außer Acht, wie es denn
mit einem „ständigen“ Markt an solchen Orten hätte bestellt sein
sollen, wo das Marktbegründungsprivileg überhaupt nur einmal in
der Woche oder gar noch seltener Markt zu halten gestattete, wo
dem entsprechend der Friede der Marktbesucher eben nur für den
Besuch dieses Marktes, d. h. für diesen Markttag, festgesetzt
wurde. Schröder verkennt schließlich, daß der Friede speziell
der auswärtigen Marktbesucher außerhalb des Marktortes nicht
eine Eigentümlichkeit der Jahrmärkte darstellt, sondern für alle
Märkte gilt*), daß also dort nicht dem dinglichen Frieden ein
spezieller persönlicher Friede hinzutritt5), sondern daß dort wie
hier sich die rein persönliche Wirkung des Marktfriedens in be-
sonders klarer Weise äußert.
Schröders Meinung, daß nur der Jahrmarktsiriede (und zwar
außerhalb des Marktorts) persönliche Wirkung äußere, beruht
namentlich auf dem bekannten Privileg, das Konrad II. im Jahre
1035 dem Erzbischof von Bremen verlieh:
Becelino . . archiepiecopo mercatum in e.odem loco (sc. Bremen)
. . . habere conceesiwue, ea videlicet lege, ul bis in anno omne»,
i/ui illuc causa mercandi veniant, unu eice septem die t ante
Pentecosten, seeunda viee »imiliter septem die s ante feslieitatem
') 8. 625 in und bei Anui. 24.
s) Fand in der Tat an jedem Tage Markt statt, au ist die Vorstellung
denkbar, daß der Marktfriode in solchem Falle innerhalb des Marktortes
dingliche Wirkung erlangt hätte.
3) S. 45 und 46.
*) Oben S. 112 bei Anm. 2 und 3, S. 113 bei Anni. 1 — 3. Vgl. Rietschel
8. 202.
5) Vgl. unten S. 115 bei Anm. 1.
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115
S. Wülehadi . . ., annuale mercatum illic habeant. Bannum autem
nottrum super omnes box illuc venientes, ut illic eundo et redeundo
habeant pacem, facimus eundemque bannum noxtrum praedicto
arehiejtiscopo ob suumßdele servitium ea ratione concedimus, ut ei
in hoc statu/o tempore ex illuc venientibus aliqua temeritas evene-
rit , inde iustitiam jaciendi nrque dux neque coines neque aliquix
hominum preter ipxum xuosque successores licentiam habeant1).
Diesem Privileg hat Ri et sc hei, der die persönliche Natur des
Marktfriedens verlieht, eine andere Auslegung als Schröder gegeben,
die aber ebenfalls nicht zu billigen ist. Anknüpfend an das von
Otto dem Grollen dem Hamburger Erzbistum 005 gegebenen Privileg:
non .... conxtruendi mercatum in loco Bremun nuncupato
illi concexsisse licentiam [omnibux co nutet] . Bannum ... pre-
libutae conferimux sedi*),
sagt Rietschel: „Die Urkunde von 1035 enthält gegenüber den
früheren Urkunden etwas durchaus Neues, nämlich die besondere
Befriedung der von außen kommenden Marktbesucher. Der 1035
verlieheue Jahrmarkt genießt einen höheren Frieden als die
sonstigen Bremer Märkte; deshalb war eine besondere Begründungs-
urkunde für denselben erforderlich“ 3). Inwiefern aber das Privileg
den auswärtigen Marktbesuchern einen höheren Frieden als bei
sonstigen Märkten hätte verschallen sollen, ist bei Rietschels Auf-
fassung von der grundsätzlichen räumlichen Erstreckung des Markt-
fahrerfriedens über das ganze Reich4) nicht verständlich. Denn
das Privileg spricht weder in Ansehung der Art der Handlungen,
gegen die die Marktfahrer geschützt sein sollen, noch bezüglich
der auf solche Handlungen gesetzten Bannbußen etwas aus, was
den Inhalt dieses Jahrmarktfriedens über den Inhalt sonstiger
Marktfrieden erhöbe5). — Nur der vermag einen Unterschied
gegenüber dem bisherigen Rechtszustand zu entdecken, der mit
uns annimmt, daß kraft dieses neuen Privilegs die Marktfahrer
in einem weiteren Kreise außerhalb Bremens geschützt sein
sollten als bisher. Möglicherweise freilich teilt auch Rietschel,
') Keutgon Urk. 8. 33.
*) MG. DD I. 307.
») 8. 48.
4) S. oben 8. 112 bei Anm. 2.
s) 8. oben S. 112 bei Amn. 2 und 3, S. 113 bei Audi. 1 — 3.
8*
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der an sich die Existenz eines Bremischen Marktfriedens auch
schon vor 1035 nicht leugnet1), diese letzterwähnte Anschauung;
denn er setzt vielleicht voraus, es habe jener ältere Friede der
Marktbesucher nur für den Marktort Bremen selbst gegolten.
Aber eine derartige Voraussetzung würde mit Kietschels sonstigen
Ausführungen über den Marktfrieden nicht im Einklänge stehen;
er sagt ja anderwärts ganz allgemein3), daß die Marktbesueher
sich dieses Friedens „nicht nur während ihres Aufenthaltes am
Marktorte selbst, sondern auch während ilires Kommens und Gehens,
während der Hin- und Rückreise“, erfreuen sollen; „ja der
Schutz auf der Reise erscheint bisweilen als die Hauptsache“.
Um zur Klarheit über den Gehalt des Bremischen Jahrmarkt-
privilegs zu gelangen, ist zunächst das etwa einen Monat früher
erteilte Privileg Konrads H. für Magdeburg heranzuziehen; in
diesem Privileg heißt es:
Barmum nostrum imperialem super omnes ad mercatum
solennem Magedeburch venientes, iit illuc eundo et redeundo
habeant pacem , Jacimus eundemque bannum nostrum Jidelibus
imperxi ea ratione concedimus, ul si in statulo tempore ex
illuc venientibus aliqua temeräas evenerü , inde iusticiam Ja-
ciendi dux aut oomes vel et episcopus aut quisquis ha-
rn inum locum illum a nobis tenet lieetitiam habeant3).
Hier wird nicht wie in Bremen ein neuer Jahrmarkt gegründet,
sondern von einem schon zu Recht bestehenden Jahrmarkt von
nicht näher bezeichneter Dauer gesprochen. Magdeburg, dessen
Moritzkirche bereits 965 von Otto dem Großen im Wege eines allge-
meinen Marktprivilegs ein mercatum ') erhalten hatte, nahm bereits
im 10. Jahrhundert eine sehr bedeutende und vorbildliche4) Handels-
stellung ein. Daß sein Markt im allgemeinen und speziell der
erwähnte mercatus solcnnis jenen auch für die Reise gültigen
') Schon der Schlußsatz in dem oben S. 115 bei Anm. 2 abgedruckten
Privileg deutet darauf bin; vgl. oben S. 113 bei Anm. 4.
J) S. 202.
*) Keutgen Urk. S. 32.
4) Und dazu: quiequid hactenus utiiitatis exinde ad nostrum publicum ius
pertmere videbatur (in: MG. 1)D. I. 301).
5) Vgl. die Privilegien für Halb er stadt Otto 111. (989): et utditates
de eodem mercato ... et ba nno . . . possidcant sicut relique civitates, Magadaburg
et aliae , und für tjuedlin bürg Otto III. (994), Keutgen Urk. S. 28 bzw. 29
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117
Marktfahrerfrieden nicht genossen haben sollten, in dessen Besitz
zahlreiche andere und viel minder wichtige Märkte waren1), ist
durchaus unwahrscheinlich. Die anscheinend erst 1035 vorge-
nommene Begründung des Bannes über die Personen der zum
Magdeburger Jahrmarkt ziehenden Marktfahrer ist in Wirklichkeit
nur die feierliche kaiserliche Bestätigung eines bereits bestehenden
Zustandes. Sie gibt indessen die Grundlage ab für eine tatsächlich
neue Vorschrift, die auch im Bremischen Privileg wiederkehrt,
nämlich über die Ausnutzung des Königsbannes.
Beide Privilegien, das Magdeburgische wie das Bremische,
zeigen durch diese Vorschrift klar, daß an sich der Marktberechtigte
die Gerichtsbarkeit über die durch den Königsbann gefreiten
Marktfahrer nicht auch dann ohne Weiteres ausübte*), wenn
*) S. oben S. 112 Anm. 3 und S. 113 Anm. 1 und 3. Vgl. anch S. 116
Anm. 4. 5 und S. 113 bei Anm. 4.
'■*) Wie Kietschcl S. 205 und 20fi annimmt. Wo dergleichen ausge-
sprochen ist, handelt es sich um Ausnahmen. Namentlich möchten wir der
Aufzeichnung der Rechte des Herzogs von Lothringen gegenüber dem Kloster
St. I » i e im Tale Galiläa (1115 — 1123) 1, Waitz Urk. S. 48, nicht zu viel
Bedeutung beilegen, wenn es daselbst heißt : Si mansionarius Saneti Deodati ad
forum venertt et in die fori Urtia ferm in ipso foro , vel in via fori aliquant
culpam feeerit, seeundum iustitiam fori inde respondebit, d. h. vor dem Herzog.
Ks handelt sich in der Urkunde einmal, wie schon Waitz VII S. 132 her-
vorhebt. um eine Vereinbarung. Zweitens aber wird die Gerichtsbarkeit
des Herzogs lediglich über die mansionarii des Klosters festgestellt,
dessen Vogt der Herzog war und dessen mansionarii pertinentes ad prae-
bendam fratrum nach dem Privileg Papst Leos von 1051 (Calmet II S. 295 ff.)
nur daun widerruflich, gegen ‘/s der Gefälle, der Gerichtsbarkeit des Vogts
unterliegen sollten, wenn die Brüder ihn aus freiem Antriebe herbeiholten.
Lediglich diese letztere Einschränkung wird für Markttage nunmehr
ausgeschlossen. Wie es hier und anderwärts mit fremden Markt-
besuchern oder auf Märkten, deren Verhältnisse lediglich ein könig-
liches Privileg ordnete, gehalten worden, läßt sich demnach aus jener
Vereinbarung nicht schlieüen. — Das Stadtrecht von Soest (12. Jahrh.) 54,
Keutgen Ulk. S. 143, erklärt zwar ferner die preeones extra oppidum manentes
für kompetent, quohbet die quo forum servatur in Susato Ladungen vor das in
der Stadt abgehalteue Gericht auszufnhren. Diese Bestimmung bedeutet
indessen keine Erweiterung der örtlichen Zuständigkeit des StadtschultheiQen
(Gaugrafen) zur Marktzeit. Das Gericht desselben erstreckt sich vielmehr
nicht allein auf den Baum infra opidum Susalense , sondern auch extra ad unum
miliare eircumqnaque (Bestand des Marschallamts in Westfalen — 1293 bis
1300 — , Scibertz I S. 019 bis 621). Der Sinn jenes § 54 ist also lediglich.
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118
letztere außerhalb seines Gerichts- (Immunität«-) Bezirkes wider-
rechtliche Angriffe zu erdulden hatten. In Magdeburg wie in
Bremen ist vielmehr erkennbar, daß an sich außerhalb des
Immunitätsbezirkes die Inhaber der öffentlichen Gewalt, Herzog,
Graf u. s. w., über Brüche des Marktfriedens zu richten und —
fügen wir hinzu — auch den Königsbann einzuziehen hatten1),
der auf der Person der Verletzten (super omnes ad mercatum ve-
nienies) ruhte*). In beiden Privilegien soll nun in dieser Beziehung
daß an Markttagen wegen des größeren Verkehrs neben den Stadtbütteln
(§§ 11. 45 des Stadtrechts, S. 622 bis 623 des Bestandsverzeichnisses) auch
die auf dem nahen Lande gesessenen Fronboten des Stadtrichters zn ge-
richtlichen Handlungen innerhalb der Stadt herangezogen werden dürfen. —
Übrig bleiben würde also nur die Bestimmung der Statuten von Höxter
§ 4, Gengier S. R. S. 202, wegen des dortigen siebentägigen Jahrmarktes:
Si ix assus aliquis infra tluo miliaria ineiderit, iudicabitur , st pervenerit ad quere-
laut infra septem dies iam die/es; si quid vero ante actum fuerit, per omnia liberum
permanebit. Ks erscheint aber sehr zweifelhaft, ob dieser für einen engen
Raum bestimmte und verhältnismäßig späte (der Jahrmarkt wurde iui zweiten
Viertel des 13. Jahrhunderts vom Abte Hermann von Corvey gegründet) Satz
genügt, um die Erstreckung der Zuständigkeit des Marktgerichts auf alle
außerhalb des Marktortes, aber während der Marktzeit geschehenen Ver-
letzungen von Marktfahrern allgemein wahrscheinlich zu machen.
•) Wo das ausnahmsweise nicht der Kall sein, wo vielmehr der Markt-
berechtigte auch außerhalb seines eigenen Jurisdiktionsbezirkes (Markt-
friedensbrüche richten und) die Bannbußen cinzichcn soll, wird das ausdrücklich
hervorgehoben, so in dem von Kietschel S. 210 zutreffend ausgelegten allge-
meinen Marktprivileg Ottos III. (Kcntgen Urk. S. 31), das dem Grafen Berthold
im Jahre 999 bezüglich des Ortes Vi Hingen cum moneta, teloneo ac totius
publicae rei banno, in comitalu quoque ßara, qsseui Hilibaldtts eomes
teuere et potenter videtur placitare, erteilt wurde.
3) S. die beiden Privilegien für Magdeburg und Bremen oben S. 116
bei Anm. 3 und S. 115 bei Anm. 1: s. ferner oben S. 113 bei Anm. 5 und
114 bei Amn. 4. Insofern die Bannbuße wegen eines außerhalb des Markt-
ortes an den Marktfahrern verübten Friedensbruches einem auswärtigen
Richter znficl, bestand der Vorteil eines dem Marktherrn bei Königsbann
zngcsicherten Marktfahrerfriedens nicht in der Erhebung der Bannbuße durch
ihn selbst, sondern nur in der voraussichtlich infolge jener Zusicherung
größeren Frequentierung des von ihm zu errichtenden Marktes. - Bei dieser
Gelegenheit sei daraufhingewiesen, daß die Fassung: si ex illuc venientibus
aliqtta ttmeritas evenerit in den beiden Privilegien für Magdeburg und Bremen den
Anschein erweckt, als handele es sich um Gericht und Bann wegen Ver-
gehen, die sich die Marktfahrer selbst zu Schulden kommen lassen, was
aber mit der Motivierung: ut illuc eundo et redeun, tu Imbeant paccm nicht zu-
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119
eine Begünstigung des Marktherm, des Erzbischofs, eintreten.
Während aber in Magdeburg in bestellende Verhältnisse einge-
griffen wird und deshalb Marktherr und öffentlicher Richter in
der Ausübung der Jurisdiktion über die reisenden Marktbesucher
und demzufolge im Bezüge der Bannbuße nur konkurrieren sollen1),
werden in Bremen, wo der Jahrmarkt neu begründet wird, Her-
zog, Graf u. s. w. von beidem ausdrücklich völlig ausgeschlossen
und diese Befugnisse ob sunm fidel e servitium dem Erzbischof
allein zugeschrieben.
Diese Verleihung eines erweiterten Jurisdiktionsrechtes über
die nach Magdeburg und Bremen ziehenden Marktfahrer erklärt
aber immerhin noch nicht den Umstand, daß der Erzbischof von
Bremen trotz seines Marktrechtes den Jahrmarkt selbst nicht
ohne die Erlaubnis des Kaisers einrichtet. Es ist das
eine Frage, die auch für Würzburg auftaucht. Hier herrschte ein
Marktverkehr von so hoher Blüte, daß täglich Markt gehalten
wurde. Trotzdem lautet ein im Jahre 1030 von Konrad II. dem
Bischof erteiltes Privileg:
ibidem monetam public am . naulum . mercatum cotti-
(lianum . thelonettm . et tat im civitatis eiuxdem dixtrictum .
nie nt finerat ante noxtra tempora constitutum . in pre-
fati epixeopi eiusipie xueeexxorum potextate deinde esse conce-
dimus . confirmamux ae stabilimus. Insuper nos . . . mer-
catum annualc a XVI Kal. Septembris usque VIllI Kal.
eiuxdem mengix ibidem finre permittimus et Omnibus
illac ennfiluentibus . ibi de morantibus . inde receden-
tibux pacem legem . nc iuxticiam fieri praecipimux *).
Obwohl also der würzburgische Bischof, ebenso wie der bremische
und der magdeburgische Erzbischof, sich als Marktherr eines all-
gemeinen, übrigens nicht überlieferten Markt}) rivilegs erfreut haben
muß, und obwohl ferner, ebenso wie in Bremen und in Magdeburg,
samuienstimmcn würde. Mit Rücksicht auf diese Motivierung wird jene
Vorschrift von Ausschreitungen zu verstehen sein, die zwar infolge dos
Kommens auswärtiger Marktfahrer entstehen, aber nicht nur durch sie ver-
schuldet werden.
‘) Nach welchen Grundsätzen, wird nicht gesagt: möglicherweise ent-
scheidet Prävention.
») Mon. Bo. XXIX a S. 30.
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gerade auch für Würzburg die Nichtexistenz eines Marktfriedens das
Unwahrscheinliche ist, bedarf der Bischof eines besonderen kaiser-
lichen Jahrmarkts- und Friedensprivilegs. — Die Schrödersche
Erklärung ist abgelehnt worden*). Aber auch Rietschels An-
sicht, daß die allgemeine licentia rniuinumdi merratum dem Markt-
herrn an sich auch die Befugnis zur Errichtung von Jahrmärkten
gebe*), vermag ebenso wie seine Erläuterung des angeblich nicht
widersprechenden Bremischen Privilegs*) nicht aufzuhellen, wes-
halb der Kaiser in Würzburg und in Bremen ein Jahrmarkts- und
Friedensprivileg erteilt. Dies ist nur dann verständlich, wenn trotz
des Vorhandenseins einer allgemein erteilten licentia cotutruendi
mercatum besondere Verleihung des Jahrmarktrechts und des ent-
sprechenden Friedens notwendig war. Diese Notwendigkeit aber
rührt, wie schon oben angedeutet und jetzt nachzuweisen ist,
daher, daß der Jahrmarktsfriede sich vom gewöhnlichen Markt-
frieden durch weiteren räumlichen Geltungsbereich unterschied.
a) Daß Inhalt und Ausübung des Friedensschutzes auf den ver-
schiedenen Märkten übereinstimmte, ist schon oben hervorgehoben
worden*). Wäre aber außerdem Rietschels Auffassung von der
(theoretischen) Ausdehnung des Marktfriedens über das ganze
Reich zutreffend 5), so würden Wochen- und Tagesmärkte durch-
weg ebenso gefreit gewesen sein wie die Jahrmärkte, die Märkte
der „Fremden“ 6). Unwahrscheinlich indessen ist von vorn-
herein, daß die Marktprivilegien der sächsischen und salischen
Kaiser, diese in eminentem Sinn praktischen Dokumente, gerade
in Ansehung des Marktfriedens jener, wie Rietschel selbst sagt’),
praktisch völlig undurchführbaren Theorie gehuldigt haben sollten.
Der Wortlaut der erwähnten Dokumente8) braucht jedenfalls
nicht in diesem Sinne gedeutet, insbesondere der Ausdmck in
*) Oben S. 114 bei Anrn. 1 und 5, S. 115 bei Anm. 1.
*) S. 45—49.
*) Oben S. 115 bei Anm. 3.
*) Oben S. 112 bei Anm. 3, S. 113 bei Anm. 1—3.
s) Oben S. 111 bei Anm. 3.
*) Vgl. Keutgen Urspr. S. 187 ff.
*) S. oben S. 111.
*) Über Marktprivilegien des 13. Jahrhunderts s. unten S. 124, besond.
Anm. 3. 4. Wegen der scheinbaren Ausnahme des Marktprivilegs für
Allensbach (998) s. unten S. 122 bei Anm. 3. S. 123 bei Anm. 1 und 2.
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121
redeundo nicht auf das Wiederanlangen des Marktfahrers am Aus-
gangspunkt seiner Marktreise bezogen zu werden. Die pau: in
oeniendo und in redeundo bezeichnet den Genuß eines Friedens
beim Kommen und beim Gehen '), Anfangs- und Endtermin dieses
Friedens dagegen bleiben bei dieser Ausdrucksweise zunächst
völlig offen.
Diese Lücke nun wird ausgefüllt und zwar in verschiedenerWeise,
je nach dem, ob ein Jahrmarkt oder ein sonstiger Markt in Frage
steht. Eine charakteristische Eigentümlichkeit des Jahrmarktes
ist nämlich, daß er mehrere Tage hinter einander dauert*); er
erstreckt sich als eine Einheit über mehrere Tage hinweg, per
dies continuo», wie es häufig in den Jahrmarktsprivilegien heißt.
Je bedeutender der Jahrmarkt werden soll, um so längere Zeit
nimmt diese Einheit in Anspruch. Anders steht es offensichtlich
mit dem mercatum cottidianum ’), dem mrrcatum omni die legiti-
mum *), das der Marktherr auf Grund einer allgemeinen licentia
construendi mercatum errichtet. Markttag folgt hier auf Markttag,
aber eine höhere Einheit fehlt. Dieser Unterschied zeitigt eine
wesentliche Rechtsfolge, eine verschiedene räumliche Erstreckung
des Marktfriedens. Des letzteren zeitliche Dauer nämlich ent-
spricht der Länge der betreffenden marktlichen Veranstaltung6).
Nichts liegt näher, als den Frieden des mehrtägigen Jahrmarktes
ebenso wie diesen selbst als eine Einheit aufzufassen gegenüber
dem an jedem Markttage sich erneuenden Frieden des Tages-
(oder Wochen-) Marktes. Nun währt aber, wie scharf betont
werden muß, der Marktfrieden für die Marktteilnehmer nicht
nur am Marktorte selbst, sondern auch außerhalb des Marktortes
nur so lange, als der durch ihn geschützte (Tages-, Wochen-, Jahr-)
Markt selbst andauert6). Berücksichtigt man dies, so ergibt sich,
l) Vgl. auch Wien Stadtr. (1296) 36, Keutgen Urk. S. 219: alle, die zu
dem jarntarchSe (kontent, .... sein vri di zit und si dar choment zu dem jar-
marckte un drutaeile si da beleihen un d aueh so si von danne varent .
s) Eine Ausnahme bildet möglicherweise Breitungen Heinr. V. (1114),
Kuchenbecker XII S. 321: s. auch unten S. 133 Anni. 5 (Koblenz).
3) S. oben S. 119 bei Anin. 2, sowie Besan<;on Priv. des Erzb. (1044),
Dunod, Histoire de l’eglise. . . de Besancon. 1750. S. 47.
4) S. oben S. 112 bei Anni. 2 und Salzburg (S. 112 Anm. 2).
5) Darüber s. unten S. 127 ff.
*) Darüber s. unten S.128— 131.
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daß der auswärtige Teilnehmer eines Tages- (oder Wochen-) Marktes
auf seiner Hin- und Rückreise nur dann durch den Frieden dieses
Marktes gefreit wird, wenn (unter Berücksichtigung seiner augen-
blicklichen Entfernung vom Marktort) seine Teilnahme am Markte
des Reisetages möglich erscheint. Anders der Besucher des mehr-
tägigen Jahrmarktes. Wofern der letztere bereits begonnen hat
bezw. noch nicht beendigt ist, steht der Reisende unter dem Schutze
des einheitlich über mehrere Tage erstreckten Jahrmarktfriedens.
Und mag er unter Umständen mehrere Tagereisen vom Marktorte
entfernt sein, unter entsprechender Anwendung der für den Tages-
(oder Wochen-) Markt entwickelten Voraussetzung ist er dieses
Schutzes trotzdem teilhaftig. Es erhellt aus dieser Darstellung,
daß selbst der Jahrmarktsfriede sich seiner Natur nach nicht über
einen sehr großen Umkreis, geschweige denn über «las Reich er-
strecken sollte. Das kann aber um so weniger befremden, als —
wie Rietsche! hervorhebt — einmal die tatsächlichen Verhältnisse
dazu stimmen'), zweitens aber die ferneren Marktteilnehmer, um
derentwillen der Jahrmarkt überhaupt geschaffen wurde, in der
Regel Kaufleute waren und, planmäßig von Markt zu Markt
reisend, aus einem Marktfrieden aus- und alsbald in einen andern
eintreten konnten.
b) Soweit die stereotyp gehaltenen Quellen überhaupt Auskunft
über den räumlichen Geltungsbereich des Marktfriedens, insbesondere
des Friedens des Jahrmarktes, geben, bestätigen sie die soeben
aus allgemeinen Gesichtspunkten entwickelte Unterscheidung zwischen
dem Frieden des Jahrmarktes und dem anderer Märkte.
i. Zunächst seien einige scheinbare Widersprüche der Quellen
gegen diese Unterscheidung behandelt.
Im Gegensatz zu den oben gegebenen Ausführungen2) erscheint
es unterweilen so, als habe sich die Geltung des Marktfriedens
für die Marktfahrer in der Tat auf ihre gesamte Reise, namentlich
also bis zu ihrer Wiederankunft zu Hause, erstrecken sollen. In
dem Marktprivileg Ottos III. für Allensbach5) heißt es in der
Tat:
') 8. oben S. 111.
ä) 8. 120 bei Anm. 8 und S. 121 bei Anm. 1.
*) (998), Keutgen Lrk. S. 61.
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123
. . ut i/uicunu/ue et undecumque ad «upradictum mercatum
venire voluerit, »teure et pacijiee veniat et . . . neyotia rxerceat
. . . atipie ad propria cum omni pacie eecuritate redeat.
Bezeichnenderweise aber handelt es sich hier lediglich um die
Verleihung eines Wochenmarktes, dessen vorzügliche Bestimmung
es ist, von Leuten der näheren Umgegend besucht zu werden, die
ihren Wohnort am Tage des Marktes selbst verlassen und wieder
aufsuchen. Von diesem Regelfälle aus betrachtet zeigt das er-
wähnte Privileg dieselbe Tendenz wie das bald darauf, nämlich
1004 von Heinrich II. mit Bezug auf Andlau erlassene, wonach:
omnee hominen in eine dem loco mercati invicem negodantee
pacem et s ecuritatem in Circuit u per epatium milliarii
c er tarn noetri banni et de/ensinnie teneant ').
Auch hier kommt wieder nur ein Wochenmarkt in Frage
und auch hier soll, bloß schablonenmäßiger als in Allensbach,
der Kreis der Leute, die regelmäßig an einem Wochenmarkt teil-
nehmen und dessen Frieden genießen, territorial festgelegt werden,
wie wir das späterhin auch bei anderen Märkten2), sowie zu
') MG. DD. III. 79.
*) Auch in Hagenau Stadtr. (1164) 10, Keutgen S. 135, ist der Satz
Friedrichs I.: Omnibus predicli loci fomm petentibus etindo vel redeundo hfra
miliaria tritt cireunujuaque . . imperiali rnaiestate pacem Jirtnam indicimus , ebenso
wie die Vorschrift des Rechtsbriefs für Landshut (1279) 6, Genglcr St.R.
S. 234 (2 Meilen), von einem Wochen- (oder Tages-) Markt zu verstehen, da
ein Jahrmarkt in den betreffenden Urkunden nicht erwähnt wird, ln der
Tat mußte bei jenen häutig wiederkehrenden und durchschnittlich immer von
denselben Leuten der Umgebung aufgesuchten Märkten der Versuch nahe
liegen, ihren Friedenskreis örtlich zu fixieren, und Rietschels Hindeutung
auf die Identität der Bannmeile iS. 210), welche ihrerseits nicht mit dem
städtischen Gerichtsbezirk zusammenfällt, hat viele Wahrscheinlichkeit für
sich. Vgl. auch Freiberg Stadtr. (1296 — 1307) II § 13, Krmisch| S. 47:
welch man warnt in derselben utile umme Vribere linde alle tage in die stat
wandert. - Die spätere Zeit, in welcher sich das Bewußtsein von der
ursprünglichen Bedeutung des Markt-, namentlich des Jahrmarktfriedens und
von dem Zusammenhang seiner zeitlichen Dauer mit seiner räumlichen Er-
strcckung verwischte, hat dann gelegentlich auch bei Jahrmärkten den
Friedenskreis durch eine bestimmte Meilenzahl fixiert, so in den von
Rietschel 8. 209 und 210 erwähnten Statuten von Höxter (1223 — 1257) 4
und in dem Privileg für Rotenburg (1274) 7, Gengier St. R. S. 202 bzw.
383. ln Zülpich Weist, j 2, Grimm Weist. VI S. 680, gilt der Jahrmarkts-
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124
sonstigen Zwecken bei anderen Gelegenheiten '), linden. Eine Vor-
schrift, wenigstens der Art wie für Allensbach, würde dagegen
dem Sinne des Marktfriedens der alteren Zeit widersprochen haben,
wenn man sie auch auf Jahrmärkte hätte anwenden wollen. Hier
herrschte die Abhängigkeit des Raumes von der i mehrtägigen)
Dauer des Friedens; diese Abhängigkeit wird zu einer derartigen
Vorschrift wie der Aliensbacher einmal in einer — französischen —
Privilegserneuerung geradezu in Gegensatz gebracht:
et puet cascuns venir a le feste au Quesnoit le fran -
quise de le feste durant sans estre pris ne arestes
pour debte quelconque , et en tel manibre toutes gens qui
viennenl au Quesnoit au marquiet le mardy ne doivent
estre pris ne areste: pour quelconque dette ains doivent. avoir
leur rethour ä leur maison-).
Nicht aber ist zu übersehen, daß in späterer Zeit auch kaiser-
liche Jahrmarktsprivilegien Vorkommen, welche den auswärtigen
Marktbesuchern uneingeschränkten Frieden während der gesamten
Hin- und Rückreise zuzusichern scheinen. Von diesen Besuchern
heißt es zum ersten Male in dem Privileg Friedrichs II. für
Speier von 1245:
quod in personis et rebns undique serrentur indempnes et
nullus audeat eos oßendere . . , doner ad preta.ratum locum
eeniant et sitb eiusdem nostra et. imperii securitat.is indul-
gentia salubriter ad propria renertantur*).
Doch wird in diesem wie in anderen ähnlichen Jahrmarkts-
privilegien 4) hervorgehoben, daß die Marktfahrer stehen sub nostro
friede ausdrücklich nur innerhalb der Bannmeile, von der bzw. bis an die
der Schultheiß die Marktbesucher zu und von der Stadt zu geleiten hat.
') Bei den Gastgerichten (unten Kapitel VI), beim Eiendeneid (oben
S. 30 bei Anm. 2), beim < ierichtsstando (oben S. 56 Anm. 4 a. E.).
s) Bestätigung der Freiheiten von l)nesnoy durch den Herzog von
Baiern (um 1180), Wauters S. 38.
*) A. Hilgard, Urkunden zur Geschichte der Stadt Speyer. Straßburg
1 885. S. 54.
*) Bamberg Friedr. II. (1245), Mon. Bo. XXXIa S. 309: vgl. auch
Worms Lndwig d. Bayer (1330). H. Boos, Urkundenbuch der Stadt Worms.
Berlin 1890. II S. 1G8, und Köln Karl IV. (1355), l.acoinblet III S. 454. —
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125
et imperii securo ducutu, d. h. unter dem unentgeltlichen1) Ge-
leitsschutz des Reiches. Und dieses führt zu der wahrscheinlichen
Erklärung von Fassungen wie der des Privilegs für Speier. Schon
in sehr früher Zeit wurde Kaufleuten bestimmter Orte oder
Gegenden ein weitgehender kaiserlicher (Geleits-) Schutz auf ihren
Reisen durch das ganze Reich versprochen, der mit dem Markt-
frieden, einem an bestimmte Gelegenheiten gebundenen und für
einen unbeschränkten Kreis von Personen bestimmten Frieden, nicht
identisch ist. So erneuert z. B. Otto II. im Jahre 975 ein von
seinem Vater den mercatoribus Magadeburg habitantibus erteiltes
Privileg mit den Worten:
([Und ubique in nostro regno, non modo in Christianis
sed etiam beerbaricis regionibus, tarn eundi quam redeundi
licentia sit sine ullius molestia *). .
Derartiger Schutz ward späterhin den Kaufleuten überhaupt zuge-
billigt; schon das bekannte Privileg Friedrichs I. von 1173:
mercatores sub nostro conductu salvis rebus et per so nie
habebunt ascensum et descensum in Reno et in aliis aquis sive
terris in imperio nostro constitutis1)
ist sehr wahrscheinlich hierher zu rechnen4), während jedenfalls
ohne Beziehung auf Kaufleute bestimmter Herkunft sich Friedrichs I.
Landfriede für Franken allgemein dahin äußert:
. . . mercatores ... omni die .. . pacem habeanti).
Da die Jahrmärkte dazu bestimmt waren, gerade von ferner
wohnenden Kaufleuten besucht zu werden, so war es, als jener
allgemeine Kaufmannsfriede sich ansgebildet hatte, verständlich,
daß man den alten besonderen Frieden der Jahrmarktsbesucher
Erwähnt rauf! indessen werden, daß sogar das Privileg für Speyer Wen-
dungen enthält (Statutes loeo et Umpore), die so ansgelegt werden könnten,
als habe der Friede doch in alten) Sinne eine zeitliche Beschränkung ge-
nießen sollen: so sicher Krefeld Karl IV. (1373), Lacoinblet III S. 644:
supradietis lemporiius und per ooine tempus quo nundinas ipsas observari decrevimtts.
■) H. Kalisch, Über das Verhältnis des Geleitsregals zum Zollregal.
In. Diss. Berlin 1901, bes. S. 5 Anm. 1, S. 13 und 15.
*) Magd. U. B. I S. 8: Zuwiderhandelnde zahlen der königlichen Kammer
zehn Talente Gold.
3) Keutgen Urk. S. 52.
*) Vgl. oben S. 51. 52.
i) Böhmer Acta nr. 138. — Einen ähnlichen (unentgeltlichen) Geleits-
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126
mit diesem Frieden verschmolz, die Marktfahrer also für das ganze
Gebiet des Reiches unter den Geleitsschutz des Reiches stellte.
Ein zweiter Widerspruch gegen unsere Aufstellungen würde
es sein, wenn nachweislich schon im 1 1. Jahrhundert von Herren,
die an ihrem Bischofssitze das volle Marktrecht besaßen, durch-
gängig ohne Bewilligung des Kaisers auch mehrtägige Jahrmärkte
mit entsprechender Befriedung eingerichtet worden wären. Diese
Annahme von Rietscliel1) und Waitz*) bedarf indessen einer ent-
schiedenen Einschränkung, ln Nörten, wo der Erzbischof von
Mainz schon im Jahre 1055 einen Jahrmarkt errichtet haben soll,
handelt es sich in Wirklichkeit um die Neubegründung eines
Klosters, dem die Einkünfte eines schon bestehenden Jahrmarktes ’)
teilweise verliehen werden, ohne daß über die Entstehung des
Marktes selbst etwas mitgeteilt würde. Was ferner Halberstadt
anlangt, so sagt zwar 1136 der Bischof Rudolf vom Bischof
Reinhard in der großen Bestätigungsurkunde der Rechte des
Paulsstiftes: in cuius consecratioiu forum conttifuü et eiue teloneum
ad tegendum monasterium . . . donacit *). Aber diese allgemeine
historische Bemerkung zwingt durchaus nicht dazu anzunehmen,
daß Bischof Reinhards Marktgründung der Bewilligung des Kaisers
ermangelt habe, da in der Urkunde das Wesentliche nicht die
Art der Marktbegrflndung, sondern das Zollrecht des Klosters
schütz für das Gebiet seines Territoriums scheint der Herzog von
Zähringen zu versprechen omnibus forum meurn (sc. Friburg) querentibus (Frei-
burg i. B. Stadtr. § 1. 3J — 1120 — , Keutgen Urk. S. 117. 118); forum be-
deutet hier nicht ..Markt“, sondern .Marktansicdlung". — Oer (zeitlich
beschränkte) Friede, den die Landesherren den Besuchern der in späterer
Zeit von ihnen gegründeten Märkte zusichern, heillt häufig «Geleit“: Vgl.
Hamui Stadtr. (1213) 16 und 18, Keutgen Urk. S. 150 (dies fori per singulas
seplimanas conductum liberum sistguäs exhibcant); Eisenach Priv. (1283) 28,
Gaupp St. K. II S. 203: Euskirchen Priv. (1322) 1. 2, Ami. d. hist. V. f.
d. Niederrb. 51 S. 102: Zülpich, oben S. 123 Aiiui. 2 a. K.
l) S. 48 f.
») VII S. 387.
*) eiusdem Mereati [ 'annut j eensum omni anno, t/ni mee administra-
batur mense, eorum dilectioni sic divisi (Gudenus I S. 21). — Von dem erz-
bischöflichen Privileg für Johannisberg (1089- 1109), Nass. U. B. 1 S. 108,
läßt sich dasselbe wie bei Halberstadt (unten S. 127 bei Anm. 1) sagen.
') Schmidt 11. B. S. 295. Bischof Reinhard regierte von 1 106 bis 1122.
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127
ist Ähnliches dürfte auch auf des Bischofs Hermann Jahrmarkts-
privileg vom Jahre 1090 für die Kirche St. Klement bei Metz
zutreffen, wo es heißt:
nundina» per oeto cotUinuox die x xnibi solemniter t eitert
constitui ntus, pacent jirmam omnibus illw properuntibus sub
anathematis interminalione habendain denuntiantes : reum
tarnen homicidii hinc e.rclndimu s ... Et iptoniam bas nundi-
nas bannales esse censemut, sollicite Adcocatus . . provideat ,
ne tpiid . . detrahatur *).
An sich hätte es zwar viel Wahrscheinlichkeit für sich, daß
Bischof Hermann von Metz, einer der eifrigsten Gegner des Kaisers
(Heinrichs IV.), sich hier ein Recht angemaßt hätte, das ihm in
Wirklichkeit nicht zustand. Ebensogut aber ist es möglich, daß
er sich zwar die Bewilligung des Kaisers verschafft, ihre aus-
drückliche Erwähnung aber in seiner Ausführnugsurkunde ge-
flissentlich ebenso übergangen hätte, wie er zwischen 1080 und
1090 in seiner Rekonstruktionsurkunde des von Bischof Adalbero HI.
1049 dem Kloster St. Arnold bei Metz verliehenen achttägigen
Jahrmarktes die damalige Einwilligung des Kaisers Heinrich III.
stillschweigend außer Acht läßt3).
fl. Wenden wir uns nunmehr zu den positiven Äußerungen der
(Quellen über den örtlichen Geltungsbereich des Marktfriedens, so
sind von solchen Zeugnissen, die sich nicht näher über den mate-
riellen Inhalt des Marktfriedens verhalten, zunächst hervorzuheben
die beiden oben abgedruckten Privilegien für die Erzbischöle
9 Dali es sieh um den (iallusmurkt und um eine mehrtägige Dauer
handelt, ergibt sich i. I!. erst aus der Bestätigungsurkunde des Bischofs
Dietrich (Schmidt t'. B. S. 301). — Das bischöfliche Privileg für Abt und
Kloster St. Airy bei Verdun (1082), Calmet III S. 7 und 8, kommt über-
haupt nicht in Betracht, weil der dort verliehene Jahrmarkt zweimal im
Jahre und zwar immer nur au je einem Tage, zu St. Andreas und St. Age-
ricus, etatttindet. «Iso keines besonderen Friedens bedarf.
-) < 'ahnet II 8.245. Das Privileg wurde 1130 vom Bischof 8tephan
von Metz bestätigt (Hist, de Metz S. 110).
3) Die betreffende Urkunde von 1041) (oder 1052), bei Calmet erste
Aull. 1 S. 442 bezw. zweite Aull. II S. 306, ist zwar in der vorliegenden Perm
gefälscht, doch liegt ihr eine echte Urkunde zu Grunde und ist zweifellos der
Abtei damals ein Jahrmarkt verliehen worden (Miisebeck S. 187, 195). Dali
es sich ebenso wie bei dem Jahrmarkt der Abtei St. Klement um einen
achttägigen Jahrmarkt handelt, ist daraus zu entnehmen, dafl Bischof Her-
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128
von Magdeburg und Bremen '). Die Handhabung des Bannes über
die Marktfahrer auch außerhalb des Inununitatsgebiets des Markt-
herrn, mag sie nun durch diese selbst oder die königlichen Ge-
richtsbeamten ausgeübt werden, darf stattfinden nur in hoc slufuto
tempore, d. h. sie findet ihre zeitliche (und damit ihre örtliche)
Begrenzung in der Dauer des Jahrmarktes selbst. Des Ferneren
ist hinzuweisen auf das mit Bewilligung des Kaisers dem
neu gegründeten Münster Hall vom Würzburger Bischof 115Ü
erteilte Jahrmarktsprivileg:
sollemne forum ante et post festum sancti Michahelis conti-
nuis septetn diebus celebrandum indivimus et eo euntibus et
inde revertentibus per XJIIl. dies pacem . . . sub ana-
themate con/irmavimus [).
Der auf den St. Michaelstag gelegte Markt soll sich auf sieben
Tage vor und sieben Tage nach diesem Feste erstrecken und
während dieser vierzehn Tage — der Festtag selbst wird als
selbstverständlich bei Berechnung der Friedenszeit nicht ausdrück-
lich mitberücksichtigt, wie sich Entsprechendes übrigens nicht selten
auch anderwärts findet 3) — sollen die Marktfahrer auf Hin- und
Rückreise Frieden haben4).
mann in seinem Rekonstruktiuns- Privileg (1080—1090), Cahnet II S. 306,
gewissen Geistlichen der Kathedrale sowie dem advocatus civitatis fünf Solidi
verteilt mm Ersätze für die Gelder, qui sibi eon/eruntur de privatis mtreatis
octo ditrum; denn die kleineren (täglichen) Märkte, die bis zu diesem Zeit-
punkt während der acht Tage der neu belebten St. Arnulfsmesse ge-
halten worden sind, besitzen neben dieser entweder überhaupt keine oder
doch nur eine beschränkte selbständige Existenz und versprechen deshalb
für die genannte Zeit überhaupt keine oder doch nur verminderte Einnahmen.
*) 8. 114 und 116.
s) Wirt. U. B. II S. 103.
3) Eisenach Priv. (1283) 29, Gaupp St. K. I S. 203: Item in festis (St.
Georg, Johann d. T., Mariä Geburt, Matthäus Ap.) omnes , qui ad nestras lite-
rales nundinas Isenaeh venerint , nostrum dueatum pirmum tribus diebus antra et tri-
bus diebus postta habt bunt . . . ex ceptis itlis, qui proscripti sunt et für es , Ander-
nach Jahrmarktsverlegung (1332), Günther III Abt. I nr. 187: ordinamus
nundinas . . in die beati Bartholomei . . annis singstlis perpetue servandas , . . conee-
denles, ut omnes . ad ipsas nundinas . . venientes per novem dies ante et per novem
dies post libertate otnnimoda fruantur , sie quod nullus alium in ipsis novem diebtu
ante et post sie sta/utis in dieto nostro opido Andernaeensi . . . arrestare vtl impetere
valeat. Vgl. auch Essen Heinr. III. (1041), Lacnmblet I S. 109.
*) Vgl. auch die angebliche (s. oben S. 52 Anui. 1) Friedeusverleiliung
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129
Unter den Marktprivilegien, die sieh anch über den Inhalt des
Marktfriedens verbreiten, ragt als eines der ältesten Friedrichs I.
Urkunde aus dem Jahre llßt5 über die zwei 16-bezw. 17-tägigen
Jahrmärkte zu Aachen hervor1). Es heißt zwar wie gewöhnlich:
omnes i/uoi/t/e ad bas nundinas venientes cd inde redeuntes
vel ibidem commorantes in rebus et personis firtnam pacem
habeant ;
voran geht aber die Bestimmung:
nullux mercator vel (/uelibet alia persona in bis nundinix
mercatorem in causam ducat pro debito solrendo vel alio quo-
libet negocio quod ante nundinas perpetratum fverit; sed si
in nundinis aliquid perperam factum fuerit, in nundinix
secundum iusticiam emendetur.
Man wird Rietschel in seiner Ansicht nur beistimmen können,
daß dieses Verbot eines an sich gerechtfertigten Angriffes ein
Bestandteil des allgemeinen Marktfriedens sei2). Allerdings kann
dann nicht gut ein Zweifel über die Grenzen der räumlichen
Wirksamkeit des Marktfriedens, speziell desjenigen des Jahrmarktes,
aufkommen. Scharf wird unterschieden zwischen dem, was vor
(ante), und dem, was während (in) der Marktzeit geschehen ist,
und demzufolge mittelbar gestattet, Marktfahrer während ihrer
Hin- und Rückreise mit (gerechtfertigter) Klage und Arrestierung
zu bedrängen, wofern nur der Jahrmarkt entweder noch nicht be-
gonnen oder bereits geendet hat. Der Marktfriede schützt also
auch außerhalb des Ortes nur solange, als der Markt selbst währt.
Seit Aachen mehren sich entsprechende Vorschriften zusehends.
Unter ausdrücklicher Beschränkung auf die Zeit des Marktes
wird sowohl für Jahrmärkte wie häufigere Märkte Arrest oder
überhaupt Klage gegen die Marktfahrer aus zurückliegendem
Friedrichs II. für die beiden Jahrmärkte in Bern (Stadtrecht III. IV. —
1218? — , Kcutgen Urk. S. 12(5): omnibus aduenientibus tempore publici fori
theloneum condono et pacem et securita tem . . tarn veniendo quam reeedendo
regia libertat e promitto . . Et si aliquis mercatorum fuerit tempore fori spr-
liatus, . . aut reddi ficiam aut persofoam.
*) Keutgen Urk. S. 38.
*) S. 203 und 204. S. aber unten S. 132 bei Anm. 4 und 5.
Rudorff, Rechtsstellung der Gäete ^
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130
Grunde teils allgemein '), teils unter ausdrflcklicher Beziehung auf
Vermögens-^ und Straf klagen3) verboten. Die für Aachen mittel-
*) Für Jahrmärkte: Andernach Priv. (1332), oben S. 128 Anm. 3:
Bern Stadtr. (1218 ?) III mit IV, Keutgen Urk. S. 126; Kleve Stadtr. Buch
(nach 1424} 10t» § 1, '/.HU. 10 S. 239: Koblenz Altes Gcrichtsb. (1366 bis
1424) 22 § 1, Bär S. 99: AHwegcn uf unser Heben f rauen oben! nalh’itatis tu Vesper
teil gaet aen die frey seit zu Coblents . . also das man darafter niemants mehe
kümmert noeh ain gericht beutet noeh den /reden elaget und kein urtheil weiset und
keynen eyd Ihuit, keiner mag sieb auch loi/s deylen oder den andern fredebruebig
sagen suschen vorgenanter seit bifs uf den neesten gerichts tag nach S. Knnigit
Ist aber etwas mit gerichtc vor der vorgenanten seit angehaeben, mag ein jeklicher seiner
taege waerten ist zu setzen laifsen als vor, ansprach und antwicrt mag man thun
und das vor dem gerichts bui/s, eyde unde urtheil sal man aber fortweysen alfs vor -
geroirt; Eisenach Priv. (1283) 29, oben S. 128 Anm. 3; Euskirchen Priv.
(1322) 2 mit 1, Ann. d. hist. V. f. d. Niederrh. öl S. 102: Hamm Stadtr.
(1213) 18 mit 16, Keutgen llrk. S. 1Ö0; Hclmarshausen Priv. (1254),
Wigand IV, 1 S. 23: Hörde Reehtsbr. (1340) 7, Gengler St. R. S. 198:
Höxter Stat. (1223 1257) 4, Gengler St. R. S. 202: Köln Ordnung der
Messe (nach 1360) I. 11, Stein II S. 29; Lechenich Reehtsbr. (1279) 25.
Gengler St. K. S. 244: Lippstadt Stadtr. (1198)5, Keutgen Urk. S. 148:
c/uod foro annuali, duobus diebus ante et post iudieii rigore nullus bominum astringitur,
nisi in recenti illiquid emergat vel quis exterminatus deprehendatur. Ködern modo tres
dies in ebdomnda sei/icet Dominicas dies, feria secunda et feria V. libere sunt conccssc,
Lünen Reehtsbr. (1341) II mit 10, v. Steinen IV S. 239; Kees erzb. Köln.
Priv. (1240), Liesegang S. 102: item statuimus in ipso oppido nundinas (3mal je
4 Tage im Jahre). Cnncfis au/cm ad easdem nundinas venientibus seeundum ins
suum pa.x firma servabitur ct non poterunt per iudicium persone vel res sue duran
tibns nundinis oeetipari. Si quid vero dan/pni illuc accedentes seit redcuntes per in-
iuriam ineurrerit nos ipsis proenrabimus resareiri. Zülpich Weistum, Grimm VI
S. 680. — Für häufigere Märkte: Kleve Stadtr. Buch (nach 1424) 109
§ 1, ZRG. 10 S. 239: Euskirchen Priv. (1322) 1 und 2, Ann. d. hist. V. f.
d. Xiederrh. 51 S. 102, Haltern Priv. (1288) 5, Gengler St. R. S. 178:
Hamm Stadtr. (1213) 16, Keutgen Urk. S. 150; Hörde Reehtsbr. (1340) 6
und 7, Gengler St. R. S. 198: Lippstadt Stadtr. (1198)5, s. diese Anm.
oben: Lünen Reehtsbr. (1341) 10 und 11. v. Steinen IV S. 239: Wesel
Priv. Best. (1277) 16, Wigand IV, 4 S. 409.
'■») Für Jahrmärkte: Koblenz Stadtr. (1363—1443) 37, Bär S. 54 :
Krefeld Priv. (1373). Lacomblet III S. 644: Hamm Stadtr. (1213) 18 mit
16, Keutgen Urk. S. 150: Hildesheim Stadtr. (um 1300) 145, Doebner
U, B. I S. 294: Köln Ordinancic von der freien Messe (1387), Stein I S. 129:
Wien Stadtr. (1296) 36 und 35, Keutgen Urk. S. 219. — Für häufigere
Märkte: Aliendorf Frcih. Brief (1370) 5. Gengler St.lt. S. 4; Hamm
Stadtr. (1213) 16. Keutgen Urk. S. 150: Odcrnheim Stadtr. (1286), Böhmer
acta nr. 454.
3) Für Jahrmärkte: Koblenz Altes Gerichtsb. (1366— 1424) 22 § 1,
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131
bar sich ergebende Schlußfolgerung für die Zeit außerhalb des
Marktes wird also auch hier für Arrest und Klage sowohl bei
Vermögens- wie bei Strafklagen mittelbar ausgesprochen. Was
dagegen während der Marktzeit geschieht, kann, wie schon
Aachen') hervorhebt, uneingeschränkt im Rechtswege verfolgt
werden, handele es sich nun um Vermögens- s) oder Strafklagen3).
Daß diese Ausnahme bei Klagen der zweiten Art vorzugsweise zur
Sprache kommt, liegt wohl daran, daß gewisse Verbrecher über-
haupt nicht durch den Marktfrieden geschützt werden sollen *), und
daß nun im Gegensatz zu vormals begangenen Delikten, auf die
sich der Friede erstreckt, betont wird, daß die gleichen, aber
während des Marktes verübten Straftaten nicht frei sind.
Wo es sich um eine städtische Aufzeichnung des in der Stadt
geltenden Rechtes handelt, wird, und zwar vorzugsweise in späterer
Zeit, die Stadt, der Marktort selbst als der Marktfriedensbezirk
bezeichnet, in dem ein (an sich gerechtfertigtes) Vorgehen gegen
Bär S. 99: Köln Ordinancie von der freien Messe (1387), Stein l S. 129:
Wien Stadtr. (1296) 36 und 35, Keutgen Urk. S. 219. — För Wochen-
märkte: Odcrnhcim Stadtr. (1286). Böhmer acta ur. 454.'
') Oben S. 129.
*) Für Jahrmärkte: [Krefeld (1373) und Köln (1387), beide oben
S. 130 Anm. 2, sowie Köln Ordnung der Messe (nach 1360) 1. 1 und III.
5. 10, 8tcin II 8.28. 31. — För Wochenmärkte: Odernbeim (1286).
oben 8. 130 Anm. 2.
*) Für Jahrmärkte: Koblenz (1366—1424) 22 § 2. 3: Krefeld(l373):
Euskirchen (1322) 4: Hamm (1213) 18 mit 16; He Iraarshauscn (1234):
Hölter (1223—1257); Köln (nach 1360) II. 9—11: Lechenich (1979):
Lippstadt (1198): Zülpich Weistum, alles oben S. 130 Anm. 1 bis 3. —
FürhäufigcreMärkte: Allendorf (1370); Euskirchen (1322) 4; Hamm
(1213) 16: Lippstadt (1198); Odernheim (1286): Wcsol (1277), allos
oben S. 130 Anm. 1 bis 3. Ausserdem Freiburg i. 1'. Handf. (1249) 78,
Gaupp St. R. II S. 96.
4) Namentlich kommen solche Verbrecher in Betracht, die bereits vor-
festet sind, daneben hauptsächlich Mörder, Mordbrenner, Räuber, Hiebe und
solche Leute, die mit der betreffenden Stadt in offener Fehde liegen (s. die
Beiego oben S. 130 Anm. 1 ff., S. 131 Anm. 1 ff.). Nur in Zülpich Weist. § 2,
Grimm VI S. 680, scheint beim Jahrmarkt eine derartige Ausnahme nicht
gemacht zu werden: so u1' da enbinnen in freien wart bombt , hett hei alle
missdaet gethan, die mensche ie gedede, an den ensall man nit greifen, as
bange als die freiheit wert.
9*
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132
den <iast verboten ist ') ; aber anderwärts wird ausdrücklich her-
vorgehoben, daß dieses Vorgehen, solange der Markt wahrt, auch
außerhalb des städtischen ((Berichts-) Bezirks untersagt ist9). Wer
trotz des Verbots seinen Schuldner wahrend der Marktzeit beklagt
oder arrestiert, verfällt der hierfür angedrohten Strafe; er kann
sich aber bisweilen (unter Eid) damit entschuldigen, daß ihm die
fraglichen Vorschriften unbekannt gewesen seien 3).
2. Was den materiellen Inhalt des Marktfriedens an-
langt, so erscheint es zweifelhaft, ob das Verbot gerechtfertigter
Angriffe auch schon in älterer Zeit unbedingter Bestandteil desselben
gewesen ist. Die knappen Ausdrücke in den Urkunden, wie z. B.
inquietare, irritare , molestare, violaie, geben darüber keine Aus-
kunft. Aber die, unter Verhängung des Bannes über Zuwider-
handelnde. gegebenen Vorschriften für den Markt in Villingen
von 999:
secure et cum totius tranquillitatis pace eant, redeant et
sine iniusto quolibet dampno negncium suuni e,rcolant*),
und für den Jahrmarkt in Verdun von 1082:
ne quw sine lege noceat aut vim f'aciat venientibus sive
redeuntibiis b),
würden doch eher dahin gedentet werden müssen, daß ein an sich
gerechtfertigtes Vorgehen auch durch den Marktfrieden nicht auf-
gehalten werden sollte. Erst Bischof Hermanns Privileg für Metz
') Vgl. z. U. Hildesheim Stadtr. (um 1300) 145, Doebncr U. B. 1
S. 2114: Koblenz Stadtr. (1363—1443) 37. Bär S. 54: Kleve Stadtr. Buch
(nach 1424) 109 § 1, ZK«. 10 S. 239.
*) Hamm Stadtr. (1213) 16. 18, Kcutgcn Urk. S. 150; Höxter Stal.
(1223-1257) 4, Genglor St. K. S. 202: Kees (1240), s. oben S. 130 Anm. 1 :
Wesel gr&fl. Priv. Best. (1277) 16, Wigand IV, 4 S. 409: Eisenach Priv.
Km. (1283) 29, Gaupp St. R. I S. 203: Wien Stadtr. (1296) 36, Keutgen Urk.
S. 219: 7 >/ir nt men euch . . in t/en vridc fürstliches schermes alle, die zu dem Jar-
tstanh/e < kirnte nt, und gehen in Sicherheit, das si niht mitten werden hechlaget
■ n dchainem geriktc uinh dehain sacht noch unth de Hain schulde deu
auzerhalb des jarmarchtes sei geschehen , und (Forts, obeu S. 121 Anm. 1:
sein vri di zit usw.) : Euskirchen Priv. (1322) 1. 2, Ann. d. hist. V. f. d.
Niedcrrh. 51 S. 102; Köln Ordinancie von der freien Messe (1387). Stein I
S. 129: Zülpich Weist. §2, Grimm VI S. 680.
*) Hildesheim Stadtr. (um 1300) 145, Doebner U. B. I S. 294.
*) Keutgen Urk. 8. 31.
5) Oalrnet III S. 7. 8.
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133
aus dem Jahr 1090 gibt mit dem Satz, nur der reu» homicidii solle
vom Marktfrieden ausgeschlossen bleiben '), die erste Andeutung
eines Verbotes solchen Vorgehens gegen die auswärtigen Marktfahrer.
Es ist charakteristisch, daß erst seit dem Jahrmarktsprivilegium
Friedrichs I. für Aachen von 1166 sich die Untersagung solcher
Angriffe gegen Marktfahrer mehrt, welche außerhalb der Marktzeit
unbedenklich zugelassen worden wären, ja daß diese Untersagung
der Hauptbestandteil des Marktfriedens zu werden scheint. Es
dürfte dies Zusammenhängen einmal damit, daß in späterer Zeit
der aus dem Burgfrieden entwickelte Stadtfrieden !) schon einen
genügenden Schutz gegen ungerechtfertigte Angriffe, namentlich
gegen körperliche Verletzungen zu gewähren schien, zweitens aber
damit, daß sich im Gegensatz zu früherer Zeit die Anschauung
darüber, was ein gerechtfertigter Angriff sei, sehr zu Ungunsten
der Gäste verschoben hatte und zwar infolge der oben geschilderten
Entwicklung der Gerichtsstandsverhältnisse1) und namentlich auch
des Arrestes*). Die nunmehr weitgehende Möglichkeit, Auswärtige
am Marktort zu belangen und zu arrestieren, mußte deshalb im
Interesse des Marktverkelirs beschnitten werden. Namentlich für
die weither besuchten seltenen Jahrmärkte war dies wichtig.
Und so kann es nicht Wunder nehmen, daß in späterer Zeit nur
auf Wochenmärkten im Gegensatz zu Jahrmärkten bisweilen Arrest
und Klage gegen Auswärtige uneingeschränkt zugelassen wurde'),
während früher der Inhalt des Marktfriedens für beide Arten von
Märkten der gleiche gewesen war6).
II. Außer im Falle des Marktfriedens waren die in die
Stadt eintretenden Gäste noch bei mancherlei sonstigen Gelegen-
') S. oben S. 127 bei Anm. 2.
J) Rietschel S. 216 ff.. Keutgcn Urspr. S. 52 ff.
3) S. 38 ff.
*) S. 41 ff. S. 86 ff.
s) Freiburg i. U. Handf. (1249) 126, <iaupp St. R. II S. 103: mdlus
bürqemis aut non burgensis neminem , qm ad nostrum forum venerit, in sabbato va-
diare debett nisi sibi ßdeiussar aut debitor fuerit (dieser Arrest also gehört nicht
zu der in § 78 ebenda mit Strafe bedrohten Zufügung von dampna); Koblenz
Stadtr. (1363 — 1443) 37, Bär S. 54: Überall darf um Schuld besetzt werden,
nur nicht während der grollen Messe und während drei anderor, an drei
verschiedenen Tagen jährlich stattfiudender Märkte (vgl. Bär S. 145. 146).
8. auch Lechenich Kechtsbr. (1279) 25 mit 26, tiengler St. R. S. 244.
») S. oben S. 112f.
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134
lieiten von einer an sich möglichen Anbringung von Arrest und
Klage befreit.
1. Ein Ausfluß des Asylrechte ') der Städte war es wohl, daß
Fremde, die in der Stadt Einlager halten mußten*) oder aber sich
bezw, ihre Habe in die Stadt flüchteten5), in dieser Beziehung
ausgezeichnet wurden: nur durften sie sich dem Stadtgerichte nicht
überhaupt entziehen wollen4). Für das, was in der Zeit ihres
Aufenthalts geschah, galt jedenfalls Göttingens Satz:
et ne si dat he breke eder borghede trat, de teile dat he
hi tconde. da mach me on umme besetten und ein have *).
Ein Ausfluß der Billigkeit war es, daß hier und da Gästen,
die zuin Zwecke der Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten6) oder auf
Einladung von Bürgern7) die Stadt betraten, Freiheit vom Arrest
zugesichert wurde. Auch öffentliche Interessen mochten im ein-
zelnen Falle die Ausbringung des Arrestes verhindern; sie fanden,
wie in dem Verbote die Einbringer bestimmter Güter aufzuhalten *j
oder in dem Gebote vorheriger besonderer Zustimmung des Rates *),
ihren bezeichnendsten Ausdruck in der Vorschrift:
neyn borget • sali sgck gasles gudes underteynden . . dar
der etadt krot van ipieme eder kamen mochte™).
’) Vgl. Kcutgun Urspr. S. 69, Rietschel S. 218 ff.
*) Hameln Rechtsbest. (1277), Meinardus S. 57: Frankfurt a M.
Stnt. um 1350; 83, Sol. an. I S. 72.
3 ) Annweiler Stadtr. (1219) 4, Keutgen Urk. S. 138; Altcnburg
Stadtr. (1256) 12, Gaupp St. R. I S. 210: Göttingen Stat. (1354) L, Pufen-
dorf III App. S. 175.
*) Strallburg Krstcs Stadtr. (12. Jahrh.) 2, Keutgen Urk. S. 93.
6) Göttingen Stat. (1354) L, Pufendorf III App. S. 175.
*) Köln Eidbuch (1341) XX. 2, Stein I S. 47; vgl. Wartberg Ver-
trag beider Städte (1333), Wigand IV, 3 S. 294. S. auch Hildeshcim Stadtr.
(um 1300) 157, Poebncr U. B. I S. 295.
’) Ahlen Alte Stat. (1380) 15, Niesert U. S. III S. 215.
") Ahlen Alte Stat. (1380) 16, Xicsert U. S. III S. 215: Braun-
schweig Stadtr. (1401) 77, Hänselmann I S. 108: vgl. München Stadtr.
Buch (1347) 379, Auer S. 160.
9) Köln Eidbuch (1341) XX. 1, Steinl S. 47; Braunschweig Stadtr.
(1401) 77, Hänselmann I S. 108. Bei Arrest von Gast gegen Gast: Goslar
Stadtr. (um 1300), Göschen 66, 1.
,0) Dortmund Jüngste Stat. Samml. (um 1400) 27, Frensdorf! S. 175.
Dieser Satz wird ebenso wie z. B. die Vorschrift in Riga umgearb. Stat.
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135
2. Von den bisher besprochenen Fällen eines Schutzes vor
Arrest und Klage unterscheidet sich der mittels des sog. Ge-
leites gewährleistete Schutz dadurch, daß er für einen spe-
flim 1300) I. 8 § 1, Napiersky S. 145: so war tu unsc borghere in vromtcit
land kumt, dar wi vredt medt h ebbet, undt dar ent tividrachtichet mähet, van welkt r -
leyc stukke da/ et si, dar de vrunseap nttde ghesceden /uath werden , dt sal dar weder
varen undt seal si: dar vorevenen, iset dal et ratmannen o/te anderen craftighen luden
wittic is, besonders auf möglichste Abwondung der Gefahr auswärtigen
Kepressalienarrestcs gegen einheimische Bürger abgezielt haben. — Eine
Beseitigung derartiger Verwickelungen haben auch noch andere Vorschriften
im Auge. So wird verschiedentlich bestimmt, daß der einheimische Käufer
den auswärtigen Verkäufer binnen einer bestimmten kurzen Frist, nämlich
an demselben oder doch am dritten Tage, bezahlen soll, widrigenfalls der
Verkäufer das Recht besitzt, den Vertrag alsbald aufzulösen oder den Käufer
durch Haft zur Zahlung zu zwingen: Priv. des Grafen von Holland für
Lübeck (1298), Lüb. U. B. I nr. 675; Priv. des Regenten von Holland
für die Kaufleute der deutschen Hansa (1358) § 22, Hans. U. B. III S. 177;
Köln Ordnung der Messe (nach 1360) III. 5, Stein II S. 31. Des ferneren
steht Strafe darauf, wenn die Bürger ihren Verpflichtungen gegen Gäste
nicht gehörig nachkommen, z. B. Geldstrafe (3 Mark) in Wismar
Bfirgcrspr. (1345) 4, Burmeister Bürgerspr. S. 3: sohant qnod querimonie de ipso
non fiant suh pena /// marcarttm , oder Stadtverweisung in Rostock Rats-
urk. (1301), Meklb. U. B. V S. 10 (wo der Rat schließlich außerdem die
Gäste von Stadt wegen bezahlt), und in Braun schweig Stadtgcsctzsamml.
(vor 1349) 51, Hänsclmann I S. 47. Hierher ist es schließlich auch zu
rechnen, wenn der Bürger, der in oder außerhalb seiner Stadt einen Gast
oder sein Gut. besetzt und gastes retkt (vgl. unten Kap. VI) zu tun weigert,
mit einer Buße von tehen sekok belegt wird: Prag Stat. Recht (1314 bis
1418) 117, Rößler I S. 71. — Der Repressalienarrcst, namentlich bei Klagen
um Schuld, ist Ausfluß eines Gedankens, demzufolge schon im alten frän-
kischen Rechte Geschlechter, Gemeinden und Hundertschaften bei Strafsachen
und wegen öffentlicher Abgaben für ihre einzelnen Mitglieder (vgl. Gierkc
II S. 386 — 389, sowie I S. 73 n. 43) hafteten. Voraussetzung der Aus-
bringung des Reprcssalienarrestes gegen Gäste, namentlich wegen Scbuld-
forderungen, war im Mittelalter von Rechts wegen die Unmöglichkeit für
den Gläubiger, im ordentlichen Gerichte des Schuldners von diesem Recht
zu erlangen, weil Recht geweigert oder die Erfüllung der im auswärtigen
Gericht erklagtcn Schuld über Gebühr verzögert wurde. In solchem Falle
durfte er sich an die Mitbürger des auswärtigen Schuldners halten: Priv.
Friodrichs I. von 1173, oben S. 99 Anm. 3, bezw. an des Schuldners Gc-
meindegenossen : Mühlhausen Stadtr. (1230 — 1250), Herquet S. 621 (inkwnit
abir di selpgeldi nicht herin undt heit he duttc giclagit, alsi is recht is, vor
demi. di zu richteri ubir un gisazt ist, unde daz he us wnc dan bikennit,
kumit dan der dichein herin, di tu rechte vur en phandunge tiden sal, daz sin/ alli
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136
ziellen Fall einer einzelnen Persönlichkeit versprochen wurde.
Es ist hier nicht von dem Geleit die Rede, welches als nutzbares
Regal, d. h. gegen Entgelt von den Territorialherren geübt wurde,
dem Geleiteten vor allem oder sogar ausschließlich Schutz gegen
ungerechtfertigte Angriffe, namentlich gegen Mord und räuberischen
Überfall, bieten sollte und den Geleitgeber zu (häufig verdoppeltem
di. di utazzir unde .v, ide mit ume nuzzin unde nizin unde beid- etue herein gute
ge/din, di lute mac hi ufhaldi mit dtmi stlbin rechte alsi din sctpgctdin). Auf die
erwähnte Voraussetzung wird namentlich häutig in Verträgen liingewieseu.
so z. B. im Vertrag des Herzogs von Lothringen mit dem Grafen
von Holland (1200;. Hans. U. B. 1 S. 30: von Hamburg mit Wursten
(1238), Lappenborg Hamb. U. B. S. 441: von Boppard mit Köln (1252),
Gengier Kod. S. 256: von Arnstadt mit Erfurt (1283), Arnst. U. B.
S. 23: von Köln mit Nimwegen (1278), oben 8. 65: von Hannover mit
BrenU-n (1301), Ehmck II S. 5: quod nuilus burgensium nostrorum possit
ehtes Bremenses vel nuneios sttos aut bona ipsorwn arrtstarc vel aliquo modo alio
impedire pro debitis a/ienis, nisi prius manifestum esset dominis eonsulibus Bremensibus
et aliis bonis hominibus , quod ereditori fuisset iss ch'itate Bremensi iusticia denegata;
vgl. auch die Schreiben Lübecks in der Biscbofscbcn Angelegenheit von
1368 bis 1369, Lüb. U. B. III nr. 672. 677. 700. Und mit Rücksicht auf
diese Voraussetzung wird auch umbe gemach vrede inde gemeyne guit der
Steede den Bürgern anbefohlcn, sich von vornherein zuverlässige auswärtige
Schuldner auszusuchen: Köln Eidbuch (1341) XX, Stein'I S. 47; desgl.
Hamburg - Wursten (1238), Lappenberg Hamb. U. B. S. 441; Bremen-
F.msgau (1255), Ehmck I 8. 307. Tatsächlich wurde allerdings in jenen
unruhigen Zeiten die Schranke jener Voraussetzung (die übrigens einzig für
Nürnberg kraft einer singularis prerogatma nicht bestanden haben soll:
Königsfcld Rechtsbr. Karls IV. von 1360, § 4 und 5, Genglor St. R.
8. 225) häutig übersprungen, welcher Zustand indessen als ein rechtswidriger
und unbequemer allgemein empfunden ward: grave est, legibus et equitati eon-
trarium, quod aliquis pro alio pregravetur . et exinde frequenter etiam raneores ori-
untur (Vertrag zwischen Jülich und Köln von 1296, Ennen III 8. 406).
Stobbe Vertr. 8. 152 halt diesen letzterwähnten Zustand froilich für den ur-
sprünglichen und den Satz, der Gläubiger müsse zunächst versucht haben
Recht zu erhalten, für eine mittelalterliche spätere Abschwächung. Diese
Ansicht Stobbes wird, wenigstens für Reichsangehörige, abzulehnen, cs
wird vielmehr mit Wach 8.40 anzunehmen sein, daß, entsprechend der
italienischen Entwicklung, die Schwächung der kaiserlichen Macht, wie
sie die Verwirrung der Gerichtsstandsveihältnisse und das forum arresti
begünstigte, so auch im Reprcssalienarrcst soit dem 12. Jahrhundert ein
Mittel aufkommon ließ, das bei Rcchtswoigerung die fehlende obcrstrichtcr-
licho durch die Selbsthülfe ersetzte. Die älteren landrcchtlichcn Quellen
kennen ihn im Gegensatz zu den städtischen bezeichnenderweise noch nicht.
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137
oder dreifachem) Schadenersatz verpflichtete, wenn der Geleitete
durch derartiges Unrecht an Leib und Gut beschädigt worden war.
Diesem Geleit, dem Reisegeleit, tritt das in den Städten geübte
prozessuale Geleit gegenüber, dessen Kernpunkt darin liegt, ge-
rechtfertigte Angriffe von Person und Gut des Geleiteten fern
zu halten. Es wird deshalb in seiner ursprünglichen Form vom
Richter selbst gegeben, der auf diese Weise seine Zuständigkeit
gegenüber dem Geleiteten für diesen Fall ausschließt und dem-
zufolge niemandem, der den Geleiteten arrestieren oder beklagen
will, zu seinem vielleicht an sich begründeten Rechte ver-
helfen kann.
a) Bevor im Einzelnen auf dieses prozessuale Geleit ein-
gegangen wird, sei darauf hingewiesen, daß in den deutschen
Städten auch eine Art von Privatgeleit existierte, kraft dessen
sich eine Privatperson verpflichtete, von Person oder Gut des in
die Stadt kommenden Gastes Arrest und Klage abzuwenden. In
Lübeck schon 1226 von Friedrich II. mit dem Satze verboten:
jirmiter inhibemue, ne aliqua / lertona magna eel parva,
eerularis eel ecrlesiaetira, pernone alivui conductum prebeat in
civilutem predictam, quin ipea cuilibet impetenti eam in iure
debeat respondere '),
wird es noch um 1300 in einer interessanten Stelle des Nord-
hausenschen Schultheißenbuchs*) dahin erläutert:
•v» quis in suam tutelam eive in suuin ducutum recipere
voluerit equoe eel currue aticuiue, nuncium ■ruuin in eignum
poeeeseionü equis eel cnrru superponat, et ei non fecerit, qui-
cu mque id cum precone inpugnacerit, illud pro pignore iure
pingniori optinebit.
Wie sich dieses Geleit im Einzelnen darstellte und ob namentlich,
was wahrscheinlich ist, der Geleitgeber an Stelle des Geleiteten
eine Dritten gegenüber wirksame gesetzliche Vertretungspflicht
überkam5), läßt sich auf Grund des dürftigen Materials nicht sagen.
‘) Stadtr. 13, Keutgcn Urk. 8. 187.
*) Stadtr. 37, Focratemann N. M. 111, l S. 41.
5) Vertraglich konnte er sich dem Geleiteten gegenüber natürlich zur
Leistung an den Dritten verpflichten. Vgl. die Entscheidung in Brünn
Schöflenb. (um 1330) 108, Rößler II S. 57, welcher folgender Fall zu Grunde
liegt: In Chrimsir ewis invitavit rusticum dt vilht in domum suam sub . hoc pro -
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138
b) *• Das prozessuale Geleit wird, wie oben erwähnt,
grundsätzlich vom Richter allein erteilt. Das ist die
Auffassung des Görlitzer Landreehts '•):
iegelieh rirhtar de geleite gibil einem man, der in time
geeichte icht zu vordirn hat, der ne sol ime nicht geleite gebin
ron deme nestin darf bi der sUit da er rirhtar is, sundir con
deine lestin ende sinis gerichtis;
und dem Erzbischof von Köln, der das Geleitsrecht in der Stadt
in Anspruch nimmt, cum ipse sil summus iude.c et dominus riri-
tatis ( ’olonien-is, wird dies Recht seinem Verlangen gemäß von
den Schiedsrichtern zugebilligt’) und demgemäß an andererstelle
des Schieds hervorgehoben:
si aliquis foraneorum meluni alleget, quod in Colonia agere
non audeat, debet dominus archiepiscoput eum conducere super
ius suum J).
Dieser Zustand blieb der regelmäßige überall da. wo des
Stadtherrn Befugnisse in Ansehung der Besetzung und Verwaltung
des städtischen Gerichts sich im Wesentlichen unberührt erhielten *)•
misse, si oeeuparetur in civitatc , vellet ipsttm absotvere sine damno ; die Schöffen
urteilen : quod occupatio in qua civis promiserit rusticum absotvere, intelliqenda es t
quantum ad facta praeterita et non ad futura. — Auf eine gesetzliche Ycrtrctungs-
pflicht kann vielleicht die Analogie der oben S. 107 f. behandelten Vertretungs-
pflicht der Wirte hindcutcn, die den bei ihnen besetzten Gast oder sein
Gut im Gericht stellen müssen: lassen sic beides freiwillig aus dein Hause,
so müssen sio die gegen den Gast gerichtete Klage erdulden.
') (nach 1300) XMV § 7, Homejer Görl. LR. S. 210.
s) Köln Schied (1258) Klagepunkt 47 des Erzbischofs und Entschei-
dung dazu, Keutgcn l'rk. S. 163 bezw. 170.
s) Köln Schied (1258) Klagepunkt 3 der Bürger und Entscheidung
dazu, Keutgen l'rk. S. 164 bezw. 170. Über die Kölner Gerichtsverfassung
vgl. Lau S. 5 — 16. 20—23. 30, sowie Hcldmann S. 115 - 117.
*) Altenburg markgrüfl. Stadtr. (1256) 9 und 1, Gaupp 1 S. 211 bezw.
210: scultetus qui pro tempore vobis est preficiendus; Sülfeld Stadtb. (nach
1300) LVII, Walch I S. 28 (vgl. CLXX1I, ebenda S. 57); Rudolstadt Stadtr.
(1404) 41. A. L. J. Michclsen, Rcchtsdenkmalc aus Thüringen. Jena 1863.
8, 213 (vgl. ebenda S. 200 ff.); Kleve Stadtr. (nach 1424) 109 § 1. 4, ZKG.
10 S. 239. 240 (über Ein- und Absetzung des Stadtrichters ebenda § 9, S. 430):
Bamberg Stadtr. (1306) 91 sowie 100, Zöpfl S. 28. 30 (über die Gerichts-
verfassung vgl. ebenda Einl. S. 52. 54).
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139
Und auch da, wo der Rat der Stadt in dieser Beziehung ihm nicht
unerhebliche Rechte abgewann , mochte die selbständige Geleits-
erteilung durch den Richter dem Einflüsse des Rates entweder
überhaupt nicht1) oder doch nur zum Teile3) unterliegen. Immer-
hin läßt sich nicht verkennen, daß insbesondere im 14. Jahr-
hundert der Stadtrat in erheblichem Maße bei der Erteilung
des prozessualen Geleites mitwirkt, sei es in Verbindung mit dem
Richter, sei es in Unabhängigkeit von ihm.
Letzteres kann namentlich überall da nicht befremden, wo der
Rat durch Verpfändung oder durch Verkauf des Gerichts seitens
des Stadtherrn seihst zum Gerichtsherrn geworden war. In solchen
Fällen scheint dem Richter jede Entscheidung über die Erteilung
des Geleits genommen und diese Befugnis ausschließlich dem Rate
vindiziert worden zu sein '’). Es mag dies damit Zusammenhängen,
daß der Rat als kommunales Organ die Interessen der Stadt
wahrzunehmen hatte und ein enger Zusammenhang solcher Inter-
essen mit der Erteilung des Geleits in mehr als einer Richtung
zu Tage trat. Es ergibt sich als weitere Folge eines solchen
Zusammenhanges, daß der Rat (und zwar nicht nur da, wo er
selbst Gerichtsherr ist) für befugt erklärt wird, die für die
') Brünn Schöffenb. (um 1350) 600 a. E., Rößler II S. 275; über die
Gerichtsverfassung vgl. ebenda Einl. S. LVI und LX1I1.
’) München Kechtsbr. (1294) 5, Gengier St. R. S. 294: über die Ge-
richtsverfassung siehe ebenda §§ 2. 3 und G. Vgl. Bamberg Stadtr. (1306) 100.
unten S. 140 in und bei Anrn. 3.
3) Lübeck: Stadtr. (1294) LYII, Hach S. 273: Dänemark an Lübeck
(1320 — 1325) und von Buchwald an Lübeck (um 1365), Lüb. U. B. II, 1 nr. 465
bzw. III nr. 749. Über die Gerichtsverfassung Lübecks siehe C. Wehr-
inann, Die obrigkeitliche Stellung des Rats in Lübeck in Hans. Gescb. Bl.
Jahrg. 1884 S. 53 und 58, sowie Planck I S. 33 ff. — Goslar: Stadtr. (um 1300),
Göschen 49. 23, und Minslcben an Goslar (1311 — 1321), Gosl. U. B. III
S. 314. Über die Gerichtsverfassung Goslars vgl. Bode, Einl. zu Bd. I und
II des Gosl. U. B., sowie Planck I S. 30 ff. — Magdeburg: Alph. Sam ml.
Magdeb. Schöffensprüche Kap. 305, Wasserschieben S. 91. über die Gerichts-
verfassung Magdeburgs vgl. G. Stöckert, Die Reichsunmittelbarkcit der
Altstadt Magdeburg in Hist. Zeitschr. Bd. 66 S. 197. 202 und 215, sowie
Planck I S. 21 ff. — Hildesheim: Vorkauf des Gerichts und Geleits durch
Bischof an Rat (1447), lt. Doebncr, Hildcsbeim im späteren Mittelalter in:
Studien zur Hildesheimischen Geschichte. Hildesheim 1902. S. 21; vgl. für
die Zeit vor 1447 unten S. 141 Anm. 2. 3.
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Erteilung des Geleits in Schuldsachen erforderliche vorherige Er-
laubnis des einheimischen Gläubigers entweder bei dem Richter
durch die Ratsgenehmigung zu ersetzen ') oder aber selbst, ohne
Rücksicht auf den Gläubiger. Geleit- zu erteilen5). Der Rat um-
ging dann den Gläubiger um der Stadt willen:
i •: schol auch Jur gultc niwant kein jeleit halten ... E:
treffe denn ein solche gemeine notige heftige sache an, da ron
man sein niht enpern mäht und da: da: dg rwelf erkenten,
dg ron eins heren wegen und von der »Ult wegen an dem
stat. gerihte sit:en . . , da: man im ( leiegte geben schul le . so
schal im e: der Schttlfhei: geben in ein Jreiheit oder in ein
muntat oder an da: statgerihte i) ;
euer sal der rait nemanne rurwerde gecen, id in si mit
willin of wist der scholtgemare. der rait in duncke dan, dat
id bas si gedagn dan gelaissin, so mogin si id dogn, also dat
mant den scholtgemaren kiinJ düe, as eerre as man mach
Der Richter selbst war. anders als der Rat, an die vorherige Ein-
willigung des Gläubigers gebunden 5).
') München Kechtsbr. (1294) 5, Gengier St. R. S. 294: es sei auch der
Kikter dt keinen frid her in die Stat gehen muh gleit an der rat, die des rates pßegent,
oder an des gelten w’llen ; vgl. oben 8. 139 bei Anm. 2. sowie unten in und
bei Anm. 3.
*) Lübeck Stadtr. (1294) I.VII, Huch S. 273: Güttingen Stat. (1354 ',
l’ufendorf III App. 8. 199: Hildeshcim Kat an d. von Lübeck (1369), Dnobner
U. B. II 8. 171: Köln, unten in und bei Anm. 4.
3) Bamberg Stadtr. (1306) 100. ZSpfl. S. 30. Allerdings wird die Ein-
willigung des Rats hier nur mittelbar erteilt: die Entscheidung über das
vom Schultheiß /.u erteilende Geleit für guhe ( — für sehults) liegt unmittelbar
bei den vom Rat präsentierten und vom Bischof bestätigten zwölf Schöffen.
In § 72, Zöpfl S. 23, ist, wie hier angemerkt werden mag, nicht von Geleits-
erteilung die Rede.
*) Köln Eidbnch (1341) XX. 9, Stein I S. 48: vgl. folgende Anmerkung.
s) Vgl. die Stadtrechte von Altenburg, Salfcld, Rudolstadt und
Kleve, oben S. 138 Anm. 4. sowie von München, oben Anmerkung 1. und
Lüneburg Stat. (vor 1400), Kraut S. 52 und 61. Allerdings darf nicht
übersehen werden, daß öfters auch der Rat, mochte er nun allein (Hamburg
Stadtr. G. 30 — 1292 — , Lappenberg S. 134: Lüneburg Stat. — vor 1400
— , Kraut S. 61 und auch 52) oder in Gemeinschaft mit dem stadtherrliehcn
Richter (Nordhausen Rechtsbr. 6 — 1290 — , Gengier St. 11. S. 317. zu-
sammen mit Statuten 182 — tim 1300 — und 112 — 1308 — , Foerstemann
N. M. III, I S. 69 bezw. III, 2 S.23: Koblenz Stadtr. 32 u. 46 — 1388 bezw. 1425
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141
Aber nicht nur da, wo der Rat selbst Gerichtsherr ist, sondern
auch da, wo er nur irgendwelchen mehr oder minder großen Ein-
fluß auf das Stadtgericht ausüben kann, sehen wir ein Geleitsrecht
des Rates sich entwickeln. Das Motiv dahin zielender Bestrebungen
war das oben erwähnte öffentliche Interesse der Stadt. Die Mög-
lichkeit ihrer Erfüllung lag einmal in dem örtlich vorhandenen Ein-
fluß auf das Stadtgericht, dann aber auch in der „Dehnbarkeit des
den Kern der städtischen Gerichtsbarkeit bildenden polizeilichen
Gebiets, dem sich verwaltende und richterliche Funktionen der
verschiedensten Art bequem anlehnen ließen“ '). So erklärt es sich,
daß auch in Städten, deren Gericht sich als ein im Wesentlichen
stadtherrliches erhalten hatte, wir den Rat, sei es in Verbindung
mit dem Richter’), sei es völlig selbständig5), ein Geleitsrecht
— , Bär S. 53 bet«. 55) Geleit zum Schutze gegen Schuldarrest und -klage
erteilen, an die vorherige Einwilligung des Gläubigers gebunden wurde.
Während bei Geleit gegen Verfolgung von Verbrechen u. dgl. neben den
Strafanspröchen des Verletzten auch öffentliches Interesse vorhanden war, das
den zeitigen Verzicht auf Strafe unabhängig von dem Belieben des Verletzten
fordern mochte, kamen bei Klagen um Schuld u. dgl. unmittelbar nur private
Interessen in Frage. Das Geleit ward in letzterem Falle als Stundung der
Schuld aufgefallt (Lüneburg: de induciis dandis, und Köln; s. wegen beider
diese Anm.), und solche Stundung zu erzwingen, erschien hier und dort als
ein zu harter Eingriff in die Sphäre des Einzelnen. So ändert Köln seine
oben S. 140 bei Anm. 1 wiedergegebeno Vorschrift im März desselben Jahres
1341 durch eine Ratsverordnung (Stein I S. 27) dahin um: id sy kirnt, tiat
alle rede oeverdragen haent als mit den vurwenten ind vrieden zo gheven den, die
in der stat sehuldieh syni unsen bürgeren, dat dat stain sali ind gehalden werden ,
als man id plaeh zo Halden, ussgescheiden dat iler rait nach alle rede nyeman
darzo dringen en soilen , dsl Aee weder synen gudeu willen Herren noch ritteren
noch nye manne dach en gheve tan synre schollt kurt noch lanck.
') Frensdorf! Einl. S. LXVI1I.
a) Hameln Hechtsbest. (1271), Meinardus S. 57 (über die Gerichtsverf.
vgl. ebenda Eiul. S. XXXVI. XXXXVII. XXXXIX. L); Koblenz Stadtr.
(1388. 1425) 32. 4ti, Bär S. 53. 55 (über die Gerichtsverf. ebenda S. 22. 24);
Hildesheim Geleitsurkunde (1396), Doebner IT. B. II S. 497, wo es sich
anders als bei der Urkunde von 1369 (s. unten Anmerkung 3) nicht um Schuld,
sondern um vonoord nach vorangegangener Fehde handelt. Über dio Uerichts-
verf. Hildesheims vgl. Doebner, die Stadtverf. Hildesheims im Mittelalter
in: Studien zur Hildeshoimischen Geschichte. Hildesheim 1902. S. 3 — 5. 7.
13, namentlich 15 (s. aber auch Stadtr. 83 — um 1300 —, Doebner U. B. 1
S. 287).
*) Göttingen Stat. (1354), Pufendorf III App. S. 199: Hildesheim
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ausüben sehen. In dem letztgenannten Falle handelt es sieh aller-
dings offensichtlich nur um Schuldsachen, deren Kognition, sobald
Gäste in Betracht kamen, der Rat sich so wie so anzueignen be-
strebt war1). Daß der Rat bei solchen Gelegenheiten anf eigene
Hand kraft seiner obrigkeitlichen Polizeigewalt gegen Zuwider-
handelnde, ihm unterworfene Personen einzuschreiten befugt und
willens war, versichert der Rat von Hildesheim dem Lübecker Rat
in einem Schreiben, in dem er einem dortigen Bürger sein Geleit
verspricht :
icorde he yhemanet eder benut , dat weide we afdon mit den,
de dar ox don urtde laten weiden*).
Entsprechendes, d. h. teils unabhängige3), teils mitwirkende4)
Rat an den von Lübeck (1369), Docbner U. B. II S. 171 (vgl. vorige Anm. und
Ratsurkunde aus der Zeit nach 1370 bei Poebner U. B. II S. 275): Köln
Kidbuch (1341) XX. 9, Steinl S. 48: Köln Ratsverordnung (1341), Stein 1
S. 27 : Köln an Andernach (1367) und an Düren (1371), Ennen IV S. 532
bezw. 618; Wesel, Keinhold S. 82; L ü n e b u r g Stat. (vor 1 400), Kraut S. 61
(wegen der Gerichtsverf. : unser hern gherichte u. s. w., vgl. ebenda S. 26. 27. 68).
') Wegen Köln und Wesel s. unten Kapitel VI.
J) (1369), Docbner U. B. II S. 171.
3) Hamburg Stadtr. (1292) G. 30, Lappenberg S. 134 (über die Ge-
richtsverf. vgl. A. Obst, Ursprung und Entwickl. d. hatnhurgischcn Raths-
verfassung. Berl. I)iss. Hamburg 1890. S. 40. 46, sowie Planck I S. 33 ff.):
Wartberg Vertrag beider Städte (1333), Wigand IV, 3 S. 294; Bremen
(1338) Ord. 103, Oelrichs S. 206 (über die Oerichtsvei'f. vgl. W. Varges,
Zur Entstehungsgeschichte Bremens: Zeitschr. d. hist. V. f. N. S. Jahrg.
1893 S. 366, sowie Donandt, Versuch einer Geschichte d. bremischen
Stadtrechts. Bremen 1830. I S. 151 — 163. 172 f. 280 f., und Planck I S. 38ff.):
Dortmund-Wesel Urt. Samml. (nach 1400 zusamincngestcllt) 39, Frensdorf!
S. 293 (über Gerichtsverf. vgl. ebenda S. LXI — LXVIII): Geve een borgermeister
in onser stat geleyde enen man aff gude, besäte den man ofttc dat guet een bar ge r
myt enen vronen ind ess wo/de die borgen der besettynge nyet quyt laiten . die borgen,
meisten is meebtieh des geriebts, rUbters urut des vronen , dat van svnen grbade die
man off dat guet der besettinge ontsiagen werden, ind stillen des geleydes brteyken; ind
dair en ließt die borger gerne broebe an gedaen, sannt by dat mit gheriebte gedain
heffl; mer wolde die borgermeister ind der man, die besät was, den borger schuldigen
umb smaeheit offte timme schaden, ibit noigen sy doin.
*) Nordhausen Recbtsbr. (1290) 6, Gengier St. R. S. 317, mit Statuteu
182 (um 1300) und 112 (1308), Foerstemann N. M. III, 1 S. 69 bezw. III, 2
S. 23; wegen der Gerichtsverf. Nordhausens s. Rechtsbrief § 2, sowie Foerste-
mann Urk. Gesch. I S. 61 f. und E. G. Foerstemann, Denkschrift zur
Feier des 2. August 1852 in Nordhausen. Nordhansen 1852. S. 8 f. Vgl. auch
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143
Tätigkeit des Kats bei der Erteilung des Geleits findet sich na-
türlich überall da. wo der Rat eine dem Stadtrichter übergeordnete
Stellung einnimmt, mindestens bei der Besetzung dieses Postens
von Rechtswegen mitspricht.
ß. Das Geleit sollte, wie überhaupt gegen die Anstellung einer
Klage1), so namentlich gegen ihre Vorbereitung durch besäte und
peindinge, maninge unde besäte, bekümmern umme de scult, Kummer
und Arrest s) schützen. Hier wie in andern oben angeführten
Zeugnissen handelt es sich zu einem großen Teile um Festhalten
von Person und Gut lediglich dessen, gegen den der Gläubiger eine
Klage um Schuld anstrengen könnte oder5) schon angestrengt hat.
Aber auch ein Aufhalten wegen begangener Straftaten sollte ver-
hindert werden. Darauf weisen nicht nur allgemeine Sätze hin wie
das Verbot eines beseiten om wat saiken dattet si '), sondern auch
ausdrückliche Bestimmungen5). Widerrechtliche Handlungen gegen
den Geleiteten landen dagegen schon als Verletzung des Stadt-
friedens gerichtliche Sühne. Nur da, wo eine solche Verletzung
an sich geringer geahndet wurde, wenn sie gegen Gäste verübt
worden war, verschaffte das Geleit dem in die Stadt eintretenden
Gaste bisweilen die Rechtsstellung eines Bürgers6).
•(. Die Nötigung solches Geleit zu erbitten konnte mannig-
fache Gründe haben, z. B. den Wunsch, in der betreffenden Stadt
Handelsgeschäfte abzuschließen oder diplomatischen Verhandlungen
obzuliegen. Die Regel freilich pflegte zu sein, daß man einen
Bremen Urk. des aifiwatui und der lonsutes an den Kat von Braunachweig
(1256!), abgedruckt nach Rehtmcier Braunschw. Lüneb. Chronik S. 493 bei
Donandt: Versuch u. s. w. I S. 172.
') Lübeck Stadtr. (1294) LVII, Hach 8.273.
J) Göttingen Stat. (1354), I’ufendorf III App. S. 199; Hildosbcim
an Lübeck (1369), Docbner IT. B. II S. 171; liehen Rechtsbr. (1371) 8,
Gengier St. R. S. 496; Köln an Andernach (1367), Ennen IV S. 532. Vgl.
Bremen (1338) Ord. 103, Oelrichs S. 206.
») Salfeld Stadtb. (nach 1300) LVII, Walch 1 S. 28.
<} Kleve Stadtr (nach 1424) 109 § 1, ZRG. 10 S. 239.
s) Bamberg Stadtr. (1306) 91 mit 100, Zöpfl S. 28 bzw. 30; Wart-
berg Vertr. der Städte (1333), Wigand IV, 3 S. 294; Köln Eidbuch (1341)
XX. 2 und 4, Stein I S. 47; Hildeshcim Ratsurkunde (1396)4 Uoohner U.
B. II S. 497; Kleve Stadtr. (nach 1424) 109 §4, ZRG. 10 S. 240.
6) Goslar Stadtr. (um 1300), Göschen 49, 17 und 49, 23.
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144
Bürger jener Stadt beklagen oder dort Recht nehmen wollte und
einen Angriff der Mitbürger des Gegners befürchtete '). Für diesen
letzterwähnten Zweck scheint bisweilen eine Pflicht der ersuchten
Behörde zur Geleitserteilung bestanden zu haben s). Im allgemeinen
freilich entschied sie da, wo sie nicht durch Verträge5) oder durch
die vorher einzuholende Erlaubnis des Gläubigers gebunden war,
nach freiem Ermessen.
8. Der Gast erbittet das Geleit entweder persönlich4) oder
durch Vermittlung des Rates oder des Landesherrn seiner Vater-
stadt5). Er teilt der ersuchten zuständigen Behörde gleichzeitig
zweckmäßig die Namen derer mit, von denen er sich eines Bösen
zu versehen meint. Tut er dies nicht und sind der betreuenden
Behörde nicht schon die Namen solcher Personen bekannt8), so
l) Köln Schied (1258) Klagepunkt 3 der cives nebst Entscheidung,
Keutgen Urk. S. 164. 170: Nordhausen llechtsbr. (1290) 6, Genglcr St. R.
S. 317: adiecimus, nt si quisquam obstantc causa aliqua ervitatem intrarc non andere/,
ronsule r et judices i/c conductu sccuro sibi possint et dcbcant providere, doncc illi eveniat
iusticM expedite; München Rechtsbrief (1294) 7, Gengier 8t. R. S. 294; Gär*
litzer Landrecht (nach 1300) XLIV §7, Homeycr Gärl. LR. S. 210:
Minsleben an Goslar (1311-1321), Gosl. U. B. III S. 314; Wartberg
Stat. (1312), Wigand IV, 3 S. 293; Dänemark an Lübeck (1320-1325).
Lüb. D. B. II, 1 nr. 465; Wartberg Vertr. der Städte (1333), Wigand IV, 3
S. 294: Vertrag zwischen Goslar, Brannschweig, Halberstadt u. s. w.
(1335), Halb. U. B. I nr. 443; Bremen (1338) Ord. 103, Oclrichs S. 206:
Vertr. zw. Bremen und Hoya (1359), Khmck III S. 115; Buchwald an
Lübeck (um 1365), Lüb. 1,'. B. III nr. 749; Koblenz Stadtr. (1388) 32,
Bär S. 53. S. Köln Stat. (1437), Knnen V 8.484. wozu zu vgl. Stein I
S. 631 ff.
*) Köln (I258\ vorige Anm. und oben S. 138 bei Anni. 3: Nordhausen
(1290), vorige Anm.
s) Goslar, Braunschweig. Hnlberstadt usw. (1335) und Bremen-
Hoya, beides oben Anmerkung 1 , sowie Verbindung zwischen Lübeck,
Hamburg, Wismar, Rostock usw. (1358), Lüb. U. B. III nr. 310: si
aliquis propter sita debita , que tontraxit in una civitatum predictartini, ab illa secrete
recesserit , debitis non solutis, talis in nulla dvitatum prcdictarum securitate aliqua aut
conductu gaudere debebit pro cisdctn.
*) Minsleben an Goslar (1311 — 1321), Gosl. V. B. III S. 814:
Buchwald an Lübeck (1365), Lüb. I . B. III nr. 749.
s) Hildesheim au Lübeck (1369), Docbncr U. B. II S. 171: Däne-
mark an Lübeck (1320—1325), Lüb. U. B. II, 1 nr. 465.
c) Sei cs durch deren eigene Mitteilung (Wartborg Vertr. — 1333 — ,
Wigand IV, 3 S. 291), sei es durch einen von ihnen schou in der Stadt gegen
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145
wird sie den Antragsteller um Benennung derselben ersuchen1».
Denn nicht allein ist deren Einwilligung u. lT. erforderlich*); auch
da, wo diese nicht nötig. soll wenigstens eine Benachrichtigung
der Gegner des Antragstellers statttinden *). Die ersuchte Behörde
hat außerdem zu prüfen, oh der Antragsteller ein friedloser Mann
ist oder sich schwere Verbrechen gegen die Stadt und ihre Bürger
hat zu Schulden kommen lassen; im allgemeinen soll er dann kein
Geleit erhalten4), und irrtümlich trotzdem erteiltes Geleit wird als
nichtig angesehen5), es sei denn, daß er sich gerade wegen der
ihm vorgeworfenen Taten im Stadtgericht verantworten will6).
s. Wird das Geleit erteilt, so bezieht es sich auf die ganze
Zeit, die der Gast unter Berücksichtigung seiner Zwecke zum
Kommen, zum Verweilen und zum Fortgehen nötig hat ’), räumlich
auf den gesamten Stadtgerichtsbezirk *). Tritt der Gast in diesen
den (Hist angestrengten Prozeß (Salfeld Htadtb. I . V 1 1 — narb 13<HI — .
Walch I S. 28).
') Bamberg Stadtr. (1306)91, Zflpfl S. 28.
*) Oben S. 140.
ä) Lübeck Sladtr. (1294) LVII, Hach S. 273: Bamberg Stadtr. (1306)
Ul, Zfipfl S. 28: Köln Kidbuch (1341) XX. 9, Stein 1 S. 48.
Koblenz Stadtr. (1388) 32, Bür 8.53: Kleve Stadtr. (|4I7) 109
j 4, ZRO. 10 S. 240.
. ■'■) S. die Belege in der vorigen Anm. ln Koblenz ist das (ieleit
völlig nichtig, in Kleve insofern, als der Hast zwar onghehoent hieven, aber
sich sofort entfernen soll.
6) Wartberg Yertr. (1333). Wigand IV. 3 S. 294: Goslar, liraun-
sehweig. Halberstadt n. s. w. Bündnis (1335), Haiberst. l\ B. I nr. 443:
Koblenz Stadtr. (1388) 32, Bär S. 53.
7) Minsleben an Goslar (1311 — 1321), Gosl. U. B. III S. 314:
Dänemark an Lübeck (1320—1325), Lnb. V. B. II, 1 nr. 465: Bremen-
Hoya (1359), Klimck III S. 115. In München stadtr. (1294) 7, Gengier
St. IS. S. 294. und in Bamberg Stadtr. (1306) 91. Zöpll S. 28. wird gleich-
zeitig bestimmt, daß. wenn der Gast seinen Aufenthalt in der Stadt nicht
dazu benutzt, sich mit seinen Gegnern daselbst zu berichten, er nicht mehr
als dreimal hinter einander Geleit erhalten soll.
s) Görlitzer Landrecht (nach 1300) XLIV §7, oben S. 138 hinter
Anm. 1: Brünn Schöffenbuch (um 1350) 600, Rüßler II S. 275: statt
tttittt pax per iudieem civitatis indieta extra me tat ittdicii null um
(igat, sie nee proscriptie ultra lisnite t htdieii se extendit. Nicht nur innerhalb
der Stadtmauern, sondern auch außerhalb derselben bindet also das Geleit:
Bamberg Stadtr. (1306 91. Zöpfl S. 28. und Hildesheim GcleiUvcrsprochen
Uudortr, UccbtssteUuug der Oäsle 10
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14t»
Bezirk ein und wird trotz des erteilten Geleits angegriffen, so ist
zu unterscheiden, ob der Gegner von dem Geleit wußte oder nicht.
Im ersten Falle bricht er es1), im zweiten Falle nicht2). Unter
allen Umstünden hat die Stadt die Verpflichtung, das gültig er-
teilte Geleit, welches der Gast seihst nicht durch Friedbrüche
aufhebt3), zu halten und Zuwiderhandlungen Dritter zu unter-
drücken4). Widrigenfalls wird es so angesehen, als habe sie seihst
das Geleit gebrochen, womit ihr die volle Schadensersatzpflicht
zufällt5).
des Huts (1350—1380), Docbner V. 11. II 8. 275. Zur größeren Sicherheit
des geleiteten Gasts werden Gerichtsverhandlungen noch besonders an befrie-
dete Orte (Immunitäten) innerhalb der Stadt verlegt: Hamberg Stadtr.
(1306) 100, Zöpfl S. 30, nnd Hremen (1338; Ord. 103, Oelrichs S. 206.
*) Lübeck Stadtr. (1294) LYII, Hach 8. 273: Hamberg Stadtr.
(1306) 91 mit 92. 97. 98, Zöpfl S. 28—30.
*) Hamberg Stadtr. (1306) 92.93, Zöpfl S. 28. 29: Dortmund-Wesel
1" rt. Samml. (nach 1400 zusanimcngestcllt) 39, PrensdorlT S. 293. Voraus-
setzung ist aber, daß an sich rechtmäßig vorgegangen worden ist : wer ohne
Zuhilfenahme gerichtlicher Personen den Gast arrestiert, muß sich zwar nicht
wegen Geleitbruchs, aber mit Rücksicht auf den Stadt frieden doch wegen
frevel und smaeheit aß schaden verantworten (Hamberg und Dortmund a. a. G.:
vgl. oben S. 143). In Hamberg 94 ist die Sondervorschrift getroffen, daß
jeder Gast, der den andern Gast wegen eines außerhalb Hambergs begangenen
l'ngerichts festhalten will, sieb zuvor erkundigen muß, ob der letztere geleitet
ist oder nicht, widrigenfalls der Angreifer das Geleit bricht, auch wenn er
von dem Geleit weiß.
s) Goslar Stadtr. (lim 1300). Göschen 35. 36: Hamberg Stadtr
(1306) 95. 96, Zöpfl S. 29. 30. Namentlich auch Köln Stat. (1437), Enncn
V S. 484 (wozu zu vgl. Stein I S. 631 fF.), wonach auswärtige Leute unverzüg-
lich vunoorde ind geleide einbüßen, wenn sie vttr ey neben weretitliehen berichten
bynnen unser stat un hoc sch leeren ind die riehlere, seheßen, utnptludcn oß farthyen
mit ungehur liehen worden mishandeUen ,
4) Göttingen Stat. (1354), Pufeitdorf 111 App. S. 199: Köln au
Andernach (1367), Kimen IV S. 532: H ildeshe im an Lübeck (136)9), Docbner
U. H. II S. 17t.
5) Magdeburg Alphab. Samml. Magd. SchötTcnspriiehe, Wassersch-
l.bon S. 91. Durch Vertrag kann solche Pflicht natürlich ahgelehnt werden:
Köln an Andernach, in der vorigen Anmerkung.
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147
Sechstes Kapitel.
Die Gastgerichte.
I. Begriff und Name.
Bei Hwhtsstreitigkeiten, in die Gfiste') verwickelt sind, soll
unter Umstünden ein abgekürztes Verfahren l’latz «reifen dürfen.
Insofern mit derartigen Vorschriften eine Förderung der (Jfistc be-
zweckt wird, heißt die im einzelnen Falle auf Antrag des Gastes
auzuberaumende gerichtliche Verhandlung ein „Gastgericht“.
Dieser Ausdruck, «ler seit dem 14. Jahrhundert in den Quellen
auftaucht*), hat hier stets die auf den Vorteil der Gäste be-
chränkte Bedeutung*;. Kr sagt im Wesentlichen dasselbe wies
das derselben Zeit entstammende Wort gnstrecht, gaxte*re< ht Q,
welches zwar in einem allgemeineren Sinne überhaupt von dem
') Auch da. wo lediglich Mitbürger als Parteien fungieren, kann unter
Umständen besondere Beschleunigung eintreten. 8. darüber unten.
s) Koblenz Stadtr. (1363) 21, Bär S. ’>2. 53, auch 8. 43: Heiligen-
stadt Ordn. des Schulth. Berichts (vor 1400?) 16. Wolf Urk.S.-tl: Borhold
St nt. (15. Jahrh.) 55, Wigand III. 1 S. 23.
*) Zweifelhaft sind nur zwei Stellen, die vom g astrecht handeln, dein
mit gastgerieht im Wesentlichen identischen Begriffe (vgl. unten bei An-
merkung 4): Magdeb. Fragen II. 5, Kehrend S. 172. ist mit der Überschrift
versehen: Hy wollt wir sagen von gtsttn unde von gaslrttht , schildert aber in
d. 1 auch ein auf Antrag von Bürgern gegen (läute eintretendes schleuniges
Verfahren, hoch bezieht sich die erst vom Kompilator gegebene Überschrift
nur auf den Hauptinhalt der drei Distinktionen lind nicht auf alte in ihnen
gebrachten Kinzelhuiten : cs erhellt dies deutlich daraus, dalJ in d. 1 auch
noch von einem lediglich zwischen Mitbürgern auszufechtenden schleunigen
l'ruzeli die Kode ist. Ferner kommt Magdeburg Alphab. 8amml. von
Schöffenspr. Kap. 72. Wasserschieben S. 25. in Betracht, woselbst bei Klage
von Bürger gegen (last erstcrervom Richter beschieden wird, rieht to vorderende
des uegesten ddges to enem ga < free Ale. Doch ist aus dieser Stelle nicht er-
sichtlich. ob der Antrag auf schleuniges • Jericht mm Kläger oder von dem
beklagten (Jastc ausgegangen ist : letzteres wäre schon deshalb möglich,
weil nach dem Inhalt des Kap. 72 der Beklagte bei der Anberaumung des
neuen Termins offenbar persönlich zugegen ist.
4) Auch: mos Aos/iilum und ins hosfitmn in Brünn Schöffenb, (uni 1350)
5 bzw. 18, Köhler 11 8.6 bzw. 11: recht der Vreentden in II Hessen gräll.
l’riv. (1348), Teschemmicher l"rk. Will S. 15.
10’
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14X
Ansprüche der Gäste auf schnelles Gericht in einem engeren
dagegen von dem im einzelnen Fall berufenen und schleunig im
Interesse der Gäste verhandelnden Gericht zu verstehen ist2).
Schnelles Verfahren kann aber hei den oben genannten
Rechtsstreitigkeiten auch eintreten, ohne daü der in das Verfahren
verwickelte Gast von dessen Kürze Nutzen zieht, gleichgültig oh
er Kläger oder Beklagter ist. Mit Rücksicht hierauf könnte man
von Gastgerichten in weiterem Sinne reden, wofern man die Frage,
wem das schnelle Verfahren dienlich ist, aus der Betrachtung
ausscheidet. Die Quellen selbst bedienen sich gewisser allgemeiner
Ausdrücke, die von bestimmten äulleren Eigentümlichkeiten des
Verfahrens ihren Ursprung herleiten, so /m-ding von der Be-
setzung. indicinm e.rtraordinarium 4) und Holding* ') von Besetzung
und Tennin. dat körte nwertaegede reeht *) von Termin und Dauer,
gtmengericld oder »Inendes gerieht ’) von dem Orte des Gerichts.
Mit Recht weist Osenbriiggen*) die Ableitung von ga»»engerichl
aus dem mitlverstandenen Worte gastgeriehi zurück: nur trifft
seine eigene Erklärung “), Gassengerichte seien die unter freiem
') Magdeburg Weist, f. Kulm (1338) 7, Laband litRi. S. 141: Magdeb.
llresl. svst. Sch. R. I. 26, Laband S. 1 1 : Magdeb. Kragen LI. 2 d. 17 und
11. öd. 3, Kehrend S. 166 bzw. 173; Magdeb. Alphab. Samml. vnn Schftffen-
sprücheu Kap. 144. Wasserschieben S. 49. Kerner die eben S. 147 Anni. 4
angeführten Stellen und Prag Stal, liecht (1014 — 1418)) 117, Kniller I S. 71:
Preising Stadtr. Huch (1328)89, Maurer S. 319: Kain Kechtabrief (1332) 5.
gedruckt bei Osenbrüggen S. 49. Den Gegensatz bildet stat recht, hierher
recht: Preising (s. diese Amn.) und Magdeb. Kr. II. 5 d. 3. Behrend S. 173.
s) Preising Stadtr. Buch (1328)89 t’berächrift, MaurerS.309: Magdeb.
Bretd. syst. Sch. It. 111. 2 d. 138. Laband S. 124: Magdeb. Alphab. Satutni.
v<m Sehöffenspr. Kap. 22. Wasserschieben S. 10. Desgl. Schleswig Neueres
Stadtr. 91. Thorsen S. 48. I her den Sprachgebrauch von Recht und Gericht
s. auch Stölzel. Hrandenb. l’reull. Rcchtsverf. und Rechtsverwalt. (Ilerlin
1888) I S. 25 und 26.
3) Hlume des Sachsenspiegels (um 1400) I. li nr. 21, RLdlt. 8. 383.
*) In Brünn, Kniller II S. LXYll.
s) Magdeb. SehölTenr. der Dresd. Hdschr. Kap. 156. 157. Behrend S. 23t,
6) Kochold Stat. (15. Jahrh.) 57, Wigand III. 1 S. 24: K a 1 k a r Stadtr.
(vor 1417) 157. ZUG. 10 S.215: Kleve Stadtr. (nach 1424) 96 $ 5
ZUG. 10 S. 234.
7) Koblenz alt. Gericht sh. (1366—1424) 19, liSr S. 93. 94.
") S. 58.
'■') S. 59 und 60.
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149
Himmel abgelmlteueii Gerichte und insofern der Gegensatz solcher
Gerichte, die in Diughäusern abgehalten würden, nicht das Ent-
scheidende. Wie schon ans der engen Zusammenstellung mit dem
Ausdruck * Utende» gerirht ') hervorgeht, verstand man unter Gassen-
gerichten die < lerichte, die nicht an der ordentlichen Dingstatte
stattzufinden brauchten, welche des Richters und der Urteillinder
feste Sitzplätze aufwies *) und so gut wie in einem Hause auch im
Freien liegen konnte. Gassen- oder Gastgericht wurde nämlich
häutig da gehalten, wo der Klager den Heklagten gerade traf, wo
er z. 1$. den Wagen oder das l’ferd des letzteren anhielt ’), in der
Regel also auf der Straße, auf der Gasse4). Hier tat der Beklagte
dem Kläger oj> dem Vnte, «/< dem stuende enet s_). Recht.
II. Entstehung.
Wie und wann die Gastgerichte aufgekommen sind, läßt sich
nicht zweifelsfrei entscheiden. Abwegig ist die von Grimm“)
geäußerte Ansicht, die Gastgerichte (im engeren Sinn) bedeuteten
den Anfang einer prozessualen Gleichstellung der bisher recht-
losen Fremden; sie sind in Wirklichkeit eiue Besserstellung
gegenüber den einheimischen Gerichtsgenossen. Umgekehrt ist
auch Goldschmidts Meinung7) nicht haltbar, wonach bereits die
Privilegien Ludwigs des Frommen und Karls des Kahlen") die
Grundzüge des gastgerichtlichen Verfahrens enthalten; denn es
handelt sich hier lediglich um die Erteilung der Immunität an
') Synonym mit Gastgericht gebraucht in Koblenz, oben S. 148 Anin. 7.
*) Planck I S. 127. 128.
3) Hörde Kechtsbr. (1340) 21. Gengier St. K. S. 138.
4) Vgl. Goslar Stat. (1230). Gosl. U. 11. 11 S. 418: Item muH burgenscs
civitatis />cr sculthitos extra forum (<i. li. an einen Platz außerhalb des Markles,
der ordentlichen Gericlltsstattc) sunt citandi, sed bospites et atieni possunt citari.
h) Hörde, s. oben Anni. 3. uml H Hessen Priv. (1348). Teschenmacher
Urk. XXIII S. 13.
*) deutsche liecht sultcrtunier (Leipzig. 4. Aull. 1833) II 8. 445 7. Das
Gegenteil erhellt besonders klar aus dem Priv. für Magdeburg (1 188) 7. 8,
unten S. 132 Anm. 2. wo ausdrücklich erwähnt wird, daß vor Kinfühniug der
Gast berichte die Gäste das ordentliche Gericht von Burggraf oder Schultheiß
um Krlediguug der Klage angehen mußten und durften.
7) Handbuch des Handelsrechts. Band 1. Aull. 3. .Stuttgart 1831. S. 120.
h) MG. LL. II5 Kapitularia 1 S. 261 IT. (813) be*w. 2 S. 238 fl'. (840).
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150
Spanier, die diese an bestimmten Orten des frilnkiselien Reiches,
an denen sie seßhaft sind, genießen sollen.
N’Sher kommt Schröder’) der Wahrheit, wenn er sagt: „Die
Natur des Markt verkehr» brachte es mit sieh. daß die Markte
mit einem gebotenen Oericht (oder Gastgerieht) versehen wurden“.
Die Notwendigkeit eines solchen Gerichts folgt schon aus der
Natur des Marktfriedens, welcher den auswärtigen Marktteilnehmern
die Abreise vor SchluU der Marktzeit nahelcgte, um sich die Vor-
teile jenes Friedens tunlichst auch für die Reise selbst zu sichern *i.
Schon 1 1 fit» wird zu Gunsten der auf den Aachener Markt
strömenden mercutorc» erklärt:
« mm dini « alii/uid perperam Jo< tvm fuerit, in niindini*
» cc und u in iuxtitinm etnendefur ').
Diese schleunige Gerichtsbarkeit während der Marktzeit wird auch
in anderen Quellen, sowohl bei Klagen um Schuld4), wie auch bei
Klagen um Ungericht und Frevel5), erwähnt. Das Marktweistum
für Zülpich®) geht sogar soweit, Frevel, die während des drei-
tägigen Remigiusjahrmarkts begangen und nicht an dessein letzten
Tage eingeklagt sind, überhaupt für unklagbar zu erklären. Zu-
weilen schreitet die Gerichtsbarkeit während des Marktes noch
rascher vorwärts als die ebenfalls beschleunigte Rechtsprechung
außerhalb der Marktzeit ’); jedenfalls bewirkt sie eine gesteigerte
Tätigkeit des Gerichts, welche das Verbot einer Erledigung reiner
Borgerstreitigkeiten während der Marktzeit nötig macht *t. —
') S. 192.
Oben S. 121 11.. namentlich S. 132.
3; Priv. Friedr. I. $2. Königen l'rlt. S. 38.
4) Oben S. 129—131.
5J Höxter Stat. (1223 — 1257)4. Geligler St. 11. S. 202: Helmars
bansen Priv. (1254j, Wigand IV. 1 S. 23.
®) Grimm VI S. 1180. (>81, § 4 und 2.
7) Köln Ordnung der vierzohntägigen (vgl. VI. 1) Messe (narb 13(10
Mär/. 17)1. 1 und 12, II. 1. III. 5, Stein II S. 28. 29. 30. 31, wo ein Hecht
tun uirc(’t2oicht, mit der <tmn;n il. s. n . vorgeschriebe!! wird. Dagegen sollen
gewisse kleine Frevel auf dein RuUniarktc der übrigens auch außerhalb der
Messe stattfand: I.au S. 298 . ebenda 111. II. sowie sonstige Oastsaelicn
außerhalb der Messe nur an drei Wochentagen (siehe Näheres darüber unten)
gerichtet werden.
H) S. oben S. 49 hei Antu. 1.
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151
Wenn es in einem Privileg für Köln’) heißt. Zollhinterziehungen,
deren man anderwärts die Kölner Bürger beschuldigte, sollten
unverzüglich zur Entscheidung gebracht werden sire infra nun-
dinns ui re i-.itra, so erklärt sich dieser letzte Zusatz offenbar
daher, daß es in Ansehung der 11!)0 und 119Ji*i ganz allgemein
erteilten Befugnis : iuramento jim/irie manu« se e.i/wryet (sc. der
kölnische Bürger) H sine dibdione libere recedal streitig geworden
war, ob sie sich nur auf die Zeit der Jahrmärkte beziehe oder
nicht. — Auch die Terminologie weist auf die Verwandschaft der
inner- und der außerhalb der Marktzeit geübten schleunigen Ge-
richtsbarkeit hin *,i.
Gleichwohl sind beide nicht ganz identisch. Denn das
außerhalb der Marktzeit abgehaltene Gastgericht unterschied sich
namentlich durch die erweiterte Zuständigkeit, die nicht auf die
am Klageort (und zwar während der Marktzeit) getätigten Vertrage
oder verübten Delikte beschränkt war; es beruhte auf allgemeineren
Erwägungen. Abgesehen vom Anwachsen des Verkehrs ist nament-
lich im Hinblick auf die Gastgerichte i. e. S. die Entwicklung
der Gerichtsstandsverhältnisse ') hierher zu ziehen, die den
Kläger teils berechtigte, seinen Schuldner au einem beliebigen
dritten Ort zu fassen, teils ihn nötigte, das Domizil desselben
aufzusuchen. Den Schuldner dort, den Kläger hier solange zum
Bleiben zu zwingen, wie das ordentliche Verfahren verlangte,
mußte unbillig erscheinen. Hinzu trat, daß namentlich die
Bürger von der Befugnis, die Person oder das Gut eines Gast-
schuldners festzuhalten, umfassenden Gebrauch machten, ohne daß
der Besetzte stets in der Lage war, diese Maßregel durch
hinreichende Bürgen oder Pfänder abzuwenden. So erschien der
einheimische Kläger in der Kegel genügend gesichert: es ward
*) Priv. Ottos IV. (1212), Lncomblct II S. 22.
*) Priv. Heinrichs VI. (1190), linnen I S. 601, und (1193), Laconiblct I
S. 376.
*) In Huessen jfriitl. Priv. (1318;. Tcscbuninachcr l:rk. XXIII 8. 15,
wird das Recht auf schleuniges Gericht während der Marktzeit als das
ruht Jer Vretntiltn bezeichnet, ln Koblenz Stadtr. (1363) Art. 21, Här
8. 52. 53, heißt das während der Marktzeit in besonderer Form zu Gunsten
der fremden Kaufleute richtende Gericht das saslgerahtt. (Näheres darüber
s. unten).
4) Vgl. oben Kapitel III, namentlich 8. 38 —49.
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deshalb vielfach ein Hecht auf schnelles Gericht gegen Gäste entweder
ihm ausdrücklich versagt oder doch nicht entwickelt und erwähnt,
während umgekehrt ein entsprechender Anspruch gerade des be-
klagten Gastes durch die Verhältnisse angeregt und bestärkt werden
mußte.
Bezeichnend sind namentlich die Verhältnisse in Magdeburg.
Die Stadt war seit dem 10. Jahrhundert einer der wichtigsten und
belebtesten Handelsplätze und Grenzorte des Reiches. Trotzdem
ward das schnelle Verfahren in Gastsachen hier erst gegen Ende
des l.\ Jahrhunderts') eingeführt, und zwar als ein Bestandteil
der Rechtsvorschriften, welche Erzbischof Wiclunann der durch
Brand schwer betroffenen Stadt, cum e.r antiipia conxtituciane muht«
n uuli * in iure cirili et uliix inrominodilaiibux constricta Juerit, pro
huiuxmodi mitigaudi# et rcleeandi* im Jahre 11 SS erteilte*). Ae per
huiuxmodi dilacionem alii/ua dampna u tr i nn/ue emergant, sollen fort-
an weder die gegen Bürger klagenden Gäste noch die gegen Gäste
klagenden Bürger die ordentlichen Gerichtssitzungen von Burggrat
oder Schultheiß abwarten. Auch die klagenden Bürger besitzen hier-
nach ein uneingeschränktes Recht auf sofortiges Gericht, das aber
infolge der Entwicklung des Arrests verkümmert und in späteren
Quellen teils nur als das Recht wegefertiger Bürger erwähnt, teils
ausdrücklich verneint wird. Berücksichtigt man schließlich, daß in
demselben Privileg*) auch den beklagten wegefertigen Bürgern das
(in späterer Zeit festgehaltene i Recht gegeben wird, eine rasche
Verhandlung zu fordern, ne votum peregrinandi out causam negociamli
oreaxio huiuxmodi dilacionix impediat, so wird man aus den besonderen
Magdeburgischen Verhältnissen doch im Allgemeinen schließen
■) Nächst Hagenau Sladtr. (1164) 16, Königen t'rk. S. 136, findet
sich im Magdeburgischen liecht immerhin mit die älteste und zweifels-
freie Umsetzung von tiastgerichten.
*) § 7 und 8, l.aband RQu. S. 2: vgl. auch Kinl., l.aband S. 1. Dali
die in der Kinleitung gegebene, oben abgcdrocktc Motivierung des Privilegs
keine Phrase ist, sondern dal! tatsächlich neues liecht geschallen wird, zeigt
■/.. B. <t 1 : hier wird die eure aufgehoben, deren Bestehen in Magdeburg noch
für das Jahr 1174 ausdrücklich bezeugt wird (Jüterbogk, Priv. F.rzb.
Wichmanns bei Schott gen und Krevssig. Diplomataria et scriptorcs
historiae (icrmanicac uiedii aevi. Altenburg 1783. III S. 392).
J) J 6. l.aband IHpi. S. 2.
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153
dürfen, daß die Gastgerichte außerhalb der Marktzeit kaum vor
dem 12. Jahrhundert und nicht in unmittelbarer Anlehnung an
die Marktgerichte aufgekommen sind.
III. Die Bevorzugung der Gäste.
Wenn nicht selten die Frage aufgeworfen worden ist, ob die
Gastgericlite in der Tat Bevorzugungen der Gäste darstellten, und
wenn man diese Frage im Wesentlichen verneint hat, so liegt das
daran, daß man den oben l) entwickelten Unterschied zwischen
Gastgerichten im engeren und im weiteren Sinne nicht beachtete.
Die ersteren, d. h. im Sinne der Quellen die eigentlichen „Gast-
gericlite“, bilden für die Gäste aus naheliegenden Erwägungen *j
einen unleugbaren Vorteil. Daß die Gründe solcher Bevorzugung
zuletzt egoistische sein mögen, sei es daß man den Verkehr der
eigenen Stadt fordern, sei es daß man auswärtigen Repressalien-
arrest gegen einheimische Bürger verhindern wollte, kann natür-
lich nicht dahin führen, die Tatsache der Bevorzugung selbst zu
leugnen5). Keine Rechtsgemeinschuft verleiht ja Fremden mehr
liechte als dem eigenen Nutzen frommt. Man rechnete deshalb
auch gerade gelegentlich der Gewähr von Gastgerichten auf Gegen-
seitigkeit. was namentlich in späterer Zeit zum Ausdruck gelangt *).
Wie sehr man die Gastgerichte i. e. S. als eine Bevorzugung
empfand, zeigt, von anderem abgesehen5), in prägnanter Weise
das Stadtrechtsbuch von Freising mit dem Satze:
Ob ein yunst ru uiner »tut kiimbt . . ., der sol ul it yuet
') 8. 147. 148.
*) München Stadtr. (1347)260, Alter S. 100, motiviert: aas «•/•(*(•. der
gast) an dem uaeduttn tay seiner tnpuuiid näht versaumpt sey, und Hagenau
Stadtr. (1 164) 18, Kcutgcn l'rk, S. 136: propur transeuntis impedimenta . Ähnlich
begründet das schnelle ticrirht zu Dunsten des beklagten wegefertigen
Bürgers Kreiberg llatsvvillkür (um 1350) 12, 13. Knnisch S. 274: Der Richter
soll dein Bürger lasch helfen und ihn dann bissen mm narun^t warten.
3) Wie es Stolze S. 78 fl. versucht.
*) H e ij igens t ad t Ordn. des Schulth. Gerichts (vor 1400?) 16, Welf
l'rk. 8.41: Doch Stadtr. (1400 1450?) 12. ZlUi. 10 8.221: Kalkar Stadtr.
(vor 1417) 157, ZHli. 10 8. 215: Bochold Stat. (15. Jalirh.) 57, Wigand III.
1 S. 24.
5) Vgl. oben S. 148 bei Amu. 1 : Hagenau Stadtr. (1164 18. Kenteren
l’rk. S. 186 (iuavu/t, sc. hospes): Koblenz Stadtr. (1363) 21, Bär S. 52. 53
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recht haben n als ainer der in der stat gesexsnn ist ... un so
eil pesser das man im zue aller zeit rieht nn sol, ob man
im sein not ist ’).
Die Vorteile schnellen Gerichts wurden auch durch besondere
Verträge sichergestellt, deren namentlich Köln zahlreiche abseh In 15
und in denen man einander iustitia c.rpedita, iustieia improt raetafa,
ein oHeerzoicht, oncertaghen, hendelingen recht ilun, die Vermeidung
jeglicher di/acio zusicherte *). l’nd wie den deutschen Kautleuten
in Lothringen ’i oder Flandern') Erledigung ihrer Prozesse binnen
einer meist nach Tagen bestimmten kurzen Frist versprochen wurde,
ward den Angehörigen auch jener Länder in Aussicht gestellt:
causa etiam mercatoris tnfra tertium dient eel sallcm inj ra
octaeam in eieilate tiostra debet terminori s).
Derartige vertragliche Fristbestimmungen finden sieh in der Folge
auch anderwärts 6).
(in dem besten und umb des mar kt $ willen van fremden knuff luden). — Zu berfirk-
sichtigen ist übrigens. daß unter «len Gastgerichten i. w. 8. die Gast berichte
i. e. S. den weitaus grüßten Bestandteil ausmachten und den Bürgern gegen
Gäste vielfach kein Anspruch auf beschleunigtes Verfahren gegeben war.
«) 69 (1328), Maurer 8. 309-311.
*) Mit Flandern (1197), Hans. V. B. I 8.25, und (1212), Hans. V. B. 1
8.40: mit Boppard (1252), Gengier Kod. S. 256; mit Berg (1262). La-
eomblet II S. 290; mit H n y (1277), Knnen III S. 129: mit Berg (1280),
Kimen UI 8. 157, und (1318), Lacomblet III 8. 135: mit Luxemburg,
.In lieh und Aachen (1375), Lacomblet 111 8. 600: mit Jülich und
Geldern (1392), Lacomblet III S. 849: mit Lüttich, Huy, Dinand
Tongern, St. Troud (1394), Lacomblet III 8.881. Ähnlich z. B. Bündnis
/.wischen Münster, Osnabrück. Soest und Dortmund (1277) 8, Osnabr.
U. B. III nr. 598: Vertrag zw. Jülich und Kleve (1387), Lacomblet III
8. 811.
*) Priv. des Herzogs von Lothringen für die deutschen K autle ute
1315) 11 und 20. Hans. lT. B. II S. 107. 108 (eeleriler).
4) Privilegien des Grafen von Flandern für die Kaufleute des römischen
Leiches in Flandern (1307) 10. Hans. I*. B. II 8. 53. in Brügge (13419) 19
(n. 27, Hans. U. B. II S. 71. 68. 69. und in Flandern (1360) 11, Hans. U. B.
III 8. 246, bezw. (1360) 18 und 43. Hans. t\ B. III S. 259 u. 264.
5) Mitteilung von Vogt und Bat in Bremen an die Gräfin v. Flandern
1255), Khmck I S. 305. Vgl. oben 8.35 bei Anm. 5 und 6.
6) Duisburg mit Berg (1288), Lacomblet II 8.500: st ädt. Landfr.
zw. Münster, Osnabrück. Soest und Dortmund (1338), Hans. I . B. II
8. 277.
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155
IV. Die Parteien.
I . Betrachtet man die Gastgerichte im Einzelnen, so zeigt
sich, dall hei allen Streitigkeiten, in denen (last gegen Hast
steht, das Recht des Klägers oder des Beklagten auf Gewährung
eines Hastgerichts ein uneingeschränktes ist.
a) Was zunächst den klagenden Teil anlangt, so war das
erwähnte Recht Hir ihn von groller Wichtigkeit. Denn es ersparte
ihm u. U. eine Reise in das Domizil des Beklagten, wo seiner
nicht selten ein erschwertes Beweisverfahren wartete. Teils wird
im Hinblick auf den Kläger ganz allgemein hervorgehoben '): iiidi-
rium jieri debrt ultra noctrm , i/uod twerchnach i liritur , oder: man na!
yrtagis rir/Uin , teils auf das Recht (und die Pflicht) des Klägers
hingewiesen, in dem zu seinen dunsten berufenen Hastgericht so-
fortigen Beweis gegen den beklagten Hast zu erbringen*). Wo
dem Kläger ein Hastgericht einmal versagt wird, handelt es sich
nie um ein grundsätzliches Verbot, sondern es wirken besondere
Rücksichten ein, seien es solche auf den Herichtsstand *), seien es
solche auf den Klagegegenstand4), seien es schließlich Rück-
sichten darauf, dall sich der Kläger, bevor4) er zur Klage schritt,
') Frankfurt a M. Stadtr. (1297) 17. Keiitgen I'rk. .S. 189: kleines
Kaiserreclit (nach 1300) I. 16, Kndemann S. 18: M agdeburg- 11 reslauer
syst. Sch. Iteclit II. 2 d. 35, Laband S. 32: Wien - Neustadt Stadtr.
(13. .bihrli.) 45. Winter S. 152: llain Kcchtsbr. 1332) 5. abgedrnckt bei
Osenbrnggcn S. 49. Das gleiche Hecht des klagenden liastes besteht natürlich
auch, wenn er den Prozett mit Auflmltcn des beklagten liastes (Koblenz
das alte Gerichts!). 19 § 1. 3 — 1361! bis 1424 — bei Bär S. 93. 94,1 bezw. seines
Gutes (Magdeburg Satnnil. von Schöffenspr. aus der Ilrcad. Hdschr. Kap. 50
bei Wasserschieben KGu. S. ISS ff.) oder mit Anefang begonnen hat (Frei-
borg Stadtr. IX § 1.3 mit III $ 3 — 1296 bis 1307 — bei Ermisch S. 88.91. 50).
*) Hamburg Stailtr. (1270) VI. 6 mit Anm. und VII. 5, sowie (1292)
H. 3, Lappenberg S. 27. 40. 138: Mugdeb. Bresl. syst. Sch. ß. I. 26.
Labaml S. 11.
3) Brünn SchölTenb. (um 1350; 5, KüLtlcr II S. 6. Vgl. oben S. 54
Audi. 1.
4) Magdeb. Bresl. syst. Sch. li. 111. 2 d. 5. Laband S. 71. und Magdeb.
Schöffenspr. für Stendal (1333) V, Behreml l rt. Buch S. 25, mit Magdeb.
Fragen II. 5 d. 1, Bohrend S. 172. 173.
5) Vgl. Planck II S. 415 Anm.
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15fi _
schon mit der Setzung eines Pfandes durch den Beklagten hegnügt
hat, ohne dieses Pfand mit vorwoilin und mit undirtcheide zu
nehmen1). Des ferneren darf der obsiegende Gast gegen den
unterliegenden Gast schleunig vollstrecken lassen bezw. Urteils-
erfnilung verlangen, gleichgültig ob ein gastgerichtliches *) oder
aber ein gewöhnliches Verfahren voraufgegangen ist’).
b) Umgekehrt darf aber auch der beklagte Gast ausnahms-
los verlangen, daß der klagende Gast sofort bereit sei zu ver-
handeln und entweder den erforderlichen Beweis zu erbringen oder
aber des Beklagten Entschuldigung entgegenzunehmen '); insbe-
sondere, wenn Person oder Gut durch den klagenden Teil festge-
halten werden, tritt die Wichtigkeit dieses Hechtes des beklagten
Gastes an den Tag3).
•J. Sehr viel hantiger befassen sich die Quellen bei der Er-
örterung über Gastgerichte mit dem Verhältnis von Bürgern
und Gästen zu einander").
a) Auch hier ist, soweit der Gast als Beklagter in Be-
*) Magdeh. Fragen II. 2 d. 9a, Bohrend S. 160: anders Magdeh. Fragen
II. 2 d. 14 und 17, Kehrend S. UM. 166. wo es sich um ein iin Gericht
gegebenes Pfand handelt.
Magdob. Kresl. syst. Sch. K. II. 2 d. 35, Kabaud S. 32: Kohlen t
das alte Gerichts!). (1366-1424) 19 § 1. 3, Här S. 93. 94.
3; Hamburg Stadtr. (1270) IX. 14 und (1292) M.X1, happeuberg S. 55
und 147: Bremen andersher übern. Ordale (1305) XCIII, Meirichs S. 121:
Magdeb. Kragen II. 2 d. 14, Kehrend S. 164.
*) Freiberg Stadtr. (1296—1307) III § 3, Krmisch S. 50; Kleines
Kaiserrecht (nach 1300) I. 16, Kndcinann S. 18 (auf ein Gericht über die
<)Ucrnacht hat der Kläger ipso iure Anspruch: ein Gericht auf der Stelle
dagegen hängt vom Willen auch des Beklagten ab): Huesscn Priv. (1348),
Tescheninacher l'rk. XXIII S. 15: Magdeburg Kresl. syst. Sch. K. I. 26.
I.abund S. 11. Vgl. Wien-Neustadt Stadtr. (13. Jahrli.) 45, Winter S. 152.
5) Kreiberg Stadtr. (1296 — 1307) III §3, Krmisch S. 50: Goslar
Stadtr. (um 1300), Göschen 66. 35, und Aufs, über Schulth. Amt (14. Jahrli.),
Göschen 110. 13 .in Göschen 66, 35 ist aus Göschen 110. 13 bezw. 63. 28
ein /,» haut , van stumtoi an vor anliaardnt 7.11 ergän/.cn : werden Bürger besetzt,
so haben sie nicht liecht auf sofortigen, sondern der Y"gt bestimmt, wie
das in Goslar sein Ucclit ist, einen beliebigen Termin, vgl. Planck I S. 35311'.):
Prag Stat. Kerbt (1314 — 1418) 117. KöLSlcr 1 S. 71: Lüneburg Stat. (vor
1400) I, a. K., Kraul S. 58.
") I nerörtcrt bleiben auch hier die zahlreichen Aussprüche, die dem
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traclit kommt, sein Hecht auf schleunige Verhandlung überall ein
unbeschränktes, während sich, sobald er als Kläger aultritt, An-
haltspunkte dafür finden, daß insbesondere in den außersächsischen
Gebieten ihm Hecht auf rasches Gericht bisweilen versagt wird *).
Der Anspruch auf Gastgericht wird dem beklagten Gast teils ohne
weitere Motivierung zugeschrieben *), teils wird ausdrücklich darauf
hingewiesen, daß derartiges schleuniges Verfahren gerechtfertigt
sei, weil der Gast häutig für sein Erscheinen im ordentlichen Ding
keine Sicherheit (durch Bürgen) setzen könne3). Namentlich aber
tritt der erwähnte Anspruch als das Mittel auf, um einen vom klagen-
den Bürger ausgebrachten Arrest sofort endgültig zu beseitigen1 ).
b) Die entschiedenste Begünstigung des klagenden Gastes,
ilie darin liegt, daß ihm auch gegen Einheimische rasches Gericht
zugebilligt wird, ist, wie schon erwähnt, keine ausnahmslose. Der
Gast einen Anspruch auf schnelles Gericht zubilligcn, ohne zu sagen, in
welcher Parteirollc er sich befindet.
') Ks sei denn gerade Marktzeit: vgl. Koblenz Altes Gerichtsbuch
(1366— 1424) l‘J $2. 1. Bär S. 93. mit Stadtr. (1363) 21, Bär S. 52. 53.
s) Hagenau Stadtr. (1164) 18. Kcutgen l'rk. 8. 136; Köln Priv
Ottos IV. (1212), Lacomblct II S. 22: Magdeburger SehOlTenrecbt (nach
1261) V J 3, l.aband RQii. 8. 115. 116: Krciberg Stadtr. (1296 — 1307; Hl
$3, Knnisch S. 50: Goslar Stadtr. (um 1300), Göschen 63. 28: Hildcs-
heim Stadtr. (um 130(B 52 mit 53, Doebner 1’. B. I S. 284: Magdeburg
Weist, für Kulm (1338) 7, l.aband Rlpi. S. 141: Magdob. Bresl. syst. Sch.
R. II. 2 d. 35, Laband S. 32: Magdeb. Prägen I. 16 d. 5, Behrend S. 142:
Magdeb. aljihab Sainnil. von Schöffcnspr. Kap. 144, Wasserschloben S. 49:
Landshut Stadtbuch (14. Jalirb.) VII. 1, oben S. 62 Amn. I und S. 63 Amu. I.
3) Dresden markgrätl. Satzungen (1299;, Gengier Kod. S. 890: Magdeb.
Fragen I. 16 d. 5, Behrend. S. 142. Allgemeiner, weil von „Blenden“ han-
delnd. ist Brünn Schöflensatzung (14. Jahrh.), Rößler II S. 397, und Knt-
sprechendcs meint Prag Rechtsbuch (14. Jahrh.) 20. Rößler 1 S. 107. Vgl.
auch RLdli. 46 §2 und 4. sowie die oben S. 29 und 30 zitierten Stellen,
wonach der beklagte (fast, anstatt Zeugen zu bringen, u. U. alsbald den
Klcndeid leisten darf.
*) Münster Stadtr. (1221) 56. Kcutgen l’rk. S. 153 (macht der Gast
Von seinem Recht, sich wegen seines arrestierten Gutes zur sofortigen
Antwort zu erbieten, keinen alsbaldigen Gebrauch, so muß er zum ordent-
lichen 14 tägigen Ding kommen): Lechenich erzbisch Priv. (1279; 15,
Gengier St. R. S. 241: Freiberg Stadtr. (1296—1307) III § 3, Krmiscb 8.50:
Riga uuigearb. Stat. (um 1300) II. 9 § 1. 2, Napicrsky S. 154: Goslar
Stadtr. (um 1300 und Sehullhcißcnamtsaufsatz (14. Jahrh.), Göschen 66. 35
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Verfasser des kleinen Kaiserreclit» ') rechtfertigt die ablehnende
Haitun.!; mit einer angeblich kaiserlichen Bestimmung des Inhalts:
und) des wegfertigen manne s willen hat der gesezzin inan sin recht
nit verlorn. Es ist nicht unmöglich, daß eine ähnliche Bestimmung
wirklich bestanden hat, sich aber, gleich dem Magdeburgischen
Recht*), hlott auf das Verhältnis von Bürger zn Bürger bezog
und dann von dem Verfasser mißverständlich auf (laste1) gedeutet
worden ist. Deutlicher verhalten sich Freiberg *t und Koblenz1!,
welche den klagenden (last zweifellos auf den gewöhnlichen Rechts-
weg verweisen. Während aber Koblenz sich auf die Vorschrift
beschränkt, der Fremde solle den Bürger eoruehemen <dß ime daß
gepuirt, laßt Freiberg selbst im vierten, vom beklagten Bürger
versäumten Ding kein l'rteil ergehen, sondern legt dem Beklagten
von Ding zu Ding steigende Bußen, vom dritten Ding ab für
jedes versäumte Ding je eine Büßt* von (>0 Schillingen auf, die
der Richter alsbald beitreiben muß: Da; nute he (sc. der ga.*t')
triben alse lange he teil uj sine pjenninge oder nf sine pfant unde
ouch di teile der riehter di buze uf sin erbe «lan teil. Wie in
Freiberg, so wird auch in Hannover für das anscheinend6) hei
Klage gegen Bürger unbekannte (»astgericht i. e. S. indirekt ein
Ersatz geschaffen; muß der klagende (»ast lediglich um eines
gegen den beklagten Burger an heran in teil Termins willen in der
bezw. 110. 13 (hierzu vgl. oben S. 156 Amn. 7); Prag Stat. Hecht (1311 — 1418,
117, Kfißlcr I S. 71: Koblenz altes Gerichts!). (1386 — 1424) 13 $3 mit § 1
uiid $ 2. Bir S. 513. 94: hist III. 4 «1. 3. Ortloff S. 143: Lüneburg St nt .
('vor 1400) L, Kraut S. .78.
■) (nach 1300) I. 17, KndeuiHim S. 18. 13.
*) I nten S. 103. namentlich Amn. 1 a. H.
3) Au« den vorhin angeführten Worten mit ihrem Gegensatz von u>e$-
ftr/iq und gesezzin folgt, daß von Gästen die Hede ist.
*) Stadtrecht (129t» — 1307) 111 § 1. Hrmisch S. 48 bis 50: vgl. dagegen
III $ 3, Hrmisch S. 70, bezüglich der Hechte des beklagten Gastes.
Immerhin gewährt 111 § 1 wenigstens rasche Vollstreckung.
') Koblenz Altes Gcrichtsbiicli (1380 - 1424) 19 §2, Bär S. 93 lind 94:
vgl. dagegen 19 § 2 und 3 wegen der Hechte des beklagten Gastes.
#; luklar ist Heiligenstadt Ordn. des Schultheißcngerichts (vor
1400?) 15. Wolf l’rk. S. 40, wo es beißt, inan solle dein Fremden gegen
einen Bürger helfen nach t/cs Berichts teuften über die Irrungen, während in
18 den Bürgern benachbarter .Städte unter der Voraussetzung der Heei|»r»*ci*
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15i»
Stadt liegen und Zeit verlieren, so soll der Börger ihm » in kntl
ghelden na mngheliken dingen
Die grundsätzliche Regel diesen Ausnahmen gegenüber, wie
sie namentlich im Magdehnrgischen Recht konsequent seit 1 1 ks
ausgesprochen worden ist, bleibt aber das Recht des klagenden
Gastes darauf, dall ihm auch der Bürger im (iastgericht antworte.
Sie findet sich unterschiedslos, wie in den Magdehnrgischen *), so
auch in den westfalischen und niederrheinischen 1 1, in den sonstigen
niederdeutschen4), in den mittel- und in süddeutschen Quellen4).
Da an sich die Möglichkeit, Person oder Gut des Bürgers zu
arrestieren. eine sehr beschränkte ist'), so ist von einem Gast-
gericht, das sich an einen durch den Gast ausgebrachten Arrest
anschlösse, kaum die Rede. Nur in einer Magdeburgischen
litt ein fus/gtruA/ bewilligt, dagegen in 17 naliewuhnenden Landleiiteu ver-
sagt wird. Wahrscheinlich ist 16 als ein durch das Erfordernis der Iteci-
procitSt begrenzter Unter fall von 15 anzusehen.
') Hannover Stadtr. (um 1350?) II. 43, Vaterl. Arch. S. 310.
*) l’riv. (1188)7. I.aband K<)n. S. 2: Schaffenrecht (nach 1261) V § 3,
I.aband Rt)u. S. 115: Weistum fnr Kulm (133.8) 7, I.aband Rt)u. S. 141:
Mngdeb. Bresl. syst. Sch. R. II. 2 d. 35 und III. 2 d. 138, I.aband S. 32 und
121: Magdeb. Fragen II. 5 d. 1, Hehrond S. 172: Krieg Rechtsbestftt. (1324)
35, Koni S. 103 (sofortige Verhandlung, kurzfristiger Kid): Glogati liechtsb.
(1386) 520. 521. Wasserschieben 10)11. 8. 63: Blume des Ssp. I. lt nr. 21.
IH.dTt S. 363.
•,) Hörde Rechtsbr. (1340) 21, (ienglcr St. lt. S. 198: Goch Stadtr.
(nach 1400) 12, ZRG. 10 S. 221: Kalkar Stadtr. (vor 1417) 157, ZRG. 10
S. 215: Bochold Stat. (15. Jahrh.) 55 — 57, Wigand III, 1 S. 23 und 24.
Über Wesel und Köln s. unten.
*) Hamburg Stadtr. (1270) VII. 5 und (1292) H. 3. bappenberg S. 40
und S. 134: I.nbeck Stadtr. Cod. Brokes II. 329, Hach S. 581 : westor-
lauwersches Marktrecht $ 1, Richthofen S. 421.
5) Erfurt Zusätze zu den Stat. (1313), Walch II S. 23: Naumburg
Stadtr. Satz. (1337) 17, Gengier St. R. S. 308: Brünn Schöffenb. (um 1350)
18 und 430, Rölller II S. 11 und 200: Kassel Satzung (1384) 10. Gengier
Kod. S. 471 : Heiligenstadt Ordnung des Schnlth. Gerichts (vor 1400?) 15
und 16, vgl. oben S. 159 Anin. 1. Ferner: Hagenau Stadtr. (1164) 18.
Keutgen Ulk. S. 136: Freiburg i. U. Handf. (1249) 116. 121, üaupp II
S. 102. 103: Ulm Stadtr. (1296) 11, Keutgen Urk. S. 191: Freising Stadtr.
(1328) 69, Maurer S. 309 ff.: Rain Rechtsbr. (1332) 5, gedruckt bei Osen-
brüggen S. 49: Landshut Stndtb. (14. Jahrh.) VII. 1, oben S. 62 und 63.
■) Vgl. oben S. 90 f. und 98 f. S. Koblenz altes Gericlitsb. (1366 bis
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160
Quellenstelle1) ist angedeutet, wie die vom Rast-Kläger ausgeführte
Besetzung des Mutes (der beklagte Bürger selbst scheint nicht
anwesend zu seini rascher zum Ziele führt als die von einem
Mitbürger ausgebrachte, welch letztere nicht in njnm ya*frechtr
verfolgt werden darf. - Ein Gleiches wie von dem Recht des
klagenden Gastes auf rasche mündliche Verhandlung gilt auch hei
der lTrteilserfttllung und Vollstreckung. Auch sie ist grundsätzlich
eine schleunige, mag sie sich nun, wie die Quellen ausdrücklich
betonen, an eine rasche Verhandlung anschließen *) oder einer
gewöhnlichen Verhandlung folgen5). Nur Prag stellt eine positive
Ausnahme dar4). Auch Hannover beläßt es für den verurteilten
1424) 19 § 1 und 2, llär S. 93. 94. wo Besetzung der Bürger durch GJUtn
und aiischliettendes gussciurerkhl geradezu verboten wird.
■) Alphnb. Sani ml. von Magdeb. Schöffenspr. Kap. 22, Waasersch-
leben 8. 10.
*) Magdeburg Sehüffenr. (nach I2G1) V §3. I.aband Rtjn. S. 115:
Magdeb. Brest, syst. Sch. It. II. 2 d. 35, I.aband 8.32 (evtl, wird der ver-
urteilte Bürger sofort persönlich überantwortet): Brieg Rechtshegt (1324;
35, Korn S. 103: Kassel Satzung (1334) 10, (iengler Kod. 8.471: Gingau
Ruchtab. (1386) 520. 521. Waaserachleben HQu. S. 63. Hierher sind auch zu
rechnen Magdeburg erzbUch. l’riv. (1188) 7, I.aband RQu. 8. 2 (ul cadcm
d 1 1 cum causa mota futrit terminctur c t sapiatur) und Brünn Schöffenbuch
(U1U 1350) 18, Rüttler II S. 11 (hospiti debil iuxla suam ijucrimouiatn in/'ra tri -
du um coutinuc sibi succcdens finalit iuslilia exhiberi): dort wie hier tritt an-
schaulich zu Tage, wie die Verbindung von rascher Verhandlung und Voll-
streckung für «len klagenden Hast «las Wesen des Uaatgerichts i. e. 8.
ausmacht.
*) Münster Stadtr. (1221; 28, Keutgen l'rk. 8. 152, und dazu 26. 27.
48: Dortmund Lat. Stat. (1254 — 1256) 34. Frcnsilorff S. 36, und dazu 5:
Hamburg Stadtr. (1270) IX. 14 und (1292) M. XL Lappenberg 8. 55 u. 147:
Braunschweig Dttonianum (13. Jalirh.) 58, Hansclmanu I S. 7; Celle
Stadtr. (1301) 35. (Iengler Kod. S. 481: Bremen andersh. übernonmi. Ordalc
(1305) SCIll. Oelrichs 8. 121: Magdeb. Fragen II. 2 d. 14, Behrend S. 164,
und II. 2 «I. 17, Behrend 8. 166 (sofortige Bezahlung oder umgehende Ver-
folgung des auf richterlichen Befehl vom Beklagten gesetzten Pfandes) :
Magdeb. alphab. Snmml. von Schöffeuspr. Kap. 147, Wasserschieben 8. 50:
Glogau Rechtsb. (1386) 522 und 523, Wasserschieben l{<iu. 8.63, nnd dazu
490. 497: Schleswig Neuere» 8tadtr. 91, Thorsen 8.48.
*) Statutarrecht (1314 — 1418)79. Rttttler I 8.51: Reken nt der beklagte
Bürger dem Gaste seine Schuld, so hat er 14 Tage Zahlfrist. — Ob Koblenz
rasche Vollstreckung kennt, ist niidit zu ersehen: über Freiberg s. oben
8. 158 Anm. 4.
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161
•Bürger bei der üblichen Zahlungsfrist, führt aber auch hier in-
direkte Beschleunigung herbei durch den Satz: leghe de gast echt
dar na, men ecole ome eine kernt echt erleggen ').
:i. Bisher standen nur die Oastge richte im engeren
Sinne zur Erörterung. Es mag jetzt noch ein Blick auf die
Rechte der Bürger, der Einheimischen, geworfen werden,
welche diesen zum Zweck rascher Erledigung ihrer Rechtsstreitig-
keiten mit Gästen verliehen sind. Verhältnismäßig ist es sehr
selten, daß solche Rechte der Bürger erwähnt werden. Schon
dies läßt einen Schluß darauf zu, daß der oben 2) wiedergegebene
Satz des Freisinger Stadtrechtshuches in der Tat die Regel dar-
stellt *>.
a) Tritt der Bürger als Kläger auf, so wird ihm bisweilen,
und zwar scheinbar ohne weitere Voraussetzungen, rasches Gericht
gegen den beklagten Gast bewilligt*), namentlich da, wo es ihm
ausnahmsweise verboten ist, den letzteren zu arrestieren5). Im
übrigen gibt das Recht des Bürgers, den Gast zu arrestieren und
alsbald vor den Richter zu führen, ihm noch nicht die Befugnis,
sofortige Verhandlung zu beanspruchen6)-, das ist vielmehr nur
') Stadtr. (um 1350?) II. 43, Vaterl. Arch. S. 310.
*) S. 154 bei Am». I.
•*) Das Übersicht Stolze S. 78—80 bei seinen, namentlich gegen Osen-
hrüggen gerichteten Ausführungen über die Natur der (lastgerichte.
*) l-'rciburg i. i'. Ilandf. (1249) 19, (iaupp St. It. II S. 85: Hamburg
Stadtr. (1270) VII. 5, 1. appenberg S. 40: (ioslar Stadtr. (um 1300), (löschen
*13. 5 ((lüste können auch in der Nacht geladen werden, zwecks Verhandlung
in einem anf sofort vom Vogt ungenutzten Termin: vgl. l’lanck I S. 354. 355
und oben S. 150 Amn. 5): llist. III. 2 d. 1, Ortlnflf S. 130: Kleve Sladt-
rechtshuch (nach 1424) 90 f 5, Zltti. 10 S. 234. Hierher zu rechnen sind auch:
Magdeburg erzbischöfl. I’riv. (1188) 7, vgl. oben S. 152 bei Anin. I — 3 uml
unten S. 103 Am». 3: Münster Stadtr. (1221)48, oben S. 04 bei Am». I
(der beklagte < rast . der zur mündlichen Verhandlung geladen, aber nicht
erschienen ist, darf für den Kall, daü er flüchtig geworden, in demselben
Termin nochmals zweimal — s. ebenda 20. 27 — formell geladen und als-
bald contumaciert werden). — S. übrigens unten S. 108 Absatz 2a.
s) Hörde Kechtsbr. (1340) 21, (Jenglcr St. 1t. S. 198.
•) Nur Sicherstellung kann der klagende Bürger fordern. Vgl. wegen
beklagter Haste: Kger Stadtr. (1279) 18 und 19, fiaupp St. B. I S. 192,
und auch (loldberg I’riv. (1325) 5. Tzsehoppo S. 511. S. ferner wegen
ttu dürft, Itevblssteilun* der liäste G
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ausnahmsweise der Fall '). Dasselbe gilt »neli von dem Rechte
des Bürgers auf sofortige Zahlung bezw. Vollstreckung *1; sie
ilarf zuweilen nur dann gefordert werden, wenn ein (auf Antrag des
beklagten Gastes eingesetztes) Gastgericht i. e. S. vorangegangen
ist 3). — Eine andere Frage ist, ob wenigstens dann, wenn der
klagende Bürger wegefertig ist, ihm ein unbedingtes Recht auf
rasche Verhandlung zusteht. Das Magdeburg! sehe Recht, das neben
dem Freibergischen allein von der Wegefertigkeit der Bürger und
ihrer Bedeutung für den Prozell handelt, ist in dieser Beziehung
nicht so zweifellos verneinend, wie Planck l) annimmt. Zwar das
Magdeburg-Breslauer systematische Schöffen recht II. 2 d. 35 und
III. 2 d. 04 s) scheint dem wegefertigen Bürger nur, wenn er Be-
klagter ist, ein Recht auf schnelles Gericht vindizieren, als Kläger
aber es ihm absprechen zu wollen*). Anders dagegen verhalten
Beklagter. die zwar in der Stadt wohnen, aber nicht mit Kigen und Krbe
angesessen sind : M ü hl hausen Stadtr. (1230—1250), Herquet S. 632: Magde-
burg Rechtsbuch von der Gcrichtsvcrf. (um 1250; XXVII >} 1, l.aband ltt^u.
S. 68, und danach Säclis. W aichbildrecht 34, Daniels Gl. S. 10!) (zwecks
größerer Deutlichkeit ziisammenziilialteii mit Magdeb. Hrosl. syst. Sch. R. 11.
2 d. 35, l.aband S. 32, wonach der Bürger auch gegen den «/cd/ bterbittn burgtr
nur Anspruch hat auf Antwort im iiäehstcn ordentlichen Ding, und für den
Kall, daß er einen wegefertigen Bürger mifliält. nur dann sofort klagen darf
bzw. muß. wenn der letztere es will: Magdeb. Brest. Recht von 1261 $31.
l.aband lB^ii. S. 18). Beklagte tiiiste und flüchtige Bürger behandelt Gos-
lar Stadtr. (um 1300), (loschen 66. 35, und Aufs, über das Schulth. Amt
(14. Jahrh.), Göschen 110. 13.
') Koblenz Altes tlerichtsb. (1366—1424) 19 $2. Bär S. 93. 94, und,
im Falle der Widerklage von Burger gegen (last, Dist. III. 15 d. 1, Ort-
loff S. 164. K.in entsprechendes Hecht gegen nicht mit eigenem Feuer Usw.
angesessene Kinwohner verzeichnet Brünn Schöffen!), (um 1350) 125.
Rößler II S. 64.
*) Hamburg Stadtr. (1270) IX. 14. I. appenberg S. 55: Koblenz altes
tlericbtsbucli (1366 — 1424) 19 $ 2 und 1. Bär S. 93. 94. Vgl. auch Hildes-
heim Stadtr. (um 1 24!*) 12 und 13. Unebner V. B. 1 S. 103.
3) Magdeburg Sehöffenreeht (nach 1261) V $3. Laluind HQu. S. 115.
<) II S. 413.
5) l.aband S. 32 und 94. I ber die Auslegung von II. 2 d. 35 s. aber
Genaueres unten S. 163 Anm. I.
'■ I nd /.war II. 2 d. 35 gegenüber Gästen sowohl wie (wegefertigen)
Bürgern, während 111. 2 d. 64 überhaupt nur die letzteren im Auge hat.
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sich die Magdeburger Fragen II. 5 d. 1 '). Die Anfrage au die
Schöffen lautet daselbst, ob man klagenden Gasten im allgemeinen
und ferner Mitbürgern gegen Gäste eyn ding hegen «ulle binnen
rechtem uigebgetem dinge: die Schöffen erwidern, man solle fern
gesessenen ircyejertiyen gelten .... udir meteburger, dg eich
bereit hubin utzeurzihende in ire kouffniumchaft udir
betefart, . . . umme irholl und umb earnde habe, i« *ey in ge-
bunden tagen adir bunten gebunden tagen , ytuyix richten. Statt
auf Eigenschaften der Beklagten legen die Schöffen demnach den
Nachdruck auf Eigenschaften der Kläger und antworten so um-
fassend, dal! nicht allein die schnelle Verhandlung wegefertiger
Bürger gegen Gäste zweifellos, sondern auch die gegen Mitbürger
offenbar zugelassen werden soll2). Wo der klagende Bürger nicht
wegefertig ist. da verneint das Magdeburgische Recht einen Anspruch
auf schleuniges Gericht gegen Gäste (oder Bürger) durchaus3):
') Bohrend S. 172 (und dein entsprechend Mugdcb. Sehfiffenrecht der
Dresdener Handschr. Kap. 15fi. 1 .77, ebenda S. 234). — Bezüglich dieses
Widerspruchs zu den oben S. D>2 bei Anin. 5 und ti genannten Stellen des
systematischen Sehöffenrechts ist übrigens zu bemerken, daß von diesen
II. 2 d. .‘15 (•-- Kuhn II. 51) nicht zweifelsfrei überliefert ist. Denn der
Danzigcr Kodex sowohl (I.aband S. XXVIII), der im allgemeinen den besten
Text des alten Kulm bieten soll und z. B. das sinnentstellende mutt (I.aband
S. 33 bei Anm. 13 zu II. 2 d. 35) entbehrt, welches der von I.aband der Aus-
gabe des systematischen Sehöffenrechts zu Grunde gelegte Kodex des Bres-
lauer Stadtarchivs (I.aband S. XXI IT.) aufweist, wie auch die von I.emun
herausgegebene .Vulgatlesart" des alten Kulm (I.aband S. XXVIII f.) setzen
am Schluß vom II. 2 d. 35 statt der Worte: der burger, der do e/agit, den
Satz: der burger adir der gast, der da beclagit wirf. Wenn man von den nicht
völlig passenden Worten des asstivarters absieht. läuft die Distinktion in dieser
Fassung der Bestimmung von Magdeb. Fr. II. 5 d. 1 nicht mehr zuwider
(vgl. dazu S. Iß2 Anm. fi: für das Magdeb. liecht würde unter diesen Umstünden
mindestens ein Kceht w ege fertiger Bürger gegen Gäste auf deren als-
baldige Verantwortung anznnelunen sein).
*) l'.ntgegengesetzt entscheiden die sonstigen Magdeburger Duellen, die
oben genannt sind (S. Ifi2 bei Anm. 5 und 6: vgl. auch die vor. Anmerkung).
*) Magdeb. Brest, syst. Sch. B. II. 2 d. 35, auch bei der oben Anm. 1
angedeuteten Auslegung, und 111. 2 d. t>4, I.aband S. 32 bzw. 94. S. auch
Magdeb. SehöflVnr. (nach 12ßl) V § 3, I.aband Ri)u. S. 115. und Weistum
für Kulm (1338; 7, ebenda S. 141. Nur das crzbischöfl. I’riv. (1 188) 7, I.aband
l!<)n. S. 2, s. oben S. Ißl Anm. 4. lautete noch anders.
II'
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aber auch anderwärts wird das. insbesondere im Hinblick auf Prozesse
gegen Gäste, teils mittelbar1), teils unmittelbar2) ausgesprochen.
b) Dem Bürger als Beklagten wird nur im Magdeburgi-
sehen3) und im Freibergischen4) Hecht ein Anspruch aut schnelle
Verhandlung eingeräumt, immer aber nur dann, wenn er wege-
fertig ist; ob ein Gast oder ein Bürger klagt, ist in diesem Falle
gleichgültig.
V. Sachliche Zuständigkeit.
Die sachliche Zuständigkeit der Gastgerichte im engeren und
im weiteren Sinne ist begrenzt. Streit um Krbe und Fngerieht
unterliegt ihnen im allgemeinen nicht.
1. Am häufigsten treten sie in Tätigkeit bei Klagen um
Schuld, namentlich um Geldschuld i)>ro debttis, unime geltajte
schult, van gelofteni**e ind copniamchap) ; um ihretwillen soll
sofort verhandelt werden5), insbesondere wenn Arrest vorauf-
') Nämlich überall da. wo auf Antrag des Gastes rasches Gericht oder
rasche Vollstreckung bewilligt, von» Burger aber nur gesagt wird, daü er
sein Hecht im gewöhnlichen Prozeßgang verfolge. S. z. B. Hagenau
Stadtr. (1164) 18, Keutgen Urk. S. 136: Magdeb. Fragen II. 2 d. 17,
Behrend S. 166: Goslar Aufs, über das Schulth. Amt ;14. Jahrli.), Göschen
110. 13: Landahat Stadtb. (14. Jahrli.) VII. I, s. oben S. 62 und 63.
2) Frcising Stadtr. Buch (um 1328) 63, s. oben S. 154 bei Anm. 1.
s) Kr/.bischöfl. Priv. (11*8)6, Laband H<{u. S. 2: Magdeb. Bresl. syst.
Sch. H. II. 2 d. 35 und III. 2 d. 62 bzw. 64, I.aband S. 32 bzw. 04. Nainent-
lieli auch, wenn er mit Biicksiclit auf seine Wegefertigkeit angehalten wird:
M agdeb. Bresl. liecht (1261)31, I.aband RQll. S. IS.
4) Hatswillkiir (lim 1350) 12. 13, F.nnisch S. 274: BatsschliiU (1373),
abgedruckt nach Schott, das Stadtr. der Stadt Freiberg i. S. 1775 S. 80,
bei Planck II S. 414.
5) Hagenau Stadtr. (1164)18 und 17, Keutgen Frk. S. 136: Ham-
burg Stadtr. (1270) VI. 6 nebst Amu., I. appenberg S. 27 : Magdeburger
Schöffenrecht (nach 1261) V §3, I.aband H<Ju. S. 115: Brünn Schöffen-
satzung (14. Jahrli.), Kö Liier II S. 307: Preising Stadtr. Buch (1328) 60,
Maurer S. 309 ff.: Köln Frk. (1326), Stein I 8. 20 nr. I §51: Hu essen
gräfl. Priv. (1348), Tcsclienmacher l’rk. XXIII S. 15: Brunn (Schöffenb.
(um 1350) 5 und 18, KöUler 11 S. 6 bezw. 11: Magdeb. Bresl. syst. Sch.
Hecht I. 26. I.aband S. 11: Magdeb. Fragen IL. 5 d. 1. Behrend S. 172:
Blume des Ssp. (um 1400) I. B nr. 21. ItLdH. S. 363: Heiligen stadt
Ordnung des Schulth. Gerichts (vor 1400) 16 und 17, Wolf Frk. S. 41: Goch
Stadtr. (1400 — 1450 12, /.HG. 10 S. 221.
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gegangen ist '), um ihretwillen soll aurh alsbald vollstreekt
werden *).
•J. Oh unter den Klagen um Schuld nicht häutig auch Buß-
und Schadenersatzforderungen aus Freveln verstanden sein
sollen, kann zweifelhaft sein, ist aber wahrscheinlich :|). Schon
Osenhrüggen ') führt richtig aus, datl die Privilegien für Le-
chenich und Brühl *) durch die Art, wie sie den Jebita und den
uliii minuta, die rasch ahgeurteilt werden dürfen, die niaiora i/no<l
hogcricht ocm/nJur gegenüberstellen, andeuten, daß auch kleinere,
durch Zahlung lediglich einer Buße sülmbare Frevel unter die
Zuständigkeit des (tastgericlits fallen. Ausdrücklich sprechen sich
in letzterem Sinne aus Bestimmungen einmal in Köln, namentlich
in der Ordinancie von der Halle: es sollen die richtet van Jen
yegtin richten, wenn rynich yaet oji < 'oujinan [teere], Je eich berla-
yeJe ran n/nrher erholt off <jeh rech e in Jeni < ’oufhuyte6). Ferner
läßt (loch7) den Landleuten und andern Klevesehen Städten mir
eehuiJe und ran erholt ein onvertaiyht recht widerfahren.
Hierher rechnet schließlich auch die Versicherung des bremischen
Vogtes und Hates an die Gräfin von Flandern, daß dem flandri-
schen Kaufmann, sobald es sieh nicht um schwere Ungerichte,
') Lechcnicli Ucchtabr. (127Ü) 15, t reagier St.lt. S. 241. un<t Brühl
l’riv. (1285), I.acomhlct II S. 474: Riga umgearb. Stal, (um 1300) 11.!) § 1
und 2. Napierskv S. 154: Aljilmh. Satniui. Magdeb. Schüflenspr. Kap. 22 und
72, Wasscrsehlcbcn S. lObzw. 25: Koblenz altes ticrichtsb. (1366— 1424) 111,
ltär S. !I3. U4. Vgl. unten S. Kit! Anin. 5—7.
’) Münster Stadtr. (1221) 28. Kcutgen Krk. S. 152: Dortmund lat.
Stat. (1254—12511) 34. Fren.sdorirS.3ti: Hamburg Stadtr. (1270) IX. 14,
Lappcnbcrg S. 55: Magdeb. Kragen II. 2 d. 14, Belirend S. 184: Irlogau
Itecbtsb. (1388)522, Wasserschieben ltyu. S. G3: Heiligeustadt Ordn. des
Scliultli. Oer. (vor 1400)’) 16. 17, Wolf t rk. S. 41.
3, Magdeb. Fragen II. 5 d. 1. Belirend S. 172, welche die Kntscliciduiig
von Klagen um Schuld und Fahrhabe den (lastgerichlen zu weisen, ihre Zu-
ständigkeit für Klagen um Kirbe und Ingericht aber verneinen, schweigen
von den Freveln. Vgl. Landsliut Stadtb. (14. .lahrh.) VII. 1. linscnthal
S. 188 (umh sein feit umi muh amirr saihj.
') S. 55.
* ( 1 27D) 15, tiengler St. K. S. 241, und (1285, I.acomblet II S. 474.
“) Register der städt. Aceise (1400) XXI. 17, Stein I S. 118. wozu zu
vgl. unten S. 185 bis 187. Wegen rascher Kntsclieiduug bei Zollhinterziehungen
s. l’riv. Ottos IV. (12I21, oben S. 151 Anm. 1.
•, Stadtr. (1400-1450?) 12. ZRti. 10 S. 221.
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sondern nur <le Ute rel aliu re handelt, rasches < iericht injru
tcrtium th'nn rel «nttem infru octanun geschehen soll; gleichzeitig
wird versprochen, der Kaufmann dürfe sich von der Sicherungshaft
durch Bürgen- oder Pfandstellung befreien und, wenn er den Ver-
handlungstag nicht abwarten könne, sich durch einen Bevollmäch-
tigten vertreten lassen '). Wo ausnahmsweise rasches Gericht auch
hei Ungericht zugelassen wird, fallen natürlich Frevel mit darunter2).
3. Auch die Klage um Fahrhabe kann im Gastgericht ver-
handelt werden. Von der allgemein gehaltenen Fassung einer
Anzahl von Quellenstellen ’) abgesehen, wird die Zuständigkeit des
Gastgerichts in diesem Falle namentlich im Magdehurgischen
ltecht betont4). Ein besonders gearteter Unterfall ist es. daß der
Gast die schleunige Aufbietung des von ihm besetzten fremden5)
bezw. seines eigenen von andern besetzten Gutes verlangen kann*),
um baldigst Gelegenheit zu haben, in jenem Falle seine Forderung
auf das Gut zu gewinnen’ i, in diesem Falle eine Verfolgung des
besetzten Gutes durch die Gläubiger mittels schleunigen Ah-
schwörens der Schuld unmöglich zu machen"). Hierher gehört
auch, daß der klagende Gast ein gerichtlich gesetztes Pfand binnen
kurzer Frist erklagen und verkaufen darf*), während er auf ein
1 (1255) Khmck I S. 505. S. auch l’ri\. des CJrafen von Plaudern
für die Kaufleiitc des lieichs (1300) 11, Hans. F. ft. III S. 240.
*) Vgl. die Helege unten S. 1U7 Anm. 2 und 3. woselbst neben den t’n-
gerirhten ausdrücklich auch Frevel genannt werden.
*) Vgl. die llclegc oben 8. lt>5 in Anm. 3 und 5.
•) Magdeb. Fragen II. 5 d. I, Hehrend S. 172, und Hluiiie des Ss|i.
(uni 1400) 1. li nr. 21, lil.dli. S. 305. Ilci der Klage mit Anefang wird den
(rüsten auf ihr Verlangen eine sofortig«- Verhandlung bewilligt in Frei borg
Stadtr. (1200—1307) IX $ l, Krmisch S. SS, weil hier bei Anefang lediglich
zwischen Bürgern «li«- oben S. 71 in und bei Anm. 4 dargcstellte Kegel aus-
nahmsweise nicht Platz greift.
s) Magdeb. Itresl. syst. Sch. K. III. 2 d. 13S. buband S. 124; alphab.
Sauiml. Magdeb. Schöflenspr. Kap. 22, Wasserschieben S. 10.
*) Uphab. Sainml. Magdeb. SchölTenspr. Kap. 72. Wassersehloben S. 10.
:) Planck II S. 3!I0 (bes. Anm. 35) und 1 S. 438 f. über Verfahren und
Natur der Klage.
■) In Hildesheim Stadtr. (um 1248) 12. 13. I Inebner F. K. 1 S. 103.
darf umgekehrt der klagende Bürger das besetzte Hut eines Bürgers zwar
erst nach 14 Tagen, das eines (iastes aber scheu nach einem Tage, von der
Benachrichtigung des Schuldners au gerechnet, erklagen.
” Magdeb. Fragen 11. 2 d. 14 und 17. Bohrend S. ll>4 u. 1(56.
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IR7 _
außergerichtlich, zur Abwendung der Klage auf .Schuld gegebene«
Pfand die Schuld im gewöhnlichen Verfahren einfordern muß.
falls er nicht besondere Abrede getroffen hat1).
4. Ausgeschlossen dagegen ist, wie schon erwähnt, regelmäßig
das gastgerichtliche Verfahren bei Klagen um Ungericht und
Erbe. Selbst das Westerlauwersche Marktrecht-’), das neben
Kleve3) ausnahmsweise auch bei Ungerichten ein derartiges Ver-
fahren zulaßt, verwirft es für Erbgut. Letzteres geschieht nament-
lich auch in Magdeburg4), das. in Übereinstimmung mit andern
Rechten3), außerdem die Klagen um Ungericht ausdrücklich zurück-
weist6). Keine Ausnahme bildet der Rechtsfall des Hrieger Kodex;
hier handelt es sich offenbar um die nicht vernachtete Klage
gegen einen Nichtgefangenen ’).
VI. Der Antrag auf Gastgericht.
1. Die Beschleunigung des Verfahrens tritt nur auf Antrag
des Berechtigten ein, gleichgültig ob er Kläger oder Beklagter
ist. Kin Zwang zur Antragstellung findet nicht statt; er würde
für den Berechtigten, dem nicht ohne weiteres die erforderlichen
Beweismittel, namentlich Zeugen oder gerichtliche Urkunden, zu
fiebote stehen, u. U. eine Belästigung bedeuten. Auf der andern
Seite ist namentlich die Lage von Beklagten, deren sofortige Ant-
wort dei Berechtigte verlangt, dann eine bedenkliche, wenn sie
nicht gleich den Unschuldseid schwören wollen und können. Wenn
auch deshalb grundsätzlich an der Verpflichtung zu. sofortiger
Verantwortung festgehalten wird, findet sich doch bisweilen, so-
wohl zu Gunsten beklagter Klender, wie zu Gunsten beklagter
') Magdeb. Krügen 11. 2 .1. 9 a. Bohrend S. KW.
*) § 1, Kichthofen S. 4SI.
3) Stadt r. Buch (nach 1424) 96 § 5, ZUG. in S. 2.*i4.
*) Magd ob. Kragen II. ü d. 1. Bohrend S. 172: ebenso Preising
Stadtr. Buch (132«) 69, Maurer S. 319. Wegen Wesel sieho Keinhold S. 89.
s) S. oben S. 165 in und bei Anm. 5.
ö) Magdeb. Kragen 11. 5 d. 1, Bohrend S. 172: Magdeb. Brest syst.
Sch. U. III. 2 d. 5, l,a band S. 71 : Magdeb. SchölTcnsjir. ftir Stendal (1333' V,
Bohrend l'rt. Buch S. 25.
*) Magdeb. SchöfTcnurt.. Böhme II. 2 S. 148 und 149. Bei nicht ver-
nachtetcr Klage findet immer sofortige Verhandlung statt, gleichgültig, wer
die Karteien sind.
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Bürger, die Vorschrift, daß die Antwort zwar kurzfristig, aber
nicht Zug um Zug erfolgen solle, dal si desce pun/en sich bedenken'),
das he sich walherat *). Durch die Krkliirung, ein (fastgericht zu
begehren, nimmt der Berechtigte alle für ihn damit Verbundenen
Vorteile in Anspruch, tragt aber auch die möglichen ihm daraus
erwachsenden Nachteile *). Der Antrag kann im ordentlichen, ge-
hegten. mit Schoflen besetzten Ding gestellt werden und der Klager
mag nicht selten einen solchen Tag abwarten4). Sehr häutig
freilich wird er bei dem Richter allein angebracht5) oder aber,
zur Ladung des Gegners und Benachrichtigung des Richters, sofort
dem Büttel übermittelt6). Namentlich da. wo ein Beklagter Be-
freiung von ausgebrachtem Arrest erlangen will, ist diese Antrag-
stellung außerhalb des ordentlichen Dings die gegebene.
Wo dem Bürger oder dem Gaste grundsätzlich ein An-
spruch auf schnelles Gericht zugestanden wird, ist der entsprechende
Antrag im allgemeinen noch an bestimmte Voraussetzungen ge-
bunden.
a» Soweit den Bürgern überhaupt ein solcher Anspruch
verliehen ist, wird von ihnen, wenn sie Beklagte sind, stets Be-
hauptung (und Nachweis) der Wegefertigkeit verlangt’). Klagen
sie, so wird jenes Erfordernis zwar häufig nicht genannt 'S, jedoch
mag es dahingestellt bleiben, ob nicht auch dort, wo eine aus-
•) Kleve Stad Ir. Buch (nach 1424) »ß fib ZKG. 10 S. 2154.
«) Preising Stadtr. Buch (1328; d!t Maurer S.318. 313; vgl. auch unten
S. 132 Anm. Ik
») S. z. It. Magdcb. Itiv-sl. syst. Sch. K. I. 20. I.aband S. G.
V Brünn Schotl’enb. (uni 1350) £ und Dt Rößler II S. £ bezw. j_h
Magdeb. Praxen II. 5 d. 3, Kehrend S. 173. ln Briinn (s. Sclniflonb. — um
1350 — 430. Rößler II S. 200} . wo als Beate der alten echten Dinge zweimal
im Jahre mehrtägige Gerichtsverhandlungen mit bestimmter sachlicher Reihen-
felge 'sog. iuMiium f’treui/'lcriiim statt fanden. konnte jeder extrsneut ohne
liüeksieht auf die letztgenannte Einschränkung an jedem Tage klagen.
5; Z. 11. Preiherg Sladtr. (1230 — 1307) III $jlund IX § Krmiseh
8. 50 bzw. SS, sowie Ratswillk. um 1350) 12, P.riniseh S. 274 : Koblenz
altes Gericlitsb. 1338—1424 13, Bftr S. 33. »4: I.finehnrg Stat. (vor 1400 L,
Kraut S. .58: Magd eh. Schölfenr. nach 12dl) V Labaml It'pi. S. 1 1 5.
Preis ing Stadtr. Iliicli (1328) 113. Maurer S. 311 : I-andshut Stadth.
(14. Jahrli.) VII. h Kosenlhal S. jss.
’) Oben S. 104 bei Anm. jl und 4.
') Vgl. oben S. Dd bei \iim._NV_ S. j£2 bei Anm. £11.
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1 Hit
d Wirkliche Erwähnung nicht Platz hat, tatsächlich derartige Be-
schränkungen des Anspruches bestanden. Wahrend al>er im Frei-
bergittchen Recht die bloße Versicherung des Berechtigten, er sei
wegefertig, zur Rechtfertigung seines Antrages auf schnelles Gericht
zu genügen scheint ’i, muß im Magdeburgischen Recht, sei es vor
dem Einzelrichter, sei es vor (ordentlich oder außerordentlich) be-
setztem Gericht, zunächst der Eid vom Berechtigten dahin ge-
leistet werden:
her »1/ icegccertig, her hübe «ich bereytit vinme Koitfmtin-
srhajt. ailir beterart ezu enrnde bitsin Itmdis, du: her de» dingt »
nicht geicartin nioges);
erst dann wird zur Verhandlung in der Sache seihst geschritten.
b) Verwickelter sind die Voraussetzungen des Antrags, wenn
Gäste ihn stellen wollen. Es spielen dabei eine Rolle sowohl
ihre Wegefertigkeit wie auch die Entfernung ihres Wohnorts von
dem Gericht, das im gastgerichtlichen Verfahren erkennen soll.
sl Was zunächst den zweiten Punkt anlangt, so sollen ur-
sprünglich und grundsätzlich *) nur solche Gäste den Antrag an-
bringen, die, wie es heißt,
des dint/es eines tuges nicht geeuchen inugen *).
Einen solchen Gast, der ne machte eynes Inges muten ut tinde
/ns), nennen die Quellen nicht dingstedelik'1), nicht dingjßichtig !J,
im Gegensatz zu demjenigen Gaste, der den Weg vom und zum
Gerichtsort in einem Tage zurückzulegen vermag und deshalb
kraft einer Art Fiktion als in der Stadt ding/ßirktig bezeichnet
') Katswillkitr (lim 1350) 12^ Knniscli S. 274.
’) Magdeb. Brcsl. syst. Sch. K. II. d. 35. I.abami S. 33.
;‘) Anders z. 11. «Joch Stadtr. (1400-1450?) 12, ZUG. 10 S. 221.
Magdeburg Schöfleiirecht (nach 12«*1) Vf Laban«! UQn. S. 1 15.
5) Kraunsch weig Stadtr. (vor 1300) 80. Ilftiiselniami II S. 225: «la*
neben Lüneburg Stat. vor 1400) XXXIX. Kraut S. 54, und zu beiden oben
S. 30 bei Anm.jJ um! S. 157 Ami». 3. Vgl. ferner Krfurt Zusätze zu den
alten Stat. (1313), Walch II S. 23^ (loekh utioerdi« ytsf zu Berichte nicht honte nun;
an Je mc ta^e); Magdeb. Fragen 11. 5 d. 2. Bohrend S. 173: Gingau Bcchtsb.
(1380 520 521. Wasserschieben TOJn. S. H3; Frag Kechtsb. 1 4. .lalirli.) 21.
Kodier 1 S. los,
4i) Naumburg Stadtr. Satzung 1337) 17. Gengler Stailtr. S. 308.
7) Magdeb. Bresl. syst. Sch. K. II. 2 d. 35, Laban d S. 32: Magd eh.
Fragen L^ d. «L II. ^ d. J_4 und II. d. L_ Kehrend S. 142. IK4. 172.
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170
wird '). Die notwendige Entfernung des Wohnorts dos Gastes
wird, ähnlich wie hei den Wochenmarktsprivilegien*), bisweilen
auf eine bestimmte räumliche Maßzahl festgelegt, so namentlich
in Freiberg:
welch mein in den vir milen umme Vfibcrr gexezzen ist, der
ixt kein Gant nicht . . . Die nittycn zu dinge irnl kunun *).
Im 14. Jahrhundert vollzieht sich in der erwähnten Regelung
hier und da eine Änderung. Diese Änderung hat ihre Wurzel
in dem sieh bildenden territorialen Bewußtsein, welches im Gäste-
recht gerade bei der Institution der Gastgerichte am ehesten in
die Erscheinung tritt. Hierher zählt namentlich die bekannte
Entscheidung der Schölten von Brütm '). welche einem Manne aus
Jägerndorf das Recht auf Gastgericht abspricht, weil er nicht Gast
sei : er stamme aus dem Herzogtum Troppau, dessen Herzog ebenso
wie die Stadt Hrflnn unter dem mährischen Markgrafen stehe:
unde nntundum egt oinnem hominem in iudicio ciritutig
Drunnmxix exxe hnx/titn», t/ui e.rtra Moraviam rettidenliani
ril muwtionem hübet , i/uatn rix etiam git sub dominio regix
Hohemiar i').
Ähnlich dürfte sich die spätere magdeburgische Rechtsprechung
erklären. Im Jahre 133K wird zum ersten Mal nur dem Gast
*) S;« (um I . Magdeb. Schüffenspr. aus Ltresd. Hdschr. Kap. 50. W'assersch-
lcbcn Klju. S. 188 ff. S. dazu Heil igenstadt Ordnung des Sclmllh. Gerichts
(vor 1400?) 17. Wolf Urk. S. 41: klagende Ixindlcuthc , die hier muh nn/s ge-
legen seind, oh Me . . . hier ahn das Gericht und wieder tu Hanfs kommen können,
die sollen des Berichts warten und gebrauchen gleich als die /iorger allhie thun. S.
auch oben 8. 64 Anm. 3 und 4.
») S. oben S. 123 und 124.
’) Stadtr. (1286—1307) 111 §4, Krmiseh S. 51: in dieser Beziehung
gelten also Leute aus Meißen. Chemnitz, I >r<wden nicht als Gäste, während
sie im Übrigen durchaus deren Hechtsstellung haben (vgl. übrigens oben S. 12
Antu. 5). Dazu stimmt, dal! Hist. III. 15 d. I, Ortloff S. 161. auch den
einen Gast nennt, der ezu deine gedinge gesessen ist, das ist in fir milen, und
der deshalb Bürgen setzen darf und nicht sofort der Widerklage antworten
muß (vgl. S. 162 Anm. 1). Ähnlich wie Freiberg, nur unter Begrenzung
auf zwei Meilen. Hamberg Stadtr. (1306) 35. 36. Zöpil S. 13.
*) Schütten!), (um 1350) 18, llöUler II S. II.
*) Ähnlich verhalten sich Schöffenb. (um 1350) 566 und 581. die sich
aber nicht speziell auf Gastgerichte beziehen: vgl. dazu oben 8.20 bei
Anm. I und 2.
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schnelles Gericht gewahrt, der nachweist, daß er rerrer wonhnßiy
nif eon denn' gerichte wen c:welf mite'). Schon Osenbrflggen*)
deutet darauf hin, daß diese Vorschrift sicli nach Wortlaut und
Inhalt nicht mit den oben wiedergegebenen aus frfiherer Zeit s »
vereinigen läßt: unmöglich kann jemand, der in so großer Ent-
fernung vom Gerichte wohnt, in einem Tage hin- und zuröck-
kommen. Der Satz mit seiner scheinbar willkürlichen Entfernungs-
bestimmung erklärt sich indessen wahrscheinlich daher, daß zur
Zeit seiner Emanation der entfernteste Grenzpnnkt des erzbischöf-
lichen Territoriums, soweit dasselbe ein zusammenhängendes Gebiet
bildete i Exklaven wie z. B. Jfiterbogk bleiben also ausgenommen), rund
zwölf Meilen von Magdeburg entfernt lag. da nämlich, wo das Erz-
bistum mit dem Bistum Havelberg zusammenstieß. Insassen dieses
Gebiets, die zum Magdeburger Gericht ziehen wollten, waren nicht
genötigt, andere Territorien zu durchkreuzen. Gewährte man aber
diesen Leuten kein Gastgericht, so lag es nahe, auch außerhalb
des Territoriums Gesessene nur dann zum Gastgericht zu ver-
statten, wenn sie weiter als zwölf Meilen von Magdeburg entfernt
wohnten*).
') Magdeb. Woist. fiir Kulm (1338) 7, Lahand Kt^u. S. 14t. Alphub.
Samiiil. Magd ob. Sehöffcnspr. Kap. 144. Wasserschieben S. 49, wiederholt
die Entscheidung jenes Weistums, nur dal! eine Entfernung des Wohnsitzes
des Gastes von elf Meilen gefordert wird. Desgleichen detiniert Magd e b.
Kragen II. 2 d. 8, Hehrend S. 159, bei Entscheidung der Krage, ob einem
Gaste ein Bürger in l’erson zur Vollstreckung ausgeliefert werden könne,
den Begriff des < last es dahin: ein gust keissit, der nieir denne St mihn ktuzin
deute geruhte getestiu ist (vgl. dazu einmal oben S. 169 bei Auui. 4 ff. und ferner
8. 170 Anm. 3. 5). Wahrscheinlich verdankt die Zahl -elf" einer schon im
14. Jahrhundert entstandenen falschen Lesart von eztnelf ihren Ursprung.
s) S. 36.
3) S. oben S. 109 Anm. 4. 5. 7, auch S. 170 Anm. 1.
'} Eine dem Weistum für Kulm entsprechende Entscheidung stellt der
Magdeburgi s ehe Schölfenspruch für Stendal (1340?) XXVII. 2, Mehrend
Ul t. Buch S. 112, dar. wo derjenige Beklagte nicht zur Leistung des Elenden-
eides zngetasseli wird, der in der stad kesete/t is eder in deine lande und also
dinzpliehlieh (im neueren Sinne des Wortes) jst. Anders Braun sch wei g
und Lüneburg (s. oben S. 30 bei Anm. 2 und 157 Anm. 3). Der oben S. 170
Anm. 1 angeführte, offenbar aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts
stammende Magdeburger Schöffensprucli bringt übrigens noch einmal die
filtere Ansicht zum Vorschein.
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172
Des ersterwähnten Erfordernisses, der Wegefertigkeit der
l iäste, wird in den Quellen verhältnismäßig nicht häufig gedacht.
Es erklärt sich dies daher, daß die Vorschritten über ( iastgerichte
i. e. S. sich immer auf auswärtige (»äste beziehen, und in der
überwiegenden Zahl der Fälle ist deren Wegefertigkeit selbst-
verständlich und offenbar. Das Magdebnrgische Schöffenrecht
drückt jenes Erfordernis aus, indem es sagt, der Gast müsse, um
ein Gastgericht verlangen zu dürfen, nicht bloß weiter als eine
Tagereise entfernt wohnen, sondern auch et« wilder 'jagt sein; er
soll beschwören:
da* her ein wilde gast *i und also rerre gesessen, da* her
des dinge * eines tage* nicht gestichen tauge ').
Anders Planck*), welcher ein besonderes Erfordernis der
Wegfertigkeit des Gastes nicht kennt. Er versteht nämlich unter
einem wilden Gast ursprünglich einen „nirgends seßhaften Mann“,
indem er sich auf die Definition der Magdeburger Fragen beruft :
wer fegelich ron wachen ritt w'ochen unde. ron stetin zeu
stet in, ran lande zeu lande sgne wandelunge hat unde in kegner
stat iar unde tag wonhaßt ig ist, der heisszet unde ist ein
wilder gast3).
Die Bedingung, daß der Gast ein wilder, d. h. ein „nirgend
seßhafter Mann“ sein müsse, soll aber in späterer Zeit fortgefallen,
oder richtiger dahin abgeschwächt worden sein, daß der Gast über
eine Tagereise weit sitzen müsse. Die Glosse zum sächsischen
Weichbild4) nämlich identifiziert den wilden und den über eine
Tagereise weit gesessenen Gast:
ist ix uhir um me schult , so mag der hurcgrece ader der
schuld* alle tage richten , darnmtne das man mit orteiln nicht
dinget ; trenne womtnine f bekennet der schuldiger die schuld,
der richter mag ein gebieten by Sonnenschein ader bg egner
nacht zu beza/en, so rerre ab der forderet • egn gast ist und
') .Magdeb. Schflffenr, (iiacli I2ßl) V § 3, l.aband U()u. S. 115.
*) II 8. +12, und zwar unter Berufung auf das mit dum SchiinVnreclit
(vnrige Amu.) übereinstimmende Magdeb. Weist, für liürlilz (1304)7: vgl.
ferner (ilogau Iteelilsb. (1380) 520 und 521, Tzseüoppc 8. <13. und Sitohs.
Weichbildr. Art. XLV ji 2. Daniels S. 30.
■*) Magdeb. Kragen II. 5 d. 2. Mehrend S. 173.
*j li bisse zu Weielibild XI. VI, Daniels <rl. S. 388, bes. Zeile 13.
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173
das bewirt, das er das geeichte i/n egner tagezit nicht erlangen
kann. (Zeile 13) />«* mus abir der gast bewisen mit zwen
ringe rn up den heiligen das er egn wilder gast sg.
Planck zufolge muß der Gast, der auf ein Gastgericht Ansjtrueli
erhebt, in spaterer Zeit also lediglich nachweiaen, daß er weiter
als eine Tagereise vom Geriehtsort entfernt gesessen sei.
Dem gegenüber ist aber einzuwenden, daß, wenn die Glosse
zum sächsischen Weichbild jene Gleichstellung in der Tat
vornimmt, sie den ursprünglichen Sinn der Worte wilder gast nicht
mehr versteht1). Denn nach dem älteren magdebttrgischen Schöffen-
recht muß der Gast, um ein Gastgericht zu erlangen, beschwören,
daß er ein wilde gast, daneben aber zweitens geradezu, daß er
außerhalb einer bestimmten Entfernung vom Gerichtsort gesessen
sei. Dem gegenüber kann die von Planck angerufene Erklärung,
welche die Magdeburger Fragen i) dem Begriffe wilder gast an-
gedeihen lassen, seihst dann nicht ins Gewicht fallen, wenn sie
Planck Hecht gäbe. Denn diese Erklärung entstammt einer späteren
Zeit, wahrscheinlich erst dem 14. Jahrhundert, kann also auf
Mißverständnis beruhen. Sie ist zudem offenbar der Definition
nachgebildet, welche der Deutschenspiegel J) dem Worte kouflinde
gibt; es sind das, wie der Deutschenspiegel sagt, Männer,
die von lande :e lande earnt mit ir koufschaze und ron
Zungen ze Zungen und ron einem kunirriehe in daz ander.
ln Wirklichkeit wollen aber auch die Magdeburger Fragen
nicht als Merkmal des wilden Gastes aufstellen, daß er nirgends
seßhaft ist, zumal der Grund, weshalb gerade solche Gäste vor
andern hätten bevorzugt sein sollen, kaum erfindlich wäre; sie
wollen vielmehr nur zum Ausdruck bringen, daß es sich um Gäste
handeln müsse, deren Reisezweck sie in keiner der Städte, die
sie berühren, längere Zeit verweilen läßt. Dies wird in der Regel
') Daher auch die korrumpierte Form ryn wyth g»st in alphab. Sainnil.
Magdcb. Schftllenspr. Kap. 147, Waasorschlcbcn S. .»0.
*) Oben S. 172 Anni. 3.
3) Ru titschen Spiegel Art. 42 und ihm nachgebildet Schwahen-
spiegel Art. 12, sowie Augsburg Stadtr. (um 1280) Art 32: vgl. auch die
bei Grimm, Deutsches Wörterb. (Leipzig) IV, 1 Sp. 14öti gegebeueti, sämt-
lich spaten Definitionen des ÜrgritlVs wilder pist.
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auf louf’liutl? ') zutreffen, die deshalb doch in irgend einer Stadt
seßhaft sein können. Solche Gäste sind im Sinne der Quellen
wilde Gäste, oder, mit andern Worten, Gäste, die ,. wegefertig“
sind. Ihnen bringt der Zwang, das ordentliche Ding abzuwarten,
eine ebenso beschwerliche dilacio wie wegefertigen Bürgern: diese
dilario soll durch das Gastgericht vermieden werden*).
Von diesem Standpunkt aus erklärt es sich, wenn in den
späteren Magdeburgischen Quellen bei der Besprechung der Gast-
gerichte anstatt des unverständlich werdenden und gewordenen Aus-
drucks wilder gewt der Begriff der Wegefertigkeit des Gastes
betont wird3), und zwar häutig in einerWeise, die erkennen läßt,
daß (auswärtiger) Gast und wegfertiger Gast den Quellen nicht,
wie Planck anzunehmen scheint, unter allen Umständen identisch
sind*). Das Gleiche gilt außerhalb des Magdeburgischen Quellen-
kreixes. So wird schon 1 1Ü7 in dem Vertrage zwischen Köln und
Flandern jedem Plauderer unverzügliches Gericht versprochen,
dum .... jier tenam eel per ai/uain p aratu * fueril ud
recedendum*).
■) Vgl. oben S. 18 bei Anm. 3 und l>.
*) So Magdeburg l’riv. (1188) t> und 7. I.aband Hy». S. 2. Vgl. den
unten Anmerkung 5 angeführten Vertrag Köln-Flandern.
*) Magdeb.tlre.sl. syst, Sch.lt. 11. 2 d. 35, l.ahiind 8.82: Magdeb.
Fragen (. Ifi d. 5. sowie II. 2 d. !>a und II. 5 d. 1, Kehrend S. 142 bzw.
Kitt und 172: Kluine des Ssp. (lim 1400) I. II nr. 21, ltl.dK, S. 3t!3.
•) In Magdeb. ScbülTonr. der Itrosdcncr lidsehr. Kap. lütt. 157,
Kehrend S. 23-1, wird auf die Frage, ab man gestern, die da wegefertig sinf oder
nicht Wege fertig, . , . notding . . . hegen sttlle auswendig echten dingen , die Antwort
erteilt : wegefertigen gelten, die do verre besessen synf, das sie Senat gehegten
dinge nicht harnen bannen . . ., den sal man . . . alle tage richten . In alphob.
Sanunl. Magdeb. SchöfTeiispr. Kap. 2ti4a, Wasserschieben S. 83, wird er-
örtert, wie es mit einem vom tiast-Schuldner dem tiast-tilüubiger auiler-
gerichtlich gesetzten l’fande zu halten sei. wenn de gast, deute du pnnth ge-
sellet r», werth weckaerdieh', und ebenda Kap. 427, Wasserschleben S. 118.
lieiUt es, jemand habe zur Verhandlung seiner Klagt: einen KcvollmAchtigten
in der Stadt zurucklassen müssen, da er an gast ttnde weehverdieh getoesecn
ys. — Planck, der das Moment der Wegfertigkeit der fiAste völlig unbe-
rücksichtigt liiUt, findet deshalb in II S. 412 Anin. auch für die unten
S. 175 bei Anm. 3 wiedergegebene Stelle nicht die zutreffende Deutung.
J) Hansisches l'rk. K. I S. 25. Für den Seeverkehr tindet sich Ent-
sprechendes in den Freiheiten von Kämpen für Norwegen (1305) 3, Hans.
1’, K. II 8. 33: Nur solche (laste, die natu nt ad viatn minime preparatam be-
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175
In Freiberg muß der beklagte Gast dem Richter versichern:
Her richtet , ich bin ein gart unde bin icegevertik . . .
Tut irol unde eeiiiget mich ').
Ähnliches wird auch anderwärts häufig ausgesprochen*).
Nicht wegefertige Gäste dagegen, die sich auf längeren,
wenn auch nicht dauernden Aufenthalt in einer Stadt eingerichtet
haben, müssen sich gleich den Rürgem mit dem langsameren
ordentlichen Verfahren begnügen:
wor »-ult, dhe ein borghcr dheme anderen einem barghere
in »cu! dielt, »cal men duchdingen nver XI1H nacht. Unde
al dhen gheeten, dhe hir pleghen tu I icgh ende ran
einer tit tor anderen, lieh amten bnrgheren XI III nacht3).
c) Daß die erwähnten Voraussetzungen, die Wegefertigkeit (beim
Gast oder beim Hürger) und die gehörige Entfernung des Wohn-
sitzes (beim Gaste), in der Person des betreffenden Antragstellers
vorhanden sind, muß dieser der Gegenpartei in irgend einer Form
nachweisen. Freiberg scheint sich, wie erwähnt, mit der ein-
fachen Versicherung des Berechtigten, er sei wegefertig, zu be-
gnügen4). Magdeburg verlangt dagegen vom klagenden wie vom
beklagten Gast ausdrücklich den oben5) mitgeteilten Eid, der so-
wohl die Wegefertigkeit wie die Entfernung des Wohnsitzes be-
sitzen, also noch Unsere Zeit in der Stadt liegen müssen, dürfen, ehe ex
zntn Gastgericht wegen Frevel kommt, sieh für das Erscheinen ihrer be-
klagten Mitbürger verbürgen und diese so vor der Sicherungshaft bewahren.
■) Stadtr. (1206 1307) 111 § 3. Krinisch S. 50.
*) Hagenau Stadtr. (1164) 18, s. oben ß. 153 Anni. 2: k leines Kaiser-
recht (nach 1300) I. II! und 17, s. oben 8. 158 bei Anm. 1—3: Hörde
Kechtsbr. (1340) 21, Gengier St. It. S. 108: liegen einen Cefonan efi tpcckver 7/c
Man, der dar dry stet irr/, ryt an gktyt, darf der Bürger rasches Gericht be-
antragen und umgekehrt gegen den Bürger ein gast, dry ryn teetkverdigh man
teere.
3) Hamburg Stadtr. (1232) M. XI. I. Uppenborg S. 147, eiu Zusatz
gegenüber dem Stadtr. (von 1270) IX. 14. ebenda S. 55. Wegen Magdob.
Fragen II. 5 d. 3. Behrend S. 173, s. oben S. 10 und 13 in und bei Anm. 8
bz.w. 3. Mißverständlich Planck II S. 412 (s. oben S. 174 Anm. 4).
4> Stadtr. (129(1— 1807) III §3 und liatswillk. (um 1350; 12, Ermiach
S. 50 bzw. 274.
*) S. 172 bei Anm. 1.
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rficksichtigt 1 j, mindestens aber (wie beim Bürger die eidliche
Versicherung der Wegefertigkeit*), so beim (taste) die eidliche
Behauptung, daß er nicht dingpflichtig sei3). Selbstverständlich
kann dem Antragsteller die Ableistung des Eides von der Gegen-
partei erlassen werden4). Ist der Eid geleistet und erweisen sich
die beschworenen Tatsachen nachträglich als unwahr, tritt z. I!.
der' Bürger die Reise nicht an, so ist Wette und Ruße zu erlegen*).
Abgesehen von den Fällen, in denen der Berechtigte den
Antrag gleich im ordentlichen Ding stellt*), muß er die ge-
nannten Voraussetzungen seines Antrags, auf welche er oder die
Gegenpartei im Wege der h ul per r de1) hinzuweisen in der Lage ist.
entweder vor dem Einzelrichter beschwüren, wofern dieser nach
den Umstünden des Falles befugt ist auch in der Sache selbst
zu entscheiden*); oder aber er schwört vor einem außerordentlich
gehegten Ding, wenn der Einzelrichter nicht ohne Beisitzer in der
Sache zu Gericht sitzen darf’) und also diese Beisitzer berufen
muß. sobald Antrag auf Gastgericht bei ihm gestellt ist.
■) Ebenso Magdeb. Kragen II. .7 d. 2, Bohrend S. 173, und säclis.
Wcichbildr. XI, V. $2, Daniels S. 30. Vgl. Frag Uechtsbuch (14. Jahrli.)
21, IWfllcr I S. 108, und dazu oben S. 173 in und bei Anin. 1.
*) Magdeb. Hrosl. syst. Sch. R. 11. 2 d. 35 nnd 111. 2 d. 84. Lnband
S. 32 bzw. !I4.
3) Magdeb. Weistum für Kulm (1338) 7. I.aband Rt)u. S. 141: Magdeb.
llresl. syst. Srh. 1«. II. 2 d. 3.7, I.aband S. 32: Magdeb. aljdiab. Summt, von
SehAflenspr. Kap. 144. Wasserschieben S. 43: Glosse zum säehs. Weichbild,
s. oben S. 172 bei Amn. 4.
*) Weichbildrecht der l'ITenbachur Handschrift, I.aband K<)u. S. 87
nnd S. llti Anm. d zu Magdeb. Schfiffenr. V §3.
4) Magdeb. Bresl. syst. Sch. U. III. 2 d. (14, I.aband S. !l4,
*) Vgl. oben S. 1(58 Anm. 4 und Diät. III. 15 d. 1, OrtlolT S. 1(54.
*) Magdeb. llresl. syst. Sch. R. III. 2 d. (54. I.aband S. 94, wo der
beklagte Bürger seine Wegefertigkeit geltend macht und schnelles (iericht
fordert. In Kochold Stat. (1.7. Jahrh.) 57, Wigand III, 1 S. 24. wendet
umgekehrt der vom (last beklagte Bürger lin Woge der holperede ein, dal!
der Klüger die Reziprozität bei der Gewährung von Gastgerichten nicht
nachgew iesen habe. Dieser Nachweis, durch öffentliche Urkunden der Heimat-
stadt des Gastes zu führen, erscheint in manchen Städten ebenfalls als
ausdrückliche Voraussetzung des Antrags: vgl. oben S. 153 Anm. 4.
K) So bei schlichten Schuldklagen in Magdeburg: vgl. Magdeb.
Schöflenr. (nach 12(51) V §3. I.aband Rt|u. S. 115.
1 So bei Schuldklagcn mit Zcligcnnnsprcchcn in Magdeburg: vgl.
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177
VII. Die Organisation des Gastgerichts.
1. Die zur Entscheid uns; eines Rechtsfalles besonders berufenen
(last Berichte (im engeren und im weiteren Sinne) gehören zur
(lattung der Notgerichte '). Die erforderliche Eile kann unter
rmstiiuden sogar die Ersetzung der Person des Einzel richters
durch den Büttel2) oder durch einen beliebigen Bürger erforderlich
machen, wenn die Parteien
tle* dichter» an » chice nicht muchtcn gehehlten *).
Übergebt man die Falle, in denen der Richter auch im gewöhn-
lichen Prozeß allein richten darf, so Zeigt sich die Rücksicht auf
Beschleunigung namentlich bei den Regeln über die Heranziehung
der Urteilfinder. Entweder dürfen die (zur regelmäßigen Besetzung
des (lerichts gehörigen) Schölten bezw. Ratsherren durch andere
Bürger ersetzt') oder aber die Zahl der Schöllen bezw. ihrer
Magdeburg SchölTenr. (nach 1261) V $3. T.abuml Ktju. S. 115. mit dein
Zusätze ilcs Weist, für (liirlitz (1304). ebenda S. 11t! in Amn. «.
') S. üben S. 148 bei Anm. 5.
*) Hain Kechtsbr. (133g) 5. gedruckt bei Osetibrnggen S. 41).
*) Berlin Stailtb. (1397) I qu. 19, Kiiiicin I S. 49 mul 50. Nachdem
in dieser städtischen Willkür (olde und «ge roduninne sint desser saht eyn nvrdenj
Termine und Orte für das alle 14 Tage abzulmltemle ordentliche Ding und
alsdann für die zweimal in der Woche zur Erledigung .schlichter" Klagen
stattlindendeii tieriolitstagc festgesetzt sind, heilst es weiter: wert nt, die
eyne deine linderen schuldigen wolde, dot r. ' e r fiorger, getst oder h u r, und des
richters sn schirr nicht miuhten gehehhen, so so/ cvn horger deine lindern richten,
waste oii den riehter. Es stein hier olfenhnr nicht — etwa in Anlehnung an
Sl.dR. 1.55 $2 und 1.57. sowie all Magdeb. ltcelitsmitt. für Breslau (1261)
8. 10 bei l.aband K‘)ii. S. 15 Kiirung eines Richters zur Aburteilung
handhafter Tat in Krage, sondern di«; notwendigerweise schleunige Ent-
scheidung von .schlichten* Schuldklagctt zwischen llürgern und Auswärtigen
an Tagen, an denen der Richter nicht so wie so auf der Spreebriickc zwischen
Iterliu und Köln zu tierichl sitzen iniiL'i. Können ihn die Parteien nicht
erlangen, so wählen sie selbst (mul nicht das Pingvnlk. wie Külins II S. 240
offenbar in dur Voraussetzung handliafter Tat unrichtig meint) einen Bürger
znm Richter, der indessen, wofern der ordentliche Richter nachträglich er-
scheint. diesem Plalz machen htuLi.
4) In der Erneuerung des städt. I.andfr. zw. Münster, Osnabrück.
Soest und Dortmund (1338), Hans. I . B. II S. 277, wird aber ausdrück-
lich versprochen, dali die schefenen den Klägern hinnen dreyn tagen zu ihrem
Beeilte verhelfen sollen.
lCuiturff, ItocbtsstdJuDS der Röste 12
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178
Ersatzmänner darf herabgemindert werden. Den ersten Wey: schlug
schon 11S8 Magdeburg ein. Wenn e//n ding hassen rechtem us-
gelegetem dinge gehegt wird1) und im Kegel falle Schöffen zugezogen
werden müßten, darf die Urteilfintierhank zum Teil oder ganz aus
Bürgern bestehen, si scuhini iudice » presentes non eint*). Doch
nicht nur wurde dieser Ersatz gestattet, es wurde auch die ur-
sprüngliche Voll zahl von sieben Schöffen (und evtl, eben so vielen
Bürgern) *i im Laufe derZeit auf zwei Schöffen (und damit jeden-
falls auch auf evtl, nur zwei Bürger) herabgemindert*). Als das
Charakteristische dieser Gastgerichte ward infolgedessen die Be-
setzung mit Bürgern empfunden*). — In Freiberg, wo im ordent-
lichen Ding die Ratmannen als Beisitzer fungieren, scheint man
sogar bei Gastgerichten, in denen der Richter nicht allein richten
durfte, in erster Linie nicht die Ratsherren, sondern sonstige
erhalte lute als Urteilfinder berufen zu haben6); ein gleiches ist
von Wien zu sagen !). — Wie in Magdeburg s) und in Frag *),
so wird auch in Brünn 10 1 und namentlich in Koblenz die Zahl der
Schöllen, die im Gastgericht amtieren, herabgesetzt. In Koblenz
läßt der Schultheiß, sobald Antrag auf gassenge rieht bei ihm ge-
') Magdeb. Fragen II. 5 d. 1. Hehrem! S. 172.
*) Magdeb. erzbisch. I’riv. (1188) fi bis S. I.abnnd lMpi. S. 2.
s) Falsch ttsenbrnggen S. 53; nichts spricht dafür, da Li bereits 1188
nicht mehr sieben Schöffen hzw. F.rsatziuänncr verlangt wurden.
4) Magdeb. Rechtsmitt, an Görlitz (1304) 7, bei I.abnnd Rt)u. S. llti
als Note e zu Magdeb. Schötfenr. (nach 12<il) V S 3: da bnlarf man cswier
sehepfen tu. Pen Grund dieser Herahmindening deutet die Naumbtirger
Handsebr. des Magd. Schöffcnr. (nach 1201', I.abaml KQu. S. 100 und S. 11t;
Anm. f zu V. 3, mit dein einer Überbürdung der Schöffen entgegen arbei-
tenden Satze au: is in tat auch nicb ein sc lupft na: b einander driens erteil finde,
im Gastgericht nämlich. Infolgedessen inutltc bald eine Vellbcsctzung der
Bank mit Schöffen von vornherein als undurchführbar erscheinen. — Kben-
falls nur zwei Schöffen verlangt l’rag Rechtsbueh (14. .lahrh.) 22, KüUlcr
I S. 108.
5) Vgl. oben S. 148 bei Anm. 3.
6) Katswillk. (um 135tt) 12. 13, K.nnisch S. 274, mit Ratsschlufj (1373),
nach Schott, das Stadtr. d. Stadt Freiborg i. S. (1775) S. 8!t gedruckt bei
Planck II S. 414.
7) Wien -Neustadt Stadtr. (13. Jahrh.) 45, Winter S. 152.
•) Oben in und bei Anm. 4.
®) Oben Anm. 4.
•") l’ülilcr II S. LXV11 Über das iudicium extraordinarium.
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1 79
stellt ist, Schöffen zu sich entbieten, alß eyel alß num die Zeit an
k-omen mug Während des Marktes hegt man in Koblenz den
auswärtigen Kaufleuten sogar ein yaxtyericht, das außer mit dem
Schultheißen*) nur mit zwei anstatt mit sieben Schöffen besetzt
wird, dafür aber in der Person des Bürgermeisters eine dem Gast
besonders günstige Verstärkung erhält*); denn der Bürgermeister
ist Vorsitzer des dem Gastgericht notwendig vorausgehenden
Schiedsgerichts ( verstechten ), in dem die Gegenpartei (trotzdem der
Gast Schuldurkunden, vom Bürgermeister oder von zwei andern
Bürgern beglaubigt, vorgelegt hat) ihre Schuld nicht hat aner-
kennen und gutwillig berichtigen wollen.
•J. Diese eigentümliche Organisation des Koblenzer Gastgerichts
erinnert daran, daß auf deutschem Boden hier und dort- Gerichte
existierten, welche nicht nur als „Umbildungen des gewöhnlichen
ordentlichen Gerichts“ *) zusammentraten, sondern neben diesem in
Permanenz mit der ausschließlichen oder doch hauptsächlichen
Aufgabe bestanden, Gaststreitigkeiten zu rascher und zweckdien-
licher Erledigung zu bringen.
а) Solche Gerichte sind natürlich nicht gemeint, wenn An-
gehörige fremder Länder und Städte in einer dritten Stadt die
Angelegenheiten einer von ihnen gebildeten Genossenschaft de iure
eommnni *) in gemeinschaftlicher Zusammenkunft ( morgineprace )
beraten und eine den genossenschaftlichen Zwecken dienende Straf-
gewalt über ihre < ienossen ausühen. Streitigkeiten Einzelner unter
einander soll die Gesamtheit der in der dritten Stadt anwesenden
Mitbürger, evtl, nach Wahl eines besonderen iude.r, in Güte
schlichten; gelingt letzteres nicht, so soll, wie die Heimatstadt
in solchem Falle vorschreibt, keinerlei Zwang gegen die Parteien
ausgeübt, sondern der Austrag der Streitigkeit bis zur Rückkehr
in die Heimatstadt vertagt werden6). Keiner soll den eigenen
') Altes (jcrichtsb. (1366—1424) 19 bes. § 1. Bär S. 93 f.
*) auiflmim = SehultheiU: vgl. Bär S. 2fi. <54.
*) Stadt r. (1363) 21, Bär S. 52. 53.
*) Kietscbel S. 20»;. 207: Stolzes Bedenken (S. 79) gegen diese Aus-
drncksweise sind grundlos.
5) l’riv. Kaiser Kudolfs I. für die Inbischen Kaufleiite (1275). Lfib.
U. B. I nr. 3»!ti.
б) Medebach Stadtr. (1165) 17, Keutgen trk. S. 147: Soest Stadtr,
vor 1200) 29. Keutgen l'rk. S. 141, und alte Schrac (um 1350) 114, Seibert*
12*
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180
Mitbürger etwa im Gericht der dritten Stadt verklagen'). Auch
deutschen Gerichten gegenüber gilt der Satz, den Stade für seine
Ripett- und Diinemarkfahrer aufstellt *i, wonach nenwnl uth der
kum/ietii/e böse Worte. Schlage, Stolle und sonstige mieoghe in
fremdem Gericht klauen soll, it ne *i dm de uncoghe so grot ei
dal he ran den heren unde ran den v<> tjhedeu darlho dwu nahen3)
werde.
Wahrend aber auf Grund besonderer Verträge die Hanse,
namentlich die Lübecker, in Flandern4) und auch in Holland5)
die Ausübung einer wirklichen Gerichtsbarkeit mit vollziehender
Gewalt erlangten, dergestalt. daU sie entweder völlig selbständig
oder aber in Verbindung mit den richterlichen Instanzen des
II 8. 398: Kortmund au seine Kärger und Knulteute in Antwerpen (1329).
Hans. V. H. II S. 21*.
') S. oben S. 44 IT.
*) (um 1350' Kl, Hans. I . It. III S. 90.
s) Hierbei sei an ilen Satz des Stadt recht sbuehs von Freising (1328)
t)9, Maurer S. 319. 320. erinnert: /'s seil auch kein rirhtrr kaits gast nottnn Jas
er sein klag vrlfter tiann sank Urne ding. Jas ist sank Jnekerey unnJ rank unssa
tculs/eg Jy einem mensehnn an sein er oJtr seinen keik gen! leerJenn ^so Lesart bei
Maurer: offenbar richtiger beiLit es: r rer Jnnj nnnJer titrnmk htrUaggt den
mee Jer Richter trat nottenn Jas er Jas reiht vedfur. Iliese \ orsehrift ist mit
Rücksicht darauf gegeben, dall längere Kauer eines nicht int gastgericht-
licben Verfahren zu erledigenden Prozesses dein <iast u. I . die Wahl zwischen
Klagerftcknaliiiie (und damit Kulte u. Wette oder .schadenbringendem weite-
rem Aufenthalt in der Stadt stellt. Koch stellt dieser I- reisingsche Satz
wohl ziemlich allein. Wenigstens werden gerade von «iästen sehr häutig
Kautionen dafür verlangt, da LI sie die gegen einen Kärger erhobene Klage
auch durchfcchleti werden, und diese Kaution verfall! natürlich, sobald die
Klage zurückgeiiommen wird.
*) l’riv. des tirafen von Plaudern für die Kaulleute des römischen
Reiches in Flandern (1307 i! und 13U0 7, Haus. 1 . K. IIS. .73 bezw. 111
S. 24.7. und in Hrügge(l309/ 12 und 1330) II. Hans. I . K. 11 S. l>7 bzw. 111
S. 257: Priv. des Herzogs von Lothringen für die deutschen Kaufleute
(•1315) 6. 12. 14. 20. Hans. I . H. II S. 10t> — 108: Keschlfisse des
Kontors zu Kriiggc (1343/49; 4. .7 und (13tiO til 10. Hans. 1. K. III
S. 347. 348.
5) Priv. des tirafen von Holland für Lübeck (1298), Liib. I . K. 1
nr. fi7.7: Verk. Pri\. des Regenten von Holland für die Kaulleute der
Hause ;I358; 17. Hans. 1 . K. HI S. 177.
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auswärtigen Aufenthaltsorts richteten und vollstreckten '), waren
derartige Bevorzugungen Xichteinheiniischer aut eigentlich deutschem
Boden grundsätzlich nicht bekannt*). Man nmU es also als eine
Ausnahme, gegründet auf eigenartig gestaltete Verhältnisse, an-
selien, wenn Bischof Albert von Riga merculori/ni« bunmn et ruelernx
jiortii h Liroiiiae rrei/ui'fitunti/'u», insbesondere den gothhindischeu
Kaufleuten, Privilegien erteilt, wie sie der deutsche Kaufmann
anderwärts im Auslande in Anspruch nahm und wie sie namentlich
die xocietnx neu coneodolitoe mercutorum auf (iothland3) besaß.
Nach jenem bischöflichen Privileg4) darf nämlich jede einzelne
ririfue uneingeschränkt e.rce-v/u/i «uox, d. h. Delikte ihrer Mitglieder
unter einander, richten, während der bischöfliche iwle.e entscheidet,
einmal wenn ein Teil bei ihm klagt, zweitens über die, i/ui ad
nullam ciritat/in hnbent rexfxr/um, sch liel.il ich intet' eiet;*, d. h.
wenn Streitigkeiten zwischen Angehörigen verschiedener civdate»
wie auch mit Rigisehen Bürgern vorliegen. Durch diese Vor-
schriften wurde der ausdrücklich ausgesprochene Grundsatz: mper
yildwt eet prinriptde (d. h. das fürstliche5! iudicium gestützt und
xin/’ epixeopi aurtontate das Entstehen einer yilda enntmuni«, wie
') Ähnliches auch anderwärts. Vgl. I'riv. des Pfirsich voll Kügcn für
Lübeck (1224), Lüh. t . H. I nr. 27, wo gemeinschaftliches Gericht eingesetzt
wird: I’riv. Itcstnt. des Königs voll Daiicma rk für die deutschen Kaulleute
auf Skauür und Falsterbode (1328) 5, Hans. V. It. II S. 188. S. auch diu
lübischcii an Dänemark gerichteten Forderungen (1318), Haus l . It. II
S. 124 und unten bei Amu. 3 und S. 182 bei A um. 1.
*) Zu erwähnen wäre, dall in Deutschland die von verschiedenen Terri-
torien geschlossenen Laudfriedensverträge Landfricdcnsgcrirhte einsetr.ten.
welche zuweilen auch und zwar meist binnen genau bestimmter Frist l’rivat-
slreitigkeiten der beiderseitigen Fulcrtaiieii (iiameutlieb auch bei Scbllld-
klagen) zu entseheiden oder doch über licrhtswcigcriing im einzelnen Terri-
torium zu wachen hatten. Vgl. Franklin II bes. S. 29 und 30, und ferner:
Vertrag zwischen Kverstein und Homburg (1339), Sudciidorf 1 S. 332:
ltündnis zwischen Köln, Münster, Soest, Dortmund Usw. (1352) 4 und
5, Hans. F. II. III S. 112: llüiidnis zw. Loen und Ravensberg (1381),
Lacomblet III S. 511: Vertr. zw. Mecklenburg und Lübeck (1385), Lüh.
I". 11. 111 nr. 520: Landfr. zw. Köln. Luxemburg. Jülich. Aachen (1375).
Lacomblet 111 S. GGl.
3) Maurer Städtcverf. Id S. 285.
4) (1211). Hans. l\ It. I S. 38.
*) Vgl. Riga Stadtr. (1225—1238)30, Xapicrsky S. 9.
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Gothland eine solche besaß1), für Riga verhindert. Diese den
fremden Kaufleuten verliehene Gerichtsbarkeit ist in späterer Zeit
in der Weise ausgedehnt worden, daß sie nicht nur Delikte, die
in littore marin aut ripi* ßuminum und zwar inter ne ipnos verübt
wurden, durch gewählte Richter und nach gothländischem Recht
entscheiden, sondern auch Klagen richten durften, welche Ein-
heimische bei den Richtern gegen die Kaufleute anbrachten, in
diesem Falle allerdings unter Zugrundelegung des rigischen Rechts*).
— Unhaltbar dagegen ist die Ansicht Bartholds*), wonach
Heinrich der Löwe *) für das Gebiet seiner sächsischen Lande den
eingeborenen gotli ländischen, also nicht deutschen Kaufleuten einen
eigenen Richter ihres Stammes, Liclinatus mit Samen, verstat.tet
habe. Liclinatus fungiert vielmehr lediglich als nuntius, d. h. als
Bevollmächtigter der Gothländer hei den Verhandlungen mit dem
Herzog in Artlenburg, ebenso wie Odelricus als Bevollmächtigter
der deutschen Kauf leute auf Gothland. Während aber der letztere
in Erneuerung eines alten Zustandes3) ausdrücklich zum advocatus
et iude.r der deutschen Kaufleute auf Gothland vom Herzog be-
stätigt wird, spricht nichts dafür, daß dem Liclinatus eine ent-
sprechende Gewalt über die Gothländer „in Lübeck oder für die
andern sächsischen Städte“ hat eingeräumt werden sollen.
b) ln Gegensatz zu dem bisher Erwähnten stehen alle die
Organisationen, die als einheimische Gerichte der einzelnen.
Stadt8), aber speziell für Gastsachen, fungieren. Diese
Gerichte verdanken den besonderen örtlichen Verhältnissen ihre
Entstehung. Trotz ihrer vereinzelten Erscheinung wirft die Tat-
sache ihrer Existenz doch Licht auf die Rücksichtnahme, die man
Gicrke I S. 352: Maurer StÄdteverf. II S. 204 f.
*) Vgl. oben S. 24 Anm. 3.
3) Geschichte der deutschen Hansa. Leipzig (1854). I S. 131).
*) Priv. (1163), Lub. l\ 1). I nr. 3.
5yi S. Höhlbauiu in Hans. Gosch. HI. (1872) S. 48.
ß) Innerhalb der Besitzungen des Bischofs und des Domkapitels von
Gl o gaii behalt sieh der Herzog von Schlesien pro honore duat/us aus-
schließlich Jurisdiktion und Gewettoanspruch bei Straßenraub vor, cum scüicct
Mcrcator ex träne us de pur/ibus alienis veniens spoliatur (Urkunden von 1253
und 1261, Tzschoppe S. 331 und 348): hier besteht also besondere Gast-
gcrichlsbarkeit in »ußerstfidtiseliem Gebiet.
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namentlich an verkehrsreichen Platzen in prozessualer Hinsicht
dem Auswärtigen schuldig zu sein glaubte.
fi. Zuerst zu erwähnen wäre Magdeburg. Hier durften seit
117(1 die mereatores de Burc/t et relvpti transalbini mereatores et
negnciatores ihre Waren in einer curia nahe dem Markte unter-
bringen und verkaufen1). Gelegentlich eines Wiederaufbaues des
abgebrannten Hauses 1224 bestätigte der Erzbischof von neuem,
quod nitllvs in ea cum eisdem burgensibus i udicandi aliquant
habeat. potestatem jireter nnncium nostrum ad hoc specialiter
deputat-uni *). Wie weit die Zuständigkeit dieses, mit dem erz-
bischöflichen SchultlieiUen oder Burggrafen offensichtlich nicht
identischen Beamten ging, ist nicht überliefert.
fi. Ob auch der Fremdenvogt des Rigisehen Rechtes eine
ursprüngliche Schöpfung des Stadtherrn ist, wird nicht gesagt.
Die geregrini, die pelegrime, welche alljährlich seit dem 12. Jahr-
hundert wegen der nordischen Kreuzzüge aus allen Gegenden in
Riga zusammenströmten, hatten in Livland schon früh eine ge-
meinsame Organisation erlangt*) und besaßen laut einer Verord-
nung, tco men der pelegrime rogliet hexen sal *l, in Riga das Recht,
sich selbst einen adrocatu * zu wählen. Dieser Vogt erscheint
hier, wo von ihm zum ersten Male die Rede ist, jedenfalls bereits
als delegierter Richter des 1224 eingesetzten Rats. Denn seine
Wahl geht vor sich mit wulborl des rades, am Freitag nach
geschehener Wahl wird er vom Rat auf dem Stadthause verpflichtet
') Erzbisch. Priv., Magd. U. 1$. I S. 22.
s) Magd. U. If. I IS. 40. — Hierbei sei erwähnt, ilaß Herzog Boriwoys
von Höhuien der Prager Kirche verlieh enriam hospitum in medio civitatis
Pratjoe . . . et iudicium ad enriam pertinent; daneben bestand das ins ereile
der freien deutschen llfirgergenicinde. I>ie Zuständigkeit und Besetzung der
Gerichte wird in der fraglichen Urkunde (1100— 1140), Rößler I S. XV, noch
näher erörtert.
s) v. Bunge S. 9.V In den Urkunden jener Zeit erscheinen in Riga
häutig irres, peregrini et mereatares neben einander (V. Bunge S. 80 und Anin.
dazu): mit den letzteren sind die fast ausnahmslos aus (iothlaud nach Riga
kommenden (Kuppmann in: Hans. < losch. Bl. 1872 8. 54) fremden, besonders
deutschen Kaufleute gemeint.
*) Riga Umgearb. Stat. (um 1300) Kinl. S 1 — 3. Napiersky S. 142.
I'ni 1300 kann diese Verordnung kaum entstanden sein: damals hatten die
Kreuzznge schon sehr nachgelassen (v. Bunge 8. 9.">).
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zu richten na tue* »laden reckte , die einkom menden Strafgelder
muß er an den Rat tho de* stades inuren abfiihren. Der Vogt
richtet filier alle1) Klagen von pelegrimen und Molchen, die es
nicht sind*), gegen peleyrime ; andere Streitigkeiten, namentlich
Klagen der peleyrime gegen Rigisehe Bfirger, gehören zur Kom-
petenz des Stadtvogts.
7. Häufiger jedenfalls scheinen diese Berichte, wie in Koblenz1)
und auch in Paderborn4) noch zu erkennen ist. aus einer im Anfang
schiedsgerichtlichen Tätigkeit des Rates hervorgegangen zu sein,
in Norddeutsehland*) wären namentlich Wesel und Köln hervorzu-
heben. In Wesel war der Rat. insbesondere auch als sein Dele-
gierter der Bürgermeister allein6), zur Entscheidung von Schuld-
sachen zwischen Fremden und Einheimischen berufen, und zwar,
wie es scheint, dann, wenn die Fremden Kläger waren und solche
Entscheidung beantragten. Die Vollstreckung in das Vermögen
des schuldigen Bürgers hatte der Stadtbote auszul'nhren; zur
Vollstreckung gegen die Person mußte dagegen, allerdings ohne
weitere Verhandlung in der Sache selbst, das Bericht den Berichts-
boten stellen. Bürger, die nicht zur Verhandlung vor dem Rate
erschienen, verfielen in hohe Strafe1).
') 8. dazu oben S. 181 bei Anni. 3 — "> und S. |S2 bei Amu. 1. 2. über
die Stellung der kaufmännischen Berichte.
*) Mögen es lfigisclic Bürger, mögen es sonstige Büste sein.
3) S. oben S. I7ü bei Anm. 2. 3: der Hat war in Koblenz nach 1250
entstanden (Bär S. lt! .
4) Biscliötl. l'riv Best. (1327). i’hil ippi S. iljl: onmrrsp si fuisfi/trsst ~tl In-
uit . seu ruft min tili, ui trvi wt suis l’il/ilii simiUni t/urstit>sstm super tichilis mir.fft
l’tl/tl, hnnt torasss tnrssit/ifisis j'ati erber stau sin s firimitus , /eitel eotsversire et,
a
si (oraw ifsis iuslitiam non (onsofurrdur, rjctnnc potnit dchitunt suttm vkrvcrsa in
iure exto rtjnerc.
5) In Siidduiitschland wird dergleichen z. B. in Oesterreich, namentlich
aber auch in München erwähnt, ln dieser Stadt richtet, unter Ab-
kürzung der Fristen, seit der ersten Hälfte des lö. Jahrhunderts der Stadt*
unterrichter als vom Hat speziell delegierter - 1 rast rieh ter“ den Fremden als
Klägern wie als Beklagten (Näheres hei Weimer S. 1*1 — 63).
K Älteres Bfirgerbtieh (begonnen 1308) Fol. 38a, und Stadtrechnuug
von 1293 (bei Heinhotd S. SKI;.
: Näheres überhaupt bei Keinhold S. St# — :»2.
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5. Die interessanteste, den Weseler Zuständen verwandte
Bildung sind jedoch die im Jahre ld'Jli ') zum ersten Male er-
wähnten richtet- ran den tjeetin in der mittelalterliclien Handels-
metropole Köln. Dort muü der Hat, der seit der Mitte des
13. Jahrhunderts stetig an Bedeutung zunahm und n. a. dem
Schöffenkolleg wie namentlich auch der Hicherzeche einen grollen
Teil der Handels- und Gewerbepolizei abgewann*), vielleicht noch
im 1 3. Jahrhundert eine Gerichtsbarkeit in Gastsachen neben dem
Hochgericht oder schon an Stelle desselben ausgeübt haben.
Wenigstens ist nicht ausgeschlossen, dall. bevor der Hat die oben
genannten Gastrichter speziell aborduete, eine derartige Gerichts-
barkeit von den beiden .Ratsmeistern“ versehen wurde, den Vor-
sitzenden des Rates und einem der ältesten aus ihm besetzten be-
sonderen Ämter1). Denn noch bis zum Jahre 1 31) "» bezogen die Rats-
meister die Hallte der im Gastgericht einkommenden Rußen4): sie
ahndeten Ungebfihrlichkeiten , welche vor dem Gastgericht ge-
schahen1). sie hatten auch ein Recht auf die Hälfte der Rußen,
welche die Gastrichter im Falle der Vollstreckungsverzögerung zu
erlegen hatten6). Und so mag denn erst im 14. Jahrhundert der
vermehrte Tätigkeitsbereich des Rates, wie die Schaffung vieler
sonstiger Ämter, so auch den Ersatz, der Ratsmeister durch be-
sondere Gastrichter nötig gemacht haben.
Die beiden Gastrichter, Mitgliederdesengen Rates7), mußten
vor Beginn eines jeden Amtsjahres schwören, ihre Pflichten,
') Urkunde nr. I $ 51, Stein I S. 20.
■'■) Lau S. 102. 288. 301.
3) I.au S. 110 (vgl. die Urkunden v<*n 12!)? imd 120!), bei Kimen 111
ur. 442 ii. 477).
•) Köllmcli (1311) IV. 5, Stein 1 S. 35; vgl. ebenda II S. 155.
6) Kidbucli (1341) IV. 8. Stein I S. 35: vgl. auch I.au S. 110 Amu. 3.
*) Kidbucli (1341) VII. 3. Stein I S. 38.
J) Über den Turnus, in dem das Gast rieht eramt besetzt wurde, wird
berichtet im Kidhuch 1341 II. !l und VII Kinl., Stein I S. 30 bzw. 37.
und im Kidbucli (1372 I. !• und II. !•. Stein I S. 83 bezw. 85. Kau
S. 111 .Vnin. 8 und S. 298 irrt übrigens, wenn er nut'tirund von KölnOrdn.
der Messe (nach 1 300), Stein II S. 28 IT., annimnit. die uuu Itat zu „l’ferde-
meistern" bestellten zwei Itatsberren hätten bei Streitigkeiten auf dein KoU-
markt eine den Gastriclitcrn parallele tierichtsbarkeit ausgeübt: letztere
selbst sind in III J 11 gemeint (vgl. unten S. I8ti Amu. 1 .
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namentlich also die Gewährung raschen Gerichtes, zu erfülle» ').
Sie saßen schon 1326 auf dem Bürger-! Hats-) Hause hinder der
duer1) uud richteten hier, ohne Beisitzer und ein jeder einzeln *),
an drei Tagen der Woche, nämlich am Dienstag, Donnerstag und
Sonnabend*). Zu ihrer Kompetenz gehörten in erster Linie Schuld-
sachen5), und zwar namentlich auch aus dem Handelsverkehr*1),
also Klagen van rechter lenltcher schoilt ind ran rechter kouman-
»chaf *); doch waren sie auch für leichte Brüche zuständig8). Ur-
sprünglich kamen, wie schon der Name anzeigt, wohl lediglich
Streitigkeiten in Frage, in die Gäste verwickelt waren. Doch
nimmt Lau zu Unrecht an9), es habe sich ihre Kompetenz zuerst
nur auf „Schuldklagen von Bürgern gegen fremde Kaufleute“ er-
streckt. Schon 1326 erscheint vor den Gastrichtern ein Gast als
klagender, ein Bürger als beklagterTeil1"); und UOOheißt esgeradezu:
irere egn ich gast off < out man, de eich beclagede van eyncher
schalt of gebreche . . . da haint unse heren rannte Haidt
tzirene Hichtcre hg geschickt, die dat richten sollen zurstnnt,
dem gaste genoich zodoin mit der sonnen gelt of gende oß
u/i den Tom"').
') Kidbtieli (1341) Vll Kinl., Stein 1 S. 37.
s) S. oben Amu. 1, S. 1 85 Anni. 1, sowie Urk. (1362), Stein I S. 74 und 75.
3) Krankheit des einen von ihnen u. dgl. ist ohne KinfluQ: Kidbueh
(1341) VII. 1, Stein I S. 37.
*) Kidbueh (1341) Vll. 1, Stein I S. 37, und Register der städt. Accise
(1400) XXI. 17, Stein 1 S. 118. Vgl. auch Ordn. der Messe (nach 1360) 111
$ 11, oben S. 185 Anin. 7.
5) Kflln L'rk. nr. 1 § öl (1326), Stein 1 S. 20 (es stellt hier ein Objekt
von 425 Mark in Frage); Weist, über die llatsgerichtsbarkoit (um 1375)111.4,
Stein I S. 113; Register der städt. Accise (1400) XXI. 17. Stein I S. 118.
6) Namentlich jedenfalls auch auf den seit 1355 wieder eingefnhrten
Jahrmärkten : Urdu, der Messe (nach 1360) 1 bis 111, Stein II S. 28 lf..
besonders auch III § 11, siehe oben S. 185 Anm. 7; in dem Confhnysr (vgl.
oben Amu. 5 a. K.).
*) Zusätze stlin (iästerichtereid (1341) 7. Stein I S. 53: Weist, über
Ratsgerichtsb. (um 1375) III. 5. Stein I S. 113.
*) Ordn. der Messe (nach 136(1) III § 11, siehe oben S. 186 Amu. 7:
Register der städt. Accisc (1400) XXI. 17, Stein I S. 118.
9) S. 113.
,0) Köln Urk. nr. I §51 (1326), s. oben Anui. 5.
n) Register der städt. Accise (1400) XXI. 17, Stein 1 S. 118, Vgl.
auch Urk. (1362), Stein I S. 74 und 75: die soeten . . . den festen richten.
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IST
Aber es konnten, wenigstens späterhin, vor den Oastrichtem
auch Bürger gegen Gäste klagen '). l’ml im Laufe der Zeit ge-
langten auch reine HO rger Streitigkeiten vor das Gericht, Schuld-
sachen unbeschränkt, andere im Wege der beiderseitigen Verein-
barung *).
Was die Fristen anlangt, binnen deren gerichtet wurde, so
war eine gewisse Begrenzung zunächst durch die drei Sitzungs-
tage gegeben; nur während des Jahrmarktes wurde stets sofort
gerichtet 3). Waril an oder zu einem solchen Tage geklagt, so ließ
der betreffende Gastrichter alsbald zweimal bei Strafandrohung
vorbieten und im Fngehorsamsfalle (sogleich?) wegen Schuld und
Buße pfänden4). Kam der Beklagte dagegen und bekannte, so
mußte er sich zur Zahlung binnen e.gcht Jagen verpflichten *).
Erfolgte die Zahlung nicht, so ward dem Verurteilten alsbald
gebet Im egn gebot rue Munt geh und nötigenfalls sofort gepfändet6).
Daß die Richter rasch verfahren und da. wo sie nicht sofort
pfänden können, dem Rat alsbald Mitteilung machen, wird durch
besondere Strafandrohungen sicher gestellt5). Später scheint zu
Gunsten speziell der Gäste eine weitere Verkürzung der Fristen
eingetreten zu sein. Die Gäste dürfen nämlich sofortige Zahlung
>) Eidbuch .1341) VII. 5, Stein 1 S. 38.
*) Vrk. (1382), Stein I S. 74 und 75: Register der stfidt. Accise (1400)
XXI. 18, Stein I S. 118. Dadnrch, daß sieh die Richter van Jen Rettin
immer mehr Befugnisse auch außerhalb des Fremden prozosses zulegten,
entstanden Kompetenzstreitigkeiten mit dem Hochgericht (vgl. Zusätze zu
dem Gästerichtereid von 1341 § 7, bei Stein I S. 53; L'rk. v. I3G2, ebenda
I S. 75 und 75: l’rk. zwischen 1387 und 1387 § 7, ebenda I S. 53).
3) Vgl. oben S. 150 bei Anm. 7 und S. 188 Anm. 8.
4) Eidbuch (1341) VII. 1. Stein 1 S. 37: Weistum über die Rats-
geriehtsb. (um 1375) III. 2, ebenda I S. 113.
ä) Eidbuch (1341) VII. 2, Stein I S. 38. und das zweite Zitat in der
vorigen Anmerkung.
8,i Eidbue.h (1341) VII. 2, Stein 1 S. 38, und zweites Zitat in der vor.
Anmerkung. Zur Wirksamkeit der Gastrichterpfändung gegenüber dem
Kummer des Hochgerichts gehört, daß ersten* früher stattlindet: Zusätze
zu dem Gästerichtereid (1341) !), Stein I S. 53.
7) Eidbuch (1341) VII. 3. Stein 1 S. 38. I)ie Entscheidung geht außer-
dem auf den Rat über, der aber in längeren Fristen richtet : Weistum
über die Ratsgerichtsbarkeit (um 1375 111. 2 und I. Stein I S. 113
bzw. 111.
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188
oder, wenn der Beklagte nicht erscheint, sofortige Pfändung be-
anspruchen1), und zwar letztere mit der Besonderheit, daß schon
nach drei Tagen Befriedigung aus den gepfändeten Gegenständen
eintreten darf: Bürger dagegen sollen von Bürgern oder Hüsten
Zahlung oder Pfändung erst nach drei Tagen verlangen und ge-
pfändete Sachen acht Tage lang halten*)- Sind keine Zahlungs-
oder Pfändgegenstände vorhanden, so können Bürger wie Gäste
Schuldhaft gegen die Verurteilten beantragen5).
VIII. Termine. Fristen. Ladungen.
In Köln ward, wie soeben dargestellt, durch voraus bestimmte
Gerichtstage, an denen auch der Einheimische sofort verhandeln
mußte, schnelles Verfahren gewahrt. Anderwärts ward der gleiche
Zweck erreicht durch z. T. noch kürzere Fristsetzungen für die
Verhandlung des alsbald einzuberufenden Gerichts und für die
Vollstreckung. War der Antrag auf Gastgericht beim Einzelrichter
oder im gehegten Ding angebracht, so ist zu unterscheiden, ob
nur der Antragsteller oder beide Parteien zugegen sind. Im
zweiten Falle (mag der Beklagte freiwillig mitgegangen, mag er
vom Kläger arrestiert worden sein» kann entweder auf der Stelle
verhandelt •) oder den Parteien ein naher Termin gesetzt werden 5),
sei es auf Verlangen des Klägers oder des Beklagten, sei es auf
Einigung beider Teile. Im ersten Falle muß geladen werden.
Ist nur der antragsberechtigte Kläger, in der Hegel also ein Gast,
erschienen, so ergeht die Ladung zu dem alsbald anzusetzenden
Termin an den Beklagten, er sei nun Bürger8) oder Gast*). Um-
') KegUter der städt. Acciae (1400) XXI. 17. Stein l S. 118.
*) Register der städt. Accise (1400) XXI. ls, Stein I S. 118.
*) Vgl. oben Amu. 1 und 2.
') Kleines Kaiscrroelit (nach 1800) l. Iß, Kndvinann 8. 18: W i o n -
Ni-nstadt Stadtr. (13. .lahrli.) 45, Winter S. 152: Koblenz altes Gerichts-
bucli (1308 — 1424) l!l Jj 1, Uär S. 03. Vgl. Magdeburg Rechtamitt. an
Hreslau (1281) 31. I.nhaiid IMpi. S. 18.
5) Alpliab. Saimnl. Magdeb. Schfiffenspr. Kap. 72. Wasserschieben S.2S:
Kläger lällt den beklagten Gast zu dem auf den nächsten Tag angesetzten
Gastgericht in sytur r,ii, In ;! Vgl. üben S. 147 Anin. 3.
s) Münster Stadtr. (1221) 28. K cut gen S. 1.72: Kreiburgi. U. llandf.
1249) 121. (iaupp Stadtr. II S. 103: Magdeb. Hresl. syst. Sch. R. II. 2 d.
35, I.ahand S. 32: I.audsliut Stadtbncli ,14. .lalirh.) VII. 1. Rosenthal
S. 108: lioebold Slat. 17. Jahrli. 76, Wigand III. I S. 23. In Preising
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1*9
gekehrt wird sehr h;iufi<r der nichtanwesende Kläger auf Veran-
lassung des Beklagten geladen. Das tritt namentlich ein. wenn
letzterer ein (iast und entweder von einem Bürger1 * *) oder von einem
< laste - 1 arrestiert worden ist; aber schon der auf einen ordent-
lichen Dingtag geladene beklagte (iast5) oder wegefertige Bürger4)
hat jenes Hecht gegenüber seinen Klägern. Hatte der Beklagte im
gewöhnlichen Rechtsgang Anspruch auf Ladung zu drei auf ein-
ander folgenden Dingen, so können im gastgerichtlichen Verfahren
diese drei Ladungen im Laufe des einen Tages erfolgen &i; ander-
wärts wird in solchem Falle eine einmalige Vorladung für ge-
nügend erachtet’1). Wo umgekehrt der Beklagte laden hillt,
namentlich wenn ein (iast selbst oder doch sein (lut arrestiert
worden ist. wird die Ladung des Klägers vielfach mit besonderen
Kautelen, namentlich Zuziehung von Zeugen, ausgestattet, damit
man den Beklagten nicht etwa, ohne daß der Kläger gehörig
geladen worden, ziehen lasse ’i.
Wie schon angedeutet, darf da. wo überhaupt ein Anspruch
auf Gastgericht besteht, Ladung und Verhandlung grundsätzlich
sofort, noch an demselben Tage, stattfinden, namentlich wenn der
Stadt r. Blich (1328)69, Maurer S. 311. darf der klagende (last ohne Ver-
mittlung des liiehters den ltiittel sofort mit der Ladung zum ( iastgerielit
am nächsten Tage beauftragen: das umgekehrte gilt in f.andshiit zu (liinsten
des beklagten liastes.
Kleines Kaiserrecht (nach 1300} I. 1(1, K.ndcmann S. 18: Magdeb.
Bresl. syst. Seit. !!. 11. 2 d. 3.">. baband 8. 32.
1 Kreiberg Stadtr. (129(1 - 1307) 111 8 3, F.nuisch S. 50: (instar
Stadtr. (um 1300), (löschen 6fi. 35 und oben S. 15(1 Anm. 5: (ioslar Aufs,
über das Sehulth. Amt (14. Jalirli.). (löschen 110. 13: Bist. III. 4 d. 9.
OrtlolT S. 143: Lüneburg Stat. (vor 1400) L, Kraut S. 58.
*j Kreiberg und Lüneburg (s. vorige Anm.).
5) Kreiberg Stadtr. (129(1 — 1307) III 8 3, Krmiseh S. 50: (ioslar
Stadtr. (tun 1300), (löschen (13. 28: Huessen I’riv. (1348). Tescheninai-her
Krk. XXIII S. 15.
*) Kreiberg Itatswillk. (um 1350) 12, K.rmisch S. 274.
s) Magdeb. ilresl. syst. Seit. 11. II. 2 d. 35, I.ahand S. 32.
ö) Planck I S. 355 im Hinblick auf (ioslar. Bist. III. 4 d. 9. OrtlolT
S. 143. schreibt drei Ladungen vor, scheint also dem Beispiel Magdeburgs
(*. vorige Amu.) zu folgen.
•) (ioslar Stadtr. (um 1300). Göscbeu 03. 28 bzw. 0(1. 35: Huessen
Priv. (1348), Teschunmacber Krk. XXIII 8. 15.
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Beklagte nur den einfachen Unschuldseid in Schuldsachen abzu-
leisten braucht ‘). Entsprechend kann auch Befriedigung oder
Vollstreckung, namentlich des klagenden Gastes, noch am Tage
') Magdeburg erstb. Priv (1188) ti. 7, l.uhanil RQu. S. 2: cudtm <üe;
Köln Priv. Ottos IV. (1212). I.aeomblet II S. 2- : amota omni moratione et
impedimento; Münster Stadtr. (1221) '»6, Keutgen Urk. 8. 153: eo die; Frei-
burg i U. Handf. (1243) 13. 121, Gaupp St. R. 11 S. 85. 103: cothidie, qua-
übet die; Magdeb. Schöffenr. (nach 1261) Y §3. Laband Rt^u. S. 115: alle
tage; H am bürg Stadtr. (1270) VI. 6 und VII. 5, Lappenberg 8. 27 bzw. 40:
nathtes o/te dages , to allen tyJcn; Lechenich Rechtsbr. (1273) 15. Gengier
St. H. 8. 241: statim; Lger Priv. (1273) 18. 13, Gaupp St. K. I S. 132, und
Freiberg Stadtr. ( 1 236 — 1 307) 111 § 3. 4. IX § 1, Klinisch S. 50. 51. 88:
al zu hant , tuhnnt; Dresden Krlüut. Satz. (1233), Geugler Kod. S. 830.
H ra u n sch we ig Stadtr. (vor 1300) 80. Hanselinann II 8. 225, und Wien-
Neustadt Stadtr. (13. Jahrh.) 45. Winter S. 152: omni Me; Goslar Stadtr.
(um 1300) und Aufsatz über das Schulth. Amt (14. Jahrh.), (loschen 63. 28
bzw. 66. 35 und 110. 13: to haut . van 'turnten an; Hildesheim Stadtr. (lim
1300) 52. 53, Doebncr IT. B. I S. 284: to haut; Riga umgearb. 8 tat. (um
1300; 11. 3 § 1 und 2, Xapicrsky S. 154, und Kleines K aiserreclit (nach
1300) I. 16, Lndetnann S. 18: uff der stunde; Krieg Kcchtsbest. (1324) 35.
Korn S. 103: zu hant; Freising Stadtr. Buch (1328) 63, Maurer S. 303 IT.,
und Naumburg Stadtr. Satz. (1337) 17. Gengier St. R. 8.308: hie sunuen
sehine; Magdeburg Weist, f. Kulm (1338) 7, Laband R(Ju. S. 141: by tage s;
Magdeb. Bresl. Sch. Recht I. 26 und II. 2 d. 35, Laband S. 11 bzw. 32,
und Magdeb. Fragen II. 5 d. 1. Kehrend S. 172: ytagis; Hörde Reehtsbr.
(1340) 21, Gengier St. R. S. 138, ein drastisches Beispiel für schleunige
Lidesleistung durch Gäste: dey solden eUm recht op dem f 'ote. Mailich myf syner
eyntn hant unverthoget , dey varmann dey lumt op dat rat, de Rydene Man den voet
in deme stegherepe, de ( lande Man dev Ivmt in de lueht; Hll esse II Priv. (1348),
Teschemnacher Urk. XXIII S. 15: nemen een onv,rtaget recht op die s tuende voet;
Brunn SchöfTensut/.uug (14. Jahrh.) und Schöffen!), (um 1350)430, Rößler II
8. 337 bzw. 200: al tag , quolihet dierum; Freiberg Ratswillk. (um 1350) 12.
13, Lnnisch 8. 274. und Ratsscliluß (1373’. gedruckt bei Planck II S. 414:
in stoppender stat, also dicke als das not ist . Koblenz altes Gcriclitsbuch (1366
bis 1424) 13 § 1, Bär 8. 33: von stund; Lüneburg Stat. (vor 1400) XXXIX,
Kraut S. 54, Di st. III. 2 d. 1 und 4, «I. 3. Ort I off S. 136 bzw. 143, und
Kleve. Stadtr. (nach 1424j 36 §5, ZRG. 10 S.234: » nelliken , toe hant; Wester-
lau w e r s c b e s M a r k t r c c li t § 1 . Kichthofen 421 : di schelda moet tiugia ende
tingh hahta to alle u/erekadum deer m., ic tri r dich [oenj is, h wannet r so hi urit,
Heck 8. 107 Anin. 14 legt die letzten Worte aus, als entscheide der Wille
des Stadtschulzen: indessen deutet die Hereinziehung gerade des Auswärtigen
an. daß das Wort hi nicht auf den Schulzen, sondern auf die (auswärtige)
Partei zielt.
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191
des Urteils zugelassen werden'), selbst wenn für ordnungsmäßige
Befriedigung Bürgen oder Pfänder gestellt werden. Doch kommen
auch längere Fristen vor, namentlich solche, die über eine Nacht
hinweg, also bis zum nächsten Tage währen ■), daneben vereinzelt
auch zwei- und dreitägige Fristen. Die längere Dauer hat be-
sondere flrttnde und dürfte, namentlich dem Zwecke dienen, über-
raschten Beklagten, die sich nicht mit Fineid verteidigen dürfen,
oder Klägern Zeit zur Beschaffung von Beweismitteln (Zeugen
oder Urkunden) zu bieten*). Sie hat ferner bei der Vollstreckung
statt, auch in den Rechten, welche die Verhandlung über den
Klageanspruch am Klagetage selbst stattfinden lassen4). Da, wo
ohne nähere Begründung die Verhandlung über die Klage von
vornherein auf den nächstfolgenden Tag angesetzt wird*), dürfte
auch ohne Weiteres die Vollstreckung an diesem Tage stattge-
funden haben; nur .ausnahmsweise wird die Vollstreckung aus-
') Magdeburg Priv. (1188) 6. 7, l.aband K<ju. 8. 2, und Magdeb.
Kragen II. 2 d. 14. Ilehrend S. 184: iv Sonnenschein ; Alphab. Sarmnl. Magdeb.
SchOBenspr. Kap. 147, Wasserschieben 8. .70: y Jaches-, Glogau Keehtxb. (1386)
522.523. Wasserschleben KQu. S. 63: bey tagisliehte ; Kuhlen z altes Gerichts!).
(1366 — 1424) 13 § 1, Bär S. 93: dess tags.
*) sequenti die\ per noettm sotam; ante occetsum solis ve / altera die, qnod dich
tur enter twernach; des asteiern dages; ubir tteere nacht; huedett und morgen; von
eyner sonnen zu der andirn.
*) Kreiberg Stadtr. (um 1300) III §3 und 4, finnisch S. 50. 51:
Lübeck Stadtr. (C'od. Brokes) II. 329, Hacli 8. 581: Buchnld Stat. (15.,labrb.)
56, Wigand III, 1 S. 23. Vgl. auch bei unbekanntem Aufenthalt des zu
Ladenden: Goslar Stadtr. (um 1300). Göschen 66. 35: Bist. III. 4 d. 9,
Ortloff S. 143.
4) Münster Stadtr. (1221) 28 mit 26. 27. Keutgen S. 152: Dortmund
Lat. Stat. (1254 — 1256) 34, Frensdorff S. 36; Magdeburg Schöffenr. (nach
1261) V §3, Laband Kyu. S. 115: Hamburg Stadtr. (1270) IX. 14 und
(1292) M. XI, Lappenberg S. 55 bzw. 147: Celle Stadtr. (1301) 35, Gengier
Kud. S. 481: Glogau ltechtsbuch (1386) 520, Wasaersehleben I!Qu. S. 63:
Heiligenstadt Ordnung des Schulth. Gerichts (vor 1400) 16, Wolf l'rk.
S. 41: Schleswig Neueres Stadtr. 91, Thorsen S. 48.
*) Hagenau Stadtr. (1164) 18, Keutgen l'rk. S. 136: Ulm Stadtr.
(1296) 11, Keutgen Urk. S. 191: Frankfurt a. M. Stadtr. (1297) 17, Keutgen
llrk. S. 189: Erfurt Zus. zu den alt. Stat. (1313), Walch II S. 23. S. auch
Kleines Kaiserrecht (.nach 1300) I. 16, Kndemann S. 18, wo zwo nacht
jedenfalls das miUvcrstandenu twernaeht ist ; vgl. Osenbriiggen S. 43 Anm.
und l'lanek II S. 415.
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1!» 2
drücklich um einen ferneren Tag liinansgesehoben '). Sehr selten
schließlich kommt es vor, daß gastgerichtliche Fristen bis zu
drei Tagen2) anschwellen. sei es für Verhandlung und Vollstreckung *).
sei es wegen der letzteren allein*), sei es. um dem Beklagten zur
Beibringung von Beweisen Frist zu gewahren5).
Ausdrücklich wird bemerkt, dal.! Feiertage*), namentlich aber
die gebundene Zeit der Abhaltung des f iastgeriehts, insbesondere
der Ableistung von Heinigungseiden 0, nicht entgegenstehen. Auch
die Tageszeit ist da, wo das (iastgericht unverzüglich stattlinden
soll, gleichgültig. Nicht nur dürfen (lüste zur Nachtzeit laden")
und geladen werden ')', es müssen auch Bürger nnchU's oft e </</</<■*
einem (taste als Zeugen helfen 1,1 1.
( her den Ort, wo (lastgeriehte abgehalten werden durften,
ist schon oben die Rede gewesen ").
') Kassel landgr. Satz. (1384) 10. Henglcr Knd. S. 471.
J\ Dem holländischen uml llamlrisehen liecht war dreitägige I.adnngs-
frist überhaupt gewöhnlich (Hennecke S. 41): sie findet sieh daher auch in
den mit Holland und Flandern geschlossenen Verträgen namentlich der
deutschen .Seestädte.
:l) 11 i n n n SchülTenb. (um 1 3.’>0) 18, liöL'der II S. i! und 11. Vgl.
auch F.rjienerniig des Land!!, zw. Münster. Osnabrück, Soest n. Dort-
mund (1338). Hans. I . H. II S. 277.
*j llrieg lteehtshest. (1324;. 35, Korn S. 10,‘t.
3; llrieg Iteehlsbesl. (1324; 3.1. Korn S. 103, und Kreising Stadlr.
Iliicli (1328) 119, Maurer S. 318. S. oben S. 1Ü8 hei Atim. 1 und 2.
®) ltrüun SchölVensatzung 11. .bilirli. . Ilölller II S. 397 : Weste r-
lauwersches Marktrecht $ 1. Itiehlhofen S. 421.
') llambiirg Stadt r. 1270 VII. 7. I.appenberg S. 40: Freiherg
Stadtr. ( '12911 — 1307 Ul $3. F.rniHcli S. .7(1: Prag lteehlsh. 14. Jalirh.) 37»
liöUler I S. 111: Maadeh. Fragen 1. Hi d. *> und II. .7 d. 1, Bohrend
S. 142 und 172.
*) Fre ising Stadtr. Hneh (132s t!9, Maurer S. 311 : l.a ud shut Stadt b.
(14. Jahrli.) VII. 1. I tosen! hal S. 188.
®) litislar Slaillr. (um 1300), i inscheu <13. 7; Hist. III. 2 d. 1, Ort-
Inn S. I3li.
llambiirg Stadtr. (l270)VI.fi mit A uni.. ba|i|ienberg S. 27.
") Vgl. oben S. 149 hei Anin. 2 7. S. auch Fger Priv. (1279) 19 mit
18. I,aii|i|i St. It. I S. 192: I herall. />/•./. »yi/n/// in cn/ow, bain?o et tohfrna.
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193
IX. Das Verfahren im Gastgericht.
I)a.s Verfahren unterscheidet sich grundsätzlich nicht vom
ordentlichen Verfahren; die Abweichungen, die mit Rücksicht auf
die Schleunigkeit des Prozesses erforderlich werden, sind ver-
haltnismäUig gering.
Grundsatz ist zunächst, wie schon angedentet, Liquidität der
Beweismittel. Denen, die den Antrag auf Gastgericht nicht ge-
stellt haben, darf u. U. eine kurze Frist zur Beschaffung von
Beweismitteln u. dgl. verstattet werden '). Die Antragsteller selbst
haben kein Recht, nach Zeugen oder Urkunden auf die Suche zu
gehen5), wenn sie sie nicht sofort stellen können3); doch steht
ihnen, wenn sie Beklagte sind, u. U. das Hiilfsmittel des Eienden-
eides zur Seite4).
Auch sonst soll das Verfahren nicht aufgehalten werden.
Der im Gastgericht beklagte Bürger, dessen Vormund über Land
ist, soll nicht Vertagung bis zur Rückkehr des Vonnundas ver-
langen dürfen, sondern von Gerichtswegen einen Vormund er-
halten3). Lallt nach Beginn des gastgerichtlichen Verfahrens ein
Teil sein Nichterscheinen mit Krankheit entschuldigen, sollen
Gerichtspersonen alsbald die Wahrheit dieser Angabe feststellen,
da* *y beide (d. h. die Parteien) by rechte blieben “). Unter Umständen
kann der Gast, trotz der Schnelligkeit des Verfahrens, dessen Ende
nicht abwarten; in solchen Füllen lullt er einen Vertreter zurück,
der den Prozeß an seiner Statt führt7), jedenfalls auch Zahlungen
entgegennehmen darf8). Die Bestellung von Sicherheit, sei es
*) Vgl. oben S. 1C>8 bei Anm. I and 2, sowie S. 192 bei Anm. 5.
,J) Mag deb. Brest syst. Sch. 11. I. 26, l.abaud S. 11, und Preising
Stadtr. Buch (1328) 69, Maurer S. 315 (über airch vgl. Osenbrnggen 8. 47).
3 ) Eine Ausnahme zu Gunsten des Antragstellers bildet Koblenz
altes Uerichtsb. (1366 — 1424) 19 § 1 — 3, BärS. 93, wo dem Kläger zum Bei-
bringen von Zeugen ein gelegener neuer Tag auf Verlangen angesetzt wird.
*) S. oben S. 30 und 8. 157 Anm. 3.
3) Naumburg Studtr. Satz. (1337) 17, Gengier St. B. S. 308.
6) Brieg Rechtsbest. (1324) 35, Korn 8. 103. Verweigert der Besetzer
von Gastgut die Rechtfertigung im Gastgericht, so wird ihm Strafe ange-
droht: 1‘rag Stat. Recht (1314 bis 1418) 117, Rößler 1 S. 71.
') Mitteil, des Vogts und Rats von Bremen an die Gräfin v. Flandern
(1255), Khmrk I S. 305: Freising Stadtr. Buch (1328) 69. Maurer S. 319.
9) Glogau Rechtsb. (1386)520. Wassersehleben KQu. S. 63. Während
Kudurft. KrcliHstellutig der Oiiste 13
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194
für die Weiterverhandlung, wenn kurzfristige Aussetzung erfolgt
ist1), sei es für rasche Erfüllung des gastgerichtlichen Urteils2),
erfolgt wie im gewöhnlichen Verfahren; doch darf der Gast sich
im letztgenannten Falle rascher aus der Sicherheit befriedigen.
in Glogau der obsiegende Gast sieh ohne Weiteres entfernen darf, muß er
in Dortmund Lat. Stat. ( 1 254 — 1 256) 34, Frcnsdorff S. 36, Bürgen dafür
setzen, daß er die Leistung des verurteilten Bürgers in Empfang nehmen
werde.
l) Koblenz altes Gerichtab. (1366—1424) 19, B8r S. 93.
*) Dortmund, oben S. 193 Anm. 8; Magdeb. Fragen II. 2 d. 14 und
17, Behrend S. 164 bzw. 166: alphab. Samml. Magdeb. Schöffensprüche
Kap. 147, Wasserschlehen S. 30.
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Abkürzungen für mehrfach gebrauchte Literatur-
und Quellenwerke
Ann. d. bist, Ver. f. d. Nicderrh. = Annalen des historischen Vereins
für den Niederrhein. Köln. 1835 ff.
Arnst. U. B. — Urkundenbach der Stadt Arnstadt 704 — 1495. Von C. A.
H. Burkhard!. Thür. Gesell. Quellen, Band IV. Jena. 1883.
Auer — Kr. Auer. Pas Stadtrecht von München. München. 1840.
Bär = M. Bür. Urkunden und Akten zur Geschichte der Verfassung und
Verwaltung von Coblenz. Publikationen der Gesellschaft für
Rheinische Ueschichtskunde, Baud 17. Bonn a. Kh. 1898.
lt ehrend =- .1. K. Kehrend. Die Magdeburger Fragen. Berlin. 1865.
Kehrend Urt. B. = J. F. Behrend. Ein Stendaler Urteilsbuch aus dom
14. Jahrhundert. Berlin. 1868.
Below = G. v. Below. Der Ursprung der deutschen Stadtverfassung.
Düsseldorf. 1892.
Ben necke = H. Bennecke. Zur Geschichte des deutschen Strafprozesses.
Marburg. 1886.
lind in an = Fr. Jos. Bodman. Kheinganische Altertümer. Mainz. 1819.
Böhme = J. E. Böhme. Diplomatische Bey trüge zur Untersuchung der
schlesischen liechte und Geschichte. Berlin. 1770 ff.
Böhmer acta — J. Fr. Böhmer. Acta imperii seleeta. Innsbruck. 1870 ff.
Böhmer l\ B. = .1. F. Böhmer. Codex diplomaticus Moenofrancfortanus.
Band I (2. Aull, von I.au). Frankfurt a/M. 1901.
Brunner = II. Brunner. Deutsche Rechtsgeschichte. Leipzig. 1887 ff.
v. Bunge = F. G. v. Bunge. Die Stadt Riga im 13. und 14. Jahrhundert.
Leipzig. 1878.
Ilii r in o ist. er I1A. = C. C. H. Bnrmcister. Alterthüiner des Wismarseben
Stadtrechts. Hamburg. 1838.
Bnrmcister Bürgerspr. = C. C. H. Burmeistor. Die Bürgersprachen . . .
der Stadt Wismar. Wismar. 1840.
Calmet — A. Caliuet. Histoire ccclesiastique et civilo de Lorraine
Zweite Aull. Nancy. 1745 ff.
13*
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1%
Cassel — Sammlung ungedruckter Urkunden. Von J. Ph. Cassel Bremen. 1768.
Cliron. d. deutsch. St. = K. Hegel, hie Chroniken der deutschen Städte.
Leipzig. 18621V.
Daniels = A. v. Daniels. Dat buk wichheldc recht. Nach der Berliner
Handschrift von 1369. Berlin. 18.53.
Daniels Gl. = Bcchtsdenkinäler des deutschen Mittelalters. Heraiisgeg.
von A. v. Daniels usw. Berlin. 1858 IT. I.
Deut sch enspicgel — Der Spiegel deutscher Leute. Herausgeg. von
J. v. Ficker. Innsbruck. 1859.
Duebner Stadt epriv. = R. Doebner. Die Städteprivilegien Herzog Otto
des Kiudes u. die ältesten Statuten der Stadt Hannover. Hanno-
ver. 1882.
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Berichtigungen
Seite 1 Zeile 20 uml 2ö statt „Krust* lies: Kruft.
Seite 47 Zeile 10 statt „außerordentlicher“ lies: besonderer.
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Kälte nicht.
Seite 1)7 Zeile 21 statt „auch dem" lies; auch durchweg dein.
Seite 107 Zeile ti statt *htredati* lies: kertditoti.
Seite 14ti Zeile 2<> statt „weiß“ lies: nichts weiß.
Seite 147 Zeile 11 statt „wies" lies: wie.
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Verlag von M. & H. Marcus in Breslau, Kaiser Wilhelmstr. 8
Abhandlungen
aus dem
Staats- und Verwaltungsrecht
mit Einschluss des Kolonialrechts
ln zwanglosen Herten hurausgegeben von
Dr. Siegfried Brie Dr. Max Fleiachinann
ord. Professor an der Universität Breslau l'rlvatdoient an der Universität Halle
1. Flclsclunann, Max: Der Weg der Gesetzgebung in Preuasen . . 3,G0 Mk.
2. Olatzer, Felix: Das Hecht der provisorischen Gesetzgebung in Sonderheit
nach preussischem Staatsrecht. Ein Beitrag zur Lehre von Gesetz und Ver-
ordnung 3,50 Mk.
3. Posener, Paul: Das Deutsche Keichsrccht im Verhältnis zum Landesrechte.
Eine geschichtliche und dogmatische Entwicklung des Grunddsatzcs, dass
„die Bcichsgesetze den Landosgcsctzen Vorgehen“ (RY. a. 2), unter ein-
gehender Berücksichtigung der modernen bürgerlichen Gesetzgebung 5,— Mk.
4. Stelnltz, Julius: DispensationsbcgrifT und Dispensationsgewalt auf dem
Gebiete des Deutschen Staatsrechts 2,60 Mk.
5. Hamburger, Georg: Die staatsrechtlichen Besonderheiten der Stellung des
Reichslandes Elsass-Lotliringen im Deutschen Reiche 3,20 Mk.
6. Freund , Isinar : Die Regentschaft nach preussischem Staatsrecht: unter
Berücksichtigung der in den übrigen deutschen Bundesstaaten geltenden
Rechte 3,80 Mk,
7. Bahrfeldt, Max: Der Verlust der Staatsangehörigkeit durch Naturalisation
und durch Aufenthalt im Auslande nach geltendem deutschem und franzö-
sischem Staatsrechte 2, — Mk.
8. v. Poser und Gross.Jiaedlitz, Victor: Die rechtliche Stellung der deutschen
Schutzgebiete . 2,40 Mk.
9. Fleischer, Max : Die Zuständigkeit des deutschen Bundesrates für Erledigung
von öffentlichrechtlichen Streitigkeiten 3,60 Mk.
10. Kless, Alfons: Die Mitwirkung der gesetzgebenden Körperschaften hei
Staatsverträgen nach deutschem Staatsrechte 3.— Mk
11. Kless, Gurt: Auswärtige Hoheitsrechte der deutschen Einzelstaatcn 2,40 Mk.
12. Wiese, Wilhelm: Verfassungsänderungen nach Reichsrceht . . 2,40 Mk.
13. Schreiber, Karl: Die Beteiligung des Staates au den Volksschiillasten ui
PrcuUen 1,60 Mk.
A. Kavorke, vuiiu. Kduitrd Tr«wcndf« Buclidnicktrd, Breslau
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UNIV. OF MICH.
BINDER Y
JAN 2 5 1939