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Full text of "Untersuchungen zur deutschen Staats- und Rechtsgeschichte"

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Das  spätmittelalterliche  Niedergericht  auf  dem  platten 
Lande  am  Mittelrhein 

von 

Dr.  Georg  Grosch 


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IJntersuchiingcn 


zur 

Deutschen  Staats-  und  Rechtsgeschichte 

herausgegeben 

von 

Dr.  Otto  Gierke 

Professor  der  Rechte  an  der  Universität  Berlin 

84.  Heft 


Das  spätmittelalterliche  Niedergericht  auf  dem 
platten  Lande  am  Mittelrhein 

von 

Dr.  Georg  Grosch 


Breslau 

Verlag  von  M.  & H.  Marcus 
1906 


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U ^tmittelalterliche  NiedergericJir 

aut  ftem  platten  Lande  am  MittelrDein 


Eine  rechts-  und  verfassungsgeschichtliche  Untersuchung 
auf  Grund  derWeistümcr 

von 

Dr.  Georg  Grosch 


Breslau 

Verlag  von  M.  & H.  Marcus 
1906 


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Inhaltsangabe 

Seit® 


Einführung.  I>le  WelstUnier 1 

I.  Abschnitt 

Überblick  Uber  die  Nledergerlehte 1!) 

M 


II.  Abschnitt 

Das  Nledergerlcht;  Hochgericht  lind  Nledergerlcht:  Nledergerlohts- 
herrschaft  und  Driindherrsehuft;  vogtfreic  und  hevogtetc 


Herrschaft ■>’’ 

III.  Abschnitt 

Die  Rezilge  ans  der  Nledervogtel;  Herrschaft  und  Untertanen  . . <!4 


IV.  Abschnitt 

Die  Tagung  des  Niedergerichts;  der  Dingvogt»  die  Schöffen  und 
der  Umstand ; der  Uerlchtsknecht;  die  Kompetenz  und  die 


Uebilhrcnordnuiigeii.  Das  Weisding 82 

Anlage 95 

Verzeichnis  der  angeführten  Schriften 97 


144H4(> 

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Einführung.  Die  Weistümer. 

Ausgehend  von  dem  Studium  der  Geschichte  der  Bauern- 
befreiung im  1 8.  und  1!).  Jahrhundert  sah  man  sich  in  jüngster 
Zeit,  um  zur  Klarheit  zu  kommen,  veranlaßt,  sich  naher  mit 
den  sozialen  Verhältnissen  des  Bauernstandes  überhaupt  zu  be- 
schäftigen, insbesondere  die  Abhängigkeit  zu  untersuchen,  von  der 
die  Bauern  befreit  wurden.  Auf  diesem  Wege  kam  die  national- 
ökonomische Forschung  in  Verbindung  mit  der  sozialhistorischen, 
soweit  sich  diese  mit  der  Untersuchung  der  Zustände  auf  dem 
platten  Lande  befaßt,  zu  wichtigem  Ergebnis ').  Denn  man  fand 
den  Unterschied,  der  zwischen  der  nordostdeutschen  „Erbunter- 
tänigkeit“ und  der  süd westdeutschen  „Leibeigenschaft“  von  jeher 
bestanden  hat.  Diese  beiden  Begriffe  hatte  man  bisher  nicht 
auseinandergehalten,  weil  man  ihren  Inhalt  einfach  als  identisch 
ansah,  und  man  hielt  sich  umso  eher  zu  dieser  Meinung  berechtigt, 
als  seit  dem  17.  Jahrhundert  die  ostdeutsche  Erbuntertänigkeit  in 
den  meisten  rechtselbischen  Gebieten  schlechthin  mit  Leibeigen- 
schaft bezeichnet  wurde2):  also,  so  meinte  man,  der  gleiche  Name 
für  das  gleiche  Institut. 


')  Es  kommen  besonders  in  Betracht:  G.  E.  Knapp,  Pit  Bauern- 
befreiung und  der  Ursprung  der  Landarbeiter  in  den  älteren  Teilen  i’ren liens. 
2 Bde.  Leipzig  1887.  Th.  Ludwig,  Der  badische  Bauer  im  achtzehnten 
Jahrh.,  Abhandlungen  aus  dem  staaUw.  Seminar  zu  Straßburg  XVI.  Slraß- 
burg  189G.  Theodor  Knapp,  Gesammelte  Beiträge  zur  Hechts-  und  Wirt- 
schaftsgeschichte vornehmlich  des  deutschen  Bauernstandes.  Tübingen  1902. 
G.  v.  Bcluw,  Terrilorinm  und  Stadt.  Münelien  I9<K). 

1 ) Theodor  Knapp  a.  a.  O.  S.  381. 

Groscb,  Niedcrgcrlrbt  1 


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Daß  dem  nicht  so  sei,  das  ist  das  Resultat  der  neuesten 
Forschung.  „Die  Leibeigenschaft  im  westlichen  Deutschland  ist 
ein  Vermächtnis  des  Mittelalters,  die  Leibeigenschatt  im  östlichen 
Deutschland  ein  Erzeugnis  der  Neuzeit“ ');  „die  Leibeigenschaft 
des  deutschen  Westens  ist  im  vorigen  Jahrhundert  fast  nur  noch 
eine  altertümliche  Seltsamheit,  schreckhaft  mehr  durch  ihren  ab- 
stoßenden Namen  als  durch  ihre  wirkliche  Bedeutung,  die  sich 
mit  der  Gerichtsherrschatt  einerseits,  der  Grundherrschaft  andrer- 
seits entfernt  nicht  messen  kann.  Im  östlichen  Deutschland  ist 
sie  der  brutale,  aus  Mißverständnis  hierher  übertragene  Ausdruck 
für  die  höchste  Steigerung  der  vereinigten  Grund-  und  Gerichts- 
herrschaft, also  für  eine  furchtbare  Macht  des  wirklichen  Lebens, 
die  den  Bauern  an  Händen  und  Füßen  gefesselt  hält8).“ 

In  dieser  Zusammenfassung  liegt  beschlossen,  wodurch  sich 
die  südwestdeutsche  Leibeigenschaft  von  der  ostdeutschen  Erbunter- 
tänigkeit unterscheidet. 

Erbuntertänigkeit  bedeutete  Vereinigung  der  Gerichts-  und 
Grundherrschaft  über  die  Bauern  und  das  Bauerngut  in  derselben 
Hand;  diese  Vereinigung  wurde  später  mit  „Leibeigenschaft“,  die 
Bauern,  die  in  diesem  Abhängigkeitsverhältnis  standen,  als  „Leib- 
eigene“ bezeichnet.  Den  Namen  übertrug  man  wohl  deshalb  aus 
Süddeutschland  auf  die  ostdeutsche  Institution,  weil  man  der 
Meinung  war,  daß  es  sich  um  ein  ganz  analoges  Verhältnis  handle; 
und  doch  war  es  durchaus  verschieden  von  jenem. 

Die  deutschen  Kolonisten,  die  im  Beginn  des  späteren  Mittel- 
alters die  rechtselbischen  Gebiete  besiedelten  und  diese  Land- 
schaften dem  Slaventum  abrangen,  dem  Deutschtum  zurück- 
eroberten. waren  ursprünglich  als  freie  Männer  angesiedelt  worden :l). 

')  Th.  Knapp  a.  a.  0.  S.  34t!  f. 

*)  Ebenda  S.  388.  Ein  einige,  zeitgenössische  Erteile  über  die  sfidwest- 
dentsche  Leibeigenschaft  anzufOhrcn,  »ei  verwiesen  auf  Kreittmayr  (175!) 
zu  Cod.  Max.  I.  8:  1.),  der  für  Bayern  äußert:  „daß  heut  zu  Tag  ein  Leib- 
eigener und  anderer  gemeiner  Bauer  fast  wie  zwei  Tropfen  Wasser  einander 
gleich  sehen:“  Freiherr  von  Bibra,  ttoniknpitular  und  Regierungspräsident 
zu  Fulda  bezeichnet  178G  die  Leibeigenschaft  schlechthin  als  „politischen 
Schnickschnack.“  (Journal  von  und  für  Deutsch],  3.  Jahrgg.  7 — 12.  Stück 
S.  216). 

5)  Vgl  Theodor  Knapp  a.  a.  0.  S.  371  ff.  Bes.  O.  von  llelow  a.  a. 
0.  S.  6 ff. 


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3 


Erst  allmählich  gerieten  sie  in  Abhängigkeit  von  den  späteren 
patrimonialen  Gewalten,  besonders  den  Kittern,  als  diese  durch 
Umgestaltung  des  Heerwesens  vom  Kriegsdienst  mehr  und  mehr 
abgedrängt  wurden  und  sich  der  Gutswirtschaft  zuzuwenden  be- 
gannen. Sie  verstanden  es,  die  Kauern  in  die  von  uns  eben  er- 
wähnte Erbuntertänigkeit  zu  bringen. 

Dies  geschah  indes  erst  mit  dem  Beginn  der  Neuzeit,  und 
in  der  Folge  kam  es  dann  soweit,  daß  der  Bauer  zum  wirklichen 
Sklaven  herabgedrückt  wurde.  Wir  finden  im  17.  und  im  Anfang 
des  IS.  Jahrhunderts,  ja  teilweise  bis  in  das  josephinische  Zeit- 
alter in  unserem  Osten  und  Südosten  fast  dieselben  Zustände  wie 
in  den  slavischen  Ländern,  in  Rußland  und  in  Polen1).  Der 
Bauer  konnte  als  Sklave  verkauft  werden,  er  wurde  tatsächlich 
zur  bloßen  Ware  herabgewürdigt8).  Es  ist  möglich,  daß  die 
slavischen  Verhältnisse  vorbildlich  waren  für  diese  unerhörte  Be- 
handlung deutscher  Einwohner;  vor  allem  aber  war  es  der  dreißig- 
jährige Krieg,  der  einen  solchen  Rückfall  in  die  alte  Barbarei 
begünstigte. 

Anders  in  Südwestdeutschland.  Hier  — es  handelt  sich  um 
die  Zeit  von  etwa  1 550  bis  1 800  — ist  Gerichtsherrschaft,  Grund- 
herrschaft und  Leibherrschaft  grundsätzlich  getrennt.  Was  zu- 
nächst die  Leibherrschaft  anlangt,  so  ist  sie  ein  rein  privatrecht- 
liches Abhängigkeitsverhältnis  zwischen  dem  Berechtigten  und 
dem  Verpflichteten  und  hat  wesentlich  die  Bedeutung  einer  Renten- 
quelle für  den  Herrn3).  Gewiß  konnte  der  Leibeigene  des  Westens 
auch  „verkauft“  werden,  aber  das  bedeutete  nur,  daß  der  bisherige 
Leibherr  seine  Ansprüche  auf  die  Leibabgaben  — Leibschi  Illing, 
Leibhuhn,  Salzscheibe  (eine  Heiratsgebühr  für  Weiber)  und  Todfall 
— einem  andern  abtrat4).  Weder  in  der  Gerichtsherrschaft  noch 
in  der  Grundherrschaft  ist  die  Leibeigenschaft  etwa  zugleich  ent- 

*)  Über  Rußland  vgl.  «len  Artikel:  »Die  Bauernbefreiung  in  KnUland“ 
iin  Handwörterbuch  der  Staatswiascnschaften.  2.  Aull.  Jena  1808  If.  Daselbst 
die  Literatur. 

*)  Th.  Knapp  a.  a.  0.  8.  384  f.  Kr  gibt  auch  Beispiele  von  solchen 
Bauemverk&ufeu  und  die  Belegstellen  dafür.  Vgl.  dazu  <1.  v.  Belnws  Er- 
klärung a.  n.  0.  S.  13. 

3)  Theodor  Ludwig,  Der  badische  Bauer  S.  14. 

4)  Th.  Knapp  a.  a.  0.  8.384.  Vgl.  auch  <J.  v.  Below  a.  a.  O.  8.2. 

1* 


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halten.  Sie  ist  eine  Institution  für  sich  mit  ganz  charakteristischen, 
noch  aus  dem  Mittelalter  herrührenden  Eigentümlichkeiten , die 
sich  mit  Grund-  und  mit  Gerichtsherrschaft  in  Südwestdeutsch- 
land ständig  kreuzt '). 

Aber  auch  Gerichts-  und  Grundherrschaft  gehen  durcheinander, 
sie  sind  durchaus  nicht  in  derselben  Hand  vereinigt.  Es  hat 
weder  jeder  Grundherr  die  Gerichtsbarkeit  über  seine  Erbpächter 
und  Lehenleute,  noch  ist  jeder  Gerichtsherr  auch  Grundherr  in 
dem  ihm  geriehtsuntertanen  Sprengel.  So  fallen,  um  einige  Bei- 
spiele anzuführen  *) , in  den  Landorten  des  Oberamts  Heilbronn 
Grundherrschaft  und  Gerichtsherrschaft  keineswegs  zusammen; 
nur  ausnahmsweise  kommt  es  vor,  daß  der  auswärtige  Grundherr 
eines  Hofes  auch  dessen  Geriehtslicrr  ist;  die  Kegel  ist  vielmehr, 
daß  sich  die  Gerichts-  mit  der  Grundherrschatt  durchkreuzt. 
„Auch  die  ländliche  Verfassung  Badens  laßt  sich  um  die  Mitte 
des  18.  Jahrhunderts  nicht  auf  einen  einheitlichen  Gesichtspunkt 
zurückführen,  sondern  wird  vielmehr  von  drei  unter  einander  zu- 
sammenhangslosen Institutionen  bestimmt,  nämlich  der  Gerichts- 
herrschaft, der  Leibeigenschaft  und  der  Grundherrschaft  *).“ 

In  großen  Zügen  sind  hier  die  Verhältnisse  des  platten  Landes 
nach  dem  Ergebnis  der  neuesten  Forschung  aufgezeichnet.  Aber 
wohlgemerkt:  so  stellen  sie  sich  im  Beginne  der  Neuzeit  dar, 
etwa  von  1550 — 1H00;  über  den  Bauernkrieg  hinaus  geht  keiner 
von  den  erwähnten  Forschern;  wie  die  Zustände  auf  dem  platten 
Lande  im  Mittelalter  waren,  an  diese  Frage  gehen  sie  nicht 
heran. 

Und  doch  liegt  es  recht  nahe,  von  hier  aus  den  Blick  rück- 
wärts zu  wenden  und  an  der  Hand  dieser  wichtigen  Ergebnisse 
ins  spätere  und  schließlich  auch  ins  frühere  Mittelalter  vorzu- 
dringen. Denn  nach  der  herrschenden  Lehre  war  es  in  jenem 
Zeitraum  anders  als  in  der  Neuzeit,  man  kann  das  neueste  Ergebnis 
nicht  an  die  geltende  Ansicht  anreihen.  Es  ist  darum  die  Auf- 
gabe weiterer  Untersuchungen,  die  frühere  Forschung  zu  revidieren, 

■)  Hayern  zeigt  eine  etwas  andere  Entwicklung.  Vgl.  Tli.  Knapp 
a.  a.  ().  S.  85  IT. ; Heinerklingen  filier  sfidweatdculsehe  Leibeigenschaft  (Knr- 
liayern  und  Reichstädt  lleilbronn). 

J)  Weiter  ausgeführt  bei  Knapp  S.  188  ff. 

a,  Theodor  Ludwig,  Her  badische  Hauer  S.  14. 


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neue  Tatsachen  beizubringen  und  dann  etwa  bestellende  Wider- 
spruche auszugleichen. 

Daß  die  Zustande  auf  dem  platten  Lande  zumal  im  späteren 
Mittelalter  nicht  völlig  verschieden  von  den  eben  geschilderten 
sein  können,  ist  von  vornherein  anzunehmen,  schon  im  Hinblick 
auf  die  Eigenart  der  Hauern.  „Der  Bauernstand  ist  zu  allen 
Zeiten  das  konservativste  Element  des  Staates  gewesen,  der  mit 
Beharrlichkeit  am  Alten  hangt  und  für  dasselbe  mit  der  größten 
Energie  eintritt1).“  Der  Bauernkrieg  — für  den  Bauernstand 
die  Grenzscheide  zwischen  späterem  Mittelalter  und  neuer  Zeit 
hat  allerdings  durch  seinen  für  die  Bauern  unglücklichen 
Ausgang  die  soziale  Lage  derselben  teilweise  beeinflußt*),  der 
Druck  auf  die  Bauern  wurde  wohl  allenthalben  etwas  stärker,  als 
er  zuvor  gewesen.  Doch  zu  der  Behauptung  versteigt  sich  niemand, 
daß  in  der  Folgezeit,  eine  völlige  Neuordnung  der  ländlichen  Ver- 
hältnisse“) angebahnt  und  durchgeführt  worden  wäre.  Im  einzelnen 
mag  manches  schlechter,  manches  freilich  auch  besser  geworden 
sein,  im  großen  und  ganzen  blieb  alles  beim  alten;  der  Bauer 
geht  in  die  Neuzeit  herüber  ganz  als  der,  welcher  er  vorher  ge- 
wesen war;  es  ist  nicht  einmal  eine  allgemeine  Verschlimmerung 
seiner  Lage  eingetreten.  Und  von  da  ab  ist  fast  nirgends  eine 
Änderung  der  Zustände  zu  bemerken;  „mit  so  unerhörter  Starr- 
heit behaupteten  sich  hier  (in  Baden)  vielmehr  die  alten  Formen 
der  bäuerlichen  Verfassung,  daß  man  sagen  darf,  die  Zustände 
des  lli.  Jahrhunderts  waren  beispielsweise  in  den  badischen  Ge- 
bieten in  allen  wesentlichen  Funkten  genau  dieselben  wie  in  der 
Mitte  des  IX.4).“ 

')  Handwörterbuch  der  Staat  sw  issensehaften : Artikel:  Bauerngut  und 

Bauernstand,  statistisch.  II,  43!).  Jena,  2.  Aull. 

-’)  Hs  handelt  sich  im  folgenden  uni  Sfidwcstdcutschlaml:  von  Ost- 
deutschland wird  abgesehen:  die  allgemeine  Entwicklung  dieser  liebiete, 

die  sich  anders  gestaltete  als  im  Siidwesten,  ist  von  mir  bereits  skizziert 
worden. 

s)  Vgl.  etwa  Theo  Summcrlad:  Bauernkrieg  im  Handwörterbuch  der 
Staatsw. 

')  Theodor  Ludwig,  Der  badische  Bauer  S.  !)7  f.  Vgl.  ebenda  S.  1 16  IT. 
Über  den  Ausgang  des  Bauernkrieges  und  die  Folgen  desselben  wird  daselbst 
bemerkt  (S.  Hilf.):  -Trotzdem  nun  der  Kampf  mit  einer  Niederlage  der 
Bauern  endete,  verfolgten  doch  die  siegreichen  Herren  die  betretene  Bahn 


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fi 

Also  der  Bauernkrieg  bewirkt  keine  Umwälzung  in  den  sozialen 
Verhältnissen  des  platten  Landes;  er  markiert  nicht  den  Anbruch 
einer  neuen  Zeit  für  den  Bauernstand,  sondern  alles  geht  im  alten 
Geleise  weiter;  und  wenn  wir  ihn  oben  die  Grenzscheide  zwischen 
Mittelalter  und  Neuzeit  genannt  haben , so  taten  wir’s  lediglich 
im  Anschluß  an  die  gewöhnliche  Einteilung  der  deutschen  Ge- 
schichte, nicht  aber,  weil  er  in  der  Entwicklung  des  platten  Landes 
den  Beginn  einer  neuen  Epoche  bedeutet  hätte.  Wie  waren  nun 
aber  die  Zustände  daselbst  während  des  Mittelalters  nach  der 
herrschenden  Lehre  ? 

Mit  dem  früheren  Mittelalter  beschäftigt  sich  eine  sozial- 
nnd  verfassungsgeschichtliche  Publikation '),  die  die  herrschenden 
Ansichten  kritisch  prüft  und  ihnen  scharf  zu  leibe  geht.  Es  wird 
die  Frage  aufgestellt,  ob  die  Grundherrschaft  wirklich  die  gewöhn- 
lich als  selbstverständlich  vorausgesetzte  soziale  und  rechtliche 
Wirkung  im  10.  und  11.  Jahrhundert  gehabt  habe. 

wenigstens  der  Mehrzahl  nach  nicht  weiter,  wenn  sie  auch  vielleicht  noch 
weniger  allgemein  geradeaus  zurückwichen:  cs  trat  anscheinend  in  den 
meisten  Füllen  ein  Stillstand  ein.  Ihr  Verhalten  erklärt  sieh  zunächst  gewiü 
aus  dem  tiefen  Eindruck,  welchen  die  Revolution  allgemein  zurücklicU.  — 
Koch  weniger  mochten  die  besiegten  ihre  (iedanken  von  neuem  aufnehmen: 
keine  der  beiden  Parteien  hatte  im  Kampfe  die  andere  vollständig  bemeistert. 
Davon,  daß  die  bauern  ihr  Programm  hätten  durchsetzen  können,  war 
überhaupt  nicht  die  Ucde:  aber  auch  die  Herren  hatten  den  Mut  zu  Neuerungen 
verloren.  Der  Versuch  einer  Umgestaltung  der  siidwestdoutschcn  Agrar- 
verfassung brach  sich  im  bauernkrieg  und  wurde  darauf  von  keiner  Seite 
mehr  zum  zweiten  Male  unternommen.“  Was  die  Entstehung  betrifft,  so 
nimmt  man  an,  es  sei  die  fürchterliche  Lage  gewesen,  die  die  bauern  zur 
Empörung  getrieben  hätte.  Vgl.  den  Artikel:  bauernkrieg,  wo  es  beispiels- 
weise heillt:  .Die  Grunilherren  ....  waren  an  vielen  Stellen  im  besitz 
der  höchsten  Gewalt  in  der  Mark  und  übten  diese  Gewalt  in  der  fortwährenden 
Auflage  zahlloser  Lasten  auf  die  Schultern  der  Hauern.  Die  Benutzung  von 
Wald  und  Weide  war  nur  noch  gegen  die  drückendsten  und  raffiniertesten 
Zinsabgaben  gestattet,  das  persönliche  Leben  von  der  Wiege  bis  zum  Grabe 
unterlag  den  Zwangs-  und  bannrechten  der  Grundherren.“  Wir  werden  im 
Verlauf  unsrer  Darstellung  noch  manchmal  auf  diese  unzutreffende  Ansicht 
zuröckkommen.  Vgl.  auch  G.  v.  bolow,  Territorium  und  Stadt  S.  öl  ff., 
der  mit  Recht  eine  andere  Ansicht  vertritt. 

*)  Gerhard  Seel i gor,  Die  soziale  und  politische  bedeutung  der  Grund- 
herrschaft im  früheren  Mittelalter.  Untersuchungen  über  Ilofrccht,  Immu- 
nität und  Landleihen.  Leipzig  11)03. 


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Denn  trotz  mancher  voneinander  abweichenden  Ansichten 
sind  die  Vertreter  der  grundherrlichen  Theorie  darin  einig,  daß 
„die  Entwicklung  der  Grundherrschaft  als  das  eigentlich  Treibende 
auf  dem  Gebiete  des  Wirtschaftlichen,  Sozialen  und  auch  des  Staat- 
lichen in  diesem  Zeitalter  der  vorwaltenden  Naturalwirtschaft  war, 
daß  auf  Veränderungen  ihrer  Verhältnisse  die  wichtigsten  Wand- 
lungen des  inneren  geschichtlichen  Lebens  zurückzuführen  sind  ').“ 
Was  man  alles  auf  diese  grundherrliche  Theorie  aufgebaut 
hat,  was  alles  in  der  Grundherrschaft  seine  Wurzel  haben  sollte, 
das  interessiert  hier  umso  weniger,  als  schon  viele  der  daraus  ent- 
springenden Behauptungen  bestritten  und  als  irrig  erwiesen  worden 
sind.  Uns  geht  hier  nur  der  Bauernstand  an;  wir  richten  unsem 
Blick  lediglich  auf  die  Abhängigkeitsverhältnisse  der  Bauern. 

Im  8.  und  !>.  Jahrhundert,  so  lehrt  ein  Hauptvertreter  der 
grundherrlichen  Theorie*),  erfolgte  ein  allgemeiner  wirtschaftlicher 
Zusammenbruch,  der  die  Freien  veranlaßte,  unter  der  Macht  der 
großen  Grundherren  einen  sozialen  Unterschlupf  zu  suchen.  Die 
Folge  war,  daß  seit  Schluß  des  9.  Jahrhunderts  die  freien  und 
unfreien  Hintersassen  immer  mehr  zu  der  einen  Klasse  der  grund- 
holden Bauern  verschmolzen,  einer  Klasse,  in  welcher  die  ursprüng- 
liche Rechtlosigkeit  der  Unfreien  und  die  absolute  Rechtsfülle 
der  Freien  zu  einem  neuen  halbfreien  Recht  durchdrangen.  Nach 
diesem  Recht  lebte  dann  die  Mehrzahl  der  deutschen  Bauern  vom 
10.  bis  zum  12.  Jahrhundert.  Die  Rechtslage  der  grundhörigen 
Bevölkerung  war  seit  dem  10.  Jahrhundert  im  wesentlichen  eine 
einheitliche;  flenn  die  vorhandenen  Verschiedenheiten  bei  den 
Grundholden  hatten  weniger  in  den  Standesverschiedenheiten  der 
Vergangenheit  als  in  dem  abweichenden  Charakter  der  einzelnen 
Grundherren  (König,  Kirche,  Laienadel)  ihre  Ursache. 

Nun  hat  man  aber  zur  Genüge  nachgewiesen,  daß  die  Grund- 
herrschaft durchaus  nicht  das  freie  Bauernland  ganz  aufgesogen 
und  dem  Stande  der  Gemeinfreien  ein  Ende  bereitet  hat,  daß  viel- 
mehr durch  das  ganze  Mittelalter  hindurch  ein  vollfreier  Bauern- 
stand sich  erhielt. 

■)  Ebenda  S.  5 f.  Zunächst  kommt  die  Einleitung  in  Betracht  8.  1 — !). 
r)  Vgl.  K.  Lamprccht,  Deutsches  Wirtschaftsleben  im  Mittelalter. 
3 Ilde.  Leipzig  188Ö  u.  80.  Ferner  von  demselben  die  Artikel:  Bauer, 
Bauerngut  und  Bauernstand  (im  Handwürterb.  der  Staats  Wissenschaften). 


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8 


Aii  dii>  andere  Behauptung,  „daß  die  Grundherrschaft  alles, 
was  zu  ihr  gehörte,  in  das  Verhältnis  strammster  Unterordnung 
gebeugt  habe,“  hat  sich  die  Kritik  noch  nicht  gewagt.  Man 
war  sich  einig,  daß  sich  der  Grundherr  als  Zwischeninstanz  zwischen 
Staat  und  Hintersassen  einschob,  daß  vor  allem  jeder  Grundherr 
Inhaber  der  Gerichtsbarkeit  wurde,  daß  also  in  der  Grundherrschaft 
— besonders  durch  das  Institut  der  Immunität  — Gerichtsherrschaft 
über  die  Grundholden  und  Unfreiheit  derselben  einfach  eingc- 
schlossen  waren.  Denn  „das  neue  halbfreie  Hecht  setzt  den 
Abschluß  der  Grundholden  zu  eigenen  Gerichtsgemeinden  voraus;“ 
es  begründet  allerdings  „strafrechtlich  eine  gewisse  Selbständigkeit 
dieser  Gemeinden  gegenüber  der  Disziplinargewalt  des  Herrn  und 
seiner  Vertreter1)“. 

Mit  der  Erstarrung  der  Grundherrschaft,  — um  gleich  die 
Entwicklung  durch  das  spätere  Mittelalter  zu  verfolgen  — die 
eine  Folge  des  Verfalls  der  grundherrlichen  Eigenwirtschaft  war, 
bildete  sich  um  die  Wende  des  12.  und  13.  Jahrhunderts  auf 
dem  alten  grundherrlichen  Boden  ein  neuer  Stand  freier  bäuer- 
licher Pächter.  Also  die  Grundherrschaft  wurde  aus  der  Betriebs- 
grundherrschaft des  früheren  Mittelalters  zur  Rentengruudherrschaft 
des  13.  und  der  nachfolgenden  Jahrhunderte,  und  die  halbfreien 
Grundholden  wurden  damit  zu  freien  Pächtern.  Der  Grund  hier- 
für war  darin  zu  suchen,  daß  der  Pachtschilling  nicht  mehr  der 
Grundrente  entsprechend  war;  er  war  schon  im  10.  Jahrhundert 
festgesetzt  worden  und  darum  fürs  12.  viel  zu  niedrig,  ein  Zustand, 
der  durch  gütlichen  Vergleich  mit  den  Grundholden  beseitigt 
wurde.  Der  Grundholde  erhielt  die  Freiheit,  ward  Erb-,  Vital- 
oder Zeitpächter  seines  früheren  Herrn  und  zahlte  dafür  einen 
der  Grundrente  angemessenen  Pachtschilling.  Das  Recht  der 
neuen  Pachtgüter  war  ein  freies;  nur  vor  den  ordentlichen  Ge- 
richten konnten  wesentliche  Differenzen  zwischen  Pachtherr  und 
Pächter  entschieden  werden,  kurz,  der  ganze  Stand  war  völlig 
frei.  An  die  frühere  Gebundenheit  erinnerte  nur  noch,  daß  ein 
sogenanntes  Bauding  bestehen  blieb,  eine  Jahresversammlung  der 
Pächter  des  gleichen  Herrn,  und  daß  sich  hier  und  da  einzelne 
Leistungen,  wie  Vorheuer  u.  a.  erhielten. 

')  K.  Lainprecht  in  dem  Artikel:  Bauer.  Für  «las  folgende  dieser 
Artikel  und  „Ilaucrngut  und  Bauernstand.'1 


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9 


Kine  glückliche  Zeit  hatte  damit  begonnen  für  den  Bauern- 
stand, der  als  der  letzte  der  drei  Stände  sicli  gebildet;  ja,  zu- 
nächst war  die  Lage  der  Bauern  so  ausgezeichnet,  daß  „eine 
Zeit  bäuerlichen  Übermutes  und  ritterlichen  Neides  gegenüber 
stolz  zur  Schau  getragenen  bäuerlichen  Heichtümem  *)“  anbrach. 
Das  kam  daher,  weil  die  Abgaben  an  die  Grundherren  bei  dem 
Steigen  der  Grundrente  in  keinem  Verhältnis  zu  den  Einnahmen 
der  Bauern  mehr  standen.  Als  dann  dieser  Zustand  eine  Änderung 
erfuhr  und  durch  Vertrag  die  Grundholden  zu  freien  Pächtern 
wurden,  die  Grundherren  dafür  angemessene  Zinse  erhielten,  hatten 
gleichwohl  die  günstigen  Verhältnisse  auf  dem  platten  Lande 
Bestand,  und  zwar  das  ganze  13.  und  14.  Jahrhundert  hindurch. 

Dann  aber,  mit  dem  15.  und  besonders  seit  der  zweiten 
Hälfte  des  15.  Jahrhunderts  erfolgte  ein  rapides  Sinken  bäuerlichen 
Glückes  und  bäuerlicher  Wohlhabenheit;  je  näher  man  dem  Bauern- 
krieg kommt,  umsomehr  verschlechtert  sich  die  Lage  der  Bauern. 
Jetzt  „erscheinen  der  Grund  und  Boden  des  Dorfes,  seine  Ge- 
bäude, seine  Einwohner  als  im  Eigentum  des  Dorfherm  befindlich“, 
also  die  Schicht  freier  Pächter,  die  sich  früher  gebildet  hatte, 
ist  jetzt  plötzlich  wieder  verschwunden.  Der  Dorfherr  hielt  sich 
für  berechtigt,  „für  den  Aufenthalt  im  Dorfe  überhaupt  unge- 
messene  Zinse  und  Dienste  zu  fordern1)“,  „das  persönliche  Leben 
von  der  Wiege  bis  zum  Grabe  unterlag  den  Zwangs-  und  Bann- 
rechten der  Grundherren3)“. 

Als  dann  der  Druck  der  Grundherren,  die  zum  Teil  gleich- 
zeitig Landesherren  waren,  geradezu  unerträglich  wurde,  erfolgte 
die  naturgemäße  Keaction:  die  geknechteten  Bauern,  zum  äußersten 
gebracht,  erhoben  sich  gegen  ihre  Ausbeuter  und  Unterdrücker. 
Es  begannen  die  agrarischen  Revolten,  die  bekanntlich  mit  der 
großen  Revolution  des  Jahres  15*25  endeten:  diese  ergriff  ganz 
Süd  Westdeutschland  und  dehnte  sich  über  Franken  und  Thüringen 
bis  an  die  Elbe  aus,  ohne  freilich  über  diese  hinüberzusetzen.  — 

Mit  dieser  Erklärung  des  Bauernkrieges  schließt  sich  für 
uns,  die  wir  die  Ergebnisse  der  jüngsten  Forschung  für  die  Neu- 
zeit verfolgt  haben,  der  Ring  nicht.  Auch  sonst  stießen  wir, 

‘)  K.  Lamprecht  a.  a.  0.  Es  ist  die  Zeit  des  .Meier  Uolmbreeht“. 

*)  Ebenda. 

3)  Theo  Somincrlad  a.  a.  0.  Vgl.  die  Amu.  4 S.  5. 


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10 


indem  wir  die  ältere  Lehre  in  ihren  Hauptpunkten  zusammen- 
faßten  und  in  großen  Zügen  die  Ansichten  eines  ihrer  Haupt- 
vertreter Wiedergaben,  auf  seltsame  Widersprüche.  Ist  es  möglich, 
diese  auszumerzen,  und  war  der  (lang  der  Entwicklung  derartig, 
daß  die  Zustände  auf  dem  platten  Lande  während  des  Mittelalters 
sich  mit  denen  während  der  beiden  ersten  Jahrhunderte  der 
Neuzeit  ohne  Schwierigkeit  in  Einklang  bringen  lassen? 

Beginnen  wir  wieder  mit  dem  früheren  Mittelalter,  und  zwar 
können  wir  uns  da  kurz  fassen;  wir  brauchen  nur  das  Gesamt- 
ergebnis der  oben  erwähnten  Publikation1)  anzuführen. 

Die  Entwicklung  des  Bauerntums  war  nicht  so,  daß  am 
Schlüsse  der  Karolingerzeit  die  Bauern  in  Unfreiheit  versanken, 
um  durch  eine  gewisse  Halbfreiheit  hindurch  im  12.  Jahrhundert 
zur  Freiheit  emporzusteigen  und  während  der  beiden  letzten  Jahr- 
hunderte des  Mittelalters  wieder  zur  Hörigkeit  hinabzuneigen; 
es  ist  nicht  ein  solches  Auf  und  Ab  wahrzunehmen,  in  gerader 
Linie  vielmehr  führt  die  Entwicklung  langsam  aber  stetig  abwärts 
zu  einer  eigentümlichen  persönlichen  Gebundenheit.  Der  Haupt- 
fehler, in  den  man  bisher  verfallen  ist,  scheint  der  zu  sein,  daß 
man  die  Verhältnisse,  die  man  bei  einer  Herrschaft  vorfand,  für 
das  ganze  Land  generalisierte;  und  doch  erfordert,  wie  wir  noch 
sehen  werden,  gerade  das  platte  Land  eine  sorgfältige  Untersuchung 
nicht  nur  einer,  sondern  möglichst  vieler  Herrschaften,  um  die 
soziale  Lage  der  Bauern  festzustellen,  die  Abhängigkeitsverhältnisse 
derselben  zu  charakterisieren.  Hätte  man  dies  beachtet,  wäre 
man  kaum  darauf  verfallen,  der  Grundherrschaft  jene  ungeheure 
Wichtigkeit  beizumessen,  wie  es  geschehen  ist. 

Gewiß  hat  die  Grundherrschaft,  zumal  in  nachkarolingischer 
Zeit,  große  Bedeutung,  aber  nicht  als  Herrschaft  über  den  Grund 
und  Boden,  sondern  durch  die  mit  ihr  verknüpfte  Immunität*). 
Ober  deren  Entstehung  und  anfängliche  Bedeutung  können  wir 

■)  Gerhard  Socligcr,  Oie  soziale  und  politische  Bedeutung  der  Grnnd- 
liorrscliaft  im  früheren  Mittelalter,  bes.  die  SchluUbcmcrkung,  S.  193  ff. 

’)  Die  Immunität  nimmt  bei  Sceliger  mit  liecht  den  größten  Kaum 
ein  (S.  5l> — 173),  denn  die  Entwicklung  dieser  Institution  ist  fiir  das  ganze 
frühere  Mittelalter  von  Bedeutung.  Mit  mancher  bisher  in  Geltung  gewesenen 
Ansicht  über  die  Immunität  wird  gerade  hier  aufgeräumt:  vgl.  z.  B.  S.  170 
und  171. 


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11 


hinweggelien;  wohl  aber  ist  ihre  Fortbildung  im  !).  Jahrhundert 
für  uns  sehr  wichtig. 

Die  Immunität  und  die  ihr  verwandten  Privilegien,  die  zahl- 
reiche Grundherrschaften  zu  politischen  und  sozialen  Machten 
erhoben,  waren  vom  König  verliehen  worden;  dieser  hatte  den 
Privatpersonen  — denn  das  waren  die  Grundherren  als  solche  — 
öffentliche  Befugnisse  verliehen.  Im  !).  Jahrhundert  nun  verlor 
die  Immunität  den  privaten  Charakter  und  den  Gegensatz  zu  den 
staatlichen  Institutionen,  „Immunitätsherrschuft  trat  ein  in  den 
Organismus  der  vom  Staate  geleiteten  und  beaufsichtigten  Mächte.“ 
Damit  hörte  die  Immunität  zugleich  auf,  einheitlich  zu  sein  und 
überall  dieselben  Wirkungen  zu  haben;  sie  hatte  nicht  mehr  die 
Bedeutung  als  gleichmäßiges,  dem  herrschaftlichen  Grundeigen 
schlechthin  zukommendes  Vorrecht;  vielleicht  hat  sie  das  auch 
nie  gehabt. 

Eine  weitere  Folge  war  die,  daß  sich  seit  dem  10.  Jahrhundert 
die  Gerichtsherrschaft,  von  der  Grundherrschaft  emanzipiert;  „die 
politischen  Rechte  und  Gewalten,  die  aus  der  Immunität  erwachsen 
waren,  lösten  sich  aus  der  Verbindung  mit  der  Grundherrschaft, 
bestanden  fortan  für  sich.“ 

Hierin  liegt  die  Entscheidung,  denn  durch  diesen  Verlauf 
wurde  verhindert,  daß  die  Bauern,  die  grundhold  geworden  waren, 
auch  unfrei  wurden.  Es  erfolgte  aber  gleichfalls  nicht  die  Ver- 
mischung von  frei  und  unfrei  zu  halbfrei  innerhalb  der  Grund- 
herrschaft, nein,  nur  das  Verhältnis  der  Bauern  zu  den  ihnen 
zunächst  stehenden  Trägern  der  politischen  Gewalt  änderte  sich, 
vor  allem  „das  Verhältnis  zu  der  Macht,  die  am  ständigsten  und 
unmittelbarsten  über  sie  Gewalt  übte:  zu  den  Inhabern  der 
niederen  Gerichtsbarkeit.“ 

Nach  der  grundherrlichen  Theorie  waren  das  natürlich  die 
Grundherren.  Für  das  Verfassungsleben  unseres  Volkes  und  für 
die  Gerichtsverfassung1}  im  besonderen  war  das  lß.  Jahrhundert 

*)  Vgl.  II.  Schröder,  Lehrbuch  der  deutschen  Heehtsgesehichte, 
4.  Aull.  1902.  S.  fi03  IT.  Ich  beschränke  mich  auf  die  genaue  Wieder- 
gabe des  Wichtigsten,  imiU  zunächst  aber,  was  die  Entstehung  der  Nieder- 
geriehte  des  späteren  Mittelalters  anlangt,  mich  noch  im  allgemeinen  einem 
Vertreter  der  grundhcrrlichcn  Theorie  ansehlielien,  da  andere  Forschungen 
nicht  vorlicgcn;  es  geschieht  indes  mehr,  um  denselben  zu  widerlegen. 


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12 


eine  Zeit  durch  greifen«  ler  Veränderungen  und  Neuordnungen.  Die 
Gerichtsverfassung  wurde  insofern  abgeiindert,  als  die  niederen 
Landgerichte,  abgesehen  von  ihrer  Beschränkung  auf  die  niclit- 
eximierte  Bevölkerung  und  den  ehemaligen  Niedergerichtssprengel 
mit  einer  einzigen  Dingstatt,  ganz  an  die  Stelle  der  früheren  Grafen- 
gerichte traten.  Sie  rückten  also  in  der  Kompetenz  auf  und 
erhielten  die  Bezeichnung  „Hochgericht“. 

Unter  ihnen  bildeten  sich  — oder  hatten  sich  schon  gebildet? 
für  die  Handhabung  der  niederen  Gerichtsbarkeit  neue  Unter- 
gerichtsbezirke, die  sich  in  der  Hegel  auf  einzelne  Kirchspiele 
oder  Dorfschaften  (mit  Einschluß  etwaiger  Tochterdörfer)  erstreckten. 
Diese  Dorfgerichte  waren,  früher  noch  als  die  Landgerichte,  zu 
grundherrlichen  Gerichten  geworden ')  und  mit  der  niederen  Vogtei 
verschmolzen,  indem  entweder  die  niedere  Gerichtsbarkeit,  wie  in 
den  bayrischen  Hofmarken,  schlechthin  den  Grundheiren  auf  ihren 
Besitzungen  übertragen  wurde,  oder  die  mit  der  Gerichtsbarkeit 
Belehnten  ihre  ( terichtsherrlichkeit  zu  voller  Grundherrlichkeit 
umzugestalten  wußten.  Da  auch  die  Dorfgerichtc  keine  unteilbare 
Einheit  bildeten,  so  konnten  die  verschiedenen  Gehöfte  eines  Dorfes 
unter  ebenso  vielen  verschiedenen  Gerichtsherren  stehen. 

Waren  wirklich  in  Südwestdeutschland  denn  von  Bayern*) 
sehen  wir  ab,  weil  da  die  Entwicklung  zum  'feil  anders  vor  sich 
ging  — bis  zum  Bauernkrieg  Niedergerichtsbarkeit  und  Grund- 
herrschaft ineinander  verwoben?  Wie  erklären  sich  dann  die 
Verhältnisse  bei  Beginn  der  Neuzeit,  wo  die  beiden  Institutionen 
sich  ständig  durchkreuzen?  Wir  erklärt  sich  das,  da  wir  doch 
gesehen  haben,  daß  der  Bauernkrieg  keine  Umwandlung  schafft 
und  in  der  Folgezeit  erst  recht  keine  Änderungen  mehr  vor- 
genommen werden?  Ist  die  Ansicht  von  der  alles  unter  sich  beu- 
genden Grundherrschaft  — weil  eng  verschmolzen  mit  der  Gerichts- 
herrlichkeit, ja  diese  einfach  in  sich  begreifend  — die  sich  für 
«las  frühere  Mittelalter  als  unhaltbar  erwies,  für  das  spatere 
Mittelalter  doch  in  Geltung,  etwa  in  der  Modification,  daß  „die 

')  K.  Schröil<-r  vertritt  also  starr  die  grundherrlichu  Theorie.  Wir 
werden  glcich'auf  die  Wicderlogung  eingchen. 

*)  In  Kurbavern  ist  besonders  die  Leibeigenschaft  noch  verbreitet  und 
wird  mit  der  (ierichUherrlichkcit  oft  verschmolzen ; vgl.  Th.  Knapp  a.  a.  0., 
S.  bä  tl\  Th.  Ludwig  a.  ».  0.,  S.  1SG  f. 


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13 


mit  Gerichtsbarkeit  Belehnten  jetzt  ihre  Gerichtsherrlickeit  zu 
voller  Grundherrlichkeit  umgestalteten?“ 

Das  sind  Fragen,  zu  denen  uns  die  Widersprüche,  auf  die 
wir  gestoßen  sind,  einfach  herausfordern.  Könnte  man,  fragen 
wir  weiter,  nicht  zu  einer  Auffassung  gelangen,  die  sich  in  Einklang 
setzen  ließe  mit  den  für  den  Beginn  der  Neuzeit  gewonnenen 
Ergebnissen?  Eine  solche  gibt  es'),  nämlich:  „Die  Entstehung 
der  Bannkreise  und  Bezirke  der  Niedergerichtsbarkeit,  die  im 
10.  Jahrhundert  einsetzende  Verteilung  der  provinzialen  politischen 
Gewalt  unter  verschiedene  Besitzer,  das  hat  Herrschaften  ge- 
schaffen, die  wohl  vom  Großgrundbesitz  ausgingen,  aber  sich 
keineswegs  an  seine  Grenzen  hielten,  sich  vielmehr  einzelne  Teile 
fremder  Grundherrschatt,  vor  allem  auch  freies  Bauernland  unter- 
warfen. Gerichtsherrschaft  und  die  ihr  vielfach  überall  nach- 
folgende und  sich  mit  ihr  in  die  obrigkeitlichen  Rechte  teilende 
Vogtei  haben  allgemein  die  untere  Bevölkerung  in  Abhängigkeit 
gebracht.  Und  diese  Beherrschung  der  breiten  niederen  Be- 
völkerungsklassen hat  nicht  aufgehört,  sie  hat  auch  im  12.  und 
13.  Jahrhundert  keine  grundsätzliche  Änderung  erfahren.“ 

Diese  Bannbezirke *)  sind  im  10.  Jahrhundert  entstanden; 
eine  längst  mit  Immunität  ausgestattete  Grundherrschaft  hat  sich 
in  den  Besitz  der  fiskalischen  Gerichtsgefälle  und  der  zwingenden 
Gerichtsgewalt  selbst  gesetzt,  und  zwar  über  ihr  eignes  grund- 
herrliches Gebiet  hinaus.  Freilich  war  der  Grad  und  der  Umfang 
der  so  erworbenen  Gerichtsbarkeit  verschieden  und  wurde  im 
weiteren  Verlauf  der  Entwicklung  immer  verschiedener;  doch  das 
eine  Merkmal  findet  sich  durchgehends : Loslösung  von  der  Grund- 
herrschaft. 

» Wir  wollen  uns  zunächst  mit  dieser  allgemeinen  Deutung 
der  spätmittelalterlichen  Niedergerichtsherrlichkeit  begnügen,  auch 
auf  die  Vogtei  im  Niedergericht,  die  Niedervogtei,  hier  nicht 
weiter  eingelien;  wir  werden  uns  mit  den  beiden  Institutionen 
noch  genugsam  zu  beschäftigen  haben.  Mit  voller  Absicht  nämlich 

*)  Oerhard  Scoliger  n.  a.  0.,  S.  1U7.  In  der  Hauptsache  haben  wir 
hier  die  Entstehung  der  Bannkreise  und  Niedergerichtsbezirke  erklärt  und 
zugleich  eine  Widerlegung  der  grundherrliehen  Theorie,  bcs.  der  Sc hröder- 
schen  Ansicht:  vgl.  Anm.  1 S.  11. 

*)  Ebenda,  S.  117  !T. 


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14 


sind  wir  von  den  allgemeinen  AbhangigkeitsverMltnissen  der 
Ilaucm  abgegangen  und  haben  uns  mehr  und  mehr  auf  die 
Niedergerichtsherrschatt  beschränkt;  diese,  deren  Entstehung  wir 
soeben  skizziert  haben,  wollen  wir  von  nun  ab  in  das  volle  Licht 
der  Betrachtung  rücken *). 

Es  wird  dabei,  wie  ja  auch  unsere  Überschrift  besagt,  die 
Untersuchung  des  spatmittelalterlichen  Niedergerichts,  also  für 
die  Zeit  des  14.  und  15.  Jahrhunderts  vorgenommen;  wir  werden 
bis  an  die  Schwelle  der  Neuzeit,  bis  an  den  Beginn  der  agrarischen 
Revolten  herangehen. 

Das  Gebiet*),  auf  das  wir  die  Untersuchung  ausdehnen,  soll 
ein  begrenztes  sein,  nämlich  das  Gebiet  «les  Mittelrheins,  da  wo 
Main,  Nahe  und  Mosel  einmünden,  um  zu  einem  guten  und  ab- 
schließenden Resultat  zu  kommen.  Das  Ergebnis  wird  sich  viel- 
leicht für  ganz  Südwestdeutschland  *)  verallgemeinern  lassen,  denn 
Schwaben,  Franken,  Elsaß  und  Deutsch-Lothringen,  also  ganz 
Altdeutschland  außer  Sachsen  und  Bayern,  zeigen  im  wesentlichen 
dasselbe  Bild  sozial-historischer  Entwicklung. 

Die  Grundlage  für  unsere  Untersuchung  sollen  die  Weis- 
tümcr  darbieten;  doch  bevor  wir  zur  Darstellung  übergehen, 
müssen  erst  noch  einige  Bemerkungen  über  diese  Urkunden  vor- 
ausgeschickt werden4). 

’)  Meine  liier  vorliegende  Arbeit  ist  anzusehen  als  ein  Teil  einer 
größeren  Untersuchung,  die  die  sozialen  Verhältnisse  des  llauernstandcs 
im  späteren  Mittelalter  überhaupt  ins  Auge  laßt.  Teil  gebe  zunächst  diesen, 
wohl  den  wichtigsten  Abschnitt  und  behalte  mir  vor,  die  anderen  folgen 
zu  lassen.  Vorausgehen  müßte  eigentlich  eine  Untersuchung  über  das 
Hochgericht  in  diesem  Zeitraum,  aber  das  ist  zum  Verständnis  der  nie- 
deren Rechtspflege  nicht  unbedingt  notwendig;  es  wird  genügen,  wenn  ich 
bei  Gelegenheit  darauf  liinweise. 

a)  Zu  sehr  beschränkt  sich  Heinrich  Sicveking,  Die  rheinischen 
Gemeinden  Erpel  und  Unkel  und  ihre  Entwicklung  im  14.  und  15.  Jahr- 
hundert. Leipzig  1891!. 

3)  Vgl.  Th.  Ludwig,  a.  a.  0.,  S.  185  ff.  über  die  Verallgemeinerung 
der  für  Raden  gewonnenen  Ergebnisse. 

4)  Vgl.  Richard  Schröder*  a.  a.  0.  § 58.  Die  ländlichen  Rechtsquellen. 
Ferner  K.  Lamprccht  a.  a.  0.  2.  S.  C57  (f.  Hier  wird  hauptsächlich  von 
den  Weistiimem  die  Rede  sein,  welche  das  Niedergericht  angehen;  über  die 
verschiedenen  Arten  der  Weistümer  vgl.  die  Zusammenstellung  durch  Schröder 
bei  Grimm,  Weist,  lid.  VII.  S.  387  ff. 


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15 


Seit  dem  13.  Jahrhundert  begann  man  die  Weistümer  oder 
Öffnungen  aufzuzeichnen.  „Ne  gesta  rerum  cum  lapsu  temporis 
evanescunt,  decet  ea,  quae  geruntur  in  tempore,  scripturae  memoria 
perennari“ ’);  „ne  facta  modernorum,  que  digna  .sunt  memoria 
posteronim,  frustrentur  ignorantia,  decet  et  expedit  ea  sigillorum 
et  scripti  munimine  atque  testimonio  roborari’).“  So  und  ähnlich 
heißt  es  in  den  Urkunden  dieser  Zeit,  und  das  Weistum  von 
Wöllstein'1)  beginnt  mit  folgenden  Worten:  „Durch  die  gewalt 
des  ewigen  gottes  seindt  wir  menschen  ursprünglich  vor  alle  andere 
creaturcn  diessen  erdtboden  handtheblich  zue  besitzen  ’ordinirt, 
warumbe  wir  auch  gepflichtigt,  vorsichtiger  gesätz  fruchtbarlich 
zue  leben,  alss  wass  ein  ewige  handtfest  geheischen  soll  werden, 
dass  bedarf!’  zeitiger  vorraths,  umb  gneter  begründung  willen,  dan 
welcher  baw  auff  ein  unbefestlich  iundament  gesetzt  wird,  der 
baw  mag  nit  beharren;  darbey  sollen  wir  vorsehen:  nachdem  wir 
menschen  alle  stund  dess  todss  warten  seind,  darumb  ist  notli, 
daß  wir  an  stadt  diesser  wehrender  Ordnung  nit  allein  uff  unss 
vergänglich  persohnen,  alss  die  heut  leben  undt  morgen  dess  todss 
seind,  setzen,  sondern  dass  in  geschrift  verfassen  sollen,  uf  dass 
solche  ohn  argwöhn  als  löblich  in  gcdechtnuss  bleibe  möge.“ 

Obwohl  sich  nämlich  eine  typische  Form  für  die  mündliche 
Weisung  herausgebildet  hatte,  die  die  Weisung  erleichterte  und 
den  Inhalt  derselben  von  Geschlecht  zu  Geschlecht  übermittelte, 
so  war  die  Aufzeichnung  jedenfalls  sicherer.  Besonders  die  geist- 
lichen Herrschaften,  die  Stifter  und  die  Klöster,  bedienten  sich 
dieses  Mittels,  um  sich  bei  Beeinträchtigung  immer  wieder  auf 
ihr  schriftlich  niedergelegtes  Recht  zu  berufen. 

Was  die  Weisung  des  Rechts  und  die  Art,  Satzungen  oder 
Gesetze  zu  normieren  durch  Erfragung  der  Untertanen,  anlangt,  so 
ist  dies  bei  uns  von  jeher  gebräuchlich  gewesen ; schon  die  Volks- 
rechte scheinen  auf  diese  Weise  entstanden  zu  sein.  Als  dann 
Gerichts-  und  Grundherrschaft  infolge  der  von  uns  oben  ge- 
schilderten Entwicklung  der  Immunität  zum  Teil  schroff  aus- 
einandergingen und  sich  daraufhin  tiefgreifende  Veränderungen 

')  Mittclrhcinisches  Urkundenbuch  lld.  III.  Nr.  1340. 

’)  Codex  diplomaticus  Rheno-Morsellanus  Hd.  II.  Nr.  281.  S.  427.  Aus 
d.  Jahre  1277. 

s)  (Iriuiin,  Weistfimer  Hd.  II.  S.  157.  Das  Weistum  ist  v.  Jahre  1480. 


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16 


bemerkbar  machten,  fixierte  jede  Herrschaft  möglichst  bald  den 
neuen  Zustand  und  lieh  ihr  Recht  schriftlich  aufzeichnen.  Dieses 
wurde  sodann  an  den  Weisdingen  nicht  mehr  mündlich  vorgetragen, 
sondern  öffentlich  verlesen  und  von  der  Gemeinde  bestiitigt,  gewiß 
ein  Fortschritt  gegen  die  rohe  Art  der  sich  wiederholenden  münd- 
lichen Weisung. 

Auch  die  niedere  Rechtspflege  hatte  davon  großen  Vorteil, 
einmal  natürlich  deshalb,  weil  die  Herrschaft  auf  Grund  des  fest- 
gelegten Rechts  die  Gerichtsbarkeit  bequemer  ausüben  lassen 
konnte  und  die  Rechtsprechung  darum  geordneter  wurde.  Das 
eben  erwähnte  Weistum  von  Wöllstein')  bemerkt  mit  vollem 

Recht:  „ daß  und  angesehen,  wie  an  regierung  nit  allein 

der  obrigkeit  weisthumb  des  jahrgedingss,  sondern  auch  an  andrer 
ubung  dess  gemeinen  brauchs  in  Wöllstein  an  vielen  stucken 
initiier  gar  unlauter  und  unordentlich  gepflogen  ist,  darab  die 
jahr  mercklich  beschwerung  erwachsen.“  Ferner  war  dadurch 
auch  den  Niedergerichtsuntertanen  eine  gewisse  Sicherheit  garantiert. 
Die  Herrschaft  konnte  nicht  so  leicht  mit  Beschwerungen  gegen 
sie  Vorgehen  oder  ohne  weiteres  Änderungen  eintreten  lassen,  weil 
ihr  dann  das  Recht  des  Weistums,  das  für  die  Herrschaft  ebenso 
bindend  war  wie  für  die  Untertanen,  entgegengehalten  werden  konnte. 

In  der  Folgezeit  sind  dann  hauptsächlich  zwei  Gründe  die 
Veranlassung  zu  einer  Neuaufzeichnung  des  Weistums  oder  über- 
haupt zu  einer  Aufzeichnung  desselben.  Der  eine  ist  nämlich 
dann  gegeben,  wenn  die  Herrschaft  nach  einer  längeren  Pause 
ihre  Gerechtsame  wieder  erfragte.  Dann  stellte  sich  jedesmal 
heraus,  daß  die  Menschen  recht  vergeßlich  waren2),  und  um  sich 
für  die  Zukunft  zu  sichern,  legte  man  das  Recht,  wie  man  es 
nun  mit  Mühe  und  Not  wieder  festgestellt  hatte,  schriftlich  nieder 
und  fügte  gelegentlich,  wenn  einmal  neue  Zweifel  auftauchten, 
neue  Antworten  hinzu. 

Die  Weistümer  sollten  nur  das  althergebrachte  Recht  ent- 
halten, wie  „laut  alten  Herkommens“,  „nach  der  Überlieferung 

')  Vgl.  Grimm,  Weistümer  IW.  II.  S.  167.  Vgl.  auch  G.  v.  Bclow 
a.  a.  0.  S.  14. 

7)  Vgl.  z.  11.  das  Weistum  von  Metternich  v.  J.  1401  in:  Die  Weis- 
tfiiner  der  Itheinprovinz.  I.  Abteilung:  Die  Weistümer  des  Kurfürstentums 
Trier.  1.  Bd.,  herausgegen  von  Hugo  Lörsch.  Bonn  1900.  Xr.  101. 


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17 


von  ihren  Eltern  und  Vorfahren“  die  Dinge  sich  gestaltet  hätten. 
In  der  Tat  sind  sie  aucli  Bezeugungen  des  alten  Rechts,  das  auf 
dem  platten  Lande  im  allgemeinen  nur  wenigen  Änderungen 
unterworfen  war.  Aber  ganz  stabil  ist  es  nicht;  man  bemerkt  im 
späteren  Mittelalter  auch  auf  dem  platten  Lande  eine  Fortbildung, 
und  ferner  brachte  die  Ausbildung  der  Dorfgemeinde1),  die  in 
nnserm  Zeitraum  vor  sich  ging,  mannigfache  Änderungen  hervor. 
Sonstige  Umänderungen  des  Bestehenden  fanden  ebenfalls  statt, 
die  Herrschaft  verkaufte  ihre  Gerechtsame  an  eine  andere,  oder 
das  Verhältnis  zwischen  Herrschaft  und  Bauern  erfuhr,  wenn  irgend 
welche  Streitigkeiten  zwischen  ihnen  ausgebrochen  waren,  eine 
neue  Regelung,  so  daß  man  — das  ist  der  zweite  Hauptgrund  — 
sich  zu  einer  neuen  Aufzeichnung  entschloß8). 

Infolgedessen  sollen  bei  unsrer  Untersuchung  nur  die  Weis- 
tümer  herangezogen  werden,  die  nach  ihrer  Datierung  vom  13. s) 
bis  Ende  des  15.  Jahrhunderts,  also  in  dem  für  uns  in  Betracht 
kommenden  Zeitraum,  entstanden  sind,  weil  es  sehr  leicht  möglich 
wäre,  daß  spätere  tiefergehende  Veränderungen  enthielten.  Um 
aber  ein  möglichst  genaues  Bild  der  Verhältnisse  zu  erhalten, 
werden  von  uns  auch  die  späteren,  aus  dem  1(5.  Jahrhundert 
stammenden  benützt,  doch  nur,  um  die  Ergebnisse  zu  stützen,  die 
wir  aus  den  Weistümern  unsres  Zeitraumes  gewonnen  haben. 

Es  verlangt  aber  die  Behandlung  der  Weistflmer4)  eine  ge- 
wisse Sorgfalt,  weniger  mit  Rücksicht  auf  etwaige  Fälschungen 
als  vielmehr  auf  Auslassungen.  Ein  jedes  Weistum  enthält  ge- 
wöhnlich nur  eine  bestimmte  Materie,  entweder  das  Recht  der 
Herrschaft,  sei  es  der  Niedergerichts-  oder  der  Grundherrschaft, 
oder  das  des  Niedervogts  oder  sonst  ein  Recht,  freilich  nicht 
immer  vollständig,  sondern  nur  insoweit,  als  es  die  betreffende 

')  Auf  die  Entstehung  der  Dorfgemeinde  kann  nicht  eiugegangen 
werden.  Ich  verweise  auf  Sieveking,  der  sich  mit  dieser  Präge  beschäftigt. 
(A.  a.  O.  S.  36  ff.)  Ich  werde  diese  Frage  noch  mehrfach  zu  berühren 
haben,  aber  sie  nicht  beantworten. 

s)  Vgl.  die  Weistümer  von  Metternich,  und  zwar  das  von  1491  mit 
dem  v.  J.  1563.  Lörsch,  Weistümer  Nr.  101  u.  102. 

*)  Aus  dem  13.  Jahrh.  stammen  ganz  wenige.  Vgl.  die  Anlage. 

4)  Herangezogen  sind  die  Weistümer  gesammelt  von  Jakob  Grimm, 
fortges.  von  Richard  Schröder  (7  Ilde.  Göttingen  1840 — 78),  und  besonders 
die  von  Hugo  Lörsch  herausgegebenen  Weistümer  der  Rlicinprovin*  I.,  I. 

Groscb,  Niedergericht  2 


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18 


Herrschaft  erfragt  hatte;  Nachträge  durfte  sie  darum  jederzeit 
machen. 

Die  Gerechtsame,  die  andere  Herrschaften  im  selben  Dorfe 
hatten,  mußten  dabei  oftmals  gestreift  werden,  nämlich  dann, 
wenn  sie  mit  denen  der  erfragenden  Herrschaft  konkurrierten;  die 
Aufzeichnung  dieser  Gerechtsame  ist  natürlich  erst  recht  unvoll- 
ständig1). Wenn  daher  bei  einem  von  der  Niedergerichtsherrschaft 
erfragten  Weistum  die  Rechte  des  Niedervogtes  erwähnt  werden, 
so  ist  damit  durchaus  nicht  gesagt,  daß  der  Niedervogt  nur  diese 
Rechte  gehabt  hätte®);  er  konnte  noch  andere  haben,  die  aber 
die  Herrschaft  nicht  aufzeichnen  ließ,  weil  sie  kein  Interesse 
daran  hatte. 

Dieser  Umstand  ist  es  vor  allem,  der  die  Behandlung  der 
Weistümer  erschwert;  man  wird  immer  fragen  müssen  nach  dem, 
der  sich  das  Recht  weisen  läßt,  und  zur  richtigen  Interpretation 
der  meisten  Weistümer  gehört  eigentlich  die  genaue  Kenntnis 
sämtlicher  hoher  und  niederer  Herrschaften  eines  Dorfes  und 
ihrer  Gerechtsame.  Indes  so  vollständig  und  gesichtet  liegt  das 
Urkundenmaterial  wohl  nirgends  vor,  und  wenn  man  trotzdem  an 
„Untersuchungen  auf  Grund  der  Weistümer“  geht,  so  muß  man 
eine  Anzahl  Niedergerichtsbezirke  untersuchen.  Dann  fällt  ein 
Irrtum,  in  den  man  bezüglich  eines  Dorfes  oder  einer  Herrschaft 
ja  einmal  gerät,  nicht  so  schwer  in  die  Wagschale,  das  Gesamt- 
ergebnis wird  ihn  wieder  tilgen.  Das  ist  der  Weg,  den  wir  eiu- 
schlagen wollen. 


!)  Ein  recht  vollständiges  Weistum,  eine  richtige  Ilorfordnung,  ist  das 
von  Wellmich  v.  J.  1509.  Lörsch,  Weistümer  Nr.  30. 

s)  Siehe  das  Weistum  von  Oberhiracnach  und  Karbach:  Lörsch,  Weis- 
tümer Nr.  34.  Hier  werden  die  Kochte  des  Niedervogtes  nur  unvollständig 
gewiesen. 


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I.  Abschnitt. 

Überblick  über  die  Niedergerichte. 

Ein  Überblick')  über  die  Niedergerichte  oder  besser  die 
Niedergerichtsbezirke  wird  uns  am  ehesten  mit  den  besonderen 
Verhältnissen  eines  jeden  derselben  bekannt  machen.  Es  werden 
die  Unterschiede  deutlich  hervortreten,  die  das  eine  Niedergericht 
von  dem  andern  aufweist,  zugleich  aber  auch  das,  was  sie  alle 
miteinander  gemein  haben,  oder  was  wenigstens  mehrere  zu  einer 
Gruppe  mit  bestimmten  Kennzeichen  vereinigt.  Dieser  Überblick 
wird  nicht  nur  auf  das  allgemeinste  sich  zu  erstrecken  haben, 
sondern  wir  werden  jedes  Niedergericht  genau  untersuchen  und 
das  für  unsere  Absicht  Wichtige  festlegen,  dabei  manche  Fragen 
berühren,  auf  die  wir  später  näher  einzugehen  haben,  andere 
wenigstens  aufwerfen,  deren  Beantwortung  wir  freilich  im  Rahmen 
unserer  Darstellung  nicht  durchführen  können.  — 

Das  erste  unserer  Niedergerichte  ist  Mündersbach  bei  Hachen- 
burg*). Hier  besitzt  Dietrich  d.  J.  von  Isenburg  Güter,  wie  es 
heißt,  das  sogenannte  alte  Erbe.  Dieser  Grundbesitz  war  ver- 
erbpachtet an  Leute  des  genannten  Dorfes,  und  der  Grundherr 

')  Vgl.  die  Anlage,  wo  die  hier  zu  untersuchenden  Niedergerichte  von 
mir  zusamuiengestellt  sind. 

*)  Urkundenbuch  zur  Geschichte  der  jetzt  die  prcuQiscben  Regierungs- 
bezirke Koblenz  und  Trier  bildenden  mittelrhcinischcn  Territorien.  3 Bdc. 
Koblenz  18(>0 — 74.  (Künftig  zitiert  als:  Mittelrheinisches  Urkundenbnch.) 
III.  Bd.  Nr.  930.  I >ic  Urkunde  stammt  aus  dem  Jahre  1247.  Hachenburg 
liegt  im  Oberwesterwaldkreis  (L.  G.  Neuwied):  es  ist  die  frühere  Haupt- 
stadt der  Grafschaft  Sayn. 

2* 


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20 


setzt  die  Abgaben  fest,  die  die  Beliehenen  zu  leisten  haben. 
Weiter  bestimmt  er,  daß  „jeder,  der  Gut  daselbst  von  ihm  besitzt, 
ihm  jährlich  zu  Fastnacht  ein  Huhn  geben  soll,“  und  ferner, 
„daß  alle  Inhaber  seines  Gutes  dreimal  jährlich  zu  seinem  Hof 
daselbst  kommen  sollten,  um  anzuzeigen,  ob  der  Grundherr  irgend 
einen  Abbruch  an  seinen  Gütern  erlitten  habe,  oder  wenn  einer 
dem  andern  ein  Unrecht  zugefügt  hat,  damit  er  — Dietrich  — 
urteile,  wie  das  Recht  es  erfordere').“ 

Wir  erfahren  also,  daß  Dietrich  der  Jüngere  zu  Mündersbach 
Grundbesitz  hat,  den  er  in  Erbpacht5)  ausgab;  seine  Erbpacht  er 
müssen  dreimal  jährlich  in  seinen  Hof  daselbst  kommen,  einmal 
um  zu  melden,  ob  irgendwelcher  Abbruch  am  herrschaftlichen 
Gut  geschehen  ist,  und  ferner,  um  anznzeigen,  wenn  einer  dem 
andern  ein  Unrecht  zugefügt  hat.  Darüber  wird  dann  gerichtet, 
wie  das  Recht  es  erheischt,  und  zwar,  wie  es  scheint,  von  dem 
Inhaber  der  Herrschaft  persönlich.  Denn  für  Besitzänderung  hat 
die  Urkunde  die  ausdrückliche  Bestimmung,  daß  die  betreffenden 
Leute,  die  Gut  abtreten  oder  neu  erwerben,  „zu  uns  oder  zu 
unseren  Beamten“  kommen  sollen,  während  bei  der  dreimaligen 
Tagung  des  Gerichts  von  „Beamten“  (officiales)  nichts  erwähnt 
wird. 

Der  Grundherr  ist  also  zugleich  Niedergerichtsherr,  und  er 
leitet  die  Niedergerichtsherrschaft  aus  seiner  Grundherrschaft  ab; 
wer  Gut  von  ihm  besitzt,  ist  zugleich  sein  Niedergerichtsuntertan. 

Eine  ähnliche  Herrschaft5),  und  zwar  im  Besitze  des  Erz- 
bischofs von  Trier,  ist  das  Dorf  Wiebelsheim4). 


')  Item  quicumquc  possidet  bona  nostra  in  villa  supradicta,  dabit  nobis 
pulluin  unum  annuatiin  in  depositiono  carnium.  Kl  omncs  possossorcs 
bonorum  nostrorum  vcnicnt  tribus  vicibus  in  anno  ad  curiam  nostram  ibidem 
sitain  accusaturi,  si  aliquote  defectum  haboamUB  bonorum  nostrorum,  vol  si 
aliquis  eorum  altcri  iniurictur,  ut  indc,  sccundnm  quod  ius  eiigit,  iudicomus. 

*)  Ks  heißt:  „ . . . . quod  nos  bona  nostra  in  Wundersbach,  quno 
dicuntur  antiqua  hcreditas,  concessiinns  hominibUB  dictae  villae  ....  hcro- 
ditarie  in  perpetuum  possidenda.“ 

*)  Ich  werde  in  diesem  Abschnitt  häufig  das  Wort  „Herrschaft“ 
schlechthin  verwenden:  die  genaue  Abgrenzung  der  Machtbefugnisse  der 
einzelnen  Herrschaften,  Gerichts-,  Grundherrschaft  usw.  gebe  ich  erst  im 
zweiten  Abschnitt. 

4)  Lörsch,  Weistümer  Nr.  '29  § 1 und  § 3. 


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21 


„Der  gnädige  Herr  von  Trier  hat  ein  Gericht  zu  Wiebelsheim1) 
mit  einem  Schultheißen  und  sieben  Schöffen,  mit  jährlich  zwei 
ungebotenen  Dingtagen,  und  der  Schultheiß  soll  das  ungebotene 
Gedinge  besitzen  von  wegen  des  gnädigen  Herrn.“  Auch  hier 
gehören  zum  Gericht  alle,  die  von  Trier  belehnt  sind,  ausgenommen 
die  Witwen  und  der  Hirte.  Der  Schultheiß  selbst  ist  Wirtschafts- 
beamter2) der  erzbischöflichen  Grundherrschaft,  die  sich  wohl 
über  das  ganze  Dorf  erstreckt,  wenigstens  wird  von  einer  anderen 
nichts  erwähnt.  Der  Schultheiß  hat  als  solcher  vor  allem  die 
Wahl  des  Besthaupts  bei  Todesfall  vorzunehmen;  beim  Verkauf 
wird  ihm  das  Lehen  aufgelassen,  und  der  Käufer  soll  dem 
Schultheiß  Handgelübde  tun,  dem  Erzbischof  treu  und  hold  zu 
sein.  Alle  Schmälerungen  am  herrschaftlichen  Gut  hat  er  zu 
rügen. 

Also  auch  in  Wiebelsheim  innige  Verbindung  zwischen  Nieder- 
gerichts- und  Grundherrschaft;  der  Schultheiß  des  Dorfes  ist  vom 
Herrn,  dem  Erzbischof  von  Trier,  eingesetzt  und  übt  in  dessen 
Namen  die  Funktionen  des  Niederrichters  und  des  Wirtschafts- 
beamten der  Grundherrschaft  aus. 

Genau  so  liegen  die  Verhältnisse  von  Wellmich’).  Hier 
hält  der  Schultheiß  das  Hochgeding4)  am  nächsten  Montag  nach 
dem  Dreikönigstag,  den  anderen  Dingtag  am  Montag  nach  Ostern 
und  den  dritten  Dingtag  am  Montag  nach  Johanni.  Das  Gericht 
ist  besetzt  mit  einem  Schultheißen  und  sieben  Schöffen;  der 
Schultheiß  führt  im  Namen  des  Erzbischofs  den  Vorsitz  an  den 


')  Wiebelsheim  liegt  im  Kreise  St.  Goar  (Regierungsbezirk  Koblenz), 
südwestlich  von  Oberwesel:  in  unsenn  Zeitraum  zum  Amt  Oberwesel  ge- 
hörend, untersteht  es  in  Ilocbgerichtssachcn  dem  Amtmann  daselbst.  § 24. 

*)  §§  6,  8,  20  und  21. 

3)  Lörsch,  Weistümer  Nr.  30  § 1.  Wellmich  liegt  am  rechten  Rhein- 
ufer, rhoinabwärts  unweit  St.  Goarshausen.  Mit  dem  Gallschcider  Hoch- 
gericht wurde  es  zu  einem  Amt  und  Hochgericht  vereinigt  gegen  Endo  des 
15.  Jahrhunderts.  Vgl.  Lörsch,  Weistümer  Nr.  15  § 8 mit  Nr.  (17)  §3. 
Das  W'cistum  Nr.  17  führe  ich  deshalb  in  Klammern  an,  weil  es  nicht  be- 
zeichnet, aber  in  der  ganzen  Reihe  bei  Lörsch  mitgezählt  ist. 

*)  Hochgeding  ist  nicht  Hochgericht.  Dieses  hält  der  Amtmann  von 
Wellmich  ab.  Ich  verweise  auf  das  Ende  meines  IV.  Abschnitts:  Das 
Wcisding. 


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22 


drei  ungebotenen  Dingen');  er  wird  auch  von  ihm  eingesetzt 
und  schwört  nur  ihm,  oder  wem  der  Erzbischof  dies  befiehlt. 

Außer  den  ungebotenen  finden  noch  weitere  Gerichtssitzungen 
statt.  Hat  nämlich  jemand  etwas  zu  rügen  vergessen,  der  soll 
nach  vierzehn  Tagen  kommen  und  soll  es  Vorbringen,  denn 
dann  hält  man  ein  Afterding  ab,  man  „schlägt  das  Gericht  zu 
vierzehn  Tagen  auf“.  Ferner  kann  ein  sogenannter  ungewöhnlicher 
Gerichtstag  gehalten  werden  vor  stehenden  Schöffen,  indes  nur 
auf  Antrag  einer  Partei,  und  diese  muß  dein  Gericht  dafür  acht 
Weißpfennige  geben:  handeln  die  Parteien  aber  solange,  daß  die 
Schöffen  niedersitzen  müssen  beim  Geben  von  Klage  und  Antwort, 
so  ist  dem  Gericht  die  Kost  an  diesem  Tage  in  ziemlicher  Weise 
zu  geben. 

Den  Vorsitz  führt  immer  der  Schultheiß,  und  wenn  man  alle 
vierzehn  Tage  Gericht  hält,  so  steht  es  doch  dem  Schultheißen 
zu*).  Der  Schultheiß  ist  zugleich  Gerichtsknecht3);  er  muß  das 
Ding,  besonders  das  ungewöhnliche  ansagen,  die  Leute  an  das 
Gericht  entbieten  und  die  Pfändungen  vornehmen;  er  hat  also, 
obwohl  er  selbst  den  Vorsitz  im  Niedergericht  hat,  zugleich  das 
Amt  des  Büttels  zu  versehen. 

Der  Schultheiß  erfüllt  seine  Obliegenheiten  im  Auftrag  des 
Erzbischofs,  nicht  etwa  als  Beamter  der  Dorfgemeinde.  Mit  der 
Verwaltung  der  Gemeinde  hat  er  nur  insofern  zu  tun,  als  er  bei 
der  Ernennung  der  eigentlichen  Gemeindebeamten  mitwirkt,  aber 
auch  hier  wieder  als  Vertreter  oder  Beauftragter  des  Erzbischofs. 

Es  ist  streng  zu  scheiden  zwischen  dem  Niedergericht  des 
Dorfes  Wellmich,  dessen  Personal  der  Schultheiß  und  die  sieben 
Schöffen  bilden,  und  der  Gemeindebehörde  des  Dorfes,  den  Beamten 
der  eigentlichen  Dorfgemeinde;  es  sind  dies,  genau  wie  in 
der  Stadt,  die  Bürgermeister  und  der  Rat.  Also  der  Schultheiß 
ist  nicht  der  Ortsvorstand  in  unserem  Sinne,  wie  der  heutige 
Schultheiß  etwa. 


*)  Das  Weistum  von  Wellmich  (Lörsch,  Weistiiiner  Nr.  30)  v.  J.  1509 
ist  so  ausführlich,  daß  der  Zollschreiber  von  üoppard,  Christoph  Eschen- 
fclder,  zwei  Tage  nötig  hatte,  es  aufzunchmen,  nämlich  den  20.  April  und 
den  9.  Mai  jenes  Jahres.  Es  kommen  zunächst  in  Hetracbt  §§  1,  2,  6,  8 u.  70. 

*)  § 71.  s)  § 8 und  §§  19,  75  und  7G. 


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23 


Bei  der  Einsetzung1)  der  einzelnen  Beamten  und  der  Be- 
hörden kommt  dies  zum  Ausdruck.  Den  Amtmann  als  Richter 
über  Hals  und  Bauch*)  und  den  Schultheiß  als  Niederrichter 
setzt  der  Erzbischof  ein;  das  Schöffenkollegium  der  Sieben  wird 
so  ergänzt,  daß  die  Schöffen  beim  Fehlen  eines  oder  mehrerer 
an  Stelle  jedes  fehlenden  Schöffen  drei  Leute  dem  gnädigen  Herrn 
zum  Vorschlag  bringen;  der  läßt  aus  diesen  den  Mangel  ersetzen 
durch  seinen  Amtmann,  den  Zollschreiber  oder  sonst  jemand. 
Also  der  Schultheiß  hat  als  solcher  bei  der  Ergänzung  des 
Schöffenkollegiums  nicht  mitzuwirken;  infolgedessen  ist  die  Stellung 
der  Schöffen  ihm  gegenüber  eine  freiere  und  unabhängigere. 

Dagegen  wirkt  der  Schultheiß  bei  der  Ernennung  der  Dorf- 
behörden mit,  denn  Schultheiß  und  Rat  mit  den  alten  Bürger- 
meistern wählen  die  neuen  Bürgermeister  und  den  neuen  Rat, 
also  die  Organe  der  Dorlverwaltung  *),  so  oft  es  nötig  ist.  Der 
Schultheiß  vereidigt  sie  des  gnädigen  Herrn  und  der  Gemeinde 
wegen.  Ebenso  setzt  der  Schultheiß  mit  den  Bürgermeistern  die 
Feldschützen  ein,  und  der  erstere  nimmt  wegen  des  gnädigen 
Herrn  und  der  Gemeinde  wegen  den  Eid  von  ihnen. 

Der  Schultheiß  ist  Beamter  nur  des  Kurfürsten  und  darum 
der  Gemeinde  übergeordnet:  es  tuen,  heißt  es  ausdrücklich,  Gebot 
und  Verbot  der  Amtmann  und  der  Schultheiss  wegen  des  gnädigen 
Herrn,  und  die  Bürgermeister  der  Gemeinde  wegen.  Deshalb  ist 
der  Schultheiß  auch  frei  vom  Gemeindedienst,  „aber  zu  wachen 
soll  er  mitt  Zusehen“. 

Das  Niedergericht  zu  Wellmich  ist  wie  das  in  Wiebelsheim 
zugleich  Verwaltungsgcricht  der  Grundherrschaft,  was  besonders 
dadurch  erleichtert  wird,  daß  Niedergerichtsbezirk  und  Grund- 
herrschatt zusammenfallen  und  keine  Zwischengewalt  weiter  daselbst 
Einfluß  hat.  Wenn  daher  ein  Gut  von  einer  Hand  in  die  andere 
kommt,  außer  bei  Vererbung  auf  die  direkten  Nachkommen, 
soll  Empfängnis  geschehen  vor  dem  Schultheißen  und  den  Schöffen ; 


*)  Vgl.  fürs  folgende  die  §§  11,  15,  20  und  21,  79. 

*1  Vgl.  die  Anmerkung  3 S.  21. 

*)  Vgl.  hierzu  Theodor  Knapp,  Über  die  vier  Dörfer  der  Reichsstadt 
Heilbronn  (a.  a.  0.,  S.  I IT.):  II.  Hauptteil:  üemeindeverfassang  und  landes- 
herrliche Regierung,  8.  43  ff.  Ich  werde  am  linde  des  letzten  Abschnittes 
darauf  zurückkommen. 


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24 


als  Handändernngsgebühr  fallen  zwei  Weißpfennige  drei  Heller, 
dem  Schultheißen  ein  Weißpfennig,  das  andere  den  Schöffen1). 

In  Wirtheim2)  — eine  weitere  geistliche  Herrschaft  ohne 
Vogtei  — gehört  das  Eigentum  des  Bodens,  Grundes,  Wassers, 
Landes  und  der  Weiden  der  Dorfmark  dem  Stift,  Dechant  und 
Kapitel  von  Aschaffenburg  zu.  Ebenso  hat  das  Stift  die  Gerichts- 
herrschaft, denn  es  hat  den  Schultheiß,  der  das  Gericht  nach  altem 
Herkommen  besitzen  soll,  einzusetzen,  gelegentlich  auch  abzusetzen. 
Einmal,  im  Jahre  indes  sollen  Dechant  und  Kapitel  persönlich 
das  Gericht  besitzen,  im  Sommer  oder  Winter,  wann  es  ihnen 
bequem  ist;  dann  soll  die  Gemeinde  die  Kosten,  die  die  An- 
wesenheit der  Herren  verursacht,  von  Rechts  wegen  und  ohne 
jede  Widerrede  aufbringen.  Zu  der  Zeit,  wenn  sie  das  Gericht 
besitzen,  dürfen  Dechant  und  Kapitel  in  der  Dorfmark  Fischfang 
treiben  und  der  Jagd  obliegen,  „und  mögen  auch  ein  hasen  mit 
iren  winden  und  hunden  hetzen  und  ein  repphune  oder  ein  ander 
wildhume  beiszen  und  fallen“.  Von  Jagdfronen  oder  dergl., 
die  die  Eingesessenen  dabei  zu  leisten  hätten,  findet  sich  nichts 
erwähnt. 

Das  recht  dflrftige  Weistum  von  Oberrod3)  berichtet  mir, 
daß  die  Herren  von  Frankfurt4)  in  Dorf  und  Gericht  zu  Oberrod 
zu  gebieten  und  zu  verbieten,  zu  setzen  und  zu  entsetzen  haben; 
ferner,  daß  die  Herren  von  Frankfurt  — es  ist  damit  Bürger- 
meister und  Rat  dieser  Stadt  gemeint  — von  jedem,  der  zu 
Oberrod  sitzt  nnd  eignen  Rauch  hält  und  zu  „Weg  und  Steg“ 
geht,  jährlich  ein  Fastnachtshuhn  und  nach  seinem  Tode  ein 
Besthaupt  erhalten 5). 


>)  § 78. 

*)  J.  Grimm,  Weistümer  IM.  V,  S.  309  §§  1,  2,  10  und  11.  Das 
Dorf  liegt  am  linken  Ufer  der  Kinzig,  oberhalb  Gelnhausen.  Da  die 
Grimmsche  Sammlung  keine  besonderen  Krklfirimgeii  nnd  dazu  nötigen 
Urkunden  bei  den  einzelnen  Wcistiimcrn  gibt.,  sondern  in  der  Regit  mir 
einfach  das  Weistum  auffiilirt,  liäulig  sogar  nur  als  Fragment.,  habe  ich  nur 
diejenigen  beigezogen,  deren  Inhalt  einer  besonderen  Erklärung  nicht  bedarf. 

3)  J.  Griinm,  Weistnmer  lid.  I.  S.  520. 

4)  Oberrod  liegt  unweit.  Frankfurt,  nämlich  am  linken  Mainufer,  dicht 
bei  Sachsenhausen.  Vgl.  K.  Bücher,  Die  Bevölkerung  v»n  Krankt.  a.,'M.  I, 
8.  658. 

s)  S.  dazu  die  Ausführungen  im  III.  Abschnitt. 


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25 


Das  Gericht  selbst  besteht  aus  einem  Schultheißen  und  sieben 
Schöffen;  wer  Gut  zu  Oberrod  inne  hat,  der  soll  jährlich  die 
Gerichte  der  drei  ungebotenen  Dinge  aut'suchen;  tut  er  es  nicht, 
wird  er  für  jedesmaliges  Unterlassen  mit  20  Pfennig  gebüßt  — 

Die  bisher  geschilderten  Niedergerichtsbezirke  haben  ein 
gemeinsames  Kennzeichen:  innerhalb  der  Dorfmark  hat  nur  eine 
Herrschaft  Gerechtsame1);  neben  ihr  sitzt  weder  eine  andere 
Herrschaft,  noch  findet  sich  zwischen  ihr  und  den  Untertanen 
irgend  eine  Zwischengewalt.  So  ist  es  indes  nicht  in  allen,  viel- 
leicht nur  in  den  wenigsten  Niedergerichtsbezirken;  besonders 
auf  eine  Institution  — auf  die  Zwischengewalt  zwischen  Herrschaft 
und  Untertanen  — trifft  man  in  den  meisten  Niedergerichten; 
wir  meinen  die  Vogtei  oder,  wie  wir  zum  Unterschied  von  anderen 
Vogteien*)  sagen  wollen,  die  Niedervogtei,  die  fast  in  allen  einer 
geistlichen  Herrschaft  gehörigen  Niedergerichten  zu  vollem  Recht 
besteht.  — 

In  Kesselheim3)  ist  Grundherr  des  ganzen  Dorfes  das  Marien- 
stift zu  Aachen:  „Ecclesia  Aquensis  habet  et  possidet  totam  villam 
in  Kessel  lieym  tamquam  suum  verum  predium  et  purum  allo- 
dium4).“ 

Der  Niedervogt  ist  anfänglich  der  Graf  von  Wied,  und  zwar 
ist  er  damit  vom  Propst  der  Aachener  Kirche  belehnt5).  Der 
Graf  hat  aber  die  Niedervogtei  weiter  begeben,  denn  es  hat  sie 
von  ihm  der  Ritter  Dietrich  von  Hadamar  erhalten;  dieser  scheint 
in  der  Folgezeit  über  die  Niedergerichtsbarkeit  hinaus  Gerecht- 

')  Darauf,  daß  im  selben  Dorf  nur  eine  Herrschaft  sitzt,  lege  ich  nicht 
besonderes  Gericht,  nur  muß  ich  diesen  Fall  bei  der  Gruppierung  der 
Niedergerichte  berücksichtigen. 

*)  Z.  ft.:  die  Vogtei  im  Hochgericht,  die  Markvogtei,  die  Vogtei  über 
eine  reine  Grundhorrschaft  u.  a. 

3)  Lörsch,  Wcistümcr  Nr.  77  und  78.  Itesonders  die  Einleitung  zu 
den  Weistuinern.  Die  Zeit  der  Abfassung  der  beigezogenen  Weistümer  ist 
in  der  Anlage  erwähnt. 

4)  Lörsch,  Weistümer  Nr.  77  §1.  Kesselheim  liegt  am  Khein  und 
gehörte  zum  Hochgericht  der  Bergpflogc  (das  alte  Hochgericht  auf  dem 
linbenheiiner  Berg:  vgl.  Lörsch,  Weistümer  Nr.  74 — 7fi);  die  Bcrgpllege 
ist  wio  das  Gallscheidcr  Hochgericht  ein  kurtrierisches  Amt  geworden: 
sie  umfaßte  etwa  den  heutigen  Landkr.  Koblenz. 

5)  Ebda  § 3:  Ipscquc  comes  teilet  eam  iure  foodi  a domino  preposito 
ecclcsie  Aquensis. 


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26 


same  beansprucht  und  sich  Eingriffe  in  die  grundherrlichen  Rechte 
erlaubt  zu  haben.  Aber  die  Grundherrschaft  wachte  scharf  darüber, 
daß  der  Niedervogt  seine  Befugnisse  nicht  überschritt,  und  es 
gelang  der  Kirche  tatsächlich,  den  Ritter  auf  seine  Vogtrechte 
zu  beschränken.  Denn  der  Ritter  von  Hadamar  entsagte  am 
17.  März  1347  in  seiner  Eigenschaft  als  Vogt  allen  Übergriffen, 
die  er  sich  in  bezug  auf  die  Herrlichkeit  und  das  Gut  des  Marien- 
stifts in  Kesselheim  erlaubt  hatte,  und  gelobte,  das  Stift  fürder- 
hin an  der  freien  Einsetzung  eines  Hofverwalters  nicht  zu  hindern. 

Die  Niedervogtei  war  durch  diesen  Vertrag  nicht  berührt 
worden,  sie  bestand  in  vollem  Umfange  weiter.  Denn  der  Vogt 
war  gehalten,  auf  Grund  seiner  Vogtei  jährlich  drei  Gerichtstage 
an  den  bestimmten  Terminen  im  Hofe  des  Marienstifts  daselbst 
abzuhalten;  an  allen  andern  Gerichtstagen  dagegen  hatte  er  nichts 
anzuordnen  und  kein  Recht').  Die  Niedervogtei  selbst  fiel  am 
7.  Nov.  1486  bei  der  Teilung  des  Nachlasses  der  Elisabeth  von 
Brohl,  der  Witwe  des  Wilhelm  von  Vlatten,  an  Georg  von  der 
Leyen,  Herrn  zu  Olbriick,  und  an  Dietrich  von  Braunsberg. 
Nachdem  aber  sämtliche  Anteile  an  der  Herrschaft  Brohl  bis  1554 
an  den  minderjährigen  Wilhelm  von  Braunsberg  gelangt  waren, 
erscheint  dieser  gemäß  einer  Urkunde  vom  22.  Juni  1558  im 
Besitze  der  Vogtei ’). 

Becheln’),  im  trierischen  Erzbistum  gelegen,  ist  insofern  von 
dieser  letztgenannten  Herrschaft  verschieden,  als  wir  hier  eine 
weltliche  Niedergerichtsherrschaft  bevogtet  finden.  Die  Besitzer 
sind  die  Grafen  von  Nassau;  von  allen  Wetten,  die  „verdedingt“ 
werden,  erhalten  sie  zwei  Teile,  der  Junker  von  Greifenklau  den 
Rest.  Wenn  indes  die  Grafen  auf  ihren  Anteil  verzichten,  dann 
darf  auch  der  Junker  den  ihm  zufallenden  Teil  der  Wetten  nicht 
eintreiben. 

')  § 4.  Item  in  omnibus  aliis  iudiciis  idem  advocatus  nicbil  disponerc 
ncc  quidquam  iuris  habet.  Die  andern  Gerichtstage  hält  der  Verwaltungs- 
beamte  der  Grundherrschaft  wohl  ab:  vgl.  meinen  letzten  Abschnitt. 

*)  Vgl.  W.  Günther,  Codex  diplomaticus  Kheno-Mosellanus.  (5  Udo- 
Koblenz  1822—26)  IV.  Bd.  8.  672  Nr.  368:  „.  . . . Item  die  Vaydic  und 
Gute  mit  iren  Gerechtigkeiten  zu  Kesselheim.“  V.  Bd.  Nr.  56:  S.  322  Nr.  155. 

3)  Grimm,  WeistSmer  I.  Bd.  S.  595.  Das  Weistum  enthält  nur  die 
Hechte  des  Niedervogtes.  Becheln  liegt  unweit  der  Mündung  der  Lahn  in 
den  Rhein,  südlich  von  Ems. 


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27 


Dieser  ist  Niedervogt1);  er  erfragt  das  Weistum  vor  der 
versammelten  Dorfgemeinde;  er  erhillt  die  Fastnachtshühner,  und 
wenn  einer  außerhalb  des  Dorfes  einen  Garten  macht,  so  soll  er 
dem  Junker  ein  Gartenhuhn  geben,  „oder  soll  zehenden  geben 
bussen  des  dorfs  freiheit, ' oder  wie  er  dan  mit  sein  lieb  ge- 
worden kan.“ 

Wenn  ein  Schöffe  ausbleibt  vom  ungebotenen  Ding,  ist  er 
dem  Junker  verfallen  um  20  Pfennige,  und  bleibt  einer  der  Nach- 
barn der  Gemeinde  aus , so  zahlt  er  1 0 Pfennige.  Auf  die  Er- 
nennung der  sieben  Schöffen,  die  zum  Teil  aus  Frücht  stammen  *), 
oder  auf  die  Ergänzung  des  Schöffenkollegs  hat  er  keinen  Einfluß; 
überhaupt  scheint  der  Junker  nur  einen  Dingtag  im  Jahre  zu 
haben,  an  dem  die  Weisung  erfolgte;  „was  er  oder  jemand  in 
seinem  Namen  entscheidet  an  diesem  Tage,  das  sollen  die  Schöffen 
tun.“  Das  betr.  Weistum  läßt  uns  über  so  manches  unklar,  was 
wir  gerne  wissen  möchten,  obwohl  es  recht  weitschweifig  abgefaßt 
ist;  es  wird  nur  noch  genannt  der  Schultheiß  des  Junkers  und 
erwähnt,  daß  die  Schöffen  dem  Junker  und  dem  Schöffenstuhl 
schwören. 

Die  beiden  Niedergerichtsherrschaften,  die  wir  nun  betrachten 
wollen,  erstrecken  sich  nicht  nur  über  ein  Dorf,  sondern  über 
zwei,  die  nicht  weit  von  einander  entfernt  liegen  und  je  einen 
gemeinsamen  Niedergerichtsbezirk  bilden.  Es  sind  dies  die  Dörfer 
Oberhirzenach  und  Karbach  einerseits  und  die  Vogtei  Beulich  und 
Morshausen  andrerseits. 

Hirzenach5)  besteht  aus  den  beiden  durch  den  Lindenbach 
getrennten  Dörfern  Oberhirzenach  und  Niederhirzenach.  Zwischen 
beiden,  in  der  Gemarkung  von  Niederhirzenach,  liegt  die  Propstei 
Hirzenach  der  Abtei  Siegburg,  die  1110  begründet  wurde4). 

*)  Ob  der  Junker  auch  grnndherrlichc  Gerechtsame  hier  besitzt,  ist 
zweifelhaft.  Es  wird  ihm  nämlich  dor  Fronhof  zugewiesen,  wo  das  Gericht 
tagt,  und  dem  Dorfe  die  Pflicht  auferlegt  denselben  in  gutem  Zustande  zu 
erhalten.  Vgl.  Abschnitt  III. 

*)  Frücht  scheint  mit  Becheln  einen  Niedergerichtsbezirk  gebildet  zu 
haben:  die  Verhältnisse  wären  dann  so  wie  in  den  beiden  nun  folgenden 
Niedergerichten.  Frücht  liegt  4 km.  nördlich  von  Becheln. 

5)  Lörsch,  Weistftincr  Nr.  33.  Einleitung:  ferner  Nr.  34. 

*)  Vgl.  Mittelrhcinischcs  Urkundenbuch  II.  Bd.  S.  CLXXVII:  Hirzenach. 


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28 


Erloph  von  Stomberj?  nämlich,  ein  Ministeriale  Kaiser  Hein- 
richs IV.,  übergab  letzterem  sein  Allod  Hirtzenauwe,  und  der  Kaiser 
schenkte  es  auf  die  Kitte  des  Erzbischofs  Friedrich  von  Köln  der 
Benediktinerabtei  Siegburg  zur  Gründung  eines  Klosters,  die  Abt 
Kuno  in  dem  erwähnten  Jahre  vollführte.  Dotiert  wurde  die  neu 
gegründete  Propstei  mit  den  beiden  Dörfern  Hirzenach  und  zwei 
anderen  Dörfern,  die  vermutlich  gleichfalls  zum  Aliud  Erlophs 
gehört  hatten. 

Mit  Oberhirzenach  nämlich  war  der  Ort  Karbach,  zu  dem 
der  Hof  Quintinach  zugeschlagen  war,  mit  Niederhirzenach  der 
Ort  Kheinbay  verbunden.  Es  bildeten  Oberhirzenach  und  Karbach, 
ebenso  Niederhirzenacli  und  Rheinbay ')  einen  Niedergerichtsbezirk. 

Die  Schirmvogtei  *)  über  die  Vogtei  war  uisprünglich  dem 
Reiche  Vorbehalten.  Schon  um  die  Mitte  des  13.  Jahrhunderts 
ist  sie  indes  von  der  Abtei  Siegburg,  da  ihr  die  Ausübung  der 
vogteilichen  Rechte  und  Geschäfte  zugestanden  worden  war,  geteilt 
und  als  Lehen  vergeben  worden,  und  zwar  die  über  Oberhirzenach 
und  Karbach  an  die  Pfalzgrafen  als  Inhaber  der  ihnen  vom  Erz- 
stift Trier  zu  Lehen  gegebenen  Ehrenburg,  die  über  Niederhirzenach 
und  Rheinbay  an  die  Rheingrafen;  diese  kam  nach  mannigfaltigem 
Wechsel  mit  der  durch  Erzbischof  Balduin  1320  erworbenen  Veste 
Stemberg  als  deren  Zubehör  an  das  Erzstilt  Trier. 

Die  Niedervogtei  über  Oberhirzenach  und  Karbach3)  blieb 

')  Bis  vor  etwa  50  Jahren  bildeten  — diese  Angabe  verdanke  ich  dem 
jetzigen  Ortsvorstehcr  von  Niederhirzenacli,  der  mir  eine  dahingehende  An- 
frage bereitwilligst  beantwortete  — Niederhirzenacli  und  kheinbay  eine 
gemeinsame  Dorfgemeinde:  also  erst  in  jüngster  Zeit  ist  die  Trennung  der 
beiden  Ortschaften  durchgeführt  worden.  Es  kann  dies  ein  weiterer  Beweis 
dafür  sein,  daß  die  Dorfgemeinde  erst  im  späteren  Mittelalter  im  Anschluß 
an  die  Entwicklung  der  Stadt  — daher  auch  die  gleiche  Bezeichnung  der 
Behörden  — sich  gebildet  hat  und  zwar  unter  dem  Niedergericht,  dessen 
Competenz  sich  indes  auch  über  die  Dorfverwaltung  orstreckte. 

’)  Vgl.  Pani  Wagner,  Die  Entwicklung  der  Vogteiverhältnissc  in  der 
Siegburger  l’ropstoi  zu  Hirzenach.  Annalen  des  histor.  Vereins  für  den 
Niederrhein  LX1I,  35.  Hirzenach  liegt  am  Mittelrhein,  etwa  in  der  Mitte 
zwischen  Boppard  und  St.  (ioar. 

3)  Nur  dieser  Bezirk  soll  hier  untersneht  werden.  Das  Weistum  von 
Niederhirzenacli  von  143f>  ist  aufgenummen  nach  einer  Abschrift  aus  dem 
17.  Jh.,  und  zwar  ist  es  teilweise  verfälscht,  trotz  der  gegenteiligen  Be- 
hauptung von  Lörsch. 


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29 


Zubehör  der  von  Kurpfalz  lehnrührigen  Herrschaft  Ehrenberg. 
„AVer  den  obersten  Stein  zu  Ehrenberg  inne  hat,  hat  jährlich 
zwei  Dingtage  des  genannten  Gerichts  der  Vogtei  wegen“  heißt 
es  darum  im  AVeistum  v.  J.  14521). 

Dieses  Weistum,  auf  das  wir  näher  eingehen  müssen,  enthält 
hauptsächlich  die  Gerechtsame  der  Propstei  Hirzenach.  Die  Rechte 
des  Niedervogts  werden  nur  insoweit  angemerkt,  als  sie  die  der 
Herrschaft  berühren  oder  mit  ihnen  konkurrieren.  Der  Hergang 
bei  der  Erfragung  des  Weistums  ist  dafür  bezeichnend*);  es  sind 
anwesend  der  Propst  von  Hirzenach,  der  Untervogt  und  die  sieben 
Schöffen  des  gen.  Gerichts. 

Der  Propst  läßt  zunächst  durch  seinen  Schultheiß  um  einen 
Vorsprecher  bitten,  ihm  und  seinem  Gotteshause  einige  Fragen  zu 
beantworten,  was  der  Untervogt  gewährt.  Als  „verspreche“  wird 
daraufhin  einer  der  Gerichtsschöffen  bestimmt,  und  dieser  fordert 
den  Untervogt  auf,  des  Propstes  und  des  Gotteshauses  wegen  an 
die  Schöffen  verschiedene  Fragen  zu  richten.  Der  Untervogt  legt 
dann  immer  die  betr.  Frage  den  Schöffen  vor,  worauf  sich  diese 
kurze  Zeit  beraten  und  sie  dann  durch  einen  Mitschöffen  beant- 
worten lassen.  Der  Schultheiß  des  Propstes  hat  demnach  bei  der 
AA’eisung  eine  ganz  untergeordnete  Rolle;  dagegen  ist  der  Unter- 
vogt auch  dabei  der  Vorsitzende. 

Nach  der  Weisung  der  Schöffen  nun 3)  linden  in  jedem  Jahre 
in  dem  gen.  Gericht  drei  ungebotene  weisliche  Dingtage  statt, 
und  zwar  werden  zwei  Dingtage  dem  zugewiesen,  der  den  „obersten 
Stein  von  Ehrenberg“  inne  hat;  der  dritte  steht  dem  Propste  zu. 

Der  Untervogt  (faid)4),  der  bereits  mehrere  Male  erwähnt 
wurde,  ist  dem  Propste  und  dem  Gotteshause  zu  Hirzenach  eben- 
sowohl mit  Eid  und  Huhl  verbunden  wie  den  Niedervögten  (gleich- 
falls „faiden“)  von  Ehrenberg,  einem  jeden  nach  seinem  Rechte. 


■)  Lörsch,  Weistümer  Nr.  34  § 3. 

J)  Ebenda.  Eingangs  des  Weistums  und  § 1. 

*)  Ebenda.  § 3. 

4)  | 5.  Die  gleiche  Benennung  des  Beamten  und  des  eigentlichen  In- 
habers der  Gerechtsame  (faid),  auf  die  ich  hier  stieß,  war  für  mich  der 
hauptsächlichste  Grund,  die  Bezeichnungen  Nieilcrvngt  und  Niedervogtei 
anzuwendon:  gleichzeitig  war  die  Untorschcidung  vom  Vogt  des  Hochgerichts 
mit  bestimmend. 


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30 


Der  Untervogt  ist  Vorsitzender  im  Niedergericht,  denn  es  wird 
von  ihm  ausdrücklich  gesagt,  daß  er  das  Gericht  von  Hirzenach 
besitzt'),  aucli  an  dem  Dingtag,  an  dem  der  Propst  Gerichts- 
herr ist. 

Über  die  Ergänzung  des  Sehöffenkollegs  und  die  Einsetzung 
der  Schöffen  erfahren  wir  nichts;  bei  der  Weisung  sind  sieben 
zugegen.  Auch  von  den  Bezügen  aus  der  Niedervogtei  wird  nicht 
gehandelt,  weil  eben  nur  die  Rechte  des  Propstes  gewiesen  werden 
und  dieser  keinen  Anteil  daran  hatte. 

Dagegen  wird  aufgezeichnet:  „Dar  off  liant  die  scheffen  ob- 
genant gewijst  eime  proibste  zu  Herzenauwe  und  dem  gotzhuse 
daselbs  zu  die  erste  kure  aller  besten  heubt  in  dem  egenanten 
gereichte,  nach  dem  ein  proibst  zu  Herzenauwe  sij  ein  rechter 
grunthere  desselben  gereicht«  s).“  Denn  dem  Propst  und  seinem 
Gotteshause  wird  „das  Eigentum  des  Gerichts“  zugewiesen,  Propst 
und  Gotteshaus  werden  für  einen  Grundherrn  und  für  den  „Geber 
der  Wälder“  des  genannten  Gerichts  erklärt. 

Nun  wird  auch  die  Stellung  des  Schultheißen  klar;  er  ist 
Wirtschafts-  und  Verwaltungsbeamter  der  Grundherrschaft,  der 
mit  der  niederen  Rechtspflege  nichts  zu  schaffen  hat.  Er  hat  nur 
dann  im  Niedergericht,  bei  Weisungen  usw.,  zu  tun,  wenn  er  als 
Vertreter  des  Propstes  bestellt  wird 5). 

Mit  der  Vogtei  von  Beulich  und  Morshausen  liegt  es  ganz 
ähnlich4).  Sie  ist  seit  1255  im  Besitze  des  Johann  von  Waldeck, 
dessen  Burg  sich  etwa  4 km  südlich  von  Beulich  befand.  Im 
14.  Jahrhundert  war  sie  Lehen  der  Herrschaft  Kobern,  gelangte 
mit  dieser  an  die  Grafen  von  Sayn,  und  als  letztere  i.  J.  1347 
die  Herrschaft  an  den  Erzbischof  Balduin,  diesen  ständigen  Mehrer 


ein  ietliche  fait,  der  dan  zu  zijden  besiegen  ist  das  ob- 
gcBchriben  gerächte  zu  Herccnauwe  . . . .“ 

*)  § 7 und  das  folgende:  § 1. 

3)  Eingangs  des  Weistums  und  § 9.  Dem  Propste  wird  gewiesen  (§  7): 
„ ....  die  erste  kure  aller  besten  heubt  . . . .,  nach  dem  ein  proibst  . . . 
sij  ein  rechter  grunthere  . . . .“  Also  wieder  das  Resthauptrecht  ein  Aus- 
lluU  der  Grundherrschaft.  Vgl.  Abschnitt  III. 

4)  Lörsch.  Wcistümer  Nr.  18.  bes.  die  Einleitung  zum  Weistum.  Ras 
Weistum  ist  undatiert.  Es  ist  kein  eigentliches  Weistum,  sondern  nur  eine 
auf  Grund  eines  Weistums  von  einem  kurfürstlichen  Kellner  angefertigte 
Aufzeichnung  über  die  Leistungen  der  Uevogteten  von  Reulich  und  Mors- 


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31 


trierischer  Macht,  verkauften,  kam  sie  an  das  Erzstift  Trier.  Be- 
lehnt blieben  mit  der  Vogtei  die  Herren  von  Waldeck. 

Nach  dem  Tode  Simons  von  Waldeck  1370  nahm  plötzlich 
wieder  der  Graf  Johann  von  Sayn  die  Lehnsherrschaft  in  Anspruch: 
aber  der  Erzbischof  behauptete  sein  wohlerworbenes  Recht  und 
belehnte  mit  der  Niedervogtei  als  einem  Mannlehen  am  5.  Juni 
1385  den  Emmerich  von  Waldeck,  nachdem  der  Graf  von  Sayn 
nach  einem  längeren  Streit  auf  jedes  Anrecht  darauf  verzichtet 
hatte'). 

Im  15.  Jahrhundert  ist  dann  das  Lehen  geteilt  worden;  1467 
besaß  Johann  Boos  von  Waldeck  ein  Sechstel  der  Vogtei  und  noch 
ein  Fünftel,  das  vor  ihm  die  Familie  Eich  inne  gehabt  hatte. 
Mit  diesen  beiden  Anteilen  blieb  die  Familie  Boos  von  Waldeck 
bis  1787  belehnt,  während  die  andern  Teile  anscheinend  nicht 
weiter  verliehen  wurden,  sondern  in  der  Hand  des  Kurfürsten  von 
Trier  blieben. 

Also  die  Herren  von  Waldeck,  und  seit  der  Mitte  des 
15.  Jahrhundert  noch  einige  andere  Familien,  die  man  unter  dem 
gemeinsamen  Namen  Lehn-  oder  Vogtherren  *)  zusammen  faßte, 
wurden  vom  Erzbischof  von  Trier  mit  der  Niedervogtei  Beulich- 
Morshausen  belehnt.  Wie  gestalteten  sich  bei  dieser  Lage  die 
Verhältnisse  des  eigentlichen  Niedergerichts8)? 

Es  haben  am  Mittwoch  nach  St.  Marxtag ')  drei  gebanne 
Tage  statt  und  ebenso  am  Mittwoch  nach  St.  Paul  drei  gebanne 

hausen  an  den  Kurfürsten  und  an  die  von  ihn)  mit  einem  Anteil  an  der 
Vogtei  belehnten  Herren  von  Waldeck.  L>as  Feuerstättenbuch  des  Kurfürsten- 
tums Trier  von  1563  führt  die  Leistungen  ebenso  auf,  das  Weistum  ist  also 
älter,  vermutlich  noch  aus  d.  15.  Jalirh.  Die  beiden  Orte  liegen  im  Kreise 
St  Goar;  sie  gehörten  zum  Gallscheider  Hocligoricht. 

')  Vgl.  Codex  diplom.  Kheno  - Mos.  III.  Bd.  S.  499  Nr.  341;  S.  742 
Nr.  521:  * ....  die  Vadyen  von  Bulychc  und  von  Moyrshausen“  (1370); 
S.  834  Nr.  589:  „.  . . . bebcltliche  yme  (Trier)  doch  der  obersten  Herschafft 
und  des  Hocngerichts  derselben  Dorffcre  und  siner  Hoebe  und  Gute  daselbes, 
die  nyt  zu  derselben  Vodycn  gehorent  und  waz  Besserung  von 

den  geuellct,  die  sal  halb  myns  Herren  von  Triere  . . . und  halb  myn  sin, 
beheltnisse  doch  myme  vurgen.  Herre  und  simc  Stifftc  des  Hocngerichts 
und  Busen,  die  Lyff  und  Gut  antreffent,  und  was  dazu  gehocrct,  darane  ich 
keyn  Recht  han  oder  haben  sal.“  (1381.) 

*)  Lörsch,  Weistüincr  Nr.  18  § 1.  *)  Ebenda,  die  §§  1 — 3. 

4)  St  Marxtag  ist  der  25.  April;  St  Paul  wohl  der  25.  Januar. 


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32 


Tage;  also  das  Gericht  tagt  zweimal  jährlich  und  zwar  immer 
drei  Tage. 

Den  Vorsitz  führen  zwei  Untervögte;  es  hat  nämlich  der 
gnädige  Herr  von  Trier  einen  Untervogt  (vaigt)  und  die  Lohn- 
herren haben  ebenfalls  einen.  Der  Untervogt  des  Kurfürsten 
schweigt  und  der  der  Vogtherren  dingt;  was  er  dingt,  soll  dann 
des  gnädigen  Herrn  Vogt  richten,  „und  sollen  doch  beide  bei 
einander  sein.“ 

Über  Schöffen,  ihre  Zahl  und  ihre  Ernennung  erfahren  wir 
nichts;  es  mag  vielleicht  in  einem  älteren  Weistum  darüber  be- 
stimmt gewesen  sein;  in  dem  uns  vorliegenden  Auszug  ist  nichts 
darüber  enthalten. 

In  Schwanheim ')  ist  der  rechte  Grundherr  das  Kloster  anf 
dem  St.  Jakobsberge  bei  Mainz,  denn  bei  der  Weisung  der  „rechte, 
lryheide  und  herlickeide,  die  ein  apt  und  ein  convent  des  cloisters 
nff  sant  Jacobsberg  by  Mentze  als  ein  rechter  gnindhcrr,  und  die 
stnit  Franckfort  als  eyn  foyt  hont  fallende  in  dorffe,  gerichte  und 
marcken  in  Sweynheim“,  wird  ersterem,  eben  als  dem  rechten 
Grundherrn,  Wald,  Wasser  und  Weide  zu  rechtem  Eigentum  zu- 
gewiesen; wer  zu  Schwanheim  etwas  besitzt,  der  besitzt  es  zu 
rechtlichem  Erbe  von  ihm. 

Die  Niedervogtei  hat  die  Stadt  Frankfurt  inne;  die  ganze 
Einwirkung  der  Herrschaft,  in  unserem  Falle  also  des  Abtes  von 
St.  Jakobsberg,  auf  die  Niedergerichtsbarkeit  besteht  darin,  da  Li 
ihm  der  Untervogt  der  Stadt  Frankfurt,  der  „underfaut  des  ubriston 
faute“,  ebenfalls  nach  seinem  Rechte  nnd  Herkommen  schwören 
soll,  nnd  (lall  er  von  den  Gerichtsgeldern  ebensoviel  erhält  wie 
der  Inhaber  der  Vogtei,  nämlich  von  jedem  Pfund  elf  Schillinge. 

Der  Untervogt  soll  alle  Gebote  und  Verbote,  die  der  Schult- 
heiß erläßt,  — natürlich  als  Wirtschaftsbeamter  wie  in  Kessel- 
heim  — ausführen  helfen.  Fenier  hat  der  Untervogt  (faut)  drei 
ungebotene  Dinge  im  Jahre  abzuhalten,  das  erste  im  Mai,  das 
zweite  im  Herbst  und  das  dritte  zu  Neujahr.  Was  an  Frevel 
und  Rußen  fällt,  wird  geteilt  zwischen  Abt,  Niedervogt  und  der 
Dorfgemeinde. 

')  Grimm,  Weistümcr  Bd.  I.  S.  521.  Schwauheün.  früher  Swcinheim, 
auf  dem  linken  t'fer  des  Mains,  Höchst  gegenüber.  Das  Weistum  ist  er- 
fragt im  Iuturessc  der  Grundherrschaft. 


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33 


Ähnlich  liegen  die  Verhältnisse  in  Odisheim1).  Hier  ist  der 
Grundherr  ebenfalls  das  Kloster  auf  dem  St.  Jakobsberg  bei  Mainz. 
Mit  der  Gerichtsbarkeit,  und  zwar  mit  der  Hlutgeriehtsbarkeit  ist 
vom  Abte  des  gen.  Klosters  der  Junker  von  Isenburg  belehnt. 
Dieser  setzt  einen  „fautli“  ein,  der  in  seinem  Namen  jährlich  drei 
ungebotene  Dinge  halten  soll.  An  jedem  dieser  Dinge  darf  der 
Junker  da  sein  „mit  innglichem  gesyndt“,  „unnd  was  zu  dene 
drye  ungebode  dingenn  verzirt  wirdt,  do  soll  ane  gebenn  wydwenn 
unnd  weysen,  unnd  wer  inne  pflicht  ist.“ 

Dagegen  hat  der  Abt  einzusetzen  den  Schultheiß,  der  das 
Gericht  alle  vierzehn  Tage  abzuhalten  hat,  das  dem  Abte  zusteht. 
Der  Schultheiß  hat,  wie  es  heißt,  „das  vierziengen  dage  gericht“ 
zu  Gensheim  *).  Ursprünglich  liatte  der  Schultheiß  wohl  nur  dem 
Abte  zu  schwüren,  wenigstens  findet  sich  in  dem  Weistum  von 
1455  keine  Erwähnung,  daß  er  auch  dem  Vogte  hätte  schwören 
müssen.  Dagegen  ist  er  nach  einem  späteren  Weistum’)  ver- 
pflichtet, „als  der  gekoren  schultheiszen  zu  geloben  und  zu 
schweren,  zum  ersten  unserm  herrn  dem  apt  und  dem  konvent 
zu  s.  Jacob  und  darnach  dem  voigte  und  der  gemeine,  iglichem 
zu  seinen  rechten.“ 

In  Eich4)  hat  das  Stift  St.  Paul  zu  Worms  die  Gerichts- 
herrschaft, und  zwar  auch  die  hohe.  Die  Vogtei  über  Eich  besitzt 
Hermann  von  Hohenfels;  sie  erstreckt  sich  über  die  ganze  Gerichts- 
herrschaft, hohe  und  niedere;  der  Herr  von  Hohenfels,  der  von 
den  Pöngeldern,  den  „Freveln“  einen  oder  zwei  Teile  erhält,  soll 
dreimal  alle  Jahre  auch  das  Niedergericht  besitzen  oder  durch 


')  Gensheim  oder  Geinsheim,  am  rechten  Ufer  des  Kheins  gelegen, 
gegenüber  Oppenheim.  Grimm,  Weiätümcr  Bd.  I.  S.  490  u.  Bd.  V.  S.  239. 
Es  scheint,  daß  Gensheim  sich  aus  einem  Niedergericht  zu  einem  Hochgericht 
entwickelt  hat:  auf  Grund  der  Weist  ümer  allein  läßt  sich  indes  diese  Ent- 
wicklung nicht  verfolgen. 

*)  Oder:  Vierzigtage-Gcricht,  also  Gericht  alle  sechs  Wochen. 

Siche  IV.  Abschnitt:  Tagung. 

5)  Das  Weistum  ist  undatiert,  vermutlich  aus  dem  XVI.  Jahrh. 

4)  Grimm,  Weistümcr  Bd.  I,  S.  808:  Über  den  Fischzehnten  zu  Eich. 
Ferner  Bd.  IV.  S.  628  bes.  die  §§  5,  6,  9 und  11.  Eich  liegt  am  Khein 
zwischen  Worms  und  Oppenheim,  etwa  Gernsheim  gegenüber,  und  gehörte 
zum  Wormser  Sprengel.  Das  Weistum  ist  im  Interesse  der  Gerichtsherrschaft 
erfragt  und  enthält  hauptsächlich  deren  Hechte. 

Grosch,  Niedergerlclit  3 


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34 


seinen  Untervogt  abhalten  lassen.  Wenn  der  Sehultheiß  der 
Herrschaft,  der  das  Recht  hat,  mit  dem  Untervogt  zu  Gericht  zu 
sitzen,  von  seinem  Rechte  Gebrauch  macht,  so  teilen  die  beiden 
die  „Wetten“,  die  gerade  fallen,  unter  sich.  Tut  er  es  nicht, 
so  behält  sie  der  Untervogt  allein. 

Der  Schultheiß,  „den“,  wie  das  Weistum  vermerkt,  „dieselben 
Herren  da  zu  Dorfe  haben“,  darf  täglich  Gericht  daselbst  haben 
und  besitzen  ihretwegen;  er  soll  einem  jeden,  der  es  fordert  und 
begehrt,  sein  Recht  werden  lassen.  Wenn  der  Untervogt  an  diesen 
gebotenen  Gerichtstagen  nicht  teilnimmt,  so  braucht  der  Schultheiß 
nicht  mit  ihm  die  Gerichtsgelder  zu  teilen;  dagegen  muß  der 
Vogt  oder  sein  Untervogt  dem  Schultheißen  beistehen,  wenn  er 
in  der  Ausübung  seines  Amtes  auf  Widerstand  stößt. 

Der  Schultheiß  ist  von  der  Herrschaft  ferner  über  das  Dorf 
gesetzt;  er  hat  „alle  eynunge  zu  machen  und  zu  setzen  und  nit 
ein  faudt“;  aber,  wie  eben  bemerkt,  er  ist  von  der  Herrschaft 
dazu  bestellt  und  nicht  etwa  von  der  Dorfgemeinde  zum  Vor- 
steher oder  dergl.  erwählt. 

In  Trimbs1)  hat  der  üurggraf  von  Reineck  alle  Jahre  drei 
Vogtgedinge  (vaitgedinge)  abzuhalten  und  zwar  in  dem  Hof  der 
Frauen  von  Kaufungen.  Dafür  erhält  er  die  vorgeschriebenen 
Dienste;  doch  wenn  er  zu  einem  Geding  nicht  kommt,  so  hat 
ihm  der  Schultheiß  an  Stelle  der  ausfallenden  Dienste  drei  Mark 
kölnischer  Währung  zu  geben. 

Burgschwalbach5)  ist  eine  weltliche  Herrschaft,  denn  Eigentum 
und  Grund  des  Dorfes  und  Gerichtes  mit  allem  Zubehör  hat  die 
Herrschaft  Königstein  geerbt  von  der  Herrschaft  Falkenstein;  es 
ist  1453  im  Besitze  Eberhards  von  Eppenstein,  des  Herrn  vom 
Königstein. 

Die  Vogtei  ist  im  Besitze  des  Junkers  Bernhard  von 
Schwalbach;  die  Vögte  von  Sehwalbach  — also  ähnlich  wie  die 


*)  Grimm',  Weistnrner  Bä.  II,  S.  470.  Das  Dorf  Hegt  an  der  Nette, 
Östlich  von  Mayen. 

*)  Grimm,  Weist  firner  Bd.  I,  S.  591.  Wo  Schwalbach  liegt,  ist  nicht 
ganz  gewiß;  vielleicht  ist  cs  das  zwischen  Dörsdorf  und  Kirberg  gelegene, 
oder  noch  wahrscheinlicher  das  Schwalbach  zwischen  Künigstcin  und  Höchst, 
bei  Soden  und  Sulzbach. 


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Vögte  von  Rübenach')  — sind  schon  seit  alters  mit  derselben 
belehnt,  und  so  ist  der  Junker  „ein  geborener  Vogt“  des  Dorfes; 
aber  nur  zu  drei  Teilen.  Den  vierten  Teil  nämlich  besitzt  der 
Niedergerichtsherr,  der  Herr  vom  Königstein,  da  er  denselben 
dem  „fayd“  abgekauft  hat. 

Das  Gericht  selbst  ist  besetzt  mit  einem  Schultheißen  und 
sieben  Schöffen;  es  wird  gehegt  des  Herrn  von  Königstein  und 
der  Vögte  von  Schwalbach  wegen  und  aller  derjenigen  wegen,  die 
Recht  und  Macht  daselbst  haben.  Dieser  Ausdruck  läßt  ver- 
muten, daß  ursprünglich  mehrere  Herrschaften  zu  Schwalbach 
saßen;  aber  erwähnt  wird  1453  außer  der  Königsteiner  keine 
andere  mehr,  nicht  einmal  eine  Grundherrschaft.  Soviel  ist  sicher, 
daß  mit  der  Niedergerichtsbarkeit  nur  der  Niedervogt  zu  tun  hat, 
dem  deshalb  die  Schöffen  schwören  müssen,  „getruwe  und  holt 
zu  sin,  sinen  schaden  zu  warnen,  als  ferre  sie  macht  und  cratft 
trüge“. 

Das  Dorf  Planich  endlich2)  ist  ein  Beispiel  dafür,  daß  der 
Niedervogt  geradezu  die  volle  Niedergerichtsherrschaft  erlangen 
konnte.  In  diesem  Dorfe  hat  die  Herrschaft  das  Domstift  zn 
Mainz;  in  seiner  Grundherrschaft  schon  ist  es  eingeschränkt, 
denn  es  bezieht  das  Kloster  auf  dem  St.  Jakobsberg  bei  Mainz 
daraus  den  Zehnten  und  die  Kirchsatzungen;  mit  der  Nieder- 
gerichtsherrschaft hat  es  fast  gar  nichts  mehr  zu  tun,  diese  übt 
in  vollem  Umfange  die  Herrschaft  Löwenstein  als  Inhaberin  der 
Niedervogtei. 

Aus  dieser  Lage  der  Dinge  ist  es  zu  erklären,  daß  alle  drei 
Herrschaften  als  „unsere  lieben  gnädigen  Herren“  bezeichnet 
werden,  daß  jeder  neugesetzte  Schöffe  erst  dem  Domstift  zu  Mainz, 
dann  dem  Abt  des  Klosters  zu  St.  Jakobsberg  und  schließlich 
den  Edelherren  von  Löwenstein  schwören  soll.  Auch  das  Kloster 

')  Vgl.  dazu  I.örseh,  Weistümcr  Nr.  87— 89.  Nachtrag  105  und  106 
Das  älteste  Weistum  stammt  aus  d.  J.  1519  und  ist  recht  dürftig;  ich 
verweise  darum  hauptsächlich  auf  die  Einleitung  zum  Weist.  Nr.  87.  Die 
Herrschaft  hat  in  Itübenach  die  Abtei  St.  Mazinim  zn  Trier;  die  Niedor- 
vegtei  war  im  13.  Jh.  im  Besitze  eines  Geschlechtes,  das  sich  nach  derselben 
„Vögte  von  Itübenach-  nannte.  Zu  Anfang  des  14.  Jahrhs.  starb  dieses 
Geschlecht  aus.  Itübenach  gehört  zur  Bergpflege. 

*)  Grimm,  Weistümer  Bd.  I,  S.  810.  Planich  (ehemals  Blenich)  liegt 
am  rechten  Ufer  der  Nahe,  unweit  Kreuznach. 

3* 


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auf  dem  St.  Jakobsberg  hat  demnach  für  seine  Bezüge  grunrl- 
herrliches  Recht,  was  besonders  dadurcli  zum  Ausdruck  kommt, 
daß  es  dem  Niedervogt  alle  Jahre  ein  Binger  Fuder  Weines  zu 
entrichten  hat. 

Es  könnte  auffallen,  daß  der  Niedervogt  erst  an  dritter  Stelle 
genannt  wird;  man  ist  versucht,  daraus  den  Schluß  zu  ziehen, 
daß  seine  Herrschaft  unbedeutender  sei,  als  die  der  beiden  anderen. 
Aber  es  scheint,  daß  ihm  die  dritte  Stelle  nur  deshalb  angewiesen 
ward,  weil  er  ein  Ritter  ist,  und  daß  die  anderen  Herrschaften 
vor  ihm  rangieren,  weil  sie  als  geistliche  Herrschaften  auch 
sonst  über  ihm  standen.  Seine  Gerechtsame  sind  weitaus  wichtiger 
als  die  des  Klosters  St.  Jakobsberg,  und  das  Domstift  Mainz 
steht  auch  hinter  ihm  zurück.  Der  Umstand,  daß  die  Schöffen 
ebenfalls  der  Grundherrschaft  den  Treueid  leisten  müssen,  ist  so  zu 
erklären,  daß  sie  als  Grunduntertanen  für  die  Grundherrschaft 
Obliegenheiten  zu  erfüllen  haben1). 

Der  Niedervogt  ist  ganz  uneingeschränkt;  er  hat  die  vollen 
Bezüge  aus  der  Niedervogtei,  ferner  „wer  da  sesse  jar  und  tag 
ane  nachfolgende  herren,  den  mochten  die  vorg.  herren  von  Lewen- 
stein  beluden  und  in  eren  eid  dun“;  die  zwei  ungebotenen  Ding- 
tage besitzt  in  ihrem  Namen  ihr  Amtmann;  kurz  „die  Herren 
von  Löwenstein  sind  Herren  und  Richter5)  zu  Planicli  über  Feld 
und  im  Dorfe,  soweit  die  Mark  geht  und  die  Schöffen  und  das 
Gericht  weisen,  Kirche  und  Witwen  ausgenommen.“ 

Man  sieht  daraus,  daß  hier  Niedervogtei  einfach  gleich- 
bedeutend mit  Gerichtsherrschaft  ist;  die  Niedervögte  haben  darum 
ganz  andere  Gerechtsame  als  das  Kloster  von  St.  Jakobsberg  und 
das  Domstift3). 

wan  daz  ir  Schultheiß  kommet  ....  und  vnrdert  ire  zinse, 
so  sullent  die  schetteu  und  der  budcl  zu  Bienchen  emo  also  gehorsam  sin 

zu  dren  verzcnnachten “ Der  Schultheiß  wiederum  der  ltcamte 

(Wirtschafte-  und  Vcrwaltaugsbeamtcr)  der  Grundherrschaft. 

J)  Von  Blutgerichtsbarkeit  ist  nicht  die  Kode,  es  ist  N iedorgerichtsbarkeit. 

3)  G.  Seeliger  (a.  a.  0.,  S.  120)  bemerkt:  .Auch  die  Immunität,  die 
am  Grundbesitz  haftet,  hat  öffentlichen  Charakter,  sie  schuf  nicht  Befugnisse 
kraft  privaten  Hechts.“  Die  daraus  abgeleitete  Gerichtsherrschaft  hat  darum 
auch  öffentlichen  Charakter,  ist  also  eine  stärkere  Gewalt  als  die  Grund* 
herrschaft,  die  immer  auf  privatrechtliehor  Grundlage  ruht.  Vgl.  ebda. 
S.  198  f. 


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Bisher  haben  wir  Niedergerichte  behandelt,  bei  denen  die 
Herrschaft  sich  über  den  ganzen  Bezirk  erstreckte;  sie  schieden 
sich  in  zwei  Gruppen:  bei  der  einen  war  keine  Zwischengewalt 
zwischen  Herrschaft  und  Untertanen  vorhanden,  bei  der  anderen 
schob  sich  zwischen  die  Herrschaft  und  Untertanen  eine  besondere 
Gewalt  ein:  der  Niedervogt  Damit  ist  aber  noch  nicht  alles 
gesagt,  was  sich  über  die  Vielgestaltigkeit  der  Niedergerichte 
bemerken  lallt,  im  Gegenteil,  die  Mannigfaltigkeit  beginnt  erst  jetzt. 

Um  uns  nicht  die  Untersuchung  zu  erschweren,  müssen  wir, 
unseren  späteren  Erörterungen  vorausgreifend,  gleich  hier  einige 
Bemerkungen  eintlechten,  die  uns  über  weitere  Besonderheiten 
orientieren  sollen. 

Es  kam  vor,  dall  im  selben  Dorfe  nicht  nur  eine,  sondern 
mehrere  voll  ausgebildete  Grundherrschaften  saßen;  von  ihnen 
hatte  aber  nicht  jede  die  Niedergerichtsbarkeit  über  die  eigenen 
Besitzungen  und  Grunduntertanen,  sondern  der  einen  von  ihnen 
war  es  gelungen,  die  Niedergerichtsherrschaft  über  das  ganze 
Dorf  zu  erwerben.  Am  ehesten  konnte  dies  geschehen,  wenn  eine 
weltliche  und  eine  oder  mehrere  geistliche  Grundherrschaften  in 
einem  Dorfe  begütert  waren;  dann  lag  es  für  die  geistlichen 
Herrschaften  nahe,  der  weltlichen  die  Niedervogtei  einzuräumen, 
und  auf  Grund  dieser  konnte  dann  die  weltliche  ihre  Befugnisse 
zur  vollen  Niedergerichtsherrschaft  ausdehnen. 

So  ist  es  in  Metternich1);  hier  finden  sich  folgende  Grund- 
herrschaften: Es  haben  die  Herren  von  Isenburg,  der  Abt  von 
Marienstadt  und  der  Abt  von  Himmerode  je  einen  Dinghof  daselbst 
mit  Gütern  und  Zinsen-,  desgleichen  haben  der  Abt  von  Sayn 
und  der  Abt  von  Rommersdorf  einen  Hof  daselbst*). 

Die  Niedergerichtsherrschaft  über  das  ganze  Dorf  hat  aber 
der  Herr  von  Isenburg,  denn  ihm  steht  es  zu,  daß  kein  Amt 


l)  In  der  Bergpllege.  Lörsch,  Weistümer  Nr.  101  — 104.  Das  Weistum 
v.  J.  1401  (Nr.  101)  scheint  deshalb  von  dem  Junker  üerlach  von  Isenburg 
erfragt  worden  zu  sein,  weil  dieser  nicht  mehr  wußte,  was  ihm  für  Gerecht- 
same in  Metternich  zustandeu.  Seit  zwei  Menschenaltern  etwa  hatten  die 
Herren  von  Isenburg  ihr  Recht  nicht  mehr  ausgeübt,  und  so  sind  1491  diu 
Leute  von  Mettornich  über  manches  iin  Zweifel.  Wir  müssen,  da  kein  älteres 
Weisturn  vorliegt,  uns  an  das  v.  J.  1491  halten.  Vgl.  bes.  die  §§  1 — 4. 

*)  Lörsch,  Weistümer  Nr.  102  § 2 und  § 10. 


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daselbst  angesetzt  oder  befohlen  wird  ohne  seinen  Willen;  die 
vierzehn  Schöllen  des  Niedergerichts  haben  die  Herren  von  Isenburg 
in  fröherer  Zeit  wohl  allein  vereidigt  oder  auf  iliren  Hof  ver- 
eidigen lassen,  und  zur  Erfragung  des  Weistums  von  1491,  ja 
sogar  noch  15(53  wird  die  ganze  Gemeinde  von  ihnen  zusammen- 
berufen und  „vergadert“,  nicht  nur  ihre  Grunduntertanen '). 

Allerdings  scheinen  die  Herren  von  Isenburg  wie  vor  1491 
so  auch  nachher  ihre  Pllichten  nicht  erfüllt  und  ihre  Gerechtsame 
nicht  wahrgenommen  zu  haben.  So  linden  wir  denn,  daß  1563 
der  Kurfürst  von  Trier  — als  Landesherr  und  als  Herr  der  Herg- 
pflege,  denn  besondere  Gerechtsame  hat  er  vordem  in  Metternich 
nicht  gehabt  — die  Niedergerichtsherrschaft  über  das  Dorf  erlangt 
hat.  „Metternich“,  heißt  es  jetzt,  „daß  dorf  mit  sambt  seinem 
bezirk,  auch  allen  inwoneren,  ess  sien  anderer  hem  eigenleut  ader 
nit,  gehören  einem  erzstift  und  dissem  churfurst  zu  Trier  mit 
der  hocheit,  gruntgerechtikeit,  mit  gepot,  verpot  und  schütz,  on 
allen  mittel  allein  zus).“ 

Die  Herren  von  Isenburg  dagegen  haben  nur  noch  die 
Gerechtsame,  wie  sie  die  andern  Grundherrscliaften  des  Dorfes 
auch  besitzen3). 

Genau  so  liegen  die  Verhältnisse  in  Piesport3).  Hier  linden 
die  Schöffen  drei  Grundherren,  und  zwar  ist  die  vornehmste 
Grundherrschaft  die  von  Esch6);  ferner  haben  der  Kurfürst  von 
Trier  und  die  Edelherrschaft  Üeren6)  hier  eine  Grundherrschaft. 

Die  Niedergerichtsherrschaft  besitzen  die  von  Esch;  aus  diesem 
Grunde  wird  sie  als  die  vornehmste  bezeichnet.  Ihre  Gerechtsame 
scheint  sie  erlangt  zu  haben  auf  Grund  der  Niedervogtei,  denn 

')  Lörsch,  Weistflmer  Nr.  101.  Hingangs  des  Weistums. 

*)  Nr.  102  § 1. 

s)  Vgl.  mit  dem  Weistum  Nr.  102  die  Weistflmer  Nr.  103  und  104. 

*)  Grimm,  Weistflmer  II.  Bd.  S.  344.  Das  Weistum  ist  v.  I.  1575, 
ziemlich  unklar  gehalten  und,  wie  es  scheint,  verstümmelt.  Piesport  ist  der 
bekannte  Weinort  am  linken  Moselufer  unterhalb  Neumagen.  Es  gehörte 
in  unserer  Zeit  zum  Berncasteier  Hochgericht.  Vgl.  K.  Lamprecht, 
Deutsches  Wirtschaftsleben  I.  Bd.  1,  S.  170  ff. 

6)  Esch  liegt  an  der  Salm,  westlich  von  Piesport,  an  der  alten  Kölner- 
straffe  von  Trier  nach  Mayen. 

“)  Ob  hierunter  das  Kloster  St.  Irmin  odor  Deren  bei  Trier  zu  ver- 
stehen ist,  kann  ich  nicht  entscheiden:  ich  halte  es  aber  fflr  leicht  möglich. 


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bereits  am  5.  Januar  1285')  werden  in  einem  Spruch  über  fünf 
streitige  Punkte  die  Gerechtsame  und  Bezüge  im  dornkapitularischen 
Hefe  Piesport  zwischen  dem  Trierer  Domkapitel  und  dem  Herrn 
von  Esch  — dem  advocatus,  was  hier  sicher  Niedervogt  bedeutet, 
denn  Piesport  gehört,  wie  bereits  erwähnt,  zum  Berncasteier  Hoch- 
gericht — geregelt.  Es  wird  dabei  bestimmt,  daß  der  Vogt  am 
Hofe  des  Domkapitels  kein  Recht  weiter  haben  soll,  „als  dreimal 
im  Jahre,  wenn  er  sein  Gericht  abhält,  das  man  gewöhnlich 
„Frongedinge“  nennt,  fünf  Schillinge  trier.  Den.  zu  empfangen  und 
nur  dann,  wenn  er  Recht  spricht  über  streitige  Angelegenheiten 
der  Herren  und  des  Hofverwalters5)“;  außerdem  erhält  er  aus 
dem  Vogtgut  jährlich  */*  Ohm  Wein. 

Zur  vollen  Niedergerichtsherrschaft  haben  es  die  Herren  von 
Esch  nicht  gebracht.  Sie  haben  die  Bußen,  die  sie  eintreiben 
müssen,  in  drei  Teile  zu  teilen,  wovon  sie  einen  erhalten,  und 
je  einen  erhalten  die  beiden  anderen  Herrschaften.  Sie  sind 
eigentlich  nur  Niedervögte,  worauf  eine  Bestimmung  besonders 
hinweist;  will  nämlich  ein  Bürger  von  Piesport  den  Richtern 
nicht  gehorsam  sein,  soll  er  durch  den  Boten  ergriffen  und  in 
den  „ploch“  geschlagen  werden;  hier  wird  er  bei  Wasser  und 
Brot  solange  gehalten,  bis  er  gutwillig  Gehorsam  leistet.  Kann 
er  sich  selbst  oder  können  ihn  seine  Freunde  ausbürgen,  dann 
fällt  den  Herren  von  Esch  von  dem  Stock,  worin  er  gelegen  hat, 
ein  Goldgulden.  Diesen  Vorzug  vor  den  anderen  Herrschaften 
haben  die  Esch  eben  wegen  der  Niedervogtei. 

Von  dem  Niedergericht  erfahren  wir  nur,  daß  es  mit  einem 
Meier  und  den  Schöffen  besetzt  ist,  und  daß  Meier  und  Schöffen 
sich  mit  den  Herren  zu  Gericht  setzen  sollen,  wenn  es  den  Herren 
selbst  beliebt,  zu  Gericht  zu  kommen. 

Daß  auch  eine  geistliche  Herrschaft  die  Niedergerichtsherrschaft 
über  andere  Grundherrschaften  besitzen  konnte,  dafür  ist  zunächst 
ein  Beispiel  das  Dorf  Weilbach1). 

')  K.  Lamprccht  a.  a.  0.  III.  Bd.  Nr.  68. 

a)  Item  super  secundo  pmnuntiamus,  quod  advocatus  in  dicta  curtc 
penitus  nichil  iuris  habebit,  nisi  tribus  viribus  in  anno,  qtiando  tenebit  suuui 
piacitum.  quod  dicitur  vulgariter  „vronegedinge“,  habebit  quinque  s.  Trcv. 
d.,  si  iustitiam  fecerit  de  iudicatis  dominis  ct  curtario  predictis. 

3)  Weilbach  liegt  zwischen  Mainz  und  Höchst.  Das  Weistum  bei 
(Jrinim,  Weistümer  III.  Bd.  S.  741. 


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In  diesem  Dorfe  sind  begütert  das  Kloster  auf  dem  St.  Jakobs- 
berg bei  Mainz,  das  Stift  zu  Erbach,  das  Deutschordensstift  zu 
Frankfurt  und  das  Stift  St.  Stephan  zu  Mainz.  Die  Nieder- 
gerichtsherrschaft hat  das  Kloster  auf  dem  St.  Jakobsberg ').  Die 
Abhängigkeit  der  anderen  Herrschaften  kommt  dadurch  zum  Aus- 
druck, daß  jede  von  ihnen  ein  Glied  ihres  Stiftes  als  „muntbur“ 
zu  setzen  hat;  dieser  „muntbur“  soll  die  drei  ungebotenen  Dinge 
zu  Weilbach  besuchen  oder  diese  Verpflichtung  mit  Wissen  und 
Willen  des  Schultheißen  des  Abtes  von  St.  Jakobsberg  abtragen. 

Zum  Schultheißen  des  Gerichts  ist  nicht  ein  Grundhöriger 
des  Abtes  bestellt,  sondern  es  ist  der  Junker  Dietrich  von  Erfen- 
bach vom  Abte  als  Schultheiß  belehnt.  Er  hat  im  Namen  des 
Abts  das  Gericht  abzuhalten  und  hat  den  Vorsitz  an  den  unge- 
botenen Tagen,  was  sich  daraus  schließen  läßt,  daß  der  „muntbur“ 
nur  mit  seinem  Wissen  und  seiner  Zustimmung  die  Verpflichtung 
ablösen  kann.  Die  Tage  für  die  drei  ungebotenen  Dinge  sind 
der  Montag  nach  Philippi  und  Jacobi,  der  St.  Remigiustag  und 
der  dritte  Tag  nach  St.  lirictiustag 3). 

Jedenfalls  soll  der  Schultheiß  persönlich  das  Vierzehntag- 
Gericht  besitzen;  ist  er  jedoch  verhindert,  so  soll  er  einen  anderen 
als  Stellvertreter  ernennen,  der  indes  aus  dem  Gericht  stammen 
muß.  Von  den  Bußen,  hier  Fronen  genannt,  erhält  der  Schultheiß 
ein  Drittel,  zwei  Drittel  empfängt  das  Gericht,  bestehend  aus 
sieben  Schöffen. 

Das  Grundeigentum,  Hubgüter  oder  andere,  die  in  des  Abtes 
Gericht  liegen,  sollen  ebenfalls  vor  dem  Gericht  aufgelassen 
werden;  wenn  dem  nicht  nachgekommen  wird,  soll  der  Schultheiß 
Buße  verhängen. 

Ein  weiteres  Beispiel  ist  Güls3);  auch  in  diesem  Dorfe  besitzt 
eine  geistliche  Grundherrschaft  die  Niedergerichtsherrschaft  über 
andere,  allerdings  geistliche  Grundherrschaften  genau  wie  in 
Weilbach. 


')  „Item  zum  ersten,  das  ein  abt  uf  saut  Jacubsbergk  sy  ein  rechter 
obrister  erber  und  grttntber  des  dorfs  und  gerichts  zu  Wilbach." 

*)  Philippus  und  Jacobus  ist  der  1.  Mai,  St.  Reinigiustag  der  1.  Oktober 
und  St.  lirictiustag  der  13.  November. 

*)  hörsch,  Weistftmer  Nr.  93 — 100;  Einleitung  zürn  Weistum  93, 
S.  257  ff.;  ferner  die  Anlagen  1 — 5 daselbst,  tjftls  liegt  in  der  Bergpllege. 


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Tn  Güls  sind  begütert  die  Abtei  Rommersdorf,  das  St  Servatius- 
still  zu  Maastricht,  das  die  sogenannten  elf  Hufen  besitzt,  und 
die  Abtei  Siegburg.  Die  beiden  ersteren  haben  nur  grundherrliche 
Gerechtsame,  jede  von  ihnen  hat  von  ihren  Höfen  bestimmte 
Dienste  und  Abgabe  zu  fordern ').  Dagegen  hat  die  Abtei  Sieg- 
burg nach  dem  Weistum  von  1385  Eigentum,  Gericht  und 
Herrlichkeit  zu  Güls,  also  die  Niedergerichtsherrschatt  über  das 
ganze  Dorf2). 

Schon  in  den  Stiftsurkunden  für  Siegburg  von  1064  und  1066 
wird  Güls  als  einer  der  Orte  angeführt,  wo  der  Abtei  vom  Erz- 
bischof Anno  Güter  angewiesen  werden;  es  werden  Güls  und 
Bettendorf  der  Sehirmvogtei  des  Pfalzgrafen  Hermann  von  Gleiberg 
unterstellt3).  Anno  regelt  das  den  Vögten  an  den  Gerichtstagen 
zu  reichende  Servitiuin,  und  für  Güls  wird  dabei  die  besondere 
Bestimmung  getroffen,  daß  der  Niedervogt  hier  kein  Bier  erhält, 
weil  es  daselbst  keines  gibt. 

Diese  Niedervogtei  ist  zunächst  Bestandteil  der  pfalzgräflichen 
Berechtigungen  gewesen,  von  den  Pfalzgrafen  aber  bald  weiter 
verleimt  worden.  Im  ersten  Drittel  des  13.  Jahrhunderts  sind 
die  Herren  von  Brohl  (Burgbrohl),  und  zwar  offenbar  schon 
seit  längerer  Zeit,  im  Besitze  der  Vogtei  über  das  Dorf  Güls, 
denn  1227  schließen  die  Brüder  Enlinar  und  Dietrich  von  Brohl 
(de  Brule)  mit  dem  Abte  Lambert  von  Siegburg  einen  die 
Rechte  der  Vögte  wie  des  Abtes  in  wichtigen  Punkten  klarstellenden 

‘)  Lörsch,  Weistnmer  Nr.  Ul:  Hof  (1er  Abtei  Kommersdorf  (1772) 
und  Nr.  92:  Hof  des  St.  Servatiusstiftes  zu  Maastricht  (1494).  Es  werden 
die  liechte  der  Grundherren  gewiesen. 

*)  Lörsch,  Weistümer  Nr.  9ä  § 1:  „Des  hayn  wir  schelten  . . uns 
daruft  wol  beraden  und  hayn  dat  scmyntlich  und  eyndrechtclich  gewijst  uff 
den  eyd  für  recht,  ....  dat  der  eygintum,  gerychte  und  heirlicheyt  zu 
(lulse  sint  unsers  heirren  des  abtz  und  des  gnytzhusz  zu  Sybergh,  und 
schultheyzen  und  schelten  zu  tiulse  sint  gesworen  des  abtz  und  conventz 
des  goytzhusz  zu  Sybergh  und  hem  Dyederichz  vurgenannt,  erffvaytz  zu 
Gulse,  . . .“ 

*)  „ . . . Gulsea  et  Bettendorf  commcndata  sunt  in  manum  Herimanni, 
coinitis  de  Glitzbcrc.“  Ks  ist  der  dem  Glciberger  Zweige  der  Luxemburger 
angehörende  Pl'alz.graf  Hermann  von  Lothringen,  der  Nachfolger  des  Pfalz- 
grafen Heinrich,  der  Siegburg  an  Anno  hatte  abtreten  müssen.  Vgl.  Th. 
J.  Lacomblet,  Urkundcnbueh  für  die  Geschichte  des  Niederrheins.  Bd.  I. 
S.  129.  Nr.  202  und  203. 


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42 


Vergleich1).  Es  waren  Streitigkeiten  entstanden,  die  die  Aus- 
übung der  vogteilichen  Befugnisse  betrafen. 

Nach  diesem  Vergleich2),  den  die  Grundherrschaft  in  ihrem 
Interesse  vorgeschlagen  hat,  und  der  ähnliche  Zugeständnisse 
enthält  wie  der,  deu  131)7  Dietrich  von  Hadamar  mit  der  Aachener 
Kirche  schließt,  sollen  die  Leute  des  Siegburger  Hofes  in  Hüls, 
wenn  sie  rechtmäßig  zusammenberufen  worden  sind,  nur  anzeigen, 
ob  sich  der  Hof  der  schuldigen  Pflege  erfreue,  und  etwaige 
Schädigung  soll  vom  Hofe  abgewendet  werden.  Wenn  das  ge- 
schehen ist,  dann  solle  nichts  weiter  von  seiten  des  Vogtes  des 
besagten  Hofes  zur  Beschwerung  und  Belästigung  der  Siegburger 
Abtei  vorgenommen  werden.  Insbesondere  setzt  der  Abt  den 
Hofverwalter  daselbst  ein  und  ab;  die  Ritter  sollen  alles  Recht, 
des  Hofes  überhaupt  unangetastet  lassen,  wie  es  bei  Lebzeiten 
ihres  Vaters  bestanden  habe.  Wenn  sie  ihre  Vogtei  verkaufen, 
oder  wenn  ihnen  diese  irgendwie  entfremdet  wird,  soll  der  neue 
Inhaber  sie  nur  mit  demselben  Rechtsinhalt  haben  wie  sie. 

Die  Niedervogtei  *)  bleibt  aber,  ohne  daß  irgendwie  die 
rechtlichen  Grundlagen  verändert  worden  wären,  im  Besitze  des 
Geschlechts  als  Lehen  zu  gasamter  Hand  und  wird  1314  wieder 
in  einer  Hand  vereinigt.  Es  verkaufen  nämlich  am  4.  September 
1314  „Sivert-  van  Ifroele  inde  Deymout  (seine  Ehefrau)  alle  dat 
govd  inde  alle  dat  recht,  dat  uns  vallin  mach  zoy  Gülse,  liarin 
Coynrade,  eyme  ritter,  dem  heyrrin  van  Broyle,  minin  broyder, 
umbe  anderhalfhündirt  mark  Andemeyscher  werüngin,“  unter 
Vorbehalt  des  Rückkaufs  „vans  kirsenacht  over  eyn  jayr  ove  binin 
den  seys  woehin  vür  den  selven  winaclitin“;  erfolgt  die  Einlösung 
nicht,  so  wird  der  Kaufpreis  um  vierzig  Mark  erhöht.  Der 

')  Vgl.  Lörsch,  Woistümer,  S.  262:  Anlage  I. 

a)  Hotuincs  dictc  curtis,  cum  iu.ste  requisiti  fuerint.  accusabnnt  ipsam 
curtim  debita  culturu  n»n  gaudere  ct  hoc  vergere  in  detrimentum  ipsius 
curtis.  Hoc  facto  nihil  amplius  ei  parte  advocati  dictc  curtis  fict  in  gravamen 
vcl  prciudicium  ecclesie  Sibergensis.  Abbas  eciam  proconvm  ibidem  instituot 
ct  destituet,  ct  ipsi  nobilcs  omne  ins  curic  c<inscrvabunt,  quod  patre  ipsorum 
vivente  servabatur  . . . . 8i  vorn  ipsos  advocaciam  vendere  vel  nlio  modo  a 
se  alienare  contigerit,  hii,  qui  ipsain  ernennt  rcl  alio  modo  hubucrint,  idem 
quod  dicti  advocati  in  vita  sua  obscrvarc  promiaerunt,  quamdiu  vixerint, 
obsorrabunt. 

3)  Kür  das  Folgende  vgl.  Lörsch,  Weistümer,  S.  257  ff. 


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43 


Rückkauf  ist  unterblieben,  so  daß  der  Käufer,  Konrad  von  Brohl, 
nunmehr  die  ganze  Vogtei  inne  hatte. 

Eine  wirtschaftliche  Notlage  mochte  Siegfried  von  Brohl 
veranlaßt  haben,  seinen  Anteil  an  der  Niedervogtei  seinem  Bruder 
zu  verkaufen;  aber  auch  der  nunmehrige  Inhaber  scheint  bald 
in  Schwierigkeiten  geraten  zu  sein;  er  veräußert  die  ihm  gehörige 
Niedervogtei  ganz. 

Die  Abtei  Siegburg  nämlich,  die  vielleicht  eine  sichere  Kunde 
von  dem  Rechte  der  Pfalzgrafen  als  Lehnsherrn  der  Ritter  von 
Brohl  nicht  mehr  hatte,  jedenfalls  das  verdunkelte  Recht  ignorierte, 
suchte  sich  eine  feste,  rechtliche  Grundlage  für  die  tatsächlich 
von  ihr  ausgeübte  Lehnsherrlichkeit  zu  schaffen. 

Bereits  am  8.  September  1318  erklären  Konrad,  seine  Frau 
Elisabeth  und  sein  Sohn  Konrad,  daß  Abt  und  Konvent  „suis 
denariis,  nobis  per  ipsos  prestitis  asstiterunt,  ne  advocaciam,  quam  ego 

. . . . Conradus  . . . a domino abbate  nomine  homagii 

teneo,  obligaremus  vel  venderemus,  prout  debitis  nos  ad  hoc 
compellentibus  facere  et  vendere  volebamus.“  Sie  versprechen 
deshalb:  „quod  nos  nec  simul  nec  divisim  nec  aliquis  nostrum, 
qui  alium  vel  alios  supervixerit,  ipsam  advocaciam  ....  aliquibus 
dominis,  huminibus  vel  personis  magnis  vel  parvis  obligabimus  vel 
vendemus,  sed  ipsam  ....  in  manu  et  potestate  nostra  tenebimus 
vel  supervivens  tenebit  nec  ad  aliquem  ....  obligando,  alienando 
vel  vendendo  transferemus.“ 

Damit  war  also  die  Abtei  als  Inhaberin  der  Lehnsherrlichkeit 
anerkannt,  aber  zugleich  hatten  es  Abt  und  Convent  „suis  denariis“ 
erreicht,  die  freie  Veräußerlichkeit  der  Niedervogtei,  die  1227 
ausdrücklich  erwähnt  war,  aufzuheben;  man  war  nun  gegen  die 
Erwerbung  der  Niedervogtei  durch  eine  andere  territoriale  Gewalt 
gesichert. 

Doch  das  genügte  der  Abtei  nicht,  man  ging  noch  weiter. 
Am  15.  Juni  1321  verkaufen  die  gen.  Ehegatten  mit  Zustimmung 
ihres  Sohnes  Konrad  und  ihrer  andern  Erben  der  Abtei:  „omnia 
iura  ac  servicia,  que  . . . racione  iuris  advocacie  nostre  in  Gulse 
ex  curtibus  . . . monasterii  Svbergensis  ibidem  sitis  persolvuntur,“ 
und  die  dann  im  einzelnen  in  der  Urkunde  aufgezählt  werden, 
für  60  Mark.  Am  !).  Januar  1325  verkaufen  dieselben:  „advo- 
caciam nostram  in  Gulse,  precariam  nostram  et  ius  secularis  iudicii 


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in  dicta  villa  Gulse  cum  omnibns  suis  attinenciis,  que  precaria 
supradicta  vulgariter  „meybede“  nuncupatur“,  ferner  ihre  dortigen 
von  der  Abtei  herrtihrenden  Lehen,  „excepta  precaria  vini  ibidem 
cedente,“  für  70  Mark  mit  dem  Vorbehalte:  „quia  dictum  iudicium 
in  aliis  locis  preoccupetur,  idcirco  prefatis  ementibus  unam  carratam 
vini  singulis  annis  tempore  vindemiarum  persolvemus  pro  iudicio 
supradicto;  cum  autem  iudicium  fuerit  solutum,  tune  cessabit 
solucio  carrate  vini  supradicti.“  Ferner  behielten  sich  die  Ver- 
käufer den  Rückkauf  vor. 

Die  Abtei  Siegburg  hatte  also  die  freie  Vcräußerlichkeit  der 
Niedervogtei  aufgehoben,  sie  hatte  ferner  die  Bezüge  aus  der 
Vogtei  für  60  Mark  und  diese  selbst  für  70  Mark  an  sich  ge- 
bracht, freilich  noch  nicht  endgültig. 

Am  1.  Februar  1335  jedoch  verkauft  Konrad  von  Brohl,  der 
Sohn,  die  Niedervogtei'  an  Siegburg  um  den  Preis  von  720  Mark, 
so  daß  die  früheren,  mit  der  Abtei  abgeschlossenen  Rechtsgeschäfte 
sich  als  Verpfändungen  für  empfangene  Geldsummen  darstellen. 
Jetzt  verkauft  sie  Konrad  dem  Abt  Wolfrath1),  indem  er  aus- 
drücklich wieder  anerkennt,  daß  er  wie  vordem  seine  Vorfahren, 
sie  von  der  Abtei  zu  Lehen  trage:  „advocaciam  et  iurisdictionem 
meam  ac  omnia  et  singula  bona  et  iura  mea,  quam  et  que  habeo 
et  hactenus  habui  ex  causis  quibuscunque  in  villa  de  Gulse  et 
eius  districtu  et  confinio,  ....  cum  iudicio  seculari,  precariis 
vulgariter  dictis  meybede  et  wynbede,  theloneo,  feodis  et  homagiis 
ac  cum  omnibus  et  singulis  bonis,  rebus  proventibus,  pertinenciis. 
emergenciis  et  iuribus  quibuscunque  miehi  in  dicta  villa  et  eius 
coufiniis  ac  districtu  competentibus  racione  qualicunque  ...  Kt 
renunciavi  et  effestucavi  ac  renuneio  et  effestuco  pro  me  et  meis 
heredibus  ....  super  advocacia  et  iurisdictione  . . . .“  Auch 
hier  wurde  durch  eine  besondere,  ihrem  Wortlaute  nach  nicht 
vorliegende,  aber  durch  die  andern  in  Betracht  kommenden  Ur- 
kunden verbürgte  Verabredung  ein  R fickkaufsrecht  auf  vier,  vom 
22.  Februar  1335  an  laufende  Jahre  Vorbehalten.  Konrad  versprach 
außerdem  in  besonderer  Urkunde8)  für  den  Fall,  daß  er  das  Rück- 
kaufsrecht ausübe,  die  so  wieder  erworbene  Vogtei  seinerseits  nicht 
zu  veräußern,  ohne  sie  vorher  dem  Abte  ftir  die  Summe  von 

')  Vgl.  Lflrsch,  WeUtümcr  S.  2G3:  Anlage  2. 

’)  libenda.  8.  265:  Anlage  3. 


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820  Mark  anzubieten.  Doch  schon  am  23.  Februar  1338  erklärt 
er,  die  100  Mark  erhalten  zu  haben,  die  dem  Kaufpreis  zugeffigt 
werden  sollten,  wenn  er  die  Niedervogtei  nicht  wieder  zurück- 
kaufen würde. 

Mit  diesem  endgültigen  Verkauf  wäre  nun  die  Abtei  im 
besitze  der  Niedervogtei  gewesen,  wenn  ihr  nicht  von  seiten  der 
Verwandten  des  Konrad  von  Brohl  — der  Agnaten  — Schwierig- 
keiten gemacht  worden  wären1). 

Schon  Siegfried  von  Brohl8)  scheint  mit  den  Verpfändungen 
seines  Bruders  nicht  einverstanden  gewesen  zu  sein,  und  um  einen 
rechtlichen  Rückhalt  bei  einem  etwaigen  Einspruch  zu  haben, 
ließ  er  sich  von  dem  Pfälzgrafen,  dem  „dux  Bauwarie,“  der  be- 
kanntlich der  eigentliche  Lehnsherr  war,  mit  der  Vogtei  von  Güls 
belehnen.  Darauf  scheint  sich  der  Sohn  Siegfrieds,  der  gleichfalls 
Koni  ad  hieß,  berufen  zu  haben,  als  sein  Vetter  die  Niedervogtei 
an  die  Abtei  Siegburg  verkauft  hatte  und  er  gegen  diesen  Verkauf 
— eben  als  Agnat  — Einsprach  erhob. 

Daraufhin  ließ  der  Abt  von  Siegburg  1340  zu  Güls  durch 
den  Kellermeister  des  Klosters  ausdrücklich  die  Veräußerung  der 
halben  Vogtei  von  seiten  Siegfrieds  an  seinen  Bruder  Konrad 
konstatieren  und  das  Zeugnis  darüber  durch  Augenzeugen  unter- 
schreiben; doch  Konrad,  der  Sohn  Siegfrieds,  berief  sich  auf  die 
Oberlehnsherrschaft  des  Pfalzgrafen,  wogegen  der  Abt  1347 


*)  Für  das  Folgende  bes.  die  Notiz  Lörsch  S.  259  Z.  40ff.;  ferner  die 
Weistümer  Nr.  93  u.  94  und  die  Anlagen  4 u.  5. 

3)  Lörsch  stellt  die  Sache  unrichtig  dar:  er  sagt:  „An  den  tatsächlichen 
Verhältnissen  wurde  durch  diesen  Vertrag  (Anlage  3,  Verkauf  von  1335)  offen- 
bar nichts  geändert,  nach  wie  vor  blieb  Konrad  von  Brohl  — gemeint  ist 
der  Sohn  Konrads  — als  Vasall  in  der  Ausübung  der  Vogtei.“  Das  wäre 
merkwürdig,  dann  hätte  Siogburg  die  820  Mark  einfuch  umsonst  gezahlt: 
Lörsch  durchschaut  nicht  die  Verwandtschaftsbeziehungen  der  Brohl;  von 
1314  bis  1385  werden  folgende  erwähnt 

Brüder 

Siegfried  von  Brohl  (1314.)  Konrad  von  Brohl  (1314:  1321 — 25.) 

I I 

Konrad  von  Brohl  (1340:  1357.)  Konrad  von  Brohl  (1335;  1337  u.  38) 

I 

Dietrich  von  Brohl  (1385.) 


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wiederum  zu  Güls  sieh  weißen  ließ,  daß  die  Vogtei  von  ihm  allein 
herrühre '). 

Auch  das  half  nichts.  Konrad,  der  Sohn  Siegfrieds,  drang 
mit  seinen  Ansprüchen  durch  und  erlangte  tatsächlich  die  Nieder- 
vogtei. Er  verhalt'  aber  dem  Abt  wenigstens  zur  Oberlehnsherrlich- 
keit, denn  die  Erklärung  von  Pfalzgraf  Ruprecht  dem  Alteren, 
vom  11.  Dezember  13ü7s):  „die  vagtye  zu  Gulsse  uf  der  Musel, 
die  uns  von  andern  unsern  lehengüten  enpfremdet  unde  enczogen 
ist,  die  der  edel  Chunrat  von  Brüle,  unser  lieber  getruwer, 
verlom  hat  und  die  furbaz  an  den  apt  von  Syberg,  an  sin  closter 
und  an  sinen  convente  chornen  ist,  daz  der  egenant  Chunrat  von 
Rrüle  und  sine  erben  die  selben  vogtye  von  dem  egenannten  apte 
von  Syberg  zu  leben  enpfahen,  daz  ist  unser  gut  wille,  gunst 
und  verhenknuesse,  wanne  er  uns  und  unsern  erben  dieselben 
vogty  mit  andern  sinen  güten  widerlegt  hat,  dar  an  uns  wol  be- 
nüget,“  besagt  ganz  deutlich,  daß  es  den  Bemühungen  Konrads 
von  Brohl,  Siegfrieds  Sohnes,  gelungen  ist,  dem  Abt  die  Lehns- 
herrlichkeit zu  verschaffen.  Am  14.  Dezember  desselben  Jahres 
regelt  dann  Erzbischof  Wilhelm  von  Köln,  der  von  der  Abtei 
und  dem  neuen  Vogtherrn  zum  Schiedsrichter  gewählt  worden  ist, 
die  dem  Vogte  zustehenden  Bezüge. 

Das  Niedergericht  seiht  wird  als  Vogtding  bezeichnet,  denn 
es  heißt:  „Na  sente  Mertyns  dage  alz  des  vaydes  dinck  ist’).“ 

In  einem  Weistum  von  1 54t> 4),  das  aufgenommen  wurde,  nur 
um  die  Rechte  und  Einkünfte  des  Erbvogtes  festzustellen,  wird  es 
etwas  anders  ausgeführt;  nach  diesem  hat  derselbe  den  dinglichen 
Tag  im  Jahre  und  zwar:  „.  . . . der  erste  den  zweiten  dinstagh 
nach  Martini,  der  zweyte  den  zweiten  dienstagh  nach  ustem,  der 
dritte  den  zweiten  dienstagh  nach  St.  Johans  tagh.“ 

Der  Erbvogt  hat,  wie  daraus  zu  folgern  ist,  persönlich  den 
Vorsitz  im  Vogtding;  aber  auch  der  Schultheiß  und  die  vierzehn 
Schöffen  sind  Geschworene  des  Abtes  und  des  Gotteshauses  von 
Siegburg.  Sie  werden  also  — anders  wie  z.  B.  in  Kesselheim 

wan  «lat  djo  vaydige  zu  < iul.se  rürthe  inde  qucme  von  unsinc 
Herrin  ine  apthe  des  cloystirs  von  Syberg.“ 

*)  Lörsch,  Woistünicr  S.  2(>6.  Anlage  4. 

3)  Lörsch,  W'eistiimer  Nr.  9(>.  § 3. 

4)  Lörsch,  Weistümer  Nr.  97.  § 1. 


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in  des  Niedervogtes  Namen  ebenfalls  vereidigt;  an  den  gebotenen 
Tagen  wird  dann  wohl  der  Schultheiß  das  Gericht  besitzen. 

Wir  nähern  uns  bei  unserem  Überblick  über  die  Niedergerichte 
dem  Ende;  wir  treffen  nur  noch  auf  eine  Gruppe  von  Nieder- 
gerichten, die  indes  wenig  Neues  mehr  zeigen.  Es  konnte  nämlich 
auch  Vorkommen,  daß  ein  Dorf  nicht  einen  geschlossenen  Nieder- 
gerichtsbezirk, bezw.  eine  geschlossene  Niedergerichtsherrschaft 
bildete,  sondern  daß  ein  Dorf  in  zwei  oder  mehrere  Niedergerichts- 
bezirke zerfiel.  In  der  Organisation  und  in  der  Verteilung  der 
Gewalt  glich  jedes  dieser  Niedergerichte  den  vorhergehenden; 
Besonderheiten  finden  sich  nun  nicht  mehr,  höchstens  Ergänzungen. 

In  Sulzbach1)  hat  das  Eigentum  des  Gerichts  der  Abt  von 
Limburg,  aber  seine  Herrschaft  erstreckt  sich  nicht  über  das 
ganze  Dorf,  es  sind  vielmehr  ausgeschieden  das  Freigericht,  das 
Königsgut,  das  Birkstätter  Eigen  und  das  Fölbelgericht. 

Mit  der  Niedervogtei  über  des  Abtes  Herrschaft  ist  von 
diesem  belehnt  als  ein  „faid“  der  Junker  von  Königstein;  mit 
der  Niedervogtei  ist  ein  Lehngut  verbunden,  denn  es  wird  aus- 
drücklich unterschieden  zwischen  des  Abtes  Eigen  und  der  Herrn, 
d.  h.  der  Vogtherren  Lehn. 

Die  Niedervogtei  ist  vor  allem  Schirmvogtei;  wenn  Schützen 
und  Märker  von  einer  Macht  bedroht  werden  und  sich  ihrer  nicht 
erwehren  können,  so  soll’s  der  Märker  dem  Vogt  anzeigen,  und 
der  soll  der  Gewalt  wehren. 

Die  Verteilung  der  Befugnisse  in  der  niederen  Rechtspflege 
zwischen  Herrscnaft  und  Vogt  ist  ähnlich  wie  in  Oberhirzenach. 
Das  Gericht,  das  dreimal  im  Jalire  statthat,  das  die  „Überfahrt“ 
an  dem  Gericht  büßt  und  die  Handänderung  der  grundherrrlichen 
Güter  vornimmt,  wird  gehegt  wegen  des  Abtes  von  Limburg  als 
des  Eigentümers  und  wegen  des  Junkers  vom  Königstein  „als  vor 
ein  faid.“  Es  tagt  dreimal  im  Jahre:  die  beiden  ersten  Tage, 
nämlich  Donnerstag  nach  Neujahr  und  Donnerstag  nach  Walpurgis, 
hegt  des  Abtes  Schultheiß;  das  dritte  Gericht,  am  Donnerstag 
nach  unsrer  lieben  Frauen  Tag“)  hegt  dagegen  des  Niedervogts 

’)  (irimm,  Weistümer  I.  ]!d.  S.  572.  Sulzbach  liegt  zwischen  Höchst 
und  Künigstcin. 

*)  Walpurgistag  ist  der  1.  Mai:  Unsrer  lieben  Frauen  Tag  wohl  der 
15.  August. 


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Schultheiß.  Vierzehn  Tage  nach  jedem  der  drei  ungebotenen 
Dinge  ist  abermals  Gericht,  das  indes  nur  die  vierzehn  Schöffen 
suchen  sollen. 

Wie  in  Sulzbach  finden  wir  in  Kärlich1)  eine  vollständige 
Trennung;  das  Dorf  Kärlich  zerfällt  in  zwei  Niedergerichtsbezirke. 

Da  ist  einmal  Grund-  und  zugleich  Niedergerichtsherrschaft  das 
Stift  St.  Florin  in  Koblenz5).  Die  Vogtei  darüber  wird  als  ein 
ursprünglich  den  (trafen  von  Sayn  zustehendes  Lehen  bezeichnet, 
das  sich  indessen  im  14.  Jahrhundert  im  Besitze  der  Herren  vom 
Burgtor  (de  Porta)  befindet.  Am  4.  März  13(55  nämlich  stellt 
Simon  von  dem  Burgtor  in  einem  Vergleich  mit  dem  Stift  seine 
Einkünfte  aus  der  Vogtei  fest*);  die  Fälligkeit  der  Bezüge  und 
die  ganze  Art  derselben'),  daß  sie  nämlich  nach  Ostern,  um 
Johanni  und  im  Herbst  entrichtet  werden,  ferner  das  Schwein, 
das  Pfund  Pfeffer  und  die  andern  Abgaben,  sowie  der  Umstand, 
daß  den  Kittern  und  Knechten  Wein  gereicht  wird,  lassen  darauf 
schließen,  daß  die  Herren  vom  Burgtor  ehemals  die  drei  un- 
gebotenen  Dinge  im  Jahre  abgehalten  haben.  Aber  wird  davon 
schon  13(55  nichts  mehr  erwähnt,  so  wird  durch  eine  spätere  Ur- 
kunde einfach  bestätigt,  daß  die  Herren  vom  Burgtor  mit  der 
niederen  Rechtspflege  überhaupt  nichts  mehr  zu  tun  haben. 

Am  1.  März  135)0  verwandeln4)  Simon  von  dem  Burgtor  d. 
J.  und  sein  Vetter  Simon  der  Alte  die  ihnen  aus  der  Vogtei 
Kärlich  zustehenden  Bezüge  in  eine  feste  Getreiderente,  eine 
Jahresrente  von  sieben  Malter  Korn  und  sieben  Malter  Weizen. 
Die  Verpflichtung,  die  sie  dafür  haben,  ist  festgesetzt:  „.  . . . 
doch  sullen  wir  und  unsere  Lehenserben  vur  die  egenant  Frücht 
gentzliche  und  getmweliche  den  egent.  Hoff  und  die  vurgen. 
Hem  Decken  und  Capitell  schüren,  schirmen  und  behalden  by 
irren  Fryheiden  und  Rechten  wie  verre  daz  an  uns  triftet  und  wir 


')  Kärlich  und  die  gleich  zu  erwähnenden  Dörfer  Kettig  und  Mnhlhcim 
gehören  zur  Bcrgpflege.  Kettig  liegt  etwa  3 km  nordwestlich,  Mühlheim 
1 km  östlich  von  Kärlich. 

*)  Lörsch,  Weistümer  Nr.  80—83.  Bes.  die  Einleitung  zum  Weistum  80. 
3)  Codex  diplurnaticus  Rheno-Mosellamis  111.  Bd.  8.  714.  Nr.  501. 

*)  Über  diese  Bezüge  wird  noch  des  näheren  gehandelt  im  III.  Abschnitt. 
s)  Codex  diplomaticus  Rhcno-Mos.  III.  Bd.  S.  880.  Nr.  G20. 


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49 


daz  schuldig  syn  zu  dune  als  verre  sie  des  an  uns  und  unsere 
Erben  gesinnent.“ 

Die  Herrschaft  des  Stifts  erstreckt  sich  nicht  nur  Ober  Kärlich, 
sondern  auch  Ober  Kettig1),  denn  „der  Schultheiß  von  Kärlich 
soll  auch  Kettig  in  Frieden  halten  und  in  schuldigem  Zustand 
bewahren*).“  Also  der  alte  und  der  neue  Hof  zu  Kärlich  und 
der  Hof  zu  Kettig  bilden  einen  Niedergerichtsbezirk.  Die  früheren 
Inhaber  der  Niedervogtei,  die  Herren  vom  Burgtor,  sind  bloße 
Schirmvögte  geworden;  sie  haben  aus  der  Niedervogtei  nur  noch 
bestimmte  Bezüge;  von  Kettig  erhält  übrigens  „der  freie  Vogt“ 
gleichfalls  bestimmte  Abgaben. 

Der  Untervogt,  der  vom  Niedervogt  ernannt  wird,  muß  vor 
allem  diese  Bezüge  für  ihn  einsammeln *);  ferner  hat  er  das 
Recht,  im  Namen  seines  Herrn  das  Weistum  zu  erfragen4).  Da- 
gegen hat  er  mit  der  eigentlichen  niederen  Rechtspflege  nichts  zu 
schaffen. 

Den  Vorsitz  im  Niedergericht  führt  vielmehr  der  Schultheiß 
des  Stifts  St.  Florin.  „Denn  die  Herren  von  St.  Florin  sind  ge- 
halten, in  Kärlich  einen  Schultheißen  zu  haben,  der  das  Gericht 
der  Herren  oder  den  Gerichtshof,  auf  Deutsch:  Dinghof,  ab- 
halten soll*). 

Man  dingt  sechsmal  im  Jahre:  am  Montag  nach  den  heil, 
drei  Königen,  am  zweiten  Montag  nach  Ostern  und  am  Montag 
nach  Johanni;  vierzehn  Tage  nach  jedem  „Gedingnus“  ist  noch 
ein  Nachgeding,  ebenfalls  ungeboten6). 

In  Kärlich  besteht  eine  weitere  Herrschaft,  die  des  Kurfürsten 
von  Trier1).  Wenn  die  Gemeinde  Bäume  in  ihrem  Walde  fällt, 

')  Lörsch,  Weistümer  Nr.  80  § 7 u.  Nr.  85.  Das  Weistum  Nr.  85,  das 
speziell  Kettig  behandelt,  ist  v.  J.  1570. 

et  Kettge  sullicitare  et  statu  debito  cunservare,  ac  optimalia 
ibidem  cedencia  debet  dominis  libere  tradere  . . . .“  Es  ist  vom  Schult- 
heillen  von  K&rlicli  die  Hede,  der  also  gleichzeitig  Wirtschaftsbeamter  und 
Niederrichter  ist. 

3)  Lörsch.  Weistümer  Nr.  80  § 14. 

4)  Vgl.  ebenda  Nr.  82.  Das  Weistum  stammt  aus  d.  J.  1531. 

*)  Ebenda.  Nr.  80  § 7 : „Notandnm,  quod  dnniini  tenentur  habere  in 
Kerlich  scultotura,  qui  deberet  iudicium  dominorum  seu  curias  iudiciales, 
tbeutonice  dinckhoff  . . .“ 

6)  Ebenda.  Nr.  81. 

Groscb,  Nledergericbt  4 


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50 


dann  wählt  der  Trierer  Herr  zwei  Teile  und  die  Herren  von 
St.  Florin  einen  Teil  aus  der  Gesamtheit*),  vermutlich  weil  des 
ersteren  Grundherrschaft  bedeutender  war  und  mehr  Holz  benötigte 
als  die  andere. 

Was  die  Trierer  Herrschaft  betrifft,  so  erklärte  schon  am 
8.  November  1277  Friedrich  von  Kobern,  daß  er  den  Hof  zu 
Kärlich  vom  Erzbischof  und  der  Trierer  Kirche  zu  Lehen  trage 
und  ihn  dem  Lehnherrn  zu  Pfand  setze  für  1330  Mark  Aachener 
Denare.  „Protestamur“,  heißt  es  „quod  nos  curtim  sitam  in 
Kerliche  cum  omnibus  iuribus  suis  et  attinentiis,  nemoribus  vide- 
licet,  pratis,  pascuis,  piscationibus,  villicationibus,  censibus,  vineis, 
agris  cultis  et  incultis  ....  titulo  pignoris  obligavimus.“  Darüber 
stellte  ihm  der  Erzbischof  am  9.  September  1278  einen  Revers  aus1). 

Diese  Herrschaft,  die  sich  wohl  von  Anfang  an  bis  Mühlheim 
erstreckt  hat,  ist  jedenfalls  von  dem  Erzstift  in  unmittelbare 
Pflege  genommen  worden,  bis  sie  mit  der  dazu  gehörigen  Burg 
am  16,  Oktober  1344  dem  Andemacher  Schöffen  Johann  Provis 
und  seiner  Ehefrau  auf  Lebenszeit  verpachtet  wurde4). 

Die  Niedergerichtsherrschaft  über  diese  Besitzungen  steht 
indes  auch  fernerhin  dem  Erzbischof  zu,  denn  bei  der  Verpachtung 
an  Johann  Provis  wird  das  Gericht  ausdrücklich  dem  Erzbischof 
Vorbehalten,  dem  Pachter  jedoch  die  Gunst  gewährt,  beim  Ding 
anwesend  sein  und  die  Hälfte  der  Bußen  in  Empfang  nehmen  zu 
dürfen. 

Auch  diese  Niedergerichtsherrschaft  ist  bevogtet;  es  besteht 
gleichfalls  Schirmvogtei,  wie  aus  dem  Pachtvertrag  mit  Provis  zu 
schließen  ist;  von  einer  Anteilnahme  des  Niedervogtes  an  der 
niederen  Rechtspflege  wird  nichts  erwähnt.  Die  Vogtei  selbst 
war  schon  von  Friedrich  von  Kobern  mitsamt  dem  Hofe  an  den 
Erzbischof  verpfändet  worden.  1452  wird  sie  als  Lehen  des 
Philipp  von  Helfenstein  in  einem  Revers  angeführt;  nach  seinem 
Tode  fielen  diese  Lehen  an  Johann  von  Helfenstein  zu  Spurken- 


')  Lörsch,  Wcistfimer  Nr.  84  bes.  die  Einleitung.  Das  Weistum  selbst 
stammt  aus  dem  Jahre  1598. 

*)  Ebenda.  Nr.  80  §5. 

*)  (Index  diplom.  Khono-Mosell.  II.  Ild.  S.  427  Nr.  281  S.  432  Nr.  289. 
4)  K.  Lamprecht,  Deutsches  Wirtschaftsleben  III.  Hd.  S.  190  Nr.  102. 
Bes.  § 6. 


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bürg,  der  sie  1475  mit  seinen  übrigen  Lehen  vereinigte*).  Im 
Jahre  1503  belehnt  dann  Erzbischof  Jakob  von  Trier  einen  Helfen- 
steiner  mit  seinem  Anteil  an  Helfenstein  und  seinen  übrigen 
trierischen  Lehen,  worunter:  „was  er  haitte  an  den  Vadyen  zu 
Kerlich  und  zu  Moelenheym  und  iren  Zugehoerungen“,  und  Jo- 
hann Ludwig  von  Trier  schloß  am  14.  November  1541  mit  den 
Vormündern  des  jungen  Johann  von  Helfenstein  zu  Mühlenbach 
einen  Vertrag,  wodurch  demselben  die  Hälfte  dieser  Vogtei  „zu 
mehrung  und  besserung  anderer  seiner  lehen“,  verliehen  wurde*). 

Als  dann  1578  mit  diesem  Helfenstein  der  Mannesstamm  des 
Geschlechts  ausstarb,  belehnte  1580  der  Erzbischof  den  Trierer 
Marschall,  Rat  und  Amtmann  Johann  von  Eltz,  dessen  Bruder 
Hans  Richard  und  ihren  Vetter  Hans  Anton  mit  dem  durch  das 
Aussterben  der  Helfenstein  erledigten  Marschallamt,  mehreren 
anderen  Güten)  und  der  halben  Vogtei  zu  Kärlich  und  Mühl- 
heim. Dem  Anton  von  Eltz  wurde  dann  in  der  Erbteilung  mit 
seinem  Bnider  am  2.  Juli  1597  der  gesamte  Besitz  in  der  Berg- 
ptlege,  insbesondere  die  erwähnte  halbe  Vogtei  überwiesen,  und 
dieser  Erwerb  war  unzweifelhaft  die  Ursache  zur  Aufnahme  des 
Weistums  von  1598*), 

Zum  Niedergerichtsbezirk  des  Erzbischofs  in  Kärlich  gehörten 
auch  die  Besitzungen  zu  Mühlheim.  Noch  1784  sagt  die  Amts- 
beschreibung, es  sei  in  Mühlheim  ein  Grundgericht  vorhanden,  das 
aber  in  Kärlich  gehalten  werde  im  Hause  des  Schultheißen;  Schult- 
heiß sei  derjenige,  der  den  kurfürstlichen  Hof  in  Kärlich  habe. 
Das  Gericht  — ein  rein  grundherrliches  Gericht  — tage  zweimal 
im  Jahre;  als  Vogt  praesidiere  ein  zeitlich  Eltzischer  Amtmann. 

So  ragen  auch  anderorts  die  Gebilde  der  Vergangenheit  bis 
weit  in  die  neue  Zeit  herein,  um  dann  entweder  ganz  überwunden 
zu  werden,  oder  sie  werden  den  Bedürfnissen  der  Gegenwart  ent- 
sprechend umgestaltet  und  führen  unter  veränderter  Gestalt,  ge- 
wöhnlich noch  mit  ihrem  alten  Namen  belegt,  ein  neues  Leben  fort. 

')  Codex  diplom.  Rheno-Mos.  IV.  Bd.  S.  404  Amn.  2. 

*)  Cod.  diplom.  Rheno-Mos.  V.  Bd.  8.  114.  Nr.  13:  S.  206  Nr.  124.  Die 
„halbe1-  Vogtei:  wohl  iin  Gegensatz  zur  andern  Hälfte  der  Niedervogtei  z. 
Kärlich,  die  «ich  über  die  St.  Floriner  Herrschaft  erstreckte. 

*)  Vgl.  Roth,  Geschichte  der  Herren  u.  Grafen  von  Eltz.  I.  Bd.  S.  236 
u.  8.  248:  Anmerkungen  S.  XXVI.  Nr.  500. 

4. 


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II.  Abschnitt. 

Das  Niedergericht;  Hochgericht  und  Niedergericht; 
.Niedergerichtsherrschaft  und  Grundherrschaft; 
vogtfreie  und  bevogtete  Herrschaft. 

Eine  bunte  Mannigfaltigkeit  trafen  wir  bei  unserem  Überblick 
über  die  Niedergerichte  an,  da  wir  die  Organisation  der  niederen 
Gerichtsbarkeit  auf  dem  platten  Lande  und  die  Verteilung  der 
Herrschaftsgerechtsame  in  ihrer  ganzen  Vielgestaltigkeit  verfolgten. 

Wir  fanden  indessen  schon,  daß  sich  wie  von  selbst  Gruppen 
von  Niedergerichten  zusammenfassen  ließen,  die  durch  gemeinsame 
Züge  von  andern  sich  unterschieden.  Der  Grund  hierfür  war  die 
Verteilung  der  Herrschaftsgewalt  im  Niedergerichtsbezirk;  noch 
mehr  Gemeinsames  bietet  die  eigentliche  Rechtspflege,  besonders 
dadurch  gefördert,  daß  zwischen  einzelnen  Dörfern,  die  unter 
verschiedenen  Herrschaften  standen,  die  Meinungen  ausgetauscht 
wurden,  daß  das  eine  Dorf  sich  im  Zweifel  bei  einem  andern  Rat 
holte,  oder  daß  mehrere  Dörfer  ein  gemeinsames  Obergericht 
hatten,  das  bei  einer  Appellation  eine  Entscheidung  des  Streit- 
falles gab.  So  heißt  es  im  Weistum  von  Wellmich1):  „Item  vor 
jaren  holten  die  von  Husen  und  Werlenn  ire  erfahrungh  an 
scheffen  hie,  und  die  von  Welmich  bei  inen,  und  ir  recht  urthell 
holten  sie  zu  Ingelheim.  Ist  beider  seits  abgangen,  und  berußen 
sich  die  von  Welmich  nliun  glien  Niederlan. stein *)“.  In  Wiebels- 
heim3) ist  bestimmt:  „.  . . . dessglichen  moegen  schulteis  und 

•)  Lörsch,  Weistümer  Nr.  30  §7.  Husen  ist  St.  Goarshmiscn  und 
Werlenn  Werlau. 

*)  Die  Berufung  ist  vorgeschrieben  durch  die  kurtrierische  Münz-  und 
Gerichtsordnung  v.  J.  H93.  Lörsch,  Weistümer  S.  88  Antn.  3.  Vgl.  auch 
H.  Lörsch,  Der  Ingelheimer. Oberhof.  lt.  Schröder4,  S.  605. 

3)  Lörsch.  Weistümer  No.  29  § 17. 


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scheffen,  wan  sie  der  urteile  nit  wisse  sien,  sich  erfaren,  wie  recht 
sy.  Und  wanne  der  scheff'en  zu  Wiebelsheim  das  urteil  gchoilt 
hait,  sali  der  schulteis  beide  theile  gen  Wiebelsheim  uf  den  nesten 
gcrichts  tag  bescheiden,  ire  urteil  usprechen  zuhoeren“.  Ihre 
„Erfahrung“  hatten  die  Schöffen  in  Oberwesel  zu  holen,  denn  bei 
einem  Streit  zwischen  dem  Stadtgerichte  von  Oberwesel  und  dem 
Gerichte  von  Wiebelsheim  über  den  beiderseitigen  Gerichtsbezirk 
und  die  Zuständigkeit  in  Rechtssachen,  besonders  in  solchen,  die 
die  Veränderung  des  Grundeigentums  betrafen,  entschied  der  Erz- 
bischof Johann  von  Trier  am  24.  Februar  1492  unter  anderem: 
beheltlich  doch  unserm  gerichte  zu  Wesell  des  uber- 

hoiffs“ '). 

Diese  Niedergerichte,  auch  Zendereien  oder  Vogteien5),  ge- 
wöhnlich indes  einfach  Gerichte  genannt  , erstreckten  sich  über 
ziemlich  enge  Bezirke,  sie  umfassten  nur  einzelne  Ortschaften, 
höchstens  ein  ganzes  Kirchspiel,  häufig  zerfiel  ein  Dorf  sogar  in 
mehrere  Niedergerichtsbezirke5).  Nicht  mit  Unrecht  weist  man 
daher  jedem  Dorfe  sein  Gericht  zu,  denn  es  heißt  beispielsweise 
im  Gerichtsweistum  des  Gallscheider  Hochgerichts:  „Auch  weist 
man  hie  einem  jeden  dorf  sein  ingericht  zwischen  seinen  vier 
falderen,  dabey  soll  man  es  schützen  und  handhaben  wie  von 
alters“ 4). 

Wie  diese  Niedergerichte  entstanden  sind,  wird  sich  im 
einzelnen  nur  schwer  verfolgen  lassen.  Als  die  früheren  Nieder- 
gerichte, die  niederen  Land-  oder  Hundertschaftsgerichte  (placita 
minora),  zu  Hochgerichten  geworden  waren  und  sich  nicht  mehr 
mit  der  niederen  Rechtspflege  befaßten,  bildeten  sich  unter  ihnen 


')  Ebenda.  8.  80  Anm.  3. 

*)  K.  Lam  precht  a.  a.  0.,  S.  172.  Zenderei  hatte  schon  das  niedere 
Landgericht  des  froheren  Mittelalters  in  der  Moselgegend  geheißen;  das 
Niedergericht  des  späteren  Mittelalters  fährt  teilweise  denselben  Nauien. 
Vogtei,  wenn  das  Niedergericht  bevogtet  war,  und  dann  durch  Übertragung. 
Die  Vogtei  wird  von  mir  zum  Unterschied  von  den  hohen  Vogteien  Nieder- 
vogtei genannt. 

*)  Soweit  ist  die  herrschende  Lehre  richtig;  vgl.  R.  Schröder4 
S.  603. 

*)  Lörsch,  Weistömer  No.  (17)  § 9.  Das  Weistum  ist  vom  Anfang 
des  16.  Jahrhunderts. 


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neue  Niedergerichte  *).  Diese  Bildung  ist  aber  nicht  einheitlich 
und  in  unserem,  dem  Mittelrhein-Gebiet  etwa  zur  selben  Zeit  er- 
folgt, sondern  allmählich;  darum  war  für  die  Organisation  des 
neuen  Niedergerichts  und  die  Verteilung  der  (Jewalten  ein  weiter 
Spielraum  gelassen. 

Das  Beispiel  der  einen  Herrschaft  konnte  für  andere  mall- 
gebend werden  und  diese  veranlassen,  ihre  Einrichtungen  analog 
denen  der  ersteren  zu  gestalten.  Hauptsächlich  entstanden  sie 
durch  Exemtionen  oder  durch  Zersplitterung  der  bisherigen  niederen 
Landgerichte,  die  dadurch  oft  völlig  aufgelöst  wurden,  so  daß  die 
neuen  Niedergerichte  in  der  Folge  sogar  Blutgerichtsbarkeit  erlangten. 
Der  Hauptanlaß  dazu  war  wieder  die  Immunität*),  die  ja  von 
Anfang  an  direkt  Exemtion  der  Immunitätsleute  aus  dem  niederen 
Landgericht  gewährte. 

Die  Entwicklung  der  Immunität  war  nicht  so,  wie  man  bisher 
angenommen  und  behauptet  hat.  Die  niedere  Immunität  der 
fränkischen  Zeit  wurde  nicht  zur  hohen  am  Ende  des  9.  oder  im 
10.  Jahrhundert,  es  ist  kein  durchgehendes  Aufrücken  von  niederer 
zu  hoher  Gerichtsbarkeit  zu  bemerken.  Vielmehr  erfolgte  in  dieser 
Zeit  eine  Differenzierung  der  Immunitätsrechte;  Immunität  konnte 
an  sich  ebensowohl  hohe  wie  niedere  Gerichtsbarkeit  in  sich  fassen ; 
das  war  in  nachfränkischer  Zeit;  jetzt,  im  10.  Jahrhundert,  trat 
auch  eine  Differenzierung  der  durch  Immunität  erworbenen  herr- 
schaftlichen Gerichtsbarkeit  innerhalb  desselben  Gebietes  ein,  „die 
Auflösung  des  ursprünglich  einheitlichen  Immunitätsgerichts  in 
mehrere  nebeneinander  wirkende  Gerichte,  die  Bildung  von  .Sonder- 
gerichten auf  der  Immunität“ s)  fand  statt. 

Die  Tendenz  in  der  Gerichtsverfassung  während  der  nach- 
karolingischen Zeit  ging  überhaupt  dahin,  an  die  Stelle  der  Ein- 
heitlichkeit Vielgestaltigkeit  zu  setzen.  In  der  niederen  Rechts- 

')  Auch  dies  nach  der  herrschenden  Lehre,  Vgl.  K.  Lamprecht 
a.  a.  0.,  S.  197  ff.,  S.  201  ff.  u.  bes.  S.  215.  Ich  stelle  das  Niedergericht  des 
späteren  Mittelalters  dar  und  beschränke  mich  darauf,  die  Entstehung  des- 
selben nur  in  gToßcn  Zügen  zu  schildern;  uni  sie  im  einzelnen  zu  verfolgen, 
bedürfte  es  erst  einer  Untersuchung  über  das  Hochgericht  des  späteren 
Mittelalters,  die  indes  nicht  vorliegt.  Vgl.  S.  14  Anm.  1. 

ä)  Vgl.  H.  Schröder4)  S.  179  ff.;  bes.  Ucrh.  Secliger  a.  a.  0., 
S.  56—173. 

3)  Herb.  Seeliger  S.  158. 


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pflege  erreichte  man  darin  das  Äußerste;  es  kam  soweit,  daß  jede 
Ortschaft  ihr  „Ingericht“  hatte,  ja,  daß  ein  Dort  in  mehrere 
Niedergerichtc  zerfiel. 

(legen  die  Hochgerichte  lassen  sich  diese  Niedergerichte  leicht 
ahgrenzen.  Sie  unterscheiden  sich  von  jenen  einmal  durch  die 
Kompetenz1).  Am  besten  findet  sich  dies  — freilich  negativ  — 
ausgedrückt  im  Weistum  von  Herbisheim *),  wo  es  heißt:  „Item 
ein  meiger  zu  H.  hat  zu  richten  alle  ding  und  zu  entrichten,  ane 
fünfferhande  dinge,  zu  wissen  diepstail,  noitzucht,  nachtbrant, 
mordt  und  meissei wondten-,  dieselbe  funff  stucke  hait  der  caiss- 
voigt  macht  zu  richten  und  zu  entrichten“. 

Diese  „fünferhand  Dinge“,  die  dem  Hochgericht  Vorbehalten 
sind,  sind  die  schweren  Verbrechen;  sie  gehen  an  „Hals  und  Bauch“, 
wie  im  Gailscheider  Hochgerichtsweistum  normiert  wird3):  „Item 
auch  weist  man  ihm  (sc.  dem  Kurfürsten  von  Trier  als  Herrn  des 
Hochgerichts)  zu  einen  edel  gestrengen  herm  ainbtmann,  der  soll 
wohnhaftig  seyn  auf  dem  hauss  Wellmich,  zu  richten  über  haltz 
und. bauch  und  über  alle  gewaltige  Sachen,  die  böse  zu  strafen  und 
die  gute  zu  erhalten  von  wegen  unsers  gnädigsten  herm  zu  Trier“. 

Vom  Hochgericht  unterscheidet  sich  das  Niedergericht  — bis 
auf  den  Fall,  wo  das  neue  Niedergericht  selbst  wieder  mit  Blut- 
gerichtsbarkeit begabt  wurde  oder  sich  diese  aneignete  — ferner 
durch  seine  Ausdehnung.  Als  bestes  Beispiel  mag  hierfür  dienen 
die  Bergptlege,  ein  Hochgerichtsbezirk  unter  der  Herrschaft  des 
Kurfürsten  von  Trier4).  Zur  Bergpflege  gehören  die  folgenden 
zwölf  Orte5):  Kettig,  Kärlich,  Mühlheim,  Metternich,  Gülss, 
Urmitz,  Kaltenengers,  St.  Sebastianengers,  Kesselheim,  Wallersheim, 
Bubenheim  und  Rübenacli.  Die  Mehrzahl  von  diesen  haben  wir 

*)  Über  Kompetenz  des  Niedorgerichts  wird  noch  im  IV.  Abschnitt 
gehandelt. 

*)  Grimm,  Weistnmer  II.  Bd.,  S.  22.  Das  Weistum  ist  vom  J.  1458. 
Die  Abtissin  von  Fraulautern  ist  die  Herrin,  der  Graf  von  Nassau  hat  diu 
hohe  Vogtei:  „t.'aissvogt“,  also  Blutrichter  ist  in  seinem  Namen  der  Junker 
Kudolf  Beyer.  Der  Meier  ist  Dingvogt  im  Niedergericht. 

3)  Lörsch,  Weistnmer  Nr.  (17)  § 3. 

*)  Ein  früheres  niederes  Landgericht.  Lörsch,  Weistfimcr  Nr.  74 — 76. 
Vgl.  oben  S.  25  Anin.  4. 

5)  Lörsch,  Weistfimcr  Nr.  76:  Eingangs  dos  Weistums.  Das  Weistum 
ist  vom  Jahre  1556. 


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fftr  das  14.  und  15.  Jahrhundert  als  eigne  Niedergerichtsbezirke 
naehweisen  können,  und  noch  1538  wird  erkannt1):  „Fortan  sali 
unser  gnediger  herr  beschurren  und  beschirmen  witwen  und  weisen, 
den  herkomen  mann  mit  seinem  röstigen  spieß  gleich  den  in- 
wendigen, usgehalten  Gulles,  Revenach  und  Metterich  mit  iren 
instoesslichen  herrn  bei  alter  herlicheit  und  freiheit  zu  lassen 
als  von  alte  her  breuchlicli  ist“. 

Ebenso  liegt  im  Bezirk  des  Gallscheider  Hochgerichts*)  die 
Niedervogtei  Beulich  und  Morshausen;  auf  weitere  Niedergerichte, 
ja  daß  jedes  Dorf  sein  eignes  Gericht  hat,  weist  deutlich  die  von 
uns  schon  herangezogeue  Bestimmung:  „Auch  weist  man  hie 
einem  jeden  dorf  sein  ingericht  zwischen  seinen  vier  faldem,  dabey 
soll  man  es  schützen  und  handhaben  wie  von  alters“,  wo  man  also 
für  den  Hochgerichtsherm  den  Schutz  dieses  Niedergerichts  aus- 
drücklich festsetzt. 

Zum  Hochgericht  Oberwesel  gehört  der  Niedergerichtsbezirk 
Wiebelsheim,  denn  „schulteis  und  Schelfen“  zu  Wiebelsheim  sprechen : 
„das  hoegerichte  daselbs  und  was  daran  hange,  das  hoere  gen 
Wesel“  *),  und  das  Niedergericht  Piesport  ist  eingeschlossen  in 
das  Berncastler  Hochgericht4). 

Nicht  so  leicht  ist  eine  Scheidung  zwischen  Niedergerichts- 
herrschaft und  Grundherrschaft  möglich,  da  beide  vielfach  durch- 
einandergehen. 


■)  Ebenda.  Nr.  74  § 6 (v.  J.  1538  also). 

*)  Im  alten  Trechirgau  (Trigorium  820,  brachere  1023,  Trechgere  1 1 97). 
Vgl.  Mittelrheiniscbes  Urkundenbuch  Bd.  II,  Einleitung  S.  XXIII.  Ferner 
Vuy,  Geschichte  des  Trechirgaus  und  von  Oberwesel.  Der  Gau  zerfiel  in 
die  niederen  Landgerichte  Koblenz,  Boppard,  das  Gallscheider  Hochgericht 
und  Oberwesel.  In  der  Mitte  des  14.  Jahrhdts.  hatte  das  Erzstift  Trier  das 
ganze  Gebiet,  das  ehemaliges  lieichsgut  war,  erworben;  es  wurde  die  Amts- 
Verfassung  daselbst  cingeführL  ln  einer  Abhandlung  über  das  Hochgericht 
wäre  hierauf  näher  einzugehen. 

3)  Lörsch,  Weistümer  No.  29  § 24.  Vgl.  auch  die  Anm.  2 dieser 
Seite.  Zur  Orientierung:  Geschichtlicher  Atlas  der  Itheinprovinz,  hcrausgg. 
von  der  Gesellschaft  für  rhein.  Geschichtskunde.  Bonn  1894—98.  Bes.  die 
2.  Karte. 

4)  Vgl.  Abschnitt  I,  S.  38.  Über  das  Berncasteier  Hochgericht  vgl. 
K.  Lamprccht  a.  a.  0..  S.  170  ff.  Dasselbe  hatte  18  Vogtcicn,  darunter 
Piesport.  Ebenda  S.  172. 


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In  dem  uns  schon  bekannten  Vertrag1),  in  dem  Emmerich  von 
Waldeck  und  der  Kurfürst  von  Trier  ihre  Rechte  in  der  Niedervogtei 
Beulich  und  Morshausen  festsetzten , wurde  dem  Kurfürst  Vorbe- 
halten: die  oberste  Herrschaft  und  das  Hochgericht  derselben 
Dörfer,  „beheltnisse  doch  myme  vurgen.  Herren  und  sime  Stiffte 
des  Hoengerichts  und  Busen,  die  Lyff  und  Gut  antreffent,  und 
was  darzu  gehoeret,  darane  ich  keyn  Recht  han  oder  haben  sal“, 
sowie  die  Huben  und  Güter  daselbst,  da  diese  nicht  zur  Vogtei 
gehörten.  In  diesen  Worten  liegt  in  groben  Zügen  eine  Ab- 
grenzung des  Niedergerichts  — hier  gleichbedeutend  mit  Nieder- 
vogtei — gegen  das  Hochgericht  vor,  aber  auch  — in  dem  Vor- 
behalt der  Huben  und  Güter  — gegen  die  Grundherrschaft. 

Wir  können  nicht  — um  die  Trennung  von  Niedergerichts- 
und Grundherrschaft  genau  nachzuweisen,  die  Grundherrschaft  und 
die  Fronhofsverfassung  des  früheren  Mittelalters  untersuchen*).; 
wir  können  auch  nicht  den  Beginn  des  Auseinandergehens  von 
Grund-  und  Niedergerichtsherrschaft  verfolgen’).  Wir  beschränken 
uns  auf  das  14.  und  15.  Jahrhundert,  und  indem  wir  die  Ver- 
hältnisse in  den  von  uns  untersuchten  Niedergerichten  klar- 
legen, bereiten  wir  gleichzeitig  die  definitive  Beantwortung  jener 
Fragen  vor. 

Da  finden  wir  als  einfachste  Lage  der  Dinge,  daß  die  Grund- 
herrschaft auch  die  Niedergerichtsherrschaft  hat.  Keine  andere 
Herrschaft  sitzt  neben  ihr  im  Dorfe,  keine  Zwischengewalt  schiebt 
sich  zwischen  Herrschaft  und  Untertanen  ein4).  Die  Verwaltung 


')  Der  Vertrag  S.  31  Anm.  1 erwähnt. 

*)  Ich  verweise  vor  allem  auf  (ierh.  Seeliger  a.  a.  0. 

*)  Gcrh.  Seeliger  behandelt:  „Die  Emanzipation  des  Gerichtsbezirks 
vom  grundherrlichen  Kreis“:  (S.  117).  „Immnnitätsherrschaft  und  Grund- 
herrschaft gehen  im  10.  Jahrhdt.  auseinander“.  (8.  122.)  Seit  dem  9.  Jahrh. 
Loslösung  der  Immunität  von  der  Grundherrschaft  und  überaus  ver- 
schiedene Abstufung  der  geriehtshcrrlichcn  Gerechtsame.  (Ebenda.)  Ge- 
nauere, mehr  ins  einzelne  gehende  Untersuchungen  werden  Sceligers  An- 
sicht wohl  als  richtig  erweisen. 

4)  So  die  Gruppe  A Ziffer  I.  Vgl.  die  Anlage.  Wären  die  Verhältnisse 
überall  so,  dann  könnte  man  wie  Lamprecht  (a.  a.  0.  S.  1033)  von  einem 
„Grundgericht“  reden;  auch  Lamprecht  sagt  indes,  daß  es  sich  zum  Bezirks- 
untergericht erweitert  hätte.  Dieses  deckt  sich  mit  dem  Niedergericht,  das 
ich  hier  untersuche. 


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der  Grundherrschaft  sowohl  als  die  niedere  Rechtspflege  ist  Sache 
der  Herrschaft,  alle  Beamte,  Wirtschafts-  wie  Niedergerichts- 
beamte, werden  von  ihr  eingesetzt,  und  wenn  auch  die  Dorfge- 
meinde bei  der  Ernennung  der  Dorf  behörden , der  eigentlichen 
Gemeindebeamten , mitwirkt , so  müssen  diese  doch  von  der 
Herrschaft  bestätigt  werden,  und  sie  schwören  nur  ihr,  oder  wen 
sie  zu  ihrem  Stellvertreter  ernennt;  sie  hat  die  Dorfherrschaft 
schlechthin. 

An  dieser  Lage  der  Dinge  wird  nichts  geändert,  wenn  mehrere 
Grundherrschaften  im  Dorfe  sitzen  und  jede  von  ihnen  die  Nieder- 
gerichtsbarkeit über  ihre  Untertanen  hat'),  wie  es  im  Weistum 
von  Groß-Hombach  ausgedrückt  ist’):  „Daz  ider  herre  uf  sinen 
guten  in  dorfe  und  in  felde  faut  und  herre  ist,  und  uf  welichs 
herren  gut  der  frevel  geschieht,  des  selben  ist  die  busz“,  oder  wie 
das  Habsburger  Urbar  festsetzt:  „Jeder  richtet  über  die  Sinen“5). 
Selbst  im  17.  und  18.  Jahrhundert  kommt  es  noch  vor,  daß  der 
auswärtige  Grundherr  eines  einzelnen  Hofes  in  einem  Dorfe  zu- 
gleich auch  der  Gerichtsherr  dieses  Hofes  ist,  während  das  übrige 
Dorf  einen  eignen  Niedergerichtsbezirk  unter  einem  andern  Herrn 
bildet4). 

So  ist  cs  indes  durchaus  nicht  durchgängig;  häufig  ist  die 
Lage  derart,  daß  mehrere  reine  Grundherrschaften  in  einem  Dorfe 
sitzen.  Deren  Banding  ist  dann  reines  Grundgericht,  d.  h.  nur 
für  den  Grund  und  Boden  der  Herrschaft  und  ihre  Grund- 
untertanen  zuständig;  es  befaßt  sich  nur  mit  »Sachen,  die  die 
Grundherrschaft  angehen,  regelt  die  Bewirtschaftung  des  Gutes, 
die  Abgaben  der  Erbpächter  und  Lehenleute  u.  a.  m. ; der  Vor- 
sitzende in  diesem  Hubgericht  ist  der  Wirtschaftsbeamte  der 
Grundherrschaft,  wie  auch  die  Schöffen  Eigen  von  der  Grund- 
herrschaft zu  Lehen  haben.  Mit  Niedergerichtsbarkeit  hat  dieses 
Verwaltungsgericht  der  Grundherrschaft  an  sich  nichts  zu  schaffen. 


')  Vgl.  die  Gruppe  C. 

*)  Grimm,  Weistümer  VI,  S.  8 v.  J.  1397. 

5)  So  i.  B.  Habsburger  l'rbar  S.  106  (Riedern),  S.  108  (Nicderglatt), 
S.  233  (Trfillikon).  Vgl.  auch  Wyss,  Abhhandlungen  zur  Geschichte  des 
Schweiz,  ßffcntl.  Hechts.  (Zürich  1892)  S.  42  n.  Anin.  1. 

*)  Vgl.  Theodor  Knapp  S.  188  f.  Eine  Ausnahme,  aber  sic  findet 
sich  doch. 


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59 


Von  diesen  Grundherrschaften,  die  ursprünglich  sicher  ein- 
ander völlig  gleichberechtigt  waren,  gelang  es  einer,  Zwing  und 
Hann  über  die  ganze  Dorfmark1)  zu  bekommen,  die  andern  unter 
ihre  Niedergerichtsherrschaft  zu  beugen.  Ihr  Gericht  wurde  zum 
wirklichen  Niedergericht,  indem  diejenigen  Strafsachen,  die  eben 
dem  niederen  Gericht  Vorbehalten  waren,  daselbst  anhängig  gemacht 
wurden.  Der  Vorsitzende  in  diesem  Gericht  ist  wirklicher  Richter*), 
die  Zahl  der  Gerichtsschöffen,  entweder  sieben  oder  vierzehn3), 
ist  bestimmt  und  die  Ergänzung  des  Schöffenkollegs  ausdrücklich 
vorgeschrieben.  Den  dingpflichtigen  Umstand  bilden  alle,  die 
Eigen  uud  Erbe  in  der  Gerichtsmark  besitzen,  nicht  nur  diejenigen, 
welche  Erbpächter  der  einen  Grundherrschaft  sind.  Kurz,  wir 
haben  hier  das  Niedergericht,  dessen  Bezirk  die  ganze  Dorfmark 
umfaßt4). 

Wir  können  auf  frühere  Ausführungen  zurückgreifen5)  und 
bemerken,  daß  dies  am  ehesten  da  geschehen  konnte,  wo  eine 
weltliche  und  eine  oder  mehrere  geistliche  Grundherrschaften  in 
einem  Dorfe  begütert  waren.  Dann  lag  es  für  die  geistlichen 
Herrschaften  nahe,  der  weltlichen  die  Niedervogtei  einzuräumen, 
und  auf  Grund  dieser  konnte  dann  die  weltliche  ihre  Befugnisse 
zur  vollen  Niedergerichtsherrschaft  ausdehnen*). 

Wir  sind  damit  auf  diejenige  Institution  gelangt,  die  in  der 
niederen  Rechtspflege  eine  bedeutsame  Rolle  spielte:  die  Nicder- 


■)  Vgl.  die  Niedergerichte  der  Gruppe  H,  in  der  Anlage. 

*)  Dieser  Kichter  im  Niedergericht  unterscheidet  sich  vom  Yorsitrenden 
dos  Hubgerichts,  wie  der  Amtmann  als  Blutrichter  von  dem  Kellner  des  Erz- 
stifts.  Ein  Analogon  aus  der  neuesten  Zeit  anzuführen  — etwa  Amtsrichter 
und  Landrat  — ist  nach  dem  eben  Bemerkten  überflüssig. 

3)  K.  Lamprecht  a.  a.  U.,  S.  172  Anm.  7 zu  vgl.  mit  Lörsch,  Weis- 
tnmer  No.  101  § 3:  erklären,  weshalb  14  .Schöffen  vorhanden  sind.  Darüber 
später. 

4)  Diese  Lage  fallt  wohl  Lamprecht  ins  Auge,  wenn  er  sagt,  das 
Grundgericht  hätte  sich  zum  Bezirksuntergericht  erweitert. 

*)  Vgl.  Abschnitt  I,  S.  37  ff.  Es  ist  das  nur  ein  Fall  von  mehreren, 
aber  bezeichnend. 

6)  Vgl.  etwa  I'iesport,  wo  die  Herren  von  Esch  die  Niedervogtei  über 
die  andern  innc  haben,  mit  Metternich;  hier  haben  die  Isenburg  die  volle 
Niedcrgeriehtsherrschaft 


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ßO 


vogtci')-  Wie  ein  Keil  schob  sich  in  unserer  Zeit  die  Nieder- 
vogtei zwischen  Niedergerichts-  und  Grundherrschaft  einerseits  und 
den  Untertanen  andererseits  ein.  Wie  die  Herrschaft,  so  erlaubte 
sich  auch  der  Niedervogt  Übergriffe;  indessen  gerade  dadurch,  daß 
beide  mit  einander  rivalisierten,  gerieten  sie  immer  und  immer 
wieder  in  gegenseitigen  Zwist,  und  dann  berief  sich  jede  der  beiden 
Gewalten  auf  das  herkömmliche  Recht  und  versprach,  es  in  Zu- 
kunft streng  einzuhalten,  dasselbe  auch  vom  Gegner  fordernd. 
Den  Vorteil  hatten  die  Bauern;  es  ist  demnach  gerade  die  Nieder- 
vogtei das  hauptsächlichste  Moment,  welches  verhinderte,  daß  die 
Bauern  in  völlige  Abhängigkeit  von  der  Grundherrschaft  gerieten, 
da  die  Niedervogtei  eine  Verschmelzung  von  Niedergerichts-  und 
Grundherrschaft  unmöglich  machte;  kam  es  doch  häufig  sogar  so- 
weit, daß  diese  ganz  von  der  niederen  Rechtspflege  zurflektrat 
und  der  Niedervogt  auf  Grund  seiner  Vogtei  zur  vollen  Gerichts- 
herrschaft kam*). 

Man  muß  sich  der  Verbreitung  der  Vogtei  erinnern,  um  ihre 
Bedeutung  nach  Gebühr  zu  schätzen. 

Es  fehlte  während  des  ganzen  Mittelalters  zu  keiner  Zeit  an 
Vogteibedürftigen.  Besonders  die  geistlichen  Stifter  und  Klöster 
bedurften  ständig  des  Schutzes  weltlicher  Großer,  den  gegen  Ende 
des  früheren  Mittelalters  die  geistlichen  Landesfürsten s)  allerdings 
wieder  abstreiften,  dessen  aber  die  vielen  kleinen  geistlichen 
Herrschaften,  zumal  für  entlegenere  Besitzungen  nicht  entraten 
konnten.  In  der  Rechtspflege  zumal  blieb  die  Vogtei  bestehen, 


•)  VgL  für  die  Verhältnisse  Alemanniens  die,  denen  im  Mittelrhcin- 
gebiot  sehr  ähnlich  sind  (Th.  Knapp  a.  a.  0.  S.  331  f.),  Wyss,  Abhandlungen 
zur  Geschichte  des  Schweiz,  öffentl.  Hechts,  S.  40  ff. : Die  weltliche  niedere 
Vogtei.  Kerner:  • K.  Lamprecht  a.  a.  0.,  S.  1062  ff. : Die  Vogtei;  ebenso 
Gerh.  Secliger  a.  a.  0.,  S.  158  ff. 

*)  Vgl.  das  Niedergericht  Planich;  über  die  mannigfachen  Übergänge 
s.  d.  I.  Abschn. 

s)  So  erlangte  der  Erzbischof  von  Trier  über  sein  Territorium  die 
Vogtei  am  6.  April  1197,  denn  an  diesem  Tage  verzichtet  Heinrich,  Pfalz- 
graf bei  Rhein,  zugunsten  des  Erzbischofs  auf  seine  Vogteirechte  über  Kirche 
und  Stadt  Trier,  auf  seine  Befugnisse  und  Rechte  im  Trochirgau  und  in 
den  Dörfern  an  der  Mosel.  8.  Mittelrhcinisches  Urkundenbuch  II.  Bd.  No.  165. 
Über  Vogtei  im  allgemeinen  vgl.  G.  Waitz,  Deutsche  Verfassungsgeschichtc 
Bd.  VII,  S.  320  ff.,  S.  372  ff.;  Bd.  VIII,  S.  63  f.  (Beide  Bde.  in  der  2.  Aufl.) 


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61 


für  die  Blutgerichtsbarkeit  war  es  sogar  unbedingt  nötig.  Der 
Grund  hierfür  war  wieder  die  Herrschaft  der  Geistlichen. 

Nach  strengem  canonischen  Recht  durfte  kein  Geistlicher 
jemand  mit  der  Ausübung  der  Blutgerichtsbarkeit  beauftragen, 
geschweige  gar  selber  als  Blutrichter  fungieren1).  Diese  Ansicht 
bestand  das  ganze  Mittelalter1)  hindurch,  noch  1507  heißt  es: 
„Weyset  der  höfer  und  lehenmann,  mein  her  der  abt  mag  einen 
vogt  haben,  welcher  die  vogtey  von  seinen  wegen  empfangen  solle, 
deshalben,  ob  yemants  soweit  mißhandelt  und  begriffen  wurde, 
daß  er  vom  leben  zum  tot  geurtheilt  würdt,  dass  solle  der  vogt 
lassen  thun,  so  mein  herr  geistlich  ist“;  und  als  Kuriosum 
sei  angeführt  eine  Bestimmung  aus  der  Ordnung  von  Schieferstadt, 
wo  über  die  Blutgerichtsbarkeit  gesagt  wird:  „Zu  dem  ersten,  das 
ein  apt  von  Limpurg  ein  gerichtsher  ist  mit  unserem  gn.  h.  von 
Speyer;  der  hat  zu  richten  über  blut  und  fleisz,  dweil  mein  her 
von  Limpurg  geistlich  ist“  *). 

Ähnlich  liegt  es  mit  der  Niedervogtei.  Seit  dem  10.  Jahr- 
hundert lassen  sjch  darauf  bezügliche  Abmachungen  zwischen  den 
Herrschaften  und  den  Vögten  verfolgen.  Dabei  wurde  nicht  etwa 
eine  Teilung  in  der  Art  vorgenommen,  daß  die  Hochgerichtsbarkeit 
dem  Vogt  zugewiesen  wurde,  die  niedere  Rechtspflege  der 
Herrschaft  Vorbehalten  blieb.  In  der  Regel  umfaßte  die  Gewalt, 
die  zwischen  Herrschaft  und  Vogt  zu  verteilen  war,  gar  nicht  die 
Hochgerichtsbarkeit4),  sondern  es  handelte  sich  in  den  meisten 
Fällen  um  Niedergericht  und  Grundherrschaft.  Da  kommt  es  auf 
den  jeweiligen  Vertrag  an,  den  Herrschaft  und  Niedervogt  mit- 
einander geschlossen  haben,  oder  auf  die  sonstige  Auseinander- 
setzung der  beiden  Gewalten;  dadurch  wird  die  große  Mannig- 
faltigkeit der  vogteilichen  Rechte  erklärt4).  So  finden  wir,  um 

*)  Vgl.  R.  Schröder,  Deutsche  Rechtsgeschichte4,  S.  573  u.  An  im.  162. 

*)  Das  gleich  zu  erwähnende  Weistum  ist  vom  J.  1507.  Vgl.  Grimm, 
Weistümer  II,  S.  391:  Weistum  von  Wulferscheid.  Auf  die  hohe  Vogtei 
gehe  ich  nicht  näher  ein. 

5)  Grimm,  Weistümer  Bd.  V,  S.  585:  Weistum  von  Schieferstadt  II,  § 1. 

4)  Die  Hochgerichtsbarkeit  im  späteren  Mittelalter  suchten  diu  Landes- 
herren zu  erwerben,  und  wo  es  ihnen  gelang,  Hellen  sie  dieselben  durch  be- 
sondere Beamte  ausüben.  Indes,  hierauf  kann  ich  nicht  näher  eingehen. 

4)  Vgl.  die  unter  Ziffer  II  in  den  drei  Gruppen  aufgefnhrtcn  Nieder- 
gerichte. 


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62 


die  beiden  äußersten  Punkte  zu  bezeichnen,  daß  Niedervogtei  einfach 
gleichbedeutend  mit  Niedergerichtsherrschaft  sein  konnte1);  es 
begegnen  aber  auch  Niedervögte,  die  keine  Richtergewalt  mehr 
haben s),  sondern  nur  als  Schirmvögte  neben  der  Gerichtsherrschaft 
stehen,  ja  sich  bloß  darauf  beschränken,  die  ihnen  früher  einmal 
zugesagten  Bezüge  für  sich  einsammeln  zu  lassen.  Bei  dieser 
Lage  der  Dinge  verhindert  der  Umstand  ein  Zusammenfallen  von 
Niedergerichts-  und  Grundherrschaft,  daß  die  eine  Grundherrschaft 
die  Niedergerichtsbarkeit  über  andere  besitzen  kann,  daß  also  da, 
wo  die  Niedervogtei  fehlt,  Niedergerichts-  und  Grundherrschaft 
nicht  schlechthin  vereinigt  sein  müssen.  Bevogtet  kann  eine  solche 
Herrschaft  natürlich  gleichfalls  sein’). 

Die  Niedervogtei  selbst,  so  verschiedenartig  sie  war,  wird  als 
nutzbares  Recht  behandelt,  man  hat  an  ihr  eine  Gewere;  sie  wirkte 
als  eine  auf  dem  betreffenden  Grund-  besser  Gerichts-Eigentum 
ruhende  Last,  wurde  geteilt,  vererbt,  verkauft,  abgelöst;  sie  blieb 
selbstredend  auch  dann  bestehen,  wenn  geistliches  Gut  in  Hände 
von  Laien  kam4). 

Auf  die  Grundherrschaft  aber  hatten  die  Niedervögte  keinen 
Einfluß,  in  die  Verwaltung,  Einsetzung  des  Hofverwalters  usw. 
hatten  sie  nichts  einzureden.  Dahinzielende  Versuche  lassen  sich 
allerdings  nachweisen,  besonders  aus  der  Zeit  des  Interregnums, 
aus  der  Zeit,  wo  die  Herrschaften  am  meisten  des  Schutzes  be- 
durften, wo  es  andrerseits  für  die  Vögte  verführerisch  war,  ihre 
Macht  gegen  ihre  Schützlinge  zu  mißbrauchen5),  und  im  späteren 
Mittelalter  fehlt  es  gleichfalls  nicht  daran c),  bis  die  erstarkende 
Territorialgewalt  derartige  Gelüste  unterdrückte. 

Solche  Versuche  wurden  von  der  Grundherrschaft,  die  sich  mit 
Recht  in  ihrem  Besitzstand  dadurch  bedroht  fühlte,  energisch 
zurückgewiesen;  wo  aber  der  Niedervogt  Einfluß  auf  die  Grund- 
herrschaft gewann,  wo  es  ihm  gelang,  etwa  den  Hofverwalter  und 
die  Hubschöffen  einzusetzen,  da  lag  es  nahe,  die  bisherige 


')  Z.  B.  in  Planich.  *)  So  in  Kcsselheim.  s)  Vgl.  Güls. 

*)  Gcrh.  Seeliger  a.  a.  0.,  S.  1GG.  Vgl.  auch  den  ersten  Teil  des  fol- 
genden Abschnittes. 

&)  Beispiele  bei  Lamprccht  III.  Bd.  No,  45  u.  4G,  50,58;  bes.  G3  § 2. 
6)  Vgl.  Kesselheirn  und  Güls  (oben  S.  25  u.  S.  40). 


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f,3 


Herrschaft  ganz  aus  ihrem  Besitz  zu  verdrängen,  besaß  er  doch 
ohnedies  die  stärkere  Gewalt,  die  Niedergerichtsbarkeit. 

Verschieden  wie  die  Wirkung  der  Niedervogtei  ist  auch  ihre 
Begründung.  „Sie  kann  möglicher  Weise  noch  den  Trägern  der 
obem  Gewalten,  den  Gau-  oder  nunmehr  Landgrafen,  oder  den 
Grafen  und  freien  Herren,  die  durch  Ablösung  oder  Exemtion 
größere  Gebiete  als  Herrschaften  mit  oder  ohne  Grafenrechte  be- 
sitzen, als  zu  der  Graf-  oder  Herrschaft  gehörend  und  die  Kom- 
petenz der  alten  Centenare  mit  in  sich  begreifend,  verblieben  sein. 
Weit  häufiger  aber  ist  sie  in  neuer  Weise  über  einzelne  Gemeinden 
auf  dem  Wege  der  Lehenserteilung  oder  etwa  auch  durch  Pfand- 
schaft Leuten  des  Ritterstandes  als  erbliches  Recht  zugeteilt 
worden  und  später  dann  nicht  selten  durch  Kauf  auf  Städte  oder 
auch  Leute  des  Bürgerstandes  übergegangen“ '). 

Nachdem  wir  so  noch  die  „weltliche  niedere“  Vogtei  kennen 
gelernt  haben,  können  wir,  auch  ohne  daß  wir  die  Grundherrschaft 
und  ihre  Wirkungen  genauer  untersuchten,  doch  als  Ergebnis 
unsrer  Untersuchung  feststellen,  daß  Niedergerichts-  und  Grund- 
herrschaft sich  im  Mittelrheingebiet  während  des  späteren  Mittel- 
alters durchkreuzen,  daß  Niedergerichtsherrschaft,  Niedervogtei  und 
Grundherrschaft  auf  dem  platten  Lande  als  besondere  Gewalten 
neben  einander  bestehen. 


■)  Vgl.  Wyss,  Abhandlungen  zur  Gesell,  des  Schweiz,  üflcntl.  Rechts, 

S.  40. 


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III.  Abschnitt. 


Die  Bezüge  aus  der  Niedervogtei;  Herrschaft  und 
Untertanen. 

Die  Niedervögte  hielten,  wie  wir  sahen,  zUh  an  ihren  Gerecht- 
samen fest,  und  nur  selten  gelang  es  der  Herrschaft,  die  Nieder- 
vogtei an  sich  zu  bringen1).  Der  Grund  hierfür  waren  natürlich 
nicht  die  Pflichten,  die  die  Niedervögte  übernehmen  mußten, 
sondern  die  Rechte,  die  an  der  Niedervogtei  hafteten.  „Die 
Adligen  Altdeutschlands  sind  der  Hauptsache  nach  aus  den 
Ministerialen  hervorgegangen.  Diese,  eine  künstliche  Schöpfung 
der  Landesherren  für  die  Zwecke  der  Kriegführung  und  Verwal- 
tung, waren  keineswegs  überwiegend  auf  die  Erträge  von  Grund- 
besitz angewiesen,  stellten  keineswegs  eine  eigentliche  Landaristo- 
kratie dar.  Es  war  ein  kompliziertes  System  von  Einnahmen 
und  Berechtigungen,  auf  das  sich  ihre  Existenz  gründete5)“. 
Und  zu  diesen  Einnahmen  und  Berechtigungen  gehörten  auch  die- 
jenigen aus  der  Niedervogtei ; während  die  Pflichten  — wir  werden 
noch  darauf  zu  sprechen  kommen  — von  keiner  allzugroßen  Be- 
deutung waren,  gewährten  die  Berechtigungen  dem  Inhaber  der 
Niedervogtei  nicht  zu  unterschätzende  materielle  Vorteile. 

*)  In  Güls  beispielsweise.  Die  große  Anzahl  bis  zum  Beginn  der  Neu- 
zeit bestehenden  Niedervogteien  ist  ein  Beweis  dafür. 

*)  G.  v.  llelow,  Territorium  und  Stadt,  S.  34.  Die  Weiterbclehnung 
der  Yogteicn  von  fürstlichen  Personen  auf  Ministeriale,  auf  die  wir  mehr- 
fach trafen,  bietet  die  Illustration  zu  den  Belowschen  Ausführungen.  So  in 
Kesselheim,  in  Hirzenach,  in  Bculich  und  Morshausen  usw.  Über  die  Standes 
Verhältnisse  vgl.  Below,  Ministerialitüt;  Artikel  im  llandw.  der  Staats- 
wissenschaften.  Ferner  0.  v.  Zall  ingcr.  Die  SchfifTenbarfreien  des  Sachsen- 
spiegels. Innbsr.  1887.  Derselbe,  Ministerialen  und  Milites.  Innshr.  1878. 


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65 


Diese  Einnahmen  ans  der  Niedervogtei  ’)  bestanden  einmal  in 
den  Geriehtsgeldern  oder  wenigstens  in  einem  Anteil  an  denselben, 
weiter  in  dem  Servitium  an  den  Dingtagen  und  schließlich  in 
festen  Bezügen,  die  der  Niedervogt  von  seiten  der  Niedergerichts- 
herrschaft oder  der  Niedergerichtsuntertanen  empfing. 

Wenn  der  Niedervogt  in  irgend  einer  Weise,  sei  es  persönlich, 
sei  es  durch  Stellvertretung  oder  durch  einen  von  ihm  eigens  dazu 
bestellten  Beamten , gewöhnlich  Untervogt  von  uns  genannt, 
noch  an  der  eigentlichen  niederen  Rechtspflege  teilnahm,  dann 
hatte  er  einen  Anspruch  auf  einen  Teil  der  Gerichtsgelder,  der 
Wetten  oder  Bußen,  die  einkamen.  Gerade  da  spielen  die  be- 
sonderen Verhältnisse  der  einzelnen  Niedergerichte,  die  Verteilung 
der  Gerichtsgewalt  zwischen  Herrschaft  und  Vogt  eine  besondere 
Rolle,  sodaß  es  zu  weit  führen  würde,  die  einzelnen  Niedergerichte 
daraufhin  zu  untersuchen.  Manches  ist  bereite  erwähnt8),  über 
anderes  wird  später  noch  zu  reden  sein.  Nur  soviel  sei  hier  be- 
merkt, daß  da,  wo  eine  Teilung  der  Gerichtegelder  stattfand,  dies 
zumeist  in  dem  alten  Verhältnis  von  */3  zu  '/3  geschah;  der 
Niedervogt  erhielt  dann  gewöhnlich  das  alte  Grafendrittel. 

Ein  weiteres  Emolument  war  das  Servitium  an  den  Gerichts- 
tagen; es  war  die  Pflicht  der  Herrschaft,  den  Vogt  und  sein  Ge- 
sinde während  der  Tagung  des  Gerichte  zu  verpflegen  und  zu 
beherbergen.  Dem  Niedervogt  war  es  erlaubt,  „mit  muglichem 
gesyndt“  zu  kommen;  wir  werden  noch  sehen,  daß  er  gelegentlich 
recht  ausgiebigen  Gebrauch  davon  macht,  bis  zu  dreißig  Reiter 
bringt  er  an  dem  einen  Ort  mit1). 

Das  Servitium  war  in  der  Regel  festgelegt;  es  umfaßte  teil- 
weise bestimmte  Kleidungsstücke,  wie  Socken,  Schuhe,  Stiefel, 
Pelze  und  Mäntel;  in  unserem  Zeitraum,  mit  dem  Fortschreiten 
der  Geldwirtschaft4)  löste  man  es  gerne  in  Geld  ab.  Indes,  da 

')  baiu  Lamprecht  a.  a.  0.,  8.  1080  ff.,  S.  1096  ff.,  wo  besonders  von 
der  hohen  Vogtei,  aber  auch  der  Niedervogtoi  gehandelt  wird. 

3)  Siehe  etwa  Hecheln,  Hculich-Morshausen  u.  a.  Vgl.  Gcrh.  Seeliger 
S.  158—166. 

*)  Lörsch,  Weistümer,  S.  268  Anl.  2 § 2:  In  Güls. 

4)  bas  spätere  Mittelalter  ist  für  die  abendländischen  Knltnmationeii 
ein  Zeitalter  der  Gcldwirtschaft:  schon  iin  12.  u.  13.  Jahrh.  bricht  diese 
überall  siegreich  durch.  Ich  verweise  dazu  auf  eine  Abhandlung  von  mir: 
.Geldgeschäfte  hansischer  Kaufleute  mit  englischen  Königen  im  13.  und 

Uroseh,  N iedergericht  5 


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66 


das  Servitium  dem  Vogte  nur  als  Entgelt  und  Unterhalt  an  den 
Gerichtstagen  zugebilligt  war,  so  konnte  es  ihm  vorenthalten  werden, 
wenn  er  seiner  Pflicht  nicht  nachkam,  oder  es  setzte  ihm  die 
Niedergerichtsherrschaft  für  diesen  Fall  eine  bestimmte  Summe 
aus ').  Dabei  mochte  die  Absicht  mallgebend  sein,  dem  Nieder- 
vogt die  Vernachlässigung  seiner  Pflicht  so  bequem  wie  möglich 
zu  machen,  um  eine  Handhabe  zu  bekommen,  ihn  ganz  aus  der 
niederen  Rechtspflege  zu  verdrängen*).  Für  den  Gerichtsherrn 
war  es  jedenfalls  am  zweckmäßigsten,  das  Servitium  dem  Nieder- 
vogt selbst  auszuzahlen,  und  es  kam  tatsächlich  selten  vor,  daß 
er  diese  Last  auf  die  Untertanen  abwälzte3). 

Wo  dagegen  der  Herrschaft  das  ausschließliche  Recht  zustand, 
den  Dingvogt  zu  ernennen,  und  wo  sich  der  Niedervogt  von  der 
niederen  Rechtspflege  ganz  zurückgezogen  hatte,  hatte  er  keinen 
Anspruch  auf  die  Gerichtsgelder  und  eigentlich  auch  nicht  auf 
das  Servitium.  Wohl  aber  standen  ihm  die  Bezüge  zu,  die  ihm 
auf  Grund  der  Niedervogtei  dauernd  gewährt  waren;  es  wurden 
dazu  teilweise  Gebührnisse  aus  dem  Servitium  geschlagen,  weil 
man  deren  Charakter  nicht  mehr  erkannte;  zum  Teil  bestanden 
die  regelmäßigen  Bezüge  auch  in  der  Ablösungssumme,  die  man 
dem  Niedervogt  gewährt  hatte  dafür,  daß  er  sich  von  der  niederen 
Gerichtsbarkeit  überhaupt  zurückgezogen. 

Die  Bezüge  konnten  wieder  zweierlei  Art  sein:  einmal  Be- 
züge, die  der  Niedervogt  von  seiten  der  Herrschaft,  und  dann 
solche,  die  er  von  se;^en  ,jer  Untertanen  empfing. 

14.  Jahrh.“  im  Archiv  fiir  Kulturgeschichte  II.  IM.  Heft  2 u.  3.  lies.  S.  139, 
Aum.  1. 

')  So  in  Trimbs. 

'Jt  „Wie  aber  historische  Vorgänge  immer  sehr  komplizierter  Art  sind, 
sehr  mannigfache  Förderung  und  sehr  mannigfache  Hemmnisse  erfahren,  so 
assen  sich  auch  bei  unserem  Problem  vielerlei  Momente  erkennen,  welche 
die  Entstehung,  Verbreitung  und  Art  der  (lutsherrschaft  mit  oder  genauer 
bestimmt  haben“.  Ich  erinnere  hier,  und  hätte  es  schon  mehrmals  tun 
können,  an  einen  Gedanken  llclow’s  (a.  a.  0.  S.  36),  um  mich  gegen  den 
Vorwurf  zu  sichern,  als  hätte  ich  immer  die  Absicht  gehabt,  alle  Momente 
anzufnhren,  die  die  Förderung  oder  ein  Hemmnis  für  einen  historischen 
Vorgang  gebildet  haben. 

3;  Aber  es  kommt  doch  vor.  Pies  gegen  Lamprecht  a.  a.  f>.  S.  1098. 
u.  Anm.  1.  Vgl.  fiensheim. 


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67 


Die  ersteren  bestanden  im  „Genüsse  eines  bestimmten  aus 
den  Fronhofspertinenzen  ein  für  allemal  übenviesenen  Grundbesitzes“ 
oder  in  dauernden  Abgaben,  die  die  Herrschaft  dem  Niedervogt 
aus  ihren  Einnahmen  gewährte.  Es  ist  natürlich  gut  möglich, 
daß  er  beides  empfing,  mochte  es  ihm  nun  durch  Ablösung  ge- 
währt werden  oder  als  Schirmgeld  zuerkannt  sein. 

Ebenso  empfing  er  von  den  Niedergerichtsuntertanen  bestimmte 
Abgaben ; gerade  diese  charakterisieren  die  Stellung  der  Unter- 
tanen zur  Herrschaft,  so  daß  wir  in  der  Folge  darauf  besonders 
unser  Augenmerk  richten.  Wo  eine  Niedervogtei  überhaupt  nicht 
bestand,  wo  die  Grundherrschaft  zugleich  volle  Niedergerichts- 
herrschaft war,  da  nahm  sie  auch  alle  Abgaben  ein.  Um  aber 
diejenigen  kennen  zu  lernen,  die  nur  aus  der  Niedergerichts- 
herrschaft herrührten,  die  nicht  grnndherrlicher  Natur  waren,  sind 
die  Bezirke  zu  untersuchen,  die  unter  einem  Niedervogt  stehen. 

Beginnen  wir  mit  dem  Orte,  wo  der  Niedervogt  gewisser- 
maßen die  volle  Niedergerichtsherrschaft  hat,  mit  Planich  '). 

Dot  Niedervogt,  der  Herr  von  Löwenstein,  hat  hier  inso- 
fern eine  besondere  Machtstellung,  als  er  jeden,  der  zu  Planich 
sitzt  ohne  nachfolgenden  Herrn,  in  seinen  Eid  tun  darf;  er  hat 
die  Niedergerichtsherrschaft,  und  diese  erstreckt  sich  über  alle 
Einwohner  des  Dorfes. 

Sein  Servitiuin  wird  von  den  Huben  erhoben,  die  außerdem 
die  freien  Zinse  an  die  Grundherrschaft  abzuliefern  haben.  Diese 
interessieren  uns  zunächst  nicht,  nur  die  Art  der  Erhebung  ist  zu 
erwähnen.  Während  nämlich  der  Beamte  der  Grundherrschaft,  der 
Schultheiß,  deren  Zinse  eintreibt,  besorgt  dies  für  den  Niedervogt 
der  Gerichtsknecht.  Denn  an  dem  Tage,  an  dem  die  Herren  von 
Löwenstein  einreiten,  „so  soll  ein  gesworen  budel  von  denselben 
hubem  eime  ritter  gewinnen  ein  hun  und  sime  genösse  ein  hun, 
der  zu  dem  gerichte  höret,  und  iglichen  pherde  ein  summer  liabern 
und  dem  rosse  ein  vemzal  habern  den  dach  und  die  nacht.“ 
Ferner,  wenn  sich  nach  St.  Joh.  Bapt. s)  Tag  kommen,  soll  ihnen 
der  Büttel  das  Falltor  aufmachen  und  soll  ihnen  „einen  wech  ader 
eine  anewende“  vorschneiden,  das  sie  zu  nacht  essen  mögen. 

■)  (iriinm,  Wi'ixtflinor  IM.  I.  S.  SIO. 

*)  Der  ‘J 4 . Juni. 

5* 


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68 


Am  eigentlichen  Gerichtstag  soll  jeder  „einen  phening“  geben, 
„zu  verdrinken  mit  eime  amptmanne  zu  den  zweien  nngeboden 
dingen;“  auch  diejenigen,  die  die  Huben  inne  haben,  sollen  geben 
„eime  amptmanne  zu  den  zwein  ungeboden  dingen  einen  pheninc;“ 
„und  wer  die  hüben  hait  und  der  faitpheninge  nit  engebit  ader 
zu  den  ungeboden  dingen  nit  enwere,  he  were  an  dorfe  ader  uiss- 
wendig  dorfes,  so  mag  ein  foit  sin  gut  an  ban  dun  unde  deme 
gute  nachfolgen,  alse  die  scheffen  wisent.“ 

Außerdem  erhalten  die  Herren  von  Löwenstein  die  ständigen 
Bezüge;  zunächst  von  den  Herren  von  St.  Jakobsberg  jährlich 
ein  Binger  Fuder  Weins,  wohl  deshalb,  weil  sie  die  Schirmvogtei 
über  die  Einnahmen  des  Klosters  aus  dem  Dorfe  ansüben.  Ferner 
von  den  Huben  „hunre  und  haben»“;  diese  soll  der  Büttel  ihnen 
aus  den  Huben  gewinnen  bis  zum  24.  Juni,  und  zwar  soll  jede 
Hube  soviel  geben  als  die  andre.  Die  Huben  sind  pflichtig, 
„sechzehn  morgen  schussen  den  zwein  unser  frauwen  tage  den 
vorgen.  hem  von  Lewenstein;  alle  jar  ein  malder  komes  Binger 
maisse  und  seis  Schillinge  heller  und  zehen  gelten  wines  in  dem 
ersten  Banne  Binger  maisse.“ 

Wer  zu  Planich  sitzt  und  keine  Hube  hat,  „und  die  herren 
nit  angehoret“,  der  ist  den  Herren  von  Löwenstein  nur  ein  Fast- 
nachtshuhn zu  geben  schuldig;  dämm  darf  er  dann  Wasser  und 
Weide  gebrauchen. 

Vergleichen  wir  damit  die  Abgaben,  die  an  das  Domstift  ab- 
zuliefem  sind,  so  erhält  dieses  seine  freien  Zinse  nach  Martini; 
auf  St.  Martinstag  fallen  ihm  neun  Kappen,  vermutlich  nach  der 
Zahl  der  Huben.  Jeder,  der  eine  Hube  inne  hat  und  dem  Dom- 
stift freie  Zinse  gibt,  ist  ihm  auch  das  Besthaupt  schuldig;  dieses 
wird  indes  nur  dann  fällig,  wenn  ein  Mann  stirbt;  dessen  Erben 
haben  es  an  das  Stift  abzuführen. 

Also  die  Fastnachtshühner  empfangt  der  Niedervogt  von  allen 
denen,  die  ihm  keine  sonstigen  Abgaben,  nicht  „hunre  und  habern“ 
wie  die  Huber  schuldig  sind;  die  Grundherrschaft  dagegen  erhält 
von  den  Hubern  das  Besthaupt. 

In  Triinbs ')  hat  der  Niedervogt  Anspruch  auf  die  „vaitdvnste“, 
auf  das  Servitium,  und  zwar  empfangt  er  zu  jedem  Ding  einen 


l)  (i  lim  in.  Weintüiner  Kd.  tl,  S.  470. 


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60 


Vogtdienst;  kommt  er  zu  einem  „Oeding“  nicht,  so  erhält  er 
vom  Schultheiß  für  jeden  Dienst  3 Mark  kölnischer  Währung. 
Die  Dienste  selbst  sind  spccialisiert.  Zum  ersten  Ding  darf  er 
kommen  mit  zwei  Pferden,  mit  einem  Habicht,  mit  einem  Wind- 
und  zwei  Vogelhunden.  Dann  soll  man  dem  Burggrafen  und 
seinen  Dienern  gütlich  tun  und  soll  dem  Habicht  ein  Huhn  geben; 
der  Windhund  soll  „vur  der  taiffelen“  gehen  und  den  beiden 
Vugelhunden  soll  man  einen  reinen  Stall  mit  frischem  Stroh 
geben  nebst  Wasser  und  Brot,  ebenso  den  Pferden  ihr  Futter, 
soviel  ihnen  zukommt.  Ferner  soll  der  Niedervogt  beim  Wegreiten 
ein  Malter  Hafer  erhalten,  damit  er  Futter  habe  in  der  nächsten 
Herberge.  Dieselben  Dienste  bekommt  er  am  Dienstag  nach  St. 
Johannstag  und  am  Dienstag  nach  Quasimodogeniti,  nur  das  Malter 
Hafer  wird  nicht  gereicht. 

Kommt  einer  der  Höfer  nicht  zu  den  vorgeschriebenen  Dingen, 
der  wird  am  ersten,  dem  sogen.  Geschworenen-Montag,  mit  10  den., 
zu  Ostern  mit  10  den.  und  zu  St.  Johannis  Messen  mit  7'/s  Schilling 
leichten  Geldes  gebüßt.  Sonstige  Bezüge  des  Niedervogtes  werden 
nicht  erwähnt. 

Sehr  gut  unterrichtet  werden  wir  über  die  Einnahmen  des 
Niedervogtes  von  Güls. 

Schon  1066  bestimmt  Erzbischof  Anno  von  Köln  über  das 
dem  Niedervogte  an  den  einzelnen  Gerichtstagen  zu  reichende 
Servitium „Sitque  servitium,  quod  abbas  advocato  in  unaquaque 
die  placiti  dare  debeat:  2 modii  tritici;  ama  vini;  2 amae  cer- 
visiae;  porci  2 valentes  duos  sol.;  porcellus  denariorum  6; 
anseres  2;  pulli  4;  ova  20:  avenae  modii  6“,  und  für  Güls  wird 
speziell  hinzugefügt:  „In  Gulsea  tantundem  excepta  cervisia,  que 
non  potest  dari  eo,  quod  ibi  non  sit.“ 

In  der  Urkunde'  vom  15.  Juni  1321  werden  diese  Abgaben 
an  den  Niedervogt  von  seiten  der  Niedergerichtsherrschaft  folgender- 
maßen aufgezählt:  „Insuper  dimidium  maldrum  tritici,  una  uma 
vini,  unum  maldrum  avenae,  decem  et  octo  denariata  carnium, 
dimidium  talentum  piperis  et  unum  talentum  cere,  que  nobis 
tribus  vicibus  anni  in  iudicio,  dicto  wislichdinc,  solvebantur2).“ 

')  Lörsch,  Weistfimer,  S.268  Anm.  1.  Einleitung  zu  den  Weist,  von  Güls, 
S.  257  Z.  1 1 IT.  Über  die  HerrschaftsvcrhSltmsse  von  Güls,  s.  Abschn.  I,  S.  41  ff. 

*)  Lörsch,  S.  258.  Über  „wislichdinc“  unten  IV.  Abschnitt. 


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70 


Außerdem  wird  als  jährliche  Abgabe  ffir  den  Niedervogt,  und 
zugleich  als  Grund,  weshalb  er  sie  erhält,  festgesetzt:  „ ...  et 
ipsi  nobiles  omne  ius  curie  conservabunt,  quod  patre  ipsorum  vi- 
vente  servabatur,  pro  quo  ipsis  annis  singulis  datur  carrata  vini“  — 
nach  einer  Bestimmung  vom  Jahre  1227 ')  — und  1321  erhalten 
sie:  „Una  karrata  vini,  pelliceum  unum  duo  cotumi,  singulis 
annis  nobis  solvi  consueti®).“ 

Es  erfolgte  sodann  der  bekannte  Verkauf  der  Niedervogtei  an 
die  Abtei  Siegburg  durch  die  Urkunden  vom  1.  Februar  1335  und 
23.  Februar  1330;  freilich  erlangte  die  Abtei  dadurch  nicht  den 
vollen  Besitz  der  Niedervogtei,  sondern  nach  einem  langwierigen 
Streit  setzte  sich  bekanntlich  Konrad  von  Brohl,  der  Sohn  Sieg- 
frieds, in  ihren  Besitz,  worauf  die  Bezüge  durch  einen  Schieds- 
spruch des  Erzbischofs  Wilhelm  von  Köln  vom  14.  Dezember  1357 3) 
neu  geregelt  wurden.  „Abbas  et  conventus“  heißt  es  da,  „tene- 
bantur  et  tenentur,  tribus  vicibus  in  anno  quolibet  prefatum  Con- 
radum  advocatum  ad  dictam  curtem  deelinantem  cum  sua  comitiva 
infra  numerum  triginta  equitum  seu  equorum  graciose  ad  eorum 
ibidem  hospicium  admittere  et  curialiter  recipere  et  in  cibariis 
iuxta  modum  et  condicionem  patrie  et  temporis  exigencium  et 
personarum  qualitatem  honeste  procurare  et  equis  ipsis  . . . pa- 
bulum  ministrare.“  An  die  Stelle  dieser  Naturalverpflegung  setzt 
Erzbischof  Wilhelm  eine  jährliche  Geldrente  von  30  Mark:  „ ...  et 
dabunt  et  solvere  tenebantur  dicto  Conrado  . . . dicto  curtis 
advocato,  perpetuos  annos  redditus  triginta  marcarum  Hollan- 
densium.  . . 

Außerdem  erhält  Konrad  auch  die  jährlichen  Bezüge  weiter: 
„,  . . racione  dicte  advocacie  unam  carratam  vini,  solvendam  in 
ipsa  curte  de  Gulse  libere,  iam  doliatam  et  in  dolio  et  vase  dic- 
torum  . . . abbatis  et  conventus“.  Weiter  empfängt  er:  „Singulis 
annis  in  festo  obitus  beati  Martini  . . . unum  pelliceum  aguinum 
de  Dacia,  duos  cotumos  sive  botos,  bntschoen  appellatos,  unam 
libram  piperis,  unum  porcum  valoris  extimacione  communis  octo 
sol.  monete  communiter  currentis  . . . vel  octo  solidos  eiusdem 
monete,  pro  eodem  neenon  et  octo  sol.  monete  supradicte.“  Das 

‘)  Lörsch,  Anlage  1. 

3)  Ebenda,  S.  258. 

3)  Ebenda,  Anlage  5 §§  2 — 5. 


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71 


Pfund  Pfeffer,  das  Sehwein  und  die  8 Schillinge  gewöhnlicher 
Währung,  die  er  im  Gegensatz  zu  früher  jetzt-  mehr  erhält,  hatten 
ursprünglich  zu  den  dreimaligen  Einkünften  gehört,  obwohl  diese 
durch  die  Geldrente  von  30  Mark  abgelöst  worden  waren,  waren 
jene  doch  erhalten  geblieben  und  zu  den  jährlichen  Bezügen  ge- 
schlagen worden.  Man  kann  daraus  ersehen,  daß  Servitium  und 
Bezüge  nicht  etwas  bestimmt  Normiertes  war,  und  wenn  von  uns 
beides  gegen  einander  abgegrenzt  wurde,  so  geschah  dies  zur  Er- 
leichterung des  Verständnisses  dieser  Einnahmen;  es  ist  lediglich 
Sache  der  Herrschaft,  sich  mit  dem  Vogt  in  dieser  Hinsicht 
vertragsmäßig  auseinanderzusetzen,  wie  ja  das  Verhältnis  dieser 
beiden  Gewalten  ganz  auf  dem  Vertrag  beruht,  den  sie  mit  ein- 
ander abgeschlossen  haben. 

Im  Jahre  1325  hatte  Konrad  von  Brohl  der  Abtei  die 
sogen.  Meybede  mit  verkauft,  die  dann  1385  dem  Niedervogte 
Dietrich  von  Brohl  wieder  zugewiesen  wird ').  In  dem  eben  an- 
geführten Vergleich  wird  sie  nicht  genannt,  vermutlich  deshalb, 
weil  sie  der  Niedervogt  von  den  Untertanen  und  nicht  von  der 
Herrschaft  des  Niedergerichts  empfing.  Außerdem  ist  1335  eine 
Einnahme  verzeichnet,  die  bis  dahin  überhaupt  nicht  erwähnt 
worden  ist,  wohl  aus  demselben  Grunde  nicht  erwähnt,  wie 
die  Meybede.  Am  St.  Martinstag  nämlich,  wenn  Vogtding  ist, 
fällt  dem  Vogte  von  jedem  Hause  zu  Güls,  in  welchem  ein  Mann 
wohnt,  ein  Vogtpfennig;  ausgenommen  sind  die  Häuser,  die  im 
Eigentum  der  Leute  stehen,  welche  dem  Reiche  angehören,  oder 
Dienstleute  des  Trierer  Erzbischofs  oder  Schöffen  von  Güls  sind. 
Hierbei  interessiert  vor  allem  die  Bestimmung,  daß  der  Vogt- 
pfennig von  jedem  Hause  fällt,  in  dem  ein  Mann  wohnt,  und  daß 
gewisse  Häuser  davon  befreit  sind,  nämlich  diejenigen,  deren 
männliche  Bewohner  in  einem  besondern  Dienstverhältnis  stehen. 
Die  Abgabe  ruht  also  auf  dem  Hause,  nicht  auf  der  Person2). 

')  Lörsch,  Weistnuicr  No.  95  §2.  Das  Folgende  ebenda.  §3. 

*)  Dingpllichtig  sind  aber  nur  die  Männer,  die  Frauen  gehören  nicht 
zuui  Umstand;  die  Verhältnisse  sind  bei  unserm  Niedergericht  also  dieselben 
wie  beim  niederen  Landgericht  der  vorhergehenden  Periode.  Ich  erwähne 
folgende  Bestimmungen:  .Dan  fraigt  der  schultheisc  furter  die  scheffenne, 
were  an  solich  gedingc  gehoere  ? Sprechen  die  scheffene : werc  da  belebend 
si  von  mim  gnedigsten  hem  von  Trier,  der  gehoere  dar  und  der  sulle  sich 


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Abgesehen  davon  stimmt  das  dem  Niedervogt  1383  gewiesene 
Beeilt  mit  dem  ihm  durch  den  Vertrag  von  1357  zuerkannten 
überein,  nur  hat  man  ihm  für  die  30  Mark  jährlicher  Rente  einen 
Zoll  zugestanden;  für  jedes  Faß  Wein  nämlich,  das  von  St. 
Remigiustag  bis  Martini  (1.  Oktober  bis  11.  November)  ausgeführt 
wird,  erhält  er  einen  Heller1). 

Am  11.  Januar  1546,  also  nach  einem  Zeitraum  von  160  Jahren 
wird  eines  Erbvogts  zu  Güls  Gerechtigkeit  von  neuem  gewiesen*); 
das  Weistum,  das  darüber  aufgenommen  wird,  erwähnt  tatsächlich 
nur  Vorschriften  über  das,  was  dem  Niedervogt  zusteht.  Da  er- 
fahren wir  über  die  Bezüge  des  Vogtes  folgendes: 

Am  ersten  Dingtag,  d.  h.  am  zweiten  Dienstag  nach  Martini, 
erhält  er  einen  bfilunischen  Pelz,  ein  Paar  Botschuhe,  ein  Pfund 
Pfeffer,  und  ein  Schwein  im  Wert  von  acht  Albus.  Am  zweiten 
Dingtag  — am  zweiten  Dienstag  nach  Ostern  — empfängt  er  die 
Meybede;  sie  soll  ungefähr  acht  Albus  betragen.  Am  dritten 
Dingtag  — am  zweiten  Dienstag  nach  Johanni  — erhält  er  die 
Weinbede,  und  zwar  erhält  der  Niedergerichtsherr  — es  ist  jetzt 
der  Landesherr,  der  Kurfürst  von  Trier  — zunächst  ein  Fuder 
Wein  im  voraus;  den  Rest  teilen  sie,  doch  so,  daß  der  Kurfürst 
seinen  Teil  nach  großem,  nach  Bacharacher  Gemäß,  der  Niedervogt 
dieselbe  Anzahl  Ohm,  aber  nach  kleinem,  nach  des  Dorfes  Güls 
Gemäß  bekommt1). 

Nicht  überall  sind  wir  imstande,  die  Einnahmen  aus  der 
Niedervogtei  durch  einen  Zeitraum  von  fast  fünf  Jahrhunderten  zu 
verfolgen  wie  in  Güls;  gerne  ergriffen  wir  daher  die  Gelegenheit, 

bewisen  im  unguboden  gedinge,  ussgcscliciden  wiedfrauwon  und  den  hirten 
(Lörsch,  No.  29  §3)  ferner  „die  Herren  von  Löwenstein  sind  Herren  und 
Hicbtcr  zu  Flanich  über  Feld  und  im  Dorfe,  soweit  die  Mark  geht  und  die 
Schöffen  und  das  Gericht  weisen,  Kirche  und  Witwen  ausgenommen.“ 
(Uri mm,  Weistnmer  Bd.  I,  S.  810.)  Vgl.  dazu  S.  79  u.  a.  a.  0.  dieser  Arbeit. 

()  Su  ist  am  besteu  die  neue  Bestimmung  zu  erklären:  „ . . . und  ejn 
zoll  alleiar  van  seilte  Kemeys  dach  bis  sente  Mertyns  dach  und  dainbinuun 
horint  uymo  vade  bysunders  zu.“  Vergl.  Lörsch,  Weistnmer  No.  95  § 2; 
No.  97  § 3:  S.  352:  Zoll. 

*)  Ebenda,  No.  96. 

3)  Ein  Ohm  Wein  hat  18  Gülser  Viertel  oder  20  Viertel  nach  Haclia- 
raclicr  Gemäß.  Dieses  ist  also  um  zwei  Viertel  größer  als  jenes.  Vgl. 
Lörsch,  Wcistümor  No.  92  § 5. 


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73 


diese  Bezüge  in  ihrer  ganzen  Vollständigkeit  anfzuzeichnen,  so 
ausführlich,  als  es  die  vorliegenden  Urkunden  überhaupt  gestatteten. 
Anderswo  liegt  in  der  Regel  nur  eine  Urkunde  darüber  vor,  und 
wo  die  Herrschaft  ein  Weistum  aufnehmen  läßt  — es  ist  schon  in 
der  Einleitung  davon  die  Rede  gewesen  — , läßt  sie  die  Gerecht- 
same des  Niedervogtes  nur  soweit  aufzeichnen,  als  sie  mit  den 
ihrigen  konkurrierten.  Daran  muß  man  denken  und  sich  der  ge- 
nauen Gülser  Weisung  erinnern,  wenn  man  findet,  daß  die  Ein- 
nahmen aus  der  Niedervogtei  verschwindend  klein  sind,  ja,  wenn 
überhaupt  dem  Niedervogt  keine  gewiesen  werden;  ebenso  können 
stets  die  Gülser  Bezüge  zur  Erklärung  unklarer  Formulierung  der 
Einnahmen  aus  der  Niedervogtei  dienen. 

In  Beulich ')  — auf  solche  Ausführlichkeit  wie  in  Güls  stoßen 
wir  nun  nicht  mehr  — soll  der  Heimbürge  an  den  drei  Banntagen 
nach  St.  Martinstag  40  Albus  zusammenbringen,  und  zwar  von 
denjenigen,  die  daselbst  begütert  sind.  Er  soll  sie  an  die  Unter- 
vögte abliefern,  die  sie  zu  gleichen  Teilen  für  den  Kurfürsten 
und  die  Lehnherrn  teilen  sollen.  An  den  drei  gebannten  Tagen 
nach  St.  Paul  sollen  vom  Heimbürgen  20  Albus  aufgebracht 
werden,  mit  denen  in  gleicher  Weise  verfahren  wird. 

Ferner  geben  die  beiden  Dörfer  34  Malter  Getreide,  Bopparder 
Maßes,  für  Nachtlager,  Vorspanndienste*)  und  alle  Beschwerung, 
die  man  den  Dörfern  etwa  auferlegen  könnte;  davon  gibt  der 
Kurfürst  den  Lehnherren  13  Malter  ab.  Dazu  sollen  alle  bei- 
steuern, welche  begütert  sind,  und  zwar  gibt  der,  der  nur  soviel 
Grund  hat,  daß  er  einen  dreibeinigen  Stuhl  darauf  setzen  kann, 
genau  soviel  wie  ein  andrer,  dessen  Gut  2000  Gulden  wert  ist. 

An  gemeinsamen  Abgaben  leisten  Beulich  und  Morshausen 
noch  folgende:  Wer  daselbst  begütert  ist,  der  ist  alle  zwei  Jahre 
ein  Simmer  Vogthaber  und  den  sogen.  Vogtheller  — im  Betrage 

*)  Lörsch,  Weistümer  No.  18  §§  2,  3,  5,  7 — 9.  Das  Weistum  ist  vor 
15fi3  aufgenommen : zu  den  Abgaben,  die  nur  von  Beulich  aufgefnhrt  sind, 
hat  wohl  Morshausen  ebenfalls  beigesteuert:  die  beiden  Orte  bilden  eine 
gemeinsame  Niedervogtei. 

*)  Heerwagen.  Lörsch  (Weistüuiur,  S.  333)  erklärt  Vorspannleistung 
als  Frondienst,  abgelöst  durch  Haferabgabe.  Die  Beulicher  haben  Wagen 
für  den  Transport  zu  stellen,  wenn  der  Landesherr  einen  Heereszug  unter- 
nimmt. (Vgl.  G.  v.  Below,  Territorium  u.  Stadt  S.  12fi.)  Diese  öffentliche 
Lost  wird  durch  die  Getreideabgabe  abgclöst. 


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74 


von  IV,  Heller  — den  üntervögten  schuldig,  und  zwar  deshalb, 
weil  sie  das  Straßengericht  besitzen  und  handhaben;  der  Heim- 
bürge gibt  ihnen  noch  ein  Essen;  das  ist  der  Vogtlohn.  Ferner 
erhalten  die  Lehnherren  von  Beulich  drei  Hammel  und  von  Mors- 
hausen zwei  Hammel  und  etliche  Böcke;  „sie  wissen  nicht,  wes- 
halb, und  meinem  gnädigen  Herrn  (dem  Kurfürsten)  wird  nichts 
davon“,  fügte  der  Notar,  der  das  Weistum  aufzeichnete,  liinzu. 

Hier  wird  wieder  darauf  hingewiesen,  daß  nur  der  zu  Ab- 
gaben herangezogen  werden  kann,  der  begütert  ist,  d.  h.  Grundbesitz 
hat,  also  nicht  auf  der  Person  schlechthin  ruht  die  Abgabe.  Bei 
den  Fastnachtshühncm  wird  ausdrücklich  bemerkt,  daß  nur  der,  der 
Feuer  und  Flamme  hat,  ein  solches  Huhn  geben  muß,  denn  es  heißt : 
„Darnach  kompt  die  fastnacht,  so  sollent  die  von  Beulich,  diejenige, 
so  feur  und  flam  halten,  meinem  gnedigsten  hern  ein  fastnacht  hon 
geben,  die  beyde  vaigt  sollen  umb  gehen  und  die  uf  heben  und 
gleich  theilen“ ').  Der  betreffende  Einwohner  muß  es  also  geben, 
weil  er  Feuer  und  Flamme  hat : das  Rauchhuhn  ist  eine  dingliche 
Abgabe. 

Das  Weistum  von  Oberhirzenach  und  Karbach,  auch  das  von 
Rübenach,  das  wir  gelegentlich  einmal  erwähnten,  enthalten  von 
Einnahmen  des  Niedervogtes  gar  nichts.  Beide  Weistflmer  sind 
im  Interesse  der  Grundherrschaft  aufgenommen,  darum  wird  von 
Bezügen  nichts  erwähnt:  diese  werden  wohl  ähnlich  denen  von 
Güls  gewesen  sein. 

In  Kesselheim2)  ist  die  Herrschaft  dem  Vogt  an  jedem  der 
drei  Gerichtstage  eine  Mahlzeit  schuldig. 

In  Schwanheim5)  werden  die  Abgaben  an  den  Vogt  an  den  drei 
ungebotnen  Dingtagen  entrichtet.  Am  ersten  derselben,  im  Mai, 
fallen  ihm  zwei  Mark  Geldes  innerhalb  der  nächsten  14  Tage  nach 
dem  Gericht,  aus  des  Abtes  Hof.  Der  zweite  ist  im  Herbst;  an 
diesem  erhält  der  Vogt  aus  des  Abtes  Hof  zwei  Schweine,  sogen. 
Frischlinge,  unter  ein  Jahr  und  über  ein  halbes  Jahr;  ferner  fünf 
Simmern  Hafer,  '/s  Pfund  Pfeffer,  '/s  Pf’ur|d  Wachs,  ein  großes 

■)  Lörsch,  Weistömer  Nu.  18  §7. 

*)  Lörsch,  No.  77  §4. 

*)  Grimm,  Weistömer,  Bd.  I,  S.  521.  Becheln  soll  Übergängen  werden, 
weil  daselbst  der  Niedervogt  auch  grimdherrlichc  Gerechtsame  hat.  Kbenso 
Sulzbach  und  Niederwalincnacb,  wo  wir  über  Bezöge  gar  nichts  erfahren. 


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Viertel  Wein;  und  am  dritten  ungebotncn  Ding,  zu  Neujahr,  er- 
halt der  Vogt  einen  Wägen  mit  Holz;  ferner  soll  er  vorfinden: 
„eyn  diseh  und  evn  wiss  tuch,  daruff  dry  spisse,  nichts  darinne, 
und  zwen  becher,  und  auch  nichts  darinne“. 

In  Kärlich  ‘)  ist  der  Fronbote  dem  Niedervogt  zu  verschiedenen 
Diensten  verpflichtet;  einmal  muß  er  demselben  an  einen  bestimmten 
Ort,  wohin  der  Vogt  will,  17  Malter  Winterweizen  schaffen,  die 
dem  Niedervogt  fällig  sind  in  Koblenz,  Andernach,  Kärlich,  Kettig 
und  Mühlheim;  ferner  muß  er  mit  dem  Schultheißen  und  dem 
Untervogt  gehen,  wenn  der  Untervogt  sich  anschickt,  das  den 
Herren  oder  dem  Vogt  Pflichtige  einzusammeln.  Trifft  es  sich, 
daß  ein  Haus  oder  der  Einwohner  den  Herren  und  dem  Vogte 
zugleich  verpflichtet  ist,  so  soll  der  Untervogt  erst  das  den  Herren 
Schuldige  einnehmen  und  dann  erst  das  des  Niedervogts. 

Von  den  Bezügen  selbst  hären  wir  in  einem  spätem  Weis- 
tum *),  nach  welchem  der  Vogt  von  jedem  Huber  '/i  Simmer  Haber 
wegen  seines  Vogtrecht-s  erhalten  soll.  Die  Abgabe  lastet  auch 
hier  auf  dem  Gute  des  Hubers.  Wenn  es  daher  früher  hieß: 
„domus  seu  inhabitans“,  so  ist  der  Einwohner  verpflichtet  zur  Ab- 
gabe eben  als  Besitzer  des  Hauses.  Wir  können  darum  schließen, 
daß  auch  hier  die  Abgabe  rein  dinglich  ist. 

Zu  diesem  Schlüsse  gelangen  wir  noch  auf  einem  andern  Wege, 
indem  wir  nämlich  verfolgen,  wie  die  Huber  dem  Vogte  pflichtig 
wurden. 

Im  Jahre  1305  stellen  in  einem  Vergleich  der  Ritter  Simon 
von  dem  Burgtor  und  das  Stift  St.  Florin  zu  Koblenz  des  ersteren 
Vogtrechte  zu  Kärlich  fest3).  Für  die  Ausübung  der  Niedervogtei 
erhält  er  folgende  Abgaben:  Der  Pächter  der  Hofes  ist  ihm  alle 
Jahre  nach  Ostern  '/,  Malter  Winterweizen,  '/,  Malter  Kom  und 
ein  Malter  Hafer  für  Futter,  Andernacher  Maßes,  zu  geben 
schuldig.  Der  Schultheiß  ist  alle  Jahre  pflichtig:  „eynen  Eymer 
Wines  den  Rittern  zu  Schanke  nyt  von  dem  besten  und  auch  nyt 
von  dem  lielisten,  den  Knechten  eynen  Eymer  Wines  und  eynen  Eymer 
Byeres,  dez  dat  Viertel  eynes  Tryessen  Penniges  wert  ist,  zwene 

*)  Lörsch,  Weistümer,  No.  80,  § 13  u.  14.  Das  Weistum  ist  ungefähr 
aus  dem  Jahre  1304. 

5)  Kbenda  No.  82,  Absch.  V:  „Belangen  die  faedey“. 

3)  Codex  diplomaticus  Hheno-Mosellanus  III.  Bd.,  S.  714,  No.  501. 


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Schillinge  vor  eyn  Swin,  zwey  Hunre,  eyn  I’ont  Wascs,  eyn  Pont 
Puffers , eynen  Tryessen  Pennick  unbedacht“.  Auch  der  Hof  ist 
schuldig  zu  dienen;  es  muß  ein  Fuder  Holz  geliefert  werden. 

Dasselbe  Recht  muß  man  alle  Jahre  zu  St.  Johannes  Messe 
geben,  nur  soll  man  dann  ein  Schaf  für  das  Schwein  abliefem 
und  dazu  zwei  trierische  Pfennige  für  Speck.  Ferner  soll  den 
Rittern  gegeben  werden:  „tussen  den  zweyn  unser  Vrauwin  Missen, 
dat  sye  zu  Hymele  vur  und  geboren  wart '),  gelegen  vor  Herbcste 
syben  Malder  Weyses  und  syben  Malder  Kornes,  dye  dürre  und 
drucken  sin  molengar“. 

Nach  einem  Vergleich  des  Jahres  13!)0J)  erhalten  dagegen  die 
Niedervfigte  nur  noch  „sieben  Malder  Wcyss  und  sieben  Malder 
Korns,  dürre,  drucken  und  mulengar,  alle  Jahre  zusschen  den 
zweyen  unser  Frauwen  Missen,  als  sie  zu  Hiemel  fure,  daz  man 
nennet  Assumptio,  und  als  sie  geboren  ward,  die  man  nennet  zu 
latine  Nativitas,  vur  dem  Herbste  ....  uss  dem  vurgen.  yrem 
höbe  zu  Kerlich  vur  sulichen  Dienst,  den  sie  uns  jerlich  plichtig 
wäre  zu  dune  uss  demselben  Hobe,  als  vurges.  ist“. 

Die  Dienste  an  den  Gerichtstagen  sind  in  Wegfall  gekommen, 
weil  der  Niedervogt  das  Gericht  nicht  melir  besitzt  und  sich  von 
der  Niedergerichtsbarkeit  überhaupt  zurückgezogen  hat.  Die  Be- 
züge erhält  er  weiter,  aber  diese  hat  die  Herrschaft  auf  die  Huben 
abgeschoben;  er  empfängt  sie  nicht  mehr  von  dem  Pächter  des 
Hofes,  sondern  von  den  Hubern.  — 

Es  ist  so  ausführlich  auf  die  Bezüge  eingegangen  worden 
zunächst  deshalb,  weil  sie  das  Wesen  der  Niedervogtei  mit  be- 
stimmen; nicht  nur  die  niedere  Gerichtsbarkeit,  auch  die  Bezüge 
gehören  zum  Inhalt-  der  Niedervogtei.  So  finden  wir,  daß  der 
Niedervogt  mancherorts,  z.  B.  in  Kärlich,  mit  der  Niedcrgerichts- 
tiarkeit  gar  nichts  mehr  zu  tun  hat,  daß  er  aber  doch  mit  der  Nieder- 
vogtei weiter  belehnt  wird,  weil  er  einen  Anspruch  auf  die  Bezüge 
aus  derselben  hat. 

Die  Niedervogtei  ist  also  Lehen,  vererblich,  teilbar  und  be- 
sonders auch  frei  veräußerlich  und  frei  verpfändbar. 

Die  Teilbarkeit  der  Niedervogtei  ist  nicht  so  zu  verstehen, 
daß  jeder  Teilvogt  selbständiger  Niedervogt  geworden  wäre,  und 

')  15.  August  und  8.  September. 

*)  Codex  diplomaticus  Kheno-Mosellanus  111.  Bd.,  S.  880,  No.  620. 


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daß  vielleicht  jeder  seinen  eignen  Untervogt  hätte  bestellen  können; 
sie  werden  vielmehr  zu  gesamter  Hand  belehnt  und  haben  ge- 
meinsam ihre  Pflicht  zu  erfüllen.  Dafür  erhält  jeder  seinen  Teil 
von  den  Einnahmen  aus  der  Niedervogtei.  Die  Teilbarkeit  bezieht 
sich  also  auf  die  Bezüge;  in  Sachen  der  Niedergerichtsbarkeit 
haben  sie  gemeinsam  zu  verfahren. 

Auch  veräußerlich  und  verpfändbar  ist  die  Niedervogtei ; aber 
wieder  ist  dabei  maßgebend,  daß  mit  der  Niedervogtei  bestimmte 
Einnahmen  verbunden  waren.  So  verweist  am  21.  Januar  1293') 
der  Erzbischof  Boemund  von  Trier  seinem  Getreuen  und  Amtmann 
Hermann  von  Helfenstein  für  eine  Schuld  von  60  Mark  kölnischer 
Währung  wegen  Übernahme  der  Burgmannschaft  auf  Ehrenbreit- 
stein auf  den  Ertrag  der  Gerichtsgefälle  von  Niederberg,  indem 
er  bestimmt:  „daß  der  Helfensteiner  als  Pfand  oder  Hypothek 
alle  unsere  Niedergerichtsbarkeit  (iurisdictio)  von  Niederberg,  wie 
sie  uns  zu  vollem  Rechte  zusteht,  mit  Ausnahme  der  zur  Zeit  der 
Fastnacht  uns  daselbst  fälligen  Hühner,  habe,  besitze  und  ge- 
brauche, bis  er  für  die  erwähnte  Summe  voll  befriedigt  ist“.  Er 
soll  später  dafür  ein  regelmäßiges  Burglehen  erhalten. 

Auch  der  Vorgang  bei  der  Veräußerung  einer  Niedervogtei 
ist  der  Erwähnung  wert;  die  Übertragung  geschah  auf  dem  platten 
Lande  noch  in  unserem  Zeitraum  durch  eine  symbolische  Handlung. 
In  der  Stadt  war  man  von  dieser  Art  des  Verkaufs  längst  abge- 
kommen; das  sich  entwickelnde  Kreditwesen  hatte  andere  Formen 
hervorgebracht. 

In  Güls*)  hatten  bis  1314  die  Brüder  Siegfried  und  Konrad 
v.  Brohl  gemeinsam  die  Niedervogtei  inne.  In  diesem  Jahre  ver- 
kaufte Siegfried  alle  Rechte  und  jede  Forderung,  die  ihm  Zuständen 
oder  auf  irgend  eine  Weise  zustehen  könnten  an  der  Vogtei  und  dem 
Dorfe  Güls,  an  Konrad  mit  aller  nötigen  Feierlichkeit  und  der 
dabei  zu  beachtenden  Gewohnheit,  nämlich  durch  die  sogenannte 
effestucatio 3) ; denn  zum  Zeichen  des  Verzichts  und  der  Übertragung 
warf  Siegfried  einen  Krug  mit  Bier  an  die  Mauer  des  Hofes,  den 

')  K.  Lamprecht,  Deutsches  Wirtschaftsleben,  III.  Bei.,  No.  74. 

*)  Lörsch,  Weistümer,  No.  93. 

s)  „Et  rcnunciari  et  effestucavi  ac  renuncio  et  effestuco  pro  me  et 
meis  hercdibus  publice  . . . .“  heiUt  es  an  einer  Ähnlichen  Stelle.  Lörsch, 
Weistümer,  S.  2G4. 


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Abt  und  Convent  zu  Güls  besaßen,  indem  er  dabei  folgendes 
öffentlich  verkündete: 

„Ich  habe  kein  Recht  mehr  an  der  Vogtei,  dem  Besitztum  und 
dem  Dorfe  Güls,  sondern  alles  Recht,  was  ich  an  demselben  hatte 
oder  haben  konnte,  gebe  und  übertrage  ich  meinem  Bruder  Konrad.“ 

Aus  einem  andern  Grunde  noch  ist  so  genau  auf  die  Bezüge 
eingegangen  worden:  gerade  an  der  Hand  dieser  können  wir  die 
Stellung  der  Niedergerichtsuntertanen  zur  Herrschaft  erkennen. 
Stellen  wir  darum  noch  einmal  alles  zusammen,  was  wir  in  dieser 
Beziehung  im  Verlaufe  unserer  Untersuchung  erfahren  haben1). 

In  Becheln  erhält  der  Niedervogt  besondere  Abgaben  von  den 
Huben;  weiter  muß  jeder  Einwohner  des  Dorfes,  die  Huber  nicht 
ausgenommen,  an  den  Gerichtstagen  dem  Dingvogt  einen  Pfennig 
entrichten;  ebenso  ist  jeder,  sowohl  der  Huber,  wie  der,  der  keine 
Hube  hat,  dem  Niedervogt  ein  Fastnachtshuhn  schuldig. 

In  Güls  finden  wir  diese  hier  etwas  undeutlich  gelassene 
Bestimmung  genauer  gegeben.  Am  St,  Martinstag  nämlich,  wenn 
das  Vogtding  ist,  fällt  dem  Vogte  von  jedem  Hause  in  Güls,  in 
dem  ein  Mann  wohnt,  ein  Vogtpfennig;  ausgenommen  sind  die 
Häuser,  die  Eigentum  der  Leute  sind,  welche  dem  Reiche  ange- 
hören, ferner  die  der  Dienstleute  des  Trierer  Erzbischofs  und  die 
Häuser  der  Schöffen  von  Güls.  Also  die  Abgabe  haftet  ain  Hause, 
sie  liegt  nicht  auf  dem  Besitzer,  sie  ist  dinglicher  Natur,  nicht 
etwa  ein  Leihzins. 

In  Benlich  wiederum  bringen  diejenigen  die  Abgaben  auf, 
die  daselbst  begütert  sind,  und  wer  Feuer  und  Flamme  hat,  muß 
den  Herren  ein  Fastnachtshuhn  geben.  Auch  in  Kärlich  sind  die 
Huber  schuldig,  den  Vogthaber  abzuliefern;  hier  ruht  ebenfalls 
die  Abgabe  auf  dem  Besitztum,  nicht  auf  der  Person,  wenn  auch 
der  Vogthaber  eine  andere  Abgabe  ist  als  das  Fastnachtshuhn. 

Wie  war  nach  dem  eben  Angeführten  nun  die  Stellung  der 
Niedergerichtsuntertanen  zur  Herrschaft  ? 

Der  Bauer  am  Mittelrhein  ist  während  des  14.  und  15.  Jahr- 
hunderts frei  gegenüber  der  Niedergerichtsherrschaft 2).  Denn  nach 

')  Ich  beschränke  mich  auf  die  hier  untersuchten  Niedcrvogtcicn  und 
der  bezöge  aus  diesen.  Vgl.  dazu  K.  Lamprccht  a.  a.  0.  1.2  S.  117h  11 

*)  Hie  Abhängigkeit  von  der  Orundherrsrhaft  ist  noch  zu  untersuchen: 
du  die  reine  Urumlhcrrschuft  eine  viel  weniger  zwingende  Marht  ist  wie  die 


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deutscher  Auffassung  sind  die  Abgaben  derart,  daß  seine  Person 
durch  dieselben  nicht  berührt  wird;  sie  halten  am  Besitztum,  nicht 
an  der  Person. 

Freilich  über  das  Besitztum,  über  das  (lut,  erstreckt  sich  die 
N iedergerichtsherrschaft. 

Die  Dorfmark,  oder  das  ganze  Kirchspiel,  ist  Niedergerichts- 
bezirk; alles,  was  innerhalb  derselben  liegt,  ist  gerichtsuntertan. 
Zur  „Rekognition“  dieser  Tatsache  erhalt  der  Niedergerichtsherr 
als  Rekognitionszins  — denn  eine  andere,  etwa  materiell  ins  Ge- 
wicht fallende  Leistung  sind  weder  die  Hühnerzinse  noch  der 
Vogtpfennig  für  die  Verpflichteten  — von  den  Häusern  die  Rauch- 
hühner und  von  denen,  die  begütert  sind,  den  Vogthaber  und  den 
Vogtpfennig.  Es  sei  hier  noch  einmal  erinnert  an  die  Verpfän- 
dung der  Jurisdiktion  von  Niederberg '),  wo  der  Niedprgerichtsherr 
ausdrücklich  die  Fastnachtshühner  von  der  Verpfändung  ausschließt 
und  für  sich  Vorbehalt,  weil  er  das  Niedergericht  nicht  veräußert, 
sondern  nur  verpfändet.  Dadurch,  daß  er  noch  weiterhin  die 
Hühnerzinse  einnimmt,  erweist  er  sich  als  der  eigentliche  Nieder- 
gerichtsherr. 

Mit  dem  Rekognitionszins  ist  aber  ausgedrückt,  daß  alles 
Gut  unter  der  Gerichtsherrschaft  steht,  wie  es  ja  auch  vorkommt, 
daß  das  ganze  Dorf  gemeinsam  eine  derartige  Abgabe  abzuliefem 
hat.  Es  erhalten,  wie  wir  gesehen  haben,  die  Niedervögte  von 
Beulich  und  Morshausen  jährlich  3 Hammel  von  Beulich  und 
zwei  Hammel  und  etliche  Böcke  von  Morshausen;  wenn  diese 
Abgabe  nicht  etwa  ein  Rest  des  Servitiums  ist,  was  auch  möglich 
wäre,  so  wird  durch  sie  ausgedrückt,  daß  die  beiden  Ortschaften 
unter  gemeinsamer  Niedergerichtsherrschaft  stehen. 

Vergleichen  wir  mit  unserem  Ergebnisse  die  spätere  Zeit2) 
vom  Beginn  der  Neuzeit  bis  zur  Bauernbefreiung  (etwa  das  17. 

Niedergerichtsherrschaft,  ist  eine  persönliche  Bindung  des  Bauern  durch  sie 
unwahrscheinlich;  nur  das  Out  ist  ihr  unterworfen.  Oer  Hochgerichts- 
herrschaft gegenüber  ist  der  Bauer  ebenfalls  völlig  frei.  Vgl.  dazu  Lörsch 
Wcistümer  No.  (17)  § 6. 

■)  S.  77. 

s)  Th.  Ludwig,  Der  badische  Bauer,  S.  25.  Ich  sehe,  im  Oegensatz. 
zu  jenen  Lainprechtschen  Behauptungen,  die  ich  in  der  Umleitung  skizziert 
habe,  folgende  Entwicklung  des  deutschen  Bauernstandes:  früheres  Mittelalter, 


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so 


nnd  18.  Jahrhundert),  so  finden  wir,  gewissermaßen  als  Bestäti- 
gung, fast  dieselbe  Lage  der  Dinge  noch  vor.  „Die  gerichts- 
herrlichen Abgaben  müssen  immer  im  Bezirk  einer  ganzen  Ge- 
meinde, nie  von  einzelnen  Untertanen  geleistet  werden.  Als 
verpflichtet  wird  nämlich  nicht  der  Vermögensbesitzer,  sondern  der 
in  dem  pflichtigen  Bezirk  befindliche  Vermögensbesitz  selbst  an- 
gesehen. Es  müssen  daher  auch  Personen , welche  gar  keine 
Gerichtsuntertanen  sind,  doch  von  gerichtspflichtigem  Vermögen, 
wie  wir  uns  ausdrücken  wollen,  die  Abgabe  bezahlen.  Die  Gerichts- 
gefälle sind  regelmäßig  wiederkehrende  Zahlungen,  welche  mit 
Vermögensbesitz  überhaupt  oder  bestimmten  Arten  von  Einkünften 
verknüpft  sind“. 

Die  Bewohner  des  Niedergerichtsbezirks  sind  demnach  per- 
sönlich frei');  als  Niedergerichtsuntertanen  sind  sie  nicht  leibeigen 
oder  hörig  dem  Niedervogt.  Gewiß  sind  sie  gerichtspflichtig,  denn 
wenn  auch  die  Weistümer  in  den  einzelnen  Bestimmungen  von 
einander  abweichen,  im  allgemeinen  wird  daran  festgehalten,  daß 
jeder  Gerichtseinwohner  dem  Niedergericht  unterworfen  ist:  er 
muß  vor  Gericht  erscheinen,  er  nimmt  an  der  Tagung  im  sogen. 
Umstand  teil  u.  a.  m Diese  Gerichtspflicht  indes  bedeutet  keine 
Minderung  seiner  persönlichen  Stellung,  nach  deutschem  Begriff 
ist  es  geradezu  ein  Beweis  persönlicher  Freiheit,  wenn  der  Be- 
treffende an  der  Rechtsprechung  teil  hat. 


Unfreiheit  von  Person  und  Eigen  oder  Vollfreiheit;  dann  vielleicht  Übergang, 
ein  gewisses  halbfreies  Hecht:  späteres  Mittelalter,  Freiheit  der  Person, 
Unfreiheit  des  Eigens:  dann  wieder  eine  stärkere  Bindung  der  Person,  Bauern- 
krieg: Neuzeit,  Bauernbefreiung:  Vidifreiheit  der  Person,  und  Freiheit  des 
Eigens.  Ffir  das  spätere  Mittelalter  hatte  ich  die  Freiheit  der  Person  nach- 
zuweisen,  und  ich  habe  das  getan,  indem  ich  eben  darlegte,  datl  der  Bauer 
gegenüber  „der  Macht,  die  am  ständigsten  und  unmittelbarsten  Gewalt 
über  ihn  übte,  gegenüber  dem  Inhaber  der  niederen  Gerichtsbarkeit“ 
persönlich  frei  war. 

')  „Die  Itadizierung  der  ursprünglich  persönlichen  Lasten  auf  dem  Grund 
und  Boden“,  von  der  Lamprecht  in  dem  erwähnten  Artikel  im  Handw.  der 
Staats ».  spricht,  bedeutet  Freiheit  des  Bauernstandes,  Gebundensein  des 
Eigentums.  Den  Grund  für  diese  „Itadizierung*  kennt  Lamprecht  nicht: 
weitere  sozialhistorische  Untersuchungen  werden  mich  hoffentlich  bnld  in 
die  Lage  versetzen,  diesen  Grund  nachzuweisen. 


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Niedergerichtsherrschaft  ist  also  nicht  identisch  mit  Leib- 
herrschaft, sie  begründet  nicht  Unfreiheit  oder  Halbfreiheit  der 
Bauern '). 

Die  persönliche  Freiheit  gegenüber  der  Niedergerichtsherrschaft 
bestand  darin,  daß  der  Untertan  Heiratsfreiheit  und  Freizügigkeit 
besaß  und  keine  Leibzinse  zu  zahlen  hatte.  Es  ist  ausdrücklich 
darauf  aufmerksam  zu  machen,  daß  sich  in  allen  von  uns  unter- 
suchten Niedergerichtsbezirken*)  keine  einschränkenden  Bestim- 
mungen finden,  Vorschriften,  die  den  Bauernstand  mit  besonderen 
Fesseln  eingeschnürt  hätten,  wenigstens  im  14.  und  15.  Jahr- 
hundert nicht.  Soviel  ist  sicher,  daß  der  Bauer  unseres  Gebietes 
nur  da  Anlaß  zur  Klage  hatte,  wo  die  Herrschaft  über  ihre  Be- 
fugnisse hinausging,  und  wir  haben  keinen  Grund  anzunehmen, 
daß  das  häufig  und  überall  geschehen  sei.  Da  nun  die  Nieder- 
gerichtsbarkeit zugleich  die  Polizeigewalt  und  die  Macht  in  sich 
schloß,  die  unsere  heutigen  höheren  Verwaltungsbehörden  — Land- 


')  Was  (len  liauernkrieg  anlangt,  so  bemerkt  G.  v.  Below  (a.a.O.S.65) 
mit  liecht:  „daß  es  eine  unbewiesene  Voraussetzung  ist,  daß  bloß  schwerer 
Druck  Revolutionen  veranlasse“;  im  17.  und  18.  Jahrhundert  haben  die 
Bauern  in  den  ostelbischen  Gebieten,  die  unter  dem  schwersten  Druck  der 
Gutsherrschaft  seufzten,  nicht  den  geringsten  Versuch  unternommen,  den 
Zwang  zu  brechen.  G.  v.  Below  führt  darum  als  den  hauptsächlichsten 
Grund  der  Bauernrevolten  „die  Ausdehnung  und  den  Mißbrauch  der  landes- 
herrlichen Rechte  in  den  kleinen  Territorien“  — eben  Schwabens,  Frankens 
und  Thüringens,  wo  der  Bauernkrieg  tobte  — an,  „die  die  Bauern  am 
meisten  erbittert  hätten“.  Also  der  Versuch,  die  Bauern  aus  ihrer  Freiheit 
wieder  in  Unfreiheit  zu  zwingen,  nicht  die  fürchterliche  Lage  hat  sie  zur 
Empörung  getrieben.  Darum  basiert  der  Artikel  „Bauernkrieg“  von  Theo 
Sommerlad  im  Handw.  d.  Staatsw.  auf  ganz  falschen  Voraussetzungen, 
ist  durch  und  durch  unkritisch  und  ebenso  falsch  sind  die  phantasiereichen 
Ausführungen  K.  Lamprechts  in  seiner  „Deutschen  Geschichte“  (5.  Bd. 
1.  Hälfte,  S.  75  IT.,  2.  Aull.  Freib.  i/Br).  Dagegen  schildern  die  Zustände 
richtig  E.  Gothein,  Die  Lage  des  Bauernstandes  am  Ende  des  Mittelalters, 
vorn,  in  Südwestdeutschland.  (Westdeutsche  Zoitschr.  für  Geschichte  und 
Kunst,  Jahrgang  4,  1885,  S.  1 ff.).  Ferner  G.  v.  Below,  Territorium  und 
Stadt,  S.  64  ff. 

s)  Es  werden  sich  gewiß  in  andern  Gegenden,  besonders  je  näher  man 
der  Zeit  des  Bauernkrieges  kommt,  entgegengesetzte  Erscheinungen  nach- 
weisen  lassen:  aber  wo  sie  nicht  sporadisch  auftraten,  da  kam  es  eben  zu 
einer  Reaktion  gegen  die  Versuche,  die  Bauern  zu  binden;  der  Bauernkrieg 
begann. 

Oroseb,  Niedergericht  6 


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rat,  in  Süddeutschland  Oberamtmann  — ausüben  und  darum  am 
tiefsten  in  das  tägliche  Leben  der  Bauern  eingrifT,  — die  Grund- 
herrschaft hat  keine  zwingende  Gewalt  über  ihn,  das  Hochgericht 
kommt  nur  für  schwere  Verbrechen  in  Betracht  und  gegenüber 
der  Obrigkeit  der  Dorfgemeind  e ist  der  Bauer  freier  Dorfbürger  — 
so  dürfen  wir  den  Schluß  ziehen,  daß  die  Bauern,  von  der  Nieder- 
gerichtsherrschaft geschützt  und  nicht  von  ihr  unterdrückt,  sich  im 
14.  und  15.  Jahrhundert  eines  günstigen  Daseins  erfreuten. 


IV.  Abschnitt. 

Die  Tagung  des  Niedergerichts ; der  Dingvogt,  die 
Schöffen  und  der  Umstand;  der  Gerichtsknecht; 
die  Kompetenz  und  die  Gebührenordnungen. 
Das  Weisding. 

Wie  die  Niedergerichte  im  allgemeinen  von  einander  die 
größten  Verschiedenheiten  aufweisen , so  findet  sich  auch  bei  der 
Organisation  der  Gerichte,  auf  die  wir  noch  eingehen  müssen, 
keine  durchgehende  Gleichmäßigkeit.  Man  darf  also  niemals  die 
Ergebnisse,  die  man  durch  Untersuchung  eines  Niedergerichts  ge- 
winnt, für  die  andern  verallgemeinern.  Da  es  indes  zu  weit 
führen  würde,  wollte  man  jedes  Niedergericht  für  sich  wieder 
untersuchen  und  schildern,  so  sollen,  was  die  Organisation  und 
die  eigentliche  Rechtsprechung  anlangt,  nur  die  gemeinsamen  Züge ') 
gegeben  werden,  die  die  Niedergerichte  mit  einander  haben. 

Da  ist  zunächst  für  die  Tagung  zu  bemerken,  daß  das  Nieder- 
gericht ungebotnes  echtes  Ding  ist,  das  an  bestimmt  festgesetzten 

')  Im  folgenden  werde  ich  mich  kurz  fassen,  da  das  Wesentlichste  schon 
iin  I.  Abschnitt  gegeben  ist;  ich  bringe  jetzt  mehr  eine  Zusammenstellung, 
teilweise  nur  eine  nähere  Ausführung  davon.  Verweisen  kann  ich  auch  auf 
K.  Lainprecht,  Deutsches  Wirtschaftsleben,  Bd.  I,  S.  1047  ff.,  wo  eine 
Darstellung  der  Organisation  des  „Grundgerichts“  gegeben  ist.  Dieses 
„Gruudgcricht“  konstruiert  Lainprecht,  indem  er  von  der  Competenz  des- 
selben ausgeht,  nämlich  als  kombiniert  aus  Markding  und  Bauding,  und  es 
als  Gericht  der  Grundherrschaft  hinstellt.  Es  entspricht  etwa  den  Nieder- 
gerichten der  (iruppe  A.  (Vgl.  die  Anlage.)  Lainprecht  beschränkt  sich  auf 
das  13.  Jahrhundert. 


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83 


Tagen  statthat;  Ausnahmen  kommen  natürlich  vor,  denn  es  können 
die  echten  Gerichtstage  gleichfalls  angesagt  und  der  Gemeinde 
durch  Glockengeläute  kundgetan  werden. 

In  der  Anzahl  der  Tagungen  ergibt  sich  sogleich  wieder 
ein  Unterschied.  In  den  meisten  Dörfern  — wenigstens  in  den 
meisten  der  Dörfer,  die  wir  betrachtet  haben  — findet  man  sich 
dreimal  jährlich  zum  Ding  zusammen;  in  einigen  nur  zweimal. 

In  Mündersbach ')  müssen  die  Erbpächter  jährlich  dreimal 
auf  den  Dinghof  daselbst  kommen;  in  Wellmich’)  hält  man  das 
Hochgeding  am  nächsten  Montag  nach  dem  Dreikönigstag  (6.  Januar), 
den  andern  Dingtag  am  Montag  nach  Ostern,  den  dritten  Ding- 
tag Montags  nach  Johanni.  Wer  Gut  zu  Oberrod3)  inne  hat,  der 
soll  jährlich  die  Gerichte  der  drei  ungebotnen  Dinge  aufsuchen. 
In  Kesselheim4)  ist  der  Erbvogt  gehalten,  auf  grund  seiner  Vogtei 
jährlich  drei  Gerichtstage  zu  den  bestimmten  Terminen  im  Hofe 
der  Herrschaft  zu  besitzen,  und  in  Oberhirzenach 5)  finden  jährlich 
ebenfalls  drei  ungebotne  Dinge  statt. 

Die  gleiche  Anzahl  ungebotner  Tagungen6)  finden  wir  ferner 
in  Schwanheim,  in  Gensheim,  in  Eich,  Trimbs,  ebenso  in  Weilbach, 
in  Güls  und  in  Sulzbach. 

In  Wiebelsheim 7)  dagegen  haben  jährlich  nur  zwei  ungebotne 
Dinge  statt ; ebenso  tagt  in  Heulich  und  Morshausen 8)  das  Vogt- 
gericht zweimal  jährlich,  am  Mittwoch  nach  St.  Marxtag  und  am 
Mittwoch  nach  St.  Paul;  es  währt  indes  immer  „drei  gebanne  Tage“. 

Auf  eine  nur  einmalige  Tagung  lassen  schließen  das  Weistum 
von  Hecheln9)  und  bestimmt  das  von  Wirtheim lu).  Es  handelt 
sich  hierbei  wohl  nur  um  das  Weisding11),  das  in  Hecheln  der 
Niedervogt,  in  Wirtheim  die  Herrschaft  selber  abhält. 

•)  Mittelrheinisches  Urkundenbuch,  III.  Bd.,  No.  930. 

*)  Lörsch,  Weistümer,  No.  30,  § 1. 

3)  Grimm,  Weistümer,  Bd.  1,  S.  520. 

4)  Lörsch,  Weistümer,  No.  77,  § 4. 

5)  Ebenda  No.  34,  § 3. 

6)  Vgl.  die  Ausführungen  im  I.  Abschnitt. 

*)  Lörsch,  Weistümer,  No.,  29  § 1. 

*)  Ebenda  No.  18,  §§  2,  3,  und  5. 

*)  Grimm,  Weistümer,  Bd.  I,  S.  595. 

**)  Grimm,  Weistümer,  Bd.  V,  S.  309. 

••)  Darüber  später  S.  91  ff. 

6* 


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An  das  Ding  schließt  sich  — ob  aber  allgemein,  ist  recht 
zweifelhaft  — ein  Nachgeding  an,  das  vierzehn  Tage  später  abge- 
halten wird:  „das  Vierzehntagegericht“,  „das  Gericht  zu  vierzehn 
Tagen“.  Wenn  jemand  etwas  zu  rügen  vergessen  hat,  der  muß 
nach  vierzehn  Tagen  kommen  und  es  Vorbringen.  Dieses  Nach- 
geding ist  in  Kärlich  für  immer  festgesetzt  und  ungeboten,  und 
so  dingt  man  daselbst  sechsmal  im  Jahre l). 

Doch  diese  sechsmalige  Tagung  reichte  mancherorts  nicht  aus; 
der  Grund  hierfür  war  wohl  die  stetige  Volksvermehrung  auf  dem 
platten  Lande  in  unserem  Zeitraum.  Nach  dem  Osten  Deutsch- 
lands stockte  bald  der  Abtluß,  und  auch  die  Städte  sperrten  sich 
gegen  Zuzug  vom  Lande  ab:  so  verblieb  der  Zuwachs  seit  dem 
Beginn  des  14.  Jahrhunderts  im  Dorfe,  und  naturgemäß  wuchs 
die  Zahl  der  Zwistigkeiten  mit  der  Zahl  der  Menschen.  So  finden 
wir,  daß  man  in  manchen  Bezirken  Gericht  alle  vier  Wochen  ab- 
hält5), und  ebenso  war  vorgesehen,  außerordentliche  Tagungen  des 
Gerichts  stattfinden  zu  lassen,  „ein  ungewöhnliches  Gericht“  ab- 
zuhalten*). Jedoch  konnte  dies  nur  auf  den  Antrag  einer  Partei 
hin  geschehen,  die  dem  Gerichte  eine  bestimmte  Summe  dafür 
zahlen  mußte.  Darauf  zielt  die  Bestimmung  des  Weistums  von 
Eich‘),  daß  der  Schultheiß  täglich  Gericht  haben  darf.  Daneben 
bestehen  aber  die  ungebotnen  Dinge  fort,  denn  es  wird  ausdrücklich 
unterschieden  zwischen  den  ungebotnen  Dingen  und  den  Gerichts- 
tagen als  den  gebotnen5). 

Den  Vorsitzenden  im  Niedergericht,  den  Niederrichter,  wollen 
wir  mit  dem  Namen:  Dingvogt  bezeichnen.  Ein  Titel  desselben 
existiert  nicht;  der  Name  Dingvogt6)  ist  gewählt  worden,  um  eine 


')  Lörsch,  Weistümer,  No.  83. 

J)  Z.  B.  in  Becherbach.  (Grimm,  Weistümer,  B<i.  II,  S.  142.)  I)it* 
Verteilung  der  Gerechtsame  zwischen  den  beiden  Herrschaften  ist  aus  dem 
Weistum  nicht  ganz  klar  zu  erkennen,  deshalb  habe  ich  cs  nicht  herange- 
gezogen.  Es  ist  aber  ein  Niedergericht.  Becherbach  liegt  südlich  von  Kirn, 
auf  dem  Hunsrück. 

3)  In  Wellmich;  Lörsch,  Weistümer,  No.  30,  §6  und  §8. 

4)  Grimm,  Weistümer,  Bd.  IV,  S.  628. 

*)  In  Becherbach. 

6)  Der  Name  Dingvogt  begegnet  häufig,  so  Mittelrhein,  l'rkunden- 
buch  111.  Bd.,  No.  11  : Dincvoide;  Dingvoigt  auch  Grimm,  Weistümer,  Bd.  11, 


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einheitliche  Bezeichnung  für  den  Vorsitzenden  im  Niedergericht  zu 
haben. 

Bei  der  Ernennung  des  Dingvogts  spielen  wieder  die  be- 
besonderen Herrschaftsverhältnisse  in  den  einzelnen  Niedergerichten 
eine  Rolle;  dieser  Umstand  hat  es  vermutlich  verhindert,  daß  ein 
Titel  für  den  Niederrichter  eingefiihrt  wurde. 

Wo  niimlich  die  Niedervogtei  besteht,  da  kann  einmal  der 
Niedervogt  persönlich  den  Vorsitz  im  Niedergericht  einnehmen, 
oder  er  kann  für  sich  einen  eigenen  Beamten,  einen  Vogt,  von  uns 
Untervogt  genannt,  als  Dingvogt  einsetzen ').  Es  ist  aber  auch 
möglich,  daß  der  Niedervogt  mit  der  Niedergerichtsbarkeit  nur 
insofern  zu  tun  hat,  daß  er  das  Weisding  noch  abhält.  Dann  er- 
nennt er  in  diesem  den  Dingvogt,  der  zugleich  als  Beamter  der 
Herrschaft  erscheint;  oder  selbst  diese  Befugnis  steht  dem  Nieder- 
vogt nicht  mehr  zu:  die  Herrschaft  setzt  den  Dingvogt  ein. 

Wo  dagegen  keine  Zwischengewalt  zwischen  Herrschaft  und 
Untertanen  mehr  besteht,  ist  der  Dingvogt  Beamter  der  Herrsclmtt. 
Sie  allein  hat  das  Recht  ihn  zu  ernennen  oder  abzusetzen,  und  er 
besitzt  und  hegt  das  Gericht  in  ihrem  Namen8). 

Liegen  die  Verhältnisse  so,  dann  erhält  der  Dingvogt  keinen 
bestimmten  Sold  von  der  Herrschaft.  Er  bekommt  nur  einen  Teil 
aus  den  Gerichtsgeldern,  die  aus  den  Bußen  und  Wetten  fallen 
oder  von  den  streitenden  Parteien  entrichtet  werden  müssen.  Bei 
llaudänderung  fällt  häufig  die  ganze  Gebühr  an  das  Gericht,  der 
Dingvogt  teilt  sie  mit  den  Schöffen. 

Der  Niedervogt  aber,  wenn  er  noch  Dingvogt  ist  oder  einen 
Untervogt  für  sich  ernennt,  hat  nicht  nur  einen  Anspruch  auf  die 
Gerichtsgelder,  sondern  wie  wir  bereits  des  Genaueren  verfolgten, 
auch  auf  das  Servitium  an  den  einzelnen  Gerichtstagen.  Daß 
dieses  Servitium  zu  einer  beträchtlichen  Einnahme  des  Niedervogtes 
werden  konnte,  sahen  wir  in  Güls3),  wo  es  mit  30  Mark  jähr- 
licher Rente  abgelöst  wurde. 

S.  207:  hier  bedeutet  er  aber  Richter  im  Hochgericht;  für  diesen  ist  ein 
anderer  Name  festzulegen. 

■)  Ich  verweise  für  das  Folgende  auf  meine  Ausführungen  im  I.  Abschnitt. 

3)  So  in  Wellmich  besonders:  vgl.  oben  S.  21. 

*)  Vgl.  Lörsch,  Weistümcr,  8.207,  Anlage  V,  oben  8.71.  R.  l’auli, 
Geschichte  von  England,  111.  lld.,  8.  483,  berechnet  den  Wert  einer  Summe 


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Stand  der  Dingvogt  zur  Herrschaft  in  einem  Abhangigkeits- 
verhältnis,  oder,  wie  der  Niedervogt  im  Lehnsverhältnis,  so  war 
dagegen  die  Stellung  der  Schöffen  zur  Herrschaft  eine  ziemlich 
freie ').  „Die  Pflicht  der  Schöffen  war  es,  im  Ding  das  Recht  zu 
weisen:  „die  scheffen  sollent  helfen  dem  meiger  alle  dedinge 
halten.“  Der  Schöffenstuhl  war  somit  gegenüber  dem  tierichtsherrn 
der  eigentliche  Hort  des  Rechts.  Kränkte  der  Herr  das  Recht, 
dann  versagten  die  Schöffen  die  Dingpflicht“. 

Freilich  war  das  ein  recht  zweifelhaftes  Mittel,  das  Recht  der 
Untertanen  zu  erhalten,  denn  der  Herr  konnte  dann  einfach  alle 
Rechtspflege  ruhen  lassen  und  nach  Willkür  schalten  und  walten. 
Bei  der  bekannten  Zähigkeit  allerdings,  mit  der  die  Bauern  ihr 
Recht  vertraten,  war  ein  solcher  Zustand  auch  für  den  Herrn  sehr 
unbequem,  denn  die  Bauern  in  unseren  Gegenden,  viel  besser  ge- 
stellt als  später  die  ostdeutschen  und  selbst  ihre  Nachkommen 
im  17.  und  18.  Jahrhundert,  wichen  dann  nur  der  Gewalt,  und 
in  jedem  einzelnen  Fall  mußte  die  Herrschaft  Gehorsam  erzwingen. 
Beide  Teile  fuhren  darum  am  besten,  wenn  sie  in  Frieden  mit 
einander  lebten,  und  in  der  Tat  lassen  sich  in  unserm  Zeitraum 
Zwistigkeiten,  die  bis  zum  völligen  Bruch  zwischen  Herrschaft  und 
Bauern  geführt  hätten,  kaum  mich  weisen !). 

Was  die  Zahl  der  Gerichtsschöffen  betrifft,  so  sind  es  in  den 
meisten  Gerichten  sieben ; vierzehn  Schöffen  finden  sich  in  Metternich, 
in  Güls  und  in  Sulzbach3).  Diese  Verdoppelung  konnte  einge- 

des  13.  Jahrhunderts  auf  das  Künfzeknfachc  hoher  als  im  19.  Jahrhundert. 
Vgl.  aber  dazu  Avenol,  Ilistoiro  economique  I,  8.  27,  der  den  Geldwert 
auf  das  3'/,— 4 fache,  schätzt,  und  ähnlich  K.  Laniprecht  (Conrads  Jahr- 
bücher N.  F.,  Bd.  XI,  S.  333),  der  den  Geldwert  von  1250— 14UO  viermal  ao 
hoch  anschlügt  als  den  heutigen.  Proilich  zieht  Pauli  auch  den  Preis  der 
Wareu  mit  in  Betracht. 

')  Ich  verweise  auf  K.  I.amprccht,  Deutsche«  Wirtschaftsleben,  Bd.  I, 
S.  1048  ff.,  wo  gerade  über  Schöffenstuhl  und  Umstand  alles  Nähere  gesagt 
ist.  (Bes.  8.  1054,  1056.) 

*)  Minen  solchen  Streit,  der  im  Anfang  des  18.  Jahrhs.  zwischen  einem 
Christoph  von  Gcnimingcn  und  seinen  Untertanen,  den  Bewohnern  dos 
Dorfes  Michelfeld  im  Odenwald,  ausbrach,  schildert  Theodor  Ludwig,  Der 
badische  Bauer,  S.  76  ff.  Man  darf  indes  daraus  nicht  einfach  den  Schluß 
ziehen,  daß  das  in  unserm  Zeitraum  häulig  geschehen  wäre. 

s)  Ebenso  in  Rübenack,  einer  Niedervogtei  in  der  Bergptlege.  Das 


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treten  sein  nach  dem  Beispiel  eines  andern  Bezirkes;  am  leichtesten 
ist  sie  zu  erklären  durch  die  Annahme,  daß  zwei  Herrschaften 
im  Dorfe  saßen  und  sich  zu  einem  Niedergericht  vereinigten;  dann 
wurden  wegen  jeder  Herrschaft  sieben  Schöffen  bestellt1).  Aul 
einen  solchen  Vorgang  läßt  schließen  das  Weistum  von  Metternich2). 

In  Metternich  haben,  wie  schon  ausgeflihrt  worden  ist,  drei 
Grundherrschaften,  die  Herren  von  Isenburg,  der  Abt  von  Marien- 
statt und  der  Abt  von  Himmerode  einen  Dinghof  mit  Gütern  und 
Zinsen.  Die  vornehmste  Herrschaft  ist  die  Isenburgsche;  auf 
ihrem  Hofe  und  von  ihrem  Schultheißen  werden  die  vierzehn 
Gerichtsschöffen  vereidigt.  Doch  werden  bei  der  Erfragung  des 
Weistums  im  Jahre  141)1  gerade  darüber  Zweifel  laut;  etliche 
von  den  vierzehn  Schöffen  behaupten  nämlich,  sie  seien  auf  dem 
Hofe  der  Abtei  Marienstatt  von  ihrem  Schultheiß  vereidigt  worden. 
Vielleicht  war  es  so  gewesen,  daß  die  Abtei  auch  einige  Schoflen 
zum  Niedergericht  stellte  oder  zu  stellen  sich  ehedem  ausbe- 
dungen hatte,  als  sie  dem  Isenburger  die  Niedergerichtsbarkeit 
einräumte J). 

Die  Schoflen  erhielten  ebenfalls,  einmal  als  Entgelt  für  ihre 
Tätigkeit  im  Gericht,  die  sie  mit  der  Zeit  sehr  in  Anspruch  nahm, 
dann  in  Anbetracht  ihrer  Stellung  eine  Anzahl  von  Gerechtsamen 
zugesprochen.  Sie  bekamen  einen  Teil  der  Gerichtsgelder;  sie 
waren  teilweise  von  Lasten  und  Abgaben  frei,  d.  h.  weniger  an 
sich,  vielmehr  als  Inhaber  ihrer  Häuser.  Darüber  waren  wieder 
in  jedem  Bezirk  besondere  Bestimmungen  getroffen,  in  manchen 
fehlten  sie  ganz,  wie  ja  auch  der  Satz,  den  sie  von  den  Gerichts- 
geldem  erhalten  sollten,  für  jedes  Dorf  und  da  wieder  für  jede 
Sache  besonders  normiert  war. 

Weistum  ist  zu  dürftig,  deshalb  sah  ich  von  einer  Beizichung  ab.  Vgl. 
Lörsch,  Weistümer,  Nr.  87. 

')  I)cr  Erklärung  Lamprccht’g  (a.  a.  0.,  8.  1053),  daß  die  Ver- 
doppelung eingetreten  sei,  wenn  ein  Huf  zwei  Herren  gemeinsam  gehört 
hätte,  vermag  ich  mich  nicht  anzuscblicßcn:  sie  ist  ein  Ausfluß  der  grund- 
herrlichon  Theorie. 

*)  Lörsch,  Weistümer,  Nr.  101,  § 3. 

*)  Es  sei  nochmals  darauf  hingewiesen,  daß  der  Junker  von  Isenburg 
für  seine  Urundherrschaft  noch  ein  eignes  Bauding  hat.  Dieses  ist  besetzt  mit 
einem  Schultheißen  und  sieben  Schöffen.  Lörsch,  Weistümcr,  Nr.  101,  § 4. 
Über  Vogtding  und  Bauding  vgl.  Herb.  Seeliger,  a.  a.  U.,  S.  1(53  f. 


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Die  Schöffen  wurden  der  Gerichtsgemeinde  entnommen;  nur 
für  die  ungebotnen  Dinge  war  die  Anwesenheit  des  Umstandes  fest- 
gesetzt; an  den  gebotenen  Gerichtstagen  kamen  nur  die  Parteien 
und  die  Schöffen  vor  das  Gericht.  Die  Pflicht,  an  den  ungebotnen 
Dingen,  zumal  im  Weisding  zu  erscheinen,  ist  auf  diejenigen  begrenzt-, 
welche  einen  selbständigen  Haushalt  im  Gerichtsbezirk  haben  oder 
von  ihrem  Eigentum  dem  Grundherren  zinsen;  die  Gerichtspflicht 
lastet  also  auf  dem  Besitztum,  ist  eher  eine  Erhöhung,  als  eine 
Minderung  der  persönlichen  Stellung  des  Betreffenden.  Darum 
werden  die  Witwen  besonders  ausgenommen '),  nur  Männer  dürfen 
am  ungebotnen  Ding  teilnehmen.  Eine  Vertretung  des  Hausvaters 
durch  die  Hausfrau  ist  gleichfalls  ausgeschlossen,  wie  es  im  Weis- 
tum von  Querstedt  heißt  *):  „so  einer  oder  melie,  die  zu  dem  jar- 
geding  verbotet  wurden,  das  veraclitcnt  und  ir  wiber  dar  schicketen, 
hat  jeder  5 s.  den.  verbrochen“. 

Über  den  Gerichtsknecht,  den  Büttel,  ist  nur  soviel  zu  be- 
merken, daß  dieser  unterste  Gerichtsbeamte  in  den  meisten  Be- 
zirken vorkommt,  und  daß  er  das  ausführende  Organ  des  Nieder- 
gerichts ist-.  In  Wellmich  liegt  die  Sache  etwas  ungewöhnlich 
insofern,  als  hier  der  Schultheiß,  trotzdem  er  Dingvogt  ist,  doch 
das  Amt  des  Gerichtsknechts  mit  zu  versehen  hat,  denn  es  wird 
gewiesen5):  „Item  zu  Wellmich  ist  kein  gerichtss  buddell  von  alters, 
sonder  ein  schultess  thuet  es  selbss,  und  so  er  ein  an  gericht  gebudt, 
davon  geboren  ime  2 heller,  so  er  ime  aber  zum  zweiten  gcbuit, 
folgt  4 Heller,  und  zum  dritton  8 heller,  gebürt  eim  schultessen“. 

Etwas  näher  indessen  muß  noch  eingegangen  werden  auf  die 
Kompetenz  des  Niedergerichts.  Was  nicht  vor  das  Niedergericht 
gehört,  ist  bereits  erwähnt  worden  bei  der  Abgrenzung  gegen  das 
Hochgericht,  nämlich  Diebstahl,  Notzucht,  Nachtbrand,  Mord  und 
Meissei  wunden*),  nach  einem  andern  Hochgerichtsweistum  noch 
Zauberei b),  also  die  schweren  Verbrechen,  die  an  Hals  und  Bauch 
treffen. 


')  So  in  Wiebelsheim : also  auch  eine  Frau,  diu  eignen  Uauch  hält, 
darf  nicht  erscheinen. 

*)  Grimm,  Weistümer,  II.  Bd.,  S.  45 
3)  Lörsch,  Weistümer,  Nr.  30,  § 75. 

*)  Grimm,  Weistümer,  Bd.  II,  S.  22,  oben  S.  55. 
s)  Lörsch,  Weistümer,  Nr.  (17),  § 4. 


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Hat  dagegen  einer  dem  andern  ein  leichteres  Unrecht  zuge- 
fügt, so  soll  der  Gekrankt«  vor  das  Niedergericht  kommen,  wo  ihm 
sein  Recht  gegeben  wird1).  Besonders  Klagsachen  um  Schuld’), 
um  Erbe  oder  Eigen  gehören  vor  das  Niedergericht.  Ferner,  wenn 
sich  zwei  prügeln,  so  sollen  sie  ebenfalls  vor  dem  Niedergericht, 
wo  ihre  Handlungsweise  gerügt  wird,  abgeurteilt  werden 3).  Über- 
haupt alle  rügbaren  Dinge,  Brüche  oder  Frevel4),  alles,  was  im 
Gerichtsbezirk  „überfahren,  Überdrungen  oder  geschmält  ist,  oder 
wenn  sonst  ein  Abzug  geschehen  ist  mit  Worten  oder  Werken“ 5), 
das  muH  vorm  Niedergericht  vorgebracht  werden  und  wird  durch 
dasselbe  abgeurteilt.  „So  ist  das  Vogtding  allseitig  kompetent 
außer  für  Verbrechen,  die  an  Hals  und  Bauch  treffen,  vornehmlich 
für  Frevel,  Messerziehen  und  blutige  Wunden,  Watlengeschrei, 
Übergriff'  und  gestörte  Marken,  falsches  Maß  und  Gewicht,  endlich 
für  Vergehen  an  Eigen  und  Erbe“6). 

Noch  besser  werden  wir  mit  der  Kompetenz  des  Niederge- 
richts bekannt  gemacht  durch  die  Gebührenordnungen,  die  für 
einzelne  Niedergerichte  aufgestellt  sind.  So  wird  am  13.  Novbr. 
1505  eine  Gerichtskostenordnung  für  Rübenach7)  niedergelegt,  weil 
„irrtbume,  spenne  und  missel“  geschwebt  haben  zwischen  Schöffen 
und  Gericht  zu  Rübenach  einerseits  und  der  Gemeinde  andrerseits. 
Es  finden  sich  darin  folgende  Bestimmungen:  jeder,  der  am  Ge- 
richt zu  Rübenach  gerichtlich  zu  handeln  hat  und  eine  Sache 
verurkunden  will,  soll  für  die  Urkunde  dem  Gericht  f>  Heller  geben; 
wenn  einer  den  andern  auf  die  Heiligen  und  den  Eid  drängt  und 
dieser  nicht  schwören  will,  so  soll  derselbe  dem  Gericht  mit  zwei 
Weispfennigen  verfallen  sein;  hat  einer  zu  klagen  an  dem  gen. 
Gericht  und  begehrt  dazu  einen  Redner  aus  den  Schöffen,  so 

')  Mittclrheimschcs  Urkundenbuch,  III.  Oil.,  Nr.  930. 

*)  Lörsch,  Weistümer,  Nr.  29,  § 17. 

5)  Grimm,  Weistfimcr,  Kd.  I,  S.  521. 

*)  Ebenda,  Bd.  II.  S.  142.  Zur  Vervollständigung  meiner  Darstellung 
habe  ich  für  die  Kompetenz  des  Niedergerichts  andere,  von  mir  nicht  unter- 
suchte Bezirke  beigezogen. 

*)  Lörsch,  Weistümer,  Nr.  29,  §4. 

*)  K.  Lamprccht  a.  a.  0.,  S.  172  f.  Vogtding  ist  das  von  mir  unter- 
suchte Niedergericht. 

*)  Lörsch,  Weistümer,  S.  243,  Anm.  1.  Uber  Kübcnach,  vgl.  die 
Anm.  3 S.  8ti. 


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braucht  er  dafür  nichts  zu  geben,  der  Schliffe  soll  ihm  folgen, 
wie  es  seit  alters  Brauch  ist.  Das  Niedergericht  ist  ferner  zu- 
ständig tür  die  Gemeindemark,  und  wenn  die  „Mark“  gesetzt 
wird,  so  erhält  das  Gericht  datiir  zwei  Albus.  Ferner  für  eine 
„bcstendnus '),  ein  Jahr  lang  zu  behalten“,  sollen  die  Parteien 
den  Gerichtsleuten  einen  Albus  geben. 

In  andern  Weistümem  finden  sich  gleichfalls  derartige  Be- 
stimmungen; noch  häufiger  indes  werden  die  Bußen  für  Ver- 
gehen festgesetzt.  So  beginnt  das  Weistum  von  Nußdorf1)  mit 
der  Festsetzung  der  Strafen  für  einzelne  Vergehen:  „Wenn  zwei 
sich  schlagen  mit  trockenen  Streichen,  so  ist  jeder  der  Herrschaft 
verfallen  mit  ein  Pfund  dem  Gericht  mit  2 ß ^ und  den  Dom- 
herren mit  15  Wenn  sich  zwei  hauen  oder  einander  ver- 
wunden, so  verbricht  jeder  30  ß Jy  und  dem  gericht  2 ß Jj.  Wenn 
einer  den  andern  vor  Gericht  schmäht,  so  steht  der  Herrschaft  zu, 
ihn  gebührend  zu  bestrafen.  Schilt  einer  den  andern  einen 
Bfisewicht,  so  wird  er  mit  10  ß und  für  das  Gericht  mit  2 ß Jj, 
für  die  Domherren  mit  15  ij  gebüßt.  Wenn  einer  eine  Wette 
bricht  am  Gericht,  so  verbricht  er  2 ß 9 ^ der  Herrschaft,  2 ß ^ 
dem  Gericht  und  den  Domherren  15 

Auf  Vollständigkeit  machen  diese  Aufstellungen  natürlich 
keinen  Anspruch,  aber  doch  ist  ihr  Vorhandensein  ein  weiterer 
Beweis  dafür,  daß  die  niedere  Rechtspflege  auf  dem  platten  Lande 
in  unserm  Zeitraum  eine  recht  wohlgeordnete  war.  Für  die  Ge- 
richtsverfassung überhaupt  kann  man  für  das  14.  und  15.  Jahr- 
hundert jeden  herben  Tadel  sparen;  insbesondere  ist  man  nicht 
berechtigt  von  einem  „Wüste“  von  Gerichten  zu  reden3).  Man 
darf  nur  nicht  das  Veraltete,  das  noch  eine  geraume  Zeit  neben 
dem  Neugewordenen  herging,  als  gleichwertig  verzeichnen  und 
sich  nicht  durch  die  Vielgestaltigkeit  derselben  Institution  beirren 
lassen. 

In  unserer  Ansicht  werden  wir  bestärkt,  wenn  wir  noch  eine 
recht  wesentliche  Seite  des  Niedergerichts  charakterisieren.  Es 

')  Vgl.  Deutsches  Wörterbuch  von  J.  u.  W.  Grimm  (Leipzig  1854). 
Bd.  1,  S.  1655  unter  Beständnis:  cs  bedeutet  soviel  wio  Leihe. 

*)  Grimm,  Weistfimer,  Bd.  V,  S.  547.  Nulldorf  liegt  bei  Landau  und 
wurde  1508  von  dieser  Stadt  den  Herren  von  Heideck  abgekauft. 

3)  Vgl.  etwa  K.  Schröder  a.  a.  0.,  S.  605,  bes.  S.  599  ff. 


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91 


erübrigt  nämlieh , das  Nicdergericht  als  Weisding  zur  Dar- 
stellung zu  bringen;  dabei  wird  gleichzeitig  auf  den  innigen 
Zusammenhang  eingegangen,  der  zwischen  niederer  Rechtspflege 
und  niederer  Verwaltung  auf  dem  platten  Lande  bestand. 

Zu  diesem  Zwecke  wollen  wir,  um  ein  geradezu  klassisches 
Beispiel  beizubringen,  die  Gerichtsverhältnisse  des  Territoriums 
der  Stadt  Heilbronn  uns  ansehen  und  zwar  wie  sie  im  1 7. 
und  18.  Jahrhundert  bestanden*). 

Der  Reichsstadt  Heilbronn  gehörten  vier  Dörfer:  Böckingen, 
Flein,  Frankenbach  und  Neckargartach5);  sie  waren  der  landes- 
herrlichen Gewalt  der  Stadt  Heilbronn  unterworfen.  Die  höchsten 
Behörden  der  Stadt,  Bürgermeister  und  Rat,  sind  darum  auch  die 
eigentliche  Regierungsbehörde  — mit  derselben  Stellung  wie  ein 
Landesfürst  — für  die  Dörfer  und  deren  Einwohner.  Ihnen  steht 
deshalb  die  höhere  Gerichtsbarkeit  zu;  in  dieselbe  teilen  sich  der 
Rat  mit  dem  wieder  unter  ihm  stehenden  Stadtgericht,  dessen  Vor- 
sitzender der  Stadtschultheiß  ist. 

Die  laufenden  Regierungsgeschäfte  indes  kommen  nicht  an 
Bürgermeister  und  Rat,  sondern  sie  werden  in  deren  Namen  von 
dem  jeweiligen  „Vogte“  besorgt.  Jedes  Dorf  hat  einen  solchen 
eignen  Vogt;  seit  der  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  sind  die  drei 
Bürgermeister,  die  es  seit  1552  in  Heilbronn  gibt,  Vögte  von 
Böckingen,  Flein  und  Neckargartach,  der  (Stadt-)  Schultheiß  ist 
Vogt  von  Frankenbach.  Also  die  Niedervogtei,  denn  Vogt  ist 


')  Ich  schließe  mich  dabei  aufs  engste  an  Theodor  Knapp  an.  Vgl. 
Gesammelte  Beiträge  usw.  I.  Über  die  vier  Dörfer  der  Reichsstadt  Heil- 
bronn, bcs.  8.  58  ff.,  und  LII.  Über  die  vormalige  Verfassung  der  Landorte 
des  jetzigen  Oberamts  Heilbronn,  bcs.  S.  111  f. 

*)  Ich  wende  mich  also  einer  andern  Gegend  und  einer  spätem  Zeit 
zu,  um  mit  dem  daselbst  gewonnenen  Ergebnis  das  Weisding  auch  in  unseren 
Niedergerichten  und  in  unserem  Zeitraum  genau  kennen  zu  lernen.  Gleich- 
zeitig ist  dies  eine  Art  Probe  auf  unser  Exempel,  denn  wenn  die  Verhält- 
nisse des  17.  u.  18.  Jahrhs.  in  Heilbronn  keine  merkliche  Abweichung  zeigen 
von  denen,  die  ich  für  das  Mittelrheingebiet  für  das  14.  und  15.  Jahrh. 
gewonnen  habe,  so  ist  klar,  daß  das  Ergebnis  meiner  Untersuchung  im  all- 
gemeinen richtig  ist.  Schon  wir  also,  ob  die  Kette  sich  schließt,  oder  ob 
wir  auf  Tatsachen  stoßen,  die  sich  mit  meinem  Ergebnis  nicht  in  Einklang 
setzen  lassen. 

*)  Th.  Knapp  a.  a.  0.,  S.  2. 


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92 


gleichbedeutend  mit  dem,  den  wir  Niedervogt  genannt  haben,  ist 
hier  ein  städtisches  Amt  geworden;  an  ihre  Bedeutung  mahnt 
deutlich  der  Umstand,  daß  die  höchsten  Beamten  der  Stadt  mit 
der  Niedervogtei  (Iber  die  Dörfer  betraut  sind. 

Der  Vogt  nun  hat  jährlich  einmal  über  sein  Dorf  das  Vogt- 
gericht abzuhalten.  Dabei  wird  nicht  etwa,  wie  man  aus  dem 
Namen  schließen  könnte,  nur  Gericht,  besessen  oder  Recht  ge- 
sprochen, sondern  es  wird  das  Dorfgericht,  die  Vierundzwanziger 
und  die  andern  Ämter,  außer  dem  des  Schultheißen,  des  Anwalts 
und  des  Gerichtsschreibers  besetzt,  die  neugewahlton  Beamten  ver- 
eidigt, die  im  Amte  bleibenden  auf  ihren  Eid  verwiesen.  Sodann 
werden  die  Rechnungen  abgehört,  die  Dorfordnung  verlesen,  Ver- 
ordnungen und  Rügen  der  Obrigkeit  mitgeteilt,  Beschwerden  und 
Anfragen  entgegen  genommen,  von.  neu  aufgenoinmenen  Gemeinde- 
bürgern der  Bürgereid,  von  volljährig  gewordenen  Bürgersöhnen 
der  Dorfschaft  die  Erbhuldigung  geleistet. 

Im  Anschluß  daran  wurde  in  manchen  Orten  ein  Ruggericht 
abgehalten,  wobei  jeder  Dorfbürger  alle  die  Verfehlungen  anzu- 
zeigen, zu  rügen  hatte,  die  seit  dem  letzten  Ruggericht  zu  seiner 
Kenntnis  gelangt  waren. 

Darauf  beschränkt  sich  die  richterliche  Tätigkeit  des  Vogtes; 
der  eigentliche  Niederrichter,  der  Dingvogt  also,  ist  der  Schultheiß 
des  Dorfes').  Er  wird  vom  Vogte  vorgeschlagen,  vom  Rate  — 
der  Herrschaft  — verordnet  und  vereidigt;  dann  wird  er  der 
Gemeinde  vorgestellt  und  empfängt  von  ihr  das  Handgclöbnis  des 
Gehorsams.  Er  ist  also  Beamter  der  Herrschaft  — der  Nieder- 
gerichtsherrschaft; er  wird  von  ihr  als  Niederrichter  über  das  Dorf 
gesetzt  und  nicht  etwa  von  der  Dorfgemeinde  gewählt. 

Ihm  zur  Seite  steht  zunächst  das  Gericht,  bestehend  aus  zwölf 
Schöffen.  Das  einzelne  Mitglied  heisst  Gerichtsverwandter,  Richter, 
des  Gerichts.  Es  ist  ein  wirkliches  Niedergcriclit,  denn  vor  dasselbe 
kommen  einerseits  bürgerliche  Streitigkeiten,  andrerseits  leichtere 
Vergehen  und  Übertretungen.  Sachen,  „die  ihm  zu  schwer  fallen 
wollen,“  verweist  das  Dorfgericht  an  den  Rat  oder  an  den  Vogt2). 

')  Die  Zustände  sind  alsu  hier  die  nämlichen  wie  in  den  Niedergc- 
rirhtcn,  die  ich  unter  der  Zahl  II  zusammcngefaUt  habe.  Vgl.  die  Anlage. 

3)  Kat  und  Vogt,  sind  für  die  Dörfer  hier  das,  was  anderswo  der  Ober- 
hof ist,  denn  auch  die  Appellation  erfolgt  wohl  an  die  Heilbrunner  Behörden. 


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93 


Neben  dem  Schultheiß  stellt  noch  eine  andere  Behörde,  deren 
Namen  von  ihrer  Zahl  hergenommen  ist,  die  Vierundzwanziger  oder, 
wo  es  eben  nicht  mehr  sind,  die  Achtzehner,  der  Rat  des  Dorfes, 
ein  Name,  der  ihnen  aber  hier  von  der  Stadt  Heilbronn  nicht  zu- 
gestanden wird,  weil  man  ihn  der  höchsten  Behörde  der  Stadt 
selbst  Vorbehalt.  Diese  Vierundzwanziger  sind  die  Verwaltungs- 
behörde der  Dorfgemeinde.  Die  zwei  Bürgermeister1),  die  in 
anderen  Dörfern  an  ihrer  Spitze  stehen,  z.  B.  in  Wellmich,  sind 
hier  nur  die  Verwalter  der  Dorfkasse;  die  Vierundzwanziger  unter- 
stehen direkt  dem  Schultheiß;  aber  dieser  ist,  was  wir  nochmals 
betonen  wollen,  nicht  Gemeindevorstand,  sondern  Niederrichter. 

Wir  finden  also  die  Trennung  des  Niedergerichts  in  zwei 
Gerichte  klar  durchgeführt:  in  das  Weisding  des  Niedervogtes 
und  in  das  Gericht  des  Schultheißen.  Das  Weisding  ist  unge- 
botnes  Ding,  es  findet  einmal  im  Jahre  statt,  und  zu  ihm  haben 
sämtliche  männlichen  Dorfbewohner  zu  erscheinen,  weil  eben  das, 
was  im  Weisding  vorgenommen  wird,  für  alle  von  Interesse  ist. 

So  vorzüglich  wie  in  Heilbronn  mochten  anderswo  die  Ver- 
waltung und  die  niedere  Rechtspflege  nicht  gehandhabt  werden; 
aber  im  allgemeinen,  können  wir  sagen,  waren  die  Verhältnisse 
anderswo  dieselben.  Gerade  wie  in  den  Dörfern  der  Reichsstadt 
Heilbronn  werden  in  den  andern  Niedergerichten  im  Weisding 
der  Dorfrat  und  die  Bürgermeister  erwählt  und  die  Ämter  der 
Dorfgemeinde  besetzt,  vor  allem  die  Dorfordnung  verlesen,  even- 
tuell das  Recht  neu  erfragt  und  ein  Weistum  darüber  aufge- 
nommen. Es  sind  dann  wohl  noch  Rügen  und  Verordnungen  der 
Obrigkeit  mitgeteilt,  Beschwerden  und  Anfragen  von  seiten  der 
Niedergerichtsuntertanen  entgegengenommen  worden,  und  mancher- 
orts ist  schliesslich  im  Anschluß  daran  noch  ein  Ruggerieht 
abgehalten  worden. 

Schon  in  unserm  Zeitraum.  Denn  gerade  durch  die  Darlegung 
der  Verfassung  der  Heilbronner  Landorte  finden  wir  die  Verhält- 
nisse auch  in  unseren  Niedergerichtsbezirken  geklärt;  zumal  über 
das  Weisding  — in  seiner  vollendeten  Gestalt  — haben  wir  nun 
den  gewünschten  Aufschluß. 


■)  Th.  Knapp  a.  a.  0.,  S.  56. 


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Zunächst  da,  wo  sich  zwischen  Herrschaft  und  Untertanen 
keine  Zwischengewalt  einschiebt,  hält  das  Weisding  — das  un- 
gebotne  Ding,  den  dinglichen  Tag  im  Jahr  usw.  — entweder  die 
Herrschaft  selbst  oder  der  Dingvogt  des  Niedergerichts  ab,  oder 
es  wird  von  der  Herrschaft  ein  eigner  Beamter,  ein  Vogt  wie  in 
Heilbronn,  dazu  ernannt. 

Wo  dagegen  die  Niedervogtei  noch  zu  vollem  Rechte  besteht, 
da  hält  der  Niedervogt,  auch  „wissentliche“  oder  „wissliche“  Vogt1), 
das  Weisding  (wislichdinc)  ab,  oder  es  tut  dies  ein  von  ihm  be- 
stellter Beamter,  ein  Untervogt,  Burggraf,  oder  wie  er  sonst  heißen 
mag.  Die  Vielgestaltigkeit  der  Niedergerichte  gibt  sich  nämlich 
auch  darin  kund,  daß  für  die  Beamten  des  Niedergerichts  oder 
die  mit  Befugnissen  Belehnten,  sowie  für  die  Herrschaften  die 
verschiedensten  Bezeichnungen  bestehen.  Man  muß  überall  darauf 
achten,  daß  derselbe  Name  nicht  auch  dasselbe  Amt  oder  die- 
selben Gerechtsame  zu  bedeuten  braucht.  Daß  der  Meier  von 
Herbisheim  ebensowohl  Dingvogt  ist  wie  der  Schultheiß  von 
Wiebelsheim,  und  daß  der  Schultheiß  von  Weilbach  dieselbe 
Stellung  inne  hat  wie  der  Vogt  von  Sehwalbach,  das  läßt  sieh 
nicht  aus  dem  Namen  schließen,  aber  aus  ihrem  Recht  und  ihrer 
Befugnis  geht  es  genugsam  hervor*). 


')  Vgl.  Lörsch,  Weistümer,  Nr.  87,  § 3 u.  § 5. 

*)  Mit  dieser  allgemeinen  Bemerkung  will  ich  schließen.  Ich  will 
nicht  anf  Grund  meiner  Arbeit  schon  weitere  Schlüsse  machen  auf  die  so- 
ziale Lage  des  Bauernstandes  im  späteren  Mittelalter  überhaupt,  denn,  wie 
schon  früher  angedeutet,  es  bedarf  dazu  noch  weiterer  Untersuchungen,  die 
aber  die  bisherige  Lehre  — soviel  darf  ich  jetzt  schon  behaupten  — noch 
weiter  modifizieren,  ja  geradezu  umstoßen  werden. 


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Anlage. 

A.  Niedergerichtsbezirk  und  Dnrfmark  fallen  zusammen.  In 
dem  betreffenden  Dorfe  sitzt  nur  eine  Herrschalt,  wenigstens  hat 
keine  andere  daselbst  Niedergerichtsbarkeit.  Auch  zwei  Dörfer 
können  einen  geschlossenen  Niedergerichtsbezirk  bilden. 

I.  Zwischen  Herrschaft  und  Untertanen  besteht  keine 
Zwischengewalt. 

1.  Mündersbach.  (Mittelrhein.  Urk.-Buch  III.  Bd. 

Nr.  930.)  1247. 

2.  Wiebelsheim.  (Lörsch  Nr.  29.)  1499. 

3.  Wellmich.  (Lörsch  Nr.  30.)  1509. 

4.  Wirtheim.  (Grimm  V.  S.  309.)  1361. 

5.  Oberrod.  (Grimm  I.  S.  520.)  1452. 

II.  Herrschaft  und  Niedervogtei  bestehen  nebeneinander. 

6.  Kesselheim.  (Lörsch  Nr.  77.)  Um  1350. 

7.  Becheln.  (Grimm  I.  S.  595.)  1482  u.  1541. 

8.  Oberhirzenach  und  Karbach.  (Lörsch  Nr.  34.)  1452. 

9.  Beulich  und  Morshausen.  (Lörsch  Nr.  18.)  Vor 
1563. 

10.  Schwanheim.  (Grimm  I.  S.  521.)  1421;  1453. 

11.  Gensheim.  (Grimm  I.  S.  490;  V.  S.  239.)  1455. 

12.  Eich.  (Grimm  IV.  S.  628.)  1478. 

13.  Trimbs.  (Grimm  II.  S.  476.)  1390. 

14.  Burgschwalbach.  (Grimm  I.  S.  591.)  1453. 

15.  Planich.  (Grimm  I.  S.  810.)  15.  Jalirh. 


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B.  Über  mehrere  Grundherrschaften  desselben  Dorfes  hat  die 
eine  von  ihnen  die  Niedergerichtsherrschaft. 

I.  Zwischen  Herrschaft  und  Gerichtsuntertanen  besteht  keine 
Zwischengewalt,  oder  es  hat  die  eine  Herrschaft  die 
Niedergerichtsbarkeit  auf  Grund  der  Niedervogtei. 

16.  Metternich.  (Lörsch  Nr.  lül.)  1491. 

17.  Piesport.  (Lamprecht  III.  Nr.  68.  Grimm  II. 
S.  344.)  1285;  1575. 

18.  YVeilbach.  (Grimm  II.  S.  344.)  1489. 

II.  Die  Niedervogtei  besteht  neben  der  Niedergerichtsherr- 
schaft. 

19.  Gttls.  (Lörsch  Nr.  36.)  1385. 

C.  Im  selben  Dorfe  sitzen  mehrere  Niedergerichtsherrschaften. 
Zum  Niedergerichtsbezirk  jeder  Herrschaft  kann  noch  ein  anderes 
Dorf  gehören. 

I.  Die  Herrschaft  hat  auch  die  Niedervogtei. 

II.  Die  Niedervogtei  besteht  neben  der  Niedergerichtsherr- 
schaft. 

20.  Sulzbach.  (Grimm  I.  S.  572.)  1408. 

21.  Kärlich  und  Kettig.  (Lörsch  Nr.  80.)  Um  1394. 

22.  Kärlich  und  Mühlheim.  (Lörsch  Nr.  84.)  1598. 


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Verzeichnis  der  angeführten  Schriften 

Atlas,  geschichtlicher,  der  Uheini>rnviuz;  herausgeg.  von  der  Gesellschaft 
für  rhein.  Geschichtskunde.  1894 — 98. 

Avenel,  Historie  economique  de  la  propriete , des  salaircs  etc.  depuis  l'nn 
1200  jusqu’cn  l'an  1800.  2 vols.  l’aris  1894. 

Hauer,  Bauernbefreiung:  Bauerngut  und  Bauernkrieg;  Bauernkrieg:  Artikel 
im  Handwörterbuch  der  Staatswissenschaften.  S.  unter  Harnlwb. 

Below,  G.  von,  Territorium  und  Stadt.  München  1 '.>00. 

Bücher,  K.,  Die  Bevölkerung  von  Frankfurt  a/M.  Tübingen  1880. 

Codex  diplomaticus  Kheno-Mosellanus  s.  Günther. 

Conrad,  Jahrbücher  für  Nationalökonomie  und  Statistik.  Nene  Folge. 
Bd.  XI.  Jena,  Fischer. 

Gothein,  E.,  Die  Lage  des  Bauernstandes  am  Endo  des  Mittelalters,  vor- 
nehmlich in  Süd  Westdeutschland.  Westdeutsche  Zeitschrift  für 

Geschichte  und  Kunst.  Jahrg.  4.  1885. 

Grimm,  J.  und  W.,  Deutsches  Wörterbuch.  Leipzig  1854.  Bd.  I. 

Grimm,  J. , Wcistüinor  gesammelt  von;  fortges.  von  Itichard  Schröder. 
7 Bde.  Göttingen  1840—78. 

Grosch,  G.,  Geldgeschäfte  hansischer  Kaullcutc  mit  englischen  Königen  im 
13.  und  14.  Jahrhundert.  Archiv  für  Kulturgeschichte.  Bd.  II. 

Günther,  W.,  Codex  diplomaticus  Ithcno-Mosellanus.  5 Bde.  Koblenz  1822 — 20. 

Habsburger,  Urbar  herausg.  von  R.  Maag.  Quellen  zur  Schweizer  Ge- 
schichte. 14.  Bd. 

Handwörterbuch  der  Staatswissenschaften,  herausg.  von  J.  Conrad,  W.  Lexis, 
E.  Löning,  L.  Elster.  2.  Aull.  Jena  1898  ff. 

Journal  von  und  für  Deutschland.  3.  Jalirgg.  1780.  7 — 12.  Stück. 

Knapp,  G.  F. , Diu  Bauernbefreiung  und  der  Ursprung  der  Landarbeiter 
in  den  älteren  Teilon  I’reuilens.  2 Bde.  Leipzig  1887. 

Knapp,  Theodor,  Gesammelte  Beiträge  zur  Rechts-  und  Wirtschaftsgeschichte, 
vornehmlich  des  deutschen  Bauernstandes.  Tübingen  1902. 

Kreittinayr,  Anmerkungen  über  den  Cod.  Mai.  Bav.  Civ.  V Th.  Index. 
Nene  unveränderte  Ausgabe.  München  1844. 

7* 


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98 


I.amprecht,  Karl,  Deutsche  Geschichte.  V.Rd.  1. Hälfte.  2.  And.  Preib.  i/Br. 

„ „ Deutsches  Wirtschaftsleben  im  Mittelalter.  3 Ihle.  Leipzig 

1885  uud  8G. 

Lörsch,  H.,  Der  Ingelheimer  Oberhof. 

„ „ Wcistüruer  s.  Weistfimcr. 

Ludwig,  Th.,  Der  badische  Hauer  im  18.  Jahrh.  Abhandlungen  aus  dem 
staatswissonsch.  Seminar  zu  Strassburg.  XVI.  Strassburg  189G. 

M i nist er i ali tat : Artikel  im  Hnndw.  der  Staatsw. 

Mittelrheinisches  Urkundenbuch:  Urkundenbuch  zur  Geschichte  der  jetzt 
die  preußischen  Regierungsbezirke  Koblenz  und  Trier  bildenden, 
mittclrbcinischcn  Territorien.  3 Bde.  Koblenz  1860 — 74. 

Pauli,  R.,  Geschichte  von  England.  Bd.  1 — 5.  (Fortgcs.  von  Brosch 
Bd.  6—8).  Hamburg  1834  ff. 

Roth,  Geschichte  der  Herren  und  Grafen  von  Eltz. 

Schröder,  R.,  Lehrbuch  der  deutschen  Rechtsgeschichte.  4.  Anti.  1902. 

Secliger,  Gerh.,  Die  soziale  und  politische  Bedeutung  der  Grundherrschaft 
im  früheren  Mittelalter.  Untersuchungen  über  Hofrecht,  Immunität 
und  Landleihen.  Leipzig  1903. 

Sieveking,  Heinrich,  Die  rheinischen  Gemeinden  Erpel  und  Unkel  und  ihre 
Entwicklung  im  14.  und  15.  Jahrhundert.  Leipzig  1896. 

Vuy,  Geschichte  des  Trecbirgaus  und  von  Oberwescl.  Leipzig  1885. 

Wagner,  Paul,  Die  Entwicklung  der  Vogteiverhältnisse  in  der  Siegburger 
Propstei  zu  Hirzenach.  Annalen  des  historischen  Vereins  für  den 
Niederrhein  LXII,  35. 

Waitz,  Georg,  Deutsche  Verfassungsgeschichte.  Bd.  VII  und  VIII.  2.  Aull. 

Weistfimcr  ges.  von  J.  Grimm  s.  Grimm. 

Weistfimer,  die,  der  Rheinprovinz.  I.  Abteilung:  Die  Wcistümer  des 

Kurfürstentums  Trier.  1.  Bd.  herausg.  von  Hugo  Lörsch.  Bonn  1900. 

W vss,  Abhandlungen  zur  Geschichte  des  schweizerischen  öffentlichen  Rechts. 
Zürich  1892. 

von  Zallinger,  0.,  Ministerialen  und  Milites.  Innsbruck  1878. 

„ r „ Dio  Schöffenbarfreien  dos  Sachsenspiegels.  Innsbr.  1887. 


A.  Favorke,  vorm.  Kdoarri  Trewendt'fl  Huclidruokerei.  Bresliu 


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Die  Bedeutung  der  Gewere  des  Mannes  am  Frauengut 
für  das  Ehegüterrechtssystem  des  Sachsenspiegels 

von 

Dr.  Karl  Kiesel 


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Untersuchungen 

zur 

Deutschen  Staats-  und  Rechtsgeschichte 

herausgegeben 


Dr.  Otto  Gierke 

Professor  der  Rechte  an  der  Universität  Berlin 

85.  Heft 


Die  Bedeutung  der  Gewere  des  Mannes 
am  Frauengut  für  das  Ehegüterrechtssystem  des 
Sachsenspiegels 

von 

Dr.  Karl  Kiesel 


Breslau 

Verlag  von  M.  & H.  Marcus 
l'JOti 


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Die  Bedeutung  der 

Gewere  des  Mannes  am  Frauengut 

für  das 

Eilegüterrechtssystem  des  Sachsenspiegels 


Dr.  Karl  Kiesel 


Breslau 

Verlag  von  M.  & II.  Marcus 
1906 


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Inhaltsverzeichnis 

Einleitung 

I.  Ille  Ausschliesslichkeit  der  (lewere  des  Mannes  am  Franengut 
II.  Ille  Bedeutung  der  (lewere  des  Mannes  am  Franengnt  . . . 

Erster  Abschnitt.  I >io  Bedeutung  der  ehemännliehen  Gewere 
im  Allgemeinen 

Zweiter  Abschnitt.  VerffigungsbeschrSnkung  der  Ehefrau 

Dritter  Abschnitt.  VerSußerungsrecht  des  Mannes  und  Nicht- 
haftung  des  Frauengutes  für  des  Mannes  Schulden  . . . . 

Vierter  Abschnitt.  Siindcrgewero  der  Frau  an  der  Gerade 
und  um  Vorbehaltsgnt 


Seite 

S 

43 

43 

70 

80 

96 


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cod.  Hum.  47 

Wasserscbleben  I 
Wasserschieben  II 
Friese-Liesegang 

Abh.  d.  Akad. 


Abkürzungen 

Die  bei  Houieyer,  Die  deutschen  Rechtsbüchcr  des 
Mittelalters  und  ihre  Handschriften  (Berlin  1856) 
unter  Nummer  47  verxeichnete  Handschrift 
Wasserscbleben,  Sammlung  deutscher  Rechtsqucllen. 
Gießen  1860 

Wasserschleben,  Deutsche  ßcchtsquellcn  des  Mittel- 
alters. Leipzig  1892 

Magdeburger  ScliölTensprüchc.  Im  Aufträge  und  mit 
Unterstützung  der  Savigny -Stiftung  herausgegeben 
und  bearbeitet  von  Victor  Friese  und  Erich  Liese- 
gang Bd.  I.  Berlin  1901 

Philosophische  und  historische  Abhandlungen  der 
Königlichen  Akademie  der  Wissenschaften  zu  Berlin. 


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Einleitung. 

Der  Sachsenspiegel  und  die  jüngeren  sächsischen  Rechtsquellen 
enthalten  über  die  Regelung  der  Besitzverhältnisse  im  Güterrechts- 
system der  ehemännlichen  Verwaltung  und  Nutznießung  zahlreiche 
Äußerungen,  mit  denen  die  herrschende  Geweretheorie  schlechter- 
dings unvereinbar  erscheint.  Agricola  und  auch  Martitz  haben 
sich  durch  solche  Quellenaussprüche  zu  den  seltsamsten  Kon- 
struktionsversuchen verführen  lassen.  Agricola  hat,  befangen  im 
Banne  der  Albrechtschen  Geweretheorie,  ein  System  des  ehelichen 
Güterrechts  aufgebaut,  dessen  Grundprinzip  darin  bestehen  soll, 
daß  der  Mann  am  eingebrachten  Gut  die  Gewere  hat.  Trotz  des 
energischen  Angriffes  von  Heus ler  ist  dies  System  nicht  all- 
gemein aufgegeben ’) ; in  erster  Linie  liegt  dies  daran,  daß  man 
in  gerechtfertigtem  Vertrauen  zu  den  von  Heusler  gewonnenen 
Ergebnissen  eine  Ergänzung  seines  Beweismaterials  für  überflüssig 
ansah.  Es  ist  aber  von  Anfang  an  von  berufener  Seite*)  hervor- 
gehoben worden,  daß  Heusler  durch  die  umfassende  Vielseitig- 
keit seines  Werkes  zu  großer  Beschränkung  in  der  Bearbeitung 
der  deutschen,  insbesondere  sächsischen,  Quellen  gezwungen  war, 
und  diese  Kritik  trifft  auch  diejenigen  Ausführungen  Heuslers, 
welche  dem  ehelichen  Güterrecht  des  Sachsenspiegels  gewidmet 
sind. 


')  Niese,  Die  Leibzucht  nach  den  älteren  sächsischen  Rechtsquellen 
(Greifswalder  Diss.,  1899)  S.  21:  „Die  Lehre  von  der  Einheit  der  Gewere 

die insbesondere  von  Heusler  verfochten  wird,  ist  unrichtig“. 

3)  Lab  and,  Kritische  Vicrtcljahrsschrift  für  Gesetzgebung  und  Rechts- 
wissenschaft XV  S.  421. 

Kiesel,  Gewere  1 


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2 


Die  vorliegende  Arbeit  versucht  das  von  Heus ler  beige- 
brachte Qnellenmaterial  zu  vervollständigen;  sie  soll  zur  Festi- 
gung der  Geweretheorie,  wie  sie  von  Heusler  begründet,  von 
Huber  zur  Vollendung  gebracht  ist'),  einen  bescheidenen  Bei- 
trag bieten. 


')  Die  Grundgedanken  der  Huberschcn  Lehre  hat  schon  Gierke,  Das 
deutsche  Genossenschaftsrecht  II  8.  137  (18737  angedeutet.  Die  Punkte,  bei 
denen  ein  Gogcnsatz  zwischen  Heusler  und  Huber  besteht,  sind  für  die 
vorliegende  Arbeit  nicht  erheblich. 


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Erster  Teil. 

Die  Ausschließlichkeit  der  Gewere  des  Mannes 
am  Frauengut. 

Ssp.  I 31  § 2 lautet: 

„Swenne  en  man  wif  nimt,  so  nimt  he  in  sine  gewere 
aL  ir  gut  to  rechter  vormuntscap“  — „Quurn  vir  mulieri  co- 
pulatur,  tune  omnia  eius  bona  in  suam  recipit  tutelam“ 
(versio  vulgata)1). 

Das  Recht  des  Ehemannes  am  Frauengut  kleidet  sich  also  in 
die  Form  der  Gewere.  Die  Frage  ist,  ob  an  dieser  Gewere  des 
Mannes  die  Frau  teilnimmt,  oder  ob  der  Frau,  wenn  sie  von  der 
Teilnahme  an  dieser  Gewere  ausgeschlossen  wird,  wenigstens  eine 
eigenlike  Gewere  neben  oder  unter  der  ehemännlichen  Gewere  ver- 
bleibt. Die  Grundprinzipien  der  Geweretheorie,  insbesondere  der 

’)  Cod.  Hom.  61  (Berlin  Kgl.  Bibi.  Ms.  lat.  fol.  299).  Mit  dem  Text 
dieser  Handschrift  stimmen  die  älteren  Drucke,  welche  die  Vulgata  ent- 
halten, fast  stets  wörtlich  überein. 

Ssp.  1 31  § 2 lautet  in  der  Berlin  - Steinbeck’schen  Handschrift  (cod. 
Hom.  47):  „Quando  quis  contrahit,  ex  lunc  omnia  bona  sue  conthoralis  in 
tutela  asurnit“;  in  der  Görlitzer  Handschrift  von  1387  (cod.  Hom.  250): 
.Quando  aliquis  contrahit,  omnia  bona  sue  mulieris  in  sua  sunt  possessione 
in  uera  tutela“.  Homcyer,  Ssp.  3.  Ausg.  S.  59  und  Steffenhagen, 
Sitzungsberichte  der  phil.-hist.  Klasse  der  kais.  Akademie  der  Wissenschaften 
zu  Wien,  XCVTII.  Band,  l.Heft,  S.  56  haben  festgestellt,  daß  der  lateinische 
Text  dieser  Handschriften  .neben  vereinzelten  Abweichungen  eine  vor- 
wiegende Übereinstimmung  gegenüber  den  sonstigen  Handschriften  der  versio 
vulgata“  zeigt.  (Cod.  Hom.  250  habe  ich  nach  der  von  Wackernagel 
gefertigten  Abschrift,  Berlin  Kgl.  Bibi.  Ms.  germ.  fol.  436  und  437  benutzt, 
vgl.  Steffenhageu  a.  a.  O.  S.  51  No.  3). 

1* 


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4 


Streitpunkt,  inwieweit  an  einer  Sache  mehrfache  Gewere  möglich 
ist,  sind  damit  berührt. 

I. 

„En  wif  ne  mach  ok  ane  irs  mannes  gelof  nicht,  ires  gudes 
vergeven,  noch  egen  verkopen,  noch  liftucht  uplaten,  durch 
dat  he  mit  ir  in  den  geweren  sit“  (Ssp.  I 45  § 2). 

Der  Nachsatz  „durch  dat  he  mit  ir  in  den  geweren  sit“  sagt 
etwa  soviel  als  „weil  er  mit  ihr  in  ehelicher  Gemeinschaft  lebt“. 
Es  ist  allgemeiner  sächsischer  Sprachgebrauch,  das  Zusammenleben 
der  Ehegatten  als  Beieinandersitzen  zu  bezeichnen: 

Parteivortrag  bei  Wasserschieben  II  S.  77  c.  235: 

(Die  Ehegatten  Buckolt)  „hebben  szeten  vredeliken  III 
verndel  jars  myt  eynander“  '). 

Geriehtsleufft  zu  Eisenach  c.  51: 

„Eine  ygliche  frauw,  die  dae  sitzet  mit  yrem  elichcn  man 
die  frauwe  magk  nichts  vergeben  noch  verloben  ane  yres 
mannes  willen,  das  yn  schaden  möge“2). 

Rubrikenregister  des  Holländischen  Sachsenspiegels  art.  23*): 
„Van  echtscap  te  schevden  van  die  te  samen  niet  sitten 
en  moghen“. 

Willkür  der  Sachsen  in  dem  Zips  c.  2:4) 

„ . . . wo  ein  erbarer  mann  mit  seiner  erbaren  frauen  in 
der  ee  sitzt“5). 

In  der  gleichen  Bedeutung  wie  hier  von  sitten  mit  einander 
gesprochen  wird,  gebraucht  Ssp.  I 45  § 2 den  Ausdruck  in  den 

')  Vgl.  ferner  Magdeburger  Fragen  I 9d.  4,  d.  5,  14  d.  2,  d.  6. 

»)  Vgl.  c.  25,  45,  (11,  70,  93,  95,  100:  Rechtsbuch  von  Eisenach  1 c.  20, 
57,58,60,61;  Purgoldts  Uechtsb.  I c.  66,  69,  99,  103,  104,  116,  XII  c.  18,  24. 

3)  Ausgabe  von  Smits,  Nieuwe  Bijdragen  voor  Regtsgclecrdheyd  en 
Wetgeving  XXII  S.  11. 

*)  In  der  Ausgabe  des  Ofner  Stadtrechts  von  Michnay  und  Lichner 
S.  221. 

5)  Vgl.  auch  Purgoldts  Rechtsb.  I.  c.  85:  „Sitzet  eyn  man  an  eyncr 
unee  midt  cymc  wibo,  . , . . . sterbet  der  eyn,  das  ander  mag  sein  erbe 
nicht  genemen  midt  rechte“;  Magdeburg-Breslauer  Systematisches  Seböflen- 
rccht  IV  2 c.  55:  „Eyn  man  siczczc  mit  eynir  vrauwin,  die  nicht  syn  dich 
weip  ist  vnd  gewynne  kindir  mit  er  . . . .“ 


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gewcren  sitten.  Gewere  bedeutet  in  dieser  Stelle  Hausgemeinschaft '). 
„Durch  dat  he  mit  ir  in  den  geweren  sit“  ist  also  nichts  weiter 
als  eine  beiläufige  Motivierung  des  Verfügungsverbotes,  die  nicht 
den  Anspruch  prinzipieller  juristischer  Konstruktion  erhebt.  Daß 
es  ungenau  und  irreführend  ist,  von  Sitzen  des  Mannes  mit  der 
Frau  in  der  Gewere  als  in  dem  Besitze  ihres  Gutes  zu  reden, 
wurde  schon  zur  Zeit  der  Rechtsbüeher  empfunden,  und  mit  gutem 
Grunde  haben  die  Verfasser  der  Rechtsbücher,  die  sich  sonst  eng 
an  den  Wortlaut  des  Sachsenspiegels  anschließen,  wie  das  Stadt- 
recht von  Goslar  und  das  Rechtsbuch  nach  Dist.,  den  mißverständ- 
lichen Zusatz  fortgelassen a);  ebenso  der  Spiegel  Land-  und  Lehn- 
rechts für  Livland  I 33,  wo  unter  Wegfall  des  Zusatzes  sofort 
der  zweite  Satz  des  Ssp.  I 45  § 2 folgt3): 

„Ein  wif  mach  er  gut  nicht  vorgeven,  noch  egen  noch 
liftucht  uplaten,  ane  ere  mannes  vulbort  edder  vorlöf.  Sünder 
megede  unde  unbemannede  wive  mflgen  liftucht  uplaten  . . 

In  der  modernen  Literatur  ist  denn  auch  früh  erkannt  worden, 
daß  das  „Sitzen  des  Mannes  mit  der  Frau  in  der  Gewere“1  ein 
für  die  Klarstellung  des  Gewerebegriffes  unverwendbarer  Ausdruck 
einer  natürlich-sinnlichen  Auffassung  ist;  bereits  Gropp 4)  sagt 
mit  ausdrücklichem  Hinweis  auf  unsere  Ssp. -Stelle,  daß  Were 
gleichbedeutend  — allerdings  nicht  mit  Hausgemeinschaft,  sondern 
— mit  Haus  und  Hof  und  nicht  mit  Besitz  sei,  wo  „davon,  daß 
Jemand  unter  einem  Andern  in  der  Were  sitzt,  geredet  wird“. 
Gropp  ist  mit  dieser  Ansicht  vereinzelt  geblieben5).  Für  ihre 

')  Vgl.  Gicrkc,  Deutsches  Privatrecht  II  (1905)  S.  188  No.  7. 

*)  Stadtrecht  von  tloslar  (Goeschen  S.  II  Z.  26  f.,  S.  29  Z.  27  t.): 
Rcchtsbuch  nach  IJistinctionen  I c.  20  d.  16  zweiter  Satz:  Rechtsbuch  von 
Eisenach  I c.  41  zweiter  Satz.  Über  die  Fassung  dieser  Stelle  in  den 
süddeutschen  Rechtsbüchern  vgl.  Heusler,  Gewere  S.  154  No.  1. 

3)  Ausgabe  von  Bunge,  Altlivlands  Rechtsbücher  S.  105. 

*)  Der  Diebstahl  nach  dein  älteren  Rechte  der  freyen  Städto  Hamburg, 
Lübeck  und  Bremen  (1825  in  Hudtwalker  und  Trümmer,  kriminalistische 
Beyträge  Bd.  II)  S.  20  f. 

s)  Vgl.  u.  a.  Stobbe,  Gewere  in  Krsch  und  ürttber,  Allgemeine  Ency- 
clopädie  der  Künste  und  Wissenschaften  I.  65.  S 434:  „l'in  den  Besitz  von 
Immobilien  zu  bezeichnen,  wird  auch  der  l'luralis  des  Wortes  gebraucht:  . . . 
Ssp.  1 45  § 2“;  llomeycr,  Ssp.  3.  Ausg.  Register  S.  433  sub  verbo  gewere 
Ziffer  4 a:  Heusler,  Institutionen  des  deutschen  Privatrccbts  II  S.  359: 


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6 


Richtigkeit  bietet  einen  Beleg  die  Lesart  des  Cölner  Primärdrucks 
von  14KO l): 

„dar  he  myt  er  an  den  erve  syttet“. 

Eine  sachliche  Abweichung  zu  den  übrigen  Texten  ist  in  dieser 
Lesart  nicht  zu  sehen1). 

Die  falsche  Deutung  der  Ssp.-Stelle  hat  vielfache  Irrtümer 
hervorgerufen.  Den  schwerwiegendsten  Fehler  beging  Martitz, 
als  er  die  Wendung  vom  gemeinschaftlichen  Sitzen  der  Ehegatten 
auf  das  geeinte  Gut  bezog.  Martitz  spricht  von  einer  Gesamt- 
gewere’),  in  welcher  die  Ehegatten  ihr  — bewegliches  wie  unbe- 

„Selbst  die  Liegenschaften  sind  in  der  Zeit  des  Ssp.  noch  nicht  völlig  der 
Genieinschaftsidee  entzogen : der  Mann,  sBgt  Ssp.  I 45  § 2,  sitzt  mit  der  Krau 
in  Geweren  ihres  Guts,  die  Krau  ist  also  Teilhaberin  der  Gcwcrc  und  damit 
der  Nutzung;  cs  ist  nicht,  wie  man  nach  Ssp.  I 31  § 2 glaubt  annehmen  zu 
sollen , an  diesem  Gute  eine  ausschließliche  Gewere  des  Mannes  zu  rechter 

Vormundschaft  begründet Aber  das  ostf&lischc  Recht  hat  diese  Ge- 

meinschaftstendenzen  in  llezng  auf  Liegenschaften  nicht  nur  nicht  klar  aus- 
gestaltet, sondern  gegcnteils  wieder  von  sich  abgestossen“.  Vgl.  auch  die 
eingehenden  Deutungsversuche,  welche  Heusler  ebend.  S.  388  f.  der  Stelle 
Ssp.  I 45  § 2 gewidmet  hat  und  vor  allem  Gierke,  Ltl’R.  II  S.  200  No.  58  a.  E.: 
„Bei  der  vormundschaftlichen  Gewere  des  Ehemanns  wird  die  Eigengewere 
der  Frau  durch  ihren  Mitgenuß  in  Kraft  gehalten,  vgl.  Ssp.  I 45  § 2.“  — 
Neuerdings  erst  hat  die  Gropp  sehe  Ansicht  vereinzelte  Anhänger  gefunden 
in  Schilling,  Archiv  für  bürgerliches  Recht  XIX  (1901)  S.  272  f.  und 
Bchre,  Die  Eigentumsverhältnisse  im  ehelichen  Güterrecht  des  Sachsen- 
spiegels und  Magdeburger  Rechts  (1904)  S.  56  f. 

')  Nach  den  beiden  Berliner  Exemplaren.  In  Hotneycrs  Ssp.  3.  Ausg. 
S.  199  ist  unter  der  sonst  nicht  existierenden  Variantenbezeichnung  11k  die 
Lesart  „dem  erve“  (also  „in  dem  erve“)  angeführt.  Der  Cölner  Druck  hat  bei 
llomeyer  die  Bezeichnung  Ck. 

*)  Es  sind  noch  folgende  Lesarten  zu  erwähnen: 

Die  im  Besitz  von  Baron  de  Geer  van  Jutphaas  befindliche  Hand- 
schrift C:  „daer  hi  mit  hare  in  besvt  was“:  cod.  llom.  289:  „om  des 
willen  dat  hi  mit  hoer  in  der  gewere  öd'  besittinghe  aittet“;  codd. 
Hom.  290,  292  und  375:  „om  des  wil  dat  hi  mit  hoor  inder  besittinghe 
is  als  een  Vormünder“.  (De  Saksenspiegel  in  Nedcrland  1888  I S.  30, 
II  S.  40). 

Diese  Lesarten  können  unsere  Deutung  der  Ssp.-Stello  nicht  erschüttern. 
Den  holländischen  Verfassern  war,  wie  auch  aus  zahlreichen  anderen  Stellen 
hervorgeht,  der  Ausdruck  gewere  in  seiner  technischen  Bedeutung  ungewohnt. 

3)  Martitz  S.  130  f„  170,  221  No.  22,  S.  231,  253,  254,  255,  269,  332 
No.  16. 


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7 


liebes')  — Vermögen  besitzen.  Diese  Vorstellung  findet  schein- 
bare Bestätigung  in  einem,  von  Martitz  allerdings  übersehenen, 
jüngeren  Zusatz  zur  Buch’schen  Glosse  von  Ssp.  131,  wo  von 
„der  Eheleut  Gut,  wie  sie  das  mit  einander  in  unzerteilter  Gewere 
besitzen“  gesprochen  wird2).  Es  ist  aber  zunächst  zu  beachten, 
daß  die  Stelle  sich  nicht  ex  professo  mit  der  Frage,  wer  von  den 
Ehegatten  Träger  und  was  Gegenstand  der  Gewere  ist,  befaßt: 

*2.  Zobelsche  Ausgabe  von  1561  und  sämtliche  folgenden 
Zobel  sehen  Ausgaben: 

„Man  und  Weib  etc.  Nachdem  die  Ehe  allein  vor  das 
geistliche  gericht  gehörig  ist,  darum!)  saget  er  weder  hie 
noch  anderszwo  in  diesem  gantzen  Buche  ichts  davon,  son- 
dern saget  hie  allein  von  der  Eheleuth  gut,  wie  sie  das  mit 
einander  in  unzertheilter  gewer  besitzen.  Dann  des  gehöret 
etlichs  zu  weltlichem  gericht.  Aber  weil  ich  sage  Etliches, 
möchstu  fragen,  welches  dann  das  gut  sey,  das  man  vor 

geistlichem  gerichte  fordern  mög  ? “ 

Geht  man  ferner  auf  die  erste  Zobelsche  Ausgabe  von  1535  und 
deren  Vorgänger  zurück,  so  zeigt  sich,  daß  dort  überall  die  Worte 
„wie  sie  das  mit  einander  in  unzerteilter  Gewere  besitzen“  fehlen-1). 
Wir  haben  es  also  in  diesen  Worten  mit  einem  überflüssigen  und 
irrtümlichen  Zusatz  zu  tun,  auf  den  Gewicht  nicht  zu  legen  ist. 

Die  Tragweite  der  Martitzschen  Annahme  einer  Gewere 
der  Ehegatten  am  geeinten  Gut  erhellt,  wenn  man  sich  den  Begriff 


')  Martitz  S.  174  ist  Anhänger  der,  Ton  Albrecht,  Die  Gewere  als 
Grundlage  des  älteren  deutschen  Sachenrechts  S.  19  ff.  aufgestellten,  Lehre, 
daß  die  Gewere  an  einem  Grundstück  die  Gewere  der  auf  dem  Grundstück 
befindlichen  Fahrnis  nach  sich  zieht.  Vgl.  hierüber  Be  sei  er,  Erbverträge  I 
8.  168:  Heusler,  Gewere  8.66,  278  ff.  und  Institutionen  des  deutschen 
Privatrechts  II  S.  HK),  389:  Huber,  die  Bedeutung  der  Gewere  im  deutschen 
Sachenrecht  8.  40  f.  und  die  dort  gegebenen  Literaturnachweise:  Schröder. 
Lehrbuch  der  deutschen  Hechtsgeschichte  IV.  Anfl.  S.  714. 

*)  Es  ist  unrichtig,  wenn  Agricola  S.  74,  203  f.,  642  sagt,  daß  die  ge- 
meinschaftliche Gewere  beider  Ehegatten  am  gesamten  Gut  erst  im  Jahre 
1572  in  den  sächsischen  Constitutionen  aufgetaucht  sei. 

3)  Die  Wurmsehe  Glosse  (benutzt  nach  der  Abschrift  der  Görlitzer 
Handschrift  von  1387)  ist  auch  an  dieser  Stelle  bedeutend  „weiter  ansge- 
sponnen* (8 tef fen h a gen , Sitz.  - Ber.  XCVI1I.  I.  S.  59)  als  die  Huchschc 
Glosse,  sagt  aber  von  unzerteilter  Gewere  kein  Wort. 


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8 


der  Gewere  vergegenwärtigt:  die  Gewere  ist  die  bei  Fahrnis 
aus  dem  Haben,  bei  Liegenschaften  aus  der  Nutzung  zu  erkennende 
tatsächliche  Herrschaft  über  eine  Sache,  an  welcher  demjenigen, 
der  die  tatsächliche  Herrschaft  ausübt,  ein  dingliches  Recht 
wenigstens  seiner  Behauptung  nach  zusteht1).  Voraussetzung  einer 
Gewere  der  Frau  am  geeinten  Gut  ist  demnach  ein  dingliches  Recht 
der  Frau  an  den  zum  geeinten  Gut,  mithin  auch  an  den  zum  Ver- 
mögen des  Ehemannes  gehörenden  Gegenständen.  Mit  der  An- 
nahme einer  Gesamtgewere  der  Ehegatten  am  geeinten  Gut  wäre 
also  das  Grundprinzip  des  Güterverbindungssystems,  daß  die  Zu- 
ständigkeit des  ehemännlichen  Vermögens  nicht  berührt  wird, 
preisgegeben.  Zu  diesem  befremdenden  Ergebnis  scheinen  in  der 
Tat  einzelne  Bearbeiter  des  sächsischen  Landrechts  gelangt  zu  sein. 
Johann  von  Buch  gehört  aber  nicht  zu  ihnen;  wenn  er  in  der 
Glosse  zu  Ssp.  I 31  die  Verfügungsbeschränkung  der  Ehefrau  unter 
anderem  damit  zu  begründen  versucht, 

„dat  man  vnd  wyff  gesamet  gud  liebben  vnd  van  ge- 
samende  gude  mach  me  nicht  vorgeven  ut  dig.  pro  socio 
lege  2,“  *) 

so  soll  diese  romanisierende  Floskel  nur  „formellen  Halt  und 
äußerliche  Stärkung“ 3)  dem  deutschen  Rechtssatz  bieten.  Im  Ernste 
darf  man  dem  märkischen  Ritter  nicht  Zutrauen,  daß  er  sein 

■)  Vgl.  die  Formulierung  vunl’lanck,  Das  deutsche  Gerichtsverfahren 
im  Mittelalter  I.  S.  644  f.  „Der  tatsächliche  Besitz  . . . muß  Ausfluß  eines 
behaupteten  Itcchts  am  Gute  sein“:  Hcusler,  Gewere  S.  119  f.:  „Gewere  ist 
möglich  sofern  sio  sich  als  Ausübung  eines  dinglichen  Hechts  dokumentiert, 
mag  ein  solches  Recht  in  Wirklichkeit  vorhanden  sein  oder  nicht“,  und  Inst.  I 
S.  379:  „Damit  die  Gewere  in  der  Rechtsordnung  Anerkennung  finde,  muß  sie  ein 
Hecht  hinter  sich  haben,  als  dessen  Ausdruck  sic  erscheint“,  sowie  ebend.  II 
S.  20:  Huber,  die  Bedeutung  der  Gewere  im  deutschen  Sachenrecht  S.  22: 
„Ein  dingliches  Recht  ist  stets  wenigstens  der  Behauptung  nach  bei  der 
Gewere  vorausgesetzt“;  Gierke  DPR.  II  S.  189:  „Jede  Gewere  ist  der  Aus- 
druck eines  in  ihr  behaupteten  dinglichen  Rechtes“. 

*)  Cod.  Hom.  30  (Berlin  Kgl.  Bibi.  Ms.  gern.  fol.  284).  Aus  dieser 
Glossenstellc  erklären  sich  die  Inhaltsangabe  von  I 31  iui  Rubrikenregister 
des  Basler  Primärdruckes  von  1474:  „Von  gesampten  gute  mag  nymant  ge- 
geben“ und  die  Überschriften  zu  I 31  in  cod.  Hom.  289  von  1479:  „Van 
samende  gudes  als  man  ende  wyff“  und  im  Cölncr  Primärdruck  von  1480: 
„Wodano  guet' echte  lüde  ond  eruen  to  sauien  hebn“. 

3)  Homcyer,  Prolog  i.  Glosse,  Abh.  d.  Akad.  1854  S.  167. 


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9 


heimisches  Ehegüterrecht  als  eine  Unterart  des  Societätsvertrages 
aufgefaßt  habe.  * 

Bedenklicher  schon  klingen  die  Erläuterungen,  welche  Me- 
nius  der  Stelle  Ssp.  I 31  zu  Teil  werden  läßt,  ln  der  „dem 
deutschen  Text  des  Sachsenspiegels  vor  der  Glosse  artikelweise 
folgenden  eigenartigen  Glossengruppe“ ')  findet  sich  zu  dem  Satze, 
daß  Mann  und  Weib  kein  gez weites  Gut  haben,  folgende  An- 
merkung: 

„In  possessione  szt.  et  quantum  ad  usumfructum 
iuxta  tex.  latinum  h.  et  Bart,  in  1.  2 C.  ne  uxor  pro  marito 
et  1.  eo.  art.  45.  §.  Das  weib,  et  Lehenr.  c.  69  in  gloss. 
Et  licet  hic  textus  dicat,  uirum  et  uxorem  habere  sua 
bona  communia,  non  tarnen  ideo  talia  bona  fiunt  mariti,  ita 
quod  ea  possit  in  solutum  dare  pro  suis  debitis,  sed  semper 
salva  manent  uxori“. 

So  heißt  es  denn  auch  in  den  Summarien  zu  Ssp.  I 31  in  der 
zweiten  und  den  späteren  Zobel  sehen  Ausgaben: 

„Man  und  Weib  haben  zu  ihrem  leben  oder  narung  kein 
geteilt  oder  gezweiet  gut  weder  an  nutzung  noch  an  gewere“, 
und  so  fügt  Menius  zu  Ssp.  145  §2  „durch  dat  he  mit  ir  in 
den  geweren  sit“  die  Anmerkung: 

„hoc  est,  quantum  ad  possessionem  et  usumfructum  ut 
supr.  eo  art.  31,  ubi  dicitur,  quod  maritus  et  uxor  constante 
matrimonio  omnia  bona  habeant  indivisa,  scilicet  quantum 
ad  sustentationem  utriusque“  *). 

An  diesen  Aussprüchen  interessiert  am  meisten,  daß  die  angeblich 
quantum  ad  usumfructum  sich  erstreckende  Ungezweitheit  auf  den 
Satz  „Man  unde  wif  ne  hebbet  nein  getveiet  gut“  gegründet  wird. 
Verfolgt  man  die  Entstehungsgeschichte  des  ersterwähnten  Aus- 
spruches zurück,  so  trifft  man  ihn  zuerst  im  Leipziger  Druck  von 
1528  als  erläuternde  Anmerkung  zu  „Man  unde  wif  u.  s.  w.“  in 
folgender  Gestalt: 


')  Steffenhagen,  Sitz.-Bcr.  CX.  2.  S.  248. 

*)  .Quantum  ad  sustentationem  utriusque“  ist  die  miüverständlichc 
Übersetzung  von  „to  irme  live“,  vgl.  die  eben  angeführten  Summarien:  „zu 
ihrem  leben  oder  narung“. 


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in 

„Scz.  in  possessione  ut  textus  latinus,  vide  Hart.  1 2 
Cod.  ne  uxor  pro  marito“. 

Wie  klar  ersichtlich,  ist  diese  Anmerkung  einschränkend  gemeint; 
sie  will  ein  Mißverständnis  über  die  Art  und  Tragweite  der  durch 
die  Ehe  hervorgerufenen  Ungezweitheit  verhüten,  will  betonen, 
daß  die  rechtliche  Zuständigkeit  von  Mannes-  und  Frauengut  sich 
nicht  ändert,  daß  vielmehr  eine  Ungezweitheit  nur  in  Bezug  auf 
die  possessio  eintritt.  So  gerechtfertigt  demnach  die  Anmerkung 
ist,  so  läßt  sich  doch  nicht  verkennen,  daß  sie  die  vermögens- 
rechtlichen Wirkungen  der  Ehe  nur  unzulänglich  charakterisiert, 
da  sie  das  Recht  zur  Vormundschaft,  welches  der  Mann  am  ein- 
gebrachten  Gut  erwirbt,  ganz  übergeht.  Menius  mag  dies 
empfunden  haben,  und  es  läßt  sich  dann  verstehen,  daß  er  den 
verbessernden  Zusatz  „quantum  ad  usumfructum“  einfügte,  nicht 
um  ein  beiden  Ehegatten  gemeinschaftlich  zustehendes  Nießbrauch- 
recht zu  behaupten,  sondern  um  darauf  hinzuweisen,  daß  der 
Mann  außer  der  tatsächlichen  Herrschaft,  der  possessio,  auch  ein 
Recht  an  dem  mit  seinem  Gut  geeinten  Frauengut  erwirbt1). 

')  Als  usuafructus  wird  das  Hecht  des  Mannes  ain  cingebraehton  Gut 
bereits  im  Jahre  1499  bezeichnet,  vgl.  die  Notiz  unter  einem  Magdeburger 
Schöffenspruch  für  Naumburg  bei  Friese -Liesegang  lid.  I S.  406  Nr.  33. 
Diu  gelehrte  Jurisprudenz  des  16.  Jahrhunderts  hat  den  Ausdruck  dann  ein- 
gebürgert, vgl.  Martitz  S.  281  No.  6 und  Jacgcr,  De  origine  ususfructus 
maritalis  (Hallenser  Diss.,  auch  unter  dem  deutschen  Titel  „Diu  Entstehungs- 
geschichte des  ehcm&nnlichen  Nießbrauchs“,  1872)  § 4,  insbesondere  die 
treffliche  Würdigung  der  von  Martitz  und  Jaeger  zusammengestellten 
Aussprüche  bei  Schilling  S.  279  f.  Inwieweit  diese  Aussprüche  sich  auf 
die  Bearbeitungen  des  Landrechts  zurückführen  lassen,  hat  Jaeger  nicht 
untersucht.  Er  hätte  sonst  nicht  von  Thoinings  Decisiones  (1579),  wo  es 
gelegentlich  heißt,  die  Güter  der  Frau  kämen  in  inariti  possessionein,  be- 
hauptet: „Hier  findet  sich  in  den  Quellen  zuerst  für  den  alten,  viel  weiteren 
Begriff  Gewere  das  römische  Wort  possessio“,  l'nd  wenn  Thoming  das 
Hecht  des  Mannes  am  Praucngut  durch  den  lateinischen  Ausdruck  tutela 
wiedergibt,  so  ist  das  nicht  eine  „unbestimmte  Äußerung“  (Jaeger  S.  16, 
25  No.  2),  sondern  entspricht  den  ältesten  Überlieferungen  der  Vulgata.  Die 
Bezeichnung  paraphernalia  für  einen  Teil  des  Frauengutes  findet  sich  nicht 
zuerst  bei  Wesenbeck  im  Jahre  1568  (Jaeger  S.  18),  sondern  begegnet 
uns  z.  B.  schon  in  der  bald  nach  1329  (Steffenhagen,  Sitz.-Bcr.  XCVI1I 
1.  78  f.)  entstandenen  Berlin -Steinbeokschen  Handschrift,  in  sämtlichen  Ar- 
beiten Wurms,  in  Hocksdorffs  Gerichtsforuieln  (Zeitschr.  f.  Hcchtsgesch.  1 
S.  430),  auch  als  Überschrift  in  den  Statuten  von  Halle  (Förstemann 


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11 


Aber  mit  solchen  Interpretationsversuchen  gerät  man  auf  das  Ge- 
biet der  Vermutung;  unsere  Deutung  läßt  sich  kaum  verteidigen, 
wenn  wir  die  Möglichkeit  zugeben,  daß  Menius  sich  an  die  von 
Heynitz  1553  veranstaltete  Ausgabe  des  Landrechts  angelehnt  hat. 
Denn  dort  heißt  es  als  Erläuterung  des  Satzes,  daß  Mann  und 
Weib  kein  gezweiet  Gut  haben: 

einteilige  quoad  usumfructum,  habent  enim  promiscuum 
rerum  usum“. 

Nun  haben  aber  theoretische  Erörterungeu  und  Erläuterungen  der 
sächsischen  Postglossatoren,  zumal  wenn  es  sich  um  einen  deutsch- 
rechtlichen Begriff  wie  die  Gewere  handelt,  wenig  Wert.  Anf  die 
eben  angefülirten  dürftigen  Formulierungen  weiter  einzugehen,  ist 
daher  nicht  erforderlich. 

Martitz  scheint  zu  seiner  Vorstellung  einer  ehelichen  Gesamt- 
gewere  zum  Teil  unter  dem  Eindruck  des  sogenannten  „ehelichen 
Güterrechts  von  Todes  wegen“  gekommen  zu  sein.  Wenn  man, 
wie  Martitz,  das  Institut  des  Dreißigsten  als  ein  Recht  des  über- 
lebenden Ehegatten  auf  Fortsetzung  der  Gütergemeinschaft  auffasst  ’) 
und  der  Witwe  bis  zum  Dreißigsten  eine  Gewere  an  allen  zum 
ehelichen  Gut  gehörigen  Gegenständen  beilegt’),  dann  ist  es  aller- 

Neue  Mitteilungen  aus  dem  Gebiet  hist.-ant.  Forschungen  I.  2.  S.  80)  für  die 
eingebrachtc  Gerade  (vgl.  ferner  v.  N orniann,  Wendisch-rügianischer  Land- 
brauch tit.  5G  und  für  das  englische  Recht  Köhler,  Jahrb.  f.  Dogm.  XXIV 
S.  204  No.  5);  u.  a.  m.  Daß  Jaeger  seine  Quelle  Martitz  hätte  angeben 
müssen,  hebt  bereits  Schilling  S.  271  No.  78  hervor. 

')  Martitz  S.  163 ff.,  166:  „.  . . Es  erscheint  also  nicht  der  Augenblick, 
da  der  Gatte  stirbt,  sondern  die  Beendigung  der  Monatszeit  als  der  Termin, 
an  dem  regelmäßig  die  eheliche  Gütereinheit  ein  Ende  findet“. 

’)  Laband,  Kritischo  Viertcljahrsschrift  für  Gesetzgebung  und  Rechts- 
wissenschaft XV  8.401;  anscheinend  ebenso  Martitz  S.  165:  „Der  Erbe  hat 
ein  Recht,  die  Aufnahme  in  die  Gewere“  — also  neben  der  Witwe?  — „zu 
fordern“,  (vgl.  8.  166,  wo  dem  Witwer  eine  Gewere  an  den  fraulichen  Liegen- 
schaften bis  zum  Dreissigsten  zugeschrieben  wird,  ohne  daß  das  dingliche 
Recht,  welchem  die  Gewere  Ausdruck  verleihen  sollte,  genannt  wird).  Es 
könnte  allerdings  scheinen,  als  sei  die  Witwe  bei  der  durch  die  Tatsachen 
gegebenen  Sachlage  Dritten  gegenüber  zur  Verfügung  über  die  Nachlaß- 
gegenstände  legitimiert,  sobald  sie  ein  — ihr  in  Wahrheit  nicht  anstehen- 
des — Recht  daran  behauptet:  ein  Korrektiv  hiergegen  bietet  aber  die 
präsumtive  Kündbarkeit  dos  Todesfalles  und  des  damit  bis  zum  Dreißigsten 
eintretenden  Veräußerungsverbotes.  Gegen  eine  Gewere  der  Witwe  am 


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12 


dings  nur  folgerichtig,  der  Frau  schon  zu  Lebzeiten  des  Mannes 
eine  Gewere  auch  an  seinem  Gut  zu  geben.  Gegen  die  erstere 
Prämisse  entscheidet  aber  der  Umstand,  daß  bei  der  Berechnung 
der  Erbansprüche,  mit  Ausnahme  des  Anspruchs  auf  den  Mußteil '), 
nicht  der  Dreißigste,  sondern  der  Tag  des  Sterbefalles  zu  Grunde 
gelegt  wird*).  Es  heißt  ferner  in  den  Quellen  für  den  Fall  des 
Vorversterbens  der  Frau,  daß  der  Witwer  schon  am  Sterbetag  die 
Befugnis  verliert,  die  von  der  Frau  stammenden  Geradesachen 
durch  tatsächliche  Verwaltungshandlungen  in  Ungerade  zu  ver- 
wandeln und  damit  dem  Erbrecht  der  Niftel  zu  entziehen*).  Die 
rechtliche  Verbindung  der  Vermögensmassen  beider  Ehegatten  ist 
also  in  der  Tat  im  Augenblick  des  Erbfalles  gerissen,  und  nur  die 
faktische  Realisierung  der  hierdurch  bewirkten  Rechtsänderung 
wird  hinausgeschoben,  um  den  Frieden  des  Sterbehauses  bis  zum 
Ablauf  der  alttestamentarischen  Trauerzeit  zu  wahren.  Zu  deut- 
lichem Ausdruck  gelangt  dieser  Gedanke  in  der  Glosse  zu  Weich- 
bild art.  23*): 

„Stürbe  y man  de  an  gerade  ader  hergewete,  wie  wol  is 
an  en  irstorben  ist  zu  hant,  also  er  tot  ist,  is  sy  wip 
ader  man;  vor  dem  dreizigisten  ist  er  aber  nicht 
phlichtig  von  em  zu  antwerten.“ 

Schon  hiernach  entfällt  die  Möglichkeit,  aus  den  Verhältnissen 
vom  Eintritt  des  Todesfalles  bis  zum  Dreißigsten  einen  Rückschluß 
auf  die  Regelung  während  der  Ehe  zu  ziehen5). 


Nachlaß  des  Mannes  bis  zum  Dreissigstcn  hat  sieh  besonders  Hcuslcr  Inst. 
II  S.  39  f.,  567  ausgesprochen:  vgl.  auch  Humcycr,  Abh.  d.  Akad.  1864 
S.  203  bis  205,  wo  die  ältere  Literatur  angegeben  ist. 

')  Ssp.  I 22  § 3;  vgl.  die  Schöffensprnchc  bei  Wasscrsch  leben  I S. 
205  c.  65b,  S.  207  c.  65 e,  Kricsc-Liosegang  S.  575  c.  117  vorletzter  Abs. 
*)  Sobm,  Göttinger  gelehrte  Anzeigen  von  1867  8.  1906. 

*)  Glosse  zu  Weichbild  art.  23,  Ausgabe  von  Daniels  und  Gruben 
1858  Sp.  290  Z.  37—52. 

4)  Sp.  285  Z.  40  — Sp.  286  Z.  12.  Nur  vorläufige  Sichcrungsmaßregcln 
sind  schon  vor  dem  Dreißigsten  gestattet;  so  muß  sich  der  Witwer 
Inventarisierung  der  Gerade  durch  die  Niftel  unter  Zuziehung  von  Richter 
und  Fronoboten  gefallen  lassen,  Weichbildglosse  Sp.  286  Z.  13—23. 

5)  Richtig  Agricola  8.  197:  Die  Ähnlichkeit  des  Verhältnisses  bis  zum 
Dreissigsten  mit  dem  während  der  Ehe  sei  eine  ganz  äußerliche. 


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13 


So  ergiebt  sich  nirgends  ein  Anhalt  für  die  Annahme,  daß 
der  Ehefrau  eine  Gewere  am  eingebrachten  Gut  verbleibt,  oder 
gar,  daß  ihr  eine  Gewere  am  Vermögen  des  Mannes  oder  ein  Recht 
an  seinem  Vermögen  zustande.  Insbesondere  ist  die  Ssp. -Stelle 
I 45  § 2,  von  der  wir  ausgegangen  sind,  von  jedem  Anklang  an 
gütergemeinschaftliche  Tendenzen  rein.  Es  ist  nötig,  dies  zu  be- 
tonen, wenn  man  der  Äußerung  Beselers1)  gedenkt,  daß  in  der 
gemeinsamen  Gewere,  von  der  Eike  in  Ssp.  I 45  § 2 spreche,  der 
Übergang  „zur  höheren  Stufe“,  zur  Gütergemeinschaft,  zu  sehen  sei. 

n. 

„Ab  eynem  wibe  yn  eyner  zusampnen  lobunge  gelobit 
wurde  von  irem  eligen  wirte  eyn  gelt  vor  den  luten,  do  die 
ee  zusampne  gelobit  wart;  unde  benente  daz  uff  synem  huse 
ader  Vorwerke  ader  uff  eynem  wyngarten;  die  frauwe  besesse 
mit  dem  manne  yn  geweren  unde  gewelden  jar  unde 
tag  unvorrucket  in  dem  selbien  gute,  do  erir  ire  rnorgen- 
gabe  uff  vorheissin  hatte,  der  man  hette  ir  aber  keins 
vorschrebin,  unde  stürbe;  des  mannes  erben  sezin  der  frauwe 
stul  vor  dy  thor  mit  eynem  rocken,  als  sy  lichte  nach  dem 
drizigsten  zu  der  kirchen  were,  unde  weiden  sy  abwisen  mit 
der  gewalt;  die  frauwe  spreche  uff  das  gut  umme  ire  morgen- 
gabe;  die  erben  sprechen:  hette  sy  bewisunge,  sy  weiden 
tun  was  sy  sohlen;  die  frauwe  spreche:  sy  wolde  is  bewisen 
mit  erbsessin  luten, . vor  den  er  ir  ire  morgengabe  bescheiden 
hette;  die  erbin  meineten  eyne  bewisunge  eynes  gehegeten 
dinges  ader  eynes  brives  ader  der  stat  buches;  vermochte  sy 
des  nicht,  so  kerten  sie  sich  an  keine  gezuge,  nach  dem  alzo 
sy  ir  nicht  gelabit  hätten;  so  meint  die  frauwe  alzo:  als  sy 
das  erbsessin  lute  hot,  das  er  ir  is  gelobit  hatte,  is  were 


*)  System  des  gemeinen  deutschen  Privatrechts  I S.  581.  Vgl.  dagegen 
die  richtige  Bemerkung  schon  von  Sohm,  Das  Recht  der  Eheschließung  (1875) 
S.  96  {.:  „Durch  die  neueren  Untersuchungen  ist  klargcstellt,  daß,  abgesehen 
vom  ostfälischen  Recht,  alle  übrigen  deutschen  Stammesrechte  von  dem 
alten  Gütertrennungsrecht  mit  bloßer  Verwaltungsgemcinschaft  eine  Fort- 
entwickelung zum  GQtcrgcmcinschaftsrccht  durchgemacht  haben“.  Martitz 
8.  366  No.  49  hebt  ausdrücklich  hervor,  daß  die  Rechtsprechung  des  Magde- 
burger Scböffenstuhls  sich  von  der  zur  Gütergemeinschaft  hinneigenden  Ent- 
wicklung des  magdeburgischen  Statutarrechts  nicht  hat  beeinflussen  lassen. 


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14 


genug;  nn  bitten  wir  yn  eynem  rechten  orteil  zu  irfaren: 
ab  die  frauwe  mit  sollichin  gezugin  volkomen  möge  unde 
ire  morgingabe  behalden  billichir,  nehir  unde  ehr,  wenne  sich 
die  erben  des  geweren  mohin:  ader  was  darumme  recht  sy. 

Gelobit  eyn  man  synem  wibe  vor  den  Muten  eyne  morgin- 
gabe, er  bestetigte  die  morgingabe  vor  gerichte  ader  nicht, 
das  wip  beheit  die  morgingabe  uf  den  heiligen,  unde  die 
gewere,  do  ir  die  morgingabe  uff  gegeben  was,  mit 
gezuge  billichir  unde  ehr,  wenne  sy  des  roannes  erben  da- 
von gewisen  mögen;  von  rechtis  wegen“.  (Glosse  zu  Weich- 
bild art.  22  in  der  Ausgabe  von  Daniels  und  Gruben 
1858  Sp.  278  f.) 

Zweimal  gebraucht  hier  der  Glossator  des  Weichbilds  eine 
Wendung,  als  stände  der  Ehefrau  eine  Gewere  an  Gnmdstücken 
des  Mannes  zu. 

Der  Sinn  der  ersten  Stelle  ist  folgender:  Der  Bräutigam  hatte 
seiner  Braut  eine  Geldsumme  zu  Morgengabe  gelobt  und  ihr  zur 
Sicherung  dieser  Forderung  sein  Haus  oder  eines  seiner  Vorwerke 
oder  einen  seiner  Weingärten  zu  verpfänden  versprochen.  Bevor 
er  dies  letztere  Versprechen  erfüllt  hat,  stirbt  er;  die  Grundschuld 
ist  also  nicht  zur  Entstehung  gelangt.  Die  Witwe  aber  glaubt 
Gewicht  darauf  legen  zu  dürfen , daß  der  Mann  niemals  den 
Willen,  die  Grundschuld  nicht  zu  bestellen,  zum  Ausdruck  gebracht 
oder  gar  betätigt  hat.  Sie  meint,  es  sei  für  ihren  Anspruch  auf 
Herausgabe  des  für  die  Grundschuld  in  Aussicht  genommenen 
Grundstückes  erheblich,  daß  der  Mann  das  Grundstück  nicht  ver- 
äußert habe1)-  Diesem  Gedanken  gibt  sie  mit  der  Wendung 
Ausdruck,  sie  habe  mit  dem  Manne  „yn  geweren  und  gewelden“ 
Jahr  und  Tag  in  dem  Grundstück  gesessen.  Ich  sehe  hierin  eine 
ungenaue  und  falsche  Formulierung,  die  für  die  Existenz  einer 
Gewere  der  Frau  am  Vermögen  des  Mannes  nicht  beweiskräftig 
ist*).  Geht  die  Witwe  doch  auch  insofern  von  einer  unrichtigen 

')  Die  Witwe  ist  sich  klar  darüber,  daß  sie,  wenn  der  Mann  das  Grund- 
stück veräußert  hätte,  von  deui  dritten  Erwerber  die  Herausgabe  nicht  würde 
verlangen  können. 

*)  Juristisch  inkorrekte  Parteivorträge  begegnen  uns  in  den  Schöffen- 
ansprüchen häutig  (vgl.  unten  S.  33  f.),  und  cs  ist  wohl  möglich,  daß  der 
Glossator  sieh  an  einen  solchen  faktisch  stattgehabten  Parteivortrag  ange- 


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15 


Rechtsansicht  aus,  als  sie  zu  glauben  scheint,  daß  zur  Erlangung 
der  sogenannten  rechten  (lewere  Besitz  von  Jahr  und  Tag  ohne 
voran  gegangene  gerichtliche  Fertigung  genüge. 

Einfacher  ist  die  zweite  Stelle.  „Das  wip  behelt  die  morgin- 
gabe  uff  den  heiligen“  heißt:  die  Erben  werden  zur  Auszahlung 
der  zu  Morgengabe  gelobten  Geldsumme  verurteilt,  wenn  die  Witwe 
den  Beweis  des  Gelöbnisses  mit  ihrem  alleinigen  Eide  erbringt. 
„Das  wip  behelt  die  gewere,  do  ir  die  morgingabe  uff  gegeben 
was,  mit  gezuge“  heißt:  die  Erben  werden  zur  Herausgabe  des 
Grundstücks,  auf  welches  ihr  die  Morgengabe  angewiesen 
ist,  verurteilt'),  wenn  die  Witwe  den  Beweis  der  Errichtung  der 
Satzung  durch  Zeugen  erbringt.  Gewere  hat  hier  also  nicht  die 
Bedeutung  von  Besitz,  sondern  von  Haus  und  Hof*).  Unter  einem 


lehnt  oder  den  frei  erfundenen  Hechtsfall  absichtlich  in  der  üblich  laienhaften 
Ausdrucksweise  dargcstcllt  hat. 

')  Auf  diese  Verurteilung  wird  die  Witwe  besonders  bei  Überschuldung 
des  Nachlasses  Wert  logen , da  der  Anspruch  aus  dem  bloßen  (lelöbnis  der 
Morgengabe  den  übrigen  Krbschaftsschulden  nachsteht,  vgl.  Behre,  Die 
Eigentumsverhältnisse  im  ehel.  Güterr.  des  Ssp.  u.  Magdeb.  Rochta.  8.  71. 
Ist  die  Herausgabe  des  Grundstücks  erfolgt,  so  hat  nunmehr  die  Witwe  die 
Wahl,  ob  sie  es  bewirtschaften  und  die  Erträgnisse  zu  ihrem  Lebensunterhalt 
verwenden,  oder  ob  sie  den  durch  das  Morgengabegelöbnis  erstrebten  wirt- 
schaftlichen Erfolg  direkt,  nämlich  durch  Weiterverpfändung  des  Grundstücks 
erreichen  will.  Dies  Letztere  scheint  das  Häufigere  gewesen  zu  sein,  vgl. 
Weichbild  art.  92  (Ausg.  von  Daniels  u.  Gruben  1858  Sp.  153):  „So  cyn 
man  synem  elichcn  wibc  cyn  gelt  zu  morgingabe  gelabet  unde  ir  sien  eigen 
ader  sien  erbe  dovor  zu  phande  sezit  under  wichbildis  rechte,  stirbit  der 
man,  die  fruuwe  mag  das  phant  mit  rechte  vorsezen  vor  ir  gelt,  wenne  sy 
wil“.  Diese  Stelle  bietet  einen  neuen  Beleg  für  die  Richtigkeit  der  von 
Köhler,  Pfandrechtliche  Forschungen  S.  15  ff.  vertretenen  Ansicht,  daß  auch 
beim  Vertragspfand  und  zwar  auch  bei  der  älteren  Satzung,  ein  Weiterver- 
pfändungsrecht des  Gläubigers  existierte. 

*)  Abw.  Ans.  Behre  S.  88  No.  1 : „da  die  Bestellung  einer  Grundschuld 
(Satzung)  wie  jede  Bestellung  dinglicher  Rechte  an  Grundstücken  deren  Auf- 
lassung“ — richtiger  wohl:  gerichtliche  Fertigung,  vgl.  Heusler,  Inst.  II 
S.  76  f.,  141  und  Schröder,  Rcchtsgeschichte  S.  721  — „erforderte,  mit  der 
Auflassung  aber  die  Gewere  an  dem  Grundstück  auf  den  Erwerber  überging 
(Heusler,  Inst.  II  S.  146),  so  ist  in  der  Stelle  ganz  kurz  bloß  vom  Beweis 
der  Gewere  die  Rede“.  Wie  hält  Behre,  der  an  anderer  Stelle  S.  56  f.  für 
die  Ausschließlichkeit  der  Gewere  des  Ehemannes  am  geeinten  Gut  eintritt, 
den  Übergang  einer  Gewere  zu  Satzung  au  die  Ehefrau  für  möglich?  Nur 


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Besitz,  worauf  die  Morgengabe  gegeben  sein  soll,  kann  man  sich 
nichts  vorstellen. 

in. 

In  der  Wurmschen  Glosse  zu  Ssp.  IH  76  wird  bei  Erörte- 
rung einer  vermögensrechtlichen  Streitsache  zwischen  Ehegatten, 
deren  Ehe  fiir  nichtig  erklärt  worden  ist,  gesagt,  während  der  Ehe 
habe  die  Frau  mit  dem  Manne  in  geweren  gesessen  (Berlin  Kgl. 
Bibi.  Ms.  germ.  fol.  437  Blatt  571): 

„Der  uorspreche  ....  gestelle  seine  clage  so  uon  der 
frauen  wegin  in  sotanir  weise*).  Herre  her  richter  wolt  ir 
frauwen  Bertan  wort  uomemen,  so  ste  ich  hir  an  inn  worte. 
und  spreche  gar  bescheidenlichin.  Einen  rechten  elichin 
man  hatte  sy.  der  ir  getreutit  und  gebin  waz  alz  einr  rechtin 
ee  recht  ist.  und  hot  mit  im  gesessin  in  gütlichen  und 
erlichin  geweren,  also  lange  daz  sy  beide  undirweisit 
sein  von  den  nehsten  magen  beiderthalbin  daz  sy  uon  rechter 
sibbeczal  sich  nicht  gehabin  mugen  und  uon  rechtis  wegen 
den  sy  gerne  behaldin  hette  czu  einem  rechtin  ee  wirte, 
hette  sy  gemocht  uon  gotis  wegen  und  uon  gericlitis  wegen. 
Der  ir  gebin  hot  czwenczig  schock  groschin  czu  rechtir 
morgengabe,  der  er  ir  iczunt  weigert  czu  gebin.  und  uor 
inthaldin  hot  uon  der  czit  also  sy  gescheiden  ist  biz s) 
und  bitit  gericlitis  und  begert  der  antwort.  Secundo.  So 
clagit  sy  got  und  euch  daz  er  ir  uor  inthelt  geweldielich  ir 
leipgedinge  daz  er  ir  gebin  hot  an  seim  eigen  eigintlichin 
ein  houz  ein  hof  schune.  und  alliz  gebude  aber  do  wider 


insoweit  stimmt  Hehre  mit  uns  überein,  als  er  8.  98  den  Satz  „Morgengave 
behalt  dat  wif  uppen  hilgen,  de  gewere  aver  mit  getfige“  (Ssp.  I 20  § 6) 
folgendermaßen  übersetzt:  _l)en  Beweis  des  Morgengabegelöbnisses  erbringt 
die  Krau  mit  ihrem  Eide,  den  Beweis,  daß  dies  Gelöbnis  später  in  eine 
Grundschuld  uingewandelt  worden  ist,  erbringt  sie  selbsicbent“. 

')  Nicht  immer  zeigt  Wurm  so  deutlich  wie  hier,  daß  die  von  ihm 
mitgetcilten  Schöffensprüche  nur  eine  Form  sind,  in  welche  er  eigene  Rechts- 
sätzc  kleidet.  Vgl.  Homeycr,  Richtsteig  Landrechts  S.  341,  362 : Böhlau, 
Nove  constitutiones  domini  Alberti  S.  XXXIV  f.  und  Blume  von  Magde- 
burg S.  16;  Stobbe,  Rcchtsquellcn  1 S.  381,  418;  Steffenhagen,  Sitz.- 
Ber.  XCVI1I.  1.  S.  58,  76. 

’)  Zu  ergänzen  ist  hier  wohl  „iczunt“. 


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redin  wil  ....  Tercio.  Auch  clagit  sy  daz  erz  hir  gerade 
und  alliz  daz  dorczu  gehört  und  musteile  und  dar  dorczu 
gehört  di  er  ir  uor  inthelt  und  ir  weigert  ezu  gebin.  und 
bittit  gerichtis  und  begert  einr  antwort  . . .“ 

Der  fingierte  Rechtsfall  wird  dann  nach  verschiedenen  Rich- 
tungen umständlich  erörtert,  ohne  daß  die  Frage  der  Gewere 
erwähnt  wird,  wie  ja  auch  in  dein  hier  abgedruckten  Bruchstück 
nicht  die  geringste  Konsequenz  aus  den  „gutlichin  und  erlichin 
geweren“,  in  welchen  die  Khegatten  gesessen  haben,  gezogen  wird. 
Gewere  kann  also  hier  nicht  Besitz  bedeuten;  die  Bezeichnung  des 
Besitzes  als  „gütlich  und  erlich“  ist  schon  an  sich  außergewöhn- 
lich, in  dem  hier  vorliegenden  Fall  aber,  wo  Besitz  und  Beschaffen- 
heit des  Besitzes  nicht  in  Frage  steht,  ganz  und  gar  unverständ- 
lich. „Mit  im  gesessin  in  Geweren“  bedeutet,  wie  in  Ssp.  I 45 
§ 2,  so  auch  hier  „mit  ihm  gelebt  in  ehelicher  Gemeinschaft“ '). 
Die  Klägerin  sagt,  sie  habe  „mit  ihrem  Manne  als  rechtmäßige 
Ehefrau  in  Frieden  und  Ehren  zusammengelebt“;  darin  kommt 
ihre  Befürchtung  zum  Ausdruck,  die  Bestellung  von  Morgengabe 
und  Leibzucht  werde  Gelleicht  deshalb  als  nichtig  angesehen 
werden,  weil  sie  in  einer  mit  einem  impedimentum  dirimens  be- 
hafteten Ehe  erfolgt  sei2).  Zugleich  ergibt  sich  zwanglos  der 

*)  ln  einem  ganz  ähnlichen  KechUfall  in  den  Magdeburger  Fragen  I 9 
d.  5 heißt  cs  von  den  Eheleuten:  „Dy  selbin  czwe  scssin  an  der  e in  das 
czende  iar,  lenger  wile  adir  korczer,  in  gantezen  truwen,  so  das  sy  key  n 
hindernisze  wüsten  czwu sehen  on  unde  sy  ouch  ny  angesprochen 
worden,  dy  wile  das  sy  lebeten,  nmb  kevnerleyc  schelunge,  dy  czwuschen  on 
solde  syn  gewest“.  Im  weiteren  Verlauf  des  Rechtsstreits  verweigern  die 
Beklagten  die  Herausgabe  der  Morgengabe  an  die  Stiefmutter  mit  der  Be- 
gründung, „sy  mochte  nicht  rechte  ce  be siezen  (!)  mit  irem  (der  Stief- 
kinder) vater“.  In  dein  Rechtsfall  bei  Wasscrschlebcn  IS.  117  c.  242  ist 
auf  Trennung  von  Tisch  und  Bett  erkannt,  und  es  heißt  dort  von  der  Zeit 
vor  dem  Urteil,  als  die  Frau  noch  in  häuslicher  (ieineinschaft  mit  dem 
Manne  lebte:  „die  weile  sie  mit  ym  yn  rechte  sas“. 

*)  Diese  Befürchtung  der  Frau  ist  unbegründet.  In  P u rg  o 1 d t s Rechts- 
buch  I 8G,  dessen  Khegiitorrechtssystem  sich  allerdings  von  dem  des  Ssp. 
unterscheidet , wird  ausgesprochen , daß  der  rechtmäßigen  Ehe  die  von 
den  Ehegatten  in  Unkenntnis  des  impedimentum  dirimens  für  recht- 
mäßig gehaltene  Ehe  gleichsteht:  „die  Unwissenheit  on  schadet  wedder  den 
eil  dem  noch  den  hindern,  wedder  an  den  erin  noch  an  dem  gude  noch 
an  erem  rechtin“. 

Kiesel,  üewere  2 


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Zusammenhang  mit  dem  folgenden  Satz:  Frieden  und  Ehre  des 
ehelichen  Zusammenlebens  waren  dahin,  als  „sy  beide  undirweisit 
sein  von  den  nehsten  magen  beiderthalbin  daz  sy  uon  rechter 
sibbeczal  sich  nicht  gehabin  mugin“. 

IV. 

„Blift  aver  de  wedewe  na  irs  mannes  dode  mit  iren  kin- 
deren  in  der  kindere  gude,  dat  ire  nicht  n'is,  unde  ungesceiden 
van  deme  gude.  unde  nemet  ire  sone  wif  bi  inne  live,  stervet 
ire  sone  dar  na,  des  sones  wif  nemet  mit  mererae  rechte  ires 
mannes  morgengave  unde  müsdele  unde  ire  rade  an  ires 
mannes  gude,  dan  sin  müder,  of  se  irs  mannes  unde  irs 
selves  umbesculdenen  were  dar  an  getögen  mögen“  (Ssp.  I ’20 

§ 4). 

In  den  letzten  Worten  dieser  Stelle  hat  besonders  Gaupp1)  den 
Beweis  fflr  das  Bestehen  einer  Gewere  der  Frau  neben  der  Gewcre 
des  Mannes  gesehen*). 

Fflr  sich  allein  betrachtet,  bietet  die  Stelle  fflr  Gaupps  An- 
sicht keinen  Anhalt,  wenn  man  das  „und“  in  „irs  mannes  unde 
irs  selves  umbesculdenen  were“  disjunctiv  deutet:  J.  W.  Planck1) 
meint,  die  Sohnsfrau  habe  ihres  Mannes  oder  ihre  eigene  Gewere 
zu  beweisen,  nämlich  ihres  Mannes  Gewere,  soweit  es  sich  um 
Gerade  und  Musteil  handele,  ihre  eigene  Gewere , soweit  ihr 


')  Germanistische  Abhandlungen  8.  84  f.  Gaupp  geht  davon  aus,  daß 
das  eingebrachtu  Gut  und  die  Gerade  identisch  seien,  und  spricht  deshalb 
von  einer  Gewere  der  Frau  nicht  am  eingebrachten  Gut  sondern  an  der  Gerade. 

*)  Man  wird  sich  demgegenüber  nicht  mit  Haenel,  Das  Bewcissystem 
des  Ssp.  S.  1GI  darauf  berufen  dürfen,  dal!  § 4 mit  den  §§  3 und  5 bis  7 in 
der  alteren  Überlieferung  des  Ssp.  noch  nicht  enthalten  ist  (vgl.  Homcyer, 
Ssp.  3.  Ausg.  S.  89:  „wir  hätten,  selbst  wenn  wir  Mikes  Handschrift  noch 
bcsäUen,  uns  bei  und  mit  diesem  l'rbilde  nicht  zu  beruhigen,  sondern  seiner 
weiteren  Umgestaltung  nachzugehen“,  und  Martitz  8.  173  No.  18:  „un- 
zweifelhaft ist  dieser  Zusatz,  der  dem  Urtext  des  Ssp.  nicht  mehr  angehOrt, 
seinem  Rechte  gemäß“).  Auch  der  Hinweis  darauf,  daß  die  Worte  „unde 
irs  selves“  in  fünf  zur  zweiten  Klasse  gehörigen  Texten  fehlen,  kann  uns 
einer  Erörterung  dieser  Stelle  nicht  entheben  (abw.  Ans.  Hehre  8.  27 f.  No  3). 

*)  Zeitschrift  für  deutsches  Recht  X S.  2G9:  ebenso,  wenigstens  in 
diesem  Punkte  Jolly,  über  das  Beweisverfahren  nach  dem  Rechte  des 
Ssp.  8.  41. 


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Anspruch  auf  die  Morgengabe  gerichtet  sei;  umgekehrt  sagt  Kraut '), 
an  der  Morgengabe  habe  d>e  Witwe  des  Sohnes  seine  Gewere,  bei 
den  als  Gerade  geforderten  Gegenständen  habe  sie  ihre  eigene 
Gewere  darzutun.  Planck  wie  Kraut  hätten  sich  auf  die  Variante 
berufen  können: 

„effte  se  eres  mannes  edder  eres  sulues  onbeschulden 
were  dar  an  getugen  mach“*). 

Trotz  dieser  Lesart  vermögen  wir  keinem  'der  eben  genannten 
Autoren  uns  anzuschließen,  sind  vielmehr  überzeugt,  daß  gleich 
dem  übrigen  geeinten  Gut  auch  Gerade,  Musteil  und  Morgengabe 
wahrend  des  Ehemannes  Leben  allein  in  seiner  Gewere  stand. 
Der  Urheber  der  Lesart  „oder“  mag,  wenn  er  bei  seiner  Änderung 
sich  überhaupt  etwas  gedacht  hat,  dies  „oder“  in  korrigierendem 
Sinn  als  ein  „oder  vielmehr“  gedacht  haben.  Das  wäre  ein  ganz 
einleuchtender  Gedanke,  denn  es  ist  wirklich  nicht  zu  erklären, 
weshalb  die  Witwe  außer  der  gegenwärtigen  eigenen  auch  noch 
des  verstorbenen  Mannes  frühere  Gewere  beweisen  soll. 

Bei  Zugrundelegung  der  von  Al  brecht3)  erwähnten  Lesart4): 
„of  se  ires  mannes  gut  und  ires  selbs  unbeschulden  ge- 
were daran  gezeugen  moegen“ 

entfällt  die  Annahme  mehrfacher  Gewere  ohne  weiteres.  Die  zu 
beweisende  Gewere  ist  nach  dieser  Lesart  diejenige,  welche  der 
Witwe  des  Sohnes  nach  seinem  Tode  an  seinem  Gut,  soweit  dies 
Morgengabe,  Musteil  oder  Gerade  ist,  zusteht. 

Wir  kehren  zum  Homey ersehen  Text  zurück.  Es  liegt  dabei 
außerhalb  des  Kähmens  unserer  Aufgabe,  in  eine  Erörterung  der 


')  Die  Vormundschaft  nach  den  Grundsätzen  des  deutschen  Hechts  II 
S.  545  No.  30:  ihm  stimmt  Har,  Das  Beweisurteil  des  germanischen  Pro- 
zesses S.  147  und  Agricola  S.  518  No.  36a  bei. 

*)  Stcndalcr  Druck  von  1488. 

3)  Doctrinae  de  probationibus  secundum  jus  Germanicum  medii  aevi 
adumbratio  II  S.  14  No.  56  a. 

*)  Augsburger  Druck  von  1482  (bei  Homcyer,  8sp.  3.  Ausg.  S.  69  als 
Nr.  5 verzeichnet):  Leipziger  Druck  von  1490  (ebend.  Nr.  10;:  Augsburger 
Druck  von  1517  (Nr.  16);  Leipziger  Druck  von  1528  (Nr.  18):  Ausgabe  Löss 
von  1545  (Nr.  22).  — Der  Basler  Primärdruck  von  1474,  von  welchem  Nr.  16 
und  18,  und  die  erste  Zobelsche  Ausgabe,  von  welcher  Nr.  22  abgeleitet 
sind,  haben  den  Homey  ersehen  Text. 

2* 


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unzähligen  Streitfragen,  welche  die  Ssp. -Stelle  hervorgerufen  hat, 
einzutreten.  Es  genügt,  als  das  Gemeinsame  der  im  Einzelnen 
weit  auseinander  gehenden  Ansichten  festzustellen,  daß  es  sieh  in 
dieser  Stelle  nicht  um  zwei  Beweisakte,  sondern  nur  um  einen  Akt 
handelt,  und  daß  Gegenstand  dieses  einen  Beweisaktes  nicht  die 
Besitzfrage '),  die  Gewere,  sondern  die  Rechtsfrage  ist*).  Die 
Witwe  des  Sohnes  wird  unter  Umständen  dartun  müssen,  daß  ihr 
Mann  Eigentümer  .der  streitigen  Gegenstände  war,  aber  vor  allem 
wird  sie  ihre  und  ihres  Mannes  „Unbescholtenheit“  zu  beweisen 
haben,  d.  h.  sie  wird  beweisen  müssen,  daß  die  Gewere,  welche 
ihr  unstreitig  zusteht  und  ihrem  verstorbenen  Mann  unstreitig 
zugestanden  hat,  nicht  von  Anfang  an  durch  die  Art,  wie  sie  er- 
langt worden  ist,  eine  bescholtene  war  und  auch  nicht  später 
eine  bescholtene  geworden  war3).  Von  Anfang  an  bcscholten 


')  So  I, aband,  Di«  vermögenarechtlichen  Klagen  nach  den  sächsischen 
ltcclitsquelien  des  Mittelalters  S.  393  f.  No.  28,  30  und  Kritische  Vierteljahrs- 
schrift XV  S.  420. 

*)  Delbrück,  Z.  f.  deutsches  K.  XIV  S.  238  f.:  Gerber,  Z.  f.  Oivilr. 
u.  Pro*.  N.  F.  XI  S.  8:  Har,  Das  Beweisurteil  des  german.  Prozesses  S.  147. 

s)  Die  versio  Vratislaviensis  (cod.  Hom.  85,  Breslau  11  F.  8)  übersetzt 
„umbesculdcnen  werc“  mit  „possessio  non  irrita  et  quieta“:  Sandomiriensis 
(cod.  Hom.  91,  Breslau  II  Q.  4):  „inviolata“:  Johann  von  Lasco  (vgl. 
Hoinejcr,  Ssp.  3.  Ausg.  S.  70  Nr.  14):  „irreprobata“ : die  Berlin  - Stein- 
bockache Handschrift  hat  die  Lesart:  „Si  lnoritur  tilius,  relicta  tilii  dotu- 
litiuin  et  domcsticalia  nec  non  parafenialia  tollit,  si  possessionem  sui  mariti, 
impetitam  cum  testibus  demonstrabit“;  Görlitzer  Handschrift  von  1387:  „Si 
inoritur  tilius,  nurus  eius  in  parafernalibus  et  commestualibus  cum  dotalicijs 
secus  cst  qui  mater  disecssi.  si  mariti  possessionem  ati|ue  sui  ipsius  iuuen- 
ditatem  testibus  apprubauerit“.  Auch  diejenigen  Überlieferungen  der  Vulgata, 
die  sonst  wörtlich  unter  einander  übereinstimmen,  zeigen  in  der  Wiedergabe 
von  Ssp.  I 20  die  widersprechendsten,  zum  Teil  unverständliche,  Lesarten, 
ln  den  meisten  Überlieferungen  fehlt  der  hier  interessierende  Konditionalsatz, 
in  anderen  wird  er  an  späterer  Stelle  eingefngt.  Vgl.  Leipziger  Druck  von 
1490  (Homeycr,  Ssp.  3.  Ausg.  S.  69  Nr.  10):  „Manet  autem  vidua  in  bonis 
mortui  sui  cum  filiis  suis  indistincte.  Et  si  filius  matrimonium  contrazerit 
mortuo  postea  tilio,  uior  iilii  in  dotibus  et  in  domesticis  cibariis  percipiendis 
matri  sue  prefertur.  Et  quod  ipsa  mater  adliuc  eam  dotem  non  accipit  non 
iinpedietur  et  c convcrso.  Si  tilius  in  bonis  matris  dccesserit  et  si  hoc 
attestare  potcrit  in  perceptione  dotis  iuribus  nuri  preponetur“ ; im  Basler 
Primärdruck  von  1474  lauten  die  letzten  beiden  Sitze:  „Kt  quod  ipsa  mater 
adliuc  dotem  non  acceperit  non  iuipcdict  et  ecoimerso  ost.  Si  tilius  in  bonis 


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war  ilie  Gewere,  wenn  der  Rohn  nach  dem  Tode  des  Vaters  die 
von  seiner  Mutter  in  Anspruch  genommenen  Gegenstände  ihr  ent- 
rissen hatte1);  später  konnte  die  Gewere  dadurch  zur  bescholtenen 
geworden  sein,  daß  der  Sohn  dem  jederzeit  berechtigten5)  Ver- 
langen der  Mutter,  die  Zweiung  vorzunehmen,  nicht  stattgegeben 
hatte*).  Die  späteren  Rechtsbücher  haben  diesen  Gedanken  korrekt 
ausgedrückt,  ohne  die  Gewere  auch  nur  zu  erwähnen: 

Rb.  n.  Dist.  I 13  d.  1: 

„ sterbet  der  son,  des  sones  wip  behildet  mit  merem 

rechte  ores  mannes  morgengabe  unde  mustevl  unde  gerad  an 
ores  mannes  guten1)  wan  sin  muter,  ab  sy  (seil,  die  Streit- 
sache) ores  mannes  unde  or  seihest  unbeschulden  ist,  unde 
sy  (seil,  die  Sohnsfrau*))  daz  beczugen  mag“6). 

Auf  jeden  Fall  wird  man  zugeben,  daß  Ssp.  I 20  § 4 sich 
auch  ohne  die  Annahme  einer  gleichzeitigen  Gewere  beider  Ehe- 
gatten erklären  läßt. 

inatris  dccesserit  et  hoc  si  matcr  in  perceptione  dotis  viri  mortui  prepunetur 
dotein  mnlier  cum  proprio  obtinebit  iuramento*:  im  Augsburger  Primärdruck 
von  1516  lautet  der  letzte  Satz:  „.  . . . decesserit,  et  hoc  si  umter  probare 
poterit  possessionem  paciticam  quam  r?)  uiater  in  pcrceptionc  dotis  iuribus 
nurus  (nuri:  cod.  Honi.  61,  erste  Zobclsche  Ausg.  v.  1535  u.  a.)  preponetur". 
Diese  Lesarten  zeigen  jedenfalls,  daß  die  Schwierigkeiten  des  Homeyer- 
schen  Testes  nicht  erst  von  den  Germanisten  des  19.  Jahrhunderts  empfunden 
worden  sind. 

')  Heusler,  Die  Ucwcre  S.  282  f. 

*)  „Cum  sibi  placuerit“  (Vratislaviensis,  cod.  llom.  85)  - - „svenne  se 
sik  dan  van  in  sceidet“  in  Ssp.  I 20  § 3. 

*1  Behre  S.  30  f. 

*)  Statt  .guten“  hat  die  von  Ortloff  zugrunde  gelegte  Handschrift 
„morgengabe-.  Ich  verbessere  diesen  olfenbaren  Flüchtigkeitsfehler  nach 
der  übereinstimmenden  Überlieferung,  wie  sie  in  den  von  Ortloff  S.  355 
angegebenen  Varianten  und  anderen  Handschriften  (cod.  lloin.  45,  Berlin 
Kgl.  Bibi.  Ms.  germ.  fol.  625)  erhalten  ist. 

*)  Der  Subjektwechsel  ist  in  drei  von  Ortloff  S.  355  verglichenen 
Handschriften  zum  Ausdruck  gekommen. 

6)  Vgl.  ferner  die  von  Heusler,  Gewere  S.  283  No.  1 angegebenen 
Quellen,  sowie  Kb.  von  Eisenach  II  15  und  l’oel mann  IX  11  d.  5.  — Der 
hier  interessierende  Konditionalsatz  fehlt  in  den  holländischen  Handschriften 
codd.  Hum.  289,  290,  292  und  375. 


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22 


V. 

„Liftucht  ne  kan  den  vrowen  neman  breken,  neweder  na- 
borne  erve,  noch  neman  uppe  den  dat  gut  irstirft,  se  ne 
verwerke’t  selve;  so  dat  se  ovetbome  uphowe,  oder  lüde  van 
deme  gute  verwise,  die  to  deme  gude  geboren  sin,  oder  to 
swelker  wis  se  ire  liftucht  ut  van  iren  weren  let“  (Ssp.  1 2 1 § 2)'). 

Die  Frau  verwirkt  die  Leibzucht,  wenn  sie  sie  aus  der  Gewere 
laßt.  Andererseits:  d’e  Witwe  behält  die  Leibzucht,  wenn  sie  sich 
wieder  verheiratet2).  Hieraus  folgert  man,  daß  der  Witwe  trotz 
Verrückung  des  Witwenstuhls  eine  Gewere  an  dem  Leibzuchtsgut, 
welches  der  Gewere  des  Mannes  zweiter  Ehe  unterstellt  ist,  ver- 
bleibt, mithin,  daß  die  Gewere  des  Mannes  am  Frauengut  eine 
gleichzeitige  Gewere  der  Frau  nicht  ausschließt3). 

Es  ist  zu  prüfen,  ob  den  Worten  des  Ssp.  I 21  § 2 eine 
streng  technische  Bedeutung  zukommt,  oder  ob  nicht  vielmehr  das 
„Lassen  der  Leibzucht  aus  der  Were“  ein  nicht  ganz  genauer 
Ausdruck  für  „Veräußerung“  der  Leibzucht  ist.  In  der  ähnlich 
formulierten  Stelle  Ssp.  II  (JO  § 1 „to  svelker  wis  he  die  varende 
have  ut  von  sinen  geweren  let“  oder  „von  sinen  geweren  utdede“  *) 
ist  das  „Lassen“  nur  als  eine  sinnlich  wahrnehmbare  Handlung 
denkbar.  Ebenfalls  ist  das  „in  die  gewere  laten“  in  Ssp.  I 9 § 5, 
I 52  § 3,  III  83  § 3 und  das  „laten“  überall  dort,  wo  von  „laten 
und  geven“  die  Rede  ist,  nicht  als  ein  untätiges  „Zulassen“  sondern 
als  eine  auf  Herbeiführung  von  Rechtsfolgen  gerichtete  Tätigkeit 
zu  verstehen.  Auch  in  unserer  Stelle  I 21  § 2 hat  Eike  zweifellos 
den  Fall  im  Auge,  daß  die  Frau  durch  rechtsgeschäftliche 
Verfügungen  das  den  Erben  des  Bestellers  zustehende  Heimfalls- 
recht „unbillich“ 6)  zu  beeinträchtigen  versucht6).  Zwischen  Ver- 
äußerungen, bei  denen  die  Frau  in  der  Gewere  bleibt  und  solchen, 


’)  Die  letzten  Worte  .oder — let“  fehlen  in  codd.  Hoin.  289,  290  und  292. 
7)  Ssp.  III  76  § 3:  Stück  von  der  Beweisung  bei  Houicyer  Ssp.  II  1 
S.  365  f.:  Extravagante  zu  Ssp.  III  74  bei  Homeyer,  Abb.  d.  Akad.  1861 
S.  248  f.:  auch  Ssp.  1 45  § 2. 

s)  Niese,  Die  Leib  ziiclit  nach  den  älteren  sächsischen  Reclitsqucllen  S.21  f. 

4)  Vgl.  Homeyers  Variantenverzeichnis. 

5)  Vgl.  die  dritte  Bocksdorfsche  Addition  zu  Sp.  I 21. 

6)  Johann  von  Buch  in  der  Glosse  zu  Ssp.  121  §2:  „Lyftucht  ot 
eren  weren  etc.  Dit  is  of  se  ere  cruen  ontcrueu  woldon“. 


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23 


bei  denen  sie  die  Gewere  aufgibt,  bat  Eike  nicht  unterscheiden 
wollen,  ln  den  lateinischen  Bearbeitungen  in  der  Form  der  Vul- 
gata ist  denn  auch  jede  Bezugnahme  auf  die  Gewere  ausgeschaltet: 

„Dotalicia  mulieribus  nullus  infringere  potest  neque  here- 
des  iam  nati  neque  posthumi,  nisi  lingna  fruetifera  succide- 
rit,  vel  asscriptios  fugaverit,  vel  qualicunque  modo  do- 
talicium  in  alium  transferat  dominum.  Nisi  hoc  in 
spacio  competenti  iure  revocetur,  quum  in  iure  fuerit  requi- 
sita“  ')• 

Es  fallt  demgegenüber  nicht  ins  Gewicht,  daß  die  ungenaue 
Fassung  des  deutschen  Textes  in  den  spateren  sächsischen  Quellen 
wortgetreu  wiederkehrt: 

Glosse  zu  Weichbild  art.  56: 

„Gibt  eyn  man  sinem  wibe  eyn  lipgezucht  an  eigen, 
die  frouwe  mag  das  gut  keinem  lassen.  Wonne  worumme? 
lest  sy  is  uz  iren  geweren,  sy  vorlust  is,  Ssp.  I 21s). 

')  Cmt.  Hoi».  61 ; „vel  qualicunque  modo  in  alium  dotalieii  transferat 
dominium“:  cod.  Hom.  33  (Berlin  Kgl.  Bibi.  Ms.  germ.  fol.  390):  in  der 
Berlin  - Steinbeckseben  Handschrift  fehlt  der  hier  interessierende  Passus: 
.Nemo  mulieribus  donatiunes  frangere  potest,  neque  heres  nisi  ipsa  per 
culpam  negleierit:  videlicet  si  arbores  fertiles  detruncaverit  aut  licentiat 
homincs  ad  bona  nata  (sic!)  sui  dotalitii.  Si  fecerit,  refundet  tempore 
actionis.  Si  cclebretur  divurtium  inter  virum  et  uxnrem,  ipsa  obtinet  dona- 
tionem  propter  nuptias  sibi  datam“:  dagegen  ist  in  der  Görlitzer  Handschrift 
von  1387  der  Passus  enthalten:  „Dotaliciuui  nemo  passivis  frangerc  potest 
nec  legitimus  heres  adque  ipsa  bona  succedere  possunt  nisi  demeruit  ut 
pote  si  fertiles  arbores  succederit  aut  in  natos  homincs  de  bonis  resignaverit 
aut  quoquo  modo  dotaliciuui  de  sua  posscssionc  obmiseril  nisi  refundet  in 
tempore  accionis  alias  privatur  in  eisdem“:  die  Vratislavicnsis  (cod.  Hom.  85.1 
übersetzt  wörtlich:  „vel  si  quomod»  praedicta  bona  desinat  posidere“: 

Ähnlich  die  Sandomiriensis  (cod.  Hom.  91):  „vel  qualicunque  conditionc 
suam  vitae  provisionein  u sua  possessionc  dimisit“. 

*)  Ausgabe  von  Daniels  und  Gruben  1858  Sp.  375.  Vgl.  ferner 
Kitravagante  zu  Ssp.  1 21  §2  bei  Homeyer,  Abh.  d.  Akad.  1861  S.  240: 
(jlnsse  zu  Landrecht  und  zu  Lehnrecht  mehrfach:  mehrere  Handschriften 
des  landrechtlicbeu  Bichlsteigs  in  Homeyers  Ausgabe  S.  180  No.  42:  ltb. 
n.  Dist.  I c.  20  d.  17:  Poelmann  IX  1 1 d.  15:  Schüflcnspruch  bei  Wassersch- 
ieben I S.  419  c.  74. 

Abweichend  das  sogenannte  W i k -Oeseisehe  Lelinreelit  I c.  2 (Ewers, 
des  Herzogthums  Ehstcn  Bitter-  und  Landrecht  8.  101):  „autf  welche  Weise 


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Das  iiiiiR  sich  aus  der  bis  zur  Buchstabenverehrung  gesteigerten 
Autorität  Eikes  erklären,  ist  aber  außerdem  deshalb  unbedenklich, 
weil  auch  die  späteren  Quellen  das  „aus  der  Were  lassen“  als  ein 
„Veräußern“  schlechthin  verstanden  haben  werden.  Der  Verfasser 
des  Aufsatzes  von  der  Beweisung  um  Lehn  und  Leibzucht  scheint 
der  einzige  zu  sein,  der  den  Widerspruch  zwischen  Ssp.  I 21  § 2, 
wenn  man  die  Stelle  wortgetreu  auslegt,  und  der  Bestimmung, 
daß  durch  Verrückung  des  Witwenstuhles  die  Leibzucht  nicht 
verwirkt  wird,  empfunden  hat: 

„War  mede  eyn  frouwe  ore  lyfftucht  verwerten  onde  ver- 
Iysen  mach  vindestu  lib.  I ar.  21  , . . . . Doch  is  der  frouwen 
gut  onde  lyfftucht  in  ores  mannes  vorstendinge  onde  her- 
schapp,  all  dy  wile  sy  beide  leuen“  '). 

Das  „doch“  wäre  unverständlich,  wenn  die  Ansicht,  daß  die 
Frau  trotz  Wiederverheiratung  die  Gewere  behält,  richtig  wäre. 

Gegen  die  technische  Bedeutung  des  aus  der  Were  Lassens 
spricht  ferner  die  Art,  wie  in  den  Quellen  die  Frage,  ob  eine 
Verpachtung  des  Leibzuchtsgutes  zulässig  ist,  behandelt  wird. 
Diese  Frage  ließe  sich  auf  Grund  von  Ssp.  I 21  § 2 ohne  weiteres 
bejahen1),  da  der  Verpächter  durch  Einräumung  einer  Gewere  zu 
Pachtrecht  an  den  Pächter  seine  „Obergewere“ s)  nicht  verliert4). 

sic  ihr  Lcibzucht  in  Ehren  verlissen“:  ferner  eine  Druckausgabe  von  1537 
und  eine  spätere  Dresdener  Handschrift  des  mittleren  livländischcn  Kittor- 
rechts, vgl.  Bunge,  Altlivlands  Rechtsbücher  S.  100  No.  2 zu  art.  12:  sowie 
die  holländischen  codd.  Hont.  3,  280,  200,  374  und  die  im  Besitz  von  de  Qeer 
belindlichen  Handschriften  0 und  C. 

')  bei  Homcyer  Ssp.  II  1 S.  366. 

*)  Vgl.  Martiti  S.  198  No.  27  und  S.  298  No.  29  a.  K.,  der  allerdings 
von  der  unrichtigen  Annahme  ausschließlicher  Gewere  des  Pächters  ausgeht 
und  deshalb  die  Verneinung  der  Krage  auf  Grund  von  Ssp.  I 21  § 2 für 
selbstverständlich  hält.  — Es  sei  hier  auf  ein  Versehen  Heuslers,  Inst.  II 
S.  127a.  E.  aufmerksam  gemacht,  der  jede  Veräußerung  des  Leibzuchtgutes, 
wie  es  scheint,  auch  nach  Ssp. -Recht,  für  zulässig  erklärt. 

3)  Ein  zuerst  von  Heusler,  Gewere  S.  64  gebrauchter  Ausdruck.  In 
anderem  Sinne  spricht  Gicrke,  Die  Bedeutung  des  Kahrnisbesitzcs  für 
streitiges  Recht  S.  8 No.  18  von  einer  „stillgestellten  Obergewere"  des  Eigen- 
tümers bei  Leibzucht  oder  älterer  Satzung,  vgl.  DI’R.  II  S.  200. 

<)  Schon  Cropp,  Diebstahl  S.  25  f.  scheint  gleichzeitige  Gcwero  des 
Pächters  und  des  Verpächters  angenommen  zu  haben:  „So....  hat  der 


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Statt  dessen  wird,  und  zwar  sogar  in  unmittelbarem  Zusammen- 
hang mit  Ssp.  I 21  § 2,  die  Verpachtung  erst  nach  erfolgloser 
Anbietung  an  die  Eigentümer  des  Leibzuclitgutes  zugelassen1): 

Bocksdorfsche  Addition  zur  Glosse  von  Ssp.  I 21  §2: 

„Doch  (!)  mögen  sie  ire  lipgedinge  vszthun  vnd  vermyten. 
Sie  sollen  is  abir  den  erben  vor  anbieten,  anders  mögen  sie 
is  nicht  vszthun  ader  verkouffen,  vt  wich.  ar.  LVI  Keyn  weyp 
in  glo.  ante  medium  etc“. 

Glosse  zu  Weichbild  57  3): 

„Were  is  sache,  das  eyner  frouwen  eyn  lipgedinge  gegebin 
were , und  mochte  sy  das  nicht  behalden  durch  armut 
wille  . . . .,  so  vint  man  is  ir  zu  rechte,  sy  solle  is  den  erben 
zu  losen  geben.  Weigert  der  erbe  das,  so  tut  sy  is  uz 
umme  zinz,  wollen  is  aber  dy  erben  umme  solchen  zinz 
nemen,  als  man  is  anders  wo  besteen  wolle,  die  erben  sien 
es  nehir“ 3). 

Mit  größter  Deutlichkeit  sprechen  spätere  Quellen  aus,  daß 
die  Gewere  des  Mannes  am  Leibzuchtsgut  eine  gleichzeitige  Gewere 
der  Frau  ausschließt: 


Pächter  die  Gewehr  des  gepachteten  Guts  und  kann  Störungen  in  der  Gewehr 
auf  eigenen  Namen  verfolgen,  aber  den  Besitz  und  die  possessorischen  Interdikte 
hat  er  nicht,  sondern  der  Verpächter“.  Vgl.  ferner  Laband,  Vermögens- 
rechtlichc  Klagen  S.  160 ff.,  besonders  S.  162  f.  No.  10.;  Huber,  Gewero 
S.  24  ff.;  Gicrke,  Fahrnisbesitz  S.  8 No.  17;  Amira  in  Pauls  Grundriß 
S.  179;  Schröder,  Kcchtsgescbichte  S.  716  No.  43;  Herbert  Meyer,  Ent- 
werung  und  Eigentum  im  deutschen  Fahrnisrecht  S.  54. 

f)  Nach  dem  Basler  Bruck  von  1474.  Der  2.  Zobel  sehe  Druck  (1561 
Bl.  70)  gibt  die  Addition  lateinisch  wieder:  „Possunt  tarnen  (!)  foeminac 
talia  bona  dotalitii  sui  alteri  locare  pro  annuo  precio,  vel  ctiain  nonnun- 
quam  cum  pacto  de  retrovendendo  divenderc.  Oportet  autem  tune  quod 
heredibus  primum  ca  taliter  obtulerint,  quod  si  facere  nolint,  prorsus  non 
licet  illia  quiequam  cum  extranco  aliquo  super  iis  contrahere“. 

3)  Daniels  - Grubon  Sp.  375  f. 

3)  Nach  einem  in  den  Zobclschen  Landrechtsausgaben  abgedruckten 
Leipziger  Schöffenspruch  (Ausgabe  1535  Bl.  26  des  Anhangs)  ist  Verpachtung 
und  Vermietung  des  Leibzuchtsgutcs  ohne  weiteres  zulässig.  Auch  aus  einem 
für  Naumburg  gegebenen  Magdeburger  Schöffenspruch  bei  Fricso  - Liese- 
gang 1 S.  500  Nr.  59  geht  nicht  hervor,  daß  dein  Abschluß  des  Pachtver- 
trages eine  Anbietung  an  die  Heimfallsbercchtigten  vorhergegangen  wäre. 


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26 


Rb.  n.  Dist.  I 12  d.  1 (Rb.  v.  Eisenach  II  11,  Poelmanns 
Dist.  IX  11  d.  1): 

„Lipgedinge  ist  daz  eyn  man  sinen  wibe  leth  lin  und 
dinge  den  hem  an  sime  gut,  daz  sy  besicczen  sal  unde 
gebruchen  noch  sime  tode,  dywile  daz  sy  lebet  unde 
wol  evnen  andern  man  nempt  noch  sime  tode“  '). 

Die  ausschließliche  Gewere  des  Mannes  besteht  in  gleicher 
Weise  an  dem  Grundstück,  welches  er  selbst  der  Frau  zur  Leibzucht 
gegeben,  als  an  dem  aus  erster  Ehe  stammenden  Leibzuchtsgut2). 

VL 

In  Ssp.  131  § 1 wird  von  der  Ehefrau  gesagt,  daß  sie  Eigen 
nur  dann  vererbt,  „of  se  dat  hevet“.  Die  holländischen  Hand- 
schriften codd.  Horn.  292  und  375  haben  statt  dessen  die  Lesart 
„of  si  dat  in  hoorre  were  lievet“  , der  Cölner  Primärdruck  von  1480: 
„off  se  id  hebbet  in  dem  gewere“. 

Aus  so  vereinzelten  Erscheinungen  wird  man  nicht  auf  eine 
Gewere  der  Ehefrau  an  den  zum  eingebrachten  Gut  gehörenden 
Grundstücken  schließen  dürfen.  Es  ist  auch  zu  berücksichtigen, 
daß  in  Holland  der  Ausdruck  gewere  eine  technische  Bedeutung 
nicht  gehabt  zu  haben  scheint3). 


')  Cod.  Houi.  45  (Berlin  Kgl.  Bibi.  Ms.  germ.  ful.  625)  hat  die  eigen- 
tümliche Fassung:  „das  si  besiczin  sal  nach  scyiiic  tode,  und  auch  dioweyle 
her  lebit  gebrauchin“.  Noch  in  der  jüngsten  GInsscngruppc  der  Zobel  sehen 
Drucko  seit  1560  heillt  cs  ganz  richtig  (litt,  d zu  Ssp.  I 21,  Ausgabe  1561 
Bl.  70): 

„.  . . . neque  marito  superstitc  mulier  eius  (seil,  dotalitii)  possessioneui 
aut  administrationeni  habet  sed  demum  cu  dcfuncto  (seil,  possessio 
et  administratio)  ad  ipsaui  redit.“ 

Mit  diesem  letzteren  Ausspruch  ist  die  „unzerteilte  Gewere“  (vgl.  oben  S.  7) 
allerdings  schwer  vereinbar. 

*)  Freilich  ist  auch  dies  bestritten,  wie  überhaupt  die  Ansichten  über 
die  gewere  am  Lcibzuchtsgut  schwanken.  Gicrku  erkennt  bei  der  vom 
Manne  gegebenen  Leibzucht  während  der  Khc  drei  Geweren  an:  eine  soge- 
nannte „ruhende"  Eigengewere  des  Mannes  (vgl.  Dl’K.  II  S.  205  mit 
No.  82),  eine  „ruhende“  (S.  201  No.  6 a.  E.)  bezw.  durch  MitgenuU  in  Kraft 
gehaltene  also  „gegenwärtige“  (S.  200  No.  58  a.  K.)  Lcibzuchtsgewerc  der 
Frau  und  drittens  eine  „gegenwärtige“  Vonnundschaftsgewcrc  des  Mannes. 

3)  Vgl.  oben  S.  6 No.  1 a.  E. 


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27 


vn. 

Nach  sächsischem  Recht  erfolgte  die  Witwenversorgung  der 
Frau  häufig  im  Lehn  des  Mannes.  Dies  war  auf  fünf  verschiedene 
Arten  möglich:  nur  in  einem  dieser  Fälle'),  nämlich  wenn  der 
Ehemann  mit  der  Ehefrau  sich  vom  Lehnsherrn  eine  Gesamt- 
belehnung erteilen  ließ,  erlangte  die  Frau  schon  bei  Lebzeiten  des 
Mannes  eine  eigene  Gewere*).  Aus  dieser  vereinzelten  Besonder- 
heit des  Lehnrechtssystems  können  Schlüsse  auf  die  Möglichkeit 
mehrfacher  Gewere  der  Ehegatten  nach  Landrecht  nicht  gezogen 
werden. 

VIH. 

„Si  alicui  hominum  uxor  sua  moritur,  bona  ipsorum,  quae 
possident,  spectabunt  ad  maritum,  excepto  quod  Rade  vocatur“ 
(Haifisches  Schöffenrecht  von  1235  § 25). 

Mit  den  bona  ipsorum  quae  possident  kann  wohl  nur  das 
ungezweite  Gut  gemeint  sein’).  Agricola,  der  sich  auf  diese 


')  Es  ist  der  bei  Homcyer,  System  des  Lehnrcchts  S.  362  unter  B 2 
aufgefnhrte  Fall. 

*)  Vgl.  Homeyor  a.  a.  0.  S.  359—369;  Martitz  S.  209  No.  24  mit  dem 
Citat  der  Glosse  zu  Ssp.  III  75  § 2 und  S.  210  No.  26  mit  dem  üitat  des 
lehnrechtlichen  Richtsteigs  25  § 1;  Heuslor,  Gewere  S.  159. 

*)  Ebenso  Nietzsche  (Handschriftlicher  Nachlaß  II  1 Ziffer  2 und 
II  25,  Berlin  Kgl.  Bibi.  Keliquiac  Tirorum  doctorum  acc.  1889,  186  und  208), 
der  zu  .bona  ipsorum“  bemerkt  .man  ergänze  conjugum“;  Ilcydomann, 
Die  Elemente  der  Joachimischen  Constitution  S.  54:  .das  beiderseitige  Ver- 
mögen heißt  hier  bona  quae  possident:  womit  freilich  nicht  ausgeschlossen 
ist,  daß  der  Mann  schon  bei  Lebzeiten  der  Frau  das  derselben  eigentümlich 
gewesene  Vermögen  unter  seine  Obhut,  in  sein  Mundium  genommen“; 
Heuslcr,  Inst.  II  S.  361  No.  7:  „Es  darf  auch  darauf  hingewieson  werden, 
daß  sächsische  Stadtrechte  gern  von  den  Gütern  der  Eheleute  reden  z.  B. 
der  Haifische  Brief  von  1235  § 25  und  26.  Die  alte  Gemeinschaftsidee  klingt 
unwillkürlich  nach“  (?  '.):  ferner  Behro  S.  52:  „mit  dem  bona  der  §§  25  und 
26  ist  also  die  Ungerade  des  ungezweiten  Gutes  gemeint“.  — 

Es  sei  hier  eine  Abschweifung  gestattet:  Behre,  der  die  ehe-  und 
erbrechtlichen  Bestimmungen  des  Haifischen  Schöffenrechts  sorgfältig  er- 
örtert, geht  S.  51,88  davon  aus,  daß  das  bona  ipsorum  in  §25  und  dem 
.rätselhaften“  § 26  dasselbe  bedouto;  er  befindet  sich  hierin,  wie  wir  eben 
sahen,  in  Uebcreinstimmung  mit  Heusler;  in  der  von  Nietzsche  vor- 
bereiteten Ausgabe  des  Haifischen  Schöffenrechts  heißt  es  abor  in  § 26 
„bona  ipsius“:  es  scheint  auch,  daß  Nietzsche  diese  Lesart  in  mehr  als 
einer  Handschrift  gefunden  hat.  (Weshalb  Homeyer  in  seiner  Ausgabe  von 


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Stelle  berufen  hat,  versteht  darunter  bald  das  eingebraclite,  bald 
das  ungezweite  Gut:  S.  lfil  sagt  er,  die  Stelle  scheine  „die  beider- 
seitige Gewere  am  beweglichen  Frauengut  im  Auge  zu  haben“ '), 
und  S.  444  will  er  mit  dieser  Stelle  beweisen , daß  die  Niftel- 
gerade auch  die  vom  Ehemann  herrührenden  Geradestücke  umfasse. 

Die  Lesart  „quae  possident“  ist  in  wenigstens  vier  Hand- 
schriften überliefert3).  Es  wird  also  nicht  sehr  ins  Gewicht  fallen, 
daß  eine  einzige,  noch  dazu  als  nachlässig  geltende’)  Handschrift 
die  Lesart  „bona  ipsorum  quae  possidet“  aufweist 4). 

Agricola  scheint  es  für  selbstverständlich  anzusehen,  daß 
die  Ausdrücke  Gewere  und  possessio  gleichbedeutend  seien  und 
daß  überall  dort,  wo  von  einem  possidere  der  Ehegatten  oder  der 
Ehefrau  gesprochen  wird,  den  Ehegatten  oder  der  Ehefrau  eine 
Gewere  zugeschrieben  werde.  Diese  Ansicht  ist  nicht  richtig. 
Es  handelt  sich  hier  um  eine  Frage,  die  sich  so  allgemein  über- 
haupt nicht  beantworten  läßt,  die  vielmehr  für  jede  einzelne 
lateinisch  geschriebene  Rechtsquelle  gesondert  zu  untersuchen  wäre. 
Wenn  in  den  Quellen  possessio  und  Gewere  als  gleichbedeutend 
gebraucht  wird,  so  kann  das  oft  daran  liegen,  daß  ein  Tatbestand 
vorliegt,  bei  welchem  sowohl  die  Voraussetzungen  der  rfimisch- 
rechtlichen  possessio  als  der  Gewere  gegeben  sind.  Zuweilen,  und 
das  wird  besonders  bei  Übersetzungen  aus  dem  Deutschen  der 
Fall  sein,  liegt  es  aber  daran,  daß  der  Übersetzer  den  Begriff  der 

1861  Nietzsches  interessante  Variantensaininlung  zum  haitischen  liecht 
von  1235  nicht  berücksichtigt  hat,  habe  ich  nicht  feststellen  können:  aller- 
dings hatte  Homeyer  den  hier  in  Frage  stehenden  Teil  von  Nietzsches 
NachlaLS  schon  1859  an  H.  Böhl  au  gegeben.)  — 

■)  Agricola  scheint  übersetzen  zu  wollen:  „Wenn  einem  Manne  die 
Frau  stirbt,  so  verbleibt  ihm  diejenige  Fahrnis,  welche  sich  in  der  gemein- 
schaftlichen Gewere  der  Ehegatten  befindet,  d.  h.  also  die  von  der  Frau 
eingcbrachte  Fahrnis“,  vgl.  8.  161  No.  7 : .Es  kann  hier  doch  nur  vom  Frauen- 
gut ....  die  Rede  sein  und  das  ipsorum  nur  auf  die  Gewere  bezogen 
werden,  wie  cs  dann  auch  durch  possident  erläutert  wird“. 

*)  Es  sind  dies  die  bei  L ab  an  d,  Magdeburger  Rcchtsquellen  8.7  mit  I), 
B und  0 bezeichueten  Handschriften  und  zum  mindesten  eine  der  beiden 
mit  S’undS’  bezeichnetcn  Schwcidnitzer  Handschriften. 

’)  Homeyer,  Abh.  d.  Akad.  1861  8.  265. 

*)  Homeyer  a.  a.  0.  S.  263  cap.  XVII.  Agricola  8.  65  No.  2a  hat 
diese  Lesart  gekannt. 


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Gewere  und  ihren  Unterschied  von  der  possessio  nicht  kennt  und  ans 
diesem  Grunde  den  deutschen  terminus  mechanisch  stets  durch 
Gewere  wiedergibt.  Andere  Quellen  wieder  unterscheiden  sorgsam: 
wenn  es  sich  bei  dem  Ausdruck  Gewere  vornehmlich  um  das  in 
der  Gewere  formalisierte  dingliche  Recht  handelt,  suchen  sie  nach 
einem  lateinischen  terminus  für  dies  Recht,  kommt  es  aber  auf 
das  in  der  Gewere  enthaltene  tatsächliche  Herrschaftsverhältnis  an, 
so  wählen  sie  den  Ausdruck  possessio  und  zwar  ohne  Rücksicht 
darauf,  ob  die  von  der  römischen  Rechtslehre  aufgestellten  Er- 
fordernisse des  juristischen  Besitzes  gegeben  sind;  sie  sprechen 
dann  weiter  auch  dort,  wo  sie  den  Ausdruck  Gewere  vermeiden 
würden,  von  possessio  und  verwenden  dies  Wort  als  eine  nicht 
technische  Bezeichnung  gleich  dem  deutschen  „Haben“. 

Die  verschiedenen  Übersetzungen  des  sächsischen  Landrechts 
bieten  in  dieser  Beziehung  lehrreiche  Beispiele.  Die  Vratisla- 
viensis,  die  Sandomiriensis  und  dementsprechend  die  Ausgabe  von 
Johann  von  Lasco  hängen  sich  meist  ängstlich  an  den  Wort- 
laut des  deutschen  Urbildes  und  setzen  für  Gewere  stets  possessio, 
dagegen  scheint  die  Vulgata  in  ihrer  gewöhnlichen  Form  zu  den 
eben  zuletzt  geschilderten  Quellen  zu  gehören.  Schon  in  der  im 
vorigen  Abschnitt  erörterten  Stelle  „to  swelker  wis  se  ire  liftucht 
ut  van  iren  weren  let“  in  Sp.  I 21  § 2 brachte  die  Vulgata  zum 
Ausdruck,  daß  nicht  die  Gewere,  sondern  das  hinter  der  Gewere 
stehende  dingliche  Recht  maßgebend  ist,  wfihrend  die  anderen 
Bearbeitungen  von  der  possessio  nicht  loskommen.  Für  die  Vul- 
gata ist  possidere  ein  ganz  untechniseher  Ausdruck: 

131  § 1 : Man  unde  wif  ne  hebbet  nein  getveiet  gut  = Maritus 
et  uxor  inter  se  possident  indivisa  bona  (vulgata)  — Mascu- 
lus  et  ferne!  la  ad  usum  eorum  habent  bona  indivisa  (Berlin- 
Steinbecksche  Handschrift)  — Conjugatos  in  matrimonio 
non  habent  bona  divisa  adusum  eorum  (Görlitzer  Handschrift 
von  1387)  — Maritus  et  uxor  non  debent  habere  divisa  bona 
(Vratislaviensis)  — Maritus  et  uxor  nulla  habent  bona  divisa 
(Sandomiriensis)  — Maritus  et  uxor  nulla  divisa  habent  bona 
(Johann  von  Lasco). 

Oder:  Stirlt.  aver  dat  wif  bi  des  mannes  live,  se  ne  erft 
neue  varende  liave  wenne  rade,  unde  egen,  of  se  dat  hevet  = 
Si  autem  viro  vivente  mulier  decessit,  nulla  mobilia  praeter 


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utensilia,  proprietatem  vero  si  possedit,  in  proximiorem  here- 
ditabit  (Vulgata)')  — proximus  non  succedit  ei  in  rebus 
mobilibns  sed  tantum  in  suppellectili  et  in  proprio  si  habeat 
ipsum  (Vratislaviensis)  — ...  nulla  hereditat  hona  mobilia 
nisi  supellectilem  et  proprium  si  habuit  (Sandomiriensis)  — 
nullus  proximus  succedet  ei  in  rebus  mobilibus  duntaxat  in 
suppellectili  aut  proprio  si  aliquid  habuerit  (Johann  vonLasco). 

Diese  Beispiele  lassen  sich  vielfältig  vermehren*).  Agricola 
würde  in  allen  solchen  Stellen  der  Vulgata  den  Beweis  für  die 
Gewere  der  Ehefrau  am  eingebrachten  Gut  gesehen  haben. 

Es  fragt  sich  nun,  welche  Bedeutung  der  Ausdiuck  possidere 
im  Hallischen  Schöffenrecht  hat.  Behre,  der  sonst  die  Ansicht, 
daß  der  Frau  eine  Gewere  am  eingebrachten  Gut  zustande,  ver- 
wirft, meint  S.  5*2  No.  2,  possidere  sei  hier  gleichbedeutend  mit 
„eigentümlich  besitzen“,  wie  auch  aus  § 21  des  Schöflenrechts 
hervorgehe: 

„Si  pueros  vero  non  habuerit,  proximus  ex  parte  gladii 
bona  ipsius  possidebit“. 

M.  E.  steht  nichts  im  Wege,  das  possidere  hier  ganz  untechnisch 
zu  deuten:  „Wenn  er  keine  Kinder  hat,  so  erhält  der  nächste 
Schwertmage  die  Erbschaft“.  Und  ebenso  in  § 25:  „Wenn  einem 
Mann  die  Ehefrau  stirbt,  dann  fällt  ihr  Vermögen,  welches  sie 


')  l)ic  Herlin-Steinbeckschc  und  die  Gürlitzer  Handschrift  von  1387 
haben  auch  hier  habere. 

s)  Ssp.  I 43  § 2 lautet  in  der  Vulgata:  „Mutier  ctium  nulla  bona  sua 
sine  mariti  conscnsu  douaudi  vendendi  neque  resignandi  habet  potestatem, 
et  hoc  propterea  quod  ipse  ea  bona  cum  ipsa  nuscitnr  possidere“.  Auch  hier 
bedeutet  „possidere“  nichts  anderes  als  „haben“,  und  man  wird  die  Stelle 
übersetzen  müssen  mit:  „weil  er  offenbar  — weil  es  nach  außen  hin  so  er- 
scheint — sie  mit  der  Frau  zusammen  hat“.  Die  Gürlitzer  Handschrift  von 
1387  schließt  sich  dem  deutschen  Vorbild  wieder  wörtlich  an:  „racione  in- 
diuise  possessionis“.  In  der  Berlin-Steinbeckschen  Handschrift:  „ideo  quod 
sunt  in  nna  posscssionc“,  in  der  Sandomiriensis:  „ob  hoc  quod  cum  ea  in 
possessione  vir  ejus  sedet“  und  bei  Johann  von  f.asco:  „quod  ipse  cum 
ea  in  possessione  manct“  kann  possessio  sehr  wohl  gleichbedeutend  mit  Haus 
und  Hof  sein.  In  der  Vratislaviensis  fehlt  der  hier  interessierende  Passus: 
„Legitima  cuiusque  non  potest  res  suas  distribucre  aut  proprium  vendere 
nec  vite  Provisionen)  resignarc  absque  tutoris  assensu  ubi  tutor  ipse  eis 
succedere  debeat  de  iure“. 


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31 


haben,  an  den  Mann,  mit  Ausnahme  der  Gerade“’).  Diese  An- 
nahme findet  im  Sprachgebrauch  der  Vulgata  des  Landrechts  aus- 
reichende Stütze.  Aus  der  Reihe  der  von  Agricola  für  die 
Gewere  der  Frau  am  eingebrachten  Gut  beigebrachten  Argumente 
scheidet  die  Stelle  damit  aus. 


IX. 

„Bürget  eyn  fruwe  icht  ane  ores  mannes  wissen,  dy  un- 
geraten ist,  daz  he  bewisen  tar  mit  syme  eyde  adder  dy 
fruwe  nicht  guten  wicczen  had,  der  borg  kan  deme  manne 
nicht  geschaden,  den  also  vel:  funde  man  der  gute  icht  by 
ime  in  oren  gewern,  dy  sal  man  wedder  geben;  were  or  ouch 
eyn  teyl  vertan,  daz  queme  deme  manne  nicht  czu  schaden 
noch  sinen  guten;  funde  man  ir  auch  keine  der  gute  in  sinen 
geweren,  er  schol  ez  aber  bliben  ane  not“  (Rechtsb.  n.  Dist. 
III  9 d.  11). 

Agricola  S.  161  bemerkt  hierzu:  „„Ebenso  setzt  die  beider- 
seitige Gewere  an  dem  beweglichen  Frauengut  der  Vermehrte  Sachsen- 
spiegel IJI  9 d.  1 1 voraus,  wenn  er  bemerkt  „funde  man  der  gute 
icht  by  ome  in  oren  geweren“,  und  am  Schluß  das  „by  ome“ 
prägnanter  dahin  ausdrückt  „funde  man  ir  auch  keine  der  gute 
in  synen  geweren““.  Dies  ist  nicht  überzeugend;  die  Schluß- 
worte „in  synen  geweren“  entscheiden  gegen  Agricola.  Mit  dem 
vorhergehenden  „in  oren  geweren“  ist  nicht  die  gewere  der  Frau 
sondern  die  Gewere  der  Ehegatten,  und  zwar  Gewere  hier  im  Sinn 
von  Haus  und  Hof  gemeint:  „findet  man  des  Gutes  etwas  bei  den 
Ehegatten,  so  soll  es  wiedergegeben  werden“  *).  Zwingende  Gründe 
lassen  sich  lür  diese  Deutung  freilich  nicht  anführen,  aber  un- 
wahrscheinlicher als  die  von  Agricola  gegebene  Auslegung  ist 
sie  nicht3). 


')  Eine  solche  Tautologie  „ihr  Vermögen,  welches  sie  haben“  ist  nicht 
außergewöhnlich.  — Spectare  hat  hier  dieselbe  Bedeutung  wie  in  § 20  „Si 
aliquis  uioriens  bona  dimiscrit,  si  pucros  habucrit,  sibi  pares  in  nacione, 
bona  ipsius  ad  pueros  spcctabunt. 

s)  „by  ome“  fehlt  in  mehreren  Handschriften,  vgl.  Ortloffs  Varianten- 
vcrzeicbnis. 

3)  Die  Stelle  bietet  übrigens  zu  zwei  textkritischen  Bemerkungen  Anlaß. 
Erstens  ist  in  einer  von  Ortloff  verglichenen  Eisenacher  Handschrift  statt 
„by  ome  in  oren  geweren“  die  Lesart  „by  ome  in  synen  geweren“  überliefert 


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32 


Agricola  S.  161  No.  8 beruft  sich  ferner  auf  Rb.  n.  Dist.  I 
9 <1.  2,  wo  von  einer  Witwe  mit  Kindern  gesagt  wird: 

„Nempt  sy  eynen  inan  czu  der  e,  waz  sy  ores  dritten 
teyls  czu  om  brenget,  daz  ist  sin  unde  or.  Dii  vordem 

kinder  haben  keynen  anefal  doran“. 

In  dieser  Stelle  werden  die  Kinder  einerseits  und  Mutter  und 
Stiefvater  andererseits  gegenübergestellt,  und  es  wird  gesagt,  daß 
das  Dritteil,  welches  die  Mutter  bei  Auflösung  der  ersten  Ehe  er- 
halten und  in  die  zweite  Ehe  eingebracht  hat,  den  Kindern  erster 
Ehe  für  immer  verloren  ist.  Dies  Dritteil  geht  in  dem  unge- 
zweiten  Gut  der  zweiten  Ehe  auf,  an  welchem  nicht  die  Kinder 
erster  Ehe,  sondern  nur  Mutter  und  Stiefvater  — und  eventuell 
Kinder  zweiter  Ehe  — ein  Recht  haben.  Die  Stelle  verliert  jeden 
Sinn,  wenn  man  mit  Agricola  die  Worte  „daz  ist  sin  unde  or“ 
übersetzt  mit  „daran  hat  sowohl  ihr  zweiter  Mann  als  auch  sie 
eine  Gewere“. 

Ganz  unerheblich  ist  schließlich  die  ebenfalls  von  Agricola 
S.  161  No.  8 angeführte  Stelle  Rb.  n.  Dist.  I 20  d.  5. 

— vgl.  das  Variantenverzeichnis  bei  Ortloff  S.  461  — . Ferner  ist  die 
Distinctio  11  deshalb  aufTallend,  weil  sie  im  wesentlichen  eine  Wiederholung 
von  Distinctio  10  ist,  und  in  dieser  wird  nur  von  einer  Gewere  des  Mannes 
gesprochen.  Distinctio  1 1 scheint  denn  auch  in  manchen  Handschriften  zu 
fehlen,  so  in  cod.  Hom.  45  (Berlin  Kgl.  Bibi.  Ms.  germ.  fol.  625),  wo  Kapitel  !l 
nicht  14  sondern  nur  13  Distinctiouen  hat,  und  an  dist.  10  sich  sofort  die 
Ortloffschen  dist.  12,  13.  14  als  dist.  11,  12,  13  anschliellen.  Auch  in 
l'urgoldts  Kechtsbuch  ist  sie  nicht  aufgenommen  (Rb.  n.  Dist.  III  9 d. 

I — Purgoldt  VI  83:  d.  2 - P.  V 52:  d.  3 = P.  VII  15  und  16:  d.  4-7  — 
P.  VII  19—28;  d.  8 = P.  V 56:  d.  9-10  = P.  V 58-59).  Ob  dies  daran  liegt, 
dail  man  an  dem  ungenauen  Ausdruck  .bv  ouic  in  oren  geweren“  Anstoß 
genommen  hat,  läßt  sich  ohne  Vergleichung  sämtlicher  Texte  und  Bestimmung 
ihres  Vcrwandtschaftsverhältnisses  nicht  entscheiden.  Um  zu  einem  sicheren 
Urteil  zu  gelangen,  wäre  außer  den  Texten  des  Kcclitsbuchs  nach  Distinctionen 

— Hom.  Rbb.  S.  171  zählt  61  Handschriften  auf.  Die  hier  in  Rede  stehende 
Distinctio  ist  in  einer  Fuldaer  Handschrift  in  die  Ssp.-Glosse  aufgenommen, 
vgl.  Steffenhagen,  Sitx.-Ber.  CXI.  1.  S.  613.  Schon  Ermiscli  in  der  Ein- 
leitung zu  seiner  Ausgabo  des  Freiberger  Stadtrechts  S.  XXVI  f.  klagt  da- 
rüber, daß  wir  eine  befriedigende  Ausgabe  des  Rb.  n.  Dist.  noch  immer  ent- 
behren müssen  — die  handschriftliche  und  gedruckte  Überlieferung  der 
„IX  Bücher  Magdeburger  Rechts“  daraufhin  zu  prüfen,  ob  sie  die  Distinctio 

II  und  zutreffendenfalls , ob  sie  die  Eisenacher  oder  die  Ortloffsche  Les- 
art enthalten. 


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33 


X. 

Agricola  und  seine  Anhänger  haben  ferner  mehrere  Schöffen- 
sprilche  angeführt,  aus  denen  sieh  die  Existenz  einer  Oewere  der 
Ehefrau  am  eingebrachten  Out  neben  der  Oewere  des  Mannes 
ergeben  soll. 

1.  In  einem  Dresdener  Sehöffenspruch ')  heißt  es: 

„Mertin  hat  eine  eliche  frauwe  gehad  die  wile  got  wühle, 
mit  der  hat  her  erbe  und  gut  geliat  und  das  hat  her  teu 
seyner  liant  brocht  und  hat  daz  dornoeh  fumflezin  jar 
ane  allerleye  ansproche“. 

Wie  Agricola  aus  den  Worten  „mit  der  hat  her  erbe  und  gut 
geliat“  eine  Oewere  der  Frau  herauslesen  will,  ist  unertindlirh, 
zumal  im  weiteren  Verlauf  des  Textes,  den  Agricola  aller- 
dings nicht  mitteilt,  zweimal  von  der  alleinigen  Oewere  des 
Mannes  gesprochen  wird: 

„Nu  bittet  Mertin  eynes  rechtin  orteyls  ...  ab  her  mit 
synen  erblehnen  unde  seyner  stillir  gewere  seyncs 
gutes  icht  neher  czu  behaldene  sey  ....  Hirutl'  spreche 
wir  schepphin  vor  recht  Ist  das  alz  das  Mertin  das  erbe 
. . . . yn  seyner  gewere  gehad  jar  unde  tag  ane  rechte 
ansproche  So  ist  her  des  erbis  neher  zcu  behaldin . . . .“ 

2.  In  einem  Hechtsfall  bei  Böhme’)  VI  S.  133  streiten  nach 
dem  Tode  einer  Frau  der  Witwer  und  ihr  Bruder  um  die 
Hinterlassenschaft.  Vom  Witwer  wird  gesagt: 

„I)or  noch  quam  der  selbe  man  vor  gehcgit  ding  vnd 
frogitte  orteils:  Sintdemmale  das  her  gesessen  hettemit 
seyner  elichen  frawen  yn  erem  gutte  mit  vollem 
rechte  . . . .“ 

Bereits  nach  dem,  was  oben  S.  4 f.  über  den  Sprachgebrauch 
des  gemeinschaftlichen  Sitzens  der  Ehegatten  ausgeführt  ist, 
wird  dieser  Stelle  die  von  Agricola  ihr  beigelegte  Beweis- 
kraft abzusprechen  sein.  Dies  zeigt  auch  die  weitere  Dar- 
stellung des  Rechtsfalles,  die  Agricola  wieder  nicht  mitgeteilt 
hat.  Die  Schöffen  entscheiden  nämlich  ganz  korrekt: 

l)  Wassursclilcbcii  I S.  317  f.  c.  liil).  Vgl.  Agricola  S.  IfiO  No.  3. 
■)  Wasserst  li leben  I S.  tUl  r.  I7S.  Vgl.  Agricola  S.  1(!1. 

Kiesel,  (iewere  3 


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'34 


„Was  der  man  seynir  elichen  frawcn  farnder  habe,  dyweyle 
sy  lebet«,  yn  seyne  were  nam  und  hatte,  dy  sal  her 
belialdin,  sundir  das  czu  der  gerade  gehont“. 

3.  Ein  ähnliches  Ergebnis  liefert  der  Rechtefall  bei  Wassersch- 
ieben I S.  '268  f.  c.  131.  Dort  wird  eine  Witwe,  die  von 
ihrem  Manne  eine  Leibzucht  erhalten  hat,  von  den  Erben  des 
Mannes  auf  Herausgabe  dieser  Leibzucht  verklagt;  zu  ihrer 
Verteidigung  führt  sie  an: 

„ich  habe  domoch  (nach  der  Leibzuchtebestellung)  mit 
ym  (dem  Ehemann)  gesessen  ane  alle  ansproche  yn  ge- 
ruglichir  gewere  iar  und  tag“. 

Auch  hier  formulieren  die  Schöffen  in  engem  Anschluß  an 
den  Parteivortrag,  aber  unter  Ablehnung  einer  gemeinschaft- 
lichen Gewere  der  Ehegatten: 

„Mag  die  frawe  dirwevszen  mit  guter  wissinder  kuntschafft, 
alzo  recht  ist,  das  ir  ir  man  seliger  das  leipgedinge 
gereicht  hat  und1)  das  geruglichin  yn  lehn  und  gc- 
wern  gehabt  hat  iar  unde  tag  und  meir  denne  iar  und 
tag  alz  sie  schrybet  ane  allirleye  ansproche  . . . zo  ist  sie 
nehir  dobey  zeu  bleibin  . ...“*) 

Die  letzteren  beiden  Beispiele  zeigen  in  lehrreicher  Weise, 
wie  gefährlich  es  ist,  bei  der  Deutung  technischer  Rechts- 
begriffe laienhafte  Äußerungen  zugrunde  zu  legen,  und  zu- 
gleich bieten  sie  für  die  Würdigung  aller  der  übrigen  Fälle, 
in  denen  im  Partei  Vorbringen  eine  Gewere  der  Ehefrau  oder 
eine  Gesamtgewerc  der  Ehegatten  am  eingebrachten  Gut  er- 

')  Agricola  S.  491  No.  37a  und  Niese  S.  22  nehmen  hier  ohne  Be- 
gründung einen  Subjekt  Wechsel  an,  indem  sie  zwischen  „und“  und  „das“  ein 
„sie“  einschieben,  was  allerdings  nach  mittelalterlichem  Sprachgebrauch 
nicht  unmöglich  ist. 

,J)  Brink,  Bestellung  der  dinglichen  Rechte  an  fremden  Immobilien 
im  Mittelalter  (Breslau  1887:  die  erste  Hälfte  der  Arbeit  ist  auch  als  Breslauer 
Piss,  erschienen)  S.  65  gelaugt  mit  abweichender  Begründung  zu  dem  gleichen 
Ergebnis,  dal!  aus  dieser  Stelle  das  Nebcneinanderbestehen  einer  Gewere  der 
Ehefrau  neben  der  Gewere  des  Mannes  sich  nicht  ergibt:  „Pie  Stelle  ist 

vielmehr so  zu  verstehen,  dnll  die  Gewere  des  Mannes  wühreml 

seiner  l.ebzeit  der  Frau  für  den  Erwerb  der  rechten  Gewere  zugerechnet 
wird“. 


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35 


wähnt  wird,  einen  willkommenen  Anhalt.  Wenn  in  diesen 
übrigen  Fällen  eine  Korrektur  des  ungenauen  Parteivortrages 
unterbleibt,  so  liegt  das  daran,  (lall  die  die  Gewere  betreffende 
Behauptung  als  unerheblich  im  Tenor  des  Schöffenspruches 
übergangen  werden  konnte.  Wir  dürfen  in  Fallen  wie 
Wasserschieben  II  S.  2!)  c.  SO,  S.  59  c.  177  und  Glosse  zu 
Weichbild  art.  23  ’)  überzeugt  sein,  daß  die  Schöffen,  wenn 
sie  auf  die  Gewerefrage  eingegangen  wären,  dieselbe  in  unserem 
Sinne  entschieden  haben  würden. 

4.  Das  eben  Gesagte  gilt  auch  von  einem  Magdeburger  Schöffen- 
spruch von  1337»*);  allerdings  scheint  bei  diesem  die  in- 
korrekte Wendung  „Des  besät  die  man  das  erve  mit  der 
vrowen“  nicht  von  der  Partei , sondern  von  den  anfragenden 
Stendaler  Schliffen  herzu  rühren,  aber  andererseits  ist  zu  be- 
achten, daß  zwischen  den  Ehegatten  eine  „vertragsmäßige 
Gütergemeinschaft“3)  bestand  und  vielleicht  mit  Rücksicht 
hierauf  an  eine  Gesamtgewere  der  Ehegatten  gedacht  werden 
kann. 

XI. 

Von  allen  gegnerischen  Argumenten  bleiben  nur  zwei  von 
Agrieola  S.  100  No.  3 angeführte  Guellenstellen  übrig. 

Glogauer  Rechtsbuch  c.  22  bei  Wasserschieben  I S.  4: 
„Gebe  eyne  frawe  ir  anirstorben  erbe  yrem  manne  in  ge- 
liegitem  dinge  vnde  dy  gäbe  bey  jare  vnde  tage  nicht 
wedersproehen  wurde  vnde  der  man  dy  gäbe  in  samppter 
were  besessen,  dor  nach  kan  nymand  au  daz  erber  (sic!)  von 
rechte  gesprochin,  wenne  sv  es  vorswegin  han  vnde  do  weder 
nicht  gereth  han  hei  frist  jar  vnde  tag“ '). 

')  Ausg.  v.  Daniels  u.  Gruben  1858  Sp.  288  Z.  .'58  — 8p.  289  Z.  49: 
„unde  bin  mit  der  bube  beseasin  mit  ir  sampt  jar  undo  lag“.  Daß  es  sieb 
hier  um  einen  fingierten  Kechtsfall  bandelt,  darf  uns  nicht  beirren.  l>er 
Glossator  hat  eben  im  1‘arteivortrag  die  übliche  laienhafte  Ausdruckswei.se 
nachgeahmt. 

a)  Kehrend,  Ein  Stendaler  Urtcilsbnch  aus  dem  14.  Jahrhundert  8.  84 
c.  XX  2.  Vgl.  Agrieola  8.  160  Xo.  3. 

3)  Schröder,  Geschichte  des  ehelichen  Güterrechts  in  Deutschland 
II  3 8.  55. 

4)  Für  die  Würdigung  dieser  Stelle  ist  es  wohl  unerheblich,  daß  dor 
von  Wassersehleben  nhgedniekte  Text  „flüchtig  und  fehlerhaft,  zum  Teil 

3* 


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3ß 


Magdeburger  Schöffonspruch  für  Glogau1)  bei  Wassersch- 
leben  I S.  80: 

„Erbe  vnd  gut  ist  meynem  weibe  anirstorben  

das  habe  icli  mit  meynem  weibe  besessen  vnde  gehad  yn  «l**r 

gewere  jar  vnd  tag Nu  vrogit,  ab  wi  das  gut  iclit 

billiclier  behalden  sullen  yn  der  gewere Hir  off  spreche 

wir  vor  eyn  reeht.  Ist  das  erblich  gut  der  eldisten  swestir 
man  mit  ir  gegebin  vor  dem  richter  vnd  vor  den  scheppin 
yn  gehegtem  dinge  vnd  haben  sie  das  besessen  iar  vnd  tag 

an  ansproche,  So  sal  dy  gäbe  erafft  haben das  die 

eldiste  swester  vnde  ir  man  das  besessen  haben  yn  der  ge- 
were   “ 

Eine  Erklärung  dieser  beiden  Stellen  wäre,  wenn  in  Glogau 
das  Güterrecht  des  Ssp.  gegolten  hat,  von  unserem  Standpunkt  aus 
nnmöglich.  Es  drängt  sieh  daher  die  Vermutung  auf,  da  LS  in 
Glogau  Gütergemeinschaft  bestand*),  und  dann  kommen  die  beiden 
Stellen  nicht  in  Betracht. 


XII. 

Wenn  wir  an  dieser  Stelle  einen  Rückblick  auf  die  bisherige 
Erörterung  werfen,  so  müssen  wir  zugestehen,  daß  wir  an  manchen 
Punkten  über  eine  lediglich  destruktive  Kritik  nicht  hinausge- 
kommen sind.  Aker  das  genügt  auch  schon  vollkommen.  Denn 
den  besprochenen  Quellenstellen  stehen  die  unzähligen  anderen 
gegenüber,  in  welchen  stets  von  ausschließlicher  Gewere  des 
Mannes  geredet  wird.  Wenn  man  unserer  bisherigen  Erörterung 
nur  soweit  beistimmt,  daß  man  in  keiner  der  besprochenen  Quellen- 
stellen einen  zwingenden  Beweis  für  die  Ansicht  unserer  Gegner 
sicht,  schon  dann  glauben  wir  die  Haltlosigkeit  der  Annahme,  daß 

völlig;  sinnlos-  ist  (vgl.  W asaerschlebon  I S.  X),  und  daß  das  Ologaucr 
Recht sburh  nicht  direkt  magdebnrgisches  Hecht  darstellt  (vgl.  Wassersch- 
lelien  I S.  IV — X und  Buhrcnd,  Stondalcr  l'rteilshuch  S.  .r)7). 

')  Vgl.  Wasserschlebcn  I S.  XIII  Note  und  Laband  in  der  Einleitung 
zu  seiner  Ausgabe  des  Magdeburg  - Breslauer  Systematischen  Schnflenreehts 
S.  XVIII. 

-)  Sn  sagt  (fierke  I'l’U.  II  8.  203  unter  Berufung  auf  (ilogauer  Rechtsh. 
e.  22.  der  (iemeinsehaft  zur  gesamten  Hand  entspreche  eine  »lewere  zu  ge- 
sunder Hand. 


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37 


das  Frauengut  in  einer  (lewere  der  Ehegatten  zu  gesamter  Hand 
oder  in  vormundseluiftliclier  (lewere  des  Mannes  und  zugleieh 
egenliker  (lewere  der  Frau  sich  befinde,  dargetan  zu  haben. 

Der  Vollständigkeit  wegen  sind  zunächst  noch  zwei  belanglose 
Argumente  Agricolas  zu  erwähnen:  Nico  laus  Wurm')  gebraucht 
einmal  den  Ausdruck,  die  im  ungezweiten  Gut  der  Ehegatten  be- 
findliche Gerade  sei  „vndir  der  frawen  beschinnunge  vnd  hüte“; 
das  ist  nicht  ein  , prägnanter“  Ausdruck  für  eine  (lewere  der  Frau 
an  der  Gerade,  sondern  sagt  nichts  weiter,  als  daß  die  Gerade- 
sachen, ihrer  wirtschaftlichen  Zweckbestimmung  entsprechend,  sich 
meist  unter  der  Obhut  der  Hausfrau  befinden: 

„gerade  haist  Suppeilex  ....  vnd  ist  zotan  gerete  das 
die  frawen  mit  rate  vndelentzlichin1)  ezewgen  in  ir  liawsz  das 
sie  teglichin  notezen  ....  zotan  stucke  legin  an  der 
frowenn  sunderlich  geschellte  vnd  vorsichtikait“  *). 

Wenn  Agricola  sich  ferner  auf  einen  Schöffenspruch4)  be- 
ruft, in  dem  gesagt  wird,  die  Frau  habe  „farende  habe  von  ir 
gegebin  aws  des  mannes  gewere“,  so  entscheidet  dieser  Ausspruch 
eher  gegen  als  für  eine  Gewere  der  Frau*);  mit  dem  „von  ir“  wird 
lediglich  zum  Ausdruck  gebracht,  dall  der  veräußerte  Fahrnis- 
gegenstand zum  eingebrachten  Gut  gehört6). 

Einer  Erörterung  der  von  Agricola  S.  160  No.  S erwähnten 
Hremer  Schedung  von  1343  bedarf  es  bei  den  Besonderheiten  des 
bremischen  Ehegüterrechts  nicht. 

')  ßoehme  III  S.  72.  Vgl.  Agricola  S.  16">. 

*)  = umle  lentzliehin,  bedeutet  soviel  als  „allmählich,  nach  und  nach* 
(Mnd.  WB.  II  607). 

J)  Boehmc  III  8.  72  und  73. 

')  Wasserschieben  I S.  104  c.  203.  Vgl.  Agricola  S.  162. 
s)  Heusler,  Inst.  II  S.  380  sicht  gerade  in  diesem  Schotfenspruch 
einen  Beweis  für  die  ausschließliche  (lewere  des  Mannes. 

•)  Herbert  Meyer,  Entwerung  und  Kigentum  im  deutschen  Fahrnis- 
recht  >S.  73  bezieht  diesen  SchüfTcnspruch  sowohl  auf  das  (lut  der  Krau  wie 
das  des  Mannes.  Aber  nicht  nur  aus  dem  l’arteivortrag,  sondern  auch  aus 
dein  Tenor  des  Spruches  geht  klar  hervor,  datl  es  sich  in  dem  zugrunde, 
liegenden  Hechtsfall  allein  um  eingebrachtes  (int,  „der  todin  frawen  habe", 
handelt.  Nur  soviel  ist  richtig,  daß.  wenn  die  Worte  „von  ir*  fehlen  würden, 
die  Motivierung  des  Scliötfeiispruches  ebensogut  auf  Verfügungen  der  I rau 
über  Fahrnis  des  Mannes  passen  würde. 


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38 

XIII. 

Nicht  nur  Aussprüche  der  Quellen,  auch  Folgerungen  aus 
einem  a priori  aufgestellten  Gewerebegriff  sind  für  die  Annahme 
mehrfacher  Gewere  am  eingebracliten  Gut  vorgebracht  worden. 

Man  hat  gesagt,  das  dingliche  Recht  der  Ehefrau  an  ihrem 
Gut  sei  eines  Schutzes,  wie  ihn  nur  die  Gewere  verleihen  könne, 
bedürftig,  und  ohne  die  Annahme  einer  der  Frau  zustehenden 
Gewere  sei  es  nicht  zu  erklären,  daU  sie  Eigentümerin  des  der 
Verwaltung  und  Nutznießung  des  Mannes  unterworfenen  Ver- 
mögens bleibe.  Die  Vermögensrechte  der  Frau  würden  gewähr- 
leistet durch  die  aueli  in  der  Ehe  fortgesetzte,  wiewohl  in  ihren 
meisten  Wirkungen  gelähmte  Gewere  der  Frau.  Insbesondere 
gelange  in  der  Mitwirkung  der  Frau  bei  einer  Veräußerung  ein- 
gebrachter  Liegenschaften  durch  den  Mann  ihre  Gewere  zum  Aus- 
druck: „Hinsichtlich  der  Immobilien  ....  hatte  die  Gewere  der 
Frau  ihre  große  praktische  Wichtigkeit,  indem  sie  deren  Eigen- 
tum etc.  einen  sicheren  Halt  gegen  einseitige  Veräußerungen  des 
Mannes  bot“1),  und:  „nur  eine  selbständige  Gewere  ....  konnte 
die  Frau  während  der  Ehe  gegen  alle  etwaige  beeinträchtigende 
Verfügungen  seitens  ihres  Mannes  sichern“2).  Wir  haben  es  hier 
mit  der  irrtümlichen  Vorstellung  zu  tun,  dingliche  Rechte  würden 
im  Rechtsverkehr  nur  soweit  berücksichtigt,  als  sie  in  einer  gegen- 
wärtigen Gewere  zur  Darstellung  gelangen.  Es  braucht  dem  gegen- 
über nur  an  das  Wartrecht  der  Erben  erinnert  zu  werden’). 
Immerhin  ist  es  interessant,  daß  Heus ler  diese  unrichtige  Vor- 
stellung dem  Spiegler  selbst  zutraut:  „Da  die  Ehefrau  ....  zu 
Verfügungen  über  ihre  Liegenschaften  vollgiltigen  Konsens  geben 
kann,  ....  so  hat  dieser  Umstand  wohl  dazu  verleitet,  von 

*)  Agricola  S.  1C>3. 

»)  Niese  S.  22. 

8)  Es  ist  dinglicher  Natur:  Stubbe,  (lewere  S.  284:  Zimmerte,  Das 
Stainmgutssjrstcm  nach  seinem  Ursprünge  und  seinem  Verlaufe  S.  lÖOff. ; 
llar,  Bcwcilurteil  S.  Hi.'):  Kipper,  das  Beispruehsrccht  nach  altsächsischcm 
Hecht  S.  77,  87,  SO:  Hellster,  Inst.  II  S.  59:  Kranken,  Lehrbuch  des 

deutschen  Privatrechts  S.  170:  Huber,  (lowere  S.  22:  Schröder,  Hechts- 
geschiehtc  S.  722.  — Nach  früherer  Doktrin  freilich  haben  die  Erben  schon 
hei  Lebzeiten  des  Erblassers  eine  Gewere  an  dem  dem  Beispruehsrccht  unter- 
liegenden Grundstück,  vgl.  Zimmorle  S.  212  No.  2:  .Der  nächste  Erbe 

hat  schon  vor  der  Veräußerung  eine  Gewere“. 


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39 


Sitzen  des  Mannes  mit  der  Frau  in  der  Gewere  ihres  Gutes  zu 
reden“ '). 

Für  die  eingebrachte  Fahrnis  ist  geradezu  die  Notwendigkeit 
der  Fortdauer  der  Gewere  auf  Seiten  der  Frau  behauptet  worden : 
„man  konnte  die  Frau  nur  dann  fort  und  fort  als  Eigentümerin 
ansehen,  wenn  man  ihr  auch  die  Gewere  an  ihrem  Gute  zuschrieb“ 5). 
Es  ist  das  ein  letzter  Anklang  an  die  hauptsächlich  von  Sand- 
haas*)  verfochtene  Idee,  daß  das  Recht  an  Fahrnis  dadurch  er- 
lischt, daß  der  Berechtigte  die  Sache  freiwillig  aus  der  Gewere 
läßt4). 

Andere  Verteidiger  der  Frauengewere  sind  von  dem  Begriff 
der  Gewere  ausgegangen,  haben  darauf  hingewiesen,  daß  sowohl 
die  Ehefrau  als  der  Ehemann  am  eingebraehten  Gut  dinglich  be- 
rechtigt ist,  und  haben  gesagt,  daß  auch  in  tatsächlicher  Beziehung 
die  von  der  Frau  ausgeübte  Sachherrschaft  von  der  vom  Manne 
ausgeübten  sich  nicht  unterscheide;  es  sei  deshalb  nicht  einzusehen, 
weshalb  diese  Sachherrschaft  nur  auf  Seiten  des  Mannes  und  nicht 
auch  auf  Seiten  der  Frau  als  Gewere  anerkannt  werde. 

Hierbei  ist  das  Wesen  des  zum  Vorhandensein  einer  Gewere 
erforderlichen  tatsächlichen  Elements  verkannt.  Die  Vorstellung, 
daß  „Liegenschaften  ihrer  Natur  nach  auf  eine  gemeinsame  Gewere 
beider  Ehegatten  angewiesen  seien“ 5),  gründet  sich  auf  den  „un- 
sichem  und  wesenlosen  Begriff  der  Detention  bei  Immobilien“6). 
Nun  kommt  aber  bei  der  Liegenschaftsgewere  die  Detention  gar 
nicht  in  Betracht.  Die  räumliche  Beziehung  zur  Sache  läßt  sich 

')  Inst.  II  S.  388.  Ebenso  Schilling  S.  273:  „Die  Stelle  Ss|>.  I 45  § 2 

mag  auch  daraus  erklärlich  erscheinen,  daß der  Mann  in  der  Verfügung 

über  Liegenschaft  der  Krau  an  ihre  Mitwirkung  gebunden  ist“. 

*)  Agricola  S.  166,  167;  vgl.  S.  101:  „es  gibt  der  sein  Hecht  an  der 
Sache  auf,  welcher  den  Besitz  überträgt“. 

3)  Germanistische  Abhandlungen  S.  153  fl'. 

*)  Vgl.  hiergegen  die  charakteristische  Äußerung  schon  von  Gilde- 
mcister,  Beyträge  zur  Kenntnis  des  vaterländischen  Hechts  (1808)  II  S.  182: 
„Wird  denn  jemand  dadurch,  daß  ihm  die  Sache  anvertrant  wurde,  berechtigt, 
sie  in  die  dritte  Hand  zu  bringen“?  Heusler,  Inst.  II  S.  6 No.  6:  „Das 
wäre  eine  sonderbare  Rechtsordnung,  welche  aus  dem  Vertretungsrecht, 
das  ja  freilich  dem  Vertrauensinanne  durch  Übergabe  der  Sache  vollständig 
eingeräumt  ist,  auch  ein  Veräußerungsrecht  deduzieren  wollte“. 

s)  Martitz  S.  255;  Rivc,  Kritische  Yierteljahrsschrift  XIII  S.  190. 

*)  Martitz  S.  255. 


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40 


allerdings  zu  Gunsten  mehrerer  konkurrierender  Berechtigter  voll 
Herstellen,  aber  dem  deutschen  Immobil iarreeht  ist  die  Betonung 
dieser  räumlichen  Beziehung  fremd;  als  Kennzeichen  der  tatsäch- 
lichen Herrschaft  Ober  Liegenschaften  erscheint  dem  Mittelalter 
die  Nutzung,  welche  als  Gebrauch  und  Fruchtziehung  zu  verstehen 
ist1).  Daß  neben  landrechtlicher  (lewere  an  demselben  Gut  (lewere 
nach  Lehnrecht  oder  Holrecht  bestehen  kann,  ist  zweifellos;  in 
diesem  Sinne  kann  man  sogar  sagen,  daß  die  Koexistenz  mehrerer 
(leweren  nicht  Ausnahme,  sondern  Regel  ist“).  Die  Möglichkeit 
mehrfacher  (lewere  nach  Landrecht  ist  aber  nur  dann  gegeben, 
wenn  durch  Gebrauch  und  Nutzung  die  tatsächliche  Herrschaft 
(Iber  ein  und  dasselbe  Gut  von  mehreren  Berechtigten  ausgeilbt 
wird,  wie  es  beispielsweise  bei  freien  Pachtverhältnissen  der  Fall 
ist.  Auf  Seiten  der  Frau  fehlt  es  nun  an  einer  Realisierung  ihrer 
Rechte  an  den  eingebrachten  Liegenschaften,  „der  Mann  übt  alles, 
wodurch  sich  die  (lewere  manifestiert,  allein  aus“’).  Man  müßte 
denn  in  der  vom  Manne  der  Frau  gewährten  Alimentierung  den  Aus- 
druck der  Rechte  der  Frau  am  Frauengut  sehen4);  hiergegen  spricht, 

')  Vgl.  z.  I(.  Laband,  Vennögensrechtlichc  Klagen  S.  15!)  f.;  Hctisler, 
Inst.  II  S.  189:  Huber,  (lewere  S.  22  ff.:  tiierkc,  Fahrnisbcsitz  S.  4 uml 
DPR.  II  S.  191:  Ainira  in  Pauls  (Jrundrill  III  S.  179:  Schröder,  Rechts- 
geschichte S.  274,  71.0. 

■)  So  ist  wohl  diese  Änderung  von  Franken,  Lehrbuch  des  Deutschen 
Privatrccbts  S.  171  aufzufassen:  vgl.  Franken,  Französisches  Pfandrecht  im 
Mittelalter  S.  267:  .tVähreml  am  Iuimobiliar,  parallel  der  wirtschaftlichen 
Verteilung  der  Rente  auf  die  einzelnen  Stufen  der  feudalen  Hierarchie, 
mehrere  Gcweren  möglich  sind,  ist  das  juristische  Verhältnis  zur  beweglichen 
Sache  mit  der  Detention  durchaus  erschöpft“. 

’)  Ueusler,  Inst.  II  S.  388. 

*)  Folgende , beiläufig  hingeworfene  Auller ungen  der  Glossatorcn  wird 
inan  als  unerheblich  mischen  dürfen: 

zu  Ssp.  1 20:  .maritus  ad  uznris  sustontationem  fruclus  percipiat“ 
'Augsburger  Druck  v.  1517  Hl.  20  R.,  1.  Zobelsehe  Ausg.  Hl.  22  I!.}: 
zu  Ssp.  III  76  § 1 wird  in  einer  Variante  des  Meniua  die  Un- 
wirksamkeit eigenmächtiger  Verfügung  der  Frau  über  eingebraehtes 
Gut  damit  begründet,  „daü  sic  dem  Man  das  seine  cntzcucht,  darvun 
er  das  Weib  entehren  sollt“  (2.  Zobelsche  Ausg.  v.  1561  Hl.  455): 
zu  Lehnrecht  31 : .die  früebte  des  leibgedings  in  den  gutem  der 
frawen  nimpt  der  mann  darutnb,  das  er  die  bürde  der  Klie  tragen  sol 
für  die  frawen  und  sie  versorgen.  Als  er  sie  denn  nicht  versorget, 
so  nimet  er  sie  auch  nicht“  1.  Zobelsehe  Ausg.  v.  1589  111.86): 


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41 


tliiß  diese  mittelbare  Nutzung  des  unter  die  Verwaltung  des  Mannes 
gegebenen  Vermögens  von  dem  Vorhandensein  und  dem  Umfang 
eingehrachten  (lutes  unabhängig  ist.  Sie  ist  nicht  Ausfluß  eines 
dinglichen  Rechtes  der  Krau,  sondern  ergibt  sich  aus  den  tamilien- 
rochtlichen  Pflichten  des  Mannes: 

rI)y  man  schal  syn  wiff  vuden  vnde  an  temmelike  nottorflt 
besorgen,  vnde  des  echtes  borden  dragen.  oft  he  ok  wol  inet 
or  neyn  eeghelt  edder  gud  to  der  ee  genomen  hedde“  '). 

Auch  in  Ansehung  der  eingebrachten  Fahrnis  ist  das  tat 
sachliche  Herrschaftsverhältnis  des  Ehemannes  ein  anderes  als  das 
der  Ehefrau.  Die  Frau  befindet  sich  gleich  dem  unabgesonderten 
Kinde  und  gleich  dem  Knecht  in  offenkundiger3)  häuslicher  Ab- 
hängigkeit von  dem  Inhaber  der  (lewere  am  Grundstück.  Um  im 
Rechtsverkehr  als  „Rechtsverhältnis“,  als  Gewere  Anerkennung  zu 
finden,  fehlt  der  von  der  Ehefrau  ausgeübten  Sachherrschaft  das 
Kennzeichen  der  Selbständigkeit 3).  In  tatsächlicher  Reziehung  ist 
das  Verhältnis  der  Frau  zu  der  eingebrachten  Fahrnis  das  gleiche 


zu  Lehnrecht-  57:  „Mul irr  est in  possessione  (seil,  dutis) 

respectu  alimcntationis,  non  auteni  respectu  administrationis“ 
(ebend.  Marginal«  zu  Bl.  132). 

l)  Aufsatz  von  der  Beweisung  um  Lehn  und  Leibzucht  bei  Homeyor 
Ssp.  II  1 S.  306.  Ebenso  die  jüngere  Glosse  zu  Ssp.  I 45  (Augsburger  Druck 
v.  1517  Bl.  36  K.,  1.  Zobel  sehe  Ausg.  Bl.  41:  „Scias  quod  uxor  etiam  non 
dotata  debet  ali  a virn").  Vgl.  Huber,  System  und  Geschichte  des  schwei- 
zerischen Privatrechts  I 8.  216  f.  und  Gewere  S.  28:  „Der  Mann  bezieht  in 
freier  Weise  den  Nutzen  des  F rauen  Vermögens  ohne  weitere  Gegenaullage, 
als  dal)  er  im  Allgemeinen  so  wie  so  verpflichtet  ist,  für  Frau  und  Kind 
zu  sorgen-.  — Unverständlich  ist  mir  die  Bemerkung  von  Schröder,  Keehts- 
gcschichto  S.  715  No.  35:  Bei  der  ehelichen  Verwaltungsgemeinschaft  sal! 
der  Mann  mit  der  Frau  in  der  Gewere  ihres  eingebrachten  Gutes  (Ssp.  I 45 

$2),  weil  sein  N'utznieBungsrucht auf  der  ihm  obliegenden  Fürsorge 

für  die  Familie  beruhte“. 

*)  Die  Offenkundigkeit  wird  durch  den  Unterschied  der  Kleidung  ver- 
heirateter und  unverheirateter  Frauen  erleichtert. 

3)  Modern  gesprochen  ist  der  Hausherr  nicht  „mittelbarer  Besitzer“ 
und  der  Gewaltuntergebene  „Besitzmittler“  (so  Herbert  Meyer,  Knt- 
werung  und  Eigentum  S.  62,  der  denn  auch  den  Unterschied  zwischen  der 
Auffassung  von  Stobbe  und  Laband  verwischt),  sondern  der  Hausherr 
allein  ist  Besitzer,  und  die  übrigen  Hausgenossen,  auch  die  Ehefrau,  sind 
„Besitzdiener"  \ gl.  §855  des  Bürgerlichen  Gesetzbuchs,  nicht  § 868  . 


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42 


wie  zu  der  in  ihrer  Hand  befindlichen  Fahrnis  des  Mannes.  Daß 
sie  über  letztere  nicht  verfügen  kann,  liegt  nicht  an  dem  Mangel 
im  Recht  — denn  zur  Legitimation  gegenüber  Dritten  und  damit 
zur  Wirksamkeit  der  Verfügung  würde  genügen,  daß  die  Frau 
Eigentum  an  den  dem  Manne  gehörenden  Mobilien  behauptet 
— sondern  daran,  daß  ihr,  ebenso  wie  bei  einer  Verfügung  über 
eingebrachte  Fahrnis,  das  zur  Herstellung  der  Gewere  erforderliche 
Element  selbständiger  tatsächlicher  Herrschaft  fehlt1). 


')  Laband,  Vermögensrechtliche  Klagen  S.  81  spricht  von  der  Ehe- 
frau als  von  einem  derjenigen  Hausgenossen,  welche  „tatsächlich  in  der 
Lage  sind,  eine  physische  Herrschaft  über  die  Fahrnis  auszuüben,  welche 
aber ....  keinen  selbständigen  Besitz  daran  haben“.  Abweichend  motiviert 
(iildemeister,  Beiträge  11  S.  181:  „Mau  läßt  zwar  mit  seinem  Willen  die 
Sache  aus  seiner  Gewahrsam:  aber  cs  ist  etwas  unvermeidliches“.  Ähnlich, 
aber  ohne  sich  deutlich  darüber  auszusprechen,  ob  durch  Hingabe  an  ab-, 
hängige  Hausgenossen  der  Hausherr  die  Gewere  aufgibt,  Uluntschli 
Staats-  und  Rechtsgeschichtc  der  Stadt  und  Landschaft  Zürich  II  S.  103  und 
Huber,  Schweizerisches  Privatrecht  IV  S.  750:  „Es  findet  sich  unter  der 
Herrschaft  der  Regel  „„Hand  muß  Hand  wahren““  die  Ausnahme,  daß  der 
Eigentümer  vindiciercn  kann,  wenn  dem  Vertrauensmann,  der  die  Sache 
einem  Dritten  veräußert  hat,  die  Sache  nicht  aus  freiem  Vertrauen,  sondern 

infolge  nötigender  Verhältnisse  überlassen  worden  ist,  wie einem 

Dienstboten  oder  Familicnmitgliedc  zur  Besorgung“. 


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Zweiter  Teil. 

Die  Bedeutung  der  Gewere  des  Mannes  am 
Frauengut. 

Erster  Abschnitt. 

Die  Bedeutung  der  ehemännlichen  Gewere  im  Allgemeinen. 

I. 

In  der  Gewere  des  Ehemannes  am  Frauengut  haben  Agricola 
und  seine  Anhänger  die  Grundlage,  die  Signatur,  das  Prinzip  und 
„Centrum“1)  des  sächsischen  Ehegüterrechts  gesehen.  Gewiß  ist 
Agricola  von  einem  unrichtigen  und  unklaren  Begriff  der  Gewere 
ausgegangen,  aber  er  hätte  sein  System  nicht  mit  solcher  Zuver- 
sichtlichkeit ausgebaut,  wenn  nicht  der  Wortlaut  der  Quellen  ihm 
vielfache  Stützpunkte  geboten  hätte. 

Zu  diesen  Quellenaussprüchen  gehört  vornehmlich  Ssp.  I 31  §2: 
„Svenne  en  man  wif  nimt,  so  nimt  he  in  sine  gewere  al 

ir  gut  to  rechter  vonnuntseap“. 

In  knappen  Worten  wird  hier  das  Recht  des  Mannes  am 
Frauengut  als  ein  vormundschaftliches  Recht  bezeichnet.  Zu  einer 
Kritik  bietet  die  Stelle  keinen  Anlaß.  Man  darf  nicht  deshalb, 
weil  moderne  Germanisten  ihre  theoretischen  Gebilde  auf  mißver- 
ständliche Auslegung  dieser  Stelle  gegründet  haben,  gegen  Eike 
den  Vorwurf  erheben,  daß  er  eine  äußerliche  Wirkung  des  leitenden 
Prinzips  über  Gebühr  hervorgehoben  und  selbst  dem  Grundprinzip 

’)  Agricola  S.  XX,  76.  Vgl.  S.  17:  „I>ies  ist  die  Frage,  ob  dieser 
Besitz  des  Mannes  das  die  eheliche  tlntorordiiung  beherrschende  Prinzip  ist.* 


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44 


substituiert  habe1).  Ebenso  verkehrt  ist  die  bewundernde  Kritik 
Schillings*),  der  von  dem  richtigen  ltestrebi>n  {jeleitet  ist,  die 
dingliche  Natur  des  ehemännlichen  Rechtes  am  Frauengut  nach- 
zuweisen. Schilling  geht  von  dem  Dogma  aus,  daß  alle  Rechte, 
die  sich  in  einer  (lewere  realisieren,  dingliche  Rechte  sind,  und 
begeistert  sich  nun  für  die  „klassische  Präzision“  unserer  Ssp.- 
Stelle  deshalb,  weil  sie  ihm  den  Nachweis  der  dinglichen  Natur 
des  ehemännlichen  Rechtes  erspart:  „denn  mit  der  Bezeichnung 
(lewere  zu  rechter  Vormundschaft  ist  das  Wesentliche  genau  her- 
vorgehoben: nicht  bloß  der  vormundschaftliche,  familienrechtliche 
Charakter  des  'ehemännlichen  Rechtes,  sondern  zugleich  das  ding- 
liche Recht  der  Verwaltung  und  Nutzung  am  Frauengut“. 

Der  unbefangenen  und  naiven3)  Darstellung  Eikes  werden 
solche  Beurteilungen  nicht  gerecht.  Daß  Eike  in  Ssp.  I 31  § 2 
von  der  (lewere,  die  der  Mann  am  Frauengut  erlangt,  statt  von 
dem  Recht  des  Mannes  am  Frauengut  spricht,  erklärt  sich  ganz 
einfach  aus  der  genugsam  bekannten  Neigung  der  mittelalterlichen 
Quellen  zu  einer  sinnenfälligen  Ausdruckweise,  welche  „im  Ver- 
trauen darauf,  daß  der  Leser  den  Rückschluß  auf  das  Recht  von 
selbst  machen  werde,  die  tatsächlichen  Wirkungen  und  Äußerungen 
der  Rechte  anzugeben  sich  begnügte4). 

Gegenüber  der  Vorstellung  Agricolas,  daß  die  in  Ssp.  1 31 
§ 2 erwähnte  (lewere  des  Mannes  die  Grundlage  des  sächsischen 
Ehegüterrechts  bilde,  hat  Heusler5)  auf  spatere  Quellen  hinge- 
wiesen in  denen  die  einzelnen  vermögensrechtlichen  Wirkungen 
der  Ehe  nicht  auf  die  (lewere  des  Mannes,  sondern  auf  sein  Recht 
am  eingebrachten  Gut  zurückgeführt  werden.  Die  Beweiskraft  der 
hierbei  von  Heusler  beigebrachten  Argumente  ist  nicht  zu  unter- 
schätzen®). Immerhin  ist  es  von  Wert,  an  der  handschriftlichen 

')  So  Heusler,  (lewere  S.  154. 

s)  Archiv  f.  bürg,  lt  XIX  S.  271 — 274. 

s)  Amir»,  Die  Dresdener  Uilderhnmlscbrift,  Kinl.S.  22:  -die  Illustration 
eines  so  naiven  Bccbtsbuches  wie  des  Sachsenspiegels". 

*)  Heusler,  Inst.  11  8.  20. 

*1  (lewere  S.  155  f. 

®)  Vgl.  Köhler,  Jahrb.  f.  Dogmatik  XXIV  S.  11)4:  -Es  ist  von  anderer 
.Seite  bereits  vortrefflich  dargetlian  worden,  datl  der  Ausdruck  (lewere  xu 
rechter  Vormundschaft  trotz  Ssp.  1 Öl  § 2 weder  ijuellenmäliig  noeb  in  irgend 
einer  Weise  charaktcristiscb  ist*. 


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45 


Überlieferung  und  den  Bearbeitungen  des  Sachsenspiegeltextes  selbst 
zu  sehen,  daU  trotz  der  Humey ersehen  Fassung  von  Ss]i.  I Hl 
§ 2 von  jeher  nicht  die  (lewere  sondern  das  Hecht  des  Mannes  am 
Frauengut  als  (frnudprinzip  des  ehelichen  ( Iflterrcehts  galt.  Iler 
lehrreiche  Text  der  Vulgata  ist  bereits  am  Eingang  dieser  Arbeit 
niitgeteilt.  Es  sei  ferner  erwähnt: 

de  (ieer’s  Handschrift  0: 

„So  wannecr  een  man  wyf  neemt  so  neeiut  hi  an  oer 
guet  te  rechter  vormunderseap“. 

Bocksdorffsche  Addition  zu  Ssp.  I 31: 

„Vermin  doran,  das  her  ym  text  spricht,  das  eyn  man 
seynes  wibcs  gut  in  seine  vonnundeschaft  nympt“. 

Inhaltsangabe  von  Ssp.  I 31  in  dem  Kemissorium  cod. 

Hom.  31  '): 

„Wat  di  man  rechtes  liebbe  an  synes  wyues  gude“. 

Rubrik  im  Register  des  Weichbildrechtes  der  Berlin -Stein- 

b eck  sehen  Handschrift 2) : 

„Von  elichir  uormuntschaft  vnd  von  gute,  daz  eliche  lute 
haben“. 

Rubriken  im  Register  zum  ersten  Buch  des  Ssp.  in  der  Berlin- 

Steinbeckschen  Handschrift  (Bl.  42 K): 

132:  „Von  eliger  lute  gute,  vnd  irer  vonnundeschaft“. 

145:  „Von  elichir  vonnundeschaft.  waz  ein  wip  ane  irz 
vormunderz  wille  nicht  tun  mag“. 

Inhaltsangabe  von  Ssp.  I 31  im  Rubrikenregister  des  Basler 

Primürdruckes  von  1474: 

„Der  man  nympt  in  seyne  vonnundeschaft  alle  das  gut 
scyner  frauwen“. 

')  Berlin  Kgl.  Bibi.  Ms.  germ.  fol.  285  Bl.  42.  Hs  wäre  eine  interessante 
Aufgabe,  aus  den  Abeccdarien  und  sonstigen  alphabetischen  Arbeiten,  wie 
lloincyer.  Die  deutschen  Kechtsbncher  des  Mittelalters  und  ihre  Hand- 
Schriften  S.  57— (il  und  S.  173  sie  zusainmcngcstcllt  hat,  fest/.ustellen.  ob  die 
ehegüterrechtlichen  Bestimmungen  des  Ssp.  jemals  unter  dem  Stichwort 
_<  lewere  zu  rechter  Vormundschaft"  nufgc führt  werden. 

’j  Ahgedruekl  bei  St effen h agen . Sitz.  Iler.  Xt'VIII  I S.  82. 


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40 


Überschrift  zu  Ssp.  I 31  in  cod.  Hom.  250: 

„von  elicliir  lute  und  uon  irm  gute,  wi  ein  man  ein  lioup 
ist  sines  weibez.  und  sy  ane  sin  uolbort  nicht  gotun  mag“  ■). 

Überschrift  zu  Ssp.  I 31  § 2 in  der  von  Johann  von  Lasco 

1 ">00  besorgten  Ausgabe  polnischer  Gesetze: 

„De  marito  qui  bona  uxoris  sue  rccepit  in  tutelam“  *). 

Jüngere  Rechtsbücher,  denen  der  Text  des  Sachenspiegels  zu 
Grunde  liegt,  sprechen  nicht  von  der  Gewere  am  Frauengut  sondern 
von  dem  Recht  des  Mannes: 

Sächsisches  Weichbild  78  § 2 3): 

„Wente  en  man  en  wif  nimt,  so  untveit  he  mit  ir  al 
dat  gut,  dat  men  mit  ire  gilt,  unde  wat  sie  to  etne  brinct, 
to  rechter  vormuntscap“. 

Holländischer  Sachsenspiegel  83: 

„Nemet  een  man  een  wyflf  soe  nemet  hy  all  lioir  goet  in 
rechter  mombaerscap“. 

Man  wird  hiernach  zugeben,  daß  die  Vorstellung,  „die  Gewere 
zu  rechter  Vormundschaft  sei  das  Güterrechtsprinzip  des  Sachsen- 
spiegels xit’  4),  durch  Hinweis  auf  die  Quellen  sich  nicht 

mehr  verteidigen  laßt. 

n. 

Ob  Gewere  zu  rechter  Vormundschaft  überhaupt  ein  quellen- 
mäßiger Ausdruck  ist,  läßt  sich  bezweifeln.  Die  Anfangsworte 
von  Ssp.  I 31  § sind  kein  zwingendes  Argument;  sie  sagen 
vielleicht  nur,  daß  der  Mann  das  Frauengut  in  seinen  Besitz  nehme 
kraft  seines  vormundschaftlichen  Rechtes. 

')  Dal)  hier  von  der  Gewere  keine  Rede  ist,  ist  mn  so  bemerkenswerter, 
als  im  lateinischen  Text  der  Handschrift  die  jtosscssio  eine  gröUore  Rolli' 
spielt  als  in  der  Vulgata. 

3)  Auch  dies  Beispiel  ist  besonders  beachtenswert,  weil  im  Text  Lasco 
sich  dem  deutschen  Vorbild  wörtlich  anschlielit:  .Quando  vir  uxorem  legi- 
time duxerit  extune  in  suaiu  sortem  sine  possessionem  ouinia  ipsius  bona 
recipit,  loco  vere  tutele“. 

3)  Ausgabe  von  Daniels  nach  einer  Handschrift  von  1369  (Berlin  1853) 

4)  Schilling  S.  274.  Die  oben  angeführten  Quellenzeugnisse  müßte 
Schilling  im  Vergleich  zu  dem  deutschen  Text  von  Ssp.  I 31  <s  2 für 
weniger  .korrekt  und  präzise-  anschcn. 


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47 

In  den  holländischen  Lesarten 

. „so  neemt  hi  in  sijnre  were  al  hoor  goet  in  rechter  vor- 

munderschap“  (codd.  Horn.  2H!>  und  21)0) 

oder 

„so  neemt  hi  in  sijnre  were  al  hoor  goet  ende  vor- 
mundscap“  (codd.  Horn.  202  und  375) 
ist  jedenfalls  von  einer  speziellen  Gewere  zu  rechter  Vormund- 
schaft nichts  wahrzunehmen.  Und  bei  der  von  Homeycr1)  mit- 
geteilten Lesart: 

„so  nimt  he  si  in  sine  gewere  und  al  ir  gut  to 
rechter  vormuntscap“ 

möchte  man  denken,  daß  Gewere  in  Ssp.  131  § 2 überhaupt  nicht 
Besitz  sondern  Haus  und  Hof  bedeutet. 

Immerhin  kann  man  von  einer  Gewere  zu  rechter  Vormund- 
schaft in  demselben  Sinne  reden,  wie  man  von  einer  eigenliken, 
einer  Satzungs-  und  Leibzuchtsgeweree  spricht,  indem  man  näm- 
lich in  den  Worten  „zu  rechter  Vormundschaft“  den  Rechtsgrund 
der  Gewere,  das  in  der  Gewere  zum  Ausdruck  gelangte  Recht, 
sieht*).  Nur  legt  man  damit  dem  terminus  „Recht  zu  Vormund- 


')  Ssp.  3.  Ausg.  S.  18!)  No.  11  zu  I 31:  codd.  Hom.  433,  164,  260  und 
Leipziger  Frim&rdruck  von  1488.  Vgl.  auch  den  SchüfTenspruch  bei  Rocbnie 
VI  S.  152,  wo  im  Parteivortrag  gesagt  wird,  daß  der  Ehemann  „bcyde  1 e y b 
und  gut  (seil,  seiner  Ehefrau)  yn  scyno  voruiuntschaft  und  yn  seync  ge- 
were entfangen  und  ge no inen  hette*.  Freilich  könnte  inan  diese 
Stellen,  wenn  man  au  der  Bedeutung  von  Gewere  gleich  Besitz  durchaus 
festlialten  will,  auch  aus  der  ursprünglichen  Auflassung,  daß  der  Herrschafts- 
begriff sich  ununtcrschieden  auf  die  Personen  und  die  Dinge  der  Hausherrschaft 
bezog,  erklären,  vgl.  Heusler,  Inst.  I S.  98  f.  und  Huber,  (lewere  S.  79. 
Ein  Gegenstück  zu  der  von  Huber  No.  182  erwähnten  Urkunde  von  1300, 
wo  von  „dienstlicher  Gcwer*  an  der  Person  des  Klostcrpfürtners  die  Hede 
ist,  würde  dann  vielleicht  der  Schöffenspruch  bei  Wasserschieben  I S.  161 
c.  26  bieten,  wo  vom  Ehemann  gesagt  wird:  „Nu  hat  her  sie  (seil,  die  Ehe- 
frau) laszen  furen  in  seyn  gewere  von  dresden  kern  pyrne  und  hat  die 
frawe  ynne  gehat  nicht  vollen  14  tage*.  Bohre  S.  57  No.  1 hält  Gewere 
in  dieser  Stelle  gleichbedeutend  nicht  mit  Besitz  sondern  mit  Hans  und  Hof, 
und  das  ist  wohl  auch  richtiger. 

a)  Anders  Agricola  S.  XXI,  109,  dem  sie  die  „Qualifikation*  der 
Gewere  sind. 


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48 


schuft“  eine  engen'  Bedeutung  bei  als  das  Mittelalter  es  tat. 
Denn  unter  Hecht  zu  Vormundschaft  verstehen  die  (Quellen  nicht 
nur  die  Vermögensrecht! iclien,  sondern  zugleich  auch  die  rein 
]>ersonenrechtlichen  Befugnisse,  welche  der  Mann  durch  die  Khe- 
schlielluiig  erwirbt: 

1.  Wurmsche  Glosse  zu  Ssp.  III  77  (Berlin  Kgl.  Bibi.  Ms.  genn. 
fol.  437  Bl.  157  B); 

„Von  dez  elichin  man  normundeschafft  ubir  sein  weip  und 
ubir  ir  gut“. 

2.  Glosse  zu  Weichbild  26  (Daniels-Gruben  Sp.  313  Z.  50  ff.): 

„Wenue  daz  wib  deine  manne  getruwit  wirt,  so  nvnipt 
er  sy  und  alle  ir  gut  in  Vormundschaft“. 

3.  „Doktrineller  Aufsatz“1)  bei  Hochine  VI  S.  111: 

„Ein  man  mag  billich  seines  elichin  wibis  vnd  eres  gutis 
vorrath  vnd  Vormunde  wesin“. 

4.  Schöffen  sprach  in  cod.  Horn.  737  (abgedruckt  bei  Martitz 

S.  270  No.  10): 

„Do  habe  er  si  und  alle  irgut  in  vormnndeschaft  genomen“. 

5.  Wasserschieben  I S.  28 8 c.  74: 

(Die  Frau)  „hat  eynen  man  zeu  der  ee  genomen  der  sie 
und  ere  guter  yn  phlege  und  yn  vormundeschatft  gehabt  hat“. 

(i.  Glosse  zu  Lehnrecht  (Zobel sehe  Ausg.  v.  1557  Bl.  84): 

„Der  man  ist  ein  Vormund  ihres  guts,  dieweil  sie  lebt 
und  ist  darzu  ihres  leibes  Vormund“. 

7.  Urkunde  von  1131  (Haitaus,  Glossarium  gennanicum  medii 
aevi  S.  3(!(i): 

„ mariti  sui  Sigfridi,  in  cuius  nmndiburdio  ipsa 

et  bona  ipsius  habebantur“. 

Das  Hecht  zu  Vormundschaft  erschöpft  sich  nach  diesen 
Quellenzeugnissen  nicht  in  vermögensrechtlichen  Befugnissen. 
Der  Begriff  des  ehemannlichen  „Hechtes  zu  Vormundschaft“ 
ist  weiter  als  der  Begriff  „Recht  des  Mannes  am  Frauen- 
gut“*). Durchaus  zutreffend  sagt  Martitz  S.  8(i:  „Der  Ssp. 

')  Vgl.  Stobhe,  Z.  f.  deutsches  R.  XVII  S.  410. 
s)  Streng  genommen  erschöpft  auch  der  Begriff  des  chcmftnnlirhcn 
Rechtes  zu  Vormundschaft  noch  nieht  alle  dein  Kheinanne  ziisti'hendcn  Be 
fngnisse.  Vielmehr  ist  das  ehemitnnliehc  Beeilt  zu  Vormundschaft,  das  ehe- 


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führt  die  Befugnisse  des  Ehemannes  über  Person  und  Vermögen 
der  Frau  auf  seine  Vormundschaft  zurück“,  und  ähnlich  Hehre 
S.  Das  Recht  der  Verwaltung  und  Nutznießung  wird  im  Ssj>. 
zusammen  mit  der  personenrechtlichen  Stellung  des 


männliche  Mnndium.  nur  ein  Bestandteil,  allerdings  der  weitaus  bedeutendste, 
in  dem  noch  umfassenderen  Begriff  der  eheherrlichen  Gewalt,  vgl.  Brunner, 
Jenaer  Literaturzeitung  v.  187G  S.  498  Xo.  1:  Habicht,  The  altdeutsche 
Verlobung  in  ihrem  Verhältnis  zu  dem  Mundium  und  der  Eheschließung  S.  Sf. 
Xo.  1 und  Entscheidung  des  Reichsgerichts  in  Civilsachen  XVI  S.  149:  „die 
eheliche  Vormundschaft  charakterisiert  sich  ....  als  ein  Ausfluß  der  ehe- 
männlichen  Gewalt“. 

Daß  die  Quellen  über  die  personenrechtlichen  Befugnisse,  welche  der 
Ehemann  durch  die  Eheschließung  erwirbt,  so  wenig  enthalten,  erklärt 
sich  daraus,  daß  Streitigkeiten  hierüber  zur  Zuständigkeit  des  geistlichen 
Gerichts  gehörten,  vgl.  die  Buchscho  Glosse  oben  S.  7.  Bemerkenswert  sind 
einige  Sätze  in  Purgoldts  Rechtsbuch  1 9(i,  von  denen  wir  annehmeu 
dürfen,  daß  sie  auch  dem  Kcchtszustand  im  Geltungsbereich  des  landrecht- 
lichen und  magdeburgischen  Ehegüterrechts  entsprechen:  „Globcth  eyn  wip 
aihler  vorlobeth  etwas  gote,  das  enne  manne  unbcqumnlich  ist,  von  geheysses 
wegin  eris  mannes  sal  sie  das  brechen,  und  sterbet  der  man  domoch,  sie 
endarff  dasselbe  globede  vorder  nicht  Imidin,  sic  globcth  osz  dan  anderweyt. 
Did  schribet  meister  Wilhelm.  l"nd  globcth  eyn  hinder  orem  manne  etwas, 
also  kusheyt,  vasten  und  wallen,  das  sal  sie  vonn  er  selber  nicht  brechen: 
aber  von  eris  mannes  gubothe  sal  sie  osz  brechin.  Globit  sie  euch  anders 
was,  welcherley  das  ist,  darmete  sie  die  ere  eris  mannes  letzid,  das  sal.. sie 
brechin  und  ab  sie  os  mit  ermc  eyde  bestetigt  bette.  Globet  sie  aber  et- 
was, das  crin  man  nicht  hindert  noch  letzidt.  das  sal  her  er  oucli 
nicht  weren,  noch  sic  dorane  hindern,  erkennedt  her  anders,  das  es  er 
unschede lieh  ist.  Did  leredt  der  maister  Itaymundus“. 

Aber  auch  die  Ehefrau  erlangt  durch  Eheschließung  Rechte  an  der 
Person  des  Gatten  (vgl.  den  Passus  der  Wurm  sehen  Glosse  oben  S.  IG,  wo 
es  vom  Ehemann  heißt,  daß  er  „ir  getreutit  und  gebin  war“;  ferner  So  hm , Das 
Recht  der  Eheschließung  S.  Gl : „die  Trauung  ist  die  ein  gegenseitiges 
Treueverhältnis  erzeugende  Tradition  der  Braut  an  den  Mann“:  anders 
Pr.  v.  Wyss,  Zeitschr.  f.  schweizerisches  Recht  XX  S.  98:  „Die  Braut  wird“ 
— durch  die  Trauung  — „der  Treue  und  dem  Schutze  des  Bräutigams  ali- 
vertraut,  was  die  Bezeichnung  erklärt,  sie  wird  dem  Bräutigam,  nicht  aber 
der  letzter^  der  ersteren  vertraut  oder  getraut“).  Sie  kann  den  Ehe- 
mann, wenn  er  ohne  ihre  Einwilligung  in  einen  Orden  eingetreten  ist,  dem 
Kloster  abfordem  (Ssp.  1 25  § 4),  sie  kann  von  seinem  Gläubiger,  der  ihn  in 
Schuldknechtschaft  abführt,  Sicherheitsleistung  für  unversehrte  Rückkehr  des 
Ehemannes  beanspruchen  (Weichbildglosse  Daniels  - Gruben  Sp.  318 
Z.  34  - 38). 

Kiesel,  liewere  1 


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Ehemannes  zur  Ehefrau  als  vormuntscap  bezeichnet.“  Es  er- 
scheint daher  nicht  unbedenklich,  wenn  Heusler1)  von  diesem  Ver- 
waltungs-  und  Nutznießungsrecht  als  dem  „dinglichen  Hecht  zu  Vor- 
mundschaft“ spricht.  Freilich  das  Verwaltungs-  und  Nutznießungs- 
recht ist  ein  gegen  jeden  Dritten  verfolgbares  Sachenrecht  und  daher 
dinglich8),  aber  der  aus  vermögensrechtlichen  und  personenrecht- 
lichen Befugnissen  zusammengesetzte  Komplex,  den  die  sächsischen 
Quellen  unter  ehemännlicher  Vormundschaft  begreifen,  läßt  sich  in 
die  Kategorie  der  dinglichen  Rechte  nicht  einreihen.  Die  sächsischen 
Quellen  bestätigen  durchaus  das,  was  Gierke3)  als  eine  allgemein 
deutsche  Auffassung  bezeichnet,  daß  nämlich  die  Familiengüter- 
rechte „nicht  besondere  Sachen-  und  Forderungsrechte,  sondern 
Sachen-  und  obligationenrechtliche  Bestandteile  eines  vom  Personen- 
recht durchherrschten  und  gebundenen  einheitlichen  Rechtsver- 
hältnisses sind“.  In  dieser  Erscheinung,  daß  das  Mittelalter  zu 

')  Inst  II  S.  338.  Auch  in  der  eben  angeführten  Reichsgerichtsent- 

Scheidung  heißt  es:  „Die  eheliche  Vormundschaft  charakterisiert  sich 

als  das  Recht  des  Ehemannes  an  der  Person  und  dem  Vermögen  der  Frau“, 
lleinsheimer,  Das  Recht  des  Mannes  am  Vermögen  der  Frau  u.  s.  w.  (1903) 
S.  81  hat  diese  Stelle  in.  E.  mißverstanden;  mit  dem  Recht  des  Ehemannes 
an  der  Person  der  Frau  sind  die  nicht  Vermögensrecht  liehen  Befugnisse  des 
Ehemannes  (vgl.  1354,  1358  BGB)  gemeint,  aber  nicht  soll  damit  gesagt 
sein,  daß  die  vermögensrechtliehen  Befugnisse  des  Ehemannes  Befugnisse 
„an  der  Person  der  Frau  als  der  Herrin  ihres  Vermögens“  seien. 

s)  Die  Dinglichkeit  ist  außer  von  Heusler,  Köhler  und  Huber 
neuerdings  besonders  von  Schilling,  Archiv  f.  bürg.  R.  XIX  S.  2(51  — 2!>7 
verteidigt  worden.  Unbegreiflich  ist  mir  die  schon  einmal  erwähnte  Äuße- 
rung von  Schröder,  Kcchtsgcscliichte  S.  715  No.  35:  „Bei  der  ehelichen 
Verwaltungsgemeinschaft  saß  der  Mann  mit  der  Frau  in  der  Gewerc 
ihres  ein  ge  brachten  Gutes  (Ssp.  I 45  § 2),  weil  sein  Nutzungsrecht 
kein  dinglicher  Nießbrauch  war,  sondern  auf  der  ihm  obliegenden 
Fürsorge  für  die  Familie  beruhte“. 

»)  DPR.  I s.  2(51  No.  12.  Vgl.  Köhler,  Jalirb.  f.  Dogm.  XXIV 
S.  1!)4  f. : „M  as  die  rechte  Vormundschaft  betrifft,  so  bezeichnet  dieselbe 
allerdings  das  Verhältnis,  aus  welchem  gerade  im  gegebenen  Falle  das  Ge- 
»ußrecht  des  Mannes  entspringt.  Allein  es  handelt  sich  darum,  das  Genuß- 
recht überhaupt  zu  charakterisieren,  es  zu  charakterisieren  ohne  Rücksicht 
auf  das  individuelle  Verhältnis,  aus  dem  es  im  einzelnen  Falle  hervorgeht  .... 
Die  dinglichen  Rechte  haben  ihren  Bestand  und  ihren  Rechtsinhalt,  der  be- 
einflußt sein  kann  durch  den  Entstebiingsgrund:  aber  einmal  entstanden,  sind 
sie  selbständige  Größen,  die  als  solche  ihre  Charakteristik  verlangen  und 
nicht  nach  ihrer  „Mutter“  genannt  werden  dürfen“. 


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einer  scharfen  begrifflichen  Scheidung  der  Vermögensrecht  liehen 
von  den  nicht  vermögensrechtlichen  Wirkungen  der  Ehe  nicht  ge- 
langt ist,  liegt  wohl  einer  der  vornehmlichsten  Gründe,  weshalb 
die  Wissenschaft  so  lange  in  unpräzisen  Vorstellungen  über  die 
Natur  des  ehemännlichen  Rechtes  am  Frauengut  haften  blieb. 
Wenn  z.  B.  Agricola  ausnahmsweise  einmal,  statt  mit  der  beim 
Manne  vorhandenen  Gewere  zu  operieren,  auf  das  „die  Grundlage 
der  Gewere  bildende  Recht“  zurückgeht,  so  meint  er  damit  nicht 
etwa,  wie  man  erwarten  sollte,  die  vermögensrechtliche  Befugnis 
des  Mannes  über  die  in  seiner  Gewere  befindliche  Sache,  sondern 
„die  familienrechtliche  Gewalt  des  Mannes  über  die  Frau“  ');  als 
ob  in  der  Gewere,  dem  Besitz  an  der  Sache,  etwas  anderes  zum 
Ausdruck  gelangen  könnte  als  ein  Sachenrecht. 

IO. 

Wir  sagten.  daU  man  von  einer  Gewere  zu  rechter  Vormund- 
schaft sprechen  könne,  wie  man  von  einer  eigcnliken,  einer  Satzungs- 
und Leibzuchtsgewere  spreche.  Agricola  erklärt  diese  Gleichstellung 
für  unberechtigt;  er  meint,  die  Gewere  des  Ehemannes  an  den 
zum  eingebrachten  Gut  gehörenden  Sachen  sei  eine  „rein  faktische, 
gemeine  Gewere  (blote  gewere),  d.  i.  einfach  körperlicher  Besitz“1); 
er  beruft  sich  hierfür  auf  zwei  Schöffensprüche 3),  in  denen  von 

■)  Agricola  S.  296,  vgl.  S.  17:  „Dieser  Besitz  des  Mannes  als  der 
Ausdruck  der  vormundschaftlichen  Familiengcwalt“.  Ähnlich  schon  vorher 
Martitz  S.  82  f.:  „Die  Gewere  des  Mannes ....  ist  die  gesetzliche  Folge  des 
persönlichen  Verhältnisses,  in  welches  durch  die  Trauung  die  Frau  zum 
Manne  gestellt  wird“,  und  Sohin,  Gött.  gel.  Anz.  v.  18*57  S.  1904:  „Dem 
Manne  steht  kraft  seiner  ehelichen  Vormundschaft,  d.  h.  kraft  seiner  ehe- 
männlichen  Gewalt  über  die  Person  der  Frau,  eine  Machtvollkommen- 
heit (Gewere)  auch  über  ihr  Vermögen  zu“. 

*)  Agricola  S.  141.  An  anderer  Stelle,  S.  125,  nennt  Agricola  dann 
wieder  diesen  „einfach  körperlichen  Besitz“  eine  „Gewere  von  besonderem 
Rechtsinhalt,  geradeso  wie  etwa  die  des  Eigenthfimcrs,  Pfand- 
gläubigers, Zinsmannes,  Leibzüchters  oder  wenigstens  des  Treu- 
händers, Amtmannes,  Pächters  oder  Micthcrs“,  und  S.  73  und  149  billigt  er 
diesen  „einfach  körperlichen  Besitz*  dem  Manne  auch  an  denjenigen  Sachen 
zu,  die  sich  bei  der  Eheschließung  garnicht  in  der  tatsächlichen  Gewalt  der 
Frau  sondern  etwa  hei  dritten  Personen  befanden,  denn  das  Frauengut  sei 
als  eine  Universitas  aufzufassen,  „die  als  solche  mit  allen  ihren  Bestand- 
teilen in  des  Mannes  Besitz  überging“  (1). 

3)  Wasserschieben  I 8.227  r.  73,  S.  429  r.  85.  Vgl.  Agricola  8.  142. 

4* 


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52 

der  Gewere  zu  rechter  Vormundschaft  im  Vergleich  mit  der  eigen- 
liken  Gewere  gesagt  wird,  sie  sei  „keyne  rechte  gewere“,  „keyne 
volkomene  gewere“. 

Noch  erstaunlicher  ist  die  Ansicht  von  Czvhlarz1),  der  dem 
Ehemann  eine  Gewere  am  Frauengut  überhaupt  abspricht.  Czyhlarz 
geht  vom  böhmisch-mährischen  Landrecht  aus,  vertritt  seine  Auf- 
fassung aber  auch  für  das  sächsische  Landrecht: 

„Die  sog.  Gewere  des  Mannes  zu  rechter  Vormundschaft 
war  wenigstens  nach  böhmischem  Landrecht  keine  selbständige, 
die  Gewere  der  Frau  ausschließende  possessio,  sondern  nur 
die  tatsächliche  Ausübung  der  dieser  zustehenden  Pfandge- 
wcrc*)  seitens  des  Mannes  kraft  seines  ehemännlichen  Vor- 
mundschaftsrechtes. Hierdurch  setze  ich  mich  in  Widerspruch 
mit  der  auch  noch  von  Heusler  die  Gewere  S.  149  f.  ver- 
tretenen Ansicht,  daß  der  Mann  eine  selbständige  Gewere 
am  Frauengut  habe,  wodurch  die  Gewere  der  Frau  ausge- 
schlossen wird.  Es  ist  das  nur  eine  Konsequenz  des  von 
Heusler  für  die  Vormundschaft  überhaupt  aufgestellten 
Grundsatzes,  dem  zu  Folge  der  Vormund  das  Mündelgut  in 

Nutz  und  Gelde  hat,  nicht  der  Mündel Dagegen 

macht  sich  aber  sofort  das  Hedenken  rege,  daß  sich  die 
Stellung  des  Vormunds  nur  nach  dem  Vormundschafts  recht 
bestimmt,  indem  seine  Dispositionsbefugnis  bezüglich  des 
Mündelgutes  nur  ein  Ausfluß  dieses  Rechtes  ist.  Zu  Folge 
seines  Vormundschaftsrechtes  zieht  er  die  Nutzungen,  ver- 
fügt er  faktisch  über  die  Sachen,  hat  er  überhaupt  den 
Genuß,  der  sich  aus  dem  Verhältnis  des  Mündels  zu  den 
betreffenden  Sachen  ergibt.  Nur  so  genießt  der  Vormund 
die  Vorteile  der  Eigengewere,  Pfandgewere  u.  s.  w. , welche 
dem  Mündel  zusteht.  Folgeweise  hat  dann  der  Vormund 
keine  selbständige  Gewere,  sondern  übt  lediglich  die  Gewere 
des  Mündels,  die  in  derselben  gelegene  Macht  aus,  ist  daher 
nur  Vertreter  des  Mündels,  aber  allerdings  kraft  seines 


')  Zur  Geschichte  des  ehelichen  Güterrechts  im  bfthinUch  - mährischen 
Lamlrccht  S.  72  f.  No.  7. 

J)  Was  hier  von  der  I’fandpewere  tfesayl  wird,  muU  auch  von  der 
eigenliken  Gewere  u.  s.  w.  gelten. 


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53 


eigenen  Vormundschaftsrechtes.  Bei  dieser  Auflassung  kann 
nicht  davon  die  Rede  sein,  daß  die  Gewere  des  Mündels  der 
des  Vormunds  gegenüber  verschwindet,  von  dieser  absorbiert 
wird,  vielmehr  gibt  es  ihr  zu  Folge  nach  wie  vor  nur  eine 
Gewere,  die  des  Mündels,  welche  der  Vormund  übt 
Heusler,  der  selbst  a.  a.  0.  das  Vormundschaft  recht  be- 
tont, hat  diesen  Weg  angedeutet,  ohne  ihn  jedoch,  wie  ich 
meine,  consequent  zu  verfolgen.“ 

Diese  Ausführungen,  wonach  jemand  kraft  eigenen  Rechts, 
aber  doch  nur  als  Stellvertreter  eines  anderen  die  dem  anderen 
zustehende  Gewere  ausübt,  sind  schlechthin  unverständlich.  Czy  h 1 a rz 
hat  den  richtigen  Gedanken,  daß  die  Dispositionsbefugnis  des  Vor- 
mundes und  Ehemannes  nicht  Ausfluß  seiner  Gewere  sondern  seines 
dinglichen  Rechtes  am  Mündel-  und  Frauengut  ist,  übertrieben. 

IV. 

Die  .Vorstellung,  daß  die  Gewere  zu  rechter  Vormundschaft 
das  Grundprinzip  des  ehelichen  Güterrechtssystems  sei,  setzt  not- 
wendigerweise voraus,  daß  die  Gewere  zu  rechter  Vormundschaft 
eine  Gewere  von  ganz  besonderer  Art  sei.  Dies  ist  in  der  Tat. 
die  Auffassung  von  Agricola.  Ihm  ist  die  Gewere,  welche  der 
Mann  am  eingebrachten  Gut  erlangt,  eine  Gewere  von  „besonderes 
Eigenschaft“,  „von  besonderem  Rechtsinhalt“'),  die  von  anderen 
Geweren  „ihrem  Umfang  und  Inhalt  nach“  sich  unterscheide. 
Einen  Schein  von  Berechtigung  erhält  diese  Ansicht  durch  die 
merkwürdige  Fassung  von  Ssp.  I 31  § 2: 

„Svenne  en  man  wif  nimt,  so  nimt  he  in  sine  gewere  al 
ir  gut  t«  rechter  vormuntscap;  dar  umme  ne  mach  nen  wif 

ireme  manne  nene  gave  geven ; wende  die  man  ne 

mach  an  seines  wives  gude  nene  andere  were  ge- 
winnen, wen  alse  he  to  dem  irsten  mit  ire  untvieng 
in  vormuntscap“®). 

')  S.  125.  Ebenso  Niese  S.  23,  der  einzelne  Befugnisse  des  Mannes 
hinsichtlich  des  J.eibzuchtsgutes  der  Krau  aus  seiner  Eigengewere,  andere 
wieder  ans  seiner  vormundschaftlichen  < lewere  herleitet. 

,J)  Die  Fassung  des  dritten  Satzes  ist  in  jüngere  Quellen  wörtlich  fiber- 
gegangen,  vgl.  die  bei  Agricola  S.  128  IT.  citierten  Stellen,  denen  Wasser  sch- 
ieben II  S.  4f>  c.  133  hinzuzufügen  ist. 


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Eike  stellt  liier  die  Gewere,  welche  der  Ehemann  durch  die 
Vergabung  erlangen  würde,  der  Gewere  zu  rechter  Vormundschaft 
als  „andere“,  das  heißt  aber  nicht  als  „anders  geartete“  sondern 
als  „anders  entstandene“,  auf  anderem  Rechtsgrund  beruhende, 
gegenüber.  Eine  qualitative  Verschiedenheit  könnte  nur  zwischen 
dem  Recht,  welches  in  der  auf  Vergabung  gestützten  Gewere  zum 
Ausdruck  kommen  würde,  gegenüber  dem  gesetzlichen  Recht, 
welches  der  Mann  ohne  die  Vergabung  haben  würde,  bestehen.  „Die 
Gewere  ist  ihrem  Begriff  nach  dieselbe  bei  allen  Rechten“ ').  In 
den  lateinischen  Übersetzungen  des  Ssp.  ist  jedes  Mißverständnis 
dadurch  ausgeschlossen,  daß  nicht  der  Gewere  die  Gewere,  sondern 
dem  Recht  das  Recht  gegenüber  gestellt  wird.  So  heißt  es  in 
der  Vulgata  (cod.  Hom.  (11): 

„Ex  eo  apparet  quod  vir  in  substantia  sue  uxoris  non 
aliam  potest  acquirere*)  nisi  ut  prius  tutoriam  accepit  po- 
testatein“. 

Die  Vratislaviensis  (cod.  Hom.  85)  sagt,  daß  der  Mann  kein 
anderes  „ius  possidendi“,  die  Sandomiriensis  (cod.  Hom.  !H),  daß 
er  keine  andere  „potestas“  erwerben  dürfe,  als  er  von  Anfang  an 
bei  Schließung  der  Ehe  erworben  habe3). 

Beachtenswert  ist  auch  ein  Parteivortrag  bei  Wasserschieben  I 
S.  219  f.  c.  (1H  und  69,  wo  es  heißt: 

„der  man  hat  an  dem  hawsze  keyne  andir  gewere  ny  ge- 
gewonnen  noch  gerechtikeyt  wenne  yn  vormundeschalll 
seynes  weibis“. 


')  Huber,  Gewere  S.  4.1.  Vgl.  Hcuslcr,  Gewere  8.  154:  .ich  kann 

zwischen  der  Gewere,  die  der  Mann  au  seinem  eigenen  Hufe,  und  der,  welche 
er  an  einem  Gut  der  Krau  hat,  keinen  Unterschied  entdecken,  sondern  nur 
zwischen  dem  Recht,  das  er  an  seinem  Hofe,  und  dem,  welches  er  am 
K rauengut  hat4. 

5)  aequirerc  fehlt  in  cod.  Hom.  fil : ich  füge  es  aus  anderen  Hand- 
schriften ein. 

s)  Vgl.  aucliLasco:  .Quia  mnritus  in  bonis  sue  uxoris  aliam  partein 
nullo  modo:  nec  aliquntontis  aequirerc  vendicarcque  potest  quam  id  quod 
in  pritno  contractu  cum  ipsa  suseepit  loco  tutclc  scilicet  tarn  mulieres  quam 
rerum  tutelam.4  Abweichend  aber  die  Gürlitzer  Handschrift  von  1387  (cod. 
Hom.  250):  _t)uia  uir  in  bonis  sue  mulieris  maj’ ore m po ssessionem  ac- 
qnirere  quam  prius  cum  ea  sumpsit  in  auetoritate  — — 4 (sie). 


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55 


Mit  Recht  bemerkt  Heus I er')  zu  dieser  Stelle,  daß  die  Partei 
durch  den  Zusatz  „noch  gerechtikeyt“  die  Ungenauigkeit,  die  sie 
in  der  Fassung  von  Ssp.  I 31  § 2 erblickt,  verbessern  wolle. 
Ein  Seitenstück  hierzu  bietet  die  Lesart  der  de  Geerschen  Hand- 
schrift C: 

„want  die  man  en  can  syns  wyfs  goet  gheen  recht  noch 
besyt  hebben  dan  die  mnmberscap“ 1). 

Immerhin  hat  es  doch  seinen  besonderen  Grund,  wenn  Eike 
in  unserer  Stelle  lieber  von  der  Gewere  als  dem  Recht  spricht. 
Die  Unzulässigkeit  einer  Vergabung  eingebrachten  Gutes  seitens 
der  Frau  an  den  Mann  erklärt  sich  nämlich  in  der  Tat  daraus, 
daß  der  Ehemann  den  Gegenstand  der  Vergabung  bereits  in  seiner 
Gewere  hat3).  Sie  ist  lediglich  eine  Anwendung  des  allgemeinen 
sachenrechtlichen  Grundsatzes,  daß,  wer  ein  Gut  vergibt,  ohne  der 
Gewere  daran  sieh  zu  ledigen,  nicht  sich  sondern  seinen  Erben 
das  Gut  entzieht').  Eine  Ledigung  der  Gewere  seitens  der  Frau 
ist  ausgeschlossen,  weil  die  Frau  seit  der  Eheschließung  keine 
Gewere  mehr  hat3). 

•)  Gewere  S.  156. 

*)  Freilich  kann  diese  Lesart  sich  auch  erklären  wie  oben  S.  6 No.  2. 

3)  Auch  entgeltliche  Verfügungen  der  Frau  zu  Gunsten  des  Mannes 
sind  unzulässig.  Abw.  Ans.  Sydow,  Darstellung  des  Erbrechts  nach  den 
Grundsätzen  des  Sachsenspiegels  8.  248.  Die  Vulgata  und  Sandomiriensis 
sprechen  von  dnnare,  I.asco  von  donnm  dare.  Vgl.  aber  Vratislaviensis 
(cod.  Hom.  85):  „Et  ideo  non  potest  eonferrc  marito  res  mobiles  aut  pro- 
prium, ut  per  hoc  post  mortem  ipsius  a veris  eins  heredibus  clongetur“; 
Berlin-Steinbeck  sche  Handschrift : „Ideo  marito  suo  nee  de  proprietatibus 

aut  de  mobilibus  dare  debet  quod  heredibus  suis  vult  alienare“:  Gürlitzer 
cod.  Hom.  250:  .Ideo  nulla  inulier  viro  suo  quitquam  dare  potest  de  suis 
rehus  tarn  mobilibus  quam  immobilibus  si  suis  heredibus  alienare  volnit“ 
Die  B u ch' sehe  Glosse  scheint  auch  die  entgeltliehen  Verfügungen  im  Auge 
zn  haben. 

')  Buch'sche  Glosse  zu  Ssp.  152. 

s)  Ebenso,  trotz  ihrer  Annahme  einer  Gesamtgewere  der  Ehegatten 
oder  des  Nebeneinanderbestehens  einer  Gewere  der  Frau  neben  der  des 
Mannes:  Kraut,  Vormundschaft  II  S.  43211.:  Martitz  S.  237:  Agricola 
S.  546  IT.  Abw.  Ans.  Bar,  Beweisurteil  S.  200  f.,  der  einen  positiven 
Heehtssatz  annimmt,  nach  welchem  Gaben  der  Frau  an  den  Mann  verboten 
gewesen  wären:  „Man  wird  einwenden  dürfen,  daß  ein  früherer  Besitz  auf 
Grund  des  Titels  einer  G.  z.  r.  V.  nicht  eine  Umwandlung  dieses  Titels 
wird  verhindern  können.  Wäre  dies  der  Fall,  so  würde  auch  der  Pächter 


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So  ist  in  diesem  einzelnen  Punkt  die  ehemännliche  Gewere 
allerdings  die  Ursache  einer  materiellen  Wirkung.  Aber  einmal 
gehört  diese  Wirkung  nicht  zu  dem  vermeintlichen  spezifischen 
Rechtsinhalt  der  Gewere  als  einer  vormundschaftliehen,  sondern 
ist  die  Anwendung  eines  auch  außerhalb  des  Ehegtiterrechts  geltenden 
Grundsatzes,  und  ferner  ist  die  Unzulässigkeit  von  Vergabungen 
des  Frauengutes  an  den  Mann  in  keiner  Weise  für  das  System 
der  Gütereinheit  charakteristisch. 

V. 

Nach  manchen  Stammesrechten  begründet  schon  die  Verlobung, 
„mit  welcher  die  ersten  Wirkungen  der  Ehe  eintreten“  *),  das  ehe- 
männliche Recht  am  Frauengut. 

Matthaeus  v.  Normanns  Wendisch  - Rugianischer  Land- 
gebrauch (herausgegeben  von  Gadebuseh,  Stralsund  und  Leipzig 
1777)  tit.  57  S.  71 : 

„Wert  eine  Jungfruwe  by  eres  Vaders  vnd  Moder  Leven 
vthgeraden  vnd  se  leth  nicht  aff  in  der  Vorlavinge,  Vor- 

oincs  Grundstücks  an  diesem  niemals  eine  rcclitc  Gewere  erwerben  können, 
wenn  ihm  so  lange  er  noch  als  Pächter  besitzt,  das  Grundstück  verkauft 
und  aufgelassen  wird“.  Dies  Beispiel  ist  nicht  gut  gewählt,  denn  durch 
Verkauf  und  Auflassung  an  den  Pächter  würde  der  Verpächter  das  Gut  nicht 
nur  seinen  Erben,  sondern  sich  selbst  entziehen,  wofern  es  sich  nicht  etwa 
um  einen  Pachtvertrag  handelt,  bei  welchem  als  Zeitpunkt  der  Beendigung 
des  Pachtverhältnisses  der  Sterbetag  des  Verpächters  bestimmt  wäre.  Außcr- 
dem  würde  der  Verpächter  aber  in  der  Tat  durch  Verkauf  und  Auflassung 
an  den  Pächter  sich  seiner  Gewere  am  Pachtgut  ledigen:  Bar  scheint  an- 
zunchmcn,  daß  der  Verpächter  schon  durch  Einräumung  einer  Pachtgewerc 
an  den  Pächter  die  Gewere  am  Gut  aufgegeben  habe.  Dies  ist  aber  nicht 
richtig,  vgl.  oben  S.  24f.  Anm.  4).  — Heusler  Inst.  II  S.  391  nennt  die 
Stelle  Ssp.  I 31  § 2 „in  ihrem  Motive  nicht  rocht  verständlich.“ 

')  Sohin,  Trauung  und  Verlobung  S.  3li:  vgl.  Sohtn,  Das  Itcclit  der 
Eheschließung  S.  78:  „Die  Ehe  wird  nach  deutschem  ltecht  durch  das  Ver- 
sprechen der  Ehe  geschlossen.  Die  Willenseinigung  über  künftige  eheliche 
Gemeinschaft  bedeutet  die  Willenseinigung  über  schon  gegenwärtiges  eheliches 
Verhältnis.  Es  gibt  keine  Verlobung  in  unserem  heutigen  Sinn,  d.  h.  keine 
Verlobung,  welche  Versprechung  künftiger  Eheschließung  wäre.  Die  Ver- 
lobten sind  schon  Ehegatten  vor  der  Trauung“.  Bekanntlich  ist  dies  der 
Grundgedanke  der  eben  genannten  beiden  Arbeiten  von  Sohin.  Später  hat 
Sohin,  Zur  Geschichte  der  Auflassung  S.  10t*  No.  29  unter  dem  Eindruck 
der  Kritik  die  Frage  als  noch  unter  Kontroverse  stellend  bezeichnet. 


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57 


truwinge  edder  dama  mit  Vorwcten  eres  Bruedigams 
edder  Eliemanss  vam  Vader  vnd  Moder  Erve,  dama  stervet 
de  Moder,  se  nimpt  er  Anpart  vam  Moder  Erve  vnd  Heyrath, 
glik  den  Breedern“: 

tit.  54  S.  tili: 

„Datt  mosten  offt  de  Jungfrowen  im  Fall  der  Nothtruflt, 
wenn  se  vorlavet  wurden,  sick  aflseggen  vnd  holden,  dat  se 
na  der  Beradinge  eren  Broedern  ock  wol  dem  Vader  lohen, 
dat  se  ahne  dat,  wat  en  in  der  Beradinge  verspraeken,  nicht 
mehr  dama  vmb  vaderlike  edder  moderlike  Erve  na  deren 
eren  doetlikem  Affgange  wolden  sprecken,  vndt  solkes  moste 
de  Bruedigam  annehmen  vnd  semptlich  holden.  Wo  overst 
sodane  Affsegginge  mit  Bewilligunge  des  Bruedigamss 
nicht  geschach,  so  was  idt  ehr  vndt  enie,  in  ehrem  Nahmen 
fry,  vmb  solk  vaderlik  edder  moderlik  Erve  tho  sprecken“. 

Stadtbuch  von  Groningen  (herausgegeben  von  Telting  in  den 
Werken  der  Vereeniging  tot  uitgave  der  bronnen  van  het  oude 
vaderlandsehe  Recht  I 9,  Utrecht  188(1)  c.  ’2’2'2  S.  79: 

„Noch  vrouwen,  noch  junefrowen  en  moten  enghenerhande 
gued  gheuen  nae  der  tyd,  dat  se  tho  manne  ghelovet  syn, 
ten  sy  by  orloue  oers  mannes“ '). 


')  Demnach  ist  zu  berichtigen  die  Äußerung  von  Sohm,  Eheschließung 
S.  76:  „Die  Verlobung  als  solche  (ohne  Trauung)  entbehrt  der  positiven 
Wirkungen  des  ehelichen  Verhältnisses.  Kein  Eintreten  der  verlobten  Braut 
in  das  Haus  des  Bräutigams,  keine  eheherrliche  Gewalt,  keine  Standesgemein- 
schaft, kein  eheliches  Gnterrecht“;  und  S.  247  f.  No.  105:  „Jene  von 
dein  älteren  deutschen  Recht  abweichende  Meinung,  welche  schon 
mit  dem  Brautverhältnis  das  gegenseitige  eheliche  Erbrecht  eintreten  ließ, 
bedeutet  eine  von  modernen  und  römisch-rechtlichen  Vorstellungen  ausgehende 
theoretische  Spekulation,  welche  aus  der  ehebegrnndenden  Wirkung  der  Ver- 
lobung zugleich  den  vollen  Eintritt  aller  Rechtsfolgen  der  Ehe  ablciten  zu 
müssen  meint,  welche  also,  indem  sie  die  Konsequenzen  des  geltenden 
deutschen  Eherechts  ziehen  wollte,  dennoch  gerade  in  Gegensatz  zu  dem- 
selben trat".  Gerade  bei  dem  von  Sohm  erwähnten  Erkenntnis  der  Rostocker 
Juristenfakultät  wird  inan  die  Kenntnis  des  Wendisch-rngianischcn  Eand- 
gebrauchs  vermuten  dürfen.  Cbrigens  bietet  die  von  uns  befürwortete  Be- 
richtigung einen  neuen  Beleg  für  die  Richtigkeit  der  Sohin’schen  Ansicht, 
daß  schon  durch  Verlobung  die  Ehe  zustande  kommt. 


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Anders  nach  dem  Ssp.  und  nach  magdeburger  Recht.  Hier 
beginnt  der  Unterstand  mit  der  traditio  puellae,  mit  der  Trauung. 
Zugleich  mit  iler  Braut  wird  ihre  Aussteuer1)  dem  Manne  ge- 
gegeben : 

„Cum  vir  mulieri  copulatur,  tune  omnia  eius  bona  in 
suam  recipit  tutelam“  (Ssp.  I 31  § in  der  Vulgata). 

Der  Zeitpunkt  der  Trauung  ist  gemeint,  wenn  es  so  vielfach 
heißt,  daß  der  Mann  die  Frau  und  zugleich  ihr  Gut  in  seine 
Vormundschaft  nimmt2).  In  Ssp.  I 31  § *2: 

„die  man  ne  mach  ....  nene  andere  were  gewinnen, 
wen  alse  he  to  dem  irsten  mit  ire  untvieng  in  vor- 
muntscap“ 

sagen  die  letzten  Worte  unzweideutig,  daß  die  Gewere  des  Mannes 
über  das  Frauengut  gleichzeitig  „mit  ihr“,  d.  h.  mit  der  Frau, 
also  mit  der  Trauung  „empfangen“  wird3).  Diese  Gleichstellung 
der  Person  und  des  Vermögens,  welche  dem  Manne  anvertraut 
werden,  ist  zugleich  insofern  wertvoll  für  uns,  als  sie  unbewußt 
zum  Ausdruck  bringt,  daß  auch  das  Vermögen  nicht  bloß  in  die 
Gewalt  sondern  zugleich  in  den  Schutz  des  Mannes  gestellt  wird, 
„also  eine  den  Empfänger  nicht  bloß  berechtigende,  sondern  ebenso 


')  An  den  Regelfall,  dal!  das  cingcbrachte  Gut  nur  aus  Fahrnis  besteht, 
denkt  Eike,  wenn  er,  statt  von  dem  ehemiinnlichen  Recht  am  Frauengul 
zu  sprechen,  sagt,  dal!  der  Mann  das  Gut  in  seine  Gewere  nehme.  Vgl- 
u.  a.  Hehre  S.  56:  „In  der  Regel  wird  die  Besitzftbertragung  mit  der 
Trauung  zusammen  gefallen  sein,  da  es  nur  natürlich  war,  dal!  die  Eltern 
der  Braut  zugleich  mit  ihrer  Tochter  auch  deren  Ausstattung  dem  Manne 
anvertrauten“. 

*)  Vgl.  die  oben  S.  48  Ziff.  2 und  4 angeführten  Stellen.  Bei  der  Trauung 
wird  dem  jungen  Ehemann  mit  der  Gattin  Vermögen  „mitgegeben“,  wie 
ihm  bei  der  Verlobung  neben  der  Braut  Vermögen  „mitgelobt“  worden  ist 
vgl.  Wasserschieben  I S.  168  c.  35:  „Barbara  gab  ir  tachtor  zeu  der  ce 
Itruszmc  burger  tcu  oschsehacz  und  globit  mit  ir  tachter  acht  schog 
gr.  crem  eydem  Brnszme“  d.  h.  sie  gelobt  die  Tochter  und  dazu  acht  Scheck 
Groschen:  vgl.  auch  tit.  66  des  Wendisch-rngianischen  Landgebrauchs  S.  84: 
„In  der  Vorlavinge“  — die  der  Truwe  8.  85  Zeile  21  gegen nbcrgeatcllt  wird  — 
„der  Jungfrauwen  edder  W'dcwen  wer(  vndt  geboeret  sick  van  oldcrshero  . . • 
dat  dem  Breutgam  ein  gewisse  Autall  Geldes  wart  mitgclawet.“ 

3)  Ebenso  Sohm,  Eheschi iellung  S.  95  No.  1. 


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5t) 

verpflichtende  Übergabe  ist“ ').  Gerade  hierin  liegt  ein  charakte- 
ristischer Unterschied  des  ellemännlichen  Rechtes  am  Frauengut 
von  anderen  dinglichen  Rechten:  der  Manu  ist  zur  Verwaltung 
des  cingebrachten  Gutes  verpflichtet,  einseitiger  Verzieht  auf  das 
Recht  zu  Vormundschaft  ist  ihm  nicht  gestattet. 

Am  deutlichsten  zeigt  Ssp.  III  45  § 3,  daß  der  eheliche  Güter- 
stand mit  der  Trauung  beginnt: 

„Die  man  is  ok  vormünde  sines  wives  to  hant  als  sie 
ime  getrüwet  wert.  Dat  wif  is  ok  des  mannes  genotinne 
to  hant  alse  sie  in  sin  bedde  trit“. 

Diese  letzten  Worte  bieten  übrigens  besonderes  Interesse,  da 
man  aus  ihnen  hat  entnehmen  wollen,  daß  dem  Ssp.  die  Einheit- 
lichkeit des  alten  Mundiums  verloren  gegangen  sei*).  Mir  scheint, 
daß  diese  Empfindung  nicht  gerechtfertigt  ist,  daß  es  vielmehr 
nicht  nur  dem  Ssp.,  sondern  auch  der  älteren  Zeit  entspricht, 
unter  dem  ehemilnnlichen  Recht  zu  Vormundschaft  nur  den  In- 
begriff personen-  und  sachenrechtlicher  Befugnisse  zu  verstehen, 
welche  der  Ehemann  gegenüber  der  Frau  erwirbt.  Wirkungen 
der  Ehe,  welche  unter  diesen  Begriff  nicht  zu  bringen  sind,  haben 
mit  dem  ehemännlichen  Recht  zu  Vormundschaft  nichts  zu  tun, 
wie  es  auch  nicht  im  Sinne  des  alten  Mundiums  gelegen  haben 
kann,  etwa  bei  der  Alters  Vormundschaft  dem  Mündel  den  Stand 
des  Vormundes  zu  verleihen. 

')  Mit  diesen  Worten  charakterisiert  Sohin,  Eheschließung  S.  60  die 
Übergabe  der  Braut  an  den  Mann.  Übrigens  scheint  er  sich  8.  61  gegen 
die  von  uns  aus  der  (Gleichstellung  von  Person  und  Vermögen  gezogene 
Folgerung  auszusprechen:  „Neben  der  Sachtradition  kennt  das  Deutsche 
Recht  eine  Personentradition.  Die  letztere  zeichnet  sich  dadurch 
aus,  daß  sie  immer“  (—  die  Sachtradition  wenigstens  zuweilen?  — ) 
„eine  Traunng,  d.  h.  eine  ein  gegenseitiges  Treuverhältnis  erzeugende 
Tradition  ist“. 

*)  Sohin,  Eheschließung  S.  95:  „Die  volle  Energie  des  alten 
Mundium  ist  vergessen,  und  wird  die  Standesgenieinschaft  anstatt  aus 
dem  tienaltverhältnis  aus  dem  Gcnosscnschaftsverhältnis  dor  Ehegatten 
abgeleitet“.  Ebenso  Fr.  v.  Wyss,  Zeitschr.  f.  schweizerisches  Recht  XX 
S.  112  f.  Dasangeisächsische  Recht,  welches  der  Ehefrau  nicht  das  Wergeid 
ihres  Mannes,  sondern  das  ihres  Vaters  gibt,  zeigt,  daß  ilie  Standesgemcin- 
schaft  für  den  Begriff  der  Ehe  und  des  Mundiums  entbehrlich  ist,  vgl. 
Habicht,  Die  altdeutsche  Verlobung  in  ihrem  Verhältnis  zu  dem  Mundium 
und  der  Eheschließung  8.  74  No.  1. 


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fiO 

Vereinzelt  kommen  in  den  späteren  Quellen  Wendungen  vor, 
als  oh  das  Recht  des  Mannes  am  Frauengut  erst  mit  dem  Beilager 
beginne.  Es  heißt  z.  B.  im  Magdeburg-Breslauer  systematischen 
Schöft’enrecht  IV  2 c.  93'): 

„Ayn  man  der  vorlobe  adir  gebe  sevne  tachter  ader  freun- 
dynne  eyme  manne  und  der  man  globe  der  iunckfrawen  adir 
frawen  evn  benant  gelt  ezu  geben  ader  czu  vormachen  vn 
alle  seyn  gut  noch  seyme  tode  czu  thun  und  czu  lassen  adir 
mit  andirm  undirscheide  wissentlich  den  ecwarten  in  deme 
nehesten  dinge,  dornach  als  her  sy  besliffe “ 

Der  Bräutigam  gelobt  also  der  Braut  eine  Geldsumme  zu 
Morgengabe  und  verspricht  ihr  die  gerichtliche  Erneuerung 
dieses  Morgengabsgelöbnisses,  sobald  die  Mitgift,  als  deren 
Äquivalent  die  Morgengabe  gedacht  ist,  in  sein  Verwaltungs- 
und  Nutznießungsrecht  kommen  würde2).  Als  diesen  Zeitpunkt 
bezeichnet  er  statt  der  Trauung  das  Beilager.  I)a  beide  Vor- 
gänge nur  wenige  Stunden  auseinander  liegen,  ist  diese  Un- 
genauigkeit unerheblich,  sie  erklärt  sich  wohl  daraus,  daß  man 
die  gelobte  Morgengabe  mit  der  tradierten,  deren  Bestellungszeit 
gewohnheitsrechtlich  mit  dem  auf  das  Beilager  folgenden  Morgen 
fixiert  war,  in  Zusammenhang  brachte.  — • 

')  Fernere  Beispiele  sind  die  von  Agricola  S.  19G  f.  angeführte  Lesart 
des  Weichbildes  und  ein  Sehöffenspriich  bei  ßoehme,  aus  welchem  Agricola 
gefolgert  hat,  daß  der  Mann  dadurch,  daß  er  das  Bett  der  Ehefrau  über- 
schreitet, die  (iewere,  also  den  .bloß  körperlichen  Besitz“  (Agricola  S.  141), 
am  eingcbrachten  Gut  erlangt!  Ich  halte  beide  Stellen  für  ungenau.  Die 
beiden  von  Schröder,  Gesell,  d.  ehel.  Gütern  II  3 S.  326  No.  95  leider  nur 
unvollständig  mitgeteilten  Schöffcnsprfiche  hat  bereits  Sohm,  Eheschließung 
S.  94  f.  No,  50  besprochen  • 

*)  Dieser  Stelle  unmittelbar  vorher  geht  eine  andere,  welche  den 
SchöfTenspruch  bei  Wasserschieben  1 S.  288  f.  c.  154  wiedergibt.  Dort 
handelt  cs  sich  darum,  daß  nicht  die  gerichtliche  Erneuerung  des  Morgcn- 
eabegelöbnisscs,  sondern  die  Sicherung  dieses  Gelöbnisses  durch  Grund- 
schuldbestellung versprochen  wird,  und  cs  heißt:  .Hat  eyn  man  eynem  wibe 
eyn  egelt,  ader  eyn«  morgengabe  zu  verlobungo  gelobt,  linde  das  wip  deme 

manne  cvne  metegifft:  — und  wirt  daz  mit  sollichcn  bcscheidenlichcn 

Worten  gesazt:  wenn«  die  frauwe  iro  metegifft  ynbrochtc,  so  soldc 
er  ir  man  vnrschriben  daz  vorlobetc  gelt  . . .“  Also  vom  Einbringen  der 
Mitgift,  nicht  vom  Beilagcr  macht,  der  Bräutigam  seine  Verpflichtung  zur 
Grundschuldbestellung  abhängig. 


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C,  1 


Mit  der  Frau  wird  auch  ihr  Vermögen  dem  Manne  anvertraut, 
nur  darf  man  sich  dies  Anvertrauen  des  Vermögens  nicht  als  eine 
rechtsgeschäftliche  Handlung,  als  eine  „Auflassung“ ')  des  Frauen- 
gutes an  den  Mann  vorstellen.  Das  ehemännliche  Verwaltungs- 
und  Nutznießungsrecht  entsteht  vielmehr  ipso  iure  als  gesetzliche 
Folge  der  Trauung.  Die  Hingabe  der  Mitgift  seitens  der  Eltern 
der  Braut  an  den  jungen  Ehemann  ist  kein  Rechtsgeschäft,  sondern, 
ebenso  wie  die  Trauung,  nur  „tatsächliche  Vollziehung  eines  schon 
früher  geschlossenen  Rechtsgeschäftes“2),  nämlich  des  bei  der  Ver- 
lobung abgegebenen  Mitgiftversprechens. 

Vom  Erwerbe  des  Rechtes  zu  unterscheiden  ist  der  Erwerb 
der  Gewere.  In  der  Regel  freilich  erlangt  der  Mann  auch  die 
Gewere  ohne  weiteres  dadurch,  daß  die  Frau  in  unmittelbarem 
Anschluß  an  die  Trauung  mit  ihrer  Aussteuer  auf  seinen  Bauern- 
hof zieht3).  Diesen  Regelfall  hat  auch  Eike  im  Auge,  wenn  er 
in  Ssp.  I 31  § 2 sagt: 

„Svenne  en  man  wif  nimt,  so  nimt  he  in  sine  gewere 
al  ir  gut  to  rechter  vormuntscnp.“ 


')  Bewer,  Sala  Traditio  Yestitura  S.  16  spricht  im  Hinblick  auf  das 
ehelich«  Güterrecht  des  Ssp.  von  einer  Auflassung  der  Gewere  zu  rechter 
Vormundschaft  an  den  Ehemann  seitens  des  bisherigen  Alters-  oder  Ge- 
schlechtsvonmindcs  der  Braut.  Es  ist  dies  wohl  unter  dem  Eindruck  der 
beiden  von  Agricola  S.  193  angeführten  Quellenzeugnisse  geschehen.  Von 
diesen  gehört  das  eine,  eine  Stelle  des  Mühlhituser  Stadtrechts,  dem  Reehts- 
gebiet  des  sächsischen  Güterrechts  nicht  an;  das  andere  ist  dem  Rigischen 
Ritterrecht  entnommen,  entladt  aber  wohl  eine  rigischc  Besonderheit,  da  sonst 
in  sächsischen  Quellen  eine  Auflassung  der  vormundschaftlichen  Befugnisse 
nirgends  erwähnt  wird. 

a)  So  charakterisieren  die  Trauung  Sohm,  Eheschi icUung  S.  91;  Fr. 
v.  Wyss,  Zcitschr.  f.  schweizerisches  Recht  XX  S.  98:  Habicht,  Ver- 
lobung S.  72. 

3)  Das  Gleiche  gilt,  wenn  die  Ehegatten  statt  auf  dem  Gut  des  Mannes 
auf  einem  der  Frau  gehörigen  Grundstück  Wohnung  nehmen  (vgl.  Wassersrh- 
lebcn  II  S.  139  c.  10:  „Hans  Roll',  jwe  man  zeliger  do  gy  en  in  jwe  guder 
tnr  che  geuamen":  Wasserschieben  I S.  202  c.  62:  „Ich  habe  eine  haws- 
frawe  genomen  zeu  der  ich  czocfy  yn  ir  gut  yn  haws  und  holt  undo  undir- 
wand  mich  allis  das  sie  hatte“).  Auch  in  diesem  Fall  erwirbt  der  Mann 
au  den  der  Frau  gehörigen  Sachen,  wenigstens  soweit  sie  sich  auf  ihrem 
Grundstück  befinden,  ohne  Weiteres  die  Gewere. 


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In  der  Regel  erlangt  eben  der  ostfiilische  Rauer  am  Hochzeits- 
tag über  alle  Sachen  seiner  Frau  die  tatsächliche  Gewalt ').  Der 
Fall,  daß  Sachen,  die  sich  in  der  Gewere  eines  Dritten  befinden, 
daß  Außenstände  und  Liegenschaften  zum  eingebrachten  Gut  ge- 
hören, ist  in  Ssp.  I 31  § 2 nicht  besonders  berücksichtigt.  Daher 
ist  es  verkehrt,  wenn  man  auf  diese  Stelle  des  Ssp.  die  Vor- 
stellung einer  ipso  iure  eintretenden  Gewere  an  der  Universitas 
des  Frauengutes*)  und  ähnliche  Ideen  gründet.  Derartiges  erklärt 
sich  immer  wieder  aus  dem  Wahn,  ohne  Gewere  sei  ein  Recht 
an  Dingen  unmöglich. 

Nicht  für  alle  Teile  des  Frauengutes  ist  die  Ansicht,  daß  mit 
der  Trauung  das  Ehegüterrecht  beginne,  anerkannt.  Es  wird  be- 
hauptet, daß  die  eingebrachte  Fahrnis,  soweit  sie  nicht  aus 
Geradesachen  besteht,  also  die  sogenannte  Ungerade,  erst  dadurch 
dem  dinglichen  Rechte  des  Mannes  unterworfen  werde,  daß  dieser 
sie  in  seine  Gewere  nehme.  Wir  lernen  damit  diese  Gewere  in 
einer  neuen  Bedeutung  kennen,  als  angeblichen  Faktor  für  die 
Entstehung  des  ehemännlichen  Rechtes  am  Frauengut.  Richtig 
ist  an  dieser  Auffassung  wohl  nur,  daß  nach  magdeburger  Recht 
zur  Begründung  des  ehemännlichen  Verwaltungs-  und  Nutznießungs- 


*)  Vgl.  Behrend,  Stendaler  Urteilsbuch  8.  52  f.:  .Nach  dem  Ssp.  wird 
der  Mann  Vormund  seiner  Frau  und  zwar  im  Augenblick  der  Eheschließung 

selbst Als  eine  selbstverständliche  Folge  des  eheniännlichcn 

Mnndiums  sieht  es  der  Ssp.  an,  daß  der  Mann  das  gesamte  Frauengut  in 

seine  Gewere  nimmt Unter  Gewere  ist  hier  der  körperliche  Besitz  zu 

verstehen.  Der  Sinn  des  Ssp.  kann  demnach  nicht  der  sein,  daß  schon  durch 
die  Ehe  an  sich  eine  Gewere  des  Mannes  an  den  der  Frau  gehörigen  Gegen- 
ständen begründet  werde:  vielmehr  ist  hierzu  immer  noch  die  wirkliche 
Besitzergreifung  erforderlich“.  Ferner  Behre  S.  5G:  .In  der  Hegel  wird  die 
llesitznbertragung  mit  der  Trauung,  dem  Eheschluß  zusainniengcfallcn  sein, 
da  es  nur  natürlich  war,  daß  die  Eltern  der  Braut  zugleich  mit  ihrer  Tochter 
auch  die  Ausstattung  dem  Manne  anvertrauten.  Prinzipiell  aber  ist  beides 
scharf  auseinander  zu  halten,  das  Werden  der  Ausstattung  zum  eingebrachten 
Gut  und  das  Kommen  der  Ausstattung  in  des  Mannes  Gewere“. 

*)  Besonders  Köhler,  Jahrb.  f.  Dngm.  XXIV  8.  201  No.  4 betont, 
welch  große  und  verderbliche  Holle  auf  dem  Gebiete  des  ehelichen  Güter- 
rechts der  Begriff  der  Gesamtsache  gespielt  habe.  M old  aber  ist  es  haltbar, 
wenn  Gierke,  I>PK.  11  S,  183  Nu.  27.  nachdem  der  Mann  an  den  einzelnen 
eingebrachten  Sachen  Gewere  erlangt  hat,  von  einer  Gewere  des  Mannes  an 
dem  Inbegriff  der  fraulichen  Fahrnis  spricht. 


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ß3 

rechtes  ein  besonderer  Illationswille  auf  Seiten  der  Ehefrau  er- 
fordert wurde,  und  dali  die  Erklärung  dieses  Illationswillens,  so- 
weit es  sich  um  Fahrnis  handelte,  durch  Besitzübertragung  erfolgt. 
Rechtsbegründend  war  also  nicht  der  Erwerb  der  Gewere  — welche 
der  Mann  unter  Umständen,  nämlich  wenn  es  sich  um  Sachen 
handelte,  die  sich  im  Besitz  eines  Dritten  befanden,  auch  zufällig, 
auch  gegen  den  Willen  der  Frau  erlangen  konnte  — sondern  die 
von  der  Ehefrau  vorgenommene  Rechtshandlung,  die  an  die  Form 
der  Gewereübertragung  gebundene  Illationserklärung.  Im  einzelnen 
gehen  die  Ansichten  über  das  Schicksal  der  eingebrachten  Ungerade 
auseinander1):  Albrecht2)  und  Schröder3)  lassen  sie  mit  der 
Eheschließung  in  des  Mannes  Eigentum  übergehen.  Die  Fassung 
von  Ssp.  I Hl  § 2 

„Svenne  en  man  wif  nimt,  so  nimt  he  in  sine  gewere  al 
ir  gut  to  rechter  vormuntseap“ 

steht  dem  nicht  entgegen , denn  mit  dem  ehemännlichen  Vor- 
mundschaftsrecht über  das  Vermögen  — al  ir  gut  — der  Frau 
ist  ein  Eigentum  an  einzelnen  Bestandteilen  dieses  Vermögens 


')  Insbesondere  streitet  man,  ob  nicht  die  Illationsabsicht  präsumicrt 
zu  werden  pflegte  und  eine  besondere  Rechtshandlung  der  Frau  nötig  gewesen 
sei.  nicht  um  die  Ungerade  einzubringen,  sondern  um  sie  sich  als  .Sondergut 
vorzubehalten:  ferner  ob  die  Regelung  im  I.andrecht  und  im  Stadtreeht  die 
gleiche  gewesen  sei:  ob  eingebrachtes  Held  ebenso  behandelt  worden  sei  wie  die 
übrige  Ungerade.  Hehre  S.  92  No.  1,  S.  101  stellt  die  Ansicht  auf,  daß  der 
Ehemann  kraft  Rechtssatzes  Eigentümer  der  Mitgift  werde,  wenn  sie  der 
Frau  schon  vor  der  Trauung  gehörte,  dagegen  kraft  Rechtsgeschäftcs,  kraft 
dinglichen  Übertragungsvertrages,  wenn  dies  nicht  der  Fall  war.  Im  übrigen 
ist  die  Hehandlung  dieser  Fragen  ans  der  bisherigen  Literatur  bekannt, 
vgl.  besonders  Agricola  S.  222-233. 

*)  Gewere  S.  262  IT. 

3)  Gesch.  d.  chcl.  Gfitcrr.  II  3 S.  320 ff.  Das  von  Hehre  S.  50  für 
das  Eigentum  des  Mannes  an  der  Ungerade  aus  Ssp.  1 12  entnommene  Argu- 
ment halte  ich  nicht  für  durchgreifend.  Hereits  Schroeder  a.  a.  0.  S.  8 
No.  18  bemerkt,  daß  unter  Umständen  schon  durch  das  bloße  Zusammen- 
bringen beweglicher  Sachen  in  eine  auf  demselben  Hof  gemeinschaftlich 
geführte  Wirtschaft  eine  wirkliche  Verschmelzung  von  Mobiliarvermögen  ein- 
treten  kann.  Ssp.  1 12  ist  also  aus  dem  Restreben,  die  mißverständliche 
Annahme  einer  solchen  Verschmelzung  auszuschließen,  ohne  weiteres  ver- 
ständlich 


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64_ 

wohl  vereinbar1).  Allerdings  wird  in  einem  Schöffenspruch  bei 
Friese-Liesegang  S.  542  Nr.  97  von  dem  zum  eingebrachten  Gut 
gehörigen  Geld  gesagt,  daß  es  sich  in  der  Vormundschaft  des 
Ehemannes  befinde: 

„Margaretha  von  Heszeler,  des  gnanten  Ulrich  Phonchs 

selgin  wertynne,  had  dorczu  geantwert,  das Ponch  ir 

wert  seligin,  das  geld  in  formundeschaft  gehabit  had  von 
irem  wegin“, 

aber  damit  ist  vielleicht  nicht  mehr  gemeint,  als  daß  das  Geld 
zu  dem  in  der  Vormundschaft  des  Mannes  befindlichen  Vermögen 
gehört.  Auch  die  folgenden  Worte  der  eben  erwähnten  Ssp. -Stelle 
sind  nicht  entscheidend: 

„dar  umme  ne  mach  nen  wit  ireme  manne  nene  gaven 
geven  an  inne  egene,  noch  an  irer  varende  liave  dar  se't 
iren  rechten  erven  inede  veme  na  irme  dode;  wende  die 
man  ne  mach  an  sines  wives  gude  nene  andere  were  ge- 
winnen, wen  alse  he  to  dem  irsten  mit  ire  untvieng 
in  vormuntscap“. 

Die  Schlußworte  sind  insofern  nicht  entscheidend,  als  die 
vorhergehenden  Worte  „dar  se’t  iren  rechten  erven  mede  verne  na 
irme  dode“  zeigen,  daß  der  Frau  nur  solche  Gaben  untersagt 


')  Anderer  Ansicht  anscheinend  dir  jüngere  Glosse  zu  Ssp.  1 31 : 
„Merke  euch  das  vil  lute  dissen  articiilmn  vbil  vorslehen,  Neinoliche  den  § 
Wenne  meinen  vil  lute  niete  das  die  trau  wen  alle  ire  varnde  habe  vnd 
nietegift  noch  ires  lnannes  tode  widder  Meinen  das  der  man  in  deine  gute 
nicht  en  habe,  wenne  evne  Vormundeschaft  von  des  wibcs  wegen.  Das  vor- 
nym  recht  dissen  §.  Der  man  njmpt  der  frauwen  metegift  an 
gereytem  gelde  nicht  czn  vo r uni  ndcsch a f t.  Sünder  si  gibbit  is  ym 
doriunbe  das  er  ir  widder  eine  statiingc  thun  miisz  an  morgengabe"  — vgl. 
lieh  re  S.  03  No.  2 — „vnd  an  lipczucht,  Abir  gerade  eigen  vnd  lipgedinge 

der  frauwen  nympt  der  man  in  vormundcschaft Also  man  findet  in 

dissem  selben  arti.  wer  is  merken  wil,  daz  die  frauwen  ire  melhegiflt  nicht 
widdemcnien1'  (basier  Druck  v.  H74).  Das  Schicksal  der  nicht  aus  Geld 
bestehenden  Ungerade  bleibt  hier  wie  in  vielen  ähnlichen  Fällen  unerörtert. 
Kür  unsere  Ansicht  bietet  ein  Analogon  aus  dem  modernen  ltecht  der  Nieß- 
brauch an  einem  Vermögen.  Die  zu  dem  Vermögen  gehörigen  verbrauchbaren 
Sachen  sind  Eigentum  des  Nießbrauchers  (§  1007  des  bürgerlichen  Gesetz- 
buchs). 


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r,5 


sind,  welche  das  Recht  ihrer  Erben  beeinträchtigen  würden.  Hei 
der  Ungerade  ist  dies  nicht  der  Fall,  da  sie  bei  Auflösung  der 
Ehe  dem  Manne  beziehungsweise  seinen  Erben  verbleibt.  Mithin 
ist  wohl  möglich,  daß  mit  den  Worten  „noch  an  irer  varende 
have“  nur  die  Gerade  gemeint  ist1).  Auch  einige  Quellonzeug- 
nisse  lassen  sich  zu  Gunsten  dieser  Interpretation  beibringen;  in 
codd.  Hom.  289,  290  und  292  lautet  die  Ssp.-Stelle: 

„Daeroin  so  en  mach  gheen  wijff  hören  man  enighe  gaven 
gheven  an  hören  eyghenen  goede  noch  oec  aen  gherade, 
daer  si  dat  goet  hären  rechten  erven  mede  onterven  mach 
na  hoorre  doot“, 

und  die  Glosse  bemerkt  zu  Ssp.  I Hl  § 2: 

„Ouch  sagit  er  hie  sie  enmogen  iren  mannen  ire  varnde 
habe  nicht  geben,  do  meynt  er  die  gerade  mete“  ’). 

Die  eben  erörterte,  Ansicht,  daß  der  Mann  mit  der  Trauung 
Eigentümer  der  fraulichen  Ungerade  werde,  hat  Belire  neuerdings 
in  interessanter  Weise  modifiziert.  Kr  geht  davon  aus,  daß  das 
Schicksal  der  fraulichen  Ungerade  im  Landrecht  und  im  magde- 
burger  Recht  das  gleiche  gewesen  sei3).  Nach  Landrecht  wie 
nach  Stadtrecht  habe  der  Mann  ipso  iure  mit  der  Trauung  das 
Verwaltung*-  und  Nutznießungsrecht  wie  über  das  andere  Ver- 
mögen der  Frau  so  auch  über  ihre  Ungerade  erlangt  (S.  55).  Dies 
Verwaltungs-  und  Nutznießungsrecht  „gab  dem  Manne  in  erster 
Linie  die  Befugnis,  das  eingebrachte  Gut  der  Frau  in  seine  gewere 


*)  So  Albrccbt,  Gewere  8.266;  Kraut,  Vormundschaft  II  S.  428: 
Schröder,  Oesch.  d.  ehel.  Gnterr.  113  S.  372  f.:  Hcusler,  Inst.  II  S.31H). 

*)  Basler  Bruck  v.  1874  u.  a.  Jüngere  Ausgaben,  so  die  Zobcl’schc 
v.  1535,  bringen  außerdem  an  dieser  Stelle  die  Marginalbemerkung  .Die 
fraw  mag  y rvni  manne  die  gerade  nicht  geben“.  In  Widerspruch  hierzu  stellt 
eine  Bemerkung  in  der  Wurm’schen  Glosse  (Berlin  Kgl.  Bibi.  Ms.  genn. 
fol.  434!  Bl.  66):  „Von  der  andern  gäbe“  — nachdem  die  Gabe  aus  Ssp.  I 31 
§ 1 Satz  2 erörtert  ist  — „do  er  hi  von  spricht  Di  ist  absy  irm  manne  an 
irem  eigen  und  an  irer  uarender  habe,  daz  ist  auch  an  irer  gerade  und 
an  irem  kistengewande“. 

3)  So  besonders  S.  112  No.  1.  Übrigens  spricht  Beb  re  versehentlich 
davon,  dal!  Martitz  eine  von  Behrend  aufgestellte  Theorie  übernommen 
hätte.  Das  Buch  von  Martitz  ist  früher  als  das  von  Behrend  erschienen, 
vgl.  die  zahlreichen  Martitzsehen  t'itate  mul  die  Note  zu  S.  52  bei  Behrend. 

Kiesel,  tiewere  ,J 


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zu  nehmen Dadurch,  daß  sich  der  Besitz  zu  dem,  bereits 

mit  der  Trauung  dem  Manne  angefallenen,  freien  Verfügungsrecht 
über  die  Ungerade  gesellte , erhielt  der  Mann  dieser  gegenüber 
eine  Rechtsstellung,  die  sich  praktisch  von  der  eines  Eigentümers 
in  nichts  unterschied“  (S.  ü(5,  f>7).  Ich  vermag  einen  Unterschied 
zwischen  der  Rechtsstellung,  welche  der  Mann  vor  Erlangung 
und  derjenigen,  welche  er  nach  Erlangung  der  (lewere  gegenüber 
der  eingebrachten  Ungerade  hat,  nicht  zu  sehen;  wenn  nach  Er- 
langung der  (lewere  seine  Rechtsstellung  sich  von  der  eines  be- 
sitzenden Eigentümers  praktisch  in  nichts  unterschied,  so  unter- 
schied sie  vor  Erlangung  der  (lewere  praktisch  sich  in  nichts  von 
der  des  nichtbesitzenden  Eigentümers.  Auch  kann  ich  keinen 
Unterschied  entdecken  in  der  Rechtsstellung,  welche  der  Mann 
gegenüber  der  in  seiner  Gewere  befindlichen  Gerade  und  der  in 
seiner  Gewere  befindlichen  Ungerade  einnimmt1).  Abgesehen 
freilich  von  dem  sogenannten  Mobiliarerbrecht  des  Ehemannes  und 
seiner  Verwandten,  welches  nur  an  der  Ungerade  besteht.  Die 
Magdeburger  Schöllen  machen  allerdings  dies  Mobiliarrecht  in 
unzähligen  Schöffensprüchen  davon  abhängig,  daß  der  Ehemann 
die  Gewere  an  der  Ungerade  erlangt  hat-),  ob  aber  dieser  Grundsatz 
den  Anschauungen  des  Landrechts  entspricht,  ist  zum  mindesten 
zweifelhaft3).  In  der  jüngeren  Glosse  zu  Ssp.  I dl  (Zobel sehe 


•)  Man  denke  nur  daran,  daß  der  Mann  zu  tatsächlichen  Verwaltungs- 
handlungen berechtigt  ist,  welche  einem  eingebrachten  Geradestück  den 
Geradecharakter  nehmen,  es  also  seinem  Mnbiliarerbrccht  unterwerfen,  vgl. 
Priese- Liesegang  S.  043  Nr.  16(1:  „so  darf  Haus  Wuchenschnch  soten 

silberwcrgk  das  by  sines  wybes  wolmarht  verändert  und  verwandelt  ist. 
uwer  elichen  huszfrauwen,  «rer  techter,  zu  gerade  nicht  geben  nach 
volgen  laszen“. 

s'  llelireud  S.  53:  „Der  eigentliche  Grund  für  die  Hechte  des  Mannes 
in  bezug  auf  das  Frauengut  ist  nach  dem  Ssp.  immer  die  Ehe  selbst  . . . . 
Nur  soweit  besondere  Rechte  von  der  Gewere  abhitngen,  wie  z.  1!.  das 
Hecht  des  Mannes  auf  die  fahrende  Habe  bei  Auflösung  der  Ehe,  muß  der 
körperliche  Besitz  hinzukommen. 

3)  Ich  befinde  mich  hier  im  Gegensatz  zu  der  herrschenden  Ansicht, 
vgl.  Agricela  S.  030:  „Das  Mobiliarrceht  des  Mannes  ist  nur  eine 
Konsequenz  seiner  Gewere  am  Frauengut  und  füllt  mit  dieser  hinweg“; 
Marti!  z S.  255  ff.:  „das  sächsische  Stadtrecht  macht  das  Erbrecht  des 
Mannes  davon  abhängig,  daß  er  die  Fahrnis  der  Frau  in  seine  Gewere 
gebracht“. 

I 


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G7 


Ausg.  v.  1614  Sp.  312)  wird  ausdrücklich  der  entgegengesetzte 
Grundsatz  ausgesprochen: 

„Si  tarnen  uxor  talibus  mobilibus  sola  pro  se  usa  fuisset1), 
suut  qui  putent,  illa  quoque  post  suum  obitum  non  ad 
maritum  sed  haeredem  proximiorem  transmitti.  Ita  aliquando 
D.  Henningum  consuluisse  dicunt  per  text.  art.  76  infr.  lib.  3. 
Licet  falsum  hoc  esse  vel  ex  vetcri  quodam  exemplari  apparct, 
quod  in  hac  urbe  Lipsia  in  bibliotheca  Paulina  reservatur, 
in  quo  glossae  itoc  insertum  non  est,  neque  etiam  id  in 
practica  attenditur  d.  art.  76  lib.  3 ut  qui  directe  con- 
trarium  dicit,  scilicet  quod  maritus  post  mortem  suae  uxoris 
indistincte  omnia  bona  mobilia  consequatur“. 

Es  ist  ja  ein  alter  Streit,  ob  das  Mobiliarrecht  des  Ehemannes 
und  seiner  Erben  auf  die  von  der  Frau  eingebrachte  Ungerade 
wirklich  ein  Erbrecht,  eine  erbrechtliche  Wirkung  des  Güterstandes, 
ob  es  ein  eherechtlicher  Anspruch  ist,  oder  ob  es  sich  daraus  er- 
klärt, daß  der  Ehemann  schon  wahrend  der  Ehe  Eigentümer  ge- 
worden ist.  Die  Juristen  des  Mittelalters  sind  sich  dieser  Frage 
garnicht  bewußt  geworden,  und  daher  ist  es  nicht  verwunderlich, 
wenn  für  jede  der  eben  genannten  Möglichkeiten  Quellenzeugnisse 
sich  anführen  lassen: 

Wasserschieben  I S.  346  c.  194: 

„die  czwu  kuhe,  gereith  geld  und  ander  farnde  habe,  die 
ezu  gerade  nicht  gehört,  die  noch  der  frauwin  tode  blebin 
ist,  had  die  verstorbene  frauwe  mit  merem  rechte  u(T  iren 
elichin  man  geerbit,  denn  uff  iren  bruder“’). 


•)  Es  handelt  sich  also  um  Vorbchaltsgut,  um  Gut,  welches  nicht  in 
die  Gewcrc  des  Mannes  gekommen  ist 

*)  Behrc  legt  sonst  alle  Quellcnzcugnissc  mit  peinlichster  Akribie 
aus  (vgl.  z.  H.  S.  40:  „Jewelk  wif  orft  diese  Hude,  die  Kade  muß  also  des 
Weibes  Eigentum  gewesen  sein“).  Um  so  auffallender  ist  es,  daß  er  S.  53 
gerade  diesen  Dresdener  Schiifl'enspruch,  der  von  der  Vererbung  der  ein- 
gebraehten  Ungerade  auf  den  Ehemann  spricht,  als  Argument  dafür  beibringt, 
daß  „die  Ungerade,  welche  die  Frau  in  die  Ehe  einbringt,  wenn  und  sobald 
sie  der  Mann  in  seine  (lewere  nimmt,  in  des  Mannes  Eigentum  übergegangen 
ist“  (S.  4ß).  Bereits  Agrieola  S.  228  bat  den  Sehöffensprueh  in  unserm 
Sinne  verwendet. 


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«8 


Schüflenspruch  in  der  Zobel  sollen  Weichbild-  und  Lehnrechts- 
ausgabe von  1557  Bl.  128: 

„Wo  der  erbteil,  den  jm  sein  Schwager  mit  dem  weihe, 
seiner  Schwester,  gegeben,  an  barschafft,  oder  andern  farenden 
habe  gewere,  so  were  das  aus  krafft  der  Ehe  sein,  als 
des  mannes  eigen  gut  geworden  ....  ander  farende  habe, 
die  nicht  zu  der  Gerade  gehoert,  bleibt  jme  aus  krafft 
der  ehe  billich“. 

Gewiß  sind  dies  keine  zwingenden  Argumente,  aber  ebenso 
wenig  sind  das  die  von  Behre  S.  (!()  angeführten  Schöft'ensprüehe, 
aus  denen  „klipp  und  klar“  hervorgehen  soll,  daß  der  Ehemann 
schon  zu  Lebzeiten  der  Frau  Eigentümer  der  eingebrachten  Un- 
gerade werde.  „Welch  gut  unde  varnde  habe  die  vrouwe  czu  iren 
manne  brachte,  daz  ire  waz,  daz  was  des  mannes,  unde  daz  er 
brachte  uff  seine  erbin“,  mit  solchen  Stellen  laßt  sich  Eigentum 
des  Mannes  nicht  nach  weisen.  „Die  Sache  ist  mein“  kann  be- 
deuten „ich  habe  ein  dingliches  Recht  an  der  Sache“  oder  „die 
Sache  gebührt  mir“  zuweilen  besagt  es  auch  nur  „die  Sache  ist 
in  meinem  Besitz  gewesen“  ').  Ein  technischer  Ausdruck  für  „ich 
bin  Eigentümer  der  Sache  “ ist  es  nach  dem  Sprachgebrauch 
unserer  Quellen  nicht.  Außerdem  stehen  der  von  Behre  gegebenen 
Interpretation  Stellen  wie  Ssp.  III  76  § 2 

„stirft  dat  wif,  die  man  behalt  al  des  wives  recht  in 
der  varender  liave,  sunder  dat  gebu  unde  sunder  die  rade“ 

strikt  entgegen.  Die  Bemerkung  von  Behre  S.  48: 

„Diese  Wortfassung,  die  an  und  für  sich  betrachtet  zu 
dem  Schlüsse  führen  könnte,  daß  die  Ungerade  bis  zur  Auf- 
lösung der  Ehe  im  Eigentum  der  Frau  geblieben  sei,  ist 
lediglich  aus  äußeren  Gründen  gewählt;  denn  so  konnte  das 
Schicksal  der  dem  Manne  angefallenen  Ungerade  und  der 
der  Ehefrau  verbliebenen  Ausstattungsgerade  in  demselben 

')  Ks  braucht  nur  an  die  Fahrnisklage  erinnert  zu  worden,  bei  welcher 
vom  Kläger  der  Beweis  „dat  dat  gut  ayn  kv“  verlangt  wird.  Bekanntlich 
ist  damit  nicht  der  Kigcntuinanachwois.  sondern  nur  der  Identitätsnachweis 
gemeint,  vgl.  Lnband.  Vermögensrecht! ielm  Klagen  S.  II IS  IT.  und  Herbert 
Meyer.  Kiitwcrung  und  Eigentum  im  deutschen  Kahrnisreeht  S.  1-ltT. 


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69 

Satze  mit  dem  denkbar  geringsten  Aufwand  von  Worten 
dargestellt  werden* 

läßt  sich  hören,  aber  überzeugend  ist  sie  nicht.  Viel  besser  wird 
eine  Remerkung,  wie  etwa  Haenel  in  der  Zeitschrift  für  Rechts- 
geschichte I S.  287  sie  macht,  dem  Geist  unserer  Quellen  gerecht: 

„Wollen  wir  auch  ganz  absehen  von  der  Streitfrage,  in- 
wiefern etwa  die  fahrende  Habe  der  Frau  in  das  Eigentum 
des  Mannes  übergehe,  so  wirkt  doch  das  freie  Verfügungs- 
recht über  sie  so  viel,  daß  es  eines  scharfen  juristischen 
Hinsehens  bedarf,  um  im  Tode  der  Frau  einen  neuen  Erwerbs- 
titel zu  erkennen.  Daher  charakterisiert  der  Ssp.  selbst 
diesen  Vorteil  nicht  als  Erbrecht,  sondern  als  ein  Zurück- 
behalten, Unberührtlassen:  se  ne  erft  nene  varende 
have  wenne  rade  unde  egen  in  den  nesten“. 

Gerade  im  Eherecht,  wo  ethische  Momente  mehr  als  auf 
anderen  Gebieten  mitsprechen,  ist  das  Fehlen  straffer  Formulierung 
der  Rechtsbegriffe  verständlich.  Wie  Eike  bei  der  Aufweichung 
des  ostfälischen  Gewohnheitsrechtes  diesen  Mangel  nicht  empfand, 
so  hat  auch  die  Praxis  der  Schöffenrechtsprechung,  ihre  Sicher- 
heit, ihre  Zuverlässigkeit,  unter  diesem  Mangel  nicht  gelitten. 
Nur  in  der  modernen  wissenschaftlichen  Darstellung  des  sächsischen 
Ehegüterrechtssystems  macht  er  sieh  bemerkbar,  aber  das  wahrlich 
darf  uns  nicht  verleiten,  diesem  System,  wie  es  „unausgesprochen“ 
in  unsem  Vorvätern  lebte,  inneren  Halt  abzusprechen.  Die  skep- 
tischen Schlußfolgerungen,  zu  denen  Martitz  gelangt,  werden 
heute  nicht  mehr  gebilligt.  Zum  Teil  erklären  auch  sie  sich  aus 
der  unklaren  Überschätzung  der  Gewere  des  Mannes  am  Frauengut. 


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70 


Zweiter  Abschnitt. 

Verfügungsbeschränkung  der  Ehefrau. 

I. 

Die  Ehefrau  bedarf  zur  Verfügung  über  eingebrachtes  (iut 
der  Zustimmung  ihres  Mannes.  Dies  soll  in  der  Gewere  des 
Mnnes  seinen  Grund  haben'),  wie  unter  andern  aus  Ssp.  I 45 
§ : 2 „durch  dat  he  mit  ir  in  den  geweren  sit“  hervorgehe. 

Es  sei  demgegenüber  auf  unsere  früheren  Erörterungen  über 
Ssp.  I 45  § 2 und  I 31  § 2 sowie  auf  die  treffenden  Ausführungen 
von  Bar*)  und  B ehrend3)  verwiesen.  Erwähnenswert  ist  noch 

l)  Vgl.  Martitz  S.  258:  .Der  Ssp.  läßt  als  oberste  Folge  der  ohe- 
lnännlichen  Gewere  eine  Beschränkung  der  Verfngungsfrciheit  der  Frau  cin- 
treton“:  Agricola  S.  105  f. : Zweifelhaft  und  bestritten  sei,  „ob  demjenigen 
der  dingliche  Klagschutz  gebührt,  welchem  ein  Grundstück  von  dem  Eigen- 
tümer etc.  zwar  übertragen,  aber  nicht  zu  einem  dinglichen  Recht  und  darum 
nicht  in  Form  der  Auflassung  übertragen  worden  ist.  Ich  glaube,  daß  in 
diesem  Falle  der  Besitz  dem  Erwerber  einen  selbständigen  Klagschutz  auch 
gegen  Dritte  wenigstens  insoweit  verleiht,  als  sein  Kecht  durch  spätere 

Dispositionen  des  Eigentümers  selbst  beeinträchtigt  wird Eine  ganz 

schlagende  Bestätigung  erhält  jenes  Princip  gerade  im  ehelichen  Güterrecht, 
wo  des  Mannes  Kecht  zur  Bevocation  einseitiger  Veräußerungen  von  Grund- 
stücken der  Frau  ganz  ausdrücklich  auf  seine  Gewore  an  denselben  basiert 
wird,  und  diese  doch  ohne  Auflassung  von  ihm  erworben  ist“  (S.  107  No.  14). 
„Darin,  daß  unsere  ljuellcn  dcui  Ehemauno  ausdrücklich  den  bloßen 
Besitz  zusprechen,  und  dennoch  auf  diesen  seinen  Besitz  das  Kecht  zum 
Widerspruch  gegen  einseitige  Dispositionen  der  Frau  und  die  Geltend- 
machung desselben  auch  gegen  Dritte  stützen,  liegt  ein  neuer  Beweis  für 
den  oben  S.  107  Nu.  14  aufgestellten  allgemeinen  Satz  über  die  Gewere* 
(S.  140  No.  10).  An  anderer  Stelle  wieder  sagt  Agricola  von  dem  Wider- 
spruchsrecht  des  Mannes  gegen  eigenmächtige  Verfügungen  der  Frau:  „Die 
Zurückffihrung  jenes  Rechts  auf  seine  Gewere  bedeutet  eben  nur  die  Rück- 
führung auf  seine  vormundschaftliche  Gewere.  Daß  die  Gewere  als  solche 
dies  Recht  nicht  involviert,  geht  schon  zur  Genüge  daraus  hervor,  daß  die 
Frau  ja  auch  die  Gewere“  (!),  „keineswegs  aber  (bei  Mobilien)  jenes  Recht 
dem  Manne  gegenüber  hat“  (S.  178  No.  11a).  Daß  Agricola  hier  wieder 
die  vormundschaftliche  Gewere  der  Gewere  „als  solcher*  vorzieht,  stimmt 
schlecht  dazu,  daß  er  an  anderer  Stelle,  vgl.  oben  S.  51.  die  ehemännliche 
Gewere  als  „rein  faktischen  Besitz“  charakterisiert. 

*)  Beweisurteil  8.  202. 

3)  Stendaler  Urteilsbuch  aus  dein  14.  Jahrh.  S.  53. 


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71 


die  Umbildung,  welche  Ssp.  I 31  in  der  Weichbildglosse  'j  er- 
fahre» hat: 

„Ouch  so  mag  eyn  wip  ane  ires  Vormunden  wille  widir 
ires  gutis  vorgebin,  noch  gelobin,  noch  vorknuffen,  noch  vor- 
sezin,  noch  Vorkammern,  ane  ires  mannes  loube,  das  er  is 
durch  recht^  dulden  durfTe;  unde  dis  ist  darummc  das 
sie  mit  eynander  ungezweite  gutere  haben“. 

Auch  Quellenstellen  wie  Blume  von  Magdeburg  II  '1  c.  140: 

„Kein  weip  mag  irs  gutis,  daz  ir  man  mit  ir  in  uor- 
muntschaft  intpfangin  hab,  nicht  uorgebin  on  irs  mans  laube“ 

lassen  nicht  erkennen,  daß  die  Gewere  des  Mannes  Grund  oder 
Voraussetzung  der  Dispositionsbeschränkung  der  Ehefrau  ist.  Die 
Dispositionsbesclminkung  tritt  vielmehr  ipso  iure  mit  dem  Abschluß 
der  Ehe  ein  und  besteht  auch  in  Ansehung  derjenigen  Bestand- 
teile des  eingebrachten  Gutes,  welche  sich  in  der  Gewere  dritter 
Personen  befinden.  Beispielsweise  ist  ehemännliche  Einwilligung 
erforderlich,  wenn  die  Frau  auf  Niftelgerade,  welche  ihr  ange- 
fallen ist,  sieh  aber  noch  im  Nachlaß  befindet,  verzichten  will. 
So  beruft  sich  in  dem  Rechtsfall  bei  Friese- Liesegang  S.  515 
Nr.  7!)  der  Vater  der  Frau  auf  den  von  ihr  erklärten  Verzicht 
mit  den  Worten: 

„was  er  gerade  behalden  had,  das  habe  er  gethan  mit 
der  Tochter  willin  unde  eres  elichin  Vormunden“*). 

■)  Ausgabe  von  Daniela-Qrubcn  Sp.  313  Z.  52  ff.  Die  Bedeutung 
des  Begriffes  „Ungczwcithcit“  kommt  in  dieser  Stelle  7.u  prägnantem  und 
korrektem  Ausdruck.  Ähnlich  im  Aufsatz  von  der  Beweisung  um  Lehn  und 
Leibzucht  bei  Home^-er  Ssp.  II  I.  S.  366:  .Doch  is  der  frouwen  gut  unde 
liftucht  in  ores  mannes  vorstendige  unde  herschapp,  alle  di  wilc  si  beide 
leven,  wente  man  unde  wif  nein  gctvcict  gut  hebben  mögen  bi 
orem  levcndc.  Woldemen  dat  di  man  also  an  sines  wifes  gude  di  her- 
schapp an  der  fruchtbrukingc  hebben  mach,  dat  is  doch  van  vormuntsehapp 
wegin. “ Auch  hier  wieder  kein  Wort  von  der  cbem&nnlichcn  Gewere  als  dem 
Grundprinzip  des  Ehegüterstandes.  Agricola  S.  126  f.  No.  1!)  freilich  sieht 
in  den  Worten  .vorstendinge  unde  herschapp“  eine  „Umschreibung  des 
technischen  Ausdruckes  Gewere“. 

*)  Im  Tenor  des  Schöffenspruches  wird  vom  Vater  nur  der  Beweis 
verlangt,  daß  die  Tochter  verzichtet  hat,  nicht  auch,  daß  zu  diesem  Yer- 


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72 

Auch  zur  Veräußerung  solcher  Vermögen  Subjekte,  welche  gar- 
niclit  Gegenstand  einer  Gewere  sein  können,  ist  Konsens  des 
Mannes  erforderlich.  Mag  ein  Verwandter  der  Ehefrau,  dessen 
nächste  Erbin  sie  ist,  sein  Grundstück  veräußern,  mag  ihre  ver- 
witwete Mutter  ihr  Leibzuchtsgut  aus  der  Were  lassen  wollen, 
stets  bedarf  die  Frau  zur  Erteilung  des  in  solchen  Fällen  von 
ihr  erforderten  Gelofs  der  ehemännlichen  Einwilligung1).  So  be- 
hauptet in  dem  Rechtsfall  bei  Wasserschieben  II  S.  73  ff. 
c.  337  die  Witwe  Kunnen  bei  der  Klage  auf  Gut,  welches  ihr 
von  ihrem  verstorbenen  Manne  vergabt  worden  sei,  daß  ihre 
Tochter  Grete  und  deren  Mann  die  Vergabung  bevollwortet 
hätten : 

„da  lief  Grete  unde  ere  man  ja  tho  gesecht“; 

Gretes  Mann  Claus  Wyggher  bestreitet  hierauf  prinzipaliter,  daß 
seine  Frau  den  Gelof,  eventuell,  daß  er  zu  diesem  Gclof  seine 
Zustimmung  erteilt  halte: 

„oft't  Grete  syn  wiff  ichtes  wat  bevulwordet  hadde  sunder 
synem  willen  unde  wytschop,  dat  scholc  machtlos  syn,  wente 
he  er  here  unde  Vormünder  ys8)“. 

II. 

Herbert  Meyer  hat  kürzlich  die  Frage  untersucht,  welches 
Rechtsmittel  dem  Ehemanne  zusteht , wenn  die  Frau  über  einge- 
brachte  Fahrnis,  welche  sich  in  seiner  Gewere  befindet,  ohne  sein 
Wissen  und  Wollen  verfügt.  Solche  Mobilien  gehören  zu  den 
„abgetragenen“  Sachen,  und  über  deren  Behandlung  im  sächsischen 


zieht  ihr  Ehemann  zugestimmt  hat.  Uieser  letztere  Beweis  wäre  auch  fiber- 
llfissig.  denn  es  ist  unstreitig,  <iaU  der  Ehemann  das  Anfechtungsrecht, 
welches  ihm,  falls  er  nicht  zugestimmt  hätte,  zustehen  würde,  nicht  aus- 
geübt  hat. 

■)  Vgl.  hierzu  Agricula  S.  23G  f.  Von  den  dort  No.  3 und  bei  Sjrdow, 
Ilarstellung  des  Erbrechts  nach  den  (Jrundsätzen  des  Ssp.  S.  207  angeführten 
Urkunden  gehört  leider  kaum  eine  dem  (ieltungsbereich  des  ostfälischen 
Ehegüterrechls  an. 

J)  l>cr  Tenor  des  SchöfTunspruuhes  bringt  nicht  mit  wünschenswerter 
1 teilt  lichkeit  zum  Ausdruck,  daU  die  Zustimmung  des  Ehemannes  erforder- 
lich ist. 


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73 


Landrecht  sagt  Meyer1):  „Die  Mehrzahl  der  deutschen  Rechte 
begnügt  sich  damit,  ohne  nähere  Begründung  einfach  die  Ane- 
fangbarkeit  des  abgetragenen  Gutes  festzusetzen“.  Als  Beweis 
hierfür  nennt  Meyer,  ebenso  wie  schon  vor  ihm  Hertz2),  Ssp.  III 
<i  § 1.  Die  Stelle  spricht  zwar  nur  von  dem  Knecht,  aber  man 
darf  sie,  darin  ist  Meyer  beizustimmen,  unbedenklich  auch  auf  die 
Ehefrau  und  andere  Familienmitglieder,  welche  eigenmächtig  die 
in  der  Gewere  des  Hausherrn  befindliche  Fahrnis  veräußern,  be- 
ziehen. Die  Ehefrau  ist  ja  auch  sonst  in  dem  Verhältnis  der 
Unterordnung  zum  Hausherrn  dem  Gesinde  gleichgestellt3),  und 
wenigstens  auf  die  Kinder  des  Hausherrn  wird  Ssp.  III  t!  § 1 schon 
in  der  Buch’ sehen  und  Wurm’ sehen  Glosse  ausgedehnt. 

Oh  dem  Hausherrn  zur  Wiedererlangung  abgetragener  Sachen 
nur  die  schlichte  Klage,  oder  ob  ihm  auch  die  Anefangsklage  zu- 
steht, geht  nun  aber  aus  Ssp.  III  (i  § 1 gar  nicht  hervor: 


*)  Entwcrimg  und  Eigentum  im  deutschen  Pahrnisrecht  S.  59.  Es 
heißt  allerdings  S.  71  f. : „Wenn  die  Ehefrau  ihres  Mannes  Gut  widerrecht- 
lich veräußert,  so  ist  cs  ihm  gewiß  ebenso  wider  Willen  aus  der  Wcrc  ge- 
kommen, wie  bei  Veräußerungen  durch  andere  Mitglieder  des  Hausstandes. 
Doch  scheint  hier  der  Anfang  auf  Grund  der  Entwerung  noch  weniger  all- 
gemein Eingang  gefunden  zu  haben,  als  bei  den  durch  den  Sohn  oder  Knecht 
veräußerten  Sachen“.  Aus  Ssp.  I 31  § 1 scheint  Meyer  dann  folgern  zu 
wollen,  daß  die  von  der  Ehefrau  veräußerten  Sachen  nicht  anefangbar  seien: 
wieso  das  aus  dieser  Stelle  hervorgehen  soll,  ist  mir  nicht  erklärlich.  Für 
das  spätere  sächsische  Landrecht  will  Meyer  anscheinend  die  Anefangbarkcit 
dieser  Sachen  vermuten,  vgl.  S.  74:  „cs  ist  von  den  betreffenden  Rechten 
anzunchmen,  daß  sie  nach  Aufkommen  des  Rechtssatzes  von  der  Anefang- 
barkcit aller  wider  Willen  verlorenen  Sachon,  auch  in  unserem  Falle  den 
Anefang  in  dritter  Hand  zuließen“. 

*)  Die  Rechtsverhältnisse  des  freien  Gesindes  S.  52:  „Die  Klage  kann 
schlicht  angestellt,  sie  kann  unter  Anefang  erhoben  werden“  (No.  4: 
Ssp.  III  6 § 1). 

3)  Ssp.  I 52  § 4 : Görlitzer  Landrecht  45  § 8.  Vgl.  Brunner  Schöffen- 
buch 277  (Rößler,  Deutsche  Rechtsdenkmäler  aus  Rühmen  und  Mähren  II 
S.  127):  „Si  mor  mariti  vel  fainulus  res  domini  eo  ignorante  vendiderit, 
dominus  venditionem,  si  ipsain  ratam  habere  nolucrit,  rovoeabit,  nec  unter 
vendentein,  quod  de  re  tali  euni  potentem  faciat,  cum  venditio  nulla  fuerit, 
coinpellere  poterit  via  juris“;  Westerwoldcr  Landrecht  XIII  § 9 (Rieht 
liefen,  Friesische  Rechtsquellen  S.  274):  „Van  voerspreken.  De  vader  mach 
spreken  vocr  syn  kinder,  een  man  voer  syn  wyf,  cn  een  heer  vocr  syn 
denstknecht  sonder  bevel“. 


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74 


„die  herre  mach  it  wol  weder  vorderen  mit  rechte,  deste  he 
sik  dar  to  tie  als  recht  is“; 

Nach  den  eignen  Worten  Meyers  S.  83,  daß  „für  die  Anefangs- 
klage  stets  das  Wort  anevangen  gebraucht  wird“,  muß  man  an- 
nehmen, daß  der  Hausherr  nur  die  schlichte  Klage  hat.  Johann 
von  Huch  hat  denn  auch  in  der  Glosse  zu  Ssp.  III  t!  § 1 die  Ane- 
l'angsklagc  für  unzulässig  erklärt: 

„Dy  here  mach  yd  wol  weder  vordem.  Wy  mach  yd  dv 

herre  weder  vorderen.  Eclike  seggen:  mit  anvange 

Grave  hoyer  van  valkensteyn  wolde  dat  man 

scholde  clagen  up  den  knecht Ik 

segge  yd  höret  tu  deine  anvange  nicht1).  Wan  wy 
wat  anvanget,  dy  mut  tugen  selff  drudde  dat  id  em  gestolen 
sy  odder  ave  gerovet,  videndum  1.  II  ar.  3(5.  Daromme  mach 
he  ncynen  anvang  dun,  he  durf  ok  vp  den  knecht  nicht 
clagen.  Wan  hir  steyt  he  möge  dat  perd  wol  weder 
vordem  met  rechte,  hir  steyt  nicht  dat  he  den 
knecht  beclagen  mach  met  rechte.  Wen  he  hed  des 
den  heren  weder  met  worden  odder  met  briuen  aff 
gelegen,  noch  dy  knecht  hed  em  nicht  geredet  noch 
met  worden  noch  met  briuen  noch  met  vulbort  weder 
tu  dunde.  vnd  darumme  sprekt  he  bilker  syn  ding 
an,  wan  he  svk  vorlyte  up  evneclage  up  den  knecht. 
Wan  uppet  ding  ys  dy  clage  wysser  wan  sy  up  den  Per- 
sonen sy  ff.  de  regulis  iuris  plus  cautionis“  (cod.  Horn.  30). 

Zu  der  durch  den  Druck  hervorgehobenen  zweiten  Hälfte  dieser 
Stelle  bemerkt  Meyer  S.  (51,  man  habe  versucht,  die  Vindizier- 
barkeit  abgetragener  Sachen  zu  erklären,  indem  man  von  dem 
Satze  Hand  wahre  Hand  ausging;  „so  bemüht  sich  schon  der 
Glossator,  nachzuweisen,  daß  dieser  Satz  hier  keine  Anwendung 
finden  könne,  weil  kein  Vertrag  mit  Rückfallgeding,  keine  commen- 
datio  vorliege“.  Meyer  nimmt  die  Äußerung  des  Johann  von 
Huch  wohl  etwas  zu  gewichtig.  Es  handelt  sich  doch  nur  um 
eine  beiläufige  Widerlegung  der  vereinzelten  Ansicht  des  jüngeren 2) 

')  Dieser  Passus  ist  an  der  von  Meyer  S.  S9  citierten  Stelle  (de  tiee’r 
11  S.  1 .'!!•)  abgedruckt. 

3)  Vgl.  Homcyer  Ssp.  3.  .Ausg.  S.  7 Note. 


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75 


Grafen  Hoyer  von  Falkcnstein,  welcher  den  geschädigten  Hausherrn 
auf  einen  Ersatzanspruch  gegen  den  ungetreuen  Hausgenossen 
beschränken  wollte.  Eigentlich  ergab  sich  ja  die  Vindizierbarkeit 
abgetragener  Sachen  von  selbst,  da  dem  veräußernden  Haus- 
genossen mit  der  Gewere  auch  die  Legitimation  zur  Veräußerung 
fehlte.  — 

Auf  Agricolas  Ansichten  brauchen  wir  an  dieser  Stelle 
kaum  einzugehen.  Mit  dem  vermeintlichen  besonderen  Rechts- 
inhalt der  Gewere  zu  rechter  Vormundschaft  hat  das  Rück- 
forderungsrecht des  Ehemannes  nicht  das  mindeste  zu  tun.  Das 
zeigt  sich  schon  daran,  daß  die  dingliche  Klage  dem  Hausherrn 
in  genau  der  gleichen  Weise  zusteht,  wenn  es  sich  um  seine 
eigene  Fahrnis  handelt,  welche  sich  in  Händen  der  Frau  befand 
und  von  ihr  veräussert  worden  ist.  In  beiden  Fällen  ist  Grund- 
lage des  Herausgabeanspruches  das  dingliche  Recht  des  Ehemannes, 
sein  Eigentum  an  den  eigenen,  sein  Dispositionsnießbrauch  — in 
Eikes  Sprache  sein  Recht  zu  Vormundschaft  — an  den  von  der 
Frau  eingebrachten  Mobilien.  Daß  sich  formell  die  Klage  des 
Hausherrn  auf  seine  frühere  Gewere  stützt,  ist  nichts  dem  System 
des  ehelichen  Güterrechts  Eigentümliches. 

IU. 

Neuerdings  haben  einzelne  Autoren  sich  dadurch,  daß  das 
Mittelalter  die  personenrechtlichen  und  vermögensrechtlichen  Befug- 
nisse, welche  der  Mann  durch  die  Eheschließung  erwirbt,  unter 
dem  Namen  „Recht  zu  Vormundschaft“  zusammenfaßt,  dazu  ver- 
leiten lassen,  das  Rttckfordeningsrecht  des  Mannes  mit  Geschäfts- 
unfähigkeit der  Ehefrau  zu  begründen ').  Sie  setzen  sich  damit 

*)  Herbert  Meyer  S.  72 — 74:  „Im  übrigen  ist  überall  deutlich  die  recht- 
liche Stellung  der  Frau  als  Begründung  für  das  Kückforderungsrecht  des 

Mannes  angegeben Ssp.  131  § 1 Culm  V 57 Magdeburger 

Schöffenspruch Meist  wird  jedoch  der  Frau  eine  beschränkte  Geschäfts- 
fähigkeit zugestanden Her  Ausgangspunkt  fnr  das  Kückforderungs- 

recht des  Mannes  ist  bei  allen  oben  angeführten  Stellen  sicher  die  mangelnde 
oder  beschränkte  Geschäftsfähigkeit  der  Frau“;  Bartsch,  Hie  Rechts- 
stellung der  Frau  als  Gattin  und  Mutter  S.  87:  „Zu  Rechtsgeschäften  ist  die 
Unverheiratete  im  Gegensatz  zur  Ehefrau  handlungsfähig“  (No.  G:  Ssp.  I 45 
§ 2),  S.  92:  „Am  stärksten  tritt  die  eheherrliche  Vormundschaft  im  Ver- 
mögensrecht zu  Tage Die  Frau  ist  auch  in  bezug  auf  ihr  eigenes  Gut 


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76 


in  Widerspruch  zu  der  gesamten  bisherigen  Literatur,  die  sich 
bezüglich  dieser  Frage  in  ungewohnter  Übereinstimmung  befindet  ')• 
Dali  es  dem  System  des  sächsischen  Land  rechts  nicht  entspricht, 
das  dingliche  Recht  des  Ehemannes  am  eingebrachten  Gut  in  die 
Retlexwirkungen  einer  Geschäftsunfähigkeit  der  Ehefrau  aufzulösen, 
sagt  schon  Johann  von  Buch  in  der  Glosse  zu  Ssp.  III 76: 

„Offt  syt  eyme  gefft  met  erer  eruen  willen  ane  eres  mannes 
wille,  Segge  dy  gave  schege  vnd  is  stede,  sy  ne  vromet  nur 
deine  sy  gegeuen  was  nich  er,  dat  wyff  en  sterue;  vnd  dy 
nut  en  bliuet  des  mannes,  dy  wile  sy  leuet,  vnd  wan  sy 
steruet  so  wert  id  . . .*)  demc  is  gegeuen  was,  und  nicht 
der  eruen,  dorch  dat  sy  id  gevulbordet  hedden“ 5). 


handlungsunfähig:  sic  kann  ohne  Zustimmung  des  Mannes  keine  kontrakt- 
lichen Yerjitlichtungen  eingehen“  (S.  93  No.  3:  ....  Ssp.  I 31  § 1 45  § 2 . . . .). 

')  Vgl.  z.  I!.  schon  Finaler,  De  obligationc  uxoris  circa  solvenda 
mariti  debita  (1822)  S.  12,  17:  „Quantum  ad  uxoris  facultatem  agendi  siiui- 
miini  accipio  principiunt:  uxori  omnia  licere,  modo  mariti  condicionein  du- 
tcriorem  non  faciat,  jusque  eins,  omnia  quac  uxoris  sunt  possidendi  atque 
administrandi , illaesum  servet,  undc  sequitur,  omnes  actus,  qui  maritum 
dominio  alicujus  rei  aut  certe  possessionc  privarent,  uxori  esse  intcrdictos. 

l'xor  nil  alienarc  polest,  ncc  mariti  rem,  nec  suam Entere  potost 

nxor,  sed  pretium  non  solvorc.  tpiia  alienarc  nequit".  Agricola  S.  117  No. 4: 
Als  eine  der  bedeutendsten  Abweichungen  des  neuen  sächsischen  Rechts, 
welche  es  zum  alten  in  einen  wesentlichen  Gegensatz  bringe,  könne  gelten 
ilie  Aullassung  der  Frau  als  durch  die  Elle  in  ihrer  Handlungsfähigkeit  be- 
schränkt. Ferner  Köhler,  .labil),  f.  Dogm.  XXIV  S.  205:  „Die  Frau  kann 
über  die  dem  (xenußrechtc  des  Mannes  verfallenen  Eigentumsobjekte  nicht 
disponieren,  ihre  Dispositionen  sind  ungültig,  gegenüber  dem  Ehemanne, 
aber  auch  nur  gegenüber  diesem:  sio  sind  nicht  etwa  ungültig,  als  ob  der 
Ehefrau  die  Handlungsfähigkeit  fehlte,  sie  sind  ungültig,  sofern  sie  sich  am 
Rechte  des  Mannes  brechen,  sie  können  das  Recht  des  Ehemannes  nicht 
kränken,  sic  übertragen  eben  auch  die  nuda  proprictas  nur  vorbehaltlich  des 
Rechtes  des  Mannes  — ganz  ähnlich,  wie  verpfändetes  Eigentum  nur  salva 
hypothoca  veräußert  werden  kann“.  Vgl.  zuletzt  noch  Hcinshcimer,  Das 
Recht  des  Mannes  am  Vermögen  der  Frau  S.  94. 

’)  Ein  Wort  unleserlich. 

*)  Cod.Hom.  30.  Noch  in  der  letzten  Zobelschen  Ausgabe  von  1614 
Spalte  1G81  ist  diese  Glossenstelle  erhalten.  Erwähnt  sei  hier  eine  sehr 
verständig  formulierte  Anmerkung,  welche  Menius  zu  Ssp.  1 31  macht 
(2.  Zobelsohe  Ausg.  v.  1561  RI.  97):  -Pro  declaratione  huitis  textus  nota,  quod 
titulier  citra  consensum  sui  mariti  nihil  disponere  potest  in  bonis  ad  eum 


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Auch  die  Rechtsprechung  der  Magdeburger  Schöffen  bringt  klar 
zum  Ausdruck,  daß  einseitige  Dispositionen  der  Frau  über  ein- 
gebrachtes  Out  unwirksam  sind  nur  weil  und  soweit  sic  das  ding- 
liche Nutznießungsrecht  des  Mannes  verletzen: 

Wasserschieben  II  S.  55  c.  1*>4: 

„Eyn  man  nam  eyne  frowe  to  der  ee,  umle  er  starff  dama 
gudh  van  erem  vader  unde  heft  dat  gegeuen  evnen  papen 
tho  zelegherade,  des  heft  er  man  darieghen  gevraghet,  oft 
sze  jemande  geuen  möge  ane  synen  willen,  nademmale  dat 
he  er  Vormünder  ys1 * 3).  H_yr  np  etc.:  Dat  de  frowe  de 
frucht  des  angestoruen  eines  nicht  vorgeuen  mach  ane 
eres  mannes  wylle,  sunder  de  man  mach  sick  des  gudes 
myt  er  bruken  in  Vormund erscop,  de  wile  sze  leuet“. 

Insbesondere  stellt  bei  der  Veräußerung  eingebracliter  Liegen- 
schaften die  Mitwirkung  des  Ehemannes  sich  nicht  nur  als  gericht- 
liche Beistandschaft,  sondern  als  Ausübung  und  Wahrnehmung 
seines  dinglichen  Rechtes  dar*). 

Nur  eine  Konsequenz  der  eben  als  irrig  zurückgewiesenen 

illatis,  per  quod  aliquo  modo  ususfructus  sibi  indc  debitus 
possit  attenuari“.  Freilich  ist  in  der  späteren  Glossenlitcratur  auch 
häufig  der  richtige  Gesichtspunkt  verkannt  worden:  so  in  der  Weichbilds- 
glosse  bei  Daniels-Gruben  1858  Ssp.  296  Z.  6 — 13  (vgl.  die  ganze  höchst 
merkwürdige  mit  römischrechtlichen  (’itaten  gespickte  Stelle  Sp.  294  Z.  I — 
Sp.  296  Z.  33);  dort  wird  der  Pfaffe,  dem  die  Ehefrau  ohne  Einwilligung  des 
Ehemannes  die  Gerade  gegeben  hat,  nach  dem  Tode  der  Frau  zur  Heraus- 
gabe an  die  Niftel  verurteilt.  Biese  Entscheidung  entspricht  bekanntlich  auch 
den  Grundsätzen  des  modernen  Hechts.  Schon  Suarcz  erklärte  es  für 
selbstverständlich , daß  die  Frau  ohne  Einwilligung  des  Mannes  auch  nicht 
salvo  usufrnctn  maritali  veräußern  könne,  vgl.  Hoinsheimcr,  Das  Recht 
des  Mannes  am  Vermögen  der  Frau  S.  25  No.  29. 

l)  Auch  hier  also  kein  Wort  von  der  ehemännlichen  Gewere  als  dem 

Grunde  der  Verfügungsbeschränkung. 

3)  Bewer,  Mala  Traditio  Vestitura  S.  16  f.:  „Bei  den  Grundstücksver- 
äußerungen der  Kiuder  und  der  Frau  ist  das  Vollwort  des  Vormundes  nicht 
bloß  formell  für  das  Rechtsgeschäft  und  die  Autlassung  wesentlich,  sondern 
auch  materiell.  Denn  der  Vormund,  welcher  an  den  Gütern  seines  Mündels 

selbst  diliglich  berechtigt  wird,  begibt  sich  durch  die  Veräußerungen 

der  Frau  eigener  Rechte.“ 


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78 


Ansicht  wäre  es,  wenn  die  Befugnis  des  Ehemannes  zur  gericht- 
lichen Geltendmachung  der  zum  eingebrachten  Gut  gehörenden 
Rechte  auf  die  Prozeßunfähigleit  der  Frau  zurückgeführt  würde1). 
Mit  den  Quellen  ließe  sich  dies  nicht  vereinigen.  * Der  Ehemann 
erscheint  dort  zur  gerichtlichen  Geltendmachung  nicht  nnr  als 
Prozeßvertreter  der  Frau,  sondern  auch  kraft  eigenen  Rechtes  am 
eingebrachten  Gut  legitimiert*).  Am  deutlichsten  zeigen  dies 
diejenigen  Schöffen  Sprüche,  in  denen  er  gleichzeitig  im  Namen 
der  Frau  und  in  eigenem  Namen  auftritt: 


!)  So  Agricola  S.  140  — außer  für  den  Fall  eigenmächtiger  Ver- 
fügung der  Frau  über  cingebrachtes  (Jut  — ; ferner  Sulun,  Eheschließung 


S.  93  f. : „Sobald  wir  in  die  Zeit  der  Reehtsbücher  eintreten, geht 

die  Entwicklung  darauf  hinaus,  auch  die  eheherrliche  Vormundschaft  zu 

einer  bloßen  Prozeßvormundschaft  abzuschw Achen Die 

Übergangsstufe  stellt  der  Ssp.  dar“.  Ebenso,  allerdings  nur  für  das  Magde- 


burger Recht,  Behren d.  Stendaler  Urteilsbuch  S.  54:  „Das  aus  der  Ehe 
selbst  hervorgehende  Mundium  wird  beschränkt  auf  die  Gcrichtsvormund- 
scliaft  in  streitigen  Sachen,  d.  h.  auf  die  Legitimation  des  Mannes  zur  Pro- 
zcßführung  im  Namen  der  Frau.  Dies  ist  keine  eigentliche  Gewalt 
über  das  Vermögen,  sondern  mehr  ein  persönliches  Schutzverhältuis.  Die 
Einschränkung  ist  dem  Ssp.  fremd“.  Für  die  im  Test  vertretene  entgegen- 
gesetzte Ansicht  hat  sich  Heuslcr,  Inst.  II  S.  380  entschieden. 

*)  Man  wird  sich  nicht  wundern,  über  diese  immerhin  schwierige  Frage 
mehr  theoretischer  Natur  keine  Erörterung  ex  professo  in  den  Quellen  zu 
linden.  Wenn  es  immer  wieder  heißt,  daß  der  Ehemann  „in  Vormund- 
schaft“ seiner  Ehefrau  klagt,  so  kann  damit  sowohl  gemeint  sein,  daß  er 
seine  Frozeßlegitimation  auf  sein  dingliches  Recht  am  Frauengut  stützt, 
als  auch,  daß  er  sie  auf  seine  Eigenschaft,  als  gesetzlicher  Prozcßvormuud 

der  Frau  gründet.  Die  dritte  Möglichkeit  ist  schließlich,  daß  unter  Vor- 

mundschaft in  solchen  Fällen  der  ganze  einheitliche  Komplex  sachen- 
rccbtlicher  und  pcrsoncnrcchtlicher  Befugnisse,  welche  der  Mann  durch  die 
Trauung  erwirbt,  verstanden  wird.  Ein  vereinzeltes  und  wohl  nicht  sehr 
stichhaltiges  Zeugnis  zu  Gunsten  der  zweiten  Möglichkeit  bietet  die  Bock s- 
dorffschc  Gcrichtsformel  in  der  Zcitsclir.  f.  Rechtsgesch.  I (18G2)  S.  4IÜ: 
„Bi  quis  agit  nomine  alieno,  puta  tutorio  nomine,  sic  ponat:  Disz  sint 
schulde  anclagc  vnd  gerechtikeyt  die  ich  H.  burger  zeit  L.  in  vormund- 
schafft K.  myner  elichcn  huszfrawen  habe,  gebe,  seteze  vnd  thu 
widder  den  gestrengen  man  N.  zeu  B.  gesessen“.  Auch  in  den  im  Text 
erwähnten  zwei  Schöffensprüchen  bei  Friese- 1, iesegan g ist  die  Klage, 
welche  der  Mann  in  Vormundschaft  seiner  Frau  anstrengt,  eine  Klage  in 

fremdem  Namen,  da  sie  der  Klage  „von  seinetwegen“  gegenübergestellt 

wird. 


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79 


Friese-Liesegang  S.  52  Nr.  22: 

„Unsen  fruntliken  grut  tovom.  Erszamen  besundern  guden 
frundes.  So  gy  uns  Brictius  Beckers  in  formuntscliaft 
Walburgen  und  Metten,  Clausz  Beckers,  synes  bruders 
seliger,  kindere  schulde  und  gerechticheyt  und  Steffen  Feth- 
kols  von  synet  und  von  formuntschop  wegen  Jden, 
syner  elikenhusfrouwen,  wereword  und  antwerde  gesant 
und  uns  recht  dar  up  to  spreken  gebeten  hebbet  etc.,  . . . .“ 

Ebend.  S.  75  Nr.  31: 

„Nach  den  schulden,  thospruken,  anclagen  unde  gerech- 
ticheyden  Hans  Bomhauwers,  borgers  tliome  Groten  Solte, 
vor  sick  unde  in  vormuntschap  Ilsen,  syner  eeliken 
husfrouwen, “ 

In  einem  Rechtsfall  bei  Wasserschieben  I S.  207 — 214 '),  klagt 
Graf  Otto  von  Orlamflnde  aus  einem  zum  eingebrachten  Gut 
seiner  Ehefrau  Agnes  gehörenden  „Anlassbrief“  gegen  Graf  Hon- 
steyn,  und  es  wird  vom  Klager  gesagt,  er  habe 

„scyne  und  seynes  weybes  gerechtikeyt  die  sie  von 
der  briffe  wegin  habin  mögen  nicht  vorworcht  und  verloren“, 

und  ferner,  er  habe 

„von  seynes  elichen  weybis  wol  macht  ir  schulde  und 
czinse  zcu  irmanen  und  dovor  czu  n einen  gut  unde 
habe  was  ym  behagitte  das  mus  sie  ouch  noch  stete 
lialdin  noch  seyme  toile“. 

')  Oer  Itechtsfall  ist  leider,  da  die  Parteivorträgc  nur  unvollständig 
wiedergegeben  sind,  nicht  in  allen  Einzelheiten  klar.  Es  scheint  sieh  um 
mehrere  zum  eingebrachten  Gut  gehörende  Forderungen  zu  handeln 
(S.  207 : der  Kläger  muß  Gcwcrc  geloben  wegen  „der  schulden  und  yczlicher 
besundern“,  S.  213:  „uff  die  dritte  schult“,  S.  214:  „uff  die  vyrdc  schult“); 
die  Schöffen  tonorieren  zu  Gunsten  von  „graffen  otten  orlcmundc  und  agniszen 
seyner  hawsfrawen“  (S.  211),  daß  cs  sich  aber  wirklich  um  Forderungen  der 
Ehefrau  undh  nicht  etwa  um  den  Ehegatten  gemeinschaftlich  zustchond 
Forderungen  handelt,  ergibt  sich  aus  S.  209  („Graffe  otto  ir  elicher  herrc 
rii mag  do  nicht  wodir  mit  sulchen  artikcln  und  helffreden  die  her  do  kegea 
gesaezt  hat  Sintdcmmal  das  is  gesellen  ist  vor  der  czeyt  ir  sie  ym  zcu 
der  ee  gegeben  wart“). 


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80 


Dritter  Abschnitt. 

Veräusserungsrecht  des  Mannes  und  Nichthaftung  des  Frauen- 
gutes für  des  Mannes  Schulden. 

I 

Nach  sächsischem  Landrecht  ist  der  Ehemann  bei  der  Ver- 
butterung eingebrachter  Fahrnis  an  die  Einwilligung  der  Frau 
nicht,  gebunden.  Die  Frage  ist,  ob  diese  Vcrfügungsfrciheit  mit 
der  Gewere,  welche  der  Mann  über  das  eingebrachte  Gut  erhält, 
zusammenhängt. 

Die  Gewere  verschafft  dem  Manne  formale  Verfügungsmacht. 
Er  hat  die  Legitimation  für  den  Hechtsverkehr,  die  Machtvoll- 
kommenheit, eingebrachte  Fahrnis  mit  voller  Wirkung  an  Dritte 
zu  übertragen.  Der  Dritte,  welcher  eingebraehtes  Gut  vom  Ehe- 
mann erwirbt,  würde,  selbst  wenn  er  die  Illatenqualität  kennt, 
vor  jedem  Anspruch  der  Frau  auf  Herausgabe  geschützt  sein,  da 
die  wirkliche  Hechtslage  in  Ansehung  des  ihm  übertragenen 
Gegenstandes  der  Offenkundigkeit  entbehrt. 

Falsch  wäre  es,  aus  dieser  translativen  Funktion  der  Gewere, 
aus  dieser  Verfügungsmacht,  eine  Verfügungsbefugnis  zu  folgern'). 
Als  Inhaber  der  Gewere  steht  der  Ehemann  zu  dem  eingebrachten 
Gut  in  demselben  Rechtsverhältnis  wie  der  Entleiher  und  Ver- 
wahrer zur  anvertrauten  Sache;  sie  sind  zur  Verfügung  legitimiert, 
aber  nicht  berechtigt.  Wenn  die  Befugnisse  des  Ehemannes  über 
die  eingebrachte  Fahrnis  weiter  gehen  ' als  die  eines  Entleihers 
oder  Verwahrers,  so  ist  das  ans  der  Gewere  schlechterdings  nicht 
zu  erklären,  sondern  nur  aus  der  Art  des  dem  Ehemanne  zu- 
stehenden Rechtes  am  Frauengut.  Bereits  Pauli*)  hat  das  be- 

’)  So  noch  neuerdings  Gürgens,  I)ic  Lehre  von  der  ohclichcn  Güter- 
gcmcinschaft  nach  Inländischem  Stadtrecht  (18SIS)  S.  -17:  „Sieht  man  zu- 
vörderst auf  das  VeräuUerungsrecht  des  Mannes,  so  ist  dasselbe  in  bezug 
auf  die  von  der  Frau  offerierte  Fahrnis  unbeschränkt.  Dieses  ist  eine 
konsequente  Folge  davon,  daß  sie  solche  aus  ihrer  (iewähr  gelassen  und  sie 
dem  Manne  anvertraut  hat“. 

*)  Abhandlungen  aus  dein  liibisclicn  Rechte  II  8.30.  Vgl.  Albrecht, 
Gewere  S. ‘277:  „Die  Ähnlichkeit  der  Gewere  z.  r.  V.  mit  der  Gewere  zu 
treuer  Hand  ist  unverkennbar:  der  wesentliche  Fntersehied  zwischen  beiden 
liegt  darin.  dalJ  das  liecht  des  Mannes  den  Charakter  der  selbständigen 


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8t 


tont,  und  selbst  Agricola,  der  sonst  in  der  Gewere  des  Mannes 
die  Grundlage  des  sächsischen  Ehegüterrechtssystems  sieht,  ist, 
wenn  auch  auf  falschem  Wege,  zu  dem  gleichen  Resultat  gelangt. 
Er  argumentiert  folgendermaßen'):  Der  Mann  sowohl  als  die 
Frau  habe  eine  Gewere  am  eingebraehten  Gut;  verfüge  also  der 
Mann  einseitig  über  Mobilien  der  Frau,  so  sei  sie  wider  Willen 
der  Gewere  verlustig  geworden  und  könne  sich  prima  faeie  der 
veräußerten  Sachen  nach  allgemeinem  Grundsatz  unterwinden; 
wenn  die  Frau  dies  Revokationsrecht  auffallender  Weise  nicht 
habe,  so  könne  das  nur  als  eine  Wirkung  des  die  Grundlage  der 
Gewere  bildenden  Rechtes  angesehen  werden*). 

Daß  der  Ehemann  nach  sächsischem  Landrecht  zu  freier 
Verfügung  über  die  eingebrachte  Fahrnis  nicht  nur  durch  seine 
Gewere  legitimiert  sondern  kraft  seines  dinglichen  Rechtes  auch 
befugt  ist,  wird  zwar  in  thesi  nirgends  in  den  älteren  Quellen 
ausgesprochen,  ergibt  sich  aber  daraus,  daß  er  für  eigenmächtige 
Veräußerungen  Ersatz  nicht  zu  leisten  braucht3). 

II. 

Es  ist  vielfach  als  selbstverständlich  angesehen  worden,  daß 
das  eingebrachte  Gut,  soweit  es  der  Veräußerungsbefugnis  oder 

eigenen  Befugnis  nicht  bloß  gegen  die  Außenwelt,  sondern  auch  nach  Innen, 
d.  h.  im  Verhältnisse  zur  Frau,  behauptet“. 

')  S.  296.  Ebenso  schon  vorher  Martitz  S.  140:  An  sich  müßte  der 
Frau  das  Hecht  zustehen,  die  vom  Manne  einseitig  veräußerte  Sache  bei 
jedem  Besitzer  pretio  non  refuso  zu  vindicieren,  „denn  die  Gewere,  in  der 
sie  mit  ihrem  Gatten  sitzt  (Ssp.  I 4.j  § 2)  ist  ihr  ohne  ihren  M illen  durch 
diesen  entfremdet  worden“;  da  sie  diesen  Vindikationsanspruch  nicht  habe, 
„so  ist  damit  die  Veräußerung als  rechtmäßig  erklärt“. 

3)  Agricola  hat  sich  freilich  an  anderer  Stelle  S.  320  f.  nicht  gescheut, 
das  Fehlen  der  Ersatzpflicht  aus  dem  Prinzip  der  beim  Mann  vorhandenen 
Gewere  am  Franengut  zu  erklären:  vgl.  auch  S.  72:  „Wem  die  Gewere 
rechtlich  zukommt,  dem  wird  damit  ein  Hecht  auf Disposition  zu- 

gesprochen“. 

3)  Vgl.  besonders  Martitz  S.  140  und  Heuslcr,  Inst.  II  S.  5 no.  5, 
S.  18  f.  Auch  Roth,  welcher  in  Bekker't  und  Muthcr's  Jahrb.  d.  gern, 
deutschen  Hechts  111  8.318  mit  Eichhorn,  Deutsche  Staats-  und  Rcehts- 
geschichte  5.  Auflage  II  S.  685,  K raut,  Vormundschaft  II  S.  461,  473  f.  und 
Sandbaas,  Fränkisches  chel.  Güterr.  S.  80  Krsatzpflicht  des  Mnnncs  annahm, 
hat  in  der  Zeitachr.  f.  vgl.  Kechtsw.  1 8.  55  den  Standpunkt  gewechselt. 
Vgl.  ferner  Haenel.  Zeitsehr.  f.  Kecbtsgesrh.  I (1861)  S.  281  no.  25. 

Kies  *1.  Oewere  6 


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Veräußerungsmacht  des  Ehemannes  unterworfen  ist,  auch  seinen 
Gläubigern  als  Exekutionsobjekt  hafte').  Hierbei  ist  außer  Acht 
gelassen,  daß  die  dem  Manne  eingeräumte  Gewalt  sich  unter  der 
stillschweigenden  Voraussetzung  rechtfertigt,  er  werde  nicht  anders 
als  im  Interesse  der  ehelichen  Gemeinschaft  von  ihr  Gebrauch 
machen.  Dieser  Gedanke  ist  zwar  in  einem  erzwingbaren  Rechts- 
satz nicht  zum  Ausdruck  gekommen,  aber  das  ist  nicht  ver- 
wunderlich, der  Spiegler  vermeidet  es  auch  sonst,  „mit  kahler 
Rechtsformel  dort  einzudringen,  wo  die  lebendige  Sitte  allein- 
herrschend war“  *).  Die  Machtvollkommenheit  des  Ehemannes 
ist  diskretionärer  Natur,  an  der  äußersten  Ausnutzung  hemmen 
ihn  sittliche  Motive.  Von  seinen  Gläubigern  dagegen  ist  eine 
Rücksichtnahme  auf  die  Interessen  der  Ehefrau  nicht  zu  erwarten. 
Die  Parallele  zwischen  Veräußerungsrecht  oder  Veräußerungsmacht 
einerseits  und  Schuldenhaftung  andererseits  ist  daher  keineswegs 
selbstverständlich 3). 

Im  Sachsenspiegel  fehlt  es  an  einer  ausdrücklichen  Bestimmung, 
ob  das  eingebracbte  Gut  den  Gläubigern  des  Mannes  haftet. 
Ssp.  II  31  § 3 „Nieman  mach  verwerken  enes  anderen  mannes  gut, 
of  lie't  under  ime  hevet“  hat  nur  strafrechtliche  Bedeutung,  wie  auch 
aus  den  kasuistischen  Erörterungen  der  Buch’schen  und  Wurm- 
sehen  Glosse  zu  dieser  Stelle  hervorgeht4).  Der  Aufsatz  von 

■)  So  Hasse,  Zeitschrift  für  gcschichtl.  Rcchtswissensch.  IV  S.  84; 
Martitz  S.  153,  158,  303:  Sohin,  Gött.  gel.  Anz.  v.  1887  S.  1904;  Stobbc, 
Hamlb.  d.  deutschen  Privatrechts  1.  Aull.  IV  S.  79  f.:  Gürgens,  Dorpatcr 
Zoitschr.  f.  Rcchtswissensch.  IV  S.  30:  „Güter,  die  der  Mann  nach  freiem 
Heliebcn  veräußern  kann , lassen  sich  der  Disposition  seiner  Gläubiger 
nicht  entziehen“;  Gürgens,  Die  Lehre  von  der  ehelichen  Gütergemeinschaft 
nach  inländischem  .Stadtrecht  S.  9,  wo  bei  der  Darstellung  des  Ssp.  = Rechtes 
gesagt  wird:  „Für  die  Schulden  des  Mannes  ist  das  Vermögen  der  Kran 
soweit  verhaftet,  als  seine  Vcräußcrungsberechtigung  hinsichtlich  ihres  Gutes 
reicht:  ihre  Mobilien  können  daher  von  den  Gläubigern  für  seiue  Schulden 
in  Anspruch  genommen  werden“. 

3)  Martitz  S.  89. 

*)  Dies  hat  Agriculu  S.  384  ff.,  384,  392  richtig  nusgeffthrt.  Ihm 
schließen  sich  Schröder,  Gesell,  d.  ehel.  Güterr.  II  3 S.  285  f.  und  Köhler, 
Juhrb.  f.  Dogtn.  XXIV'  S.  202  f.  an. 

4)  Die  Behauptung  von  Herbert  Meyer,  Entwcrung  und  Eigentum 
S.  79  no.  10.  der  Grundsatz,  daß  niemand  fremde  Sachen  verwirken  könne, 
werde  mehrfach  von  seiner  anfangs  strafrechtlichen  Bedeutung  auf  Schulden- 


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s.3 

der  Beweisung  um  Lehn  und  Leibzucht1)  spricht  nicht  von  exe- 
kutivischem  Zugriff  auf  das  Frauengut,  sondern  nur  davon,  ob 
der  Ehemann  berechtigt  ist,  es  seinen  Gläubigern  auf  rechts- 
geschäftlichem  Wege  an  Zahlungsstatt  zu  geben: 

„Woldemen  dat  dy  man  also  an  sines  wyves  gude  dy 
herschapp  an  tler  fruchtbrtikinge  hebben  mach,  dat  is  doch 
van  vormuntschapp  wegin;  dar  vnnne  so  mach  he  des  gudes 
nicht  versetten,  verkopen,  noch  vor  sine  schulde  edder  broke 
wech  geven“. 

Unvereinbar  mit  den  Prinzipien  des  Güterstandes  der  ehe- 
männlichen Verwaltung  und  Nutznießung  wäre  die  Haftung  des 
Frauengutes  für  die  Schulden  des  Mannes  nicht*). 

Die  eingebrachten  Liegenschaften  kommen,  wenigstens  zur 
Zeit  des  Ssp.,  als  Haftungsobjekt  nicht  in  Betracht.  Denn  wegen 
privater  Schulden  gibt  es  keine  Fronung,  sie  wird  nur  wegen 
Gewedde  und  Wergeid,  und  auch  da  erst  nach  Erschöpfung  der 
Fahrhabe  zugelassen.  Nach  anderer  Ansicht  sind  zwar  die  in 
Ssp.  II  41  aufgestellten  Grundsätze  auf  alle  persönlichen  Ansprüche 
auszudehnen’),  aber  auch  hiernach  würden  die  eingebrachten 
Grundstücke  immer  nur  als  subsidiäres  Vollstreckungsobjekt  in 


haftung  übertragen,  würde  für  das  sächsische  Landrecht  nicht  zntreffcn. 
Xoch  in  der  Blume  von  Magdeburg  112  c.  180  steht  dieser  Grundsatz  unter 
strafrechtlichen  Bestimmungen,  und  in  den  Magdeburger  Kragen  findet  er 
sich  in  c.  6 d.  3 des  dritten  Buches,  welches  „von  mancher  hande  ungcrichte: 
also  totsiege,  wunden,  dube,  wegeloge  usw.“  handelt. 

')  bei  Homeyer  Ssp.  II  1 8.366. 

*)  Gleicher  Ansicht  Gürgens,  Dorpater  Zeitschr.  f.  Rechtswissensch. 
IV  S.  19:  Der  Koditikator  des  ostsceprovinziellen  Rechts  habe  einen  Fehler 
begangen,  wenn  er  sich  dadurch,  daß  im  Güterrecht  der  Inländischen 
Städte  die  Gesamtmasse  für  die  Schulden  des  Ehemannes  hafte,  habe  ver- 
leiten lassen,  dieses  Gütcrrccht  als  Gütergemeinschaft  zu  bezeichnen: 
allerdings  sähe  die  Praxis  in  der  Haftung  der  Gesamtmasse  für  die  Schulden 
des  Mannes  ein  Merkmal  der  Gütergemeinschaft. 

s)  Sn  Albrecht,  Gewere  S.  46  no.  89  a:  „In  anderen  Stellen  wird 
die  Pfändung  (seil,  der  Fahrnis)  allein  genannt,  als  Beweis,  daß  sie  das 
Erste  war,  wozu  man  schritt“;  ebenso  Meibom,  Bus  Deutsche  Pfandrecht 
S.  106,  Martitz  S.  153  zu  no.  4 und  Eckert,  Der  Fronbote  im  Mittelalter 
S.  53.  Die  Ansicht  des  Textes  vertritt  Schwind,  Wesen  und  Inhalt  des 
Pfandrechtes  S.  25. 

6° 


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84 


Betracht  kommen.  Jedenfalls  stellt  also  im  Vordergrund  des 
Interesses  die  Frage  der  Fahrnishaftung. 

Sandhaas1)  hat  bezüglich  der  fraulichen  Fahrnis  behauptet, 
der  Mann  sei  für  eigenmächtige  Veräußerungen  ersatzpflichtig,  zu 
Veräußerungen  ohne  Einwilligung  der  Frau  also  nicht  berechtigt; 
trotzdem  hafte  das  eingebraehte  Gut  für  die  Schulden  des  Mannes. 

Vielleicht  hat  Sandhaas  hierbei  ein  sehr  richtiger  Gedanke 
vorgeschwebt.  Soweit  es  sich  nämlich  um  die  eingebraehte  Fahrnis 
handelt,  könnte  man  fragen,  ob  sie  nicht  schon  allein  deshalb, 
weil  sie  in  der  Gewere  des  Mannes  sich  befindet,  seinen  Gläubigem 
als  Zwangsvollstreckungsobjekt  preisgegeben  ist.  Wir  berühren 
hiermit  eine  interessante  Frage  des  deutschen  Fahrnisrechts:  Soll 
die  dingliche  Klage  des  Eigentümers,  der  einem  Anderen  Fahrnis 
anvertraut  hat,  nicht  ebenso  ausgeschlossen  sein,  wenn  die  Gläubiger 
des  Anderen  sie  unter  ihrem  Schuldner  pfänden,  als  wenn  der 
Andere  sie  den  Gläubigem  an  Zahlungsstatt  gibt?  Nach  der 
Formulierung  von  Huber*),  „wer  die  Gewere  hat,  gilt  als  legiti- 
miert, das  dingliche  Recht,  dem  sie  Ausdruck  gibt,  sowohl  aktiv 
als  passiv  geltend  zu  machen“,  möchte  man  die  Frage  bejahen *). 

')  Fränkisches  eheliches  Gäterrecht  S.  80:  „Da  nämlich  der  Mann  über 
Mobilien  der  Krau  Dritten  gegenüber  frei  verfügte,  nur  mit  der  Maßgabe,  daß  er 
der  Krau  zum  Ersatz  verpflichtet  wurde,  so  bildeten  dieselben  (immer  nur  unter 
der  ltedingung  der  Krsatzpflicht  des  Mannes)  auch  ein  Kxckutionsobjekt  zu 
Gunsten  der  Gläubiger  des  Mannes“.  Diese  Ausführung  bezieht  sich  zwar 
mir  auf  das  ältere  fränkische  Khegütcrrechtssystem,  würde  aber  auf  das  des 
Ssp.  ebenso  gut  passen. 

*)  Gewere  S.  49. 

3)  So  bezeichnet  Herbert  Meyer,  Neuere  Satzung  von  Fahrnis  und 
Schiffen  S.  104  ff.  es  als  „Folge  eines  allgemeinen  Grundsatzes  des 
deutschen  Sachenrechts“,  dafl  bei  neuerer  Satzung  an  einer  Mebilie 
das  Pfandrecht,  „einem  anderen  Gläubiger  gegenüber,  der  die  Mobilie  im 
Besitze  des  Schuldners  pfändet“,  versagt;  „dem  pfändenden  späteren  Gläubiger, 
der  die  Pfandsachc  im  Vertrauen  auf  das  durch  die  Gewere  legitimierte 
liecht  des  Schuldners  an  der  Sache  als  Kxokutionsobjekt  beanspruchte, 
konnte  deren  frühere  Verhaftung  mangels  Kündbarkeit  dieser  Pfandver- 
strickung nicht  entgcgengehalten  werden Dieser  Bechtszustand  kann 

für  alle  übrigen  deutschen  Itechtsgcbiete  (soweit  sie  nicht  eine  erhöhte, 
durch  Publizität  bewirkte  Bindung  der  Pfandsache  kennen)  als  bestehend 
angenommen  werden“.  Meyer  stellt  es  also  als  ganz  selbstverständlich  hin. 
daß  die  Kahrnisgeworc  die  Funktion  eines  soebenrechtlichen  Legitimations- 
mittels auch  zu  Gunsten  der  vollstreckenden  Gläubiger  des  Gewereiuhabera 


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Die  mittelalterlichen  Quellen  haben  die  Frage  verschieden 
beantwortet1).  Seihst  innerhalb  des  sächsischen  Rechtsgebietes 


habe.  Demgegenüber  sei  erinnert  an  die  Bemerkungen  von  Goldschmidt, 
Zeitschr.  f.  d.  ges.  Handelsr.  VIII  S.  2.3.5:  „Nur  ganz  ausnahmsweise 
haften  die  noch  im  Besitz  des  ersten  Empfängers  befindlichen  Sachen  dessen 
Gläubigern“  und  von  Bar,  Beweisurteil  S.  1.53  no.  262:  „Daher  können  auch 
nach  den  meisten  Hechtsquellcn  die  Gläubiger  des  Kommodatars  sich 
nicht  an  die  geliehenen  Sachen  halten“,  ferner  an  die  mühevolle  Unter- 
suchung, welche  Franken,  Das  französische  Pfandrecht  im  Mittelalter  I 
S.  272  IT.,  292  ff.  der  Frage  gewidmet  hat,  ob  wir  es  bei  der  Nichthaftung  der 
geliehenen  Sachen  für  Schulden  des  Kommodatars  wirklich  mit  einer  Aus- 
nahme zu  tun  haben:  auch  ist  I!  lun  sc  hl  i,  Staats-  und  Kcchtsgcschichtc 
der  Stadt  und  Landschaft  Zürich  11  S.  105  zu  nennen,  der  aus  — freilich 
unzutreffenden  — allgemeinen  Erwägungen  heraus  den  Kommodauten  zur 
Exekutionsintervention  verstauet:  „War  auf  Seite  des  Eigentümers  ein  äclites 
Vertrauen  vorhanden,  als  er  die  Sachen  an  einen  andern  übergab,  und  dieser 
veräußerte  die  anvertrauten  Sachen,  aber  nicht,  weil  er  jenes  Vertrauen 
mißbrauchte,  sondern  indem  er  einem  äußeren  Zwange  nachgab  (z.  B.  diese 
Sachen  werden  trotz  seinem  Widerspruche  durch  den  Bechtstrieb  ge- 
pfändet), so  kann  auch  hier  wieder  der  Eigentümer  die  so  veräußerte 
Sache  frei  ansprechen.  Der  Mißbrauch  seines  falschen  Vertrauens  trifft  eher 
ihn,  als  dun  unschuldigen  dritten  Erwerber:  aber  wenn  kein  Mißbrauch 
seines  Vertrauens  vorhanden  ist,  sein  Vertrauen  somit  auch  nicht  ge- 
täuscht wird,  so  kann  auch  von  keinen  Folgen  eines  Mißbrauchs  die  Rede 
sein“.  Besonders  merkwürdig  ist,  daß  Meyer  den  „allgemeinen  Grundsatz 
des  deutschen  Sachenrechts*  auf  eine  Stelle  aus  König  Ludwigs  oberbaierischem 
Land-  und  Stadtrecht  stutzt.  Denn  aus  dem  sogenannten  Anhang  zu  diesem 
Hechtsbuch  § 33  (abgedruckt  bei  Heumann,  Opuscula,  Norimbcrgac  1747, 
S.  152  f.,  besprochen  bei  Albreclit,  Gewcre  S.  92  no.  192  c und  Meibom 
Das  deutsche  Pfandrecht  S.  64  no.  112a  f.)  geht  klar  hervor,  daß  für  baierisches 
Hecht  von  einem  solchen  allgemeinen  Grundsatz  keine  Hede  sein  kann: 
„Wer  guett  hin  leicht  vmb  Ion,  oder  vmb  tzins,  oder  durch  trew  . . . , ehöm 
ycinan  an  jenem  dem  es  gelihn  ist,  vnd  wolt  im  daz  gut  nemen  mit  dem 
rechten  vmb  gelt,  so  sol  es  iener  versprechen  des  avgen  es  ist“.  Die  ab- 
weichende Kugelung  bei  neuerer  Satzung  erklärt  sich  also  in  der  Tat  — 
entgegen  Meyer  — aus  einem  Mangel  im  Hechte  des  Pfandgläubigers. 

■)  So  schon  Albreclit,  (lewere  S.  92.  Unerfindlich  ist,  weshalb 
Meibom,  Das  deutsche  Pfandrecht  S.  62  sich  gegen  Albreclit  wendet: 
„Fremde  Sachen  im  Besitze  des  Schuldners,  welche  er  nicht  veräußern 
durfte,  konnten  von  seinen  Gläubigern  nicht  zur  Exekution  gezogen  werden. 
Diesem  dem  einfachsten  Hechtsgefühl  unmittelbar  einleuchtenden  Satze  ist 
auch  für  das  ältere  deutsche  Hecht  nicht  bloß  partikuläre,  sondern 
allgemeine  Geltung  zuzuschreiben“:  einige  Zeilen  weiter,  S.  63,  heißt  es 


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ist  keine  Einheitlichkeit.  Für  eine  einzige  Stadt  wie  Nordhausen 
sind  die  widersprechendsten  Regelungen  bekannt: 

Eine  Nordhäuser  Oberhofentscheidung  für  Frankenhausen ') 
gewährt  dem  Eigentümer  die  Rückforderungsklage  gegen  den 
Gläubiger  des  Gewereinhabers: 

„Ein  smed  leit  dem  andern  zu  hülfe  sine  balge  umsus. 
Under  des  entran  die,  der  die  balge  in  lieude  hatte.  Des 
quam  der  huswert,  und  wolde  die  balge  phende  vor  sinen 
huscins.  Umme  daz  quamen  sie  beider  siet  vor  unse  herren, 

die  onschieden  sie  also: Liet  ein  dem  andern  durch 

fruntschaf  des  sinen  ettewaz,  und  wert  daz  gephand  dorch 
des  willen,  deme  ez  gelegen  ist,  so  mag  die,  des  daz  ding 
ist,  daz  sine  wol  uz  zien  ufle  den  heiligen“. 

Eine  Goslarer  Oberhofsentscheidung  für  Nordhausen  -')  ver- 
sagt dem  Eigentümer  die  Rückforderungsklage: 

„Ab  ein  dem  andern  varnde  habe  lege,  und  sie  dem  abc 
gephant  wirde,  spreche  wie  vor  recht,  daz  die,  die  sie  vor- 
legen hat,  an  nimande  dicheine  vorderunge  getun  mag,  den 
an  deme,  dem  he  sie  gelegen  hat“. 

Im  Stadtrecht  von  Nordhausen  § Sb s)  wird  die  Rück- 
forderungsklage nur  dann  für  zulässig  erklärt,  wenn  es  sich  um 

nämlich  ganz  richtig:  „l>ic  Anwendung  des  Grundsatzes  Hand  muß  wahren 
auf  den  Fall,  daß  die  geliehene,  versetzte  nder  sonst  anvertraute  Sache  dem 
Besitzer  abgepfämict  wurde,  bedarf  einer  Erörterung,  weil  verschiedene 
Kcchtsquellen  sich  darüber  verschieden  äußern“.  Wenn  Meibom 
dann  fortfährt:  „Nach  dem  Hechte  des  Ssp.  und  verwandter  Kcchtsquellen 
unterliegt  es  keinem  Zweifel,  daß  die  Eigentum sklage  gegen  den  Pfand- 
nehmer oder  den  Käufer  der  gepfändeten  Sache  ausgeschlossen  war“,  so  hat 
schon  I.aband,  Vermügensrcchtlicho  Klagen  S.  8fi  no.  37  die  Beweise  hier- 
für vermißt. 

')  Erwähnt  von  Stobbe,  Handbuch,  2.  Aul).  II  S.  <>22  no.  30.  Dio 
Stelle  ist  abgedruckt  bei  Körstemann,  Neue  Mitteilungen  aus  dum  (iubiet 
historisch-antiquarischer  Forschungen  1 Heft  3 S.  5!)  $ 3 und  bei  Loersch 
und  Schröder,  Erkunden  zur  Geschichte  des  deutschen  Hechts  2.  Aull.  I 
S.  185  Nr.  251. 

Erwähnt  von  Stobbe  ebend.:  abgodruckt  bei  Förstemann  S.  30  und 
bei  Locrsch  und  Schröder  S.  185  no.  2. 

3)  Bei  Förstemann,  Neue  Mitteilungen  III  lieft  1 S.  40. 


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87 


Sachen  handelt,  denen  anzusehen  ist,  daß  sie  dem  Vollstrecknngs- 
schuldner  nicht  gehören1): 

„Nullus  potcrit  pignorare,  uel  iudicio  optinere  aliqua  bona 
uel  aliquas  res,  que  notorie  non  sunt  illius,  racione  cuius 
fit  pignoracio“. 

lici  neuerer  Satzung  an  Fahrnis  schützt  dies  selbe  Stadt- 
recht  § 13  schlechthin,  ohne  Rücksicht  darauf  ob  die  Satzung 
erkennbar  ist,  den  Pfandgläubiger  gegen  den  Dritten,  welcher 
das  Pfandobjekt  beim  Pfandschuldner  pfändet: 

„Qnicumque  pignoraverit  talia,  que  de  possessione  pigno- 
rati  possunt  duei  siue  pelli  sub  potenciam  pignorantis  et 
relicta  in  possessione  pignorati  fucrint,  alius  si  superuenerit, 
saluo  iure  pignorabit“. 

Die  Pfändung  wird  also  nur  salvo  iure  d.  h.  vorbehaltlich 
des  dem  Satzungsglaubiger  zustehenden  Rechtes  gestattet  *). 

Das  Stadtrecht  von  Ooslar  S.  <>(i  Z.  27 — di3)  und  die  Gerichts- 
leull't  von  Eisenach  c.  H7 4)  gewähren  dem  Eigentümer  die  Rück- 
forderungsklage gegen  den  vollstreckenden  Gläubiger,  das  Stadt- 
recht von  Freiberg  c.  I § 28 3)  versagt  sie  ihm.  Eine  entscheidende 


')  Man  mag  hierbei  an  Vieh,  das  mit  der  Hausmarke  des  Eigentümers 
gezeichnet  ist,  und  an  ähnliche  Fälle  denken.  Die  Regelung  in  § 35  ent- 
spricht den  Grundgedanken  des  deutschen  Sachenrechtes  durchaus,  und  es 
paßt  darauf  das,  was  Huber,  Gewerc  S.  12  von  der  Liegenschaftsgoweru 
sagt:  -Die  Gewerc  in  ihrer  eigenartigen  Beschränkung  ist  ütfcntlich  bekannt. 
Jeder  Dritte  weiß,  oder  kann  und  soll  es  wissen,  was  es  mit  ihr  für  eine 
Bewandtnis  hat“.  — Albrecht,  Gewerc  8.  92  und  no.  192  c und  Laband, 
Yennogensrechtliche  Klagen  8.  8G  fassen  den  § 35  dahin  auf,  daß  er  die 
Rück  forderungsklage  schlechthin  gestatte. 

Zur  Rechtfertigung  dieser  Übersetzung  der  Worte  .salvo  iure“ 
vgl.  die  oben  S.  7K  f.  no.  1 und  3 angeführten  Aussprüche  von  Köhler  und 
Suarez  über  eine  Veräußerung  „salva  hypotheca“  „salvo  usufructu  maritali“. 
Auch  hier  wieder  befinde  ich  mich  im  Gegensatz  zu  Herbert  Meyer, 
Neuere  Satzung  von  Fahrnis  und  Schiffen  S.  105  f.,  der  den  § 15  des  Stadt- 
rechts von  Nordhausen  dahin  auslegt,  daß  der  pfändende  Gläubiger  dem 
Satzungsglänbiger  vorgehe. 

3)  Bei  Laband,  Vermögensrechtliche  Klagen  S.  8fi  erwähnt. 

*)  ,Soe  ein  man  den  anderen  pfendet  umb  schuldt,  kempt  aber  eyn 
ander  und  spricht,  das  pfandt  sey  sein,  wil  er  des  nicht  gleuben,  er  sali 


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Bedeutung  für  unsere  Frage,  ob  nach  dem  Recht  des  Ssp.  die 
eingebrachte  Fahrnis  lür  die  Schulden  des  Mannes  haftet,  kann 
allen  diesen  Rechten  nicht  zukonunen.  Denn  in  Goslar  und  Nord- 
hausen sowie  in  Eisenach  galt  eine  vorn  Ssp.  durchaus  abweichende 
Normierung  des  ehelichen  Vermögensrechtes1),  und  Freiberg,  in 
dessen  Stadtrecht  nirgends  Spuren  des  Ssp.  sind,  steht  auch  in 
anderen  als  ehegüterrechtlichen  Fragen  ganz  außerhalb  des  magde- 
burgischen  Rechtskreises 

Aus  dem  Rechtsgebiet,  in  welchem  das  landreehtliche  und 
später  magdeburgische  Ehegüterrechtssystem  herrschte,  sind  mir 


und  »me*  cs  Hilft  den  heiligen  ausszziiten,  als  recht  ist,  das  sein  scy  ge- 
west für  und  nach  der  pffandungc“  (Ortloff  II  S.  365).  Ähnlich  l’urgoldts 
ICochtsb.  VII  öS  (ebend.  S.  221).  Nicht  verwendbar  ist  c.  S2  der  Gerichts- 
leulft  zu  Eisenach:  „Wer  gewandt  thuet  zu  einem  Schneider,  das  er  lest  zu 
kleideren  schneiden,  oder  körn  thuet  in  die  mullen,  oder  uichcl  in  das  back- 

haussz das  sal  um  niemandt  bekümmeren“.  Denn  wfr  wissen  nicht, 

ob  nicht  das  Recht  von  Eisenach  dem  Eigentümer  des  Gewandes,  Kornes 
oder  Mehlcs  die  Eigentumsklagc  auch  dann  versagt,  wenn  der  Schneider, 
Müller  bezw.  Hücker  sie  freiwillig  an  Dritte  verändert.  Es  würde  sich 
das  daraus  erklären,  dalJ  das  Recht  von  Eisenach  möglicherweise  noch  von 
dem  ursprünglichen  llofverhältnis  der  Handwerker  ausgeht  und  dem  Hand- 
werker eine  Gewerc  an  den  zur  Hcarbcitung  erhaltenen  Sachen  abspricht 
(vgl.  hierüber  Goldschmidt,  Zoitschr.  f.  d.  ges.  Handelsr.  VIII  S.  253; 
Daband,  Vennögensrechtliche  Klagen  S.  84:  lleusler,  Inst.  II  S.  215; 
Huber,  Gcwcre  S.  41;  Meyer,  Kntwcrung  und  Eigentum  S.  7t>  f.)  Die 
Bestimmung  in  c.  S2  der  Gerichtsleuift  würde  sich  dann  nicht  als  eine  Be- 
schränkung der  Translativfunktion  der  Gewerc  darstellen,  sondern  sie  würde 
nur  eine  Konsequenz  davon  sein,  dal!  Gewand,  Korn  und  Mehl  nicht  als  in 
der  Gewerc  des  bearbeitenden  Handwerkers,  sondern  als  noch  in  der 
alleiuigen  Gewcre  des  Bestellers  befindlich  angesehen  Werden. 

■)  Vgl.  für  Goslar  und  Nordhausen  den  Aufsatz  von  Haenel  in  der 
Zeitsehr.  f.  Kechtagesch.  I (1861)  S.  273  ff.,  fnr  Eisenach  Schröder,  Gesell, 
d.  chcl.  Gütcrr.  II  3 S.  73  f.  llacncls  Resultate,  soweit  sie  diu  im  Text 
behandelte  Frage  betreffen,  sind  u.  a.  auch  von  Martilz  S.  5,  Agricola 
S.  32  Note,  S.  35  und  Schröder  a.  a.  O.  S.  73  no.  22  anerkannt  worden. 

7)  Nur  ein  einziger  Fall  ist  bekannt,  in  dem  Freiberg  sich  nach 
Magdeburg  um  Uechtsbelehrung  wandte,  vgl.  Knnisch  in  der  Einleitung 
zu  seiner  Ausgabe  des  Freiberger  Stadtrechts  S.  XXVIII.  Agricola  S.  370 
verwendet  zwar  gelegentlich  das  Freiburger  Stadtrecht,  gibt  aber  S.  401 
no.  55  zu,  daü  es  auf  fremdartigen  Grundlagen  beruht. 


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M9 

nur  zwei  Stellen1)  bekannt,  welche  sich  fiher  die  Frage  der 
Vindicierbarkeit  der  beim  Vertrauensmanne  gepfändeten  Fahrnis 
aussprechen : 

Magdeburger  Schöffenspruch  bei  Wasserschieben  II  S.  83 
c.  ‘2(i5: 

„Philippus  ließt  vor  syne  packt  gepandet  Ulriks  kuye, 
de  Philippus  pacht 5)  mede  hadde  yn  syner  were.  Hyr  up 
ete.:  Kan  Ulrick  mvt  gerichtes  tuchnysse  edder  anders  alze 
r.  ys  bewysen,  dath  de  kuye  in  der  tydt  der  pandinge  syne 
weszet  syn,  alzo  ys  Philippus  plichticli,  ein  syne  kuye  wedder 
tho  bestellende,  dar  he  de  kuye  gepandet  lieft,  na  Mayd.  r.“ 

Magdeburg-Breslauer  Systematisches  Schöffenrecht  V c.  4 3): 

„Gebit  eyn  man  vnd  tut  syn  gewant  eyme  snyder  czu 
machyn,  adir  vonnitet  eyme  andirn  syn  pfert  adir  anders 
vyhes,  welchyrlcye  daz  ist,  vnde  wirt  der  snyder  adir  der 
mytinan  abetrunnyg  vnd  blibit  den  lutin  schuldic  vnd  lozin 
daz  gewant  adir  vihe  in  erym  gemache,  dorynne  ze  gewonit 


')  Per  knappgefaßte  Urteilstenor  bei  Wasscrschlcben  II  S.  79  c.  240 
„Vormidct  eyn  man  cyno  woninghe,  wen  de  tynstvdt  kumpt,  zu  mach  he 
well  paridcn,  wath  he  yn  der  woninghe  vindet“  besagt  wahrscheinlich  nur, 
daß  der  Hauswirt  ein  Pfändungsrccht  auch  gegen  den  Aftermieter  hat.  Auch 
der  Kechtsfall  S.  131  c.  47U  gehört  nicht  hierher:  die  Hardonick’achen  Ehe- 
leute sind  von  Neuruppin  nach  Prenzlau  gefahren  und  haben  Pferd  und 
Wagen  dort  in  Tornas  Lenebergs  Hause  untcrgestellt.  Einer  ihrer  Gläubiger 
pfändet  nun  bei  Eeneberg  die  beiden  Pferde  und  den  Wagen:  cs  stellt  sich 
heraus,  daß  Pferde  und  Wagen  nicht  den  Bardeniek’schen  Eheleuten,  sondern 
dem  Fuhrmann  gehören,  der  die  Eheleute  gefahren  hat.  Auf  die  Interventions- 
klage, welche  Leneberg  „mit  dem  Fuhrmann“  anstrengt,  wird  der  Gläubiger 
zur  Freigabe  verurteilt.  Der  Kechtsfall  ist  insofern  für  uns  unerheblich, 
als  man  wird  sagen  müssen,  ilaLl  nicht  die  Bardenick’schen  Eheleute,  sondern 
Leneberg  Pferd  und  Wagen  in  Gewere  hatte. 

3)  „Philippus  pacht“  ==  „des  Philippus  Pächter“,  vgl.  c.  206. 

®)  Bereits  Albrccht,  Gewere  no.  192  c und  Laband,  Vermögensrecht!. 
Klugen  S.  85  haben  sich  auf  diese  Stelle  berufen  und  darauf  hingewiesen, 
dall  nach  System.  Schöffenr.  V c.  7 bei  freiwilliger  Veräußerung  durch 
Handwerker  die  Knckfordcrungsklage  ausgeschlossen  ist,  — Zu  den  von 
Laband  S.  8(i  no.  34  aufgeführten  Parallelstcllcn  ist  Glogaucr  Kechtsb. 
c.  573  bei  Wassersehleben  I S.  G8  hinzuzufügen. 


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00 


habin,  7,0  mogin  dv  leute,  der  da 7,  gewant  adir  vihe  ist, 
dorczu  sich  wol  czihin  vnd  vorantwortin  mit  rechte  vud  di 
leute,  den  der  abetrunncge  man  ist  sciiuldic  blebin,  da/,  ge- 
wallt adir  pfert  adir  andir  vihe  mogin  ze  nicht  vor  ere 
schult  beseczcin  noch  irclagin“. 

Zieht  man  von  diesen  beiden  Aussprüchen  einen  Schluß  auf 
das  eheliche  Vermögensrecht,  so  wird  man  die  Frage,  ob  die  ein- 
gebrachte  Fahrnis  schon  allein  dadurch,  daß  sie  in  die  Gewere 
des  Mannes  gelangt  ist,  seinen  Gläubigern  haftet,  verneinen  müssen. 
Für  die  Frage  der  Schuldenhaftung  ist  der  Umstand,  daß  der 
Mann  die  Mobilien  der  Frau  in  seiner  Gewalt  hat,  bedeutungslos. 

III. 

Befrachten  wir  die  Frage  der  Schuldenhaftung,  und  zwar  so- 
wohl der  cingebrachten  Liegenschaften  als  der  eingebrachten 
Fahrnis,  unabhängig  von  der  auf  Seiten  des  Ehemannes  vorhandenen 
Gewere,  so  ist  zunächst  auffällig,  wie  häufig  in  den  Quellen  der 
Fall  erwähnt  wird,  daß  die  Ehefrau  sich  den  Gläubigern  ihres 
Mannes  neben  ihm,  sei  es  als  Selbstsehuldnerin,  sei  es  als  Bürgin 
verpflichtet.  Der  Zweck  eines  solchen  Verpflichtungsaktes  ist 
unerfindlich,  wenn  das  Frauengut  schon  von  Hechtswegen  für  die 
Schulden  des  Mannes  haftet,  und  die  Annahme,  daß  es  sich  in 
allen  solchen  Fällen  um  Vorbehaltsgut  der  Frau1)  oder  darum, 
eine  Haftung  der  Frau  mit  ihrer  Person  herbeizuführen,  gehandelt 
haben  soll,  unwahrscheinlich. 

In  den  späteren  Bearbeitungen  der  Ssp.-Glosse  finden  sich 
sodann  ausdrückliche,  bisher  nicht  beachtete  Zeugnisse,  welche  die 
Haftung  des  Frauengutes  verneinen: 

Jüngere  Glosse  zu  Ssp.  I 20*): 

„Nota  qnod  de  dote  sua  inulier  non  cogitur  solvere  debita 
mariti“. 


•)  So  Martitz  S.  304. 

’)  Zobol'sche  Ausg.  v.  1561  111.  68.  Es  ist  nach  dem  Zusammenhang 
der  Stelle  allerdings  nicht  ausgeschlossen,  daß  dos  hier  nicht  „cingcbrachtes 
<iut“  sondern  „Leibzucht“  bedeutet,  und  daß  es  sich  nur  um  die  Haftung 
nach  dem  Tode  des  Mannes  handelt. 


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91 


Glosse  zu  Ssp.  I 31  l): 

„Kt  licet  hie  textus  dicat,  virum  et  uxoreni  habere  sua 
bona  cütnmunia,  non  tarnen  ideo  talia  bona  fiunt  inariti  pro- 
pria,  ita  quod  ea  possit  in  solutum  dar«  pro  suis  debitis“. 

Glosse  zu  Ssp.  I 31 a) : 

„Ob  inariti  eulpam  mulier  non  potest  conveniri  nee  per- 
dit  bona  sua“. 

Diese  Aussprüche  haben  für  die  Erkenntnis  des  zur  Zeit  der 
Entstehung  des  Ssp.  herrschenden  Rechtszustandes  ein  um  so 
größeres  Gewicht,  als  anerkanntermaßen  die  Jurisprudenz  des 
10.  Jahrhunderts  von  dem  Bestreben  geleitet  ist,  die  Sätze  des 
Ssp.  in  ihrer  ursprünglichen  Reinheit  wieder  herzustellen5).  Einen 
weiteren  Beleg  bildet  eine  Eintragung  im  Vogteibuch  von  Kamieniec 
in  Podolien  aus  dem  Jahre  ltiOti,  wo  der  Satz  „uxor  ob  culpain 
mariti  conveniri  non  potest“  auf  Ssp.  I 31  gegründet  wird4). 

Hiermit  stimmt  die  Rechtsprechung  der  Magdeburger  Schölten 
überein.  In  einem  Naumburger  Rechtsfall  (Friese- Liesegang 
S.  410 — 412  Nr.  38  mit  der  Erläuterung  S.  849)  handelt  es  sich 
darum,  daß  nach  Frauwens  Tod  seine  Witwe  sich  mit  Curd  Fenver 
wiederverheiratet;  Curd  Fenver  ist  zu  ihr  und  ihren  Kindern  in 
das  Haus  ihres  ersten  Ehemannes  gezogen;  sein  Gläubiger  Kuling 
klagt  auf  dies  Haus.  Die  Schöffen  erklären  diese  Klage  für  unzu- 
lässig, weil  das  Grundstück  Frauwens  Kindern  gehöre;  wenn  aber 
die  Frau,  etwa  als  Leibzüchterin  oder  infolge  einer  Vergabung  zu 
Halbseheid  oder  zu  Dritteilsrecht,  an  dem  Grundstück  dinglich 
berechtigt  sei,  so  könnten  zwar  die  Kinder  nicht  hindern,  daß 
Kuling  das  Recht  beziehungsweise  den  Anteil  ihrer  Mutter  mit 

*)  Zobel’sche  Ausg.  v.  1561  BI.  96.  Genau  genommen  spricht  die 
Stelle  nicht  von  cxckutivUchem  Zugriff  der  Gläubiger,  sondern  davon,  daß 
der  Mann  das  Frauengut  ihnen  an  Zahlungsstatt  gibt. 

*)  Augsburger  Druck  v.  1517  Bl.  29  und  in  den  Zobel’schen  Ausgaben. 

3)  Vgl.  Gaupp,  Das  alte  Magdeburgische  und  Haitische  liecht  S.  113, 
no.  7 a.  E.;  Martitz  8.  281:  Jaeger,  De  origino  ususfructus  maritalis, 
besonders  8.  2,  11,  29  f.  In  Leipzig  wurde  151*3  den  neu  erwählten  Schöffen 
dringend  empfohlen,  den  Ssp.  zu  lesen,  vgl.  Distel,  Zeitschr.  d.  Sav.-Stift. 
Germ.  Abt.  VII  S.  98. 

4)  Vgl.  Ilalban,  Zur  Geschichte  des  Deutschen  Hechtes  in  Podolien, 
Wolhynien  und  der  Ukraine  S.  97. 


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Beschlag  belege,  wohl  aber  könne  die  Mutter  selbst  fliese 
Haftung  im  Wege  der  Einrede  vermeiden: 

„Hette  aber  die  mutter  der  kindere  nach  tode  desgenanten 
Frauwens,  ires  vorigen  mannes,  ennige  gerechtigkeit  an  deine 
ltausze  gehabt  und  czu  deine  gnanten  l 'urd  Ferwere  gebracht, 
damit  mosten  denne  auch  Kulings  clagen,  szo  ferne  er  die 
metlie  von  der  frauwen  wegen  ane  ire  adir  ires  fomiunden 
rechtliche  insage  darczn  gethan  hette,  uff  daz  tey I haften“. 

In  einem  Rechtsstreit  zwischen  Eheleuten  bei  Wassersch- 
ieben II  S.  139  f.  c.  11  entscheiden  die  Magdeburger  Schöffen 
auf  die  Anfrage  der  Ehefrau: 

„efft  wol  der  suluige  man  jwe  man  sinen  (vorehelichen) 
gelouigern  up  jwe  gudere  vor  gerichte  etzlike  schult  helft 
vorteckeu  laten,  so  hellt  doch  sulcke  gerichtlike  vorscrininge 
up  jwen  gudern,  de  wile  gy  de  suluigen  jwein  manne  eygen- 
dliomliken  nicht  gegitftigt,  im  rechten  wedder  craftt  noch 
macht,  unde  wes  he  (nach  der  Eheschließung)  wider 
an  geltschulden  by  etzliken  papcn  gemaket  unde  ane  jwen 
willen  geborget  darvor  doruen  jwe  unnerlatene  guder 
in  rechten  nicht  hafften  unde  de  suluigen  cleger  mögen 
sick  mit  rechte  an  jwe  guder  nicht  wisen  laten,  wes  gy 
auer  vor  jwen  man  uth  jwen  gudern  mit  gudern  willen  sinen 
gelouigern  betalt,  dat  moth  ock  ane  wedderforderinge  billich 
betalt  bliuen“  *). 

Ähnlich  lautet  die  Entscheidung  in  dem  Rechtsfall  bei  Friesc- 
Liesegang  S.  54 1 f.  Nr.  97.  Es  handelt  sich  dort  dämm,  daß 
Lissenig  gegen  Ponch  eine  Summe  Geldes  erstritten  hat,  die  nach 
Ponchs  Tode  dessen  Witwe  Margarete  als  ihr  Eigentum  in  An- 
spruch nimmt,  weil 


•)  Haß  die  Frau  einen  Anspruch  auf  Rückerstattung  dessen,  was 
sie  für  des  Mannes  Schuld  ausgegeben,  nicht  hat,  zeigt  auch  der  Sehöffen- 
spruch  bei  Wasscrschleben  I S.  117  c.  242.  Auch  wenn  sie  als  Bürgin  ge- 
zahlt hat,  hat  sie  keinen  Regreß,  es  sei  denn  daß  die  Zahlung  erst  nach 
dein  Tode,  des  Hauptschuldners,  des  Ehemannes,  erfolgt  ist,  vgl.  Magdeburger 
Fragen  11  2 d.  12a:  die  Interpretation  dieser  Stelle  bei  Agricola  S.  401 
ist  der  von  Martitz  S.  305  no.  8 gegebenen  vorzuzichcn:  so  auch  Schröder, 
Gesell,  d.  ehel.  Gfiterr.  II  3 S.  2(17. 


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OH 

„das  geld  von  ires  ersten  mannes  lipgute  herkomen  ist, 
mide  dy  frouwe  das  geld  noch  orem  gclobde  had  unde  Ponch, 
ir  wert  selligin,  das  geld  in  formundeschaft  gehabit  hab  von 
ireni  wegin“. 

Wieso  das  Geld  vom  Leibzuchtsgute  „hergekommen“  ist,  ob 
in  Gestalt  einer  Rente  oder  ob  in  Gestalt  des  Kaufpreises  bei 
Verkauf  des  Leibzuchtsgutes,  ist  aus  der  Anfrage. nicht  ersichtlich. 
Die  Schöffen  berücksichtigen  daher  beide  Möglichkeiten: 

„Ist  frouwin  Margarethin  lipgedinge  unde  lipguthe,  dy  sy 
von  irem  ersten  manne  hatte,  vorkouft  und  in  geld  gewandelt, 
adir  sin  ire  zcinsze  von  irem  lipguthe  in  gereytschaft  ader 
der  frouwen  betaget  unde  mit  clagen  begriffen  gewest,  er 
denne  Ulrich  Ponch,  ire  wirt,  starp,  so  muszin  dy  czinsze 
adir  geld  von  ires  mannes  wegen  clage  lidin.  Sy  mag  der 
davor,  das  sie  yr  mitte  globit  sin,  und  das  ire  wirt  dy  in 
formundeschaft  gehabit  had,  nicht  vorantwertin“. 

Ist  das  Gehl  Zins,  so  haftet  es  für  des  Mannes  Schuld  als 
Frucht  des  in  die  zweite  Ehe  eingebrachten  Leibzuchtsrechtes;  ist 
es  Kaufpreis,  so  haftet,  es,  weil  es  Eigentum  des  Mannes  ist,  denn 
es  gilt  nach  Magdeburger  Recht  nicht  successio  pretii  in  locum 
rei '),  so  daß  die  Frau  am  Kaufpreis  etwa  Leibzuchtsrechte  er- 
worben hätte. 

Die  gleichen  Grundsätze  gelten  natürlich  auch  dann,  wenn 
es  sich  um  solches  Gut  der  Ehefrau  handelt,  welches  von  ihrem 
Ehemann,  dem  Schuldner,  herstammt.  So  heißt  es  bei  Wassersch- 
ieben II  S.  55  c.  lf!5s): 

„Hofft  de  man  syner  vrowen  vor  gerichte  niaket  edder 
gegeuen  watli  benantes*)  Standes  eyghen,  darvan  derff  sze 
nicht  ghclden  eres  mannes  schulde“. 

')  Vgl.  hierüber  Mertitz  S.  272  im.  15,  S.  284  no.  8,  S.  285,  2!>5, 
Agrirnln  S.  270 — 27!)  mul  Schröder,  Gesell,  d.  ehcl.  Gfitcrr.  H 3 S.  17. 

s)  Allerdings  handelt  es  sich  hier  nicht  um  die  Zeit  während  der  Ehe, 
sondern  darum,  ob  die  Witwe  fiir  die  Schulden  des  verstorbenen  Mannes  auf- 
znkomincn  hat. 

3)  Gegensatz:  .hcll't  he  euer  gegeuen  unde.  gemaket  in  eyner  meinen 
wyaze  alle  syn  gut,  edder  wat  deyles  an  syneni  gude  na  syneni  dode,  so 
sculdeti  des  mans  schulde  tho  vorne  uthgan,  darna  scal  ze  nemen,  watli  er 


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94 

Die  Früchte  eines  Gutes,  an  welchem  der  Mann  seiner  Frau 
eine  Vergabung  gemacht,  halten  aber  auch  nach  der  Vergabung 
seinen  Gläubigern.  Su  heißt  es  in  dem  Hechtsfall  bei  Friese- 
Liesegang  S.  496  Nr.  öl1): 

„Nachdemmale,  daz  der  man  noch  lebit,  der  syne  hus- 
frouwen  mit  sime  gute  belipgedinget  had,  so  en  mag  sy  dez 
by  eres  mannes  lebinde  nicht  vorantwerten.  Sünder  dy 
czinsze  unde  nucz,  dy  von  deme  gute  von  jare  czu  jare 
vallen  mag,  dy  mögen  dyc  schuldener,  dy  her  vorsaezt.  had, 
unde  den  her  schuldig  ist,  by  synem  lebinde  mit  rechte 
irfordem“ 2). 

Zins  und  Nutz  des  Leibzuchtsgutes  haften  also  den  Gläubigern 
nur  by  des  mannes  lebinde,  denn  nur  so  lange  er  lebt  werden 
Zins  und  Nutz  kraft  seines  Rechts  zu  Vormundschaft  sein  Eigen- 
tum. Nach  dem  Tode  des  Mannes  wird  die  Frau  als  Leib- 
züchterin Zins  und  Nutz  frei  von  dem  Zugriff  der  Gläubiger  ge- 
nießen. Es  kommt  in  diesem  Schöffenspruch  ziemlich  deutlich 
zum  Ausdruck,  daß  die  einzelne  Zinsrate  schon  vor  der  Fälligkeit, 
also  bevor  sie  in  das  Eigentum  des  Mannes  übergegangen  ist,  den 
Gläubigern  haftet,  daß  mithin  das  Nutznießungsrecht  selbst  pfänd- 
bar ist;  wenn  auch  nicht  das  Nutznießungsrecht  am  ganzen 
Frauengut,  so  doch  das  Nutznießungsrecht  an  den  einzelnen  zum 
Frauengut  gehörenden  Gegenständen.  Noch  klarer  zeigt  dies  ein 
Schöffenspruch  bei  Friese-Liesegang  S.  406  Nr.  33: 

„Hette  die  Obelerin  irem  ehelichen  manne  die  eckere,  als 
ir  von  irem  vatere  anirsturben  seyn,  an  ereftigen  steten,  als 
vor  gerichte,  nicht  aufgetragen  noch  vorlassen,  szo  haben 
ouch  die  bottichere  den  eygenthumb  des  agkers  vor  des  mannes 

behoren  mach,  nlze  vor  deine  richte  begauct  ys“.  Die  Unterscheidung  ist 
durchaus  korrekt,  da  in  diesem  letzteren  Fall  die  Frau  kein  dingliches 
Recht  an  dem  einzelnen  Exekutionsobjekt  erworben  hat.  Ebenso  die  Glosse 
zum  Weichbild  in  der  Ausgabe  von  Daniels  und  Gruben  Sp.  273  Z.  40  — 
Sp.  274  Z.  13. 

')  Es  scheint  derselbe  Kechtsfall  zu  sein,  den  schon  Schröder,  Oesch. 
d.  eliel.  Gfitorr.  II  3 S.  200  no.  4 bespricht. 

*)  Die  Gläubiger  berufen  sich  auf  Ssp.  I 31:  .sinddommal  daz  der 

fromven  eliche  Vormünder  noch  lebet,  unde  man  noch  fron»«  keyne  geezweygete 
gud  czu  iren  liebin  moghen  gohabin“. 


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schulde  nicht  erfordern  noch  mit  clagen  an  sich  brengen 
mögen.  Szundcrn  die  gebrauchunge  desselbien  agkers 
musz  den  bottechern  jerlichen  vor  ire  schult,  dieweyle  der 
Obelerin  eheman  ame  leben  ist,  haften  und  clage  leyden“. 

Unter  diesem  Spruche  steht  von  gleichzeitiger  Hand: 

„Pro  debitis  mariti  potest  intentari  actio  contra 
usnmfructum,  quem  habet  maritus  in  bonis  uxoris  sue“. 

Nach  diesen  Quellen  Zeugnissen  lal.lt  sich  die  Ansicht  von 
Martitz,  daß  — wenigstens  im  Landrecht  — das  gesamte  ein- 
gebrachte  Gut  für  alle  Schulden  des  Mannes,  und  die  Vermutung 
von  Agricola')  und  Schröder1),  daß  es  für  die  zur  Tragung 
der  Lasten  des  Haushalts  und  der  Wirtschaft  vom  Manne  gewirkten 
Schulden  hafte,  nicht  aufrecht  erhalten. 

')  s.  393  ff. 

s)  Qcsch.  (I.  eliel.  Oüterr.  II  3 S.  2G7. 


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Vierter  Abschnitt. 

Sondergewere  der  Frau  an  der  Gerade  und  am  Vorbehaltsgut. 

I. 

Die  wirtschaftlichen  Verhältnisse,  auf  welche  das  eheliche 
OQterrecht  des  Ssp.  angelegt  ist,  mochten  es  den  Ehegatten  häufig 
wünschenswert  erscheinen  lassen,  daß  der  Frau  die  Möglichkeit 
rechtswirksamer  Verfügung  über  die  Gerade  geboten  wurde.  Me- 
reits  Heusler')  hat  die  Vermutung  ausgesprochen: 

„ich  weiß  nicht,  ob  gegenüber  der  kategorischen  Ab- 
lehnung alles  und  jeden  Verfügungsrechtes  der  sächsischen 
Ehefrau  nicht  könnte  aufrecht  erhalten  werden,  daß  die  Frau 
über  Alles,  was  zur  Gerade  gehört,  frei  verfügte,  weil  sie  es 
unter  ihrer  Obhut  hatte,  seinen  Wert  am  besten  zu  be- 
stimmen wußte,  am  sichersten  beurteilen  konnte,  wiefern  es 
zweckmäßig  sei,  es  zu  veräußern:  ja  es  mochte  der  Frau 
um  so  eher  überlassen  bleiben,  als  ein  rechtes  Rauernweib 
hierfür  mehr  Sorge  trägt  als  der  Mann,  weil  in  diesen 
Sachen  ihr  Stolz  liegt,  abgesehen  von  dem  Wunsche  mög- 
lichster Erhaltung  und  Häufung  wegen  des  künftigen  Heim- 
falls an  sie  bei  Tod  des  Mannes“. 

Eine  Verfügung  der  Ehefrau  war  nur  denkbar  über  solche 
Gegenstände,  welche  der  vormundschaftlichen  Gewere  des  Ehe- 
mannes entzogen  und  einer  Sondergewere  der  Frau  unterstellt 
waren.  Die  Frau  mußte  die  Sachen  unter  separaten  Verschluß 
nehmen,  um  damit  der  von  ihr  ausgeübten  tatsächlichen  Herrschaft 
«las  nach  außen  erkennbare  Merkmal  der  Selbständigkeit  aufzu- 


')  Inst.  II  S.  3$->  f. 


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97 


drücken.  Anderenfalls  war  bei  jeder  Veräußerung,  die  sie  vor- 
nalim,  der  Mann  zu  der  Behauptung,  daß  er  die  Sache  wider 
Willen  aus  der  Oewere  verloren  habe,  legitimiert  und  konnte  sich 
des  Gutes  unterwinden.  Für  den  Dritten,  welcher  Geradesachen 
von  der  Frau  erwerben  wollte,  war  das  Vorhandensein  der  Gewere 
auf  Seite  der  Frau  die  Voraussetzung  zum  Abschluß  des  Rechts- 
geschäfts. 

Die  Quellen  des  14.  Jahrhunderts  enthalten  nun  in  der  Tat 
mehrfach  Belege  für  eine  Sondergewere  der  Frau  an  der  Gerade 
unter  Ausschluß  der  Gewere  des  Mannes'): 

Wcichbildglosse  eines  magdeburger  Schöffen  (um  132»)*)  in 
der  Berlin-Steinbeck’schen  Handschrift3): 

„Hat  ein  gastgebe  bettegewant,  daz  gemeyne  ist  sinen 
gesten,  in  sinen  slafkammern,  daz  gehört  zu  dem  erbe,  hot 
sy  (die  Ehefrau)  abir  in  irem  kästen,  da  sy  selber  den 
slnssel  zcu  treit4),  sotan  gerete,  daz  gehört  zcu  der  ge- 
rade   Were  abir  ir  man  ein  goltsmyt  gewesin; 

der  manchirlev  ding  geworcht  hette  zcu  frawen  czirde  uf 
den  kouf,  daz  gehört  zcu  dem  erbe,  hette  sy  abir  sontanez 
icht  in  iren  beslossin  geweren  daz  sy  vor  genuczt 
hette  vnd  genat  vnd  gemacht  were  zcu  ir  notorft,  daz  ge- 
hört zcu  der  gerade1*. 


')  Mit  Rückaicht  hierauf  ist  unsere  Erörterung  oben  S.  37  über  eine 
Stelle  aus  Wurms  Stadtrechtsbnch  nunmehr  zu  berichtigen.  — In  Schweid- 
nitz  konnte  die  Ehefrau  über  .irr  klcider  und  ir  gebünde“,  in  Ilildesheiin 
über  .peplum  sunm  et  colutn  et  fusum  suum“  frei  verfügen,  vgl.  die  Quellen- 
belege bei  Schröder,  Gesch.  d.  ehel.  Güterr.  II  3 S.  220  f.  no.  13—15. 
Ein  solches  Verfügungsrecht  ließ  sich  unserer  Auffassung  nach  ohne  eine 
Sondergewere  der  Frau  an  den  Geradesachen  nicht  ausüben. 

a)  Vgl.  Steffenhagen  Sitz.-Ber.  XC'VIII.  1 S.  78  Die  Zeitbestimmung 
ergibt  sich  daraus,  daß  diese  Weichbildglosse,  welche  wahrscheinlich  von 
dem  Verfasser  der  Bcrlin-Steinbeck'schen  Ssp. -Glosse  herrührt  (Steffen- 
hagen S.  59),  diesem  bei  seiner  Arbeit,  die  bald  nach  1329  entstand  (Steffen- 
hagen S.  78),  schon  vorlag. 

3)  Abgedruckt  bei  Steffenhagen  a.  a.  O.  S.  02  no.  1 und  2. 

*)  Wörtlich  ebenso  die  Ssp. -Glosse  der  Berlin-Steinbeck'schen  Hand- 
schrift, bei  Stoffenhagen  S.  Gl. 

Kiesel,  Gewere  ( 


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98 


Blume  von  Magdeburg  112  c.  114: 

„Hot  ein  man  seinem  weibe  gebin  ein  dritteil  in  alle 
seyn  gut,  iz  sy  varend  odir  vnuarende,  wo  ers  habe,  vnd  ist 
ir  dy  gäbe  bestetigit  uor  geriehte,  als  recht  ist:  dy  frawe 
nymt  czu  uorauz  ir  gherade,  dy  sy  bvnnen  ir  beslossin 
ge  wer  e hot,  vnd  dorczu  daz  dritteil  in  alle  dem  gute,  daz 
ir  man  ubir  seine  schulde  gelasin  hot“. 

Wurm’sche  Glosse  zu  Ssp.  I 24  (Berlin  Kgl.  Bibi.  Ms.  germ. 
fol.  43«  Bl.  52«  53): 

„Ab  ein  man  insime  linse  keinerley  casten  me  bette  wenne 
sy  weren  alle  mit  irhobin  lydin  ist  weren  kästen  oder  trulen 
sulden  di  alle  czu  der  gerade  geboren  sint  daz  er  hir  spricht 
kästen  mit  ufgehoben  laden.  Hir  uf  spreche  wir  ein  recht, 
czu  welchim  kastin  irn  sunderlichin  slnssil  treit  und 
nymant  mer  der  gehöret  czu  der  gerade,  hette  sy  abir 
sunderlich  kästen  trulen  oder  schryno  mit  gebrocht  die  uol- 
gin  ir  auch  uonrcchtiswegin.  Ab  ein  koufman  hette  gani 
rohe  odir  gesotin  lynwat  gesnyten  und  ungesnvten  und  ander 
wäre  die  auch  gerade  antrife  insinem  crome.  solde  daz  auch 
czu  der  gerade  gehören  odir  nicht.  Hir  uf  spreche  wir  ein 
recht,  waz  sotanes  dingis  ist  do  eines  mannes  narunge  an 
lyt  und  czu  crome  gehört  daz  gehört,  czu  dem  erbe,  w a z 
si  abir  inir  sunderlich  gewere  hot  und  beslust  . .. 
daz  gehorit  alliz  czu  der  gerade“  *). 

Wnrm’sche  Glosse  zu  Ssp.  III  74  (Ms.  germ.  fol.  437  Bl. 
5(58«),  wo  bezüglich  der  Auseinandersetzung  unter  den  Ehegatten 
bei  Nichtigkeitserklärung  der  Ehe  gesagt  wird: 

„Ir  gerade  abir  muz  er  ir  gebin  das  ist  ir  gerete  daz 

sy  selbir  beslossin  hot  in  irn  geweren, vnd 

ir  musteile“. 

')  Vgl.  Weichbildglosso  bei  Daniels-Gruben  Sp.  291  Z.  39-  47: 
„Alle  die  hanlwerg,  was  die  solliche  gcretes  haben  da*  zu  der  trglirheii 
narunge  gehorit,  da*  gehorit  alles  zu  dem  erbe:  hette  ahir  die  frauwe 
iclit  in  irer  beslossin  gewere,  do  nymant  den  slnssil  zu  trüge, 
denne  sy  alleine,  uude  nn  ir  genant,  unde  an  ir  gebende,  adir  zu  anderin 
gezirde  gehörnt  daz  gehorit  zu  der  gerade:  Waz  ahir  anderswo  ist.  daz  ge- 
horit zu  dem  erbe". 


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99 


Magdeburger  Schöffenspruch  aus  der  zweiten  Hälfte  des 
14.  Jahrhunderts  bei  Friese-Liesegang  S.  172  Nr.  26,  wo  es 
sich  darum  handelt,  daß  ein  Witwer,  der  sich  wiederverheiratet, 
der  zweiten  Frau  die  von  der  ersten  Frau  stammende  Gerade  ge- 
schenkt hat1);  nach  seinem  Tode  wird  diese  Gerade  von  den  ' 
Schwestern  der  ersten  Frau  beansprucht;  die  Witwe  führt  zu  ihrer 
Verteidigung  folgendes  an: 

„dun  sie  in  ores  bederven  mannes  hus  quam,  don  ant- 
worde  he  ore  de  slotele  van  den  kesten,  de  in  deme 
liuse  weren,  unde  bevol  ore  dat  gesmyde  in  den  kesten,  an 
bedde,  wände,  kussene,  dekene,  lakene  unde  warcht  sulver 
tu  mowen  spanghen,  bederven  scolde  lik  oreme  gerede,  dat 
sie  gebrachte,  unde  lieft  des  gebruket“. 

Schöffenspruch  in  der  Zobel’schen  Ausgabe  des  Weichbildes 
und  Lehnrechts  von  1557  Bl.  129: 

„Seind  die  zwene  Grafen  todes  halben  von  dieser  Welte 
verschieden  vnd  haben  jr  jtz lieber  sein  Eheweih  Witwe  nach 

sich  gelassen, so  müsset  jr  den  selbigen  geben 

und  volgen  lassen  jr  gebuerlich  Gerade Vnd  zu 

Gerade  gehören  alle  Schaff,  Gense, alle  weibliche 

k leider  vnd  gezierde,  Vorspan,  Fingerlein,  vnd  Ringe,  die  die 
Frawen  pflegen  zu  tragen,  vnd  in  jren  ge  wehren  zu 

haben,  sie  sein  von  Golde  oder  Silber Sonder 

das  Gold  vnd  Silber  das  zu  frawen  gezierde  nicht  gewurcht, 
Spanhefftlen,  vnd  gülden  Ringe,  die  ewer  Vettern  selbst 
getragen  vnd  in  jren  ge  wehren  gehabt,  vnd  nach  sich 
gelassen  haben,  vnd  das  vngeschnitten  Gewand,  moegen  jre 
gelassen  witwen  zu  Gerade  nicht  fordern  noch  in  jre  Gerade 
ziehen,  Sondern  solche  alles  volget  den  Erben  billich“. 

In  diesen  Aussprüchen  liegt  manche  Schwierigkeit  verborgen. 
Wie  lassen  sie  sich  mit  den  zahlreichen  Quellenzeugnissen,  nach 


*)  Nach  dem  Tenor  <lcs  ächöffenurteils  hat  die  Witwe  eidlich  r.u  er- 
härten, „dat  ore  man  ore  de  rade  geven  hebbe".  l uter  diesem  „Geben“ 
wird  man  wohl  nicht  nur  ein  Anvertrauen  iu  häuslicher  Obhut,  sondern  eine 
Eigcntumsübertragung  zu  sehen  haben. 

7* 


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100 


denen  der  Mann  die  in  der  Regel  aus  (ierade  bestellende1)  Aus- 
steuer der  Frau  in  seine  Gewerc  nimmt,  vereinigen?  Mehrfache 
(lewere  an  Fahrnis  ist  doch,  wie  gerade  wieder  der  eben  zuletzt 
mitgeteilte  Schöflensprueh  zeigt,  undenkbar.  Ferner  besteht  die 
Sondergewere  der  Frau  nicht  nur  an  den  von  ihr  eingehrachten, 
sondern  auch  an  den  vom  Ehemann  stammenden  Geradesachen*), 
und  man  sieht  sich  deshalb,  da  doch  auch  bei  Fahrnis 
die  (lewere  Ausdruck  eines  Rechtes  am  Gute  ist,  vor  die  Frage 
gestellt,  ob  die  Frau  dadurch,  daß  der  Mann  seine  Gerade- 
sachen in  ihre  Sondergewere  gegeben  hat,  Eigentümerin  derselben 
geworden  ist3). 


’)  Die  Ausstattung  mit  Gerade  bildet  die  Kegel.  Vgl.  Gaupp,  Ger- 
manistische Abhandlungen  S.  75  ff.:  Wendrnth,  De  institutis  quibusdain 
iuris  dotalis  Saxonico- Yratislti vielt sis  S.  13,  48;  Martitz  S.  95,  100  nt>.  29, 
S.  131,  241,  253:  Jacger,  Do  originc  ususfructus  maritalis  8.  8:  Schröder, 
Gesell,  d.  eitel.  Gfitcrr.  II  3 S.  372:  .Das  Vermögen  verheirateter  Frauen 
bestand  unter  den  Verhältnissen,  für  welche  der  Ssp.  berechnet  war,  in  der 
Kegel  nur  aus  der  Gerade*;  Hausier,  Inst.  11.  S.  391;  .Die  Gerade  ist 
in  der  Gestalt,  wie  sie  der  Ssp.  kennt,  nichts  anderes  als  die  in  der  ge- 
meinsamen Wirtschaft  der  Eheleute  gebesserte  oder  geärgerte  Aussteuer  der 
Ehefrau*:  Köhler,  Jahrb.  f.  Dogm.  XXIV  S.  199.  Vgl.  auch  die  von  Ho- 
meyer  Ssp.  3.  Ausg.  mitgeteilte  Variante  von  Ssp.  1 31  § 2:  „Svenne  cn  man 
wif  nimt,  so  nimt  he  in  sine  gewerc  al  ere  rede  gut  to  rechter  vor- 
uiuntscap*. 

s)  Schwierigkeiten  bietet  auch  die  Weichbihlglosso  bei  Daniels- 
Gruben  Sp.  292  Z.  37-41:  .Noch  ist  nieliir  gerete,  daz  zu  der  gerade 

gehorit:  alzo  geslisseno  federn,  kästen  mit  uffgehabin  luden:  Lettin  sy  der 
nicht,  so  nymt  sy  die,  dy  sy  mit  ir  broclite,  unde  sunderlich  do  sy  slussele 
zu  treit“.  Man  wird  übersetzen  müssen  .und  zwar  soweit  sie  die  Schlüssel 
dazu  trägt*,  statt  .und  auUcrdem  diejenigen,  zu  denen  sie  die  Schlüssel 
trägt*.  Schwer  verständlich  ist  Sp.  285  Z.  30 — 39:  in  der  Stelle  Sp.  291 
Z.  10 — 19  endlich  wird  der  verstorbenen  Ehefrau  eine  Sondergewere  an 
einem  Gewand  zugeschrieben,  weil  sic  es  in  ihrer  Truhe  gehabt  hat : aus 
diesem  Grunde  fällt  es,  als  zur  Gerade  gehörig,  an  die  Niftel  und  nicht  an 
die  Erben. 

3)  bekanntlich  ist  die  Ansicht,  daU  die  Krau  durch  die  EheschlicUung 
Eigentümerin  der  ganzen  im  ungezweiten  Gut  befindlichen  Gerade  werde,  von 
einer  ganzen  Keilte  von  Schriftstellern  vertreten  worden,  vgl.  die  Literatur- 
übersicht über  diese  Frage  bei  Schröder,  Gesell,  d.  chel.  Gfitcrr.  II  3 
S.  323  no.  84.  Hcuslcr,  Inst.  II  S.  382  vermutet  einen  Zusammenhang 
zwischen  dem  von  ihm  angenommenen  Verfügungsrecht  der  Frau  über  die 
eheliche  Gerade  und  der  Schüsselgewalt. 


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101 


Kino  andere  Frage  ist,  oh  nicht  diese  Sondergewcre  der  Frau 
an  der  Gerade  den  Ausgangspunkt  bildet  für  die  Konstituierung 
von  Vorbehaltsgut1).  Ist  doch  die  eigentümliche  Erscheinung, 
daß  zur  Ausschließung  des  ehemännlichen  Verwaltungs-  und  Nutz- 
nießungsreehtes  ein  Ehevertrag  nicht  genügte,  noch  bis  heute  nicht 
erklärt:  Die  sächsische  Ehefrau  mußte  diejenige  Fahrnis,  welche 
bei  Auflösung  der  Ehe  an  ihre  Verwandten  und  nicht  an  den  Mann 
oder  dessen  Erben  fallen  sollte,  ständig  unter  eigenem  Verschluß 
halten,  auch  wenn  sie  das  feste  Vertrauen  hatte,  daß  der  Mann 
seine  Verltigungsmaeht  nicht  mißbrauchen  würde.  Und  ebenso 
merkwürdig  ist  es,  daß  der  Ehemann  seinem  Dispositionsnießbrauch 
über  Ungerade  der  Frau  nicht  entsagen  konnte,  ohne  zugleich  sein 
und  seiner  Erben  Erbrecht  daran  zu  verlieren,  und  daß  er  aut 
dies  Erbrecht  an  der  Ungerade  nur  verzichten  konnte,  wenn  er 
schon  während  der  Ehe  der  Frau  die  Verwaltung  und  Nutzung 
überließ  ’).  Diese  Schwierigkeiten  lösen  sich  ohne  weiteres,  wenn 
man  annimmt,  daß  das  Institut  des  Vorbehaltsgutes  sich  im  An- 
schluß an  die  Sondergewcre  der  Frau  über  die  Gerade  entwickelt 
hat.  Denn  in  diesem  Fall  war  es  nur  natürlich,  daß  bei  Auf- 
lösung der  Ehe  das  Vorbehaltsgut  des  Schicksals  der  Gerade  teil- 
haftig wurde  und  ebensowenig  wie  diese  an  den  Mann  beziehungs- 
weise seine  Erben  fiel. 

Man  wird  nun  auch  das  psychologische  Motiv,  welches  für  die 
Einführung  von  Sondergut  bestimmend  war,  verstehen.  Gerade  in 
dieser  Beziehung  herrscht  bis  heute  lebhafter  Streit: 

Martitz  S.  '208: 

„Die  Befugnisse,  die  im  Ssp.  dem  Manne  über  die  Fahrnis 
der  Frau  zugeschrieben  werden,  sein  freies  Verfügung* - 
recht  während  der  Ehe,  sein  ausschließliches  Erbrecht 
daran  gefährdeten  die  Vermögenslage  der  Frau  um  so  mehr, 
je  weniger  sie  in  der  Gerade  einen  Ersatz  für  ihr  Einge- 
brachtes sehen  konnte“. 

')  Leun  Ljon-C«en,  I.a  fciniiiu  nmrice  allcnmnil«  (1’aris  l!)03)  8.  '2-> 
nennt  die  Gerade  „le  tiojan  du  futur  Vorbehaltsgut“. 

’>)  Wenigstens  ist  dies  die  Regelung  des  magdeburger  Hechts,  vgl. 
eben  S.  66. 


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10-2 


Schröder,  Gesell,  d.  ehel.  Güter.  II  3 S.  12: 

„Nach  Agricolas  Auffassung  hätte  das  Institut  des  Sonder- 
guts vornehmlich  der  Besorgnis  der  Frauen,  ihre  Männer 
möchten  das  ihnen  an  der  Fahrhabe  zustehende  Veräußerungs- 
reeht  mißbrauchen,  seine  Entstehung  zu  verdanken,  also 
einem  für  die  Männer  sehr  wenig  schmeichelhaften  Motive, 
das  diese  selbst  schwerlich  so  allgemein  bewogen  haben  könnte, 
sich  den  Vorbehalt  gefallen  zu  lassen.  Nicht  sowohl  das 
Mobiliarrecht  des  Mannes,  als  vielmehr  das  Hecht  seiner 
Erben  auf  sämtliche  nicht  zur  Gerade  gehörige 
Mobilien,  die  sich  bei  seinem  Tode  vorfanden,  war 
der  schwerwiegende  Grund,  um  beiden  Ehegatten  die  Kon- 
stituierung von  der  Frau  zugehörigen  Kapitalien  als  Sonder- 
gut  äußerst  wünschenswert  zu  machen“. 

Diese  Ansicht  Sch röder’s  läßt  sich  heute  nicht  mehr  halten. 
Denn  wie  Behre1)  nachgewiesen  hat,  war  es  in  den  Städten  all- 
gemein üblich,  durch  eine  gelobte  Morgengabe  die  Frau  für  ihre 
eingebrachte  Ungerade  zu  entschädigen.  Aber  darin  wird  man 
Schröder  beipflichten  dürfen,  daß  das  Institut  des  Vorbehalts- 
gutes schwerlich  Eingang  gefunden  haben  würde,  wenn  es  nicht 
zugleich  dem  eigenen  Interesse  des  Ehemannes  gedient  hätte.  Ein 
Interesse  des  Ehemannes,  seinen  Erben  die  von  seiner  Ehefrau 
stammende  Ungerade  zu  entziehen,  läßt  sich  nun  freilich  nicht 
ersehen,  wohl  aber  mußte  es  unter  den  veränderten  wirtschaftlichen 
Verhältnissen  in  den  Städten  ihm  wünschenswert  erscheinen,  wenn 
die  Verfügungsmacht  der  Frau  über  den  Kreis  der  Geradesachen 
hinaus  erweitert  wurde.  Besonders  die  Fortführung  eines  vor  der 
Ehe  betriebenen  Handelsgeschäftes  war  für  die  Ehefrau  nur  unter 
der  Voraussetzung  möglich,  daß  ihr  der  Mann  unter  Verzicht  auf 
seine  Gewere  zu  Vormundschaft  eine  Sondergewere  an  ihrem  Waren- 
lager einräumte.  Dies  mußte  er  selbst  dann,  wenn,  wie  es 


')  S.  90— 10G:  so  spricht  llehrc  denn  aucli  im  Schluß  wort  S.  111  die 
Vermutung  aus,  daLi  das  Vorbehaltsgut  im  ostfalischcu  ltvcht  eine  ganz 
untergeordnete  Holle  gespielt  habe,  da  es  durch  das  anscheinend  sehr 
beliebt  gewesene  Institut  der  gelubteu  Morgengabe  völlig  ersetzt  wor- 
den sei. 


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103 


meist  der  Fall  gewesen  sein  wird1),  das  von  der  Frau  betriebene 
Gewerbe  den  Handel  mit  „gam,  bedde,  pole,  küssene,  lilakene, 
dischlakene,  dvelen,  badelakene,  lin,  wiilike  kledere,  Spillen,  wocke, 
werve,  liede,  heckele,  ribbelappe,  ribbeisern,  nalden,  huven,  vlecht- 
snure,  stanthart,  natelfoder*)“  und  ähnlichen  Waren  zum  Gegen- 
stand hatte.  Denn  die  in  den  Geradekatalogen  anfgefflhrten 
Sachen  hatten  den  Geradecharakter  nicht  schlechthin,  sondern  nur 
dann,  wenn  sie  zu  des  Eigentümers  „vnd  synis  tegelichen  gesindes 
notdorft3)“  bestimmt  waren;  wie  Nikolaus  Wurm  in  der  oben 
abgedruckten  Glossenstelle  sagt: 

„Ab  ein  koufman  — (oder  eine  Kauffrau4))  — bette  . . . 
wäre,  di  auch  gerade  ant.rife  insinem  crome  ....  waz  so- 
tanes  dingis  ist  do  eines  raannes  narnnge  an  lyt  und  czu 
crome  gehört  daz  gehört  czu  dem  erbe“ 5). 


II. 

Es  hat  bisher  als  feststehender  Satz  des  ehelichen  Güterrechts 
des  Ssp.  gegolten,  daß  bei  Auflösung  der  Ehe  durch  den  Tod  der 

*)  Die  Wcichbildglosse  bei  Daniels -Gruben  Sp.  291  Z.  25  IT.  er- 
wähnt den  Fall,  daß  die  Khefrau  Leinenweberin,  .Schleierweberin  oder  Borten- 
wirkerin ist. 

*)  Vgl.  Ssp.  I 24  § 3 und  die  von  Ho  in  ey  er  dazu  angeführten 
Varianten. 

s)  Vgl.  Magdob.-Bresl.  Systemat.  Schöffenrecht  IV  2 c.  ISu  u.  a. 

4)  Diese  Gleichstellung  wird  in  der  Weichbildglosse  bei  Daniels- 
Gruben  Sp.  291  Z.  25—38  verworfen. 

s)  Vgl.  hierzu  die  von  Schröder,  Gesch.  d.  olicl.  Gütorr.  II  3 S.  13 
no.  30  anfgefflhrten  Schriftsteller,  fenier  Köhler,  Jahrb.  f.  Dogm.  XXIV 
S.  200  no.  1.  Abweichend  die  Ssp. -Glosse  der  Herlin-Steinberk’schen  Hand- 
schrift, bei  Steffenhagen  S.  02:  .Alz  er  in  dem  texte  spricht  von  teptin 
vnd  schaulun,  Dez  saltu  auch  wissin:  were  fr  man  oin  kramer  vnd  hotte  auch 
sogetanz  dingis  vyl  veile,  alz  zeu  der  gerade  genant  ist,  wy  vyel  sal  sy  iclichs 
behaldin  ? Ich  sjireche : waz  er  in  sime  huze  hat  vnd  zeu  der  gerade  gehört, 
daz  darf  man  nicht  vnderachniden“.  Die  hier  zu  Tage  tretende  Auf- 
fassung ist  schon  in  Weichbild  art.  23  §2  (Daniels-Gruben  Sp.  97)  be- 
richtigt: .Waz  aber  ir  man  eyn  kramer,  zo  daz  er  veilen  koulf  hatte,  alzo 
schalunen.  tepte,  daz  mag  die  wittwe  nicht  hehalden  wenn  alzovil,  alzo 
zu  irem  kamergewande  gehöret  ader  zum  höchsten  izlichz  drie 
stucke*. 


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104 


Frau  die  im  geeinten  Gut  befindlichen  Geradesachen  an  die  Niftel 
fielen.  Neuerdings  hat  Hehre  sich  gegen  diese  Ansicht  ausge- 
sprochen und  darzutun  gesucht,  daß  die  Niftel  nur  diejenigen 
Geradesachen  erhalte,  welche  Eigentum  der  Frau  gewesen  seien. 

Daß  diese  Regelung  den  spateren  Quellen  vielfach  entspricht, 
hat  bereits  Agricola1)  anerkannt.  Für  das  Recht  des  Ssp.  aber 
bedeutet  Rehre’s  Ansicht  einen  vollständigen  Bruch  mit  der  bisher 
herrschenden  Lehre.  Es  wird  notwendig  und  lohnend  sein,  auf  der 
von  Hehre  gegebenen  Grundlage  den  Aufbau  uud  die  geschicht- 
liche Entwicklung  des  Geraderechts  einer  erneuten  Untersuchung 
zu  unterziehen.  Zu  einer  solchen  Untersuchung  seien  im  folgen- 
den einige  bisher  nicht  beachtete  Quellenzeugnisse  beigetragen. 

Schon  vor  1420,  in  einer  dem  Bischof  Günther  von  Magde- 
burg gehörigen  Handschrift,  ist  die  uns  interessierende  Frage  er- 
örtert worden,  wie  aus  einer  singulär  erhaltenen  Bocksd o rfPschen 
Addition  hervorgeht: 

„Mercke  hir,  As  ich  in  den  Glosen  vs  eyme  sachsen- 
spigel  des  Hisscholl's  von  Meydeburgk  gefundin  habe:  I>ie 
vrouwe  nimpt  ouch  yres  mnnnes  geworchte  silber.  solde 
yre  man  das  ouch  yrer  gespinnen  gebin,  ab  sin  wib 
stürbe,  is  were  gordele  edder  silueren  geuesze? 
Sage  Nein.  Was  die  vrouwe  getragen  bette,  das  volgede 
yr  zcu  rade  vnde  was  der  man  nicht  genutzet  bette,  die 
vrouwe  rrimpt  is  abir  vs  ires  mannes  gute  zcu  Rade,  wan 
ire  man  stirbt,  dar  vmme  das  sie  das  dicke  zeiugen  von  irer 
beider  gute,  des  die  gespinne  nicht  entut.  Also  ist  is  ouch 
vmme  die  schaff,  als  vor  annotiert*).  Se d casus  huius 
practicam  adhuc  non  vidi“3). 

')  Insofern  ist  Hehres  Polemik  S.  41  f.  gegen  Agricola  übertrieben. 

*)  Die  in  Bezug  genommene  Stelle  lautet: 

»Nota  hie,  (las  die  Frau  alle  Schaf  yres  Mannes  nimpt  zu  gerade.  Hotte 
aber  der  man  sonderliche  Schaf  odder  einen  sonderlichen  SchalThirten.  der 
sein  were,  die  gchoeren  yhrcr  uifftel  nicht,  ap  seyn  weip  stilerbe,  aondern 
was  die  Krau  selber  hat  an  Schaffen,  das  erbt  sie  auff  ybre  nehiate  gc- 

spinnc Stirbot  aber  das  weyb,  sie  enterbet  keinerley  varende  hab, 

sondern  gerade  vnd  eygen,  ab  sie  das  hat.  vif  yhr  nehisten.  Hat  sie  selber 
keyue  Schaf,  die  yhr  sein,  so  darif  der  Man  seines  weibes  gespinnen  aeyne 
Schaf  nicht  zu  gerade  geben.  Kt  Seabini  Magdeblirgenses  sic  pronuntiant" . 

■*)  Abgedruett  bei  Steffenhagen,  Sitz.- Her.  I’X.  2 S.  244  no.  2. 


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105 

Es  fragt  sich , ob  das,  was  hier  von  goldenen  und  silbernen 
Gefäßen  und  von  Schafen  gesagt  wird,  sich  auch  auf  andere  Ge- 
radesachen bezieht. 

Ein  sehr  deutliches  Zeugnis  zu  Gunsten  der  Ansicht  Behre’s, 
aber  freilich  auch  nur  für  das  jüngere  Recht,  enthält  folgender 
Schöffenspruch ') : 

„Wenne  eyme  seyn  weyp  stirbit  vnd  lossit  di  gerade  vnd 
eyn  suester  wy  der  man  vnd  der  totin  frawen  suester  zulden 
czu  der  gerade  halden.  „Hiroff  scheppen  von  hause  czu 
Crac.  Alle  gerade  dy  eyn  frawe  czu  erem  manne  brocht  hot 
oder  brocht  hette  dy  gehorit  noch  der  totin  frawen  ir  neheste 
spilmogin  gancz  vnd  gor  vnd  do  fon  der  totin  frawen  man 
nichtisnicht  czu  geben  vnd  auch  dy  gerade  dy  dy  frawe  bey 
erem  manne  zampt  mit  dem  manne  geczewgit  hot  vor  erem 
tode  von  der  gerade  zal  man  dem  manne  seyn  bette  be- 
decken vnd  bestellen  tisch  vnd  banck  ader  was  der  gerade 
oebrig  ist  dy  sal  dy  neheste  spilmogin  nemen  zampt  mit 
der  ersten  gerade  dy  dy  frawe  czu  erem  manne  brocht  hot*). 
Auch  hat  der  monnen  gerade  brocht  czu  seynem  weybe  ader 
vrn  seyn  gelt  ichtisicht  gekaufit  hot  von  mantil  iaeken  oder 
desgleycli  der  geradin  dy  zal  auch  dem  manne  czu  vor- 
aus bleybin  zunder  mit  der  mittelste  gerade  alzo  teilunge 
haldin  alz  obin  stest  geschrebin  v.  r.  w.“u 
Gegen  Belire  wiederum  spricht  art.  '23  §4  des  lateinischen 
Weichbildes  (I)aniels-Gruben  Sp.  100): 

„Si  inaritus  antehac  oves  habuerat,  priusquam  uxorem 
superduxit,  ad  id  proxima  cognata  nullum  jus  habebit. 
Quicquid  autem  in  alio  muliebri  ornatu  fuerit,  hoc 
cognata  pereipit,  signauter3)  omne  illud,  quod  uxor  ad 
maritum  importaverat“. 

')  Abgedruckt  bei  Bischoff,  Archiv  für  österreichische  Geschichte 
XXXVIII  S.  19. 

3)  Interessant  ist  an  dieser  Entscheidung  auch,  daß  die  Beriehtungs- 
pflicht  der  Niftel  (vgl.  Ssp.  III  38  § 5)  nur  auf  der  in  der  Ehe  gezeugten 
Gerade  lastet. 

s)  Signanter  ist  gleichbedeutend  mit  praecipue,  in  primis  (vgl.  Du 
fange,  Glossarium  mediae  et  iuiimac  latinitatis). 


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Verlag  von  M.  & H.  Marcus  in  Breslau,  Kaiser  Wilhelmstrasse  8 


Studien 

zur  Erläuterung  des  Bürgerlichen  Rechts 

In  zwanglosen  Heften  horausgegebcn  von 

I)r.  Rudolf  Leonhard 

ord.  Professor  an  der  Universität  Breslau 


1.  Leonhard,  Rudolf:  I>as  neue  Gesetzbuch  als  Wendepunkt  der  Privat- 

rcclt  ts- Wis  senschaft 2, — Mk. 

2.  Bruck,  Martin:  Die  Bedeutung  der  Anfechtbarkeit  für  Dritte.  Ein 

Beitrag  zur  Lehre  vom  Rechtsgeschäft 3, — Mk. 

3.  KlingmUlIer,  Fritz:  Die  Haftung  fhr  die  Vcrci nsorgane  nach 

§ 31  BGB 1,60  Mk. 

4.  Gaertnor,  Max:  Der  gerichtliche  Schutz  gegen  Besitzverlust  nach 

römischem  und  nencrcm  deutschen  Recht 3,40  Mk. 

3.  Munigk,  Alfred:  [las  Anwendungsgebiet  der  Vorschriften  für  ilie 

Rechtsgeschäfte.  Hin  Beitrag  zur  Lehre  vom  Rechtsgeschäft  . 10, — Mk. 

6.  Kllnginltller,  Fritz:  Der  Begriff  des  Rechtsgrundes,  seine  Herleitung  und 

Anwendung 3,20  Mk. 

7.  Freund,  Rudolf:  Der  Eingriff  in  fremde  Rechte  als  Grand  des  Bf- 

rcichcrnngsan  Spruchs 2,—  Mk. 

8.  Hesse,  Albert:  Die  rechtliche  Natur  der  Miete  im  deutschen  bürger- 
lichen Recht  . . : 1,20  Mk. 

9.  Othmer,  Wilhelm:  Die  rechtliche  Wirkung  der  Vormerkung  nach 

Reichsrecht 3,20  Mk. 

10.  Maschke,  Richard:  Die  Persönlichkeitsrechte  des  römischen  Iniurien- 
systems.  Eine  Vorstudie  für  das  Recht  des  Bürgerlichen  Gesetzbuchs  3, — Mk. 

11.  Wöstmann,  S.:  Die  Rechtsstellung  des  ans  mehreren  Personen  be- 

stehenden Vorstandes  eines  rechtsfähigen  Vcroins  nach  dem  BGB. 
Ein  Beitrag  zur  Theorie  der  juristischen  Person 1,20  Mk. 

12.  Mettmann,  Gottl.  Aug.:  Prolcgomcna  zu  einem  System  des  Vermögens- 
rechts. (Erste  Abteilung) 6, — Mk. 

13.  ßrnck,  Eberh.  Friedr.:  Bedingungsfeindliche  Rechtsgeschäfte.  Ein 

Beitrag  zur  Lehre  von  der  Unzulässigkeit  von  Bedingung  und  Zeitbe- 
stimmung  5, — Mk. 

14.  Saleilleti-Leonhard:  Einführung  in  das  Studium  des  deutschen  bürger- 
lichen Rechts 3,60  Mk. 

15.  Thal,  Alfred:  Die  Vereinigung  von  Rocht  und  Verbindlichkeit  beim 

Pfandrecht  an  Forderungen 5, — Mk. 

16.  Brie,  Gerhard:  Die  richterliche  Haftung  bei  Urteilen  (§  839  Abs.  2 

BGB.) 2,—  Mk. 

17.  Leonhard,  Rudolf:  Stimmen  des  Auslands  über  die  Zukunft  der  Rechts- 
wissenschaft   3, — Mk. 

18.  Bein,  Wolfgang:  Die  Verleitung  zum  Vertragsbruch  nach  bürger- 
lichem Recht 3,60  Mk. 

A.  Fa  vor  ko,  voriu.  Kriunrd  Trewemlt'n  Huclidtuckerci,  Breslau 


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Das  landesfürstliche  Beamtentum  in  Anhalt 


von 

Dr.  Ulrich  Schrccker 


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Untersuchungen 

zur 

Deutschen  Staats-  und  Rechtsgeschichte 

herausgegeben 


Dr.  Otto  Gierke 

Professor  der  Reohte  an  der  Universität  Berlin 

86.  Heft 


Das  landesfürstliche  Beamtentum 

in  Anhalt 

von  seinen  ersten  Anfängen  bis  znm  Erlass  bestimmter  Verwaltnngsordnnngen 

(ungefähr  1200—1574) 


Dr.  Ulrich  Schrecker 


Breslau 

Verlag  von  M.  & H.  Marcus 
1901) 


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Das  landesfiirstliche  Beamtentum 

in  Anhalt 


von  seinen  ersten  Anfängen 
bis  zum  Erlass  bestimmter  Verwaltungsordnungcn 
(ungefähr  1200 — 1574) 


von 


Dr.  Ulrich  Schrecker 


Breslau 

Verlag  von  M.  & H.  Marcus 
1906 


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Dem  Andenken  meines  Vaters 


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Inhaltsangabe 

Sette 

I.  Das  landesfürstliche  Beamtentum  Anlialts  im  Mittelalter 
(ungefähr  1200 — 1450) l 

1.  Die  Zentralverwaltung  1 

a)  Die  Hofbenmteu ...  2 

«)  Der  Truchsess  und  Küchenmeister 3 

ß)  Der  Marschall 5 

y)  Der  Schenk '.....  9 

rf)  Der  Kämmerer  und  Kammermeister 11 

i)  Allgemeines 13 

b)  Die  Notare  und  Kanzleibeamten 16 

2.  Die  Lokalverwaltung 27 

a)  Die  Vögte 27 

b)  Die  Ortsbeamten 47 

ir)  Der  ländliche  Schultheiss  . . 47 

ß)  Der  Stadtpräfekt 50 

c)  Sonstige  Beamte 52 

ft)  Militärische 52 

. 1.  Die  castellani 52 

2.  Der  Hauptmann 53 

ß)  Gerichtliche 54 

1.  Der  Schultheiss 54 

2.  Der  Gogreve  . . • 55 

3.  Der  Fronbote 56 

y)  Der  MUnzmeister 56 

J)  Der  Marktmeister 57 

II.  Das  landesfürstliche  Beamtentum  im  15.  und  16.  Jahr- 
hundert   58 

1.  Die  Beamten  der  Zentralstelle 60 

A.  Die  Landesvcrwaltung 60 

a)  Der  landesfürstliche  Bat 60 

b)  Die  Beamten  der  Landesverwaltnng  . 80 

k)  Die  Kanzleibeamten 81 

1.  Der  Kanzler 81 

2.  Die  Sekretäre 89 

fl)  Die  Beamten  der  Finanzverwaltung 91 

1.  Der  Rentmeister 91 

2.  Der  Sekretär 97 


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VIII 


Seite 

B.  Die  Hofverwaltung *J7 

a)  Die  Beamten  der  Hofhaltung 1*7 

«)  Der  Marschall  ....  1*8 

/*)  Der  Hofmeister 102 

y)  Der  Hauptmann 104 

<f)  Die  niederen  Hofbeauiten  lOfi 

b)  Der  Statthalter  ...  108 

2.  Die  Beamten  der  Bezirksverwaltnng  109 

a)  Der  Amtmann 111 

b)  Die  L'nterbeamten  130 

«)  Der  Schosser 130 

fl)  Der  Amtsschreiber 132 

;-)  Die  niederen  Domiinenbeamten 134 

if)  Der  Förster  134 

<)  Der  Landreiter 13ß 

f)  Die  Geleitsmänner 137 

3.  Die  Beamten  der  Ortsverwaltung  137 

a)  Der  ländliche  Schulze 137 

b)  In  den  Städten ...  138 

4.  Die  Kirchen-  und  Schulverwaltung  . 139 

Exkurs:  Allgemeine  Verhältnisse  des  Beamtentums 140 

III.  Schlusswort 144 

Anhang 147 

Abkürzungen 152 


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I.  Das  landesfftrstliche  Beamtentum  Anhalts 
im  Mittelalter  (ungefähr  1200—1450). 

I.  Die  Zentralverwaltung. 

Die  Zentral  Verwaltung  ist  in  Anhalt  zur  Zeit  des  Mittel- 
alters in  gleicher  Weise  eingerichtet,  wie  an  den  meisten 
Fürstenhöfen  Deutschlands  der  damaligen  Zeit1).  Sie  ist  im 
wesentlichen  Hofverwaltung;  eine  Trennung  der  Landes-  von 
den  Hofaugelegenheiten  gibt  es  noch  nicht.  Die  eigentlich  ent- 
scheidende Verwaltung  liegt  für  alle  Angelegenheiten  voll- 
kommen in  der  Hand  des  Fürsten.  Nur  zu  seiner  Unter- 
stützung, zur  Ausarbeitung  und  Ausführung  seiner  Verfügungen 
zieht  er  ergebene  Männer  aus  dem  ihm  nächststehenden  Kreise 
der  an  seinem  Hofe  befindlichen  Personen  hinzu.  Die  ursprüng- 

')  Schröder,  Lehrbuch  der  deutschen  Rechtsgeschichte  (4.  And.  1902) 
S.  597 ff.;  v.  Below,  Territorium  und  Stadt  (Historische  Bibliothek  Bd.  XI) 
S.  286 ff. ; Bornhak,  Preussische  Staats-  und  Recbtsgeschichte  (Berlin  1903) 
8.  7 ff. ; H.  B.  Meyer,  Hof-  und  Zentralverwaltung  der  Wettiner  in  derZeit 
einheitlicher  Herrschaft  über  die  Meissnisch-Thilringischen  Lande  (1248—1379) 
(Leipziger  Studien  Bd.  XI  Heft  3 (1902))  S.  25ff. ; v.  Krones,  Verfassung 
und  Verwaltung  der  Mark  und  des  Herzogtums  Steier  von  ihren  Anfängen 
bis  zur  Herrschaft  der  Habsburger  (Forschungen  zur  Verfassungs-  uud  Ver- 
waltungsgeschichte der  Steiermark  Bd.  I (1897))  S.  85 ff.;  Luschin  v.  Eben- 
greuth, Österreichische  Rechtsgeschichte  (Bamberg  1896)  S.  190 ff. ; Rosen- 
thal, Geschichte  des  Gerichtswesens  und  der  Verwaltungsorganisatiou  Baierns 
Bd.  I (Würzburg  1889)  S.  237ff.;  Schmoller,  Über  Behördeuorganisation, 
Amtswesen  und  Beamtentum  im  allgemeinen  und  speziell  in  Deutschland  und 
Preussen  bis  zum  Jahre  1713  (Acta  Borussica  Bd.  I)  S.  50 ff. ; Wintterlin, 
Geschichte  der  Behördeuorganisation  in  Württemberg  (Stuttgart.  1904)  S.  13  ff. ; 
v.  Maurer,  Geschichte  der  Fronhöfe,  der  Bauernhöfe  und  der  Hofverfassung 
in  Deutschland  (Erlangen  1862)  Bd.  II  S.  297  ff. 

ßchreckor,  Beamtentum  in  Anhalt  1 


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2 


lieh  nur  dem  persönlichen  Hofdienst  zugeteilten  Inhaber  der 
Hofämter,  wie  die  Schreiber  der  Urkunden  sind  die  einzigen 
Verwaltungsbeamten  der  Zentrale  in  dieser  Zeit,  deren  Einfluss 
und  Wirksamkeit  im  Laufe  der  Jahrzehnte  immer  mehr  ansteigt, 
bis  sie  den  ganzen  Verwaltungsapparat  der  Zentralregierung 
unter  sich  aufgeteilt  und  ein  festes  Beamtentum  geschaffen 
haben. 

a)  Die  Hof  beamten  *). 

Zum  erstenmal  treten  uns  Hofbeamte  der  anhaitischen 
Fürsten  entgegen  im  Jahre.  1181.  In  einer  Urkunde  Herzog 
Bernhards  von  Engern  und  Westfalen,  Grafen  von  Ascharien, 
gegen  Ende  September  1181  ansgestellt2),  finden  wir  unter  den 
Laienzeugen  aufgeführt  „Conradus  dapifer,  Heinricus  mars- 
calcus,  Heinricus  camerarius“.  Es  ist  dies  die  erste  bestimmte 
Erwähnung  von  Hofbeamten  unter  Herzog  Bernhard,  während 
sich  in  der  Umgebung  der  andern  Söhne  Albrechts  des  Bären 
schon  früher  (seit  1172)  derartige  Beamte  finden3).  Es  ist 


‘)  über  die  Hofbeamten  anderer  deutscher  Länder  vgl.  v.  Wrotschko, 
Das  österreichische  Marscballamt  iin  Mittelalter  (Wien  1897)  S.  15 ff.;  Ficker, 
Die  Reicbsbofbeamteu  der  stauiiscbeu  Periode  (Sitzungsberichte  der  kaiser- 
lichen Akademie  der  Wissenschaften  (Philosophisch -Historische  Klasse  40 
(1862)  Heft  4)  S.  517ff.;  v.  Below,  Territorium  S.286ff.;  ßornhak  S.7ff.; 
Barth,  Das  bischöfliche  Beamtentum  im  Mittelalter,  vornehmlich  iu  den 
Diözesen  Halberstadt,  Hildesheim,  Magdeburg  und  Merseburg  (Zeitschrift  des 
Harzvereins  XXXIII  (1900))  S.  366 ff.;  v.  Krones,  Laudesfürstliche  Behörden 
und  Stände  des  Herzogtums  Steier  (1283—1411)  (Forschungen  zur  Verfassungs- 
und Verwaltungsgescbichte  der  Steiermark  Bd.IV  (1900))  S.  187 ff.;  Verfassung 
und  Verwaltung  S.  86 ff. ; H.  B.  Meyer  S.  29ff. ; v.  Maurer  S.  254 ff.,  292 ff.; 
Rachfahl,  Die  Organisation  der  Gesamtstaatsverwnltung  Schlesiens  vor  dem 
30jährigeu  Kriege  (Staats-  und  sozialwissenscbaftlichc  Forschungen  Bd.  XIII 
Heft  1 (1896))  S.  73 ff. ; Schmoller  S.  50 ff. ; Spaugenberg,  Beiträge  zur 
ölteru  Verfassungs-  und  Verwaltungsgescbichte  des  Fürstentums  Osnabrück 
(Mitteilungen  des  historischen  Vereins  zu  Osnabrück  XXV  (1900))  S.  51  ff.; 
Roseuthal,  Geschichtswesen  S.  237 ff. ; Wiederhold,  Untersuchungen  zur 
Staats-  und  Verfassungsgeschichte  der  nordalbingiscbeu  Territorien  (1234  bis 
1261)  (Göttingen,  Dissertation  1897)  S.47ff.;  WiuttcrlinS.  16ff.;  Schröder, 
Deutsche  Rechtsgeschichte  S.  486 ff.,  597 ff. ; Waitz,  Deutsche  Vcrfassungs- 
gescbichte  (II.  Aufl.  Leipzig  1896)  Bd.  V S.  362  ff. 

*)  v.  H.  I 605. 

*)  v.  H.  I 533  (1172).  546  (1173).  604  (1181);  V 553a  (1177). 


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3 


also  wohl  anzunehmen,  dass  auch  am  Hofe  Bernhards  schou 
vor  1181  Hofämter  bestanden  habeu,  wenn  es  auch  möglich 
ist,  dass  er  erst  seit  der  Belehnung  mit  der  Herzogswiirde 
(1180)  sich  eine  eigene  Hofhaltung  eingerichtet  hat. 

Von  1181  an  treten  dann  Hofbeamte  bald  mehr,  bald 
weniger  oft  in  den  Urkunden  auf,  besonders  seit  der  Be- 
gründung der  eigentlich  anhaitischen  Herrschaft  unter  Hein- 
rich I.  lassen  sich  einige  stets  nachweisen.  Der  Zahl  nach 
gibt  es  auch  in  den  anhaitischen  Gebieten  vier  Hofämter  in 
dieser  Zeit,  jedoch  kommen  selten  alle  vier  nebeneinander  vor. 

a)  Das  Amt  des  Truchsess  (dapifer)  scheint  schon  im 
12.  und  13.  Jahrhundert  sehr  bedeutend  gewesen  zu  sein, 
jedenfalls  das  bedeutendste  unter  den  Hofämtern,  denn  in  den 
meisten  Fällen  finden  wir  den  Truchsess  als  ersten  unter  den 
Hofbeamten  aufgeführt1).  Er  ist  seit  1181  urkundlich  nach- 
weisbar bis  zum  Ende  des  13.  Jahrhunderts.  Der  letzte  In- 
haber des  Amts  begegnet  1288,  seitdem  verschwindet  der 
Truchsess  völlig  aus  den  Urkunden8). 

■)  v.  H.  I 605  (1181);  II  16  (1215),  100  (1229),  209  (1254);  II  302 
(1265);  II  342  (1267). 

’)  Mit  Samen  aufgeführt  sind  folgende  Inhaber  des  Truchsessamtes: 

1181  — 1219  Konrad  von  Waldeser  unter  Herzog  Bernhard  und 
Heinrich  I.  (v.  H.  I 605,  686,  701;  II  16,  23,  32.  Ob  der  I 733  erwähnte 
Conradus  dapifer  derselbe  ist,  lässt  sich  nicht  entscheiden.  Die  Urkunde  ist 
von  Bischof  Norbert  von  Brandenburg  1200  ausgestellt.  Es  wäre  möglich, 
da  Herzog  Bernhard  zugegen  ist,  ich  glaube  es  aber  nicht,  weil  ein  anderer 
Begleiter  des  Herzogs,  der  Notar  Arnold,  noch  besonders  als  „notarius  ducis“ 
bezeichnet  wird). 

1219 — 1231  Ulrich  von  Welsleben  unter  Heinrich  I.  (v.  H.  II  32, 
54,  71,  93,  94,  95,  100,  103,  104,  108);  er  (II  108)  führt  einmal  die  Bezeich- 
nung „dapifer  de  Bernburgk“. 

1239  — 1243  Konrad  Schlichtiug  (v.  H.  II  158;  M.V.f.A.G.  IX  2 
S.  188,  189;  zweifelhaft  ist,  zu  wem  der  v.  H.  II  145  bei  einem  Vertrag  des 
Qrafcn  Heinrich  I.  mit  dem  Abte  von  Niemburg  im  Jahre  1239  auftretende 
„Conradus  dapifer“  gehört,  doch  glaube  ich  ihn  bei  der  zeitlichen  Überein- 
stimmung zu  Graf  Heinrich  ziehen  zu  dürfen). 

1251—1263  Lippold  von  Heimburg  unter  Heinrich  II.  (v.  H.  II  190, 
209,  267,  277,  280,  281). 

1265  Heinrich  von  Alsleben  unter  Siegfried  von  Zerbst  (v.  H.  II  302). 

1267  Johannes  unter  Otto  I.  und  Heinrich  III.  von  Aschersleben 
(v.  H.  II  342). 

1» 


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4 


Wie  sich  schon  aus  den  Namen  ergibt,  ist  der  Truchsess 
stets  aus  angesehener  Familie,  er  gehört  immer  dem  Kitter- 
stande an,  wird  auch  in  allen  Urkunden  unter  den  milites  auf- 
geführt; zu  den  Ministerialen  des  Fürsten  hat  er  jedenfalls 
auch  wohl  gehört 1).  Gewöhnlich  steht  der  Truchsess  als  einer 
der  ersten  unter  den  ritterlichen  Zeugen;  ausserordentlich  oft 
sogar  an  deren  Spitze2). 

Über  seine  eigentliche  Amtstätigkeit,  sowie  über  die  Art 
seiner  Anstellung  ist  nichts  überliefert.  Dass  der  Truchsess 
auch  zu  allgemeinen  Geschäften  verwendet  wurde,  sehen  wir 
schon  aus  einer  Urkunde  vom  Jahre  1289,  in  der  Graf  Hein- 
rich I.  bezeugt,  „quod  ea,  que  Conradus  dapifer  noster  de  bonis 
illis  in  Goltitz  et  Creym  tractavit  et  ordinavit,  ex  parte  nostra 
tenemus“ s).  Wir  finden  den  Truchsess  hier  also  als  bevoll- 
mächtigten Unterhändler  des  Fürsten  aufgeführt,  und  in  einer 
Urkunde  vom  Jahre  1262  tritt  er  uns  als  Bürge  für  seinen 
Herrn  entgegen 4).  In  der  Begleitung  seines  Herrn  auf  Reisen 
finden  wir  den  Truchsess  öfter5). 

Ob  zu  derselben  Zeit  mehrere  Inhaber  des  Amts  nebenein- 
ander au  den  einzelnen  Höfen  tätig  gewesen  sind,  lässt  sich 
nicht  sicher  feststellen.  Aus  dem  vorhandenen  Material  ergibt 
sich  nur  ein  Fall  vom  Jahre  1219 6),  und  auch  hier  ist  es  am 
wahrscheinlichsten,  dass  der  eine  nur  zur  Unterstützung  des 
alternden  andern,  zu  dessen  Nachfolger  er  ersehen  war,  in 
dessen  letzten  Jahren  schon  mit  im  Amte  tätig  war,  ohne  ein 
eigentlicher  Unterbeamter  zu  sein.  Denn  es  ist  doch  sonderbar, 
dass  nur  einmal  sich  zwei  Inhaber  des  Truchsessamts  finden, 


1288  Richard  von  Alsleben  unter  Johann  I.,  Albrecbt  und  Bern- 
hard II.  von  Bernburg  (v.  H.  II  644).  Der  v.  H.  II  346  im  Jahre  1268  ge- 
nannte Anno  dapifer  gebürt  zu  dem  Herzog  von  Brauuschweig  (v.  H.  II  176, 
177,  178,  888;  v.  H.  VI  Seite  14). 

')  v.  H.  I 701  (1195);  II  100  (1229);  ev.  II  103  (1230). 

*)  v.  H.  II  16,  32,  94,  100,  104,  158,  190,  209,  280,  302,  644. 

*)  M.V.f.A.G.  IX  2 S.  189. 

‘)  v.  H.  II  277. 

s)  v.  H.  II  277  (1262),  280  (1263),  346  (1268),  644  (1288). 

*)  v.  H.  II  32:  „testes  sunt:  Conradus  dapifer  de  VValdeser,  Olricus 
dapifer  de  Welsleve“. 


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5 


and  zwar  gerade  in  dem  Augenblick,  wo  der  eine  zum  letzten-, 
der  andere  zum  erstenmal  auftritt. 

Die  Besoldung  des  Truchsess  scheint  in  Naturalbezügen 
und  Überweisung  von  Lehngütern  bestanden  zu  haben.  Jeden- 
falls werden  mehrere  Male  Lehngüter  erwähnt,  die  ein  Truch- 
sess vom  Fürsten  erhalten  hat1);  einige  Truchsesse  scheinen 
auch  selbst  nicht  unbedeutenden  Eigenbesitz  gehabt  zu  haben  *). 

Im  14.  Jahrhundert  fehlen  uns  jede  Nachrichten  von  dem 
Vorhandensein  eines  Truchsess.  Wohl  aber  tritt  in  einigen 
Urkunden  der  Fürsten  Bernhard  II.  und  III.  in  den  Jahren 
1317 — 1338  ein  Küchenmeister,  „magister  coquine“  auf3). 
Derselbe  gehört  aber  jetzt  nicht  mehr  dem  Kitterstaude  an,  ist 
vielmehr  stets  nur  unter  den  Knappen  aufgeführt,  ein  Zeichen 
von  welch  geringerer  Bedeutung  sein  Amt  ist  gegenüber  dem 
des  früheren  Truchsess,  als  dessen  Ersatz  es  sich  aller  Wahr- 
scheinlichkeit nach  im  Anfang  des  14.  Jahrhunderts  entwickelt 
hat4).  Seit  1338  lässt  sich  dann  auch  dieses  Amt  für  lauge 
Zeit  nicht  mehr  belegen,  erst  1560  tritt  uns  wieder  ein  Küchen- 
meister entgegen. 

ß)  Das  Amt  des  Marsch alls  scheint  im  12.  Jahrhundert 
und  in  der  ersten  Hälfte  des  13.  von  keiner  grossen  Bedeutung 
gewesen  zu  sein.  Ausser  dem  1181  erwähnten  Marschall  Hein- 
rich finden  wir  keinen  einzigen  Inhaber  dieses  Amts  bis  1263 
sicher  belegt5).  Erst  mit  diesem  Jahre  tritt  der  Marschall  in 
den  Urkunden  öfter  und  bedeutender  hervor;  seitdem  sind  aber 
Inhaber  des  Amts  bis  zum  letzten  Viertel  des  14.  Jahrhunderts 


•)  v.  H.  II  281  (1263);  II  23  (1216). 

*)  v.  H.  I 701  (1195);  II  267  (1261);  M.V.f.A.G.  IX  2 S.  188  (1289). 

*)  v.  H.  III  352,  695;  V 507  a;  er  heisst  Hinricas. 

‘)  Von  einer  Verdrängung  des  alten  Truchsess  durch  den  Küchenmeister, 
wie  v.  Maurer,  Geschichte  der  Fronhöfe  S.  285,  annimmt,  kann  in  Anhalt 
wohl  keine  Rede  sein.  Das  Truchsessamt  war  vielmehr  in  seinem  alten  Um- 
fang überflüssig  geworden  und  wurde  deshalb  von  dem  geringeren  Amt  des 
Küchenmeisters  ersetzt. 

*)  In  einer  Urkunde  des  Bischofs  Norbert  von  Brandenburg  vom  12.  De- 
zember 1200  (v.  H.  I 733)  kommt  zwar  unter  den  Zeugen  neben  dem  Truch- 
sess Konrad  ein  Iwanus  marschalkus  vor,  der  vielleicht  zu  den  Begleitern 
Fürst  Bernhards  gehören  könnte,  doch  ist  es  aus  dem  bei  Konrad  angeführten 
Grunde  (s.  S.  3 Anm.  2)  ebenfalls  sehr  fraglich. 


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6 


nachweisbar1)-  Vom  Jahre  1376  an  verschwindet  dann  auch 
der  Marschall  für  1 l/a  Jahrhunderte  völlig  aus  den  Urkunden, 
um  erst  wieder  im  16.  Jahrhundert  in  viel  beschränkterer 
Tätigkeit  aufzutreten. 

Seinem  Stande  nach  gehört  der  Marschall  wohl  stets  zu 
den  landesfürstlichen  Ministerialen,  wenigstens  lässt  sich  dies 
einige  Male  mit  Bestimmtheit  nach  weisen  *);  immer  ist  er  aber 
aus  der  Zahl  der  Ritter  genommen. 

Seine  Stellung  scheint  eine  ziemlich  bedeutende  gewesen  zu 
sein.  Oft  finden  wir  ihn  in  den  Urkunden  an  der  Spitze  der 
ritterlichen  Zeugen3),  häufig  führt  er  auch  noch  die  Be- 
zeichnung dominus4),  was  sicher  gegen  eine  untergeordnete 
Stellung  spricht.  Als  Vertrauensperson  des  Fürsten  wird  der 

')  Folgende  Marse  hülle  sind  nachweisbar : 

1181  Heinrich  unter  Herzog  Bernhard  (v.  H.  I 605). 

1263  bis  zirka  1300  Ulrich  von  Aschersleben  unter  Heinrich  11. 
und  dann  unter  Otto  I.  und  Heinrich  III.  Er  nimmt  eine  hervorragende 
Stellung  ein,  kommt  in  nicht  weniger  wie  77  Urkunden  vor,  mehr  wie  jeder 
andre  Hofhcamte  (v.  H.  II  281,  302,  319,  321,  330,  334,  338,  342,  346,  347, 
350,  352,  368,  371,  378,  393,  401,  405,  421,  439,  449,  455,  457,  462,  463, 

468,  489,  491,  508  -512,  517,  521,  529,  531,  532,  535,  536,  539,  545,  552, 

654,  558—560,  566,  585,  586,  589,  590,  601,  606,  618,  625,  631,  673,  682, 

696,  702,  708,  711,  714,  739,  746,  748,  766,  769,  771,  774,  802,  818,  839, 

841;  V 614  a,  772  a.  Ob  der  II  307  erwähnte  Olricus  marscalcus  der  obige 
ist,  lässt  sich  nicht  sicher  sagen,  da  anhaitische  Fürsten  in  der  Urkunde  gar 
nicht  erwähnt  werden,  doch  ist  es  wohl  wahrscheinlich). 

(1293)  1300—1314  Heinrich,  Sohn  Ulrichs  (v.  H.  II  753,  882,  884, 
888,889;  III  1,8,9,  49,  51,  60,  63,  107,  117,  217,  227,  232,  269,  272,  284). 
Dass  der  spätere  Marschnll  Heinrich  mit  dem  im  Jahre  1287  (v.  H.  V 617  a) 
und  seitdem  mehrmals  erwähnten  Hinricus,  filius  Olrici  marscalci  identisch 
ist  (v.  H.  II  769,  771,  774;  V 772  a),  ist  bei  Übereinstimmung  der  Namen  wohl 
sicher  anzunehmen. 

1280  Hermann  unter  Siegfried  von  Zerbst  (v.  H.  II  515). 

1337  Johann  von  Morditz  unter  Albrecht  I.  und  II.  von  Zerbst 
(M.V.f.A.G.  VIII  4,  1337  Nr.  6;  IX  1 S.  58). 

1376  Brakman  von  Zelingen  unter  Otto  III.  von  Bernburg  (v.  H. 
IV  486). 

’)  v.  H.  II  321  (1266),  330  (1267),  378  (1270),  802  (1296). 

*)  v.  H.  II  535,  536,  560,  590,  618,  631,  673,  682,  696,  746,  769,  771, 
774,  753;  III  49,  60,  227,  232;  V 772  a. 

*)  v.  H.  n 334,  457,  512,  559,  560,  586,  601,  606,  696,  746,  753,  769, 
771,  818;  III  217. 


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7 


Marscliall  auch  sein-  oft  hervorgehoben.  So  finden  wir  den 
Marschall  in  einer  Urkunde  des  Jahres  1283  neben  zwei 
andern  Kittern  als  besondcrn  Bürgen  bei  einer  Verleihung 
seitens  des  Fürsten  Otto  I.  aufgeführt1),  und  im  Jahre  1288 
ist  er  unter  den  4 Schiedsrichtern,  die  die  Grafen  Otto  I.  und 
Heinrich  III.  dem  Bischof  von  Halberstadt  gelegentlich  der 
Verpfändung  von  Wegeleben  stellen2);  bei  dieser  Gelegenheit 
steht  der  Marschall  sogar  au  der  Spitze  der  19.  ritterlichen 
Bürgen,  die  dem  Bischof  von  den  anhaitischen  Grafen  zugesagt 
sind,  „quod  omnia  et  singula  placitata  ab  ipsis  inviolabilitcr 
observentur“.  Ebenso  ist  ein  Marschall  im  Jahre  1301  bei 
einem  Vergleich  des  Fürsten  Otto  I.  mit  dem  Marienstift  zu 
Halberstadt  neben  einem  andern  Ritter  als  Bekräftigungsbürge 
aufgeführt3),  und  in  demselben  Jahre  sehen  wir  ihn  als  Ge- 
sandten des  Fürsten  von  Anhalt  am  Hofe  des  Grafen  von 
Beichlingen  auf  Schloss  Kelbra4).  Der  Marschall  wird  also  zu 
manchen  wichtigen  Geschäften  verwendet,  über  seine  eigent- 
liche Tätigkeit  ist  jedoch  in  den  Urkunden  nichts  zu  finden. 
Nur  einmal  begegnet  ein  Marschall  in  den  30  er  Jahren  des 
14.  Jahrhunderts  als  fürstlicher  Hauptmann5),  ein  Zeichen, 
dass  der  Marschall  auch  in  Anhalt  mit  der  Kriegführung  be- 
traut wird. 

Allerdings  ist  gerade  der  Einfluss  der  einzelnen  Persönlich- 
keit bei  diesem,  wie  allen  Hofbeamten  von  sehr  grosser  Be- 
deutung. Das  kann  man  bei  dem  Marschall  Ulrich  von 
Aschersleben  (1263 — 1300)  in  der  Stellung  seines  Namens  in 
den  Urkunden  deutlich  verfolgen.  In  den  ersten  Jahren  seines 
Auftretens  finden  wir  ihn  meist  in  der  Mitte  der  milites  auf- 
geführt; bisweilen  sogar  als  deren  letzten6),  gegen  Eude 
seiner  Tätigkeit  steht  er  aber  fast  stets  an  ihrer  Spitze7). 

Einen  Einblick  in  die  einflussreiche  persönliche  Stellung 


»)  v.  H.  II  562. 

5)  v.  H.  II  631. 

»)  v.  H.  III  8,  9. 

‘)  v.  H.  III  1 (1301). 

*)  v.  H.  UI  661  (1335). 

*)  v.  H.  II  342  (1267),  393  (1271),  439  (1274). 
’)  pag.  6 anm,  3. 


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8 


Ulrichs  gewähren  noch  zwei  weitere  Urkunden.  In  der  einen 
vom  Juni  1265 ')  führt  Graf  Siegfried  von  Anhalt  besonders 
an,  dass  er  „domini  Olrici  de  Aschersleve  marscalci  comitis 
Henrici  fratris  nostri  precibus  inclinatus“  das  Kloster  Michael- 
stein mit  Landhufen  belehnt  habe,  und  in  einer  Urkunde  vom 
Jahre  1282“)  wird  erwähnt,  dass  die  Grafen  von  Anhalt  „una 
cum  Olrico  milite  dicto  marscalco“  eine  von  ihm,  dem  Grafen 
Otto,  zurückgestellte  Hufe  Landes,  die  er  von  diesem  zu  Lehen 
erhalten  hatte,  einer  Aschersleber  Kapelle  geschenkt  haben, 
wofür  als  Gegenleistung  jährlich  am  Tage  „eene  Domini“  „pro 
auima  iam  dicti  Olrici  nec  non  et  pro  animabus  progenitorum 
successorumque  suorum“,  den  Armen  Almosen  gegeben  werden 
sollen. 

Bemerkenswert  ist,  dass  wir  den  Marschall  fast  stets  in 
der  unmittelbaren  Umgebung  seines  Fürsten  treffen,  namentlich 
bei  Reisen  scheint  er  unbedingt  im  Gefolge  seines  Herrn  ge- 
wesen zu  sein,  wie  sich  aus  der  grossen  Anzahl  von  Urkunden 
ergibt,  die  von  anhaitischen  Fürsten  an  fremden  Orten  aus- 
gestellt sind  und  in  ihren  Zeugenreihen  den  Namen  eines  Mar- 
schalls enthalten3).  Es  hängt  dies  jedenfalls  mit  dem  Amt 
des  Marschalls  als  Quartiermacher  zusammen,  das  sich  zwar 
nicht  direkt  nachweisen  lässt,  aber  doch  wohl  sicher  anzu- 
nehmen ist4). 

Mehrere  Inhaber  des  Marschallamts  scheinen  nicht  neben- 
einander tätig  gewesen  zu  sein.  Einmal  wird  zwar  während 
der  Amtszeit  eines  Marschalls  noch  ein  andrer  erwähnt,  aber 
in  Abwesenheit  des  sonstigen  Inhabers  des  Amts5).  Jedenfalls 
ist  auch  hier  wieder  nur  eine  Vertretung  anzunehmen,  da  der 

')  v.  H.  II  302. 

*)  v.  H.  II  532. 

»)  v.  H.  II  319,  330,  346,  347  (1266—1268),  371  (1270),  421  (1273), 
489,  491  (1276),  517  (1280),  531,  536,  552,  654,  658,  566,  585,  586,  601,  606, 
618  (1282—87),  682,  696,  702  , 708  , 711  (1290—91),  739  , 748  , 753  , 766 
(1293—94),  802  (1296),  841  (1297);  III  8,  9 (1301),  217  (1310). 

‘)  Nach  dem  Beispiel  anderer  Länder:  v.  Wretschko  S.  37;  Bosenthai, 
Gerichtswesen  S.  248;  v.  Maurer,  Fronhöfe  S.  294;  Isaaksohu,  Geschichte  des 
preussiseken  Beamtentums  (Berlin  1874)  Bd.  I S.  13. 

5)  Der  Marschall  Heinrich  tritt  schon  1293  in  Abwesenheit  seiues  Vaters 
als  Marschall  auf  (v.  H.  li  753). 


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9 


genannte  zweite  Marscball  im  Beisein  des  ersten  sonst  nie  mit 
einem  Amtstitel  genannt  wird,  sondern  stets  nur  als  einfacher 
Zeuge  auftritt;  bei  Verhinderung  des  Vaters  versieht  eben  der 
Sohn  die  Geschäfte  desselben,  da  er  doch  zu  dessen  Nachfolger 
bestimmt  ist.  Erblichkeit  des  Amts  ist  aber  nach  dem  Beispiel 
der  Marschälle  Ulrich  und  Heinrich  wohl  anzunehmen  '),  wenig- 
stens ist  sie  sicher  nicht  ausgeschlossen. 

Hinsichtlich  der  Besoldung  des  Marschalls  lässt  sich  nichts 
Bestimmtes  erkennen;  bisweilen  findet  sich  nur  in  den  Ur- 
kunden Erwähnung  eines  Lelmguts,  das  ein  Marschall  vom 
Fürsten  gehabt  hat a).  Jedenfalls  wird  also  die  Besoldung,  wie 
in  andern  Ländern,  in  dieser  Zeit  noch  völlig  in  Güterliber- 
weisungen neben  Naturalverpflegung  bestanden  haben. 

y)  Ein  Inhaber  des  Schenkenamts  ist  sicher  erst  im 
zweiten  Viertel  des  13.  Jahrhunderts  nachweisbar,  im  Jahre 
1229  tritt  zum  erstenmal  ein  anhaitischer  Schenk  auf3).  Seit- 
dem hat  das  Amt  während  des  ganzen  13.  bis  in  den  Anfang 
des  14.  Jahrhunderts  bestanden,  seit  1319  verschwindet  es  aber 
ebenfalls  aus  den  Urkunden,  um  erst  wieder  im  16.  Jahrhundert 
als  Hofamt  zweiter  Ordnung  zu  erscheinen4). 


*)  pag.  6 aum.  1. 

*)  v.  H.  II  334  (1267),  532  (1282),  714  (1291),  739  (1293);  III  227  (1311), 
269  (1313). 

*)  v.  H.  II  100.  Der  in  II  16  im  Jahre  1215  erwähnte  Alexander 
princerna  gehört  zum  Kloster  Niemburg  (vgl.  auch  II  117,  334).  Auch  wird 
ja  der  ebenfalls  anwesende  Truchsess  des  anhaitischen  Grafen  noch  besonders 
„dapifer  comitis  Ascharie"  genannt. 

4)  Folgende  Schenken  sind  namentlich  nachweisbar: 

1229  Friedrich  von  Schwechting  unter  Heinrich  I.  (v.  H.  II  100). 

1244  Konrad  unter  Heinrich  I.  (v.  H.  II  160,  161). 

1254  Lodwicus  pincerna  de  Blankenbnrch  unter  Heinrich  II.  (v.  H. 
II  209);  doch  ist  möglich,  dass  er  zur  Grafschaft  Blankenburg  gehört,  wie 
v.  H.  VI  S.  32  anuimujt. 

1254—1267  Bartold  von  Welpesleben  unter  Heinrich  II.  nnd  dann 
Otto  I.  und  Heinrich  HL  (v.  H.  II  209,  330). 

1263—1270  Johann  vom  Berge  unter  Heinrich  II.  und  besonders 
Otto  I.  und  Heinrich  III.  (v.  H.  II  281,  321,  323,  330,  338,  350,  358,  378); 
gelebt  hat  er  noch  bis  1294  nach  v.  H.  VI  S.  80. 

Eine  Urkunde  vom  Jahre  1272  (v.  11.  II  405)  berichtet,  dass  die  Grafen 
Otto  1.  und  Heinrich  III.  bei  eiucin  Uinisterialentausch  mit  dem  Stifte 


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10 


Die  Bedeutung  des  Schenkenamts  für  die  allgemeine  Ver- 
waltung kann  nicht  allzu  gross  gewesen  sein,  Schenken  kommen 
immer  nur  ganz  vereinzelt  in  den  Urkunden  vor;  nur  einmal 
gegen  Ende  des  13.  Jahrhunderts  wird  ein  Inhaber  dieses  Amtes 
öfter  als  Urkundenzeuge  aufgeftthrt.  Auch  unter  den  Hof- 
ämtern selbst  scheint  es  weniger  Geltung  gehabt  zu  haben. 
Wir  finden  in  den  Zeugenreihen  der  Urkunden  alle.  Schenken 
hinter  dem  Truchsess,  später  auch  hinter  dem  Marschall  anf- 
geführt1),  nur  Johann  vom  Berge  macht  eine  Ausnahme*)  — 
er  ist  auch  der  einzige  Schenk,  der  als  erster  der  ritterlichen 
Zeugen  aufgeführt  wird3)  — und  einmal  Bartold  von  Welps- 
leben4); doch  ist  dies  wohl  weniger  seinem  Amte,  als  seinem 
höheren  Alter  zuzurechnen,  da  gerade  in  derselben  Urkunde 
der  Schenk  Johann  vom  Berge  wieder  hinter  die  andern  Hof- 
beamten gestellt  wird.  Auch  die  Bezeichnung  dominus  findet 
sich  nur  zweimal  für  einen  Schenken5). 

Seinem  Stande  nach  ist  aber  der  Schenk,  wenigstens  im 
13.  Jahrhundert,  stets  aus  der  Ritterschaft  genommen,  bisweilen 
sogar  aus  recht  einflussreichem  Gesehlechte6);  sicher  hat  er 
wohl  auch  zu  den  Ministerialen  des  Fürsten  gehört7).  Im  14.  Jahr- 


Quedlinburg  „Ottonem  et  Burcbardum  filios  doinini  Theoderici  piucerue* 
vertauscht  haben.  Es  ist  möglich,  dass  dieser  ein  Hofbeamter  der  anhaitischen 
Herren  ist,  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  ist  hiermit. aber  der  gleichnamige 
Schenk  des  Quedlinburger  Stifts  gemeint,  der  von  1231—78  nachweisbar  ist, 
wie  auch  v.  H.  VI  S.  19!)  annimmt. 

Aus  dem  14.  Jahrhundert  lasst  sich  überhaupt  kein  Schenk  mit  Namen 
nachweisen,  nur  ein  einziges  Mal  im  Jahre  1319  wird  ein  Inhaber  des  Amtes 
erwähnt,  dessen  Name  aber  nicht  mehr  leserlich  ist  (v.  H.  III  376). 

>)  v.  H.  II  100  (1229),  160  (1244),  209  (1254),  321,  330  (wenigstens 
Johann  vom  Berge)  (1266—67);  III  376  (1319). 

*)  v H.  II  281,  338,  358,  378  (1263,  1267—70). 

•)  v.  H.  II  338  (1267),  378  (1270). 

*)  v.  H.  II  330  (1267). 

•)  v.  H.  n 323,  330  (1267). 

*)  Z.  B.  Johann  vom  Berge. 

*)  v.  H.  II  321,  330  (1266—67),  378  (1270),  ev.  II  405  (1272).  Durch 
II  321  könnte  man  vielleicht  in  Bedenken  kommen,  wenn  es  heisst:  „Huius 
rei  testes  sunt  ministcriales  nostri  Johannes  de  Berge,  Olricus  et  Heinricus 
fratres  de  Wedcstorp,  Olricus  marscalcus,  Concmundus  de  Monte,  Iiermannus 
de  Wegeuleve  et  alii  milites  quam  plures  Heinricus  de  Gatersleve,  Albertus 


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11 


hundert  dagegen  ist  der  einzig  nachweisbare  Schenk  nur  noch 
als  Knappe  aufgeführt;  man  sieht  daraus  deutlich,  wie  auch 
das  Schenkenamt  allmählich  an  Ansehen  verliert1).  Ganz  un- 
bedeutend ist  aber  dasselbe  doch  nicht  gewesen.  Das  beweist 
ausser  dem  ritterlichen  Stand  der  Inhaber  auch  schon  der  Um- 
stand, dass  wir  bisweilen  zwei  Inhaber  des  Amts  zu  gleicher 
Zeit  antreffeu2).  Wer  da  der  eigentliche  Inhaber  des  Amts  ist, 
und  ob  überhaupt  der  andere  sein  Unterbeamter  ist,  lässt  sich 
jedoch  nicht  mit  Sicherheit  entscheiden.  Möglich  ist,  dass  in 
II  330  Johann  vom  Berge  Unterbeamter  Bartolds  ist,  jedenfalls 
lässt  seine  ganze  Stellung  in  der  Zeugenreihe  auf  ein  ge- 
ringeres Ansehen  schliessen.  Nach  seinem  häufigen  alleinigen 
Auftreten  schon  vor  dem  1.  Mai  1267  scheint  er  mir  aber  mehr 
als  Unterstützung  und  Stellvertreter  des  alternden  Bartold 
schon  zu  dessen  Lebzeiten  im  Amte  gewesen  zu  sein,  denn  als 
eigentlicher  Unterbeamter,  wogegen  schon  die  Bezeichnung 
„dominus“  spricht,  die  ihm  in  einer  früheren  Urkunde  schon 
beigelegt  ist8). 

Auf  Reisen  scheint  der  Schenk  seinen  Herrn  nur  selten 
begleitet  zu  haben,  wenigstens  lässt  es  sich  nur  einmal  er- 
kennen 4).  Auch  über  eine  allgemeine  wie  spezielle  Tätigkeit 
des  Schenks  ist  nichts  überliefert,  er  ist  eben  mehr  eigent- 
licher Hausbeamter.  Seine  Bezeichnung  in  den  Urkunden  ist 
pincerna,  er  tritt  stets  nur  als  Zeuge  auf. 

d)  Die  geringste  Bedeutung  von  allen  Hofämtern  der 
älteren  Zeit  hat  das  Amt  des  Kämmerers.  Es  ergibt  sich 
dies  schon  daraus,  dass  seine  Inhaber  nur  dem  Stande  der 
Knappen  angehören  und  in  den  Urkunden  nur  ganz  vereinzelt 
Vorkommen.  Nach  der  ersten  Erwähnung  eines  Kämmerers  im 


de  Coxstede,  Johannes  pincerna “,  dass  der  Schenk  Johann  nicht  zu  den 

Kittern  gehöre,  doch  ist  dies  sicher  uachzuweisen  aus  den  Urkunden  v.  H.  II 
28t  (1263),  3ö0  (1268). 

')  v.  H.  III  376  (1319). 

*)  v.  H.  II  209  (1254),  330  (1267).  Allerdings  ist  es  bei  II  209  ja  nicht 
unbedingt  sicher,  ob  beide  Schenken  anhaitische  Hofbeamte  sind  (vgl.  pag.  9 
antn.  3). 

*)  v.  II.  II  323  (1267  Febr.  10). 

*)  v.  H.  II  330  (1267). 


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12 


Jahre  1181  l)  tritt  überhaupt  nur  noch  einmal  ein  Inhaber 
dieses  Amtes  auf,  und  zwar  erst  gegen  Ende  des  13.  Jahr- 
hunderts*). Er  ist  bis  1315  nachweisbar,  weiter  findet  sich  in 
den  Urkunden  dann  kein  Kämmerer  anhaitischer  Fürsten 
erwähnt. 

Seinem  Stande  nach  gehört  der  Kämmerer  zu  den  famuli 3), 
innerhalb  deren  Reihe  ist  seine  Stellung  in  den  Urkunden  ver- 
schieden1). Über  seine  Tätigkeit  ist  nichts  überliefert,  auf 
Reisen  hat  der  Kämmerer  seinen  Fürsten  nicht  selten  be- 
gleitet 5). 

Im  letzten  Viertel  des  14.  Jahrhunderts  tritt  zwar  wieder 
ein  Inhaber  des  Kämmereramtes  auf,  doch  wird  dieser  nunmehr 
schon  Kammermeister  genannt6).  Audi  über  seine  Tätigkeit 
ist  nichts  nachzuweisen,  er  scheint  aber  eine  bedeutendere 
Stellung  eingenommen  zu  haben,  als  die  Kämmerer  früherer 
Zeiten.  Zwar  hat  er  jedenfalls  noch  zum  Stande  der  Knappen 
gehört7),  ist  aber  wohl  schon  ziemlich  vermögend8)  und  von 
nicht  unbedeutendem  Ansehen  gewesen,  da  ihn  die  Äbtissin  von 

')  v.  H.  I 605,  Heinrich  (pag.  3). 

*)  Heinrich  Hobusch,  nach  dem  Sprachgebrauch  damaliger  Zeit  anch 
Heinemannus  genannt.  Er  hat  am  Hofe  Ottos  I.  uud  II.  gelebt  (1291—1315) 
(v.  H.  II  708,  711,  739,  769,  770,  771,  774,  881,  884,  888,  889;  III  6,  23, 
49,  51,  59,  63,  81,  82,  88,  101,  107,  117,  279,  307).  v.  Hcincmaun  VI  S.  125 
setzt  ihn  bis  1322  an,  doch  scheint  es  mir  fraglich,  ob  der  III  424  genannte 
Henricus  Kamerarius  der  nnsrige  ist,  da  die  Urkunde  vom  Niembnrger  Abte 
ausgestellt  ist  und  der  Aschersleber  Grafen  keinerlei  Erwähnung  tut. 

')  v.  H.  I 605  (1181);  II  770,  774,  881,  884,  888;  III  49,  51,  59,  63, 
81,  82,  88,  101,  107,  117,  279  (1294—1314). 

‘)  Der  Kämmerer  Heinrich  Hobusch  findet  sich  in  den  ersten  Jahren  seiner 
Amtstätigkeit  meist  am  Ende,  später  jedoch  anch  oft  an  der  Spitze  seiner 
Standesgenossen  (v.  H.  II  889  (1300);  III  59,  63,  81,  82,  101,  107,  117 
(1303—05)). 

»)  v.  H.  II  708,  711  (1291),  739  (1292);  III  88  (1304). 

*)  1375 — 1377  Oltze  von  Gilverstedt  (v.  H.  IV  462,  483,  504,  506); 
eine  bestimmte  Angabe,  bei  welchem  Fürsten  er  tätig  gewesen  ist,  fiudet 
sich  nicht. 

’)  v.  H.  IV  462  (1375). 

*)  v.  H.  IV  483  (1376)  und  besonders  IV  501  (1377).  Hier  wird  er  mit 
einem  andern  als  Stifter  und  Dotator  eines  Altars  aufgeführt,  „quod  — aediticare 

proponereut,  volentes de  suis  tautniu  apponere,  quod  sacerdos  de  hiis 

congrue  posset  susteutari“. 


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13 


Gernrode  einmal  mit  dem  Patronatsreclit  eines  Altars  belehnt; 
überhaupt  scheint  er  zu  dem  Stifte  Gernrode  in  näheren  Be- 
ziehungen gestanden  zu  haben1).  Nach  1377  ist  auch  ein 
Kammermeister  fiir  lange  Zeit  in  den  anhaitischen  Urkunden 
nicht  aufzufinden,  erst  im  16.  Jahrhundert  erscheint  die  Be- 
zeichnung gelegentlich  wieder. 

e)  Fasst  man  das  über  die  einzelnen  Ämter  Nachgewiesene 
zusammen,  so  ergibt  sich,  dass  auch  in  Anhalt  die  Hofbeamten 
im  12. — 14.  Jahrhundert  nach  ihrem  Geburtsstande  durchaus 
unfreie  Dienstmannen  sind,  aus  der  Zahl  der  Ministerialen  her- 
vorgegangen. Es  gibt  im  ganzen  vier  Ämter,  ein  Hofmeisteramt 
findet  sich  in  dieser  Zeit  in  Anhalt  noch  nicht.  Truchsess, 
Marschall  und  Schenk  gehören  dem  Ritterstande  an,  nur  der 
Kämmerer  ist  von  vornherein  aus  der  Zahl  der  Knappen  ge- 
nommen, später  gehen  auch  die  Ämter  des  Schenken  und  Truch- 
sess in  die  Hände  von  Knappen  über,  letzteres  auch  im  Namen 
verändert. 

Am  einflussreichsten  von  den  Hofbeamten  ist  der  Truchsess, 
jedenfalls  steht  er  bis  zu  seinem  letzten  Auftreten  mit  einer 
einzigen  Ausnahme2)  stets  an  der  Spitze  derselben.  Der  Schenk 
scheint  anfangs  bedeutender  gewesen  zu  sein  wie  der  Marschall8), 
doch  mag  dies  auch  darin  seinen  Grund  haben,  dass  der  Mar- 
schall erst  seit  1263  wieder  mehr  hervortritt.  Jedenfalls  hat 
sich  schon  im  Jahre  1266  ein  Ausgleich  vollzogen4)  und  gegen 
Ende  des  13.  und  im  14.  Jahrhundert  ist  sicher  der  Marschall 
nach  dem  Verschwinden  des  Truchsess  der  einflussreichste  von 
allen  Hof  beamten 5).  Er  ist  der  einzige,  der  ritterlichen 
Standes  bleibt,  sein  Amt  hat  sich  sichtlich  gegen  das  13.  Jahr- 
hundert an  Ansehen  gehoben.  Die  geringste  Bedeutung  hat 
anfangs  das  Kämmereramt  gehabt,  es  hebt  sich  aber  auch  schon 
im  14.  Jahrhundert. 

Überhaupt  ändert  sich  im  14.  Jahrhundert  das  Bild  des 

')  v.  H.  IV  506  (1377);  liier  nenut  ihn  die  Abtissin  auch  „nnscrae 
truwen  dyner“. 

*)  v.  H.  II  281  (,1263). 

*)  v.  Ii.  II  281  (1263),  330,  3)38  (1267),  350  (1268),  358  (1269),  378  (1270). 

«)  v.  H.  II  321. 

*)  Vgl.  H.  B.  Meyer  S.  35  für  die  wettiniscben  Lande. 


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14 


Hofbeamtentums.  Die  alten  Ämter  verlieren  allmählich  immer 
mehr  an  Bedeutung,  werden  verändert  und  schwinden  schliess- 
lich ganz  oder  wenigstens  für  lange  Zeit  aus  unsern  Augen. 
So  wird  das  Schenkenamt  im  14.  Jahrhundert  nur  noch  von 
einem  Knappen  verwaltet  und  ist  seit  1319  nicht  mehr  zu  be- 
legen. Das  alte  Truchsessamt  ist  schon  seit  1288  nicht  mehr 
nachweisbar,  dafür  ist  im  14.  Jahrhundert  das  nunmehr  eben- 
falls von  einem  Knappen  verwaltete  Amt  eines  Küchenmeisters 
eingetreten.  Das  Amt  des  Kämmerers  hat  sich  zwar  im  Laufe 
der  Zeit  an  Bedeutung  gehoben,  doch  ist  auch  hier  der  alte 
Titel  seit  Anfang  des  14.  Jahrhunderts  verschwunden  und  dafür 
die  Bezeichnung  Kammermeister  eingetreten.  Am  längsten  hält 
sich  noch  das  Marschallamt  in  seiner  alten  Bedeutung,  erst 
1376  verschwindet  der  letzte  Inhaber  dieses  einflussreichen  Hof- 
amts aus  den  Urkunden.  Der  Marschall  ist  auch  der  einzige 
Hofbeamte,  der  mit  seinem  alten  Namen  in  späterer  Zeit  wieder 
bedeutender  hervortritt,  Schenk  und  Küchenmeister  sind  im 
16.  Jahrhundert  nur  noch  Beamte  zweiten  Ranges.  Seit  dem 
Ausgang  des  14.  Jahrhunderts  sind  sämtliche  Hofbeamte  aus 
den  Urkunden  verschwunden,  um  erst  im  16.  Jahrhundert 
zum  Teil  wiederzukehren,  und  zwar  in  viel  beschränkterer 
Stellung. 

Bei  den  Hofämtern  des  12. — 14.  Jahrhunderts  ist  nun  auf- 
fallend, dass  wir  meist  nur  jedesmal  zwei  Hofämter  in  einer 
Zeit  öfter  belegt  finden.  Bis  zur  Mitte  des  13.  Jahrhunderts 
kommen  in  den  Urkunden  mit  alleiniger  Ausnahme  der  Urkunde 
von  1181  (v.  H.  I 605)  fast  nur  Inhaber  des  Truchsess-  und 
Schenkenamts  vor,  Marschall  wie  Kämmerer  werden  erst  öfter 
erwähnt  seit  dem  dritten  Viertel  oder  ganz  am  Ende  des 
13.  Jahrhunderts,  also  zu  einer  Zeit,  wo  das  Truchsess-  und 
Scheukenamt  in  ihrer  alten  Bedeutung  schon  allmählich  zurück- 
gehen und  bald  verschwinden.  Die  Hofämter  damaliger  Zeit 
scheinen  sich  also  auch  untereinander  in  ältere  und  jüngere  zu 
scheiden.  Woher  das  kommt,  lässt  sich  nicht  sicher  sagen. 
Jedenfalls  wird  der  Einfluss  der  Persönlichkeit  der  jeweiligen 
Amtsiuhaber  hier  sehr  mitgesprochen  haben,  andererseits  hängt 
es  wohl  mit  den  Befugnissen  der  Ämter  zusammen.  Während 
Truchsess  und  Schenk  im  wesentlichen  Haushaltungsbeamte 


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15 


bleiben,  wächst  das  Ansehen  des  MarschaUs  und  Kämmerers 
durch  Vermehrung  ihrer  Befugnisse.  Aus  der  ursprünglichen 
Aufsicht  über  den  Marstall  und  die  Knechte  entwickelt  sich 
für  den  Marschall  im  Laufe  der  Zeit  ein  Oberbefehl  erst  über 
die  reisigen  Knechte,  dann  auch  über  die  Ritterschaft,  er  wird 
allmählich  zu  deren  Vorstand1).  Das  Kämmereramt  hebt  sich 
von  selbst  durch  die  stetig  wachsende  Bedeutung  der  Finanzen 
und  Geldwirtschaft. 

Über  die  eigentliche  Amtstätigkeit  der  Hofbeamten  lässt 
sich  aus  dem  vorhandenen  Material  nichts  Bestimmtes  feststellen, 
von  Nachrichten  über  irgendeine  Amtsbefugnis  fehlt  jede  Spur. 
Jeder  Hofbeamte  hat  sein  althergebrachtes  Hofamt,  daneben 
besorgt  er,  was  ihm  aufgetragen  ist,  auch  für  die  Erledigung 
der  Geschäfte  der  allgemeinen  Landesregierung.  Eine  Be- 
tätigung in  dieser  Hinsicht  beweist  vor  allem  das  häufige  Auf- 
treten der  Hofbeamten  als  Zeugen  irgendwelcher  Handlungen 
und  Abmachungen  ihres  Fürsten,  eigentlich  bei  jeder  Aufzählung 
von  Zeugen  in  einer  Urkunde  anhaitischer  Fürsten  ist  ein  Hof- 
beamter verzeichnet.  Andererseits  sind  dieselben  auch  oftmals 
als  selbtätige  Vertreter  ihres  Landesherrn,  als  Bürgen,  Schieds- 
richter oder  Unterhändler  nachweisbar8),  sie  sind  wohl  über- 
haupt bei  jedem  wichtigen  Geschäft  dabei.  Jedenfalls  haben 
die  Hofbeamten  in  der  Landesregierung  aber  wohl  keine  selb- 
ständige Amtsgewalt,  sie  sind  nur  Diener  und  Gehilfen  des 
Fürsten,  ihre  Abmachungen  bedürfen  stets  dessen  Bestätigung. 
Die  Hofbeamteu  sind  in  steter  Umgebung  des  Landesherrn,  sie 
begleiten  ihn  wohl  in  dieser  Zeit  des  Fehlens  einer  festen 
Residenz  auch  auf  seinen  meisten  Reisen,  namentlich  der 
Marschall  fehlt  fast  nie  wegen  der  ihm  obliegenden  Sorge  fürs 
Quartier. 

Mehrere  Inhaber  eines  Hofamts  sind  für  gewöhnlich  nicht 
anzunehmen,  es  entspricht  dies  schon  dem  ganzen  Umfang  des 
anhaitischen  Besitzes.  Tritt  bisweilen  der  Fall  ein,  so  geschieht 
es  nur  in  den  letzten  Lebensjahren  des  eigentlichen  Hofbeamten 

*)  Vgl.  Isaaksohn  S.  13;  H.  B.  Meyer  S.  33;  v.  Maurer,  Fronböfe  S. 269 ff.; 
Luschin  von  Ebengreuth,  Geschichte  des  Gerichtswesens  S.  82. 

’)  v.  H.  II  330(1267),  552  (1283),  631  (1288),  277  (1262);  III  1 (1301), 
8,  9 (1301);  M.V.f.A.G.  IX  2 S.  189  (1239). 


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16 


zu  seiner  Unterstützung  oder  notwendigen  Vertretung  durch 
seinen  schon  vorgesehenen  Amtsnachfolger. 

Erblichkeit  der  Hofämter  lässt  sich  aus  den  Urkunden  nur 
einmal  beim  Marschallamt  nachweisen  Anfang  des  14.  Jahr- 
hunderts, das  Fehlen  weiterer  Belege  mag  aber  in  dem  früh- 
zeitigen Verschwinden  der  andern  Hofämter  und  auch  in  der 
geringen  Zahl  der  überkommenen  Nachrichten,  besonders  hin- 
sichtlich der  Namen  der  Hofbeamten,  seinen  Grund  haben.  Im 
13.  Jahrhundert  scheint  noch  kein  Amt  erblich  gewesen  zu  sein, 
Ehrenämter  haben  in  Anhalt  wohl  nicht  in  erblicher  Folge  be- 
standen1). Üblich  scheint  es  dagegen  in  den  anhaitischen  Ge- 
bieten gewesen  zu  sein,  dass  Hofbeamte  beim  Tode  ihres  Herrn 
von  dessen  Nachfolger  beibehalten  werden 2),  immerhin  ein  Zeichen, 
dass  ihre  Stellung  doch  schon  ziemlich  gefestigt  gewesen  sein 
muss.  Sonst  lässt  sich  über  Anstellung  und  Absetzung  der  Hof- 
beamten gar  nichts  sagen. 

Die  Besoldung  der  Hofbeamten  hat  wohl,  wie  überall  in 
den  deutschen  Gebieten8),  im  12. — 14.  Jahrhundert  lediglich 
noch  in  Bekleidung  und  Unterhalt  am  Hofe,  wie  in  Überweisung 
von  Lehngütern  bestanden.  Gehalt  in  Geld  gibt  es  noch  nicht, 
die  sämtlichen  Hofämter  sind  eben  Lehnsstellen  „ allem  Ansehen 
und  der  allgemeinen  teutschen  Sitte  gemäss“,  wie  sich  Joh. 
Christoph  Krause  in  seiner  „Fortsetzung  der  Bertramischen 
Geschichte  des  Hauses  und  Fürstentums  Anhalt“  (Teil  II  S.  305) 
ausdrückt. 

b)  Die  Notare  und  Kanzleibeaniten1). 

Da  die  Inhaber  der  vier  grossen  Hofämter  gewöhnlich 
ohne  schulmässige  Bildung  sind,  ergibt  sich  von  selbst  für  den 


')  Bertram-Krame,  Geschichte  des  Hauses  und  Fürstentums  Anhalt  (1782) 
TI.  II  S.  304.  Es  ist  dies  entsprechend  den  Verhältnissen  in  Brandenburg 
(Bornhak  S.  7,  9). 

*)  Vgl.  die  Aufzählung  der  Hofbeainten  S.  3 nnm.  2,  S.  6 anm.  1,  S.  9 
aum.  4,  S.  12  anm.  2;  siehe  auch  Barth  S.  369  ff. 

*)  pag.  2 anm.  1. 

‘)  Vgl.  hierzu  besonders  Jänicke,  Beiträge  zum  Urkunden-  und  Kanzlei- 
wesen der  gräflichen  Anhaltiner,  vornehmlich  im  13.  und  14.  Jahrhundert, 
(Leipzig,  Dissertation  1904);  ferner  Barth  S.  412;  BornhakS.39;  Jakobs, 
Alter  und  Ursprung  der  gräflichen  Dienerschaft  zu  Wernigerode  (Zeitschrift 


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17 


Landesfürsten  die  Notwendigkeit,  zur  Erledigung  der  schrift- 
lichen Geschäfte,  vor  allem  zur  Fixierung  und  Ausstellung  der 
Urkunden  einen  schreibkundigen  Mann  heranzuziehen.  Dies 
kann  nach  dem  ganzen  Stande  der  Bildung  im  Mittelalter  nur 
ein  Geistlicher  sein,  da  nur  diese  in  damaliger  Zeit  lesen  und 
schreiben  können  und  vor  allem  des  Lateins  kundig  sind. 

Dem  ersten  urkundlich  nachweisbaren  Notar  anhaitischer 
Fürsten  begegnen  wir  im  Jahre  1200  in  der  Person  des 
„Arnoldus  notarius  ducis“,  der  in  Begleitung  des  Herzogs 
Bernhard  von  Sachsen,  Grafen  von  Ascharien  in  einer  Urkunde 
des  Bischofs  Norbert  von  Brandenburg  auftritt1),  sich  aber 
sonst  nicht  weiter  belegen  lässt.  In  früherer  Zeit  scheint 

Herzog  Bernhard  ebenso  wie  sein  Vater  Albrecht  der  Bär  die 
Ausfertigung  der  Urkunden  von  Fall  zu  Fall  einem  gerade 
anwesenden  Geistlichen  übertragen  zu  haben,  meist  natürlich 
wohl  seinen  Kaplänen 2),  ohne  einen  eigenen  Beamten  dafür  zu 
halten.  Seit  der  Regierungszeit  Heinrichs  I.  hat  es  aber  ein 
fest  eingerichtetes  Amt  eines  Notars  in  Anhalt  gegeben;  vom 
Jahre  1213  an  lassen  sich  Inhaber  eines  solchen  Amts  beinahe 
ohue  Unterbrechung  nachweisen 3),  nach  der  Teilung  des  au- 

des  Harzvereins  Bd.  XXI  (1888))  S.99ff.;  v.  Krones,  Verfassung  S.  120,  195; 
II.  B.  Meyer  S.  25ff.;  v.  I’oscrn-Klett,  Zur  Geschichte  der  Verfassung 
der  Markgrafschaft  Meissen  im  19.  Jahrhundert  (Leipzig  1863)  S.  54;  Rosen  - 
thal,  Gerichtswesen  S. 265 ff. ; Schröder,  Reebtsgeschiehte  S.490;  Wieder- 
hold S.  48;  Wintterliu  S.  löff. 

')  v.  H.  I 733. 

•)  v.  H.  I 483  (1163),  605  (1181). 

')  Näheres  über  die  Persönlichkeiten  der  Notare  bis  Ende  des  14.  Jahr- 
hunderts ist  angegeben  bei  Jänicke  S.  2 — 36,  eine  Tabelle  S.  80.  Im  15.  Jahr- 
hundert finden  sich  noch  folgende  selbständige  Kanzleibeamte. 

1405  Tyle  Panthir  und  Kerstanus,  Schreiber  des  Fürsten  Albrecht 

(Reg.  42). 

1422  - 1426  G n n t h e r W i g n a n d unter  Bernhard  VI.  (Reg.  157, 179,  207). 

1436 — 1440  Stephan  Rodendorff  unter  Georg  I.  (Reg.  294,  332,  333). 

1440  Martin  Korner  unter  Georg  I.  (Reg.  332,  333). 

Nikolaus  Drifuss  unter  Georg  I.  (Reg.  332,  333). 

1457 — 1470  Johann  Hinrici  unter  Albrecht  V.  und  Adolf  I.  (Reg. 
515,  719). 

1460  Heinrich  Körner  unter  Adolf  I.  (H.H.St. Arch.  Vol.  V fol.  275h 
N.  20:  Kopialbuch  von  1460  „Incipit  registrum  über  materiis  et  uegociis  domi 

Schrecker,  Beamtentum  ln  Ankalt  2 


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18 


haitischen  Landes  unter  die  Söhne  Heinrichs  I.  im  Jahre  1253 
finden  sich  selbstverständlich  bei  jeder  der  drei  fürstlichen 
Linien  Notare1). 

Von  den  ersten  Anfängen  eines  eigentlich  anhaitischen 
Territoriums  an  finden  sich  also  Kanzleibeamte,  und  zwar  in 
ziemlich  eng  aufeinander  folgender  Reihe  bis  zur  Mitte  des 
14.  Jahrhunderts,  erst  seit  zirka  1350  werden  Notare  und 
Schreiber  in  den  Urkunden  seltener  erwähnt*),  scheinen  seitdem 
also  in  der  Leitung  der  Landesaugelegenheiten  nicht  mehr  so 
hervorgetreten  zu  sein.  Immerhin  lässt  sich  eine  Zuziehung 
dieser  Kanzleibeamten  in  den  Urkunden  als  Zeugen  oder  auch 
selbsthaudelnd  noch  bis  in  die  70er  Jahre  des  15.  Jahrhunderts 
nachweisen  (1470) 8).  Erst  dann  hört  ein  selbständiges  Auftreten 
von  Notaren  und  Schreibern  auf;  seitdem  begegnen  uns  der- 
artige Kanzleibeamte  nur  noch  in  untergeordneter  Stellung,  ihr 
Vertreter  nach  aussen  wird  vollkommen  der  Kanzler. 

Im  13.  Jahrhundert  haben  sich  die  anhaitischen  Fürsten 
wohl  durchweg  mit  einem  einzigen  Notar  begnügt,  jedenfalls 
treten  mehre  Personen  dieses  Titels  erst  ganz  am  Ende  des 
13.  Jahrhunderts  auf4).  Dass  aber  schon  sehr  früh  unter  den 
Notaren  noch  Schreiber  tätig  gewesen  sind,  kann  besonders 
nach  den  Untersuchungen  Jänickes  (S.  3ff.)  nicht  bezweifelt 
werden.  Einmal  weist  schon  das  Vorkommen  der  Bezeichnung 
„prothonotarius“  im  Jahre  1223 5)  wohl  sicher  darauf  hin,  denn 
eine  fest  geordnete  Kanzlei  mit  der  Rangabstufung  Protonotar, 
Notare,  Schreiber  möchte  ich  in  so  früher  Zeit  doch  noch  nicht 
annehmen  — auch  widerspricht  dem  die  sonstige  Bezeichnung 
des  betreffenden  Kanzleibeamten  — , zumal  im  13.  Jahrhundert 
nie  wieder  von  einem  derartigen  Titel  die  Rede  ist.  Ferner 

Adolffi  principis  in  Anhalt.  Heinricus  Korner,  notarius  prfati  dorapni“),  er 
ist  zugleich  Probst  zu  Wörlitz  und  Domherr  zu  Zerbst  (Reg.  515  (1457)), 
seit  1459  Dekan  der  St.  Bartholomäikirche  in  Zerbst  (Reg.  552,  620,  621). 

')  Jänicke  S.  6 ff. 

»)  Jänicke  S.  29,  33,  35. 

*)  pag.  17  anm.  3.  Allerdings  wird  mit  dem  Titel  „Schreiber“  in  dieser 
Zeit  auch  bisweilen  der  Kanzler  bezeichnet  (Reg.  623,  629  (1463)). 

4)  Jänicke  S.  13,  14,  46  (Die  als  Notare  augefilhrteu  Bertram  und  Wedego 
sind  wohl  nur  Schreiber  gewesen  uach  Jänicke)  und  3.  24,  25. 

»)  v.  Fl.  II  68. 


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19 


treffen  wir  auch  unter  Siegfried  I.  einen  Notar  und  einen 
Schreiber  zu  gleicher  Zeit  an1)  im  Jahre  1259,  ausserdem 
weist  Jänicke  das  Vorhandensein  mehrerer  Schreiber  im 
13.  Jahrhundert  aus  der  Schrift  der  einzelnen  Urkunden  noch 
nach  für  die  Regierungszeit  Heinrichs  II.  *)  und  Ottos  I. *). 

Seit  Ende  des  13.  und  im  Laufe  des  14.  und  15.  Jahr- 
hunderts finden  sich  mehrere  Notare  öfter  zu  gleicher  Zeit. 
Es  hat  dies  in  den  einzelnen  Territorien  seine  verschiedenen 
Gründe.  Am  Aschersleber  Hofe  ist  eine  Vermehrung  der 
Notariatsbeamten  um  das  Jahr  1300  wohl  infolge  des  An- 
wachsens der  Kanzleigeschäfte  erfolgt,  schon  damals  hat  hier 
eine  Kanzlei  bestanden  4).  Die  Bernburger  Fürsten  haben  sich 
bis  1315  gewöhnlich  noch  mit  einem  Notar  begnügt,  nur  ein- 
mal begegnen  uns  in  früherer  Zeit  zwei  Inhaber  dieses  Amts 5) 
(1293),  eine  Kanzlei  hat  es  aber  damals  noch  nicht  gegeben6). 
Erst  seitdem  nach  dem  Anfall  des  Aschersleber  Besitzes  sich 
das  Territorium  und  damit  auch  die  Verwaltungsgeschäfte  be- 
deutend vergrössert  haben,  lassen  sich  häufiger  mehrere  Notare 
zu  gleicher  Zeit,  also  eine  geordnete  Kanzlei  nachweisen 7). 
Anders  ist  es  im  Zerbster  Gebiet.  Hier  brachte  es  die  ganze 
Art  der  Landesverwaltung  schon  früh  mit  sich,  mehrere  Notare 
zu  gleicher  Zeit  für  die  einzelnen  Bezirke  aufzustellen 8). 
Schon  seit  den  90  er  Jahren  des  13.  Jahrhunderts  finden  wir 
mehrere  Notare  nebeneinander  tätig9),  von  denen  einer  sogar 
den  Titel  Protonotar  trägt,  an  sich  schon  ein  Zeichen,  dass 
mehrere  Kanzleibeamte  vorhanden  gewesen  sind.  Doch  arbeiten 
nach  Jänicke  diese  Notare  nicht  alle  zusammen  in  einer  Kanzlei, 


*)  v.  H.  II  245  (Jänicke  S.  22). 

*)  Jänicke  S.  9. 

*)  Jänicke  S.  10,  15. 

*)  Jänicke  S.  15.  Neben  ßctemannus  finden  sich  als  Notare  Bertram 
und  Wedego  (v.  H.  II  889,  890  (1300);  III  1,  23  (1301),  117  (1305)). 

»)  v.  H.  II  759;  M.V.f.A.G.  IX  2 S.  191  (1293). 

*)  Jänicke  S.  21. 

’)  v.  H.  III  352  (1317),  376  (1319),  393  (1320),  415  (1321)  und  Jänicke 
S.  21,  27  ff. 

•)  Jänicke  S.  25 — 26. 

•)  v.  H.  II  812  (1296),  816  (1296),  823,  828  (1297),  880  (1300);  III  46 
(1302);  II  840  (1297);  s.  Jäuieke  S.  24,  25. 

2* 


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20 


vielmehr  ist  das  Zerbster  Territorium  iufolge  des  Mangels 
eines  ständigen  Aufenthaltsorts  des  Landesherrn  in  lauter 
einzelne  Notariatsbezirke  eingeteilt,  au  deren  Spitze  je  ein 
Notar  steht,  der  dieses  Amt  zugleich  mit  seinem  geistlichen 
ausübt.  Ihnen  übergeordnet  ist  ein  Protonotar,  der  die  Ober- 
aufsicht fühlt  und  wahrscheinlich  in  der  ständigen  Umgebung 
des  Grafen  gewesen  ist,  während  die  einzelnen  Notare  immer 
nur  dann  die  Beurkundung  vollziehen,  wenn  der  Graf  sich  in 
ihrem  Bezirk  aufhält.  Für  das  Aschersleber  oder  Bernburger 
Gebiet  lässt  sich  eine  derartige  Einrichtung  nicht  nachweisen, 
dafür  sind  aber  die  Notare  des  Zerbster  Territoriums  auch  nur 
auf  ihren  eigenen,  bestimmten  Bezirke  beschränkt  und  durchaus 
nicht  so  vielseitig  wirksam,  wie  ein  einzelner  Notar  unter  einem 
Fürsten  der  beiden  andern  anhaitischeu  Linieu. 

Auch  lässt  sich  nach  Jänicke  (S.  27)  eine  einheitliche,  feste 
Kanzlei  im  Zerbster  Gebiet  auch  erst  viel  später,  wie  in  den  andern 
Landesteilen  Anhalts  nachweisen,  obwohl  ein  oberer  Notariats- 
beamter, ein  Protonotar  zur  Beaufsichtigung  der  verschiedenen 
Notare  natürlich  hier  viel  eher  nötig  war,  wie  in  den  andern 
Territorien.  Von  einer  festen  Kanzlei  kann  vor  1285  über- 
haupt in  keinem  der  anhaitischen  Teilgebiete  die  Rede  sein  *). 
Die  erste  findet  sich  unter  Otto  I.  am  Aschersleber  Hofe,  ihre 
Einrichtungen  werden  dann  beim  Anfall  dieser  Linie  au  Bern- 
burg von  den  Bernburger  Fürsten  übernommen  und  damit  auch 
hier  eine  Kanzlei  eingerichtet.  In  Zerbst  wird  eine  Kanzlei 
erst  nach  der  Zentralisierung  der  Landesverwaltung  begründet, 
etwa  seit  1330  finden  sich  mehrere  Notare  von  Bedeutung  auch 
hier  zu  gleicher  Zeit  im  Amte.  Die  Organisation  der  Kanzlei 
hing  jedenfalls  auch  in  Anhalt  mit  dem  steigenden  Umfang  der 
Geschäfte  zusammen a). 

Besondere  Schreiber  für  einzelne  Mitglieder  der  fürstlichen 
Familien  finden  sich  in  Anhalt  im  allgemeinen  nicht;  nur  ein- 
mal hat  die  Fürstin  Mechtild,  Witwe  Heinrichs  II.,  ihren  be- 
sondern  Schreiber  und  Kaplan3),  doch  erklärt  sich  dies  wohl 


’)  Jänicke  S.  36  und  S.  15,  21,  27. 

*)  H.  B.  Meyer  S.  26  für  die  weltinincben  Lande. 
•)  t.  H.  II  »38  (1267). 


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aus  dem  Witwenstand  und  der  zeitweisen  Regen  t.schaftsfülming 
dei-selben  für  ihre  Söhne;  mit  dem  landesfürstlichen  Notariats- 
amte hat  dieser  Schreiber  nichts  zu  tun. 

Die  Organisation  unter  den  Kanzleibeamten  ist  auch  in 
Anhalt  während  des  Mittelalters  dieselbe,  wie  in  den  meisten 
deutschen  Territorien.  Ist  ein  oberer  Beamter  nachweisbar, 
so  führt  er  den  Titel  „ protonotarius  er  begegnet  jedoch  nur 
im  Zerbster  Gebiete l).  Einmal  in  dieser  Zeit,  aber  erst  in 
der  zweiten  Hälfte  des  14.  Jahrhunderts,  findet  sich  auch  der 
Kanzlertitel  für  einen  Kanzleibeamten8).  Gewöhnlich  liegt  die 
Leitung  der  Notariats-  und  Schreibgeschäfte  in  den  Händen 
von  Notaren,  unter  denen  dann  ein  oder  meist  mehrere  Schreiber 
tätig  sind3).  Zu  beachten  ist,  dass  sehr  viele  Notare  anfangs 
als  Schreiber  gearbeitet  haben 4),  ein  Zeichen,  dass  sie  erst  den 
Dienst  kennen  lernen  und  sich  erst  bewähren  mussten,  bevor 
sie  in  die  verantwortliche  Stellung  eines  Notars  aufrückten. 
Im  allgemeinen  ist  es  wohl  auch  Brauch  gewesen,  die  Notare 
aus  der  Zahl  der  Schreiber  zu  nehmen,  sie  also  gewissermassen 
von  der  Pike  auf  dienen  zu  lassen.  Sonst  wechseln  die  Be- 
zeichnungen Notar  und  Schreiber  aber  auch  in  den  Urkunden 
in  beliebiger  Weise.  Es  sind  die  gewöhnlichen  Titel  für  die 
Kanzleibeamten  im  12—14.  Jahrhundert.  Im  15.  Jahrhundert 
heissen  sie  eigentlich  nur  noch  Schreiber,  nur  ein  einziges  Mal 

•)  II  68  (1223),  840  (1297);  III  868  , 870  (1349);  IV  414  (1371) 
(9.  Jänicke  S.  26  anin.  1). 

*)  v.  H.  III  904  (1350). 

»)  v.  H.  II  889,  890  (1299);  III  23  (1301),  117  (1:305)  (s.  auch  Jänicke 
8.46);  II  245  (1259);  III  352  (1317),  813  (1347);  IV  272,  302  (1362—63). 

• 4)  So  wird  Walter,  Pfarrer  von  Bernburg  (1229—30),  erst  1230  Notar 
genannt  (v.  H.  II  100,  101;  103).  Der  Notar  Bartold  am  Aschersleber  Hofe 
(1267—74)  wird  zuerst  nur  als  scriptor  aufgefiihrt  (v.  H.  II  323,  324,  358 
(1269)),  erst  von  1271  an  trägt  er  den  Titel  Notar  (v.  H.  II  393,  439  (1274)); 
Johannes  von  Diben  (1287 — 93)  ist  ebenfalls  erst  Schreiber  (II  612;  626); 
desgl.  Konrad  (1317 — 28)  (v.  H.  III  352;  524,  543,  544);  Theodericb  von 
Qnellendorf  (1259—1300)  begegnet  erst  als  Schreiber  unter  dem  Notar  Richard 
von  Quellendorf  (v.  H.  II  245  (1259);  412  (1273));  Otto  von  Zeinitz  und 
Johanu  von  Morditz  (1332—57)  worden  erst  1336  Notare  genannt  (v.  H.  III 
599  ; 658);  desgl.  Tilemanu  (1347—52)  (v.  H.  III  813;  IV  46)  und  Andreas 
Mychow  (v.  H.  IV  272;  419,  467). 


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22 


habe  ich  den  Titel  uotarius  noch  gefunden  *).  Ausserdem  findet 
sich  gelegentlich  noch  die  Bezeichnung  coufector*). 

Dem  Stande  nach  sind  sämtliche  Kanzleibeamte  im  12 — 14. 
Jahrhundert  Geistliche;  im  15.  Jahrhundert  ist  es  bei  den 
wenigen  Nachrichten  nicht  genau  zu  erkennen,  aber  wohl  auch 
noch  oft  der  Fall3).  Sie  gehören  also  nicht  zum  Kreise  der 
eigentlichen  fürstlichen  Mannschaft,  sind  neben  ihrer  Tätigkeit 
als  Notariatsbeamte  immer  noch  Diener  der  Kirche,  haben  ausser 
ihrem  Amte  noch  andere  Stellen  kirchlicher  Art,  die  sie  ver- 
sehen und  wohnen  bisweilen  nicht  einmal  dauernd  am  fürstlichen 
Hof,  wie  es  im  Zerbster  Gebiet  sich  findet*).  Für  die  grössere 
Mehrzahl  der  Notare,  wenn  auch  nicht  für  alle,  lässt  sich  eine 
solche  Nebenstellung  nachweisen.  Gewöhnlich  sind  sie  noch 
Pfarrherrn  irgendeines  Ortes6).  Entweder  haben  sie  diese 
Stelle  schon  von  ihrer  Notariatszeit  innegehabt  oder  sie  be- 
kommen sie  später  für  ihre  Dienste  als  Pfründe  verliehen8), 
vertauschen  auch  wohl  eine  frühere  Stelle  mit  einer  besseren 
neuen7).  Dass  die  Überweisung  solcher  Pfarreien  au  Notare 

’)  S.  17  anm.  3 „Heinrich  KBraer“. 

*)  v.  H.  III  745  (1341). 

*)  Reg.  515,  552  und  H.H.St.  Arch.  Vol.  V foI.275b  Nr.  20  (S.  17  amu  ); 
b.  auch  Beckmann,  Historie  des  Fürstentums  Anhalt  (Zerbst  1700)  TI.  VH  S.  1 16. 

*)  Vgl.  pag.  20;  s.  auch  Schmoller  3.  52  ff. 

')  v.  H.  II  100,  101,  103  (1229—30),  301  (1265),  682  (1290),  727  (1292), 
746  (1293),  849  (1298),  877,  881,  882-  884  (1300);  III  6 (1301),  31  (1302);  49, 
61,  59,  62  (1303),  88  (1304),  690  (1337),  719,  721,  738,  741  (1339—41),  868, 
870,  873,  875,  884,  903,  904  (1349—50);  IV  46  (1352),  133  (1356);  IV  471 
(1375);  V 110  (1389)  (Jänicke  S.  2— 36). 

*)  So  ist  der  Notar  Tbeoderich  (1284—94)  erst  seit  1290  als  Pfarrer 
von  Millingen  nachweisbar  (v.  H.  II  682,  746);  der  Notar  Richard  (1259—63) 
erscheint  erst  später  als  Pfarrer  von  Quellendorf  (II  301  (1265));  ebenso 
treten  Otto  von  Zeinitz  und  Johann  von  llorditz  (1332 — 57)  erst  seit  1335 
als  Pfarrherrn  auf  (v.  H.  III  690).  Der  Notar  Konrad  Picht  ist  später  Pfarrer 
in  Bernburg  und  Kanonikus  von  8t.  Bartholomäi  in  Zerbst  (v.  H.  III  653, 
787;  IV  34  (1334—52),  Jänicke  S.  28);  s.  auch  Schröder,  Rechtsgeschichte 
S.  524,  Barth.  S.  414. 

T)  Der  Notar  Betemannns  (1294 — 1315)  ist  erst  Pfarrer  in  Erkesleben, 
seit  1304  dann  in  Seedorf  (II  877  (1300);  III  62  (1303);  III  88  (1304)); 
ebenso  ist  Johann  von  Morditz  (1332—57)  erst  Pfarrer  von  Hain,  seit  1349 
von  Dessau  (v.  H.  III  741;  868);  der  ehemalige  Schreiber  Tilewaun  ist  dafür 
1352  Pfarrer  zu  Hayn  (v.  H.  IV  46j. 


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23 


eine  Pfründe  ist,  beweist,  dass  für  geleistete  Dienste  der  No- 
tare nicht  diesen,  sondern  den  Kircheu,  welchen  sie  vorstehen, 
eine  Schenkung  zngewiesen  wird,  deren  Nutzung  den  Notaren 
als  ihren  Inhabern  natürlich  an  erster  Stelle  zufällt.  So  schenken 
im  Jahre  1337  *)  die  Fürsten  Albrecht  II.  und  Waldemar  I. 
der  Kirche  zu  Wörlitz  ein  Dorf  „nec  non  Ottonis  de  Ceynitz, 
plebani  in  Wörlitz  ob  merita  servitiornm  nobis  crebrius  exhibi- 
torum“,  und  im  Jahre  1349®)  überweisen  dieselben  Fürsten  der 
Marienkirche  zu  Dessau  Güter,  wobei  sie  besonders  erwähnen, 
„in  super  ob  servitiorum  merita  nobis  per  Johannem  de  Morditz, 
nunc  in  Dessau  plebanum,  crebrius  exhibita“. 

Eine  andere  Art  der  Besoldung  der  Kanzleibeamten  als  solchen 
in  Geld  oder  sonstigen  Gütern  ist  nicht  nachznweisen a).  Sie 
erhalten  ihren  Unterhalt  in  Kost  und  Kleidung  wohl  vom  Hofe 
selbst,  ihre  sonstigen  Bedürfnisse  werden  aus  den  Einkünften 
ihrer  geistlichen  Stellen  bestritten.  In  späterer  Zeit  treffen 
wir  die  Kanzleibeamten,  auch  bisweilen  sogar  noch  neben  ihrem 
Pfarramt,  als  Inhaber  irgendwelcher  Stiftsstellen,  als  Kanoniker 
oder  auch  Pröpste,  Dekane  irgendeines  Klosters;  es  ist  dies 
sicher  wohl  ein  Zeichen  für  die  gesteigerte  Bedeutung  ihrer 
Stellung. 

Eine  Vereinigung  der  Kauzlei  mit  der  Kapelle,  wie  sie  in 
manchen  deutschen  Gebieten  besteht4),  findet  sich  nur  im  Zerbster 
Territorium  ; in  Aschersleben  und  Bernburg  fertigen  wohl  bis- 
weilen Hofkapläne  Urkunden  aus,  zumal  in  der  allerersten  Zeit, 
im  12.  Jahrhundert,  als  noch  gar  keine  eigentlichen  Kanzlei- 
beamten vorhanden  sind,  ist  dies  wohl  der  gewöhnliche  Brauch 
gewesen5).  Später  sind  aber  die  Notare  fast  nie  zugleich 
Kapläne,  in  mehreren  Fällen  findeu  sich  sogar  neben  ihnen  noch 

>)  v.  H.  III  690. 

*)  v.  H.  III  873. 

• *)  Einmal  im  Jabre  1339  überweisen  allerdings  die  Fürsten  Albrecht  II. 

und  Waldemar  I.  „ Johanni  plebano  in  Hayn,  nostro  notario“,  sowie  einigen 
andern  Mitgliedern  der  Familie  Morditz  eine  Hufe  Landes  vor  dem  Breiten- 
tore zu  Zerbst;  doch  bandelt  es  sich  hier  eben  um  eine  Angelegenheit  der 
ganzen  Familie,  nicht  sowohl  des  Notars  an  sich. 

•)  Wiederhold  S.  48;  Barth.  S.  404. 

•)  v.  H.  I 483  (1163),  60ä  (1181)  (s.  pag.  17  anm.  2). 


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24 


besondere  Kapläue  in  den  Urkunden  erwähnt1).  Nur  bisweilen 
tritt  der  Fall  ein,  dass  einem  Notar  für  geleistete  Dienste  die 
Würde  eines  Kaplans  übertragen  wird  *).  Im  Zerbster  Gebiet 
sind  dagegen,  besonders  im  14.  Jahrhundert,  die  meisten  Notare 
auch  zugleich  Kapläne8),  allerdings  kommen  neben  ihnen  auch 
noch  andere  Kapläne  vor4). 

Die  Stellung  der  Kanzleibeamten  in  den  Zeugenreihen  der 
Urkunden  — sonst  werden  sie  ebenso  häufig  in  der  Datierungs- 
zeile aufgeführt  — ist  im  allgemeinen  mitten  unter  den  Kle- 
rikern, je  nach  der  Würde  der  andern  Zeugen  und  ihrer  eigenen 
Bedeutung  mehr  vorn  oder  auch  am  Ende,  nicht  selten  stehen 
sie  aber  auch  au  erster  Stelle5).  Jedenfalls  haben  die  Notariats- 
beamten in  der  Umgebung  der  Fürsten  keine  untergeordnete 
Rolle  gespielt.  Darauf  weist  das  häufige  Vorkommen  des  Titels 
dominus  hin8),  wenn  auch  derselbe  gerade  bei  geistlichen  Per- 
sonen sehr  üblich  ist.  Bezüglich  der  Stellung  spielt  natürlich 
vor  allem  auch  die  Persönlichkeit  des  einzelnen  Notars  eine 
grosse  Rolle7). 

*)  v.  H.  II  9 (1213);  III  350  (1317),  745  (1341);  IV  527  (1378). 

*)  So  begegnet  der  Notar  Beteuiannus  seit  1314  als  Kaplan  (v.  H.  III 
283).  Jiinickc  8. 20  nimmt  an,  dass  er  erst  von  Bernhard  II.  nach  Übernahme  der 
Ascbersleber  Kanzlei  im  Jahre  1317  (v.  H.  III  352)  zu  dieser  Würde  erhoben 
ist,  bat  sieb  aber  geirrt,  schon  unter  Otto  II.  tritt  er  uns  als  Kaplan  entgegen. 

*)  v.  H.  II  245  (1259),  301  (1265),  460  (1275),  812  (1296),  880  (1300); 
III  164  (1308),  220  (1310),  257,  270,  286  (1313-14),  659,  («56  (1335—36), 
719,  738,  741  (1339—41),  875,  884,  903,  904  (1349—50);  V 584a  (1330); 
ev.  III  505  (1325). 

‘)  v.  II.  II  412  (1273),  460  (1275);  III  505  (1325),  454  (1323),  690 
(1337),  868  (1349),  482  (1324),  745  (1341);  V 51  (1383).  Kapläne  haben 
auch  die  anhaitischen  Fürsten  stets  gehabt,  sie  kommen  aber  für  die  Ver- 
waltung an  sich  gar  nicht  in  Betracht,  haben  eine  rein  persönliche  Stellung 
zum  Fürsten.  Ich  sehe  daher  von  ihnen  ab. 

»)  II  324  (1267),  769,  770,  771,  774  (1294);  III  117  (1305),  198  (1309), 
234  (1311),  279  (1314),  294,  307  (1314-15),  352  (1317),  415  (1321),  700 
(1338);  V 772  a (1294). 

«)  v.  H.  II  323  (12(57),  612  (1287),  770,  777  (1294),  880  (1300);  III  79 
(1304),  177,  198  (1308-09),  220  (1310),  234  (1311),  270,  272  (1313),  282, 
294,  307  (1314—15),  352  (1317),  376  (1319),  415  (1321),  524  (1327);  IV  272 
(1362),  467  (1375),  515,  519,  530  (1378). 

’)  Z.  B.  Beteuiannus  (Jänicke  S.  13,  14,  20,  27),  Tbeodcricb  von  Millingen 
(Jänicke  S.  11,  12),  Otto  von  Zeinitz  und  Johann  von  Horditz  (Jänicke  S.  32). 


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25 


Die  Tätigkeit  ’)  der  Kanzleibeamtcn  besteht  vor  allem  iu 
der  Ausstellung  und  Besiegelung  der  Urkunden;  feste,  immer 
zu  befolgende  Normen  gibt  es  aber  jedenfalls  noch  nicht.  Zu- 
meist werdeu  die  Schriftstücke  wohl  von  dem  Schreiber  aufge- 
zeichnet, der  Notar  prüft  sic  dann  und  macht  sie  durch  seine 
Namensunterschrift  und  Besiegelung  rechtskräftig2);  bisweilen 
haben  die  Notare  sie  auch  selbst  aufgesetzt8).  Jedenfalls  ist 
die  Besiegelung  wohl  stets  von  ihnen  geschehen,  sie  führen  zu 
diesem  Zweck  das  fürstliche  Siegel  und  üben  so  gewissermassen 
eine  Kontrolle  über  die  Urkunden  aus.  Auch  die  Registrierung 
der  Schriftstücke  ist  Sache  der  Kanzleibeamteu;  als  im  15.  Jahr- 
hundert Kopialbücher  angelegt  werdeu,  ist  deren  Einrichtung 
und  Führung  einem  Notar  übergeben4).  Zu  weiterer  Sicherheit 
der  in  den  Urkunden  verzeichneten  Abmachungen  wird  es  seit 
dem  15.  Jahrhundert  auch  Sitte,  die  Notare  die  Urkunden  noch 
besonders  unterschreiben  zu  lassen  5). 

Durch  die  Fixierung  und  Beglaubigung  der  Urkunden  haben 
die  Kanzleibeamten  selbstverständlich  auch  auf  deren  materiellen 
Inhalt  einen  nicht  geringen  Einfluss  und  werden  schon  dadurch 
zu  wichtigen  Beamten  am  Hofe.  Da  sie  ferner  meist  die  ein- 
zigen sind,  die  lesen  und  schreiben  können,  so  ist  es  natürlich, 
dass  sie  beinahe  zu  allen  wichtigen  Angelegenheiten  herange- 
zogen werden.  Bei  jeder  Abmachung  konnte  es  nötig  werden, 
ältere  Verträge  einzusehen,  darüber  Auskunft  zu  geben  oder 
auch  schnell  irgend  etwas  zu  Protokoll  zu  nehmen,  wozu  eben 
die  Notare  am  geeignetsten  waren,  da  sie  als  Leiter  der  Kanzlei- 
geschäfte wohl  sicher  auch  für  die  Aufbewahrung  der  Urkunden 
zu  sorgen  hatten.  Auch  das  ist  ein  Grund,  weshalb  wir  die 
Kanzleibeamteu  soviel  als  Zeugen  aufgeführt  finden,  ohne  dass 
sie  an  der  schriftlichen  Abfassung  der  Urkunde  direkt  beteiligt 
zu  sein  brauchen.  Schon  deshalb  und  als  Siegelführer  sind  sie 
auch  fast  immer  in  der  Begleitung  ihres  Fürsten  anzutreffen, 


’)  Jänicke  II  S.  36  ff.  (desgl.  pag.  16  anm.  4). 

. »)  v.  H.  II  626  (1287);  III  355  (1317),  379  (1319). 

»)  v.  II.  II  301  (1265),  636  (1288),  727  (1292);  III  164  (1308),  690 
(1337)  (s.  Jänicke  8.  8,  22,  23,  29,  36). 

*)  II. 11. St. Arch.  Vul.  V toi.  275b  Nr.  20  (S.  17  anm.  3). 

5)  lieg.  452,  28  (1452). 


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20 


zumal  bei  Reisen  desselben  in  fremden  Gebieten ').  Nicht  selten 
werden  sie  von  deu  Fürsten  auch  als  Gesandte,  Unterhändler 
oder  als  Bekräftigungszeugen  bei  schwierigen  Abmachungen 
benutzt,  ebenso  von  andern  Personen  in  dieser  Weise  heran- 
gezogen *). 

Über  Anstellung  und  Absetzung  der  Kanzleibeamten  ist 
nichts  Bestimmtes  überliefert,  Bestallungsurkunden  haben  sich 
nicht  gefunden.  Jedenfalls  scheint  es  aber  schon  im  13.  Jahr- 
hundert üblich  gewesen  zu  sein,  brauchbare  Notare  beim  Tod 
des  Fürsten  im  Amt  zu  lassen3);  wir  haben  sogar  den  Fall, 
dass  bei  Vereinigung  der  Aschersleber  und  Bernburger  Linie  im 
Jahre  1315  anscheinend  das  ganze  Kanzleipersonal  des  Aschers- 
leber Hofes  von  dem  Bernburger  Fürsten  herübergenomraen 
wird,  denn  der  Notar  Betemannus  ist  im  Jahre  1315  anch  am 
Bernburger  Hofe  tätig,  und  zwar  in  vollem  Umfang  seiner 
Stellung,  da  er  uns  auch  bei  Fürst  Bernhard  II.,  als  Kaplan 
wieder  entgegentritt4). 

Gegen  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  werden  Kanzleibeamte 
in  den  Urkunden  seltener  angeführt,  ganz  verschwinden  sie 
jedoch  nie.  Die  Kanzlei  als  solche  besteht  fort,  denn  die  Re- 
gierungsgeschäfte müssen  erledigt  werden,  nur  ist  es  nicht  mehr 
so  gebräuchlich,  den  Namen  des  Notars  anzugeben;  die  Be- 
siegelung allein  genügt5). 

')  v.  H.  II  566  (1284),  682  (1290),  711  (1291),  739  (1293),  890  (1300); 
III  1 (1301),  88  (1304),  767  (1343);  Reg.  157  (1422). 

•)  v.  H.  II  890  (1300);  III  1 (1301),  79  (1304),  415  (1321),  575  (1330), 
602  (1332),  813  (1347);  Reg.  179  (1423),  719  (1470). 

’)  So  ist  der  Notar  Bartold  (1267—74)  am  Aschersleber  Bofe  unter 
Otto  I.  und  Heinrich  III.  schon  unter  Heinrich  II.  und  später  dessen  ver- 
witweter Gemahlin  zur  Zeit  ihrer  vormundschaftlichen  Regierung  tätig  ge- 
wesen (v.  H.  II  324,  358  (1267  — 69)  (Jänicke  S.  8,  9)),  der  Notar  Betemannus 
ist  unter  Otto  I.  und  II.  und  dann  noch  unter  Bernhard  II.  und  III.  im  Amt 
(1297-1321)  (v.  H.  II  839  (1297);  III  234  (1311),  376  (1319),  415  (1321)) 
(Jänicke  S.  13ff.,  20,  27);  dcsgl.  Theoderich  von  Quellendorf  (1259—1300) 
unter  Siegfried  I.  und  Albrecbt  I.  (v.  II.  II  245  (1259),  636  (1288);  Konrad 
de  Koure  (1317 — 28)  unter  Bernhard  II.  und  III.  (v.  H III  352,  524  (1327); 
Andreas  Mychow  (1362—75)  unter  Waldemar  I.  und  Johann  II.  (v.  H.  IV 
272,  419  (1371))  (Jänicke  S.  2 ff.). 

*)  Jänicke  S.  20  und  pag.  24  anm.  2. 

*)  Jänicke  S.  30,  35. 


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27 


2.  Die  Lokalverwaltung. 

Ist  die  Zentralverwaltung  in  Anhalt  im  Mittelalter  durch- 
aus in  den  Händen  von  Personen  des  fürstlichen  Hofstaats  und 
stets  an  die  unmittelbare  Entscheidung  des  Fürsten  gebunden, 
so  wird  dies  naturgemäss  in  der  Lokalverwaltung  anders.  Schon 
die  Entfernung  einzelner  Landesteile  vom  fürstlichen  Hofe 
bringt  es  mit  sich,  die  Beamten  der  lokalen  Verwaltung  be- 
deutend selbständiger  zu  stellen.  Hieraus  ist  es  auch  zu  er- 
klären, dass  wir  wenigstens  einiges  über  ihre  Befugnisse  und 
Wirksamkeit  in  den  Urkunden  überliefert  finden,  während  bei 
den  Beamten  der  Zentralverwaltung  nähere  Bestimmungen  über- 
haupt nicht  vorhanden  sind. 

a)  Die  Vögte. 

Wie  in  der  Mark  Brandenburg  und  den  wettinischen 
Landen  ‘)  bildet  die  Grundlage  der  lokalen  Verwaltung  in  Anhalt 
die  Vogteiverfassung.  Das  ganze  Gebiet  ist  in  einzelne 
kleinere  Bezirke  eingeteilt,  an  deren  Spitze  ein  vom  Landesherrn 
ernannter  Vogt,  später  Amtmann  genannt,  steht. 

Burggrafen  finden  sich  für  die  anhaitischen  Territorien  im 
12.  und  13.  Jahrhundert  als  Beamte  nicht  mehr2).  Es  liegt 


*)  Bornhak  S.  7 ff. ; Isaaksohn  S.  36ff.;  Holtze,  Geschichte  des 
Kamraergerichts  in  Brandenburg-Prensscn  (Beiträge  zur  Brandenburg-Preussi- 
schen  Rechtsgeschichte  Bd.  I (Berlin  1890))  S.  45 ff.;  Kühns.  Geschichte  der 
Gerichtsverfassung  und  des  Prozesses  in  der  Mark  Brandenburg  (Berlin  1867) 
Bd.  I S.  96 ff.;  v.  Sommerfeld,  Beiträge  zur  Verfassung.«-  und  Stände- 
geschickte der  Mark  Brandenburg  im  Mittelalter  (Veröffentlichungen  des 
Vereins  für  die  Geschichte  der  Mark  Brandenburg  (Leipzig  1904))  S.  126  ff; 
H.  B.  Meyer  S.  51  ff;  Luther,  Die  Entwicklung  der  landständischen  Ver- 
fassung in  den  Wettinischen  Landen  bis  zum  Jahre  1485  (Leipzig,  Disser- 
tation 1895)  S.13ff;  ferner  Jakobs,  Alter  und  Stand  S.97ff;  Wintterlin 
S.  4ff. ; Wiederhold  S.  59;  v.  Below,  Territorium  S.  284ff.;  Schmoller 
S.  47 ff.;  Lamprecht,  Deutsches  Wirtschaftsleben  im  Mittelalter  Bd.  I 
(Leipzig  1886)  S.  1373;  v.  Maurer,  Frouhöfe  IV  429;  in  Baieru  entspricht 
dem  Vogt  der  Pfleger  oder  Landrichter  (Rosentbal,  Gerichtswesen  S. 323 ff). 

’)  In  Urkunden  anbaltiscber  Fürsten  bis  1253  als  Zeugen  einige  Burg- 
grafen von  Wettin  (v.  II.  I 605  (1181);  II  32  (1219),  201  (1253)),  später  im 
Jahre  1288  tritt  noch  eiu  Burggraf  von  Frecklebeu  auf  (v.  II.  II  630,  665 
(1289));  eiu  sicherer  Nachweis,  dass  dieselben  anhaitische  Beamte  sind,  lässt 


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28 


dies  in  den  ganzen  Zeitzuständen  begründet.  Da  die  inneren 
Verhältnisse  des  Landes  in  keiner  Weise  mehr  den  Charakter 
eines  Belagerungszustandes  tragen,  ist  das  Burggrafenamt  eben 
von  selbst  überflüssig  geworden  Anzunehrnen  ist  aber  wohl 
nach  dem  Beispiel  der  benachbarten  Gebiete  Brandenburg  und 
Meissen1),  dass  im  11.  und  12.  Jahrhundert  auch  in  Anhalt  eine 
Burggrafenverfassung  bestanden  hat*),  die  gegen  Ende  des 
12.  Jahrhunderts  wie  in  Brandenburg  von  selbst  eingegangen 
ist.  An  ihre  Stelle  ist  mit  dem  Beginn  des  13.  Jahrhunderts 
ein  neues  Beamtentum  getreten,  das  über  kleinere  Sprengel  ge- 
bietet und  allein  dem  Landesherrn  verantwortlich  ist,  der  Vogt. 

Für  Anhalt,  das  als  selbständiges  Territorium  erst  Anfang 
des  13.  Jahrhunderts  entstanden  ist,  kommt  also  von  vornherein 
nur  dieser  neue  Beamte  in  Betracht.  Zum  erstenmal  begegnet 
uns  ein  Vogt  im  anhaitischen  Gebiet  im  Jahre  1215 s).  Seitdem 
lassen  sich  in  den  Urkunden  Vögte  durch  das  ganze  13.  und 

14.  Jahrhundert  nachweisen,  anfangs  seltener,  seit  dem  letzten 
Drittel  des  13.  Jahrhunderts  dann  häufiger,  wenn  sie  auch  nicht 
so  oft  erwähnt  werden,  wie  die  Hofbeamteu  und  Notare,  eine 
Folge  eben  ihrer  lokal  begreuzten  Wirksamkeit.  Erst  im 

15.  Jahrhundert  wird  das  Auftreten  von  Vögten  wieder  seltener, 
die  selbständige  Stellung  dieser  Beamten  hört  auf.  Die  Vogtei- 
verfassung erreicht  allmählich  um  die  Mitte  dieses  Jahrhunderts 
ihr  Ende  und  macht  der  geregelteren  Ämterverfassung  Platz. 

Die  gewöhnliche  Bezeichnung  des  Lokalbeamten  in  den 


sich  nicht  finden,  nur  einmal  tritt  ein  Wettiner  Burggraf  als  Sehultheiss  im 
Landgericht  Heinrichs  II.  auf,  jedenfalls  in  seiner  Amtsstellung  also  nicht 
als  Burggraf  (v.  II.  II  201  (1253)).  Die  Bezeichnung  castellauus  findet  sich 
allerdings  im  13.  14.  Jahrhundert  elfter,  doch  sind  hier  regelmässig  nur  Burg- 
mannen gemeint  (pag.  58). 

’)  Holtze  S.  55;  Bonihak  S.  6;  v.  Sommerfeld  S,  126;  Isaaksohn  S.  36; 
Lnther  S.  29;  Rietschel,  Das  Burggrafenamt  und  die  hohe  Gerichtsbarkeit  in 
den  deutschen  Bischofsstädten  während  des  früheren  Mittelalters  (Unter- 
suchungen zur  Geschichte  der  Stadtverfassung  Bd.  I (Leipzig  1905))  S.  241; 
E.  0.  Schultze,  Die  Kolonisierung  und  Gormanisiernng  zwischen  Saale  und 
Elbe  (Leipzig  1896)  S.  310  ff. 

*)  In  den  auhaltischen  Urkunden  des  11.  und  12.  Jahrhunderts  ist  aller- 
dings darüber  keine  Nachricht  zu  finden. 

*)  v.  U.  II  14. 


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29 


Urkunden  ist  „advocatus;  Vogt“.  Im  13.  Jahrhundert  wird  er 
ausschliesslich  mit  diesem  Titel  benannt  und  auch  im  14.  Jahr- 
hundert ist  diese  Bezeichnung  noch  durchaus  herrschend.  Im 
15.  Jahrhundert  wird  sie  jedoch  schon  seltener  und  kommt  all- 
mählich immer  mehr  ab,  bis  sie  seit  1484  in  ihrer  alten  Be- 
deutung verschwindet ').  Neben  der  Bezeichnung  Vogt  wird  aber 
seit  den  30er  Jahren2)  des  14.  Jahrhunderts  auch  der  Titel 
„Amtmann“  Brauch,  der  sich  allmählich  immer  mehr  durchsetzt, 
bis  er  im  15.  Jahrhundert  ganz  vorherrschend  wird. 

Beide  Titel  sind  im  Mittelalter  nur  andere  Bezeichnungen 
für  dieselbe  Verwaltungsbehörde.  Ein  gleiches  Schwanken 
lindet  sich  in  vielen  andern  deutschen  Gebieten,  besondere  auch 
in  Brandenburg  und  den  wettinischen  Landen 3).  Die  Funktionen 
des  Vogtes  und  Amtmanns  sind  durchaus  dieselben,  höchstens 
kommen  die  Amtleute  noch  mehr  für  die  landesherrliche  Do- 
mänenverwaltung in  Betracht.  Letzteres  erklärt  sich  wohl 
daraus,  dass  bei  der  Vergrüsserung  des  anhaitischen  Gebietes 
im  Laufe  der  Zeit  neue  Verwaltungsbezirke  zu  den  alten  Vogteien 
hinzugekommen  sind,  die  nun  der  ganzen  Verwaltungsentwicklung 
entsprechend  hauptsächlich  ihren  Stützpunkt  in  den  landesherr- 
lichen Domänen  erhalten 4).  Auch  lässt  sich  das  Auftreten  der 
Bezeichnung  Amtmann  noch  auf  die  veränderten  Verhältnisse 
in  der  Auffassung  des  Ämterwesens  zurückführen;  „der  Amt- 
mauu  ist  eben  der  nach  Amtsweise,  im  Gegensatz  zur  dienst- 

>)  Keg.  26  (1404),  130  (1419),  179,  180  (1423),  452  (1452),  458,  459 
(1453),  591  (1401),  640  (1464);  Ö.Qu.d.Pr.S.  II  1 Nr. 423  (1455);  H.H.St.Arch. 
Vol.  III  fol.  233  Nr.  1 und  2 (1484),  Haushaltungsbuch  vou  Zerbst. 

3)  Zuerst  treffeu  wir  die  Bezeichnung  Amtmann  im  Jahre  1330  (v.  H. 
III  575,  583). 

*)  Bornhak  S.  38;  Isaaksohn  S.  47 ff.;  B.  Meyer  S.  55;  Luther  S.  13; 
ferner  Schnitze  S.  318  anm.  3;  Lamprecht  S.  1405;  Jakobs,  Alter  und  Ur- 
sprung 8.  97 ; Schtnolier  S.  47  ; Barth.  S.  425  ff  ; Stölzel,  Entwicklung  des  ge- 
lehrten Kichtertums  in  deutschen  Territorien  (Stuttgart  1872)  S.  145. 

4)  Z.  B.  werden  im  14.  Jahrhundert,  zu  der  Zeit,  als  den  anhaitischen 
Fürsten  die  Mark  Biandenburg  mit  übertragen  ist,  die  dortigen,  zur  Verwaltuug 
nötigen  Beamten  als  Amtleute  bezeichnet,  entsprechend  wohl  den  sonstigen 
Verhältnissen  der  Mark  (v.  H.  IV  8 (1351),  111  (1355),  192  (1357),  540 
(1379));  s.  auch  Körnicke,  Entstehung  und  Entwicklung  der  Bergischen 
Aintsverfassung  bis  zur  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  (Bonn,  Dissertation 
1892)  8.  32. 


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30 


lehosweisen  Verwaltung  funktionierende  Vertreter  des  Landes- 
herrn, den  Begriff  des  Dienstlehens  liess  mau  allmählich  immer 
ausschliesslicher  in  den  des  Amts  übergehen“  *). 

Auffallend  ist,  dass  in  den  Urkunden  des  14.  Jahrhunderts 
bis  zur  Mitte  des  15.,  wenn  der  lokale  Bezirksbeamte  mit  Namen 
aufgeführt  wird,  derselbe  nie  den  Titel  „Amtmann“,  sondern 
immer  „Vogt“  führt,  während  bei  Erlassen  und  besonders  bei 
Aufzählung  landesfürstlicher  Beamter,  wo  nach  dem  Sinn  der 
ganzen  Stelle  eben  die  Vertreter  der  landesherrlichen  Lokal- 
behörden gemeint  sind,  Vogt  und  Amtmann  oft  nebeneinander 
genannt  werden8)  oder  die  Bezeichnungen  wechseln8)  oder  auch 
nur  eine  Bezeichnung  begegnet4).  Es  beweist  dies  eben,  dass 
der  Titel  Vogt  im  13. — 15.  Jahrhundert  doch  immerhin  der 
amtlichere  ist. 

Von  einer  Unterordnung  des  einen  Beamten  unter  den 
andern,  wie  wir  sie  im  16.  Jahrhundert  finden  werden,  ist  im 
14.  und  auch  15.  Jahrhundert  jedenfalls  noch  nicht  die  Rede, 
vielmehr  wechselt  in  den  Urkunden  bei  gemeinsamer  Aufzählung 
die  Stellung  durchaus5).  Das  Schwanken  der  Bezeichnungen 
beruht  jedenfalls  nur  auf  der  Verschiedenheit  der  jedesmaligen, 
speziellen  Tätigkeit,  je  nachdem  mehr  die  öffentliche  oder  privat- 
amtliche Stellung  hervorgehoben  werden  soll.  Der  Vogt  be- 
zeichnet von  alters  her  den  allgemeinen  öffentlichen  Beamten, 
Amtmann  weist  mehr  auf  die  speziellere  Wirksamkeit  eines 
landesherrlichen  Dominialverwalters  hin.  Da  diese  letztere 
Tätigkeit  aber  erst  in  späterer  Zeit  mehr  hervortritt,  werden 
zum  genaueren  Verständnis  in  den  amtlichen  Urkunden  beide 
Titel  nebeneinander  aufgeführt,  wo  es  sich  um  Angelegenheiten 
des  gesamten  Bezirks  einschliesslich  des  landesherrlichen  Privat- 
besitzes handelt ").  Vielfach  bezeichnet  das  Wort  Amtmann, 
namentlich  in  der  Mehrzahl  „ambechtmanne,  amptlute“,  auch 


')  Lamprecht  S.  1374 ; auch  Schraoller  S.  47. 

J)  v.  H.  III  575,  583  (1330) ; V 177  (1392). 

*)  v.  H.  IV  130  (1350),  377  (1369);  V 226  (1394);  Reg.  130  (1419). 

‘)  v.  H.  III  734  (1340);  IV  8 (1351),  111  (1355),  192  (1357),  260  (1361). 
‘)  v.  H.  III  575  , 583  (1330);  IV  62  (1353),'  277  (1362),  471a  (1375), 
544  (1379);  V 177  (1392);  Reg.  26  (1404),  452  (1452),  459  (1453). 

*)  I.saaksnbti  S.  47 — 48. 


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31 


nur  allgemein  einen  Beamten  an  sich,  im  Gegensatz  eben  zu 
andern  Untertanen  des  LandesfUrsten  *).  Der  Titel  Hauptmann, 
gleichbedeutend  mit  Vogt  und  Amtmann,  findet  sich  in  den  an- 
haltischen  Urkunden  im  12. — 14.  Jahrhundert  noch  nicht,  erst 
im  Laufe  des  15.  Jahrhunderts  wird  auch  diese  Bezeichnung 
für  den  Lokalbeamten  gebräuchlich  9). 

Die  Vogteiverfassung  erstreckt  sich  über  das  ganze  an- 
haltische  Gebiet,  ln  der  Einteilung  der  Bezirke  schliesst  sie 
sich  zumeist  den  grösseren  Orten  oder  sonst  festen  Punkten  im 
Lande  an.  Auf  dem  flachen  Lande  bestehen  Vogteien  gewöhn- 
lich im  Anschluss  an  ein  Schloss3)  oder  geistliches  Stift4).  Nur 
einzelne  entferntere  Plätze  werden  noch  von  besonderen  Vögten 
verwaltet5).  Auch  Bezirke,  die  erst  später  oder  nur  zeitweise 
an  Anhalt  gekommen  sind,  bekommen  meist  selbständige  Vogtei- 
verfassung oder  behalten  ihre  alte  Einteilung.  Daher  kommt 
es,  dass  wir  in  Hoim,  das  erst  1317  an  die  Bernburger  Linie 
gefallen  ist,  besondere  Vögte  antreffen6).  Auch  Hartzkerode, 
dessen  Vogtei  den  auhaltischen  Fürsten  vom  Magdeburger  Erz- 
stift 1316  verliehen  ist,  hat  einen  eigenen  Vogt7),  ebenso 
werden  in  zeitweis  verpfändete  Schlösser  und  Häuser  in  der 
Regel  besondere  Vögte  gesetzt8). 

Die  meisten  anhaitischen  Vogteien  sehliessen  sich  an  Stadt- 
bezirke an,  die  getrennt  vom  flachen  Lande  ihre  eigenen  Vögte 
haben,  welche  aber  stets  landesfürstliche  Beamte  sind9).  Sie 
kommen  in  den  Urkunden  zwar  nicht  sehr  oft  vor,  von  jeder 
Stadt  lässt  sich  aber  doch  wenigstens  einmal  mindestens  ein 
Inhaber  dieses  Amtes  nachweisen,  so  dass  eine  Stadtvogtei  sicher 
anzunehmen  ist10). 

')  v.  H.  III  734  (1340);  V 10  (1380),  68  (1386);  s.  auch  Kömicke  S.62; 
Kachel,  Verwaltungsorgauisation  und  Äinterwesen  der  Stadt  Leipzig  bis  1627 
(Leipziger  Studien  Bd.  VIII  Heft  4 (1902))  S.  174. 

*)  Eeg.  296  (1437). 

»)  v.  H.  II  698  (1291)  ; III  46  (1302),  806  (1346)  ; V Anhang  11  (1337). 
«)  v.  H.  II  95  (1228),  204  (1253),  146  (1239). 

»)  v.  H.  II  491  (1276);  III  98  (1305). 

•)  v.  H.  V Anhang  11  (1330);  V 91  (1387). 

*)  v.  H.  V 146  (1390). 

*)  v.  H.  IV  377  (1369),  404  (1370). 

*)  v.  H.  II  160,  161  (1244);  III  302  (1315);  IV  532  (1379). 

,0)  in  Dessau  (v.  H.  II  849  (1298);  v.  Heinetnann  hält  den  hier  er- 


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32 


Ausserdem  scheint  der  ganze  landesherrliche  Dominialbesitz, 
namentlich  im  Aschersleber  Gebiet,  seit  Ende  des  13.  Jahr- 
hunderts der  Oberaufsicht  eines  eigenen  Vogts  unterstellt  ge- 
wesen zu  sein.  Es  ergibt  sich  dies  daraus,  dass  in  den  Urkunden 
anhaitischer  Fürsten  mehrmals  Vögte  ohne  Angabe  eines  Ortes 
aufgeführt  werden,  die  dafür  jedoch  meist  den  besonderen  Titel 
„advocatus  noster“  führen  und  zur  selben  Zeit  sich  immer  nur 
einzeln  nachweisen  lassen,  niemals  mehrere  zugleich  neben- 
einander *). 

wähnten  Heyuricus  advocatus  für  einen  Zerbster  Vogt.  Die  Urkunde  ist  aber 
in  Dessau  ausgestellt,  auch  haudelt  es  sich  in  ihr  nur  um  Üessauer  Verhält- 
nisse, ausserdem  ist  damals  in  Zerbst  der  Vogt  Walter  noch  im  Amte,  fuhrt 
auch  noch  nicht  die  Bezeichnung  autiquus,  wie  in  seiner  letzten  Zeit  (v.  H. 
III  280  (1314);  IV  193,  302  (1357—60))  {».  v.  H.  VI  8.  70). 

Bernburg  (v.  H.  IV  09  (1354);  Beg.  179  (1423). 

Aschersleben  (v.  H.  II  100,  101  (12-14);  III  655  A.  u.  B.  (1328)). 

Köthen  (v.  H.  III  286  (1314);  V Anhang  16  (1370)  und  II  284  (1263); 
III  317  (1316)). 

Zerbst  (v.  H.  II  596  , 868;  III  66  , 80  , 87,  110,  151,  156,  177,  205, 
220  , 286  , 295  , 302  , 385  (1285—1319);  III  741  (1341),  806  (1346);  IV  532 
—534  (1379). 

Rosslau  (v.  H.  IV  532—534  (1379)). 

Koswig  (v.  II.  II  14,  21  (1215—16);  11  515,  524  (1280—81);  III  54, 
356  (1303—17);  IV  393  (1369)). 

')  Solche  Domiuialvögte  sind: 

1275  Theodericus  de  Conre  (v.  H.  II  468). 

1291 — 94  Conze  (Konrad)  de  Molhusen  (v.  II.  II  711,  739,  769,  770, 
771,  774). 

1300  Fredericus  de  Hoyem  (v.  II.  II  888,  889). 

1303  Ileuningus  de  Hoiinb  (v.  H.  III  51). 

1312  Konemannus  de  Hoym  (v.  H.  III  248).  Er  findet  sich  noch 
öfter  in  den  Urkunden,  und  zwar  unter  den  Rittern,  und  hat  von  1290—1314 
gelebt  (v.  H.  VI  111). 

1314  Johannes  (v.  H.  III  279,  294);  v.  Heinemann  VI  S.  54  hält  ihn 
für  den  Sohn  des  Vogtes  Walter  von  Zerbst  und  ebenfalls  Vogt  dieser  Stadt, 
bat  aber  wohl  nicht  beachtet,  dass  er  eigens  als  Beamter  der  Aschersleber 
Grafen  aufgefiihrt  wird. 

1320  Conradus  in  Hoym,  Sohn  Konemunds  (v.  H.  VI  112)  (III  406). 
Dass  „in  Hoym“  seinen  Geschlechtsnamen  bezeichnet,  ergibt  sich  aus  andern 
Urkunden  (v.  H.  VI  112),  gelebt  hat  er  noch  bis  1332  und  ist  ebenfalls  Ritter 
gewesen. 

1332  Diderik  Dyreke  (v.  H.  III  599) 

1376  Syverd  von  Hondorp  (v.  H.  IV  486). 


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33 


Wir  haben  also  in  den  anhaltischen  Territorien  zu  unter- 
scheiden zwischen  Vögten  des  landesherrlichen  Dominiums,  ein- 
zelner Landdistrikte  und  der  Stadtbezirke.  Eine  direkte  Unter- 
scheidung in  der  Bezeichnung  etwa  gibt  es  nicht,  sämtliche 
Vögte  werden  einfach  „advocati“  oder  „vogete“  genannt,  nur 
die  Vögte  des  landesherrlichen  Dominiums  führen  meist  noch 
den  besonderen  Titel  „advocatus  noster“. 

Ihrem  Stande  nach  gehören  die  Vögte  gewöhnlich  zu  den 
Knappen1),  bisweilen  auch  zu  den  Rittern2),  in  der  Regel  sind 
sie  landesfürstliche  Ministerialen8),  die  städtischen  Vögte  im 
14.  Jahrhundert  mitunter  auch  Bürger  ihrer  Stadt4).  Eine  An- 
gabe des  Familiennamens  findet  sich  fast  nur  bei  den  Vögten 
des  landesherrlichen  Dominiums,  bisweilen  auch  der  ländlichen 
Bezirke5);  städtische  Vögte  sind  meist  nur  mit  der  Amtsbe- 
zeichnung aufgeführt,  erst  in  der  zweiten  Hälfte  des  14.  Jahr- 
hunderts wird  auch  bei  ihnen  die  Familienbezeichnung  in  den 
Urkunden  häufiger6).  Gewöhnlich  tragen  sie  bürgerliche  Namen, 
während  die  Vögte  ländlicher  Bezirke,  vor  allem  des  landes- 
herrlichen Dominiums  mit  geringen  Ausnahmen  adligen  Ge- 
schlechts sind. 

In  jedem  Vogteibezirk  ist  gleichzeitig  immer  nur  ein  Vogt 
tätig,  nur  einmal  findet  sich  eine  Ausnahme  in  einer  Urkunde 
des  Jahres  1314 7).  Da  aber  der  eine  Vogt  hier  eigens  zum 
Unterschiede  die  Bezeichnung  „dii  aide  voget  van  Scherwist“ 
führt,  ist  der  andere  Inhaber  des  Amtes  wohl  als  dessen  Nach- 
folger anzusehen8),  der  schon  bei  dessen  Lebzeiten  zur  Unter- 

>)  v.H.  II  770  (1294),  888  (1300);  III  öl  (1303),  110  (1306),  205  (1310), 
279  , 286  , 294  (1314),  599  (1332),  515  (1326),  602  (1332);  IV  193  (1357), 
297  (1363). 

*)  v.  H.  III  655  (1328),  806  (1346). 

*)  v.  H.  II  14  (1215),  468  (1275);  II  204  (1253);  III  555  (1328). 

*)  v.  H.  IV  236  (1359);  IV  532  (1379)  könnte  cs  so  scheinen,  als  ob  die 
Vögte  nuch  Ratinanncu  von  Zerbst  wären,  doch  sprechen  IV  533,  534  dagegen. 

»)  v.  H.  II  491  (1276);  III  806  (1346);  V Anhang  11  (1330);  V 91  (1387). 

•)  v.  H.  IV  69  (1354),  193,  302  (1357—62);  IV  532—534  (1379).  Nur 
die  Viigte  von  Koswig  tragen  schon  früher  volle  Namen  (v.  H.  II  515,  524 
(1280-81);  III  54  (1303),  356  (1317);  IV  393  (1369). 

’)  v.  H III  286. 

*)  Im  Jahre  1340  (v.  H.  III  738)  wird  erwähnt  „ad  pcticioncni  nostri 
Sckrecker,  Beamtentum  tn  Anhalt  3 


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34 


Stützung  herangezogen  ist.  Die  doppelte  Anführung  der  Vögte 
ist  auch  hier  jedenfalls  also  wieder  iu  dem  hohen  Alter  des 
eigentlichen  Inhabers  des  Amtes  begründet.  Die  Existenz  eines 
Vertreters  ist  sonst  nicht  sicher  nachzuweisen,  nur  einmal 
werden  Untervögte  erwähnt  bei  einer  ganz  allgemeinen  Auf- 
zählung1). Andererseits  lässt  sich  ebenfalls  nicht  nachweisen, 
dass  mehrere  Vogteien  von  einem  Beamten  verwaltet  werden  *). 

Feste  Erblichkeit  lässt  sich  bei  den  Vögten  nicht  nach- 
weisen. Im  Anfang  des  14.  Jahrhunderts  hat  zwar  eine  Familie 
das  Amt  des  Dominialvogts  im  Aschersleber  Gebiet  mehrmals 
in  kurzer  Zeit  innegehabt3),  doch  nicht  bestimmt  in  ununter- 
brochener Reihenfolge  und  nur  einmal  vom  Vater  auf  den  Sohn 
übergehend;  ein  gewisses  Vorrecht  der  Familie  hat  aber  wohl 
bestanden. 

Die  Stellung  des  Vogtes  ist  im  allgemeinen  natürlich 
weniger  bedeutend,  wie  die  der  Zentralbeamten,  das  bringt  schon 
seine  lokal  begrenzte  Tätigkeit  mit  sich.  Er  kommt  fast  nur 
in  den  Urkunden  vor,  die  seinen  Bezirk  angehen;  nur  die  Vögte 
des  landesherrlichen  Dominiums  begegnen  mehr  bei  allgemeinen 
Geschäften.  Immerhin  schliesst  dies  aber  nicht  aus,  dass  auch 
die  andern  Vögte  mitunter  in  ziemlich  bedeutendem  Ansehen 
beim  Landesherrn  gestanden  haben.  So  überweist  im  Jahre 
1315  Graf  Albrecht  I.  „ad  petitionem  Walteri  dicti  Advocati, 
qui  multis  temporibus  nobis  fidelis  exstitit  servicndo“  dem 
Zerbster  Nonnenkloster  mehrere  Gefälle  mit  der  Bedingung, 
dass  Walter  und  seine  Familienmitglieder,  solange  sie  am  Leben 
sind,  das  Nutzungsrecht  haben4).  Im  Jahre  1319  bestätigt  die 
Äbtissin  des  Klosters  diese  Verfügung  und  bestimmt  noch  als 
Seelenmesse  des  verstorbenen  Walter  ein  Pfund  Denare5). 


fidelis  Ileiirici  Advocati  morantis  in  Cerwist“.  Wahrscheinlich  ist  dieser 
Heinrich  mit  dem  1314  erwähnten  identisch,  wie  v.  Heinemann  VI  S.  54  an- 
nimmt; lässt  sich  allerdings  nicht  sicher  bestimmen. 

■)  v.  H.  III  583  (1330). 

’)  Vgl.  B.  Meyer  S.  56 ; Isaaksohn  S.  59. 

*)  Hie  Hoims  (pag.  32  anm.  1).  Es  wäre  ja  mfiglich,  dass  auch  der  Voigt 
Johannes  (1314)  diesem  Geschlecht«  augebürt. 

*)  v.  H.  III  302. 

')  v.  II  III  385. 


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35 


Im  allgemeinen  sind  die  Vögte  wohl  nur  landesherrliche 
Beamte,  doch  sind  sie  in  ihrem  Bezirk  auch  bei  nicht  rein 
landesfiirstlichen  Angelegenheiten  beteiligt,  wenn  auch  meist 
nur  als  Beurkundungszeugen.  So  werden  sie  von  Stiftern  und 
Klöstern  zur  Erledigung  öffentlicher  Geschäfte  mit  herange- 
zogen1), ohne  dabei  eigentliche  Klostervögte  zu  sein*),  und 
auch  bei  den  Angelegenheiten  der  Städte  haben  sie  bisweilen 
tätig  mitgewirkt s). 

Die  Tätigkeit4)  des  Vogtes  ist  eine  sehr  vielseitige.  Er 
ist  der  allgemeine  Beamte  seines  Bezirks,  und  fast  bei  allen 
Angelegenheiten  in  demselben  beteiligt,  hält  sich  wohl  auch  in 
dessen  Interesse  ausserhalb  seines  eigentlichen  Bezirkes  auf5). 
Er  wird  für  jede  Funktion  der  Verwaltung  bestellt,  in  seiner 
Person  vereinigt  er  alle  obrigkeitlichen  Befugnisse  innerhalb 
seines  Distrikts.  Er  ist  richterlicher,  administrativer,  finan- 
zieller und  wohl  auch  militärischer  Beamter,  der  Beamte  xai ' 
igoxijv,  wie  ihn  Roseuthal  (S.  343)  bezeichnet.  Wenn  er  auch 
meist  die  Geschäfte  allein  erledigt  haben  wird,  eine  obere  Mit- 
wirkung behält  sich  der  Landesherr  immer  vor;  von  ihm  hat 
der  Vogt  den  Auftrag,  „in  seinem  Namen  hat  er  zu  gebieten 
und  verbieten“6). 

Der  Vogt  ist  der  eigentliche  landesherrliche  Justiz- 
beamte, weswegen  er  auch  bisweilen  einfach  Richter  genannt 
wird7).  Vom  Landesherrn  wird  ihm  sein  richterliches  Amt 

>)  v.  H.  II  808  (1399);  III  66  (1303),  80,  87  (1304),  110  (1305),  151, 
156  (1307),  295  (1315),  356  (1317). 

’)  v.  H.  III  356.  Wäre  der  Vogt  Johannes  klösterlicher  Beamter,  würde 
seinem  Namen  wohl,  wie  dem  des  Dekans,  die  Bezeichnung  des  Stifts  hinzu- 
gefügt sein. 

•)  v.  H.  II  21  (1216),  596  (1285)  ; IV  69  (1359). 

*)  Vgl.  hierzu  Schröder,  Rechtsgeschichte  S.  565,  607  ff. ; Bonihak  S.  7 ff.; 
Holtze  S.  56 ff.;  Isaaksohu  S.  36 ff. ; Kilhns  S.  101  ff.;  B.  Meyer  S.  54  ff. ; 
Luther  S.  16  fl. ; Rosenthal  S.  323  ff. ; Lamprecht  S.  1392  ff  ; Schmoller  S.  48  ff. ; 
Stölzel,  Gelehrtes  Richtertum  S.  159  ff. 

*)  v.  H.  II  160,  161  (1244);  III  110  (1305),  151  (1307). 

•)  Schmoller  S.  48. 

*)  v.  H.  II  888  (1300);  III  734  (1340);  V 803a  (1346).  Ist  von  einem 
landesherrlichen  Richter  in  den  Urkunden  die  Rede,  so  bezieht  es  sich  in  der 
Regel  auf  den  Vogt. 

3* 


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36 


übertragen,  stets  hat  der  Richter  auf  das  Gebot  seines  Herrn 
zur  Stelle  zu  sein  *).  In  jurisdiktioneller  Hinsicht  ist  der  Vogt 
Stellvertreter  des  Landesherrn  in  der  Abhaltung  des  Vogtei- 
gerichts in  seinem  Bezirk2).  Auch  in  den  geistlichen  Stiftern, 
deren  Vogtei  den  Landesfürsten  untersteht,  ist  ihm  nicht  selten 
die  Ausübung  der  richterlichen  Tätigkeit  übertragen.  Für  die 
Klöster  Niemburg  und  Thankmarsfelde  haben  sich  aus  dem 
Jahre  1239  in  zwei  Verträgen  des  Grafen  Heinrich  I.  von 
Ascharien  mit  dem  Abte  von  Niemburg  ganz  genaue  Bestim- 
mungen erhalten,  die  uns  einen  guten  Einblick  in  die  richter- 
lichen Befugnisse  der  damaligen  Vögte  gewähren*). 

Im  Vogteigericht  führt  der  Vogt  den  Vorsitz4),  er  leitet 
die  Verhandlungen  und  verkündet  das  Urteil.  Entsprechend 
dem  Recht  des  Sachsenspiegels  wird  er  auch  in  Anhalt  nur  Ur- 
teil fragen  und  ausgeben,  nicht  selbst  finden,  also  nur  das  Auf- 
sichtsrecht haben  6).  In  den  Urkunden  v.  H.  II  145  uud 
M.V.f.A.G.  IX  2 S.  187  werden  von  seiner  Tätigkeit  immer  nur 
die  Ausdrücke  „presidere,  placitare,  iudicium  habere“  gebraucht, 
die  also  auf  eine  Leitung  schliessen  lassen,  während  Judicare“ 
sich  nie  für  den  Vogt  findet,  dagegen  aber  in  v.  H.  II  145 
für  den  richterlichen  Beamten  des  Klosters,  den  molendinarius, 
gebraucht  wird;  einmal  heisst  es  „si  advocatus  alicui  culpam 
dedit“ 6).  Zu  seiner  Unterstützung  und  Vertretung  ist  dem 
Vogte  ein  gerichtlicher  Unterbeamter  beigegebeu,  nuncius  ge- 
nannt7); seinem  Gericht  hat  der  Schulze  beizuwohnen8).  In 
der  Zahl  der  Gerichtstage  ist  dem  Vogt  nicht  etwa  freie  Hand 


■)  v.  II.  III  734  (1340). 

*)  v.  H.  V 211  (1394);  M.V.f.A.G.  IX  2 S.  191  (1293);  s.  auch  Bertram- 
Krause  S.  317. 

*)  v.  H.  II  145  und  M.V.f.A.G.  IX  2 S.  187. 

‘)  v.  H.  II  145  (1239);  M.V.f.A.G.  IX  2 S.  187. 

5)  Planck,  Das  deutsche  Gerichtsverfahren  im  Mittelalter  (Hraunsclnveig 
1879)  Bd.  I S.  89—90,  24811'.,  301  ff.  Auch  in  Brandenburg  hat  der  Vogt  nur 
die  Leitung  und  Ordnung  der  Prozesse  (Ktlhns  S.  135),  ebenso  im  Bergischen 
(Kiirnicke  S.  69). 

*)  M.V.f.A.G.  IX  2 S.  187. 

’)  v.  H.  II  145  (1239),  888  (1300);  V 34a  (1219);  s.  Schröder,  Rechts- 
geschichte S.  661 ; Beckmann  VII  S.  116. 

•)  v.  H.  III  317  (1316);  IV  130  (1356). 


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37 


gelasseu,  vielmehr  findet  das  Vogteigericht  zu  bestimmten 
Zeiten  statt  ‘),  gewöhnlich  dreimal  im  Jahr  s),  und  zwar  sollen 
die  Gerichtstage  nach  Beschluss  so  gelegt  werden,  dass  nicht 
eine  anderweitige  Behinderung  eintreten  kann3). 

Die  Gerichtsgewalt  des  Vogtes  umfasst  wohl  alle  Rechts- 
sachen des  Landrechts  und  entspricht  der  gewöhnlichen  Grafen- 
gewalt4). Sicher  hat  der  Vogt  die  höhere  Gerichtsbarkeit. 
Genaue  Nachrichten  haben  sich  für  die  stiftsvogteiliche  Ge- 
richtsbarkeit erhalten.  In  der  Urkunde  von  Niemburg5)  heisst 
es  an  einer  Stelle,  der  Vogt  soll  nicht  Recht  sprechen  in  den 
Dörfern  der  Kirche,  „nisi  pro  crimine,  quod  hanthafte  dat  vul- 
gariter  appellatnr“.  An  anderer  Stelle  wird  festgesetzt,  dass 
er  in  den  Mühlen  des  Stifts  kein  anderes  Gericht  hat,  „nisi  pro 
his  criminibus,  que  personam  interimunt  vel  manum  amputant“. 
Über  die  andern  Streitsachen  soll  der  Müller  richten;  der  Vogt 
soll  ihm  dabei  nichts  in  den  Weg  legen,  höchstens  kann  er 
diejenigen  Leute  vom  Besuch  des  Gerichts  abhalten,  „qui  sunt 
de  prediis  suis  vacantibus“.  Ebenso  heisst  es  in  den  Vogtei- 
bestimmungeu  für  Thankmarsfelde  „Comitis  advocatus  non  pla- 
citabit  in  villis  ecclesie  nec  vocatus  pro  hanthafte  dat,  in  mo- 
lendinis  ecclesie  universis  advocatus  non  habebit  aliquod 
iudicium  nec  pro  his  criminibus,  que  pro  certamine  manum  am- 
putant“ 6).  In  den  geistlichen  Stiftern  hat  der  landesherrliche 
Vogt  also  nur  die  schweren  Zivil-  und  Kriminalfälle,  Achter- 
ding wird  sein  Gericht  einmal  genannt 7).  In  seinem  weltlichen 
Bezirk  übt  der  Vogt  auch  sicher  die  höhere  Gerichtsbarkeit 
aus.  Er  ist  zuständiger  Richter  über  „ungerichte“8),  über 
Räuber  und  Friedensbrecher9),  wie  über  schwere  körperliche 

')  v.  H.  III  317  (1316);  II  145  (1239)  wird  fiir  das  Vogteigericht  im 
Kloster  der  Tag  nach  dem  Gericht  in  der  Stadt  festgesetzt. 

*)  v.  H.  II  145;  M.V.f.A.G.  IX  2 S.  187  (1239);  v.  H.  V 34a  (1219); 
s.  auch  Planck  S.  118. 

*)  M.V.f.A.G.  IX  2 S.  187  (1239). 

*)  Planck  S.  5 ff.,  42  ff 
»)  v.  H.  II  146  (1239). 

•)  M.V.f. A.G.  IX  2 S.  187  (1239). 

’)  v.  H.  II  145  (1239). 

*)  v.  H.  IV  130  (1356). 

•)  v.  H.  V 803a  (1346);  IV  480  (1376). 


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38 


Delikte1),  hat  also  die  Gerichtsgewalt  über  Eigen  wie  Hals 
und  Hand.  Aber  seine  Gerichtsgewalt  erstreckt  sich  auch  noch 
auf  alle  in  seinem  Bezirk  enthaltenen  weltlichen  Niedergerichte. 
Wenn  auch  diese  Gerichtsbarkeit  wohl  meist  von  seinen  Unter- 
beamten in  Dorf  wie  Stadt  selbständig  ausgeübt  wird,  so  ist 
er  doch  Oberinstanz  für  dieselben.  So  steht  im  Dorfgericht 
dem  Vogt  die  Pfändung  zu,  die  vorhergehenden  gerichtlichen 
Verhandlungen  aber  gehören  in  den  Amtsbereich  des  Schult- 
heissen,  der  auch  das  Rügerecht  besitzt.  Erst  wenn  derselbe 
fehlt,  übernimmt  der  Vogt  alle  erforderlichen  Schritte  s).  Gegen 
gerichtliche  Entscheidungen  des  Vogtes  ist  zuständige  Be- 
rufungsinstanz wohl  der  Landesherr,  in  späterer  Zeit  auch  der 
landesfürstliche  Rat 8). 

Aus  seinem  richterlichen  Amt  zieht  der  Vogt  nicht 
unbedeutende  Einkünfte.  Er  erhält  von  den  Gerichtsgefällen 
ein  Drittel,  die  übrigen  zwei  Drittel  stehen  dem  Gerichtsherrn 
zu;  die  Einziehung  und  Verrechnung  dieser  Gefälle  ist  dem 
Vogt  anheimgegeben8).  Ausserdem  wird  ihm  von  den  Stiftern 
für  jede  Gerichtssitzung  eine  Entschädigungssumme  gegeben, 
deren  Höhe  in  den  einzelnen  Gerichtsbezirken  verschieden  ist. 
Für  Niemburg  und  Thankmarsfelde  ist  z.  R.  ein  Pfund  fest- 
gesetzt, während  für  das  Gericht  in  „Hazkerodhe“  nur  5 Solidi 
bezahlt  werden4).  Doch  wird  dieses  Geld  nur  dann  ausgezahlt, 
wenn  der  Vogt  auch  wirklich  den  Vorsitz  geführt  hat5).  Auch 
sonst  scheint  der  Vogt  noch  zu  mancherlei  Forderungen  an  die 
klösterlichen  Hintersassen  berechtigt  gewesen  zu  sein,  da  in 
den  Bestimmungen  für  Niemburg  noch  besonders  festgesetzt 
wird,  dass  der  Vogt  von  den  Leuten  der  zum  Kloster  gehörigen 
drei  Burgwarde  auch  ausserhalb  derselben  kein  servicium  for- 


')  G.  Qu.it.  Pr.  S.  II  423  (1455);  sonst  gibt  es  nur  noch  eine  Urkunde 
mit  ganz  allgemeinen  Ausdrücken  Uber  die  richterliche  Tätigkeit  des  Vogtes 
(v.  H.  II  698  (1291)). 

*)  G.Qu.d.Pr.S.  II  423  (1455). 

»)  v.  H.  II  145;  Jl.V.f.A.Ü.  IX  2 S.  187  (1239);  s.  auch  v.  Krones, 
Verfassung  S.  495. 

‘)  v.  H.  II  145;  M.V.f.A.G.  IX  2 S.  187. 

*)  v.  II.  11  145  ,8i  non  presederit,  non  dabitur“. 


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39 


dem  sollen,  weil  sie  schon  dem  Abte  und  der  Kirche  häufig 
dienen  mussten  *). 

Neben  diesen  unmittelbaren  Gerichtsgefällen®)  stehen  dem 
Vogt  auch  noch  mancherlei  andere  Bezüge  zu  in  Naturalien, 
wie  Geld.  In  den  Bestimmungen  für  Niemburg  sind  eine  Reihe 
solcher  dem  Vogt  zuständiger  Abgaben  aufgeführt,  wie  „vorst- 
mede“,  „vogetkorn“,  „vare“  und  „varschilling“.  Die  Urkunde 
v.  H.  V 34  a vom  Jahre  1219  führt  als  Einnahme  für  das 
Vogteigericht  „servitium  in  pabulo  et  expensis“  an.  In  den 
Klöstern  scheint  auch  dem  mit  der  stiftsvogteiliehen  Juris- 
diktion beauftragten  landesherrlichen  Vogt  beim  Tode  des 
Abtes  ein  gewisser  Anteil  an  der  Hinterlassenschaft  zuge- 
standen zu  haben3);  überhaupt  ist  dem  richterlichen  Be- 
amten anscheinend  mancherlei  Einfluss  auf  geistliche  Stifter 
gestattet4). 

Als  administrativer  Verwaltungsbeamter  hat  der  Vogt 
vor  allem  polizeiliche  Pflichten,  er  ist  in  seinem  Sprengel  ge- 
wissermassen  Walter  des  Friedens.  Die  Sorge  für  Ruhe 
und  Ordnung  seines  Bezirks  ist  ihm  übertragen,  namentlich  die 
öffentliche  Sicherheit  des  Landes  hat  er  zu  überwachen.  In- 
folgedessen ist  es  eine  seiner  wichtigsten  Aufgaben,  Räuber 
und  andere  Übeltäter  aufzusuchen,  zu  verfolgen,  festzunehmen 
und  auszuliefern.  Hierbei  sollen  die  Vögte  benachbarter  Be- 
zirke sich  untereinander  helfen,  einer  den  andern  benachrich- 
tigen6); selbst  ein  Nachsetzen  auf  fremdes  Gebiet  ist  ihnen 
meist  gestattet,  wobei  dann  die  dortigen  Beamten  nach  allen 
Kräften  ihn  unterstützen  sollen  ®).  Ja  sogar,  wenn  ein  fremder 
Vogt  auch  nur  erfährt,  dass  in  des  andern  Herrn  Land  Räuber 
hausen,  so  soll  er  schon  von  sich  aus,  auch  ohne  aufgefordert 
zu  sein,  dem  betreffenden  Vogt  seine  Unterstützung  anbieten7). 

')  v.  H.  II  145. 

•)  Vgl.  auch  pag.  41. 

*)  v.  H.  II  145  (1239). 

«)  v.  H.  II  888  (1300). 

•)  v.  H.  IV  480  (1376);  IV  511  (1377);  V 281  (1398);  Reg.  54  (1407), 
192,  193  (1424). 

•)  v.  H.  IV  544  (1379). 

T)  v.  H.  IV  480  (1376). 


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40 


Damit  dies  auch  wirklich  geschieht,  wird  meist  noch  bestimmt, 
dass  die  Vögte  es  sich  gegenseitig  zur  Bekräftigung  an  Eides 
Statt  geloben  sollen  ').  Man  sieht  also,  welcher  Wert  auf  diese 
Seite  der  vogteilichen  Wirksamkeit  gelegt  wird,  in  den  meisten 
Bündnissen  der  damaligen  Zeit  finden  wir  eine  derartige  gegen- 
seitige Unterstützung  der  Vögte  zur  Aufrechterhaltung  des 
Landfriedens  ganz  genau  festgesetzt.  Überhaupt  scheint  auch 
sonst  ein  Zusammenwirken  der  Vögte  fremder  Gebiete  bei  all- 
gemeinen Angelegenheiten  nicht  selten  gewesen  zu  sein 8). 
Aber  nicht  nur  die  Verfolgung  und  Vertreibung  der  Räuber  ist 
dem  Vogt  übertragen,  er  hat  auch  die  Ergriffenen  auf  den 
Gerichtstagen  abzuurteilen  und  zu  bestrafen;  auch  dabei  sollen 
die  einzelnen  Vögte  sich  mit  Rat  und  Tat  zur  Seite  stehen s). 

Auch  sonst  hat  der  Vogt  noch  mancherlei  polizeilich -ad- 
ministrative Pflichten.  Er  hat  für  die  Regelung  des  Wagen- 
verkehrs auf  den  Strassen  zu  sorgen4),  überhaupt  den  allge- 
meinen Fuhr-  und  Schiffbetrieb  im  Lande  zu  beaufsichtigen5). 
In  den  Städten  ist  ihm  zum  Teil  die  Strassenpolizei  anver- 
traut6), ferner  die  Überwachung  des  Gewerbe  Wesens7).  Als 
administrativem  Beamten  liegt  dem  Vogt  vor  allem  auch  die 
Verwaltung  der  in  seinem  Bezirk  gelegenen  landesherrlichen 
Schlösser,  Domänen  oder  Häuser  ob,  zumal  dieselben  meist 
auch  den  Mittelpunkt  der  Vogtei  bilden  und  der  Wohnsitz  des 
Vogtes  sind8).  Auch  hier  hat  der  Vogt  auf  Ruhe  und  Ordnung 
zu  sehen  und  den  Burgfrieden  zu  überwachen 9) , ferner  für 
guten  baulichen  Zustand  zu  sorgen 10).  Namentlich  wird  auf 
Gütern,  die  durch  Pfandbesitz  auf  gewisse  Zeit  an  die  anhai- 
tischen Fürsten  kommen,  stets  ein  Vogt  zur  Bewirtschaftung 

■)  v.  H.  IV  480  (1376),  611  (1377),  471a  (1375). 

*)  v.  H.  V 226,  225  (1394);  Reg.  192,  193,  194  (1424). 

*)  v.  II  IV  480  (1376);  s.  Homeyer,  Sachsenspiegel,  Landrecht  11  71 
§ 4,  5;  Planck  S.  42. 

*)  v.  H.  IV  480  (1376). 
s)  v.  H.  IV  62  (1353). 

«)  v.  H.  IV  130  (1356). 

*)  v.  H.  IV  56  (1353). 

«)  v.  H.  IV  277,  278  (1362);  Reg.  26  (1404). 

*)  Reg.  194  (1424). 

'«)  Reg.  459  (1453). 


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eingesetzt,  der  dasselbe  zu  bewahren  hat,  bis  es  durch  Wieder- 
kauf in  die  Hände  seines  früheren  Eigentümers  zurückgeht1). 
Bisweilen  scheint  ein  derartiger  Pfandbesitz  zur  besseren 
Sicherung  neben  dem  Vogte  noch  andern  Leuten  mit  über- 
tragen zu  sein,  allerdings  behält  der  Vogt  dann  immer  die  Ver- 
waltung *). 

Ausserdem  steht  dem  Vogt  in  wirtschaftlicher  Hinsicht 
auch  die  Aufsicht  über  die  einzelnen  Feldmarken  zu.  In 
dieser  Eigenschaft  hat  er  bei  Streitigkeiten  über  Güterbesitz 
u.  dgl.  als  Schiedsrichter  zu  fungieren3).  Er  hat  überhaupt 
für  das  Wohlergehen  der  Insassen  seines  Bezirks  zu  sorgen, 
namentlich  auch  die  einzelnen  Abgaben  und  Lasteu  hier  gleich- 
mässig  zu  verteilen4). 

Dies  führt  uns  auf  die  finanzielle  Tätigkeit  des 
Vogtes5),  die  eine  der  wichtigsten  für  ihn  ist.  Als  finanzieller 
Beamter  besorgt  der  Vogt  die  Erhebung  der  landesherrlichen 
Einkünfte  und  hat  deren  Verwaltung  unter  sich.  In  seiner 
Eigenschaft  als  richterlicher  Beamter  sorgt  er  für  die  Ein- 
treibung der  Gerichts-  und  Bussgelder6).  Bei  dem  Tode  eines 
Bezirksiusasseu  hat  er  das  Exuvienrecht  des  Landesherrn  in 
Geltung  zu  bringen  und  einen  Teil  der  Hinterlassenschaft  des 
Verstorbenen  einzuziehen7).  Hierbei  fällt  ihm  selbst  ein  Teil 
zu,  weshalb  bisweilen  der  Vogt  aus  seinem  eigenen  Interesse 
zuviel  gefordert  zu  haben  scheint,  denn  in  der  einen  Urkunde 
vom  Jahre  1275  wird  die  Höhe  der  Abgaben  genau  festgesetzt 
und  noch  besonders  hinzugefügt  „hanc  quantitatem  ultra  pre- 
dictum  debitum  nullatenus  transcendentes“. 

Als  Vertreter  des  Fürsten  hat  der  Vogt  von  den  bäuerlichen 
Gütern  den  Grundzins  einzufordern,  Bede  und  Schoss  eiuzu- 

>)  v.  H.  IV  377  (1369),  404  (1370);  V 102  (1388),  146  (1390). 

J)  v.  H.  IV  404  (1370). 

*)  v.  H.  UI  356  (1317);  V 12  (1380). 

‘)  v.  H.  III  98  (1305). 

*)  Vgl.  ausser  den  png.  35  angeführten  Werken  besonders  ßrenuicke, 
Die  ordentlichen  direkten  Staatssteuern  Mecklenburgs  im  Mittelalter  (Marburg, 
Dissertation  1900)  S.  87(1. ; Eggers,  Das  Steuerwesen  der  Grafschaft  Hoya 
(Marburg,  Dissertation  1899)  S.  4 ff.,  39  ff. 

*)  S.  oben  pag.  38—42. 

»)  v.  H.  II  263  (1261),  468  (1275);  IV  460  (1375). 


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uelimeu '),  wie  die  Leistung  erforderlicher  Dienste  anzuurduen  und 
zu  überwachen2).  Namentlich  die  Einziehung  der  landesfürstlichen 
Bede  macht  einen  beträchtlichen  Teil  der  finanziellen  Tätigkeit  des 
Vogtes  aus.  In  den  Urkunden  der  damaligen  Zeit  finden  wir 
die  sogenannten  „expensae,  precariae,  exactiones,  petitiones“, 
womit  diese  öffentlich-rechtliche  Abgabe  zumeist  bezeichnet 
wird,  sehr  oft  aufgezählt  und  dann  fast  immer  in  Verbindung 
mit  den  Vögten  gebracht3).  Sie  werden  uicht  nur  von  den 
Bauern,  soudern  auch  von  den  geistlichen  Besitzungen  erhoben4). 
Über  ihren  Ursprung  lässt  sich  für  Anhalt  nichts  Genaues 
entscheiden,  jedenfalls  hängen  sie  aber  wohl  mit  der  Gerichts- 
tätigkeit zusammen6).  Ob  sie  eine  Ablösung  für  zu  leistende 
Dienste  sind,  ist  fraglich;  ist  es  der  Fall,  so  sind  sie  es  wahr- 
scheinlich aber  nicht  bloss  für  militärische,  sondern  auch  für 
alle  möglichen  andern,  wie  Fron-  und  Spanndienste  u.  dgl.,  die 
von  den  Untertanen  je  nach  der  Gelegenheit  der  landesherr- 
lichen Verwaltung  zu  leisten  sind.  Als  feste  Abgaben  sind  sie 
jedenfalls  wohl  auch  iu  Anhalt  anzusehen*),  allerdings  findet 
sich  in  den  Urkunden  weder  über  den  Zeitpunkt  ihrer  Ein- 
lösung noch  über  ihre  Höhe  irgendwelche  Bestimmung.  Sie 
richtet  sich  oft  wohl  nach  dem  jedesmaligen  Fall,  dessen  Ver- 
anlassung alles  mögliche  sein  kann7).  Als  Stellvertreter  des 
Landesherrn  in  der  lokalen  Verwaltung  hat  der  Vogt  natürlich 
auch  die  Leistung  der  erforderlichen  Dienstpflichten  zu  über- 


■)  v.  H.  III  583  (1330);  IV  260  (1361);  V 70  (1385),  211  (1394). 

*)  v.  H,  V 211  (1394);  Reg.  350  (1441);  v.  H.  III  583  (1330). 

*)  v.  II.  V 34a  (1219),  II  313  (1266),  371  (1270);  III  93  (1304),  379 
(1319),  652  (1334),  765  (1344);  V 83  (1387);  s.  hierzu  Brennicke  S.  3 ff. ; 
Eggers  S.  2 ff. 

•)  v.  H.  II  313  (1266);  III  379  (1319);  s.  auch  Brennicke  S.  10ff.,  47 ff.; 
Eggers  S.  4 ff.  Allerdings  kommen  hier  sehr  viel  Befreiungen  vor  (s.  unten). 

s)  v.  H.  V 34a  (1219);  III  317  (1316).  Auch  Brennicke  (S.  18)  be- 
trachtet diese  Abgaben  als  eine  Bedingung  der  Gerichtshoheit  (s.  auch  Eggers 
S.  4,  7,  10),  lehnt  aber  einen  Zusammenhang  mit  der  Kriegshoheit  ab; 
H.  B.  Meyer  (S.  64)  dagegen  hält  sie  filr  ein  Entgelt  der  vom  Kriegsdienst 
befreiten  Bauern  und  Geistlichen. 

*)  v.  II.  III  652  (1334);  V 83  (1387);  III  93  (1304). 

’)  v.  H.  III  765  (1344).  Ausserordentliche  Bedeabgabeu  sind  also  für 
Anhalt  auch  wohl  anznuehmen  (vgl.  Brennicke  8.  27). 


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43 


wachen.  Er  sorgt  nicht  nur  für  die  richtige  Einzahlung  des 
Entgelts,  sondern  setzt  meist  auch  dessen  Höhe  fest1).  Damit 
ist  ihm  aber  eine  bedeutende  Macht  über  die  Bewohner  seines 
Sprengels  gegeben  und  seinem  Handeln  grosse  Willkürlichkeit 
gelassen.  Da  nun  andererseits  der  Vogt  in  seinen  eigenen 
Einkünften  vielfach  auf  Einnahmen  aus  dem  seiner  Verwaltung 
auvertrauten  Bezirk  gestellt  ist,  liegt  natürlich  für  ihn  der 
Reiz  nahe,  durch  Erhöhung  und  Vermehrung  dieser  unbe- 
stimmten Abgaben  seine  eigene  pekuniäre  Stellung  zu  heben. 
Nicht  selten  werden  dieselben  also  wohl  auch  ohne  landesherr- 
lichen Befehl  willkürlich  durch  den  Vogt  eingetrieben  sein  und 
so  zu  mancherlei  Klagen  Anlass  gegeben  haben*).  Die  Folge 
davon  ist  naturgemäss  das  Bestreben  der  Insassen  der  Vogtei, 
sich  möglichst  von  dieser  bedrückenden  Gewalt  des  Vogtes  zu 
befreien,  was  namentlich  den  geistlichen  Stiftern  sehr  oft  ge- 
lungen ist3).  So  erklärt  es  sich,  dass  in  den  meisten  Urkunden, 
die  uns  von  derartigen  Abgaben  Nachricht  geben,  dieselben  als 
ungerechte  Bedrückungen  hingestellt  werden4)  und  den  Vögten 
wegen  unbilliger  Belästigung  ihre  Einziehung  untersagt  wird 5). 
Auch  sonst  wird  den  Vögten,  namentlich  geistlichen  Stiftern 
gegenüber,  oft  jegliche  Bedrückung  oder  Verletzung  verboten6). 

Über  eine  militärische  Wirksamkeit  des  Vogtes  finden  sich 
nur  wenig  bestimmte  Nachrichten  und  erst  ziemlich  spät.  Nur 
einmal  wird  ein  Dominialvogt  als  Hauptmann  bezeichnet7),  im 

14.  Jahrhundert  begegnen  uns  Vogteibeamte  sonst  nur  noch  ein- 
mal ohne  nähere  Angabe  im  feindlichen  Land8),  und  erst  im 

15.  Jahrhundert  sind  sicher  Amtleute  mit  militärischen  Befug- 
nissen nachzuweisen9).  Anzunehmen  ist  aber  wohl,  dass  der 


')  Brennicke  S.  84,  87  ff. ; Eggers  S.  39. 

«)  v.  n.  II  313  (1266). 

')  v.  H.  II  313  (1266);  III  379  (1319),  652  (1334),  765  (1344);  V 83 
(1387);  s.  auch  Brennicke  S.  44  ff. ; H.  B.  Meyer  S.  65;  Schnitze  S.  285. 

*)  II  313  (1266);  V 34  a (1219);  III  379  (1319),  652  (1334);  V 83  (1387). 
‘)  v.  H.  II  371  (1270);  III  765  (1344). 

*)  y.  H.  III  198  (1309);  IV  158  (1357);  V 205  (1293). 

’)  v.  H.  III  661  (1335). 

9)  v.  H.  IV  111  (1355). 

*)  Beg.  26  (1404),  374  (1443). 


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44 


Vogt  von  vornherein  auch  in  dieser  Hinsicht  tätig  gewesen  ist '), 
jedenfalls  schliesst  das  Vorkommen  anderer  militärischer  Beamter 
eine  derartige  Wirksamkeit  nicht  aus,  macht  sie  vielmehr  nur 
wahrscheinlich.  Die  Leitung  der  Fehden  und  Kriegszüge  liegt 
zwar  in  den  Händen  von  sogenannten  Hauptleuten,  doch  sind 
dieselben  in  den  meisten  Fällen  jedesmal  erst  aus  der  Mitte 
der  Vogteibeamten  genommen2),  insofern  sind  also  die  Vogte 
auch  bei  Kriegen  militärisch  beteiligt.  An  sich  sind  sie  also 
zu  militärischer  Tätigkeit  wohl  berechtigt. 

Neben  seinem  obrigkeitlichem  Amte  ist  der  Vogt  aber  auch 
noch  als  Vertrauensperson  seines  Herrn  tätig;  das  zeigt  schon 
das  häufige  Auftreten  desselben,  besonders  des  landesherrlichen 
Dom inial vogts,  in  der  Reihe  der  Beglaubigungszeugen,  wobei  es 
sich  nicht  immer  um  Sachen  seines  eigenen  Vogteibezirks 
handelt.  So  schliesst  er  im  Namen  seines  Herrn  Vergleiche 
abs).  wird  bei  wichtigen  Verträgen  als  Bürge  heran  gezogen 4) 
und  auch  mit  Ausführung  wichtiger  Beschlüsse  beauftragt,  wie 
z.  B.  von  Friedensschlüssen5). 

Auf  Reisen  finden  wir  den  Vogt  nicht  sehr  häufig  in  der 
Begleitung  des  Fürsten  und  meist  dann  auch  nur  den  Vogt 
des  landesherrlichen  Dominiuras 8) , es  liegt  dies  eben  in  der 
Natur  des  an  den  Bezirk  gebundenen  Amtes. 

Die  Anstellung  des  Vogtes  erfolgt  gewöhnlich  auf  Grund 
eines  privatrechtlichen  Vertrages  zwischen  dem  Landesherrn 
und  dem  Beamten,  der  die  gegenseitigen  Rechte  und  Pflichten 
festsetzt.  Meist  geschieht  die  Überweisung  des  Amtes  auf  dem 
Wege  der  Belehnung7).  Anlass  dazu  sind  gewöhnlich  Geldvor- 
schüsse seitens  des  Belehnten  gewesen8);  ob  die  Vogteien  auch 

')  Nach  dem  Beispiel  der  Nachbarländer:  s.  Isaaksohn  S.  54;  Iloltze 
S.  57;  Kilhns  S.  142;  II.  B.  Meyer  S.  54  ff.;  Luther  S.  16;  auch  Barth  S.  400; 
Kosenthal,  Gerichtswesen  S.  341;  Lainprecht  S.  1394. 

*)  pag.  53. 

*)  v.  II.  IV  532  (1379). 

‘)  v.  II.  III  575  (1330);  V 65  (1385),  76  (1386). 

5)  v.  H.  IV  8 (1351). 

•)  v.  H.  II  160  (1244);  711,  739  (1291—93);  V 91  (1387). 

7)  v.  H.  V Anhang  11  (1328,  1334);  s.  auch  Bertram-Krause  S.  318. 

*)  v.  H.  V Anhang  11  (1330);  s.  auch  Stölzel,  Brandenburg -Preussens 
Rccbtsverwaltung  und  Itccbtsverfassuug  Bd.  I (Berlin  1888)  S.  147. 


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45 


auf  dem  Wege  der  Verpfändung  vergabt  sind,  lässt  sich  für  die 
anhaltischen  Gebiete  nicht  fest, stellen  *). 

Die  Ernennung  selbst  geschieht  in  der  Regel  wohl  per- 
sönlich durch  den  Landesherrn  vermittelst  eines  Bestallungs- 
briefes. Für  die  anhaltischen  Territorien  hat  sich  nur  ein  ein- 
ziger erhalten,  es  ist  dies  eine  Urkunde  vom  19.  Oktober  1353, 
in  der  Fürst  Waldemar  I.  einen  gewissen  Bussen  Mylow  zum 
Vogte  von  Templin  bestellt2).  Über  die  Dauer  des  Amtes  lässt 
sich  nichts  Bestimmtes  sagen.  Der  Vogt  bekleidet  es  auf 
Widerruf  und  kann  nach  dem  Belieben  des  Landesherrn  frei 
ein-  und  abgesetzt  werden8;,  höchstens  ist  bei  verpfändeten 
Gütern  der  Anspruch  des  früheren  Herrn  noch  zu  berück- 
sichtigen4). Es  scheint  aber  eine  Kündigungsfrist  bestanden 
zu  haben6).  Bei  Antritt  des  Amtes  hat  der  Vogt  seinem  Herrn 
die  treue  Erfüllung  der  festgesetzten  Pflichten  eidlich  zu  ge- 
loben6). Bevor  das  Gelübde  nicht  geleistet  ist,  kauu  der  neue 
Vogt  seine  Tätigkeit  nicht  beginnen7).  Oft  ist  dieser  Eid  schon 
einige  Zeit  vorher  abzuleisten8).  Auch  noch  später  während 
der  Amtszeit  muss  der  Vogt,  wenn  neue  Pflichten  hinzukommen, 
stets  deren  redliche  Erfüllung  eidlich  versprechen9).  Gehört 
das  betreffende  Schloss,  in  dem  der  Vogt  sitzt,  seinem  Landes- 
fürsten nur  auf  dem  Wege  der  Verpfändung  bis  zum  Wieder- 
kauf, so  hat  nicht  selten  der  Vogt  auch  noch  dem  andern 
Herrn  zu  huldigen  10).  Doch  bleibt  sein  eigentlicher  Landesherr 
für  ihn  stets  noch  die  erste  Instanz,  jedenfalls  darf  er  den  Be- 


’)  Nur  eine  Stelle  könnte  sich  darauf  beziehen  (v.  H.  V 246  (1396)), 
doch  kann  damit  ebensogut  eine  einfache  Wiedererstattung  der  Ausgaben 
gemeint  sein  (über  Verpfändung  s.  auch  Isaaksohn  8.  49;  Meyer  S.  55; 
Schmoller  S.  27). 

*)  v.  H.  IV  63. 

')  v.  H.  V 146  (1390),  177  (1392). 

•)  v.  H.  IV  377  (1369),  404  (1370);  Reg.  130  (1419). 
s)  v.  H.  IV  404  (1370). 

•)  v.  H.  IV  404  (1370);  V 146  (1390);  Reg.  130  (1419);  v.  H.  IV  377 
(1369). 

»)  v.  H.  V 146  (1390). 

•)  v.  H.  IV  377  (1369).  404  (1370). 

»)  v.  H.  IV  377  (1369). 

,0)  v.  H.  V 102  (1388). 


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46 


sitz  nicht  ohne  dessen  Wissen  zurtickgeben,  es  sei  denn,  dass 
er  Vollmacht  erhalten  hat1).  Auf  Befehl  seines  Landesherrn 
jedoch  muss  er  es  jedem  Beliebigen  Überantworten,  wie  es  ihm 
eben  geheissen  wird2).  Überhaupt  ist  der  Vogt  verpflichtet, 
sich  den  Anordnungen  seines  Herrn  zu  fügen,  widrigenfalls  er 
zur  Verantwortung  gezogen  wird3). 

Die  ganze,  überaus  vielseitige  Tätigkeit  des  Vogtes  erfordert 
natürlich  ziemliche  Geldmittel  zur  Bestreitung  der  Kosten,  die 
in  der  Regel  wohl  aus  den  Einkünften  des  Amtes  selbst  be- 
glichen werden.  Das  gewöhnliche  ist  hierbei  die  Form  der 
Abrechnung4),  der  Vogt  verbraucht,  was  er  für  nötig  hält, 
das  Übrige  kann  er  teilweise  zurückbehalten,  teilweise  muss 
er  es  an  den  Landesherrn  abliefern5).  Hat  er  in  seinem  Be- 
zirk einmal  grössern  Schaden  erlitten,  so  kann  er  mit  Zu- 
stimmung des  Landesherrn  auch  sämtliche  Einkünfte  zu  dessen 
Deckung  verwenden.  Jedenfalls  hat  er  Anspruch  auf  Wieder- 
erstattung der  Auslagen  und  teilweisen  Schadenersatz6);  scheidet 
er  aus  dem  Amte  und  fehlt  ihm  da  vielleicht  noch  etwas,  so 
soll  er  auch  dies  nach  redlicher  Berechnung  in  der  nächst- 
folgenden Zeit  ohne  jede  Behinderung  erhalten  7).  Überhaupt  tritt 
der  Landesherr  durchaus  für  das  Wohlergehen  des  Vogtes  ein, 
in  amtlicher  Beziehung  wie  bei  rein  persönlichen  Angelegen- 
heiten desselben"). 

Die  Besoldung  des  Vogtes  selbst  besteht  einmal  in  einem 
bestimmten  Fixum  an  Geld,  wenigstens  ist  dies  in  der  zweiten 
Hälfte  des  14.  Jahrhunderts  nachweisbar9),  ferner  werden  ihm 
Naturalbezüge  und  Geldrenten  angewiesen16).  Ausserdem  er- 
hält er  meist  noch  zu  seinem  Unterhalt  ein  oder  mehrere  Hufen 


')  v.  H.  IV  404  (1370). 

*)  v.  H.  V 146  (1390). 

*)  Reg.  194  (1424). 

4)  Vgl.  Schmoller  S.  49. 

»)  v.  H.  IV  63  (1353),  192  (1357). 

•)  t.  H.  IV  192  (1357);  V 246  (1396);  IV  63  (1353). 
’)  v.  H.  IV  63  (1353). 

")  v.  II.  III  499  (1325);  IV  63  (1353). 

“)  v.  II.  IV  278  (1362). 

,0)  v H.  III  302  (1315);  V Auliang  11  (1330). 


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47 


Land  oder  andere  Nutzungen  lehnrechtlich  überwiesen ').  Da- 
neben ist  er  in  seinen  Revenüen  vor  allem  noch  auf  die  Ein- 
künfte seines  Amts  angewiesen.  So  erhält  er  von  den  Ge- 
richtsgefällen, Steuern  und  sonstigen  Abgaben,  wie  wir  gesehen 
haben,  seinen  bestimmten  Teil  und  macht  sich  damit  direkt  be- 
zahlt. Auch  steht  ihm  wohl  sicher  von  den  einzelnen  Hufen 
seines  Bezirks  das  sogenannte  voghetgelt  zu,  das  oft  in  den 
Urkunden  erwähnt  wird2). 

Wie  wir  aber  schon  bei  Besprechung  der  finanziellen 
Pflichten  des  Vogtes  gesehen  haben3),  kann  diese  letztere  Art 
der  Besoldung  leicht  zu  Übergriffen  verleiten;  dass  dies  wirklich 
der  Fall  gewesen  ist,  beweist  uns  ausser  den  oben  angeführten 
Fällen  eine  Reibe  von  Urkunden,  in  denen  Landhufen  „a  jugo 
advocatorum  liberum  et  immunem“  verliehen  werden4);  das 
Streben  der  Besitzer  ging  eben  dabin,  möglichst  nichts  mit  der 
bedrückenden  Gewalt  des  Vogtes  zu  tun  zu  haben.  Deutlich 
zeigt  diese  selbständigen  Übergriffe  der  Vögte  schon  eine  Ur- 
kunde vom  Jahre  1263 5),  in  der  Graf  Siegfried  I.  auf  die  An- 
sprüche seiner  Vögte  von  Köthen  auf  Einkünfte  aus  Gütern 
der  Dessauer  Kirche  verzichtet  mit  der  Begründung,  „qnod  in 
bonis  ecclesie  in  Dessowe,  videlicet  octo  mansis  sitis  in  Greven- 
dorp, ex  nulla  iustitia  sed  quadam  sicut  dicitur  consuetudinis 
corruptela  advocati  de  Cothene  consueverunt  extorquere.“ 

b)  Die  Ortsbeamten. 

a)  Unter  dem  Vogte  stehen  in  den  Dörfern  und  Städten 
des  Bezirks  noch  rein  lokale  Ortsbeamte,  denen  die  Verwaltung 
der  untersten  Kreise  übertragen  ist.  Auf  dem  Lande  steht  an 
der  Spitze  der  Ortsverwaltung ß)  der  villicus,  später  nach  der 

■)  v.  H.  III  406  (1320);  V Anhang  11  (1330,  1337). 

*)  Z.  B.  v.  H.  IV  260  (1361);  V Anhang  11  (1342). 

*)  pag.  38—39,  41,  43. 

*)  v.  U.  II  439  (1274),  491  (1276),  552  (1283),  828  (1297). 

•)  v.  H.  II  284. 

*)  Vgl.  Schröder,  Rechtsgescbichte  S.  603;  Bornhak  S.  5;  Holtze  S.  68 ff. ; 
Kilhns  S.  156 ff. ; Luther  S.  14,  16;  Wintterlin  8.8;  Schütze,  Bezirk  und 
Organisation  der  uicderrheinischen  Ortsgemcinde  (Beiträge  zur  Geschichte  des 
Niederrheins  XV  (Düsseldorf  1900)  S.  232  ff. ; Eid,  Der  Hof-  und  Staatsdienst 


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48 


allmählichen  Erweiterung  der  einzelnen  Gehöfte  zu  Dörfern 
und  dem  stärkeren  Aufkommen  der  deutschen  Sprache  in  den 
Urkunden  seit  dem  Ende  des  13.  Jahrhunderts  mehr  Schul- 
theiss  genannt,  welche  Bezeichnung  sich  seit  der  Mitte  des 
14.  Jahrhunderts  allein  durchsetzt;  im  Zerbster  Gebiet  führt 
dieser  Ortsbeamte  auch  den  niedersächsischen  Titel  Bauermeister1), 
der  auch  einmal  im  Aschersleber  Territorium  begegnet*).  Ver- 
einzelt findet  sich  auch  die  Bezeichnung  prefectus3).  Das  Amt 
heisst  Schultheissenamt  oder  auch  einfach  „gherichte“ 4). 

Der  Schultheiss  stammt  aus  einer  in  dem  betreffenden  Dorf 
ansässigen  Familie,  sein  Amt  hat  er  zu  erblichem  Lehen  vom 
Landesherrn,  oft  wird  es  mehreren  Mitgliedern  einer  Familie 
zugleich  übertragen5).  Bei  seiner  Ernennung  hat  die  Gemeinde 
mitzusprechen,  sie  selbst  wählt  ihn  sich  aus  ihrer  Mitte6),  der 
Landesherr  belehnt  ihn  dann  eben  mit  dem  Amte,  wodurch  er 
erst  vollgütiger  Beamter  wird.  Jedenfalls  gilt  er  als  landes- 
herrlicher Beamter7). 

Ein  eigentliches  Gehalt  hat  der  Ortsschulze  anscheinend 
nicht  bezogen,  viemebr  ist  der  Posten  mehr  eine  Art  Ehren- 
amt. Immerhin  bringt  es  aber  doch  mancherlei  Vorteile  ma- 
terieller Art8).  Einmal  ist  das  Amt  selbst  anscheinend  mit 
einigen  Ländereien  begabt  gewesen 9),  und  dann  wird  der  zum 
Ortsschulzen  Ausersehene  fast  immer  zugleich  mit  dem  Amt 
noch  mit  mehreren  Landhufen  belehnt  und  ihm  sonstige  Erträge 

im  ehemaligen  Pfalz-Zweibrilcken  von  1444—1604  (Zweibrücken  1897)  (Mit- 
teilungen des  historischen  Vereins  für  die  Pfalz  Bd.  XXI)  8.  216  ff. ; Lamb- 
recht S.  873,  1407. 

')  M.V.f.A.G.  IX  1;  Lehnbuch  Albrechts  II.  (1307—1470);  vgl.  Schröder, 
Der  ostiifnhlisehe  Schultheiss  und  der  holsteinische  Overbode  (Zeitschrift  der 
Sa vigny- Stiftung  für  Rechtsgeschichte  (German.  Abteilung  Bd.  VII  (1886)) 
S.  9;  Borohak  S.  5. 

*)  G.Qu.d.Pr.S.  II  423  (1454). 

*)  v.  H.  III  875  (1349);  M.V.f.A.G.  VIII  5 (1358  Nr.  49). 

*)  v.  H.  V Anhang  11  (1336,  1338);  M.V.f.A.G.  IX  1 S.  63  , 68  , 72 
(1307—1352),  79  (1382). 

5)  M.V.f.A.G.  IX  1 S.  67,  59,  63,  64,  S.  79  (1382). 

•)  G.Qu.d.Pr.S.  II  423  (1454). 

*)  v.  H.  III  317  (1316), 

•)  Vgl.  Isaaksohn  S.  195  ff. 

•)  M.V.f.A.G.  IX  1 S.  59,  72. 


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49 


überwiesen  *).  Ausserdem  ist  das  Amt  in  der  Regel  dienst- 
und  bedefrei®),  aber  doch  nicht  ganz  aller  Abgaben  und  Zinsen 
enthoben“).  Meist  hat  der  Ortsschulze  auch  selbst  Eigenbesitz 
gehabt,  wie  sich  aus  vielen  Fällen  ergibt4). 

Über  die  amtlichen  Funktionen  des  Schultheissen  lässt  sich 
aus  dem  vorhandenen  Material  nicht  viel  ermitteln.  Wie  über- 
all ist  er  der  Vertreter  der  Interessen  der  Gemeinde  nach  aussen5), 
weswegen  er  auch  zuweilen  senior  genannt  wird6).  Er  hat  die 
polizeilichen,  administrativen  und  vor  allem  auch  richterlichen 
Geschäfte  in  der  Ortsgemeinde  zu  erledigen7);  daher  die  Be- 
zeichnung „Gerichte“  für  das  Amt.  Der  Schultheiss  sorgt  für 
die  Ordnung  in  der  Dorfgemeinde,  zieht  die  landesherrlichen 
Grundsteuern  im  Dorfe  ein 8)  und  hat  die  strafbaren  Handlungen 
in  der  Gerichtsversammlung  zu  rügen,  ist  auch  berechtigt,  „vom 
Lantvolke  vor  gerichte  orteil  in  zu  bringen“ 9).  Auch  ist  ihm 
die  Regelung  des  Schuldwesens  im  Dorfbezirk  übertragen.  Vor 
ihm  sind  Schuldner  zu  verklagen,  er  setzt  dann  den  Zahlungs- 
termin fest,  die  Pfändung  steht  aber  nicht  ihm,  sondern  dem 
Vogte  zu 10).  Als  richterlicher  Beamter  ist  der  Schultheiss  ver- 
pflichtet, das  Gericht  des  Vogtes  zu  besuchen,  welche  Pflicht 
auch  dann  bleibt,  wenn  das  Amt  vom  Landesherrn  an  andere 
Grundherren  vergabt  wird  u).  Als  Beurkundungszeuge  in  landes- 
fürstlichen Erlassen  findet  der  Ortsschulze  sich  gar  nicht,  ent- 
sprechend seiner  untergeordneten  Stellung. 

«)  M.V.f.A.G.  IX  1 S.  57,  59,  63,  82  (1391). 

*)  M.V.f.A.G.  IX  1 S.  69  (1353),  83  (1391—1404). 

*)  Keg.  130  (1419). 

*}  M.V.f.A.G.  VII  4 S.  383 ff. ; VIII  3,  4,  5,  6;  IX  1 8.  52-71; 
v.  II.  III  527  (1327),  669  (1336);  IV  302  (1363). 

»)  v.  H.  V 34  a (1219). 

•)  v.  H.  III  317  (1316). 

’)  Planck  I S.  1 1 ff. ; Laban J,  Magdeburger  Rechtsqnellen  (Berlin  1869)  S.64. 

■)  Reg.  367  (1443). 

•)  v.  II.  III  734  (1340);  ü.  Qu.d.Pr.S.  II  423  (1455);  s.  auch  Saclisen- 
siiiegel  I 2 § 4;  Planck  8.  68. 

,0)  G. Qu.d.Pr.S.  II  423  (1455);  s.  pag.  38. 

v.  II.  III  317  (1316);  IV  130  (1356);  vgl.  Bertram-Krause  II  318; 
s.  auch  v.  Posern-Klett  S.  28;  Planck  8.  69. 

Schreckor.  Rcamiontnm  in  Anlinlt  4 


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50 


ß)  In  den  Städten1)  hat  unter  dem  Vogt  noch  ein  anderer 
landesherrlicher  Beamter  gewirkt,  zuerst  ge  wohnlich  p r e f e c t u s 2), 
später  schultetus  oder  Sehultheiss  genannt,  welche  Bezeich- 
nung seit  der  Mitte  des  14.  Jahrhunderts  allein  herrschend 
wird8).  Seinem  Stande  nach  gehört  auch  dieser  Beamter  teils 
zu  den  landesherrlichen  Ministerialen4),  teils  zu  den  Bürgern 
der  Stadt5).  In  der  Regel  ist  er  wohl  Knappe  gewesen6),  erst 
im  14.  Jahrhundert  finden  sich  auch  Ritter  in  dem  Amte7). 

Vergeben  wird  das  Amt  wenigstens  im  14.  Jahrhundert  auf 
dem  Wege  der  Belehnung  seitens  des  Landesherrn8),  nicht  selten 
au  mehrere  Mitglieder  einer  Familie  zugleich *).  Die  Dauer  der 
Belehnung  geht  meist  wohl  auf  Lebenszeit  oder  sie  ist  über- 
haupt erblich  “).  Trotzdem  ist  der  Prefekt  oder  Sehultheiss  der 
Stadt  immer  noch  landesherrlicher  Beamter,  wenigstens  im 
13.  Jahrhundert  durchaus,  vom  Landesherrn  wird  er  mit  seiner 
Amtsgewalt  ausgestattet10);  dem  Landesherrn  gehört  dies  Amt 
ebeuso  wie  die  Vogtei  zu  eigen11).  Im  Laufe  des  14.  Jahr- 
hunderts wird  der  Stadtschultheiss  jedoch  infolge  der  erblichen 

')  Schröder,  Rechtsgeschichte  S.  628  ff. ; Uoltze  S.  68;  Isaaksohn  S.  197; 
Barth.  S.  315;  Luther  S.  44;  Wiutterlin  S.  4 ; Rosenthal,  Gerichtswesens  155; 
Stolze!,  Gelehrtes  Richtertmn  S.  457  ff. 

*)  v.  H.  II  14  (1215),  65  (1223),  242  (1259),  854  (1298);  III  379  (1319), 
474  (1324),  573,  584  (1330),  661  (1335);  M.V.f.A.G.  VIII  5 (1343  Nr.  197), 
(1345  Nr.  21),  (1349  Nr.  90);  IX  1 S.  58,  60. 

*)  v.  H.  III  719  (1339) ; IV  393  (1369);  V 37  (1382).  Die  Überein- 
stimmung der  Titel  zeigen  III  584,  719,  in  denen  der  Beamte  von  Barby 
Tilo  einmal  prefectus,  andermal  scultetus  genannt  wird.  v.  Heinemaun  setzt 
prefectus  mit  advocatus  gleich,  doch  ist  dies  nicht  richtig,  da  in  mehreren 
Urkunden  Vogt  und  Prefekt  nebeneinander  aufgefiilirt  werden  aus  demselben 
Orte,  wobei  der  Prefekt  hinter  dem  Vogte  steht  (v.  II.  II  14  (1215),  IV  393 
(1369).  Prefekt  und  Sehultheiss  stehen  dagegen  nie  in  einer  Urkunde  zu- 
sammen; s.  auch  Rietschel  S.  272. 

‘)  v.  H.  11  14  (1215). 

‘)  v.  H.  II  854  (1298). 

•)  v.  H.  584  (1330);  M.V.f.A.G.  VIII  5 (1343  Nr.  197). 

7)  v.  H.  III  568,  573,  584  , 661,  719  (1329—39);  M.V.f.A.G.  IX  1 8.58, 
60  (1353). 

•)  v.  II.  V Anhang  11  (1327);  M.V.f.A.G.  IX  1 S.  55. 

*)  M.V.f.A.G.  IX  1 S.  55. 

'“)  v.  H.  III  239  (1311). 

")  v.  H.  II  277  (1262). 


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51 


Beleimung  des  Amtes  immer  mehr  zum  städtischen  Beamten. 
In  den  Urkunden  wird  er  seit  der  zweiten  Hälfte  dieses  Jahr- 
hunderts schon  mitten  unter  die  Ratmannen  und  sonstigen 
städtischen  Vertreter  gestellt1),  bis  schliesslich  gegen  Ende  des 
Jahrhunderts  das  Amt  durch  Verpfändung  oder  Kauf  ganz  au 
die  Stadt  übergeht2).  Aber  auch  dann  wird  es  immer  noch 
als  landesherrliches  Amt  angesehen,  denn  die  Bürger  von  Köthen 
werden,  trotzdem  ihnen  im  Jahre  1396  das  Schultheissenamt 
zur  völlig  freien  Verfügung,  sogar  zum  Weiterverkauf  verpfändet 
wird,  immer  nocli  besonders  mit  dem  Amte  belehnt3). 

Der  Stadtpräfekt  ist  vor  allem  richterlicher  Beamter,  in 
seinen  Befugnissen  untersteht  er  dem  städtischen  Vogt  oder 
Amtmann4),  mit  dem  er  auch  zusammen  zu  Gericht  zu  sitzen 
hat5).  Als  eigentliche  Tätigkeit  ist  ihm  die  Ausübung  der 
niederen  Gerichtsbarkeit  überlassen,  er  ist  wohl  gewöhnlich  mit 
dem  Richter  der  Stadt  gemeint6).  Alle  kleineren  Rechtsver- 
letzungen und  Polizeiübertretungen  hat  er  nach  dem  Spruche 
der  Schöffen  abzuurteilen7),  desgleichen  ist  er  als  Stadtrichter 
mit  den  Schöffen  zuständige  richterliche  Behörde  für  Verkäufe, 
Vergabungen  und  derartige  privatrcchtlichc  Fälle8).  In  seinen 
Entschliessungen  ist  er  an  den  Spruch  der  Schöffen  gebunden 9). 

Als  Entgelt  für  seine  Tätigkeit  stehen  auch  dem  städtischen 
Sehultheissen  gewisse  Gefälle  zu,  die  wohl  den  grössten  Teil 
seiner  Einnahmen  ausgemacht  haben 10).  Überhaupt  lässt  die 
ganze  Art  der  Belehnung  schon  darauf  schliessen,  dass  das  Amt 
mehr  im  Nebenamt  ausgeübt  wurde.  Die  Inhaber  haben  meist 
selbst  auch  nicht  geringen  Eigenbesitz  u),  daneben  werden  ihnen 

■)  v.  H.  IV  69  (1354);  M.V.f.A.G.  VII  3 (zu  v.  H.  V 198a)  (1393) 

')  v.  H.  V 240  (1396). 

*)  v.  U.  V 240. 

*)  v.  H.  V 240  (1396);  s.  Planck  S.  21  ff. 

*)  v.  B.  IV  130  (1356). 

*)  v.  H.  V 70  (1385),  255  (1396). 

’)  v.  H.  III  239  (1311). 

»)  M.V.f.A.G.  VIII  4 (1326  Nr.  69);  VIII  5 (1359  Nr.  19). 

*)  M.V.f.A.G.  VIII  5 (1359  Nr.  19);  v.  H.  V 70  (1385). 

,0)  v.  H.  V 240  (1396). 

■')  M.V.f.A.G.  VIII  4 (1343  Nr.  197);  VIII  5 (1345  Nr.  21),  (1349 
Nr.  90),  (1358  Nr.  49);  IX  1 S.  55. 

4» 


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52 


wolil  auch  bisweilen  von  den  Fürsten  Ländereien  zu  Lehen 
überwiesen  *). 

c)  »Sonstige  Beamte. 

Ausser  dem  Vogte  und  seinen  lokalen  Unterbeamten  gibt 
es  nun  aber  in  Anhalt  noch  einige  andere  landesfürstliche 
Beamte,  die  auf  ganz  speziellen  Gebieten  tätig  sind  und  nichts 
mit  der  vogteilichen  Organisation  des  Landes  zu  tun  haben. 

a)  1.  Hier  finden  sich  zunächst  als  rein  militärische  Beamte 
auf  den  landesherrlichen  Burgen  und  festen  Plätzen  besondere 
castellani,  auch  castrenses  genannt2).  Mindestens  hat  jede 
Burg  einen  derartigen  landesherrlichen  Beamten  gehabt8),  ge- 
wöhnlich sind  aber  wohl  mehrere  Burgmannen  zugleich  auf 
einem  Platze  gewesen,  die  dann  oft  aus  einer  Familie,  vielfach 
Brüder  sind4).  Ihrem  Staude  uach  gehören  sie  zu  den  landes- 
fürstlichen Ministerialen5),  in  den  Urkunden  werden  sie  meist 
als  Knappen  aufgeführt ß),  doch  können  sie  auch  Ritter  sein7). 

Ihnen  ist  die  Bewachung  und  Schutz  der  Burg  und  zugleich 
des  dabei  liegenden  Ortes  übertragen,  selbständige  Verfügung 
darüber  haben  sie  jedoch  nicht 8).  Sie  sind  nur  Kommandanten 
der  festen  Plätze,  von  einer  allgemeineren  militärischen  Tätigkeit, 
etwa  als  Führer  des  Bezirksaufgebots  im  Felde,  ist  nichts  zu 
finden.  Mit  den  Burggrafen  früherer  Zeit,  die  doch  zugleich 
auch  Verwaltungsbeamte  waren9),  haben  sie  also  nur  den  Namen 
gemein,  sonst  sind  sie  gar  nicht  mit  denselben  identisch. 

Ihre  Besoldung  hat  wohl  in  lehnsrechtlicher  Überweisung 
von  Ländereien  im  Umkreis  der  Burg  bestanden10),  jedenfalls 
treten  sie  in  den  Urkunden  öfter  als  Landbesitzer  auf11). 

*)  v.  H.  III  661  (1335). 

*)  v.  H.  II  550  (1275);  III  258  (1313);  s.  auch  Kiirnicke  S.  40 ff  ; Barth. 
S.  400:  Schröder,  Bcchtsgeschicbte  S.  519,  608:  Eggers  S.  41. 

*)  v.  H.  II  769,  771,  774  (1294),  753  (1293);  III  248  (1312). 

‘)  v.  H.  II  875  (1299);  111  258  (1313),  487  (1325). 

“)  v.  H.  II  875  (1299). 

•)  v.  II.  II  450  (1275),  769,  771,  774  (1294). 

’)  v.  H.  III  258  (1313),  248  (1312). 

8)  v.  II.  III  487  (1325). 

•)  pag.  29  amu.  1 ; s.  auch  H.  W.  Meyer,  Das  staufische  Bnrggrafentum 
(Leipzig,  Dissertation  1900):  Lainprecht  S.  1366  ff. 

,0)  v.  H.  III  258  (1313) ; s.  auch  Körnicke  S.  55. 

")  v.  H.  II  753  (1293),  875  (1299;;  III  248  (1312). 


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53 


2.  Im  14.  Jahrhundert  finden  sich  als  militärische  Beamte 
im  Falle  von  Kriegszügen  besondere  Hauptleute,  kommen 
allerdings  nur  vereinzelt  vor1).  Ihr  Amt  scheint  kein  ständiges 
gewesen  zu  sein,  wahrscheinlich  werden  sie  immer  nur  für  den 
Fall  einer  Fehde  ernannt,  und  zwar  meist  wohl  aus  der  Zahl 
der  dazu  fähigen  landesfürstlichen  Beamten,  vor  allem  der  Amt- 
leute und  der  Marschälle.  Jedenfalls  begegnen  uns  einmal  ein 
Marschall  und  ein  Dominialvogt  in  dieser  Stellung“),  und  auch 
sonst  wird  von  den  Amtleuten,  die  überhaupt  ihrer  ganzen 
Tätigkeit  nach  hierfür  sehr  geeignet  sind,  noch  öfter,  zumal 
im  15.  Jahrhundert  eine  derartige  Wirksamkeit  erwähnt3). 
Möglicherweise  ist  die  Bezeichnung  Hauptmann  nur  eine  durch 
die  augenblickliche  Art  der  Tätigkeit  veranlasste  Umänderung 
des  alten  Titels  Vogt  oder  Amtmann,  da  auch  hier  beide  Be- 
zeichnungen wieder  für  dieselbe  Tätigkeit  gebraucht  werden4); 
seit  der  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  sind  jedenfalls  die  Titel 
Amtmann  und  Hauptmann  ganz  gleichbedeutend  für  dieselbe 
Persönlichkeit. 

Über  den  Stand  der  Hauptleute  ist  nichts  nachzuweisen, 
ihrem  Namen  und  vor  allem  ihrem  Berufe  nach  werden  sie  aber 
wohl  den  Rittern  angehört  haben. 

Die  Tätigkeit  des  Hauptmanns  ist  eine  durchaus  militärische, 
mit  der  Verwaltung  im  Frieden  hat  er  nichts  zu  tun.  Er  ist 
Leiter  der  Landesverteidigung  und  Befehlshaber  über  das  landes- 
herrliche Aufgebot  im  Kriegsfälle;  zieht  der  Fürst  nicht  selbst 
ins  Feld,  so  ist  ihm  die  ganze  Leitung  übertragen5).  Hierbei 
ist  ihm  naturgemäss  grosse  Selbständigkeit  eingeräumt.  So  hat 
er  die  Höhe  des  notwendigen  Aufgebots  nach  Beratung  mit  den 
andern  Führern  festzusetzen6),  über  die  „gedinguis“  die  Ent- 

')  Namentlich  aufgcfilhrt  sind  Hauptleute  nur  zweimal: 

1335  Theodericus  Dyrekc  et  Johannes  de  Morditz  (v.  H.  III 
Mil)  unter  Albrecht  II.  und  Waldemar  I. 

1355  Moynke  van  Schirstedt  unter  Albrecht  II.  und  Waldemar  I. 
(v.  H.  IV  111). 

»)  v.  H.  III  661  (1335). 

*)  Pag-  13. 

*)  v.  H.  IV  540  (1379). 

4)  v.  H.  IV  227,  228  (1359). 

«)  v.  U.  IV  540  (1379). 


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54 

Scheidung  zu  treffen1).  Ferner  ist  ihm  die  Verteilung  der  ein- 
zelnen Truppenteile  überlassen8),  auch  hat  er  zu  bestimmen, 
wann  die  Truppen  nach  Hause  zurückkehren  dürfen3).  Er 
scheint  sogar  das  Recht  gehabt  zu  haben,  selbständig  Waffen- 
stillstand zu  schliessen  oder  die  Fehde  beizulegen4),  wie  er 
auch  Bürgen  für  den  Landesherrn  in  Verwahrung  nehmen 
kann 6);  jedenfalls  haben  Hauptleute  zur  Erlangung  von  Friedens- 
schlüssen tatkräftig  mitgewirkt6). 

Die  Kriegführung  des  Hauptmanus  im  feindlichen  Lande 
geht  natürlich  nicht  ohne  mancherlei  Bedrückung  ab,  vielmehr 
scheinen  dieselben  bisweilen  ziemlich  schroff  vorgegaugen  zu 
sein7).  Bei  Friedensverträgen  wird  deshalb  nicht  selten  der 
Hauptmann  noch  besonders  als  in  den  Vertrag  mit  einbegriffen 
aufgeführt,  und  so  für  seine  Sicherheit  gesorgt8). 

ß)  Besondere  speziell  landesherrliche  Justizbeamte 
hat  es  neben  dem  Vogt  in  Anhalt  wohl  nicht  gegeben.  Findet 
sich  in  den  Urkunden  gelegentlich  die  Bezeichnung  iudex  oder 
Richter,  so  sind  damit  in  der  Regel  der  Vogt  oder  sein  Unter- 
beamter. der  städtische  oder  ländliche  Ortsschultheiss  gemeint. 
Nur  einmal  tritt  im  Jahre  1347  unter  den  Zeugen  ein  eigener 
Hofrichter  der  Fürsten  Albrecht  II.  und  Waldemar  I.  auf, 
„her  Conrad  von  Lubstorp“.  Demnach  scheint  damals  an  der 
Zentralstelle  ein  eigener  richterlicher  Beamter  gewesen  zu  sein, 
sonst  findet  sich  aber  ein  derartiger  Beamter  nicht  wieder 
erwähnt. 

Andererseits  gibt  es  aber  doch  noch  einige  besondere  Justiz- 
beamte neben  dem  Vogt  in  dem  anhaitischen  Gebiet. 

1.  In  den  öffentlichen  Landgerichten  und  Grafendingen, 
die  von  anhaitischen  Fürsten  abgehalten  werden9),  findet  sich 

')  v.  H.  IV  fi7  (1354). 

>)  v.  H IV  36  (1352). 

*)  v.  H.  IV  540  (1379). 

')  v.  H.  IV  402  (1370). 

•’•)  v.  H.  IV  286  (1363). 

*)  v.  H.  IV  8 (1351) 

’)  v.  H.  IV  111  (1355). 

*)  v.  H.  IV  58  (1353). 

*)  Im  Vorsitz  kann  sich  der  Graf  auch  durch  einen  seiner  Mannen  ver- 
treten lassen  (v.  H.  111  765  (1344);  Beckmann  III  S.  549;  Bertram -Krause 
11  8.317). 


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f>5 


als  Teilnehmer  stets  noch  im  13.  Jahrhundert  ein  schultetus, 
der  in  diesem  Falle  nichts  mit  dem  lokalen  Ortsbeamten  zu  tun 
hat,  sondern  der  eigentlich  sächsische  Gerichtsschultheiss  ist l). 
Die  Anwesenheit  eines  solchen  Schultheissen  gehört  zur  ordnuugs- 
mässigen  Besetzung  des  Landgerichts2).  Gewöhnlich  wird  in 
den  Urkunden  seine  Mitwirkung  noch  besonders  hervorgehoben, 
meist  durch  die  Formel  „coram  sculteto“8),  ausserdem  steht 
er  noch  stets  mit  unter  den  Beurkundungszeugen. 

Er  ist  Beisitzer  des  Grafen  und  wohl  erster  Urteiler,  wenig- 
stens steht  er  in  den  Urkunden  stets  an  der  Spitze  der  Urteils- 
finder4). Als  Gerichtsperson  ist  er  allgemeiner  Beamter,  wird 
jedoch  vom  Grafen  mit  seinem  Amt  belehnt,  weshalb  er  auch 
die  Bezeichnung  „scultetns  noster“  tragen  kann8).  Nicht  ge- 
hört er  aber  etwa  zu  den  Ministerialen  des  Grafen,  ist  vielmehr 
immer  freien  Standes,  in  der  Regel  sogar  aus  vornehmem 
Adelsgeschlecht 6). 

2.  Ein  anderer  öffentlicher  Gerichtsbeamter  ist  der  go- 
gravius,  der  in  den  anhaitischen  Urkunden  allerdings  nur  in 
den  Jahren  1268—74  vorkommt7).  Er  gehört  ebenfalls  zu  den 
Personen  des  Landgerichts,  findet  sich  aber  nie  mit  dem  Schult- 
heissen zusammen.  Gewöhnlich  steht  er  in  der  Zeugenreihe 


’)  Sclirüder,  Die  Gerichts  Verfassung  des  Sachsenspiegels  (Zeitschrift  der 
Sa vigny  - Forschung  für  Kechtsgeschichte , German.  Abteilung  Bd.  V (1884)) 
S.  48;  Rechtsgeschichte  S.  562;  Der  ostpfählische  Schultheiss  S.  2 ff. ; v.  Sommer- 
feld S.  67 ; Planck  S.  91  ff.  Solche  Schultheissen  sind : 

1156  Otto  (v.  H.  1 425). 

1223  Conradus  (v.  H.  II  70). 

1253  Dietrich,  Burggraf  von  Wettin  (v.  II.  II  201). 

1280  Walter  von  Arnstein  (v.  II.  II  508,  509,  511). 

1287  Bruno  schultetus  de  Aquis  (v.  H.  II  626). 

’)  Sachsenspiegel  I 59  § 2;  III  61  § 1. 

*)  v.  H.  I 425  (1156);  II  70  (1223),  508,  509,  511  (1280). 

*)  v.  H.  II  70  (1223),  201  (1253),  508,  509  (1280);  s.  auch  Luschin  von 
Ebengreuth,  Geschichte  des  älteren  Gerichtswesens  in  Österreich  ob  und  unter 
der  Enns  (Weimar  1879)  S.  129. 

*)  v.  H.  II  608,  509  (1280). 

•)  Sachsenspiegel  III  61  § 2. 

’)  v.  H.  II  350,  439,  451;  mit  Namen  Riehardus;  s.  auch  Sachsenspiegel 
I 55  § 2,  67,  58;  Barth.  4 19 ff.;  Planck  8.  9 ff. 


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56 


in  der  Mitte  oder  am  Endo  der  Schöffen1).  Über  seine  Tätig- 
keit lässt  sich  nichts  nachweisen,  er  tritt  nur  als  Zeuge  iu  den 
Urkunden  auf. 

3.  Als  gerichtlicher  Unterbeamter  im  öffentlichen  Land- 
wie  auch  im  sonstigen  landesherrlichen  Gericht  findet  sich  auch 
iu  Anhalt  ein  Fronbote,  auch  preco  oder  nuncius  genannt2). 
Auch  er  ist  ein  „notwendiges  Glied  im  Gefüge  der  gesamten 
Gerichtsorganisation“,  dem  Richter  zur  Unterstützung  beige- 
geben 8).  Ob  er  lediglich  Vollzugsorgan  des  Richters  gewesen 
ist,  scheint  fraglich;  jedenfalls  scheint  er  im  öffentlichen  Land- 
gericht bisweilen  sogar  um  seine  Stimme  befragt  zu  sein4).  Er 
wird  für  den  ganzen  Gerichtsbezirk  ernannt6)  und  nimmt  stets 
an  den  Gerichtstagen  teil6).  Seinem  Stande  nach  gehört  der 
Fronbote  des  Landgerichts  wohl  zu  den  Freien7),  adlig  ist  er 
wohl  selten,  doch  kommt  es  auch  vor8).  Über  den  Nuncius  des 
Vogteigerichts  lässt  sich  nichts  Näheres  nachweisen. 

y)  Von  eigentlich  landesherrlichen  Beamten  gibt  es  iu  den 
anhaitischen  Territorien  endlich  auch  noch  im  14.  Jahrhundert 
einen  Münzmeister;  wir  finden  einen  solchen  Beamten  in 
Zerbst9)  und  Köthen  belegt10).  Seinem  Stande  nach  ist  er 
jedenfalls  wohl  bürgerlich  gewesen.  Der  Miinzmeister  ist 
durchaus  landesfürstlicher  Beamter,  er  erhält  sein  Amt  durch 
Belehnung  auf  eine  Reihe  von  Jahren ll).  Er  untersteht  dem 

')  v.  H.  II  439,  451. 

’)  Schröder,  Rechtsgeschichte  S.  561;  Eckert  S.  13  ff. ; Luschin  von 
Ehengreuth,  Geschichte  des  älteren  Gerichtswesens  S.  128;  Planck  S.  94 ff., 
7 ff.;  Rachel  S.  33 ff. 

*)  v.  H.  I 425  (1156);  II  888  (1300);  Sachsenspiegel  III  61  § 1. 

*)  v.  II.  I 425  (1156);  V 510a  (1169);  s.  Sachsenspiegel  III  56. 

»)  v.  H.  II  626  (1287). 

•)  v.H.  I 425  (1156);  II  65  (1223),  439,  451  (1274  -75),  626  (1287); 
V 510  a (1169). 

7)  v.  II.  I 425  (1156);  II  65  (1223),  439  (1274). 

•)  v.  H.  II  451  (1275). 

»)  M.V.f.A.G.  VIII  4 (1341  Nr.  26):  Albertus;  v.H.  IV  478  (1376). 

'“)  v.  H.  IV  324  (1364):  Ludolf  von  Wittenberch,  Feuerstein  genannt, 
und  Wenzel  von  Schwert.  Hier  bezeichnen  die  beiden  Ortsnamen  wohl  nur 
den  Herkunftsort,  nicht  das  Geschlecht;  s.  auch  Schröder,  Rechtsgeschichte 
S.  594;  Barth.  S.  386  ff. 

")  v.  U.  IV  478  (1376):  Auf  3 Jahre. 


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57 


Befehl  des  Landesherrn,  auf  dessen  Anweisung  hin  er  jegliche 
Geldbeträge  oder  Zinszahlungen  „ane  allerleyge  weddersprake“ 
auszuzahlen  hat  *).  Auch  die  Art  der  Ausprägung  ist  ihm  nicht 
etwa  überlassen,  vielmehr  wird  vom  Landesherrn  der  Gehalt 
der  Münzen  genau  festgesetzt8).  Sonst  ist  ihm  jedoch  in  der 
Ausübung  seines  Geschäftes  Freiheit  gelassen,  nur  bei  Falsch- 
münzung  will  der  Landesherr  einschreiten 3).  Auf  wessen 
Kosten  das  Münzwerk  betrieben  wird,  ist  nicht  nachzuweisen; 
bei  der  lehnrechtlichen  Übertragung  des  Amts  wird  sie  aber 
wohl  der  Miinzmeister  gehabt  haben. 

<T)  In  den  Städten  ist  ausser  den  erwähnten  Beamten  noch 
zur  Leitung  und  Überwachung  des  Gewerbebetriebes  im  14.  Jahr- 
hundert ein  sogenannter  Marktmeister  tätig,  auch  „magister 
fori“  genannt,  wenigstens  ist  in  Aschersleben  ein  solcher  ur- 
kundlich nachweisbar4)-  Vor  ihm  haben  die  einzelnen  Innun- 
gen ihre  inneren  Streitigkeiten  zu  regeln,  und  bei  Neuerungen 
in  ihrem  Geschäftsbetrieb  seine  Zustimmung  einzuholen. 

')  v.  H.  IV  324  (1364),  478  (1376). 

*)  v.  II.  IV  324  (1364). 

a)  v.  H.  IV  324  (1364). 

4)  v.  H III  81,  82  (1304),  184  (1309):  „Johannes  ilictus  de  Bornen". 


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II.  Das  landcsfftrstliclie  Beamtentum  im 
15.  und  16.  Jahrhundert. 


Überblickt  man  das  ganze  Wesen  des  Beamtentums  der 
anhaltisclien  Territorien  in  den  ersten  Jahrhunderten  ihres  Be- 
steheus, so  macht  sich  in  der  Verwaltung  vor  allem  geringe  Ein- 
heitlichkeit und  wenig  Übersichtlichkeit  bemerkbar1).  Es  gibt 
überhaupt  nur  örtliche  Verwaltung  und  landesherrliche  Hof- 
verwaltung,  welch  letztere  zugleich  die  Stelle  einer  allgemeinen 
Zentralbehörde  versieht.  Von  einer  Scheidung  der  Angelegen- 
heiten des  Landes  und  der  fürstlichen  Haushaltung  ist  über- 
haupt noch  keine  Rede,  die  Beamten  der  Hofhaltung  erledigen, 
wenn  nötig,  zugleich  auch  die  Geschäfte  der  Landesregierung. 
Allgemeine  staatliche  Aufgaben  gibt  es  eben  noch  nicht,  die 
ganze  Regierung  ist  patrimonial  und  mehr  oder  weniger  den 
Interessen  des  Landesherrn  angepasst.  Dabei  kennt  man  keine 
sichere  Abgrenzung  der  einzelnen  Geschäftskompetenzen;  Son- 
derbehörden für  die  einzelnen  Verwaltungsgebiete  fehlen  noch 
völlig  an  der  Zentralstelle;  wie  sie  kommen,  werden  die 
Angelegenheiten  den  gerade  anwesenden  Personen  zur  Erledi- 
gung übertragen.  Und  vor  allem  fehlt  auch  ganz  ein  einheit- 
liches Zusammenarbeiten  der  einzelnen  Hauptverwaltungsbe- 
hörden; Zentralregierung  und  Lokalverwaltung  stehen  sich 
noch  fast  völlig  selbständig  gegenüber,  von  einer  Beauf- 
sichtigung der  einen  durch  die  andere  ist  ebensowenig  die  Rede, 
wie  von  einem  Einfluss  der  lokalen  Verwaltungsbeamten  auf 
die  gesamte  Leitung  der  Landesgeschäfte.  Vielmehr  zeigt  sich 
noch  völlige  Selbstherrlichkeit  in  der  inneren  Verwaltung. 

')  Schröder,  Kcchtsgeschichte  S.  863;  Lainpracht  S.  1421. 


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59 


Anders  gestalten  sich  nun  die  Verhältnisse  seit  deni  15. 
und  vollends  im  16.  Jahrhundert.  Die  auf  allen  Gebieten  des 
staatlichen  Lebens  iin  Laufe  der  Jahrhunderte  eingetretenen 
Veränderungen  haben  eine  völlige  Umgestaltung  der  Behörden* 
Organisation  herbeigeführt,  auch  in  Anhalt  hat  sich  im  Laufe 
des  15.  Jahrhunderts  ein  fast  ganz  neues  Beamtentum  heran- 
gebildet. Der  Grund  für  diese  Änderungen  liegt  in  der  Er- 
starkung der  landesherrlichen  Gewalt,  dem  Aufkommen  strafferer 
Verwaltungsgrundsätze  und  vor  allem  auch  in  der  allgemeinen 
Verbreitung  des  römischen  Rechts,  die  sich  seit  dem  15.  Jahr- 
hundert in  den  deutschen  Landen  bemerkbar  macht1). 

In  allen  Verwaltungszweigen  werden  jetzt  grössere  An- 
sprüche gemacht,  überall  häufen  sich  die  Geschäfte  bedeutend 
an,  zumal  jetzt  auch  viel  mehr  Gewicht  auf  schriftliches  Ver- 
fahren gelegt  wird.  Eine  Verwaltung  mit  unbestimmter  Ge- 
schäftsteilung ist  nicht  mehr  möglich,  alles  drängt  auf  die  Auf- 
stellung eines  geregelten  Staatshaushalts,  auf  eine  bestimmt 
organisierte  Verwaltung  mit  genauer  Arbeitsteilung  hin.  Tren- 
nung der  einzelnen  Verwaltungszweige,  Errichtung  besonderer 
Zentralbehörden,  Verteilung  der  Geschäfte  unter  mehrere  Per- 
sonen und  Durchführung  eines  gleichmässigen  Verwaltungs- 
systems bilden  das  Prinzip  der  neuen  Verwaltungsorganisation 
des  16.  Jahrhunderts2).  Vorbildlich  sind  hierfür  die  öster- 
reichischen Einrichtungen  geworden.  Und  dazu  kommt  auch 
noch  eine  Änderung  in  der  Art  des  Beamtentums  selbst. 
Während  im  Mittelalter  die  Verwaltung  ausschliesslich  von 


')  Schröder,  Rechtsgeschichte  S.  863;  Bornhak  S.  32ff.,  51,  71;  Jakobs 
S.  102;  v.  Below,  Territorium  S.  287;  Rosctithal,  Gerichtswesen  S.  412  ff.,  598; 
wegen  der  Rezeption  des  römischen  Rechts  besonders  Stölzcl,  Die  Entwicklung 
des  gelehrten  Ricktertums  in  deutschen  Territorien  (Stuttgart  1872)  S.  137  ff., 
235 ff,  605 ff.;  v.  Below,  Die  Ursachen  der  Rezeption  des  römischen  Rechts 
in  Deutschland  (Historische  Bibliothek  Bd.  IXX  (1905)),  besonders  S.  12, 
121,  129  ff. 

’)  Schröder,  Rechtsgeschichte  863;  v.  Below  S.  287  ff. ; Schmoller  S.  59  ff. ; 
Lainprecht  S.  1439;  Rosenthal,  Gerichtswesen  S.  410,  598;  Bornhak  S.  43  ff. ; 
Lippert,  Die  deutschen  Lehnbilcher  (Leipzig  1903)  S.  120;  Spahn,  Yerfassuugs- 
und  Wirtschaftsgeschichte  des  Herzogtums  Potnmeru  von  1478 — 1625  (Staats- 
titel sozial  wissenschaftliche  Forschungen  Bd.  XIV  (1897))  8.  73. 


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60 


Ministerialen  und  einigen  Geistlichen  geführt  wild,  treten  jetzt 
auch  juristisch  gebildete  Männer,  Berufsbeainte,  auf. 

Die  örtlichen  Behörden  zwar  sind  im  wesentlichen  auch 
den  gesteigerten  Anforderungen  der  neueren  Zeit  gewachsen 
und  behalten  im  Grunde  ihre  mittelalterliche  Organisation,  nur 
macht  sich  auch  hier  das  Prinzip  der  Arbeitsteilung  etwas 
geltend.  In  der  Zentralverwaltung  dagegen  ist  eino  vollkommene 
Neugestaltung  erfolgt.  Überall  sind  hier  Sonderbehörden  ent- 
standen, die,  mit  fachmännisch  geschulten  Beamten  besetzt, 
ihren  ganz  bestimmten  Kreis  von  Geschäften  haben,  und  ihre 
Angelegenheiten  im  allgemeinen  selbständig  bearbeiten.  Jedes 
Ressort  hat  auch  jetzt  seine  eigene  Schreiberei,  ist  mit  seinen 
schriftlichen  Arbeiten  nicht  mehr  nur  an  die  Kanzlei  gebuuden. 
Hof-  und  Landesverwaltung  sind  völlig  getrennt,  dafür  ist  die 
lokale  Verwaltung  enger  an  die  Zentralregierung  angeschlossen. 
Ihre  Vereinigung  und  gemeinsame  Ergänzung  und  Berührung 
finden  die  einzelnen  Verwaltungsressorts  dann  in  einer  allge- 
meinen Zentralbehörde,  dem  landesfürstlichen  Rat,  dem  sämt- 
liche Angelegenheiten  der  Landesverwaltung  zur  Beratung 
unterstellt  werden.  Kollegialität  auf  der  einen,  Ressort-  und 
Arbeitsteilung  auf  der  andern  Seite,  das  ist  also  das  Wesen 
der  Verwaltung,  wie  wir  sie  seit  der  Mitte  des  15.  Jahrhunderts 
vorfinden. 


I.  Die  Beamten  der  Zentralstelle. 

A.  Die  Landesverwraltung. 

a)  Der  landcsfUrstliclie  Rat1). 

Je  mehr  die  staatlichen  Anforderungen  steigen,  wird  es 
für  den  Landesherrn  unmöglich,  alle  Regierungsgeschäfte  allein 
zu  erledigen,  die  alleinige  Verantwortung  zu  tragen.  Die  Fülle 

')  Schröder,  Rechtsgeschichte  S.  493 ; Bornhak  S.  72 ff. ; Isaaksohu 
S.  2,  30ff.;  Stölzel,  Brandenburg-Prenssische  Rechtsverwaltnng  und  Rechts- 
verfassung Bd.  I (Berlin  1888)  S.  97 ff.;  B.  Meyer  S.  19ff.;  v.  Krones, 
Laudesfürstliche  Behörden  S.  191ff.;  v.  Poseru-Klett  S,  53;  v.  Wretschko 
S.  68,  149  ff.;  Rosenthal,  Gerichtswesen  S.  236  ff. ; v.  Be  low,  Territorium 
S.  285,  293 ff. ; Schmollet  S.  51, 63 ff. ; Rachfahl  S.  74, 435ff.;  Lamprecht 
S.  1426,  1438 ff.;  v.  Maurer,  Frouhöl'e  S.  237,  258ff.;  Wintterlin  S.  11  ff.; 
llintze,  Der  österreichische  Staatsrat  im  16.  und  17.  Jahrhundert  (Zeitschrift 


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61 


der  wichtigen  Fragen,  die  Schwierigkeit  selbständiger  Ent- 
scheidung einzelner  Angelegenheiten  wird  zu  gross,  nötigt  den 
Fürsten  von  selbst  zur  Rücksprache  mit  Leuten,  auf  deren  Rat 
und  Beihilfe  er  sich  verlassen  kann.  Eine  Anzahl  geeigneter 
Persönlichkeiten  ist  auch  stets  in  seiner  Umgebung;  natur- 
gemäss  findet  er  in  den  Männern  seines  Gefolges,  die  er  kennt 
und  von  denen  viele  schon  irgend  ein  Hof-  oder  sonstiges  Amt 
bekleiden,  also  mit  den  Verwaltungsgeschäften  vertraut  sind, 
die  besten  Gehilfen  und  Mitarbeiter.  So  bildet  sich  ganz  all- 
mählich, gewissermassen  von  selbst,  im  Laufe  der  Jahrzehnte 
aus  der  unmittelbaren  Umgebung  des  Landesherrn  ein  neues 
Verwaltungsinstitut  heran,  der  landesfürstliche  Rat,  der  für 
Jahrhunderte  eine  der  wichtigsten  Behörden  werden  soll. 

Bemerkenswert  ist  hierbei,  dass  für  die  anlialtischen  Terri- 
torien das  Auftreten  eines  eigentlichen  landesfürstlichen  Rates 
erst  im  vorgeschrittenen  14.  Jahrhundert  nachweisbar  ist,  also 
zu  einer  Zeit,  wo  gerade  das  alte  Hofbeamtentum,  die  Stütze 
der  Fürsten  in  früheren  Zeiten,  schon  im  Abnehmen  und  Ver- 
schwinden begriffen  oder  seine  Bedeutung  gewaltig  zurück- 
gegangen ist.  Zwar  ist  eine  Zuziehung  des  landesherrlichen 
Gefolges  bei  Erledigung  von  Geschäften  schon  in  den  früheren 
Zeiten  Brauch  gewesen  ')  und  wohl  gerade  die  Inhaber  der  Hof- 
ämter sind  damals  die  eigentlichen  Sprecher  und  Führer  bei 
den  Beratungen  gewesen ; ein  besonderer  Rat  wird  aber  erst 
nötig,  als  die  allgemeine  Bedeutung  des  Hofbeamtentums  ge- 
sunken ist  und  dafür  in  der  Umgebung  des  Landesherrn  ein 
Ersatz  geschaffen  werden  muss.  Der  Rat  in  den  anhaitischen 
Territorien  bildet  also  gewissermassen  die  Fortsetzung  des  alten 
Hofbeamtentums  nach  seiner  staatlichen  Seite  hin. 

Die  ersten  Nachrichten  von  der  Einwirkung  eines  beraten- 
den Einflusses  der  Umgebung  auf  den  Landesherrn  finden  sich 

iler  Savigny-Stiftung  fiir  Rechtsgeschichte,  German.  Abteilung  Bd.  VIII  (1887)) 
8. 138  ff  ; Lüdicke,  Die  landesherrlichen  Zentralbehörden  iin  Bistum  Münster, 
ihre  Entstehung  und  Entwicklung  bis  ltiöO  (Zeitschrift  des  Vereins  für  West- 
fälische Geschichte  Bd.  59  (1901))  8.7(1'.;  Spangenberg  S.  98;  Jakobs, 
Alter  und  Ursprung  S.  1U1  fl'. ; Barth  S.379Ü'.;  Luschin  vou  Ebengreuth, 
Österreichische  Rechtsgeschicbte  8.  189;  Adler,  Die  Organisation  der  Zen- 
tralverwaltnng  unter  Kaiser  Maximilian  I.  (Leipzig  1886)  S.  416. 

')  Beckmann  VII  8.  168. 


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62 


für  das  anhaitische  Gebiet  ziemlich  früh.  Schon  in  einer  Ur- 
kunde vom  Jahre  1225,  durch  die  Graf  Heinrich  I.  einen  Kauf 
abschliesst,  heisst  es  „habito  super  consilio  tarn  uobilium  quam 
ministerialium  discretorum“ ').  Naturgemäss  ist  hier  nocli  nicht 
im  geringsten  an  einen  festgeordneten  landesherrlichen  Kat  zu 
denken,  es  ist  vielmehr  nur  das  erste  urkundliche  Zeugnis  für 
die  Hinzuziehung  des  fürstlichen  Gefolges  bei  der  Erledigung 
von  landesfürstlichen  Geschäften;  aber  immerhin  ist  es  doch 
die  erste  leise  Andeutung  eines  sich  geltend  machenden  bera- 
tenden Einflusses  der  Umgebung.  Aus  dem  13.  Jahrhundert  ist. 
sonst  nur  noch  eine  ähnliche  Nachricht  erhalten  — 1269 
schlichtet  Graf  Siegfried  I.  einen  Streit  „habito  consilio  pru- 
dentum  virorum“  ®)  — und  auch  bis  über  die  erste  Hälfte  des 
14.  Jahrhunderts  hinaus  finden  sich  nur  wenige  Fälle  von  der 
Mitwirkung  der  Umgebung  bei  den  Entschlüssen  des  Landes- 
fürsten urkundlich  belegt3).  Häufiger  werden  die  Nachrichten 
erst  mit  dem  letzten  Drittel  des  14.  Jahrhunderts4),  um  aller- 
dings dann  immer  zahlreicher  hervorzutreten.  Ganz  allmählich 
hat  sich  also  auch  bei  den  anhaitischen  Fürsten  mit  dem  An- 
wachsen der  Regierungsgeschäfte  ein  grösseres  Bedürfnis  nach 
Zuziehung  der  Vertrauten  bei  der  Erledigung  wichtiger  An- 
gelegenheiten herausgebildet,  namentlich  die  Zeit  ist  es,  die  auch 
in  Anhalt  dem  landesfürstlichen  Rat  zu  seiner  Entstehung  und 
seinem  Ansehn  verholten  hat. 

Die  Bezeichnung  der  zur  Beratung  hinzugezogenen  Per- 
sonen ist  bis  gegen  Ende  des  14.  Jahrhunderts  in  den  meisten 
Fällen  eiue  ganz  allgemeine,  noch  ohne  irgend  einen  näheren 
Hinweis  auf  eine  feste  Körperschaft.  In  der  Mehrzahl  der 
urkundlich  nachweisbaren  Fälle  heisst  es  einfach  „mit  rade 
unser  manne“5)  oder  „vor  unsen  mannen*®),  „mit  rade  unser 

')  v.  H.  II  81. 

s)  v.  H.  II  365. 

«)  V.  H.  III  117  (1305),  280  (1314),  583  (1330);  V 451a  (1323). 

*)  v.  11.  IV  543  (1379);  V 10  (1380),  39  (1382),  94  (1387),  102  (1388), 
146(1390),  177(1392),  226  (1394),  238  (1395),  260,  261  (1397),  269  a (1398), 
328  (1400). 

■•■)  v.  II.  III  286  (1314),  583  (1330);  V 10  (1380),  39  (1382),  146  (1390), 
177  (1392). 

«)  v.  II.  IV  543  (1379). 


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frunt  unde  manne“1),  „mit  lade  unde  vulbort  unser  lieven 
getruwen“2),  „mit  gutem  Vorräte“8),  „de  fidelium  militum 
nostrorum  consilio“  4),  „mit  wohlbedachtem  Kate  der  Unsern“  5) 
u.  dgl.  Die  anlialtisclien  Fürsten  scheinen  sich  mit  der 
allgemeinen  Zustimmung  ihres  Gefolges  gewöhnlich  begnügt  zu 
haben,  es  sind  eben  die  Mannen,  die  Umgebung  des  Landes- 
herrn ohne  Unterschied,  die  befragt  werden.  Der  Zusammen- 
setzung des  Gefolges  entsprechend  gehören  natürlich  die  zur 
Beratung  Hinzugezogenen  in  der  Mehrzahl  den  landesherrlichen 
Ministerialen  an6),  doch  finden  sich  auch  schon  im  13.  Jahr- 
hundert edle  Herren  unter  ihnen7). 

Im  Laufe  der  Jahrzehnte  hat  sich  nun  natürlich  der  Brauch, 
in  gewissen  Fällen  das  Gefolge  zur  Beratung  heranzuziehen, 
immer  mehr  befestigt  und  auch  weiter  entwickelt.  Wenn  auch 
der  Landesherr  in  damaliger  Zeit,  wo  die  Verhältnisse  in  den 
anhaitischen  Territorien  noch  leicht  zu  übersehen  sind,  sich  in 
den  meisten  Fällen  an  das  Gefolge  in  seiner  Gesamtheit  ge- 
wendet haben  wird,  so  hat  sich  doch  bald  ganz  von  selbst 
innerhalb  desselben  ein  Unterschied  herausgebildet.  Natur- 
gemäss werden  nicht  alle  Mitglieder  des  Gefolges  gleichgute 
Ratschläge  erteilt  haben,  der  Landesherr  wird  also  ganz  selbst- 
verständlich eine  Auswahl  getroffen,  ein  andermal  nur  die 
Begabteren  und  Geschickteren  zur  Rücksprache  herangezogen 
haben,  ohne  dabei  das  Recht,  das  gesamte  Gefolge  um  Rat  zu 
fragen,  für  immer  aufzugeben. 

Die  Personen  nun,  die  sich  einmal  als  tüchtig  erwiesen 
haben,  sind  dann  selbstverständlich  immer  wieder  befragt  und 
so  allmählich  mit  den  Regierungsgeschäften  vertraut  geworden; 
auch  gibt  es  ja  immer  Staatsangelegenheiten,  die  ihrer  Natur 
nach  sich  für  eine  Erörterung  in  einer  grossen  Ratsversamm- 
lung nicht  eignen,  die  nur  im  engen  Kreis  von  vertrauens- 

■)  v.  H.  V 94  (1387). 

*)  v.  II.  V 102  (1388),  238  (1395),  280,  261  (1397),  Reg.  319  (1439). 

*)  v.  H.  V 226  (1394),  269  a (1398),  328  (1400). 

4)  v.  H.  III  117  (1305). 

*)  Reg.  583  (1461). 

*)  v.  H.  II  81  (1225);  III  117  (1305);  pag.  62  Anm.  5,  6;  63  Anin.  1 — 5. 

’)  v.  H.  II  81  (1225). 


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windigen  Männern  behandelt  werden.  So  sondert  sich  ganz 
von  selbst  aus  der  unmittelbaren  Umgebung  des  Landesherrn 
ein  fest  bestimmter  Kreis  von  Leuten  ab,  auf  deren  Rat  sicli 
der  Fürst  verlassen  kann,  die  er  also  zunächst  befragen  wird. 
Es  sind  die  eigentlich  landesherrlichen  Räte,  ihre  Gesamtheit 
bildet  den  landesfürstlichen  Rat. 

Die  erste  Erwähnung  von  bestimmten  anhaitischen  Räten 
finden  wir  erst  im  14.  Jahrhundert.  In  einer  Urkunde  des 
Jahres  1323  werden  als  Zeugen  einer  Schenkung  des  Fürsten 
Bernhard  III.  an  die  Bürger  der  Altstadt  Bernburg  aufgeführt: 
„herr  Herman  van  Wederde,  des  Warmestorp  is,  herr  Jordan 
van  Nendorp,  herr  Herinan  Grudding.  herr  Bernd  von  Nienborcli 
und  herr  Gevarth  von  Sprone,  unse  radeul).  Seit  dieser  Zeit 
lässt  sich  das  Bestehen  eines  landesherrlichen  Rates  in  den 
einzelnen  anhaitischen  Territorien  in  ununterbrochener  Folge 
urkundlich  nachweisen.  Allerdings  wird  eine  vollständige  Kennt- 
nis der  anhaitischen  Ratsmitglieder  dadurch  sehr  beeinträchtigt, 
dass  in  vielen  Fällen  einfach  nur  die  Namen  der  betreffenden 
Räte  ohne  Angabe  irgendwelcher  Stellung  oder  Titels  aufgeführt 
werden.  Es  ist  dies  ein  an  sich  sehr  verständliches  Verfahren, 
jeder  damals  lebende  Mann  wusste  ja  ganz  genau,  wer  und  was 
die  Betreffenden  waren,  für  uns  ist  aber  hierdurch  die  Fest- 
stellung vieler  Räte  sehr  behindert,  wenn  nicht  gauz  abge- 
schnitten.  Man  kann  aus  der  häufigen  Wiederkehr  gewisser 
Namen  bei  Regierungshandlungen  eiue  Zugehörigkeit  der  be- 
treffenden Männer  zum  Rat  wohl  vermuten,  aber  doch  nicht 
sicher  behaupten. 

Wie  in  den  meisten  deutschen  Territorien*),  setzt  sich  auch 
in  den  anhaitischen  Gebieten  der  landesfürstliche  Rat  im  wesent- 

')  v.  H.  V 451  n.  Beckmann  scheint  diese  Urkunde  nicht  gekannt  zu 
habeu,  denn  er  sagt  (Buch  VII  S.  1(58)  von  1371  auftretenden  Bäten  (v.  II. 
IV  414):  „welche,  soviel  man  noch  zur  Zeit  ersehen  köuncn,  die  erste  Fiirstl. 
Käthe  sein,  so  ausdrücklich  also  genannt  werden,  wie  wohl  kein  Zweifel,  dass 
die  Bitter,  so  zu  denen  und  vorigen  Zeiten  als  Zeugen  angeführt  werden, 
dergleichen  gewesen“. 

*)  Schröder,  Rechtsgeschichte  S.  403;  Bornhak  S.  73;  Isaaksohu  S.  2; 
B.  Meyer  8.  21;  v.  Wretscbko  S.  150;  Adler  S.  415;  Wintterlin  S.  12;  Bosen- 
tlial,  Berichts  wesen  8.  250  ff. ; Schinoller  8.61,  C3;  Bachfahl  S.  435  ft'.;  v.  Maurer, 
Fronhöfe  S.  237  ff. ; Barth.  S.  379;  Liidicke  8.  7 ; v.  Below,  Territorium  8.  285 


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liehen  aus  zwei  Alten  von  Mitgliedern  zusammen.  Einmal  ge- 
hören dazu  die  obersten  Beamten  der  einzelnen  Verwaltungs- 
ressorts *),  die  durch  Übernahme  des  Amtes  wohl  gleichzeitig 
zur  Teilnahme  an  den  Beratungen  verpflichtet  wurden.  Ob 
allerdings  die  Beamten  der  Hofverwaltung  auch  Mitglieder  des 
Eates  sind,  lässt  sich  nicht  nachweisen,  ist  aber  doch  wohl  an- 
zunehmen. Da  die  Verwaltungsbeamten,  mit  der  Verrichtung 
fortlaufender  Dienste  beschäftigt,  zu  dem  Landesfürsten  in  be- 
ständiger persönlicher  Beziehung  stehen,  ist  es  selbstverständ- 
lich, dass  sie  auch  als  dessen  Vertrauenspersonen  zu  Rate  ge- 
zogen und  mit  der  Ausführung  allgemeiner  staatlicher  Anfgaben 
betraut  werden.  Wie  es  scheint,  stellen  sie  im  landesfürst- 
licheu  Rate  wohl  das  grösste  und  dauerndste  Kontingent;  da 
sie  immer  in  der  Umgebung  des  Landesherrn  sich  aufhalten, 

>)  Reg.  294  (1436),  379  (1444),  451  (1452),  460  (1453),  479  (1455),  460 
(1453),  498  (1456),  515  (1457),  612  (1462),  650,654  (1465);  G.Qu.d.Pr.S.  28, 
1485  (1510);  6,  536  (1517);  H.H.St.Arch.  K.  44,  IV  98  Nr.  60  (1477);  K. 
44,  IV  57  b Nr.  37 ; Waldemar  und  Siegmund  verleiben  an  Hans  Buchener 
den  Steynford  (1481):  „Und  das  sint  geczuge  Ricbardus  Zcorze,  Hynricus 
Koch,  Günther  von  Hoendorff  unde  Andreas  Lubek,  unhse  genanten  fürsten 
manne,  Amptmann  und  Dyner“.  K.  33,  III  fol.  65  Nr.  2 (1556);  Joachim, 
Fürst  zu  Anhalt  urkundet  Uber  eine  Ehestiftung  zwischen  Karl  von  Anhalt 
und  einer  pommerschen  FUrstiu:  „dass  wir  demnach,  weil  wir  persönlich  zu 
erscheinen  verhindert  sind,  unsre  Rethe  und  lieben  Getreuven  Hans  von 
Zeinitz,  unsern  Hauptmann,  und  Johaun  Ripsch,  unser  Kanzler  abgefertigt 
an  unsrer  Stat,  obgen.  Artikel  und  andre  notwendiges  bereden,  bandeln  und 
schliessen  helfen,  dazu  wir  Ihneu  auch  vollkommen  Macht  und  Gewalt  ver- 
leihen, gleich  als  ob  wir  selbst  gegenwärtig  waren“ ; K.  33,  Vol.  III  fol.  71 
Nr.  15  (1557).  Vorweisregister  des  Amtes  Rosslau:  „Wir  Karl,  F.  zu  Anhalt, 
haben  auweisen,  huldigen  und  schwören  lassen  — — alles  durch  unseru 
Hauptmann,  Kantzier,  Rethe,  Rendtmeyster  und  lieben  Getreuwen  Hansenn 
Statius,  Anthonins  Rosenau  und  Urbannm  Otten  als  unsern  aufferlegte  Voll- 
kommenen“; K.  33,  Vol.  III  fol.  67  b Nr.  8 (1567).  Bescheid  der  Räte  des 
Herzogs  vom  Pommern,  der  Fürsten  Joachim  Ernst  und  Bernhard  von  Anhalt 
und  der  Burggrafen  von  Meissen  über  das  Leibgedinge  der  Witwe  Fürst 
Karls  zu  Anhalt:  „Die  gesanten  sind  gewesen:  — — von  wegen  der  Fürsten 
zu  Anhalt,  Hans  Statius,  Christoph  Zanthier  Hauptleute,  Johan  Truckenroth 
und  Anthoni  Rosenau  Cantzlerr“  („ihre  beiderseits  abgesandten  Rethe“  wer- 
den sie  auch  einmal  genannt) ; vol.  V fol.  275  b Nr.  19  (1560).  „Wir  Joachim, 
F.  z.  A.,  bekennen,  dass  wir  dem  Ehrenvhestcn  unssern  Hauptmann  Rath 
und  liebenn  Getreuven  Hannssen  von  Zeinitz.  — — schuldigk  worden  seindt 
500  Gulden“. 

Sclirecker,  Beamtentum  in  Anbatt  5 


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66 


sind  sie  als  die  eigentlichen  ständigen  Berater  anzusehen.  Be- 
sonders in  späterer  Zeit  finden  wir  in  der  überwiegenden  Mehr- 
zahl der  Fälle  als  Ratsmitglieder  landesfürstliche  Beamte  tätig; 
in  den  einzelnen  Ratskommissionen  sind  sie  fast  immer  die 
führenden  Persönlichkeiten l). 

Ausser  den  Beamten  befindet  sich  aber  im  landesfürst- 
lichen Rat  immer  noch  eine  Anzahl  Personen  ohne  spezielles 
Amt,  die  dem  Kreise  der  landsässigen  weltlichen  und  geist- 
lichen Herren  entnommen  sind  und  nur  als  Ratgeben  verwendet 
werden8);  fremde  Dynasten  finden  sich  im  anhaitischen  Rate 
nicht  *).  In  der  Regel  sind  diese  Ratsmitglieder  natürlich 
weltlichen  Standes3),  doch  begegnen  unter  ihnen  auch  einige 
Geistliche,  gewöhnlich  Pfarrherrn  der  grossen  Städte  im  Lande, 
die  der  Landesherr  als  tüchtig  erprobt  und  deshalb  zum  Rate 
zugezogen  hat4). 

’)  H.HSt.Arch.  Vol.  III,  fol.  275/276  Nr.  132  (1546).  Rcgimeutsord- 
nung  des  Fürsten  Johann  von  Anhalt:  „Truge  sich  aber  ausserhalb  der  be- 
stimmten Zeit  sonst  Sachen  zu , die  nicht  zu  verschieben  oder  wir  wurden 
Ihnen  semptlich  und  sonderlich  dem  Hauptmann,  Kantzier,  Sekretair  oder 
andern  rethen  zu  beratschlagen  befehlen,  sollen  sie  zu  ider  Zeit,  da  solcha 
vorfeit,  anf  des  Cantzlers  oder  dem  wirs  befelen  oder  in  notfellen  fnrhaudcu, 
erfordern  geborsamlich  beratschlagen“. 

*)  In  Brandenburg  und  den  wettiniseben  Landen  ist  es  dagegen  der 
Fall  (Isaaksohn  S.  29;  H.  B.  Meyer  S 21). 

•)  v.  H.  IV  414  (1371);  V 156  (1391),  451  a (1323);  Reg.  207  (1426), 
319  (1439),  332,  333  (1440),  379  (1444),  451.  452  (1452),  460  (1453),  479 
(1455),  612  (1462),  654  (1465),  719  (1470);  H.H  St.Arch.  K.  44  Vol.  IV  fol. 
101  b Nr.  III,  1 (1485).  Sigismund,  Ernst  und  Rudolf  von  Anhalt  beleihen 
Sigismund  von  Dessau:  „hyr  by  und  obir  ist  gewesen  — — der  wirdige 
herc  Mauricius  fabri  nnhser  pharrer  und  der  tüchtige  Hans  von  Tmpitz, 
uuhser  rethe“;  vol.  I fol.  461  b Nr.  III  (1498).  Kammergerichtsentscheid  über 
die  Grafschaft  Mühlingen:  „Darnach  ist  verhört  Hanns  Hode,  Bürger  zn 
Köthen;  — — — hat  gesagt,  er  sei  ein  burger  und  gastgebe  zu  Köthen,  — 
— — sey  der  Filrsteu  von  Anhalt  Geschworner,  sey  aber  der  pflicht  zn 
diesem  thun  lolis  gesagt“  und  „Darnach  ist  verhört  der  Erbar  Joachim  von 
Kossieben;  — — sagt  — sey  der  von  Anhalt  gesworner,  sey  aber  zn  diosem 
Gezeugnis  zu  geben  aller  Pflicht  losgesagt“;  GAR  vol.  IV  fol.  27  Nr.  118. 
(1570).  Rentereieiunahmen : „Dienstgeltt  denn  Hoftrethen  und  Hoffdienern“  : 
„171  fl.  19  gr.  — — Wolff  Schlegell“;  (1571)  „34  fl.  6 gr.  — Wolff  von 
Pork“. 

*)  v.  H.  IV  414  (1371);  Reg.  179  (1423),  207  (1426),  515  (1457);  H.H. 
St.Arch.  K 44.  Vol.  IV  fol.  101  b Nr.  III  1 (1485);  Vol,  I fol.  461  b Nr.  III 


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Die  meisten  laiischen  Räte  gehören  dem  Ministerialen- 
stande an1),  doch  finden  sich  daneben  auch  freie  Ritter  im 
Rat2),  wie  es  auch  die  Stände,  zumal  die  Ritterschaft  stets 
verstanden  zu  haben  scheinen,  einige  ihrer  Mitglieder  in  den 
landesfürstlichen  Rat  zu  bringen 3).  Im  14.  Jahrhundert  ge- 
hören die  weltlichen  Räte  durchaus  noch  dem  Ritterstaude  an4), 
mit  dem  15.  Jahrhundert  dringen  aber  allmählich  auch  Bürger- 
liche in  den  Rat  ein,  innerhalb  des  Kreises  der  Beamtenräte 
beginnend5),  so  dass  also  fortan  adlige  und  bürgerliche  Räte 
gemeinsam  tätig  sind6).  Es  kann  dies  nicht  wundern,  da  in 
Anhalt  überhaupt  die  Städte  stets  eine  bedeutende  Rolle  ge- 
spielt haben,  anhaitische  bürgerliche  Räte  sind  daher  sehr 
häufig  in  Landesangelegenheiten  tätig.  Sogar  bei  der  Ein- 
setzung einer  Regimentsordnung  im  Jahre  1546  werden  neben 
drei  Adligen  auch  drei  Bürger  der  Stadt  Zerbst  als  Laudes- 
verweser bestimmt7).  Wann  in  den  anhaitischen  Rat  eigent- 
lich gelehrte  Elemente  eingedrungen  sind,  lässt  sich  aus  dem 
vorhandenen  Material  nicht  genau  feststellen.  In  einer  Ur- 
kunde vom  Jahre  1497  werden  wohl  als  Schiedsrichter  auf  der 
Seite  des  Grafen  Ernst  von  Anhalt  genannt:  „Doctor  packe 
und  Heinrich  packe,  und  ern  Friedrichen  von  Trothe“8);  es  ist 

(1498).  „Mauritius  Fabri:  — — bat  geantwortet,  er  hab  cs  gehört  im  Rat 
der  von  Aubalt  mit  irer  Mannschaft“.  — „sev  burrig  von  Zerbest  und  den  von 
Anhalt  nicht  weiter  verwandt  als  ein  priester“.  Vgl.  aum.  3;  s.  a.  Bertram- 
Krause  II  S.  302  — 303. 

>)  v.  H.  V 156  (1391);  Reg.  207  (1426),  319  (1439),  332,  333  (1440), 
451,  452  (1452). 

*)  v.  H.  IV  414  (1371);  wären  die  ritterlichen  Räte  Ministerialen,  so 
würden  sie  wohl  nicht  „milites  nostrique  consiliarii“  genannt  worden,  sondern 
„uostri  milites  et  consiliarii“  oder  dgl. 

*)  v.  H.  IV  414  (1371)  und  vor  allem  Wolff  Schlegel  von  Trebbichau, 
der  eine  wichtige  Rolle  gespielt  hat  (H.II.St. Arch.  K.  44,  IV  f.  197  Nr.  18 
(1550);  GAR.  vol.  IV  fol.  6 Nr.  3 (1564),  Nr.  4 (1568);  GAR.  vol.  IV  fol.27 
Nr,  118;  Codex  Anhaltiuus  Minor  S.  15  (1572)). 

‘)  v.  H.  V 451a  (1323),  156  (1391);  IV  414  (1371). 

•)  Reg.  294  (1436),  332,  333  (1440),  379  (1444),  451,  452  (1452),  479 
(1455,i,  654  (1465)  usw. 

*)  Statthalterordnung  (Anhang  2). 

’)  H.H.St.  Arch.  vol.  III  fol.  275/276  Nr.  132  (s.  pag.  68,  8;  70,  3);  s. 
a.  Beckmann  VII  S.  192. 

•)  li.  11. St.  Arch.  K.  44,  Vol.  IV  fol.  61  b X.  44. 

5* 


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ja  leicht  denkbar,  dass  diese  auch  Mitglieder  des  Rates  ge- 
wesen sind,  lässt  sich  aber  doch  nicht  sicher  feststellen.  Im 
16.  Jahrhundert  sind  aber  manche  Beamte  schon  gelehrten 
Standes,  seitdem  sind  also  auch  gelehrte  Räte  wohl  sicher  an- 
zunehmen l). 

Die  Mitglieder  des  Rates  führen  meist  den  einfachen  Titel 
„Rat“  oder  „consiliarius“  *),  vom  15.  Jahrhundert  an  begegnet 
daneben  ziemlich  häufig  die  Bezeichnung  „heymlicher“ 3),  ge- 
wöhnlich in  der  Wendung  „unser  heymlicher  und  lieber  ge- 
truwer“.  Gelegentlich  finden  sich  auch  noch  andere  Bezeich- 
nungen wie  „Ratgeben“ 4),  „mandatarii“ 6),  im  16.  Jahrhundert 
bisweilen  „Hoffräthe“ B)  oder  es  heisst  mit  besonderer  Hervor- 
hebung „verordnete  Räte“  7),  „vorwaute  Rethe“  ®).  Häufig  ist 

')  H.H.St.Arch.  K.  33,  III  69  Nr.  10  (1568).  Verhandlnng  wegen  einer 
Leibzucht:  „Die  Abgesandten  sind  gewesen  von  wegen  der  Fürsten  zu  Anhalt 
Johann  Trnckenrot  Kantzier,  Johann  vom  Berg  Magister,  und  Joban  N\.  Sc- 
kretarius“  (pag.  75,  1). 

*)  v.  H.  V 451a  (1323);  III  884  (1350);  IV  464  (1375),  414  (1371); 
V 156  (1391);  Reg.  207  (1426)  332,  333  (1440),  451  (1452),  460  (1453),  479 
(1455),  515  (1457),  719  (1470);  H.H.St.Arch.  K.  44,  Vol.  IV  f.  101  b Nr.  III 
1 (pag.  66  anin.  3);  K.  33,  vol.  III  fol.  65  Nr.  2 (1556);  K.  33,  Vol.  III  fol. 
71  Nr.  15  (1557);  Vol.  V fol.  275  b Nr.  19  (1560)  (vgl.  pag.  65  anm.  1); 
G.Qu.d.Pr.S.  VI  536  (1517),  28,  1485  (1610);  Beckmann  V 2 S.  8 (1413). 

*)  v.  H.  IV  511  (1377);  Reg.  102,  103  (1416),  294  (1436),  379  (1444), 
515  (1457),  612  (1462),  650,  654  (1465). 

*)  Reg.  461  (1452). 

»)  G.Qu.d.Pr.S.  VI  647  (1547). 

*)  Friese  - Liesegang , Magdeburger  SchüffeusprUehe  (Berlin  1901):  An- 
hang 4 S.  324,  326  (1528);  H.H.St.Arch.  vol.  V fol.  278  Nr.  36.  Bemburgische 
Lebnbrieffe:  1670  Klage  vor  Joachim  Ernst  wegen  eines  Geldstreits:  „gebe 
ich  gncdigst  zu  vermerken,  dass  nicht  von  E.  F.  G.  Hoffrethen  nff  suppli- 
zieren  und  nichtiges  unerhebliches  Irredeiciren  (?)“ ; GAR.  Vol.  IV  27  Nr.  118 
(1570)  (s.  pag.  66,  3). 

’)  H.H.St.Arch.  K.  33  — III  65  Nr.  2 (1556)  „dass  wir  demnach  zu 
Alteu-Braudenburg  Zusammenkommen  oder  bei  Verhinderung  dann  mit  ge- 
nügsamer Vollmacht  unsre  verordnete  Käthe  schicken  sollen“ ; K.  33  — III 
67  b Nr.  8 (1567)  (s.  pag.  65,  1);  vol.  III  233  Nr.  1 u.  2 (16.  Jahrh.):  „Ver- 
zeichnis, welchcrmassen  mein  gnedige  fürstin  und  Fraw  mit  den  Herrn  ver- 
ordneten  Riithen  sich  verglichen , wie  es  hiufilrter  in  ausstheilnng  Brot  und 
Weins  — — nllhier  gehalten  werden  soll“. 

*)  H.H.St.Arch.  Vol  III  275)276  Nr.  132  (1646).  Regimentsordnung: 
-Das  wir  mit  wolbedachtem  mute,  guter  Vorbetrachtung  und  gegeben  Rat 


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auch  die  Bezeichnung  „ geschworner  “ , n geschworne  rede  “ *). 
Letzteres  zeigt,  dass  die  anhaitischen  Räte  ilirem  Landesherrn 
gegenüber  eidlich  verpflichtet  sind2).  Gegebenenfalls  können 
sie  dieser  Pflicht  entledigt  werden3). 

Über  die  Anstellung  der  Räte  erfahren  wir  nichts  Näheres, 
eine  eigentliche  Ratsbestallung  hat  sich  nicht  gefunden.  Jeden- 
falls ist  die  Auswahl  und  Ernennung  der  Ratsmitglieder  dem 
Ermessen  des  Landesherrn  freigestellt4).  Eine  Verpflichtung 
seinerseits  besteht  nicht.  Die  Räte  sind  wohl  auch  nicht, 
ausser  den  einzelnen  Beamtenräten,  ständig  am  fürstlichen 
Hofe  anwesend,  sie  sitzen  vielmehr  auf  ihrem  eigenen  Besitz 
und  sind  nur  verpflichtet,  bei  Aufforderung  im  Rate  zu  er- 
scheinen oder  spezielle  Dienstleistungen  zu  übernehmen.  Nach 
dem  jeweiligen  Aufenthalt  des  Fürsten  wechselnd  finden  sie 
sich  am  landesfürstlichen  Hofe  ein,  um  dann  an  den  Beratun- 
gen teilzunehmen.  Bei  der  geringen  Anzahl  erprobter  Männer 
ist  eben  ein  zahlreicher  Stand  von  Räten  eine  unentbehrliche 
Aushilfe  des  Landesherrn,  derselbe  verleiht  daher  gewisser- 
massen  eine  Art  Ratswürde.  Der  Titel  „Rat  von  Haus  aus“, 
der  in  manchen  deutschen  Ländern  für  solche  Räte  üblich  ist5), 
findet  sich  in  den  anhaitischen  Urkunden  nicht. 

Ein  besonderer  engerer  oder  geheimer  Rat  existiert  in  An- 
halt bis  1574  nicht.  Doch  wird  aus  der  Gesamtheit  der  Räte 
wohl  früh  schon  immer  nur  eine  kleinere  Anzahl  regelmässig 
zu  Rate  gezogen  sein.  Namentlich  seit  dem  15.  Jahrhundert 
kehren  in  den  anhaitischen  Urkunden  die  Namen  einzelner  be- 
stimmter Räte  immer  wieder8).  Indem  einzelne  Mitglieder  zu 

nnsr  fruntlicb  lieben  Bruder  auch  ander  unser  getreuw  vorwante  Rethe  und 
Underthan  vom  Adel  und  Bürgerschaft“. 

')  Reg.  461  (1452);  Friese-Liesegang  I 2 Nr.  30  (1447);  H.  H.St.Arch. 
vol.  I 461  b Nr.  3 (1498)  (s.  pag.  66,  3). 

*)  Dies  zeigt  auch  Reg.  386  (1444),  452  (1452). 

*)  H. H.St.Arch.  Vol.  I 461  b Nr.  3 (s.  pag.  66,  3)  (1498). 

‘)  v.  H.  V 177  (1392). 

s)  Isaaksohn  S.  30;  H.  B.  Meyer  S.  22;  Rosenthal,  Gerichtswesen  S.  570; 
Rachfahl  S.  74;  Schmollet  S.  51. 

*)  Johannes  Buchener  (Reg.  294,  451,  452,  479,  654  (1436 — 1466);  Klaus 
Lattorf  (Reg.  319,  332,  333,  451,  452,  460  (1439—1453);  Matthias  von  Re- 
dern  (Reg.  379,  451,  452,  460  (1444—1453);  Oswaldt  Bose  (Reg.  460,  479 


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regelmässiger  fortlaufender  Tätigkeit  im  Rate  verhalten  werden, 
konstituiert  sich  so  allmählich  ganz  von  selbst  doch  der  anhaitische 
Rat  fester.  Und  dazu  kommt  weiter,  dass  in  den  anhaitischen 
Territorien  wie  es  scheint  seit  der  Mitte  des  15.  Jahrhunderts 
mit  der  Erledigung  der  Ratsgeschäfte  immer  ausschliesslicher 
landesherrliche  Beamte  beauftragt1)  werden;  seit  dem  16.  Jahr- 
hundert lassen  sich  als  die  eigentlich  tätigen  Räte  in  Anhalt 
nur  noch  Beamte  nachweisen  *).  Die  anhaitischen  Fürsten 

haben  es  also  verstanden,  den  ursprünglich  ganz  allgemeinen 
Vertrauensrat  allmählich  zu  einem  ihnen  fest  ergebenen  und 
fast  nur  noch  in  ihrem  Dienste  wirkenden  Beamtenrat  zu 
machen.  Allerdings  haben  sie  die  Stände  doch  nie  gauz  aus- 
schliessen  können,  wie  sich  deutlich  bei  der  Einsetzung  der 
Regimentsordnung  im  Jahre  1546  zeigt3). 

Die  Tätigkeit  des  Rates  ist  eine  sehr  vielseitige,  die  Art 
seiner  Wirksamkeit  findet  ihren  bezeichnendsten  Ausdruck  im 
Kommissionsweseu4).  Eine  Mehrheit  von  Räten  bildet  einen 
gemeinsamen  Beratungskörper,  der  in  jedem  einzelnen  Falle 
beliebig  neu  zusammengesetzt  wird.  Der  Beschluss  der  Majo- 
rität ist  bindend5).  Einzeln  oder  in  Gruppen,  je  nach  dem  Er- 

(1453 — 145b);  Hans  von  Zeinitz  (H.H.St.Arch,  K.  33  — III  65  Nr.  2 (1556) 
(s.  pag.  65,  1);  Vol.  V 275b  Nr.  19  (1560)  (s.  pag.  65,  1);  Haus  Statiua  (H. 
H.St.Arch.  K.  33  — III  67  b Nr.  8 (1567);  K.  33  — III  71  Nr.  15  (1557) 
(s  pag.  65,  1);  tfAR.  vol.  IV  27  Nr.  118  (1570);  ebenso  Antbouius  Rosenau; 
s.  a.  Ilintze  S.  138. 

•)  Reg.  379  (1444),  451,  452  (1452),  460  (1453),  479  (1455),  515  (14571, 
612  (1462),  654  (1465);  G.Qu.d.Pr.S.  28,  1485  (1510). 

*)  G.Qu.d.Pr.S.  VI  536  (1517);  H.H.St.Arch.  K.  33  — III  65  Nr.  2 
(1556);  K.  33  — III  71  Nr.  15  (1557);  K.  33  — III  67  b Nr.  8 (1567);  vol. 
V 275  b Nr.  19  (1560)  (s.  pag.  65,  1). 

*)  H.H.St.Arch.  Vol.  HI  275/276  Nr.  132:  „Erstlich  wollen  und  ordnen 
wir  das  Sechs  personell  als  unsre  Rete  und  befehlhabcrer  neben  unbsern 
Cantzier,  so  wir  zu  ider  Zeit  haben  wurden,  sein  und  sitzen  sollen.  Prey 

vom  Adel und  von  Bürgern  unsrer  Stad  Zerbst  aussm  Rat,  Schiipfeu- 

stubl  und  gemeine  auch  drey*. 

•)  Lamprecht  S 1438;  v.  Wretschko  S.  173  ff. ; Schmoller  S 51,  59; 
v.  Below,  Territorium  S.  298;  Rosentbal,  Gerichtswesen  S.  252  ff. ; v.  Posern- 
Klett  S.  54  ff, 

6)  H.H.St.Arch.  Vol.  III  fol.  275/276  Nr.  132,  Regimentsordnung  (1546) 
„und  worauf  der  mehrere  teil  schliesst,  darauf  das  antwort  und  befehl  ge- 
stalten'“ (s.  ft.  pag.  78,  8). 


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messen  des  Landesherrn , werden  die  Ratsmitglieder  zur  Er- 
ledigung der  verschiedenartigsten  Geschäfte  herangezogeu. 
Festbegrenzte,  spezialisierte  Tätigkeit  hat  keiner  der  Räte,  be- 
stimmte Ressorts  oder  Dezernate  gibt  es  noch  nicht.  Ebenso- 
wenig ist  die  Beratung  bestimmter  Geschäfte  an  eine  feste 
Zahl  solcher  Räte  gebunden.  Eine  geschlossene  Behörde  ist 
der  Rat  noch  keineswegs,  dazu  fehlt  ihm  jede  Ständigkeit;  er 
ist  vielmehr  durchaus  formlos  und  vielfachem  Wechsel  unter- 
worfen. 

Ob  eine  Rangordnung  innerhalb  des  Rates  besteht,  lässt 
sich  nicht  genau  feststellen;  nur  einmal  begegnet,  allerdings 
schon  im  Jahre  1371 der  Titel  „summus  consiliarius“  bei 
einem  Geistlichen,  was  immerhin  auf  einen  gewissen  Vorrang 
seines  Inhabers  unter  den  Räten  hinweist.  Doch  scheint  der- 
selbe nur  rein  sachlich  gewesen  zu  sein.  Der  Geistliche  als 
der  einzige  Schriftkundige  ist  eben  bei  den  Ratssitzungen  der 
erste  und  nächste,  den  der  Fürst  befragen  wird,  die  wichtigste 
Persönlichkeit  für  die  Fixierung  der  Beschlüsse.  Persönlich 
ist  der  summus  consiliarius  den  ritterlichen  Räten  nicht  über- 
geordnet, wird  vielmehr  in  der  Zeugenreihe  erst  nach  ihnen 
aufgeführt.  Immerhin  lässt  aber  der  Titel  doch  auf  eine  ge- 
wisse Ordnung  innerhalb  des  landesherrlichen  Rates  in  dama- 
liger Zeit  schliessen.  Aus  späterer  Zeit  ist  nichts  Ähnliches 
mehr  nachzuweiseu,  jedenfalls  hat  wohl  der  Kanzler  die  oberste 
Ratsstelle  eingenommen 8). 

Die  Zuziehung  des  Rates  zu  den  einzelnen  Regierungs- 
geschäften lässt  sich  aus  einer  Menge  Urkunden  nachweisen. 
Es  heisst  dann,  die  Handlungen  seien  vorgenommen  „de  nostro- 
rum  consiliariorum  persuasioue“  *),  „usns  consilio  suorum  consi- 
liorum“4),  „mit  wolbedachtem  mute  und  vulbort  unsis  rathis“ 5), 


')  v.  H.  IV  414. 

s)  Ob  summus  consiliarius  die  Kauzlerstelle  gewesen  ist,  wie  Beckmann 
VII  S.  168  vermutet,  lässt  sich  nicht  bestimmt  entscheiden,  da  in  derselben 
Urkunde  noch  eiu  prothonotarius  uuter  den  Zeugen  genannt  wird,  welcher 
Titel  ebensogut  auf  die  Kanzlersteile  binweisen  kann. 

*)  v.  II.  III  884  (1350). 

*)  v.  H.  IV  464  (1375). 
s)  v.  H.  V 213  (1394). 


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„mit  gutem  rathe  unser  heymeliclie»  unde  lieben  gbetruwen“  *), 
„mit  guthem  Vorrathe  unser  heimlichen  und  lieben  getreuwcu 
Manne“8),  „mit  entrechtigem  Rate  unser  freunde,  unsr  rete, 
unsr  lieben  Getruven  Manschaft  und  Burger“ 3)  u.  dgl. 

Die  Befragung  des  Rates  ist  natürlich  freier  Wille  des 
Landesherrn,  nur  zweimal  lässt  sich  eine  freiwillige  Verpflich- 
tung anhaitischer  Fürsten  nachweisen 4).  Bei  einem  im  Jahre 
1392  abgeschlossenen  Vergleiche  machen  die  Fürsten  Sigis- 
mund I.  und  Albrecht  IV.  ihre  „macht  zu  vorsetzen“  davon 
abhängig,  „also  dicke  uns  das  not  wird  und  unszer  rat  er- 
kennet, das  es  vor  land  und  luthe  sy“4),  und  im  Jahre  1432 
verpflichtet  sich  Fürst  Georg  von  Anhalt  gelegentlich  einer 
Aufforderung  zur  Hilfeleistung  für  den  Erzbischof  von  Magde- 
burg den  Zerbster  Bürgern  gegenüber,  dem  Erzbischof  keine 
Antwort  zu  geben  „ane  rat  unser  manen,  uwer  und  ander  un- 
ser stete“ 5).  Es  handelt  sich  hier  also  beide  Male  um  eine 
grossere  Sicherstellung  der  Interessen  der  Beteiligten. 

Der  Wirkungskreis  des  Rates  erstreckt  sich  auf  alle  Ge- 
biete des  Staatslebens®),  bei  Fragen  der  äussern  Politik,  wie 
der  innern  Verwaltung,  wie  bei  gerichtlichen  Entscheidungen 
finden  wir  Ratsmitglieder  tätig.  Im  allgemeinen  ist  er  ledig- 
lich beratende  Behörde,  nur  in  Abwesenheit  des  Landesherrn 
selbständig;  er  trägt  mit  die  Entscheidung  über  das  Wohl  und 
Wehe  des  Landes  ’). 

Namentlich  für  jegliche  Art  von  Verhandlungen  werden  Kom- 
missionen von  Räten  abgeordnet.  Mitglieder  des  landesherrlichen 


')  v.  H.  IV  511  (1377);  H.H.St.  Arch.  K.  44  — IV  86  Nr.  41  (1465) 
(8.  pag.  65,  1). 

*)  Reg.  102,  103  (1416). 

»)  Beckmann  V 2 S.  8;  H.H.St. Arch.  Vol.  III  275/276  Nr.  132,  Regi- 
meutsordnung  (1546)  (s.  pag.  68,  8). 

*)  v.  H.  V 177  (1392). 

*)  G. Qn.d.Pr. S.  27,  291  (1432);  vgl.  Barth  S.  380. 

*)  v.  Posem-Klett  S.  54  ff, ; Isaaksohn  S.  33;  Stölzel.  Brandenb.-Preuss. 
Rechtsgesch.  S.  98;  B.  Meyer  S.  23  ff. ; Wintterlin  S.  12,  17;  v.  Wretschko 
S.  174;  v.  Below,  Territorium  S.  293;  Schmoller  S.  51;  Roscntbal.  Gerichts- 
wesen S.  254 ff. ; v.  Maurer,  Fronhöfe  S.  239  ff  ; Spangenberg  S.  115;  v.  Krones, 
Landesfiirstl.  Behörden  S.  201;  Rachfahl  S.  435. 

’)  v.  U.  V 177  (1392). 


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Rates  begegnen  uns  innerhalb  des  Landes  als  Schiedsrichter,  als 
Vermittler  von  Vergleichen  *),  sie  schliessen  Kaufverträge  und 
Belehnungen  ab  im  Namen  oder  als  Vertreter  ihres  Fürsten2), 
oder  sie  sind  doch  wenigstens  dabei  tätig3);  einmal  wird  auch 
die  Entscheidung  über  bauliche  Veränderungen  eines  Schlosses 
einer  Kommission  von  Räten  übertragen4).  Gerade  eben  in 
der  inneren  Verwaltung  sind  die  Ratsmitglieder  mannigfach 
beteiligt,  so  mauche  inneren  Angelegenheiten  des  Landes,  wie 
z.  B.  der  gute  Zustand  von  Holz,  Mühlen,  Dämmen6)  werden 
im  landesfürstlichen  Rate  bedacht  und  darüber  beschlossen. 
Werden  in  den  Ämtern  neue  Vorweisregister  und  Haushaltungs- 
anschläge angelegt,  so  haben  Räte  „alles  anweisen,  huldigen 
und  schwören  zu  lassen“6),  „mit  den  Herrn  Räthen“  wird  ver- 
glichen, „wie  es  in  ausstheilung  Brot  und  Weins“  am  anhai- 
tischen Hofe  gehalten  werden  soll7).  Mitglieder  des  Rates 
werden  zur  Prüfung  von  Rechnungen  herangezogen 8),  in  der 
Verwaltung  der  Kammer  sind  besondere  „Kammerräthe“  ange- 
stellt9). Die  Räte  sind  die  berufenen  Vertreter  des  Landes- 
herrn bei  Abwesenheit  oder  Krankheit  in  der  Regierung  des 
Landes10);  bedeutend  ist  auch  ihre  Wirksamkeit  bei  Verhand- 
lungen mit  den  Landständen.  Sie  sind  die  eigentlichen  Ver- 


*)  Reg.  440  (1451),  451  (1452),  479  (1455),  612  (1462),  719  (1470). 

*)  Reg.  207  (1426),  361  (1442),  460  (1453). 

*)  Reg.  379  (1444);  H.H.St.Arch.  K.  44  — IV  101b  Nr.  III  1 (1485) 

(g.  pag.  66,  3);  K.  44  — IV  60  Nr.  41  (1492).  Kaufbrief  Joh.  Bneheners: 

„by  gütlichem  kouffe  äiut  gewesen  — — Heinrich  von  Ameuilorf  nnde  Hans 
von  Trupitz,  bei  sullichcr  vorczihnnge  des  briefes  syn  keghenvertuk  gewehsen 
dy  vvyrdigen  und  erbarn  hem  Mauricius  Fabri  unbser  pfarer  zcu  Dessauw“ 
(pag.  66,  3). 

*)  Reg.  10  (1401). 

5)  Rentmeisterinstruktion  (Anhang  4)  (1574). 

*)  H.H.St.Arcb.  K.  33  — UI  71  Nr.  15  (s.  pag.  65,  1)  (1557). 

*)  H.H.St.Arcb.  Vol.  III  233  Nr.  1 und  2 (16.  Jahrh.)  (s.  pag.  68.  7). 

*)  Statthalterinstruktion  (Anhang  2)  (1574). 

*)  H.H.St.Arcb.  Vol.  III  233  Nr.  1 und  2 (16.  Jahrh.).  „Item  wann  ein 
Fass-,  es  gcy  von  Räthen,  gesinde,  ehr  oder  andern  weinen  mitt  vorwissen 
und  gutt  ansehen  Kammermeisters,  Hausshofineisters , Kammerräthe,  auch 
Kastkellers  angestochen  wurde“. 

’°)  H.H.St.Arcb.  Vol.  111  275  276  Sr.  132  (1546),  Regimentsordnung 
(s.  pag.  70,  3). 


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mittler  zwischen  Fürst  uud  Ständen,  da  ja  immer  mehrere 
von  ihnen  dem  Ritterstand  angehören  lind  Mitglieder  der  Land- 
schaft sind.  So  oft  in  den  anhaitischen  Landtagsabschieden 
im  16.  Jahrhundert  Steuern  bewilligt  werden  und  ein  Ausschuss 
dafür  eingesetzt  wird,  sind  stets  einige  Mitglieder  des  landes- 
fürstlichen  Rates  darin  und  wirken  bei  Erhebung  der  Steuer 
als  Vertreter  der  Regierung  mit1). 

Eine  sehr  wichtige  Rolle  spielt  der  Rat  auch  auf  dem  Ge- 
biete der  äussern  Politik.  Gerade  die  diplomatischen  Verhand- 
lungen mit  andern  Reichsfürsten  werden  stets  durch  beiderseitige 
Ratgeben  geführt.  Räte  werden  als  Gesandte  an  andere  Höfe 
geschickt  *)  und  haben  an  dem  Hofe  ihres  Landesherrn  die 
Unterbringung  fremder  Gesandten  zu  regeln 3).  Sie  treten  als 
Werber  für  ihre  Fürsten  auf4),  führen  als  Vertreter  ihres 

')  H.H.St.  Arch.  GAR.  vol.  IV  5 Nr.  1 (1547),  Landtag  und  gewilligte 
Steuer  zu  Zerbst:  „ Auszug  der  verordneten  entnahmen  der  gewilligten  Land- 
stener  — — Act.  in  die  Petri  Pauli  anno  1547.  durch  Johan  Schulzen,  Ur- 
bauurn  Paryse  und  Authonium  Rosenau  berechent  genommen“;  GAR.  vol. IV 
6 Nr.  3.  Landtagsabschied  von  1564,  „Zu  diesser  und  aller  der  Stede  nnd 
gemeine  Landschafft  gewilligter  Hulf  und  Steuer  sollen  zu  iderzeit,  zweite 
von  beidenn  nusern  gnädigen  Filrstenn  und  Heran,  nemlich  Wulff  schlegel  zu 
Trebbichauw,  und  Rentmeister  zu  Czerbst  urbanus  Otto  — — geordent 
werden;  GAR.  vol.  IV  6 Nr.  4,  Landtagsabschied  von  1568:  „Zu  dieser  und 
aller  der  Stedte  und  gemeiner  Laudschafft  gewilligter  Hulff  und  Steuer  solleu 
in  der  Zeitt  zweite  vouu  unserm  guedigem  Fürsten  und  Herrn  uud  der  Ritter- 
schaft, uembliclien  Wolff  Schlegel  und  Christoff  Zannthier  — — geordennt 
werden“ ; Codex  Auhaltinus  Minor  1727  (Leipzig  1864)  S.  13,  15,  17. 

>)  G.Qu.d.  Pr.S.  XXVIII  1485  (1510). 

*)  H.H.St. Arch.  Vol.  III  233  Nr.  1 uud  2 (16.  Jahrh.):  „letzlich  soll 
hinfurtter  uiemaudt,  wer  der  auch  wer,  oue  unser  gnedigen  Fürstin  und 
Frawen  vorwissen  eingelassen  werden,  so  aber  Graweu,  Herrn  vom  Adel  oder 
anmlerc  Gesandten  alhir  ankhommeu  würden,  sic  betten  in  der  Kanzlei  zu 
schaffen  oder  nitt,  uud  solches  den  Itiitheu  bewusst  were  ader  sonnsten 
andere,  wer  die  auch  sein  möchten,  beim  marschalkh  oder  llausshowemeister  an- 
hiellten  und  gehn  Hofe  begerten,  Sollen  sie  cs  allerwegen  meiner  gnedigen 
Fürstin  und  frawen  anzeigeu  lasssen  oder  In  ein  Zettel  Uberschicken,  wer 
dieselbigcn  seien  und  wasss  sie  zu  verichteu  haben,  wurt  Ihme  darauf!  be- 
schcide  erfolgen,  wie  ers  initt  eiulassung  selbiger  Personen  halten  soll“. 

“)  H.H.St. Arch.  K.  34  — III  99  Nr.  1 (1492),  Herzog  v.  Münsterberg 
und  Georg  von  Anhalt  über  einen  Ehevertrag:  „dem  hochgebornen  Fürsten  Ge- 
orgen zu  Anhalt  und  seinem  Bruder  mitsammt  Hanse  Traupitzen  als  ge- 
schickten Werbern  (s.  pag.  66,  3). 


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Laudesherrn  Verhandlungen,  besonders  an  auswärtigen  Orten, 
über  Ehestiftungen  wie  die  Regelung  bei  Sterbefällen  mit 
ganzer  Vollmacht1),  wobei  sie  die  Interessen  ihres  Herrn  vor- 
züglich zu  vertreten  wissen  *).  Hat  der  Fürst  mit  andern 
Herrschern  oder  Vornehmen  etwas  zu  begleichen,  Verkäufe 
oder  Sühneverträge  abzuschliessen,  so  geschieht  dies,  wie  bei 
derartigen  Fällen  im  eigenen  Lande,  auch  hier  fast  stets  durch 
mehrere  Mitglieder  des  Rates 3).  Streitigkeiten  der  Anhaltiner 
untereinander  entscheidet  eine  Kommission  von  Räten4).  Räte 
führen  als  bestellte  Anwälte  des  Fürsten  gerichtliche  Pro- 
zesse5); allerdings  bedienen  sich  die  anhaitischen  Fürsten  meist 
noch  besonderer  Anwälte 6).  Besonders  bei  Bündnissen  mit 
andern  Fürsten  wird  meist  eine  Kommission  von  beiderseitigen 

•)  H.H.St.Arch  K 33  — III  65  Nr.  2 (1556)  (s.  pag.  65,  1;  68,  7): 

K.  33  — III  67  b Nr.  8 (1567)  (s.  pag.  65,  1);  K.  33  — III  69  Nr.  9 (1568): 
Schreiben  d.  Kurfürsten  von  Meissen  an  Joachim  Ernst  und  Bernhard  von 
Anhalt  wegen  der  Leibzucht  der  jetzigen  Kurfürstin:  „Weil  dan  Jüngsten  zu 
Leipzigk  E.  L.  Bcthe  und  Diener,  die  wir  damals  durch  die  unsern  dahin 
abgefertigten  derentbalben  haben  ansprecheu  lassen , sich  mit  den  unsern 
dahin  verglichen , dass  zu  abhelfunge  angeregter  Punkten  beiderseits  E. 

L.  sowohl  unser  nnd  die  Pommerschen  Rethe  nf  den  Montagk  nach  Invo- 
cawit  zu  Leipzigk  zusammen  kommen,  doch  das  wir  solches  E.  L.  in  mittelst 
freundlichen  anmelden  möchten,  ob  wir  mit  solchem  Tage  also  zufrieden  — 
— deswegen  so  bitten  wir  freundlichen  E.  L.  wolle  derselben  Rethe  auf  be- 

rurten  tagk nach  Leipzigk  auch  abfertigen,  damit  solche  Handlung 

vor  die  Handt  genommen  und  dadurch  Ihre  endliche  erledigung  bekommen 
inugen“. 

*)  H.H.St.  Arch.  K.  33  — III  67  b Nr.  8 (1567)  (s.  pag.  65,  1):  „welches 
(betreffend  Holzhandel)  die  Aubaltischen  aus  allerhant  vorgewanden  und 
sonst  bedenklichen  Ursachen  ohne  sonderlichen  Befehl  nicht  eiugeheu  können, 
solidem  ein  jedes  Teil  solche  erst  hinter  sich  bringen4. 

*)  v.  II.  V 102  (1388),  156  (1391),  178  (1392) ; Reg.  332  (1440),  515 
(1457). 

*)  Reg.  451,  452  (1452). 

*)  (J.Qn.d.Pr.S.  VI  646,  617  (1547). 

•)  M.V.f.A.O.  VIII  5 8.443,  447,  449;  Bertram -Krause  II  S.  303; 
H.H.St.Arch.  vol.  I 461b  Nr.  3 (1498),  Kammergerichtsbescheid:  „Nachdem 
wir  selbst  entgegen  nicht  sein,  mögen  die  gelehrten  hochwürdigen  Doctor  Jo- 
hann Rechling,  Doctor  Georgen  Schrottei,  auch  Ern  Jcronimtuu  .Schulten  Liceu- 
tiaten  und  den  fursichtigen  Ambrosium  Schonberg,  alle  vier  — — geben 
Ihnen  uud  ordnen  sie  zu  unsern  Auwäldern  unser  volkommeu  gewalt  und 
macht4. 


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Räten,  gewöhnlich  zwei  von  jeder  Partei  eingesetzt,  um  die 
gemeinsamen  Angelegenheiten  zu  regeln,  wie  Festsetzung  der 
nötig  werdenden  Hilfe,  Einquartierung  der  Mannschaften,  Ver- 
teilung des  erbeuteten  Besitzes  u.  dgl.,  und  vor  allem  um  etwa 
entstehende  Uneinigkeiten  als  Schiedsrichter  zu  schlichten l). 
Hierbei  wird  ihnen  ganz  freie  Hand  gelassen,  die  Fürsten  ver- 
pflichten sich,  was  sie  ausmachen  und  wie  sie  entscheiden, 
auch  zu  halten  und  sich  daran  genügen  zu  lassen,  ohne  es 
ihnen  irgendwie  zu  verargen2).  Allerdings  müssen  die  Rat- 
geben wohl  stets  durch  einen  Eid  geloben,  „ohne  Begünstigung 
ihres  Herrn  und  ohne  Hass  gegen  die  andere  Partei“  ihren 
Rat  zu  geben  ®).  Auch  wenn  diese  Bevollmächtigten  sich  nicht 
einigen  können,  wird  meist  noch  „aus  eines  der  beiden  Herren 
Räte“  auch  der  Obmann  genommen4). 

Mit  die  grösste  Tätigkeit  entfaltet  der  landesherrliche  Rat 
auf  dem  Gebiete  der  Rechtsprechung5);  durch  sein  Kommissions- 
wesen ist  er  ja  auch  so  recht  geeignet  zur  richterlichen  Be- 
hörde. Viele  Fälle  verlangen  die  richterliche  Entscheidung  des 
Landesherrn  selbst,  andere  Rechtssachen  gehören  ein  für  alle- 
mal au  den  Hof  des  Landesherrn,  endlich  ist  der  Landesfürst 
oberste  Berufungsinstanz  für  seine  Untertanen.  Zu  seinen  richter- 
lichen Entscheidungen  nun  wird  er  stets  durch  Erfahrung  und 
juristische  Kenntnisse  befähigte  Personen  hinzuziehen.  Diese 
findet  er  natürlich  am  besten  in  seinem  Rat. 

Ein  eigentlich  beständiges  Hofgericht  dagegen  findet  sich 
in  Anhalt  nicht.  Nur  einmal  lässt  sich  im  Jahre  1458  am  Hofe 
des  Fürsten  Georg  zu  Köthen  ein  Hofrichter  nachweisen, 
der  mit  seinen  Schöppen  „und  mete  gesessen  des  genannten 

')  v.  H.  V 102  (1388),  225  (1394)  281  (1398);  Reg.  102,  103  (1416),  138 
(1419).  211  (1426),  386  (1444). 

5)  Reg.  10  (1401),  26  (1404)  47  (1406)  53  (1407),  66  (1410),  138  (1419), 
192,  193  (1424),  451,  452  (1452). 

•)  Reg.  452,  451  (1452). 

')  Reg.  47  (1406),  53  (1407),  102,  103  (1416),  192,  193  (1424),  211 
(1426),  386  (1444). 

5)  Stölzel,  Brawlenb.-Prenss.  Reehtsgeseh.  S.  98  ff. ; Holtze  S.  107; 
H.  B.  Meyer  S.  44;  v.  Posern-Klett  S.  58 ff.:  Wintterlin  S.  18,  21;  Rosen- 
tlial,  Gerichtswesen  S.  135 ff. ; v.  Below,  Territorium  S.  287;  Stölzel,  Ge- 
lehrtes Ricbtertum  S.  206  ff.,  240  ff. 


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hoffegerichtes“  über  einen  Rechtsstreit  entscheidet1).  Sonst 
haben  sich  keine  bestimmten  urkundlichen  Nachrichten  weiter 
vorgefunden.  Die  Möglichkeit  eines  gelegentlichen  Bestehens 
des  Hofgerichtes  kann  aber  doch  wohl  nach  den  Nachrichten 
Beckmanns  und  Bertram-Krauses2)  nicht  ohne  weiteres  abge- 
wiesen werden;  auch  in  der  Polizei-  und  Landesordnung  vom 
Jahre  1572  wird  auf  eine  ev.  nötig  werdende  Einrichtung  einer 
solchen  Behörde  hingewiesen3). 

Im  allgemeinen  scheinen  jedoch  Landesherr  und  Räte  in 
Anhalt  das  Hofgericht  gebildet  zu  haben,  das  in  jedem  ein- 
zelnen Falle  nach  Umständen  besetzt  wird;  die  notwendigen 
Angelegenheiten  werden  im  übrigen  an  die  Kanzlei  verwiesen4). 
Die  Stellung  der  Räte  als  gerichtlicher  Personen  ist  sehr  ver- 
schieden. Mitglieder  des  Rates  werden  entweder  nur  als  Bei- 
sitzer und  Urteilsfinder  verwandt,  der  Landesherr  tritt  selbst 
als  Richter  auf  und  zieht  die  andern  nur  zu  Rate5),  oder  er 
tiberlässt  seinen  Räten  die  Voruntersuchung,  was  namentlich 
bei  Verhandlungen  an  auswärtigen  Orten  der  Fall  ist6),  oder 
die  Mitglieder  des  Rates  sitzen  als  „verordnete  Räte“  zu  Ge- 
richt und  fällen  selbst  das  Urteil7). 

Den  Räten  ist  vor  allem  die  Beurteilung  und  Entscheidung 
über  Streitigkeiten  des  Hofgesindes  unter  sich  tiberlassen8). 
Ferner  ist  der  anhaitische  Rat  richterliche  Behörde  bei  pein- 


')  Reg.  537.  „Vincentins  Czorre“  mit  Kamen. 

’)  Beckmann  IV  6 S.  550  (1561);  Bertram- Krause  S.  301,  320. 

')  P.u.L.O.  VIII  (1572).  „Und  do  wir  es  vor  nottwendig  achten,  in 
unsern  Landen  ein  Boffgerichte  zu  ordenen,  zu  bestellen  und  zu  Publicieren“. 

*)  Beckmann  IV  6 S.  550;  Bertram-Krause  II  S.  320;  s.  a.  Stölzel,  Ge- 
lehrtes Richtertum  S.  255,  423  ff. 

*)  Friese-Liesegang  I Abt.  2 Kr.  30  (1447);  Reg.  382  (1444). 

*)  G.Qu.d.Pr.S.  VI  536  (1517);  H.H.St.Arch.  vol.  V 278  Nr.  35  (1570) 
(s.  pag.  68,  6). 

’)  Friese-Liesegang,  Anhang  4 S.  324  , 326  (1528). 

e)  H.H.St.Arch.  vol.  III  234  Nr.  6,  Hofordnung  (1570):  „Würde  aber 
einige  Uneinigkeit  sich  zwischen  jemand  zntragen,  so  soll  uff  den  Fall 
niemand  sein  eigner  Richter  sein,  sondern  solches  an  unsre  Rethe  und  Be- 
feblhaber  gelangen,  sollen  die,  wo  wir  selbst  verhindert,  gebührliches  und 
billiges  einsehen  haben , denn  rechten  schützen , den  Unrechten  straffen  und 
sie  auch  der  Uneinigkeit  vertragen“. 


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liehen  Sachen  im  Lande1),  Berufungsinstanz  für  die  Bezirks- 
gerichtsbarkeit 8)  des  Vogtes  und  Amtmanns;  Oberinstanz  über- 
haupt für  mancherlei  Fälle  der  ländlichen  Gerichtsbarkeit,  wie 
wir  aus  der  Polizei-  und  Landesordnung  von  1572  erfahren8). 
So  ist  das  Kollegium  der  Räte  z.  B.  bei  Ehe-4)  und  Vormund- 
schaftssachen5) zuständig,  etwaige  Schädigungen  der  Ämter 
sollen  dem  Landesherrn  oder  seinen  Räten  gemeldet  werden6), 
die  Verordnungen  für  die  Anwälte  im  Lande  ergehen  ebenfalls 
vom  Landesherrn  und  seinen  Räten7). 

Der  Hergang  bei  einer  Gerichtssitzung  der  Räte  wird  in 
der  Regimentsordnung  von  1546  beschrieben8).  Es  wird  hier 
bestimmt,  dass  der  Kanzler,  bei  dem  die  Klagen  einzureichen 
sind,  dieselben  den  andern  Räten  zu  einer  bestimmten  Stunde 
vorlesen  soll.  Jeder  sagt  dann  nacheinander  seine  Ansicht, 
ohne  dass  ihm  ein  anderer  dazwischenredet.  Hierauf  hält  der 
Kanzler  die  Umfrage,  und  alles  wird  kurz  aufgezeichnet;  die 
Mehrheit  der  Stimmen  entscheidet. 

')  H.H.St. Arch.  vol.  III  275/276  Nr.  132,  Regimentsordnung  (1546):  „In 
peinlichen  Sachen  sol  sich  kein  Amptmaun  oder  Schosser  einlasseu,  sondern 
wo  Jemandes  von  wegen  seiner  Misshandlung  ader  auf  anzeichen  eines 
clegers,  der  doch  zuvor  solchen  mit  Recht  abzubriugen  geloben  sol,  einge- 
zogen, ausserhalb  hauthafter  Tat.  welche  sie  doch,  wo  die  suchen  nicht 
eylend  und  zu  besorgen  das  sie  entwenden  mochten,  au  unser  Rath  und  unsre 
Rethe,  Befeblhabere  vorwissen  nicht  tliun  sollen,  so  soll  alsbald  dasselbe 
uusern  Reten  und  Befebelhaberu  nach  gütlich  Bruch  vormcldet  werden“. 

')  (i.Qu.d.Pr.  S.  II  423  (1454);  s.  a.  Stölzel . Gelehrtes  Richtertnm 
S.  206  ff. 

')  P.u.L.O.  VIII  Abs.  1. 

“)  P.u.L.O.  III  Abs.  15. 

s)  P.u.L.O.  XXXVII  Abs  2. 

•)  P.u.L.O.  XII  Abs.  2. 

’)  P.n.L.0.  IX  Abs.  4. 

*)  II.  II. St. Arch.  Vol.  III  275/276  Nr.  132:  „den  lenten,  so  zu  clagen 
haben  geistlich  oder  weltlich,  vormeldet  werden  soll,  dass  sic  ihre  snpplica- 
tioues  uff  n.  tage  in  der  Wocli  dem  l 'anzier  gegeu  Abend  zu  erbrechen,  so 
nicht  in  unser  eigen  haut  geschrieben,  überantworten.  Welcher  d.  volgemles 
tags  N.  dieselben  den  andern  Rethen  ferner  umb  n.  hora  ira  Sommer  und  n. 
hora  im  Winter  furlesen,  daranf  ein  Jder  sein  bedenken  nach  einander  sagen 
soll  von  Hanptman  anzusetzen,  do  keiner  deine  andern  iureden  sondern  güt- 
lich aushoeren  und  der  Caiitzler  die  umbfrage  thun  und  alle  Ordnunk  kurz 
aufzeichnen  und  worauf  der  mehrere  teil  schlicsst,  darauf  das  antwort  und 
befehl  gestalten“. 


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In  der  Ausübung  der  richterlichen  Tätigkeit  werden  den 
Bäten  ganz  bestimmte  Vorschriften  gegeben.  „Die  Laster  und 
Misshandelunge  “ sollen  sie  „ vormuge  der  Rechte  ernstlich 
strafen  und  darin  nicht  conniuiren“,  andererseits  sollen  sie  aber 
auch  nicht  „mit  unbilligen  Straffen  und  Buessen  jemandes  be- 
schweren“; es  wird  darum  angeordnet,  dass,  „wo  dieselbige 
in  beschrieben  Rechten  ausgedruckte  Peen  haben,  das  vormuge 
derselbigen  Vorfahren  und  mit  keiner  höher  Straffe  die  Leute 
beleget  werden,  aber  in  willkürlichen  Straffen  soll  in  alwege 
die  billigkeit  und  umbstende  der  Sachen  betracht  und  bewogen 
werden“.  Wenn  es  der  Gerichtsherr  „gar  zu  grob  macht“, 
will  ihn  der  Landesfürst  „selbst  in  straffe  nemen“  ,). 

Die  Besoldung  der  Räte  B)  wird  wohl  in  den  ersten  Jahr- 
hunderten in  der  Verleihung  von  Lehen  und  sonstigen  Natural- 
bezügen3) bestanden  haben;  seit  der  Mitte  des  16.  Jahr- 
hunderts bekommen  die  Räte  ebenso  wie  die  Beamten  überhaupt 
feste  Besoldung  in  Geld*).  Sind  die  Räte  zugleich  Beamte,  so 
erhalten  sie  für  ihre  Tätigkeit  im  Rat  keine  besondere  Besol- 
dung. Befinden  sich  die  Räte  am  landesfürstliehen  Hofe,  so 
sind  sie  die  Gäste  des  Landesherrn  und  erhalten  Wohnung  und 
Beköstigung5).  Sie  gehören  dann  mit  zum  Hofpersonal  und 
haben  sich  der  fürstlichen  Hausordnung  zu  fügen6).  Ausser 
diesen  Reichnissen  bekommen  die  Räte  aber  für  ihre  Dienste 

')  P.n.L.O.  XI  Abs.  1,  2 und  4 

’)  Isaaksobn  S.  33ff;  B.  Meyer  S.  23;  v.  Wretschko  S.  lßl ; Scbmoller 
S.  52;  Rachfahl  S.  435;  Lamprecht  S.  1430. 

')  Reg.  294,  295  (1436),  354  (1441),  650  (1465). 

‘)  H.H.St.  Arcb.  GAR  vol.  IV  27  Nr.  118  (1570)  (s.  pag.  66,  3 (1571). 

5)  H.H.St. Arch.  vol.  III  233  Nr.  1 uud  2 (16.  Jahrh  ).  „Item  soll  ge- 
handelt werden,  das  natnblich  die  besten  und  ernst  igs  teil  wein  über  unsere 
gnedigen  fürsten  und  Herrn  Tafell,  und  die  schlechtem  uff  der  Räthe.  Truch- 
siisssen  und  Junkherntisch  verspeist  werden“,  u.  pag.  73,  9;  K.  33  — III 
70b  Nr.  14  (1557):  „Volgen  die  andern  Tische  von  vornehmsten  Rethen  und 
Junkern  — — daselbst  soll  vorm  ersten  gehen  und  Marschalk  sein  Arntli 
Stammer  vom  Essen,  Hans  vom  Tharl  (?)  vom  Trinken“,  (Ordnung  für  Fürst 
Karls  Hochzeit). 

’)  H.H.St.  Arch.  vol.  III  234  Nr.  6 (Hofordnung  Fürst  Bernhards):  „Wir 
wollen  unser  Hanshnltnng  nnstellen.  das  nach  folgender  Ordnung  von  nn*ern 
Rethen,  Beneblhabcrn,  Dienern  und  Gesinde  getreulich  und  vleissigk  solle 
gehalten  werdenn*;  Vol.  III  233  Nr.  1 und  2 (16.  Jahrh.)  (s.  pag.  74.  3). 


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80 


mancherlei  Vergünstigungen1);  Auslagen  werden  ihnen  natür- 
lich ebenfalls  wiedererstattet. 

b)  Die  Beamten  der  Landesverwaltung. 

Hat  so  der  Landesherr  in  seinem  Rat  sich  ein  Institut  ge- 
schaffen , in  dem  er  stets  die  Angelegenheiten  seines  Landes, 
sobald  er  will,  mit  seinen  Vertrauten  besprechen,  dessen  Mit- 
gliedern er  auch  alle  möglichen  allgemeinen  wie  speziellen  Auf- 
träge erteilen  kann,  so  braucht  er  natürlich  doch  zur  Erledi- 
gung der  laufenden  Geschäfte  seiue  besonderen  Verwaltungs- 
beamten. Die  Tätigkeit  des  Rates  ist  doch  nur  eine  ganz  un- 
bestimmte, bald  dies,  bald  jenes  wird  ihm  zugewiesen;  haupt- 
sächlich ist  er  doch  nur  zur  Beratung,  weniger  zur  Ausführung 
da;  das  können  nur  Personen  tun,  die  ständig  in  einem  be- 
stimmten Ressort  arbeiten  und  in  die  Geschäfte  völlig  einge- 
weiht sind.  Auch  kann  der  Landesherr  nicht  jede  kleine 
Angelegenheit  dem  Rat  unterbreiten.  Er  hat  daher  zur  eigent- 
lichen Geschäftsführung  seiue  Beamten,  vereinigt  aber  diese 
Verwaltung  mit  der  des  Rates  eben  dadurch,  dass  sämtliche 
obersten  Beamten  der  einzelnen  Ressorts,  bisweilen  auch  noch 
einige  andere  Beamte  desselben , auch  zugleich  Mitglieder  des 
Rates  sind,  ja,  wie  wir  gesehen  haben*),  die  eigentlichen  und 
ersten  Ratgeben  darstellen.  Der  Rat  ist  gewissermassen  die 
allgemeine,  beschliessende  Behörde,  die  eigentlich  ausführendeu 
Organe  der  Staatsregierung  bleiben  die  landesfürstlichen  Be- 
amten. 

In  dem  Beamtenwesen  der  anhaitischen  Zentralverwaltuug 
hat  sich  seit  dem  14.  Jahrhundert  eine  grosse  Änderung  voll- 
zogen. Die  alten  Hofämter  mit  ihrer  allgemeinen  Bedeutung 
für  die  Landesregierung  sind  verschwunden,  dafür  sind  neue 
mehr  spezialisierte  Ämter  geschaffen,  Hof-  und  Landesverwaltung 
mehr  geschieden,  vor  allem  die  obersten  Beamten  der  Lokal- 
verwaltung der  Zentralregierung  enger  angeschlossen.  Natür- 
lich ist  diese  ganze  Veränderung  sehr  langsam  vor  sich  gegan- 
gen, einen  eigeutlichen  Abschluss  erreicht  sie  sogar  erst  in  den 


’)  P.n.L.O.  IL  (1572) 
*)  pag.  65  nml  70. 


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81 


70  er  Jahre»  des  16.  Jahrhunderts,  denu  damals,  als  Joachim 
Ernst  die  anhaitischen  Lande  in  seiner  Hand  vereinigt,  werden 
zuerst  bestimmte  Ordnungen  für  Hof-  und  Landesverwaltung 
gegeben  und  den  einzelnen  Beamten  ihre  Ressorts  und  Pflichten 
genau  zugewiesen.  Immerhin  ist  aber  die  neue  Beamten- 
organisation doch  schon  vom  Ende  des  15.  Jahrhunderts  an 
sicher  anzusetzen. 


a)  Oie  Kanzleibeamten. 

1.  Wohl  der  bedeutendste  Beamte  der  anhaitischen  Zen- 
tralverwaltung im  15.  und  16.  Jahrhundert  ist  der  Kanzler'). 
Dem  Titel  nach  vom  Mittelalter  her  völlig  unbekannt,  ist  sein 
Amt  im  wesentlichen  das  erweiterte  Notariatsamt  der  früheren 
Jahrhunderte.  Aus  dem  ehemals  an  der  Spitze  des  Schreib- 
wesens stehenden  Notar  ist  allmählich  mit  dem  Anwachsen  der 
Kanzleigeschäfte  ein  Protonota'r 2)  und  dann  ein  Kanzler  geworden. 

Zum  erstenmal  lässt  sich  dieser  Titel  in  einer  Urkunde 
vom  27.  Mai  1350  nach  weisen,  wo  als  Zeuge  „her  Johannes 
van  Dessou  cancellarius  und  capellan“ 3)  erscheint.  Es  ist  der 
Notar  der  Zerbster  Fürsten,  Johann  von  Morditz4),  der  hier 
zum  einzigen  Mal  diesen  Titel  führt.  Sonst  wird  er  nur  als 
Notar,  einmal  auch  als  Protonotar  bezeichnet;  man  sieht  also, 
wie  damals  alle  drei  Bezeichnungen  noch  nebeneinander  Vor- 
kommen, ein  eigentlicher  Kanzler  in  späterem  Sinne  ist  Johann 
von  Morditz  wohl  noch  nicht  gewesen.  Im  14.  Jahrhundert  be- 
gegnet sonst  die  Bezeichnung  Kanzler  nicht  wieder.  Vielmehr 
sind  die  beiden  Hauptzweige  der  Tätigkeit  des  Kanzlers, 
Führung  der  Kanzleigeschäfte  und  Leitung  im  Rate,  noch  in 
verschiedenen  Händen  gewesen;  im  Jahre  1371  kommen  ein- 
mal nebeneinander  ein  prothonotarius  und  suramus  consiliarius 

')  Schröder , Rechtsgesch.  S.  490  ff.,  598;  Isaaksohn  S.  16;  Bornhak 
8.8,  72;  Roseuthal,  Gerichtswesen  S.215,  249,  265 ff. ; Lamprecht  S.  1432  ff.; 
Lüdicke  S.  41  ff. ; Barth  8.412;  Wintterlia  S.  16;  Fellner,  Zur  Geschichte 
der  österreichischen  Zentralverwaltung  (1493 — 1848)  (Mitteilungen  des  Instituts 
für  üsterr.  Geschichtsforschung  Bd.  VIII)  S.  275;  Stölzel,  Gelehrtes  Richter- 
tmn  S.  253  ff.,  399ff.;  Adler  S.  415;  v.  Maurer,  Frohuhöfe  S.  258,  295. 

s)  vgl.  pag.  19  ff. 

')  v.  H.  III  904. 

*)  Jänicke  8.  32,  33. 

Scltrecker,  Beamtentum  ln  Anhalt  6 


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82 


vor  *).  Erst  mit  dem  15.  Jahrhundert  beginnt  die  eigentliche 
Wirksamkeit  des  anhaitischen  Kanzlers,  seit  dem  zweiten 
Drittel  dieses  Jahrhunderts  treten  Inhaber  dieses  Amtes  in  den 
Urkunden  häufiger  auf8). 


>)  v.  H.  IV  414. 

*)  Hit  Namen  angegeben  sind  folgende  Kanzler: 

1436—1492.  Johannes  Bucbener  unter  Georg  I.  (Reg.  283  , 295, 
308,  353,  354,  361,  362,  396,  451,  452,  460,  477,  479,  498,  522,  623,  629, 
654,  725;  H.H.St.Arcli.  57  b Nr.  37,  60  Nr.  41;  s.  a.  Beckmann  VII  S.  168); 
er  wird  allerdings  nur  ein  einziges  Mal  als  Kanzler  bezeichnet  (1441 
Reg.  354).  Möglich  ist,  dass  er  später  nur  noch  als  fürstlicher  Rat  tätig  ge- 
wesen ist,  in  den  50  er  und  Anfang  der  60  er  Jahre  des  15.  Jahrhunderts  ist 
er  jedenfalls  wohl  nicht  Kanzler  gewesen,  ob  er  später  wieder  die  Kanzlei- 
geschäfte führt,  lässt  sich  nicht  nachweisen ; da  aber  kein  anderer  Kanzler 
mehr  genannt  wird,  Buchener  dagegen  noch  vielfach  in  fürstlichem  Dienste 
vorkomint,  ist  es  nicht  unmöglich.  Vielleicht  hat  er  sich  von  1454 — 1463 
von  seiuem  Amte  zurückgezogen , um  sich  mehr  mit  der  Bewirtschaftung 
seiner  Güter  zu  befassen  (R.  477).  Jedenfalls  ist  er  eine  der  wichtigsten 
Persönlichkeiten  Anhalts  in  damaliger  Zeit,  namentlich  im  landesfürstlicben 
Rat  spielt  er  eine  bedeutende  Rolle.  Gr  scheint  ein  sehr  guter  landwirt- 
schaftlicher Verwalter  und  Wirtschafter  gewesen  zu  sein  (Reg.  477  (1455)). 

1454—1457.  Petrus  von  Ranow  (vgl.  Reg.  472,  477,  522),  einmal 
trägt  er  noch  die  Bezeichnung  „oberster  Scbriber“.  In  denselben  Urkunden 
wird  Job.  Buchener  stets  ohne  Titel  erwähnt  neben  ihm. 

1463.  Nikolaus  Krull  (Reg.  623).  Gin  anderes  Hai  führt  er  aller- 
dings nur  den  Titel  „Schreiber“  (Reg.  629).  Auch  neben  ihm  wird  Buchener 
stets  ohne  Titel  aufgcfUhrt. 

1498.  Mauricius  Fabri  (vermutlich).  Gr  ist  .Pfarrer  zu  Dessau 
und  Domher  zu  St.  Nikolaikirchen  zu  Magdeburg“,  „burrig  von  Zerbest“ 
und  damals  „bei  60  Jahr  alt“  (H. II. St. Arch.  vol.  I 461b  Nr.  3;  pag.  66 
nnm.  4). 

1507 — 1539.  Paulus  von  Berge  (G.Qu.d.  Pr.S.  VT  536;  II. II. St.  Arch. 
vol.  V 278  Nr.  35;  G.Qu.d. Pr.S.  VI  609  (Hansen  ist  wohl  verschrieben 
für  Paulum);  Beckmann  VI  S.  168)  in  Dessau;  er  ist  vielleicht  „der  erst«, 
der  als  Laie  in  wirklichem  Amte  stund“,  sagt  Bertram-Krause  II  S.  303,  ich 
glaube  aber  vielmehr  Buchener. 

circ.  1530 — 1538.  Marcus  Förster,  bei  Fürst  Wolfgang  in  Köthen, 
er  war  erst  Bürgermeister  in  Köthen  und  hat  gelehrte  Bildung  (Beckmann 
VI  S.  85,  VII  S.  168). 

1538.  Ludwig  Rabe,  auch  in  Köthen  (Beckmann  VII  168;  Bertram- 
Krause  II  304). 

1540—1560.  Johann  Ripscli,  zu  Dessau  (U.H.St. Arch.  K.  33  — III 
32  Nr.  16:  GAR.  IV  5 Nr.  1 (s.  pag.  114,  4);  K.  33  — III  65  Nr.  2;  K.  33 


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83 


Seinem  Stande  nach  ist  der  Kanzler  nicht  mehr  Geistlicher, 
sondern  Laie1).  Nur  einmal  scheint  gegen  Ende  des  15.  Jahr- 
hunderts ein  Geistlicher  die  Geschäfte  der  Kanzlei  geführt  zu 
haben,  der  Pfarrer  von  Dessau  Mauricius  Fabri,  denn  nach 
seiner  eigenen  Aussage  hat  er  das  grosse  Siegel  des  Fürsten 
„über  7 Jahr  in  seinen  Händen  gehabt“,  auch  „vil  Brieff  selbst 
mit  dem  tittel  geschrieben“2);  den  Kanzlertitel  führt  er  aller- 
dings nicht.  Sonst  sind  es  Angehörige  des  Adels8)  oder  noch 
häufiger  Männer  bürgerlichen  Standes,  einer  derselben  ist 
Bürgermeister  von  Köthen  gewesen4),  bevor  er  die  Stelle  eines 
Kanzlers  in  Anhalt  erhielt. 

Ob  die  Kanzler  schon  im  15.  Jahrhundert  juristische  oder 
sonstige  gelehrte  Bildung  besitzen,  lässt  sich  nicht  nachweisen; 
im  16.  Jahrhundert  ist  es  sicher  der  Fall 5).  Jedenfalls  ist 
das  Kanzleramt  das  erste  Landesamt,  das  der  Bürgerstand  er- 
obert hat!  Ist  die  Verwaltung  der  Kanzlei  in  früheren  Jahr- 
hunderten von  Geistlichen  ausreichend  geführt  worden,  so 
braucht  man  jetzt,  wo  ein  neues  Recht  und  straffere  Ver- 
waltungsgruudsätze  sich  geltend  zu  machen  beginnen,  vor  allem 

— III  71  Nr.  15;  Friese-Liesegang  I 2 Nr.  82;  G.Qu.d.  Pr.  S.  VI  688),  er 
ist  magister  (s.  a.  Beckmann  VII  168). 

1546—1568.  Anthonius  Rosenau  in  Zerbst,  zuerst  kommt  er  noch 
ohne  Titel  vor  (H.H.St, Arch.  GAR.  — IV  5 Nr.  1;  K.  33  — III  71  Nr.  15; 
K.  33  — III  32  Nr.  16;  K.  33  — III  67  b Nr.  8,  GAR.  III  252  Nr.  13; 
G Qu.d.  Pr.S.  VI  688  anm.  2;  s.  a.  Beckmann  VII  S.  168. 

1567 — 1600.  Johann  Trnckenroth  unter  Joachim  Ernst  (H. H.St.  Arch. 
K.  33  — III  67  b Nr.  8;  K.  33  — III  69  Nr.  10;  GAR.  IV  27  Nr.  118; 
s.  ferner  Beckmann  VII  S.  168  ff.),  auch  er  ist  gelehrten  Standes  (ßeckmanu 
VII  169). 

>)  Vgl.  bes.  H.H.St. Arch.  K.  44  — IV  60  Nr.  41  (1492):  „Ich  Hans 
Buchener  vor  mich  und  als  ein  Bevollmächtigter  Elizabeth  meiner  ehelichen 
Hausfrau  bekenne";  Reg.  308  (1438);  er  ist  also  verheiratet. 

’)  H.H.St. Arch.  vol.  I 461  b Nr.  3;  s.  pag.  82  anm.  2. 

*)  P.  von  Berge. 

*)  Markus  Förster  (Beckmann  VI  S.  85). 

s)  H.H.St. Arch.  K.  33  — III  32  Nr.  16  (1540),  Verzeichnis  der  Kleinodien 
der  Fürstin  Margarete:  „und  dies  Verzeichnis  ist  gethan  bey  unsers  Hern 
Gregorius  Peschei  pfarr  zu  Dessow,  Magister  Johan  Rippisch  l'antzler,  Ernst 
Melwitz  marschalgh,  Johan  Schultz  rentmeister,  Caspar  Drouschwitz,  Adam 
Bauu  Sekretaire  und  Hansen  Flunsch* ; vgl.  auch  Beckmann  VI  S.  85,  VII 
S.  169. 

6* 


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84 


Beamte,  die,  womöglich  durch  gelehrte  Studien,  sich  die  nötige 
geschäftliche  Bildung  erworben  haben,  deren  Beruf  eben  das 
Amt  ist.  Es  sind  die  Anfänge  des  Berufsbeamtentums,  die  uns 
hier  beim  Kanzleramt  zuerst  im  anhaitischen  Gebiet  entgegen- 
treten. 

Über  die  Anstellung  des  Kanzlers  ist  nichts  Sicheres  über- 
liefert, meist  geht  sie  jedoch  wohl  vertragsmässig  auf  mehrere 
Jahre  ’);  von  einem  Amtseid  des  Kanzlers  ist  auch  keine  Nach- 
richt überkommen.  Selbstverständlich  ist  der  Kanzler  stets 
Mitglied  des  landesfürstlichen  Rates,  sehr  oft  begegnen  wir 
einem  anhaitischeu  Kanzler  in  irgendeiner  Ratskommission  *). 

Die  Stellung  des  Kanzlers  ist  sehr  bedeutend,  beim  Landes- 
herrn hat  er  wohl  stets  in  hohem  Ansehen  gestanden,  wie  sich 
aus  der  Menge  der  Verleihungen  ergibt,  die  einzelnen  Kanzlern 
zuteil  werden3);  allerdings  spricht  gerade  hier  die  Persönlich- 
keit des  einzelnen  sehr  mit*).  Der  Landesfürst  tritt  in  jedem 
Fall  für  seinen  Kanzler  ein,  für  Johannes  Buchener  wird  z.  B. 
in  einem  Vertrage  noch  ganz  besondere  Sicherheit  verlangt5). 

Die  Tätigkeit  des  Kanzlers  ist  äusserst  mannigfaltig; 
durch  seine  gelehrten  Kenntnisse,  welche  andern  Beamten  ab- 


')  Ludwig  Rabe  wird  zunächst  auf  ein  Jahr  angestellt  (Beckmann  VII 
S.  168;  Bertram-Krause  II  301). 

*)  Reg.  294  (1436),  451  (1452),  479  (1455),  654  (1465);  K.  44  — IV 
101  b .Nr.  3,  1 (1485);  K.  33  - III  65  Nr.  2 (1556);  K.  33  — III  71  Nr.  15 
(1557):  K.  33  - III  67  b Nr.  8 (1567);  K.  33  — III  69  Nr.  10  (vgl.  Nr.  9) 
(1568)  (s.  png.  65,  1;  66,  3;  66,  4 ; 68,  1 (75,  1));  GAR.  vol.  IV  27  Nr.  118 
(1570),  „Dienstgellt  den  Hoffrcthen  und  Hoffdienern:  114  fl.  — 6 gr.  — dem 
Kanzler“;  1571:  „57  fl.  — 3 gr.  — Johann  Truckenrodt“ ; G.Qu.d.Pr.S. 
XXVIII  1485  (1510);  VI  536  (1517). 

*)  Reg.  283  (1435),  294  (1436),  354  (1441),  477  (1455);  H.H.St.Arcb 
K.  44  — IV  57  b Nr.  37  (1481),  Waldemar  und  Sigmund  von  Anhalt  ver- 
leiben au  Hans  Buchener  den  Sleyuford : „das  wir  gnanten  — deine  gnanten 
Hanse  Buchenere  zcu  menlicheu  lehen  den  Steynford,  uuse  leben  frawen 
wese,  alda  die  mol,  den  tich  unde  den  ortb  alda,  unhses  Landes,  der  hochgebor- 
nenn  hertzogen  von  Sacbhsen  — — unde  unhsrer  lierrscbaft  scheidnnge,  alda 
den  von  Buden  unde  Hitzkcndorff  wissende,  mit  allen  gerichten  unde  rechten, 
als  der  gnäte  Hans  Buchener  von  dem  gnanten  unlisem  lieben  vater  zcu 
leben  insampt  und  besunderu  zcu  leben  gehabt  bat,  gelegen  haben  unde  lihen“. 

*)  Haus  Buchener  (pag.  82,  2). 

*)  Heg.  460  (1453). 


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85 


gehen,  ist  er  nach  und  nach  zur  einflussreichsten  Stellung 
in  der  Landesverwaltung  emporgestiegen.  In  seinen  Händen 
liegen  fast  alle  geistlichen  und  weltlichen  Angelegenheiten  des 
Landes,  in  ihm  konzentriert  sich  die  ganze  Verwaltung1). 
Ihren  Ursprung  hat  seine  Tätigkeit  natürlich  in  der  Kanzlei, 
deren  Vorstand  er  ist  und  die  sein  eigentliches  Ressort  aus- 
macht. Er  leitet  die  Geschäfte  derselben,  hat  die  Regelung 
des  schriftlichen  Verkehrs  zu  überwachen;  an  ihn  ergehen  die 
Beurkundungsbefehle,  er  veranlasst  die  Abfassung  der  Schrift- 
stücke und  ist  dafür  verantwortlich2);  wichtige  Urkunden 
gegenzeichnet  er  selbst8). 

Durch  diese  schriftliche  Tätigkeit  erhält  er  natürlich  Ein- 
fluss auf  alle  Regierungsangelegenlieiten,  wird  daher  zu  allen 
möglichen  wichtigen  Geschäften  der  Hof-  und  Landesverwaltung 
verwendet.  Er  gehört  zur  ständigen  Begleitung  des  Fürsten, 
folgt  ihm  auf  Reisen  und  Kriegsfahrten4)  und  ist  daher  bei 
den  meisten  Verträgen  und  Erlassen  als  Zeuge  beteiligt5).  Er 


*)  Bornhak  S.  74;  Isaaksohn  S.  16ff. ; Rosentbal,  Gerichtswesen  S.  249, 
265;  Lamp  recht  S.  1435;  v.  Maurer  3.  223. 

*)  Reg.  354  (1441). 

*)  Friese-Liesegang  I 2 Nr.  82  (1545). 

*)  H.H.St.Arch.  GAR.  IV  5 Nr.  1 (1547),  „Landtag  und  gewilligte  Steuer 
zu  Zerbst:  16  Gulden  an  12  thalern  Authonio  liosenau  zur  Zerung  ins 
Lager  gegeben“.  „20  thaler  durch  genanten  Magrn  dem  Kautzler  und 
Oswalt  Rodern  zur  Zerung  zugestelt,  als  sie  das  erst  mahl  für  Wittenbergk 
in  das  lager  zcogen*.  „16  thaler  Authonio  zu  Zerbst  gegeben,  die  ehr  ins 
krygslager  vor  Wittenbergk  volgendc  nach  Bitterfeldt  und  darnach  ghen 
Ilalle  gezcogen“. 

6)  Reg.  522  (1457),  623  , 629  (1463);  G.Qu.d.Pr.S.  VI  688  (1560); 
H.H.St.Arch.  GAR.  — IV  5 Nr.  1 (1546),  Vorweisung  Fürst  Georgen  und 
Joachims  der  Stadt  Zerwist  an  Fürst  Johanssen:  „Dies  ist  geschehen  zu 
Zerbst  uffm  Ratbause  in  gegenwertickeit  des  Raths  und  gemeine  daselbst 
und  weil  hochgedachte  dry  fürsten  daselbst  uffm  Rathause  auch  kegenwürtig 
sein  gewest,  haben  ihr  f.  g.  bei  sich  gehapt  den  wolgebornen  Herrn  Graffen 
zu  Gleichen,  Niklas  Schlegel  Hauptmann  zu  Rosslau,  Hans  Statius  Haupt- 
maun  zu  Zerwist,  Joban  Ripsch  Kanzler,  Oswalt  Roder  Fürst  Georgen 
Hauptmann  an  s.  f.  g.  hoffe,  Kaspar  Knoche  Hauptman  zu  Warmsdorf,  Valtin 
Schlegel  Hauptman  zu  Lindau.  Nickol  Mohr  Schosser  zu  plozick,  Franz  Bose, 
Heinrich  von  Prawinkel,  Balzer  Schonerinark,  Urbany  parybs,  Anthony  Rose- 
nau, Alex  Bulz  und  ander  mehr“. 


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86 


wird  zu  Gesandtschaften  benutzt1),  wir  finden  ihn  als  Vertreter 
seines  Herrn  bei  auswärtigen  Verhandlungen  2),  wie  als  Mitglied 
der  Kommissionen  für  die  innere  Verwaltung.  Siud  Verzeich- 
nisse oder  Inventaraufnahmen  zu  machen,  so  ist  der  Kanzler 
dabei  beteiligt3).  Auch  die  Verwaltung  der  Lehen  ist  ihm 
übertragen,  er  legt  Verzeichnisse  derselben  an  und  führt  die 
Lehnbücher4),  nimmt  auch  wohl  selbst  Belehnungen  im  Namen 
seines  Herrn  vor5);  gelegentlich  wird  er  sogar  mit  Geld- 
zahlungen für  den  Fürsten  oder  das  Land  beauftragt6).  Der 
Kanzler  findet  sich  auch  in  den  Kommissionen  zur  Aufstellung 
der  vom  Landtage  bewilligten  allgemeinen  Landesstcuern 7)  und 
vermittelt  den  Verkehr  des  Landesherrn  mit  den  Ständen8). 
In  Abwesenheit  des  Fürsten  ist  er  der  zuständige  Beamte  für 
wichtige  Eingänge,  er  ist  berechtigt,  dieselben  in  Empfang  zu 

')  H.H.St.Ärch.  GAR.  IV  5 Nr.  1:  „(1547)  2 Gulden  14  groschen  An- 
thoni  Rosenau,  zu  Torgau  verzcrt,  als  er  die  Herzog  Morizischen  Salvegarde 
geholet“.  „Ausgabe  vom  vorigen  Gelde:  205  tlialer  zu  Halle  vor  kuchen, 
keller  und  ander  notturft  ausgeben  vormuge  magr.  Fkurmuns  recbnung 
darunter  seint  die  10  thaler  Antbonio  zur  Zerung  dem  keiser  gben  der 
Nauenburgk  zu  uolgen“. 

*)  Reg.  725;  H.H.St.Ärch.  K.  33  — III  69  Nr.  10  (s.  pag.  68,  1). 

•)  H.H.St.Ärch.  K.  33  — III  32  Nr.  16  (1540)  (s.  pag.  83,  5);  (1560) 
„Inventar  der  Fürstinnen  Maria  und  Elisabeth“.  „In  Beisein  der  Fürstin 
Anna,  Gemahlin  Fürst  Karls,  Ihrer  filrstl.  Gnaden  Hoffemeistern  Christoph 
Creitzen  seligen  nachgelassenen  Witwen,  also  auch  des  Kanzlers  Anthoni 
Rosenau  und  Johann  Bernhardts  Kuehmoister“ ; K.  33  — III  71  Nr.  15 
(1557)  (s.  pag.  65,  1). 

‘)  H.H.St.Ärch.  vol.  V 278  Nr.  35  Bernburgische  Lehnbrieffe  1531 
„Augefangen  durch  mich  Paulus  von  Berge  der  Zeit  Cantzier,  Nicki  Slegell 
Hauptmann  und  Adam  Ban  cantzeleyschreiber“.  Vol.  III  275,276  Nr.  132 
„dass  die  Zeddeln  der  Lehnssachen  an  den  Kanzler  gegeben  werden“  (1546). 

»)  G.Qn.d.Pr.S.  VI  609  (1538). 

•)  Reg.  362  (1442);  H.H.St.Ärch.  GAR.  IV  5 Nr.  1 (1546)  „272  thaler 
zu  abfertjguug  aller  Soldaten  Valtin  Schlegel  und  Antbonio  überantwortet, 
welche  dieselben  hernach  fürder  vertheilt,  vormuge  einer  bei  verzeichnus  so 
vorhanden“. 

r)  H.H.St.Ärch.  GAR.  - IV  5 Nr.  1 (1547)  (s.  pag.  74,  1). 

•)  H.H.St.Ärch.  GAR.  — IV  6 Nr.  2,  Landtag  von  1555  „Antwort  d. 
Landstände:  die  von  den  Prelaten,  Ritterschaft  und  von  Stedten  haben 
E.  F.  G.  durch  ihren  Kanzler,  gnedige  vorlesene  Notel,  wasserley  gestalt 
E.  F.  G.  durch  mancherlei  Beschweruugc  zu  unratb  kommen  und  wie  E.  F.  G. 
daraus  zu  hclffen,  uudertheniglich  voruommeu“. 


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nehmen  und  dem  Überbringer  eine  Quittung  auszustellen  *). 
Als  Vorstand  der  Kanzlei  ist  ihm  die  Entscheidung  Uber 
Stipendiatgesuche  mit  Uberlassen  *).  Da  ferner  die  Kanzlei 
zuständige  Behörde  für  Berufungen  und  Urteilsausfertigungen 
an  Stelle  eines  Hofgerichtes  ist3),  übt  der  Kanzler  auch  eine 
bedeutende  richterliche  Tätigkeit  aus.  Bei  Beschlüssen  des 
fürstlichen  Gerichts  wird  ihm  mitunter  die  Ausführung  über- 
lassen, wie  er  auch  für  die  Fixierung  und  Aufbewahrung  der 
Akten  zu  sorgen  hat4).  Auch  in  der  Hofverwaltung  hat  er 
eine  wichtige  Stimme,  er  hat  die  Befolgung  der  Hofordnung 
mit  audern  Beamten  zusammen  zu  überwachen  und  die  Be- 
strafung der  Säumigen  vorzunehmen s). 

Namentlich  aber  nimmt  der  Kanzler  im  landesfürstlichen 
Rat  eine  hervorragende  Stellung  ein.  Er  überwacht  die  richtige 
Konzipierung  der  Ratsbeschlüsse  und  deren  Ausfertigung6). 
Ob  er  in  Abwesenheit  des  Landesherrn  den  Vorsitz  im  Rat 
geführt  hat,  lässt  sich  nicht  entscheiden,  doch  wird  ihm  in 
vielen  Fällen  die  führende  Rolle  bei  den  Verhandlungen  von 
Räten  zugewiesen.  So  wird  ihm  bei  den  gerichtlichen  Sitzungen 
der  Räte  in  der  Regimentsordnung  von  1546 7)  die  Leitung 


')  H.H.St. Arch.  gak. III  252  Nr.  13  (1568),  Schreiben  des  Anthonius 
Rosenan  an  Fürst  Bernhard:  „Es  ist  gestern  Abent  ein  krigs  Bothe  in  mein 
Hans  kuruen,  und  ein  offen  gedruckt  — Mandat  flberanthwort  mit  anzeige, 
das  solches  alle  Fürsten  zu  Anhalt  haben  sollten  und  gebeten,  solches  anzu- 
nehmen — hab  ichs  zu  mir  genom  und  mich  erboten,  dasselbe  E.  f.  g. 
zuzuschickeu,  hab  ihn  anch  ein  bekenntnis  — Zeddel  gegeben“. 

*)  P.u.L.O.  VII  Abs.  3 (1672). 

')  Beckmann  IV  6 S.  650  (1551);  s.  a.  Bertram-Krause  II  320. 

4)  H.H.St. Arch.  gak.  III  252  Nr.  13  (s.  anm.  1):  „Was  die  Appelation- 
sachen  anlangte,  in  welchen  ich  neben  dem  Renthineistcr  die  Straff,  so  Bre- 
digke  gegeben,  wider  gefordert,  dieselb  in  E.  f.  g.  Kammer  zu  nberanthworten, 
darum  haben  sie  gebeten,  sie  bei  altem  Gebrauch  zn  lassen  — daneben  uinb 
Kopey  des  Unheils  gebeten.  Als  hab  ich  vor  gntt  angesehen,  dass  sie  E.f.  g. 
Kopeyen  von  solchen  vertragen  oder  ausznge  derselben  übersenden  und  die 
Kopey  des  Urteils  bey  E.  f.  g.  selbst  suchen  sollen’. 

*)  Hofordnung  (Anhang  1). 

•)  pag.  84,  2. 

’)  H.H.St. Arch.  vol.  III  275/276  Nr.  132  (s.  pag.  66,  1;  78,  8;  88,  1) 
u.  „Und  dieweil  als  gute  Regiment  von  Got  herkompt,  sol  alwegs  ferner  im 
anfang  der  Zusammenkunft,  weil  mau  bey  der  predigt  und  gemeinen  Kircheu- 


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übertragen,  er  bereitet  den  Verhandlungsstoff  vor,  an  ihn  sind 
die  Klageschriften  eiuzureichen.  In  dringenden  Fällen  ist  er 
berechtigt,  das  Kollegium  der  Räte  zusammenzurufen,  vor  jeder 
Sitzung  hat  er  oder  ein  Sekretär  das  Gebet  zu  sprechen  — 
wohl  noch  ein  Überbleibsel  des  ehemaligen  geistlichen  Standes 
der  Kanzleibeamten  — , er  ist  auch  im  Besitze  eines  der  drei 
Schlüssel  zu  dem  Aufbewahrungsort  des  Siegels  für  die  Be- 
urkundung der  Beschlüsse1).  Gerade  eben  die  Regiments- 
ordnung  des  Fürsten  Johann  von  1546  zeigt  deutlich,  wie  un- 
entbehrlich der  Kanzler  in  der  ganzen  Verwaltung  ist.  Für 
die  Zusammensetzung  der  Regimentskommission  werden  hier 
sechs  Personen  vom  Adel  und  Bürgerschaft  „neben  unsern 
Kantzier,  so  wir  zu  ider  Zeit  haben“  verordnet,  der  Kanzler 
soll  also  auf  jeden  Fall  bei  der  Regierungsvertretung  dabei 
sein  *). 

Die  Besoldung  des  Kanzlers  besteht,  wie  bei  allen  Be- 
amten in  den  anhaitischen  Territorien,  im  15.  Jahrhundert 
durchaus  noch  in  Überweisung  von  Lehengütern  und  sonstigen 
Verleihungen3),  wie  z.  B.  von  einzelnen  Regalien,  Wegegeld, 
Gerichten  u.  dgl.4);  bisweilen  geschieht  dies  in  erblicher  Be- 
lehnung5). Seit  der  Mitte  des  16.  Jahrhunderts  erst  erhält  er 
festes  Gehalt  in  Geld,  das  im  Jahre  1570/71  pro  Jahr  57  fl. 
3 gr.  betragen  zu  haben  scheint6).  Ausserdem  bekommt  der 

gebeten  nicht  sein  kan,  der  Cautzler  oder  Sekretaritis  ein  psalmen  — nach- 
einander ader  ein  stuck  aus  dem  Evangelisten  den  andern  kurtzlick  furlesen 
und  darnach  den  heiligsten  Vater  — treulich  anruffen“. 

•)  H.H.St.Arcb.  vol.  III  275/276  Nr.  132  „So  aber  Vorschreibung  mit 
anhangenden  Insiegeln  zu  befestigen,  das  selbe  sigel,  so  sonderlich  darzn  ge- 
ordnet, soll  in  ein  sonder  ort  nuder  dreyeu  Schlüsseln,  deren  der  Hauptmann 
einen,  der  Kautzler  einen  und  der  jüngste  unter  Inen  einen  habe, an- 

gehangen werden“. 

*)  pag.  70,  3. 

»)  Eeg.  204  (1436),  205  (1436),  477  (1455);  H.H.St.Arch.  K.  44  — IV 
57  b,  37  (1481);  K.  44  — IV  60  Nr.  41  (1402). 

*)  Besonders  Keg.  477  (1455). 

5)  Reg.  204  (8.  H.H.St.Arch.):  „dem  vorsichtigen  Johannes  Buchener 
unserrn  lieben  getrnwen  und  heymlichen  zeu  libes  lehnerbin  unde  ouch  durch 
sines  getruwen  dienstes  willen,  den  er  uns  getan  hadt  und  thun  uiagk“. 

•)  H.H.St.Arch.  GAR.  — IV  27,  118:  „1570:  114  11.  6 gr.  — dem 
Kanzler;  1571:  57  11,  3 gr.  Johaun  Truckenrodt.  Dass  das  Jahrgehalt  57  U. 


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Kanzler  natürlich  freie  Beköstigung  und  Kleidung  *),  bei  Reisen 
besondere  Zulagen  zur  Wegzehrung  und  sonstige  Vergütungen2). 

2.  Natürlich  kann  der  Kanzler  nicht  alle  Geschäfte  der 
Kanzlei  allein  erledigen  oder  auch  nur  annähernd  deren  Aus- 
führung überwachen.  Er  hat  nur  die  Leitung  der  Kanzlei,  die 
Ausführung  der  einzelnen  Arbeiten,  wie  Konzeption  der  Ur- 
kunden u.  dgl.  ist  Sache  seiner  Unterbeamten3).  Auch  diese 
scheiden  sich  wohl  in  einige,  gewissennassen  mittlere  Beamte 
und  die  grosse  Zahl  der  einfachen  Schreiber,  die  „Kanzleiver- 
wandten“, wie  sie  einmal  genannt  werden4).  Nur  erstere  be- 
gegnen öfter  in  den  Urkunden.  Sie  führen  den  Titel  Sekre- 
täre oder  Kanzleischreiber5).  Die  alte  Bezeichnung 
„Schreiber“  im  Sinne  des  selbständigen  Kanzleibeamten  ver- 
schwindet bald  Dach  dem  Auftreten  des  Kanzlers6),  der  Titel 
„notarius“  kommt  nur  noch  einmal  im  Jahre  1460  vor7).  Die 
Kanzleischreiber  werden  ebenfalls  weltlicher  Herkunft  gewesen 
sein  und  tragen  bürgerliche  Namen  *). 

3 gr.  um!  nicht  114  tt  6 gr.  betragen  hat.  geht  aus  der  annähernd  gleichen 
Hübe  der  Gehälter  der  übrigen  oberen  Beamten  wohl  ziemlich  sicher  hervor 
(pag.  102  anm.  3;  pag.  108,  109,  8;  pag.  133  anm.  9). 

>)  H.H.St.  Arch.  GAB.  — IV  27,  118:  ,1571:  für  Stiefeln  2 fl.  — dem 
Cannzler*. 

*)  H.H.St. Arch.  GAB.  IV  5 Nr.  1 (1546)  (a.  pag. 85,  4;  86,  1)  n.  „26  Gul- 
den 14  groschen  an  20  thalern  Urbano  paryhs  aus  bewehlich  Fürst  Georgen 
überantwort,  dieselben  fürder  Oswalt  Kodern  und  Anthonio  zu  Halle  zu 
ubergeben1.  „20  thaler  hat  Urbanus  paryhs  mit  sich  ghen  Halle  gefhurt 
und  folgendes  Oswalt  Bodern  und  Anthonio  zugestalt,  welche  sie  dau  auch 
vorzert,  vormuge  ihrer  gehaltenen  reclmung“. 

*)  Schröder,  Bechtsgeschichte  S.  816;  Lüdicke  S.  51;  Isaaksohn  S.  20; 
Schtnoller  S.  65;  Bosenthal  S.  271. 

*)  Vgl.  H.H.St. Arch.  vol.  III  233  Nr.  1 uud  2 (16.Jabrh.)  .desgleichen 
auch,  wo  denn  Kanzleirerwandten  ader  Hofgesinde  ein  verwandter  zur  Hauss 
kommen  — wolt“. 

*)  Reg.  379  (1444);  G.Qu.d.Pr.S.  VI  643  (1547),  609  (1538);  XXV11I 
1210  (1502);  H.H.St. Arch.  vol.  V 278  Nr.  35  (1531)  (s.  pag.  86,  4);  K.  33 
— III  32  Nr.  16  (1546)  (s.  pag.  83,  5);  K.  33  — III  69  Nr.  10  (1568) 
(s.  pag.  68,  1);  GAB.  — IV  5 Nr.  1 (vgl.  pag.  90,  6)  (1547);  die  Über- 
einstimmung der  Bezeichnungen  zeigt  G.Qu.d.Pr.S.  VI  609  uud  vol.  V 278 
Nr.  35. 

*)  Keg.  719  (1470). 

’)  l»ag.  17,  3. 

*,i  Namentlich  angeführt  sind  folgende: 


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Ihre  Tätigkeit  beschränkt  sich  im  wesentlichen  auf  die 
Geschäfte  der  Kanzlei,  sie  erledigen  die  laufenden  schriftlichen 
Arbeiten  und  haben  auch  wohl  hier  eine  gewisse  Selbständig- 
keit1). Treten  sie  einmal  als  Beurkundungszeugen  in  der 
Öffentlichkeit  auf,  so  ist  es  fast  stets  in  Gegenwart  des  Kanz- 
lers oder  sonst  eines  hohem  Beamten:  so  bei  Verträgen,  Lehns- 
verhandlungen u.  dgl. , wo  sie  also  jedenfalls  als  Protokoll 
führer  beteiligt  sind2);  gelegentlich  werden  sie  auch  Gesandt- 
schaften beigeordnet3).  Ganz  unbedeutend  ist  aber  ihre  Stel- 
lung doch  nicht;  auch  sie  können  dem  landesherrlichen  Rat 
angehören4)  und  zu  recht  wichtigen  Geschäften  verwendet 
werden.  So  ist  z.  B.  in  der  Regentschaftskommission,  die  im 
Jahre  1546  eingesetzt  wird,  auch  ein  Sekretär  nicht  ganz  un- 
wesentlich beteiligt b),  er  scheint  hierbei  zur  Unterstützung  und 
Vertretung  des  Kanzlers  verordnet  zu  sein;  und  auch  den 
Rechnungskommissionen,  welche  die  vom  Landtag  bewilligten 
Steuern  zu  verwalten  haben,  werden  gelegentlich  Sekretäre 
von  seiten  des  Fürsten  beigegebeu e). 

1444.  Nikolaus  Freder  (Reg.  379). 

1531—1547.  Adam  Ban  (fl. H. St. Arch.  vol.  V 278  Nr.  35;  K.  33  — 
III  32  Nr.  16;  GAR.  IV  5 Nr.  1;  G.Qn.d.Pr.S.  VI  609). 

1547 — 1568.  Johann  Keller  (G.Qu. d. Pr.S.  VI  643;  H.H.St.Arch. 
K.  33  — III  69  Nr.  10).  Ob  der  H.H.St.Arch.  GAR.  IV  27  Nr.  118  er- 
wähnte Sekretair  Ulrich  Kanzleiheamtcr  ist  oder  Rcntbeamter,  ist  fraglich. 

')  H.H.St.Arch.  vol.  V 278  Nr.  35  (1531)  (s.  pag.  86,  4). 

*)  G. Qu. d. Pr.S.  VI  609  (1538),  643  (1547);  H.H.St.Arch.  K.  33  — III 
32  Nr.  16  (s.  pag.  83,  5)  (1540). 

*)  H.H.St.Arch.  K.  33  — III  69  Nr.  10  (s.  pag.  68,  1)  (1568). 

•)  H.H.St.Arch.  K.  33  — III  69  Nr.  9 und  10  (1568)  (s.  pag.  68,  1; 
75,  1) ; Reg.  379  (1444). 

5)  pag.  66,  1 ; 87,  7. 

*)  H.H.St.Arch.  GAR.  IV  5 Nr.  1 (1547),  , Auszugk  der  verordneten 
einnahmen  der  gewilligten  Landtsteuer,  welcher  verordenter  seiut  gewesen 
Er  Johan  papa,  probst  zu  Hecklingenn,  Lorenz  Zinck  und  Georgen  Walwitz, 
Christoph  — ? — und  Lorenzen  vom  Berge  Bürgermeistern,  Adam  Bahne 
und  Johan  Mertcnn“;  GAR.  — IV  6 Nr.  2,  Landtag  von  1555.  „Und  damit 
diese  gewilligte  Steuer  — — Rechnung  gethau,  so  haben  alle  Stände  ein- 
mftthiglich  zu  der  Herrschaft  gestelt,  Ihre  FUrstl.  Gnaden  solches  auch  ge- 
williget,  zwene  von  der  Ritterschaft,  zwene  wegen  der  Städte  und  Landschaft 
zu  erwehlen,  auch  von  lhrentwegen  einen  oder  zwene  Sekretarien  zuzngeben, 
welche  die  Zeit  Uber  der  wehrenden  Steuer  dieselbe  Üeissig  — — einsamlen. 


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Als  Besoldung  erhalten  wohl  auch  die  Sekretäre  seit  der 
Mitte  des  16.  Jahrhunderts  Geld,  und  zwar  jedenfalls  15  fl. 
pro  Jahr  1570/71  *),  daneben  aber  haben  die  Kanzleibeamten 
noch  andere  Einnahmen,  indem  sie.  Briefe  auch  für  andere 
Leute  schreiben  und  sich  bezahlen  lassen 2).  So  können  sie 
für  die  Ausstellung  von  Lehnbriefen  eine  Geldentschädigung 
beanspruchen,  für  die  eine  ganz  bestimmte  Taxe  festgesetzt 
ist,  wenigstens  seit  dem  16.  Jahrhundert  (1520) 8). 

/ 1 ) Die  Beamten  der  Finanzverwaltung. 

1.  Die  Finanzverwaltung  scheint  im  15.  Jahrhundert  im 
anhaitischen  Gebiet  noch  nicht  selbständig  gewesen  zu  sein, 
jedenfalls  kommen  noch  keine  eigenen  Beamten  dafür  in  den 
Urkunden  vor.  Wahrscheinlich  wurden  die  Geldgeschäfte  von 
der  Kanzlei  damals  mit  besorgt,  denn  wir  finden  den  Kanzler 
ja  auch  derartig  tätig4). 

In  einem  Schriftstück  aus  dem  Anfang  des  16.  Jahr- 
hunderts wird  einige  Male  ein  Kammermeister  erwähnt. 
Derselbe  ist  jedenfalls  Finanzbeamter  gewesen5);  ob  er  aber 
dieselbe  Stellung  eingenommen  hat  wie  nachher  der  Rentmeister, 
lässt  sich  nicht  feststellen,  da  er  sich  später  nicht  wieder  findet. 

Eine  bestimmte  Besserung  ist  im  anhaitischen  Finanz- 
wesen erst  seit  den  40  er  Jahren  des  16.  Jahrhunderts  nach- 
zuweisen. In  dieser  Zeit  wird  zuerst  eine  feste  Rentkammer 

in  Verwahrung  nehmen  und  zu  Ihrer  Fiirstl.  Gnaden  Nothdurft  gebrauchen 
sollen“  (s.  n.  Codex  Anhalt.  Minor.  8.  8). 

l)  «AR.  — IV  27  Nr.  118  „1570  : 30  fl.  — dein  Sekretario  Ulrich;  1571: 
15  fl.  — dem  Sekretario  Ulrich“  (vgl.  pag.  88  aum.  6). 

*)  G.Qu.d.  Pr.S.  XXVIII  1210  (1502). 

*)  Jänicke  S.  55  und  56  (1520). 

*)  pag.  86,  6;  s.  a.  Wintterlin  S.  31. 

3)  H.  H.St.Arch.  vol.  III  233  Nr.  1 und  2,  Haushaltnngsverzeichnis: 
„s.  pag.  73,  9 und  79,  5 — verspeist  werden  — und  jedessmals  Kamcrraeister 
und  Hansshovemeister  Ihr  anffmerkhens  und  nussteilens  haben*.  Es  ist  aller- 
dings möglich,  dass  der  Kammermeister  nur  andere  Bezeichnung  für  Küm- 
merer ist,  doch  scheint  es  mir  nicht  so  glaubwürdig,  da  in  demselben  Schrift- 
stück noch  ein  Kämmerer  besonders  erwähnt  wird“  (s.  pag.  107,  3);  vgl.  in 
andern  Territorien:  Isaaksohn  S. 9;  Bornhak  S.53;  B.  Meyer  S.  78;  Rosenthal, 
Gerichtswesen  8. 249;  „die  Behördenorganisation  Kaiser  Fcrdinnnds  I“  (Archiv 
für  österreichische  Geschichte  Bd.  69,  Wien  1887)  S.  106;  Wintterlin  S.  33  ff. 


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erwähnt1),  und  sämtliche  Geldgeschäfte  werden  der  Oberauf- 
sicht eines  eigenen  Beamten  übertragen.  Dieser  führt  den 
Titel  Rentmeister*).  Er  scheint  also  an  die  Stelle  des  Kam- 
mermeisters getreten  zu  sein.  Von  einem  scharf  ausgeprägten 
Gegensatz  in  der  Tätigkeit  beider,  wie  er  in  Brandenburg  sich 
findet8),  kann  in  den  anhaitischen  Territorien  nicht  die  Rede 
sein,  da  beide  Beamte  ja  niemals  zu  gleicher  Zeit  Vorkommen, 
ebensowenig  von  einer  Überordnung  des  einen4). 

Der  Rentmeister  stammt  durchgängig  aus  dem  bürger- 
lichen Stande5),  ist  auch  wohl  gelehrter  Bildung6).  Man  sieht, 
wie  auch  hier  wieder  ein  neues  Amt  von  vornherein  mit  Bür- 
gerlichen besetzt  wird.  Der  Rentmeister  ist  wohl  nicht  ohne 

')  H.  H.St.  Arch.  vol.  V 275  b Nr.  19  (1660):  .Wir  Joachim,  Fürst  z.  A., 
— — geloben  item  genannten  unsern  gläubiger,  Haunssen  vou  Zeynitz,  solche 
Hauptsnmma  der  ftinffhnndert  guldeun  jerlieh  mit  fuuff  und  zwantzigk 
guldenn  gleicher  wehrnng  auss  unser  Kammer  oder  Rentcrey  allhier  unvor- 
zoglich  zu  uorzinsen“ ; GAR.  vol.  IV  6 Nr.  3,  Landtagsabscbied  von  1561 
„Uf  das  solche  Steuern  iun  Irer  f.  g.  Kammer  nicht  gegeben,  sondern  wie 
gemclt  allein  hierzu  gebraucht  werdenn'  (s.  a.  Codex  Anhaltinus  minor  S.  13). 

*1  LUdickc  S.  61,  74;  Jakobs,  Alter  und  Ursprung  S.  104,  107;  Spahn 
S.  20;  Rachfahl  S.  74;  Rosenthal,  Gerichtswesen  S.  28911.;  v.  Maurer  S.  245; 
Stülzel,  Gelehrtes  Richtertum  S.  154  ff. 

*)  Bornhak  S.  53;  Isaaksohn  S.  10. 

4)  Rosenthal,  Gerichtswesen  S.  461. 

*)  Mit  Namen  angegeben  sind  folgende  Inhaber  des  Amtes: 

1540—1547.  Johann  Schultz  (H. H.St. Arch.  K,  33  — III  32  Nr.  16; 
GAR.  — IV  24  Nr.  93,  GAR.  IV  6 Nr.  I). 

1547—1574.  Magister  Wolfgang  Fuhrmann,  er  tritt  im  Jahre  1547 
noch  ohne  Titel  auf  (H.  H.St.  Arch.  GAR.  IV  5 S.  1;  Kammerinstruktion  (An- 
hang 3). 

1557 — 1564.  Urbanus  Otte  (II. H.St. Arch.  K.  33  — III  71  Nr.  15; 
GAR.  vol.  IV  6 Nr.  3). 

(1560)— 1574.  Alex  Pultz  (H. H.St. Arch.  Rentmeisterordnung  (An- 
hang 4),  1560  ist  er  noch  Sekretair  (G.Qu.d.  Pr.S.  VI  688);  1547  wird  er 
noch  ohne  Titel  erwähnt  (GAR.  IV  5 Nr.  1 [s.  pag.  85,  5])). 

1570.  Johann  Troldenier  (H.H.St.  Arch.  GAR.  III  27  Nr.  118:  »des 
durchlauchtigen  Fürsten  Herrn  Joachim  Ernstcnn  Renterei  fiinnam  und  ans- 
gab, durch  mich  Johann  Troldenier  seiner  f.  g.  Diener  gehaltenn* : s.  a.  Beck- 
mann VII  S.  190); 

vgl.  dazu  Jakobs,  Alter  und  Ursprung  S.  107;  Roseuthal,  Gerichtswesen 
S.  289;  Stülzel,  Gelehrtes  Richtertum  S.  155. 

*)  Wolfgaug  Fuhrmann. 


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weiteres  in  sein  Amt  gekommen,  sondern  schon  früher  in  der 
Rentkammer  als  Sekretär  oder  sonst  irgendwie  mit  Finanz- 
sachen beschäftigt;  jedenfalls  lässt  sich  dies  mehrmals  nacli- 
weisen  l).  Auch  der  Rentmeister  ist  Mitglied  des  landesfürst- 
lichen Rates8). 

Bis  zur  Einigung  der  anhaitischen  Territorien  im  Jahre 
1572  führt  in  den  einzelnen  Gebieten  je  ein  Rentmeister  die 
Finanzgeschäfte  der  landesherrlichen  Verwaltung,  mit  dem 
Jahre  1574  werden  sämtliche  Ämter  zur  Hofhaltung  geschlagen 
und  ihre  finanzielle  Verwaltung  der  Hofkammer  unter  Leitung 
ihres  Vorstandes  übertragen,  dessen  Titel  nicht  weiter  erwähnt 
wird,  in  dem  wir  aber  den  eigentlichen  früheren  Rentmeister 
zu  selieu  haben8).  Es  findet  sich  also  auch  nur  wieder  ein 
oberster  Finanzbeamter,  der  andere  Rentmeister  wird  dadurch 
entschädigt,  dass  ihm  die  Verwaltung  eines  Bezirksamtes  über- 
tragen wird1). 

Die  Tätigkeit  des  Rentmeisters  erstreckt  sich  auf  die  Ver- 
waltung sämtlicher  Einnahmen  und  Ausgaben  des  Hofes  wie 
des  Landes 6),  eine  prinzipielle  Scheidung  der  persönlichen  Ein- 
künfte des  Fürsten  und  der  Laudeseinnahmen  gibt  es  noch 
nicht6).  Alles  fliesst  in  die  Kammer  oder  Renterei,  deren 
Vorstand  der  Rentmeister  ist;  nur  etwaige  vom  Landtag  aus- 
geschriebene Steuern  werden  nicht  der  Kammer  überwiesen, 
sondern  von  einer  eigenen  Kommission  aus  dessen  Mitte  ver- 
waltet, in  der  aber  doch  immer  mindestens  ein  oder  zwei  Ver- 
treter des  Landesherrn  sitzen 7). 

*)  W.  Fuhrmann  uni  Alex  Pultz  (pag.  92,  5). 

*)  H.H.St.  Arch.  K.  33  — III  71  Nr.  15  (s.  pag.  65,  1). 

’)  s.  Kammerinstruktion  (Anhang  3). 

*)  s.  Rentmeisterinstruktion  (Anhang  4). 

i)  Bornhak  S.  53;  Isaaksohn  S.  9 ff.;  Jakobs,  Alter  und  Ursprung 
S.  104  ff.;  Rosenthal  S.  289  ff. ; Schröder,  Rechtsgeschichte  S.  610;  Wint- 
terlin  S.  33  ff. 

*)  s.  a.  Isaaksohn  S.  11. 

’)  H.H.St.Arch.  GAR.  vol.  IV  5 Nr.  1,  Landtag  von  1547.  .Erlass  über 
Erhebung  der  Steuer:  Und  damit  solches  be<iuemlich  und  füglich  eingebracht 
werde,  so  sollen  die  Prelaten,  Ritterschaft  und  Stelle  jeder  Stand  besonder 
macht  haben  zweuc  aus  Ihnen  zu  vorordnen,  welche  die  andern  unsere  ver- 
wandten jeden  sonderlich  zu  getreuer  erlegung  Ires  teils  Steuer  hei  iren 
pflichten  auhnlten  und  neben  deu  uuseru,  so  wir  darzu  schicken  werden, 


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Der  Rentmeister  ist  das  Kontrollorgan  für  alle  Gebiete 
der  fürstlichen  Verwaltung.  Ihm  ist  die  Verrechnung  der 
Ämter  übertragen1).  Jährlich  muss  er  „neben  andern“  die 
Rechnungen  der  Amtleute  revidieren  und,  wenn  sie  richtig  sind, 
dem  Laudesherrn  darüber  Bericht  erstatten;  sämtliche  Rech- 
nungen hat  er  „in  ein  kästen  wol  verwarlich“  zu  behalten. 
Desgleichen  hat  er  die  Rechnungen  der  Handwerksleute  mehrere 
Male  im  Jahr  abzunehmen  und  zu  begleichen,  wie  auch  mit 
dem  Marschall  wöchentlich  über  die  Hofhaltung  abzurechnen  *). 

Ferner  ist  der  Rentmeister  oberster  Kasseubeamter,  alle  Geld- 
sachen gehen  durch  seine  Hand s).  Geldüberschüsse  der  Ämter 
sollen  an  ihn  abgeliefert  werden,  er  hat  über  die  Einnahmen 
Buch  zu  führen  und  genaue  Verzeichnisse  anzulegen,  die  mit 
den  Rechnungen  der  Ämter  stimmen  müssen.  Auch  gericht- 
liche Gelder  zieht  er  ein4).  Ebenso  hat  er  die  Richtigkeit  der 
Ausgaben  zu  überwachen,  er  selbst  oder  sein  Unterbeamter 
hat  alle  Zahlungen  zu  leisten.  So  geht  die  Besoldung  der  Be- 
amten und  sonstigen  Leute  durch  seine  Hände,  die  er  besonders 
pünktlich  entrichten  soll4).  Auch  die  ganzen  Ausgaben  für 
Küche,  Keller  und  Hofhaltung  sollen,  wenn  irgend  möglich, 
in  der  Renterei,  und  zwar  „wie  es  teglich  furkompt“  bezahlt 
werden6).  Ebenso  ist  dem  Rentmeister  die  Regelung  der 


solche  gewilligte  Steuer  ader  Nothulffe  eiusamtneln“ ; GAR.  — IV  6 Nr.  2 
(8.  pag.  90,  6)  (1555);  GAR.  — IV  6 Nr.  3,4  (1564,  1508)  (s.  pag.  74,  1);  8. 
a.  pag.  92,  1. 

')  Vgl.  besonders  Kammerinstruktion  (Anhang  3),  etwaige  sonstige 
Stellen  werden  besonders  vermerkt. 

s)  H.H.St.Arch.  vol.  III  234  Nr.  6,  Hofhaltung  Fürst  Bernhards  (1570): 
„Uml  die  Rechnung  von  Küche,  auch  vom  Keller  und  Becker  soll  wöchent- 
lich vom  Marschalch  Magister  Wolff  geuchmenn  und  uns  fürder  berichtet 
werden“. 

*)  Kammerinstruktion  (Auhang  3). 

*)  H.H.St.Arch.  gak.  III  252  Nr.  13  (1508)  (s.  pag.  87,  4). 

6)  Kammerinstruktion  und  II.  H.  St.  Arch.  GAR.  — IV  5 Nr.  1 (s.  pag.  85, 4, 

86,  1). 

•)  Kammerinstruktien;  H.H.St.Arch.  GAR.  — IV  5 Nr.  1 (1547)  „Aus- 
gabe vom  vorigen  Gelde:  120  thnler  durch  Magi  wolfgang  fburman  im  felt- 
lager  vor  witteubergk  in  die  kttcheu  und  ander  der  Herren  notturft  aus- 
gebeu,  wie  ehr  den  solches  zu  einem  register  stuckweis  vorzeichent  und  zu 
berechnen  erbotig“;  und  pag.  86,  1. 


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landesfürstlichen  Schulden  übertragen,  von  ihm  fordern  die 
Landstände  die  Schuldverzeichnisse  ein,  er  stellt  dafür  „Qui- 
tanzen“  aus  *).  Natürlich  hat  er  auch  über  diese  ganzen  Aus- 
gaben genaue  Verzeichnisse  „nach  den  Tittel  und  Posten“  an- 
zulegen2);  ja,  es  wird  ihm  hierin  nicht  immer  völlig  freie 
Hand  gelassen,  vielmehr  wird  in  der  Kammerinstruktion  be- 
stimmt: „Es  wollen  auch  s.  f.  g.  sonderlich  daran  sein,  dass 
M.  Wolff  in  allen  Posten,  wass  ausszugeben  sein  mögen,  ein 
gewissen  beuehlich  von  s.  f.  g.  erlange“.  Andererseits  kann 
aber  auch  der  Rentmeister  nicht  ohne  fürstlichen  Befehl  ge- 
zwungen werden,  Geld  auszuzahlen  oder  etwa  zu  verleihen 3). 
Auch  die  Verwaltung  der  liegenden  Gelder  ist  Sache  des  Rent- 
meisters, er  scheint  hierbei  auch  die  von  den  Landständen  be- 
willigten Steuern  aufbewahrt  zu  haben4). 

Überhaupt  ist  es  wahrscheinlich,  dass  die  Beamten  der 
Rentkammer  auch  bei  der  Verwaltung  der  von  den  Landtagen 
zu  erhebenden  Steuern  wesentlich  beteiligt  sind.  Jedenfalls 
ist  der  Rentmeister  häufig  in  der  zu  diesem  Zwecke  ernannten 
Kommission  tätig5),  wird  auch  bei  den  Aufstellungen  der  ein- 
zelnen Abrechnungen  mehrfach  erwähnt®).  Interessant  ist 
hierfür  der  Landtagsabschied  von  1579,  in  dem  ganz  besondere 
Bestimmungen  für  die  Tätigkeit  des  Rentmeisters  erlassen 
werden 7).  Derselbe  ist  hiernach  den  einzelnen  Landschaftsaus- 

')  H.H.St.  Arch.  GAR.  — IV  6 Nr.  3,  Landtag  von  1564:  „wie  dann 
zu  iderzeit  von  Irer  f.  g.  bestallten  Rentmeister  Inen  vorzeichnusse  sollen  ge- 
geben werden,  welche  schulden  am  dreuklichsten  angelegenn  sein,  dieselbcun 
abzulegen,  dnkegen  Quitanzen  zu  entpbahenn  und  mit  vorschreibuugen  und 
Quitanzen,  do  es  die  Landtschaff  furdcrnn  wurde,  zu  bercchenn“. 

*)  Kammerinstruktion;  ferner  pag.  86.  1;  34,  6;  anm  1. 

*)  Kammerinstruktion  (Anhang  3). 

4)  H.H.St.  Arch.  (»AR.  — IV  5 Nr.  1 (1546/1547):  „Vorgemelt  Rest  ist 
vorhanden:  300  thaler  bey  Magro  wolfgang  fburmann  seiner  selbs  anzeig 
nach  vorhanden";  „400  thaler  beim  Rentmeister  vorhanden,  so  llillcbrant 
von  Schneidebergk  geliehen  hat“;  „18  thaler  beim  Rentmeister  vorbanden 
von  den  52  thnlern  so  Nickol  Schlegel  von  Halle  bracht“ ; ,3  thaler  einig 
1.  ort,  so  Urbany  dem  Rentmeister  zngestalt  von  den  4 tbalern  von  Zesing“. 

s)  H.H.St. Arch.  GAR.  — IV  5 Nr.  1 (1547)  (s.  pag.  74,  1);  GAR.  — 
IV  6 Nr.  3 (pag.  74,  1)  (1564). 

•)  H.H.St.  Arch.  GAR.  — IV  5 Nr.  1 (s.  pag.  04.  6;  85,4;  86,  1;  anm.  4). 

’)  Codex  Anhaltmus  Minor  S.  17.  Ich  ziehe  diese  Stellen,  die  eigentlich 


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schlissen  eidlich  verpflichtet.  Besonders  ist  ihm  die  Führung 
der  für  die  Steuerverwaltung  nötigen  Bücher  übertragen,  die 
Zahlungen  leistet  er  nach  einem  Verzeichnis,  das  ihm  alle 
Vierteljahr  versiegelt  und  unterschrieben  zugestellt  wird.  Hier- 
über hat  er  dann  im  nächsten  Quartal  Rechenschaft  abzulegen, 
wie  er  auch  alle  Jahr  zu  bestimmter  Zeit  vor  dem  engeru  und 
vor  dem  grossen  Ausschuss  seine  Rechnungen  vorlegen  muss. 

Infolge  seiner  Tätigkeit  hat  natürlich  der  Rentmeister 
einen  bedeutenden  Überblick  über  den  Zustand  und  die  Lei- 
stungsfähigkeit des  Landes.  Er  wird  daher  auch  vielfach  mit 
der  Erledigung  innerer  Angelegenheiten  der  Verwaltung  be- 
traut, teils  allein  teils  als  Mitglied  irgendeiner  Kommission. 
Namentlich  bei  Besitzaufsteliungen  ist  er  stets  beteiligt;  er 
macht  die  Haushaltungsanschläge  der  einzelnen  Bezirksämter1), 
richtet  die  Vorweisregister  über  ihre  Benutzung  ein8).  Wird 
irgend  ein  Verzeichnis,  von  Kleinodien  u.  dgl.,  angelegt,  so  ist 
der  Rentmeister  dabei3),  und  selbst  die  Überwachung  der  Hof- 
ordnungsbestimmungen wird  ihm  mitübertragen4).  Der  Rent- 
meister dringt  sogar  derartig  in  die  Verwaltung  des  Landes 
ein,  dass  ihm  gelegentlich  auch  die  alleinige  Verwaltung  eines 
Bezirksamtes  anvertraut  werden  kann  5). 

Die  Besoldung  des  Rentmeisters  besteht  in  Geld,  im  Jahre 

ausserhalb  des  bestimmten  Zeitpunkts  liegen,  mit  heran,  weil  sie  gerade  über 
diese  Seite  der  rentineisterlichen  Tätigkeit  gute  Aufschlüsse  bieten.  Es 
wäre  ja  möglich,  dass  der  hier  erwähnte  Rentmeister  ein  eigener  Beamter 
der  Stände  ist,  doch  glaube  ich  es  nicht,  da  er  wohl  dann  schon  in  den 
früheren  Landtagsabschieden  erwähnt  wäre,  während  gerade  dort  stets  nur 
der  landesfürstlichc  Reutbeamte  auftritt.  Der  einmal  hier  begegnende  Titel 
Landrentmeister  könnte  irre  machen,  doch  ist,  glaube  ich,  damit  nur  der  all- 
gemeine Rentmeister  gemeint. 

')  H.H.St.Arch.  GAR.  IV'  24  Nr.  93  (1546)  „Anschlag  des  Amtes  Zerbst: 
Dieser  Anschlag  ist  auf  der  — — Fürsten  Hern  Johanses,  Hern  Georgens 

und  Hans  Joachims befehlich,  durch  uns  ihrer  f.  g.  underthenige  Diener 

Johannen  Schulzen  Rentmeister  und  Urbanuiu  parjhs  Sekretniren  nach  unserrn 
besten  Vormugen  — gemacht  und  vollendet“. 

a)  H.H.St.Arch.  K.  33  — III  71  Nr.  15  (pag.  65,  1). 

J)  H.H.St.Arch.  K.  33  — III  32  Nr.  16  (pag.  83,  5). 

*)  Hofordnung  (Anhang  1). 

s)  Rentmeisterinstruktion  (Anhang  4);  s.  a.  Stölzel,  Gelehrtes  Richter- 
tuin  S.  158. 


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1570/71  jährlich  57  fl.  3 gr.1);  ausserdem  wird  auch  er  freie 
Kleidung  und  Beköstigung  erhalten  haben. 

2.  Zu  seiner  Unterstützung  ist  dem  Rentmeister  ein  Se- 
kretär oder  Kammermeister2)  beigegeben,  der  wohl  meist 
auch  sein  Nachfolger  wird 3).  Auch  er  ist  bürgerlichen  Standes, 
vielfach  wird  er  einfach  nur  mit  dem  Vornamen  angeführt4). 
Er  hilft  dem  Rentmeister  in  der  Aufstellung  der  Verzeich- 
nisse6) und  ist  vor  allem  Kassenbeamter,  der  die  Zahlung  der 
Gelder  unter  sich  hat,  auch  bisweilen  mit  wichtigen  Geldsen- 
dungen nach  auswärts  geschickt  wird6).  Besonders  die  Re- 
gelung der  Ausgaben  ist  sein  Ressort.  Vom  Rentmeister  wird 
ihm  jedesmal  eine  grössere  Geldsumme  zngestellt,  von  ihr  be- 
streitet er  die  laufenden  Ausgaben,  bis  sie  vergeben  ist7). 
Natürlich  hat  er  hierüber  Buch  zu  führen.  Seine  Besoldung 
besteht  wohl  wie  die  der  Kanzleischreiber  in  15  fl.  pro  Jahr 
1570/71  *),  daneben  in  Verpflegung  und  Kleidung  am  Hofe. 

B.  Die  Hofverwaitung. 

a)  Die  Beamten  der  Hofhaltung. 

Die  Hofverwaltung  hat  im  16.  Jahrhundert  durchaus  ihre 
eigenen  Beamten,  die  mit  den  Landesangelegenheiten  gar  nichts 

*)  H.H.St.Arch.  GAB.  IV  27  Nr.  118:  Dienstgeltt  denn  Hoffrethcn  und 
Hoff dienern : 57  fl.  3 gr.  — dem  Bendmeister  (1570);  57  fl.  3 gr.  — dem 
Beudtmeister  (1571). 

*)  Hacbfahl  S.  74 ; Wintterlin  S.  34;  Jakobs,  Alter  und  Ursprung  S.  111; 
Bornhak  S.  53. 

•)  Vgl.  pag.  92,  5. 

*)  Namentlich  zu  belegen  sind  folgende: 

1546 — 1547.  Urbanus  Paryhs  (vgl.  H.H.St.Arch.  GAB.  IV  24  Nr. 93 
(s.  pag.  95,  1);  GAB.  IV  5 Nr.  1 (s.  pag.  74,  1;  85,  5;  89,  2). 

1574.  Benediktus  (vgl.  Kammerinstruktion,  ßentmeisterinstrnktion, 
Statthalterinstruktion  (Anhang  3,  4,  2)). 

ev.  1570.  Ulrich  (vgl.  pag.  89,  8;  91,  1). 

•)  Vgl.  H.H.St.Arch.  GAB.  IV  24  Nr.  93  (1546)  (s.  pag.  96,  1);  GAB. 
— IV  5 Nr.  1 (1547)  (s.  pag.  74,  1). 

')  Vgl.  H.H.St.Arch.  GAB.  IV  5 Nr.  1 (1547)  (s.  pag.  89,  2;  95,  4); 
„Ansgaben:  1 tbaler  hat  Urbanus  paryhs  zu  — Oswalt  Bodern  ausgebeu 
für  profartt  Briefe  bei  dem  Herzoge  von  Alba  im  Lager“. 

7)  Vgl.  Kammerinstruktion  (Anhang  3). 

-)  Vgl.  pag.  89,  8. 

Schrecket*,  Beamtentum  ln  Anhalt  7 


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zu  tun  haben.  Dieselben  sind  jetzt  mehr  oder  weniger  persön- 
liche Hausbeamte  des  Fürsten. 

a)  Von  den  alten  Hofämtern  findet  sich  nur  das  des  Mar- 
schalls1) in  annähernder  Bedeutung  wieder,  aber  auch  in 
dessen  Befugnissen  hat  sich  vieles  geändert  und  vermindert. 
Urkundlich  nachweisbar  ist  ein  Marschall  erst  wieder  im  Jahre 
15408),  vorher  im  16.  Jahrhundert  und  im  ganzen  15.  habe  ich 
keinen  Inhaber  des  Amtes  erwähnt  gefunden;  ob  es  inzwischen 
gar  nicht  vorhanden  gewesen  ist,  lässt  sich  jedoch  nicht  be- 
stimmt sagen.  Die  Bezeichnung  ist  gewöhnlich  „Marschall“ 
oder  „ Marschalch  “ , einmal  findet  sich  auch  der  Titel  „hoeff- 
marschalch“ 3).  Seinem  Stande  nach  gehört  der  Marschall 
der  landsässigen  Ritterschaft  an,  die  Inhaber  des  Amtes 
tragen  wenigstens  stets  die  Namen  anhaitischer  Adelsge- 
schlechter 4). 

Die  Tätigkeit  des  Marschalls  ist  durchaus  auf  die  Hofver- 
waltung beschränkt,  mit  den  Angelegenheiten  des  Landes  hat 
er  direkt  nichts  mehr  zu  tun.  Dass  er  sich  nicht  einmal  als 
Mitglied  des  landesfürstlichen  Rates  nachweisen  lässt,  mag  in 
dem  verhältnismässig  seltenen  Auftreten  des  Marschalls  in  den 
Urkunden  seinen  Grund  haben. 

In  der  Hofhaltung  ist  aber  der  Marschall  der  eigentliche 
Leiter,  nur  noch  der  Haushofmeister  oder  Hauptmann  haben 
gelegentlich  gleiche  Befugnisse6).  Die  ganze  Verwaltung  des 

')  Isaaksahn  S.  14;  Kosenthal,  Gerichtswesen  S.  230 ff. , 246ff.;  Wint- 
terlin  S.  13;  v,  Wretschko  S.  183  ff. ; Fellner  S.  275;  v.  Maurer  S.  273,  288. 

»)  H.  H.  St.  Arch.  K.  33  — III  32  Nr.  16  (s.  pag.  83,  5). 

*)  G.Qu.d.Pr.  S.  VI  688  (1560). 

*)  1540.  Ernst  Melwitz  (H.H.St. Arch.  K.  33  — III  32  Nr.  16 
(s.  pag.  R3,  5). 

1547.  Hans  von  Sleiniz  (H.  H. St.  Arch.  GAR.  IV  5 Nr,  1.  „400 
thaler  von  petcrn  Hillebrandt  zu  Schneidebergk , davor  Hans  vou  Sleiniz 
Marschalk  und  Ernst  von  Walwiz  sich  als  Burgen  verschrieben1'. 

1560.  Heinrich  von  Prawinkel  (G.Qu.  d.Pr.S.  VI  688),  er  kommt 
schon  1546  ohne  Titel  vor  (s,  pag.  85,  5). 

1570.  Wolff  Pagke  (H.H.St. Arch.  GAR.  IV  27  Nr.  118.  „22  fl. 
18  gr.  Wolff  Pagke  dem  Marschalch  zur  erfullung  seiner  zwey  Iherigen  be- 
soldung,  wie  dau  im  Register  des  vorigen  Jahrs  nicht  mehr  als  100  thaler 
zu  befinden,  do  ihme  120  thaler  geburtt“. 

s)  s.  pag.  102  ff„  104  ff. 


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Hofes  ist  ihm  übertragen ').  er  hat  gewissennassen  die  Ämter 
aller  andern  früheren  Hofbeamten  in  seiner  Hand  vereinigt 
und  ist  der  Vorgesetzte  aller  niedern  Hofbeamten.  Er  hat  die 
Aufsicht  über  die  Küche  wie  den  Keller®);  wöchentlich  gibt 
er  dem  Küchenschreiber  seine  Verordnungen,  setzt  den  Speise- 
zettel fest,  macht  die  nötigen  Bestellungen  und  legt  pro  Woche 
die  Rechnungen  vor3).  Auch  die  Schenken  und  Becker  sind 
seinen  Anordnungen  unterstellt4),  er  hat  die  Aufsicht  über 
Futterkammer5)  und  Marstall,  nur  mit  seiner  oder  des  Hof- 


*)  H.H.St.Arch.  vol.  III  234  Nr.  16  (1570):  Hofhaltung  des  Fürsten 
Bernhard  (H.O.). 

•)  H.O.:  „Erstlich  KUchenordnungk:  Der  Küchschreiber  oder  wem  die 
Kuchelenn  wirdt,  soll  in  der  Küchenn  der  Oberste  sein,  in  den  Kucbenn  zu 
schaffen  und  zu  gebieten  haben,  doch  nach  wöchentlich  Verordnung  unsers 
Hauptmanns  und  Marschalks  und  dann  nach  nnserm  selbst  und  des  Marschalks 
jeglichem  u.  sonderlichen  Befehl.  Demselben  Knchschreiber  sollen  die  Kochs 
und  KUchennjung  gehorsam  seinn. 

Es  sollen  auch  die  Kochs  keinenn  gewandertenn  Koch  in  die  Knch 
führen,  anch  hinnach  nicht  speisen  ohne  Verlaub  des  Marschalchs. 

Was  auch  in  der  Kucbenn  mangeln  wirdt,  soll  der  Kncheuschreiber  dem 
Marscbalch  zeitlich  auzeigen,  Bestellung  darnach  zu  thun,  wie  sich  dann 
sonst  zu  jeder  Zeit  der  Kuchenschreiber  mit  dem  Marscbalch  unterreden  soll, 
was  er  soll  speissen,  und  wenn  gleich  etwas  vorhanden,  was  man  zur  not- 
tnrfft  bedarf,  soll  mit  allem  Vleis  vom  KUchenschreiber  und  Koch  dahin  ge- 
trachtet werden,  vom  Marschalch  darüber  gehalten  werden,  dass  nichts  Un- 
nützes verspildet,  sondern  einem  jeden  die  Notdurft  gereicht,  Überfluss  — 
— vermieden  werde1’. 

„Kellerordnung:  Es  soll  niemand  weder  in  der  Herren  noch  Speise 
Keller  gehen,  allein  der  Hauptmann  und  Marscbalch  und  Befehlbabere  be- 
stellens  halben“. 

•)  H.O.  (s.  pag.  94,  2). 

4)  H.O.  „So  sol  ancb  der  Schenke  keinen  Hewen  zu  vyl  nenteu  ohne 
Vorwissen  und  Besichtnng  das  Hauptmanns  und  Marschalks. 

Es  sollen  auch  Schenken  und  Becker  nichts  ausser  dieser  Ordnung  thun, 
es  werde  Ihnen  denn  beuehelenn,  dass  es  mit  Vorwissen  unsere,  des  Haupt- 
manns und  des  Marschalks  geschehe. 

und  sonst  soll  er  (der  Bäcker)  auch  mit  den  Speisen  unterscheiden  und 
die  alte  gewohnheit  nach  Anweisung  des  Hauptmanns , Marschalks  und  Be- 
fehlsbabere  bleiben  lassen. 

Und  soll  in  Summa  des  Backens  mit  vleis  wartten,  ander  Ding  müssig 
gehen,  darauf!'  der  Hauptmaun  und  Marschalk  gnt  Achtung  geben  wirdet“. 

s)  H.O.  „Fntterordnnng:  Und  uff  solch  Futter  soll  der  Komschreiber 

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meisters  Erlaubnis  darf  der  Stallmeister  Pferde  ausrangieren 
und  verkaufen1);  auch  Vorwerk  und  Fischereien  fallen  in 
seinen  Befehlsbereich  2).  Überhaupt  hat  der  Marschall  für  das 
ganze  Getriebe  auf  dem  Hofe  zu  sorgen;  den  Verkehr  im 
Hofe  muss  er  überwachen3),  ohne  sein  Wissen  darf  der  Tor- 
wärter niemand  einlassen  *),  fremde  Personen  sind  bei  ihm  an- 
zumelden, er  hat  dann  darüber  Entscheid  einzuholen  und  un- 
rechtmässige Eindringlinge  hinunter  zu  weisen5).  Abends  hat 
er  nach  den  Feuerstellen  und  Lichten  zu  sehen6),  und  während 
der  Nacht  die  Schlüssel  zu  den  Toren  an  sich  zu  nehmen  7). 

Vor  allem  hat  er  auch  die  Oberaufsicht  über  das  Hofge- 
sinde, und  für  Zucht  und  Ordnung  im  Hofe  zu  sorgen,  daher 
stehen  ihm  richterliche  und  polizeiliche  Befugnisse  über  die 
zum  Hofe  gehörigen  Personen  zu.  Der  Marschall  soll  darauf 
sehen,  dass  der  Burgfriede  eingehalten  wird  und  das  Hof- 
gesinde sich  gegen  fremde  Leute  angemessen  beträgt8).  Bei 


sonderlich  Achtung  geben soll  er  sich  Raths  bei  dem  Hauptman,  Har- 

schalk und  Befehlshabern  erholen“;  s.  Anhang  1. 

')  H.H.St.Arcb.  III  33  — 233  Nr.  1 und  2 (16.  Jahrh.),  „Nachdem  auch 
die  Pferde,  so  nicht  mehr  zum  Reiten  tauglich,  lange  Zeit  uff  der  Strö  ge- 
standen u.  uff  derselben  mehr  Futter  verezen  und  gebrauchen  werden,  als  sie 
werth  gewesen  sein,  so  soll  Stalmeister  oder  in  seiner  Abwesenheit  sein 
Amtzverweser  roitt  vorwissen  marschalkhs  oder  Hausshouwmeisters  hinfürter 
die  geliferten  Pferde,  so  nitt  mehr  zu  rentben,  forderlichen  verkauften  unnd 
umb  billige  bezalung  weggeben“ ; s.  Anhang  1. 

*)  Hofordnung  (Anhang  1). 

*)  H.O.:  „Und  da  wir  ein  Gast  oder  Jemandes  fremdes  bekommen,  soll 
ehr  bei  unser,  des  Hanptmans  und  Marsckalchs  Verordnung  stehen“. 

*)  H.O.  „Torwerterordnung:  Er  soll  auch  keinen  Bothen  einiassen  ohne 
des  Marschalks  und  Bevehlshabers  Wissen“. 

*)  H.O.  „Es  soll  auch  Keiner,  Edel  oder  Unedel  einen  Fremden  auf- 
nehmen oder  zu  Tisch  fordern  ohne  erlangten  Urlaub  und  hierauf  soll  der 
Marschalch  sehenn  und  welcher  nicht  her  auf  gehöret,  wiederumb  hinunder- 
weisen";  H.H.St.Arcb.  vol.  III  233  Nr.  1 und  2 (16.  Jahrh.)  (s.  pag.  74,  3). 

*)  s.  Hofordnung  (Anhaug  1). 

’)  H.O.  „Torwerterordnung:  und  darauff  dem  Marschalk  und  Befehl- 
haber, der  am  Hoff  sein  wird,  die  Schlüssel  zustcllen“. 

•)  H.H.St.Arcb.  vol.  III  275/276  Nr.  132  (1546)  „Und  unser  Hauptmann, 
Marsch&llk  ader  wem  wir  es  befelen,  soll  — — sonderlich  ob  dem  Burg- 
friede mit  ernst  halten.  Desgleichen  das  sich  unser  Hofgesinde  gegen  die 
Burger  auch  friedlich  halte  und  do  darwider  iclites  von  Inen,  das  Got  nicht 


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den  Mahlzeiten  führt  er,  unterstützt  vom  Küchenschreiber,  die 
Aufsicht1),  weist  die  Plätze  an  und  achtet  darauf,  dass  kein 
Unberechtigter  sich  einschleicht,  dass  nicht  zuviel  getrunken 
und  nichts  beiseite  gesteckt  wird *).  Abends  hat  er  darauf  zu 
sehen,  dass  das  Hofgesinde  zur  rechten  Zeit  zu  Bett  geht  und 
niemand  länger  sitzen  bleibt3).  Überschreitungen  und  Wider- 
setzlichkeiten soll  er  ernstlich  strafen  mit  „geordneter  Straffe“ 4). 
Er  ist  auch  ordentlicher  Richter  über  das  Hofgesinde,  dass  ihm 
„bei  höchster  straff“  zu  gehorchen  hat5).  Bei  Streitigkeiten 
des  Hofgesindes  unter  sich  ist  er  berechtigt,  falls  der  Spruch 
der  Räte  nichts  nützt,  „mit  Ernste  durch  Bestrickung  oder 
gefengliche  Ahntung  drein  zu  greifen  und  den  mutwilligen 
nach  gebührlichem  Recht  zu  straffen“ 6). 

Dem  Fürsten  gegenüber  ist  der  Marschall  immer  noch  zu 
gewissen  persönlichen  Diensten  verpflichtet,  eine  Sitte,  die  sich 
wohl  von  der  alten  Zeit  her  erhalten  hat;  er  hat  den  Fürsten 
zu  Tische  zu  holen  und  ihm  das  Handwasser  zu  reichen 7). 
Gelegentlich  begleitet  der  Marschall  den  Fürsten  wohl  auch 

wolle,  nngeburlich  furgehe,  sol  dem  vermöge  des  Vertrags  nachgegangen 
werden“. 

*)  H.O.  „Wenn  auch  Malzeit  gehalten  wirdt,  soll  der  Kncheuschreiber 
neben  dem  Marschalk  auffachtung  geben,  was  von  Tischen  uffgehobenn  und 
zn  schusseln  bleibt“.  „Darbey  er  doch  noch  mit  nffsehenn  des  Marschalchs 
und  Hauptmanns  bleiben  soll“. 

’)  H.  0.  „Und  soll  niemand  nichts  über  der  Mahlzeit  beiseit  stecken  und 
nit  vom  Tische  wegen,  hierauf  soll  der  Marschalcb  und  der  Thorwerter  mit 
allem  Vleis  aehtung  geben;  H.O.  (Anhang  1);  H.H.St.Arcb.  vol.  III  233 
Nr.  1 and  2 (16.  Jahrh.):  Hinffirdcr  soll  auch  Marschalkh,  Hauss-Hofmeister 
— — Ihr  fleissig  und  ernstlich  aufsehenns  haben,  da3  uff  dem  — ? — das 
Zutrinkben  und  aller  Überfluss  abgestelt  werde“. 

*)  H.O.  „Kellerordnung:  sondern  soll  ein  jeder  zu  Bett  gehen,  dahin 
er  gehört,  darauf!  dann  der  Marschalch  und  Befehlhabere  Uffsehen  babenn 
sollen,  sie  in  Überschreitung  ernstlich  bestraffen“;  H.O.  (Anhang  1). 

‘)  s.  Hofordnnng  (Anhang  1). 

•)  s.  Hofordnung  (Anhang  1);  vgl.  Rosenthal  Gerichtswesen  S.  230. 

‘)  H.O.  „Da  sich  aber  von  seinem  unwilligen  Vorhaben  jemand  nicht 

würde  weisen  lassen, soll  der  Hanptmann,  Marschalch  oder  wem  wirs 

befehlen,  macht  haben  mit  ernste  usw“. 

’)  H.O.  „Küchenordenungk:  und  soll  der  Marschalch  uns  zn  Tische 
holen,  das  Handwasser  reichen“;  H.O.  (Anhang  1). 


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jetzt  noch  auf  Reisen 1),  wenn  er  auch  bei  dem  festen  Sitz  der 
Hofhaltung  meist  in  der  Residenz  bleiben  wird. 

Die  Besoldung  des  Marschalls  hat  im  16.  Jahrhundert 
natürlich  ebenfalls  in  Geld  bestanden,  und  zwar  1570  pro  Jahr 
120  Thaler  8),  ebenso  erhält  er  Kleidung  und  Beköstigung *). 

Bei  grösseren  Hoffestlichkeiten  ist  das  Marschallamt  ein 
persönlicher  Ehrendienst,  es  werden  dann  besondere  Mar- 
schälle  aus  den  Reihen  der  Vornehmen  bestellt,  die  an  den 
einzelnen  Tischen  gesondert  als  Marschälle  „vom  Essen“  oder 
„vom  Trinken“,  für  die  Verpflegung  der  Gäste  zu  sorgen 
haben  *). 

ß)  Die  ganze  Verwaltung  des  fürstlichen  Hofes  scheint 
aber  in  den  anhaitischen  Gebieten  im  16.  Jahrhundert  doch  so 
weitläufig  gewesen  zu  sein,  dass  sie  von  einem  Oberbeamten 
allein  nicht  erledigt  werden  konnte.  Infolgedessen  ist  neben 
dem  Marschall  stets  noch  ein  anderer  höherer  Beamter  mit  der 
Leitung  der  Hofangelegenheiten  betraut.  Ein  solcher  ist  der 
Hofmeister5),  auch  Haushofmeister  genannt,  der  uns  eiuige 
Male  in  anhaitischen  Urkunden  begegnet.  Es  ist  dies  ein 
ganz  neues  Amt,  das  vor  der  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahr- 
hunderts sich  gar  nicht  in  Anhalt  nachweisen  lässt.  Zuerst 
tritt  es  im  Jahre  1470  auf6),  ist  aber  auch  seit  dieser  Zeit 


')  H.H.St.  Arch.  GAR.  — IV  5 Nr.  1 (1547)  „Ausgaben:  15  thaler  zu 
Zerung  ins  lager  und  zum  tbeil  Joseph  Trommeter,  do  er  sein  abschied 
haben  wolte,  zu  geben,  dem  Marscbalch  zu  Dessau  zugcstelt,  davon  ehr  wirt 
wissen  bericht  zu  thun“. 

*)  H.H.St. Arch.  GAB.  - IV  27  Nr.  118  (s.  pag.  98,  4). 

•)  H.H.St. Arch.  GAR.  — IV  27  Nr.  118:  „Für  Stiefeln:  fi  fl.  — dem 
Marscbalch  nf  3 Mon.“. 

*)  H.H.St. Arch.  K . 33  — III  70b  Nr.  14  (1557),  Ordnung  für  Fürst 
Karls  Hochzeit:  „Marschalk  vorm  ersten  Ingehen  sollen  sein:  Hanus  von 
Wulffen  und  Hans  von  Schierstede,  Hans  von  Barby“.  „was  sonst  im 
Frauenzimmertisch  mehr  von  noten,  werden  die  Marschalks  bestellen“.  „Und 
in  der  Kautzley  soll  Adolff  von  Wuthenau  Marschalk  sein,  Essen  und  Trinken 
verschaffen“,  „und  davor  im  Zenghanse  5 Tische,  do  mögen  die  Marschalks 
verordnen,  wie  ihnen  essen  und  trinken  zuzutragen  sey.  Fber  die  Haupt- 
stuben werden  zwei  Marschalken  verordnet“;  vgl.  a.  pag.  79,  5. 

*)  Vgl.  bes.  Seeliger,  Das  deutsche  Ilofmeisteramt  im  späteren  Mittel- 
alter  (Innsbruck,  1885)  S.  448  ff. ; v.  Maurer  S.  232. 

•)  Reg.  719. 


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nur  wenig  belegt  *).  In  der  Hofordnung  des  Fürsten  Bernhard 
vom  Jahre  1570  kommt  es  gar  nicht  vor,  wo  man  es  doch 
eigentlich  erwarten  sollte,  seine  Amtsfunktionen  hat  hier  der 
Hauptmann  eingenommen.  Es  ist  demnach  möglich,  dass  das 
Hofmeisteramt  nur  kurze  Zeit  bestanden  hat  und  später  dessen 
Hofverwaltungspflichten  entsprechend  den  Einrichtungen  der 
lokalen  Ämterverwaltung  auf  den  „Hauptmann  am  Hofe“  über- 
tragen sind,  das  Amt  also  von  selbst  eingegangen  ist;  doch 
möchte  ich  es  nicht  bestimmt  binstellen. 

Jedenfalls  ist  die  Tätigkeit  des  Hofmeisters  im  wesent- 
lichen dieselbe,  wie  die  des  Marschalls,  vielfach  werden  beiden 
Beamten  nebeneinander  dieselben  Funktionen  übertragen,  sie 
teilen  sich  eben  in  die  Verwaltung  des  Hofes,  aber  der  Mar- 
schall ist  doch  wohl  immer  der  höhere  Beamte.  Auch  der  Hof- 
meister ist  lediglich  Hofbeamter  und  hat  mit  der  allgemeinen 
Landesregierung  nichts  zu  tun  8).  Von  einer  Rivalitätsstellung 
zum  Kanzler B)  oder  dergleichen  hervorragender  Regierungs- 
tätigkeit kann  in  den  anhaitischen  Territorien  keine  Rede 
mehr  sein.  Wie  der  Marschall,  hat  auch  der  Hofmeister  die 
Verteilung  und  den  Verbrauch  der  Getränke  in  der  Hofhaltung 
zu  überwachen4),  den  Verkehr  im  Hofe  zu  beaufsichtigen*), 
wie  Entscheidung  über  Angelegenheiten  des  Marstalls  zu 
treffen 6).  Nur  eine  Tätigkeit  ist  ihm  allein  überlassen : bei  der 
wöchentlichen  Rechnungslegung  hat  er  die  Ausgabenverzeich- 


')  „Ich  habe  es  nur  dreimal  belegt  gefunden,  und  auch  hier  tritt  es  nur 
einmal  bedeutender  hervor  (vgl.  H. H. St.Arch.  vol.  III  233  Nr.  1 und  2; 
Haushaltungsbuch  ans  dem  Anfang  des  16.  Jahrh.),  sonst  wird  ein  Hofmeister 
immer  nur  kurz  erwähnt  (vgl.  K.  33  — III  32  Nr.  16  (1560)  [s.  pag.  86,  3]; 
GAR.  IV  27  Nr.  118  (1570)  „Dienstgeltt:  58  fl.  12  gr.  dem  Hofmeister"). 

’)  Nur  einmal  findet  sich  ein  Hofmeister  auch  hei  dem  Abschluss  eines 
nicht  die  Hofverwaltung  angehenden  Vertrages  tätig  (Reg.  719  (1470)). 

*)  Rosenthal,  Gerichtswesen  S.  241  ff.;  Luschin  v.  Ebengreuth,  Rechts- 
geseb.  S.  190;  Lamprecht  S.  1437  ff. 

4)  pag.  101,  2;  pag.  73,  9;  92,  5. 
s)  pag.  74,  3. 

•)  pag.  100,  1. 


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nisse  zu  prüfen  l),  während  dem  Marschall  dies  nicht  zusteht, 
er  sogar  selbst  Rechnung  ablegen  muss8). 

Seinem  Stande  nach  ist  der  Hofmeister  wohl  nur  bürger- 
lich, entsprechend  dem  neu  eingerichteten  Amte,  doch  lässt  es 
sich  bei  dem  geringen  urkundlichen  Material  nicht  bestimmt 
feststellen 3). 

Anscheinend  haben  auch  die  einzelnen  Mitglieder  der 
fürstlichen  Familie  mitunter  eigene  Hofmeister  gehabt,  wenig- 
stens lässt  sich  dies  bei  der  Gemahlin  des  Fürsten  Karl  sicher 
nachweisen  *). 

Auch  der  Hofmeister  erhält  Besoldung  in  Geld,  58  fl.  12 
gr.  pro  Jahr,  und  ebenso  wohl  Kleidung  und  Beköstigung  von 
seinem  Fürsten5). 

y)  Nicht  immer  ist  aber  die  zweite  obere  Verwaltungsstelle 
am  fürstlichen  Hofe  einem  Hofmeister  übertragen.  Seit  der 
Mitte  des  16.  Jahrhunderts  begegnet  in  einigen  Urkunden  und 
Akten  anhaitischer  Fürsten  ein  „Hauptmann  am  fürst- 
lichen Hofe“6),  der  dieselben  Funktionen  ausübt.  Das  Vor- 
handensein eines  derartigen  Beamten  lässt  sich  schon  im  Jahre 
1546  nachweisen’),  also  zu  einer  Zeit,  wo  auch  das  Hof- 
meisteramt noch  sicher  besteht.  Über  die  Tätigkeit  des  Haupt- 
manns erfahren  wir  aber  Näheres  erst  aus  der  Hofordnung  des 


')  H.H.St.Arch.  vol.  III  233  Nr.  1 und  2 (1546):  „Sodann  solches  ge- 
schehen, sollen  die  Verordneten  zur  wochen  Rechnung  als  namblich  Hauss- 
hauvnioister  Paiser  und  Christo!!  Thomas  obgeinellte  Verzeichnis  mit.  allem 
Heiss  belegen  und  sehen,  ob  es  sich  mit  der  aussgab  wein  und  Brots  ver- 
gleichen will“. 

*)  pag.  94,  2. 

*)  Folgende  Namen  sind  festzustellen: 

1470.  Gregor  Siedeis  (Reg.  719)  unter  Färst  Albrecht. 

(16.  Jahrh.)  Paiser  und  Frautz  Knrtzen  (H.H.St.Arch.  vol.  III  233 
Nr.  1 und  2 (s.  amu.  1)  und  „inmassen  dem  Hausshovemeister  Frantz  Kurtzen 
bewusst“). 

1560.  Christoph  Creitzeu  (H.H.St.Arch.  K.  33  — III  32  Nr.  16 
(s.  pag.  86,  3). 

*)  H.H.St.Arch.  K.  33  — III  32  Nr.  16  (1560)  (s.  pag.  86,  3;  s.  a.  See- 
liger  S.  44). 

s)  H.H.St.Arch.  GAR.  IV  27  Nr.  118  (1570)  (s.  pag.  103,  1). 

•)  Jacobs  S.  104,  112  für  Wernigerode. 

»)  H.H.St.Arch.  GAR.  — IV  5 Nr.  1 (s.  pag.  85,  5). 


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Fürsten  Bernhard  vom  Jahre  1570 '),  in  der  von  einem  Hof- 
meister nicht  mehr  die  Rede  ist.  Es  ist  also  möglich,  dass 
der  Hauptmann  damals  dessen  Amt  in  seinem  ganzen  Umfang 
übernommen  hat.  Oder  aber  es  sind  an  den  einzelnen  auhal- 
tischen  Fürstenhöfen  für  diese  Tätigkeit  verschieden  benannte 
Beamte  tätig  gewesen,  am  Zerbster  Hof  eben  ein  Hauptmann. 
Jedenfalls  ist  ein  Hauptmann  am  anhaitischen  Fürstenhofe  mit 
der  Leitung  der  Hofverwaltung  betraut  gewesen,  es  fragt  sich 
nur,  ob  an  allen  oder  nur  bei  einzelnen. 

Es  scheint,  als  ob  der  Hauptmann  ein  ganz  selbständiger, 
besonderer  Hofbeamter  ist.  Jedenfalls  ist  in  der  Hofordnung 
von  1570  immer  von  dem  Hauptmann  die  Rede,  ohne  irgend- 
wie einen  Amtsort  zu  bezeichnen*),  und  auch  im  Jahre  1546 
heisst  es  bei  Aufzählung  der  Zeugen  „Oswalt  Roder,  Fürst  Ge- 
orgen Hauptman  an  s.  f.  g.  Hoffe“,  während  alle  andern 
Hauptleute  mit  ihrem  Amtsort  aufgeführt  werden3).  Sicher 
lässt  sich  allerdings  das  Bestehen  eines  solchen  besonderen 
Amtes  nicht  nachweisen.  Derselbe  Oswald  Roder  erscheint 
auch  in  einigen  andern  Urkunden  wieder  als  Hauptmann  des 
Amtes  Hartzgerode 4)  und  wird  einmal  im  Jahre  1570  direkt 
unter  die  „auswerndigen  Diener“  gerechnet5),  kann  also  damals 
nicht  am  Hofe  tätig  gewesen  sein.  Es  ist  ja  immerhin  mög- 
lich, dass  er  später  sein  Hofamt  niedergelegt  und  die  Verwal- 
tung eines  ländlichen  Amtes  übernommen  hat.  jedoch  bleibt 
stets  fraglich,  ob  der  Hauptmann  am  Hofe  wirklich  ein  be- 
sonderer Beamter  für  sich  ist  oder  damit  nicht  bloss  vielmehr 
einer  der  Amtshauptleute  gemeint  ist,  der  sich  gerade  am 


')  In  der  Regimentsordnung  von  1546  (H.H.  St.Arch.  vol.  III  275/276 
Nr.  132)  wird  zwar  einmal  auch  die  Tätigkeit  eines  Hauptmanns  in  der  Hof- 
verwaltung erwähnt,  doch  kann  sich  dies  auch  auf  den  znm  Regiment  ge- 
hörigen Hauptmann  des  Amtes  Zerbst  beziehen  (s^pag.  88,  1;  99,  4;  114,  3). 

>)  pag.  99—101. 

*)  H.H. St.Arch.  GAR.  IV  5 Nr.  1 (pag.  85,  5;  auch  114,  3). 

*)  G.Qu.d.Pr.S.  VI  688  (1560);  ev.  schon  VI  640  (1547),  doch  lässt 
es  sich  hier  nicht  genau  sagen. 

s)  H.H. St.Arch.  IV  27  Nr.  118.  „Dienstgellt  Auswerndigen  Dienern: 
57  f.  — 3 gr.  dem  Hauptmau  Kottschen  anf  Osternn,  57  fl.  — 3 gr.  dem 
Hauptman  Osswalt  Rodern,  vermach  seiner  bekenntnis“. 


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landesherrlichen  Hofe  aufhält  oder  in  dessen  Amt  die  landes- 
fürstliche Residenz  liegt,  der  also  diese  Aufgaben  noch  im 
Nebenamt  erledigt  ‘). 

Die  auf  die  ganze  Verwaltung  des  Hofwesens  ausgedehnte 
Stellung  des  Hauptmanns  entspricht  im  wesentlichen  der  des 
Marschalls,  scheint  sogar  persönlich  noch  bedeutender  gewesen 
zu  sein,  da  der  Hauptmann  fast  stets  vor  dem  Marschall  ge- 
nannt wird.  Auch  er  hat  die  Aufsicht  über  Küche,  Keller, 
Schenken  und  Bäcker,  über  Brauhaus,  Futterboden  sowie  Vor- 
werk, Fischereien 8) ; besonders  ist  ihm  auch  die  Überwachung 
des  Feuerungsmatcrials  an  vertraut8).  Er  hat  ebenfalls  auf  den 
Verkehr  im  Hofe  aufzupassen,  auch  ihm  ist  das  Hofgesinde 
unterstellt,  über  das  er  gleichfalls  Gerichtsbarkeit  ausübt. 
Also  der  Hauptmann  hat  ebenso  auf  Ordnung  im  Hofe  zu 
sehen  und  die  Einhaltung  der  Vorschriften  zu  überwachen. 

Seinem  Stande  nach  ist  er  wie  die  Hauptleute  der  lokalen 
Ämter  adlig 4),  überhaupt  hat  dieses  Amt  mit  dem  der  Bezirks- 
verwaltung wohl  vieles  gemein5). 

d)  Von  niederen  Hofbeamten  findet  sich  in  den  anhaitischen 
Territorien  im  16.  Jahrhundert  ein  Küchenmeister  oder 
Küchenschreiber6)  als  Leiter  von  Küche,  uud  Keller;  er  hat 
zugleich  die  Aufsicht  über  das  Küchenpersonal,  Köche  und 
Küchenjungen 7).  Einmal  werden  auch  im  Anfang  des  16.  Jahr- 
hunderts noch  „Truchsässe“  erwähnt,  jedoch  nur  bei  allge- 
meiner Aufzählung7). 

Für  die  Ausgabe  der  Getränke  gibt  es  einen  Schenken8), 

')  pag.  117  ff. 

*)  Vgl.  für  seine  Befuguisse  die  Stellen  pag.  99  — 101;  ferner  H.O. 
„Kellerordnung:  Dann  umb  10.  Schläge  soll  der  Keller  geschlossen  sein  und 
wenn  gleich  jemand  Fremder  komme,  soll  doch  keiner  ausserhalb  uns  selbst, 
dem  Hauptmaun  und  Befehlhabere  macht  haben,  deuselben  öffnen  zu  lassen“. 

’)  Hofordnnng  (Anhang  1). 

*)  Siehe  Oswald  Koder  (s.  pag.  85,  5). 

s)  pag.  111  ff.;  118. 

•)  H.  II.  St.Arch.  K.  33  — III  32  Nr.  16  (s.  pag.  86,  3)  (1560);  vol.  III 
234  Nr.  16,  Hofordnung  (s.  pag.  99,  2). 

’)  H.H.St.  Arch.  vol.  III  233  Nr.  1 und  2 (s.  pag.  79,  5). 

")  Hofordnung  (pag.  99,  4). 


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einmal  auch  Kastkeller  genannt1),  ferner  für  das  Backwesen 
einen  „ Beck  er“2). 

Die  Verwaltung  des  Hausinventars  hat  ein  Kämmerer 
unter  sich3),  die  Aufsicht  über  den  Marstall  führt  ein  Stall- 
meister4), über  die  Futterkammer  ein  Kornschreiber5); 
Wagenställe,  wie  Heu-  und  Stroh  Vorräte  unterstehen  einem  be- 
sonderen Voigt8).  Für  die  Bewachung  der  Tore  ist  ein  be- 
sonderer Torwärter  angestellt7). 

Alle  diese  Beamten  sind  aber  nur  Beamte  zweiten  Grades, 
in  ihrer  Verwaltung  an  die  Vorschriften  des  Marschalls  und 
Hofmeisters  oder  Hauptmanns  gebunden.  Von  der  grossen  Be- 
deutung, die  einzelne  dieser  Hofbeamten  im  13.  und  14.  Jahr- 
hundert gehabt  haben,  ist  nichts  mehr  geblieben;  als  Zeugen 
werden  sie  gar  nicht  mehr  herangezogen,  nur  einmal  ein 
Küchenmeister  bei  Aufnahme  eines  Haushaltungsinventars8). 
Einzig  der  Stallmeister  scheint  noch  etwas  mehr  Bedeutung 
gehabt  zu  haben,  da  wir  1571  einen  Adligen  in  dieser  Stellung 
finden3)  — sonst  sind  die  andern  niedern  Hofbeamten  wohl 

‘)  H.  H.  St.  Arcb.  vol.  III  233  Nr.  1 und  2 (16.  Jahrh.)  (s.  pag.  73,  9). 

*)  pag.  99,  4. 

*)  H.H.St.Arch.  vol.  III  233  Nr.  1 und  2 (16.  Jahrh.)  „Desgleichen  soll 
Kaspar  Troll  Liecht  Kämmerer  alle  Tisch  und  Personen  in  unsers  gnedigen 
Fürsten  nnd  Herrn  und  Fra  wen  Zimmergemach  ader  wo  die  Jderzeitt  gespeist 
werden,  über  jeden  Imbis  abzelen“. 

*)  H.  H.  St.  Arch.  vol.  III  233  Nr.  1 und  2.  „Item  so  soll  auch  in  unsers 
gnedigen  Herrn  Marstall  mit  Ausgebnng  dieser  Ordnung  gehalten  werden 
und  Stallmeister  denn  Schlüssel  darzu  und  mit  allem  Heiss  und  ernst  sein 
auffseheniss  haben“;  Hofordnung  (s.  pag.  100,  1);  GAB.  — IV  27  Nr.  118 
(1670)  „Dienstgellt:  20  fl.  — dem  Stallmeister“;  vol.  V 276b  Nr.  19  (1571) 
(s.  anm.  9). 

5)  pag.  99,  5;  H.H.St.Arch.  GAR.  — IV  27  Nr.  118  (1570)  „Dienst- 
gellt: 10  fl.  — dem  Kornschreiber“. 

*)  Hofordnung  (Anhang  1);  H.H.St.Arch.  GAR.  — IV  27  Nr.  118 
(1571)  „Für  Stiefeln:  2 fl.  — Nickel  dem  Vogt“, 
pag.  100,  4;  100,  7;  101,  2. 

•)  pag.  86,  3 (1560). 

*)  H.H.St.Arch.  vol.  V 275b  Nr.  19  (1571)  „Wir  Joachim  Ernst  be- 
kennen, nachdem  der  erbar  unser  Stalmeister  nnd  lieber  gctreuwer  Adolf! 
von  Krosigk,  uns  mit  Diensten  vorhafft  gewesen,  dass  darnach  und  zur  er- 
getzung  solches  seines  — vleisses  wir  Ihm  begnadet  wöchentlich  audert- 
halben  scheffel  mehl,  kleinmass  und  sonst  — ? — von  seiner  Mühlen  zu 


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108 


alle  bürgerlich  — , doch  kann  es  auch  in  diesem  Falle  ein 
Ehrenamt  sein.  Nur  gelegentlich  von  Hoffestlichkeiten  haben 
die  Ämter  des  Küchenmeisters  und  Schenken  noch  ihre  alte 
mittelalterliche  Bedeutung  bewahrt,  dann  werden  auch  sie  noch 
von  Adligen  als  persönliche  Ehrenämter  verwaltet*). 

Alle  diese  Hofbeamten  erhalten  natürlich  ebenfalls  Besol- 
dung in  Geld,  wenn  auch  ziemlich  wenig,  Unterhalt  bei  Hofe 
und  freie  Kleidung  *).  Für  gute  Dienste  werden  ihnen  gelegent- 
lich noch  besondere  Verleihungen,  wie  Freiheit  von  einzelnen 
Abgaben,  zuteil3).  Ihre  Anstellung  und  Entlassung  behält  sich 
der  Fürst  selbst  vor4). 

b)  Der  Statthalter. 

Mit  zu  den  Beamten  der  persönlichen  Verwaltung  der  an- 
haltischen  Fürsten  gehört  endlich  auch  noch  der  Statthalter; 
dessen  Amt  erst  im  Jahre  1574  anscheinend  ganz  neu  einge- 
richtet worden  ist  zur  besseren  Beaufsichtigung  von  „Hauss- 
und Hofhaltung“ 6).  Es  wird  einem  ehemaligen  Ratsmitglied 
übertragen,  sein  Inhaber  gehört  dem  Adel  an6). 

Der  Statthalter  ist  lediglich  Verwaltungsbeamter,  ohne 
jede  gerichtliche  und  andere  Pflichten.  In  seinen  besondern 
Verwaltungsbereich  ist  die  Oberaufsicht  über  die  Domänen- 
ämter gestellt,  unter  denen  das  Amt  Dessau  ihm  noch  besonders 


MuhlenzinB  geben  müssen,  nunmehr  vor  sich  und  seine  Leibs  Erben  solcher 
wöchentlich  Zinsse  gefreiet  sein  sollen  und  diesselben  von  sich  geruhigk- 
lichen  haben“. 

')  H.H.St.  Arcli.  K.  33  — III  70  b Nr.  14,  Ordnung  für  Fürst  Karls 
Hochzeit:  „Ein  Küchenmeister  ist  bestallt  das  ist  N.  von  Drondorff“.  „Die 
Schenken  in  der  Herren  Keller  sollen  sein  N.  N.“. 

*)  pag.  107,  4 — 6. 
a)  pag.  107,  9. 

*)  H.H.St.Arch.  vol.  III  275/276  Nr.  132,  Regimentsordnung  von  1546: 
„Die  Bestalung  aber  nnsers  Höffes  und  annebmung  und  entorlaubuug  unsrer 
Hofdiener  behalten  wir  uns  selber  vor,  doch  wo  wir  es  ungerechnet  und 
hierin  darumb  samptlich  ader  sonderlich  weitre  Bcfelich  thnu  wurden,  dass 
sollen  sie  sich  auch  haben“. 

s)  Statthalterinstruktion  (Anhang  2). 

*)  H.H.St.Arch.  0 AK.  — IV  27  Nr.  118  (1570)  „Dicnstgellt  den  Hoff- 
rethen  und  Hoffdieueru : 285  11.  15  gr.  — Moriz  Riederun“ ; s.  a.  Anhang  2. 


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109 


angewiesen  wird.  Er  hat  darauf  zu  sehen,  dass  deren  Ein- 
kommen möglichst  gesteigert  und  sie  nutzbringend  verwaltet 
werden.  Er  sorgt  dafür,  dass  die  Lieferungen  der  Ämter  an 
die  fürstliche  Hofhaltung  richtig  abgehen,  dass  die  Einkünfte 
zu  rechter  Zeit  einlaufen  und  andererseits  vorteilhafte  Ver- 
käufe abgeschlossen  werden  ; im  Amt  Dessau  hat  er  auch  den 
Zustand  der  Grenzen  zu  überwachen.  Ferner  achtet  er  darauf, 
dass  die  Gelderträge  der  Ämter  rechtzeitig  in  die  fürstliche 
Kammer  geliefert  werden.  Auch  wenn  einige  Ämter  seinem 
Wirkungskreis  irgendwie  entzogen  sind,  soll  er  doch  nach 
Möglichkeit  „auf  des  ganzen  Landes  nutz“  sehen,  allerdings 
darf  er  hier  keine  Änderungen  ohne  Wissen  des  Fürsten 
treffen. 

Der  Statthalter  hilft  auch  an  der  Zentralstelle  die  Rech- 
nungen mit  durchsehen1),  hierzu  sollen  ihm  jederzeit  „so  wich- 
tige Sachen  furfallen“,  „andre  Hoff  Rethe  vom  Adel“  zuge- 
ordnet werden,  mit  denen  er  sich  beraten  kann.  Ferner  hat 
der  Statthalter  auf  Vorwerke  und  Ackerbestellung  der  Ämter 
zu  sehen,  im  Amt  Dessau  wird  ihm  hierfür  ein  besonderer 
Hausvoigt  zugeordnet.  Auch  soll  er  die  andern  Ämter  öfter 
im  Jahr  selbst  zu  Visitationszwecken  besuchen  und  sich  mit 
eigenen  Augen  von  ihrem  Zustand  überzeugen,  auch  die  Lie- 
ferungen persönlich  bestimmen.  Über  den  Befund  hat  er  dem 
Fürsten  Bericht  abzustatten,  etwaige  Bedenken  mitzuteilen  und 
die  darauf  ergehenden  fürstlichen  Verordnungen  ausführen  zu 
lassen.  Kurz,  er  soll  sich  des  ganzen  Landes  Vorteil  und 
Nutzen  angelegen  sein  lassen. 

2.  Die  Beamten  der  Bezirksverwaltung. 

In  der  Ortsverwaltung  ist  im  Laufe  des  15.  Jahrhunderts 
ebenfalls  eine  Änderung  eingetreten,  so  dass  sich  uns  im  16. 
Jahrhundert  ein  anderes  Bild  darbietet,  als  im  13./ 14.,  doch  ist 
die  Veränderung  bei  weitem  nicht  so  bedeutend,  wie  an  der 
Zentralstelle.  Einmal  ist  die  Umwandlung  der  Verwaltungs- 
bezirke, die  sich  in  der  Bezeichnung  schon  im  14.  Jahrhundert 


')  Vgl.  auch  Kammerinstrnktion  (Anhang  3). 


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110 


vorbereitete l),  seit  Ende  des  15.  Jahrhunderts  zur  Tat  gewor- 
den. Die  Ausdrücke  „Vogt“  und  „Vogtei“  sind  als  vorherr- 
schende Bezeichnungen  verschwunden,  an  ihre  Stelle  ist  das 
„Amt“  mit  dem  „Amtmann“  oder  „Hauptmann“  getreten.  Aus 
der  alten  Vogteiverfassung  ist  allmählich  eine  geregeltere 
Ämterorganisation  geworden  *).  Sodann  ist  seit  dem  Ende  des 
15.  Jahrhunderts  die  ganze  Verwaltung  des  Bezirks  nicht  mehr 
einem  einzigen  Beamten  anvertrant,  wie  zur  Zeit  der  Vogtei- 
verfassung, sondern  eine  Vermehrung  der  Beamten  eingetreten, 
der  Vorsteher  des  Amtes  hat  einen  oder  auch  mehrere  Ge- 
hilfen erhalten 8). 

Natürlich  ist  diese  ganze  Umwandlung  nicht  mit  einem 
Mal  erfolgt,  sic  hat  sich  vielmehr  erst  ganz  allmählich  im 
Laufe  des  15.  Jahrhunderts  vollzogen.  Fest  abgeschlossen  ist 
sie  sicher  erst  im  16.  Jahrhundert,  doch  kann  man  wohl  die 
neue  Verwaltungsperiode  schon  von  der  Mitte  des  15.  Jahr- 
hunderts au  rechnen4).  Jedenfalls  ist  seitdem  die  Bezeichnung 
„Amt“  und  „Amtmann“  resp.  „Hauptmaun“  durchaus  vor- 
herrschend, was  sich  daraus  deutlich  ergibt,  dass,  während 
noch  bis  zur  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  bei  namentlicher  An- 
gabe nur  der  Titel  „Vogt“  gebräuchlich  war8),  jetzt  bei  den 
mit  Namen  angeführten  Inhabern  des  Bezirksverwaltungsamts 
der  Titel  Amtmann  oder  Hauptmann  Regel  wird  — die  Be- 
zeichnung Vogt  bei  namentlicher  Angabe  dieses  Beamten  findet 
sich  nur  noch  ganz  im  Anfang6). 


')  Vgl.  pag.  28. 

*)  Bornhak  8. 38,  52  ff. ; Isaaksohn  S.  59 ; v.  Below,  Territorium  8.  297. 

*)  v.  Below,  Territorium  S.  297. 

*)  Allerdings  werden  schon  Reg.  346  (1441)  „Amtleute  von  Dessau, 
Käthen,  Beruknrg“  aufgeführt,  doch  kommt  dies  meiner  Ansicht  nach  für 
die  zeitliche  Ansetzung  der  Amterverfassung  nicht  so  sehr  in  Betracht,  da  es 
sich  hier  um  eine  allgemeine  Aufzählung  handelt,  in  welchem  Falle  sich  ja 
auch  schon  früher  eine  solche  Bezeichnung  findet  (pag.  30),  und  da  vor  allen 
zugleich  eine  ganze  Zahl  Amtleute  anderer  Gebiete  erwähnt  werden,  so  dass 
sich  die  Bezeichnung  nach  diesen  gerichtet  haben  kann. 

*)  pag.  30. 

•)  Reg.  458  (1453),  477  (1455),  515  (1457);  G.Qu.d.Pr.S.  XXVIII  1300 
(1504)  ist  mit  dem  Vogt  von  Rosslau  wohl  nur  ein  untergeordneter  Beamter 
gemeint. 


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111 


Bei  allgemeiner  Angabe  werden  allerdings  im  15.  Jahr- 
hundert die  beiden  Bezeichnungen  Vogt  und  Amtmann  in  den 
Urkunden  immer  noch  gleichbedeutend  gebraucht1).  Erst  im 
16.  Jahrhundert  lässt  sich  allmählich  auch  hier  eine  Ver- 
schiebung in  der  Stellung  nachweisen.  Der  Ausdruck  Vogt 
wird  fortan  meist  nur  noch  für  den  der  Aufsicht  eines  Amtmanns 
unterstellten  Verwalter  eines  weniger  bedeutenden  Amtes  an- 
gewendet2) und  ist  dann  nur  noch  eine  andere  Bezeichnung 
für  einen  Unterbeamteft  der  Bezirksverwaltung,  während  Amt- 
mann im  16.  Jahrhundert  stets  auf  einen  hohem  Lokalbeamten 
hinweist. 

Jedenfalls  ist  also  seit  dem  16.  Jahrhundert  die  Ämter- 
verfassung in  den  anhaitischen  Territorien  vollständig  durch- 
geführt8), die  alte  Vogteiverfassung  verschwunden.  Das  ganze 
Gebiet  ist  nunmehr  in  einzelne  Ämter  eingeteilt;  d.  h.  die 
landesfürstliche  Domäne,  das  Amt  tritt  jetzt  in  den  Mittel- 
punkt der  landesherrlichen  Lokalverwaltung4). 

a)  Der  Amtmann. 

An  der  Spitze  eines  jeden  Amtes  steht  ein  vom  Landes- 
herrn eingesetzter  Beamter,  gewöhnlich  ein  Amtmann.  Nur 

■)  Reg.  452  (1452),  640  (1464);  H.H.St-Arch.  vol.  III  233  Nr.  1 und  2 
(1484)  (Ordnungen  für  einzelne  Ämter)  heisst  es  bei  Anfzäblnng  gleicher 
Pflichten  für  Zerbst:  „Zcum  erstenn  sal  der  voyt  sich  haltenn",  fürKoswig: 
„Item  es  sal  der  amptmann“,  für  Rosslau  anfangs  wie  bei  Zerbst,  später 
aber  „Gesinde  lohen:  Item  dem  haupman  15  Gulden“;  vgl.  Luther  S.  13 
anm.  10. 

’)  H.  H.St.Arch.  GAR.  vol.  IV  24  Nr.  93  (1546),  Anschlag  des  Amtes 
Lindau:  Personen,  so  im  Ampt  zu  erhalten  seint:  — und  ist  zu  merken, 
das  hiebeuor  das  Ampt  Lindau  durch  einen  voigt  geregieret,  und  hat  der 
Amptman  zu  Rosslau  nemblicb  Wolff  Marzdorf,  das  aufsehen  darüber  gehabt, 
welches  itzt  der  Amptmann  zu  Zerbst  tuglicher  tbun  kan“;  K.  33  — III 
71  Nr.  15  (1557)  „Es  ist  auch  zu  merkenn,  das  das  Amt  Rosslaw  geringlicher, 
als  mit  einem  Schosser  ader  Vogte  kont  bestelt  werden“;  G. Qu. d.Pr.S. 
XXVIII  1300  (1504);  VI  688  (1560). 

*)  Isaaksohn  S.  59;  ßornhak  8.  38  , 52;  Lamprecht  8.  1375;  Barth 
S.  416;  LUdicke  8.  61;  Jakobs,  Alter  und  Ursprung  8.  108ff. ; Schröder 
8.  610. 

•)  In  Anhalt  sind  folgende  Ämter  im  16.  Jahrhundert  nachweisbar: 
Zerbst,  Lindau,  Rosslau,  Koswig,  Hcssau,  Wörlitz,  VVolffen,  Wannsdorf, 


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112 


einige  kleinere  Ämter  können  auch  von  Schossern  oder  Vögten 
verwaltet  werden1),  sind  dann  aber  meist  der  Oberaufsicht 
eines  andern  Amtes  unterstellt2). 

Der  eigentliche  höhere  Lokalbeamte  ist  der  Amtmann, 
schon  durch  diesen  Titel  als  Vorsteher  eines  Amtes  kenntlich 
gemacht.  Beinahe  ebenso  häufig  findet  sich  für  ihn  auch  der 
Titel  Hauptmann,  wohl  soviel  wie  Amtshauptmann  in  andern 
Territorien3).  Er  kommt  schon  gleich  vom  Beginn  der  neuen 
Amtsverfassung  an  in  dieser  Verbindung  vor4)  und  wird 
namentlich  bei  Namensneunungen  gern  angewandt5),  während 
„Amtmann“  gewöhnlich  bei  allgemeinen  Verordnungen  und 
sonstigen  Erwähnungen  gebraucht  wird6). 

Plützigk  (s.  Statthalter-  od.  Kammerinstr.  (Anhang  2 und  3)),  Bernburg 
(Reg.  458  (1453)),  Köthen  (Friese-Liesegang  Anhang  3 (322)  (1528)),  Ballen- 
stedt (H.  H.St.  Arch.  Plützkau  601)  (15G6);  Plützkau  (G.Qu.  d. Pr.S.  VI  G40 
(1547)),  Guntersberg,  Hartzgerode  (G. Qu. d. Pr.S.  VI  688  (1560)). 

‘)  Rosslau  (G. Qu. d. Pr.S.  XXVIII  1300  (1504);  H.II.St.Arch.  K.  33  — 
III  71  Nr.  15  (1557)  (s.  pag.  111,  2);  Lindau  (s.  pag.  111,  2)  und  GAR. 
— IV  24  Nr.  93  (1546):  „Ist  aber  dieser  Anschlag  gestellet  uff  einen 
Schosser,  mit  wenigem  Gesinde  sich  daruff  zu  enthalten,  dar  ehr  einen  von 
Adel,  der  Hauptman  sein  solte,  nicht  zu  enthalten  vermochte“;  Plützigk 
(pag.  85,  5)  (1546);  G.Qu.d.Pr.S.  VI  620  (1542),  688  (1560). 

•)  pag.  111,  2. 

*)  Bornhak  S.  38;  Isaaksohn  S.  60;  Kiihns  S.  155;  Schmoller  S.  49; 
Spahn  S.  20;  s.  a.  Bertram-Krause  II  S.  318. 

‘)  Reg.  296  (1437),  523  (1458),  654  (1465). 

*)  Reg.  654  (1465);  H.  H.St.  Arch.  vol.  V 278  Nr.  35  (1531)  (s.  pag.  86,  4); 
GAR.  — IV  5 Nr.  1 (1547)  (s.  pag.  85,  5)  und  „Wie  denn  unser  gnediger 

Herr  Fürst  Johannes  — eine  Regierung  zu  bestellen  bedacht, und  die 

personen  der  Regierung  biermitt  angetzeigett  sein  sollen,  nemblich  Hannss 
Statius  Hauptmann,  Claus  vonn  Walwitz,  Valtin  Scblegell,  Lorentzen  fuhr- 
mann , Andreas  Lamprecht  und  Urbanus  scblingk“ ; GAR.  — IV  6 Nr.  2 
(1555);  K.  33  — III  71  Nr.  15  (1557)  (s.  pag.  65,  1 ; 111,2);  K.  33  — III 
65  Nr.  2 (1556);  K.  33  — III  67  b Nr.  8 (1567);  vol.  V 275  b Nr.  19  (1560) 
(s.  pag.  65,  1);  Plützkau  501:  Bescheid  in  sachenn,  so  furgelauffeu  zwischen 
Heinrich  Stammcrn  und  dem  Radt  zu  Ballenstedt,  zu  Harzkennrode  auffgericht 
(1566):  „sondern  Ilmu  hirumb  bei  Fürst  Joachim  Brünsten  zu  Anhalt  be- 
elaget,  also  auf  i.  f.  g.  beuelich  die  ding  durch  Hans  Merteun,  Hauptmann 
zu  Balienstede,  Andrehs  llentten  Kantzlern  zu  Gernrode  und  Johansen  Trol- 
denir  in  verhör  genommen";  G.Qu.d.Pr.S.  VI  536  (1517);  XXVIII  688 
(1560). 

•)  P. n. L.O.  (1572);  Kammer-,  Statthalteriustruktion  (Anhang  2 und  3); 
Regimentsordnung  (1546)  (H. H.St. Arch.  vol.  III  275  276  Nr.  132). 


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113 


Beide  Titel  bezeichnen  durchaus  denselben  Verwaltungs- 
beamten.  In  den  Urkunden  werden  sie  derartig  häufig  neben- 
einander gebraucht,  sowohl  bei  persönlicher,  wie  rein  sachlicher 
Angabe  ‘),  dass  darüber  gar  kein  Zweifel  seiu  kann.  Von  einer 
Überordnung  des  Hauptmanns  über  den  Amtmann,  etwa  in  der 
Stellung  eines  Oberamtmanns  oder  Landeshauptmanns,  wie  wir 
es  in  Brandenburg  finden®),  kann  in  Anhalt  keine  Rede  sein. 
Interessant  ist  aber,  dass  jetzt  mit  der  Neugestaltung  der  lo- 
kalen Verwaltung  für  den  Leiter  der  nunmehrigen  Bezirke 
eine  Bezeichnung  ganz  geläufig  wird,  die  zur  Zeit  der  alten 
Vogteiverfassung  eigentlich  noch  gar  nichts  mit  dem  lokalen 
Bezirksbeamten  zu  tun  hat,  vielmehr  im  14.  Jahrhundert  noch 
ganz  einseitig  einen  rein  militärischen  Beamten  bezeichnet3). 
Immerhin  weist  aber  auch  die  jetzige  Übereinstimmung  der 
Titel  Amtmann  und  Hauptmann  darauf  hin,  dass  auch  schon 
früher  die  Hauptleute  in  der  Regel  wohl  aus  der  Zahl  der 
Vogteiverwalter  genommen  sind. 

Mit  der  Ämterverfassung  fällt  natürlich  der  Unterschied 
zwischen  Stadt-  und  Landbezirken,  wie  wir  ihn  zur  Zeit  der 

‘)  So  wird  einmal  Amtmann,  einmal  Eanptmaun  genannt:  Oswald 
Bose  (Reg.  472,  477,  479,  (»18,  623  (1454—1463);  523  (1458),  629  (1463)1 
Kaspar  Knoche  (G.Qu.d.Pr.S.  VI  622  (1543);  GAR.  — IV  5 Nr.  1 (1546) 
(s.  pag.  85,  5);  Hans  von  Knetling  (G.Qu.d.Pr.S.  VI  643  (1547);  GAR.  — 
IV  5 Nr.  1 (1546));  Hans  Statius  (GAR.  IV  6 Nr.  1 (1647);  Heinr.  von 
Krosigk  bittet  seinen  Oheim  H.  Statius  ihn  beim  Fürsten  wegen  Versäumnis  des 
Landtags  zu  entschuldigen:  „Dem  Ernuesten  und  erbarn  Hanse  Statius  Ampt- 
man  zu  Zerbst,  meinem  freuntlichen  lieben  Ohm“;  GAR.  IV  24  Nr.  93  (1546) 
heisst  beim  Anschlag  des  Amtes  Zerbst  „Ausgaben:  Personen,  so  im  Ampt 
durchs  Jhar  uf  der  kost  und  lohn,  nothwendiglich  zu  halten  seint,  der 
Hauptman sein  knecht Ein  Ainptschreiber“.  „Ausgabe  Gesinde- 

lohn: dem  Hauptman  — 25  Gulden“;  „Ausgabe  vor  cleidung:  dem  Ampt- 
man  zwey  cleid  jerlich  thut  — 9 gldn“,  beim  Amt  Rosslau:  „Personen:  Ein 
Hauptman,  ein  Knecht,  ein  Schreiber“.  „Pferde  zu  futter:  2 reisige  Pferde 
des  Amptmanns“;  beim  Amt  Dessau:  „Gesindelohn:  dem  Hauptman  — 25 
fl.“.  „Kleydung:  dem  Amptman  sambt  zweien  knechten  zu  cleiden  — 27  fl.“; 
beim  Amt  Warmsdorf:  „Gesindeloh  nach  des  Hauptmans  anzeig  und  bericht 
der  register  — 1 th.  76  fl.,  vor  cleydung  dem  Amptman  und  seinem  Knecht 
vier  cleid  und  deine  Ainptschreiber  eins  — 23  fl.“. 

')  Bornhak  S.  71;  Killins  S.  154;  Isaaksohn  S.  42,  03  ff. ; Stölzel,  Ge- 
lehrtes Richtertum  8.  152. 

’)  pag.  63. 

Schreckcr,  Deaintentum  in  Anhalt  8 


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114 


Vogteiverfassung  finden,  weg.  Soweit  die  Städte  sich  nicht 
eigene  Verwaltung  erworben  haben,  sind  sie  eben  in  äusseren 
Verwaltungsangelegenheiten  dem  Amte  unterstellt,  in  dessen 
Bezirk  sie  liegen.  Auch  das  Amt  eines  allgemeinen  Dominial- 
vogts  ist  natürlich  hinfällig,  da  ja  die  ganze  neue  Verwaltungs- 
organisation ihre  eigentliche  Grundlage  in  dem  landesflirst- 
lichen  Domänenamt  hat.  Schon  seit  Ende  des  14.  Jahrhunderts l) 
lässt  sich  kein  Dominialvogt  mehr  nachweisen ; sowie  das  Hin- 
neigen der  Bezirksverwaltung  zum  landesfürstlichen  Amte  sich 
bemerkbar  macht,  verschwindet  eben  dieses  Amt  von  selbst. 
In  gewissem  Sinne  hat  es  aber  vielleicht  doch  eine  Fortsetzung 
gefunden;  nämlich  im  16.  Jahrhundert  in  dem  Hauptmann  am 
landesfürstlichen  Hofe 8). 

Ihrem  Stande  nach  sind  die  Amtleute  wohl  meist  adlig  und 
gehören  der  Ritterschaft  des  Landes  an3);  darauf  weisen 
schon  die  Namen  hin4).  Gelehrte  Inhaber  eines  Bezirksamtes 
lassen  sich  der  Art  des  Amtes  entsprechend  nicht  nachweisen. 


')  pag.  32,  l. 

’)  pag.  104  ff. 

*)  U.H.St.  Arcli.  GAK.  IV  24  Nr.  93  (s.  pag.  112,  1)  (1546);  GAB.  - 
IV  5 Nr.  1 (1547)  (s.  pag.  112,  5);  GAR.  — IV  6 Nr.  4 (1568)  (s.  pag.  74, 1); 
vol.  III  275/276  Nr.  132  (1546):  „drey  vom  adel,  aber  der  Eine  sol  sein  al- 
wegs  der  Hauptmann  zu  Zerbst“. 

4)  Folgende  Amt-  oder  Hauptleute  sind  nachweisbar: 

1453.  Gewerdt  von  Beltz,  zu  Bernburg  (Reg.  458). 

1454—1463.  Oswalt  Bosze,  unter  Fürst  Georg  (Reg.  472,  477,  479, 
502,  622,  523,  537,  618,  623,  629). 

1454 — 1467.  Heinrich  von  Hondorf,  zu  Dessau  (Reg.  472,  477, 522). 

1457.  Klaus  von  Arnstedt  (Reg.  615). 

ev.  1457—1465.  Heinrich  von  Ammendorf  (Reg.  522,  654);  es  ist 
möglich,  dass  er  erst  später  in  anhaitische  Dienste  getreteu  ist,  da  er  Reg. 
522  Amtmann  zu  Giebichenstcin  genannt  wird,  später  ist  er  unter  Georg  I. 
Amtmann;  vielleicht  ist  er  auch  gar  nicht  auhaltischer  Beamter. 

1465—1481.  Günther  von  Ilondorf,  unter  Waldemar  und  Sieg- 
mund (Reg.  650,  658;  H.H.St.Arch.  K.  44  — IV  98  Nr.  60;  K.  44  — IV 
57  b Nr.  37  (s.  pag.  65,  1)). 

1510.  Wolff  Merzdorff,  zu  Rosslau  (G.Qu.d.Pr.S.  XXVIII  1485; 
pag.  111,  2). 

1517.  Hans  Bosen,  Syverd  Gerding,  bei  der  Fürstin  Margarete 
(G.Qu.d.Pr.S.  VI  536). 

1 528.  AndreasSchlegel.zu Köthen  (Fricsc-Liesegang,  Anhang 3 S. 322). 


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115 


In  der  Regel  waren  die  Amtleute  zugleich  auch  Mitglieder 
des  landesfiirstlichen  Rates  *).  Und  gerade  hierdurch  erst  wurde 
einerseits  die  lokale  Landesverwaltung  enger  an  die  Zentral- 
regierung angeschlossen,  bekamen  andererseits  nun  auch  Vertreter 
der  Lokalbehörden  Einfluss  auf  die  allgemeine  Regierung  des 
Landes.  Während  die  Vogteiverfassung  eigentlich  noch  völlig  für 
sich  stand,  in  der  innern  Verwaltung  fast  ganz  freie  Hand,  dafür 
aber  mit  der  Zentralstelle  und  der  äussern  Regierung  kaum  eine 
nähere  Berührung  hatte,  höchstens  als  Berufungsinstanz  und 
Einnahmestelle,  ist  durch  die  Heranziehung  der  Amtleute  zum 
landesfürstlichen  Rat  die  grosse  Wichtigkeit  der  innern  Ver- 
waltung für  die  ganze  allgemeine  Leitung  der  Staatsgeschäfte 


1528.  Christof  von  Fi zenhagen,  auf  Ballenstädt  (Friese-Liesegang, 
Anhang  4 S.  328  nnm.). 

1531 — 1547.  "NTRIas  Schlegel,  zu  Rosslau  (H.H.St. Arch.  vol.  V 278 
Nr.  35  (s.  pag.  8<j,  4);  HAR.  IV  5 Nr.  1 (s..pag.  85,  5). 

1543—1560.  Kaspar  Knoche,  zu  Bernburg,  dann  zu  Warnsdorf 
(H.H.St. Arch.  GAR.  IV  5 Nr.  1 (s.  pag.  85,  5);  GAR.  IV  27  Nr.  118  (1570); 
G.Qu.d.Pr.S.  VI  622). 

1546 — 1567.  Hans  Statius,  zu  Zerbst  (H. H.St.Arch.  GAR.  IV  5 
Nr.  1;  GAR.  IV  6 Nr.  2;  K.  33  - III  71  Nr.  15  (s.  pag.  65,  1);  K.  33  — 

III  67  b Nr.  8 (s.  pag.  65,  1). 

1546 — 1570.  Oswald  Roder  (s.  pag.  105,  3 — 5),  erst  am  Hofe  Fürst 
GeorgB,  dann  in  Hartzgerode. 

1546 —  1547.  Valtin  Schlegel,  zu  Lindau  (H.H.St. Arch.  GAR.  IV 

5 Nr.  1 (s.  pag.  85,  5) ; GAR.  IV  24  Nr.  93. 

1547 —  1560.  Hans  Knetling,  zu  Guntersberge  (G.Qu.d.Pr.S.  VI 
643,  688). 

1557.  Wolff  von  Freyberg,  zu  Koswig  (H.H.St. Arcb.  K.  33  — III 
71  Nr.  15  „Desgleichen  Herrn  Wolfgangs  und  Herrn  JoachimB  Fürsten  zu 
Anhalt  hierzu  Verordnetc  Wolff  von  Freyberge,  Hauptmann  zu  Coswig  und 
Johan  Ripsch  Kantzier  zu  Dessau“). 

1555—1560.  Hans  von  Zeinitz,  zu  Dessau  (H.H.St. Arch.  GAR.  IV 

6 Nr.  2 ; vol.  V 275  b Nr.  19;  K.  33  - III  65  Nr.  2)  (s.  pag.  65, 1). 

1566.  Hans  Mertenn,  zu  Ballenstedt  (s.  Plötzkau  501  (pag.  112,  5). 
1567—1570.  Christoph  Zanthier  (H. H. St. Arch.  K.  33  — III  67  b 
Nr.  8 (pag.  65,  1);  GAR.  IV  6 Nr.  4 (pag.  74,  1);  GAR.  IV  27  Nr.  118). 

■)  Reg.  479  (1455),  515  (1457),  612  (1462),  650,  654  (1465);  G.Qu.d.Pr.S. 
VI  536  (1517);  XXVIII  1485  (1510);  H.H.St.  Arcb.  K.  33  — III  65  Nr.  2 
(1556);  K.  33  — III  71  Nr.  15  (1557);  vol.  V 275  b Nr.  19  (1560);  GAR. 

IV  27  Nr.  118  (1570)  (pag.  65,  1). 

8* 


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116 


nunmehr  anerkannt  und  das  Verhältnis  der  äussern  und  innern 
Verwaltung  in  die  richtige  Wechselbeziehung  gebracht. 

Dadurch,  dass  die  Amtleute  zum  Rate  gehören,  ist  ihre  Stel- 
lung natürlich  eine  ziemlich  bedeutende,  sie  rechnen  mit  unter  die 
obersten  Beamten  des  Landes  und  gehören  zu  den  Vertrauens- 
männern des  Landesherrn.  Dass  sie  keine  geringe  Rolle 
spielen,  zeigt  auch  schon  eine  Urkunde  vom  Jahre  1441,  in  der 
bei  einem  Urfehdevertrag  mit  mehreren  Fürsten,  darunter  auch 
den  anhaitischen,  noch  besonders  die  einzelnen  Amtleute  mit 
einbegriffen  sind1).  Unter  sich  haben  sie  wohl  im  allgemeinen 
gleiches  Ansehen;  wenn  einzelne  Amtleute,  wie  z.  B.  Statius, 
Roder  und  andere,  mehr  hervortreten  in  den  Urkunden,  so  liegt 
das  wohl  an  ihrer  Persönlichkeit  oder  an  der  grösseren  Be- 
deutung ihrer  Ämter.  Dass  im  Jahre  1546  bei  Einsetzung  des 
Landesregiments  der  Hauptmann  des  Amtes  Zerbst  zum  stän- 
digen Mitglied  bestimmt  wird1*),  könnte  allerdings  auf  ein 
höheres  Ansehen  desselben  schliessen  lassen,  ist  aber  allem 
Anschein  nach  darin  begründet,  dass  der  Sitz  des  Regiments 
jedenfalls  in  Zerbst  war3)  — denn  auch  die  Vertreter  der 
Städte  in  dem  Regiment  sind  Zerbster  Bürger3)  — , und  man 
für  mancherlei  Fälle  die  Unterstützung  eines  Amtes  braucht. 

Über  die  Bestallung  der  Amtleute  ist  wenig  überliefert; 
ihre  Anstellung  und  Absetzung  geschieht  durch  den  Landesherrn 
persönlich,  denn  sogar  dem  1546  eingesetzten  Regiment  wird 
nicht  einmal  diese  Befugnis  zuerkannt4)-  Für  die  Verwaltung 
werden  ihnen  besondere  Vorschriften  und  Verordnungen  erteilt, 
auf  deren  Artikel  sie  verpflichtet  werden5).  Vor  allem  wird 

■)  Reg.  345  (1441). 

•)  pag.  70,  3 nnd  dazu  114,  3. 

*)  pag.  70,  3;  H.H.St.Arch.  vol.  III  275/276  Nr.  132  „In  Grenzen- 
sachen oder  do  es  sonst  besichtignnge  bedarf,  sollen  sie  alwege  etliche  von 
Inen  verordnen,  dartzu  der  Hauptmaun  pfcrd  und  wagen  bestellen  wirt“. 

*)  H.H.St.Arch.  vol.  III  275/276  Nr.  132:  „Doch  mit  auf,  annehmung 
und  entsetzung  der  amptlente  und  Diener  sollen  sie  sich  an  unsre  sonder- 
lichen befehel  nicht  einlassen“. 

5)  Reg.  573  (1460);  H.H.St.Arch.  vol.  III  233  Nr.  1 nnd  2 (14S4),  a) 
Vogteiordnung  von  Koswig:  „Item  cs  sal  der  ampmann  vorbunden  sin  uff 
unden  vortzeicbende  artikcl.  Item  zcum  erstenn  getrow  gehorsam  nnd  an- 
wertich  zcu  sein  als  cyn  kueclit  scym  liern  plichtig  ist,  syner  gnaden  schaden 


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117 


von  ihnen  Gehorsam  verlangt.  In  der  Ansübung  ihrer  Amts- 
tätigkeit sollen  sie  gerecht  und  gewissenhaft  sein1).  „Wider 
die  billigkeit  und  herkommen  sollen  sie  niemandt  beschweren 
oder  an  demjenigen,  so  inen  zu  Rechte  zustehet,  vorunruhigen 
oder  sonst  unnotturfftige  gezenk  erwecken  “ *).  Geschenke  zu 
nehmen,  ohne  besondere  Erlaubnis,  ist  ihnen  verboten,  Forderun- 
gen dürfen  sie  nur  nach  vollkommener  Rechenschaft  über  ihre 
bisherige  Tätigkeit  stellen3).  Fehler  oder  Mängel  in  ihrem 
Befehlsbereich  haben  sie  bei  der  Zentralstelle  vorzubringen, 
deren  Beaufsichtigung  und  Kontrolle  sie  überhaupt  stets  un- 
terstellt sind4).  Vergehungen  oder  Nachlässigkeit  gegen  ihre 
Pflichten  werden  ernstlich  bestraft5). 

Die  Tätigkeit6)  des  Amtmanns  ist  auch  im  15./16.  Jahr- 
hundert noch  eine  sehr  vielseitige,  wenn  auch  durch  die  all- 
gemeine Verteilung  der  Geschäfte  au  einzelne  besondere  Stellen 
gerade  dem  Vorsteher  des  lokalen  Verwaltungsdistrikts  manche 


zcu  wenden  und  zcu  vorwaren.  Item  nach  Ianth  der  vertzeichnunge  sich  zcu 
halten“;  b)  Haushaltungsbuch  von  Zerbst  (1484):  „Item  nach  ianth  unthir 
vertzeicbenter  weisse  sol  das  gesinde  angenommen  werden.  Zcum  erstenn 
sal  der  voyth  sich  haltenn  nach  under  vortzeichender  weisse.  Item  mynetn 
gnedigenn  Hem  getrowe  anwertich  unde  gehorsam  zcu  seiude  als  eynem  ge- 
trouwen  knechte  eigent  und  gebort.  Item  er  sal  sich  halteu  nach  vortzeich- 
ungbe  ym  gebenn“;  c)  ebenso  bei  Lyndow  und  Rosslau. 

')  P.u.L.0.  XII  Abs.  1;  pag.  116,  5. 

*)  P.u.L.0.  XII  Abs.  2 (1572). 

*)  H.H.St-Arch.  vol.  III  233  Nr.  1 und  2,  Vogteiordnung  von  Koswig: 
„Item  keyn  geschenkc  zcn  nehmen,  suudern  mynes  herrn  wissen  und  fulbort. 
Item  von  myne  hern  nicht  zcu  vordem , er  habe  denn  fulleukomen  rechent- 
schafft  getan“. 

•)  P.u.L.0.  XII  Abs.  2 (1672);  H.H.St.Arch.  vol.  III  275/276  Nr.  132 
„Des  sollen  auch  alle  Amptleute,  schosser,  vogte,  Holtzförster  und  wer 
rechtes  in  befehel  hat  und  mangol  hat,  das  alsdan  furzubringen  vorstendigt 
werden.  Uber  das  mögen  auch  unsre  Befebelhaber  zu  ider  Zeit,  wan  es  die 
not  erheischet,  die  erfordern  und  wies  allenthalben  damit  gelegen,  bei  inen 
erkundigen.  Insonderheit  sollen  sie  die  auf  bestimpten  tag  in  der  Wochen 
nach  einander  des  Jars  zwei  selber  Vorbescheiden  nnd  ihre  Gebrechen  anhoeren, 
auch  was  auch  sonst  in  der  geheim  ein  Ider  erkundet  ader  erfur,  und  etwan 
unvleis,  mangel  ader  nicht  genugsam  trawe  erplinde.  den  ander  vormelden, 
in  Zeiten  das  zcutrifft  nnd  weiter  schaden  hintzukomme“. 

‘)  P.u.L.0.  IV  Abs.  7. 

*)  Borahak  S.  38,  52  fl. ; L&mprecht  S.  1389  ff. 


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118 


Befugnisse  entzogen  sind,  namentlich  auf  finanziellem  wie  auf 
jurisdiktionellem  Gebiete  durch  Einrichtung  einer  eigenen 
Finanzbehörde  und  eines  hofrichterlichen  Kollegiums  im  landes- 
fürstlichen Rate. 

Die  Hauptaufgaben  des  Amtmanns  sind  jetzt  natürlich 
wirtschaftlicher  Natur.  Vor  allem  ist  ihm  die  Verwaltung 
seines  eigentlichen  Amtes,  seiner  Domäne  übertragen  *).  Er  ist 
unmittelbar  dafür  verantwortlich,  dass  „des  Amtes  nutzung 
und  gefelle  in  beste  richtigkeit,  ordenung  und  auffnehmen“  ge- 
bracht werden*). 

Zunächst  ist  ihm  natürlich  die  Aufsicht  Uber  das  zum  Amt 
gehörige  Schloss  und  die  ganze  Haushaltung  übertragen  *).  Er 
hat  darauf  zu  achten,  dass  das  Schloss  in  der  Nacht  richtig 
verschlossen  wird.  Ohne  seines  Herrn  Wissen  darf  er  dasselbe 
nicht  verlassen,  sondern  soll  alle  Nacht  „daruff  ligen“.  An- 
dernfalls hat  er  für  die  beste  Vertretung  zu  sorgen4).  Für 
seinen  Herrn  oder  dessen  Botschaften  soll  er  das  Schloss  bereit 
halten,  andererseits  es  aber  ohne  Befehl  „in  keynes  andern  ge- 
walt  kommen  lassen“6).  Innerhalb  des  Schlosses  hat  er  auf 
Burgfrieden  zu  sehen  und  dessen  Übertretung  zu  strafen6). 

')  Genaue  Nachrichten  Ober  diese  Tätigkeit  geben  nns  einige  Amts- 
ordnungen von  1484  (H.  H.St.Arcb.  vol.  III  233  Nr.  1 und  2)  und  die  In- 
struktion für  den  Rentmeister  Alex  Pultz  1574,  in  der  ja  die  ganze  Ver- 
waltung des  Amtes  Dessau  genau  festgesetzt  wird. 

’)  Rentmeisterinstruktion  (Anhang  4). 

*)  H.H.St.Arch.  GAR.  — IV  24  Nr.  93  (1546),  Anschlag  des  Amtes 
Dessau:  „Personen,  durchs  Jar  uf  der  kost  zu  halten  von  noten:  Ein  Ampt- 
man  — — — Damit  der  Hatiptmau  der  Haushaltung  desto  bass  ob  sein 
mochte“;  vol.  III  233  Nr.  1 und  2 (1484),  Anschlag  der  Ämter  Koswig  (a), 
und  Zerbst  (b). 

*)  a)  „Item  das  slohs  alle  nacht  zeu  versliessen,  alle  nacht  dar  uff  ligen 
adir  ob  her  van  etliche  nottrofft  mit  unsserm  wissen  nsstzoge,  dar  mit  den 
besten  zeu  bestellen“,  b)  „Item  er  sal  sunder  myne  hem  willen  nicht  vom 
slosse  blibenn  nnde  ez  mit  dem  uff  unde  zctislissen  ufs  trauwelichste  vor- 
warenn.  — Item  das  slohs  Hihslich  vorslissen,  de  slossel  by  sich  bchaltenn 
ader  eynern  getrauwen  befclenn“. 

*)  a)  „Item  myne  hern  syu  slohs  uff  stehen  lassen  undc  syner  gnaden 
botschafftenn  — Item  das  slos  in  keynes  andern  gowalt  kommen  lassen 
snnder  nnssers  hern  geheis“. 

•)  b)  „Item  bnrehfrede  haitonn  und  alle,  die  burchfrede  brecheuu,  be- 
weihseu  als  eym  fromeu,  getrauwen  knechte  eigent  unde  gebort“. 


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119 


Ferner  soll  er  „uff  islichen  huhsrath  trouwelichen  sehen“; 
Küche,  Keller,  Brauhaus  und  Backhaus,  auch  die  Schmiede 
unterstehen  seiner  Aufsicht,  Veruntreuungen  hat  er  sogleich  zu 
melden  *). 

Entspricht  seine  Tätigkeit  insofern  im  wesentlichen  der 
des  Marschalls  am  fürstlichen  Hofe,  so  kommt  dazu  die  eines 
Gutsver Walters,  denn  auch  die  ganze  Leitung  des  landwirt- 
schaftlichen Betriebes  der  Domäne  ist  dem  Amtmann  unter- 
stellt. Er  hat  auf  die  richtige  Bestellung  des  Ackers  und  die 
rechtzeitige  Einbringung  der  Ernte  zu  achten8),  hat  die  Vor- 
werke zu  inspizieren  und  deren  Verwaltung  seitens  der  Meier 
zu  beaufsichtigen3),  wie  für  die  Instandhaltung  von  Mühlen, 
Schäfereien,  Dammgebäuden  u.  dgl.  zu  sorgen4).  Vor  allem 
sind  seiner  Oberaufsicht  auch  die  zum  Amt  gehörigen  Forsten 
unterstellt5);  hier 'hat  er  besonders  den  Holzhandel  zu  kon- 
trollieren, der  in  damaliger  Zeit  schon  sehr  wichtig  gewesen 
zu  sein  scheint6).  Jedenfalls  werden  in  der  Rentmeister- 
instruktion von  1574  ganz  genaue  Bestimmungen  für  die  Holz- 


’)  a)  „Item  off  daz  ackerwerk,  mülenwerk  und  isslichen  huhsrath  trou- 
welichen sehen,  dar  geliehen  uff  brauwen  und  alle  dingbe  an  allen  gewin“. 
b)  „Item  nffsebenn  das  im  backhuse  dy  woche  nicht  meher,  dan  1.  wispel 
rockenn  gebacken  werde,  wan  my  her  hoff  dar  heit,  dar  geliehen.  Im  brau- 
wehus.se,  kochen,  keller  unde  smydenn  eyn  uffsehenn  haben,  wan  etwas  von 
untrauwet  wirt,  uns  sunder  vorhaltunghe  vorkundigen'1. 

*)  a)  s.  anm.  1.  b)  „Item  den  acker  zu  pifigen,  eyden,  sehen  unde  das 
körn  unde  haw  zeu  bequemelicber  tziit  in  zeubringenn,  getrenwelichcnn 
bestellen". 

*)  b)  „Item  sal  er  alle  Vorwerke  beriten  und  uff  trauwelichste  ussinn, 
das  myn  hem  van  dem  meyger  nichts  vor  untrauwet  werde“. 

4)  Rentmeisterinstruktion  (Anhang  4);  a)  s.  anm.  1. 

5)  H. H.St.Arch.  GAR.  IV  24  Nr.  93  (1546),  Anschlag  des  Amtes  Dessau: 
„und  so  weren  beide  der  Hanptman  und  der  Schosser  obriste  aufseher  über 
die  bolzmarken  und  holzfurster“ ; Anschlag  des  Amtes  Wörlitz:  „Nota  der 
Voigt  uffira  hous  were  obrister  Holzfurster  und  Amptman,  dar  hette  einen 
unterholzfurster  und  etzlicbc  unterleuffer  davon  jerlich  zu  bcsoldung  — 
3 fl.“;  P.n. L.O.  XXV  Abs.  2 (1572);  Rentmeisterinstruktion  (Anhang  4). 

•)  Rentmeisterinstniktion  (Anhang  4);  H. H.St.Arch.  K.  33  — III  71 
Nr.  15,  Vorweisregister  von  Rosslan  (1567)  „Nutzung  der  Holtzmarken:  die 
alten  Holzhauer  und  Holzfurster,  desgleichen  der  Amptmann  selber  berichtet, 
dass  man  alle  Jahr  Jerlichonn  und  so  fort  und  fort  — holtz  kann  hauen“. 


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120 


Verwendung  im  Amte  Dessau  getroffen.  Auch  die  Überwachung 
der  zum  Amte  gehörigen  Jagd  gehört  zu  den  Pflichten  des 
Amtmanns1),  ebenso  hat  er  Fischereigerechtsame2).  Natürlich 
hat  er  auch  die  Aufsicht  über  das  gesamte  Beamtenpersonal 
und  Gesinde  des  Amts,  er  lohnt  sie  selbst  ab  und  hat  darüber 
genau  Buch  zu  führen s).  Die  ganzen  Einkünfte  des  Amtes 
sind  natürlich  ebenfalls  seiner  Verwaltung  unterstellt. 

Über  die  gesamte  Verwaltungstätigkeit  im  Amt  hat  er  jähr- 
lich bei  der  Zentralstelle  Rechnung  einzureichen  und  dem 
Landesherrn  Bericht  zu  erstatten4).  Einnahmen  an  Geld  hat 
er  an  die  Rentkammer  abzuliefern,  die  Rechnungen  soll  er 
daher  möglichst  so  schliessen,  dass  keine  Rückstände  bleiben, 
sondern  alles  „an  barem  gelde  einbringou“ 6). 

Im  wesentlichen  ist  nun  aber  die  bisher  behandelte  Wirk- 
samkeit des  Amtmanns  ein  rein  persönlicher  Dienst  für  den 
Landesherrn  und  hat  mit  der  Landesverwaltung  an  sich  wenig 
zu  tun.  Und  doch  ist  gerade  der  Amtmann  durch  diese  Ver- 
waltungstätigkeit auf  der  Domäne  auch  staatsrechtlich  in  den 
Mittelpunkt  des  ganzen  Amtsbezirks  gerückt.  Als  Administrator 
eines  der  grössten  Güter,  meist  wohl  des  grössten  im  Bezirk, 
kennt  er  die  lokalen  Verhältnisse  und  ist  so  der  gegebene 
Vertreter  des  Landesherrn  für  dessen  Verwaltung.  Dies  ist 
jedenfalls  auch  wohl  überhaupt  der  Grund  für  die  Einrichtung 
der  Ämterverfassung.  Dadurch  dass  das  Amt,  der  eigentlich 
eigene  Privatbesitz  des  Landesfürsten,  zum  Mittelpunkt  eines 
ganzen  Verwaltungsbezirks  gemacht  ist,  ist  eben  dem  Landes- 
herrn vielmehr  Einfluss  auf  dessen  ganze  Leitung  gegeben,  als 
zur  Zeit  der  Vogteiverfassung,  die  sich  an  allgemeine  äussere 
Punkte  anschliesst  und  daher  in  sich  viel  selbständiger  ist. 


’)  a)  „Item  nymanden  zcu  jagen  lassen  sunder  mynes  liern  gebeiss  unde 
falbort“. 

’)  G.Qu.d.Pr.S.  VI  620  (1542).  . 

*)  H.H.St.Arch.  GAB.  IV  24  Nr.  93:  s.  pag.  113,  1 und  Anschlag  des 
Amts  Plozigk:  „Personen:  — Uber  das  bat  es  ein  manchfalttiges  beyspeissen, 
wie  des  schosscrs  ubergeben  vorzeichnus  mitbringt“. 

4)  Statthalterinstruktion  (Anhang  2);  Kammerinstruktion  (Anhang  3); 
und  pag.  119,  6. 

i)  Kentmeistcrinstruktion  (Anhang  4). 


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121 


Der  Amtmann  ist  zwar  einerseits  durchaus  der  Nachfolger  des 
Vogtes  in  der  Verwaltung  des  lokalen  Bezirks,  aber  er  ist 
andererseits  doch  jetzt  enger  an  die  fürstlichen  Interessen  ge- 
bunden. mehr  rein  öffentlicher  Beamter  des  Landesherrn  als 
früher.  Auch  in  der  Lokalverwaltung  zeigt  sich  also,  wie  in 
der  Zeutralregierung  das  Bestreben  des  Landesherrn,  die  ganze 
Verwaltung  des  Landes  an  seine  eigentlichen,  ihm  ergebenen 
Beamten  zu  bringen1). 

Die  Tätigkeit  des  Amtmanns  in  der  Verwaltung  des  zu 
seiner  Domäne  gehörigen  Amtsbezirks  ist  im  wesentlichen  noch 
dieselbe,  wie  die  des  Vogtes8).  Auch  er  hat  wirtschaftlich- 
polizeiliche, jurisdiktionelle  und  finanzielle  Funktionen  auszu- 
üben, wenn  auch  letztere  meist  seinen  Unterbeamten  über- 
tragen sind;  er  hat  sich  zu  kümmern,  „umb  Eigenthumb, 
Obrigkeit,  Volge,  Steuer,  Gerichte,  Wildtpane,  Jagd  oder 
anders“,  wie  es  in  der  Polizei-  und  Landesordnung  von  1572 
heisst3),  die  uns  besonders  genaue  Nachrichten  naturgemäss 
über  die  Pflichten  des  Amtmanns  gibt. 

Als  administrativem  Landesbeamten  ist  dem  Amtmann 
auch  jetzt  die  ganze  Ordnung  der  wirtschaftlichen  Verhältnisse 
im  Bezirk  überlassen.  Er  hat  darauf  zu  achten,  dass  bei  Kauf 
stehenden  Getreides  keine  Übervorteilung  vorkommt4),  die 
Äcker  richtig  besät  und  keinesfalls  verpachtet  werden5).  Vor 
allem  soll  er  auch  auf  die  Güter  Ausländischer  Acht  haben 
und  von  ihnen  dieselben  Lasten  und  Abgaben  einfordern,  die 
die  Untertanen  tragen  müssen6).  Ferner  ist  ihm  die  Grenzregu- 
lierung iu  den  einzelnen  Feldmarken 7)  und  die  Sorge  für  die 
Strassenbesserungen,  Dämme.  Wege,  Schläge  und  Landstrassen, 
übertragen,  Nachlässige  soll  er  strafen  oder  dem  Fürsten  an- 


>)  pag.  70. 

2)  Bornhak  S.  7,  53  ff. ; Holtze  S.  56  ff. ; Schröder,  Rechtsgeschichte 
S.  609  ff. ; Lampreckt  S.  1330,  1398  ff. ; Roscuthal , Oericbtswescu  S.  326  ff. ; 
v.  Maurer  IV  429  ff. 

»)  P.u.L.0.  XII  Abs.  2. 

‘)  P.u.L.O.  XVI  Abs.  4. 

5)  P.u.L.0.  XX  Abs.  6. 

•)  P.u.L.0.  XXI  Abs.  2. 

’)  P.u.L.O.  XXII  Abs.  1 und  2. 


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122 


zeigen  *).  Auch  hat  er  die  Aufsicht  über  die  Waldungen  und 
Fischereien  *). 

In  den  Städten  und  auf  den  Märkten  hat  der  Amtmann 
neben  dem  Rat  und  andern  Beamten  auf  geordnete  Kaufver- 
hältnisse zu  sehen3),  das  Nahrungswesen  zu  überwachen  und 
die  Gewichte  zu  prüfen.  Zur  Erteilung  der  Gewerbeberechti- 
gung seitens  des  Rates  ist  seine  Zustimmung  einzuholen4). 
Ferner  ist  dem  Amtmann  die  Wahrung  der  landesherrlichen 
Kirchenhoheitsrechte  übertragen.  Alle  Jahre  hat  er  mit  den 
Pfarrherrn  die  Rechnungen  der  Kirchen  zu  revidieren  und  den 
Zustand  von  Kirchen  und  Pfarrgebäuden  zu  besichtigen,  ev.  Ab- 
hilfe anzuordnen5).  Gelegentlich  darf  der  Amtmann  sogar  Be- 
lehnungen vornehmen  •),  wie  er  auch  bei  Aufstellung  von  Lehn- 
büchern beteiligt  sein  kann7). 

Die  polizeiliche  Tätigkeit  des  Amtmanns  erstreckt  sich 
natürlich  auch  jetzt  auf  die  Aufrechterhaltung  der  Ruhe  und 
Ordnung  in  seinem  Bezirk.  Er  hat  bei  Kirmessen  und 

Spielen  darauf  zu  achten,  dass  keine  unnütze  Prasserei  ent- 
steht8), und  selbst  bei  Hochzeitsfestlichkeiten  steht  ihm  eine 
gewisse  Kontrolle  zu9).  Vor  allem  ist  er  natürlich  für  die 
Sicherheit  des  Landes  verantwortlich.  Auch  in  der  Polizei- 
und  Landesordnung  von  1572  wird  den  Haupt-  und  Amtleuten 
mit  andern  lokalen  Beamten  „in  Sonderheit“  aufgetragen, 
Räuber  im  Lande  auf  alle  Weise  zu  verfolgen  und  auch  auf 
fremdem  Gebiete  darin  nicht  nachzulassen,  damit  sie  „zu 
hafften  möchten  gebracht  werden“ 10).  Ebenso  sollen  sie  das 
Betteln  und  Hausieren  herrenloser  Knechte  und  Müssiggängcr 
nicht  leideu,  sondern  dieselben  zur  Anzeige  bringen  und  be- 


')  P.u.L.O.  XXIII  Abs.  1. 

*)  P.u.L.O.  XXV  Abs.  2. 

*)  P.u.L.O.  XXX  Abs.  2;  s.  a.  Rachel  S.  9 ff. 
•)  P.u.L.O.  XXXI  Abs.  5 und  4. 

*)  P.u.L.O.  XXXVIII  Abs.  2. 

*)  Reg.  452  (1452). 

*)  S.  pag.  86,  4. 

•)  P.u.L.O.  XLI  Abs.  1. 

•)  P.u.L.O.  XXXIX  Abs.  11. 

">)  P.u.L.O.  XLIII  Abs.  2. 


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123 


strafen;  Zusammenrottungen  solleu  sie  melden1),  eben  für 
völlige  Sicherheit  sorgen. 

Auch  in  jurisdiktioneller  Hinsicht2)  ist  der  Amtmaun 
Nachfolger  des  früheren  Bezirksvogts,  auch  ihm  ist  in  seinem 
Amtsbereich  die  volle  richterliche  Tätigkeit  übertragen3).  Er 
ist  wohl  der  Richter  der  Landgerichte4),  besondere  landes- 
fürstliche Gerichtsbeamte  finden  sich  auch  jetzt  noch  nicht. 

Der  Amtmann  ist  verpflichtet,  alle  Gerichte  und  Dingtage 
zu  besuchen,  über  alles,  „was  sich  vor  den  gerichten  begibt“, 
soll  er  „eyn  sunderlich  register  machen“,  um  an  einem  be- 
stimmten Tage  im  Jahre  dem  Landesherrn  davon  Verzeichnisse 
einzureichen5).  Er  ist  sowohl  Untersuchungsrichter6),  als  auch 
hat  er  volle  gerichtliche  Vollziehungsgewalt,  sowie  das  Recht, 
Urteilssprüche  zu  erteilen7). 

Gute  Auskunft  über  die  richterliche  Tätigkeit  des  Amt- 
manns gibt  ebenfalls  wieder  die  Polizei-  und  Landesordnung 
vom  Jahre  1572.  Er  ist  zuständiger  Richter  in  Ehesachen. 
So  hat  er  die  Eheverträge  „in  der  Ernpter  Handelbuch“  ein- 
zutragen und  hierbei  darauf  zu  achten,  dass  keine  „uubilliche 
betcidigunge“  geschieht8),  desgleichen  soll  er  über  Ehestreitig- 
keiten im  Lande  wachen9).  Auch  die  Regelung  der  Vormund- 
schaftsverhältnisse ist  seine  Sache10).  Ferner  hat  er  Gottes- 


')  P.u.L.0.  XLIII  Aba.  3. 

’)  Vgl.  bes.  Bornhak  S.  43  ff. ; Lamprecht  S.  1330,  1404. 

»)  Vgl.  Keg.  574  (1460);  P.n.L.O.  VIII. 

*)  Vgl.  Schröder,  Rechtsgesckickte  S.  567;  Stölzel,  Gelehrtes  Richtertum 
S.  330  ff. 

*)  H.H.St.Arch.  vol,  III  233  Nr.  1 nnd  2 (1484),  a)  Anschlag  des  Amtes 
Koswig:  „Item  dy  dingh  dage  zcn  besuchen,  dar  von  eyn  sunderlich  register 
machen,  was  sich  vor  den  gerichten  begibt  unde  da  von  myn  gnädigen  Hem 
vertzeichnnuge  geben  in  der  pingsten  heiligen  tagen“;  b)  Anschlag  des 
Amtes  Zerbst:  „Item  das  lionegcrichte  und  ander  gerichte  getrau wclichcnu 
nach  sineui  besteun  vermögen  beriten“. 

*)  Vgl.  Friese-Liesegang,  Anhang  3 S.  322  (1528),  Anhang  4 S.  328, 
anm.  (1528). 

*)  Beckmann  IV  6 S.  550  (1551);  P.n.L.O.  VIII. 

»)  P.u.L.0.  XXIV  Abs.  6. 

»)  P.u.L.0.  III  Abs.  15. 

'»)  P.u.L.0.  XXXVII  Abs.  2. 


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124 


lästerern  naclizuforschen  und  sie  zu  bestrafen1),  auch  au  von 
geistlichen  Gerichten  Verurteilten  die  Exekution  auszuführen a). 
Völlerei  und  alle  solche  Laster  soll  er  „uunachlässig,  vormuge 
der  Rechte“  strafen  und  auf  keinen  Fall  dieselben  etwa  ver- 
schweigen 3).  Ferner  ist  der  Amtmann  zuständiger  Richter  bei 
Schuldvergehen  landesfürstlicher  Leute  gegenüber  städtischen 
Bürgern4).  In  peinlichen  Sachen  soll  er,  auch  wenn  kein 
Kläger  da  ist,  das  Verfahren  führen  „und  die  ubertrettunge 
nach  Ordnung  der  Rechte  peinlich  straffen  lassen“5).  Allerdings 
ist  ihm  hierbei  nicht  mehr  ganz  freie  Hand  gelassen,  vielmehr 
ist  die  Entscheidung  über  peinliche  Sachen,  „dadurch  das 
Leben  vorwirket“,  meist  wohl  noch  dem  Gerichte  des  Landes- 
herrn und  seiner  Räte  zugeteilt6). 

Überhaupt  hat  der  Landesherr,  der  natürlich  immer  Ober- 
iustanz  ist,  jetzt  wohl  in  Sachen  der  hohem  Gerichtsbarkeit 
mehr  in  die  lokale  Rechtsprechung  eingegriffen  und  vor  allem 
mehr  Kontrolle  über  die  Entscheidungen  ausgeübt,  als  im  Mittel- 
alter,  während  die  niedere  Gerichtsbarkeit  noch  völlig  der  lo- 
kalen Verwaltung  überlassen  bleibt.  Jedenfalls  wird  in  der 
Polizei-  und  Landesordnung  von  1572  bestimmt,  „dass  die  ge- 
meinen Klagen,  Sonderlich  geringschetzig  Sachen,  die  nicht 
ohne  Mittel  für  uns  gehören,  in  unsern  Ampten,  Stedten  und 
bey  ander  Gerichtshabern,  so  solche  Sachen  zu  entscheiden  ge- 
bären, gesucht  werden“ 7).  Man  sieht  also,  in  den  gerichtlichen 
Kompetenzen  des  Amtmanns  gegenüber  denen  des  Vogtes  hat 
sich  doch  manches  geändert.  Ist  der  Vogt  früher  nur  Richter 
des  Hochgerichts,  aber  hier  fast  ganz  selbständig,  so  ist  der 
Amtmann  in  seinen  oberrichterlichen  Befugnissen  jetzt  mehr 


')  P.u.L.O.  IV  Abs.  5 und  7. 

*)  P.u.L.O.  II  Abs.  10. 

*)  P.u.L.O.  V Abs.  2. 

*)  lieg.  574  (1462). 

*)  P.  u.  L.  0.  VI  Abs.  2 und  3. 

•)  P.u.L.O.  V Abs.  2;  H.H.St.Arch.  vol.  III  276/276  Nr.  132,  Regi- 
ineutsorduung  von  1542  (s.  pag.  77,  8);  s.  a.  Stölzel,  Gelehrtes  Richtertuni 
S.  353  ff. 

’)  P.u.L.O.  VIII  Abs.  2. 


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125 


beschränkt1),  dafür  sind  ihm  aber  wohl  manche  niederrichter- 
liche Kompetenzen  wiederum  überlassen. 

Jedenfalls  ist  der  Amtmann  sicher  ausübender  Richter  mit 
dem  vollen  Recht  zu  urteilen  und  zu  strafen.  Eine  bestimmte 
Scheidung  zwischen  Urteilfinder  und  Richter  ist  nicht  mehr  zu 
finden,  der  landesherrliche  Beamte  urteilt  ebenfalls  allein,  ohne 
Schöffen3).  Er  soll  hier,  wenn  es  am  Platze  ist,  strtng  auf 
das  Rechte  sehen  und  nichts  verschweigen  oder  vertuschen3). 
Andererseits  wird  ihm  aber  auch  dringend  empfohlen,  gerade 
hierin  nicht  zu  scharf  vorzugehen  und  nicht  etwa  jemand  mit 
Willen  Unrecht  zu  tun  oder  ohne  des  Herrn  Bewilligung  zu 
bestrafen4),  vielmehr,  wenn  angängig,  bei  zivilen  Streitigkeiten 
erst  die  Parteien  anzuhören  und  möglichst  eine  gütliche  Einigung 
zu  versuchen,  um  unnütze  Kosten  und  Mühe  zu  ersparen5). 

Auch  die  Verwaltung  der  Gerichtsgeschäfte  ist  in  die 
Hände  des  Amtmanns  gelegt.  Er  hat  für  die  richtige  Ver- 
teilung der  Gerichtskosten  zu  sorgen  und  vor  allem  darauf  zu 
sehen,  dass,  wo  dieselben  dem  Kläger  zufallen,  wie  bei  pein- 
lichen Klagen,  diesem  keine  unnötigen  Kosten  erwachsen.  Ist 
der  Kläger  nicht  zahlungsfähig  oder  überhaupt  kein  Kläger 
da,  so  sollen  die  Unkosten  „aus  Anlagen  des  Ampts“  und  „der 
Gerichtsvorwandten“  gedeckt  werden6).  Ebenso  hat  der  Amt- 
mann die  Gerichtsgefälle  einzuziehen  und  darüber  ein  beson- 
deres Verzeichnis  anzulegen  T). 

Die  Einziehung  dieser  Gerichtsgefälle,  wie  die  Verrechnung 


')  Stölzel,  Gelehrtes  Richtertnm  S.  206  ff.,  252  ff. 

*)  Stölzel,  Gelehrtes  Richtertum  S.  332  ff.;  v.  Below,  Rezeption  S.  30. 51. 

*)  P.u.L.0.  IV  7,  V 2;  H.H.St.Arch.  vol.  III  233  Nr.  1 und  2 (1484), 
Vogteiordnung  von  Koswig:  „Item  nymanden  mit  willen  unrecht  thun  unde 
keyn  hässlich  suche  zeu  verewigen". 

*)  anm.  3 u.  dies.  Stelle  „Item  keynen  underthan  zeu  verbllssen  hinder 
mync  hem  wissen  und  bewilligunge“ ; s.  Eggers  S.  57. 

•)  P.u.L.0.  VIII  Abs.  4. 

•)  P.u.L.0.  VI  Abs.  2 und  3;  s.  Planck  S.  156 ff. 

*)  H.H.St.Arch.  vol.  III  233  Nr.  1 und  2 (1484),  a)  Vogteiordnung  von 
Koswig:  „Item  das  gerichte,  feile  trouwelichen  in  zeu  mane  und  die  in  be- 
sunder  register  zeubringen";  b)  Anschlag  des  Amtes  Zerbst:  „unde  das 
gericht,  feile  unde  brache  getrouwelichen  zceicheu  unde  in  rnyne  hern  nutz 
keren“. 


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126 


der  Domäneneinkünfte  weist  nun  schon  an  sich  auf  eine 
finanzielle  Tätigkeit  des  Amtmanns  hin,  und  in  der  Tat 
sind  demselben  durchaus  noch,  wie  dem  Vogt,  die  finanziellen 
Funktionen  in  seinem  Bezirk  übertragen;  er  kann  sie  aber 
auch  an  einen  Unterbeamten  abgeben. 

Auch  der  Amtmann  hat  Grundsteuern  und  Lasten  zu  ver- 
teilen Und  einzufordern1),  wie  Renten  und  Zinsen  einzu- 
mahnen *).  Ferner  hat  er  die  Einkünfte  aus  Zoll  und  Geleite 
zu  verwalten  3).  Zieht  er  sie  nicht  selbst  ein,  sondern  geschieht 
es  durch  besondere  Geleitsmänner,  so  ist  ihre  weitere  Besor- 
gung doch  Sache  des  Amtmanns,  dem  diese  ihre  Rechnungen 
wöchentlich  vorzulegcu  haben 4).  Selbst  die  Einnahmen  von 
den  Wochenmärkten  in  den  Städten  gehen  durch  die  Hände 
des  Amtmanns 5). 

Und  doch  ist  auch  in  der  finanziellen  Verwaltung  des 
Amtmanns  ein  Unterschied  gegenüber  der  des  Vogtes6).  Wäh- 
rend in  früherer  Zeit  der  Vogt  die  Einkünfte  meist  zu  Zwecken 
des  Bezirks  gleich  wieder  verbraucht  und  nur  die  Überschüsse 
abliefert,  auch  nur  gelegentlich  Rechnung  ablegt,  hat  der  Amt- 
mann über  die  ganze  Verwaltung  Bericht  zu  erstatten,  alle 
Einnahmen  und  Ausgaben  genau  aufzuzeichnen  und  abzuliefern, 
und  darf  nur  mit  Wissen  des  Landesherrn  etwas  ausgeben7). 
Vor  allem  aber  ist  er  einer  strengen  Rechnungslegung  zu  ganz 
bestimmten  Terminen  im  Jahr  unterworfen8)  und  kann  auch 

'}  Reg.  246  (1437),  559  (1460);  P.n.L.O.  XXI  Abs.  2. 

«)  G.Qu.d.Pr.S.  XXVIII  1300  (1504);  TI. H. St. Arcb.  vol.  III  233  Nr.  1 
und  2 (1484),  Vogteiordnung  von  Koswig:  „Item  tziuhse  und  renthe  in  zeu 
manen". 

*)  H.H.St.Arch.  vol.  III  233  Nr.  1 und  2 (1484),  Koswig:  „Item  tzolle 
und  geleite  nach  begriff  dar  redelich  zeu  nehmen  und  rnyncn  hern  daz  ge- 
trouwelicben  behalten  und  syucr  gnaden  antworten  adir  mit  syner  gnaden 
wissen  ussgebeu“. 

*)  Reg.  452  (1452). 

s)  Reg.  452  (1452). 

“)  v.  Below,  Territorium  S.  288  ff. ; Lamprecht  S.  1389;  Winttcrlin  S.  5 ff. 

’)  H.H.St.Arch.  vol.  III  233  Nr.  1 und  2 (1484);  Vogteiordnnng  von 
Koswig:  „Item  alle  mande  soll  er  myn  hern  vortzeichent  gebenn,  was  iglicb 
wochc  und  iglich  tag  geleite  worden  ist  und  welch  dag  nicht  worden  ist, 
sal  er  das  wort  setze:  nichil“;  vgl.  auch  anm.  3. 

")  Vogteiordnung  von  Koswig:  „Item  er  sol  rechen  in  der  osterwachen1'. 


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127 


stets  durch  Visitationen  kontrolliert  werden l).  Eine  Bedrük- 
kung  der  Anitseinwolmer,  wie  zur  Zeit  der  Vogteiverfassung, 
kann  also  nicht  mehr  so  leicht  Vorkommen,  der  Amtmann  ist 
viel  zu  sehr  von  der  Revision  der  Rentkammer  abhängig,  ihm 
fehlt  eben  die  grosse  Selbständigkeit  des  Vogtes  gegenüber  der 
Zentralstelle. 

Über  militärische  Aufgaben  des  Amtmanns  ist  wieder 
nur  sehr  wenig  überliefert,  doch  lässt  der  Titel  Hauptmann 
wohl  auf  eine  derartige  Tätigkeit  schliessen.  Bestimmte  Nach- 
richten haben  wir  nur  aus  dem  Anfang  des  15.  Jahrhunderts. 
Hiernach  hat  der  Amtmann  in  Vertretung  des  Fürsten  die 
Führung  des  Truppenkontigents  bei  Fehdesachen  zu  über- 
nehmen*). Ob  im  16.  Jahrhundert,  wo  das  Süldnertum  ins 
Kriegswesen  eintritt3),  ihm  auch  noch  derartige  Aufgaben 
übertragen  werden,  lässt  sich  nicht  sicher  entscheiden,  ist  aber 
möglich,  da  einige  Male  Amtleute  im  Kriegslager  oder  in  ge- 
schäftlicher Berührung  mit  Soldaten  sich  nachweisen  lassen4). 

Natürlich  sind  die  Amtleute  in  ihrer  Tätigkeit  nicht  nur 
auf  ihren  Amtsbezirk  angewiesen,  sondern  werden,  wie  schon 
ihre  Zugehörigkeit  zum  landesfürstlichen  Rat  mit  sich  bringt6), 
zu  allen  möglichen  andern  Geschäften  herangezogen.  Sie 
führen  als  Vertreter  ihres  Landesherrn  die  Verhandlungen  in 
auswärtigen  Gerichtssachen6),  richten  Verwaltungsregister  mit 
ein 7),  werden  als  Gesandte  verwendet 8)  und  übernehmen  Bürg- 
schaften für  ihren  Herrn9);  dienen  auch  sonst  oft  als  Be- 

’)  Statthalterinstruktion  (Anhang  2). 

*)  Reg.  26  (1404),  374  (1443). 

*)  v.  Below,  Territorium  S.  287. 

*)  H.H.St. Arcli.  GAR.  IV  6 Nr.  1;  Landtag  von  1547,  Ausgabe  von 
vorigem  Gelde:  „20  thaler  fünf  Spaniern  gegeben,  so  umb  Wannsdorf  und 
plozk  — — gelegen,  durch  Rodern  gegeben  worden“.  „32  thaler  Yaltien 
Schlegeln  widergegeben,  die  ehr  auch  neben  der  abgesetzten  abfertigung  der 
Ilispanier  ausgelegt“;  vgl.  auch  pag.  85,  4;  86,  6. 

4)  pag.  115,  1. 

*)  pag.  112,  5 (1566). 

’)  pag.  65,  1 (1557). 

•)  H.H.St.Arch.  GAR.  IV  5 Nr.  1 (1547)  „22  Gulden  13  gr.  an  19 
thalern  Hansen  Statins  zur  Zerung  einmahl  nach  Torgau,  und  zweimabl  nach 
Berlin  gegeben  worden“. 

•)  Reg.  502  (1456). 


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urkundungszeugen ').  Namentlich  wichtige  innere  Verwaltungs- 
angelegenheiten sind  wohl  nie  ohne  Beteiligung  einiger  Amt- 
leute erledigt  worden.  Bei  Einsetzung  der  Landesregiments- 
ordnung für  das  Zerbster  Territorium  sind  auch  sämtliche 
Amtsvorsteher  des  Gebietes  als  Beurkundungszeugen  zuge- 
zogen 2),  und  von  den  6 Mitgliedern  dieses  Regiments  noch  zwei 
aus  ihrem  Kreise  genommen3).  Einer  von  diesen,  der  Haupt- 
mann von  Zerbst,  spielt  in  der  Kommission  sogar  eine  hervor- 
ragende Rolle4).  Er  hat  in  den  Gerichtssitzungen  die  erste 
urteilende  Stimme5),  führt  das  „Sekret“  bei  sich,  unter  dem 
die  Beschlüsse  ausgefertigt  werden  sollen  6)  und  ist  im  Besitz 
eines  der  Schlüssel  ■ zum  Aufbewahrungsort  des  Siegels7).  Auch 
in  den  von  den  Landständen  für  Erhebung  der  Steuern  einge- 
setzten Kommissionen  sind  nicht  selten  Amtleute  vertreten8), 
wie  sie  auch  zur  Erledigung  der  allgemeinen  Geldgeschäfte  im 
Lande  oft  verwendet  werden  9).  Mitunter  wird  den  Amtleuten 
sogar  neben  ihrem  eigentlichen  Amt  auch  noch  die  zeitweilige 
Verwaltung  und  Sicherung  fremder  Güter  in  gefahrvoller  Zeit 


')  Keg.  458,  472,  477,  479  (1453—4465),  623,629  (1463);  H.H.St.Arch. 
K.  44  — IV  57  b Nr.  37  (1481)  (s.  pag.  65,  1);  K.  44  — IV  60  Nr.  41  (1492) 
(s.  pag.  73,  3);  G.Qu.d.Pr.S.  VI  640,  643  (1547). 

*)  pag.  85,  5 (1546). 

*)  pag.  112,  5. 

*)  pag.  70,  3,  dazu  114,  3. 

8)  pag.  78,  8;  66,  1. 

*)  H.H.St.Arch.  vol.  III  275/276  Nr.  132  „Was  dan  in  genanten  Sachen 
sic  alle  oder  der  mehrere  teil  entschliessen,  das  soll  in  Iren  der  bcfehelhnber 
nahmen  under  ein  besondern  Sekret  hierzu  verordnet,  so  der  Hauptmann  bei 
sich  haben  sol,  vorfertigt  werden“. 

’)  pag-  87,  3. 

8)  pag.  74,  1 ; ev.  90,  6. 

»)  H.H.St.Arch.  GAR.  — IV  5 Nr.  1 (1546)  „2  m;  el.  26'/«  thaler  40 
spizgroschlein  haben  Niclns  Schlegel  und  Lorenz  Zincke  in  den  Hartzsteden 
und  Kmpten  als  Guutersperge,  Harzkcrode,  auch  warmsdorf  und  plozk  auf- 
gebracht und  entlohnt“.  „15  thaler  Joseph  Troinuieter,  durch  Nickoly 
Schlegel  zu  Zerbst  ubergeben“.  „283  thaler  (den  Königlichen  wegen  er- 
littenen Schadens)  und  diese  Summe  ist  genanten  konigischeu  durch  Oswalt 
Rodern  bezealt“;  s.  a.  pag.  95,  4;  ferner  „200,  64  thaler  12  patzen  an  200 
krönen  anch  vom  Chnrfr.  zu  Brnndenburgk,  durch  Hansen  Stacio  und  Oswalt 
Kodern  empfangen". 


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129 


übertragen  *),  ein  Beweis  für  ihre  wichtige,  obrigkeitliche  Stel- 
lung, die  sie  zum  Schutze  auch  fremden  Besitzes  befähigte. 

Ihre  Besoldung  erhalten  die  Amtleute,  wie  überhaupt  alle 
Beamten  der  lokalen  Verwaltung,  aus  dem  Amte  selbst;  die 
Ausgaben  dafür  werden  mit  im  Amtshaushalt  verrechnet,  erst 
gegen  Ende  des  16.  Jahrhunderts  (1570)  werden  auch  sie  direkt 
von  der  Rentkammer  ausgezahlt2).  Die  Besoldung  besteht  im 
16.  Jahrhundert  nunmehr  vor  allem  in  bestimmten  Geldbezügen, 
die  anfangs  noch  nicht  bedeutend  sind  (1484  — 15  fl.  pro 
Jahr)3),  später  aber  steigen  (1546  — 25  fl.4);  1570  — 68  fl. 
12  gr.)6).  Daneben  erhält  der  Amtmann  freie  Kleidung6)  und 
Verpflegung7),  auch  stehen  ihm  einige  Pferde  zur  Verfügung"). 
Auslagen  werden  ihm  natürlich  wiedererstattet8);  ausserdem 
erhält  er  bei  besonderen  Ereignissen  noch  Entschädigungsgelder 10). 

')  G.  Qu.d.Pr.S.  VI  649  (1547),  688  (1560). 

*)  H.H.St.  Arch.  GAE.  — IV  27  Nr.  118:  „Dienstgellt  den  Rethen  und 
Dienern:  68  9.  12  gr.  Christoff  Zannthir  seine  Jbarbesoldung“;  „68  9.  12  gr. 
— Kaspar  Knoch“  (s.  a.  pag.  105,  5);  s.  a.  Eggers  S.  42. 

*)  H.H.St. Arch.  vol.  III  233  Nr.  1 und  2,  Vugteiordnuug  von  Rosslau; 
„Gesinde  lohen“  „Item  dem  baupmun  15  Gnlden“. 

*)  H.H.St.Arcb.  GAR.  IV  24  Nr.  93  „Amt  Dessau:  (s.  pag.  113,  1), 
ebenso  Amt  Zerbst. 

*)  anm.  2. 

*)  Jährlich  stehen  ihm  meist  2 Kleider  nnd  1 Paar  Stiefeln  zu  (II.H.St.Arch. 
GAR.  — IV  24  Nr.  93  (1546):  Amt  Dessau  (s.  pag.  113,  1),  Amt  Zerbst 
(s.  pag.  113,  1),  Amt  Warmsdorf  (s.  pag.  113,  1),  Amt  I’lozigk:  „Kleidung 
dem  Amptm.  und  seinem  Knecht  4 clcit,  dem  Schreiber  eins  thut  — 23  9.“; 
K.  33  — III  71  Nr.  15  (1557),  Vorweisregister  von  Rosslau:  „130  Gnlden 
Uesindelohenn.  23  9.  kleidung  dem  Amptmann,  knecht  und  schreyber“. 

*)  pag.  111,  2;  113,  1;  118,  3;  120,  3. 

*)  H.H.St.Arcb.  GAR.  IV  24  Nr.  93  (1546)  „Amt  Dessau:  „Pferde,  so 
zn  haltenn  nnd  zu  futtern  vonnoten:  3 reisige  pferde  des  Hauptmans,  1 pferd 
dem  Schosser“;  Amt  Zerbst:  „Pferde  uffim  Futter  zu  halon:  2 reysige 
Pferde  des  Hauptmans“;  Amt  Rosslau  (s.  pag.  113,  1). 

•)  H.H.St. Arch.  GAR.  IV  5 Nr.  1 (1546/47)  „40  Gulden  an  30  tbalern 
Hansen  Statio  vor  ein  genommen  pferdt“ ; 200,  39  thaler  5 groschen,  enzling 
ans  der  Steuer  eingenommen,  und  wiederumb  zu  notturftigen  Zeningen  und 
andern  ausgaben  gebraucht,  davon  auch  Yaltin  Schlegel  32  ausgelegte  thaler 
widergegeben“  „30  thaler  Hansen  Statius  gegeben  zn  widerstatung  des 
pferdes,  so  ihm  uf  der  allerersten  reise,  die  ehr  mit  Nickol  schlegel  ghen 
Torgau  ins  lagcr  gethan,  von  den  Spaniern  genommen“;  s.  a.  pag.  97,  6;  127,  4. 

,0)  pag.  85,  4;  89,  2;  127.  8. 

Schreckcr,  Beamtentum  ln  Anhalt  9 


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130 


Ob  er  von  landesherrlichen  Abgaben  befreit  ist,  lässt  sich  nicht 
erkennen,  zu  den  landständischen  Steuern  wird  er  jedoch  heran- 
gezogen '). 


b)  Die  Unterbeamten. 

Infolge  der  strafferen  Verwaltungsgrundsätze,  die  sich  seit 
dem  15.  Jahrhundert  allmählich  herangebildet  haben,  auch  in- 
folge der  grösseren  Ausdehnung  der  einzelnen  Bezirke  und  der 
Vermehrung  der  notwendigen  Geschäfte,  kann  nun  aber  der 
Vorsteher  des  lokalen  Verwaltungsbezirks  nicht  die  ganzen  Ge- 
schäfte allein  führen.  Seit  der  neuen  Ämterverfassung  sind 
ihm  daher  zur  direkten  Unterstützung  und  Entlastung  noch 
andere  Beamte  zugeteilt  *).  Dieselben  unterstehen  durchaus 
der  Aufsicht  des  Amtmanns,  haben  aber  innerhalb  der  Amts- 
verwaltung  meist  ihren  ganz  bestimmten  Wirkungskreis,  nehmen 
dem  Amtmann  geradezu  einen  Teil  seiner  Tätigkeit  ab.  Immer- 
hin ist  aber  der  Amtmann  auch  für  ihre  Geschäftsführung  ver- 
an wörtlich,  sie  sind  durchaus  seine  Unterbeamten  und  stehen 
keineswegs  etwa  in  einem  derartigen  Verhältnisse  zu  ihm,  wie 
früher  die  niederen  Lokalbeamten,  Stadtpräfekt  und  Orts- 
scbultheiss,  zum  Vogt.  Während  diese  reine  Ortsbeamte  und  in 
ihrer  Verwaltungstätigkeit  vollkommen  selbständig  waren,  höch- 
stens dass  sie  der  Oberaufsicht  des  Bezirksbeamten  unter- 
standen, gehören  jene  ganz  und  gar  zur  Bezirksverwaltung  und 
sind  meist  uur  ausübende,  unterstützende  Organe  des  Amt- 
manns, selten  selbständig  verantwortliche  Beamte. 

a)  Ein  derartiger  zweiter  Beamter  in  der  Verwaltung 
eines  Bezirksamts  ist  der  Schosser,  auch  Vogt  genannt3), 
der  sich  seit  dem  zweiten  Drittel  des  16.  Jahrhunderts  nach- 
weisen  lässt.  Doch  nimmt  derselbe  immerhin  noch  eine  bedeu- 


>)  H.H.St.Arch.  GAR.  IV  6 Nr.  2,  Landtag  von  1555:  „Anschlag  der 
Stenern  der  Adligen:  Amptt  Dessau:  8 Pfg.  — Hanhs  vonn  Zeynitz;  Amt 
Zcrwest:  6 Pf.  Hans  Statius;  Amt  au  YVarihsdorff  und  Plotzigk:  8 Pf. 
Oswaldt  Rodern. 

*)  Schröder,  Rechtsgcschichtc  S.  <>08  ff. ; Bornhak  S.  38,  68;  Isaaksohn 
S.  63  ff.;  Schmoller  S.  48;  Wintterlin  8.  5;  v.  Below,  Territorium  S.  297. 

•)  Isaaksolm  S.  63 ff.;  Jakobs,  Alter  und  Ursprung  S.  111;  v.  Below, 
Territorium  S.  297  ff. 


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131 


tendere  Stellung  ein , wie  andere  Unterbearote.  Nicht  jedes 
Amt  hat  einen  solchen  Schosser,  er  findet  sich  vielmehr  neben 
dem  Amtmann  nur  bei  grösseren  Ämtern1).  Ferner  ist  er 
nicht  immer  nur  zweiter  Beamter  und  bloss  neben  dem  Amt- 
mann tätig,  sondern  auch  durchaus  zu  selbständiger  Tätigkeit 
berechtigt.  Gelegentlich  wird  dem  Schosser  nämlich  auch  die 
alleinige  Verwaltung  eines  Amtes  übertragen8),  namentlich 
kleinere  Ämter  sind  oft  nur  einem  derartigen  Beamten  unter- 
stellt8). Er  führt  dann  auch  wohl  den  Titel  „Amtsverwalter“ *) 
oder  „ am  ts voigt  “ 5),  einmal  findet  sich  sogar  die  Bezeichnung 
„Amtmann“  für  ihn6).  Seine  Wirksamkeit  entspricht  dann 
natürlich  genau  der  eines  Amtmanns,  er  ist  allerdings  meist 
noch  der  Oberaufsicht  eines  benachbarten  Amtes  unterstellt7). 

Seinem  Stande  nach  ist  der  Schosser  in  der  Regel  bürger- 
licher Herkunft8),  doch  findet  sich  auch  ein  adliger  Träger 
dieses  Titels9),  allerdings  in  selbständiger  Stellung. 

Ist  der  Schosser  einem  Amte  zugeteilt,  so  ist  ihm  be- 
sonders die  Verwaltung  der  finanziellen  Geschäfte  übertragen. 
Die  Erhebung  und  Verrechnung  der  Einkünfte  und  Ausgaben 
ist  seine  eigentliche  Aufgabe,  er  hat  die  Geldsachen  zu  regeln 
und  mit  dem  Amtmann  jedes  Jahr  Rechnung  zu  legen 10);  ge- 


')  G.Qu.d.Pr.S.  VI  598  (1534);  H.H.St.Arch.  GAE.  IV  24  Nr.  93 
(1546),  Anschlag  des  Amtes  Dessau:  — „und  weil  Dessau  und  Lippene  fast 
mehr  uff  Haushaltung  dan  auf  gewisse  Zinsen  stehet,  musste  neben  den 
Amptman  ein  Schosser  gehalten  werden,  der  die  Sachen  mit  hulffe  vorhoren, 
auch  die  rechnuug  der  Fischereyeu,  Holzkanfe,  und  also  die  Geltregister, 
einnabme  und  ausgabe  vorwesete“. 

*)  pag.  112. 

*)  So  ist  z.  B.  Plötzig  wohl  stets  nur  von  einem  Schosser  verwaltet 
(G. Qu. d. Pr.S.  VI  620  (1542),  688  (1560);  H.H.St.Arch.  GAE.  IV  5 Nr.  1 
(1546)  (s.  pag.  85,  5);  GAE.  IV  24  Nr.  93  (1546)  (s.  pag.  120,  3). 

‘)  G.Qu.d.Pr.S.  VI  620  (1542). 

s)  G.Qu.d.Pr.S.  VI  688  (1560). 

•)  G.Qu.d.Pr.S.  VI  640  (1547). 

’)  pag.  Hl,  2. 

«)  G.Qu.d.Pr.S.  VI  598  (1534),  688  (1560);  XXVIII  1300  (1504);  Eeg. 
591  (1461). 

•)  H.H.St.Arch.  GAR.  IV  5 Nr.  1 (1546)  „Nickol  Mohr“  (s.  pag.  85, 5); 
G.Qu.d.Pr.S.  VI  640  (1547). 

,0)  am».  I;  Anhang  2 und  3. 

9* 


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132 


legentlich  verwaltet  er  auch  zugleich  die  Geschäfte  eines 
Schreibers  ‘).  Daneben  unterstützt  er  den  Amtmann  in  der  Be- 
aufsichtigung der  Forsten*)  und  ist  auch  sonst  in  der  admini- 
strativen wie  gerichtlichen  Verwaltung  des  Bezirks  tätig8).  Ob 
er  hier  auch  selbständige  Berechtigung  hat,  wie  es  nach  der 
Polizei-  und  Landesordnung  von  1572  aussehen  könnte,  scheint 
mir  fraglich;  die  Erwähnung  des  Schossers  dort  kann  sich 
auch  nur  auf  Schosser  in  unabhängiger  Stellung,  entsprechend 
dem  Amtmann,  beziehen,  doch  ist  es  immerhin  möglich. 

Jedenfalls  ist  der  Schosser  der  bedeutendste  Beamte  der 
Bezirksverwaltung  nach  dem  Amtmann  und  ohne  Zweifel 
dessen  Stellvertreter.  Seine  Tätigkeit  kann  sich  ebenfalls  auf 
alle  Zweige  der  Bezirksverwaltung  erstrecken,  wenn  er  auch 
hauptsächlich  finanzielle  Funktionen  hat.  Auch  dies  beweist 
wieder,  dass  er  nicht  so  ganz  zu  den  festen  Unterbeamteu  des 
Bezirksamtes  zu  rechnen  ist,  er  nimmt  mehr  eine  Mittelstellung 
zwischen  selbständigen  und  nur  ausführenden  Beamten  ein. 

Seine  Besoldung  besteht  ebenfalls  in  Geld,  ist  aber  nicht 
so  hoch,  wie  die  eines  Amtmanns,  auch  wenn  er  ein  selbstän- 
diges Amt  verwaltet.  Sie  beträgt  ihm  Jahre  1546  12  oder 
15  fl.4),  ausserdem  erhält  auch  er  Kleidung  und  Beköstigung5); 
auch  wenn  er  neben  dem  Amtmann  tätig  ist,  steht  ihm  die  Be- 
nutzung eines  Pferdes  zu8). 

pf)  Dem  Vorsteher  des  Bezirksamtes  regelmässig  unterstellt 
ist  der  Amtsschreiber7)  als  ständiger,  zweiter  Beamter,  der 

l)  H.H.St.  Arch.  GAR.  IV  24  Nr.  93  (1646),  Amt  Lindau:  Ein  Schosser 
odder  voigt  vorweset  mit  das  Schreiber  Ainpt. 

»)  pag.  119,  5 (1546);  P.u.L.O.  XXV  Abs.  2 (1672). 

■)  P.u.L.O.  II,  XXIII,  XXX,  XXXI,  XXXVIII,  XLI,  XLIII;  G.Qn.d.Pr.S. 
VI  598  (1534);  H.H.St. Arch.  vol.  III  275,276  Nr.  132  (1546)  (s.  pag.  78,  1); 
vgl.  131,  1). 

4)  H.H.St.Arch.  GAR.  IV  24  Nr.  93  (1546),  Amt  Dessau:  „Gcsinde- 
lohn:  — dem  Schosser  15  fl.";  Amt  Wörlitz:  „dem  Schosser  ader  voigte  be- 
solduug  — 12  fl.“. 

*)  Anschlag  des  Amtes  Dessau  (1546)  (s.  anm.  4):  „Kleydung:  — dem 
Schosser  2 cleid  — 9 fl.“;  Amt  Wörlitz:  „dem  Schosser  vor  2 cleid  — 
9 fl.;  zu  Babe  ader  Lippcnisch  Amt  gibt,  mau  nur  1 cleid“  ; s.  a.  pag.  111,2; 
118,  3;  120,  3. 

«)  pag.  129,  8. 

’)  Schröder,  Rechtsgeschichte  S.  609,  786;  Boruhak  S.  38,  63;  Schmoller 


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133 


sich  in  jedem  Amt  unbedingt  neben  dem  Amtmann  findet *)  und 
auch  bei  Zuteilung  eines  Schossers  wohl  meist  im  Amte 
bleibt2);  doch  tritt  auch  der  Fall  ein,  dass  dem  Schosser  seine 
Tätigkeit  mitiibertragen  wird3). 

Über  den  Stand  des  Amtsschreibers  lässt  sich  nichts  nach- 
weisen,  da  kein  Name  überliefert  ist;  jedenfalls  wird  er  aber, 
wie  die  Schreiber  der  andern  Verwaltungsbehörden4),  auch 
bürgerlicher  Herkunft  gewesen  sein;  ob  er  Rechtsgelehrsam- 
keit besitzt5),  ist  nicht  erkennbar. 

Seine  Stellung  ist  rein  lokaler  Art,  zu  allgemeinen  Ge- 
schäften wird  er  gar  nicht  herangezogen.  Er  ist  lediglich  Ge- 
hilfe und  ausübendes  Organ  des  Amtmanns.  Seine  Obliegen- 
heiten ergeben  sich  aus  seiner  Amtsbezeichnung,  er  ist  mit  der 
Erledigung  der  ganzen  schriftlichen  Tätigkeit  im  Amtsbezirk 
betraut.  Gerade  die  im  Laufe  der  Jahrhunderte  gestiegene 
Bedeutung  schriftlicher  Aufzeichnungen  in  jeglichem  Ver- 
waltungszweig ist  ja  ein  Hauptgrund  für  die  Vermehrung  der 
Beamten  und  verlangt  auch  im  lokalen  Amtsbezirk  eine  Teilung 
der  Geschäfte.  Der  dem  Amtmann  beigegebene  Schreiber  hat 
daher  vor  allem  die  ganze  Registerführung  im  Amte  unter 
sich6),  er  muss  die  Rechnungen  verzeichnen,  auch  wohl  selbst 
einfordern7 8)  und  diese  Verzeichnisse  zu  bestimmten  Zeiten, 


S.  48;  in  andern  Teilen  Deutschlands  wird  dieser  Beamte  auch  Keller  ge- 
nannt (s.  Wintterlin  S.  5;  v.  Below,  Territorium  S.  297;  Lamprecht  S.  1410). 

')  Die  gewöhnliche  Zahl  der  Beamten  in  einem  Amt  ist:  der  „Haupt- 
mann, sein  Knecht  und  ein  Schreiber“  (H.  H.  St.Arcb.  K.  33  — III  71  Nr.  15 
(1557)  Amt  Rosslau:  „dies  aber  sint  die  Personen,  so  im  Ampt  zu  erhalten 
notigk:  Ein  Hauptinan,  sein  Knecht,  ein  Schryber";  vol.  III  233  Nr.  1 und 
2 (1646)  für  die  Ampter  Zerbst,  Lindau,  Rosslau;  GAR.  IV  24  Nr.  93  (1546) 
für  Dessau,  für  Zerbst,  für  Warmsdorf  (s.  pag.  113,  1),  für  Plozigk  (s.  pag. 
129,  6). 

*)  H.H.St.Arch.  GAR.  IV  24  Nr.  93  (1646)  im  Amt  Dessau. 

*)  pag.  129,  8 (1546). 

*)  pag.  89  und  97. 

5)  Schröder,  Rechtsgeschichte  S.  609;  Jakobs,  Alter  und  Ursprung 

8.  111. 

•)  H.H.St.Arch.  GAR.  — IV  24  Nr.  93  (1546),  Amt  Dessau:  „Ein 
Amptschreiber,  der  allerley  Missiven  schreibe,  auch  mit  in  den  vorhom  und 
handeln  were,  alle  Ding  zu  registrieren“. 

7)  H.H.St.Arch.  vol.  III  233  Nr.  1 und  2 (1484),  llausbaltungsbuch  von 


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134 


meist  wohl  alle  Wochen  oder  14  Tage,  zur  Durchsicht  ein- 
reichen. Ferner  hat  er  die  laufenden  Briefsachen  zu  erledigen, 
er  führt  daher  das  Siegel  des  Amtes,  darf  es  aber  nur  mit  Er- 
laubnis des  Landesherrn  oder  Amtmanns  benutzen.  Bei  Ver- 
hören und  sonstigen  Verhandlungen  dient  er  als  Protokoll- 
führer1). Sämtliche  Schriftstücke  hat  er  in  der  Schreiberei 
des  Amtes  sorgfältig  aufzubewahren,  und  es  ist  ihm  strengstens 
untersagt,  irgendwelche  Verzeichnisse  fortzugeben.  Überhaupt 
hat  er  über  seine  ganze  Tätigkeit  strengstes  Amtsgeheimnis 
zu  bewahren. 

Als  Gehalt  bekommt  er  eine  bestimmte  Geldsumme,  im 
Jahre  1484  7 Gulden8),  1546  sind  es  10  fl.8),  1570  schon 
20  fl.4);  ferner  steht  ihm  freie  Beköstigung  und  Kleidung 
zu5). 

y)  Die  Verwaltung  der  landesfürstlichen  Domäne  erfordert 
natürlich  auch  noch  eine  ganze  Anzahl  landwirtschaftlicher  Be- 
amter und  Gesindes,  im  Amt  Zerbst  sind  es  z.  B.  im  Jahre 
1546  32  Personen6). 

So  ist  oft  auf  den  einzelnen  Vorwerken  ein  besonderer 


Zerbst:  „Des  scribers  Arnpt:  Item  dy  smede  zcu  vorwarenn  unde  alle 

wochenn  rechentschafft  zca  netnen,  getrauw  gehorsam  und  anwertich  zcu 
seynde,  keyue  sonder  rnyne  verwillnnge  das  sigel  neme  an  zcu  drtickenn, 
nichts  und  nymande  keine  vertzeichunge  uhs  der  scriberie  zcugebenn  und  was 
gebandelt  wirt  ingehcym,  bis  in  den  doyth  behalten  unde  alle  vertzeeu  tage 
des  sunders  rechnnngc  vertzeickent  gebe  unde  was  da  der  scriberie  van 
briven  ist,  uffe  beste  zcu  verwaren“. 

*)  pag.  133,  6. 

’)  H.H.St.Arcb.  vol.  III  233  Xr.  1 und  2;  Vogteiordnung  von  ßosslau: 
„Gesindelohen : — Item  dem  scriber  7 Gulden  1 Jahr“. 

*)  H.H. St.Arch.  GAB.  IV  24  Nr.  93,  Amt  Dessau:  Gesindelohn:  — 
„dem  Amptschreiber  10  fl.“;  Amt  Zerbst:  Ausgabe  Gesindelohn  „ — dem 
Amptschreiber  10  fl.“. 

*)  H.H.St.Arcb.  GAR.  IV  27  Nr.  118  „20  fl.  Johans  dem  Amptschreiber 
ein  Jbarlolmn“. 

s)  H.H.St.Arcb.  GAR.  IV  24  Nr.  93  (1546),  Amt  Dessau:  Kleydung 

— dem  Amptschreiber  2 cleid  — 9 fl.;  Amt  Zerbst,  „Ausgabe  vor  cleydung: 

— dem  Amptschreiber  ein  cleid  thut  5 fl.“;  s.  a.  pag.  111,  2;  113,  1 ; 118,  3; 
120,  3;  129,  6;  133,  1. 

•)  H.H. St.Arch.  GAR.  — IV  24  Nr.  93. 


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135 


Hofmeister1)  oder  Meier2),  auch  Hausvogt3)  genannt,  an- 
gestellt, zur  Beaufsichtigung  des  Gesindes  und  Viehs. 

In  der  Haushaltung  des  Amtes  gibt  es  einen  Küchen- 
meister4) für  Ausgabe  des  Essens,  wie  für  Futter  und  Korn, 
dem  wieder  ein  Oberkoch4)  unterstellt  ist;  das  Amt  Dessau 
hat  einen  Küchen-  und  Kornschreiber5).  Die  Getränke 
werden  von  einem  Kellner4)  verwaltet. 

Ferner  gibt  es  noch  einen  Torwärter6),  Ackervogt, 
Schirrmeister,  Stegemeister  und  sonstiges  Gesinde  von 
Knechten  und  Mägden7).  Dem  Amtmann  ist  stets  noch  ein  be- 
sonderer Knecht  zugewiesen  8).  Im  Amt  Dessau  hat  es  vor  1574 
auch  noch  einen  besonderen  „Futtermarschalch“  gegeben9). 

Alle  diese  unteren  Domänenangestellten  erhalten  ebenfalls 
freie  Beköstigung  und  Kleidung10),  auch  wohl  geringen  Bar- 
lohn, einige  wenigstens  sicher11).  Sie  sind  aber  nur  Haus-  und 
landwirtschaftliches  Personal  des  Landesherrn,  nicht  landes- 
fürstliche Beamte. 

6)  In  der  Bezirks  Verwaltung  gibt  es  aber  noch  einige 
weitere  Beamte,  die  dem  Amtmann  unterstellt  sind.  So  ist  die 
Verwaltung  der  landesherrlichen  Forsten  besonderen  Holz- 
förstern18) überwiesen. 

')  H.H.St.Arcb.  GAE.  — IV  24  Nr.  93  (1546),  Amt  Zerbst:  In  Bias: 
Der  Hoffmeister  — und  hat  der  Hoffmeister  nichts  unter  seiner  liant  an 
allein  das  gesinde  zu  regieren  und  nfs  vihe  zu  sehen;  s.  a.  Rachel  S.  116. 

’)  pag.  119,  3. 

*)  .Satthalterinstruktion  (Anhang  2). 

*)  H.H.St.Arcb.  vol.  III  233  Nr.  1 und  2;  Haushaltungsbuch  von 
Zerbst  (1484). 

*)  H.H.St.Arch.  GAR.  IV  24  Nr.  93  (1546):  Gesindelohn  „dem  Kuchen 
n.  kornschreiber  — 10  fl.“;  Kleydung  „dem  Korn  und  Kuchenschreiber  1 
cleid  5 fl.“. 

•)  H.H.St.Arcb.  GAR.  — IV  24  Nr.  93  (1546),  Amt  Dessau:  Gesinde- 
lohn: — dem  Thorwärter  2 fl.“. 

’)  H.H.St.Arch.  GAR.  — IV  24  Nr.  93  (1546),  Amt  Dessau;  vol.  III 
233  Nr.  1 und  2 (1484),  Amt  Rosslau:  Gesindelohen:  „Item  dem  Stege- 
meister 13  Schock“  (ebenso  bei  Zerbst). 

")  pag.  113,  1;  129,  6;  133,  1. 

”)  Statthalterinstruktion  (Anhang  2). 

*°)  pag.  111,  2;  113,  1;  120,  3;  129,  6. 

“)  anm.  5 — 7. 

,J)  Isaaksohn  S.  132 ff.;  Rachel  S.  131  ff. 


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136 


Von  einer  besonderen  ITorstverwaltung  kann  aber  noch 
keine  Rede  sein.  Erst  im  Jahre  1574  wird  im  Amt  Dessau 
ein  Forstmeister  erwähnt,  doch  auch  dieser  untersteht  direkt 
dem  Vorsteher  des  Bezirksamtes  *).  Der  Amtmann  ist  auch  ira 
16.  Jahrhundert  noch  der  oberste  Aufsichtsbeamte  für  die 
Forsten,  „oberster  Holzförster“,  wie  es  einmal  heisst*);  jeden- 
falls unterstehen  die  B’örster  stets  seiner  oder  des  Schossers 
Aufsicht 3). 

Ihre  Aufgabe  ist  vor  allen  Dingen  die  Beaufsichtigung  der 
landesherrlichen  Forsten.  Sie  haben  auf  den  Bestand  der 
Holzungen  zu  achten,  besonders  „junge  Gehane“  vor  Holzlesen 
und  Eintreiben  von  Vieh  zu  schützen4),  und  die  Holzverkäufe 
zu  regeln5).  Ferner  sollen  sie  auf  die  Wildbahnen  und  den 
Bestand  des  Wildes  aufpassen,  auch  das  Ausnehmen  von  Vogel- 
nestern zu  verhindern  suchen6).  Sonst  werden  sie  aber  auch 
benutzt,  die  Grenzen  des  Amtes  zu  bereiten,  auch  hin  und 
wieder  als  Boten  verwandt7). 

Ihrem  Stande  nach  gehören  sie  wohl  der  Landbevölkerung 
an7);  aus  dem  Amt,  das  wohl  auch  ihr  Sitz  ist,  erhalten  sie 
freie  Beköstigung  und  Kleidung8),  auch  wohl  genügen  Barlohn. 

e)  Im  15.  Jahrhundert  finden  sich  in  der  administrativ- 
fiskalischen Landesverwaltung  noch  besondere  Landreiter0). 
Sie  sind  ebenfalls  Uuterorgane  des  Amtmanns I0)  und  haben  im 
wesentlichen  finanzielle  Funktionen,  nämlich  in  den  Dorfge- 
meinden die  landesherrlichen  Grundsteuern  einzutreiben l0)  und 


')  Rentmeisterinstruktion  (Anhang  4). 

*>  pag.  119,  5. 

*)  pag.  117,  4;  119,  5. 

«)  P.  n.L.  0,  XXV  Abs.  2. 

*)  Rentmeisterinstruktion  (Anhang  4)  (1572);  pag.  119,  6 (1557). 

•)  P.u.L.O.  XXVI  Abs.  6. 

7)  H.II.St.Arch.  (»AR.  IV  24  Nr.  93  (1546),  Amt  Dessau:  „Blasi  Holz- 
furster,  Martinas  Holzfurster,  den  diese  beide  Holzfurster  muss  man  uf  der 
kost  halten,  die  grenzen  zn  bereyteu,  nnd  sie  lün  und  wider  zu  vorscbickcu 
und  zu  brauchen“. 

*)  H.H.St.  Arcb.  GAR.  IV  24  Nr.  93  (1546),  Amt  Dessau:  „Kleydung: 
— dem  Holzfurster  1 cleidt  5 fl.“. 

•)  Schröder,  Rechtsgeschichte  S.  609;  Isaaksohn  S.  78  ff. 

,0)  Reg.  296  (1437). 


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auch  bei  den  Jahrmärkten  in  den  Städten  die  fiskalischen  Ge- 
fälle einzuziehen  *).  Weitere  Nachrichten  über  sie  sind  nicht 
anzutreffen. 

f)  Zur  Regelung  des  Verkehrs  auf  den  Landstrasseu  gibt 
es  seit  der  Mitte  des  15.  Jahrhunderts  noch  besondere  Ge- 
leitsmänner, allerdings  werden  sie  nur  sehr  selten  erwähnt2). 
Sie  sind  also  wohl  von  untergeordneter  Bedeutung,  aber  doch 
durchaus  landesfürstliche  Beamte,  die  auf  den  Landesherrn 
verpflichtet  werden.  In  der  Ausübung  ihrer  Tätigkeit,  über 
die  nichts  Näheres  überliefert  ist,  sind  sie  wahrscheinlich 
auf  die  einzelnen  Städte  im  Lande  angewiesen  und  haben  dort 
auch  ihren  Wohnsitz3).  Sie  unterstehen  den  Vorstehern  des 
Amtsbezirks,  denen  sic  wöchentlich  Rechnung  legen  müssen. 


3.  Die  Beamten  der  Ortsverwaitung. 

a)  Der  ländliche  Schulze. 

In  der  lokalen  Ortsverwaltung  ist  im  15./16.  Jahrhundert 
keine  wesentliche  Änderung  im  Beamtentum  eingetreteu.  Die 
Verwaltung  der  einzelnen  ländlichen  Ortsbezirke  ist  auch  jetzt 
noch  einem  Schultheissen  oder  Bauermeister  übertragen; 
doch  wird  dessen  untergeordnete,  und  zwar  nach  wie  vor  orts- 
polizeiliche Tätigkeit  nur  einmal  erwähnt,  die  Polizei-  und 
Landesordnung  von  1572  ordnet  an,  dass  bei  Hochzeitsfeierlich- 
keiten dem  Amtmann  oder  „ Paurmeister  “ jedesmal  ein  Ver- 
zeichnis der  Teilnehmer  eingereicht  werden  soll4).  Die  Bedin- 
gungen des  Amtes  sind  dieselben  wie  früher.  Der  Schulze 
erhält  auch  jetzt  vielfach  Befreiung  von  allen  möglichen  Lei- 
stungen 5),  hat  aber  doch  einzelne  Abgaben  zu  leisten 6). 


»)  Beg.  452  (1452). 

*)  Beg.  452  (1452)  und  P.u.L.0.  (1672)  8.1. 

*)  Beg.  452  (1452)  heisst  es:  „Die  Geleitsmänner  zu  Czerwist  und 
Kothen“. 

‘)  P.u.L.O.  XXXIX  Abs.  11. 

*)  H.H.St.Arch.  vol.  V 275  b Nr.  20  (1460),  „Schulte  sey  fry  der  pacht“. 
•)  H.H.St.Arch.  K.  33  — III  71  Nr.  15  (1557),  Vorweisregister  von  Boss- 
lau: „Boddelebeu:  — gicbt  der  Schulze  vom  Lehnpferde;  s.  p.  pag.  48  ff. 


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b)  In  den  Städten. 

In  die  Angelegenheiten  der  grösseren  Städte  greift  der 
Landesherr  im  15./16.  Jahrhundert  wohl  nur  noch  selten  ein. 
Die  städtische  Verwaltung  liegt  dem  Rat,  die  Gerichtsbarkeit 
in  der  Stadt  dem  Stadtrichter  ob ').  Eigentlich  landesfürst- 
liche Beamte  gibt  es  nicht  mehr,  Vogt  und  Präfekt  sind  ver- 
schwunden oder  zu  städtischen  Beamten  geworden.  Wenn  in 
den  Magdeburger  Schöffensprüchen  einmal  im  Jahre  1540 *)  ein 
Gericht  der  anhaitischen  Fürsten,  „sunderliken  vor  irer  borg“ 
erwähnt  wird,  „dat  von  deine  gerichte  in  der  stat  met  sundir- 
liken  lichtem  unde  scheppen  gesundert  is“,  so  bezieht  sich  dies 
auf  das  fürstliche  Landgericht8),  das  allerdings  stets  für  das 
Stadtgericht  Oberinstanz  bleibt  *).  In  der  Stadt  selbst  hat  der 
Landesherr  nur  bisweilen  noch  ein  sogenanntes  Burggrafen- 
gericht, dem  Klagen  gegen  Bürger  „wegen  Vorgänge  in  der 
Stadt  zustehen“6);  über  seine  Zusammensetzung  und  Kom- 
petenz im  einzelnen  ist  jedoch  nichts  überliefert. 

Wenn  nun  aber  auch  der  Landesherr  gewöhnlich  keinen 
direkten  Beamten  mehr  in  der  Stadt  hat,  so  ist  ihm  doch  eine 
Beeinflussung  und  ein  Eingreifen  in  die  städtischen  Angelegen- 
heiten nicht  ganz  benommen.  Immerhin  ist  wenigstens  der 
Stadtrichter  nicht  ganz  unabhängig  von  der  landesherrlichen 
Verwaltung®).  Er  wird  wohl  von  Rat  und  Bürgern  freigewählt, 
bedarf  aber  doch  stets,  auch  wenn  die  Stadt  die  volle  niedere 
und  höhere  Gerichtsbarkeit  besitzt,  noch  der  Bestätigung  und 
Belehnung  seitens  des  Landesherrn7).  Auch  in  der  Ausübung 
seines  Amtes  ist  er  immer  noch  an  landesfürstliche  Vorschriften 
gebunden  und  überhaupt  stets  der  Vertreter  der  landesherr- 


*)  Reg.  140  (1420),  326  (1439),  452  (1452);  s.  a.  P.u.L.O.  XXXI  Abs.  1 
(1572);  Bertram-Krause  II  S.  318;  Rachel  S.  10. 

’)  Friese-Liesegang  17,  158.  *)  Reg.  574  (1462). 

*)  Reg.  452  (1452);  a.  a.  Stölzel,  Gelehrtes  Richtertum  S.  318  ff. 

5)  Reg.  574  (1462);  s.  a.  Beckmann  III  287. 

*)  Schröder,  Rechtsgeschichte  S.  639;  Isaaksohn  S.  197  ff.;  Stölzel,  Ge- 
lehrtes Richtertum  S.  320  ff. ; Rachel  S.  9 ff. 

’)  Reg.  326  (1439). 


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liehen  Interessen  im  Stadtgebiet,  wie  sich  aus  der  Polizei- 
und  Landesordnung  von  1572  ergibt  *). 

Selbst  der  Rat  der  Städte  ist  stets  noch  etwas  vom  Landes- 
fürsten abhängig.  Es  besteht  zwar  freie  Ratswahl,  „doch  soll 
das  Wahlergebnis  der  Herrschaft  schriftlich  unterbreitet  und 
zur  Bestätigung  vorgelegt  werden.  Wenn  der  neue  Rat  so 
bestätigt  ist,  soll  er  der  Herrschaft  den  Eid  leisten“  *).  Kleinere 
Städte  gehören  in  ihrer  ganzen  Verwaltung  wohl  einfach  zum 
Amtsbezirk 3). 

4.  Kirchen-  und  Schulverwaltung. 

Die  Organe  für  die  Kirchenverwaltung  und  Aufrechter- 
haltung der  sittlichen  Ordnung  sind  im  16.  Jahrhundert  in  Anhalt 
die  Superintendenten  und  Pfarrherrn4).  Sie  haben  auf  den 
richtigen  Besuch  der  Kirchen  in  ihrem  Bezirk  zu  achten  und 
Zuwiderhandlungen  den  „Gerichts  beuehlhabern“  zu  melden5); 
ferner  die  geistlichen  Gerichte  zu  handhaben6),  hierbei  über 
Ehesachen7)  zu  entscheiden,  Gotteslästerung  zu  verhüten8)  und 
Trunkenheit  zu  bestrafen9);  die  Exekution  ist  den  weltlichen 
Richtern  Vorbehalten 10).  Ferner  sind  sie  Schulinspektoren, 
jährlich  sollen  sie  die  Lehrer  inspizieren  u)  und  sonst  wöchent- 
lich in  den  Schulen  zuhören.  Zusammen  mit  den  Amtleuten 
müssen  sie  alljährlich  „Kirchen  Rechnunge  halten“1*). 

Die  Pfarrherrn  sind  den  Superintendenten  unterstellt,  die 
über  ihren  Lebenswandel  die  Aufsicht  zu  führen  haben 1S).  Ein 
Konsistorium  hat  in  den  anhaitischen  Landen  bis  1572  noch  nicht 
bestanden,  erst  die  Polizei-  und  Landesordnung  dieses  Jahres 
nimmt  auf  die  noch  nicht  völlig  durchgeführte  Einrichtung 

')  P.u.L.O.XXX,  XXXI.  a)  Reg.  574  (1462). 

*)  Vgl.  Uber  die  einzelnen  Städte:  Büttner  Pfänner  zu  Thal,  Anhalts 
Ban-  und  Kunstdenkmäler  (Dessau  1894);  s.  a.  Stülzel,  Gelehrtes  Richtertum 
S.  317  ff. 

*)  P.u.L.O.  (1572);  s.  a.  Schröder,  Rechtsgeschichte  S.  847. 

»)  P.u.L.O.  I Abs.  2.  •)  P.u.L.O.  H. 

’)  P.u.L.O.  II,  III  Abs.  2,  3,  15.  »)  P.u.L.O.  III  Abs.  2. 

•)  P.u.L.O.  V Abs.  1.  10)  P.u.L.O.  II  Abs.  10. 

>')  P.u.L.O.  VII  Abs.  1 und  2.  ■»)  P.u.L.O.  XXXVIII  Abs.  2. 

'•)  P.u.L.0.  I Abs.  4. 


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eines  solchen  Bezug.  Die  treibende  Kraft  dabei  sind  die 
Landstände,  besonders  die  Städte1). 

Exkurs. 

Betrachten  wir  zum  Schluss  das  Verhältnis  des  ge- 
samten Beamten wesens  in  Anhalt  während  des  behandelten 
Zeitraums,  so  ergibt  sich  folgendes: 

Auch  in  den  anhaitischen  Territorien  lassen  sich  deutlich 
zwei  verschiedene  Perioden  in  der  Entwickelung  des  Beamten- 
wesens unterscheiden,  eine  mittelalterliche  und  eine  neu- 
zeitliche. 

Im  Mittelalter  finden  wir  noch  wenig  fest  bestimmte  Ein- 
richtungen. Zentral-  und  Hofverwaltung  sind  durchaus  ein- 
heitlich. Die  für  die  persönlichen  Bedürfnisse  des  Fürsten  und 
des  Hofes  notwendigen  Beamten  erledigen  zugleich  die  allge- 
meinen Landesangelegenheiten;  die  Hofverwaltung  ist  also  ge- 
wissermassen  noch  der  wichtigere,  sicher  der  frühere  Teil  der 
Behörde. 

Auch  die  innere  Verwaltung  ist  noch  höchst  einfach  und 
unbestimmt,  durchaus  von  der  Vogtei  Verfassung  beherrscht. 
Die  gesamte  Verwaltung  der  einzelnen  Bezirke  ist  meist  nur 
einem  einzigen  Beamten  übertragen,  mit  fast  unbeschränkter 
Selbständigkeit.  Von  einer  Kontrolle  durch  die  Zentralver- 
waltung ist  kaum  zu  reden,  dabei  sind  auch  hier  die  Amts- 
kompetenzen durchaus  nicht  klar  festgesetzt. 

Ganz  anders  ist  das  Bild  in  der  zweiten  Periode,  seit  der 
Mitte  des  15.  Jahrhunderts;  fortan  macht  sich  eine  durchaus 
feste  Ordnung  geltend. 

Landes-  und  Hof  Verwaltung  sind  jetzt  vollkommen  ge- 
trennt. Die  Beamten  der  erstereu  haben  alle  wichtigen  Ge- 
schäfte der  Landesregierung  au  sich  gezogen,  die  Hofbeamten 
sind  von  der  allgemeinen  Verwaltung  durchaus  zurückgedrängt. 
Dabei  ist  eine  strenge  Scheidung  der  einzelnen  Verwaltungs- 
zweige eingetreten,  ein  ständiges  Unterbeamtentum  ist  einge- 
richtet, auch  die  Kompetenzen  der  einzelnen  Beamten  genau 

>)  P.u.L.Ü.  II  Abs.  12. 


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festgelegt.  Vor  allem  aber  ist  jetzt  eine  feste  Zentralbehörde 
entstanden,  deren  Kontrolle  alle  Verwaltungszweige  unter- 
stellt sind. 

Ebenso  ist  die  innere  Verwaltung  jetzt  fester  ausgestaltet. 
Die  Bezirksverwaltung  ist  deutlicher  von  der  Ortsverwaltung 
geschieden  und  nunmehr  ebenfalls  an  die  Zentralstelle  ange- 
schlossen. Dadurch  ist  die  zu  grosse  Selbständigkeit  des  Be- 
zirksbeamten aufgehoben  und  eine  grössere  Gesetzmässigkeit 
geschaffen.  Daneben  ist  auch  hier  eine  bessere  Arbeitsteilung 
eingetreten.  Gegen  Ende  des  16.  Jahrhunderts  macht  sich  auch 
eine  Einbeziehung  von  Kirche  und  Schule  in  die  landesherrliche 
Interessensphäre  bemerkbar. 

Was  nun  die  Verhältnisse  des  Beamtenrechts *)  anbetrifft, 
so  sind  auch  die  anhaitischen  landesfürstlichen  Beamten  durch- 
aus Diener  des  Landesherrn.  Wenn  auch  der  Inhalt  ihrer 
Funktionen  öffentlich-rechtlicher  Natur  ist,  so  stehen  sie  doch 
in  privatrechtlichem  Dienstverhältnis  zu  dem  Fürsten. 

Vorschriften  für  ihren  Bildungsgang  gibt  es  noch  nicht, 
nur  für  die  Stellen  der  Rechtsgelehrten  besteht  wohl  der  Nach- 
weis eines  akademischen  Grades.  Zwischen  hohem  und  subal- 
ternen Ämtern  wird  nicht  scharf  geschieden,  vielfach  rücken 
einzelne  Beamte  von  unten  auf. 

In  der  Mehrzahl  sind  die  Beamten  dem  Kreise  der  landes- 
fürstlichen Ministerialen  entnommen , oder  sie  sind  Geistliche. 
Im  16.  Jahrhundert  treten  dazu  Bürgerliche  und  in  der  Zentral- 
verwaltung Männer  gelehrten  Standes.  Dadurch,  dass  der 
Landesherr  im  Mittelalter  Ministerialen  wählt,  erhält  er  für  die 
Ausführung  seiner  Befehle  vollständig  von  sich  abhängige 
Werkzeuge;  später  treten  mehr  und  mehr  Berufsbeamte  ein, 
die  ja  an  sich  schon  abhängig  sind. 

Die  Anstellung  der  Beamten  erfolgt  auf  Grund  eines 
Dienstvertrages,  in  dem  die  gegenseitigen  Rechte  und  Pflichten 
geregelt  werden,  durch  Überweisung  einer  Bestallungsurkunde. 
Ob  ein  gegenseitiges  Kündigungsrecht  besteht,  ist  nicht  nach- 

')  ßez.  de»  Beamtenrechts  in  andern  Ländern  siehe  besonders:  Lnschin 
von  Ebengreuth,  Üsterr.  Kechtsgeschichte  S.  428  ff. ; Rachel  S.  174  ff. ; Rach- 
fahl  S.  429  ff. ; Rosenthal,  Gerichtswesen  S.  553  ff. ; Spahn  S.  02  ff. 


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zuweisen,  aber  wohl  wahrscheinlich.  Die  Zeit  der  Amtsver- 
leihung ist  verschieden,  meist  wohl  auf  eine  Reihe  von  Jahren 
oder  auch  auf  unbestimmte  Zeit.  Ist  die  festgesetzte  Frist 
abgelaufen,  so  wird  der  Vertrag  gewöhnlich  wohl  wieder  er- 
neuert oder  verlängert,  oder  auch  das  gegenseitige  Verhältnis 
geht  stillschweigend  weiter;  im  16.  Jahrhundert  erfolgt  die  Er- 
nennung meist  schon  auf  Lebenszeit. 

Die  Grundsätze  des  Lehnrechts,  besonders  Erblichkeit, 
werden  im  allgemeinen  nicht  auf  das  Beamtentum  übertragen. 
Der  Landesherr  wählt  die  Beamten  frei  aus,  vergibt  die  Stellen 
nur  auf  Zeit  und  wahrt  sich  so  sein  Verfügungsrecht  über  die 
Ämter.  Eine  Ausnahme  machen  wohl  nur  die  Lokalbeamten  der 
Ortsgemeinden,  sonst  sind  die  Organe,  mit  denen  man  an  der 
Zentralstelle  und  in  der  Ortsverwaltung  arbeitet,  durchweg 
noch  frei  absetzbare  Beamte. 

Ob  eine  Veräusserung  der  Ämter  durch  Pacht  oder  Ver- 
pfändung an  einzelne  Personen  stattfindet,  ist  nicht  nachzu- 
weisen. Immerhin  ist  es  möglich,  da  der  Landesherr  vielfach 
in  Geldverkehr  mit  seinen  Beamten  gestanden  hat,  auch  oft 
deren  Schuldner  gewesen  ist1).  Jedenfalls  bewahrt  sich  aber, 
wie  in  Brandenburg2),  der  Landesherr  dann  immer  noch  eine 
Kontrolle. 

Das  Ernennungsrecht  der  Beamten  hat  der  Landesherr; 
in  der  Auswahl  ist  er  aber  wohl  an  die  Forderungen  des  In- 
digenats  gebunden,  wenigstens  gehört  der  grösste  Teil  der  Be- 
amten den  Landesuntertanen  an.  Vor  Eintritt  in  das  Amt  ist 
von  den  Beamten  ein  Diensteid  zu  leisten;  geht  das  Gebiet 
etwa  in  andere  Hände  über,  so  müssen  sie  erst  besonders  ihrer 
Dienstpflicht  entlassen  werden  s). 

Durch  den  Eintritt  in  das  Beamtenverhältnis  übernimmt 
der  Beamte  eine  Anzahl  von  Pflichten,  die  auch  in  Anhalt  teils 
durch  den  Dienstvertrag,  teils  durch  erteilte  Instruktionen,  teils 
durch  das  Herkommen  festgestellt  sind.  Vor  allem  wird  von 
ihm  gewissenhafte  und  sorgsame  Erfüllung  der  Aufgaben, 

>)  Reg.  295  (1436);  H.H.St.Arch.  K.  44  — IV  98  Nr.  60;  K.  44  — IV 
99  Nr.  61  (1477);  K.  44  — IV  69  b Nr.  10  (1465);  K.  44  — IV  60  Nr.  41 
(1492);  vol.  V 275  b Nr.  19  (s.  pag.  65,  1). 

»)  Ktthus  S.  287.  •)  Reg.  573  (1460). 


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sowie  strengster  Gehorsam  gefordert,  er  hat  das  Dienst- 
geheimnis zu  bewahren  und  darf  sich  jedenfalls  auch  in  keinem 
andern  Beamtenverhältnis  befinden;  Geschenke  anzunehmen, 
ist  ihm  untersagt.  Für  Verletzung  der  Pflichten  werden  die 
Beamten  zur  Rechenschaft  gezogen,  die  zuständige  Gerichts- 
behörde ist  für  sie  die  Zentralstelle,  Vergehungen  an  Beamten 
gehören  an  die  Obergerichte1). 

Die  Rechte  der  Beamten  bestehen  vor  allem  in  Besoldungs- 
ansprüchen. Gewöhnlich  erhalten  die  Beamten  ein  Gemisch 
der  verschiedensten  Arten  von  Besoldung.  Feste  Gehaltssätze 
gibt  es  lange  nicht,  den  Beamten  werden  bis  ins  15.  Jahr- 
hundert Pertinenzen  des  Amts,  Grundstücke,  Hebungen  über- 
wiesen; erst  im  16.  Jahrhundert  erfolgt  die  Besoldung  vor- 
wiegend in  Geld.  Einige  Beamte  werden  auch  noch  auf 
Sporteln  angewiesen,  doch  konnten  daher  leicht  Bedrückungen 
kommen.  Ausserdem  haben  die  Beamten  zu  jeder  Zeit  An- 
spruch auf  freie  Beköstigung  und  Kleidung,  wie  sonstige 
Naturalreichnisse  aller  Art.  Auslagen  werden  den  Beamten 
wiederersetzt,  bei  Reisen  bekommen  sie  Tagegelder  und  Ver- 
gütungen. Rechtsanspruch  auf  ein  Ruhegehalt  gibt  es  auch 
im  16.  Jahrhundert  wohl  noch  nicht,  doch  wird  den  Beamten 
öfter  noch  eine  besondere  Gnadenverleihung,  wie  Überweisung  von 
Gefällen  oder  Befreiung  von  Abgaben,  beim  Dienstaustritt  zuteil  *). 

Überhaupt  fehlt  es  auch  sonst  nicht  an  Beweisen  der  An- 
erkennung der  von  den  Beamten  geleisteten  Dienste  seitens  des 
Landesherrn;  er  tritt  durchaus  für  seine  Beamten  ein,  sei  es 
um  sie  vor  Gefahren  zu  sichern,  sei  es  um  ihnen  aus  be- 
drängter Lage,  z.  B.  Schuldennot  u.  dgl.,  zu  helfen s).  Ob  den 
Beamten  Steuerfreiheit  des  Einkommens  zusteht,  lässt  sich 
nicht  sicher  nachweisen;  ganz  befreit  von  allen  Abgaben  sind 
sie  jedenfalls  nicht. 

Man  sieht  also,  die  Verhältnisse  der  Beamten  in  den  an- 
haltischen  Territorien  sind  im  wesentlichen  denen  in  den  übrigen 
Gebieten  des  deutschen  Reiches  entsprechend4). 

')  P.u.L.0.  XIII  1 Abs.  1.  l)  v.  H.  III  (1315);  pag.  107,  9 (1571). 

s)  Heg.  351  (1441),  4G0  (1453);  Rentiiicistcriustruktiou  (Aubang  4). 

*)  Vgl.  dazu  pag.  141,  1. 


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Schlusswort. 


Vorliegende  Arbeit  hat  den  Zweck,  die  Einrichtungen  des 
landesherrlichen  Beamtentums  in  den  anhaitischen  Territorien 
vom  12.  bis  zum  16.  Jahrhundert  darzulegen.  Da  fast  aus 
sämtlichen  Anhalt  umgrenzenden  Gebieten  Darstellungen  der 
Verwaltungsorganisationen  vorliegen,  wird  es  um  so  will- 
kommener sein,  auch  die  Einrichtungen  eines  Landes  kennen 
zu  lernen,  das  gewissermassen  im  Herzen  des  mittelalterlichen 
östlichen  Verwaltnngsgebietes  gelegen  ist. 

Für  die  Beurteilung  der  anbaltischen  Verfassungsverhältnisse 
ist  vor  allem  zweierlei  von  Wichtigkeit:  Einmal  ist  durch  das 
ganze  Mittelalter  bis  zum  Ausgang  des  16.  Jahrhunderts  das 
anhaitische  Land  fast  nie  ein  einheitliches  Verwaltungsgebiet 
gewesen,  sondern  fortwährend  durch  Teilungen  zersplittert  und 
in  kleine  Territorien  aufgelöst.  Es  ist  daher  kaum  imstande, 
selbständig  auf  dem  so  wichtigen  Gebiete  der  Verwaltungs- 
einrichtungen vorzugehen,  sondern  hierin  fast  völlig  anf  das 
Vorbild  der  grösseren  Nachbargebiete  angewiesen.  Anderer- 
seits sind  die  anhaitischen  Territorien  vollkommen  eingezwängt 
zwischen  Gebiete,  die  zu  den  bedeutendsten  Länderbezirken 
des  Deutschen  Reiches  gehören.  Die  westlichen  Bistümer,  auch 
Magdeburg,  sind  allerdings  für  die  anhaitischen  Verwaltungs- 
verhältnisse wegen  ihrer  geistlichen  Regierung  und  ihres  meist 
geringeren  Umfangs  von  weniger  grosser  Bedeutung,  doch 
immerhin,  namentlich  in  den  ersten  Jahrhunderten,  nicht  ganz 
ohne  Einfluss.  Vor  allem  aber  sind  es  die  beiden  weltlichen 
Grossstaaten  des  deutschen  Ostens,  Brandenburg  und  die 
wcttinischen  Lande,  die  den  anhaitischen  Verwaltungs- 


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145 


Organisationen  zum  Vorbild  gedient,  die  ihnen  ihr  Gepräge 
aufgedrückt  haben.  Dies  konnte  um  so  leichter  geschehen, 
als  die  anhaitischen  Fürsten  zu  den  Herrschern  beider  Länder 
fortwährend  in  engen  verwandtschaftlichen  oder  doch  freund- 
schaftlichen Beziehungen  gestanden  haben.  Die  ersten  deutschen 
Fürsten  Brandenburgs  gehören  ja  selbst  dem  Hause  der  Askanier 
an,  und  auch  die  Wettiner  sind  in  vielfacher  Weise  mit  den 
anhaitischen  Fürsten  verschwägert  und  verbündet. 

Von  vornherein  ist  also  bei  Betrachtung  des  anhaitischen 
Beamtenwesens  eine  starke  Beeinflussung  durch  diese  beiden 
Nachbargebiete  anzunehmen.  Selbstverständlich  sind  die  Ein- 
richtungen dieser  Länder  nicht  ohne  weiteres  übernommen, 
sondern  es  ist  den  besonderen  Verhältnissen  der  anhaitischen 
Lande  durchaus  Rechnung  getragen. 

Hinsichtlich  der  zeitlichen  Begrenzung  der  Arbeit  hat  es  dem 
Verfasser  am  besten  geschienen,  die  Betrachtung  bis  zum  Anfang 
der  Regierung  Joachim  Einsts  (1551 — 1603)  fortzuführen  und 
erst  mit  den  Jahren  1572—74  abzuschliessen.  Der  Anfang  der 
70er  Jahre  des  16.  Jahrhunderts  bildet  wie  in  der  politischen,  so 
auch  in  der  Verwaltuugsgeschichte  Anhalts  einen  bemerkenswerten 
Abschnitt.  Nicht  nur,  dass  in  dieser  Zeit  sämtliche  anhaitischen 
Gebiete  seit  langer  Zeit  wieder  in  einer  Hand  vereinigt  werden, 
auch  die  Verwaltungsverhältnisse  erhalten  jetzt  eigentlich  zum 
erstenmal1)  grössere  Ordnung  und  Bestimmtheit.  Durch  die 
Herausgabe  der  gedruckten  „Polizey-  und  Landes-Ordnung“  seitens 
des  Fürsten  Joachim  Ernst  im  Jahre  1572,  der  die  Aufstellung 
einer  besonderen  Hofordnung  vorausgegangen  ist,  der  noch 
einige  Instruktionen  für  die  Vorsteher  der  einzelnen  Verwaltungs- 
ressorts an  der  Zentralstelle  im  Jahre  1574  folgen,  sind  für 
die  gesamte  Landes-  und  Hofverwaltung  dauernde,  feste  Normen 
gegeben,  anstelle  früherer  Willkür  und  einer  gewissen  Regel- 
losigkeit der  jeweiligen  Verordnungen  sind  nicht  zu  umgehende, 
bindende  Vorschriften  getreten. 

In  der  Behandlung  der  vorliegenden  Arbeit  schien  es  am 
angebrachtesten,  eine  gemeinsame  Darstellung  der  Beamten- 


’)  Ans  früherer  Zeit  lassen  sich  nur  einige  Amtshanslialtabestiimnungen 
anführen. 

Schreckor,  Beamtentum  ln  Anhalt  10 


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146 


Verhältnisse  in  dem  anhaitischen  Gesamtgebiete  zu  geben  und 
nicht  jedes  Territorium  einzeln  zu  behandeln.  Durch  die  ver- 
schiedenen Teilungen  des  Landes,  die  auch  noch  innerhalb  der 
einzelnen  Gebiete  sich  wiederholen,  ist  eine  Übersicht  über  die 
Beamtenorganisationen  jeder  einzelnen  Verwaltung  sehr  er- 
schwert, ja  fast  vollständig  ausgeschlossen;  ferner  ist  das  zur 
Verfügung  stehende  Material  nicht  so  umfangreich,  um  für  jedes 
der  Territorien  eine  eigene  Behandlung  des  Beamtenwesens 
zweckmässig  und  ausreichend  erscheinen  zu  lassen ; endlich  sind 
auch  die  Einrichtungen  im  allgemeinen  derartig  übereinstimmend, 
dass  eine  getrennte  Behandlung  nur  zu  fortwährenden  Wieder- 
holungen führen  würde.  Etwaige  Abweichungen  der  Ein- 
richtungen in  den  einzelnen  Territorien  sind  an  der  betreffenden 
Stelle  behandelt. 

Das  für  die  vorliegende  Arbeit  nötige  Urkundenmaterial 
ist  für  die  Zeit  bis  zum  Jahre  1400  dem  umfassenden  „Codex 
diplomaticus  Anhaltinus“  des  Dr.  Otto  von  Heinemann  ent- 
nommen; für  die  Jahre  1401 — 1471  schliesst  es  sich  im  wesent- 
lichen an  die  von  Archivrat  Prof.  Dr.  Wäschke  herausgegebenen 
sehr  ausführlichen  „Regesten  der  Urkunden  des  Herzoglichen  Haus- 
und Staatsarchivs  zu  Zerbst  aus  den  Jahren  1401 — 1500“  an, 
für  die  letzten  ungefähr  120  Jahre  bis  1574  beruht  die  Arbeit 
auf  Studien  des  Verfassers  im  Herzoglichen  Haus-  und  Staats- 
archiv zu  Zerbst,  dessen  Benutzung  ihn  vom  hohen  Staats- 
ministerium gütigst  gestattet  wurde. 

Herrn  Geh.  Regierungsrat  Prof.  Dr.  Lindner  sowie  Herrn 
Archivrat  Prof.  Dr.  Wäschke  zu  Zerbst  danke  ich  für  die 
gütige  Unterstützung;  zu  ganz  besonderem  Danke  aber  bin  ich 
Herrn  Prof.  Dr.  Heldmann  verpflichtet,  der  mir  nicht  nur  die 
Anregung  zu  dieser  Arbeit  gegeben,  sondern  mich  auch  bei  der 
Bearbeitung  jederzeit  auf  das  liebenswürdigste  unterstützt  und 
sich  auch  bereitwilligst  der  mühevollen  Aufgabe  einer  um- 
fassenden Durchsicht  unterzogen  hat.  Ihm  auch  an  dieser 
Stelle  meinen  ergebensten  Dank  auszusprechen,  ist  mir  eine 
höchst  angenehme  Pflicht. 


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Anhang  1. 

Hofordnung  des  Fürsten  Bernhard  (circa  1570).  (II. H.St.Arch.  vol.  III 

234  Nr.  6). 

(Ich  gebe  hier  den  letzten  Teil  geschlossen  wieder,  weil  er  noch  einmal 
die  Pflichten  sämtlicher  Hofbeamten  knapp  zusammenfasst,  das  übrige  ist 
schon  an  seinem  Platze  verzeichnet.) 

Und  letzlich: 

Uff  dieser  Ordnung  zusehen,  davor  um  vleissige  acht  zu  haben,  darüber  zu 
halten,  die  Gehorsamen  zu  schützen  und  die  ungehorsamen  ernstlich  zu 
straffen,  sollen  fürnemlich  verordent  seiun  der  Hauptmann,  Marschalk,  Kanz- 
ler und  Rentbmeister,  welche  fürnemlich  das  was  Gotes  ehre  belanget,  dar- 
nach uff  unser  nutz  und  Bestes  denken  und,  bey  weme  sie  die  volge  nicht 
babenn  wurden,  zu  uns  sich  richnzes  und  Schirmes  vorsehenn  sollenn. 

Dieselben  oder  Ihrer  einer  sonderlich  Hauptmann  oder  Marschalk  sollen 
obere  Hofgesinde  vor  Kuchenn,  Keller,  Brauhaus,  futterbodenn,  Vorwerk, 
lischereien  und  alles  zu  bestellenn  macht  habenn , nichts  ausgeschlossen, 
denen  auch  Kuchenschreiber,  Koche,  Fischer,  Keller  und  alles  Hoffgesinde, 
bey  höchster  straffe  zu  gehorsamen  sollen  schuldig  sein,  welche  oder  welcher 
sich  aber  darwider  ufflehnen  wurde,  die  oder  der  sollen  nicht  gelitten 
werden,  sondern  sich  dabinn  begebenn,  do  ehre  machen  mnge,  wie  ebs  ime 
gefällt. 

Und  soll  der  Marschalk,  wenn  wir  zu  Tische  gehen  wie  vorn  gemeldet, 
uff  unses  wartenn,  das  Handtwasser  reichenn,  und  wer  ahn  den  tisch  gehöret, 
nach  ordenung  setzenn  und  auff  die  andern  tische  achtung  habenn,  das  nie- 
mandt  zu  tische  gestattet,  auch  keine  Jungs  nitt  einlauffe,  der  nicht  zu 
tische  gehöret,  welche  ehr  hartt  anreden  und  abweiseun  soll. 

Uff  die  futterung  sollenn  sie  auch  gutt  acht  habenn,  das  ordentlich  ge- 
futtert, und  uff  die  pferde,  so  mahn  verschickt,  nichts  gefordert  viel  weniger 
gegeben  werdcnn,  Inn  Wagenstellenn  solch  uffsehenn  zu  habenn,  soll  dem 
voigt  bewholen  seinn,  das  mahn  auch  mitt  beuv  unde  Stro  zur  notturfft  und 
nicht  zum  uberflus  und  vertrieb  umbgehe. 

Nachdem  auch  ahn  Brenholtz  und  Küchenholtz  nicht  Überfluss  vorhan- 
denn  und  auch  sonst  die  führe  schwer  ankumpt,  das  man  Rahtsam  mit  dem 
Brennen  umbgehe,  derwegen  Hauptmahn  und  Beuhelhaber  hir  obenn  am  Hoffe, 

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in  Kuch,  Hoffstubc,  Kantzeley,  Thorstubenn  und  wo  feucr  gebaltcun  wirdt, 
uffsehenn  habenn  sollenn,  das  nichts  unnützes  am  holtze  verspildet,  sondern 
zur  notturfft  gebraucht  und  in  radsamkeit  abgeschnitten  werde. 

Im  Keller  mag  nach  gelegenbeit  der  Schenke  Arbeit  feuer  gebaltenn 
werdeun,  wenns  aber  nit  vonnothen,  vermiedenu  werden,  soll  auch  nach  den 
feuerstellen  am  Howe  des  abents  der  Marschalk  inn  stellenn  und  ahn  allenn 
ortlien,  desgleichen  nach  den  lichten  sehen,  das  gewarsam  damit  umbgangen 
werde,  auch  von  liicmande  leydcn,  nbir  die  Zeitt  zu  sitzen  und  wers  thnt, 
dieselben  ernstlich  anredenn  und  wer  sich  iro  walte  widersetzigk  mache, 
kegenn  deme  oder  dieselbenn  die  geordennt  Straffe  furnehmeun;  also  den 
vorgnaute  soll  uffgelegenn  seinn,  solch  vleissigk  uffsehenn  inn  der  Ilovstnben, 
Meyerey  und  in  stellenn,  uffrn  Vorwerke  des  feuers  halbeu  zu  habenu ; dem 
Voigte,  die  Knechte,  Meyerschc  und  Meygde,  die  in  seiuem  Gehorsam  bc- 
uohlen  sein,  Was  er  bey  Ihnenu  oder  mit  Ihnen  schaffen  unde  gebiet  heim 
wurde,  demselbenn  getreulich  nachsetzen. 

Anhang  2. 

Stadtthaltters  Instruction  (1674).  (H.H.St. Arch.  GAR.  III  248  Nr.  80.) 

Instruction,  Ordnung  und  Beneid  des  durcblauchten  Hochgeborneu 
Fürsten  und  Hern,  Hern  Joachim  Ernsten,  Fürsten  zu  Anhaltt,  Graden  zu 
Assanien,  Hern  zu  Zerbst  und  Bernbnrgk,  Wess  sich  s.  f.  g.  Stadttbalter 
Moritz  Rieder,  in  seim  Stadttbalter  Ambt  solle  Vorhalten, 

Nemlicben,  und  dieweil  s.  f.  g.  Ihnen  mitt  der  Justiciensachcn  in  der 
Regierung,  darnach  auch  mitt  den  Schultsachen,  vorschonen,  damitt  er  der 
Hanss  und  Hoffhaltung,  daran  s.  f.  g.  viel  und  hoch  gelegen,  desto  besser 
abzuwarten,  So  sol  er  Ihme  solche  treulich  lassen  benolen  sein,  Sonderlich, 
und  alss  s.  f.  g.  zur  Hofflialtung  nachfolgende  Emptter  deputiert,  alss  Zerbst, 
Lindaw,  Rosslaw,  Kosswigk,  Desssau,  Wörlitz,  Wolffen,  Warmssdorf,  Plötzigk, 
Soll  er  dieselbige  insonderlichen  beuehl  haben,  und  daruf  sehen,  dass  der- 
selbigen  einkommen  fortgesetzet,  gesteigert,  erhöhet,  und  aller  muglicher 
nutz  darin  gesucht  werde. 

Und  dass  aus  Itzt  bernrten  Empttem,  wass  zur  Hofflialtung,  fürstlichen 
tische,  Kuchen,  Keller,  und  Futterboden  gehörigk,  zu  rechter  Zeitt  vorschafft., 
Das  auch  die  Einkommen  zu  rechter  Zeitt  einbracht,  Holtz,  gctreidich, 
Wallen,  Hatnel  und  anders,  mitt  besten  nutz  vorkaufft,  Sol  auch  die  Land- 
grentzen  dieses  Ampts  Dessau,  in  vleissig  acht  haben , darniit  s.  f.  g.  daran 
nichts  entzogen, 

Item,  daruf  sehen,  das  von  den  Ambttlenten  und  Schossern,  das  gelt, 
zu  rechter  Zeitt,  in  unser  Cammer  gelieffert,  daruf  s.  f.  g.  M.  Wolffen  be- 
scheiden, und  Ihme  Benedictas  zum  Cammerschreiber,  zugeordent,  die  sich  for- 
der  darmit,  nach  laut  Ihrer  Instruction  Vorhalten  sollen, 

Ob  auch  wol  die  ander  Emptter  zum  teil  zu  den  schulden  depntiret, 
zum  teil  vor  s.  f.  g.  Selbsten  reseruiret,  und  also  Ihre  sonderliche  Mass  und 


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vorordnnng  haben,  Sol  doch  der  Stadtbaltter  nichtes  weniger  Ihme  des  ganzen 
Landesnutz,  wo  solcher  könne  geschafft  werden,  lassen  angelegen  sein,  seinen 
Pflichten  nach  zu  befördern,  Jedoch  sol  er  sich  darin  ohne  s.  f.  g.  vorwissen, 
vorendernng  zu  thun,  nicht  anmassen. 

Die  Arabts-Rechnung  sol  er  durchaus  helffen  anhören , darzu  s.  f.  g. 
Ihme,  sowohl  in  andern  hausshaltungen,  so  wichtige  Sachen  furfallen,  wollen 
andere  Hoff  Rethe  vom  Adel  jederzeit  zuzuordenen  wissen,  mitt  denen  er, 
wass  furfellet,  bestes  vleisses  beradtscklagen  und  vorrichten  solle, 

So  soll  Ihme  auch  in  dem  Ambtt  Dessau  uff  die  forwerge,  und  bestal- 
lung  des  Ackerbaues  zu  sehen,  der  Futter  Marschalg  Bernt,  alss  bestalter 
Haussvoigt,  zugeordent,  welcher  Ihme  diesclbige  wirdet  treulich  lassen 
benolen  sein, 

Sonsten  soll  der  Stadtthaltter  die  Ander  Erapttor,  so  zur  Hausshaltung, 
wie  obstehet,  geschlahcn,  offter  im  Jahr  selbsten  besuchen,  und  sich  gegen- 
wertig, aller  gelegenbeit  erkunden,  zu  sehen  und  zu  erfaren,  wie  es  mitt  der 
Hausshaltung  fortgehet,  und  wass  man  vor  die  Küche  und  Keller,  daraus 
jeder  Zeit  nernen,  und  in  die  Hoffhaltung  Helfern  kan, 

Wie  es  nun  die  Sachen  jederzcitt  befindet,  so  sol  er  es  s.  f.  g.  berichten, 
s.  f.  g.  sein  nndertheniges  trewes  bedencken  mitteilen,  und  wass  daruf  von 
s.  f.  g.  vorordent  wirdet,  also  ins  werck  setzen  und  vorrichten  lassen. 

Actum  Dessau  den  1.  Aprilis. 

Anno  1574. 


Anhang  3. 

Kammerinstruktion  (1574).  (H.H.St.Arch.  GAR  III  248  Nr.  80.) 

Instruction,  Ordnung  und  Beuebl  dess  durchlauchtigen  Hocbgeborneu 
Fürsten  und  Hern,  Hern  Joachim  Ernsten,  Fürsten  zu  Anhaltt,  Graften  zu 
Assanien  etc.  Wess  sich  magister  Wolffgangus  furtnan,  in  der  Renterey  und 
Cammersacheu,  Vorhalten  solle, 

Nachdem  s.  f.  g.  zur  Hausshaltung  nachfolgende  Emptter,  alss  Zerbst, 
Lindau,  Rosslan,  Kosswigk,  Dessau,  Wörlitz,  Wolffen,  Warmssdorf,  Plötzigk 
etc.  deputiret,  sol  er  darüber  jerliche  Rechuung,  neben  andern,  helffen  an- 
hören, und  alle  einnahme  von  den  Ambtleuten  und  Schössern  derselbigen,  an 
gelde,  zu  sich  nehmen,  darmitt  uff  uegst  kommendt  Johannis  anfaben,  Und 
die  Ainbtleute  und  Schösser,  laut  Ihrer  Rechnung,  wan  und  so  ferne  solche 
richtigk,  s.  f.  g.  allzeit  bericht  thuen,  und  s.  f.  g.  selbsten  die  Quitanzen  zu- 
uolziehen  siegeln  lassen,  Und  dan  der  Ambten  und  Schösser  Rechnung,  in 
ein  kästen  wol  vorwarlich  behalten,  Und  über  solche  sein  Einnahme  seine 
richtige  Register  und  Vorzeicbnus  halten,  damit  solche  mitt  den  Rechnungen 
der  Ambtten  und  Schösser  ubereinstimmen. 

Weil  er  aber  alters  und  ander  s.  f . g.  Sachen  halber  die  aussgabe  nicht 
halten  kan,  Sol  Ihme  Benedictus  zu  cim  Cammerschreiber  zugeordent  werden, 
der  sol  die  Aussgaben  halten,  also,  dass  Ihme  11 : Wolff  Jederzeit  ein  Summa 


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gehles  zustelle,  wan  er  die  aussgegebeu , alssdan  ein  ander  Summa , darum 
sollen  die  aussgaben  gehalten  werden,  nach  dem  Tittel  und  Posten  wie  s.  f.  g. 
solche  wollen  sonderlich  znuorordeuen  und  zuuorzeichen  lassen  wissen,  Son- 
derlich aber  der  Diener  besoldung  zu  gepurlicher  Zeit  entrichten, 

Die  Handtwergslente  sollen  in  eine  Jahr,  zu  etzlich  mahlen  bescheiden 
vor  dem  Stadtbalter,  ßentbineistern  und  andern,  so  darzu  gehören,  abrech- 
nnng  mitt  Ihnen  gehaltenn  und  daruf  bezalet  werden, 

Sonsten  was  für  Kuchen,  Keller,  und  Hoffhaltung  für  aussgaben  vor- 
fallen, die  werden,  wie  es  teglich  furkompt,  bezalet,  und  do  wass  daran 
auffgeborget,  das  solches  nicht  in  die  Merkte  vorschoben,  Sondern  souiel 
möglich,  alhier  in  der  Renterey  die  Zalung  geschehen  möchte,  darin 
M.  YVolff  sich  doch  Jederzeit  wol  bey  seiner  f.  g.  wirdet  bescheidts  zu  er- 
holen wissen. 

Es  wollen  auch  s.  f.  g.  sonderlich  daran  sein,  dass  M:  Wolff  in  allen 
Posten,  wass  ausszugeben  sein  möge,  ein  gewissen  beuehlich  von  s.  f.  g. 
erlange, 

Ohne  das,  und  wo  er  s.  f.  g,  benehls  nicht  gewiss,  sol  er  zur  Zalung 
von  niemandts  beschwert  werden,  viel  weniger  Jemandes,  es  sey  wer  er 
wolle,  gelt  auf  Rechnung  vorsetzen  oder  zustellen. 

Actum  Dessau  den  1.  Aprilis. 
a«.  1674. 


Anhang  4. 

Reutineisterin struktion  (1574).  (H.H.St. Arcb.  GAR.  III  248  Nr.  80). 

Instruction  und  Ordnung  des  durchlauchtigen  Hocbgcbornen  Fürsten 
und  Hern,  Hern  Joachim  Ernsten  Fursteu  zu  Anh&ltt,  Graffen  zu  Assanien 
etc.,  wess  sich  s.  f.  g.  Renthmeister  Alex  Pultz  vorhaltteu  solle, 

Aldieweil  s.  f.  g.  nuhnmer  die  ganze  Einnahme  und  aussgabe  der 
Empter,  so  zur  Hoffhaltung  geschlagen,  in  die  Cammer  gelegt,  darzu  M: 
Wolff  und  Benedicttis,  alss  ein  Cammer-Schreiber  vorordnet, 

So  sol  der  Renthmeister  hinfurder,  und  von  Johannis  negstkommendt 
anzufahen  das  Ambtt  Dessau  allein  vorwalten  und  vorsehen,  Und  sich  zum 
höchsten  vleissigen,  wie  er  desselbigcu  als  des  furnembsten,  uutzung  und  ge- 
fclle,  in  beste  richtigkeit,  Ordnung,  und  auffnehmen  bringe,  und  die  Rech- 
nung also  schliesse,  das  keine  Rctardaten  bleiben , sondern  alles  au  barem 
Gelde  einbringe, 

Insonderheit,  soll  er  Ihme  den  Holtzhandel,  das  darin  nichts  vorab- 
seumdt,  lassen  beuolen  sein,  und  wie  allzeit  bedacht  und  im  Rath  beschlossen 
wirdet,  gar  vleissigk  treiben,  auch  uff  die  Mühlen  und  Dhamgebeude , im 
Ambtt  Dessau  vleissig  achtung  geben, 

Und  weil  teglich  s.  f.  g.  viel  anlauffcns  haben,  Iloltzes  halben,  zu  uor- 
kauffen.  Sollen  Ihme  die  Supplicationes,  darinnen  umb  holtz  angesucht,  zu- 
gestellt werdcun,  do  es  gemein  Holtz  aulange,  das  solches  mitt  vorwisseu 


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und  anweisung  des  Forstmeisters,  vorkaufft  und  in  sein  Einnahme  bracht 
werde,  do  aber  umb  baw  und  ander  holtz,  daran  viel  gelegen,  angesucbt 
wurde,  sol  s.  f.  g.  bescbeide  aizeit  darin  erwartet  werden, 

Ob  auch  s.  f.  g.  Holtz  vorscbeuket,  sol  solches  von  Ihme  auch  uffge- 
zcichent  werden,  damit  s.  f.  g.  jerlich  wissen  mögen , wie  viel  holtz  allent- 
halben wegk  komen, 

Er  sol  auch  daran  sein,  dass  die  Scheffereien  hinwidder  zum  besten 
widder  angericbtet,  damit  die  Nutzung  derselbigen,  sonderlichen  mitt  dem 
wollekauff,  im  rechten  gangk  widder  bracht, 

Weil  er  aber  Itzo  etzliche  schulden  in  Leiptziger  Merckte  noch  uff 
sich  hatt,  sol  er  ein  vorzeichnus  derselbigen  ubergeben,  und  solche  diss  Jahr, 
von  seines  benohlen  Ambts  gefellen,  abtragen,  aber  hinforder  sich  schulden 
uff  die  Leipzische  Merckte  zu  machen,  gar  enthalten, 

Und  do  man  sonsten  seines,  als  eines  alten  Dieners,  berichts  in  bawen, 
Hausshaltung,  und  andern,  bedarff,  denselbigen  s.  f.  g.  treulich  mitteilen,  und 
s.  f.  g,  nutz  zum  höchsten,  in  allem  befördern  und  bedencken  helffen, 

Actum  Dessau,  den  1.  Aprilis,  a°.  1574. 


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Abkürzungen. 


v.  H. 

Reg. 

M.  V.f.  A.G. 
G.Qu.d.Pr.S. 


H.H.St.  Arch. 
P.n.L.O. 


v.  Heinemann,  Codex  diplomaticus  Auhaltinus  (Dessau 
1867—83). 

Wäschke,  Regesten  der  Urkunden  des  Herzoglichen 
Hans-  nnd  Staatsarchivs  zu  Zerbst  (Heft  1 — 7)  (Dessau 
1903—1906)*). 

Mitteilungen  des  Vereins  für  anhaitische  Geschichte  nnd 
Altertumskunde  (Dessau). 

Geschichtsquellen  der  Provinz  Sachsen  und  angrenzender 
Gebiete  (Publikationen  der  Historischen  Kommissiou  fiir  die 
Provinz  Sachsen  und  das  Herzogtum  Anhalt). 

Herzogliches  Hans-  und  Staatsarchiv  zu  Zerbst. 

Des  Fürstenthumes  Anhalt  Polizey  und  Landesordnung 
(1573,  gedruckt  zu  Wittembergk  durch  Klemens  Schleich 
und  Antonium  Schöne). 


Bezüglich  der  anhaitischen  Fürsten  verweise  ich  auf : 
Wäschke,  Abriss  der  anhaitischen  Geschichte  (Dessau  1895). 
„ , Die  Askanier  in  Anhalt  (Dessau  1904). 


*)  Heft  8 der  Regesten  ist  mir  leider  erst  nach  Fertigstellung  des 
Druckes  zugegangen,  so  dass  ich  es  nicht  mehr  für  die  Arbeit  selbst  benutzen 
konnte.  Einige  kleinere  Nachträge,  die  sich,  wie  vorauszusehen,  nur  für  die 
Anmerkungen  gefunden  haben,  füge  ich  daher  hier  bei: 

zu  pag.  82,  2:  Johannes  Buchener  wird  noch  im  Jahre  1474  als 
Kanzler  erwähnt  (Reg.  781),  meine  Vermutung  bestätigt  sich  also.  Er 
ist  im  ganzen  „ fast  lange  unde  hoben  vierczig  jar  “ Kanzler  gewesen ; für 
diese  Dienste  ist  ihm  später  vom  Fürsten  Georg  der  erbliche  Adel  verliehen 
worden  mit  dem  Wappen  .den  Sperber  unde  das  feld  blawe  unnde  uff  deme 
helme  zewen  Sperber  fl  3 ge  1 unde  itzlicher  eyn  teyl  blawe  unde  weysz',  was 
von  dem  Fürsten  Waldemar  im  Jahre  1476  bestätigt  wird.  1476  ist  Buchener 
wohl  nicht  mehr  im  Amte  (Reg.  829). 

zu  pag.  85,  3:  vgl.  Reg.  741  (1472). 
zu  pag.  99,  8:  1475.  Heinrich  Stolzmnn  (Reg.  809). 
zu  pag.  114,  3:  Heinrich  von  Ammendorf  wird  noch  im  Jahre 
1477  als  Amtmann  des  Erzbischofs  von  Magdeburg,  zu  GiebichenBtein  auf- 
geführt (Reg.  844) ; ist  also  wohl  sicher  nicht  anhaitischer  Beamter  gewesen. 

Bezüglich  einiger  Namen  von  Beamten  siche  noch:  Reg.  759,  781,  784, 
809.  810,  843. 


Bachtlrurkeroi  Maretzke  ti  Martin,  Trebnitz  i Schl 


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Geschichte  des  Werkvertrags  nach 
deutschem  Rechte 

von 

Dr.  Karl  Rothenbtlcher 


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Untersuchungen 

zur 

Deutschen  Staats-  und  Rechtsgeschichte 

herausgegeben 


Dr.  Otto  Gierke 

Professor  der  Rechte  an  der  Unlvereltlt  Berlin 


87.  Heft 


Geschichte  des  Werkvertrags 

nach  deutschem  Rechte 


I)r.  Karl  RothenbUcher 


Breslau 

Verlag  von  M.  & H.  Marcus 
1906 


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Geschichte  des  Werkvertrags 

nach  deutschem  Rechte 


I)r.  Karl  Rothcnbücher 


Breslau 

Verlag  vou  M.  & H.  Marcus 
1906 


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Inhalt 

Seite 

I.  Einleitung l 

Die  Aufgabe.  — Plan  der  Untersuchung. 

II.  Das  deutsche  Werkveitragsrecht  im  Mittelalter  . . 4 

1.  Abschnitt 

Die  wirtschaftlichen  Verhältnisse  4 

1.  Hofrechtstheorie.  — Werkverträge  schon  zur  Zeit  der 
Volksrechte  — Freie  Arbeiter  der  fränkischen  Zeit.  — 2 Mittel- 
alter.  — Händliche  (iewerbe.  — (Jewerbe  in  der  Stadt;  Handwerk, 
Lohnwerk.  — (Jewerbe  mit  reinem  Lohnwerk.  — 3.  Das  Bauwesen 
im  besondern.  — Ländliche  Verhältnisse.  — Städtische  Monu- 
X,  mentalbauten  — Anstellungsverträge  mit  Baumeistern.  — Bauten 
■”  in  eigener  Kegie.  — Werkverdingungen  ohne  und  mit  Stoffliefe- 
rung.  — Entlohnung  nach  Zeit.  — 4.  Münzgeschäft.  — 5.  Stück- 
lohn. — 6.  Verbot  des  Fürkaufs. 

2.  Abschnitt 

Begriff  und  Abgrenzung  des  Werkvertrags  und  die  Aus- 
drucksweise der  Quellen 15 

1.  Das  Wort  Werkmiete,  — Der  Gebrauch  des  Wortes 
..dingen“.  — Ausdrucksweise  der  Quellen  für  den  Tatbestand  der 
Werkverdingung.  — Analogie  in  der  Ausdrucksweise  des  deutschen 
und  rümischen  Hechts.  — Entgeltlichkeit  des  Vertrags.  — Gegen- 
stand des  Vertrags.  — Erziehungsvertrag.  — Vertrag  mit  dem 
Fürsprechen  — 2.  Die  Dienstmiete.  — Unterscheidungsmerkmale. 

— 3.  Der  Kauf.  — Der  Werklieferungsvertrag. 

3.  Abschnitt 

Der  Abschluss  des  Vertrags .28 

I.  Einigung.  — Visierung.  — Gegengewicht.  — Urkunden. 

II.  Perfektion  des  Vertrags.  — 1.  Keiner  Kealvertrag.  — 

2.  Versteckter  Kealvertrag.  — a)  Gottespfenning ; Haftgeld;  Pfand- 


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VI 


Seite 


geld;  Angeld;  vormede  — b)  Weinkauf.  — 3.  Formalvertrag.  — 
a)  Trengeliibnis;  b)  Zeugen,  Eintrag  ins  Stadtburh.  — 4.  Begleit- 
erscheinungen. — Verpfändung  des  Vermögens.  — Bürgschaften. 

III.  Kontrahicrnngsfreiheit.  1.  Beschränkung  des  Bestellers. 

— Kontrahierungszwang  des  Unternehmers.  — 2.  Objektive  Be- 
schränkung der  Vertragsfreiheit. 

4 Abschnitt 

Pas  materielle  Vertragsrecht  . . 

A.  Vorbemerkung  ... 

Betonung  von  Treu  und  Glauben 

B.  Pie  Herstellung  des  Werks 47 

I Pie  Pflicht  znr  Herstellung  des  Werks.  — 2.  Persönliche 

Herstellung.  — 3.  Verbot,  ein  zweites  Werk  anzunehmen.  — 

4.  Bringschuld.  — 5.  Rechtzeitige  Lieferung.  — Gesetzliche  Lie- 
ferungsfristen. — Fristsetzung.  — 6.  Erzwingung  der  Leistung 
durch  Haft.  — 7.  Handlungen  des  Bestellers.  — 8.  Eigenschaften 
des  Werks;  — a)  Pie  gesetzlichen  Vorschriften;  Bedeutung  der 
Beschau.  — b)  Haftung  des  Unternehmers  für  die  Arbeit  der 
(iehilfen.  — c)  Dauer  der  Gewährleistung  für  Mängel,  Abnahme. 

— Partikularrechtliche  Bestimmungen.  — Anzeigepflicht  des  Unter- 
nehmers. — Vertragsmässige  Abreden  Uber  Gewährleistung. 

('.  Mangelhafte  Erfüllung  oder  Nichterfüllung  des  Vertrags  65 
1.  Mangelhafte  Erfüllung  infolge  Verschuldens  des  Unterneh- 
mers: a)  Besserung  und  Schadensersatz;  b)  Minderung:  c)  Rück- 
tritt vom  Vertrag.  — 2.  Nichterfüllung  infolge  Verschuldens  des 
Unternehmers.  — 3.  Nichterfüllung  infolge  eines  vom  Besteller  zu 
vertretenden  Umstands.  — 4.  Nichterfüllung  infolge  eines  von 
keinem  Vertragsteile  zu  vertretenden  Umstands. 

D.  Pie  Rückgewähr  des  Stoffs  und  die  Haftung  des  Unter- 
nehmers hieftlr 73 

1.  Vorbemerkung;  Kein  Eigentumswechscl  durch  Spezifikation. 

— 2.  Rückgewähr  des  Stoffs:  a)  Allgemeiner  Rechtssatz;  b)  Be- 
rechtigung des  Unternehmers  zu  Abzügen;  r,)  Aufsicht  des  Be- 
stellers. — 3.  Per  Zufall  und  die  vom  Unternehmer  zu  beobach- 
tende Sorgfalt.  — a)  Pie  Fälle  der  höheren  Gewalt.  — b)  Dieb- 
stahl der  Sache.  — c)  Ausschluss  der  Haftung.  — d)  Haftung 
für  Verderb  der  Sache;  Frachtvertrag.  — 4 Rechte  des  Bestellers 
bei  Verletzung  der  RUckgewährpflieht  des  Unternehmers:  a)  Scha- 
densersatz. Lohnminderung.  — b)  Haftung  der  Innung.  — c)  Be- 
messung des  Schadens.  — d)  Anzeigepflicht  des  Bestellers. 


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VII 

Seite 

E.  Per  Lohn  . . . .90 

1.  Bemessung  der  Höhe  des  Lohns.  — 2.  Geldlohn;  Natural- 
lohn; Geschenke.  — 3.  Fälligkeit  des  Lohns.  — 4.  Schadenersatz- 
pflicht des  Bestellers.  — 5.  Behandlung  des  Werkvertragentgelts 

als  liedlon:  a)  Prozessuale  Stellung  des'  liedlons;  b)  Begriff  des 
liedlons;  c)  Stellung  des  Unternehmers  im  Konkurse  des  Bestellers. 

— 6,  Erzwingung  der  Bezahlung  durch  Streik. 

F.  Pas  Zurückbehaltungsrecht  des  Unternehmers  . . 102 

1.  Zurückbehaltungs-  und  Verpfändungsrecht  am  Werke.  — 

2.  Zugriff  der  Gläubiger  des  Unternehmers.  — fl.  Zusammen- 
fassung. — 4.  Vindikation  der  versetzten  Sache  beim  Dritten. 

G.  Das  Ende  des  Werkvertrags 108 

Allgemein.  — Tod  des  Unternehmers. 

5 Abschnitt 

Die  Zuständigkeit  für  die  Geltendmachung  der  An- 


sprüche aus  dem  Werkverträge  109 

Allgemeines.  — Zuständigkeit  der  Zunftgerichte. 

fi.  Abschnitt 

Die  Bestrafung  des  Vertragsbruchs  . 112 


1.  Nichterfüllung,  Entlaufen  vom  Werk.  — 2.  Mangelhafte 
Erfüllung.  — 3.  Verzug.  — 4.  Verletzung  der  Rückgcwährpflicht. 

— 5.  Verletzung  der  Entlohnungspflicht 

III.  Die  Rechtsentwicklung  seit  dem  Eindringen  des  fremden 

Rechts 117 

1.  Die  Geltung  des  deutschen  Kechts.  — 2.  Bedeutung  des  Ge- 
wohnheitsrechts. — 3.  Römischrechtliche  Gesetzgebung.  — 4.  Die 
Behandlung  des  Werksvertrags  in  der  Literatur.  — 5.  Behand- 
lung des  Lohnanspruchs  des  Unternehmers:  a)  Retentionsrecht. 

— b)  Sicherung  der  Forderungen  der  Bauhandwerker.  — c)  Stellung 
im  Konkurse  des  Bestellers.  — (>.  Ergebnis. 


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I.  Einleitung. 


Die  bisherigen  Arbeiten  über  das  Werkvertragsrecht  haben, 
soweit  sie  sich  mit  der  geschichtlichen  Entwicklung  beschäftigten, 
vorwiegend  das  römische  Recht  berücksichtigt1).  Offenbar  aus 
dem  Grunde,  weil  Begriff  und  zum  Teil  auch  Rechtssätze  des 
modernen  Dienst-  und  Werkvertrags  sich  enge  an  die  loc.  cond. 
operarum  und  operis  anzulehnen  scheinen.  Es  hat  hierbei  nicht 
an  Bemühungen  gefehlt,  im  besondern  die  loc.  cond.  operis  aus 
den  staats-  und  privatrechtlichen  Verhältnissen  des  alten  Roms 
geschichtlich  zu  erklären.  Dem  gegenüber  soll  hier  untersucht 
werden,  ob  das  römische  Recht  bei  seinem  Eindringen  über- 
haupt ein  deutsches  Werkvertragsrecht  vorfand,  ob  auch  das 
deutsche  Recht  selbständig  Rechtssätze  über  den  Werkvertrag 
entwickelt  hat. 

Ich  begrenze  zu  diesem  Zwecke  meine  Aufgabe  dahin,  dass 
ich  nicht  das  ganze  Gebiet  der  Arbeitsverträge,  die  auf  Be- 
wirkung irgendwelchen  Erfolgs  gerichtet  sind,  darstellen  werde. 
Vielmehr  werde  ich  diejenigen  Verträge,  die  sich  nach  der  Art 
ihrer  Leistung  oder  nach  ihrem  Aufbau  von  der  allgemeinen 
Grundlage  besonders  abheben,  nur  vergleichend  und  ergänzend 
berücksichtigen.  Es  scheidet  demnach  aus  der  Frachtvertrag, 
der  als  Seefrachtvertrag  eine  eigene  Stellung  einnimmt,  und 
auch  als  Binnenfrachtvertrag  eine  besondere,  vor  allem  das 
italienische  Recht  berücksichtigende  Darstellung  erfordert 
(vgl.  Goldschmidt,  Universalgesch.  des  Handelsrechts  1891 
S.  332  ff.);  ferner  der  schon  in  die  Neuzeit  fallende  Verlags- 
vertrag, der  Mäklervertrag  und  der  Lehrlingsvertrag.  Denn 

')  Die  bisherige  Literatur  über  den  Werkvertrag  siehe  bei  E.  Eiezler, 
Der  Werkvertrag,  Jena  1900,  S.  lff.,  S.  19 ff.  Für  das  Gebiet  des  uord- 
germauischeu  Rechts  vgl.  v.  Amira,  Nordgermanisches  Obligationeurecht 
Bd.  I S.  649  ff,  Bd.  IT  S.  787  ff. 

Kotlienbüciier,  Werkvertrag  1 


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2 


dieser  äst  zwar,  soweit  er  die  Erziehung  des  Lehrlings  zu 
einem  Handwerk  zum  Gegenstände  hat,  Werkvertrag,  aber  er 
hat  im  wesentlichen  eine  an  den  gewerblichen  Dienstvertrag 
sich  anlehnende  Behandlung  in  den  Quellen  erfahren. 

In  einem  Hauptteil  ist  sohin  das  deutsche  Recht  über  den 
Werkvertrag  darzustellen.  In  einem  zweiten  Teil  soll  dann 
versucht  werden,  einen  Überblick  über  den  Gang  der  Rechts- 
entwicklung seit  der  Zeit  der  Rezeption  im  Grossen  zu  geben. 

Über  den  bei  Untersuchung  des  deutschen  Rechts  einzu- 
schlagenden Weg  sei  noch  folgendes  bemerkt:  Das  deutsche 
Recht  des  MA.  hat  es  zu  einer  begrifflichen,  theoretischen 
Durchbildung  seines  Vertragssystems  bekanntlich  nicht  gebracht. 
Man  muss  daher,  um  ein  einheitliches  Bild  zu  erhalten,  die 
verschiedensten  Rechtsquellen  zusammenfassen.  Gerade  auf 
unserem  Gebiete  äussern  sich  die  Rechtsaufzeichnungen  der 
Land-  und  Stadtrechte  seltener,  da  natürlich  mehr  in  die  Augen 
fallende  Fragen,  vor  allem  des  Güter-  und  Erbrechts,  sowie 
der  dinglichen  Rechte  die  Aufmerksamkeit  der  Verfasser  auf 
sich  zogen.  Immerhin  finden  sich  seit  dem  Beginn  des  13.  Jahr- 
hunderts in  den  Stadtrechten,  sowie  in  den  Entscheidungen  der 
Oberhöfe  auf  den  Werkvertrag  bezügliche  Sätze.  Daneben 
aber  sind  in  grossem  Umfang  die  zahlreichen,  von  den  Stadt- 
obrigkeiten erlassenen  oder  von  den  Zünften  sich  selbst  ge- 
gebenen Zunft-  und  Handwerksordnungen  zu  berücksichtigen. 
Diese  Ordnungen  gehen  zwar  von  gewerbepolizeilichen  Gesichts- 
punkten aus,  und  dadurch  ist  die  Fassung  ihrer  Sätze  und  der 
ganze  Geist  ihrer  Normen  bestimmt,  aber  sie  enthalten  wie 
unsere  heutige  Reichsgewerbeordnung  viele  privatrechtliche 
Sätze.  In  einer  Zeit,  die  noch  vorwiegend  strafrechtlich  dachte, 
müssen  privatrechtliche  Grundsätze  auch  dort  aufgesucht 
werden,  wo  sie  in  Befehlsform  gekleidet  sind,  oder  ihre  Ver- 
letzung nicht  nur  bürgerlich  - rechtliche , sondern  auch  diszipli- 
näre oder  strafrechtliche  Folgen  hat. 

Diese  Handwerksordnungen,  die  in  den  Städten  ihren  Aus- 
gang nehmen,  dann  in  den  landesherrlichen  Territorien  aufge- 
nommen werden,  und,  den  sich  ändernden  Verhältnissen  sich 
unpassend,  bis  ins  19.  Jahrhundert  sich  fortsetzen,  um  von  den 
modernen  Gewerbeordnungen  abgelöst  zu  werden,  geben  zugleich 


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3 


ein  Bihl  für  die  Bedürfnisse  des  Verkehrs  und  kodifizieren  das 
Gewohnheitsrecht,  das  sich  in  unzähligemal  wiederholten 
Vertrügen  ohne  Eingriff  der  Gesetze  gebildet  hat.  Das  Gewohn- 
heitsrecht aber  kommt  als  Rechtsquelle  für  unser  Gebiet  in 
grossem  Umfang  in  Betracht.  Es  ist  daher  bei  dieser  Unter- 
suchung auch  der  Inhalt  der  uns  überlieferten  Verträge  aus 
alter  Zeit  zu  berücksichtigen. 

Wenn  ich  nun  vielleicht  in  dem  Streben,  ein  Bild  des 
ganzen  Vertraglebens  zu  geben,  manches  aufnehme,  was  mehr 
als  Sitte,  denn  als  Recht  erscheinen  mag.  so  ist  zu  bedenken, 
dass  wir  auch  in  unserer  heutigen  Rechtsordnung  zwischen 
zwingendem  und  dispositivem  Recht  unterscheiden.  Das  dis- 
positive Recht  aber  hat  erst  in  den  Gesetzgebungen  der  neuesten 
Zeit  eine  Kodifizierung  erfahren,  für  das  ältere  Recht  muss 
man  es  in  den  tatsächlichen  Vertragsverhältnissen  und  Vertrags- 
sitten finden;  denn  das  dispositive  Recht  ist  seiner  Entstehung 
und  Bedeutung  nach  nichts  als  ein  Niederschlag  der  regel- 
mässigen, üblichen  Vertragsbestimmungen,  wie  es  denn  auch 
nichts  als  deren  Ergänzung  sein  will.  Von  diesen  Gesichts- 
punkten aus  hoffe  ich,  zwar  nicht  das  Bestehen  eines  „ge- 
meinen“, doch  eines  „allgemeinen“  deutschen  Werkvertrags- 
rechts zeigen  zu  können. 

Bei  der  Darstellung  des  deutschen  Rechts  im  MA.  werde 
ich  auch  diejenigen  Quellen  heranziehen,  die,  zeitlich  nach  der 
Rezeption  liegend,  in  ununterbrochener  Folge  die  älteren  Rechts- 
sätze erhalten  haben,  die  sonach  als  Fortsetzungen  der  früheren 
Rechtssatzungen  betrachtet  werden  müssen.  Denn  ich  glaube, 
dass  sich  hierbei  zeigen  wird,  dass  die  Rezeption  nicht  einen 
plötzlichen  Schnitt  in  unsere  Rechtsentwicklung  gemacht  hat, 
dass  vielmehr  die  Entwicklung  des  deutschen  Rechts  selbständig 
auf  einzelnen  Gebieten,  wie  dem  unsern,  bis  ins  17.  Jahrhundert 
fortgegangen  ist. 

Da  zur  Erkenntnis  allen  Rechts  erforderlich  ist,  die  tat- 
sächlichen wirtschaftlichen  Verhältnisse  zu  kennen,  auf  die  es 
Anwendung  findet,  gebe  ich  zunächst  im  folgenden  einen 
kurzen  Überblick  über  die  wirtschaftlichen  Verhältnisse  auf 
unserm  Gebiete. 


l» 


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II.  Das  deutsche  Werkvertragsrecht  im 
Mittelalter. 


1.  Abschnitt 

Die  wirtschaftlichen  Verhältnisse. 

1.  Zu  allen  Zeiten  entsteht  da,  wo  die  Bedürfnisbefriedigung 
nicht  mehr  durch  Arbeiten  im  Schosse  der  Familie  und  der 
Hausgemeinschaft  allein  erfolgen  kann,  die  Notwendigkeit, 
fremde  Arbeit  nutzbar  zu  machen.  Soweit  dies  nicht  durch 
den  Tausch  und  später  den  Kauf  fertiger  Arbeitserzeugnisse 
geschieht,  muss  man  dazu  schreiten,  sich  vertragsmässig 
Arbeitsleistungen  zu  verschaffen.  Es  wird  dies  dadurch 
erreicht,  dass  der  eine  Teil  den  andern  dazu  gewinnt,  unter 
seiner  Leitung  Arbeiten,  Dienste  zu  verrichten,  für  deren 
Erfolg  der  Herr  verantwortlich  ist,  oder  aber,  dass  der  eine 
Teil  es  übernimmt,  durch  seine  Arbeit  für  den  andern  einen 
Erfolg  herbeizuführen,  wobei  auf  die  hierzu  erforderlichen 
Handlungen  der  Vertragsgegner  keinen  Einfluss  hat,  eine 
Leitung  seinerseits  ausgeschlossen  ist.  Hierbei  ist  Voraus- 
setzung, dass  die  Vertragsteile  nicht  in  einem  Herrschafts- 
verhältnisse zueinander  stehen,  auf  Grund  dessen  der  eine 
Teil  dem  andern  derartige  Arbeitsleistungen  aufzuerlegen  be- 
rechtigt ist. 

Es  ist  nun  die  Meinung  vertreten  worden,  für  die  mittel- 
alterlichen Verhältnisse  komme  erst  spät  die  wirtschaftliche 
Form  des  Lohnwerks  auf,  worunter  die  Volkswirtschafts- 


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lehre  die  gewerbliche  Arbeit  versteht,  bei  der  der  Stoff  dem 
Kunden,  das  Werkzeug  dem  Arbeiter  gehört.  Es  sei  ursprüng- 
lich alle  gewerbliche  Arbeit  in  den  Klöstern  und  Fronhöfen 
zusammengedrängt  gewesen.  Die  Arbeiter  seien  lediglich 
Hörige  gewesen,  Unfreie,  mit  denen  kein  Arbeitsvertrag  abge- 
schlossen werden  musste.  Erst  allmählich  hätten  die  Unfreien 
ausnahmsweise  auch  für  den  Markt  arbeiten  dürfen,  und  erst 
seit  dem  12.  Jahrhundert  habe  sich  dies  Ausnahmeverhältnis 
zur  Regel  umgestaltet,  indem  die  hörigen  Arbeiter  des  Fron- 
hofs allmählich  in  den  freien  Stand  aufgerückt  seien,  und  so 
die  Klasse  der  freien  städtischen  Handwerker  gebildet  hätten. 
Ich  brauche  auf  den  hierüber  bestehenden  Streit,  der  von 
Nitzsch  und  Bücher,  allerdings  von  verschiedenen  Gesichts- 
punkten aus  auf  der  einen  Seite,  und  von  Georg  von  Below 
und  Keutgen  vornehmlich  auf  der  andern  Seite  geführt  wird, 
nicht  einzugehen.  Von  Bedeutung  ist  die  hof rechtliche 
Theorie  hier  nur  insofern,  als,  ihre  Richtigkeit  angenommeu, 
daraus  zu  folgern  wäre,  dass  bis  zum  12.  Jahrhundert  Werk- 
verträge überhaupt  nicht  abgeschlossen  worden  wären,  da  ja 
das  Bedürfnis  in  dieser  Richtung  durch  die  Eigenwirtschaft 
genügend  befriedigt  worden  wäre. 

Ich  halte  dies  jedoch  nicht  für  richtig;  vielmehr  glaube 
ich,  dass  es  seit  der  Zeit  der  Volksrechte  stets  freie  Arbeiter 
gegeben  hat  (so  auch  Stieda,  Entstehung  des  deutschen  Zunft- 
wesens 1877  S.  10  ff.),  ferner  solche  unfreie  Arbeiter,  die  nicht 
nur  für  ihren  Herrn  arbeiteten,  sondern  mit  jedem  Dritten 
selbständige  Arbeitsverträge  abschlossen.  Diese  wurden  nicht 
nach  römischem  Muster  von  dem  Herrn  „verstellt“,  vermietet, 
sondern  sic  traten  selbst  als  Vertragschliessende  auf,  „faber, 
aurifex,  vel  spatorius,  qui  publice  probati  sunt“,  lex  Alam. 
LXXIV  5.  (Diese  Tatsache  scheint  mir,  auch  wenn  man 
publice  probatus  nur  als  „allgemein,  öffentlich  bewährt“  auf- 
fasst, durch  die  neueren  Ausführungen  Koehnes  zu  dieser  Stelle 
nicht  widerlegt.  Vierteljahrsschrift  für  Sozial-  und  Wirtscliafts- 
geseh.  IV  S.  186.)  Für  die  freien  Arbeiter  und  die  servi,  die 
wegen  ihrer  Kunstfertigkeit  hohen  Wert  besassen,  und  dem- 
entsprechend durch  höheres  Wergeid  ausgezeichnet  waren, 
galten  Bestimmungen,  wie  die  folgenden: 


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qui  anrum  ad  facienda  ornamenta  susceperit  et  adulta- 
verit  sive  aeris  aut  argenti  vel  cuiuscunque  vilioris  metalli 
permixtione  corruperit,  pro  fure  teneatur.  lex  Visigoth.  VII 
6,  3 (Mon.  LL.  I 1 S.  311); 

aurifices  aut  argentarii  vel  quicumque  artiflces,  si  de 
rebus  sibi  commissis  aut  traditis  aliquid  subtraxerunt,  pro 
fure  teneantur.  lex  Visigoth.  VII  6,  4 (ebd.); 

quicumque  vero  servum  suum  aurificem,  argentarium, 
ferrariuin,  fabrum  aerarium  sartorem  vel  sutorem  in 
publicum  attributum  artificium  exercere  permiserit,  et  id, 
quod  ad  facienda  opera  a quocumque  susceperit,  fortasse 
everterit,  dominus  ejus  aut  pro  eodem  satisfaciat,  aut 
servi  ipsius,  si  maluerit,  faciat  cessionem.  lex  Burg.  21,2 
(Mon.  LL.  III  S.  542). 

Mögen  diese  Bestimmungen  auch  nicht  frei  von  römischen 
Einflüssen  sein,  so  geht  doch  aus  ihnen  hervor,  dass  zur  Zeit 
ihrer  Entstehung  schon  Werkverträge  von  Freien  und  Unfreien 
abgeschlossen  wurden. 

In  der  fränkischen  und  in  der  unmittelbar  folgenden  Zeit 
war  die  Unfreiheit  überhaupt  nicht  so  verbreitet,  wie  gerne 
angenommen  wird.  So  sind  ausser  den  Goldschmieden  sicher 
freie  Arbeiter  die  Münzer  der  fränkischen  Zeit,  die  jedem,  der 
Metall  oder  alte  Münzen  brachte,  diese  gegen  Entlohnung  in 
neue  Münzen  umprägten.  Erst  seit  Pippin  wurden  die  Münzer 
aus  ihrer  freien  gewerblichen  Tätigkeit  unter  die  beauf- 
sichtigende Macht  des  Staats  gezogen.  (Vgl.  hierzu  K.  Th.  Ehe- 
berg, Über  das  ältere  deutsche  Münzwesen  1897  S.  98,  99 
[Schmoller,  Forschungen  II  5].)  Keutgen  (Ämter  und  Zünfte 
S.  12 ff.)  weist  ebenfalls  nach,  dass  sowohl  auf  den  Fronhofen 
neben  den  Hörigen,  als  ausserhalb  derselben  freie  Handwerker 
gearbeitet  haben. 

2.  Für  die  nun  folgende  Zeit  des  „ Mittelalters“  im  engern 
Sinn  muss  zwischen  ländlichen  und  städtischen  Verhältnissen 
unterschieden  werden. 

Auf  dem  Lande  bestand  nur  wenig  gewerbliche  Arbeit, 
da  sowohl  auf  den  grossen  Höfen,  wie  bei  den  Bauern  in 
hohem  Masse  Eigenwirtschaft  herrschte  (vgl.  v.  Inama-Sternegg, 
Deutsche  Wirtschaftsgeschichte  1891  II.  Bd.  S.  290  ff.).  Immer- 


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hin  ist  der  Vertrag,  den  man  mit  dem  Müller  und  Schmied  ab- 
schliesst,  meistens  ein  Werkvertrag.  Die  Mühle  war  sehr  frühe 
als  Dienst-  und  Zinsgut  in  der  Hand  des  berufsmässigen 
Müllers  (v.  Inama-Sternegg  a.  a.  0.  S.  293  und  Koehne,  Recht 
der  Mühlen  [Gierke,  Untersuchungen  Heft  71]  S.  18ff.),  auch 
höher  ausgebildete  Schmiede,  vor  allem  Edelschmiede,  traten 
als  selbständige  Unternehmer  auf. 

Dagegen  entwickelte  sich  in  den  Städten  seit  dem  10.  Jahr- 
hundert eine  lebhafte  gewerbliche  Tätigkeit,  sowohl  in  der 
Form  des  Handwerks,  Arbeit  auf  den  Verkauf,  als  in  der  des 
Lohnwerks,  Kundenarbeit.  Diese  tritt  als  Heimarbeit  und 
Störarbeit  auf. 

Wo  nun  Lohnwerk  vorliegt,  wird  man  annehmen  müssen, 
dass  die  abgeschlossenen  Verträge  ihrer  rechtlichen  Natur 
nach  meistens  Werkverträge  sind.  Nur  im  Fall  der  Störarbeit 
wird  dies  bezweifelt  werden  müssen,  da  hier  meistens  der 
Arbeiter  sich  die  Anordnungen  des  Arbeitgebers  über  die  Art 
der  Arbeit,  die  Arbeitsdauer  usw.  gefallen  lassen  muss.  Lohn- 
werk und  Werkvertrag  fallen  jedoch  nicht  begrifflich  zusammen, 
da  bei  jenem  auf  das  Eigentum  am  Stoff  und  Handwerkszeug, 
bei  diesem  auf  die  Verantwortlichkeit  für  den  Erfolg  abge- 
stellt wird. 

Wenn  Bücher  (Artikel  „Gewerbe“  im  Handwörterbuch  der 
Staatswissensch.  2.  Aufl.  Bd.  IV  S.  360ff.)  recht  hat,  so  wäre 
die  Form  des  Lohn werks  im  MA.  noch  die  herrschende  gewesen; 
es  wird  dies  jedoch,  wie  mir  scheint,  mit  Recht  bestritten. 
(Vgl.  hierzu  G.  von  Below,  Die  historische  Stellung  des  Lohn- 
werks in  Territorium  und  Stadt,  München  1900,  S.  303ff., 
323  ff.)  Wie  dem  aber  auch  sein  mag,  sicher  ist,  dass  in  einer 
Reihe  von  Gewerben,  wie  zum  Teil  heute  noch,  die  Kunden- 
arbeit herrschte,  ja  das  Handwerk,  Produktion  auf  den  Ver- 
kauf, vielfach  geradezu  verboten  war.  Es  gilt  dies  von  den 
Bäckern,  Müllern,  Schneidern,  Schustern  (Oltflickern),  Webern 
(in  der  Leinwandweberei,  wogegen  in  der  Wollweberei  Hand- 
werk herrschte),  Malern,  Gerbera,  Walkern,  Goldschmieden, 
Bildschnitzern,  Färbern,  Seilern,  Spinnern,  Tuchscherern, 
Kürschnern,  Paramentenstickern , Buchbindern,  Bücherab- 
schreibern. In  diesen  Gewerben  wurde  der  Stoff  dem  Arbeiter 


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zur  Verarbeitung  unter  eigener  Verantwortlichkeit  übergeben. 
Der  Unternehmer  wurde  für  das  Werk  als  Ganzes  entlohnt. 
Das  MA.  bezeichnete  diesen  Akkordvertrag  als  „verding“  oder 
als  „fürgriff“.  Daneben  tritt  jedoch  eine  Reihe  von  Fällen 
auf,  in  der  ein  Werk  als  Ganzes  gegen  Entlohnung  nach 
Zeitabschnitten  verdungen  wird,  vor  allem  in  Verträgen 
über  Herstellung  eines  Baus  oder  von  Teilen  eines  Baus,  oder 
von  bedeutenderen,  längere  Zeit  in  Anspruch  nehmenden  Kunst- 
werken. 

3.  Es  muss  hierauf  noch  eingegangen  werden.  Die  länd- 
lichen und  zum  grössten  Teil  auch  städtischen  privaten  Profan- 
bauten gaben  in  der  Regel  keinen  Anlass  zum  Abschluss  hierher 
gehöriger  Verträge.  Es  sind  uns  über  grössere  Bauten  auf 
diesem  Gebiete,  die  eine  bedeutendere  Kunstfertigkeit  erfordert 
hätten,  Nachrichten  nicht  erhalten.  Der  Bauer  errichtete 
selbst,  gegebenenfalls  mit  Hilfe  angedungener  Leute,  sein, 
meistens  hölzernes,  Haus  nach  dem  Muster  des  alten.  Er 
baute  mit  eigenem  Holz  oder  mit  Steinen  und  Kalk  aus  dem 
eigenen  Steinbruch,  und  so  kam  es  weder  wegen  der  Ausführung 
des  Ganzen,  noch  wegen  Entwerfung  eines  Bauplans  zu  einem 
Werkvertrag. 

Anders  bei  den  Monumentalbauten,  den  Kirchen,  städtischen 
Rathäusern  und  sonstigen  gemeindlichen  Gebäuden,  bei  den 
Brücken,  und  später  bei  den  kunstvoller  erbauten  Schlössern 
der  Fürsten  und  grossen  Herrn.  In  den  Anfängen  des  zweiten 
Jahrtausends  wird  zwar  die  Bautätigkeit  auf  diesem  Gebiete 
noch  dadurch  bestimmt,  dass  der  Bauherr  den  Stoff  zum  Bau, 
Stein,  Holz,  Kalk  selbst  besitzt,  die  Hilfskräfte,  Handlanger 
und  Taglöhner,  in  seinen  Untertanen  zur  Verfügung  hat,  und 
dass  die  Bauleitung,  sowie  die  Ausführung  künstlerisch  be- 
deutender Bauteile  in  geistlichen  Händen  liegt.  Allein  mit 
dem  Aufkommen  des  gotischen  Stils  und  der  Reformbewegung 
Bernhard  von  Clugnys  kehrten  die  geistlichen  Baumeister  und 
Handwerker  in  die  Klöster  zurück,  und  an  ihre  Stelle  traten 
Laien,  Banmeister,  die  die  Baukunst  nach  bestimmten  Regeln 
erlernt  hatten,  und  die  Steinmetzen,  die,  in  dem  neuen  Stil  ge- 
bildet, halb  Künstler,  halb  Handwerker  waren. 

Überblickt  man  die  Künstlergeschichte  dieser  Zeit  im 


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südwestlichen  Deutschland  und  in  der  untern  Rheingegend,  so 
zeigt  sich  regelmässig  folgendes  Verhältnis  zwischen  Unter- 
nehmer und  Arbeiter:  Der  Bauherr,  ein  Stift,  Kapitel,  eine 
Stadt  oder  ein  Landesfürst  bauen  immer  noch  wesentlich  aus 
eigenem  Stoff.  Nur  der  Haustein  für  die  Fassaden  muss  in 
manchen  Gegenden  z.  B.  am  Niederrhein  gekauft  werden. 
Allein  schon  der  Plan  des  Ganzen,  sowie  der  einzelnen  Teile 
muss  von  einem  Sachverständigen  entworfen,  die  Ausführung 
des  Plans  von  einem  solchen  überwacht  werden.  Wohl  mochte 
zur  Beaufsichtigung  eines  einfacheren  Baus  die  Erfahrung, 
die  sich  der  „Referent  für  das  Bauwesen“  eines  Stifts  oder 
einer  Stadt  erworben  hatte,  genügen,  allein  bei  den  monu- 
mentalen Werken  der  kirchlichen  Kunst,  wie  den  städtischen 
Münstern  und  Domen  war  die  Anwesenheit  eines  sachverständigen 
Baumeisters  unbedingt  nötig.  Bei  der  seit  dem  Beginn  des 
14.  Jahrhunderts  sich  regenden  eifrigen  Bautätigkeit  war  die 
Nachfrage  nach  solchen  Meistern  gross , und  es  war  daher 
für  den  Bauherrn  sehr  wichtig,  den  Künstler  am  Bau  zu  halten. 
So  kommt  es,  dass  bei  fast  allen  grösseren  Bauten  der  Bauherr 
bestrebt  ist,  mit  dem  Baumeister  einen  Anstellungsvertrag 
zu  schliessen.  In  einer  Unzahl  von  Urkunden  ist  dies  festge- 
legt: Der  Meister  wird  auf  ein  Jahr,  oder  auf  fünf,  zehn 
Jahre,  sehr  oft  auf  Lebenszeit  angestellt,  an  dem  Werk  zu 
arbeiten.  Er  leitet  den  Bau.  Er  erhält  einen  Jahresgehalt 
und  an  den  Tageu,  an  denen  er  selbst  mitarbeitet,  einen  fest- 
gesetzten Taglohn.  Dabei  kann  ausgemacht  sein,  dass  er  noch 
einen  andern  Bau  annehmen  darf,  oder  es  wird  ihm  dies  verboten: 
Beispiele:  1339.  „recepernnt  magistrum  Johannem  Groten  ad 
regendura,  magistrandum  et  murandum  chorum  et  ecclesiam 
supradictam  usqne  ad  consummacionem  earura“.  „Dabunt 
itaque  sibi  annuatim,  quando  per  estatem  muratur,  sex 
marcas  Lubicenscs  et  sex  ulnas  pulchri  panni  et  quolibet 
die,  quando  personaliter  cum  kella  murat  XX  denarios 
pro  precio  suo“  (Mithoff,  Mittelalterl.  Künstler  und  Werk- 
meister Niedersachsens  1883  S.  121). 

1359.  Anstellung  Johanns  von  Gemünd  als  Werkmeister  des 
Freiburger  Münsters  (Alfred  Klemm,  Württembergische 
Baumeister  und  Bildhauer  1882). 


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1370.  Vertrag  des  Rats  zu  Aachen  mit  Meister  Peter  von 
der  Kapellen  (Laurent,  Aachner  Stadtrechnungen  1866 
S.  35). 

1392  und  von  da  ab  1465,  1470  die  Anstellungsverträge  mit 
den  Ulmer  Dombaumeistern  (Klemm  S.  56). 

1423.  Anstellungsvertrag  eines  kurpfälzischen  Baumeisters 
(Jänner,  Die  Bauhütten  des  MA.  1876  S.  114). 

1453.  Verdingung  des  Rathauses  zu  Hannover  an  Meister 
Cord  im  Taglohn  (Mitthoff  S.  72). 

1458.  Vertrag  Hans  Panrs  mit  den  Kirchenmeistern  zu 
St.  Lorenz  in  Nürnberg  über  seine  Anstellung  als  Werk- 
meister (Jänner  S.  112). 

1532  noch  bekennt  Jörg  Pencz  in  einem  Revers,  gegen  ein 
Gewartgeld  dem  Rat  zu  Nürnberg  stets  zur  Verfügung 
stehen  zu  müssen  (Mitteil,  des  Vereins  für  die  Geschichte 
Nürnbergs  Heft  8 S.  246). 

Bauten,  deren  Grösse  die  Anstellung  eines  Baumeisters 
nicht  nötig  macht,  werden  von  dem  mit  der  Verwaltung  des 
Bauwesens  betrauten  Kapitular,  bei  Kirchenbauten  dem  guber- 
nator  oder  magister  operis  oder  magister  fabricae,  in  Städten 
von  einem  Ratsmitgliede,  dem  Pfleger,  Bauherr  oder  Baumeister 
genannt,  geleitet.  So  leitete  z.  B.  in  Nürnberg  das  ganze 
eigene  Bauwesen  der  Stadt,  das  die  sehr  wichtigen  Befestigungen 
mitinbegriff,  ein  Ratsherr,  der  nicht  technisch  vorgebildet  war, 
als  „Baumeister“.  Es  sei  nur  au  Lutz  Steiulinger  und  Endres 
Tücher  erinnert.  Der  Baumeister  führte  die  Verwaltung  der 
erforderlichen  Werkzeuge  und  Rohstoffe,  sowie  der  nötigen 
Gelder,  er  stellte  die  Handwerker  im  Dienstvertrage  ein.  Im 
Dienstvertrag  stand  auch  der  technische  Unterbeamte,  der 
„Schaffer  und  Anschicker  auf  der  Peunt“.  Daneben  wurden 
selbständige  Verträge  mit  Architekten,  Ingenieuren  und  Künstlern 
über  die  Anfertigung  von  Plänen,  Erteilung  von  Gutachten  usw. 
abgeschlossen  (vgl.  E.  Mummenhoff,  Das  Rathaus  in  Nürnberg 
S.  163 ff.,  P.  Sander,  Der  reichsstädtische  Haushalt  Nürnbergs 
S.  276,  278  ff.).  Ähnlich  lagen  die  Verhältnisse  bei  dem  Bau 
der  Kirche  des  hl.  Viktor  zu  Xanten  (vgl.  St.  Beissel,  Bau- 
geschichte von  St.  Viktor  zu  Xanten  1883)  und  bei  dem  Bau 
des  Münsters  zu  Basel.  Die  Steinmetzen  wurden  im  Taglohn 


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beschäftigt,  dagegen  wurde  einzeln  verdungen  die  Errichtung 
einer  Säule  1481  (Beissel,  Baugeschichte  S.  172),  eines  Lehr- 
gerüsts  1472,  des  Dachstuhls  1461  in  Basel  (Basler  Münster- 
gesch.  1896  S.  221).  Weiterhin  finden  sich  in  den  Banrechnungen 
wiederholt  Posten,  wonach  ein  auswärtiger  Baumeister  für  das 
Bestehen  des  Turms  oder  die  Prüfung  einer  Arbeit  einen  Lohn 
erhalten  hat.  Als  weitere  Beispiele  reiner  Werk  Verdingungen 
ohne  Stofflieferung  des  Unternehmers  seien  angeführt: 

1405  Vertrag  über  den  Abbruch  des  alten  Rathauses  in 
Bremen  (Das  Rathaus  von  Bremen  von  Ehmck  und  Schu- 
macher im  Bremischen  Jahrbuch  II.  Bd.  1866  S.  272). 

1483  Vertrag  über  den  Turmbau  auf  dem  Gröditzberg  (An- 
zeiger für  die  Kunde  der  deutschen  Vorzeit  Bd.  24  S.  298). 

1513  Vertrag  der  Stadt  Hamburg  mit  Hinrik  Berndes  über 
die  Errichtung  des  Turmes  bei  St.  Peter  (Mithoff  S.  33). 

1532  Vertrag  über  den  Bau  der  Elsterbrücke  in  Zeitz  (Bau- 
denkmäler der  Provinz  Sachsen  Bd.  I S.  73). 

Nach  Jänner  a.  a.  0.  S.  111  ist  der  älteste  erhaltene  Vertrag 
mit  einem  Laienbaumeister  der  1133  zu  Würzburg  mit 
dem  Baumeister  Enzelin  abgeschlossene  Vertrag,  in  dem 
cs  von  dem  Laien  Enzelin  heisst  „ . . cni  Nos  in  reparanda 
et  ornanda  ecclesia  nostra  curam  et  Magisterium  de- 
dimus  . .“. 

Ausserdem  treten,  wenn  auch  nicht  so  häufig,  Werkver- 
träge mit  Stofflieferung  des  Unternehmers  auf.  So  wurden  die 
grossen  Sandsteinfiguren  zwischen  den  Fenstern  des  Bremer 
Rathauses  zwei  Steinmetzen  als  Ganzes  verdungen  (Ehmck  und 
Schumacher  a.  a.  0.  S.  303,  381);  ferner  finden  sich  vereinzelte 
Beispiele  in  der  Baugeschichte  der  Kirche  zu  Xanten  (Beissel 
S.  174  ff.),  wo  wiederholt  dem  Meister  auch  die  Beschaffung  der 
nötigen  Hausteine  auf  seine  Kosten  und  Gefahr  übertragen 
wurde.  1543  wurde  ein  ganzes  Gewölbe  an  den  lapicida  ver- 
dungen, der  auch  das  Material  zu  liefern  hatte  (Beissel  S.  228). 
Überhaupt  kam  es  am  Niederrhein  häufig  vor,  dass  der  lapicida 
die  Hausteine  aus  seinem  eigenen  Steinbrnch  mitverdang.  Ein 
Bauunternehmertum  jedoch,  wie  es  unsere  Zeit  kennt,  bestand 
im  MA.  noch  nicht.  Die  Arbeiter,  Maurer  und  Steinmetzen 
waren  nicht  kapitalkräftig  genug;  das  Bauen  „in  eigener  Regie“ 


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überwog.  Im  Arbeitsvertrag  herrschte  vornehmlich  Zeitlohn, 
und  zwar  auch  bei  Werkverdingungen  für  Leistungen  niederer 
und  höherer  Art.  In  einer  Reihe  von  Ordnungen  wurde  aus- 
drücklich hierauf  gedrungen.  So  lautet  Art.  3 der  Steinmetz- 
ordnung von  1459  (Jänner  S.  252),  der  1563  noch  wiederholt 
wurde : 

„was  redelicher  werk  und  Gebäue  nu  zu  zitten  sind,  die 
in  Tageion  stont,  nemlich  also:  Strossburg,  Cöln  und 
Wien  und  Passauwe  und  ander  Werk  derglichen,  und  in 
den  Hütten,  so  dazu  gehöreut,  also  berkommen  sint  und 
vollbracht  untzhar  in  Tageion:  Dieselben  Beue  und  Werk 
also  vorstot,  sol  man  also  lassen  bliben  in  Tageion  und 
kein  verdinget  Werk  daraus  nit  machen  in  geheynen 
wegk,  umb  dass  dem  Werk  von  der  Gedinge  wegen  nit 
abgebrochen  werde,  also  verne  es  an  im  stott“. 

Noch  1560  arbeitet  der  Meister,  der  den  Bau  eines  Schiffs 
übernommen  hat,  nach  der  Lübecker  Schiffszimmerleuterolle  im 
Tagelohn.  Ja,  noch  1610  wird  die  künstlerische  Deckenmalerei 
des  Nürnberger  Rathaussaales  im  Zeitlohn  verdungen  (Mummen- 
hoff S.  120). 

Diese  Sitte  hat  ihren  Grund  in  der  Befürchtung  des  Be- 
stellers, die  Arbeit  werde  schlecht  gemacht,  wenn  er  sie  in 
Akkord  verdinge.  Berthold  von  Regensburg  drückt  dies  be- 
zeichnend ans: 

„Unde  sie  sulnt  alle  samt  getriuwe  und  gewaere  sin  mit 
ir  amten,  sie  wirken  tagewerk  oder  fürgrif,  wan  daz  tnout 
in  dem  amte  vil  zimberliute  unde  Steinmetzen.  Unde 
wirkent  sie  tagewerk,  si  sulnt  nilit  deste  traeger,  daz 
der  werke  manniges  werde.  Ist  ez  fürgrif,  so  solt  du 
niht  deste  balder  da  von  ilen,  daz  dü  sin  schiere 
abe  kumest  unde  daz  ez  über  ein  j&r  oder  über  zwei 
darnider  valle;  dü  solt  es  mit  triuwen  wirken,  reht  in 
der  wise,  als  ob  ez  din  selbes  waere:  so  sachest  dü  gerne, 
wie  getriuwcliche  man  dir  würhte“  (X.  Predigt,  Pfeiffer 
I.  Bd.  1862  S.  147). 

Zu  diesen  Gründen  mag  noch  kommen,  dass  an  den  grossen 
Kirchenbauten  jahrelang  gebaut  wurde,  und  es  daher  auf  Zeit- 
ersparnis nicht  allzusehr  ankam,  dass  überhaupt  das  Interesse 


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an  möglichst  rascher  Lieferung  in  jenen  Zeiten  noch  nicht  in 
dem  Masse  wie  heute  entwickelt  war.  Mitgewirkt  hat  auch 
wahrscheinlich  das  ursprüngliche  ältere  Verhältnis,  wo  der 
Arbeiter  unter  der  unmittelbaren  Leitung  des  Arbeitgebers 
arbeitete,  und  schliesslich  die  noch  heute  bestehende  Abneigung 
des  Arbeiters  gegen  den  Akkordlohn,  der  zu  einem  schärfern 
Konkurrenzkampf  unter  den  Arbeitnehmern  führt. 

Es  wäre  nun  falsch,  wollte  man  aus  der  Tatsache,  dass 
die  Herstellung  einer  grossen  Anzahl  von  Bauten  und  Kunst- 
werken im  Zeitlohn  erfolgte,  den  Schluss  ziehen,  es  läge  in 
solchen  Fällen  ein  Dienstvertrag  vor.  Vielmehr  ergibt  sich  in 
einer  Reihe  von  Fällen  klar  der  Vertragswille  der  Parteien, 
den  Unternehmer  für  den  Eintritt  des  zu  bewirkenden  Erfolgs 
haften  zu  lassen,  zum  Teil  aber  schliesst  schon  die  Natur  der 
zu  bewirkenden  Leistung  eine  Anweisung  oder  Leitung  des 
Bestellers  vollkommen  aus  (vgl.  zu  der  begrifflichen  Seite  der 
Frage  1.  51  § 1 Dig.  19,  2 und  neuerdings  die  hieran  geknüpften 
Erörterungen  bei  Rümelin,  Dienstvertrag  und  Werkvertrag 
1905  S.  42  ff.). 

4.  Auch  das  Münzgeschäft  gab  Anlass  zum  Abschluss  von 
Werkverträgen.  Es  kam  zwar  seit  Karl  dem  Grossen  immer 
mehr  in  die  Hand  des  Staats;  die  Münze  wurde  entweder  in 
Pacht  gegeben  oder  aber  der  Landesherr  betrieb  selbst  das 
Münzgeschäft  und  stellte  den  Münzer  im  Dienstvertrag  an.  Da- 
neben blieb  jedoch  immer  noch  Raum  für  das  Lohnwerk.  Der 
Münzer  prägte  jedem,  der  Stoff  zum  Münzen  brachte,  im  Werk- 
verträge das  Metall  in  neue  Münzen  um.  Im  MA.  hatte  dies 
Geschäft  noch  viel  grössere  Bedeutung,  als  unter  unsern  heutigen 
Münzverhältnissen  (vgl.  Eheberg,  Münzwesen  S.  103,  110, 
von  Inama-Sternegg,  Wirtschaftsgesch.  II  392,  423). 

5.  Die  im  modernen  Gewerbe  vielfach  übliche  Arbeit  um 
Stücklohn  kommt  auch  im  MA.  schon  vor.  Allein  dieses  Ver- 
hältnis, das  in  der  Regel  nicht  zwischen  dem  Kunden  und  dem 
eigentlichen  Unternehmer,  sondern  zwischen  diesem  und  seinen 
Arbeitskräften  besteht,  und  das  nicht  schlechthin  den  Schluss 
auf  das  Vorliegen  von  Dienstvertrag  oder  Werkvertrag  zulässt, 
vielmehr  in  beiden  Vertragsformen  sich  denken  lässt,  wurde  im 
allgemeinen  nicht  als  wünschenswert  betrachtet.  Vielmehr  war 


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der  Lohn  der  Gehilfen  und  Lehrlinge  durch  die  zlinftlerischen 
Taxordnungen  fast  durchweg  nach  Zeit  bemessen,  ja  verschiedent- 
lich war  Stücklohn  geradezu  verboten , so  nach  der  Ulmer 
Barchentschauordnung  von  1419  (bei  Nübling,  Ulms  Baumwollen- 
weberei im  MA.  [Schmoller,  Forschungen  Bd.  9]  S.  11)  für  die 
Beschäftigung  der  Karterknechte , und  nach  der  Armbruster- 
ordnung  in  Strassburg  von  1449  (Brücker,  Strassburger  Zunft- 
und  Polizeiordnungen  1889  S.  18)  für  die  Gehilfen.  Dagegen 
war  Entlohnung  nach  Stückwerk  zugelassen  für  die  Gesellen 
der  Böttcher  der  5 Seestädte  Hamburg,  Lübeck,  Wismar,  Stral- 
sund, Rostock  1494. 

6.  Ein  dem  Mittelalter  eigentümlicher  Gedanke  ist  das  Ver- 
bot des  „ fürkauf“,  das  für  die  Entwicklung  des  Unternehmer- 
tums von  grösster  Bedeutung  ist.  Nach  einer  Reihe  von  Rechten 
war  es  nämlich  verboten,  dass  der  Unternehmer  selbst  den 
Stoff  einkaufte  (fürkauf)  und  dann  das  fertige  Werk  lieferte. 
Im  Baumeisterbuch  des  Endres  Tücher  (1464 — 1475)  heisst  es: 
„Auch  so  soll  furpass  kein  zimmerman  der  meister  ist, 
keinen  furgriff  besteeu,  da  im  jemant  zimberholtz,  pretter 
oder  keinerlay  ander  zeug  verding,  woll  mag  einer  umb 
sein  arbeit  fürgriff  machen,  also  daz  er  nichtsz  anders 
verding  denn  die  arbeit  allein  on  den  zeug“. 

Man  kann  zwar  mit  dem  Arbeiter  einen  Akkordvertrag 
(fürgriff)  abschliessen,  so  dass  ihm  eine  Arbeit  als  Ganzes  gegen 
eine  feste  Vergütung  ohne  Zeitlohn  verdungen  wird,  aber  hier- 
bei darf  der  Unternehmer  kein  Material  liefern,  sondern  der 
Vertrag  darf  lediglich  den  durch  die  Arbeit  zu  bewirkenden 
Erfolg  zum  Gegenstand  haben.  Der  Unternehmer  soll  mit  dem 
toten  Stoff  keinen  Spekulationsgewinn  erzielen.  Bücher  (Artikel 
„Gewerbe“  a.  a.  0.)  erklärt  diese  im  MA.  weit  verbreitete  An- 
schauungsweise im  Anschluss  an  eine  Frankfurter  Steinmetz- 
ordnung von  1355  („.  . . uff  das  yman  bedrogen  werde“)  da- 
hin, der  tote  Stoff  solle  kein  Erwerbsmittel  bilden,  sondern  nur 
die  lebendige  Arbeitskraft.  In  dieser  Allgemeinheit  ist  der  Satz 
nicht  ganz  richtig,  denn  er  steht  im  Widerspruche  mit  der  Tat- 
sache, dass  im  MA.  in  vielen  Gewerben  das  Handwerk  herrschte. 
Bei  der  Erklärung  muss  auch  die  strenge,  zünftlerische  Gliederung 
des  Gewerbes  berücksichtigt  werden,  nach  der  jeder  auf  einen 


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eng  begrenzten  Kreis  von  Tätigkeit  verwiesen  war  und  ein 
Hinübergreifen  auf  fremdes  Gebiet  strengstens  verpönt  war 
(vgl.  hierzu  auch  Gierke,  Genossenschaftsr.  Bd.  I S.  390). 

Aus  dem  Gesagten  ergibt  sich,  dass  die  gesellschaftlichen 
und  wirtschaftlichen  Verhältnisse  schon  frühe  so  gelagert  waren, 
dass  das  Vertragsleben  Formen  aufweisen  konnte  und  tatsäch- 
lich aufwies,  die  juristisch  unter  den  Begriff  des  Werkvertrags 
gereiht  werden.  Es  wird  nun  darzustellen  sein,  wie  das  Recht 
jener  Zeit  den  dem  Werkvertrag  zugrunde  liegenden  eigentüm- 
lichen Tatbestand  erkannt  und  ihn  entsprechend  in  der  Ge- 
staltung seiner  materiellen  Sätze  berücksichtigt  hat. 


2.  Abschnitt 

Begriff  und  Abgrenzung  des  Werkvertrags  und 
die  Ausdrueksweise  der  Quellen. 

1.  Mittelalterliche  Rechtsaufzeichnungen  haben  theoretisch 
einen  Werkvertragsbegriff  nicht  aufgestellt.  Es  ist  dies  in  den 
Verhältnissen  der  ganzen  Rechtsentwicklung  begründet.  Das 
ältere  Recht  hat  sogar  nicht  einmal  einen  gemeinsamen  Namen 
für  die  Werkverträge  gefunden.  Denn  die  Quellen  kennen 
weder  den  Ausdruck  „Werkvertrag“  noch  den  Ausdruck  „Werk- 
miete“. Dieses  letztere  Wort  ist  nicht  von  dem  Worte  „mieten“ 
in  unserm  heutigen  Sinne,  einen  Gegenstand  entgeltlich  zum 
Gebrauch  erhalten,  abgeleitet,  sondern  hängt  mit  dem  mittel- 
hochdeutschen Worte  miet  zusammen,  das  gleichbedeutend  und 
etymologisch  verwandt  ist  mit  f<toitös , und  den  Begriff  Lohn, 
Preis,  Gabe,  Gescheuk  umfasst.  Von  ihm  erst  ist  das  Wort 
mieten  abgeleitet,  das  am  häufigsten  in  der  Bedeutung  vorkommt: 
Eine  Örtlichkeit  entgeltlich  zur  Verfügung  erlangen,  einen 
Arbeiter  für  eine  Verrichtung  dingen.  In  diesem  letztem  Falle 
ist  aus  dem  Ausdruck  mieten  uicht  der  Schluss  auf  einen  Dienst- 
vertrag zulässig,  wenn  er  auch  bei  Werkverdingungen  selten 
vorkommt  (vgl.  hierzu  Grimm,  WB.  VI  2175,  2178,  Schmeller, 


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WB.  II  1697).  Sonach  hat  der  Ausdruck  Werkmiete  nur  die 
Bedeutung:  Verdingung  eines  Werks  gegen  Entgelt. 

Auch  aus  dem  Gebrauche  des  Wortes  dingen,  gedinge  kann 
kein  Schluss  auf  die  juristische  Natur  des  betreffenden  Vertrags 
gezogen  werden.  Die  Quellen  drücken  sich  folgendermassen  aus : 

Dingt  ein  man  den  andern  an  sin  werk  . . . Augs- 
burger Stadtr.  A.  129  (Meyer  S.  214). 

Dinget  ein  man  sein  guet  über  land  es  sei  wein  wachs 
. . . Wiener  Stadtr.  A.  55. 

Dinget  ainer  ainen  furman  wein  auf  umb  lone  . . . 
Bayr.  Landr.  von  1346  XXVII  Kap.  346  (v.  Freyberg  IV 
S.  497). 

Dieselben  Beue  und  Werk  also  vorstott  sol  man  also 
lassen  bliben  in  Tageion  und  kein  verdinget  Werk  daraus 
nit  machen  . . . Steinmetzordn,  von  1459  Art.  3 (oben 
S.  12). 

„ . . . wor  on  abir  doheym  verdingen  wil  . . .“  Ver- 
trag der  Stadt  Leipzig  mit  dem  Vorsprechen  1461  (Leip- 
ziger UB.  I 276);  verdingen  ist  hier  gleich  andingen,  eine 
Abrede  mit  ihm  treffen. 

wen  ein  jeglich  Meister  ein  Werk  verdinget  . . . Stein- 
metzordn. von  1465  (Jauner  S.  254). 

. . . Man  sol  auch  dhynnan  fürder  dliein  werglfite 
weder  murer,  zymberlfite,  noch  ander  tagner  in  dem 
münster  nit  dingen,  noch  dhein  iibereinkomen  mit  inen  tun 
von  dlieins  gebuwes  noch  Werkes  wegen  . . . Strassburger 
Polizeiordn,  von  1468  (Brücker  S.  386). 

So  jemand  verlest  oder  verdingt  leijungen  knaben  oder 
meydlin  zu  lernung  eines  hantwerchs  oder  ander  kunst 
Nürnberger  Reform,  von  1479  25.  Titel  10.  Ges. 

„.  . . . das  wir  off  beydin  teilen  eyne  eynung  und  ge- 
dinge traffin  und  gemacht  habin  also  dass  . . . Vertrag 
des  Rats  zu  Liegnitz  mit  Nickil  Smed  1481  (Anz.  f.  d. 
Kunde  der  deutschen  Vorzeit  Bd.  24  S.  296). 

. . aber  steiu  zu  hoyen  . . sol  man  tun  mit  den 
gedingten  werkluten  die  iren  steten  Ion  habent  oder  obe 
es  witer  not  dete,  in  verdinge  und  keinem  tagelone. 
Strassburger  Bauordn  vou  1485  (Brücker  S.  132). 


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Adam  Kraft  confitetur  das  im  S.  Sehr,  und  M.  S.  ange- 
dingt haben  die  figur  . . . Vertrag  Adam  Krafts  1490 
(Repertorium  für  Kunstwissenschaft  Bd.  25  S.  360ff.). 

haben  ein  ehrbar  und  aufrichtig  geding  gehalten  . . . 
Baukontrakt  des  Rats  zu  Brieg  mit  Jakob  Baar  (Anz. 
für  die  Kunde  der  deutschen  Vorzeit  Bd.  25  S.  80). 

wath  de  borger  offte  inwoner,  dede  buwen  leth,  also 
bediugeth,  dat  schall  eme  de  mester  holden.  Lübecker 
Zunftrolle  der  Maurer  und  Dachdecker  1527  (Wehrmann 
S.  332). 

In  der  Holzorduung  des  Landrechts  zu  Lofer  und  Unken 
Art.  6 (Österr.  Weistümer  I.  Bd.  Die  Salzburg.  Taidinge  von 
Siegel  und  Tomaschek)  heisst  es,  dass  gewöhnlich  die  Anlieger 
des  Walds  als  „holzmaister  und  fürgedinger  solcher  wäld“  ge- 
braucht werden. 

Aus  den  angeführten  Stellen  ergibt  sich:  dingen  (mit  dem 
Akkusativ  der  Person)  heisst  gewöhnlich  eine  Person  gegen 
Entgelt  in  Dienst  nehmen.  Wenn  es  heisst,  an  ein  werk  dingen, 
so  ist  damit  nur  der  Gegenstand,  an  dem  die  Dienste  zu  leisten 
sind,  bezeichnet.  Im  weitern  Sinn  aber  heisst  dingen  unter- 
handeln, verhandeln,  Vertrag  abschliessen.  Daher  ist  das  ge- 
dinge,  wie  vor  allem  die  Künstlerverträge  bezeichnet  werden, 
sowie  die  „Andiugung"  ein  Vertrag  überhaupt  (vgl.  auch 
Puutschart,  Schuldvertrag  und  Treugelöbnis  S.  51,  53;  Grimm, 
Rechtsaltertümer,  4.  Aufl.  Bd.  II  S.  140  ff.).  Dagegen  ist  „ver- 
ding“ der  Arbeitsvertrag,  bei  dem  die  Entlohnung  nicht  nach 
Zeitabschnitten  erfolgt,  sondern  als  Gesamtsumme  für  das 
ganze  Werk  gewährt  wird.  Derjenige,  der  ein  Werk  als 
Ganzes  übernimmt,  unser  Unternehmer,  heisst  entsprechend 
„fürgedinger“  (vgl.  hierzu  die  übereinstimmenden  Angaben  bei 
Grimm,  WB.  II  1170,  Schmeller  I 517;  ferner  Grimm,  Kleine 
Schriften  IV  332). 

Als  sprachlich  durchaus  klares  Beispiel  einer  Werk- 
verdingung ist  oben  ausser  den  dem  Frachtrecht  entnommenen 
Stellen  die  Steinmetzordnung  von  1465  angeführt.  Als  weitere 
Stellen  kommen  hierfür  in  Betracht: 

a)  Ez  sol  auch  kain  maister  nach  disem  geböte  niht  mer 
werke  besten  denne  ain  werk,  weder  ze  furgriffe  noch 

Uothenbucher,  Werk\ertrag  - 


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sust  . . . Nürnberger  Bauordnung  aus  dem  13.  und 
14.  Jahrhundert  (Baader,  Nürnb.  Polizeiordn.  S.  286);  für- 
griff ist  gleich  furgeding,  Akkord  (Grimm,  Kleine 
Schriften  IV  332,  WB.  IV  737,  vgl.  auch  die  oben 
S.  12  angeführte  Stelle  bei  Bcrthold  von  Regeusburg). 

Es  sol  auch  der  meister  oder  die  solichs  werk  be- 
standen hent,  uut  fürder  verdingen  . . . Steinmetz- 
ordnung von  1459  (Jänner  S.  254);  Verbot  der  Unter- 
verdingung für  den  Werkunternehmer. 

So  ain  Werckmaister  oder  jemauds  anders  ein  werk 
zu  machen  bestanden  oder  angenomen  . . . Clmr- 
pfälz.  Landr.  von  1582  II.  Teil  4.  Titel. 

b)  Swer  guot  aufnimpt  ze  fürn  umb  Ion  . . . Münchner 
Stadtrecht  A.  283  (Auer  S.  109);  ebenso  Portenbeschluss 
von  1557  (bei  Börlin,  Transportverbände  und  Transport- 
recht der  Schweiz  1896  S.  58). 

Item  wan  ein  schefman  annymbt  gevasst  wegen  . . . 
Rechte  au  dem  Urfar  zu  Nussdorf  1450  (Grimm,  Weis- 
tümer  III  704). 

. . . dass  Meister  M.  A.  Steinmetz  mit  dem  Kapitel  zu 
Xanten  Übereinkommen  ist  und  angenommen  hat  . . . 
eine  steinerne  Säule  im  Dom  zu  errichten  1481  (Beissel, 
Baugesch.  S.  172). 

Wenn  auch  ein  wergkmeister  oder  arbeiter  auffnymbt 
oder  dingt  ein  werk  oder  arbeit  zu  machen  . . . Wormser 
Reform,  von  1498  V.  Buch  II.  Teil  (loc.  cond.),  wenn  auch 
römischrechtlich,  so  doch  übereinstimmend  die  deutsche 
Ausdrucksweise. 

Item  ein  schepestimmermann  die  ein  schiff  annympt 
tho  buwende  . . . steht  im  Zeitlohn  nach  den  Lübecker 
Schiffsziminerleuteartikeln  1560  (Wehrmann  S.  405). 

c)  Wenn  sich  aiu  werchman,  er  sey  maurer  oder  zimermann 
oder  decker,  ains  werchs  unterwint  ze  taglon  oder  ze 
fürding,  daz  selb  werch  sol  er  mit  seinen  gesellen  volfürn 
und  volpringen,  und  sol  auch  an  chain  ander  werch  die 
zeit  nicht  sten  und  sol  daraus  nicht  gen  . . . Münchner 
Stadtr.  A.  472  (Auer  S.  180). 

Wo  sich  auch  ein  maister  ain  er  arbeit  oder  gepäus 


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untersteht  und  annympt  . . . Bayr.  Landr.  von  1518 
42.  Tit.  4.  Art. 

d)  Int  erste  dat  welch  man  werck  verdinget,  id  were 
malwerck  edder  glasewerk  . . . 1474  Lübecker  Maler-  und 
Glaserordnung  (Wehrmann  S.  329).  Hier  ist  nur  Werk- 
vertrag möglich,  da  es  den  Zunftgenosseu  verboten  ist, 
to  vorfang,  auf  Vorrat  zu  arbeiten,  und  Glas-  oder  Mal- 
werk feil  zu  halten. 

. . . hat  ein  erbar  Rat  zu  Zeitz  Meister  Bezolten  in 
Werkstücke  verdingt,  ein  crucifix  1532  (Baudenkmäler 
der  Provinz  Sachsen  Bd.  I S.  75). 

Die  angeführten  Stellen  lassen  zum  Teil  deutlich  erkennen, 
dass  die  mittelalterliche  Anschauungsweise  die  Übernahme 
eines  Werks  als  Ganzen  (ein  werk  besten,  ein  werk  annemen, 
ein  werk  aufnemen)  als  eine  Vertragsform  erkannt  hat,  bei  der 
sowohl  Akkord-  wie  Zeitlohn  Vorkommen  kann.  Erst  mit  der 
Aufnahme  des  römischen  Rechts  wird  die  Unterscheidung  von 
Zeitlohn  und  Akkord  für  die  Abgrenzung  von  Dienst-  und 
Werkvertrag  von  Bedeutung,  bei  Zasius,  Komm,  zu  den  Dig. 
fol.  711  L.  XVIII  de  verb.  obl.  [Ausgabe  von  Freigius  1571]. 
Die  Abgrenzung  des  Werkvertrags  von  den  übrigen  Arbeits- 
verträgen wird  ja  schwierig  nur  bei  jener  Gruppe  von  Ver- 
trägen, bei  der  nicht  der  Stoff  dem  Arbeiter,  womöglich  in 
seine  Behausung  übergeben  wird,  sondern  der  Unternehmer  bei 
Bauwerken  und  Schiffbauten,  also  an  fremder  Arbeitsstätte 
seine  Arbeiten  voruimmt,  und  wo  gleichzeitig  neben  ihm  andere 
Arbeiter  im  reinen  Dienstvertrag  und,  wie  er,  im  Zeitlohn  be- 
schäftigt sind.  Denn  hier  kann  nur  die  Art  der  zu  leistenden 
Arbeit  und  das  sich  hieraus  ergebende  Verhältnis  zum  Arbeit- 
geber ein  Unterscheidungsmerkmal  sein.  In  all  den  Fällen 
aber,  wo  verding  vorliegt,  wird  der  Vertrag  rechtlich  als  Werk- 
miete anzusehen  sein. 

Es  besteht  nun  in  der  Ausdrucksweise  der  Quellen  eine 
eigentümliche  Analogie  zwischen  dem  deutschen  und  dem 
römischen  Recht.  Man  sagt  nämlich  ein  werk  besten  (nach 
Grimm  opus  aggredi),  einen  furgrif  besten,  daneben  hat 
besten  die  Bedeutung  mieten,  „ein  Schiff,  ein  Fahrzeug  besten; 
„Bestand“  ist  gleich  Miete.  Dem  entspricht  im  römischen 

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Recht  opus  conducere,  rem  conducere.  Es  läge  nahe,  in 
beiden  Fällen  besten  und  conducere  als  „in  räumliche  Gewalt 
nehmen“  aufzufassen.  Es  scheint  mir  dies  jedoch  zu  gewagt, 
vielmehr  wird  mau  besten  im  Werkvertrag  so  aufzufassen 
haben,  dass  es  „annehmen,  übernehmen,  unternehmen“  bedeutet. 
(Immerhin  ist  darauf  hiuzuweisen,  dass  auch  das  nordgermanische 
Recht  in  dem  Worte  leiga  = Miete  eine  einheitliche  Bezeichnung 
für  Sach-,  Dienst-  und  Werkmiete  hat,  die  dem  deutschen  „Be- 
stand“, der  römischen  „conductio“  entsprechen  würde,  so  dass 
die  Annahme  nicht  ganz  ausgeschlossen  wäre,  es  möchte  hier 
doch  nach  der  primitiven  Rechtsanschauung  im  Grunde  eine 
Einheit  dieser  drei  Verträge  bestehen.  Über  den  Gebrauch 
des  Wortes  leiga,  legha,  gotl.  laigha  vgl.  v.  Amira,  Nordgerman. 
OblR.  I 610,  632,  636,  649,  II  740,  741.) 

Der  Werkvertrag  ist  ein  entgeltlicher  Vertrag.  Die  Quellen 
betonen  dies  auch  überall. 

„gibt  eyner  dem  andirn  zcu  machin  gewant  adir  silbir  adir 

andir  ding  und  man  ym  dovon  Ionen  zal  vor  seyne  erbeit . . 
Schöffenrecht  der  Dresdner  Handschrift  (Wasserschieben  S.  111); 
Das  Lübische  Recht  von  1294  (Hach  S.  347);  Hamburger  Recht 
von  1292  H.  XXIII  und  von  1497  L.  VIII  (Lappenberg);  Augs- 
burger Stadtrecht  A.  133  (Meyer  S.  217);  Regensburger  Stadtr. 
(Freyberg  V S.  37);  Alte  Culm  V 3;  Ruprecht  von  Freising 
I 162  (Maurer);  Münchner  Stadtr.  A.  164,  472  (Auer);  Bayr. 
Landr.  von  1346.  XXVII.  Kap.  347.  Art. ; Stadtr.  von  Lüneburg 
(Kraut  S.  51);  Glogauer  Rechtsbuch  cap.  600  (Wasserschieben). 

Gegenstand  des  Werkvertrags  ist  die  Bearbeitung  des 
übergebenen  Stoffs,  Herstellung  einer  neuen  Sache  aus  den 
übergebenen  Bestandteilen,  wobei  die  geistige  Leitung  und 
daher  auch  die  Verantwortlichkeit  für  den  Erfolg  beim 
Unternehmer  steht.  Gegenstand  des  Werkvertrags  ist  aber 
auch  weiterhin  Bewirkung  irgend  eines  Erfolgs,  auch  eines 
geistigen  Erfolgs. 

Zunächst  kommt  hier  der  Erziehungsvertrag  in  Betracht. 
Hier  lagen  die  Verhältnisse  im  MA.  folgendermassen : Das 
Lesen,  Schreiben  und  Rechnen  wurde  von  kundigen  Personen, 
den  Schulmeistern  oder  „deutschen  Schreibern“,  für  die  jttngern 
Altersklassen  auch  von  Schulfraueu  gelehrt.  In  den  kleineren 


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städtischen  Gemeinwesen,  wo  nicht,  wie  in  den  bedeutenderen 
Städten  ein  grösseres  Angebot  von  Lehrkräften  bestand,  suchte 
man  sicli  einen  Schulmeister  dadurch  zu  sichern,  dass  man 
gegen  einen  festen  Gehalt  eine  hierzu  geeignete  Person  an- 
stellte, die  selbständig  und  auf  eigene  Rechnung  die  Erziehungs- 
verträge mit  den  Eltern  der  Schüler  abschloss.  Da  kein  Schul- 
zwang bestand,  ergab  sich  also  allenthalben  die  Notwendigkeit, 
privatrechtliche  Erziehungsverträge  abzuschliessen,  für  die  denn 
auch  besondere  Rechtsregeln  galten  (vgl.  Mone,  Das  Schulwesen 
vom  13.  bis  16.  Jahrh.  in  der  Zeitschrift  für  die  Gesch.  des 
Oberrheins  Bd.  I,  II,  Sander,  Der  reichsstädtische  Haushalt 
Nürnbergs  S.  225).  Dagegen  lag  der  höhere  Unterricht  in  der 
Regel  in  geistlichen  Händen,  jedoch  kamen  auch  hier  An- 
stellungen von  städtischen  Schulmeistern  im  obigen  Sinne  vor, 
wobei  die  Rechtsverhältnisse  zwischen  Schülern  und  Lehrer 
ausdrücklich  geregelt  waren  (Bestallung  des  latein.  Schul- 
meisters von  Überlingen,  die  mit  wenigen  Veränderungen  von 
1465  bis  1608  galt;  bei  Mone  II  S.  153). 

Beim  Lehrlingsvertrag  treten  die  Normen,  die  über  die 
Erziehungspflicht  des  Lehrherrn  gelten,  gegenüber  den  die 
Dienstpflicht  des  Lehrlings  betreffenden  zurück. 

Es  ist  nach  der  Natur  der  hier  zu  bewirkenden  Leistungen 
die  Annahme  eines  Dienstvertrags  für  den  Erziehungsvertrag 
ausgeschlossen,  allein  es  ergibt  sich  hieraus  auch,  dass  nicht 
alle  Regeln,  die  für  den  Werkvertrag  gelten,  Anwendung  finden 
können,  besonders  insoweit  sie  sich  auf  die  Eigenschaften  des 
Werks  und  dessen  Fertigstellung  und  Abnahme  beziehen. 

Weiter  muss  noch  auf  den  Vertrag  mit  dem  Für- 
sprechen eingegangen  werden  (vgl.  zu  dem  Folgenden  Nietsche, 
de  prolocutoribus,  Leipzig  1831;  G.  L.  Maurer,  Geschichte  des 
Gerichtsverfahrens  1824  S.  123 — 132;  Planck,  Gerichtsverf.  im 
MA.  1878  Bd.  I S.  194  ff. ; ferner  Weissler,  Geschichte  der 
Rechtsanwaltschaft  1905  S.  34  ff.).  Im  mittelalterlichen  Prozess- 
verfahren ist  es  allgemein  üblich,  dass  die  Parteien  vor  Gericht 
sich  eines  Vorsprechen  bedienen,  der  ihnen  auf  ihr  Ansuchen 
für  die  Dauer  des  Dings  vom  Richter  bestellt  wird.  Vorsprech 
kann  jeder  sein,  der  im  Ding  vollberechtigt  aufzutreten  befugt 
ist;  aber  es  bildet  sich  sehr  bald  allgemein  der  Brauch  heraus, 


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nur  besonders  rechtskundige  Männer  hierzu  zu  wählen.  Für 
unsere  Frage  kommt  es  nun  wesentlich  darauf  an,  in  welchem 
Verhältnisse  der  Fürsprecher  und  sein  Schützling  zu  einander 
stehen.  Der  Fürsprecher  hat  zunächst  die  Aufgabe,  die  durch 
den  Prozessformalismus  genau  bestimmten  Erklärungen  seiner 
Partei  abzugeben,  vor  allem  die  Fragen  an  das  Gericht  zu 
stellen.  „Er  darf  nur  sprechen,  was  ihm  die  Partei  aufge- 
tragen hat“,  jede  seiner  Erklärungen  muss  von  der  Partei  ge- 
nehmigt werden.  Allein  er  ist  nicht  das  Sprachrohr  seiner 
Partei.  Vielmehr  hat  er  die  ihm  von  der  Partei  gemachten 
Angaben  vermöge  seiner  Erfahrung  und  seiner  Rechtskunde 
möglichst  günstig  zu  verwerten.  Er  hat  die  für  das  Vorbringen 
der  Partei  günstigste  Form  zu  wählen,  und  es  ist  seiner  Ge- 
schicklichkeit überlassen,  dem  Richter  und  dem  Gegner  geeignet 
gegenüberzutreten.  Er  hat  die  Pflicht,  die  Partei  zu  beraten 
sowohl  hinsichtlich  der  Wahl  der  Prozessmittel  und  der  zu 
unternehmenden  Schritte,  als  auch  hinsichlich  ihres  Verhaltens 
vor  Gericht.  Er  steht  überhaupt  in  einem  Treuverhältnis  zur 
Partei  und  hat  für  den  Leichnam  eines  hingerichteten  Ange- 
klagten und  dessen  Beerdigung  zu  sorgen. 

Es  ergibt  sich,  dass  zwar  die  Partei,  entsprechend  dem 
heutigen  Rechte,  dem  Fürsprech  Weisungen  erteilen  kann,  dass 
sie  aber  auf  die  Art  ihrer  Ausführung  naturgemäss  keinen  Ein- 
fluss hat,  da  diese  eben  von  der  der  Partei  fehlenden  Ge- 
schäfts- und  Rechtskunde  abhängig  ist.  Danach  kann  das 
Rechtsverhältnis  nicht  als  Dienstvertrag  bezeichnet  werden. 
Dem  steht  auch  nicht  entgegen,  dass  die  Partei  das  Recht 
hatte,  den  Erklärungen  des  Fürsprechen  die  Genehmigung  zu 
versagen  — wovon  übrigens  wohl  nur  äusserst  selten  Gebrauch 
gemacht  wurde  (Planck  a.  a.  0.  S.  202)  — , denn  dies  war  nur 
für  den  Prozess,  nicht  für  das  zwischen  ihr  und  dem  Fürsprech 
bestehende  Vertragsverhältnis  von  Bedeutung.  Ausserhalb  des 
Gebiets  des  Sachsenspiegels  konnten  aus  den  Freunden  der 
Partei  einer  oder  zweie  dem  Fürsprech  als  Beiständer  zur  Seite 
gestellt  werden,  die  ihn  zu  beaufsichtigen  und  ihm  mit  Rat 
beizustehen  hatten.  Auch  hierdurch  wird  die  Leistung  des  Für- 
sprecher nicht  zu  einer  Dienstleistung.  Denn  die  Aufsicht 
konnte  nur  den  Zweck  haben,  die  Partei  vor  der  Bestätigung 


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zu  warnen ; und  durch  Ratschläge,  die  ein  Beiständer  dem  Für- 
sprech erteilte,  wurde  dessen  Stellung  zur  Partei  nicht  ver- 
ändert. (Nicht  hierher  gehören  die  „Vorsprecher  des  Rechtens“, 
wie  sie  im  Gebiete  des  bayrischen  Rechts  an  die  Stelle  der 
Schöffen  getreten  waren;  vgl.  Schröder,  Rechtsgesch.  3.  Aufl. 
S.  554.) 

Lässt  sonach  die  Natur  der  vom  Fürsprech  zu  bewirkenden 
Leistung  die  Auffassung  eines  Werkvertrags  zu,  so  kommt  es 
noch  darauf  an,  ob  die  Tätigkeit  entlohnt  wurde.  Nach  der 
älteren,  ursprünglichen  Auffassung  musste  das  Amt  des  Vor- 
sprechers, zu  dessen  Übernahme  jeder  Dingpflichtige  auf  Grund 
seiner  Dingpflicht  verpflichtet  war,  unentgeltlich  versehen 
werden.  Das  „heilige  Recht“  soll  man  nicht  kaufen  und  ver- 
kaufen (vgl.  die  bei  Weissler  S.  54  angeführten  Belegstellen). 
Nach  sächsischem  Recht  war  eine  Entlohnung  nicht  üblich,  und 
erst  die  Glosse  Johann  v.  Buchs  zu  Sachsenspiegel  I 60  ver- 
teidigt mit  Berufung  auf  das  „kaiserliche  Recht“  die  Zulässig- 
keit der  Entlohnung. 

„Ick  segge  dy  dat,  dat  ein  vorspreke  sick  wol  mfit 
meden  laten.  . . “ 

Damit  stimmen  überein  Deutschenspiegel  78,  Schwaben- 
spiegel Art.  72,  Kulm  V 61  §§  1,  6,  Magdeburger  Schöffen  recht 
II  1 c.  19,  ferner  die  Magdeburger  Fragen  (cap.  V dist.  2). 

„Un  dir  windet  sich  eyn  bedirman  voi  spreche  zu 
syn  in  Sachen  um  benant  Ion,  das  ist  man  ym 
pflichtig  czu  gebin.  Tliut  er  es  uff  genade  sunder 
benant  Ion,  so  stet  is  au  deme,  des  dy  sache  ist,  also 
daz  her  deme  vorspreche  syne  arbeit  lone.  (Man  beachte 
auch  hier  den  Ausdruck  „sich  unterwinden“ !) 

Dagegen  fiudet  sich  in  anderen  Quellen  schon  früh  (1240 
in  Lübeck)  der  Grundsatz  der  Entlohnung.  Hamburger  Stadtr. 
von  1292  III.  B.  (Lappenberg),  Bremer  Stat.  von  1341  (Oelrichs 
S.  232),  Hannoversches  Stadtr.  (herausgeg.  von  Brönnenberg 
1844  S.  379),  Regensburger  Stadtr.  (v.  Freyberg,  V S.  61), 
Statuten  der  freien  Reichsstadt  Cöln  von  1463  A.  73;  Prager 
Stadtr.  77.  Art.  von  1354  (Förstemann  1845),  ferner  die  bei 
Weissler  S.  56  angeführten  Belegstellen.  Es  hängt  dies  mit 
der  berufsmässigen  Ausübung  des  Amts  zusammen,  wie  sie 


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vornehmlich  in  den  Städten  aufkam  (Planck  S.  207).  So  kam 
es,  dass  nicht  nur  der  vereinbarte  Lohn,  sondern  überhaupt 
eine  Taxe  gezahlt  werden  musste.  Hiervon  waren  nur  die 
Armen  befreit.  Schwsp.  Art.  72;  Alte  Culm  V § 61,  Ruprechts 
Lehenrecht  § 78  (Westenr.). 

Entsprechend  der  Anstellung  von  Schulmeistern  oder  von 
Ärzten  (in  Nürnberg)  kommt  auch  hier  die  Einrichtung  vor, 
dass  die  Stadt  einen  Fürsprech  im  Dienstvertrag  anstellt,  dass 
er  den  Bürgern  zur  Verfügung  stehe.  So  stellt  im  Jahre  1461 
die  Stadt  Leipzig  einen  Fürsprech  an,  der  am  Dingtag  bei  Ge- 
richt sein  muss,  und  den  Bürgern  um  einen  Groschen  reden  muss, 
„wer  on  abbir  doheym  verdingen  will,  von  dem  mag  er 
neraen  vihr  adder  funff  groschen  uugeverlich“. 

Ebenso  waren  die  Verhältnisse  in  Straubing  geregelt  (vgl. 
Rosenthal,  Beiträge  zur  Deutschen  Stadtrechtsgesch.  1883 
S.  318,  274). 

Sonach  muss  der  mit  dem  Fürsprech  abgeschlossene  ent- 
geltliche Vertrag  begrifflich  unter  den  Werkvertrag  bezogen 
werden.  Freilich  ist  dies  materiell  von  nicht  allzu  grosser  Be- 
deutung, da  die  im  wesentlichen  auf  den  gewerblichen  Werk- 
vertrag zugeschnittenen  Rechtsregeln  nur  selten  auf  die  ihrer 
Art  nach  verschiedene  Leistung  des  Fürsprechers  angewendet 
werden  können. 

2.  Die  Dienstmiete  unterscheidet  sich  von  der  Werkmiete 
dadurch,  dass  bei  ihr  der  Herr  die  fremde  Arbeit  zu  dem  von 
ihm  gewollten  Erfolge  lenkt,  während  bei  der  Werkmiete  der 
Unternehmer  selbst  für  den  Erfolg  verantwortlich  ist.  Wie 
schon  die  bisherige  Darstellung  gezeigt  hat,  unterschied  das 
mittelalterliche  Recht  deutlich  diese  beiden  Tatbestände.  Zu- 
weilen kommt  dies  auch  iu  der  Anordnung  des  Stoffs  in  den 
Rechtsaufzeichnungen  zum  Ausdruck.  So  berücksichtigen  die 
ländlichen  Rechtsquellen  fast  ausschliesslich  den  Dienstvertrag 
und  trennen  ihn  von  etwaigen  mitberücksichtigten  Werkverträgen. 
Das  Hamburger  Stadtrecht  von  1292  (Lappenberg)  stellt  im 
12.  Abschn.  die  den  Dienstvertrag  betreffenden  Rechtssätze  zu- 
sammen unter  der  Überschrift  „van  dhenste“.  Und  im  Stadt- 
recht von  1497  (Abschnitt  F)  heisst  es  dann  „van  dhenste  und 
ghesynne“.  Dagegen  enthält  das  Bremer  Stadtrecht  von  1428 


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I.  Buch  cap.  46  (Oelrichs  S.  341  ff.)  auch  die  auf  den  Werk- 
vertrag bezüglichen  Vorschriften  unter  der  Überschrift  „van 
denste“. 

Aber  auch  auf  Grund  äusserer  Merkmale,  vor  allem  des 
Herrschaftsverhältnisses  zwischen  den  Vertragsteilen,  sind 
Dienst-  und  Werkmiete  zu  unterscheiden.  Denn  die  grösste 
Zahl  aller  Dienstverträge  fällt  unter  den  Gesinde-  und  Ge- 
sellenvertrag. Diese  Gruppe  nun  hat  in  den  Landrechten, 
Ebalten-,  Gesinde-,  Handwerks-  und  Gesellenordnungen,  in  den 
Zunftstatuten  eine  eingehende  Regelung  gefunden,  ausführlich 
ist  dort  die  dem  Dienstherrn  zustehende  Dienstgewalt  geordnet, 
die  sich  nicht  nur  auf  die  Ausführung  der  den  Gegenstand  des 
Vertrags  bildenden  Dienste  bezieht.  Dazu  kommen  noch  be- 
sondere Eigentümlichkeiten,  vor  allem  die  Wohnung  in  der 
Hausgemeinschaft  des  Dienstherrn  (vgl.  Hertz,  Die  Rechts- 
verhältnisse des  freien  Gesindes  1879  S.  9;  v.  Amira,  Nord- 
german. Obligationenrecht  II  S.  771).  Daneben  kommen  frei- 
lich auch  freie  Dienstverträge  mit  dem  Taglöhner,  Hausbäcker, 
Hausschlächter  vor;  aber  auch  hier  kommt  meistens  schon  in 
der  Fassung  der  Quellen  die  Auffassung,  dass  es  sich  um 
Leistung  von  Diensten  unter  der  Leitung  des  Herrn  handelt, 
zum  Ausdruck. 

3.  Die  Abgrenzung  des  Werkvertrags  vom  Kauf  war  im 
MA.  leichter  wie  heute.  Schon  die  äusseren  Verhältnisse  be- 
günstigten dies.  War  doch,  wie  schon  oben  erwähnt,  in  einer 
grossen  Anzahl  von  Rechten  die  Stofflieferung  durch  den  Unter- 
nehmer verboten.  Vgl.  Brünner  Schöffenbuch  (Rössler  S.  389, 
405).  Auch  bei  der  Mehrzahl  der  Künstlerverträge  wurde  der 
Stoff  vom  Besteller  geliefert,  so  die  Tafel,  auf  die  das  Bild 
gemalt  wurde,  das  Holz,  aus  dem  die  Figuren  geschnitten 
wurden,  die  Farben  und  das  in  der  gotischen  Kunst  reichlich 
verwendete  Gold.  Vgl.  die  Ausgabeposten  für  die  Ausmalung 
eines  Gewölbes  des  Basler  Münsters  (Münstergeschichte  S.  234) 
gab  im  ze  Ion  3 Pfd.  5 ß Item  hab  geben  12  Pfd. 
umb  3 buch  schön  Golt  zu  dem  Crüczgang  und  zu  der 
Suilen  . . . Item  umb  öli  und  farwe  und  umb  lim  30  ß. 
Abgesehen  von  grösseren  Bauverträgen,  wie  dem  über  den 
Turmbau  auf  dem  Gröditzberg  1483,  und  die  Elsterbrücke  bei 


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Zeitz  1532,  lieferte  bei  einem  so  bedeutenden  Kunstwerk  wie 
dem  1490  an  Adam  Kraft  verdungenen  Grabmal  (Repert.  Bd.  25 
S.  360  ff.)  und  bei  dem  Waltzroder  Altarbild  Hans  Brüggemanns 
1523  (Repert.  Bd.  24  S.  125)  der  Besteller  den  Stoff. 

Dagegen  wird  allerdings  seit  der  Mitte  des  15.  Jalirh.  viel- 
fach die  zum  Maleu  nötige  Farbe  und  das  Gold  oder  auch 
Stein  und  Holz  vom  Künstler  geliefert.  Beim  Rathausbau  von 
Bremen  werden  Steinfiguren  mit  Stoff liefcrung  durch  den  Unter- 
nehmer verdungen  1406—1407  (Ehmck  u.  Schumacher  303,  381); 
ebenso  Vertrag  Iseumanns  mit  dem  Martiusstift  zu  Colmar 
1462  (Repert.  II  153);  Aufgabe  des  Künstlers  ist  es,  die  Altar- 
flügel zu  bemalen,  und  die  geschnitzten  Figuren  zu  .vergolden. 
Durchwegs  liefert  den  Stoff  Tilman  Riemenschneider  1491, 
1496  (Tönnies  S.  80,  276);  Vertrag  M.  Wohlgemut s über  Liefe- 
rung des  Schwabacher  Altars  1508  (Thode  S.  245);  Vertrag  des 
Malers  Bruyn  über  ein  Altarbild  für  das  Stift  zu  Xanten  1529 
(Beissel,  Gesch.  der  Ausstattung  S.  12);  Revers  des  Goldschmieds 
Beyer  1531  (Mitteil,  des  german.  Mus.  Bd.  I S.  167).  Lukas 
Cranach  hat  bald  mit  eigeneu  Farben  auf  eigene  Leinwand  ge- 
malt, bald  den  Stoff  vom  Hof  geliefert  erhalten  (Chr.  Schuchardt, 
Lukas  Cranach  des  Ä.  Leben  und  Werke  1851  S.  144,  195). 

Soweit  es  sich  bei  solchen  Werkverträgen  lediglich  um  Zu- 
taten des  Unternehmers  handelt,  wird  man  annehmen  dürfen, 
dass  auch  nach  mittelalterlicher  Auffassung  die  Natur  des  Ver- 
trags hierdurch  nicht  geändert  wurde.  Ob  jedoch  das  mittel- 
alterliche Recht  die  Lieferung  erst  herzustellender,  nicht  ver- 
tretbarer Sachen  als  Kauf  oder  als  Werkvertrag  betrachtete, 
geht  aus  den  Quellen  selbst  nicht  klar  hervor.  Die  Ausdrucks- 
weise der  Quellen  ist  zur  Erklärung  nicht  zu  verwenden.  Denn 
sowohl  bei  der  Andinguug  der  Sandsteinfiguren  am  Bremer 
Rathaus,  wo  die  Steinmetzen  den  Stein  lieferten,  als  in  dem 
entgegengesetzten  Fall  der  Verdingung  des  Waltzroder  Altar- 
bilds wird  von  kop,  Kauf  gesprochen.  Man  wird  davon  aus- 
gehen müssen,  dass  das  MA.,  wenn  es  auch  theoretisch  den  Be- 
griff der  vertretbaren  und  nicht  vertretbaren  Sachen  nicht  aus- 
gebildet hat,  doch  anschaulich  genug  dachte,  um  bei  solchen 
Künstlerverträgen  zu  erkennen,  dass  es  sich  nicht  darum  handle, 
dass  der  Künstler  gegen  Entgelt  einen  Stein  oder  Ölfarben 


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und  Gold  liefere,  sondern  dass  seine  Leistung  in  der  Schöpfung 
einer  neuen,  nur  für  einen  bestimmten  Platz  geeigneten,  einzig- 
artigen Sache  besteht.  Der  Charakter  dieser  Verträge  als 
Arbeitsverträge  trat  schon  im  äussern  Vorgang  deutlich  in  die 
Erscheinung.  Ein  innerer  Grund,  diese  Verträge  unter  den 
Kaufvertrag  zu  fassen,  besteht  ja  nur  insofern,  als  es  sich  um 
Mängel  des  Werks  handelt,  die  in  der  Eigenschaft  des  ge- 
lieferten Stoffs  begründet  sind. 

Diese  Auffassung  wird  bestätigt  durch  den  Vertrag  des 
Rats  zu  Zeitz  mit  Meister  Bezolt  1532  über  ein  Kruzifix,  zu 
dem  Bezolt  auch  den  Stoff  zu  liefern  hat.  Es  heisst  dort  (Bau- 
denkmäler der  Provinz  Sachsen  Bd.  I S.  75): 

hat  ein  erbar  rath  zu  Zeitz  M.  Bezolten  in  werckstücke 
verdingt  ein  crucifix  . . . 

Verschiedentlich  tritt  eine  Trennung  der  beiden  Vertrags- 
elemente, Stoffliefernng  und  Arbeit,  in  der  Vergütung  hervor. 
So  erhält  der  Steinmetz  Schröder  1560  anlässlich  der  An- 
fertigung einer  Kanzel  50  Taler  für  die  Arbeit  und  10  Taler 
für  den  Stein  (Mithoff  S.  288). 

Die  Künstlerverträge  enthalten  fast  durchwegs  ausser- 
ordentlich reichliche  materiellrechtliche  Bestimmungen,  aus 
denen  meistens  hervorgeht,  dass  sie  als  Arbeitsverträge  be- 
handelt wurden.  Dies  wird  bei  der  Darstellung  des  materiellen 
Rechts  zu  zeigen  sein.  Die  Eigenart  des  Künstlervertrags 
tritt  jedoch  in  denjenigen  Bestimmungen  hervor,  die,  abweichend 
vom  allgemeinen  Recht,  eine  länger  dauernde  Gewährleistungs- 
pflicht des  Unternehmers  für  Mängel  des  Werks  festsetzen, 
und  die  den  Fall  der  Auflösung  des  Vertrags  durch  den  Tod 
des  Unternehmers  regeln.  Hier  hat  also  die  Vertragspraxis 
die  Sätze  des  allgemeinen  Werkvertragsrechts  unter  Berück- 
sichtigung der  besonderen  Sachlage  durch  eigene  Bestimmungen 
ergänzt. 

Eine  Abgrenzung  des  Kaufs  vom  Arbeitsvertrag  überhaupt 
gibt  Ruprecht  v.  Freising  (Maurer  II  81,  Westenr.  Lehenr.  § 66): 
Nu  sprechen  wir  von  geordentem  Ion.  Es  mag  kein 
schmid  uit  gesprechnn  über  geordenten  Ion  vor  gericht 
do  kol  unnd  cysin  des  Schmidts  ist  wann  damit  ver- 
chaufft  er  seyn  eysun  unnd  seyn  kol,  was  er  den  leuteu 


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wurchet.  Ist  aber  das  ener  kol  und  eysnn  mit  jm  dar- 
pringgt  und  was  er  im  daraus  wurchet.  nnnd  paid  er  jm 
des  unnd  lat  jns  austragenn  so  mag  er  jn  wol  umb  seinen 
geordenten  Ion  ansprechnn.  Solidi  recht  liabenn  all  hant- 
wercher  dy  den  leutten  jr  aigen  gnet  ze  nuetz  pringenn, 
da  sy  selbs  kaiu  aigenn  guet  bey  liabenn  (vgl.  hierzu 
Stobbe,  Vertragsrecht  S.  98). 

Es  soll  hiernach  zwischen  dem  Fall  unterschieden  werden, 
wo  der  Arbeiter  seinen  eigenen  verarbeiteten  Stoff  liefert,  und 
dem,  wo  er  selbst  keinen  Stoff  liefert,  sondern  nurseine  Arbeit. 
Stobbe  a a.  0.  nimmt  hier,  da  er  die  Stelle  im  Anschluss  an 
den  lidlon  des  Gesindes  behandelt,  eine  loc.  cond.  operarum  an. 
Dies  ist  nicht  ganz  richtig,  denn  es  geht  aus  obiger  Stelle 
über  die  Art  des  Vertragsverhältnisses  nichts  hervor  — es 
kann  sowohl  Dienst-  wie  Werkraiete  vorliegen. 


3.  Abschnitt 

Der  Abschluss  des  Vertrags. 

I.  Die  „Einigung“,  das  „Gedinge“,  das  „Übereinkommen“ 
betrifft  den  Inhalt  des  Vertrags.  Dieser  wird  je  nach  den  Ver- 
hältnissen mehr  oder  weniger  genau  bestimmt.  Vor  allem  bei 
Bauten  und  Kunstwerken  wird  das  herzustellende  Werk  genau 
beschrieben,  es  werden  die  Masse,  die  Eigenschaften  des  etwa 
vom  Unternehmer  zu  liefernden  Stoffs  festgestellt.  Es  wird 
genau  bestimmt,  welche  Heiligen  und  wie  viele  auf  einem  Altar- 
bild dargestellt  werden  sollen,  ja  der  Wunsch  des  Bestellers 
erstreckt  sich  oft  auf  Einzelheiten,  wie  darauf,  ob  eine  mänu- 
liclie  Figur  einen  Bart  tragen  soll  oder  nicht.  Andererseits 
werden  genaue  Abreden  über  die  Entlohnung,  sowie  für  Fälle 
getroffen,  die  abweichend  von  den  gewöhnlichen  Rechtssätzen 
behandelt  werden  sollen.  Die  meisten  KUnstlerverträge  ent- 
halten von  der  zweiten  Hälfte  des  15.  Jahrh.  an  hierüber  aus- 
führliche Abmachungen. 

Sehr  oft  wird  dem  Vertrag  über  Errichtung  eines  Bauwerks 


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oder  Herstellung  eines  Kuustgegenstands  ein  Plan,  „Visierung“ 
genannt,  zugrunde  gelegt,  nach  dem  das  Werk  auszuf&liren  ist. 
Steinnietzordnung  von  1465  (Jauner  S.  254);  Vertrag  über 
die  Herstellung  des  Münnerstädter  Altarbilds  durch  Tilman 
Riemenschneider  (Tönnies,  Tilman  Riemenschneider  S.  276). 
Vertrag  Hans  Brüggemans  mit  dem  Propst  zu  Waltz- 
rode  1523  (Repert.  f.  Kunstw.  Bd.  24  S.  125),  Revers  des 
Goldschmieds  Beyer  1531  über  Anfertigung  von  Silber- 
geschirr (Mitteil,  des  german.  Mus.  Bd.  I S.  167) ; Vertrag 
Wenzel  Jamnitzers  mit  Erzherzog  Ferdinand  1561  (Mitteil, 
des  Inst,  für  österr.  Geschichtsforsch.  Bd.  IX  S.  285). 
Ferner  gehört  hierher  das  „Gegengewicht“,  das  nach  ver- 
schiedenen Ordnungen  der  Goldschmied  beim  Empfang  des  zu 
verarbeitenden  Metalls  dem  Besteller  zur  Nachprüfung  bei  der 
Rückgewähr  geben  musste. 

Der  Sicherung  des  Beweises  dient  die  Beurkundung  der 
Verträge.  Privaturkunden  werden  einmal  ausgestellt,  für  den 
Gebrauch  des  Bestellers,  oder  doppelt  für  den  Besteller  und 
Unternehmer.  In  diesem  Falle  wird  der  Vertrag  zweimal  auf 
dasselbe  Blatt  geschrieben,  das  dann  an  einer  mit  Buchstaben 
bezeichueten  Stelle  abgeteilt  wird.  Die  Urkunden  sind  meistens 
gesiegelt.  Zur  ersteren  Gruppe  gehört  der  Vertrag  Isenmanns 
mit  dem  Martinsstift  zu  Colmar  1462  (Repert.  f.  Kunstw.  Bd.  II 
S.  153)  und  der  Vertrag  über  Errichtung  der  Elsterbrücke  zu 
Zeitz  1532  (Baudenkm.  der  Prov.  Sachsen  I 73),  zu  der  zweiten 
Gruppe  gehört  der  Vertrag  über  Errichtung  einer  Säule  im 
Xantener  Dom  1481  (Beissel,  Baugesch.  S.  172),  der  Vertrag 
des  Abts  zu  St.  Godehard  in  Hildesheim  mit  Meister  Wolter 
1504  (Mithoff  S.  430),  Glaserkontrakt  abgeschlossen  von  der 
Stadt  Löwenberg  1511  (Anz.  f.  d.  Kunde  d.  d.  Vorz.  Bd.  29 
S.  174),  Vertrag  des  Malers  Bruyn  mit  dem  Stift  zu  Xanten 
1529  (Beissel,  Gesch.  der  Ausstattung  der  Kirche  zu  Xanten 
S.  12). 

II.  An  welchen  Tatbestand  knüpft  nun  das  Recht  die 
Obligation? 

1.  Es  ist  hier  davon  auszugehen,  dass  der  Werkvertrag 
verschiedene  wirtschaftliche  Vertragsformen  umfasst,  unter 
denen  zwei  vornehmlich  sich  gegenübertreten:  Einmal  die 


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Gruppe  von  Verträgen,  wo  der  zu  bearbeitende  Stoff  dem 
Unternehmer  zur  Bearbeitung  an  seiner  eigenen  Arbeitsstätte 
übergeben  wird,  und  andererseits  die  Gruppe  von  Verträgen, 
wo  der  Unternehmer  verpflichtet  wird,  aus  seinem  eigeuen 
Stoff  das  Werk  zu  liefern,  oder  an  fremder  Arbeitsstätte,  vor 
allem  bei  Bauwerken,  durch  seine  Arbeit  einen  Erfolg  herbei- 
zuführen. 

Jene  erste  Gruppe  von  Verträgen  erlangt  schon  durch  die 
Hingabe  des  Stoffs  und  die  Annahme  durch  den  Unternehmer 
verbindliche  Wirkung,  ohne  dass  es  einer  hierzutretendeu  Form 
bedürfte.  Diese  Verträge  können  als  Realverträge  gültig 
abgeschlossen  werden. 

Tatsächlich  erwähnen  die  Quellen  bei  dieser  Art  von  Ver- 
trägen nirgends  den  Gebrauch  einer  Form,  vielmehr  lassen  sie 
schon  durch  ihre  Ausdrucksweise  erkennen,  dass  das  Gedinge 
durch  die  Hingabe  des  Stoffs  sofort  rechtliche  Wirkung  er- 
langte, dass  von  diesem  Zeitpunkte  an  die  Pflichten  und  Rechte 
der  Vertragsteile  entstanden. 

„ . . . swaer  eime  snider  gewant  enpfilcbet  ze  suiden.  . 
Augsburger  Stadtr.  A.  133  § 2 (Die  typische  Form! 
vgl.  Lexer  I 563);  ebenso  Ruprecht  v.  Freisiug  I 149  (M.). 

« gebit  eyn  man  und  tut  syn  gewant  eyme  snyder 
czu  machin  . . .“  System.  Schöffenr.  V c.  4. 

„Ap  ein  man  silber  ader  gewant  czu  machin  tut 
umme  daz  Ion  . . Glogauer  Rechtsbuch  cap.  600 
(Wasserschieben). 

„Dinget  ein  man  ein  chaufschatz  überlant,  und  sich 
desselben  chaufschatzes  der  fuerman  unterwindet  auf 
seinen  wagen.  . Wiener  Stadtr.  A.  56. 

In  dieser  letzten  Stelle  ist  der  Fall  so  gelegen,  dass  die 
Vertragsteile  den  Frachtvertrag  schliessen,  der  sofort  durch 
die  tatsächliche  Übernahme  des  Guts  vollzogen  wird,  während 
A.  55  des  Wiener  Stadtrechts  („Dingt  ein  man  sein  guet  über- 
lant . . . und  geit  seinen  gotzphenniug  daran.  . .“)  von  der 
Hingabe  eines  Gottespfennigs  spricht,  und  hierbei  den  Fall  im 
Auge  hat,  wo  sich  der  Fuhrmann  verpflichtet,  das  Gut  zu  ver- 
frachten, das  Gut  aber  uiclit  zur  Stelle  ist,  sondern  erst  später, 
vielleicht  an  einem  andern  Orte  zur  Verfrachtung  übergeben  wird. 


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Nacli  Börlin,  Transportverbände  uud  Transportrecht  der 
Schweiz  S.  54,  vollzog  sich  der  Vertragsschluss  durch  Übergabe 
der  Güter  oder  durch  Eiuzählen  in  das  Schiff.  Eine  Form  für 
den  Vertragsschluss  findet  sich  bei  dem  Rodbetrieb  nirgends. 

Die  vorgetragene  Auffassung  wird  weiter  dadurch  gestützt, 
dass  in  den  Quellen,  wie  weiterhin  zu  zeigen  sein  wird,  alle 
andern  Verträge,  bei  denen  nicht  der  Stoff  gleichzeitig  mit  dem 
Gedinge  dem  Unternehmer  übergeben  wird,  entweder  als  sym- 
bolische Realverträge  (Gottespfenning,  Weinkauf)  oder  als 
reine  Formverträge  behandelt  werden.  Nirgends  findet  sich 
ferner  in  den  Quellen  ein  Anhaltspunkt  dafür,  dass  die 
Gültigkeit  des  Abschlusses  solcher  Realverträge  von  den 
Parteien  im  späteren  Prozesse  bestritten  worden  wäre.  Es 
steht  diese  Annahme  eines  Realvertrags  auch  durchaus  nicht  im 
Widerspruch  mit  den  allgemeinen  Grundsätzen  des  deutschen 
Rechts,  das  ja  auch  die  Leihe,  die  Hinterlegung  und  die 
Schenkung  als  Realverträge  behandelte. 

2.  Neben  diesen  Verträgen,  die  durch  Hingabe  des  zu  ver- 
arbeitenden Stoffs  an  den  Unternehmer  vollzogen  werden,  sind 
alle  diejenigen  zu  berücksichtigen,  in  deren  Tatbestand  dieses 
Moment  fehlt.  Da  die  reine  Übereinstimmung  der  Vertragsteile 
zum  Zustandekommen  der  Obligation  nicht  genügt,  wird  künst- 
lich dem  Gedinge  der  Charakter  des  Realvertrags  verliehen. 

a)  Dies  ist  in  der  Weise  möglich,  dass  von  der  einen  Ver- 
tragsseite, wenn  nicht  die  ganze  Leistung,  so  doch  ein  sehr 
erheblicher  Teil  im  voraus  erfüllt  wird.  Der  Besteller  macht 
eine  Anzahlung  auf  die  Vergütung.  So  im  folgenden  Fall: 
Hirvor  ein  gelauet  (gelobt)  vic  m & lub.  Darvon  1 m & 
ret  up  de  hant  to  dem  gadespenning.  . . Verdingung  des 
Turmbaus  zu  St.  Peter  in  Hamburg  1517  (Mithoff  S.  33), 
und  ähnlich  erhält  Barward  Tafelmaker  1525  für  Er- 
bauung der  Rossmühle  in  Leipzig  300  Thlr.  und  10  Thlr. 
Gottespfenning  (Mithoff  S.  309). 

Es  handelt  sich  bei  diesen  „Gottespfenuingen“  nicht  um  unbe- 
deutende Leistungen,  sondern  sie  stellen  eine  wirkliche  Voraus- 
leistung des  Bestellers  dar.  Die  Bezeichnung  „Gottespfenning“ 
zeigt,  dass  nach  der  Auffassung  der  Quellen  die  Begriffe  der 
arrha  und  der  Anzahlung,  unter  dem  einheitlichen  Gesichts- 


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punkt  der  Sachleistung  beim  Vertragsabschluss  Zusammen- 
flossen. Hieraus  ergibt  sich  für  die  Entwicklungsgeschichte  der 
arrha,  dass  bei  Verträgen  der  oben  erwähnten  Art  der  Ver- 
trag durch  eine  wirkliche  Vorausleistung  des  Bestellers  voll- 
zogen wurde,  dass  diese  Gabe  dann  im  Laufe  der  Zeit  viel- 
fach an  Wert  verlor,  bis  sie  als  zu  geringfügig  für  den  Unter- 
nehmer nicht  mehr  in  Betracht  kam,  der  sie  dann  als  Almosen 
„in  die  Büchse“  steckte.  In  dieser  Form  ist  der  „Gottes- 
pfennig“ in  den  mittelalterlichen  Quellen  erhalten.  Beim 
Werkvertrag  jedoch  lag  es  mit  Rücksicht  auf  die  oft  wirt- 
schaftlich schwache  Stellung  des  Unternehmers  nahe,  in  vielen 
Fällen  die  alte  „Anzahlung“  beizubehalten,  die  sich  ja  tat- 
sächlich, wenn  auch  ohne  die  alte  rechtliche  Bedeutung  bis  in 
unsere  Tage  gerade  in  den  hier  in  Betracht  kommenden  Ver- 
hältnissen erhalten  hat. 

Die  Hingabe  des  „Gottespfennigs“  findet  sich  ausser  in 
der  oben  angeführten  Stelle  des  Wiener  Stadtrechts  (Art.  55) 
in  folgenden  Quellen: 

„Item  wen  men  ock  mit  den  meistern  mhurwergke 
vordingeth,  so  schollen  se  mit  gadesgelde  edder  mit 
schencken  de  böigere  nicht  overlestern  und  beschnidenn, 
sunder  truwelicken  vordenst  nerneu“.  Rostocker  Ordinanzie 
von  1530,  angef.  bei  Mithoff  S.  445. 

„Wann  ein  Meister  eiue  arbeit  idt  sy  nie  oder  olde 
anuimpt,  und  ein  gadespenning  darup  gegeven  werdt, 
schall  hie  densulven,  nademe  hie  gade  gegeven  ist,  in  die 
bussen  stecken.  Lübecker  Schiffszimmerleuteartikel  von 
1560  (Wehrmann,  Die  älteren  liibeckischen  Zunftrollen 
1864  S.  410). 

Sehr  oft  schwankt  die  Bezeichnung  dieser  Vertragsgabe; 
so  heisst  es  z.  B.  1447  von  Meister  Ebberd,  Glasewerte  zu 
Stendal  (Mithoff  S.  85),  dem  der  Rat  zu  Brannschweig  die 
Fenster  im  Altstadt- Rathause  verdungen  hatte,  dass  ihm  ’/s 
Verding  (der  vierte  Teil  einer  Mark)  an  Trinkgeld,  und  seinen 
Knechten  zwei  Gottespfennige  zugesagt  worden  seien.  Diese 
Gottespfenninge  sind  das  Trinkgeld,  das  die  Gesellen  gewöhn- 
lich erhalten,  und  das  Trinkgeld  des  Meisters  kann  ein  Gottes- 
pfenning oder  ein  Weiukauf  sein. 


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Ein  Haftgeld  erhält  der  Baumeister  der  Frauenkirche 
in  München,  Jörg  Ganghofer  1468  bei  seiner  Bestellung  (Mayer, 
die  Domkirche  zu  U.  L.  Frau  in  München  1868  S.  59).  Wenn 
dieser  Vertrag  auch  ein  Anstellungsvertrag  gewesen  zu 
sein  scheint,  so  darf  doch  angenommen  werden,  dass  auch  bei 
anderen  Arbeiten  im  Baugewerbe,  also  auch  bei  Werkver- 
dingungen ein  solches  Haftgeld  gebräuchlich  war.  Denn 
äusserlich  unterschied  sich  eine  Werkverdingung  mit  Zeitlohn 
wenig  von  einem  Anstellungsvertrag,  bei  beiden  besteht  wirt- 
schaftlich für  den  Besteller  das  Bedürfnis,  den  Unternehmer 
durch  eine  Gabe  zum  Bleiben  am  Baue  zu  verpflichten. 

„pandesgeld“  wird  von  Mithoff  (S.  453)  erwähnt,  das 
als  Handgeld  bei  Verdingung  von  Arbeiten  gegeben  wurde. 

„ . . . dar  scholde  ick  em  12  fl  vor  geuen.  Ick  bot 
em  anerst  6 und  quam  endlik  up  8 fl,  darup  gaff  ick  em 
1 dutken  to  pandesgelde“  1563  (Baltische  Studien  XIX, 
angeführt  bei  Mithoff  S.  453). 

Gottespfenning  oder  arrha  führen  die  Lübeckischen 
Statuten  (III.  Bell.  6.  T.  § 6)  als  Mittel  zur  Perfektion  des 
Vertrags  an,  und  auch  die  „Teutschen  Stadtrechte  für  Böhmen“ 
(Wien  1721)  bestimmen  unter  loc.  coud.  cap.  6:  Die  Stein- 

metzen, Maurer  etc.  und  alle  andern  Handwerker,  die  eine 
Arbeit  verdingen  und  ein  Angeld  darauf  empfangen  . . . 
sind  verpflichtet,  den  Vertrag  zu  erfüllen. 

In  Niederdeutschland  tritt  die  vormede  auf,  die  ursprüng- 
lich beim  Vertragsabschluss  gegeben  worden  zu  sein  scheint. 
So  nach  der  Auffassung  von  Schiller-Lübben  V 404  uud  Wehr- 
mann, Die  älteren  Lübeckischen  Zunftrollen  S.  523,  der  die 
vormede  oder  vorelon,  vorhurc  in  dieser  Bedeutung,  als  bei  der 
Andingung  von  Gesellen  oder  der  Miete  einer  Bude  vorkotnmend 
erwähnt.  Damit  stimmt  nicht  der  Gebrauch  überein,  wie  er 
bei  Verdingung  grösserer  Arbeiten  beim  Rathausbau  zu  Bremen 
herrschte  (Elnnck  & Schumacher  S.  291,  310;  357).  Dort  heisst 
es  z.  B.  nach  Beendigung  des  Vertragsverhältnisses  in  der 
Ausgaberechnung: 

„Item  rncster  kurde  36  sware  schillinghe  unde  4 gülden 
vor  syne  vormede,  de  wy  eme  ghelovet  hedden,  do  wy 
ersten  myt  eme  vordroghen“. 

Rothenbücher,  Werkvertrag  3 


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Der  Vertrag  wurde  also  ohne  Vormede  geschlossen,  diese 
dem  Unternehmer  vielmehr  versprochen,  zu  dem  Zweck,  ihn  um 
so  sicherer  am  Bau  zu  halten,  ihm  für  die  Erfüllung  des  Ver- 
trags eine  besondere  Prämie  zu  gewähren.  Vgl.  hierzu  die 
Verdingung  eines  Holzgestühls  für  die  Predigerkirche  zu  Bern 
etwa  1302  (Fontes  rerum  Bernensium  IV  112),  wo  ausser  dem 
Lohn  dem  Unternehmer  nach  Fertigstellung  des  Werks  ein 
eigenes  Entgelt  (im  Wert  von  einem  fünften  Teil  des  Gesamt- 
lohns) zu  minn  (zur  Erinnerung,  Lexer  I 2144)  versprochen 
wird. 

b)  Der  Weinkauf  lässt  sich  in  seiner  ursprünglichen  Form 
als  leykauf:  Perfektion  des  Vertrags  durch  gemeinsamen  Trunk 
mit  den  zum  Vertrag  zugezogeuen  Zeugen  für  das  Gebiet  der 
Werkverträge  nicht  nachweisen.  Zwar  finden  sich  in  den 
Baurechnungen  oft  Posten  wie  der  folgende: 

1394.  Item  pro  duabus  quartis  vini  propinatis  magistro 
Gerardo  lapicidae  et  suis  sociis  consilinm  dantibus  posset 
novum  armarium  construi  (Beissel,  Xantener  Baugesch.), 
allein  ein  Schluss  auf  die  rechtliche  Bedeutung  ist  hier  nicht 
möglich,  da  es  sich  auch  um  gewöhnliche  „Schoppen"  handeln 
kann,  wie  sie  in  Weiuländern  bei  jeder  Gelegenheit  getrunken 
werden. 

Dagegen  tritt  der  Weinkauf  in  seiner  späteren  Gestalt,  als 
„trockene“  Gabe,  meistens  an  die  Gegenpartei  selbst,  sehr  oft 
auf.  Er  hat  in  diesem  Falle  keine  andere  Bedeutung  als  der 
Gottespfennig. 

1398  erhält  Meister  Gerhard  in  Xanten  bei  seiner 
Bestellung  als  Baumeister  2 sol.  8 den.  pro  licopio  (Beissel, 
Baugesch.  S.  125). 

1405  Wedeken  van  Boraechen  4 gr  tho  wynkope  eme 
undc  syne  kumpanen,  do  de  raet  myt  eme  vordroghen 
umme  dat  brekeut  uude  loveden  eme  30  m & (Rathaus 
zu  Bremen  S.  272). 

Item  Koken  1 gr  tho  wynkope,  do  wy  myt  eme  vor- 
droghen umme  den  müschelnkalk  tho  vorende  . . . (ebd. 
S.  277). 

To  dem  ersten  H.  Str.  1 m & vor  1 reep  wandes  tho 
wynkope* (ebd.  S.  299). 


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35 


To  dem  ersten  3 gr  vor  3 quarten  wyns  do  wy  den 
köp  makeden  myd  den  ersten  mestere  . . . der  andere 
erhielt  3 sware  tho  godespennynglien  . . . (ebd.  S.  303). 
Die  letzte  Stelle  lässt  deutlich  erkennen,  wie  die  beiden 
Begriffe  wein  kauf  und  godespenning  ineinander  übergingen. 
Möglich,  dass  bei  dem  einen  Meister  noch  der  Wein  wirklich 
mit  Zeugen  vertrunken  wurde,  möglich  aber  auch,  dass  der 
Wein  hier  in  natura  gegeben  wurde,  wie  sonst  an  demselben 
Bau  das  Geld  hierfür,  oder  das  Geld  für  ein  Gewand  gewährt 
wurde  (vgl.  hierzu  auch  Mithoff  S.  461,  sowie  Stobbe,  Deutsches 
Privatr.  2.  Aufl.  Bd.  III  S.  62  ff. , und  Reurecht  und  Vertrags- 
schluss, Leipzig  1876,  I S.  12  ff.,  II  S.  4 ff.). 

3.  Der  Werkvertrag  wird  auch  weiterhin  als  formbedürftiger 
Vertrag  durch  Treugelöbnis  abgeschlossen. 

a)  Die  Quellen  sprechen  in  einer  Reihe  von  Verträgen  von 
„geloben“,  „versprechen“,  „promittere  per  fidem  suam“, 
Formen,  die  alle  dasselbe,  nämlich  ein  Treugelöbnis  bedeuten. 
a)  scriptor  promisit  per  fidem  suam  . . . Vertrag  mit  einem 
Kunstschreiber  (Wattenbach,  Schriftwesen  S.  478). 

. . . also  dat  de  vruchtlude  schuldegheden  copadzen, 
dat  he  em  ghelovet  hadde  ere  got  to  zeghelude  . . . 1303 
Statuta  Bremensia  (Oelrichs  S.  254). 

Wir  och  vergehen  an  disem  briefe  das  wir  gelopt 
han,  vur  uns  und  unser  erben  . . . 1328  Urkunde  über 
den  Bau  einer  Brücke  (Fontes  rerum  Bernensium  V 650). 

Meister  Swelbil  hat  sich  vor  uns  verlobit  . . . eine 
Uhr  zu  machen.  Am  Ende  heisst  es  „Di  globde  hat  syn 
bruder  mit  em  globit“.  Breslauer  Ratsurk.  von  1373. 

. . . mit  hand  und  mund  entruwen  geloibet  einen 
nuwen  koer  zu  buwen  (wird  in  einem  Brief  des  Amtmanns 
von  Lichtenau  an  den  Rat  zu  Göttingen  gesagt,  wo  Hein- 
rich Herte  zwischen  1430  und  1440  am  Rathaus  be- 
schäftigt war.  Mithoff  S.  146). 

. . . altar  tafel,  de  he  ne  uppe  Paeschen  geloubet 
hefft  toberedende  . . . 1457.  Eintrag  im  Lübecker  Nieder- 
stadtbuch (Pauli,  Lübeck.  Zust.  III  S.  146). 

Zusagen  und  geloben,  eine  Wasserleitung  anzulegen 
1477.  Vertrag  der  Stadt  Görlitz  mit  Mathias  Häuwriz 

3« 


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(Anzeiger  für  die  Kunde  der  deutschen  Vorzeit  Bd.  24 
S.  103). 

1483.  Die  Maurermeister,  die  den  Turmbau  auf  dem 
Gröditzberg  übernehmen,  geloben  bey  eren  guten  trawen 
auch  bey  irem  hantwerke  und  bey  vorlust  aller  irer 
gutter  die  sy  haben  (Anzeiger  Bd.  24  S.  298). 

1493.  Hinrick  Slappbrenn  . . . helft  bekandt  dat  he 
. . . twe  tafelen  entfangen  linde . gelaueth  helft,  de  to 
Messchede  truweliken  to  bringende  . . . Frachtvertrag 
im  Lübecker  Niederstadtbuch  (Pauli,  Lübeckische  Zustände 
S.  146). 

1511.  . . hat  Hanns  gelobit  selbige  czu  gewerin  . . . 
Vertrag  der  Stadt  Löwenberg  mit  dem  Glaser  Hans 
Schwantner  (Anzeiger  Bd.  29  S.  174). 

1520.  . . angedingt  und  versprochen.  Vertrag  über 
Anfertigung  eines  Altarschreins  zwischen  dem  Rat  zu 
Zeitz  und  Pankraz  Gruber  (Baudenkmäler  der  Provinz 
Sachsen  I S.  71). 

1523.  . . mester  Hanssz  uns  geloveth  dat  besthe 
darinne  to  thonde.  Waltzroder  Vertrag  mit  Hans  Brügge- 
mann (Report.  Bd.  24  S.  125). 

1545.  . . dat  in  dem  gedinge  uthgesecht  und  belavet 
ys.  Lübecker  Zimmerleuteartikel  (Wehrmann  S.  460). 
ß)  Auf  Seite  des  Bestellers: 

. . . wes  ze  eme  van  wegene  der  orgelen  in  Sunte  Peters 
Kerken  gelovet  hebben  . . . 1463.  Eintrag  im  Lübecker 
Niederstadtbuch  (abgedruckt  bei  Pauli,  Lübeckische  Zu- 
stände III  150). 

. . . Das  uppe  byn  ek  ouereyn  gekomen  to  snyden  de 
bilde  . . . ome  darvor  gelouet  driddehalue  mark  . . . 
Aufzeichnung  über  die  Anfertigung  eines  Altarbilds  für 
die  Stiftskirche  auf  dem  Petersberg  bei  Goslar  (Mithoff 
S.  425). 

Das  Geloben  mit  Handreichung  ist  im  Baugewerbe  weit 
verbreitet.  Die  im  Dienst  der  Stadt  Nürnberg  stehenden  Hand- 
werker werden  in  dieser  Weise  verpflichtet. 

Item  es  sullen  geloben  die  zimmergesellen  und  ir  trew 
geben  . . . Lutz  Steinlingers  Baumeisterbuch  von  1445 


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(Heft  III  S.  13  ff.  der  Mitteil,  des  Vereins  für  die  Gesch. 
der  Stadt  Nürnberg). 

Wahrscheinlich  wurden  in  dieser  Form  sowohl  Dienst-  wie 
Werkverträge,  die  sich  bei  Zeitlohn  äusserlich  nur  wenig 
unterscheiden,  abgeschlossen. 

Auch  in  den  Fällen,  wo  nicht  von  der  fides,  der  trewe  die 
Rede  ist,  sondern,  wo  es  einfach  geloven,  versprechen 
heisst,  wird  man  im  Zusammenhalt  mit  der  Ausdrucksweiso 
der  übrigen  Belegstellen  annehmen  müssen,  dass  dies  nicht  ein 
gewöhnliches  „ Versprechen“,  sondern  ein  förmliches  Gelübde 
ist  (vgl.  hierzu  Puntschart,  Schuldvertrag  und  Treugelöbnis 
S.  306,  308,  311  ff.). 

Hierfür  spricht  auch  der  Umstand,  dass  der  Richterliche 
Klagspiegel  (Strassburger  Ausgabe  von  1536)  I.  Teil  fol.  45  die 
Überschrift  „de  actione  ex  stipulatu“  ins  Deutsche  übersetzt 
„So  eyner  dem  andern  etwas  verheysst  mit  der  hant“  und  als 
Muster  hierfür  gerade  einen  Bauunternehmerwerkvertrag  an- 
führt. 

„Her  richter  ich  clag  euch  von  R der  hat  mir  verheissen 
uff  mein  frag  uff  meim  grund  allda  gelegin  etc.  zi^  bauwen 
ein  hauss  von  stein  oder  von  holtz  das  da  zwölff  schüch 
weit  X schuch  lang  und  souil  in  der  höhe  sey  umb  X 
pfundt  der  müntz  . . . 

Dass  in  dem  Verheissen  mit  Handschlag  der  alte  deutsche 
Formalvertrag  zu  erkennen  ist,  hat  schon  L.  Seuffert  (Zur  Ge- 
schichte der  obligator.  Verträge  S.  88)  gezeigt.  Es  sei  jedoch 
hier  noch  weiter  darauf  hingewiesen,  dass  an  jener  Stelle  der 
Abschluss  des  Vertrags  noch  durch  folgende  Beispiele  ver- 
deutlicht wird: 

Zu  diser  pflicht  würden  etwan  solich  wort  gebraucht  und 
geübt  du  verheisst  ich  verheiss  du  gelobest  ich  gelobe  jr 
gelobet  mit  treuwen  ich  gelobe  mit  treuwen  . . . 
Das  einfache  Geloben  ist  dem  Geloben  mit  Treue  gleichgestellt. 

b)  Neben  dem  feierlichen  Gelübde  treten  noch  andere 
Formen  beim  Vertragsabschlüsse  auf. 

Zunächst  kommt  der  Vertragsabschluss  vor  Zeugen  wieder- 
holt vor. 

„.  . . und  der  Beranku  dem  W.  vor  guten  geswaren 


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lewten  versprachen  hat,  die  bey  dem  gedieng  gewesen 
sein  . . .“  Entscheidung  des  Oberhofs  zu  Iglau  vor  1416 
(Tomaschek  Nr.  72). 

„Item  wor  eyn  borgher  buwen  will  und  desse  twe 
olderlude  dar  aver  hefft,  wath  de  borger  offte  inwoner 
dede  buwen  leth,  also  bedingeth,  datk  schall  eme  de 
meister  holden  . . .“  Lübecker  Zunftrolle  der  Mauerleute 
und  Dachdecker  1527  (Wehrmann  S.  332). 

Ferner  sind  Zeugen  in  einer  Reihe  von  Urkunden  er- 
wähnt: 1303  Liegnitzer  Vertrag  mit  Meister  Wieland  (Anz.  f. 
d.  Kunde  der  d.  Vorzeit  Bd.  24  S.  210),  1493  Frachtvertrag  im 
Lübecker  Niederstadtbuch  (Pauli  III  146);  1490  Andingung 
eines  Grabmals  an  Adam  Kraft  (Repert.  Bd.  25  S.  360ff.); 
1531  Revers  des  Goldschmieds  Beyer  (Mitteil,  des  german. 
Mus.  I 167). 

Dem  Abschlüsse  vor  Zeugen  verwandt  ist  die  Eintragung 
des  Vertrags  in  das  Stadt-  oder  Gerichtsbuch.  Diese  kommt 
sehr  häufig  vor,  den  Parteien  wurden  Abschriften  der  Urkunde 
hinausgegeben.  Vgl.  die  bisher  angeführten  Urkunden  aus  dem 
Lübecker  Stadtbuch,  ferner  den  Vertrag  mit  Jodok  Tauchen 
über  Errichtung  eines  Ciboriums  1453  (Alwin  Schultz,  de  vita 
Jodoci  Tauchen  S.  17),  Vertrag  der  Stadt  Görlitz  wegen  An- 
legung einer  Wasserleitung  1477  (Anz.  Bd.  24  S.  103),  Vertrag 
über  den  Turmbau  auf  dem  Gröditzberg  1483  (Anz.  Bd.  24 
S.  298),  Andingung  eines  Grabmals  an  Adam  Kraft  1490 
(Repert.  Bd.  25  S.  360ff.),  Vertrag  über  den  Druck  der 
Schedelschen  Weltchronik  1492  (Repert.  f.  Kunstw.  Bd.  25 
S.  347).  In  der  oben  erwähnten  mehrfach  gesiegelten  Urkunde 
über  eine  Verdingung  von  Chorgestühl  für  die  Predigerkirche 
in  Bern  (1302)  heisst  es: 

Und  ich  der  vorgeschriben  R.  R.  vergyeh  (bekenne)  aller 
der  gedingen,  die  hie  vor  geschriben  sind,  und  verbind 
mich  mit  disem  bryef,  si  stet  und  fest  zü  behalten. 

Sowohl  beim  Vertragsabschluss  vor  Zeugen,  als  bei  Ein- 
trägen in  das  Stadtbuch  scheint  jedoch  sehr  oft  das  Hand- 
gelübde nebenher  gegangen  zu  sein,  so  dass  hier  eine  Häufung 
der  Formen  vorliegt.  Zweifelhaft  könnte  dies  lediglich  bei  den 
Künstlerverträgen  der  letzten  Jahrzehnte  des  15.  Jalirh.  sein, 


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liier  wäre  möglich,  (lass  das  Handgelübde  hinter  der  Bedeutung 
der  Beurkundung  vor  Zeugen  zurückgetreten  wäre. 

Aus  dem  bisherigen  ergibt  sich:  Der  Werkvertrag  wird 
als  Realvertrag  durch  Hingabe  des  Stoffs  an  den  Unternehmer 
zur  Bearbeitung  vollzogen.  Wo  dies  nicht  der  Fall  ist,  kann 
er  als  Realvertrag  in  der  Weise  abgeschlossen  werden,  dass 
der  Besteller  eine  Sachleistung  an  den  Unternehmer  macht,  sei 
es  nun,  dass  diese  Leistung  einen  wirtschaftlichen  Wert  hat, 
eine  Anzahlung  auf  das  Entgelt  ist,  oder  dass  sie  wegen  ihrer 
Geringfügigkeit  zu  einer  symbolischen  Leistung,  dem  „Gottes- 
pfennig“ wird,  und  in  dieser  Form  mit  der  Gabe  des  „Wein- 
kaufs“ oder  „Leykaufs“  zusammenfliesst.  Ausserdem  wird  der 
Werkvertrag  als  formbedürftiger  Vertrag,  vornehmlich  durch 
Geloben  abgeschlossen.  Die  reine  Willensübereinstimmung  ge- 
nügt nicht  zum  Zustandekommen  der  Obligation.  Es  findet 
sich  hierfür  in  den  Quellen  nicht  der  geringste  Anhaltspunkt; 
vielmehr  spricht  gerade  die  nach  dem  wirtschaftlichen  Vorgang 
sich  bemessende  Verschiedenartigkeit  der  Vertragsmodalitäten 
hiergegen.  Damit  ist  auch  für  unseren  Quellenkreis  der  Gegen- 
beweis gegen  die  Siegelsche  Meinung,  der  Vertrag  entstehe 
durch  gegenseitigen  Konsens,  erbracht  (vgl.  hierzu  auch  Stobbe, 
Reurecht  und  Vertragsschluss  S.  8 ff.). 

Für  den  Reugeldcharakter  des  Gottespfennigs  oder  Wein- 
kaufs findet  sich  in  den  hier  einschlägigen  Quellen  keine 
Andeutung  (vgl.  Siegel,  Versprechen  als  Verpflichtungsgrund 
S.  33). 

4.  Beim  Vertragsabschluss  treten  verschiedene  Begleit- 
erscheinungen auf. 

Es  kommen  vielfach  Bestärkungsmittel  des  Vertrags 
vor,  ausdrückliche  Obligation  der  Person,  des  Vermögens  oder 
von  Teilen  des  Vermögens,  ferner  Bürgschaften. 

„Promisit  idem  scriptor  per  fidem  suam,  quod  si  desisteret 
in  scribendo,  perficiendo  et  continuando  dictum  opus,  quod 
ipse  prisionem  in  domo  dicti  magistri  in  vinculis  ferreis 
tenebit,  inde  nullatenus  exiturus,  quousque  dictum  opus 
fuerit  integraliter  perfectum,  et  si  in  hoc  defecerit,  quod 
praepositus  noster  vel  serviens  ubicumque  eum  capiat  et 
ad  domum  dicti  magistri  adducat  pro  prisione  tenenda. 


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Obligavit  idem  R.  per  fidem  suam  se  et  heredes  suos  et 
omuia  bona  sua  mobilia  et  immobilia  praesentia  et  futura, 
renuncians  p.  f.  s.  in  hoc  facto  omni  juris  auxilio  (Ver- 
trag mit  einem  Kunstschreiber,  Wattenbach,  Schriftwesen 
S.  478). 

Hier  unterwirft  sich  also  der  Unternehmer  der  Verhaftung, 
die  jedoch  mehr  Zwangshaft  zur  Erzwingung  der  Leistung,  als 
eigentliche  Schuldknechtschaft  ist  (vgl.  hierüber  unten  S.  55). 
Er  verpfändet  ausdrücklich  sein  Vermögen,  und  zwar  gegen- 
wärtiges und  zukünftiges  (hierüber  bestanden  viele  Streitfragen 
bei  derartigen  Generalhypotheken;  vgl.  Stobbe,  Privatrecht 
3.  Aufl.  II  2 § 145  S.  139).  Er  verpflichtet  ausdrücklich  seine 
Erben  und  verzichtet  auf  alle  Rechtsbehelfe  und  Rechtsmittel 
(vgl.  zu  dieser  Obligation  des  Vermögens  neben  der  Person 
Puntschart,  Schuldvertrag  und  Treugelöbnis  S.  12211.).  Vgl. 
ferner  die  Verdingung  des  Baus  einer  Brücke  1328  (Fontes 
rerum  Bernensium  V 650),  wo  der  Unternehmer  erklärt: 

. . . Und  um  die  schuld  ze  werenne  nach  dien  vorge- 
nanten ziln,  swenne  es  gevordert  wird,  setzzen  wir  uns 
und  unser  erben  dien  selben  herren  und  ir  nachomen 
und  der  gemeind  von  A.,  und  zu  uns  Cunrat  und  Berchtold 
Gobin,  brudra  unverscheidenlich  ze  gelten  und  ze 
bürgen. 

Ähnlich  heisst  es  in  dem  Vertrag  über  den  Bau  der 
massiven  Elsterbrücke  bei  Zeitz  1532  (Baudenkmäler  der 
Provinz  Sachsen  Bd.  I S.  73): 

Zue  dem  allen  soll  und  will  ich  vor  diesem  bau  allent- 
halben mit  meinen  giitern  beweglichen  und  unbeweglichen 
...  so  ich  habe  oder  künftig  erlange  . . . einen  gnugsamen 
schriftlichen  Vorstand  und  Versichrung  machen,  wie  ich 
dann  mit  den  strengen  und  vesten  Günthern  und  Hinrichen 
von  Bunau  gevettern  zue  Droissigk  gethan,  dass  sie  sich 
vor  mich  verschrieben  haben  dieser  gestalt,  wo  sie  der 
rath  ahn  solcher  brücken  durch  meinen  unfleiss  oder  ver- 
warlosung  schaden  nehmen  wurden,  dass  sie  sich  alsdan 
solehs  schaden  ahn  meinen  gütern  nach  gestalt  der  Sachen 
erholen  sollen  und  mögen,  ohne  mein  und  menniglichs 


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widerfechten  oder  einige  einrede,  alles  trüelich  und  un- 
geferlich. 

Eine  Verpfändung  einzelner  Vermögensteile  enthält  der  im 
Lübecker  Niederstadtbuch  1463  eingeschriebene  Frachtvertrag 
(Pauli,  Lübeck.  Zust.  III  S.  146): 

Dar  vor  (für  die  Erfüllung  des  Vertrags)  he  synen  wagen, 
perde  unde  alle  varende  liave  helft  vorpandeth. 
Bürgenstellung  kommt  vor  in  der  oben  angeführten  Bres- 
lauer Ratsurk.  von  1373  („Di  globde  hat  syn  bruder  mit  ym 
globit“),  in  der  eben  erwähnten  Verdingung  des  Baus  einer 
Brücke  1328;  in  der  Verdingung  einer  Brücke  in  Nürnberg 
1457  für  den  Fall  des  Todes  oder  der  Krankheit  des  Unter- 
nehmers (Nürnberger  Ratsverlässe,  Quellenschr.  z.  Kunstgesch. 
Neue  Folge  XI.  Bd.  S.  3);  im  Vertrag  über  die  Anfertigung 
des  Schwabacher  Altars  durch  Michael  Wohlgemuth  1508  (ab- 
gedr.  bei  Thode,  Malerschule  von  Nürnberg  S.  245),  in  dem 
Revers  des  Goldschmieds  Beyer  1531  (Mitteil,  des  german. 
Mus.  I 167),  wo  jedoch  der  Bürge  nur  für  die  Rückgewähr  des 
vom  Besteller  geleisteten  Vorschusses  bürgt  (vgl.  hierzu  auch 
Puntschart  S.  144). 

Erwähnt  mag  schliesslich  werden  der  häufige  Gebrauch 
der  formelhaften  Schlusswendung  „ohne  alle  gevaerde“,  wie  sie 
sich  ausser  in  den  schon  angeführten  Stellen  noch  findet  in  der 
Andingung  des  Sclneyerschen  Grabmals  an  Adam  Kraft  1490 
(Repert.  Bd.  25  S.  360ff.)  „alles  getrewlich  unnd  ohngeverlich“, 
uud  in  dem  Vertrag  des  Malers  Bruyn  mit  dem  Stift  zu  Xanten 
1529  (Beissel,  Gesell,  der  Ausstattung  S.  12)  „sonde  arglist“. 
Diese  Formeln,  die  auch  in  den  Rechtssatzungen  als  Gebote 
wiederkehren,  drückeu  den  Vertrags  willen  aus,  alle  unehrlichen 
Einreden  auszuschliessen,  andererseits  aber  auch  dem  ge- 
schädigten Vertragsteil  die  Geltendmachung  der  unredlichen 
Vertragserfüllung  sicher  zu  stellen.  Berücksichtigt  man  nun 
weiterhin,  dass  eine  Reihe  von  Verträgen  bis  in  die  Einzel- 
heiten gehende  Bestimmungen  enthalten,  offenbar  um  für  alle 
Fälle  eine  billige  und  siungemässe  Auslegung  des  Vertrags  zu 
sichern,  so  ist  die  Annahme  nicht  ausgeschlossen,  dass  dort, 
wo  eine  derartige  ausführliche  Niederlegung  des  Vertragswillens 
nicht  erfolgt,  die  oben  erwähnten  Formeln  ausdrücklich  eine 


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Auslegung  des  Vertrags  „nach  Treu  und  Glauben“,  und  nach 
dem  mutmasslichen  Willen  der  Parteien  anordnen,  eine  wört- 
liche oder  buchstäbliche  Auslegung  verbieten  wollen. 

III.  Die  Vertragsfreiheit  ist  im  Mittelalter  vielfach  be- 
schränkt, sowohl  hinsichtlich  des  Kreises  der  Personen,  mit 
denen  Verträge  abgeschlossen  werden  dürfet),  als  hinsichtlich 
des  Gegenstands  des  Vertrags. 

1.  Der  Besteller  war  meistens  gebunden,  nur  mit  Stadt- 
angehörigen Verträge  abzuschliessen  (Münchner  Stadtr.  A.  478; 
Regensburger  Statut  über  die  Anfertigung  der  Tücher  1259  bis 
1314  bei  v.  Freyberg  V S.  61,  Pauli,  Lübeck.  Zust.  III  S.  6). 
Innerhalb  dieser  Beschränkung  war  ihm,  zumeist  aus  gewerbe- 
polizeilichen Gründen , geboten,  nur  mit  Zunftangehörigeu,  und 
zwar  nur  mit  Meistern,  nicht  mit  Gesellen  Arbeitsverträge  ab- 
zuschliessen. Diese  dürfen  nicht  auf  eigene  were,  d.  h.  auf 
eigene  Hand  arbeiten.  Strassburger  Armbrusterordnung  1449, 
(Brücker  S.  18);  Ordnung  für  die  Freiberger  Böttcher  1450 
(Ermisch,  Freiberger  Stadtr.  S.  287);  Lübecker  Zimmergesellen 
1545  (Wehrmanu  S.  462),  allgemein  das  reform.  bayr.  Landr. 
von  1518,  42.  Tit.  2.  Art.  Innerhalb  der  Zünfte  bestand  eine 
gewerbepolizeilich  streng  geregelte  Arbeitsteilung,  die  aus 
zünftlerischen  Beweggründen,  wie  es  scheint,  oft  geradezu  zu 
einer  Last  für  die  Besteller  gestaltet  wurde.  Darum  wurde  es 
in  Strassburg  1522  auf  eine  Bittschrift  der  Tuchscherer  hin 
nötig,  eigens  die  Kontrahierungsfreiheit  für  die  Besteller  zu 
statuieren  (Schmoller,  Strassburger  Tücher-  und  Weberzunft 
S.  133).  Hierher  gehört  schliesslich  noch,  dass  in  Lübeck  die 
Arbeit  für  die  Schiffszimmerleute  durch  die  Älterleute  des  Amts 
vermittelt  wurde  1560  (Wehrmann  S.  410).  Nach  böhmischem 
Bergrecht  (Zycha,  Das  böhmische  Bergrecht  des  MA.  1900 
Bd.  I S.  306)  werden  die  Gedingverträge  unter  Hinzuziehung 
der  Geschworenen  abgeschlossen,  die  darauf  zu  achten  haben, 
dass  niemand  übersetzt  werde. 

In  den  ländlichen  Verhältnissen  ist  die  Vertragsfreiheit 
vielfach  durch  die  Bannrechte,  vor  allem  der  Mühlen,  einge- 
schränkt. Vgl.  Weistum  zu  Berrisborn  (Grimm  II  526),  Ding- 
hofrecht zu  Balschwiler  von  1413  (Grimm  IV  50),  Fischbacher 


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Weistum  von  1536  (ebd.  I 776),  Vestenrecht  zu  Hagen  1513 
(ebd.  III  35);  Dinghofrecht  zu  Lörrach  (Grimm  I 327): 

§ 13.  . . . und  in  dieselben  mtihle  sollent  alle  die  malen, 
die  daruf  des  gottshuses  von  sant  Alban  guter  sizent, 
und  darzu  haben  die  vorgemelten  herren  recht  sy  ze 
zwingende  ze  malende  uf  der  vorgenant  müle,  und  wäre 
sach,  dass  sy  anderswo  mulent,  so  sollen  sie  doch  nit 
destominder  dem  mtiller  Ionen  als  hätten  sy  da  gemalent 
oder  sie  mochten  denn  fürziehen,  dass  inen  derselb  ranller 
anders  thäte  dann  recht  wär. 

Aber  auch  die  Vertragsfreiheit  des  Unternehmers  ist  viel- 
fach eingeschränkt;  zunächst  durch  den  Kontrahierungszwang. 
Die  auf  Grund  öffentlichen  Rechts  sich  ergebende  Pflicht  der 
Handwerker  stets  zum  Dienst  der  Stadt  bereit  zu  sein  (z.  B. 
in  Lüneburg;  Kraut  Stadtr.  S.  29),  sowie  die  aus  einem  früheren 
Fronhofs-  oder  Hörigenverhältuis  sich  ergebende  Pflicht  zur 
Arbeit  (z.  B.  in  Strassburg)  kommt  hier  nicht  in  Betracht. 
Der  Kontrahierungszwang  ist  ausdrücklich  ausgesprochen  in  der 
Handfeste  Herzog  Albrechts  von  Österreich  für  die  Schneider- 
zunft in  Wien  (angeführt  bei  v.  Berlepsch,  Chronik  der  Ge- 
werbe II  S.  226),  in  dom  Regensburger  Statut  über  Anfertigung 
der  Tücher  1259 — 1314  bei  einer  Busse  von  3 Pfd.  oder  Be- 
strafung an  der  Hand  (v.  Freyberg  V S.  95),  in  der  Strass- 
burger Bäckerordnung  von  1460  (Brücker  S.  98),  Rügisches 
Landrecht  (Frommhold)  97  § 11.  Struve  (III.  Buch  cap.  9 § 9) 
führt  noch  den  Kontrahierungszwang  der  Arbeiter  als  gewohn- 
heitsrechtlich bestehend  an.  Für  die  Fürsprechen  bestand 
Kontrahierungszwaug  nach  dem  Stadtr.  von  Hannover  (heraus- 
gegeben von  Brönnenberg  1844  S.  379)  und  nach  Kölner  Stadtr. 
von  1463  art.  37.  In  dem  mittelalterlichen  Rodbetrieb  der 
Schweiz  (Börlin  S.  50)  durfte  der  Kunde,  der  Waren  trans- 
portieren lassen  wollte,  nicht  abgewiesen  werden.  Desgleichen 
bestand  für  den  Müller,  der  ein  Bannrecht  hatte,  der  Kontra- 
hierungszwang. Vgl.  die  oben  angeführten  Weistümer,  ferner 
für  den  Bäcker  Albisheimer  Weistum  Z.  10  (Grimm  IV  638); 
Niederolmer  Weistum  Z.  9 (Grimm  IV  597). 

Andererseits  waren  die  Unternehmer  noch  innerhalb  der 
für  sie  bestehenden  Veitragsfreiheit  durch  zünftlerische  Rück- 


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sichten  beschränkt.  So  war  es  verboten,  „das  von  einem 
Zunftgenossen  begonnene  Werk  ohne  dessen  spezielle  Erlaubnis 
weiterzufiihren.  Bei  einzelnen  Zünften  war  es  sogar  untersagt, 
von  dem  Schuldner  eines  Amtsbruders  eine  Arbeit  anzunehmen, 
bevor  diese  bezahlt  war,  und  noch  weiter  ging  eine  Kölner 
Weberzunft,  die  jede  Kreditgewälirung  an  den  Schuldner  eines 
Genossen  verbot“  (Gierke,  Genossenschaftsr.  Bd.  I S.  395/396). 
In  der  Steinmetzordnung  von  1563  Z.  9 (Jänner  S.  275)  heisst  es: 
Ez  sollen  auch  nit  zwen  Meister  ein  werck  oder  ein  gebew 
gemein  haben ; Es  were  dann  dz  es  ein  kleiner  baw  were, 
der  in  jars  frist  ein  end  nemme:  den  mag  man  wol  gemein 
haben  mit  dem,  der  ein  mitburger  ist.  Vgl.  auch 
Lübecker  Dachdeckerordnung  aus  dem  16.  Jahrh.  (Wehr- 
mann S.  196). 

Dieser  Satz  ist  zweifellos  der  Niederschlag  einer  allgemein 
herrschenden  Rechtsanschauung;  denn  tatsächlich  findet  sich 
nur  in  ganz  wenigen  Fällen,  z.  B.  beim  Rathausbau  in  Bremen 
(dort  S.  282),  Übernahme  eines  Werks  durch  mehrere. 

2.  Objektiv  wird  die  Vertragsfreiheit  vielfach  beschränkt. 
Wenn  man  absieht  von  allgemein  polizeilichen  Verboten,  z.  B. 
dem  in  den  Freiberger  Innungsartikeln  der  Messerschmiede  von 
1440  § 3 (Ermisch  S.  282)  ausgesprochenen  Verbot,  andern  als 
Stadtbürgern  Messer,  und  diesen  mehr  als  drei  im  Jahre  zu 
machen,  so  kommen  vor  allem  gewerbepolizeiliche  Bestimmungen 
in  Betracht.  Vielfach  musste  auch  Kundenarbeit  auf  die  Be- 
schau gemacht  und  nach  den  Regeln  des  Amts  hergestellt 
werden,  z.  B.  nach  den  Freiberger  Wollweberart.  von  1350  bis 
1379  § 5 (Ermisch  S.  277),  der  Strassburger  Tuchmacherordnung 
von  1433  (Schmoller  S.  42ff.).  Noch  1658  wird  die  Unterwerfung 
unter  die  Beschau  ausdrücklich  unter  Berufung  auf  das  alte 
Recht  in  den  Strassburger  Wollweberartikeln  ausgesprochen 
(Schmoller  S.  318).  In  der  Strassburger  Barchentschauordnung 
von  1537 — 1541  (Schmoller  S.  161)  ist  ausser  dem  Gebote, 
Kundenarbeit  nicht  anders  zu  machen,  als  auf  die  schowe  aus- 
drücklich verlangt,  der  Barchartweber  solle  dem  Kunden  sagen 
„das  er  den  barchart  nit  anders  gebruchen  solle  dan  in  seim 
haus  und  nit  auf  den  kauf“.  Denn  dies  darf  nur,  wer  das 
Handwerk  gekauft  hat. 


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Dagegen  ist  Freiheit  von  den  Regeln  des  Amts  ausdrück- 
lich ausgesprochen  in  der  Lübecker  Kürschnerrolle  vor  1407 
(Wehrmann  S.  359),  in  der  Nürnberger  Polizeiordnung  Nr.  13 
für  die  Kannengiesser. 

Verschiedentlich  verfällt  sogar  der  Besteller  in  eine  Strafe, 
wenn  auf  sein  Geheiss  das  Werk  nicht  nach  den  Regeln  des 
Amts  oder  der  Stadt  angefertigt,  „verfälscht“  wurde,  so  nach 
den  Innungsartikeln  der  Freiberger  Wollweber  (Ermisch 
S.  277)  § 5 (1350 — 1379):  Die  verfälschten  Tücher  werden 
verbrannt  und  der  Eigentümer  wird  nach  Ermessen  der  Bürger 
und  der  Meister  gestraft;  ferner  nach  der  Strassburger  Tuch- 
macherordnung von  1433  (Schmoller  S.  43)  und  der  Hamburger 
Ordnung  für  die  Oltflicker  von  1434  (Rüdiger  S.  280),  wo  eben- 
falls Vernichtung  des  verfälschten  Werks  und  Busse  an  das 
Amt  ausgesprochen  wird.  Dagegen  haftet  nach  der  Münchner 
Bauordnung  von  1631  Art.  67  (Auer  S.  222)  für  die  Verstüsse 
gegen  die  Bauordnung  nach  dem  Polizeirecht  nicht  der  Bau- 
herr, sondern  der  Baumeister. 


4.  Abschnitt 

Das  materielle  Vertragsrecht. 

A.  Vorbemerkung. 

Vor  der  Darstellung  der  einzelnen  Rechtssätze  muss  auf 
einen  für  das  ganze  Bild  bedeutenden  Zug  hingewiesen  werden, 
nämlich  auf  die  ausdrückliche  und  wiederholte  Betonung  der 
Grundsätze  von  Treu  und  Glauben,  die  in  den  Quellen  überall 
hervortritt. 

Es  ist  schon  oben  erwähnt  worden,  dass  in  den  uns  über- 
lieferten Verträgen  fast  regelmässig  die  Formel  „ohne  ge- 
vaerde“,  „sonde  arglist“  wiederkehrt;  dazu  kommen  dann 
weitere  Wendungen,  wie  „alles  truwelich  und  vast“. 

Der  snider  sal  getruwe  und  gewer  sin  uff  deme  hant- 
wcrcke  deme  armen  also  deme  riehen.  Rechtsbuch  nach 
Dist.  Buch  V cap.  XHI  dist.  1. 


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„.  . . Die  vorgenanten  Sehr,  und  L.  (Besteller)  haben 
auch  alspald  bekand  das  sy  allem  dem,  so  ine,  wie  vor- 
Iawt.  zugepuere,  auch  volg  und  voltziehung  thuen  wellen, 
alles  getrewlich  unnd  ungeverlich“  1490  Vertrag  mit  Adam 
Kraft  (Repert.  Bd.  25  S.  360). 

. . Also  dat  he  dasselbe  Ciborium  uffs  allerbeste 
uud  beständigste  machen  und  bereiten  sol  noch  seinem 
besten  fleisse  . . .“  1453  Vertrag  der  Kirchenväter  zu 
St.  Elisabeth  mit  Jodok  Tauchen  (Alwin  Schultz,  De  vita 
J.  T.  1864  S.  17). 

„ . . . ind  dareto  allen  moegelick  arbeidt  ind  vlysth 
kieren  ind  doen,  dat  siilks  künstlich  und  waill  gemaickt 
mag  werden  . . . “ Vertrag  des  Malers  Bruyn  mit  dem 
Stift  zu  Xanten  (Beissel,  Gesell,  der  Ausstattung  S.  12). 
Nach  der  bei  v.  Berlepsch,  Chronik  der  Gewerbe  II  S.  14 
angeführten  Stelle  des  Nürnberger  Polizeibuchs  (1302 — 1315) 
soll  der  Mentler  arbeiten  „wie  ein  Freund  dem  andern“.  Nach 
Münchner  Stadtrecht  muss  der  Unternehmer  arbeiten  „als  er 
pest  mocht“  („das  best  sy  können  und  mögen“  in  einer  Grau- 
bündner Ordnung  f.  d.  Schiffmeister,  Börliu  a.  a.  0.  S.  61),  nach 
andern  Quellen  „truwelich  und  ungeverlich“,  so  z.  B.  nach  dem 
Ofner  Stadtr.  Art.  144;  Innungsartikel  der  Freiberger  Messer- 
schmiede um  1440  § 2 (Ermisch  S.  282);  Freiberger  Böttcher- 
artikel von  1450  (ebd.  S.  285);  Hamburger  Allgemeine  Be- 
stimmungen für  Handwerker  1563  (Rüdiger  S.  128);  Bayr.  Land- 
und  Polizeiordnung  vou  1616  IV.  Bch.  II.  Titel  3.  Art.  Vgl. 
die  entsprechenden  Vorschriften  über  den  Kauf  in  der  Frank- 
furter Reform,  von  1578  II.  Teil  2.  Titel. 

Die  Beobachtung  dieser  Grundsätze  suchte  man  sich  zu 
sichern,  indem  die  Stadtbehörden  oder  die  Ämter  selbst  die 
Handwerker  auf  die  Innungsartikel  oder  eben  ganz  besonders 
auf  obige  Formeln  schwören  liessen. 

„.  . . unde  dat  gi  allerhande  körn  dat  in  de  suluen  molen 
gebrocht  werdt  to  mclende  den  luden  truweliken  vorwaren 
und  juwe  medecumpane  vorwaren  laten  un  juwen  vift 
synnen  alse  gi  best  kunnen  und  mögen  . . .“ 

Eid  der  Müller  nach  dem  Braunschw.  Ordinarius  von  1461  (Hänsel- 
mann UB.S.  172);  ferner  Verordnung  von  1416  für  die  Strassburger 


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Goldschmiede  (bei  Meyer,  Strassbnrger  Goldschmiedzunft  S.  4ff.); 
Ordnung  für  die  Strassburger  Ölmüller  aus  dem  15.  Jahrh. 
„als  ob  es  ir  eigen  gut  were“  (Brücker  (S.  405),  für  die  Strass- 
burger Müller  1452  und  1478  (Brücker  S.  376),  für  die  Bäcker 
in  Strassburg  1478  (Brücker  S.  116). 

Es  ist  bezeichnend,  dass  fast  alle  Quellen  jenen  Grund- 
satz in  der  Richtung  gegen  den  Unternehmer  betonen.  Er 
scheint  hier  auf  das  wirtschaftliche  Bedürfnis  hingewiesen  zu 
haben.  Die  Klagen,  dass  die  Handwerker  nachlässig,  ohne 
Schonung  des  Stoffs,  „schlampig“  arbeiten,  sind  sicherlich  über- 
all da  aufgetaucht,  wo  man  auf  die  fertige  Arbeit,  die  man 
nicht  beaufsichtigen  konnte,  angewiesen  war.  Das  Mittelalter 
sucht  sich  hiergegen  durch  die  ausdrücklicke  Ermahnung  zur 
Befolgung  von  Treu  und  Glauben  zu  schützen.  Es  entspricht 
dies  der  ganzen  mittelalterlichen  Auffassung,  die  dazu  neigte, 
ethische  und  rechtliche  Gesichtspunkte  zu  verbinden. 

Wenn  bei  der  nun  folgenden  Darstellung  der  eigentlichen 
Rechtssätze  nicht  von  der  üblichen  Einteilung  in  Rechte  und 
Pflichten  des  Unternehmers  ausgegangen  wird,  so  geschieht  dies 
deswegen,  weil  jener  Weg  nur  zu  lästigen  Wiederholungen 
führt,  ohne  viel  mehr  Klarheit  in  die  Darstellung  zu  bringen. 

B.  Die  Herstellung  des  Werks. 

1.  Der  Zweck  des  Vertrags  ist  die  Herstellung  des  Werks, 
die  Bewirkung  des  Erfolgs.  Die  Quellen  sprechen  daher  auch 
die  aus  dem  Vertragsabschlüsse  sich  ergebende  Pflicht  des  Unter- 
nehmers zur  Ausführung  des  Werks  ausdrücklich  aus. 

Wenn  sich  ain  werchman  er  sei  maurer  oder  zimerman 
• oder  decker,  ains  werchs  unterwint  ze  taglon  oder  ze 
fürding,  daz  selb  werch  sol  er  mit  seinen  gesellen  volfürn 
und  volpringen  . . . 

A.  472  des  Münchner  Stadtr.  (Auer  S.  180);  A.  129  Augs- 
burger Stadtr.,  ebenso  fast  wörtlich  im  reform.  bayr.  Landr. 
von  1518,  42.  Titel  4.  Art.  und  noch  im  Landrecht  von  1616, 
32.  Titel  2.  Art.,  vgl.  ferner  die  oben  angeführten  Ordnungen 
für  die  Handwerker,  in  denen  über  die  Art  der  Ausführung 
gesprochen  wird. 


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2.  Die  Herstellung  muss  fast  durchwegs  durch  den  Unter- 
nehmer persönlich  erfolgen. 

Schon  in  den  allgemeinen  Zeitverhältnissen  ist  dies  be- 
gründet. „Das  Amt  oblag  als  persönliche  Pflicht,  jeder  Ge- 
nosse war  daher  zu  seinem  Teil  verpflichtet  zur  Arbeit,  und 
zwar  zur  Arbeit  in  Person“  (Gierkc,  Genossenschaftsrecht 
Bd.  I S.  390).  War  der  Kreis  der  Unternehmer  beschränkt, 
so  war  es  innerhalb  dieses  Kreises  Vertrauenssache,  mit 
welchem  Meister  man  den  Vertrag  abschliessen  wollte.  Nach 
der  Lübecker  Zunftrolle  der  Maurer  und  Decker  von  1527 
(Wehrmann  S.  332)  darf  ein  Meister  seinen  Knecht  zu  einer 
einigermassen  grösseren  Arbeit  nicht  allein  senden,  es  sei  denn, 
dass  der  Besteller  ausdrücklich  damit  einverstanden  ist.  Die 
(allgemein  geltende)  Haftung  für  die  Arbeit  des  Gehilfen  wird 
dadurch  nicht  berührt.  (Ähnlich  die  Lüneburger  Maurer- 
ordnung von  1570  bei  Bodemann , Ältere  Lüneburger  Zunft- 
urkunden S.  169.) 

Entsprechend  ist  die  Unterverdingung  meistens  verboten. 
Es  ergibt  sich  dies  schon  aus  zünftlerischen  Erwägungen. 
Nur  seine  lebendige  Arbeitskraft  soll  jeder  zum  Erwerbe  ge- 
brauchen. Fremde  Arbeit  darf  vom  Unternehmer  nur  durch 
Dienstvertrag  mit  den  Gehilfen  gebraucht  werden.  Eine  Ab- 
grenzung, inwieweit  Unterverdingung  zulässig  ist,  enthält  für 
die  Steinmetzen  die  Ordnung  von  1459  Art.  7,  8 (Jänner 
S.  254). 

Bei  den  Erziehungsverträgen  ergibt  sich  schon  von  vorn- 
herein aus  den  Verhältnissen  die  Pflicht  zur  persönlichen 
Leistung  für  den  Unternehmer.  Die  Quellen  regeln  daher  auch 
nur  den  Fall  des  Todes  des  Lehrherrn,  hier  nämlich  soll  der 
Lehrling  bei  dem  Erben  des  Lehrmeisters  oder  bei  einem 
andern  Zunftmeister  „bestätigt“,  d.  h.  untergebracht  werden  (vgl. 
Lüneburger  Goldschmiedordnung  von  1400  bei  Bodemann  S.  97). 

Die  grösste  Bedeutung  hat  die  persönliche  Herstellung  des 
Werks  bei  Künstlerverträgen.  So  heisst  es  in  dem  Vertrag 
Hans  Imhofs  mit  Adam  Kraft  über  Errichtung  des  Sakra- 
mentshäuschens 1493  (Wanderer,  Adam  Kraft  S.  16): 

Auch  soll  der  mer  gut  Meister  Adam  an  solchem  werck 
stettigs  verpunden  sein  mit  sein  selbs  Leib  zu  arbeitteu 


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und  zusampt  im  bestellen  vier  oder  auff  das  meynst  drey 
gesellen  redlich  und  künstlich  zu  solcher  axbeit  küment 
die  auch  stettigs  daran  arbeitten  unnd  sich  sunst  keinss 
andern  wercks  oder  arbeit  unterwinten  noch  daran  machen. 

Es  war  demnach  die  nach  der  Natur  der  hier  in  Betracht 
kommenden  Arbeit  unbedingt  notwendige  Beihilfe  durch  Ge- 
sellen, wie  oben,  nur  unter  der  persönlichen  Leitung  und  Haupt- 
arbeit durch  den  Meister  gestattet.  In  der  Malerei  kamen 
Werkstätten,  wo  Schüler  und  Gehilfen  an  den  Werken  des 
Meisters  mitarbeiteten,  erst  ziemlich  spät  auf.  Es  ergab  sich 
daher  schon  aus  den  äussern  Verhältnissen  die  persönliche 
Ausführung  durch  den  Meister.  Erst  um  die  Wende  des  15. 
zum  16.  Jahrhundert,  wo  die  Kunst  selbst  zur  Sache  der  Persön- 
lichkeit wurde,  wird  diese  Frage  mehr  betont.  So  verpflichtet 
sich  Albrecht  Dürer  in  dem  Vertrag  über  Herstellung  des 
Hellerschen  Altarbilds  ausdrücklich,  dass  er  das  Mittelstück 
selbst  machen  werde  und  „soll  auch  kein  anderer  Mensch  keinen 
Strich  darzu  malen,  denn  ich“  (Lützows  Zeitschr.  für  die  bilden- 
den Künste  Jahrg.  1871  S.  94). 

Hieraus  ergibt  sich,  dass  durch  den  Tod  des  Meisters  die 
Leistung  unmöglich  wird,  und  der  Vertrag  aufgelöst  wird.  So 
erklärt  Tilman  Riemenschneider  in  einer  Quittung  über  einen 
Vorschuss  1490,  dass  für  den  Fall  seines  Todes  vor  Vollendung 
des  Werks  seine  Erben  die  Anzahlung  zurückzuzahlen  haben 
(Tönnies,  Tilman  Riemenschneider  S.  278).  Entsprechend  der 
Vertrag  des  Rats  zu  Zeitz  mit  Pankraz  Gruber  über  Anferti- 
gung eines  Altarschreins  1520  (Bau-  und  Kunstdenkmäler  der 
Provinz  Sachsen  I 71).  Man  wird  sonach  annehmen  dürfen, 
dass  die  Rechtslage  hier  im  MA.  dieselbe  wie  in  unsern  Tagen 
ist,  dass  die  Natur  der  in  Betracht  kommenden  Leistung  für 
die  Frage  der  persönlichen  Ausführung  entscheidend  ist,  ja  dass 
das  MA.  sogar  mehr  geneigt  war,  gerade  persönliche  Aus- 
führung zu  fordern. 

Über  persönliche  Ausführung  beim  Frachtvertrag  und  die 
Befreiung  hiervon  durch  „schlechten  Wechsel“  vgl.  Börlin, 
Transportverbände  etc.  S.  56. 

3.  Schon  in  dem  oben  angeführten  Vertrag  mit  Adam 
Kraft  ist  ausdrücklich  verboten,  dass  die  Gesellen  noch  eine 

KotlieubUcher,  Werkvertrag  4 


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andere  Arbeit  übernehmen.  Dieses  Verbot  besteht  in  weiter 
Ausdehnung  für  den  YVerkvertragsunternehmer  überhaupt.  Bei 
all  den  Werken  nämlich,  die  ihrer  Natur  nach  nicht  vom  Unter- 
nehmer in  seiner  Werkstätte  hergestellt  werden,  sondern  an 
einem  bestimmten  Ort  in  ununterbrochener  Arbeit  zu  fertigen 
sind,  also  vor  allem  im  Bau-  und  Anbringungsgewerbe,  besteht 
die  Gefahr,  dass  der  Arbeiter  von  dem  Werk  geht,  die  Stadt 
und  die  Gegend  verlässt,  und  dass  es  bei  den  engeu  gewerb- 
lichen Verhältnissen  dann  schwer  wird,  Ersatz  an  Arbeits- 
kräften zu  finden.  Daher  wird  regelmässig  den  im  Dienst- 
oder Werkvertrag  beschäftigten  Arbeitern  und  Unternehmern 
verboten,  während  des  Baus  an  einem  andern  Werk  zu  ar- 
beiten oder  das  angedungene  zu  verlassen. 

Art.  472  des  Münchner  Stadtr.  reiht  an  das  oben 
angeführte  Gebot,  das  Werk  zu  vollbringen,  den  Satz 
. . . und  sol  auch  an  chain  ander  werch  die  zeit  nicht 
sten,  und  sol  darausz  nicht  gen  oder  dem  lichter  LX  du; 
der  stat  I lib. 

Ez  soll  auch  kain  maister  nach  disem  geböte  niht 
mer  werke  besten  denne  ain  werk,  weder  ze  furgriffe 
noch  sust,  uutz  er  jenem  sein  werk  zubringet,  und  sol 
auch  von  dem  werke  niht  gen  aue  dez  willen  und  wort 
dem  er  wirket.  Nürnberger  Bauordnung  aus  dem  13.  und 
14.  Jalirh.  (Baader  S.  286). 

Welck  schepestimmermaun  enen  schipper  edder  jenigem 
anderswo  arbeiden  will,  der  scholl  den  sülven  (Unter- 
nehmer) erst  fragen,  elfte  he  idt  arbeit  ock  eenem  andern 
thogesegt  helft.  Und  dar  desülve  man  dat  arbeit  einem 
andern  thogesecht  helft  und  gelick  wohl  darup  geit,  so 
schall  he  davor  breken,  wrat  eme  ein  ambt  finden  kann 
na  gelegenheit  der  sacke.  Hamburger  Schiifbauerordnung 
von  1554  (Rüdiger,  Die  ältesten  Hamburger  Zunftrollen 
S.  245). 

Übereinstimmend,  zum  Teil  mit  Festsetzung  von  Bussen  für 
das  Fortlaufen  entsprechend  den  Gesindeordnungen,  Nürnberger 
Baumeisterbuch  des  Endres  Tücher  (S.  274),  Lübecker  Zunft- 
rolle der  Maurer  und  Decker  1527  (Wehrmann  S.  332),  Lü- 
becker Rolle  der  Schilfszimmerleute  von  1560  (Wehrmann 


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S.  405),  Zimmernmnnsordnung  von  1570  (Bodemann  S.  259), 
Lüneburger  Malerordnung  von  1595,  Glaserordnung  von  1596 
(Bodeiuann  S.  165,  92).  Ferner  gehört  hierher  der  mehrfach 
angeführte  Vertrag  mit  einem  Kunstschreiber  (Wattenbach 
S.  478) 

promisit  per  fidem  suam  quod  aliud  opus  non  accipiet. 

4.  Die  Herstellung  des  Werks  umfasst  nach  einigen  Quellen 
auch  die  Pflicht,  das  Werk  dem  Besteller  zu  bringen.  Frei- 
berger Böttclierartikel  von  1450  § 4 (Ermisch  S.  286),  Strass- 
burger Müllerordnuug  von  1452  (Brücker  S.  376),  Strassburger 
Bäckerordnung  von  1460  (Brücker  S.  98),  wo  allerdings  nicht 
ganz  klar,  ob  Dienst-  oder  Werkvertrag,  Ordnung  der  Ulmer 
Mangmeister  von  1508  (Nübling  S.  108). 

Allgemeine  Geltung  der  Bringschuld  wird  kaum  behauptet 
werden  können,  vielmehr  wird  es  in  den  meisten  Fällen  auf 
die  Vertragssitte,  oder  auf  den  eigens  ausgesprochenen  Ver- 
tragswillen ankommen.  So  wird  in  verschiedenen  Verträgen 
bestimmt,  dass  der  Unternehmer  das  Werk  up  egene  kost 
an  den  Platz  der  Aufstellung  zu  bringen  habe;  z.  B.  bei  der 
Verdingung  der  Sandsteinfiguren  am  Bremer  Rathaus  1406/1407, 
Verdingung  des  Grabmals  an  Adam  Kraft  1490,  Vertrag  des 
Malers  Bruyn  mit  dem  Stift  zu  Xanten  15  9 („auf  seine  Kost, 
Angst  und  Arbeit“). 

Im  Zusammenhang  hiermit  mag  erwähnt  werden,  dass  auf 
dem  Lande  der  Müller  und  Bäcker  vielfach  auch  verpflichtet 
sind,  den  zu  verarbeitenden  Stoff  zur  Verarbeitung  beim  Be- 
steller abznholen,  sei  es,  dass  dies  mit  dem  Bannrecht  des 
Müllers  zusammenhängt,  oder  damit,  dass  es  sich  um  eine  ge- 
meindliche Einrichtung  handelt. 

Dar  umm  soll  der  moeller  dem  gemeinsmann  hollen  zu 
mallen  in  sinem  hus  oder  in  einer  mill  wegs,  wo  er  es 
hat;  und  wer  es  sach,  dass  dem  moeller  das  körn  zum 
ersten  mall  nit  wurde,  for  er  dan  meher,  darnach  soll  er 
im  ein  zimlichen  Ion  geben.  Neubamberger  Weistum  aus 
dem  15.  Jahrh.  (Grimm  IV  622),  Bibelnheimer  Weistum 
von  1529  (ebd.  I 725),  Rechte  zu  Langenerringen  (ebd. 
III  645),  Gross -Bockenheimer  Weistum  (ebd.  V 625), 
Albisheimer  Weistum  (ebd.  IV  638). 

4* 


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5.  Das  Werk  muss  rechtzeitig  geliefert  werden.  Der 
Termin  für  die  Lieferung  wird  nur  ganz  ausnahmsweise  durch 
eine  Rechtssatzung  bestimmt,  in  der  Regel  wird  er  vertrags- 
mässig  festgesetzt  (mit  einer  Konventionalstrafe  in  der  Verdin- 
gung des  Baus  einer  Brücke  1328,  Fontes  rer.  Bern.  V 650). 
Nach  dem  Hannoverschen  Stadtrecht  (Brönnenberg  S.  472)  muss 
der  Leinweber  den  Leuten  ihr  Gut  4 Wochen  nach  Übergabe  ab- 
liefern. Während  diese  Bestimmung  polizeilicher  Natur  ist, 
hat  das  Rügische  Landrecht  CXIV  §§  6,  7 (Frommhold  1896 
S.  122)  einen  dahin  gehenden  privatrechtlichen  Satz  aufgestellt. 
Wenn  der  Weber  nämlich  nicht  innerhalb  12  Wochen  das 
Werk  abliefert,  so  hat  er  die  Gefahr  des  Untergangs  der 
Sache  durch  höhere  Gewalt  zum  Teil  zu  tragen. 

Im  allgemeinen  ist  der  Rechtssatz,  dass  die  Lieferung  des 
Werkes  fristgerecht  erfolgen  müsse,  in  den  Quellen  selten 
ausdrücklich  ansgesprochen.  Er  findet  sich  in  den  Freiberger 
Böttcherartikeln  von  1450  § 5 (Ermisch  S.  285). 

Item  so  sullen  die  pender  . . . ouch  nemen  gut  und  be- 
stendigk  holcz  und  das  ouch  darczu  zu  rechter  zeit 
ausrichten  und  schicken  . . . 

Vgl.  ferner  den  von  Börlin,  Transportverbände  S.  58  mit- 
geteilten Portenbeschluss  von  1557:  Der  Fuhrmann  soll  das 
Gut  uff  zil  und  tag,  wie  er  verheissen  hat,  unverzogen- 
1 ich  antwortten. 

Im  allgemeinen  jedoch  ist  diese  Seite  der  Verpflichtung 
des  Unternehmers,  die  in  unserm  heutigen  Gewerbsleben  eine 
so  bedeutende  Rolle  spielt,  im  MA.  noch  nicht  entsprechend 
entwickelt.  Man  muss  sich  hierbei  vergegenwärtigen,  dass  der 
Kreis  der  Unternehmer  und  der  Besteller  örtlich  und  persönlich 
ein  engbegrenzter  war,  dass  das  ganze  Geschäftsleben  noch 
nicht  in  der  hastenden  Geschwindigkeit  der  späteren  Jahr- 
hunderte sich  abspielte.  Der  Besteller  war  noch  mehr  an  der 
Herstellung  des  Werks  überhaupt,  als  daran  interessiert,  dass 
es  gerade  an  einem  bestimmten  Zeitpunkt  geliefert  werde. 
Auch  hier  wird  von  Bedeutung,  dass  bei  jener  Gruppe  von 
Werkverträgen,  die  die  Errichtung  eines  Baus  bezwecken,  der 
Unternehmer  meist  im  Zeitlohn  arbeitet.  Da  er  meistens  wirt- 
schaftlich nicht  stark  genug  ist,  als  „Baugeschäftsinhaber“  in 


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unserm  heutigen  Sinne  aufzutreten,  werden  die  Arbeiter  und 
Handlanger  oft  vom  Bauherrn  selbst  eingestellt  und  entlohnt, 
so  dass  dieser  auf  die  Fertigstellung  des  Baus  grösseren  Ein- 
fluss gewinnt,  als  der  Baumeister.  In  solchen  Fällen  kann 
dann  natürlich  von  einem  Endtermin  nicht  mehr  gesprochen 
werden.  Kommt  es  ja  sogar  vor,  dass  sich  der  Unternehmer 
die  Vertragsbestimmung  gefallen  lassen  muss,  dass,  wenn  dem 
Besteller  der  Stoff  oder  das  Geld  ausgeht,  die  Ausführung  des 
Werks  auf  einige  Jahre  eingestellt  werde,  z.  B.  bei  dem  Ver- 
trag über  die  Erbauung  der  Elsterbrücke  bei  Zeitz  1532. 
Andererseits  ist  zu  berücksichtigen,  dass  die  Werkverträge 
des  MA.  grösstenteils  von  dem  konsumierenden  Publikum  un- 
mittelbar abgeschlossen  werden.  In  diesem  Verkehr  wird  aber 
bekanntlich  auch  heute  noch  die  Einhaltung  der  Lieferungs- 
fristen nicht  strenge  durchgeführt. 

Soweit  nun  in  den  Verträgen  über  die  Errichtung  von 
Bauwerken  tatsächlich  Lieferungsfristen  bestimmt  sind,  sind 
doch  keine  rechtlichen  Nachteile  an  deren  Nichteinhaltung  ge- 
knüpft; vielmehr  scheint  man  sich  mit  den  oben  angeführten 
vertragsmässigen  oder  gesetzlichen  Verboten,  ein  anderes  Werk 
anzunehmen,  begnügt  zu  haben. 

Dagegen  finden  sich  für  die  Verträge  über  Bearbeitung 
eines  übergebenen  Stoffs  in  den  Quellen  Ansätze  zur  Frist- 
setzung. 

In  der  Wismarer  Goldschmiedrolle  von  1380  Art.  9 (Crull, 
Das  Amt  der  Goldschmiede  zu  Wismar  1888  I)  heisst  es: 

welk  goltsmit  verclaghet  wert  vor  den  werkmestern 
umme  golt  edder  umme  suluer,  dat  em  ghedaen  is  to 
arbeydende  in  syne  wonynghe,  deme  schalme  bescheden 
veerteyn  daghe  vul  to  donde  deme  jenem,  de  se  claghet, 
it  en  were,  dat  me  dat  werk  binnen  verteyn  daghen 
nicht  konde  reede  maken.  So  schal  me  em  noch  ene  tyt 
legghen  de  langhe  noch  is  dat  werk  to  makende.  Weret 
dat  hee  denne  binnen  der  tyt  nicht  nogafteghen  voldede 
an  golde  in  suluere  edder  mit  reedem  ghelde  edder  mit 
panden,  de  schal  en  half  jaer  sines  ampts  untberen. 

Diese  Bestimmung  bezieht  sich  nicht  nur  auf  die  Verzögerung 
des  Werks,  sondern  auch  auf  den  Fall,  dass  der  Goldschmied 


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den  Stoff  „verwartest“  hat,  ihn  nicht  zur  Hand  hat,  also  seine 
Vertragspflicht  nicht  erfüllen  kann.  Denn  die  Bestimmung, 
dass  er  ein  halbes  Jahr  des  Amts  entbehren  soll,  wenn  er  mit 
Geld  oder  Pfand  den  Besteller  nicht  befriedigen  kann,  hat  den 
Fall  der  Veruntreuung  im  Auge.  Aber  auch  die  Fristsetzung 
für  den  Fall  der  Versäumnis  ergibt  sich  aus  der  Stelle  zweifel- 
los. Im  Jahre  1543  hat  sich  der  Rechtssatz  dahin  geändert, 
dass  für  den  Fall  der  Verzögerung  — nur  dieser  ist  getroffen 
— die  Älterleute  des  Amts  dem  Goldschmied  eine  „ziemliche“ 
Frist  setzen  sollen,  nach  deren  Ablauf  man  ihn  vor  den  Herren 
(dem  Rat)  verklagen  kann.  Ebenso  die  Lübecker  Maler-  und 
Glaserordnung  von  1474  (Wehrmann  S.  329). 

Jnt  were  das  welck  man  werck  vordinget,  id  were  mal- 
werck  edder  glasewerck  unde  nicht  bereide  makede,  also 
dat  dar  dachte  over  queme,  dar  so  schoten  de  olderlude 
over  und  by  gan  unde  to  sehen,  wat  dar  inne  raaket  is, 
unde  zetten  em  ene  tyd  dar  inne  he  dat  reke  machen 
kan,  unde  kumpt  denne  dar  noch  eyn  dachte  over,  so 
schal  he  dat  wedden  na  uthwisinge  unser  rollen  bovens- 
creven  so  hoch  edder  so  zyd  alse  dat  de  hem  richtenn 
willen. 

Ferner  Lübecker  Leinweberordnung  von  1425  (Wehrmann 
S.  322);  vgl.  auch  Struve,  Systema  jurisprudentiae  opificiariae 
1738  III  3 cap.  9 § 23  unter  Berufung  auf  die  Jenenser 
Schneiderrolle  § 16. 

Man  wird  annehmen  dürfen,  dass  diese  Fristsetzung  durch 
die  Älterleute  des  Amts  weiter  verbreitet  war,  als  aus  den  an 
sich  dürftigen  Quellenbelegen  hervorgeht.  Denn,  wie  noch  zu 
zeigen  sein  wird,  bestand  für  die  Ansprüche  des  Bestellers 
gegen  den  Unternehmer  in  verschiedenen  Richtungen  die  Zu- 
ständigkeit des  Amts.  Es  entsprach  dies  auch  der  ganzen 
mittelalterlichen  Auffassuug,  nach  der  die  Organisation  dafür 
zu  sorgen  hatte,  dass  jedes  ihrer  Mitglieder  seinen  Pflichten, 
nicht  nur  in  rechtlicher,  sondern  auch  ethischer  Beziehung  ge- 
treulich nachkam.  Was  lag  näher  als  auch  dort,  wo  dies  nicht 
ausdrücklich  ausgesprochen  war,  die  Vermittlung  und  Hilfe  der 
Älterleute  anzurufen,  die  an  sich  schon  zur  Beaufsichtigung 
der  Arbeit,  und  meistens  zur  Beschau  des  fertigen  Werks  be- 


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rufen  waren  ? Der  Besteller  war  vornehmlich  daran  interessiert, 
dass  das  Werk  fertig  gestellt  werde,  ein  alleufallsiger  Schadens- 
ersatzanspruch wegen  verspäteter  Leistung  war  nach  den  ge- 
schilderten Verhältnissen  für  ihn  von  geringem  Wert.  Wäre 
ihm  ein  Recht  zura  Rücktritt  vom  Vertrag  eingeräumt  gewesen, 
so  hätte  dies  seinem  wirtschaftlichen  Bedürfnis  nicht  genügt. 
Ihm  lag  wesentlich  an  der  Herstellung  des  Werks. 

6.  Aus  demselben  Gesichtspunkte  heraus  griff  das  mittel- 
alterliche Recht  zu  dem  Mittel  der  Zwangshaft  gegen  den 
Unternehmer,  die  bei  Verzögerung  des  Werks  oder  Nichter- 
füllung des  Vertrags  entweder  vertragsmässig  vereinbart  war 
oder  durch  die  Obrigkeit  verhängt  wurde. 

In  dem  bei  Wattenbach  S.  478  abgedruckten  Vertrag  mit 
einem  Kunstschreiber  findet  sich  die  Verpflichtung  des  Unter- 
nehmers, für  den  Fall,  dass  er  das  Werk  liegen  lässt 

„quod  ipse  prisionem  in  domo  dicti  magistri  (Bestellers) 
in  vinculis  ferreis  tenebit,  inde  nullatenus  exiturus,  quous- 
que  dictum  opus  fuerit  integraliter  perfectum,  et  si  in 
hoc  defecerit,  quod  praepositus  noster  vel  serviens  ubi- 
cunque  eum  capiat  et  ad  domum  dicti  magistri  adducat 
pro  prisione  tenenda  . . . 

Es  handelt  sich  hier  um  das  im  MA.  sehr  häufige  Versprechen 
des  „Einlagers“.  Es  wird  hier  nur  durch  den  Zweck,  dem  es 
dienen  soll,  insoferne  von  der  gewöhnlichen  Form  abweichend 
bestimmt,  als  er  nicht  den  Zweck  hat,  eine  Geldleistung  zu 
erreichen,  sondern  unmittelbar  dazu  zu  zwingen,  das  Werk  zu 
vollenden  (vgl.  Stobbe,  Zur  Geschichte  des  deutschen  Vertrags- 
rechts S.  192  ff.,  Planck,  Gerichtsverfahren  II.  Bd.  S.  335). 

Verwandt  hiermit  ist  die  reine  Zwangshaft,  wie  sie  in 
Nürnberg  vorkommt.  Dort  wurde  der  Ofenbauer  Leupold,  der 
mit  dem  Pfalzgrafen  von  Neuburg  einen  Vertrag  über  Lieferung 
kunstgewerblich  bedeutender  Öfen  abgeschlossen  hatte,  auf  Be- 
schwerde des  Pfalzgrafen  vom  Rat  in  den  versperrten  Turm 
getan , nach  einigen  Tagen  angewiesen , innerhalb  eines 
Monats  die  Arbeit  fertig  zu  stellen,  und  als  er  dies  wieder 
nicht  befolgte,  neuerdings  mit  Verhaftung  bedroht  (Mummen- 
hof,  Rathaus  zu  Nürnberg  S.  154).  Zu  gleicher  Zeit  (1619) 
wurde  einem  andern  Ofenbauer  Veit  vom  Rat  mit  Verhaftung 


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gedroht,  wenn  er  nicht  innerhalb  eines  Jahrs  die  für  das  Rat- 
haus zu  liefernden  Öfen  fertig  stelle  (Mitteilungen  des  German. 
Mus.  1902  Heft  I S.  8),  wie  auch  1539  schon  Peter  Vischer 
vom  Rat  mit  dem  Turm  bedroht  worden  war,  falls  er  nicht 
ein  angedungenes  Prachtgitter  fertig  stelle  (Mummenhof  S.  97). 

Es  ist  mir  nicht  gelungen,  weitere  Belege  in  dieser  Rich- 
tung oder  eine  hierauf  bezügliche  Rechtssatzung  zu  finden. 
Da  die  Voraussetzung  der  Schuldhaft,  ein  gerichtliches  Urteil 
fehlt  (vgl.  Planck,  Gerichtsverf.  II  258  ff.),  kann  diese  zur  Er- 
klärung nicht  herangezogen  werden.  Eine  verwandte  Ein- 
richtung findet  sich  jedoch  im  Züricher  und  Luzerner  Recht 
(vgl.  Wyss,  Die  Schuldbetreibung  nach  Schweiz.  Recht,  in  der 
Zeitschr.  für  Schweiz.  Recht  Jahrg.  VII  1858  S.  17,  40).  Da- 
nach wurde  nämlich  bei  besonders  privilegierten  Schulden  der 
Schuldner  im  Auftrag  der  Obrigkeit  durch  den  Gerichtsboten 
gemahnt.  Blieben  diese  Mahnungen  unberücksichtigt,  so  konnte 
der  Gläubiger  den  Schuldner  gefänglich  einziehen  lassen.  Wyss 
bemerkt  hierzu,  es  könnten  diese  Gebote,  zu  zahlen,  angesehen 
werden  als  eine  blosse  spezielle  Anwendung  der  allgemeinen 
Befugnis  der  Obrigkeit,  Gebote  zum  Schutze  von  Privatrechten 
zu  erlassen,  und  das  Gefängnis  sei  hier  zunächst  eher  Strafe 
des  Ungehorsams,  als  Realisierung  eines  Rechts  des  Gläubigers 
auf  die  Person  des  Schuldners. 

Auch  im  vorliegenden  Falle  muss  meines  Erachtens  die 
Praxis  des  Nürnberger  Rats  aus  diesem  Gesichtspunkte  erklärt 
werden.  Der  Besteller  hatte  vertragsmässig  den  Anspruch  auf 
Herstellung  der  Kunstwerke.  Kam  der  Meister  dieser  Ver- 
pflichtung nicht  nach,  so  half  dem  Kunstliebhaber,  der  nun 
eben  von  dem  in  seiner  Art  einzigen  Peter  Vischer  das  Gitter 
haben  wollte,  der  Anspruch  auf  Schadensersatz  in  Geld  nichts. 
Der  Meister  musste  gezwungen  werden.  Hier  musste  die  Stadt- 
obrigkeit eingreifen.  Möglich,  dass  noch  der  alte  Gedanke 
lebendig  war.  dass  die  Genossenschaft,  hier  die  Stadt,  für  ihre 
einzelnen  Mitglieder  hafte;  auf  jeden  Fall  war  Nürnberg  daran 
interessiert,  dass  seine  Kunstge werbe  treibenden  Bürger  die 
Stadt  nicht  in  Verruf  brachten.  Das  Mittel  der  Haft  war  das 
einzige,  das  wirken  konnte.  Die  alte  Sicherheit  der  Person 
vor  willkürlicher  Verhaftung  aber  mochte  in  der  Zeit  der  er- 


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stärkenden  obrigkeitlichen  Gewalt  vergessen  worden  sein.  In- 
wieweit diese  Einrichtung,  die  als  gewohnheitsrechtliche  an- 
gesehen werden  darf,  anderswo  verbreitet  war,  gelang  mir 
nicht  festzustellen.  (Wie  willkürlich  der  Rat  zu  N.  oft  vor- 
ging, zeigt  der  Verlauf  seines  Streits  mit  Veit  Stoss:  Dieser 
drohte,  den  Rat  beim  Kaiser  wegen  Nichtbezahlung  seines 
Lohns  zu  verklagen,  worauf  der  Rat  am  27.  März  1506  be- 
schliesst:  . . . sich  sein  zu  mechtigen  und  zu  gefengkns  dess 
lochs  zu  bringen.  Nürnberger  Ratsverlässe  Bd.  I S.  107  ff.) 
Auch  Knapps  Nürnberger  Kriminalverfahren  1891  und  Nürn- 
berger Kriminalrecht  1896  gibt  keinen  Aufschluss. 

7.  Zur  Ausführung  des  Werks  sind  vielfach  Handlungen  des 
Bestellers  nötig.  Vor  allem  hat  er  den  Stoff  und  die  Zutaten 
zu  liefern.  Nach  verschiedenen  Mühl-  und  Bäckerordnungen 
muss  das  Getreide  oder  Mehl  an  die  Betriebsstätte  des  Unter- 
nehmers von  den  Leuten  des  Bestellers  gebracht  werden.  Das 
Rügische  Landrecht  (Frommhold)  CXIV  1 bestimmt: 

De  wewer  mögen  ane  unrecht  dat  werk  laten  liggen  edder 
auholden  went  se  ere  Koeken  und  vett  und  meel  und 
schmittelisse  (Gebühr  für  die  Stärke  der  Scherung)  van 
den,  de  en  heft  sin  garne  gebracht,  nicht  bekamen  hebbe. 
ebenso  noch  der  Wendisch  - Rügianische  Landgebrauch, 
230.  Titel  (Gadebusch).  Vgl.  ferner  die  Bestimmungen  des  Hof- 
rechts von  Wangen  (Grimm  IV  353)  über  den  Fähren.  Dort 
müssen  die  Fahrgäste  mitrudern  helfen. 

Art.  20.  Item  in  dem  grossen  schiff  sol  er  haben  drig 
rasten  (Ablösung  im  Rudern)  und  welen  er  heist  ziehen, 
der  sol  es  tuon;  wöll  er  aber  nüt  ziehen,  so  mag  im  der 
lierr  ein  pfand  nemen  und  mag  es  einem  andern  geben 
der  für  in  fert. 

Am  wichtigsten  wird  die  Anwesenheit  des  Lehrkinds  beim 
Lehrvertrag.  Hier  ist  vielfach  eine  Busse  für  das  Weglaufen 
festgesetzt,  z.  B.  Strassburger  Küferordnung  von  1395  (Brücker 
S.  316,  317). 

8.  Das  herzustellende  Werk  muss  bestimmte  Eigenschaften 
haben. 

Diese  für  den  ganzen  Vertrag  hochwichtige  Frage  wurde 
im  mittelalterlichen  Recht  anders  wie  heute  behandelt.  Vor 


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allem  ist  hier  die  Organisation  des  Handwerks  in  den  Städten 
von  grösster  Bedeutung.  „Aus  dem  Interesse  am  gemeinen 
Besten  und  der  Ehre  des  Handwerks  ergibt  sich  die  Haupt- 
pflicht der  Zunft,  welche  aus  dem  Begriff  des  Handwerks  als 
Amts  folgt,  die  Sicherung  der  Güte  und  Brauchbarkeit  des 
Arbeitsprodukts“  (Gierke,  Genossenschaftsr.  Bd.  I S.  388 ff'.). 
Die  Ämter  und  Zünfte  stellen  teils  auf  Grund  eigenen  Gesetz- 
gebungsrechts, teils  im  Zusammenwirken  mit  der  Stadtobrig- 
keit Vorschriften  für  die  anzuwendende  Technik  auf.  Es  wird 
die  Herstelluugsweise  der  einzelnen  gewerblichen  Erzeugnisse 
genau  angeordnet,  die  Beobachtung  dieser  Vorschriften  wird 
strenge  beaufsichtigt,  schliesslich  unterliegen  die  fertigen 
Werke  der  Beschau.  Es  wird  daher  auf  diesem  Wege  ge- 
werbepolizeilicher Gesetzgebung  manche  Frage  gelöst,  die  sonst 
auf  dem  Privatrechtswege  auszutragen  wäre. 

Es  können  die  ausserordentlich  zahlreichen,  hierher  gehörigen 
Ordnungen  hier  nicht  angeführt  werden.  Bemerkenswert  ist, 
dass  die  Verletzung  der  aufgestellten  Gebote  regelmässig  mit 
Bussen  an  das  Amt,  oder  die  Stadt  bestraft  wird.  Allein  diese 
Gewette  erscheinen  nicht  als  Strafen  für  den  Vertragsbruch, 
sondern  als  Strafen  für  den  Ungehorsam  gegen  die  Ordnung 
des  Amts. 

a)  Aber  auch  die  eigentlichen,  bürgerlichen  Rechtssatzungen 
enthalten  Bestimmungen  über  die  Eigenschaften  des  Werks. 
Vortmer  de  glazewerten  scholen  maken  gut  glazewerk, 
dat  truwe  und  vast  si  . . . 1375  Hamburger  Glaser- 
ordnung § 7 (Rüdiger  S.  90) 

und  och  einem  jeden  sine  wollen  slahen  und  bereiten 
wol  und  recht  nach  nutze  uf  das  beste  jedem  umb  sinen 
Ion  und  jedes  nach  siner  ordenuuge  und  nach  sinem  werde 
und  zu  gehürde.  Art.  24  des  Strassburger  Tucherbuchs 
1400—1434  (Schmoller  S.  29). 

wen  ein  jeglich  Meister  ein  Werk  verdinget  und  eine 
Vysierunge  dazu  git  wie  das  werden  sol:  dem  Werk  sol 
er  nit  abbrecheu  an  der  Vysierunge,  Sünder  es  sol  es 
machen,  wie  er  die  Vysierunge  den  hern,  Stetten  oder  im 
Lande  gezeiget  hett,  dass  es  nit  geschwechet  werde. 
Art.  11  der  Steinmetzordnung  von  1459  (Jänner  S.  254). 


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Item  das  alle  olute  sollent  swern  . . . deu  artickel, 
das  si  einer  jeglichen  personen  sin  ole  machen  sollent, 
als  ob  es  ir  eigen  gut  were.  Strassburger  Ölmüller- 
ordnung  aus  dem  15.  Jahrh.  (Brücker  S.  405). 

So  sollen  auch  die  smyd  gud  arbeit  und  wahr  machen 
1564  Lüneburger  Schmiedordnung  (Bodemann  S.  207). 

...  in  sinem  thogesechten  unsträflichen  gude  tho 
levernnde  1560  Hamburger  Schmiedordnung  Nr.  6 (Rü- 
diger S.  254) ; vgl.  Hamburger  Allgem.  Best,  über  Hand- 
werksarbeiten 1563  (Rüdiger  S.  128). 

Der  Sinn  dieser  Bestimmungen  ist:  das  Werk  muss  genau  nach 
der  Vertragsabrede  hergestellt  werden,  also  die  zugesicherten 
Eigenschaften  haben,  im  übrigen  aber  so  gefertigt  werden, 
wie  es  sich  nach  Treu  und  Glauben  gehört.  Aus  diesem 
Grunde  bestimmt  das  Münchner  Stadtrecht  Art.  176  über  die 
Beweislast: 

Swer  ainem  antwerchsman  oder  ainen  arbeiter  anchlagt, 
er  hab  schaden  genomen  von  seiner  arbeit,  mag  dann 
der  antwerchsman  bereden,  daz  er  daz  teurist  (nach  an- 
dern Handschriften  treuist)  und  daz  pest  von  seiner 
chunst  getan  hab  än  gevaerd,  des  sol  er  geniezzen,  ez 
mach  dann  der  chlager  war,  daz  er  von  seiner  arbait 
ze  schaden  sey  chomen. 

Soweit  also  nicht  der  Kläger  den  Beweis  der  Mangel- 
haftigkeit des  Werks  erbringt,  darf  der  Unternehmer  schwören. 
Man  beachte  auch  hier  die  Betonung  der  Treue! 

Wie  eng  übrigens  noch  die  ganze  Auffassung  der  Ver- 
tragspflichten hierbei  war,  beweist  die  Stelle  in  Art.  5 der 
Freiberger  Böttcherartikel  um  1450  (Ermisch  S.  286),  wo  aus- 
drücklich angeordnet  werden  muss,  dass  die  für  das  Land  be- 
stimmten Werke  die  nämlichen  Eigenschaften  haben  müssen, 
wie  die  für  die  Bürger  der  Stadt  Freiberg  zu  liefernden. 

Die  Feststellung,  was  unter  den  nach  Treu  und  Glauben 
erforderlichen  Eigenschaften  zu  verstehen  sei,  ergab  sich  in 
den  meisten  Fällen  durch  die  Beschau  seitens  der  Älterleute. 
Ausser  in  den  bereits  oben  beim  Kapitel  über  die  Vertrags- 
freiheit angeführten  Stellen,  ist  die  Beschau  angeordnet  für  die 


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Gerber  im  Rechtsbuch  der  Stadt  Memmingen  1396  XLIX 
(v.  Freyberg  V S.  316),  in  Art,  4 und  5 der  Freiberger  Gold- 
schmiedartikel um  1466  (Ermisch  S.  291),  in  der  Lübecker 
Zunftrolle  der  Maurer  von  1527  (Wehrmann  S.  332)  und  der 
Zimmerleute  von  1545  (ebd.  S.  460),  in  der  Lübecker  Laken- 
Wardeyenordnung  von  1553  (ebd.  S.  310)  und  in  den  Lübecker 
Schiffszimmerleuteartikeln  von  1560  (ebd.  S.  410).  Hiernach 
muss  jede  von  einem  Lübecker  Schiffszimmermann  selbständig 
ausgeführte  Arbeit  von  den  Älterleuten  besehen  werden;  ist 
die  Arbeit  „tüchtig“,  so  zahlt  der  Besteller  6 Pf.  in  die  Kasse 
der  Zimmerälterleute,  andernfalls  der  Zimmermann.  Es  ist 
klar,  dass  anlässlich  der  Beschau  durch  die  anerkannten  Sach- 
verständigen der  Besteller  etwaige  Klagen  vorbrachte,  und 
dass  dann  das  von  den  Älterleuten  abgegebene  Urteil  weit- 
tragende  tatsächliche  Bedeutung  hatte.  Denn  es  wurde  bei 
einem  etwaigen  Prozesse  dem  Urteil  meistens  zugrunde  gelegt. 

b)  Es  ergibt  sich  aus  dem  Wesen  des  Vertrags,  dass  der 
Unternehmer,  der  der  eine  Vertrag  schliessende  Teil  ist,  für 
die  Arbeit  der  Personen,  deren  er  sich  bei  Ausführung  des 
Werks  bedient,  einzustehen  hat.  Es  scheint  dieser  Gedanke 
als  so  selbstverständlich  betrachtet  worden  zu  sein,  dass  er 
nur  selten  ausdrücklich  ausgesprochen  wurde.  Erst  sehr  spät 
tauchen  Bestimmungen  hierüber  auf,  so  in  der  Lüneburger 
Maurerordnung  von  1570  (Bodemann  S.  169).  Bezeichnend  ist 
eine  aus  dem  Jahre  1730  stammende  Satzung  aus  Basel 
(Rechtsquellen  von  Basel  Bd.  I 2.  Abt.  S.  940),  in  der  es  heisst, 
dass  die  Gesellen  zwar  nicht  zu  schwören  haben  (was  in  einer 
Reihe  von  Städten,  z.  B.  in  Strassburg,  in  Ulm  bei  den  Bar- 
chartwebern vorgeschrieben  ist), 

man  habe  aber  dafür  gehalten,  dass  die  Meister  für  ihrer 

Gesellen  Arbeit  stehen  müssen. 

c)  Wie  lange  musste  nun  der  Unternehmer  die  erforder- 
lichen Eigenschaften  des  Werks  gewährleisten? 

Die  Frage  ist  in  den  Quellen,  von  wenigen  Ausnahmen 
abgesehen,  nicht  glatt  beantwortet.  Soweit  nicht  vertrags- 
mässig  eine  längere  Gewährleistungsfrist  vereinbart  war,  endete 
die  Haftung  des  Unternehmers  für  Eigenschaften  des  Werks 
in  der  Regel  mit  dessen  Abnahme.  Die  Abnahme  des  Werks 


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ist  nur  selten  ausdrücklich  vorgeschrieben.  In  der  Hamburger 
Leinweberordnung  von  1375  § 16  (Rüdiger  S.  161)  heisst  es: 
Vortmer  so  schall  nen  man  edder  frouwe  linnewand  tho 
hus  senden  mit  den  kämmen  (Weberkamm),  he  schall  das 
afsniden  in  sinem  huse,  und  dar  schall  jegenwerdich  wesen, 
deme  dat  linnewandt  hörete,  edder  eine  von  sineswegen. 
Hierdurch  soll  allerdings  nicht  nur  die  Prüfung  der  Eigen- 
schaften des  Werks,  sondern  auch  der  vollen  Zurückerstattung 
des  übergebenen  Stoffs  ermöglicht  werden,  und  insofern  hängt 
die  Stelle  mit  all  den  Rechtssatzungen  zusammen,  die  anord- 
nen, dass  der  Unternehmer  das  Werk  dem  Besteller  zuzu- 
messen oder  zuzuwägen  habe,  und  die  später  noch  anzuführen 
sind.  Auch  für  die  Abnahme  war  die  Beschau  von  grösster, 
tatsächlicher  Bedeutung.  Sie  erfolgte  bei  Ablieferung  des 
Werks,  sie  sicherte  eine  Prüfung  des  Werks  und  gab  dem 
Besteller  Gelegenheit,  die  Mängel  zu  rügen. 

Man  darf  nun  wohl  annehmen,  dass  der  Besteller  durch 
die  Abnahme,  soweit  nicht  Arglist  des  Unternehmers  in 
Betracht  kam,  das  Recht  verlor,  Mängel  des  Werks  zu  rügen. 
Es  ergibt  sich  dies  schon  aus  dem  Inhalt  der  Abnahme- 
erklärung. Nahm  der  Besteller  das  Werk  als  Erfüllung  des 
Vertrages  an  — und  dies  musste  aus  seiner  Erklärung  hervor- 
gehen — so  begab  er  sich  des  Rechts,  nachträglich  noch  einen 
Fehler  geltend  zu  machen.  Mit  Recht  konnte  ihn  dann  der 
Unternehmer  auf  seine  erste  Erklärung  hinweisen,  die,  soweit 
nicht  Täuschung  vorliegt,  im  Rechtsverkehr  nicht  zurück- 
genommen werden  kann.  Dass  das  Mittelalter  dies  klar  er- 
kannte, geht  daraus  hervor,  dass  die  später  anzuführeuden 
Bestimmungen  über  die  Folgen  mangelhafter  Lieferung  alle  an 
den  Zeitpunkt  der  Beschau  oder  der  Abnahme  anknüpfen,  dass 
mit  wenigen  Ausnahmen  eine  längere  Gewährleistungspflicht 
des  Unternehmers  nirgends  erwähnt  ist,  dass  diese  vielmehr  in 
Verträgen  eigens  festgesetzt  werden  musste.  Damit  stimmt 
auch  überein,  was  Conze  (Der  Kauf  nach  hanseatischen 
Quellen  1889  S.  95)  über  den  Kauf  sagt.  Danach  kann  der 
Kauf  nicht  mehr  rückgängig  gemacht  werden,  insbesondere 
nicht  wegen  Mängel  der  Sache,  wenn  der  Käufer  das  Gut  be- 


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sehen,  und  in  seine  were  gebracht  hat.  Diese  Auffassung 
wird,  wie  mir  scheint,  bestätigt  durch  eine  Stelle  bei  Ruprecht 
v.  Freising  I 151  (Westenrieder  S.  100). 

Swenn  dat  chore  (Korn)  ze  melbe  wirt  und  daz  pant  für 
den  sach  (Sack)  chümt  so  sol  es  der  man  hin  haimfirren 
so  hat  der  mulnaer  nicht  mer  damit  zeschaffen. 

Verwandt  damit  ist  eine  ebenfalls  dem  Mühlenrecht  angehörige 
Bestimmung  des  Rügischen  Landrechts  LXXXXVII  10.  Zwar 
ist  in  beiden  Fällen  vornehmlich  an  die  Verteilung  der  Gefahr 
gedacht,  allein  hier  ist  eben  der  Zeitpunkt,  in  dem  der  Ver- 
trag als  erfüllt  angesehen  wird,  von  Bedeutung.  Wenn  der 
Besteller  sich  das  Mehl  in  dem  Sack  hat  füllen  lassen  und 
diesen  zugebunden  hat,  kann  er  nicht  nachträglich  Klage 
wegen  Mängel  erheben  (vgl.  über  die  Streitfragen  betr.  den 
merkantilen  Empfang  Thöl,  Handelsrecht  6.  Aufl.  I § 278 
Anm.  28,  31). 

In  der  Strassburger  Arrabrusterordnung  von  1465  (Brücker 
S.  17)  heisst  es,  dass  die  Meister  eine  Armbrust  nicht  länger 
„weren“  wollen,  als  man  sie  in  eines  Meisters  Haus  beschiesst. 
Es  wird  angeordnet,  dass  man  es  diesbezüglich  beim  alten 
lassen  soll.  Danach  scheint  bis  dahin  doch  eine  längere  Ge- 
währleistungspflicht bestanden  zu  haben.  Hierfür  sprechen 
auch  einige  Bestimmungen  des  Rügischen  Landrechts.  So 
heisst  es  vom  Schmied  CVII  2: 

Im  eggetuige  ane  behagh  stund  de  schmid  vor  dat  nmme- 
leggent  und  nicht  vor  dat  utbrekent.  irame  hofschlage 
vor  dat  brekent  des  nien  hofisers,  dat  erste  vorleggent, 
upschlant  binnen  landes  14  dage;  brak  it  edder  Alle  it 
of  ungebrakens  edder-beschedigen  hofes,  de  schmid  moste 
ane  vorböte  darto  antwerden,  makeu,  vorleggen  edder 
betalen. 

Diese  Bestimmung  ist  dann  in  dem  jüngern  Wendisch-Rügi- 
anischen  Landgebrauch  (Gadebuseh)  221.  Titel  noch  weiter  ins 
einzelne  ausgeführt.  Es  wird  festgesetzt,  dass  der  Schmied 
bei  Hufeisen  14  Tage  haftet,  dann  werden  die  einzelnen  Werk- 
zeuge, Pflug  und  Egge  usw.  einzeln  behandelt,  die  Haftung 
für  das  Lahmwerden  oder  Brechen  der  Schlösser  wird  für  ein 
Jahr  festgesetzt.  Im  214.  Titel  heisst  es: 


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De  Schneider  mosten  in  vortyden  alle  Näde,  so  unvor- 
dragenss  Kleider  von  sich  sulvest  upsprungen,  ahne  Be- 
lohnung, wo  se  dat  kleid  hedden  gemaket,  wedder  neyen. 
Diese  Bestimmungen  stehen  ganz  vereinzelt  da,  sie  zeigen 
schon  in  ihrer  Kasuistik,  dass  es  sich  nur  um  eine  partikuläre 
Rechtsbildung  handeln  kann. 

Gegenüber  der  Klage  des  Bestellers,  dass  das  Werk  mangel- 
haft sei,  kann  der  Unternehmer  geltend  machen,  dass  dies  aus 
der  mangelhaften  Beschaffenheit  des  zur  Bearbeitung  über- 
gebenen Stoffs  sich  ergebe.  Er  muss  diesen  Fehler  des  Stoffs 
jedoch  rechtzeitig  dem  Besteller  angezeigt  haben. 

weres  auch  daz  ein  werk  miszettelt  wurde,  es  sie  an 
tucher  werk  oder  an  weber  antwerk  so  sol  der  weher, 
es  sie  meister  oder  knecht,  dem  ein  semelik  werk  fur- 
kome  und  es  wirken  sol,  daz  vor  und  ee  sagen  dem  das 
werk  ist , daz  es  missezettelt  ist,  ee  daz  er  das  werk  uf 
den  stul  leit  bie  dem  eide  den  er  gesworen  hat.  Und 
wer  daz  auch  were,  der  daz  verswige  und  dem  es  nit 
enseit,  des  daz  werk  were,  der  sol  meyneidig  und  erlös 
und  sol  dem  deheinen  schaden  bringen,  dez  das 
werk  ist. 

Strassburger  Tuchmacherordnung  von  1433  (Schmoller  S.  73). 
Zweifellos  spielt  hier  auch  das  zünftlerische  Verbot,  ordnungs- 
widriges Werk  zu  machen,  herein.  Allein  der  privatrechtliche 
Satz  ist  doch  die  Hauptsache.  Ebenso  Rügisches  Landrecht 
CXIV  5: 

Töget  einer  der  wever,  wen  he  dat  garne  vörwaret  edder 
annimpt,  darvan  an,  dat  dat  garne  is  vordorven  und  kan 
bewisen,  he  lit  neinen  Schaden. 

Die  Rechtssätze  über  Gewährleistung  für  Mängel  des 
Werks  werden  abgeändert,  und  teilweise  ergänzt  durch  hierauf 
bezügliche  Abreden  in  Verträgen.  Vielfach  wird  eigens  fest- 
gesetzt, dass  der  Unternehmer  für  Fehler  der  Sache  einzu- 
stehen habe,  und  diese  Haftung  wird  sogar  auf  die  Erben  aus- 
gedehnt. So  wird  in  dem  Vertrag  Caspar  Isenmanns  mit  dem 
Martinsstift  zu  Colmar  1462  (Repert.  II  153)  für  den  Fall, 
dass  sich  Mängel  zeigen  sollten,  bestimmt: 


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denselben  gebrust  söllent  er  und  sine  erben  z&  einer  jeg- 
lichen zytt  schuldig  sin  dem  gemelten  sant  Martins  buwe 
zebekern  und  zebewandeln  suuder  allen  gebresten,  costen 
und  schaden,  so  daruss  mit  widermachens  und  sust  er- 
wachsen möchte,  gentzlichen  und  gar  ze  bezalen  und  ab- 
zetragen  ohne  geverde. 

Ebenso  Vertrag  mit  einem  Uhrmacher  1407  über  Lieferung 
einer  Uhr  für  das  Rathaus  zu  Basel  (Gesell,  und  Beschr.  des 
Rathauses  zu  B.  von  Alb.  Burckhardt  und  Rud.  Wackernagel 
1886),  Glaserkontrakt  der  Stadt  Löwenberg  1511  (Anzeiger  f. 
d.  Kunde  der  d.  Vorzeit  Bd.  29  S.  174). 

hat  Hannsz  gelobit  selbige  czu  gewehrin  (liefern)  un- 
wandilbar  und  darvor  czu  stehen  10  jahr. 

Was  innerhalb  dieser  Frist  abfällt,  hat  er  zu  ersetzen. 
Ferner  der  oben  mitgeteilte  Vertrag  über  den  Bau  der  Elster- 
brücke zu  Zeitz  1532,  Baukontrakt  des  Rats  zu  Brieg  mit 
Jakob  Baar  1570  (Anzeiger  Bd.  25  S.  80),  Andingung  eines 
Orgelwerks  an  Lukas  Behaim  1619  (Anzeiger  Bd.  29  S.  6), 
wonach  der  Unternehmer  Jahr  und  Tag  Gewehrschaft  zu 
leisten,  und  jederzeit  die  Pfeifen  auszuwecliseln  hat.  Anderer- 
seits wird  Adam  Kraft  anlässlich  der  Quittierung  der  beider- 
seitigen Rechnung  für  ein  Grabmal  1492  eigens  von  jeder 
Haftung  befreit  (Repert.  Bd.  25  S.  360 ff.). 

Adam  Craft  hat  Sebolten  Schreyer  und  M.  L.  unnd  hiu- 
widerumb  haben  sie  ine  auch  quit,  ledig  und  loss  gesagt, 
in  lawt  des  Vertrags,  Auch  umb  die  pesserung  und  alle 
ander  Sachen  daz  werk  antreffend  nichtz  ausgenomen  noch 
liindan  gesetzt  . . . 

Hier  konnte  ein  Verzicht  auf  jeden  Besserungsanspruch  aus- 
gesprochen werden,  da  wahrscheinlich  das  Werk  von  Sachver- 
ständigen geprüft  worden  war.  Wenigstens  war  dies  in  dem 
1490  abgeschlossenen  Vertrage  vorgesehen.  Eine  solche 
Prüfung  durch  Sachverständige  — eine  Ergänzung  der  Be- 
schau — war  verschiedentlich  in  Künstlerverträgen  ange- 
ordnet, so  in  den  mehrfach  erwähnten  Verträgen  mit  Michael 
Wohlgemut  über  den  Schwabachei-  Altar  1508,  und  mit  Jakob 
Baar  über  den  Bau  des  Brieger  Rathauses  1570. 


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C.  Mangelhafte  Erfüllung  oder  Nichterfüllung  des  Vertrags. 

1.  Mangelhafte  Erfüllung  infolge  Verschulden  des  Unter- 
nehmers. 

a)  In  diesem  Falle  billigt  das  mittelalterliche  Recht  dem 
Besteller  den  Anspruch  auf  Besserung  und  Schadensersatz  zu. 

Vortmer  de  glazewerten  scholen  maken  gut  glazewerk, 
dat  truwe  und  vast  si,  und  scholen  dat  wol  und  stark 
blyen  unde  loden,  unde  ok  dat  blye  reyne  unde  wol  ge- 
vallen  si  sunder  rethe.  Wer  das  bricht  . . . Darto  scal 
he  dat  derne  ghenen  noch  gut  maken  deme  he  dat  ge- 
maket  lieft.  1375  Hamburger  Glaserordnung  Art.  7 
(Rüdiger  S.  90). 

De  schmid  mag  ok  vor  sin  tügh,  dat  he  maket,  ant- 
worden.  wo  he  dat  vorbrende  edder  sonst  dat  eggetttch 
nicht  düchte,  men  niagh  it  eme  billiger  tit  wedderwerpen 
up  sinen  schaden,  ane  unrecht,  bedroch  und  argelist  van 
beiden  parten  utgescklaten.  bi  deme  de  rnangel  de  moste 
vorböten.  Rügisches  Landrecht  LXXXXVIII  4. 

Vorderwet  he  dat  linnewand  edder  let  dat  garne  vor- 
mulschen  (verfaulen)  edder  verrotten,  he  mot  it  betalen 
na  gewerde  des  linnewandes,  dat  dar  hedde  van  werden 
köuen.  sint  neste  edder  brakene  eggen  an  dem  linne- 
wande  und  nicht  ganz  vordorwen,  he  misset  vor  dat  vor- 
dorwene  sein  Ion.  Rügisches  Landrecht  CXIV  4. 
Übereinstimmend  Lübecker  Zimmerleuteartikel  von  1503  (Wehr- 
mann S.  460);  Laken -Wardeyen- Ordnung  in  Lübeck  1553 
(Wehrmann  S.  310).  Es  ergibt  sich  hieraus,  dass,  wo  dies  nach 
der  Sachlage  möglich  war,  der  Besteller  Besserung,  und  ausser- 
dem Ersatz  in  Geld  verlangen  konnte.  Die  den  Leinweber 
betreffende  Stelle  des  Rügischen  Landrechts  fasst  den  Fall  zu- 
sammen mit  der  Haftung  des  Unternehmers  bei  Verderb  des 
Stoffs.  Der  Ersatz  des  Schadens  umfasst  nicht  nur  den  Wert 
des  Stoffs,  sondern  auch  der  Verarbeitung.  In  der  Lüneburger 
Malerordnung  von  1595  (Bodemann  S.  165)  Art.  22,  gleich- 
lautend mit  der  Lüneburger  Glaserordnung  von  1596  7.  Art. 
(ebd.  S.  93)  heisst  es: 

Rothenbucber,  Werkvertrag  ö 


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Da  ein  Meister  eine  arbeit  verdingte  und  er  schlüge  die- 
selbe unfleisszig  von  der  liandt  dergestalt,  dass  Clage 
darüber  kerne,  es  auch  von  den  Älterleüten  mangelhaft 
befunden  würde,  der  soll  für  die  Arbeit  gebührlichen 
Chur  und  Wandel  thun  und  über  das  einem  erbarn  Rahte 
und  dem  Ampte  nach  billiger  Ermessigung  geschafft 
werden.  Vgl.  auch  Albisheimer  Weistum  (Grimm  IV  638) 
„kohrung  thun“. 

Chur  oder  Cliör  und  Wandel  sind  pleonastische  Ausdrücke 
für  Abhilfe  schaffen,  Schaden  beseitigen.  „Chor“  ist  gleich 
ker,  keren,  das  nach  Grimm  V 403  rückerstatten,  widergeben, 
ersetzen,  vergüten  bedeutet.  Schmeller  (I  1282)  übersetzt 
es  übereinstimmend  mit  „Schaden  wenden“  und  führt  die  Stelle 
an  „dass  sie  dem  N.  darum  Abtrags,  Kerung  noch  Wandel 
nicht  schuldig  seien“.  Hier  tritt  auch  die  Gleichstellung  mit 
Wandel  hervor,  das  nach  Schmeller  bedeuten  kann:  1)  Ände- 
rung, Abänderung,  Rückgang  eines  Kaufs;  2)  Gebrechen,  das 
den  Kauf  rechtlich  aufhebt;  3)  Ersatz,  Genugtuung,  Busse. 
Wollte  man  nun  obige  Stelle  dahin  auslegen,  dass  der  Unter- 
nehmer Chor  tun,  den  Schaden  beseitigen,  und  wandel,  Straf- 
geld an  den  Besteller  zahlen  muss,  so  wäre  dies  sicher  nicht 
richtig.  Es  ist  doch  nicht  anzunehmen,  dass  der  Meister  ausser 
der  Strafe  an  den  Gerichtsherrn  und  das  Amt  noch  eine  Privat- 
strafe hätte  zahlen  müssen,  abgesehen  davon,  dass  nicht  zu  er- 
sehen ist,  wonach  diese  bemessen  worden  wäre.  Vielmehr 
muss  „chör  und  wandel  tun“  als  „Schaden  ablegen“  aufgefasst 
werden.  Dem  entsprechen  auch  die  Bestimmungen  der  Lüne- 
burger Maler-  und  Glaserordnung  von  1497  (Bodemann  S.  153) 
„die  arbeit  wandeln“,  die  Lübecker  Schiffszimmerleuteartikel 
von  1560  (Wehrmann  S.  410)  und  die  Lübecker  Dachdeeker- 
ordnnng  (Wehrmann  S.  196)  „betern  bi  sinen  egen  kosten“; 
insbesondere  aber  der  mehrfach  angeführte  Vertrag  C.  Isen- 
manns  1462,  wo  er  sich  verpflichtet,  alle  Gebresten  „zebekern 
und  zebewandeln“,  d.  h.  „kehren  und  wandeln“. 

b)  Ansätze  zu  einem  Recht  des  Bestellers,  die  Entlohnung 
bei  mangelhafter  Erfüllung  zu  mindern,  finden  sich  verschiedent- 
lich. Es  ist  bereits  oben  S.  65  die  hierauf  bezügliche  Stelle  des 
Rilgischen  Landrechts  CXIV  4 rnitgeteilt.  Nach  der  Strass- 


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burger  Barchentschauordnung  von  1537  (Sclimollcr  S.  161)  kann 
der  Meister  der  Spinnerin,  die  verdorbenes  Garn  bringt,  ent- 
sprechend den  Lohn  kürzen,  „am  spinnerlon  abschlahen“.  Ebenso 
nach  dem  jüngern  Wendisch- Rügianischen  Landgebrauch  230. Titel. 

Es  lag  ja  nahe,  dass  der  Besteller  sich  den  Ersatz  des 
Schadens  gleich  dadurch  verschaffte,  dass  er  eine  den  Mängeln 
des  Werks  entsprechende  Minderung  des  Lohns  eintreten  liess. 
Man  darf  hierbei  wohl  annehmen,  dass  dies  nur  da  geschah, 
wo  eine  Besserung  des  Werks  ausgeschlossen  war. 

c)  Öfters  wird  im  Vertrag  das  Recht  des  Bestellers  Vor- 
behalten, falls  das  Werk  nicht  mangelfrei  geliefert  wird,  vom 
Vertrag  zurückzutreten.  So  ist  in  dem  Vertrag,  den  Hans 
Böblinger  1440  in  Esslingen  über  Errichtung  eines  Turms  ab- 
schliesst,  bestimmt,  dass  ihm  die  Pfleger  das  Werk  absagen 
können,  wenn  ihnen  bedünkt  und  von  redlichen  Werkleuten  er- 
kannt wird,  dass  er  den  Bau  nicht  nach  Nutz  und  Notdurft 
vollbrachte  (Klemm,  Württemberg.  Baumeister  und  Bildhauer 
1882  8.  88).  Ebenso  ist  in  der  Andingung  des  Schwabacher 
Altars  an  Michael  Wohlgemuth  1508  bestimmt:  Wenn  der 
Fehler  des  Werks  so  gross  ist,  dass  er  nicht  mehr  zu  ändern 
ist,  so  behält  Wohlgemuth  die  Tafel  und  muss  das  Geld  zu- 
rückgeben. Übereinstimmend  Waltzroder  Vertrag  H.  Briigge- 
manns  1525;  Andingung  eines  silbernen  Waschgeräts  au  den 
Goldschmied  Beyer  1531  (Mitt.  d.  german.  Mus.  I 167). 

2.  Nichterfüllung  infolge  Verschuldens  des  Unternehmers. 

Hier  hat  der  Besteller  den  Anspruch  auf  Schadensersatz. 

Dinget  ein  man  den  andern  an  sin  werk  gat  er  davon 
und  lat  im  sein  waerk  ligen  von  sin  selbes  rauthwilleu 
geschiett  iem  chein  schade  davon,  den  sol  er  im  abe  tun 
nah  sinem  eide  . . . Augsburger  Stadtr.  A.  129. 

Wer  ainem  gepew  oder  ander  werkh  andingt,  und 
ine  der  werckman  über  daz  geding  versaumbt,  des  der 
andinger  zu  schaden  kumbt,  wo  sich  alsdann  der  an- 
dinger  und  werkman  solhs  schaden  ausserhalb  gerichts 
nit  vertragenn  mugen,  so  sol  der  werckman  dem  andinger 
nach  mässigung  des  richters  widerkerung  thun,  jedoch  sol 
obbernert  mässigung  nach  rat  der  werkleute  beschehen. 


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Reform,  bayr.  Landr.  von  1518  42.  Titel  3.  Art.,  ebenso 
Landr.  von  1616,  32.  Titel  2.  Art. 

Man  wird  diese  Bestimmung  des  bayrischen  Landrechts  kaum 
als  römischrechtliche  ansprechen  dürfen,  vielmehr  scheint  sie 
dem  älteren  Rechte  entnommen,  womit  auch  die  wiederholt 
schon  erwähnte  Berücksichtigung  der  Sachverständigen  tiber- 
einstimmt.  Man  beachte  übrigens,  dass  nach  Augsburger  Recht 
der  Kläger  den  Schätzungseid  hat,  während  das  spätere  Recht 
hier  eine  objektive  Schätzung  anstrebt. 

In  andern  Quellen  ist  obiger  Grundsatz,  entweder,  weil 
selbstverständlich,  nicht  ausdrücklich  ausgesprochen,  oder,  und 
dies  ist  meistens  der  Fall,  im  Zusammenhang  mit  andern  Fragen 
aufgestellt. 

3.  Nichterfüllung  infolge  eines  vom  Besteller  zu  vertreten- 
den Umstands. 

Der  am  häufigsten  in  den  Quellen  behandelte  Fall  ist  der 
des  Entlaufens  des  Lehrkinds. 

Swelich  schnoler  aht  tag  in  ein  schnol  get,  der  geh 
daz  gantz  Ion  von  einem  jar;  welle  aber  er  vor  dem  jar 
aus  der  schuol  in  die  andern  gen,  so  geb  peidenthalben 
gantzes  Ion  umb  sein  unstaet  und  sein  irregenge  . . . 
Münchner  Stadtr.  VII  80  (Auer  S.  285). 

Ebenso  das  Rechtsbuch  Ruprechts  von  Freising  I 162  (Maurer), 
mit  der  Bestimmung: 

Und  kümbt  es  wider  dy  weil  es  XIIII  jar  alt  ist  und 
wil  es  wider  zu  jm,  er  sol  es  enpfalmn  unnd  sol  sein 
zeit  gar  aus  lernen. 

Ferner  Bestallung  des  lateinischen  Schulmeisters  zu  Überlingen 
1465-1608  (Mone  II  153)  Z.  13: 

Wölher  schnoler  och  über  die  halben  vronfasten  under 
mich  z&  schül  gat,  und  dann  daruss  gienge,  der  soll  mir 
gantzen  Ion  vervallen  sin. 

Dieser  Grundsatz,  dass  bei  Unmöglichkeit  der  Leistung  infolge 
eines  vom  Besteller  zu  vertretenden  Verschuldens  der  Unter- 
nehmer seinerseits  den  Anspruch  auf  volle  Vertragserfüllung 
hat,  gilt  entsprechend  auch  im  gewerblichen  Lelirlingsvertrag. 


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69 


Dingt  ain  man  ainen  lerencknecht  ze  jaren  end  get  er  von 
im  in  den  jaren,  an  sein  Urlaub,  so  ist  er  dem  maister 
seins  Ions  schuldig  waz  er  geweisen  mag,  daz  er  der 
saumsaluug  schaden  genomen  hab,  und  dem  richter  72 
pfenning;  cz  möcht  dann  der  chnecht  bezeugen  mit  zwaicn 
erbern  mannen  daz  er  in  mit  sogetanen  Sachen  vertriben 
hab,  die  im  schedlich  waern  und  mit  sogetaner  handlung, 
die  er  nicht  erleiden  möcht,  so  ist  der  maister  schuldig 
dem  chnecht  allez  dez  er  im  schuldig  waer,  und  dem 
richter  72  pfenning.  Bayr.  Landr.  von  1346  X 87  (v.  Frey- 
berg IV  424). 

Diese  Bestimmung  ist  dieselbe,  wie  sie  in  dem  folgenden  § 87 
für  das  Gesinde  aufgestellt  ist.  Sie  ist  fast  wörtlich  noch 
aufrechterhalten  im  Reform.  Bayr.  Landr.  von  1616  33.  Titel 
1.  Art.  Der  Lehrjunge  ist  dem  Meister  den  ganzen  Lohn  oder 
das  gedingte  Lehrgeld  und  Schadensersatz  schuldig,  er  könnte 
denn  mit  zwei  Mannen  beweisen,  dass  ihn  der  Meister  mit 
solchen  Sachen  vertrieben  hat,  die  ihm  schädlich  gewesen 
wären  oder  die  er  nicht  hätte  erleiden  können.  Auch  hier 
wieder  ein  Beweis,  dass  auf  dem  Gebiete  des  Arbeits Vertrags 
das  bodenständige  Recht  sich  bei  jeder  „Reformation“  behauptet 
hat.  Auch  nach  der  Nürnberger  Reformation  (1479—1484) 
25.  Titel  10.  Ges.  hat  deijenige,  der  sich  für  einen  Lehrjungen 
verpflichtet  hat,  dem  Meister  bei  dem  Entlaufen  des  Lehrlings 
für  das  „Übermass“  zu  entschädigen,  „wie  sich  nach  gleichem 
und  billigem  Ding  nach  Lage  des  Falls  gebührt“  (vgl.  über 
die  fast  gleichmässige  Behandlung  des  Falls  beim  Dienst- 
vertrag Hertz , Die  Rechtsverhältnisse  des  freien  Gesindes 
S.  79  ff.). 

Selbstverständlich  musste  der  Besteller,  der  eine  ihm  nach 
dem  Vertrage  obliegende  Handlung  versäumte,  auch  sonst  dem 
Unternehmer  Schadensersatz  leisten.  So  erhielt  1510  Tilman 
Riemenschneider,  der  die  Herstellung  eines  Sakramentshäus- 
chens für  den  Würzburger  Dom  übernommen  hatte,  eine  Ent- 
schädigung, weil  er  10  Tage  auf  das  vom  Besteller  zu  liefernde 
Gerüst  warten  musste  (Tönnies,  TR.  S.  207). 


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70 


4.  Nichterfüllung  des  Vertrags  infolge  eines  weder  vom 
Besteller  noch  vom  Unternehmer  zu  vertretenden  Umstands. 

Das  Augsburger  Stadtr.  Art.  129  bestimmt,  dass  der  Werk- 
mann den  durch  das  Verlassen  der  Arbeit  entstandenen  Schaden 
nach  Schätzung  des  Gegners  zu  ersetzen  hat, 

ez  enmuge  danne  der  waerkmanu  bringen  ehaffte  not 
oder  sust  ettewaz  für  geziehen,  daz  ir  beider  gedingde 
geirren  muge  oder  gebrechen. 

Die  Quellen  sprechen  diesen  Grundsatz,  weil  dem  ganzen  Rechte 
angehörig,  selten  für  unseru  Einzelfall  aus.  Auch  bei  der  Ab- 
grenzung des  Begriffs  der  „echten  Not“  muss  auf  die  allge- 
meinen Grundsätze  zurückgegriffen  werden  (vgl.  hierzu  Artur 
Schmidt,  Echte  Not  1888).  Sicher  füllen  hierunter  die  im 
Sachsenspiegel  II  7 angeführten  vier  Fälle.  Man  wird  jedoch 
annehmen  müssen,  dass  seit  dem  13.  Jahrh.  der  Begriff  der 
„echten  Not“  eine  weitere,  die  Verkehrsverhältnisse  mehr  be- 
rücksichtigende Auslegung  über  jene  4 Fälle  hinaus  gefunden 
hat.  Es  gehören  hierher  vor  allem  die  Fälle  der  Unmöglich- 
keit der  Leistung. 

Ruprecht  v.  Freising  (Maurer)  I 162  erklärt,  dass  für  den 
Fall  des  Todes  des  Lehrkinds  vor  Ablauf  der  Schulzeit,  man 
an  dem  Geld  absclilagen  soll,  „was  nach  der  Zeit  gebührt“, 
man  sol  der  ersten  zeit  allermaist  abslahen  mann  so  hat 
er  allermaist  arbeitt  mit  dem  chindt. 

Hier  verliert  also  der  Unternehmer  nicht  seinen  Lohnanspruch, 
solidem  er  wird,  wie  dies  der  Forderung  der  Billigkeit  ent- 
spricht, nach  dem  Masse  des  bisher  Geleisteten  entlohnt.  Dieser 
Gedanke  ist  vor  allem  im  Frachtrecht  fast  durchwegs  durch- 
geführt. 

Dinget  ein  mann  ein  chaufscliatz  iiberlant,  und  sich 
desselben  chaufschatzes  der  fuerman  unterwindet  auf  seinen 
wagen,  und  daz  dem  fuerman  desselben  nachtes  seinen 
roz  verstollen  werdent,  als  er  des  morgens  varn  schol, 
der  empristet  wol  mit  recht,  wann  in  ehaft  not  irret. 
Hat  awer  er  mer  roz,  denn  die  er  verlorn  hat,  so  muez 
er  für  sich  varn.  Wiener  Stadtr.  Art.  56. 


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vord  eyn  man  dem  andern  gut,  werd  dat  gud  ge- 
nomen  edder  de  perde,  alzo  verne  alze  he  dat  gevoret 
hefft,  alzo  lonet  me  ome  na  wechtale.  Braunschweiger 
Stadtr.  um  1445  (Hänselmann  S.  114). 

Item  wenn  ein  fürman  odir  ein  schiffmau  auz  fert. 
und  kümen  an  die  stat,  da  sie  laden  sulleu  und  so  sie 
auf  die  widerfart  herheim  keren  und  daz  dann  schade 
zu  der  habe  geschehe  mit  nemen  mit  aufhalten  odir  mit 
gebot  dauon  die  hab  aussen  beliebe  odir  in  ein  harren 
kom,  wie  verren  dann  ir  einer  gefaren  wer  dez  selben 
wegg,  Sol  man  in  Ionen  als  vil  sich  an  dem  geding  da- 
für gebürt  und  gehört  auch  bescheidenheit  für  die  fart 
hinabe  ob  er  lere  da  durch  hinab  gevaren  ist,  wie  daz 
gerieht  daz  erkennet.  Bamberger  Stadtrecht  Tit.  XXXVIII 
§ 401  (Zöpfl  S.  111). 

Abweichend,  jedoch  noch  günstiger  für  den  Fuhrmann,  bestimmt 
das  Stadtrecht  von  Lüneburg  (Kraut  S.  51): 

Were  dat  eu  man  wunne  enen  vurman  und  queme  mit 
eme  up  en,  so  were  he  eme  schuldig  halue  vrucht;  und 
vorede  he  dat  gud  bitte  to  halffweghe,  und  en  mochte  hc 
nicht  vordere  varen  von  ghewolt,  he  ne  scholde  nicht 
mer  gheuen  men  halue  vrucht;  men  vore  he  vordere  und 
worde  eme  dat  gud  ghenomen,  so  scholde  he  eme  gantze 
vrucht  gheuen. 

Während  also  sonst  genau  der  Lohn  nach  dem  Mass  des  zu- 
rückgelegten Wegs,  nach  „Wegzahl“  zu  zahlen  ist,  wird  hier 
schematisch  die  ganze  Frachtreise  in  zwei  Teile  zerlegt. 
Auch  für  den  Seefrachtvertrag  gilt  obiger  Grundsatz,  je- 
doch ebenfalls  mit  verschiedener  Berechnung  des  verdienten 
Lohns.  Ein  Urteil  des  Lübecker  Oberhofs  von  1463  (abgedr. 
bei  Löi-sch  und  Schröder,  Urkundenbuch  Nr.  308)  lautet: 
Ein  Schiffer,  der  Salz  von  Biskaya  nach  Reval  zu  führen 
hatte,  vom  König  von  Dänemark  angehalten  worden  war, 
und  notgedrungen  das  Salz  in  Kopenhagen  verkauft  hatte, 
kann  nur  die  Fracht  von  Biskaya  nach  Kopenhagen  verlangen. 
Pauli  (Lübische  Zustände  III  S.  90)  macht  darauf  aufmerksam, 
dass  diese  Entscheidung  offenbar  auf  Grund  des  hansischen 
Rezesses  von  1447  Art.  24  ergangen  ist: 


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72 


Wellik  sckippker,  de  de  klifft  mid  gheladencm  sekepe 
binnen  der  keifte  des  weges  offte  reisen,  dar  ke  enne 
bevrackted  is,  de  sckall  kebben  de  kalve  vracht  van  derae 
gude,  dat  dar  an  gkeberged  were.  Blivet  ke  ok  over  de 
keifte,  so  sckall  ke  na  antale  so  vele  meer  kebben,  alse 
baven  de  keifte  is  ghesegelt. 

Im  ersteren  Fall  war  die  Ladung,  in  diesem  das  Sckiff  die 
äussere  Veranlassung,  dass  die  Verfracktung  unmöglick  wurde. 
Nack  zwei  weiteren  bei  Pauli  III  S.  91,  242  angeführten  Ent- 
scheidungen des  Lübecker  Rats  erhielt  der  Schiffer,  der  in- 
folge eines  Unglücksfalls  die  Reise  nicht  vollenden  konnte,  die 
ganze  Fracht,  soweit  aber  nicht  das  ganze  Gut  gerettet  war, 
die  Fracht,  die  dem  Wert  des  geretteten  Guts  im  Verhältnis 
zu  dem  zurückgelegten  Wege  entsprach.  Vgl.  auch  Hamburger 
Statuten  von  1603  II  14  Art.  3;  Lübecker  Statuten  VI  3 § 1. 
Eine  abweichende  Bemessung  des  Lohns  setzt  eine  Bremer 
Entscheidung  (Statuta  Bremensia  von  1303,  Oelrichs  S.  254) 
fest,  die  auch  den  Unglücksfall  des  Schiffers  näher  beleuchtet: 
En  scel  quam  vor  de  ratmannen  tuschen  copadzen  unde 
sineu  vrucktluden  also  dat  de  vruchtluden  sculdegheden 
copadzen  dat  he  em  ghelovet  hadde  ere  got  to  zeghelnde 
tho  zunderlikcn  havenen  unde  des  nicht  ghedaen  en  hadde. 
dar  to  sprak  c.  he  hadde  van  ze  nodes  weghene  verloren 
sin  Zeghel  unde  al  sin  touwe  unde  were  van  nothweghene 
komen  up  de  wesere  ...  er  weist  einen  Brief  vor,  dass 
er  gezwungen  worden  war,  Bürgern  von  Z.  zu  fahren. 
Entscheidung:  Na  derae  dat  der  bonik  en  van  den  dren 
brak  unde  de  sciphere  lieft  sine  vrucht  vordenet  de  scolen 
eine  de  vrucktlude  gheveu  tuschen  den  minnesten  und  den 
mesten  alse  use  borghere  gheven  hebbet  van  schone  her. 
Es  ergibt  sich,  dass  echte  Not,  höhere  Gewalt  eine  Anzahl 
von  Möglichkeiten  umfasst;  vor  allem  Raub,  Arrest,  aber  auch 
andere  Unglücksfälle.  Es  kommt  hier  ferner  in  Betracht  der 
vom  Unternehmer  nicht  verschuldete  Untergang  der  Sache. 
Dieser  Fall  ist  in  der  Lehre  von  der  Haftung  des  Unternehmers 
für  die  Rückgewähr  des  Stoffs  zu  behandeln. 

Das  deutsche  Recht  gewährt  in  diesen  Fällen  dem  Unter- 
nehmer den  Anspruch  auf  Lohn,  mindestens  soweit  er  verdient 


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ist.  Es  ist  dies  klar  für  den  Erziehungsvertrag  und  den  Fracht- 
vertrag ausgesprochen.  Eine  gesonderte  Stellung  nehmen  jedoch 
diejenigen  Werkverträge  ein,  bei  denen  es  sich  um  Verarbeitung 
eines  übergebenen  Stoffs  handelt.  Lässt  man  hier  den  Fall 
des  zufälligen  Untergangs  des  Stoffs  zunächst  ausser  Betracht, 
so  ergibt  sich  nur  der  Rechtssatz,  dass  echte  Not  den  Unter- 
nehmer von  der  Erfüllungspflicht  befreit.  Hat  er  das  Werk 
noch  nicht  begonnen,  so  hat  er  selbstverständlich  keinen  Lohn- 
anspruch. Ist  das  Werk  in  der  Ausführung  begriffen,  so  wird 
man  annehmen  dürfen,  dass  in  der  Regel  kein  Lohnanspruch 
bestand.  Wurde  der  Schuster  in  den  Turm  gesetzt,  oder  zog 
er  in  des  Reichs  oder  der  Stadt  Dienst  ins  Feld,  so  trug  der 
Besteller  die  halbfertigen  Schuhe  wohl  zu  einem  andern  Meister; 
ob  er  dem  ersten  dann  einen  Lohn  zu  zahlen  hatte,  mag  zweifel- 
haft sein.  Es  ist  gerade  eine  Eigentümlichkeit  der  Werkver- 
dingung, dass  der  Unternehmer  die  Gefahr  der  Herstellung 
des  Werks  trägt.  Die  Rechtsanffassung,  die  ihm  erst  nach 
Vollendung  einen  Lohnanspruch  gewährt,  verträgt  sich  nur  so- 
lange mit  dem  Grundsätze  der  Billigkeit,  als  sie  den  Unter- 
nehmer, der  unverschuldet,  wie  in  obigem  Falle,  umsonst  seine 
Arbeit  auf  das  Werk  verwendet  hat,  durch  den  Bereicherungs- 
anspruch gegen  den  Besteller,  der  vielleicht  den  fast  fertig 
bearbeiteten  Stoff  in  Händen  hat,  schadlos  hält. 

Man  wird  annehmen  dürfen,  dass  in  solchen  streitigen 
Fällen  trotz  Fehlens  einer  theoretisch  ausgebildeten  Bereiche- 
rungsklage die  Rechtsauffassung  der  Richter  dieseu  Er- 
wägungen entsprach. 

D.  Die  Rückgewähr  des  Stoffs  und  die  Haftung  des 
Unternehmers  hiefür. 

1.  Vorbemerkung. 

Die  mittelalterlichen  Quellen  enthalten  über  die  Pflicht 
des  Unternehmers,  den  Stoff  zurückzuerstatten,  und  über  seine 
Haftung  weitaus  die  meisten  Rechtssätze.  Diese  Frage  schien 
nach  der  allgemein  herrschenden  Anschauung  die  wichtigste  des 
ganzen  Rechts  über  den  Werkvertrag  zu  sein.  Es  ergibt  sich 


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dies  daraus,  dass  die  Gefahr  des  Verlustes  der  Sache  für  den 
Besteller  die  grösste  war.  Durch  Verlust  oder  Beschädigung 
des  Stoffs  konnte  der  Besteller  am  schwersten  benachteiligt  werden. 
Hierüber  entstanden  offenbar  die  meisten  Streitigkeiten , dem- 
entsprechend mussten  sich  die  Rechtssatzungen  hierüber  äussern. 

Durch  die  Übergabe  und  Annahme  des  Stoffs  zur  Verar- 
beitung trat  keine  Veränderung  im  Eigentum  ein.  Es  blieb 
beim  Besteller.  Das  heutige  Recht  hat  bekanntlich  den  Grund- 
satz des  Eigentumserwerbs  durch  Verarbeitung,  und  bedarf 
daher  beim  Werkverträge  der  Konstruktion,  der  Unternehmer 
wolle  für  den  Besteller  durch  Verarbeitung  das  Eigentum  er- 
werben. Das  deutsche  Recht  kannte  jedoch  den  Grundsatz  der 
Spezifikation  noch  nicht.  Verarbeitet  einer  wissentlich  fremden 
Stoff,  so  gehört  das  Arbeitserzeugnis  dem  Eigentümer  des 
Stoffs,  tut  er  es  unwissentlich,  so  muss  er  auch  in  diesem  Falle 
das  Werk  herausgeben,  hat  aber  Anspruch  auf  Lohn  und 
Schadensersatz.  Schwabenspiegel  c.  325,  329  (Wackernagel) ; 
Entscheidung  des  Oberhofs  zu  Iglau  vor  1416  (Tomaschek 
Nr.  228),  ferner  Alte  Culm.  V 71,  72  mit  dem  weitern  Zusatz: 
Verlangt  der  Eigentümer  im  Fall  der  unwissentlichen  Verar- 
beitung Herausgabe  des  Stoffs,  da  er  an  dem  Werk  kein  Inter- 
esse hat,  so  kann  der  gutgläubige  Verarbeiter  die  Sache  so 
hoch  als  möglich  verkaufen,  und  soll  aus  dem  Erlös  dann  nach 
Möglichkeit  den  Rohstoff  kaufen.  Wiederholt  im  jus  Culmense 
ex  ultima  revisioue  III.  Buch  1.  Titel  4.  und  5.  Kap.  Über- 
einstimmend, jedoch  offenbar  römischrechtlich  beeinflusst  (Paul. 
1.  4 § 20  D.  de  usurp.  41,  3)  sagt  das  Brünner  Schöffenbuch 
316:  „Si  ex  lana  furtiva  vestimentum  feceris,  vestis  erit  furtiva 
. . Dagegen  trägt  das  Rechtsbuch  Johann  Purgoldts  HI 
60  ff.,  70  (herausg.  v.  Ortloff)  unter  Berufung  auf  das  „ kaiser- 
liche Recht“  römisches  Recht  vor.  Der  gutgläubige  Verarbeiter 
erwirbt  das  Eigentum  und  ist  schadensersatzpflichtig,  war  er 
bösgläubig,  so  hat  er  den  entgangenen  Gewinn  doppelt  zu  er- 
setzen; in  III  70  wird  auf  den  höheren  Wert  der  Verarbeitung 
abgestellt.  Ebenso  der  Richterliche  Klagspiegel  49.  Bl.,  wo- 
nach es  gemäss  Justinianeischem  Recht  darauf  ankommt,  ob 
die  Sache  in  den  früheren  Zustand  zurückgebracht  werden 
kann.  Vgl.  auch  Gierke,  Deutsches  Privatrecht  II  S.  584. 


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2.  Die  R ilckyre  « silir  dos  Stoffs. 

a)  Aus  der  Vertragsabrede  ergibt  sich  die  Pflicht  des 
Unternehmers,  den  Stoff  zurückzugeben.  Und  zwar  in  derselben 
Masse  und  derselben  Güte,  soweit  sich  nicht  durch  die  Ver- 
arbeitung notwendig  hierin  eine  Änderung  ergibt.  In  einer 
Reihe  von  Rechtsquellen  ist  dieser  Grundsatz  noch  ausdrücklich 
ausgesprochen. 

Es  süllent  auch  alle  müller  und  müllerin  und  alles  ir 
gesinde  sweren  . . . und  oucli  schaffen  und  bestellen  das 
jederman  sin  gewerde  trocken  heym  komme,  so  verre  sie 
künnent  oder  mögent  by  dem  eyde,  one  gevaerde;  und 
süllent  oucli  menglichem  syn  gewerde  widerumb  ant- 
worten unvermenckelt,  in  solicher  mosse  und  voii  solichcr 
guten  gewerden,  da  es  inen  geantwortet  ist.  Strassburger 
Müllerordnung  von  1460  (Brücker  S.  376). 

Der  snider  sal  getruwe  und  gewer  sin  uff  deme  hant- 
werke  deme  armen  also  deme  riehen.  Wen  her  eyme  sin 
gewant  nicht  redelich  antwerd,  so  tud  her  eyne  dube. 
Rb.  nach  Dist.  V 13,  Dist.  I. 

Ferner  Art.  14  des  Breslauer  Ratsges.  von  1360(Koru,  Urkund.  zur 
Gesell,  des  Gewerberechts  1867  S.  119);  Zürcher  Ratserkenntnis 
über  die  Bäcker  aus  dem  14.  Jahrli.  (Wyss,  Gesell,  des  Kon- 
kursprozesses S.  106);  Strassburger  Bäckerordnung  von  1460 
(Brücker  S.  98),  Strassburger  Verordnung  für  Goldschmiede 
1466  (Meyer  S.  51),  Lübecker  Goldschmiedrolle  von  1492  (Wehr- 
mann  S.  218),  Rügisches  Landrecht  CXIV  3;  Wendisch-Riigi- 
anischer  Landgebrauch  230.  Titel;  Weistum  zu  Niederolm  Z.  9 
(Grimm  IV  597);  Reform.  Bayr.  Laudr.  von  1516  XL.  Titel 
3.  Art.;  Braunschweiger  Echtediug  von  1532  (Häuselmann 
S.  338). 

b)  In  bestimmten  Fällen  braucht  der  Arbeiter  nicht  die 
ganze  Masse  des  übergebenen  Stoffs  zurückzuerstatten,  und 
zwar  da,  wo  nach  der  Natur  der  Arbeit  sich  gewisse  Abfälle 
ergeben.  Nach  Münchner  Stadtrechtbrauch  (Auer  S.  270)  darf 
der  Sügmüller  die  „schenv“  des  Baumes  (vgl.  hierzu  Schmeller, 
Wörterbuch  2.  Auf!  II  463)  abhauen  und  für  sich  verwenden. 
Die  Strassburger  Goldschmiede  dürfen  nach  der  1482  erlassenen 


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Ordnung  (Brücker  S.  245)  einen  „Abgang“  nur  dann  in  An- 
rechnung bringen,  wenn  ihnen  altes  Geschirr  zur  Verarbeitung 
übergeben  wird.  Der  Abgang  beträgt  für  die  Mark  ein  halbes 
Lot.  Im  Jahr  1584  wurde  diese  allgemeine  Bestimmung  dahin 
abgeändert  (Meyer  S.  87),  dass  der  Besteller  das  sich  abrechneu 
lassen  muss,  was  beim  ersten  Guss  in  seinem  Beisein  abgeht. 
Nach  Rügischem  Landrecht  CVII,  Wendisch -Rügian.  Land- 
gebrauch 221.  Titel  kann  ein  Schmied,  der  aus  neuem  Stoff 
etwas  macht,  den  10.  Teil  in  Abzug  bringen,  bei  altem  Stoff 
den  8.  Teil.  Nicht  hierher  gehören  die  aus  polizeilichen  Er- 
wägungen erlassenen  Vorschriften,  inwieweit  die  Goldschmiede 
Legierungen  verwenden  dürfen,  wie  sie  z.  B.  im  Rb.  nach 
Dist.  V c.  10  Dist.  II  ff.  enthalten  sind. 

c)  Um  eine  sichere  Rückgewähr  des  Stoffs  zu  erreichen 
und  gegebenenfalls  genau  zu  prüfen,  greift  das  deutsche  Recht 
zu  vorbeugenden  Mitteln. 

Nach  einer  Reihe  von  Bestimmungen  muss  sich  der  Unter- 
nehmer eine  Aufsicht  des  Bestellers  oder  seines  Gesindes 
während  der  Verarbeitung  gefallen  lassen.  Diese  Aufsicht  er- 
streckt sich  nicht  auf  die  Art  der  Verarbeitung,  sondern  be- 
zweckt nur,  Veruntreuung  des  Stoffs  zu  verhindern. 

Was  man  deme  möllere  zeufurt  adder  her  infurt,  wen 
her  by  tage  nicht  gefuren  mag,  daz  sal  her  bewarn.  Ge- 
schege  schade  dorzcu , dene  mus  he  irlegen.  Wo  abir 
eyns  gesinde  selber  by  ist,  den  schaden  darf  her  nicht 
irlegen.  Rb.  nach  Dist.  V 4,  dist.  16. 

„.  . . und  solle  (der  Bäcker)  dem  armeu  mann,  oder 
wer  von  seinetwegen  im  backhaus  ist,  darstellen  ein  sessel 
und  daruf  ein  küssen,  daruf  soll  der  arm  mann  sitzen 
und  dem  becker  zusehen,  dass  der  becker  ihme  sein  guth 
zu  nutz  mache  . . .“  Weistum  zu  Oberhilbersheim  (Grimm 
IV  604). 

Es  mag  auch  ein  jeder  bey  seinem  getrayd  ze  maln 
selbs  sein  oder  yemands  von  seinen  wegen  dabei  ze  sein 
verordnen  oder  schickheu  daran  sollen  die  Mttlner  aynen 
yeden  unverhindert  lassen.  Bayr.  Landr.  von  1516  XL. 
Titel  3.  Art. 

Übereinstimmend  Braunschweiger  Echteding  (Hänselmann  S.338), 


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Strassburger  Bäckerordnung  von  1460  (Brücker  S.  98);  Tiroler 
reform.  Landr.  von  1573  (VI.  Buch  39.  und  82.  Titel).  Cliur- 
fürstl.  Pfälz.  Landesordnung  von  1582  26.  Titel;  Bayr.  Land- 
und  Polizeiordnung  von  1616  IV  8 Art.  7.  Gesetzlich  ist  ferner 
wiederholt  festgelegt,  dass  der  Münzmeister  sich  vom  Münz- 
herrn zur  Verhütung  von  Veruntreuungen  beaufsichtigen  lassen 
muss.  Braunschweiger  Ordinarius  (Hänselmann  S.  168);  Strass- 
burger Müuzorduung  von  1470  Art.  9 (Eheberg,  Münzwesen 
S.  207).  Auch  vertragsmässig  pflegt  diese  Aufsicht  ausbedungen 
zu  werden,  z.  B.  in  dem  Nürnberger  Münzprägungsvertrag  von 
1594  (Mitteil,  des  german.  Mus.  I 235). 

Weiterhin  ist  vielfach  vorgeschrieben,  dass  vor  der  Ver- 
arbeitung des  Stoffs  und  bei  der  Ablieferung  des  Werks  der 
Stoff  zur  Wage  gebracht  werden  muss.  Goldschmiede  müssen 
bei  der  Übergabe  des  Metalls  eine  Probe  des  Metalls  oder  ein 
„Gegengewicht“  geben.  Es  scheint  dies  eine  schriftliche  Be- 
stätigung des  Gewichts  gewesen  zu  sein  (Meyer,  Strassb.  Gold- 
schmiedz.  S.  50  erklärt  den  Ausdruck  nicht).  Lüneburger 
Leinweberordnung  von  1430  (Bodemann  S.  149);  Strassburger 
Goldschmiedart.  von  1534  Art.  44  (Meyer  S.  87);  Brauuschweig- 
Lüneburg.  Taxordnung  von  1646  (augef.  bei  v.  Berlepsch,  Chro- 
nik der  Gewerbe  III  281);  vgl.  auch  Segesser,  Rechtsgesch. 
von  Luzern  II  374.  Hierher  gehört  auch  ein  Urteil  des  Brünner 
Schoffenbuchs  Nr.  693  unter  der  Überschrift:  Quod  testimonium 
factorum  praefertur  testimonio  verborum.  Der  Schneider  wird 
beschuldigt,  von  4'/s  Ellen  Tuchs  '/*  Elle  für  sich  verwendet 
zu  haben.  Sachverständige,  die  Älterleute  des  Amts  geben  ihr 
Gutachten  im  Sinne  der  Klage  ab.  Der  Kläger  beruft  sich 
auch  darauf,  dass  das  Tuch  vor  der  Übergabe  „coram  testibus 
ad  hoc  assumtis“  gewogen  worden  sei,  und  dass  das  Gewicht 
hiermit  jetzt  nicht  übereinstimme.  Der  Beklagte  erbietet  sich 
zum  Beweis  damit,  dass  das  Kleid  zertrennt  und  nachgemessen 
werde.  Diesem  Beweisantrag  wird  stattgegebeu,  „est  enim  con- 
suetum,  quod  pannus  mensuratur  et  non  ponderatur“.  Dagegen 
war  in  Bremen  das  Wägen  des  Stoffs  üblich: 

So  we  scrodere  wesen  wil  in  unser  stad.  De  scal  van 
alles  weme  de  id  van  eme  eschct,  untvangen  dat  want. 
dat  he  sniden  scal  by  der  wicht.  Dar  scolen  wachscale 


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78 


wesen  Unde  weghen  mit  lode,  unde  scolen  dat  snedene 
kleet  weder  antwurden  under  derselben  wicht.  Statuta 
Bremensia  1303  (Oelrichs  S.  28). 

Schliesslich  mag  noch  eine  Bestimmung  des  Rechts  der 
Reichsstadt  Rottweil  (1315—1425)  angeführt  werden,  nach 
der  der  Bäcker  Wische  bereit  legen  muss,  dass  jeder  das  ab- 
fallende Mehl  aufwischen  und  heimtragen  kann  (Greiner,  Das 
ältere  Recht  der  Rst.  R.  S.  249). 

3.  Der  Zufall  und  die  vom  Unternehmer  zu  beobachtende 

Sorgfalt. 

Schon  Stobbe  (Vertragsrecht  S.  290)  hat  betont,  dass  „die 
Deutschen  nicht  so  weit  in  ihrer  Abstraktion  gelangten,  um 
den  Begr  iff  der  Unglücks,  Zufalls  festzustellen  und  seine  Merk- 
male anzugeben,  sondern  dass  es  bei  einer  Aufzählung  der  ein- 
zelnen Fälle  blieb“.  Dies  gilt  natürlich  auch  für  das  hier  be- 
handelte Rechtsgebiet.  Die  Fassung  der  Quellen  ist  zugleich 
meist  derart,  dass  die  Haftung  für  Zufall  und  das  Mass  der 
aufzuwendenden  Sorgfalt  zusammen  behandelt  werden. 

a)  Während  die  Rechtsauffassung  über  die  Haftung  bei 
Diebstahl  der  Sache  verschieden  ist,  ist  sie  im  allgemeinen 
eine  einheitliche  hinsichtlich  der  Fälle,  die  gewöhnlich  unter 
dem  Begriff  der  „höheren  Gewalt“  zusammengefasst  werden. 

Geschee  aber  eyn  sulchis  daz  daz  egenannte  hantwerke 
an  ereil  tuchen  czwisschen  des  obgeschreben  czeyt  (d.  h. 
z.  Zt.  des  Betriebs)  in  eren  walkmolen  ich t schaden  emp- 
fingen es  were  von  herrewalt,  von  fures  not  adir  yn  gotes 
gewalt,  yn  flute  wene  adir  sust  von  rewbern  ichs  schaden 
empfingen,  des  sollen  die  molherrcn  nicht  gelden.  Ge- 
schee abir  andere  ungelucke  von  dyberye  adir  umbe  rysse 
der  tuche,  so  sollencz  die  molherren  geldin  adir  by  namen 
alzo  halden  umbe  solche  dyberye  unde  rysse  yn  allir  wise 
und  masse  alz  cs  die  obgenanten  webirmeistcre  haldin 
mit  erre  gemeyne.  Striegauer  Walkmühlcnordnung  von 
1390  (Korn,  Urk.  z.  Gesell,  des  Gewerber.  S.  87). 

Item  wan  ain  schefman  annymbt  gevasst  wegen,  welher- 
lay  das  wer,  und  vert  dahin  in  stillem  Wetter,  und  kumbt 


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79 


ain  wetter  an  in  auf  dem  wasser,  das  gots  gewalt  ist, 
und  das  doch  scheflewt  an  dem  scheff  sint,  maister  und 
genossen,  das  inn  gots  gewalt  das  sclief  nymbt,  das  sy 
nicht  sein  gewaltig  mugen  sein  . . . Befreiung  von  jedem 
Anspruch.  1450  Rechte  an  dem  Urfar  zu  Nussdorf  (Grimm 
III  704). 

Gebit  eyn  man  syn  gewant  eyme  snyder  tzu  machene 
. . . do  vor  he  syn  Ion  von  yeme  nemen  wil.  her  sal 
is  ym  bewarn  und  unvorterbit  wedir  geben.  Wirt  is  ym 
abir  vorstolen,  her  sal  is  ym  gelden.  vorbrente  abir  das 
selbe  beheltnisse.  do  her  is  ynne  hatte,  so  en  darf  her 
is  nicht  gelden  ab  her  synen  eyt  dor  tzu  tut  und  sal 
sweren  das  der  braut  aue  syne  warlose  tzu  körnen  sy 
und  das  her  is  nicht  us  gebrengen  noch  geretten  künde. 
Alte  Culm.  V 3,  hinsichtlich  des  Brandes  ebenso  jus  Cul- 
mense  ex  ult.  rev.  1767  IV  7.  Titel  cap.  9 S.  174 — 175. 

...  he  (der  Müller)  mot  ok  tom  körne  und  secken 
van  der  tit  an,  dat  de  winde  wert  angeschlagen,  wente 
wedder  up  den  wagen  alle  var  und  eventür  stan,  he  konde 
den  bewisen,  dat  de  möle  durch  blixen  edder  donner  to 
schaden  kerne,  dat  anders  is:  Sehe  to  und  wäre  dine 
möle.  Rügisches  Landr.  LXXXXVII  11. 

Wurde  eme  dat  werk  gestalen,  mot  de  wewer  waren, 
edder  vorbrant  dorch  sin  eigen  füer,  keine  de  brand  van 
gades  wedder  edder  van  sines  nabers  füer,  de  wewer 
drecht  den  halven  schaden;  it  were  denne  na  twelf  weken, 
dat  he  id  bi  sik  gehatt  hedde.  Rügisches  Landr.  CXIV  7. 

. . . si  sub  curru  transeunte  pons  frangatur  damnum 
equorum  et  currus  vector,  damnutn  autem  bonorum  eornm 
dominus  patietur.  Brünner  Schöffenbuch  Nr.  157. 

. . . der  (Fuhrmann)  soll  seinem  geheiss  genuog  thuon 
und  ihm  sein  guot  uff'  endt  und  ohrt  auch  zil  und  tag, 
wie  er  verheissen  hat,  unverzogenlich  antwortten,  Vor- 
behalten Gottes  gewalt  und  Herrenzwang.  Portenbeschluss 
von  1557  (Börlin,  Transportverbände  S.  58). 

Am  reichhaltigsten  ist  die  Aufzählung  der  „Unglücksfälle“  in 
der  Strieganer  Walkmühlenordnung:  Gottesgewalt,  Feuer, 
Wassersnot,  Herrengewalt,  Raub.  Die  Möglichkeit  eines  Ver- 


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80 


schuldens  des  Unternehmers  ist  nicht  berücksichtigt.  Dagegen 
kommt  es  nach  den  andern  Quellen  darauf  an,  ob  die  Feuers- 
gefahr vom  Unternehmer  verschuldet  ist.  So  ausdrücklich  nach 
Culmischen  Recht,  das  dem  Unternehmer  zugleich  die  Ver- 
pflichtung auferlegt,  sich  um  die  Rettung  des  Guts  zu  bemühen. 
Auf  das  Verschulden  stellt  auch  das  Riigische  Recht  ab,  das 
nach  der  Art  der  altern  Rechtsbildung  die  Fälle  anführt,  in 
denen  ein  Verschulden  als  ausgeschlossen  gilt,  oder  angenommen 
wird.  Kein  Verschulden  ist  möglicli  bei  dem  durch  Blitzschlag 
entstandenen  Brand,  stets  verschuldet  ist  der  Brand,  der  vom 
eigenen  Feuer  des  Unternehmers  kommt.  Für  den  Weber  ist 
im  besondern  bestimmt,  dass  der  Schaden,  der  durch  Brand 
von  Gottes  Wetter  oder  von  des  Nachbars  Feuer  entstanden 
ist,  vom  Weber  zur  Hälfte  getragen  wird.  Es  ist  nicht  ganz 
klar,  wie  dies  aufzufassen  ist.  Man  wird  annehmen  müssen, 
dass  der  Weber  den  Wert  des  Garns  zur  Hälfte  zu  ersetzen 
hat,  aber  auch  Anspruch  auf  die  Hälfte  des  Lohns  hat.  Wäre 
dies  letztere  nicht  der  Fall,  so  trüge  er  ja  mehr  als  die  Hälfte 
des  Schadens.  Möglich  wäre  allerdings  auch  die  Deutung,  dass 
der  Besteller  den  Stoff,  der  Unternehmer  den  Lohn  verloren 
habe.  Für  diese  Auslegung  würde  der  Brünner  Schöffenspruch 
sprechen,  nach  dem  bei  dem  Bruch  der  Brücke  der  Besteller 
= Verfrachter  keinen  Ersatz  des  Frachtguts  verlangen  kann. 
Hierzu  ist  noch  eine  Bestimmung  des  Bamberger  Rechts  § 403 
(Zöpfl  S.  112)  heranzuziehen,  wo  für  den  Fall  des  Schadens  am 
Frachtgut  festgesetzt  wird: 

So  sol  der,  des  die  hab  ist,  den  schaden  halben  tragen 

und  der  fürman  den  andern  halbteil. 

Bemerkenswert  ist  übrigens,  dass  der  Weber  nach  RUgi- 
schem  Landrecht  jene  günstige  Stellung  verliert,  wenn  er  das 
Werk  länger  als  12  Wochen  inne  hat.  Dann  hat  er  es  seiner 
Saumseligkeit  zuzuschreiben , wenn  er  den  ganzen  Schaden 
tragen  muss. 

Allgemein  gilt  ferner  der  Satz,  dass  im  Falle  des  Raubs 
oder  des  Arrests  des  Guts  der  Unternehmer  von  der  Haftung 
befreit  ist.  Hier  ist  zunächst  eine  oberstrichterliche  Entschei- 
dung des  Landgrafen  von  Thüringen  von  1215  zu  erwähnen  (Ur- 
kundenbuch des  histor.  Vereins  für  Niedersachsen  Heft  3 Nr.  88). 


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81 


. . . abbas  de  Walkenried  exposuit  uobis  qnod  quidam 
lioniines  pannos  suos  ad  fullandum  alias  res  ad  servandura 
in  grangiis  abbatiae  deposuerunt,  quae  a quibusdam  ma- 
litiosis  hominibus  simul  cum  propriis  rebus  inibi  nocte 
violenter  ablata  fuerunt,  cumque  his  reddendis  abbati 
quaestio  coram  nobis  moveretur,  ad  judicium  calculus  sen- 
tentiae  servabatur  videlicet  praefatum  abbatem  restitu- 
endis  rebus  ablatis  non  teneri  non  obstante  eo,  quod  mer- 
cedem  pro  fullando  acceperunt. 

Der  Tatbestand  ist,  soweit  er  die  Werkverdingung  betrifft, 
nicht  ganz  klar.  Man  wird  annehmen  müssen,  dass  die  Tücher 
gewalkt,  vielleicht  abgenommen  waren,  sicher  aber  war  der 
Lohn  bezahlt.  Dass  dieser  vor  Fertigstellung  des  Werks  be- 
zahlt worden  wäre,  ist  nicht  wahrscheinlich.  Sonach  war  der 
Werkvertrag  beendet,  und  es  lagerten  die  Tücher  nur  mehr 
auf  Grund  Verwahrungsvertrags  im  Kloster.  Somit  kann  die 
Stelle  nur  vergleichsweise  hier  verwertet  werden.  Beachtens- 
wert ist  die  Hervorhebung  des  gleichzeitigen  Verlustes  eigener 
Sachen  des  Klosters. 

Auf  dieses  Moment,  das  beim  Verlust  des  Guts  durch 
Diebstahl  von  grosser  Bedeutung  ist,  legt  keinen  Wert  eine 
Entscheidung  des  Frankfurter  Oberhofs  von  1401  (Thomas 
S.  318): 

ez  were  dann  daz  solich  wäre  raublich  genomon  oder  mit 
gerichte  uffgehalden  were. 

Dagegen  bringt  das  Wiener  Recht  mehr  den  Gesichtspunkt 
der  Sorgfalt  des  Unternehmers  zur  Geltung. 

Fuert  ain  man  kamerguet  auf  ainem  wegsei  und 
wird  beraubt  auf  der  strass  bei  sunnenscheiu  und  bewaret 
er  das,  als  er  zu  recht  sol,  der  gilt  des  kamerguet  nicht, 
wan  es  dem  hertzogen  verloren  ist,  der  frid  schaffen  soll 
in  seinem  lande.  Verleust  er  aber  das  gnet  ee  die  sunn 
aufget,  des  morgens,  und  des  abentz,  darnach  und  sie 
widerkumbt,  der  mues  das  guet  zu  recht  selber  gelten, 
wann  sich  niemant  verfruen  noch  verspäten  sol  mit  kainem 
guet  auf  der  strass.  Wiener  Stadtr.  A.  37. 

. . . Chöment  in  darüber  die  rauber  an,  und  nement 
im  daz  guet,  und  verleuset  er  seinen  roz  damit,  oder 

Kotlien  b Hoher,  Werkvertrag  t> 


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82 


anders,  das  sein  ist,  ze  rechter  zeit,  weder  ze  spat  noch 
ze  frue,  und  ist  auch  die  strazz  gevarn,  die  in  der  chauf- 
raan  haizzet  varn,  mag  der  fuerman  das  bewern,  als  recht 
ist,  und  auch,  daz  er  sein  guet  damit  verlorn  hat,  er 
giltet  des  guetes  nichtes  nicht.  Vert  aber  der  fuerman 
ze  frue  oder  ze  spat  auf  der  strazze  und  vert  ein  andren 
strazze,  denn  in  der  chaufman  hat  haizzen  varn,  und  ver- 
leuset  dem  mann  sein  guet,  wirt  der  fuerman  sölicher 
ding  überwert,  er  muez  das  guet  selber  gelten.  Wiener 
Stadtr.  A.  55. 

Diese  Stelle  grenzt  genau  das  Mass  der  vom  Fuhrmann  zu 
beachtenden  Sorgfalt  ab,  und  bringt  als  Merkmal  der  subjek- 
tiven Sorgfalt  bereits  auch  den  Verlust  eigener  Sachen  des 
Unternehmers.  Vgl.  weiterhin  über  die  vom  Fuhrmann  zu  be- 
achtende Sorgfalt  Börlin  a.  a.  0.  S.  67. 

Nicht  hierher  gehört  der  Fall  eines  Schöffenurteils  der 
Dresdner  Handschrift  ( Wasserschieben , Sammlung  deutscher 
Rechtsquellen  S.  251),  iu  dem  der  Fuhrmann  zugleich  den  Ein- 
kauf der  zu  verfrachtenden  Ware  besorgt,  und  hierbei  trotz 
des  Verlustes  von  Wagen  und  Pferden  auch  für  den  Fall  der 
Beraubung  einzustehen  hat.  Vgl.  hierzu  Pauli,  Lübcckische  Zu- 
stände III  S.  86. 

Eine  eigentümliche  Stellung  nimmt  der  Seefrachtvertrag 
ein.  Es  ist  schon  oben  bei  der  Lehre  von  der  Nichterfüllung 
des  Vertrags  darauf  hingewiesen  worden,  dass  hier  der  Schiffer 
mit  seinem  Anspruch  auf  Bezahlung  der  Fracht  besonders 
günstig  gestellt  ist.  Entsprechend  lautet  ein  Urteil  des  Lü- 
becker Oberhofs  von  1486  (Michelsen  Nr.  183). 

Is  de  scipper  beneden  der  helffte  des  weges  dar  he  vor- 
vrachtet  wes  gebleuen,  denne  doruen  eme  de  koplude 
nicht  mer  dan  de  haluen  vracht  vor  sodane  duchtige  gud 
dat  se  weder  entfangen  betalen,  unde  moghen  dat  ander 
unduchtige  gud  dem  scipper  vor  de  vracht  laten  beliggen. 
Die  Beklagten  hatten  geltend  gemacht,  dass  die  Waren  infolge 
der  Versäumnis  des  Schiffers  verbrannt  seien,  allein  das  Gericht 
scheint  darauf  uicht  eingegangen  zu  sein.  Hinsichtlich  des 
Seewurfs  galt  allgemein  der  Grundsatz  der  lex  Rhodia  de 
jactu,  dass  der  Schade  von  Schiff  und  Ladung  verhältnis- 


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83 


mässig  zu  tragen  sei.  Das  Alte  Liibische  Recht  Cod.  II  art.  134 
bestimmt: 

So  war  lüde  sint  an  waternot  linde  er  ghut  werpet,  dat 
gut  mot  dat  scbip  uude  de  lüde,  de  dar  gut  hebben  in 
deme  schepe,  na  marktale  ghelden  na  deme  alse  jewelik 
ghut  mochte  ghelden  in  der  havene  dar  se  to  dochten. 
Vgl.  hierzu  die  bei  Pauli  III  S.  88  angeführten  Ratserkennt- 
nisse, ferner  Bremer  Statuta  von  1303  (Oelrichs  S.  299),  wo 
noch  bemerkt  ist,  dass,  wenn  das  Schiff  zu  tief  geladen  war, 
der  Schiffer  den  Schaden  allein  zu  tragen  habe,  auch  Nowgo- 
roder  Skra  II  38  (Frensdorff,  Das  statutar.  Recht  der  Kaufleute 
zu  Nowgorod,  in  den  Abhandlungen  der  Gotting.  Gesellsch. 
d.  W.  34.  Bd.  S.  25). 

b)  Wird  die  Sache  gestohlen,  so  muss  nach  einigen  Rechten 
der  Arbeiter  auch  hierfür  einstehen,  nach  einigen  Rechten  ist 
er  hiervon  befreit,  jedoch  nur  unter  der  Voraussetzung,  dass 
er  die  erforderliche  Sorgfalt  gewahrt  hat.  Äusseres  Merkmal 
hierfür  ist  der  gleichzeitige  Verlust  eigener  Sachen  (s.  oben 
S.  81). 

Wirt  aber  eime  snider  gewant  enpfolhen  unde  wirt  im 
daz  verstoln  mit  andern  sime  gute,  mag  er  daz  bereden 
des  sol  er  geniessen.  Augsburger  Stadtr.  A.  133. 

Und  enpfilcht  ein  man  ainem  sein  gewandt  zu  schneidern 
oder  zu  machnn.  und  wirt  es  jm  gestolnu.  es  sol  der 
Schneider  gelten.  Also  ist  es  umb  alles  was  man  ainem 
enphilcht.  . . . unnd  wirt  mir  aber  mein  guet  gestolenn 
mit  ains  anndern  ich  gilt  sein  nicht.  Ruprecht  von  Frei- 
sing I 149  (Maurer)  und  ähnlich  in  der  von  Westenrieder 
herausgegebenen  Handschrift  I § 90  (S.  68). 

Soror  Pessoldi  Salomonis  conquerebatur  super  J.  latii- 
ficem,  quoil  sibi  unum  paunorum  in  suam  habitationem 
dedisset  etc.  Sententiatum  quod  reus  suas  cum  dicto 
panno  perdidis.se  probare  deberet,  alioquiu  actori  pannum 
solvat,  sicut  ipse  actor  juramento  suo  valorem  panni 
comprobabit.  Entsch.  des  Oberhofs  zu  Iglau  vor  1416 
(Tomaschek  Nr.  166). 

Ebenso  Lüneburger  Stadtrecht  (Kraut  S.  51)  für  den  Diebstahl 
des  Frachtguts  ohne  das  Erfordernis  des  Verlustes  eigener 

6* 


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84 


Sachen.  Einen  Sonderfall  nehmen  aus  eine  Entscheidung  des 
Iglauer  Oberhofs  aus  der  2.  Hälfte  des  14.  Jahrh.  (Tomaschek 
S.  369)  und  das  Glogauer  Rechtsbuch  cap.  600,  601  (Wassersch- 
ieben). Nach  der  Entscheidung  muss  nämlich  der  Unternehmer 
für  das  von  seinem  Gesinde  gestohlene  Gut  aufkommen, 

wiwol  er  sein  gut  domit  verlewset,  wenn  semeleiche  ar- 
beiter  sallen  sich  gesindes  bewaren  dem  sie  fremder  lewte 
gut  getrawen. 

Ebenso  nach  dem  Glogauer  Rechtsbuch,  das  sonst  den  Beweis 
des  Verlustes  eigener  Sachen  zulässt. 

Lediglich  den  Gesichtspunkt  des  Verschuldens  des  Unter- 
nehmers bringt  das  Schöffenrecht  der  Dresdner  Handschrift 
(Wasserschleben,  Sammlung  deutscher  Rechtsquellen  I S.  111) 
zur  Geltung: 

Gibt  eyner  dem  andirn  zcu  machin  gewant  adir  silber 
adir  andir  ding  was  is  sey,  und  man  ym  do  von  Ionen 
zal  vor  seyne  erbeit,  vorburnet  ym  das  in  seyner  gewere 
adir  wirt  ym  gestolen  das  her  verwarlist  das  mus  her 
gelden  noch  seynen  wirden  und  weide  is  yener  tewir 
rechen  wen  ist  wert  ist  das  sal  her  behaldin  uff  den  hey- 
ligen  mit  zeynes  eynes  liant. 

Von  ähnlicher  Auffassung  geht  auch  eine  Bestimmung  des 
Augsburger  Rechts  (einzelnes  Blatt  145,  Meyer  S.  246)  aus: 
Ist  auch  daz  ainera  lederer  heute  oder  vel  enpfolhen  wer- 
dent  ze  wurchen,  werdent  die  verstoln,  da  ist  umb  recht, 
wann  er  si  an  dem  wetter  haben  möz  und  si  ze  allen 
ziten  niht  besliezzen  mack,  mag  er  bereden  zu  den  heili- 
gen ob  er  ain  unversprochen  man  ist,  daz  die  heute  oder 
diu  vel  ane  sine  schulde  und  ane  gevaerde  verlorn  sin; 
der  sol  danne  ledick  sin  und  muz  jener  den  schaden  haben 
der  si  im  empfolhen  het. 

Dagegen  muss  nach  einer  grossen  Anzahl  von  Rechten  der 
Unternehmer  für  das  gestohlene  Gut  aufkommen.  Nach  der 
oben  angeführten  Striegauer  Walkmflhlcnordnung  von  1390; 
nach  Lübischem  Recht  (Hach  S.  347);  Schwabenspiegel  Art.  189; 
nach  einem  Urteil  des  Frankfurter  Oberhofs  von  1401  (Thomas 
S.  318);  nach  altem  Culmischen  Recht  V 3,  wogegen  jus  Cul- 
mense  ex  ult.  rev.  IV  7 cap.  9 den  Schneider  zum  Beweis  zu- 


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85 


lässt,  dass  das  Gut  ohne  seine  Verwahrlosung  gestohlen  worden 
sei,  „da  er  es  nebst  dem  seinen  wohl  verwahrt,  aufs  beste  er 
konnte“. 

c)  Wie  schon  aus  der  oben  angeführten  Stelle  des  Rechts- 
buchs nach  Dist.  (V  4 dist.  16)  sich  ergibt,  ist  der  Unter- 
nehmer dann  von  der  Haftung  befreit,  wenn  der  Besteller  oder 
dessen  Vertreter  während  der  Verarbeitung  des  Stoffs  an- 
wesend ist.  Damit  stimmt  überein  das  oben  erwähnte  Weistum 
zu  Oberhilbersheim  § 29  (Grimm  IV  604): 

. . . und  der  arm  mann  soll  die  beuth  lassen  als  er  sie 
findet. 

d)  Es  versteht  sich  von  selbst,  dass  die  oben  angeführten 
Stellen  Uber  den  Zufall  sich  nicht  nur  auf  den  Untergang, 
sondern  auch  auf  die  Verschlechterung  der  Sache  beziehen. 
Dies  gilt  vor  allem  auch  für  die  noch  zu  besprechenden  Stellen 
aus  dem  Frachtrecht.  Einige  Rechte  stellen  hier  auf  die  Sorg- 
falt des  Fuhrmanns  ab,  so  das  Münchner  Stadtrecht  A.  164 
(Auer  S.  64). 

Ob  ainer  salz  herfüeret  umb  Ion,  und  ob  er  dem  ain 
scheiben  oder  mer  zerbrach,  wirt  er  darum  angesprochen, 
tar  er  dann  bereden,  daz  er  die  scheiben  von  seinen 
trenn  gefttrt  hab,  als  er  pest  mocht,  und  auch  den  wagen 
nicht  umb  hab  geworfen  auz  der  rechten  wagenlaist,  und 
daz  salz  gedeckt  hat,  und  gevarn  sey  an  gevaerd,  des  sol 
er  geniezzen,  ez  mach  dan  ener  war,  als  das  rechtbuoch 
sait,  daz  er  im  die  scheiben  verwarlost  hab. 

(Vgl.  hierzu  die  auf  den  Handwerker  bezügl.  Stelle  A.  176 
und  Bayr.  Landrecht  von  1346  IX  85  über  den  Hirten.) 

Postquam  vasi  tractor  in  scalis  et  funibus  seu  vector 
in  curru  vas  habuerit,  si  debile  fuerit  et  frangatur,  vel 
alio  modo  sine  tarnen  negligentia  et  improvidentia  vasi 
tractoris  ant  vectoris  stillaverit  et  effundatur,  damnum 
tale  vasis  dominus  sustinebit  . . . Item  si  currus  ad 
aquam  venerit  quae  plus  solito  inundaverit  et  excrevcrit 
nisi  vector  vadum  prius  diligenter  examinet  et  quaerat, 
si  aquam  intraverit  improvide,  pro  damno,  quod  in  bonis, 
quae  ducit,  acciderit,  eorum  domino  respondebit.  Brünner 
Schöffenbuch  Nr.  157. 


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Ebenso  lässt  das  Bamberger  Recht  XXXVIII  § 402  (Zöpfl) 
dann,  wenn  das  Frachtgut  Wein  oder  andere  Getränke  sind, 
den  Fuhrmann  zum  Entschuldigungsbeweis  zu.  Dagegen  scheint 
nach  der  Mehrzahl  der  Rechte  dein  Fuhrmann  eine  objektive 
Haftung  auferlegt  worden  zu  sein. 

Dingt  ainer  ainem  fuorman  wein  auf  umb  Ion  und  ver- 
schütt er  den  wein  wie  das  geschieht,  so  sol  der  fuer- 
man  den  wein  halben  gelten  als  er  geschanfft  ist,  da  er 
geladen  ist  von  dem  selben  fuorman.  Bayr.  Landr.  von 
1846  XXVII  § 347. 

Wiener  Stadtr.  A.  56  und  Lüneburger  Stadtr.  (Kraut  S.  51) 
lassen  den  Fuhrmann  den  Wein  oder  das  Gut  ganz  zahlen, 
wogegen  ihm  wohl  der  Lohnanspruch  bleibt  ; so  wenigstens  nach 
Brunner  Schöffenbuch  Nr.  156  b. 

Sententiatum  est  quod  vector  ille,  qui  vas  vini  pervertens 
effundit,  tenetur  domino  vini  solvere  id  ipsum  vinum,  prout 
ipse  dominus  vini  apud  vos  in  loco  emptionis  comparavit, 
et  non  prout  dominus  vult  estimare.  Et  dominus  tene- 
tur vectori  dare  praetium  de  quolibet  miliari  pro  rata 
juxta  couventionem  inter  eos  celebratam. 

Eigentümlich  verteilt  das  Bamberger  Recht  § 403  die  Haftung. 
Die  Schäden,  die  der  Habe  beim  Fahren  zustossen,  sei  es  auf 
dem  ^rechten  Weg  oder  ausserhalb  der  Strasse,  sollen  der  Eigen- 
tümer und  der  Fuhrmann  je  zur  Hälfte  tragen. 

Aber  wo  die  fure  stille  heldet  unverlichen  da  gibt  der 
fürman  nichts  am  schaden. 

Vielfach  ist  ausdrücklich  hervorgehoben,  dass  auch  hier 
der  Unternehmer  für  seine  Gehilfen  einzustehen  habe;  Strass- 
burger Tuchschererartikel  von  1362  (Schmoller  S.  8);  Strass- 
burger Goldschmiedartikel  1363 — 1410  Art.  9 (Meyer  S.  4); 
Strassburger  Müllerordnung  von  1452  (Brücker  S.  375);  Ent- 
scheidung des  Frankfurter  Oberhofs  von  1401  (Thomas  S.  318). 

Das  Ergebnis  ist:  Das  deutsche  Recht  befreit  den  Unter- 
nehmer von  der  Haftung  für  die  unversehrte  Rückgabe  des 
Gutes  in  all  den  Fällen,  wo  nach  der  Art  des  eingetretenen 
Unglücks  ein  Verschulden  des  Unternehmers  unmöglich  ist,  vor 
allem  bei  Wassersnot.  Blitzschlag.  Raub  und  Arrest.  Es  bringt 
jedoch  sehr  bald  den  Gedanken  zur  Geltung,  dass  der  Unter- 


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nehmer  das  Gut  nicht  „verwahrlost“  haben  darf,  d.  h.  unacht- 
sam behandelt,  die  erforderliche  Sorgfalt  ausser  acht  gelassen 
haben  darf.  Es  verpflichtet  den  Unternehmer  zum  Handeln, 
er  muss  nicht  nur  unschuldig  an  dem  Unglücksfall  sein,  son- 
dern muss  sich  bemühen,  das  Gut  zu  retten.  Das  Mass  der 
aufzuwendenden  Sorgfalt  wird  in  einer  Reihe  von  Fällen  kasu- 
istisch bestimmt,  im  allgemeinen  wird  die  Sorgfalt  gefordert, 
die  sich  aus  der  peinlichsten  Beobachtung  aller  berufsmässigen 
Regeln  unter  Berücksichtigung  der  Vertragstreue  ergibt.  Als 
Beweis  der  subjektiven  Sorgfalt  gilt  da,  wo  dies  nach  Lage 
der  Sache  möglich  ist,  der  gleichzeitige  Verlust  eigener  Sachen 
des  Unternehmers.  Wo  die  Rechtssätze  dies  Merkmal  nicht 
erwähnen,  darf  nicht  angenommen  werden,  es  habe  nicht  ge- 
golten, vielmehr  kommt  diese  Möglichkeit  des  Verlustes  eigener 
Sachen  in  dem  besondern  Fall  in  der  Regel  nicht  in  Betracht. 
Der  Besteller,  der  den  Unternehmer  um  sein  Gut  anspricht, 
muss  die  „Verwahrlosung“  beweisen,  kann  er  dies  nicht,  so 
muss  der  Beklagte  schwören,  dass  er  das  Gut  behandelt  habe, 
„als  er  pest  mocht“  unter  Beobachtung  aller  gebotenen  Vor- 
sichtsmassregeln.  Eine  Sonderstellung  nehmen  der  Seefracht- 
vertrag und  der  Vertrag  mit  dem  Fuhrmann  ein.  Hier  ist  die 
Haftung  des  Schiffers  durch  die  Eigentümlichkeit  der  Ver- 
frachtung zur  See  beeinflusst,  sowie  durch  die  besonders  be- 
günstigende Behandlung  des  Lohnanspruchs. 

Es  werden  demnach  die  Ausführungen  Stobbes  (Vertrags- 
recht S.  247)  durch  die  bisherigen  Darlegungen  bestätigt.  Dass 
der  Handwerker  „selbst  den  unverschuldeten  Verlust“  trage, 
ist  ausgeschlossen.  Es  könnte  dies  höchstens  für  den  Dieb- 
stahl des  Gutes  zweifelhaft  sein.  Allein  hierbei  ist  zu  be- 
achten, dass  die  Quellen,  die  sich  für  den  Ersatz  des  ge- 
stohlenen Gutes  aussprechen,  die  Möglichkeit  des  Verlustes 
eigener  Sachen  nicht  ins  Auge  fassen,  es  also  uicht  aus- 
geschlossen ist,  dass  auch  nach  ihnen  der  Beklagte  sich  durch 
den  Nachweis  befreien  kann,  dass  ihm  keine  Verwahrlosung 
zur  Last  fällt.  Lediglich  der  Diebstahl  durch  das  Gesinde  des 
Unternehmers  gilt  immer  als  verschuldet. 


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4.  Die  Recht«  des  Bestellers  bei  Verletzung  der  Rliek- 

gew  ährpflicht  des  Unternehmers. 

a)  Die  bisher  angeführten  Stellen  über  die  Haftung  des 
Unternehmers  haben  bereits  erkennen  lassen,  dass  der  Unter- 
nehmer, der  den  Verlust  oder  die  Beschädigung  der  Sache  zu 
vertreten  hat,  Schadensersatz  zu  leisten  hat. 

Das  mittelalterliche  Recht  behandelt  weiterhin  den  Fall, 
wo  der  Handwerker  dem  Besteller  die  Sache  „vorhält  und 
nicht  wiederum  gibt“,  oder  die  Sache  „verwahrlost“  hat,  meist 
im  Zusammenhang  mit  dem  dinglichen  Anspruch  auf  Heraus- 
gabe, regelt  die  Bestrafung  der  „Untreue“,  und  die  Verpflichtung 
zu  Bussen  an  das  Amt.  Dass  hier  der  Unternehmer  im  Fall 
der  Unmöglichkeit  der  Herausgabe  zum  Schadensersatz  ver- 
pflichtet ist,  ergibt  sich  schon  aus  den  allgemeinen  Rechts- 
sätzen. 

Die  Schadensersatzpflicht  für  Verderb  des  Stoffs  ist  in 
einer  Reihe  von  Quellen  ausdrücklich  ausgesprochen.  Frei- 
berger Stadtrecht  cap.  XLV  § 4;  Strassburger  Tuchscherer- 
artikel  von  1362  (Schmollet'  S.  8);  Lübecker  Leinweberordnung 
von  1425  (Wehrmann  S.  322);  Hamburger  Färberart.  von  1535 
(Rüdiger  S.  298);  Lübecker  Dachdeckerordnnng  aus  dem  16. 
Jahrh.  (Wehrmaun  S.  196). 

Liefert  der  Unternehmer  zu  wenig  Stoff  zurück,  so  hat 
der  Besteller  das  Recht,  am  Lohn  den  Wert  abzuziehen,  nach 
der  Strassburger  Barchentschauordnung  von  1537  (Schmoller 

5.  161).  Hierher  gehört  auch  die  Bestimmung  des  Niederolmer 
Weistums  § 10  (Grimm  IV  598),  wonach  der  Besteller  solange 
den  Lohn  einbehalten  kann,  bis  der  Stoff  vollständig  zurück- 
erstattet ist. 

b)  Der  Anspruch  des  Bestellers  auf  Schadensersatz  geht 
gegen  den  Unternehmer.  Nach  Freiberger  Stadtr.  XLV  § 4,  5 
haftet  aber  auch  die  Schneiderinnung  für  den  Ersatz  des 
Schadens,  der  dem  Besteller  dadurch  entstanden  ist,  dass  ein 
Mitglied  der  Inuung  das  Tuch  verdorben,  oder  unterschlagen 
hat.  Ebenso  tritt  nach  der  Grimselordnung  die  Gemeinde 
für  den  Schaden  ein,  den  der  Fuhrmann  nicht  zu  ersetzen  ver- 
mag (Börlin  a.  a.  0.  S.  64).  Ob  diese  Rechtssätze  eiue  weitere 


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Geltung  auf  unscrm  Gebiete  gehabt  haben,  lässt  sich  nicht 
feststellen.  Sie  werden  verständlich  aus  der  mittelalterlichen 
Auffassung  der  Genossenschaft,  der  eine  Haftung  der  Genossen- 
schaft für  ihre  Mitglieder  ganz  geläufig  ist.  Vgl.  Gierke,  Ge- 
nossenschaftsrecht  Bd.  II  S.  388. 

c)  Der  Ersatz  des  Schadens  kaun  zunächst  in  der  Aus- 
besserung des  teilweise  verdorbenen  oder  beschädigten  Stoffs 
bestehen.  Ltibisches  Beeilt  von  1294  (Hach  S.  375);  Ofner 
Stadt  recht  A.  113  (Michuey  S.  83),  Wendisch-Rügian.  Laud- 
gebrauch  214.  Titel.  Das  Lübische  und  das  Ofner  Recht  be- 
handeln übereinstimmend  den  Fall,  dass  der  Schmied  das  Pferd 
„vernagelt“.  Er  muss  es  anf  seine  Kosten  heilen.  Nach  Ofner 
Recht  muss  er  dem  Besteller  ein  Pferd  stellen  oder  mieten, 
mit  dem  er  arbeiten  kann.  Ja  ein  reisiger  Mann  kann  sogar 
verlangen,  dass  der  Schmied  ihm  ein  anderes  gleich  gutes  Pferd 
gebe.  Wird  das  Pferd  nicht  wieder  hergestellt,  so  muss  der 
Schmied  es  nach  Meinung  guter  Leute  ersetzen. 

Massgebend  für  den  Wertersatz  ist  in  dem  besondern 
Falle  des  Frachtrechts  der  Einkaufspreis,  den  der  Verfrachter 
gezahlt  hat.  Brünner  Schöffenbuch  Nr.  156  b,  Wendisch-Rü- 
gianischer  Landgebrauch  214.  Titel,  Reform,  bayr.  Landr.  von 
1616  IV.  Teil  lila. 

Dagegen  ist  nach  einem  Urteil  des  Lübeckischen  Oberhofs 
von  1492  (Michclsen  S.  290)  und  nach  Rügischem  Landrecht 
CXIV  4 der  Wert  zu  ersetzen,  den  das  Werk  bei  der  Voll- 
endung gehabt  haben  würde.  Diesen  Gedanken  bringt  auch 
die  Nowgoroder  Skra  II  (Frensdorff  a.  a.  0.  S.  25)  bei  Berech- 
nung des  Wertes  der  geworfenen  Güter  zur  Anwcnduug. 

Ist  der  Wert  der  Sache  streitig,  so  hat  der  Kläger  ihn 
eidlich  zu  schätzen,  so  nach  einer  Iglauer  Entscheidung  vor 
1416  (Tomaschek  Nr.  166);  dagegen  wird,  wie  in  den  oben 
angeführten  Stellen  des  alten  Lübischen  und  Ofner  Rechts  auf 
die  „Schätzung  guter  Leute“  abgestellt  iu  den  Strassburger 
Tuchschererartikeln  von  1362  (Schmoller  S.  8);  in  der  Lübecker 
Rolle  der  Schiffszimmerleute  von  1560  (Wehrmann  S.  405),  in 
den  Lübecker  Statuta  III  8 § 16.  Nach  dieser  Quelle  wird 
der  Unternehmer  gegen  die  Schätzung  der  guten  Leute  zum 
Eid  zugelassen,  dass  die  Sache  nicht  mehr  wert  gewesen  sei. 


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tl)  Der  Ersatzanspruch  des  Bestellers  ist  nach  Ofner  Recht 
an  die  Voraussetzung  geknüpft,  dass  dem  Schmied 

„der  statman  pey  nacht  und  pey  tag  zu  wissen  tue“,  dass 
das  Pferd  vernagelt  ist  (A.  113). 

Diese  Anzeigepflicht  wird  wohl  allgemein  gegolten  haben. 

E.  Der  Lohn. 

1.  Die  Entgeltlichkeit  gehört  zum  Begriff1  des  Werkver- 
trags. Es  ist  oben  schon  gezeigt  worden,  dass  die  Quellen 
zur  Unterscheidung  des  Tatbestands  des  Werkvertrags  von 
andern  Verträgen  vielfach  das  Erfordernis  des  Lohnes  aus- 
drücklich betonen.  Die  rechtliche  Natur  des  Vertrags  wird 
nicht  dadurch  bestimmt,  ob  der  Lolin  als  Ganzes  für  die  ganze 
Arbeitsleistung  oder  nach  Zeit  bemessen  ist.  Beide  Formen 
der  Entlohnung  kommen  bekanntlich  im  Bau-  und  Anbringungs- 
gewerbe vor.  Es  ist  auch  darauf  hingewiesen  worden,  dass 
vielfach  die  Entlohnung  nach  Zeit  vorgeschrieben  war  (S.  8,  20). 

Der  Lohn  unterliegt  zunächst  der  Vereinbarung,  die  je- 
doch in  vielen  Fällen  an  die  von  den  gewerblichen  Körper- 
schaften oder  den  Stadt-  und  Landesbehörden  erlassenen  Tax- 
ordnungen  gebunden  ist.  Das  Überschreiten  dieser  Verord- 
nungen wird  öfters  mit  Strafe  bedroht,  so  der  Art.  24  des 
Strassburger  Tucherbuchs  1400 — 1434  (Schraoller  S.  29). 

Der  Lohn  kann  fest  vereinbart  sein,  oder  aber  es  wird 
ein  Höchstpreis  festgesetzt,  der  nicht  überschritten  werden 
darf,  der  wirkliche  Preis  wird  dann  auf  Grund  eines  Sachver- 
ständigengutachtens über  das  fertige  Werk  bestimmt  (so  bei 
der  Andingung  des  Grabmals  an  Adam  Kraft  1490  Repert. 
Bd.  25  S.  360  ft1.).  Es  bleibt  also  innerhalb  des  gesteckten 
Rahmens  auch  noch  ein  Spielraum  für  das  Ermessen  des  Be- 
stellers. Auf  demselben  Gedanken  beruht  die  weit  verbreitete 
Sitte,  dem  Unternehmer  für  besonders  gute  Ausführung  eine 
eigene  Belohnung  zu  gewähren.  Soweit  diese  im  Vertrage  ver- 
sprochen ist,  besteht  dann  ein  Anspruch  der  Unternehmers 
hierauf. 

. . . Unde  wo  der  erbenomede  vorman  szodane  vor- 
berorden  tafelenn  to  der  erbeuomeden  stede,  szo  he  ge- 


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louet  helft,  woll  bringeth,  so  willen  eme  de  obgenanten 
vonnnndere  utb  guden  willen,  noch  eynen  rinschen  gülden 
geuen  unde  vornogen.  1493  Fracbturkunde  im  Lübecker 
Niederstadtbuch,  Pauli  III  S.  147. 

. . . unde  dar  en  boven  achtentich  mark  Lub.  de  ze 
eme  dorch  frundschopp  willen  gesclienket  liebben.  1463 
Quittung  über  die  Vergütung  für  Anfertigung  einer  Orgel. 
Pauli  III  S.  150. 

Nach  einem  Vertrag  von  1191  erhält  Tilman  Riemenschneider 
für  besonders  gute  Ausführung  ausser  dein  ausgemachten  Lohn 
noch  10  fl.  (Tönnies,  Tilman  R.  S.  80).  Vgl,  auch  Mithoff 
S.  309  und  S.  12.  Diese  Sitte  ist  durchaus  nichts  Fremdes; 
auch  im  heutigen  Verkehr  mit  dem  Lohnkutscher  ist  es  noch 
allgemein  üblich,  ein  Trinkgeld  zu  versprechen,  dessen  Höhe 
der  Besteller  bestimmt,  ähnlich,  wie  in  manchen  Gegenden  der 
Baumeister  für  befriedigende  Herstellung  des  Baus  eine  eigene, 
nicht  vertragsmässige  Belohnung  erhält.  Es  soll  ebeu  durch 
derartige  Sonderversprechen,  die  tatsächlich  einen  Teil  des 
Lohnversprechens  bilden,  der  Unternehmer  zu  besonderm  Fleiss 
und  Eifer  angespornt  werden. 

Ist  eine  Vereinbarung  nicht  getroffen,  und  besteht  auch 
keine  Taxordnung,  so  sollen  die  Handwerker  „ein  gewöhnlich 
Lohn“  nehmen,  um  „ein  bescheiden  pfenning“  arbeiten;  Recht 
der  Reichsstadt  Rottweil  (Greiner  S.  511). 

Item  ein  gewonlich  Ion  sullen  sy  von  irer  arbeit  nemen 
und  nymands  obirsetzen ; wurden  sy  abir  ymamls  zu  hoch 
obirsetzen  wullen,  mag  yn  der  ratli  das  Ion  selbs  setzen. 
Innungsartikel  der  Freiberger  Goldschmiede  von  1466  § 9 
(Ermisch  S.  291). 

Nach  Bamberger  Recht  § 405  (Zöpfl  S.  112)  sollen  die  Meister 
des  Handwerks  auf  ihren  Eid  erkennen,  ob  der  Handwerker 
den  Besteller  „übernommen“  hat.  Dagegen  wird  der  Arzt  nach 
Rügischem  Landrecht  CXXVII1  2 bei  Klage  wegen  „Über- 
setzung“ zum  Eid  zugelassen. 

In  den  ländlichen  Verhältnissen  findet  sich  vielfach  im 
Verkehr  mit  dem  Fährmann  die  Übung,  dass  die  Markgenossen 
eine  einmalige,  jährliche  Leistung  dem  Fergen  machen,  so  dass 
Entlohnung  für  den  Einzelfall  nur  bei  Fremden-  und  bei  ausser- 


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ordentlichen  Transporten  z.  B.  von  Wagen  eintritt.  Vgl.  Hof- 
recht zu  Wangen  § 20  (Grimm  IV  353),  Öffnung  von  Üsslingen 
1420  II  § 16  (ebd.  V 117),  Weistum  v.  Kuessenberg  1497 
(ebd.  V 221). 

2.  Der  Lohn  kann  in  Geld  oder  Naturalien  bestehen. 
Naturallohn  findet  sich  in  ganz  Deutschland  bis  ins  18.  Jahrh. 
beim  Vertrag  mit  dem  Müller.  Er  besteht  in  eiuem  Abzug  des 
10.  Teils  oder  eines  andern  Masses  von  dem  Stoff.  Rechtsbuch 
nach  Dist.  V 4 dist.  18;  Herrschaftsrecht  v.  Büron  (Zeitschr. 
f.  Schweiz.  R.  V 112);  Augsburger  Stadtr.  A.  14  § 24;  Engel- 
berger Thalrecht  1483  (Zeitschr.  f.  Schweiz.  R.  VII  29);  Bayr. 
Landr.  von  1346  XXVI  337 ; Rügisches  Landrecht  LXXXXVII 
3 ff.,  Reform.  Bayr.  Landesordnung  von  1616  IV  8;  Reform. 
Tiroler  Landrecht  von  1573  VI  44.  Vgl.  auch  Segesser,  Rechts- 
gesch.  von  Luzern  II  S.  374. 

Das  Verbot  des  Naturallohns  tritt  vielfach  in  den  Städten 

auf. 

Wir  setzen  auch  daz  man  allen  hantwerchen,  die  in 
beideuthalben  wurchent  wan  bereit  phenuing  ze  lone  geben 
schol  und  dehein  wert. 

Regensburger  Stadtr.  1259 — 1314  (v.  Freyberg  V S.  95),  über- 
einstimmend Oberehnheimer  Weberartikel  von  1391  (Schmoller 
S.  343),  Lübecker  Färberrolle  von  1500  (Wehrmann  S.  488), 
Lübecker  Rolle  der  Zimmerleute  von  1503  (ebd.  S.  466),  Ord- 
nung der  Harter  in  Ulm  1521  (Nübling  S.  58);  Strassburger 
Tuchschererartikel  von  1545  (Schmoller  S.  70),  wonach  als  Lohn 
Tuch  nur  insoweit  gegeben  werden  darf,  als  der  Unternehmer 
es  im  eigenen  Hause  braucht.  Massgebend  scheint  demnach 
vor  allein  der  Schutz  der  andern  Gewerbe  gewesen  zu  sein. 
Der  unserm  Truckverbot  zugrunde  liegende  Gedanke  kommt 
klar  erst  in  einem  Nürnberger  Ratserlass  von  1715  zum  Aus- 
druck, wo  zum  Schutze  der  kleinen  Handwerker  deren  Be- 
zahlung in  barem,  gutem  Geld  angeordnet  wird.  Struve  III  3 
cap.  9 § 27.  Nach  böhmischem  Bergrecht  (Zycha  I S.  306)  ist 
Entlohnung  in  Rohmetall  unzulässig. 

Geldlohn  kann  als  ganze  Summe  auf  einmal,  oder  auch  in 
in  Raten  ausgezahlt  werden;  verschiedentlich  wird  er  zum  Teil 
als  Rente,  Leibgeding  festgesetzt;  z.  B.  in  dem  Vertrag  zwischen 


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dem  Rat  zu  Liegnitz  und  Nickil  Smed  über  Anfertigung  eines 
Altarbilds  1481  (Anz.  f.  d.  Kunde  der  deutschen  Vorzeit 
Bd.  24  S.  296),  wonach  der  Unternehmer  hierfür  270  fl.  erhält: 
Sundir  hundirt  goldiu  davon  sal  man  im  off  dy  genante 
kircbe  u.  1.  fr.  vorschribin  lossin,  8 marg  geldis  jerlicher 
czinse  zu  leibrenten,  als  off  zweue  leibe,  off  en  und  sein 
weib  und  welchs  undir  en  abestirbet,  so  sal  seyne  helffte 
desselben  verstorbenen  komen  an  dy  kirche  und  loss 
sterben  . . . 

Vielfach  kommt  Naturallohn  neben  Geldlohn  vor.  Z.  B. 
erhalten  die  Meister  beim  Bremer  Rathausbau  ausser  dem  Lohn 
Beträge  „to  Bere“  (Biergeld)  oder  „to  terynge“  (Zehrung);  dies 
deutet  darauf  hin,  dass  früher  die  Naturalien  wirklich  gegeben 
wurden,  und  dass  erst  später  an  ihre  Stelle  der  entsprechende 
Geldbetrag  trat.  Bei  der  Andingung  des  Turmes  zu  Samencz 
1480  (Anzeiger  Bd.  24  S.  210)  werden  dem  Unternehmer  ausser 
24  M.  zwei  Seiten  Fleisch  und  andere  Naturalien  versprochen. 
Der  Zimmermeister  Hinrik  Berndes  erhält  für  die  Errichtung 
der  Spitze  des  Peterskirchturms  in  Hamburg  1516  (Mithoff 
S.  33)  ausser  dem  Arbeitslohn  2 Wispeln  Malz  und  einen  halben 
Brau  Bier,  10  Ellen  feinen  englischen  Tuchs  von  bestimmter 
Güte  und  freies  Logis.  Der  Maler  Bruyn  erhält  1529  für  die 
Anfertigung  des  Altarbilds  in  St.  Viktor  zu  Xanten  den  Lohn 
in  Raten,  und  ausserdem  ein  Leichentuch  zu  10  Ellen  für  sich 
und  seine  Frau, 

„up  dat  Hy  oick  to  vlietiger  und  guete  arbeit  dair  anne 
kieren  sali  sonde  arglist“ 

(Beissel,  Gesch.  der  Ausstattung  S.  12).  Vielfach  arbeiteten 
die  Meister  geradezu  in  der  „Kost“  des  Bestellers,  z.  B.  Til- 
man  Riemenschneider  (Tönnies  S.  276).  Ähnlich  bei  der  Ver- 
dingung des  Chorgestühls  für  die  Predigerkirche  in  Freiburg 
1302  (Fontes  rer.  Bern.  IV  112). 

Im  vorstehenden  ist  schon  angedeutet,  dass  auch  die  Frau 
des  Meisters  oft  einen  Anteil  an  der  Belohnung  zugesichert 
erhielt;  oder  es  wurde  ihr  auch  freiwillig  eine  „Verehrung“ 
gewidmet.  So  erhielt  Michael  Wohlgemut  für  den  Schwabacher 
Altar  600  fl  und  seine  Frau  10  fl  zu  „Leykauf“  (1508);  die 
Witwe  Hans  Behaims  erhält  1615  bei  Ablieferung  des  von 


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ihrem  Mann  gefertigten  Leuchters  eine  „Verehrung“  von  36  fl. 
(Mnmmenhoff,  Rathaus  zu  Nürnberg  S.  120);  1619  wird  bei  der 
Verdingung  einer  Orgel  an  Lukas  Behaim  dessen  Frau  „ein 
guter  Leykauf“  zugesichert  (Anzeiger  Bd.  29  S.  6).  Die  Be- 
zeichnung Leykauf  darf  nicht  dazu  verleiten,  diese  Verehrung 
an  die  Frau  mit  dem  die  Obligation  begründenden  Weinkauf 
zusammenzubringen.  (Leykauf  heisst  auch  der  Hebewein,  der 
Hans  Multscher  anlässlich  der  Vollendung  eines  Altarbilds  ge- 
währt wird;  Reber  in  den  SB.  der  Münchner  Akad.  1898 
Bd.  II  S.  17.)  Es  ist  dies  schon  deswegen  ausgeschlossen,  weil 
der  Leykauf  für  den  Fall  der  Erfüllung  des  Vertrags  ver- 
sprochen wird,  also  einen  Teil  des  Lohns  bildet.  Wahrschein- 
lich wurde  in  späterer  Zeit,  als  die  ursprüngliche  Bedeutung 
des  Leykaufs  immer  mehr  schwand,  jede  kleine  Gabe  an  den 
Vertragsgegner  als  solcher  bezeichnet.  Der  Zweck  dieser  Sitte 
liegt  auf  der  Hand:  Der  Besteller  wollte  die  Frau  des  Unter- 
nehmers an  der  Erfüllung  des  Vertrags  interessieren,  und  sie 
so  veranlassen,  in  diesem  Sinne  auf  den  Mann  einzuwirken. 

Auf  einem  ähnlichen  Gedanken  beruht  die  weit  verbreitete 
Sitte,  dass  die  Gehilfen  des  Unternehmers  ein  Trinkgeld  er- 
halten. Soweit  dies  vertragsmässig  vereinbart  ist,  besteht 
selbstverständlich  ein  Anspruch  hierauf.  Es  findet  sich  dieses 
Trinkgeld  in  den  beiden  oben  angeführten  Verträgen  aus  dem 
17.  Jahrh.,  ferner  in  einer  Xantener  Baurechnung  1391;  1533, 
1536  (Beissel,  Gesell,  der  Ausstattung  S.  2,  16),  beim  Bremer 
Rathausbau  1405  als  Badegeld;  (Ehmck  u.  Schumacher  S.  320); 
vgl.  auch  Mithoff  S.  458. 

3.  Wann  entsteht  nun  der  Lohnanspruch  und  wann  ist  er 
fällig?  Zunächst  entscheidet  hierüber  die  Vereinbarung  der 
Parteien.  Wo  Zahlung  in  Raten  oder  wo  Zeitlohn  vereinbart 
ist,  kommt  es  auf  die  festgesetzten  Ziele  an.  Für  den  Er- 
ziehungsvertrag treffen  verschiedene  Rechtsordnungen  Bestim- 
mungen. Nach  Miinchuer  Stadtrecht  (Auer  S.  286)  ist  das 
Schulgeld  an  den  Quatembern  fällig,  nach  der  Bestallung  des 
lateinischen  Schulmeisters  von  Überlingen  von  1465  (Mone  II 
S.  153)  8 Tage  vor  oder  nach  Fronfasten. 

Für  den  Frachtvertrag  bestimmt  das  Wiener  Stadtrecht 
Art.  55,  dass  der  Fuhrmann,  „als  aller  wagenleut  recht  ist“, 


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95 


innerhalb  3 Tagen  zu  entlohnen  ist.  Wann  jedoch  der  Lohn- 
anspruch entsteht,  ob  erst  mit  Vollendung  der  Reise  oder  schon 
während  derselben,  geht  aus  jener  Stelle  nicht  hervor.  Es 
ist  oben  bei  der  Lehre  von  der  Unmöglichkeit  der  Leistung 
gezeigt  worden,  dass  die  Mehrzahl  der  Rechte  den  Lohnau- 
sprucli  im  Verhältnis  des  zurückgelegten  Wegs  entstehen  lässt, 
ja  dass  nach  einigen  Rechten  der  Frachtführer  die  halbe  Fracht 
beanspruchen  kann,  wenn  er  nur  die  Reise  angetreten  hat,  die 
ganze  Fracht  aber,  wenn  er  mehr  als  die  Hälfte  des  Wegs  zu- 
rückgelegt hat. 

Bei  der  Verdingung  eines  Werks  als  Ganzen,  also  beim 
Akkord,  besteht  ein  Lohnanspruch  erst  mit  der  Fertigstellung 
und  gegebenenfalls  der  Ablieferung  des  Werks.  Die  Rechts- 
quellen sprechen  sich  hierüber  nicht  ausdrücklich  aus,  allein  es 
ergibt  sich  aus  dem  Vertragsinhalt,  der  eben  dahin  geht,  dass 
der  Arbeiter  nicht  für  seine  einzelnen  Handlungen,  sondern  für 
den  Gesamterfolg  entlohnt  werden  soll.  Daher  ist  der  Lohn 
auch  erst  in  jenem  Zeitpunkte  fällig. 

4.  Bei  Verzug  des  Gläubigers  mit  der  Lohnzahlung  tritt, 
soweit  das  Entgelt  für  den  Werkvertrag  das  Privileg  des  lid- 
lons  geniesst  (siehe  unten  S.  96),  Verzugsbusse  für  den  Gläu- 
biger ein.  So  nach  bayrischem  Recht  (siehe  S.  96)  und 
nach  einem  Steinadler  Weistum  (St.  Gallen)  von  1462  (Grimm 
V 187): 

§ 29:  Item  wer  sich  lät  beklaguen  umb  Ion,  es  si  lidlon 
ald  ander  Ion,  so  ist  aines  ainem  ammen  ze  buoss  ver- 
fallen 3ß  3)  und  dem  cleger  3ß  ob  es  ervordert  wird 

vor  gericht. 

Nach  Wiener  Stadtr.  A.  56  hat  sich  dieser  ursprüngliche 
Anspruch  auf  Verzugsbusse  in  einem  Anspruch  auf  Schadens- 
ersatz verwandelt: 

swaz  er  (der  Fuhrmann)  des  Schadens  nimbt  und  fürbaz 
zert  mit  seinen  rossen,  den  sehol  er  ablegen  dem,  der  ge- 
fuert  hat,  darumb,  daz  er  im  lenger  saumpt  mit  seinem 
Ion  denne  recht  ist. 

5.  Von  besonderer  Bedeutung  ist  die  Frage,  ob  der  An- 
spruch des  Werkvertragsunternehmers  auf  Vergütung  die  be- 
günstigte Stellung  des  liedlon- Anspruches  geniesst. 


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I 


96 

a)  Der  Anspruch  auf  den  „verdienten  Lohn“  ist  insofern, 
besonders  prozessual,  bevorzugt  , als  der  Kläger  zum  Beweis 
seiner  Forderung  gegenüber  dem  Leugnen  des  Beklagten  sofort 
zum  Eid  zugelassen  wird.  Erfolgt  eine  Verurteilung,  so  muss 
der  Beklagte  sofort  bezahlen,  das  Verfahren  ist  im  Interesse 
des  Klägers  ein  abgekürztes,  summarisches.  Das  Vorzugsrecht 
beim  Tode  des  Schuldners  beschränkt  sich  naturgemäss  auf 
den  Gesindelohn.  Vgl.  hierzu  Planck,  Gerichtsverfahren  I 
439 ff.;  Schröder,  Rechtsgesch.  S.  751;  Stobbe,  Vertragsrecht 
S.  96;  Hertz,  Rechtsverhältnisse  des  freien  Gesindes  S.  89 ff. 

b)  Der  liedlon,  im  Niederdeutschen  auch  menasne,  bayr. 
gearntz  Ion,  geordneter  Ion,  umfasst  den  Begriff  Gcsindelohn, 
dann  weiterhin  auch  Arbeitslohn  für  einen,  der  nicht  Gesinde 
ist  (Grimm  VI  994;  Hertz  a.  a.  0.  S 85).  Die  Bezeichnung 
liedlon  für  die  Vergütung  des  Werkunternehmers  findet  sich 
in  einer  Quittung  Tilman  Riemenschneiders  über  den  Emp- 
fang des  Lohns  für  das  Miinnerstädter  Altarbild  (Tönnies 
S.  278)  und  in  der  Strassburger  Tuchschererordnung  von  1545 
(Sclimoller  S.  171)  für  den  Lohn  des  Tuchscherers.  Hieraus 
kann  ein  Schluss  nicht  gezogen  werden,  da  hier  liedlon  eben 
einfach  für  Arbeitslohn  gebraucht  ist. 

Eine  sehr  umfassende  Bestimmung  gibt  das  Herrschafts- 
recht  von  Büron  (Zeitschr.  für  schweizer.  Recht  Bd.  V S.  117). 

Item  wer  umb  ein  utzit  dienet  er  sy  Hantwerchman,  sy 

werchman  oder  burman,  wer  um  ein  utzit  dienet  mit 

synen  glydinen  daz  ist  als  lidlou. 

Dies  ist  im  allgemeinen  die  Auffassung  der  süddeutschen,  vor 
allem  schweizerischen  Rechte,  die  im  Gegensatz  zu  andern 
Rechten  den  liedlon  nicht  auf  den  Gesindelohn  beschränken, 
sondern  auch  den  Lohn  einzelner  Handwerker  hierunter  be- 
greifen. Das  bayrische  Landrecht  von  1346  X 89  (Freyberg 
S.  425)  bestimmt  die  prozessuale  Bevorzugung  des  garentz  oder 
gearntz  Ion  dahin,  dass  der  Beklagte  vor  das  nächste  Ding  zu 
laden  ist,  und  zur  Zahlung  innerhalb  14  Tagen  zu  verurteilen 
ist,  allenfalls  verfällt  der  Beklagte  in  eine  Busse  von  72  ^ 
an  den  Richter.  In  dem  folgenden  § 90  wird  erklärt,  was 
gearntz  Ion  ist: 

Swaz  der  man  verdient  mit  seinem  pfluog,  mit  seinem  vih, 


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da  der  man  selb  oder  seyn  gedingter  ehalt  pey  ist,  daz 
haizzt  alles  garentz  Ion. 

Gleichlautend  Münchner  Stadtrecht  A.  136,  140;  Reform,  bayr. 
Landr.  von  1518  43.  Titel  9.  Art.  und  Reform,  bayr.  Landr. 
von  1616  33.  Titel  10.  Art.,  Ruprecht  v.  Freising  (II  83  Maurer; 
II  57,  66  ff.  Westenrieder)  bestimmt: 

So  getanes  recht  habent-dienstpoten  und  alle  die  man  ze 
arbeit  gewinnet  ze  tag  oder  Wochen. 

Er  bemüht  sich  dann  weiterhin,  den  Begriff  des  gearntz  Ion 
gegenüber  dem  Preis,  der  beim  Kauf  gezahlt  wird,  ferner  der 
Pachtsumme  klar  zu  stellen  (II  66,  67  Westenrieder).  Der 
Lohn,  den  der  Schmied  erhält,  wenn  er  mit  fremdem  Stoff  ar- 
beitet, ist  gearntz  Ion.  „schuechlon  ist  geordentz  Ion“  (Maurer 
II  83).  Es  ist  schon  früher  (S.  28)  darauf  hingewiesen  worden, 
dass  aus  der  den  Vertrag  mit  dem  Schmied  betreffenden  Stelle 
die  rechtliche  Natur  des  Arbeitsvertrags  sich  nicht  ergibt. 
Die  Neigung,  bestimmte  Handwerker  zu  begünstigen,  tritt  dann 
besonders  im  schweizerischen  Recht  hervor  (vgl.  Wyss,  Gesell, 
des  Konkursprozesses  der  Stadt  und  Landschaft  Zürich  1845 
S.  108).  1484  wird  in  Zürich  verordnet: 

dass  smidlon  eines  hufsmids,  es  sye  zu  beslahen  oder  ros 
zu  artznen,  wie  lang  joch  das  stände,  lidlon  sin  und 
heissen  solle,  aber  uff  einen  pflüg  bestat  wie  von  altem 
harkommen  ist,  das  es  ein  jar  und  nit  fürer  lidlon  heissen 
sol“  (Wyss  S.  108). 

Diese  Bestimmung  ist  aufrecht  erhalten  in  einer  vor  1553  er- 
gangenen Auffallsordnung,  und  nur  aufgehoben  für  den  Lohn 
wegen  Verarztens: 

angesehen  daz  ein  jeder  das  ross,  so  er  geartznet,  in  siner 
gewalt  und  macht  hat,  dasselb  nit  von  banden  zu  lassen, 
im  sye  dann  zuvor  umb  sinen  artzet  Ion  abtrag  be- 
schehen. 

Es  geht  aus  der  altern  Bestimmung  klar  hervor,  dass  es  sich 
hier  nicht  nur  um  Vergütung  im  Dienstvertrag  handelt.  Die 
Beschränkung  auf  ein  Jahr  entspricht  dem  allgemeinen  Rechte, 
vgl.  Sachsenspiegel  I 22  § 2,  Hertz  S.  87. 

Weitere  Züricher  Verordnungen  dehnen  dann  das  liedlon- 
recht.  ans  auf  „der  wagner  werch“,  und  auf  den  Weberlohn  1553 

Uothenliücher,  Werkvertrag  7 


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und  1530  (Wyss  S.  108,  112);  die  Praxis  ging  schon  gegen 
Ende  des  16.  Jahrh.  noch  weiter,  so  dass  auch  Sattler,  Schneider, 
Schuhmacher  das  Vorzugsrecht  des  liedlon  genossen  (Wyss 
S.  113).  Vgl.  über  diese  Ausdehnungen  auch  Hertz  S.  86; 
Stobbe.  Geschichte  des  Konkursprozesses  S.  94;  Sickel,  Be- 
strafung des  Vertragsbruchs  S.  169;  A.  Heusler,  Bildung  des 
Konkursproz.  nach  Schweiz.  Rechten  (Zeitschr.  für  Schweiz.  R. 
7.  Bd.  S.  196,  197). 

Die  Vergütung  des  Arztes  wird  vielfach  als  lidlon  bezeich- 
net; 1496  in  Zürich;  1534  in  einem  bei  Grimm  WB.  VI  994 
erwähnten  Schreiben. 

Auch  die  rechtliche  Stellung  des  Anspruchs  des  Fuhr- 
manns oder  Schiffers  ist  nicht  ganz  klar.  Während  die  Bremer 
Statuta  von  1428  III  7 (Oelrichs)  die  Klage  um  Fracht  der 
Klage  um  Geld  gleichstellen,  wird  nach  Rügischem  Landrecht 
CXXXII  2 der  Anspruch  des  Schiffers  der  Klage  um  „gare 
Kost“  gleichgestellt,  die  dieselbe  Bevorzugung  geniesst  wie  die 
um  Lidlohn  (Planck,  Gerichtsverf.  I 442).  Nach  Wiener  Stadtr. 
A.  56  muss  der  Fuhrmann  innerhalb  3 Tagen  entlohnt  werden. 

Eine  Abweichung  von  den  für  den  lidlon  geltenden  Be- 
weisregeln enthält  das  Rügische  Landrecht  CXVI  Wendisch- 
Rügian.  Landgebrauch  233.  Titel  unter  der  Überschrift  Van 
betaling  der  handwerk  und  arbeideslüeden : 

Se  mögent  mit  eideshand  jemand  umme  ere  Ion  beschul- 
digen. wil  averst  der  beklagede  nicht  schweren,  deferirt 
actori  den  eid,  und  des  kan  he  sik  nicht  vorweigeru,  he 
hedde  denne  bewis  und  wat  he  mit  sinem  eide  edder 
sonst  bewiset,  dat  betalet  der  beklagede. 

Einen  besondern  Fall  der  Klage  des  Werkunternehmers 
um  Lohn  behandelt  das  Regensburger  Stadtr.  (Freyberg  V 
S.  37):  Der  Werkmann  darf  schwören,  was  er  an  seiner  Arbeit 
verdient  hat,  wenn  dies  nicht  durch  Augenschein  festgestellt 
werden  kann;  diese  Feststellung  obliegt  den  „Werkleuten“. 
Nach  Augsburger  Recht  (Mayer  S.  246)  hat  der  Werkmann 
den  Eid  schlechthin. 

Die  bisherige  Darstellung  zeigt,  dass  die  Vergütung  des 
Werkunternehmers  nicht  allgemein  als  lidlon  behandelt  wurde. 
Die  Quellen  schweigen,  mit  den  wenigen  partikularen  Aus- 


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nahmen,  hierüber  völlig,  während  sie  den  lidlon  des  Gesindes 
und  der  Taglöhner  fast  durchweg  ausgiebig  besprechen.  Es 
ist  dies  auch  völlig  gerechtfertigt.  In  all  den  Fällen  nämlich, 
wo  der  Unternehmer  die  ihm  vom  Besteller  übergebene  Sache 
anlässlich  der  Verarbeitung  in  Händen  hatte,  brauchte  ihm  eine 
bevorzugte  Stellung  nicht  eingeräumt  zu  werden,  da  er  ja  durch 
den  Besitz  der  Sache  geschützt  war.  Er  konnte,  wie  später 
noch  zu  zeigen  sein  wird,  das  Werk  zurückbehalten,  ja  weiter- 
hin auch  verpfänden,  und  sich  dadurch  befriedigen.  Die  Be- 
günstigung des  „gebrödeten  Dieners“  und  des  Taglöhners  aber 
hat  ihren  Grund  darin,  dass  der  Gläubiger  wirtschaftlich 
schwach  ist,  in  der  Regel  von  der  Hand  in  den  Mund  lebt, 
meistens  darauf  angewiesen  ist,  zu  wandern,  und  beim  Ab- 
schluss des  Vertrags  gezwungen  ist,  dem  Dienstherrn  zu  kre- 
ditieren. Alle  diese  Gründe  fallen  beim  Handwerk  weg.  Sie 
schlagen  je  nach  den  Verhältnissen  mehr  oder  weniger  ein  bei 
den  schon  früher  besonders  gekennzeichneten  Werkverträgen, 
wo  der  Unternehmer  an  ein  Werk  gedungen  wird,  um  an 
fremder  Betriebsstätte  einen  Erfolg  herbeizuführen.  Hier  ist 
der  Tatbestand  ein  ähnlicher  wie  beim  Dienstvertrag.  Wirt- 
schaftlich steht  dieser  Unternehmer  dem  im  Dienstvertrag 
stehenden  näher.  Und  hier  mag  auch  vielfach  die  Vergütung 
dem  licdlon  gleichgestellt  gewesen  sein.  Mit  dieser  Auffassung 
vereinbart  sich  sowohl  die  Erklärung,  die  Grimm  (WB.  IV  994) 
gibt,  wonach  lid  das  ahd.  lied,  gang  Wanderung  sei,  liedlon, 
der  Lohn,  der  beim  Gehen  aus  einer  Stellung  bezahlt  werde, 
wie  die  Vermutung  Schmellers,  der  lid  mit  dem  altisländischen 
lid,  comes,  auxilium,  Gesinde  in  Verbindung  bringt.  Die  Ety- 
mologie des  Wortes  ist  höchst  unsicher,  in  beiden  Fällen  wird 
jedoch  ein  Tatbestand  vorgestellt,  bei  dem  einer  zu  einem 
andern  in  eine  Stellung  geht,  oder  aus  ihr  ausscheidet. 

c)  Mit  der  bisherigen  Darstellung  stimmt  auch  die  Behand- 
lung überein,  die  dem  Lohnanspruch  des  Werkunteruehmers  im 
Konkurse  eingeräumt  wird,  soweit  für  den  hier  in  Betracht 
kommenden  Zeitraum  ein  Konkursrecht  besteht.  Abgesehen  von 
dem  Honorar  des  Arztes  für  die  Behandlung  des  verstorbenen 
Schuldners  in  seiner  letzten  Krankheit  (Stobbe  S.  95),  besteht 
eine  bevorrechtete  Stellung  des  Werkvertragnnternehmers  mit 

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Ausnahme  der  bereits  erwähnten  schweizerischen  Rechte  nicht 
(Stobbe  S.  94;  Heusler  a,  a.  0.  S.  193,  196,  197).  In  Luzern 
war  den  Handwerkern  für  ihre  Ansprüche  das  Vorrecht  des 
liedlons  insoweit  eingeräumt,  als  sie  nur  ihre  Arbeit,  nicht  auch 
Material  lieferten.  Es  kann  hieraus  ein  Schluss  auf  das  Vor- 
liegen eines  Werk-  oder  Dienstvertrags  nicht  gezogen  werden, 
vielmehr  könnte  dies  nur  für  den  einzelnen  Fall  festgestellt 
werden.  Eine  bevorzugte  Stellung  geniesst  der  Schmied,  und 
verschiedentlich  auch  der  Schneider  und  Schuhmacher  nach 
ländlichen  Rechtsquellen.  Hofrecht  zu  Loen  1363  und  1547 
(Grimm  III  156),  Öffnung  zu  Langenerchingen  im  Thurgau 
(Grimm  I 269),  Öffnung  zu  Wellhausen  ebd.  (Grimm  I 252), 
wonach  der  Anspruch  der  genannten  Handwerker  auf  Ent- 
lohnung dem  Anspruch  des  Zinsherrn  vorgeht. 

In  diesem  Zusammenhang  mag  erwähnt  werden,  dass  der 
Handwerker  nach  bayrischem  Rechte  in  seinem  Lohnanspruch 
insofern  geschützt  ist,  als  die  Gläubiger  des  Bestellers  das  in 
seinen  Händen  befindliche  Gut  nicht  schlechthin  arrestieren  können. 
Alle  di  gut  gebent  in  die  stat  hintz  antwerchsleuten  daz 
man  is  wirche,  garn  hintz  dem  webaer,  haeut  hintz  dem 
Ledrer,  gewant  hintz  dem  sneider,  oder  swelcherlay  daz 
sei,  daz  mag  nieman  verpieten.  das  ist  dar  um  gesetzet, 
daz  der  antwerchslaent  niemand  geraten  mach  (=  ent- 
raten  = entbehren  kann). 

Ruprecht  v.  Freising  II  § 55  (Westenrieder  S.  165);  so  auch 
Rechtsbucli  des  Johannes  Purgoldt  VII  92.  Vgl.  ferner  Weis- 
tum von  Pfeffingen  1344  (Grimm,  Weistümer  V 374)  § 11: 
Man  sol  auch  nüt  pfenden  im  bachofen,  noch  in  dem  (ge- 
schirr)  am  schnider  noch  am  weher. 

Dasselbe  bestimmt  Münchner  Stadtrecht  A.  347  mit  der  Aus- 
nahme: 

an  als  vil,  ob  man  an  sogetanem  werk  frays  (Gefährde, 
dolus)  erfür,  oder  ob  jener,  des  daz  werk  ist,  seinen  geltern 
fraydigen  (flüchtigen)  fuozz  gesetzet  hat,  so  mag  man 
sölichez  werk  datz  ainem  jegleichen  hantwerchsman  wol 
verpieten  mit  fronpoten  auf  ein  recht  . . . (Vgl.  hierzu 
Auer  S.  319). 

Demnach  kann  das  Werk  nur  beschlagnahmt  werden  bei  arg- 


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listigem  Verhalten  des  Bestellers,  oder  wenn  er  sich  seinen 
Gläubigern  durch  die  Flucht  entzieht.  Es  ist  hier  also  dem 
Unternehmer  die  Stellung  eingeräumt,  wie  wenn  er  ein  ding- 
liches Recht  an  der  Sache  hätte,  und  es  ist  dieses  Privileg 
ähnlich  dem,  das  für  die  zur  Stadt  gebrachten  Lebensmittel 
nach  Münchner  Stadtr.  Art.  379  gilt.  Vgl.  Planck,  Gerichts- 
verfahren II  379 ff.;  v.  Meibom,  Pfandrecht  S.  165. 

6.  Ausser  der  gerichtlichen  Klage  bestand  für  den  Werk- 
unternehmer noch  die  Möglichkeit,  zu  seinem  Lohn  mittels 
Selbsthilfe  da  zu  gelangen,  wo  eine  gewerbliche  Organisation 
bestand.  Es  ist  bei  der  Lehre  von  der  Vertragsfreiheit  schon 
darauf  hingewiesen  worden,  dass  es  vielfach  verboten  war, 
von  dem  Schuldner  eines  Amtsbruders  eine  Arbeit  anzunehmen, 
bevor  dieser  bezahlt  war.  Nach  den  Strassburger  Tuchscherer- 
artikelu  von  1362,  1460  und  1545  (Schmollet'  S.  8,  171)  konnte 
demjenigen,  dem  Tuch  zu  scheren  gebracht  wurde,  dies  auf  An- 
trag des  Gläubigers  des  Bestellers  durch  die  Meister  verboten 
werden.  Ebenso  Schleswiger  Rademacherordnung  von  1699  bei 
Struve  III  3 cap.  9.  Das  Verfahren  wird  noch  weiter  aus- 
gebaut in  der  Hamburger  Wandbereiterordnung  von  1547  Art.  12 
(Rüdiger  S.  286).  Hiernach  soll  der  Unternehmer  den  Besteller 
den  Morgensprachsherren  und  Werkmeistern  ansagen,  diese 
sollen  den  Amtsboten  dem  Säumigen  zweimal  ins  Haus  schicken, 
und  zur  Bezahlung  innerhalb  8 Tagen  mahnen  lassen.  Zahlt 
der  Schuldner  nicht,  so  darf  ihm  kein  Wandbereiter  arbeiten, 
bis  er  gezahlt  hat.  Auch  der  Wendisch-Rügianische  Land- 
gebrauch 221.  Titel  gestattet  dem  Schmied  nur  dann,  einem 
andern  die  Arbeit  für  seinen  Schuldner  zu  verbieten,  wenn  er 
den  Schuldner  vorher  verklagt  hat.  Es  handelt  sich  hier  also 
um  eine  Art  von  Boykott,  der  von  der  Rechtsordnung  als 
zulässiges  Mittel  bei  der  Zwangsvollstreckung  anerkannt  ist, 
und  dessen  formelle  Voraussetzungen  genau  geregelt  sind.  Das 
zu  beobachtende  Verfahren  entspricht  durchaus  den  Forderungen 
der  Billigkeit, 

Während  aber  dieser  Boykott  nur  mittelbar  den  Schuldner 
zur  Bezahlung  des  Lohns  zwingen  soll,  geht  eine  Bestimmung 
des  Strassburger  Goldschmiedbuchs  von  1465  Art.  15  (Meyer 
S.  35)  noch  weiter: 


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ouch  so  hant  wir  erkant,  das,  wer  der  were,  der  eime 
iitzent  schuldig  were  an  unserm  hantwerck  von  wcrckes 
wegen  daz  er  ime  gemachet  hat,  und  er  sin  werk  darnoch 
zu  eirae  andern  trüge,  so  mag  der,  dem  er  also  schuldig 
ist,  den  houbtkannen  nemen  und  dem  gebieten,  dem  das 
werck  also  bracht  ward,  das  werck  nit  von  handen  zu 
handen  zu  geben,  der  sige  denn  bezalt,  von  des  wegen 
ime  denn  das  gebotten  wart. 

Hiernach  kann  und  muss  auf  Gebot  jeder  Znnftgenosse  das 
dem  Unternehmer  zustehende  Zurückbehaltungsrecht  für  einen 
andern  ausüben.  Ähnlich  die  Oberehnheimer  Weberartikel  von 
1391  (Schmoller  S.  343)  unter  Berufung  auf  das  Recht  der 
Stadt  Hagenau.  Es  mag  diese  Übung  weiter  verbreitet  ge- 
wesen sein,  allein  in  den  rechtlich  anerkannten  Ordnungen 
findet  sich  hierfür  kein  Anhaltspunkt.  Eine  Übertragung  des 
gesetzlichen  Zurückbehaltungsrechts  des  Unternehmers  ist  seiner 
Natur  nach  ausgeschlossen;  es  handelt  sich  hier  vielmehr  um 
das  selbständige  Zwangsmittel  einer  gewerblichen  Körperschaft. 

F.  Das  Zurückbehaltungsrecht  des  Unternehmers. 

1.  Durch  die  Verarbeitung  der  Sache  oder  die  Bewirkung 
des  Erfolgs  entsteht  auf  Grund  des  Werkvertrags  neben  der 
persönlichen  Haftung  des  Bestellers  für  den  Lohnanspruch  des 
Unternehmers  noch  eine  Sachhaftung.  Das  Werk  haftet  dem 
Arbeiter.  Er  kann  das  Werk  zurückbehalten,  wenn  und  so- 
weit ein  Lohnanspruch  entstanden  ist,  bis  zur  Befriedigung 
dieses  Anspruchs.  Unter  derselben  Voraussetzung  kann  er  das 
Werk  versetzen: 

Eyme  kerstene,  dem  eyn  Schröder  gesneden  want  settet, 
dar  eu  sal  de  gheue  nicht  mer  ane  liebbon,  dan  de  schro- 
dere  dar  ane  vordent  hevet.  Dortmunder  Statuten  (Frens- 
dorff  S.  109). 

Wer  auch  hie  ze  M.  aim  antwercksmann  ichtz  eut- 
pfilcht  ze  machent  und  er  das  versatzti,  e er  es  gemachti, 
der  sol  ain  manod  von  der  stat  und  sol  jms  dennocht  an 
schaden  lösen.  Versatzti  er  das  aber,  so  ers  gemacht 
hett,  das  sol  er  doch  nicht  tiurer  tuon,  denn  umb  sin  Ion 


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103 


. . . Stadtr.  von  Memmingen  von  1396  XLVI  (v.  Frey- 
berg V S.  312). 

Ein  iglicb  arbeiter  mag  daz  guet  oder  daz  dinck  do 
er  an  gearbeit  han  um  daz  Ion,  daz  er  zu  der  zeit  vor- 
dienet bat,  wol  czn  phant  halten  an  dez  richters  Urlaub; 
bab  aber  er  czu  andern  zeiten  icht  verdient,  daz  schol 
er  mit  chlag  vor  gericht  vordem,  sam  ein  recht  ist. 
Brunner  Schöffenspruch  (Einzelne  Sprüche  Nr.  197,  Rössler 
S.  393). 

In  demselben  Sinne  wendet  sich  eine  Entscheidung  (vor  1416) 
des  Oberhofs  zu  Iglau  (Tomaschek  Nr.  121)  dagegen,  dass 
Schmiede  die  Möglichkeit,  das  zum  Beschlagen  übergebene  Pferd 
zurückzubehalten,  dazu  missbrauchen,  sich  eine  Sicherung  für 
frühere  Schulden  des  Eigentümers  zu  verschaffen.  Wegen 
dieser  soll  er  den  Rechtsweg  beschreiten.  Dieser  Rechtssatz 
wird  ausgedehut  auf  Schuster,  Schneider  und  andere  Hand- 
werker. Dass  diese  Entscheidung  notwendig  wurde,  beweist, 
dass  das  Zurückbehaltungsrecht  des  Unternehmers  eine  vielfach 
gebrauchte  Einrichtung  war.  Vgl.  hierzu  auch  den  von  Kapras 
(Das  Pfandrecht  im  böhmisch-mährischen  Stadt-  und  Bergrechte, 
Breslau  1901,  S.  80)  mitgeteilten  Rechtssatz  gleichen  Inhalts 
des  Lib.  Theutob.  Art.  de  impigneracione  rei  date  ad  laboran- 
dum  alicui  artifici  pro  suo  pretio. 

In  der  Tat  erkennen  auch  die  meisten  Rechte  das  Zu- 
rückbehaltungsrecht im  Zusammenhang  mit  dem  Rechte,  das 
Werk  zu  versetzen,  ausdrücklich  an: 

Lübisches  Recht  von  1294  (Hach  S.  493);  Hamburger 
Stadtr.  von  1270  VI  16;  Verden  Stat.  60  (Pufendorf, 
observ.  I 90);  Stade  Stat.  von  1279  V 15  (ebd.  194); 
Bremer  Statuta  von  1303  XXXVI  (Oelrichs  S.  90)  wieder- 
holt 1428  und  1433;  Lüneburger  Stadtrecht  CXIII  (Kraut 
S.  79); 

Gerichtsleufft  zu  Eisenach  A.  60  (Anhang  zum  Rechts- 
buch des  Johann  Purgoldt  S.  369);  Augsburger  Stadtrecht 
CXXXHI  § 2 (Meyer  S.  217);  Ruprecht  von  Freising 
II  55  (Westenrieder);  Regensburger  Stadtr.  (v.  Freyberg 
V S.  37) ; Münchner  Stadr.  Art.  348  (Auer  S.  135)  und 
einzelner  Artikel  74  (Auer  S.  284);  Bayr.  Landrecht  von 


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104 


1346  X.  Titel  86.  Art.,  wiederholt  in  der  Reform,  von 
1518  42.  Titel  1.  Art. 

Auch  noch  die  bayrische  Reformation  von  1616  32.  Titel  spricht 
dem  Arbeiter  ein  „stillschweigendes  Pfandrecht“  an  dem  Gute 
für  seinen  verdienten  Lohn  zu.  Besteht  aber  zwischen  den 
Vertragsteilen  ein  „Irr“,  so  darf  der  Handwerker  das  Gut 
nicht  aufhalten,  sondern  muss  obrigkeitliche  Entscheidung  ab- 
warten.  Arrest  ohne  gerichtliche  Beihilfe  ist  also  bei  Wider- 
spruch des  Bestellers  unzulässig. 

Das  böhmische  Bergrecht  (Const.  Juris  metallici  Wenceslai  II 
Lib.  I cap.  15  § 2 bei  Zycha,  Böhmisches  Bergrecht  1900  Bd.  II 
S.  107)  begrenzt  das  Zurückbehaltungsrecht  hinsichtlich  des  An- 
spruchs, für  den  es  ausgeübt  werden  kann,  und  setzt  ordnungs- 
mässige  Forderung  des  Lohns  voraus: 

Von  den  smiden  und  arbeitern  und  von  irem  lone  . . . 
Aber  si  mugen  phenden  nur  umb  di  selbe  wochen  und 
noch  über  ein  wochen,  die  nehest  vorgeende  ist,  umb  ir 
verdientes  Ion,  ab  ir  pergmeister,  die  das  angehoret,  das 
nicht  undernemen  und  stillen  wollen. 

(Die  Stelle  bezieht  sich  auf  Fälle  des  Dienstvertrags  und  des 
Werkvertrags,  und  zwar  mit  Zeit-  und  Akkordlohn.) 

Nach  Münchner  Stadtrecht  VII  80  (Auer  S.  285)  kann  der 
Schulmeister  das  Kind  in  der  Schule  pfänden,  wenn  der  fällige 
Lohn,  den  er  durch  einen  Boten  hat  fordern  lassen,  innerhalb 
8 Tagen  nicht  gezahlt  ist.  Übereinstimmend  die  Bestallung 
des  lateinischen  Schulmeisters  von  Überlingen  Art.  4 (Mone  II 
153),  in  Geltung  von  1465—1629. 

Im  Frachtrecht  war  bereits  vor  dem  16.  Jahrh.  das  Reten- 
tionsrecht am  Frachtgut  mit  pfandrechtlichen  Wirkungen  aus- 
gebildet (Goldschmidt,  Universalgesch.  des  Handelsrechts  S.  302). 
Auch  hier  bestand  die  Befugnis,  die  Waren  zu  versetzen,  allein 
mit  ähnlichen  Einschränkungen,  wie  sie  oben  erwähnt  wurden 
Portenbeschluss  von  1599:  dz  nun  fürohin  keiner  in 
unsern  6 portten  keinerlay  kauffmanschatz  hücher  noch 
weitter  versetzen  noch  inlegen  (Deponierung  beim  Sust- 
meister  oder  in  eines  ehrlichen  Manns  Haus)  solle,  dan  im 
eben  von  demselbigen  stuckh  oder  säum  für  sein  fuerlohn 
gehördt,  und  nit  von  anderen  fuerlöhnen,  oder  andere 


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schulden,  wie  dieselbig  möchten  genambset  werden  (Ber- 
lin, Transportverbände  und  das  Transportrecht  der  Schweiz 
im  MA.,  Zürich  1896,  S.  72  ff.). 

Vgl.  zu  dem  Vorstehenden  auch  Schlegel berger,  Das  Zurück- 
behaltungsrecht 1904  S.  40,  42  ff. , 66,  77  (Abhandlungen  zum 
Privatrecht  und  Zivilprozess  Bd.  XII  1.  Heft). 

Ausgeschlossen  ist  das  Zurückbehaltungs-  und  Versetzungs- 
recht des  Handwerkers  nirgends.  Es  könnte  höchstens  das 
Braunschweiger  Stadtrecht  § 108  (Hänselmann,  UB.  I 110)  an- 
gezogen werden,  das  bestimmt: 

We  eynern  scradere  bringt  want  dar  he  ome  cledcre  van 
snyden  schal,  vorkofft  edder  vorsed  de  gerader  dat  want, 
me  schal  dem  scradere  volghen  myt  der  veme. 

Allein  diese  Stelle  betrifft  nur  den  Tatbestand  der  Unter- 
schlagung, und  es  ist  nicht  ausgeschlossen,  dass  auch  diesem 
Satz  gegenüber  die  Möglichkeit  bestand,  für  verdienten  Lohn 
das  Werk  zu  versetzen. 

2.  Das  Recht  des  Arbeiters  hinsichtlich  der  verarbeiteten 
Sache  gewinnt  noch  eine  weitere  Bedeutung  dadurch,  dass  das 
Werk  nach  einzelnen  Rechten  dem  Zugriff  seiner  Gläubiger 
oder  wenigstens  eines  bestimmten  Gläubigers,  des  Hausherrn 
und  Vermieters  unterliegt. 

wanne  mau  gelt  awf  eynen  sneyder,  oder  auf  eynen  ment- 
ler,  oder  awf  eynen  andern  man,  der  semleicher  arbeit 
phliget,  erstet  und  schol  im  dorum  pfenden,  so  mag  man 
im  ander  lewt  gut  nicht  genemen,  den  sundern  um  als  vil 
sain  her  seynes  lones  dennoch  auf  demselben  gut  hat. 
Iglauer  Entscheidung  vor  1416  (Tomaschek  Nr.  106). 
Übereinstimmend  Bamberger  Recht  XXXIX  404  (Zöptl  S.  112). 
Dagegen  fassen  nur  die  Pfändung  durch  den  Hausherren  ins 
Auge  die  Dortmunder  Statuten  (Frensdorff  S.  109): 

Rumede  eyn  schrodere  und  leite  gesneden  want  in  der 
were,  dar  eneyget  dey  worthere  nicht  mer  af,  dan  wat 
dey  schrodere  dar  ane  vordeynet  hevet. 

Übereinstimmend  das  Alte  Lübische  Recht  von  1254  (Hach 
S.  493)  und  Lübecker  Statuta  III.  Buch  8.  Tit.  § 15;  Bremer 
Stadtr.  von  1428  cap.  47  (Oclrichs  S.  341)  wiederholt  1433 
(S.  529). 


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106 


Dagegen  wird  das  Pfändungsrecht  des  Vermieters  aus- 
drücklich verneint  in  der  Basler  Gerichtsordnung  von  1457 
A.  67,  66.  Danach  kann  der  Hausherr  zwar  ein  Pfandrecht 
an  den  Gütern,  Wein  oder  Korn  austiben,  die  dem  Mieter 
gegen  Bezahlung  zum  Einlagern  übergeben  wurden,  nicht  jedoch 
an  den  dem  Mieter  zur  Verarbeitung  übergebenen  Gegen- 
ständen. So  hatte  bereits  eine  1394  vom  Rat  zu  Basel  er- 
lassene Entscheidung  gelautet  (Rechtsquellen  von  Basel  Bd.  I 
Nr.  52)  in  einem  Fall,  wo  einer  dem  Schneider  geschnittenes 
fremdes  Tuch  zum  Pfand  genommen  hatte.  Ebenso  System. 
Schöffenr.  V cap.  4;  Alte  Culm.  V 4 und  jus  Culmense  ex  ult. 
revis  (1767)  III  5 § 5. 

Es  ergibt  sich  somit,  dass  mindestens  zur  Zeit  der  Ent- 
stehung der  angeführten  Quellen  der  Rechtsstand  verschieden 
war.  Auf  jeden  Fall  scheint  das  Zugriffsrecht  des  Gläubigers 
des  Arbeiters,  wenn  schon  anfangs  nicht  allgemein  anerkannt, 
später  auch  in  den  meisten  Gebieten  seiner  ursprünglichen  Gel- 
tung zurückgetreten  zu  sein,  da  sich  weitere  Andeutungen  nicht 
finden.  Immerhin  deutet  die  ausdrückliche  Betonung  einzelner 
Quellen,  dass  das  fragliche  Recht  nicht  bestehe,  darauf  hin, 
dass  das  Zurückweichen  nur  ein  langsames  war. 

Bemerkt  mag  schliesslich  noch  werden,  dass  das  Zurück- 
behaltungsrecht des  Arbeiters  in  dessen  Konkurse  von  den 
Gläubigern  gegenüber  dem  vindizierenden  Eigentümer  geltend 
gemacht  werden  konnte.  Vgl.  Stobbe,  Gesell,  des  Konkurs- 
proz.  S.  67. 

3.  Die  eben  vorgeführten  Ergebnisse  bringen  zum  Teil 
schon  Bekanntes.  Das  Zurückbehaltungsrecht  des  Unternehmers 
ist  ein  Einzelfall  des  allgemeinen,  in  weitem  Umfang  geltenden 
Satzes,  dass  der  Gläubiger  die  Sachen  des  Schuldners,  die  er 
in  Händen  hat,  zur  Befriedigung  fälliger  Forderungen  in  An- 
spruch nehmen  kann.  Vgl.  Laband,  Vermögensrechtl.  Klagen 
S.  148;  v.  Meibom,  Pfandr.  S.  306.  Das  Zurückbehaltungsrecht 
des  Unternehmers  umfasst,  wie  das  Pfandrecht,  die  Befugnis, 
die  Sache  zu  versetzen,  nicht  jedoch,  wie  Stobbe,  Privatrecht 
2.  Aull.  II  § 146  Note  30  und  in  der  Zeitschr.  für  das  Ges. 
Handelsrecht  XI  404 ff.,  annimmt,  auch  zu  verkaufen.  Das  Pfand- 
recht gewährt  auch  diese  Befugnis,  allein  die  Quellen  sprechen 


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nur  von  einem  „versetzen“,  nicht  auch  von  „verkümmern“  oder 
verkaufen  des  Werks.  Die  Verpfändung  genügte  auch  dem 
wirtschaftlichen  Bedürfnis,  der  Arbeiter  erhielt  seinen  verdienten 
Lohn  und  nicht  mehr.  Würde  man  annehmen  wollen,  die 
Sache  hätte  auch  verkauft  werden  dürfen,  so  hätte  der  Kauf- 
preis nur  die  Höhe  des  Lohns  erreichen  dürfen,  der  Wert  des 
Stoffes  selbst  wäre  nicht  bezahlt  worden.  Es  ist  klar,  dass 
es  nicht  die  Absicht  der  Rechtsordnung  seiu  konnte,  dem 
Käufer  so  billig  die  Sache  zu  verschaffen. 

Das  Zurückbehaltungsrecht  ist  dem  Arrest  nahe  verwandt; 
es  ergibt  sich  dies  aus  der  Fassung  der  Quellen,  die  hervor- 
heben, dass  man  keiner  richterlichen  Erlaubnis  bedürfe. 

Auch  der  Zugriff  der  Gläubiger  des  Unternehmers  auf  die 
Sache  des  Bestellers  ist  keine  Einzelerscheinung;  vielmehr 
findet  sich  eine  analoge  Befugnis  des  Gläubigers  gegenüber 
dem  Drittschuldner  in  einer  Reihe  von  Fällen,  z.  B.  bei  dem 
Gläubiger  des  Leiheherrn  gegenüber  dem  Leihemann,  Sachsen- 
spiegel I 54  § 1.  Vgl.  Meibom,  Pfandr.  S.  61,  306.  Hiebei 
ist  nicht  erforderlich,  dass  der  Anspruch  des  Schuldners  gegen 
den  Drittschuldner  zuguusten  des  Gläubigers  gepfändet  wird, 
sondern  dieser  ist  kraft  eigenen  Rechts  befugt,  in  Vertretung 
des  Schuldners  auch  gegen  dessen  Willen  seine  Ansprüche  gegen 
den  Drittschuldner  geltend  zu  machen.  Vgl.  Stobbe,  Privatr. 
II  § 177. 

4.  Im  Zusammenhang  mit  dem  Verpfändungsrecht  des  Unter- 
nehmers steht  die  nach  den  meisten  Rechten  dem  Besteller  und 
Eigentümer  des  Stoffs  eingeräumte  Befugnis,  das  Werk  beim 
Dritten  zu  vindizieren,  wogegen  dieser  den  Anspruch  auf  Lösung 
der  Sache  durch  Zahlung  des  Lohns  des  Unternehmers  geltend 
machen  kann.  So  nach  Augsburger  Stadtr.  Art.  133  § 2;  LUb. 
Recht  cod.  II  A.  193  und  Lübecker  Statuta  III  8 § 17;  Münchner 
Stadtr.  A.  348;  Braunschweiger  Stadtr.  (Hänselmann,  UB.  S.  110). 
Dagegen  ist  diese  Vindikationsbefugnis  ausgeschlossen  und  aus- 
drücklich für  den  vorliegenden  Fall  die  Geltung  des  Grund- 
satzes „Hand  wahre  Hand“  ausgesprochen  im  System.  Schöften- 
recht  V c.  7 und  im  Alten  Culm.  Recht  V 6.  Vgl.  hierzu 
Laband  S.  82;  Heusler,  Institutionen  II  S.  214;  Goldschmidt  in 
der  Zeitschr.  für  das  ges.  Handelsrecht  VIII  S.  253  ff.,  die  über- 


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108 


einstimmend  die  nach  obigen  Rechten  bestellende  Ausnahme 
von  dem  Satze  „Hand  wahre  Hand“  auf  das  (vermeintliche)  „ur- 
sprüngliche Hofverhältnis  der  Handwerker“  zurückführen.  Der 
freie  Handwerker  werde  noch  dem  Dienstboten  gleich  behandelt, 
der  Gut  seines  Herrn  veruntreut  habe.  Hiergegen  macht  Stobbe 
(Privatrecht  2.  Aufl.  II  § 146  N.  30)  mit  Recht  geltend,  dass 
dem  Eigentümer,  dem  doch  nach  jener  Auffassung  noch  der 
Besitz  zustehen  müsste,  „nirgends  die  Klage  gegen  den  dritten 
Besitzer  auch  dann  zugeschrieben  wird,  wenn  die  Sache  dem 
Handwerker  gestohlen  wird“.  Stobbe  erklärt  vielmehr  jene 
Abweichung  von  dem  Grundsätze  „Hand  wahre  Hand“  durch- 
aus befriedigend  damit,  dass  nach  den  hier  einschlägigen  Rechts- 
quellen der  Arbeiter  berechtigt  sei,  die  Sache  zu  versetzen. 
In  der  Tat  muss  logischerweise  die  Rechtsordnung  da,  wo  sie 
dem  Unternehmer  dies  Recht  einräumt,  den  Eigentümer  au  den 
Dritten  verweisen,  und  diesem  hinwiederum  den  Lösungsan- 
spruch einräumen.  Es  ergibt  sich  dies  notwendig  aus  dem 
Wesen  dieser  Rechtseinrichtung. 

G.  Das  Ende  des  Werkvertrags. 

Der  Werkvertrag  wird  beendigt  durch  beiderseitige  Er- 
füllung des  Vertrags,  durch  beiderseitig  unverschuldete  Un- 
möglichkeit der  Leistung,  sowie  durch  den  Rücktritt  vom  Ver- 
trag, sofern  das  Recht  hierzu  beim  Vertragsabschlüsse  aus- 
bedungen worden  ist.  Vgl.  Waltzroder  Vertrag  Hans  Brügge- 
manns 1523  (Repert.  Bd.  24  S.  125);  Revers  des  Goldschmieds 
Bayer  1531  (Mitteilungen  des  german.  Mus.  Bd.  I S.  167).  In 
diesem  Falle  haben  sich  die  Parteien  das  bis  zum  Rücktritt 
vom  Vertrag  beiderseitig  Geleistete  zurückzugewähren. 

Durch  den  Tod  des  Unternehmers  wird  der  Vertrag  in  der 
Regel  nicht  aufgelöst.  Es  ist  dies  im  gewerblichen  Verkehr 
auch  nicht  veranlasst.  In  einer  Frachturkunde  des  Lübecker 
Niederstadtbuchs  von  1463  (Pauli  III  S.  146)  ist  dies  ausdrück- 
lich ausgesprochen.  Im  allgemeinen  schweigen  allerdings  die 
Quellen  hierüber.  Beim  Lehrlingsvertrag  wurde  der  Vertrag 
in  der  Regel  mit  dem  Nachfolger  des  Meisters  im  Amt,  dessen 
Witwe,  Sohn,  Schwiegersohn  fortgesetzt.  Lüneburger  Gold- 


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schmiedordnung  von  1400  (Bodemann  S.  97);  Hamburger  Schiff- 
bauerordnung  von  1545  Art.  11  (Rüdiger  S.  245).  Soweit  dies 
nicht  möglich  war,  konnte  die  Witwe  den  Lehrling  bei  einem 
andern  Meister  „bestedigen“.  Also  schloss  der  Lehrling  oder 
sein  Gewalthaber  nicht  einen  neuen  Lehrvertrag  ab. 

Bei  Verträgen  Uber  bedeutendere  Kunstwerke  ergab  sich 
wohl  meistens  ans  der  Natur  der  Sache  die  Beendigung  des 
Werkvertrags  beim  Tod  des  Künstlers.  Angedeutet  ist  dies 
in  der  Vertragsurkunde  über  die  Anfertigung  des  MUnnerstädter 
Altarbilds  durch  Tilman  Riemenschneider  1490  (Tönnies  S.  276), 
wo  ausbedungen  wird,  dass  für  den  Fall  des  Todes  die  Erben 
Riemenschneiders  den  erhaltenen  Vorschuss  zurückzuzahlen  haben. 

Der  Tod  des  Bestellers  wird  in  der  Regel  keinen  Einfluss 
auf  den  Werkvertrag  haben. 

Ob  der  Besteller  das  Recht  hatte,  den  Vertrag  bis  zur 
Abnahme  des  WTerks  zu  kündigen,  wird  in  den  Quellen  nicht 
gesagt.  Man  wird  annehmen  dürfen,  dass  der  Besteller  bis  zu 
diesem  Zeitpunkte  allerdings  den  Vertrag  kündigen  durfte,  dass 
aber  der  Unternehmer  den  Anspruch  auf  das  volle  Entgelt  in 
diesem  Fall  hatte.  Für  das  Gebiet  des  Seefrachtvertrags  findet 
sich  eine  Bestimmung  in  diesem  Sinne  in  den  Bremer  Statuta 
von  1303  (Oelrichs  S.  291),  wonach  derjenige,  der  vom  Vertrage 
mit  dem  Schiffer  zurücktritt,  solange  das  Schiff  noch  nicht  aus- 
gelaufen ist,  halbe  Fracht  zahlt,  wenn  aber  das  Schiff  schon 
drei  Meilen  seewärts  ist,  ganze  Fracht  zahlt  („Fautfracht“). 


5.  Abschnitt 

I)ic  Zuständigkeit  für  die  Geltendmachung  der 
Ansprüche  aus  dem  Werkverträge. 

Der  allgemeine  Satz,  dass  die  privatrechtlichen  Ansprüche 
vor  den  ordentlichen  Gerichten  geltend  zu  machen  sind,  erleidet 
vielfach  eine  Ausnahme  oder  Einschränkung  da,  wo  die  Arbeit- 
nehmer in  gewerblichen  Körperschaften  zusainmengeschlossen 
sind,  denen  eine  Gerichtsbarkeit  über  ihre  Mitglieder  zusteht. 


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110 


„Die  Zunft  war  das  Organ  der  zünftigen  Gewerbe-  und  Sitten- 
polizei und  somit  in  vielen  Angelegenheiten  auch  für  die  Un- 
genossen erste  Instanz“  (Gierke,  Genossenschaftsrecht  Bd.  I 
S.  397).  Schon  bei  der  bisherigen  Darstellung  war  wiederholt 
zu  erwähnen,  dass  die  Älterleute  des  Amts  oder  die  Werk- 
meister in  vielen  Fällen  angegangen  wurden,  auf  Grund  der 
ihnen  von  der  Zunft  übertragenen  Gewalt  dem  säumigen  Unter- 
nehmer eine  Frist  zu  setzen,  das  Werk  zu  beschauen,  zu  be- 
gutachten, dass  ferner  vielfach  der  Richter  bei  Prüfung  der 
Mängel  des  Werks,  oder  Schätzung  des  Schadens  an  das  „Er- 
kenntnis der  Werkmeister“  gebunden  war  (S.  53,  54,  59). 

Inwieweit  nun  der  Besteller  gezwungen  war.  zunächst  die 
Gerichtsbarkeit  der  Zunft  anzurufen,  kann  allgemein  nicht  fest- 
gestellt  werden.  Es  bemisst  sich  dies  danach,  inwieweit  in 
einer  einzelnen  Stadt  die  gewerblichen  Körperschaften  eine 
selbständige  staatsrechtliche  Stellung,  Autonomie  und  Gerichts- 
barkeit erlangt  haben.  Hierbei  ist  auch  noch  zu  berück- 
sichtigen, dass  diese  Verhältnisse  im  Laufe  der  Jahrhunderte 
innerhalb  einer  Stadt  sich  vielfach  änderten.  In  Lüneburg 
waren  die  Morgensprachen  der  Ämter  nach  einer  1554  für  die 
Schmiede  erlassenen  Rolle  (Bodemann  S.  XXXI I)  zuständig  auch 
für  Zusagen,  Gelöbnisse,  Verträge,  Kauf,  Verkauf  usw.  ln 
der  Schneiderrolle  von  1552  (Bodemann  S.  227)  heisst  es: 

Sprickt  ein  man  to  einem  scroder,  he  hebbe  sin  want 
nicht  alle  to  sinen  klederen,  des  schall  men  körnen  vor 
de  werkmester;  spreken  de,  id  sy  dar  nicht,  he  schall  id 
ome  wedder  don;  spreken  se  averst,  id  sy  dar  alle  to, 
de  man  is  darum b dem  schrodere  nichtes  plichtich,  dat 
he  umme  sin  want  sprak.  Spricket  he  aver  na  des,  dat 
de  werkmestere  dat  erschededen,  dar  mach  men  one  umb 
schuldigen.  Bekant  he,  he  mot  id  wedden  mit  dren  pfun- 
den;  vorseket  he  des,  he  wert  es  los  mit  sinem  ede.  Id 
mach  neen  radman  up  ene  tugen  na  deine  dat  id  eine 
gewalt  ist. 

Ebenso  muss  noch  nach  der  Basler  Gerichtsordnung  von 
1719  (Reehtsqnellen  I S.  765)  derjenige,  der  behauptet,  bei 
einer  Handwerkssache  übervorteilt,  oder  durch  schlechte  Arbeit 
geschädigt  worden  zu  sein,  die  Klage  bei  den  Vorgesetzten 


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111 


derjenigen  Zunft  erheben,  iler  der  Beklagte  angehört.  Gegen 
deren  Entscheidung  ist  dann  Berufung  an  das  ordentliche  Ge- 
richt zulässig.  Nach  den  Strassburger  Goldschmiedartikeln  von 
1482  Art.  18  (Meyer  S.  75)  geht  die  Klage  gegen  den  Unter- 
nehmer, der  den  Stoff  dem  Eigentümer  „vorhält  und  nicht 
widernm  gibt“  vor  die  Meister  und  das  Gericht  des  Gold- 
schmiedwerks, das  gegen  den  Meister,  abweichend  von  dem 
Rechte  anderer  Städte,  Entziehung  des  Amts  verhängen  kann. 
Dasselbe  gilt  nach  der  Lübecker  Goldschiniedrolle  von  1492 
(Wehrmann  S.  218)  und  der  Wismarer  Goldschmiedrolle  von 
1380  (Crull  S.  I).  Dagegen  musste  nach  der  Wismarer  Gold- 
schmiedrolle von  1543  (Crull  S.  III)  Art.  5,  der  Goldschmied, 
dem  zur  Erfüllung  des  Vertrags  erfolglos  eine  Frist  gesetzt 
worden  war,  „vor  den  Herren“  verklagt  werden.  Auch  in 
Lüneburg  scheint  die  Entwicklung  später  in  dieser  .Richtung 
gegangen  zu  sein,  denn  1614  wird  in  einer  Leinweberordnung 
bestimmt,  dass  „ohne  und  ausser  eines  ehrbaren  Rats  Gericht“ 
niemand  auf  eine  Klage  um  das  zur  Verarbeitung  übergebene 
Gut  zu  antworten  braucht.  Nach  bayrischem  Landrecht,  Frei- 
berger Stadtrecht,  Bamberger,  Brünner  Recht  bestand  nur  die 
Zuständigkeit  des  ordentlichen  oder  Stadtgerichts  für  Ent- 
scheidung von  Streitigkeiten  aus  dem  Werkvertrag.  Bayr. 
Landr.  von  1518  42.  T.  4.  Art.;  Freiberger  Stadtr.  Zusatz  4 
(1380)  § 4,  Zusatz  5 (1390)  § 6 (Ermisch  S.  279.  281);  Bam- 
berger R.  § 405  (Zöpfl  S.  112),  Rössler,  Stadtr.  von  Brünn 
S.  LXVI. 

In  Hamburg  konnte  nach  der  Wandbereiterordnung  von 
1547  (Rüdiger  S.  286)  Art.  12  der  Besteller,  der  den  fälligen 
Lohn  nicht  zahlte,  zweimal  durch  den  Amtsboten  zur  Zahlung 
gemahnt  worden.  Allein  dieses  Verfahren  begründete  keine 
Zuständigkeit  der  Morgensprache  hinsichtlich  dieses  Lohnan- 
spruchs. sondern  es  bildete  die  förmliche  Voraussetzung  für  das 
oben  bereits  besprochene  Verbot,  das  dann  an  die  Amtsgenossen 
erging,  dem  säumigen  Besteller  zu  arbeiten. 


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112 


6.  Abschnitt 

I)io  Bestrafung  des  Vertragsbruchs. 

Die  Bestrafung  des  Vertragsbruchs  muss  unter  Berück- 
sichtigung der  wirtschaftlichen  Verhältnisse  erklärt  werden. 
Wo  ein  scharfer  Konkurrenzkampf  der  Unternehmer  herrscht, 
jeder  an  der  Erhaltung  seines  Kredits  und  seines  geschäftlichen 
Ansehens  interessiert  ist,  genügt  die  zivilrechtliche  Klage,  um 
dem  Kunden  Sicherheit  für  Erfüllung  des  Vertrags  zu  ge- 
währen. Anders  dort,  wo  mit  dem  Vertragsbruch  für  den 
schuldigen  Teil  kein  wirtschaftlicher  Nachteil  verbunden  ist, 
und  er  sich  durch  Wandern  der  gerichtlichen  Inanspruchnahme 
leicht  entziehen  kann.  Für  diese  Fälle  hat  nicht  nur  das  alte 
Recht  Strafen  aufgestellt,  sondern  auch  unsere  heutige  Rechts- 
ordnung noch  glaubt  z.  B.  hinsichtlich  der  Dienstboten  (vgl. 
Bayr.  Polizeistrafgesetzb.  A.  106)  und  der  Seeleute  hiervon 
nicht  absehen  zu  können.  Aber  auch  weiterhin  besteht  für  das 
mittelalterliche  Recht  ein  Bedürfnis  nach  Bestrafung  des  Ver- 
tragsbruchs darin,  dass  im  Gewerbe  dieser  Zeit  der  Kunde  auf 
den  Unternehmer  und  dessen  guten  Willen  angewiesen  ist, 
da  die  Möglichkeit,  sich  anderweit  Ersatz  zu  verschaffen,  be- 
schränkt ist. 

Hierbei  haben  von  vornherein  polizeiliche  Bestimmungen 
auszuscheiden,  wie  das  unter  Strafe  gestellte  Verbot,  im  Akkord 
zu  arbeiten  (Baumcisterbuch  der  Endres  Tücher  1464 — 1475, 
herausgegeben  von  Weech  und  Lexer  S.  274),  oder  das  Gebot 
des  Kontrahierungszwangs  (z.  B.  hinsichtlich  der  Zimmerleute 
und  Steinmetzen  nach  einer  Kölner  Ratsverordnung,  Ennen 
S.  128),  oder  das  Gebot,  den  zur  Verarbeitung  übergebenen  Stoff 
zu  wägen  (Bremer  Statuta  vou  1303,  Oelrichs  S.  28)  und  andere. 
Es  handelt  sich  hier  nicht  um  Verletzung  von  Vertragspflichten. 

Am  zahlreichsten  sind  natürlich  die  Strafen,  die  auf  Nicht- 
erfüllung des  Vertrags  schlechthin  gesetzt  sind;  aber  noch 
weiterhin  tritt  eine  Differenzierung  insoferne  ein,  als  die  Ver- 
letzung einzelner  Vertragspflichten,  so  die  zur  Leistung  eines 
Werks  mit  den  zugesicherten  Eigenschaften,  oder  zur  Riiek- 
gewähr  des  Stoffs  gesondert  behandelt  wird. 


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113 


1.  Das  Verlassen  des  Werks,  das  vor  allem  im  Baugewerbe 
häufig  ist  und  Nichterfüllung  des  Vertrags  bedeutet,  wird  mit 
öffentlicher  Strafe  bedroht.  Münchner  Stadtr.  Art.  472  „dem 
richter  LX  den.,  der  stat  i lib“.  Lübecker  Mauerleute-  und 
Dachdeckerordnung  von  1527  (Wehrmann  S.  332)  „affweddenn 
mith  dren  marckenn  sulvers“.  Lübecker  Schiffszimmerleute- 
ordnung  von  1560  (Wekrmanu  S.  405): 

So  averst  hirentjegen  dede,  die  schall  dem  Erbarn  Rade 
by  dem  wedde  veer  marck  afwedden  und  up  der  lasta- 
dien  (Ort,  wo  die  Schiffe  gebaut  werden)  noch  up  der 
brawinge  nicht  angenahmen  oder  ein  arbeit  darsulvest 
vergönnt  werden,  ...  bis  das  Werk  vollendet  ist. 
Ebenso  Nürnberger  Polizeiordnung  (Baader  S.  286),  Bayr.  Landr. 
von  1518  42.  Titel  5.  Art.  Vgl.  hierzu  Sickel,  Bestrafung  des 
Vertragsbruchs  S.  162  ff. 

Nach  Bayrischem  Landrecht  von  1346  X 87  verfällt  der 
Lehrling,  der  seinem  Meister  entläuft,  in  eine  Busse  an  den 
Richter  im  Betrage  von  72  Pf. ; hat  aber  der  Meister  durch  sein 
Verhalten  gegen  den  Lehrling  dessen  Entlaufen  gerechtfertigt,  so 
zahlt  er  die  72  Pfennig.  Wer  also  den  Vertrag  bricht,  zahlt  die 
Busse.  Dieser  Satz  entspricht  genau  dem  für  den  Gesindever- 
trag geltenden  des  § 88  (Freyberg  IV  S.  425).  Nach  der 
Lübecker  Rolle  für  die  Spinnradmacher  von  1559  (Wehrmann 
S.  449)  darf  ein  Lehrjunge,  der  seinem  Meister  entlaufen  ist, 
von  keinem  Meister  angenommen  werden,  che  er  „den  Herren“ 
und  dem  Amte  geweddet  hat.  Auch  hier  verfällt  der  Meister, 
der  den  Jungen  durch  seine  ungehörige  Behandlung  vertreibt, 
in  dieselbe  Busse.  Vgl.  hierzu  Sickel  S.  122,  126  ff. 

2.  Die  Lieferung  schlechter  Arbeit  wird  vielfach  bestraft. 

Strassburger  Tuchschererartikel  von  1362  (Schmoller  S.  8). 

Strassburger  Goldschmiedartikel  1363 — 1410  Art.  9 (Meyer  S.  4): 
5 Schillinge  in  die  Büchse  des  Amts.  Hamburger  Glaser-  und 
Malerordnung  von  1375  Art.  7 (Rüdiger  S.  90):  10  Schilling  dem 
Rat,  6 Pfenning  dem  Werk.  Freiberger  Stadtrecht  XLV  § 4 
(Ermisch  S.  249):  Verlust  des  Amts.  Lübecker  Leinweberordnung 
von  1425  (Wehrmann  S.  322).  Strassburger  Müllerordnung  vou 
1452  (Brücker  S.  375).  Hamburger  Kistenmacherordnung  von 
1519  (Rüdiger  S.  136): 

Bothoobttcher,  Werkvertrag  H 


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114 


Item  weret,  dat  ein  verdingede  ein  stuck  welkes  mit 
enem  meister  düsses  ampts,  und  dat  so  nicht  gemaket 
worde,  dat  idt  kopmansware  were,  und  klage  darvan  kerne 
vor  de  olderlude,  dat  he  sick  dar  denne  nicht  mit  willen 
aver  en  schickede,  de  schall  dat  wedden,  na  willkör  des 
rades  und  dem  ampte  eine  tunne  beers. 

Lübecker  Mauerleute-  und  Deckerrolle  etwa  um  1527  (Wehr- 
mann S.  332)  und  gleichzeit.  Dachdeckerrolle  (Wehrmann  S.  196): 
einfache  Wedde.  Hamburger  Allgemeine  Bestimmungen  über 
Handwerksarbeiten  1563  (Rüdiger  S.  129):  gewillkürte  Strafe 
zum  gemeinen  Besten.  Lübecker  Zimmerleuteordnung  von  1545 
(Wehrmann  S.  463): 

und  de  mester  scholl  vor  denn  untruwen  offte  unvorsten- 
digen arbeyt  ghevenn  dem  ampte  eine  thunne  beers. 
Lübecker  Schiffszimmerleuteart.  von  1560  (Wehrmann  S.  410). 
Lüneburger  Malerordnung  von  1595  Art.  12  (Bodemann  S.  165): 
Strafe  nach  billigem  Ermessen.  Vgl.  auch  Sickel  S.  167. 

Die  Strafen  waren  entsprechend  der  mittelalterlichen  Rechts- 
auffassnng  in  ihrem  Betrage  und  in  ihrer  Höhe  normiert,  erst 
seit  dem  16.  Jahrh.  kommen  Strafen  „ nach  Ermessen a auf. 
Sie  fallen  je  nach  der  Stellung,  die  die  Zunft  staatsrechtlich 
einnimmt,  an  die  Zunft,  oder  an  das  Gericht,  oder  an  beide 
Behörden.  Meistens  wird  die  Strafe  von  den  Werkmeistern 
verhängt;  dies  hängt  zusammen  mit  der  Gerichtsbarkeit  der 
Zunft  über  ihre  Mitglieder.  In  der  Fassung  der  Quellen  kommt 
vielfach  zum  Ausdruck,  dass  es  die  Verletzung  der  Vertrags- 
treue ist,  die  gestraft  werden  soll. 

3.  Die  Verzögerung  der  Vertragserfüllung  durch  den  Unter- 
nehmer wird  gestraft. 

Nach  der  Wismarer  Goldschmiedrolle  von  1380  (Crull  S.  I) 
muss  der  Unternehmer,  der  in  der  ihm  gesetzten  Frist  den 
Vertrag  nicht  erfüllt,  ein  halbes  Jahr  des  Amts  entbehren. 
Nach  der  Lübecker  Leinweberordnung  von  1425  verfällt  der 
Leinweber,  der  innerhalb  der  von  den  Werkmeistern  gesetzten 
Frist  das  Werk  nicht  liefert,  in  eine  Busse  von  3 M.  an  die 
Herren,  wovon  die  Meister  6 Pf.  erhalten  — wohl  als  Ge- 
bühr für  ihre  Mühewaltung.  Nach  der  Lübecker  Maler-  und 
Glaserordnung  von  1425  steht  die  Bemessung  der  Höhe  der 


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115 


Strafe  beim  Rat  (Wehrmann  S.  329),  1560  Hamburger  Schmied- 
ordnung Art.  6 (Rüdiger  S.  254)  „inn  poene  tre  punt  und  dem 
arnpte  einne  tunne  bers“. 

4.  Mit  dem  gemeinen  Strafrecht  trifft  die  Strafe  für  Ver- 
letzung der  Rückgewährpflicht  zusammen,  insofern  der  Tat- 
bestand der  Unterschlagung  oder  Veruntreuung  gegeben  ist. 

Die  Quellen  behandeln  den  Fall,  wo  der  Unternehmer  den 
Stoff  nicht,  oder  nicht  vollständig  zurückerstattet,  oder  den 
noch  unverarbeiteten  Stoff  versetzt,  oder  das  Werk  zu  einem 
den  verdienten  Lohn  übersteigenden  Betrag  verpfändet,  fast 
durchweg  übereinstimmend.  Bayr.  Landr.  von  1346  X § 86: 
Der  Arbeiter,  der  das  Werk  um  mehr  als  den  verdienten  Lohn 
pfändet,  ist  nicht  nur  schadensersatzpflichtig,  sondern  zahlt  dem 
Richter  72  Pfennig.  Gleichlautend  die  Reformation  von  1518 
42.  Titel  1.  Art.  und  die  Reform,  von  1616  32.  Titel  1.  Art., 
ferner  Schweidnitzer  Schneiderstatuten  mitgeteilt  bei  v.  Berlepsch, 
Chronik  der  Gewerbe  II  230  (Busse  von  4 Pfd.,  wer  das  Gewand 
nicht  zurückgibt);  Münchner  Stadtr.  VII  4 (Auer  S.  270):  Der 
Sägmüller,  der  mehr  als  die  scherw  des  Baumes  abhaut,  zahlt 
dem  Richter  24  du.  Lüneburger  Schneiderordnung  von  1552 
(Bodemann  S.  227):  Der  Schneider  muss  wedden  mit  3 Pfunden. 

Dagegen  tritt  neben  die  Busse  die  Strafe,  „des  Amts  zu  ent- 
behren“ nach  der  Lübecker  Goldschmiedordnung  von  1492  (Wehr- 
mann S.  218)  und  den  Strassburger  Goldschmiedartikeln  von  1482 
Art.  18  (Meyer  S.  75).  Die  schärfere  Strafe  der  letzteren  Bestim- 
mung ist  wahrscheinlich  dadurch  mit  begründet,  dass  in  der  wieder- 
holten Weigerung,  den  Stoff  herauszugeben  trotz  Befehls  der 
Meister  ein  Ungehorsam  gegen  die  Zunft  erblickt  wird,  der  mit 
Ausschluss  aus  dem  Amt  bestraft  wird.  Auch  soll  der  Handwerker 
dem  Stadtgericht  zur  weiteren  Bestrafung  überwiesen  werden. 

Eine  Ausnahmestellung  schliesslich  nimmt  das  Rügische 
Landrecht  CXIV  § 3 ein: 

Und  lete  einer  uptehen  bi  bind  bi  stigetalen  (Zahlmass 
von  12  Ellen),  de  wever  müten  tales  werdich  sein  und  so 
vele  bind  averantwerden.  und  tellede,  dem  dat  garn  hö- 
rede,  datsulvige  und  missede  ein  bind,  dat  sind  60  fedeme, 
de  wever  löset  den  hals  van  der  heerschop,  betalet  dat 
garne  brekt  3 pnnd  an  den  kleger. 

8» 


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116 


Hier  ist  also  die  Unterschlagung  bestraft,  und  der  Besteller 
erhält  die  Busse  des  Unternehmers. 

Vgl.  zu  dem  Vorstehenden  Löning,  Vertragsbruch  S.  396, 
402  ff.  und  dessen  Auffassung,  dass  „das  deutsche  Recht  in  dem 
Wegföhren  oder  Verheimlichen  einer  anvertrauten  Sache  keine 
Unrechtsform  sieht,  welche  an  sich  eine,  über  die  Rechtsvoll- 
streckung hinausgehende  Rechtsfolge  erforderte,  insbesondere 
kein  diebliches  Behalten,  keine  Unterschlagung“.  Dies  wird  im  all- 
gemeinen durch  die  vorstehenden  Ergebnisse  bestätigt,  immerhin 
sind  in  den  Bestimmungen,  die  die  Entziehung  des  Amts  verhängen, 
sowie  in  der  des  rügischen  Landrechts  schon  Ansätze  zu  einer 
strafrechtlichen  Behandlung  der  Veruntreuung  des  Stoffs  gegeben. 

5.  Die  bisherige  Darstellung  lässt  erkennen,  dass  die  Be- 
strafung des  Vertragsbruchs  vor  allem  seitens  des  Unternehmers 
weit  verbreitet  ist,  dass  sie  auch  im  16.  Jahrh.  fortdauert,  und 
dass  sie  ursprünglich  mehr  kasuistisch  geregelt  ist,  insofern 
die  einzelne  Vertragspflicht  besonders  behandelt  wurde.  All- 
mählich wird  dann  die  Fassung  der  Bestimmungen  allgemeiner, 
die  Strafen  werden  Ermessensstrafeu.  Als  Abschluss  der  Entwick- 
lung in  dieser  Richtung  kann  die  Bestimmung  des  Art.  10  der  Lüne- 
burger Leinweberordnung  von  1614  (Bodemann  S.  151)  angesehen 
werden,  wo  der  Vertragsbruch  schlechthin  unter  Strafe  gestellt  ist. 

Würde  auch  einem  Meister  von  Jemandem  in  oder  ausser- 
halb der  Stadt  Garn  zu  einem  Werk  gebracht,  so  er  an- 
nähme und  zusagte,  dasselbe  in  einer  benanten  Zeit  zu 
weben  und  zu  verfertigen,  käme  aber  seiner  Zusage  ge- 
bührlich nicht  nach,  derselbe  sol  dem  Ambte  in  willkür- 
liche Strafe  verfallen  sein. 

6.  Die  Verletzung  der  Pflicht  des  Bestellers,  dem  Unter- 
nehmer die  Vergütung  zu  gewähren,  ist  nur  insofern  unter 
Strafe  gestellt,  als  nach  den  einzelnen  Rechten  diesem  Anspruch 
des  Unternehmers  die  Stellung  des  lidlons  eingeräumt  ist.  In 
diesem  Falle  verfällt  der  in  Verzug  befindliche  Besteller,  der 
sich  verklagen  lässt,  in  eine  Busse.  Bayr.  Landr.  von  1346 
X 89;  und  Reformation  von  1518  43.  Tit.  9.  Art.;  Münchner 
Stadtr.  A.  136;  Basler  Gerichtsordnung  von  1457  Art.  62 
(Rechtsquellen  I S.  168);  vgl.  Hertz  S.  99;  Sickel  S.  169 ff. 


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III.  Die  Rechtsentwicklung  seit  dem  Ein- 
dringen des  fremden  Rechts. 


Die  bisherige  Darstellung  hat  ergeben,  dass  das  deutsche 
Recht  selbständig  Regeln  für  den  Werkvertrag  entwickelt  hat. 
Es  soll  im  folgenden  nur  noch  in  grossen  Zügen  der  Gang 
der  weiteren  Entwicklung  gezeichnet  werden.  Es  soll  gezeigt 
werden,  inwieweit  sich  das  deutsche  Recht  erhalten  hat  und 
inwieweit  das  römische  Recht  aufgenommen  worden  ist. 

1. 

Das  deutsche  Recht  ist  in  einigen  Rechtsgebieten,  vor  allem 
dem  bayrischen,  lübischen  und  rügischen,  und  zum  Teil 
dem  Culmischen  und  Hamburger  bis  ins  18.  Jahrhundert  in 
Geltung  geblieben.  Es  ist  diese  Tatsache  bereits  bei  der 
früheren  Darstellung  berücksichtigt  worden.  Hierbei  versteht 
sich  von  selbst,  dass  das  heimische  Recht  sich  nicht  überall  in 
allen  Stücken,  sondern  bald  in  weiterem,  bald  in  engerem  Um- 
fang erhalten  hat.  So  wird  man  nicht  bezweifeln  dürfen,  dass 
reine  Konsensualverträge  überall  anerkannt  worden  sind.  Da- 
neben finden  sich  doch  noch  Spuren,  dass  das  Handgeld  und 
der  Gottespfennig  oder  die  arrha  sich  in  ihrer  alten  Bedeutung 
auf  dem  Gebiete  des  Werkvertrags  erhalten  haben.  Voll- 
ständige Teutsche  Stadtrechte  für  Böhmen  und  Mähren  (Wien 
1721)  De  loc.  cond.  cap.  IV,  ferner  de  stipulationibus  S.  390, 
Lübecker  Statuta  (Lübeck  1728)  III  6 § 6.  Das  Handgeld 
und  die  arrha  haben  sich  hier  zum  Reugeld  entwickelt. 

Das  Mühlenrecht  ist  unverändert  geblieben:  Der  Müller 
wird  noch  in  natura  entlohnt,  strenge  Vorschriften  betreffen 
die  Rückgewährpflicht,  dem  Besteller  steht  noch  das  Aufsichts- 


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118 


recht  zu  usw.  Die  Müller  müssen  noch  die  Ordnungen  be- 
schwören. Jülich-Clevesehe  Polizeiordnung  von  1558  (Mühlen- 
ordnung), Tiroler  Reform.  Landrecht  von  1573  IV  37  ff.  Chur- 
fürstl.  Pfalz.  Laudesordnung  von  1582  Titel  26.  Bayr.  Land- 
und  Polizeiordnung  von  1616  IV  8.  Auch  die  Bauordnungen 
ändern  sich  wenig,  vor  allem  ist  das  Verbot,  eine  zweite  Arbeit 
anzunehmen,  aufrechterhalten,  daneben  das  Verbot  des  „Für- 
kaufs“, das  auch  in  allgemeiner  Fassung  in  Tirol  gilt.  Württem- 
berg. Bauordnung  von  1567  p.  CXXIII.  Bayr.  Landr.  von 
1616  32.  Titel  2.  Art.  Neue  reform.  Landesordnung  für  Tirol 
von  1573  VI  24.  Dagegen  tritt  nach  Württemberger  Recht 
die  neue  Vorschrift  auf,  dass  über  jeden  Bau  ein  „Verding- 
brief“ errichtet  werden  muss. 

Das  Recht  des  Lidlohns  ist  im  Bayr.  Landr.  von  1616 
33.  Titel,  sowie  in  den  Schweizer  Rechten  aufrechterhalten, 
die,  wie  gezeigt,  es  gerade  in  Beziehung  auf  den  gewerblichen 
Arbeitsvertrag  weiter  ausgebildet  haben.  Das  Verpfändungs- 
recht des  Unternehmers  am  Werk  ist  anerkannt  in  den  Lü- 
becker Statuta  III  17,  Hamburger  Statuta  von  1619  II  9 
Art.  18;  ferner  als  „stillschweigendes  Pfandrecht“  am  Gut  uach 
Bayr.  Landr.  vou  1616  32.  Titel  1.  Art.  Dagegen  ist  in  der 
Württembergischen  Landesordnung  von  1567  p.  117  unter  den 
wueherlichen  und  verbotenen  Kontrakten  angeführt,  „wenn  je- 
mand einem  Arbeiter  auf  seine  Arbeit  leiht“.  Das  Arrestierungs- 
recht  des  Hausherrn  hinsichtlich  des  Werks,  das  sein  Mieter 
für  den  Besteller  aus  dessen  Stoff  gefertigt  hat,  ist  lediglich 
in  den  Lübecker  Statuta  III  8 § 15  anerkannt.  Vgl.  hierzu 
David  Mevius,  Comment.  in  jus  Lubicense  III  8 Art.  15  (p.  700). 

Im  weitem  Umfang  schliesslich  hat  sich  das  wesentlich 
durch  die  Hanse  entwickelte  See f rach tr echt  erhalten.  Die 
Hamburger  Statuten  von  1603  II  14  und  die  Lübecker  Statuten 
VI  1.  Titel  §§  9 ff.,  § 12,  2.,  3.  Titel  gehen,  vor  allem  in  der 
Behandlung  der  Gefahr  und  des  Frachtauspruchs,  auf  die  alten 
Hanserezesse  zurück. 

Auch  die  Rechtssätze  über  den  Lehrvertrag,  soweit  sie 
die  Pflicht  des  Lehrherrn  zur  Erziehung  betreffen,  haben  sich 
erhalten,  -wenn  sie  auch  unter  der  loc.  cond.  abgehandelt  werden, 
so  z.  B.  in  der  Nürnberger  Reformation  von  1564  II  17.  (Von 


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119 


Hinlassung  und  Geständnis  der  Häuser  und  andern  Güter,  auch 
Hinlassung  und  Verding  der  Personen.)  Deutsches  Recht  hat 
auch  das  Geldernsche  Landrecht  von  1619  IV  4 (Maurenbrecher, 
Rheinpreuss.  Landrechte  1830 — 1831  II  S.  465)  erhalten.  Die 
Überschrift  des  § 4 lautet:  „Van  dienstboden  ende  aenneminge 
van  Werke“. 

2. 

Allein  nicht  nur  in  jenen  bestimmten  Rechtsgebieten  hat 
sich  das  deutsche  Recht  erhalten.  Vielmehr  ist  es  weit  darüber 
hinaus  in  Geltung  geblieben.  Die  Privatrechtsgesetzgebuug 
regelte,  wie  schon  das  Beispiel  der  eben  angeführten  Quellen 
zeigt,  den  Arbeitsvertrag  nicht  erschöpfend,  ja  viele  Gesetz- 
bücher behandeln  ihn,  oder  zum  mindesten  den  Werkvertrag 
gar  nicht.  Auch  da,  wo  das  römische  Recht  formell  und  ma- 
teriell aufgenommen  wurde,  wurde  höchstens  der  eine  oder 
andere  Rechtsatz  kodifiziert.  Man  darf  hieraus  nicht  den 
Schluss  ziehen,  dass  nunmehr  das  römische  Recht  als  gemeines 
Recht  schlechthin  ergänzend  eingetreten  sei.  Vielmehr  muss 
behauptet  werden,  dass  gerade  auf  dem  Gebiete  des  Arbeits- 
vertrags und  im  besondern  des  Werkvertrags,  sich  das  Ge- 
wohnheitsrecht erhalten  hat,  das  ja  schon  zur  Zeit  der  aus- 
schliesslichen Geltung  des  deutschen  Rechts  von  grösster  Be- 
deutung war.  Das  Gewohnheitsrecht  hatte  sich  auf  dem  Grunde 
der  besondern  wirtschaftlichen  Verhältnisse  seit  Jahrhunderten 
als  ständige  Vertragsübung  entwickelt.  Es  war  massgebend 
bei  der  Abfassung  der  zahllosen  Handwerks-,  Zunft-,  Gewerbe- 
und  Polizeiordnungen,  die  in  Fortsetzung  der  mittelalterlichen 
Statuten  in  den  deutschen  Territorien  der  Neuzeit  erlassen 
wurden.  Mochten  auch  die  römischrechtlich  gebildeten  Juristen 
der  deutschen  Landesherren  beim  Erlasse  von  Gesetzbüchern 
das  gemeine  Recht  zur  Geltung  bringen,  auf  diesem  Gebiete 
mussten  die  tatsächlichen  Verhältnisse,  die  auf  ganz  andern 
gesellschaftlichen  und  wirtschaftlichen  Grundlagen  beruhten, 
als  die  des  alten  Rom,  ausschliesslich  berücksichtigt  werden. 
Die  Volkswirtschaft  hatte  sich  seit  dem  Ende  des  Mittelalters 
in  der  hier  in  Betracht  kommenden  Beziehung  wenig  geändert, 
vor  allem  das  Gewerbewesen  blieb  in  den  vom  Mittelalter  ge- 
schaffenen Formen  bis  an  den  Anfang  des  19.  Jahrhunderts 


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stehen.  Dies  ist  schon  in  der  Literatur  des  18.  Jahrhunderts 
anerkannt  worden.  Struve  hebt  in  seinem  Systema  jurispru- 
dentiae  opificiariae  1738  I.  Bd.  IV.  Buch  cap.  7 de  jure  opificum 
non  scripto  die  grosse  Bedeutung  der  „Handwerksbräuche“  als 
Rechtsquelle  hervor.  Er  bestimmt  die  Geltung  des  Justin ia- 
neischen  Rechts  (I.  Bd.  3.  Buch  2.  cap.  VII)  dahin: 

. . . interim  cum  jure  Justinianeo,  tanquam  recepto,  in 
Germania  eommuniter  utamur,  non  possumus  ejus  autori- 
tatem  ac  usum  pcnitus  a foro  opificum  excludere. 

Er  bespricht  einige  Justinianeische  Rechtssätze,  bemerkt  aber, 
sie  könnten 

non  ita  crude  ad  praxim  hodiernam  causae  opificiariae 
transferri. 

3. 

Überblickt  man  die  gemeinrechtlich  beeinflussten  Gesetz- 
bücher der  Neuzeit  mit  Rücksicht  auf  den  Werkvertrag,  so 
lassen  sich  drei  Gruppen  unterscheiden:  Gesetzbücher,  die  die 
loc.  cond.  operis  überhaupt  nicht  regeln,  solche  die  sie  zwar 
unter  der  loc.  cond.  überhaupt  erwähnen,  aber  nicht  besonders 
behandeln,  und  schliesslich  eine  Gruppe  von  Rechten,  die 
allerdings  die  Hauptsätze  des  Werkvertragsrechts  aufstellen. 

a)  Der  Werkvertrag  oder  die  loc.  cond.  operis  wird  nicht 
geregelt  in  der  Reformation  der  Landgrafschaft  Hessen  von 
1535,  Frankfurter  Reformation  von  1578  II.  Teil,  Kur-Kölni- 
sches Landesrecht  (Reformation  von  1563,  Rechtsordnung  von 
1663,  authentica  von  1767),  Jülich.  Bergisclie  Rechtsordnung 
von  1555,  Landrecht  der  hintern  Grafschaft  Sponheim  von 
1578;  Salm-Reifferscheidt-Dyckscho  Rechtsordnung  von  1708; 
Kur-Trierisches  Landrecht  von  1668  ref.  1713  (ebenso  die  II. 
Redaktion  von  1714),  Rheingräfliches  Landrecht  von  1754. 
Dasselbe  gilt  von  dem  Dithmarsischen  Landrecht  von  1567 
(Glückstadt  1667),  den  Konstitutionen  Augusts  von  Sachsen  von 
1572  (wozu  jedoch  die  Gesinde-,  Taglöhner-  und  Handwerks- 
ordnung Johann  Georgs  von  Sachsen  von  1651  heranzuziehen 
ist);  Lüneburger  Stadtrecht  (Pufendorf,  observationes  Bd.  IV); 
Neumünsterische  Kirchspiel-  und  Bordesholmische  Amtsge- 
bräuche (herausgegeben  von  Seestern-Pauly  1824),  der  Stadt 
Basel  Stadt-  und  Gerichtsordnung  von  1719  II.  Teil  (Rechts- 


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quellen  von  Basel  I 831).  Auch  die  folgenden  Prozess-  und  Landes- 
ordnungen, in  denen  vielfach  auch  das  Privatrecht  behandelt 
wird,  enthalten  nichts  über  die  locatio  conductio  operis:  Jülich- 
Clevesche  Ordnung  und  Reform,  des  Prozesses  von  1562;  Fürstlich- 
Hessische  Landesorduung  in  der  obern  Grafschaft  Katznelenbogen 
(v.  Selchow,  Magazin  für  die  deutschen  Rechte  und  Geschichte  I 
1779);  Gerichtsordnung  und  Landrecht  der  Grafschaft  Solms  1571; 
Erneuerte  Landesordnnng  für  das  Königreich  Böhmen  von  1627. 

Unter  den  privaten  Rechtsaufzeichnungen  sind  der  Layen- 
spiegel  (Augsburg  1509)  und  der  richterliche  Klagspiegel  (Strass- 
burg 1536)  hervorzuheben.  Der  erstere  behandelt  die  loc.  cond. 
überhaupt  nicht,  dieser  nur  die  Sachmiete.  Der  Bauunter- 
nehmervertrag ist  in  dem  oben  angeführten  Abschnitte  de  stipu- 
latione  erwähnt.  Kein  Anhaltspunkt  findet  sich  in  dem  Formu- 
larbuch Leonhard  Schwartzenbachs  (Frankfurt  a.  M.  1571). 

fl)  Die  Gruppe  der  Rechte,  die  die  loc.  cond.  operis  im 
Systeme  unter  der  Miete  vortragen,  ohne  jedoch  meistens  näher 
auf  die  materiellen  Rechtssätze  einzugehen,  wird  eröffnet  durch 
die  Wormser  Reformation  von  1498.  Dort  heisst  es  (V  2): 
Und  nit  allein  hässlich  wohnung  oder  buguter  mögen  ver- 
liehen und  bestanden  werden,  sondern  auch  arbeit  oder 
wergk  zu  machen  mögen  verdingt  verliehen,  angenomen 
und  bestanden  werden  als  Bücher  ze  schryben,  Tafeln  ze 
malen,  Schrynwergk,  Schmidwergk,  Muwerwerk,  Zymmer- 
werk,  Graben  zu  machen  und  derglychen,  daruss  ent- 
springen clag  und  forderung  des  verlyhens  und  besteens. 
Ebenso  Nürnberger  Reform,  von  1564  II  17,  Vollständige 
Teutsche  Stadtrechte  für  Böhmen  und  Mähren  (Wien  1721); 
Nassauische  Landesordnung  von  1616  VI  5;  Reformation  der 
freien  Reichsstadt  Wimpfen  von  1731  II  6;  Gräflich  Hohen- 
lohesches  Landrecht  von  1738  III  7 § 12;  Der  Landschaft 
Basel  Landesordnung  von  1757  § 84;  Codex  Maximilianens 
Bavaricus  juris  civilis  IV  cap.  6,  die  letzte  grosse  gemein- 
rechtliche Kodifikation,  die  jedoch  nicht  einmal  eine  grundsätz- 
liche Scheidung  von  loc.  cond.  operis  und  operarum  durchführt. 
Vgl.  ferner  das  kompilator.  Werk  von  Noe  Meurer,  Liberey 
Kaiserlicher  auch  Teutscher  Nation  Land-  und  Stattrecht 
(Heidelberg  1582)  II.  Teil:  Von  Beständnis  der  Güter. 


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y)  Während  die  bisher  besprochenen  Gesetzgebungswerke 
für  das  materielle  Werkvertragsrecht  keine  oder  nur  eine  ganz 
geringe  Ausbeute  gewähren,  hat  eine  Gruppe  von  Rechten, 
für  die  das  Freiburger  Stadtrecht  vorbildlich  gewesen  ist,  die 
Hauptsätze  des  Vertragsrechts  entwickelt.  Das  Freiburger 
Stadtrecht  von  1520  stellt  unterm  5.  Titel  des  II.  Traktats 
folgende  Bestimmungen  auf: 

a)  Vollendet  ein  Werkmeister  das  Werk  innerhalb  des 
Zieles  nicht,  oder  ist  soviel  Zeit  verstrichen,  dass  er  es  bis 
dahin  nicht  mehr  anfertigen  kann,  so  hat  er  dem  andern  alles 
Interesse,  Schadfall  und  Nachteil  abzutragen;  es  steht  in 
des  Bestellers  Willen,  ob  er  ihn  das  Werk  noch  vollenden 
lassen  will. 

b)  Ist  aber  der  Werkmeister  bereit  und  in  der  Lage,  zu 
wirken,  ist  das  Hindernis  am  Besteller,  so  muss  dieser  das 
verdingte  Geld  zahlen. 

c)  Wird  er  durch  einen  Dritten  gehindert,  so  hat  er  gegen 
den  Besteller  keinen  Lohnanspruch,  dieser  gegen  ihn  keinen 
Schadensersatzanspruch.  Das  Recht  gegen  den  Dritten  steht 
dem  Unternehmer  zu. 

d)  Wird  zweien,  dreien  oder  mehreren  ein  Werk  verdingt, 
so  ist  jeder  allein  dasselbe  auszuwirken  schuldig,  kann  sich 
nicht  auf  die  Mitschuldner  berufen. 

e)  Ist  der  Werkmeister  dem  Gegenteil  Schaden  und  Inter- 
esse zu  zahlen  bereit,  so  kann  der  Besteller  nur  in  dringenden 
Fällen  auf  Anfertigung  des  Werks  bestehen. 

Im  Württembergischen  Landrecht  von  1567,  das  ganz  nach 
dem  Muster  des  Freiburger  Stadtrechts  bearbeitet  ist,  finden 
sich  im  II.  Teil  (auch  wiederholt  in  der  Reformation  von  1610) 
die  Bestimmungen  a bis  e fast  wörtlich  übereinstimmend.  Ihm 
folgt  das  Kurpfälzer  Landrecht  von  1582  II.  Teil  4.  Titel 
(wiederholt  in  der  Revision  von  1698  IV  10).  In  beiden 
Rechten  ist  anschliessend  an  Bestimmung  d bemerkt: 

f)  Wenn  aber  viele  ein  Werk  stückweise,  oder  sonst  ohne 
eine  Verbindung  verdingten,  so  kann  jeder  nur  für  sein  Stück 
in  Anspruch  genommen  werden. 

Das  Hatzfeld- Wildenburgische  Landrecht  von  1607  II 
cap.  6 §§  24,  25  gibt  die  Bestimmungen  a,  b,  c und  setzt  noch 


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fest,  dass  der  Werkmeister  erst  «ach  Vollendung  des  Werks 
Anspruch  auf  Lolin  hat.  Das  bei  Struve  Bd.  III  Buch  III 
cap  9 angeführte  jus  provinciale  ducatus  Prussiae  (publiz.  1620) 
enthält  in  Buch  IV  A.  3 die  Bestimmungen  b,  c,  d,  f. 

Die  Fassung  der  Bestimmungen  allein  verrät  schon  die 
römischrechtliche  Bildung  des  Verfassers  des  Freiburger  Stadt- 
rechts Ulrich  Zasius.  Auch  der  Inhalt  ist  aus  römischrecht- 
licher Anschauung  hervorgegangen ; Bestimmung  d z.  B.  verrät 
ganz  deutlich  die  Anlehnung  an  die  auf  das  Mandat  bezügliche 
Stelle  1.  60  § 2 Dig.  17,  1.  Auch  die  Einräumung  des  Rück- 
trittsrechts für  den  Besteller  in  Bestimmung  a ist  durchaus 
neu  und  ein  Bruch  mit  dem  bis  dahin  geltenden  Rechtszustandc. 
Es  zeigt  sich  übrigens,  dass  auch  hier  das  Werkvertragsrecht 
nicht  erschöpfend  geregelt  worden  ist,  aber  immerhin  muss  her- 
vorgehoben werden,  dass  der  Gesetzgeber  den  der  Werk- 
miete eigentümlichen  Tatbestand  erkannt  und  entsprechend  be- 
handelt hat. 

4. 

Entsprechend  der  Stellung  der  Gesetzgebung  zum  Arbeits- 
vertrag und  im  besoudern  zum  Werkvertrag  hat  sich  auch  die 
Lehre  des  gemeinen  Rechts  nur  wenig  mit  ihm  beschäftigt. 
Es  liegt  ausserhalb  des  Rahmeus  dieser  Arbeit,  die  Behandlung 
dieses  Gebiets  durch  die  Kanonisten,  und  die  italienischen  und 
französischen  Zivilisten  darzustellen.  Es  sei  hier  auf  die  Ar- 
beiten Wilhelm  Endemanns  verwiesen,  nach  dem  („Die  recht- 
liche Behandlung  der  Arbeit“  in  Band  67  S.  688  der  Jahr- 
bücher für  Nationalökonomie  und  Statistik),  der  Arbeitsvertrag 
als  solcher  von  den  Kanonisten  selbständig,  lind  zwar  nicht 
unter  der  Sachmiete  behandelt  wurde,  dagegen  bei  den  Zivi- 
listen keine  oder  nur  geringe  Beachtung  fand. 

Aus  der  Literatur  des  16.  Jahrh.  sei  erwähnt,  dass  das 
grosse  Werk  Differentiae  aliquot  juris  Civilis  et  Saxonici  in  4 
partes  divisae  (Köln  1567)  den  Werkvertrag  nicht  berührt. 
Ulrich  Zasius  behandelt  in  seinem  Kommentar  zu  den  Pandekten 
(Ausgabe  von  Freigius,  Basel  1576)  unter  dem  Titel  „de  ver- 
borum  obligatione“  die  auch  später  in  den  Pandekten  werken 
viel  erörterte  Frage,  ob  durch  die  Stipulation,  ein  Haus  zu  er- 
bauen, auch  der  Erbe  des  Unternehmers  verpflichtet  werde, 


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weiterhin  einen  Fall  für  die  Verteilung  der  Gefahr  (fol.  711). 
Die  loc.  cond.  operis  ist  als  solche  nicht  berücksichtigt  (fol.  718). 
Dagegen  bespricht  Andreas  Perneder  in  seinen  Institutiones  (Aus- 
gabe von  Hunger,  Ingolstadt  1563)  ausführlich  unter  der  Über- 
schrift De  locatione  III  25  die  hierher  gehörigen  Vorschriften 
des  römischen  Rechts,  vor  allem  die  Klage  des  Bestellers  wegen 
Verderb  des  Stoffs.  Auch  die  Zulässigkeit  der  Unterverdingung 
wird,  wie  in  vielen  andern  Pandektenwerken,  ausdrücklich  be- 
sprochen. Bezüglich  der  Advokaten  trägt  Perneder  die  römisch- 
rechtliche Anschauung  vor,  dass  der  Advokat  unentgeltlich 
arbeiten  müsse  und  nur  eine  freiwillig  gegebene  „Verehrung“ 
annehmen  dürfe.  Benedikt  Carpzov  (opus  definitionum  foren- 
sium  ad  Const.  Elect.  Saxon.  Frankfurt  1669)  behandelt  nur 
die  Sachmiete  (II  37),  bringt  aber  sonst  einiges  hierher  ge- 
höriges. Er  leitet  das  Rententionsrecht  des  Fuhrmanns  am 
Frachtgut  aus  dem  allgemeinen  Zurückbehaltungsrechte  her 
(II  16,  21)  und  äussert  sich  über  die  Stellung  der  Ansprüche 
des  Handwerkers  im  Konkurse  (I  28).  Ulrich  Huber  (prae- 
lectiones  juris  civilis  1735)  behandelt  unter  loc.  cond.  (IH  25) 
wesentlich  die  Sachmiete,  und  erörtert  nur  in  einem  scholium 
die  Frage,  inwiefern  die  loc.  cond.  operis  hierher  gehöre,  nach- 
dem es  sich  doch  nicht  um  den  Gebrauch  einer  Sache  handle. 
Im  übrigen  bespricht  er  in  eigenen  Abschnitten  die  operae 
libertorum  und  servorum  (lib.  38  tit.  1;  lib.  7 tit.  7).  Ein- 
gehender widmet  sich  Pufendorf  (observationes  II.  Bd.  1748). 
der  loc.  cond.  operis  (observ.  14),  als  welche  ihm  offenbar  vor- 
nehmlich der  Bauunternehmervertrag  erscheint.  Es  werden 
die  Rechtswirkungen  der  approbatio,  sowie  die  Haftung  des 
Unternehmers  für  Eigenschaften  des  Werks  besprochen.  Die 
Gesamtauflassung  ist  römischrechtlich,  aber  es  werden  doch 
die  Sätze  der  Pandekten  selbständig  behandelt  und  weiter  aus- 
gebildet. Bei  auftauchenden  Zweifeln  kommen  naturrechtliche 
Anschauungen  zur  Geltung.  So  wendet  er  sich  in  observ.  14 
§ 10  gegen  die  Meinung  von  Coler  und  andern,  „conductori, 
cujus  opus  contra  legem  contractus  effectum  esset,  nihil  deberi“. 
Pufendorf  setzt  dem  entgegen,  „id  aequitati  conveniens  non 
est“.  Er  führt  Voet  an  ad  tit.  loc.  cond.  § 40,  der  darauf 
abstellt,  ob  das  Werk  gar  keinen  oder  wenigstens  einen  ge- 


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ringen  Nutzen  habe.  Johannes  Voet  (Commentar.  ad  Pandektas 
6.  Aufl.  1734)  beschäftigt  sich  weitaus  am  ausführlichsten  mit 
der  loc.  cond.  operis.  Im  I.  Band  (Buch  19  Titel  2)  bespricht 
er  zunächst  die  Sachmiete.  Bei  der  Dienstmiete  erwähnt  er, 
dass  sie  nur  auf  mercenariae  operae  Anwendung  finde,  nicht  auf 
„operae  liberales  advocatorum  similiumque,  quibus  salaria  non 
mercedes  praestari  solent“  (6).  Im  Anschluss  hieran  führt  er 
eine  Reihe  von  Sätzen  aus  dem  Seefrachtrecht  an  über  unver- 
schuldete Unmöglichkeit  der  Leistung,  über  den  Frachtanspruch 
usw.,  wobei  er  sich  auf  die  verschiedenen  Seerechte  beruft. 
Er  geht  hier  notwendig  über  den  Rahmen  der  Digesten  hinaus 
und  bietet  die  Grundsätze  des  im  15.  Jahrhundert  entwickelten 
Seefrachtrechts  (27,  28).  Von  hier  geht  er  zur  eigentlichen 
loc.  cond.  operis  über.  Es  wird  die  Unterverdingung,  die  pro- 
batio  und  die  Verteilung  der  Gefahr,  schliesslich  das  Zurück- 
behaltungsrecht des  Arbeiters  am  Werk  bis  zur  Bezahlung  des 
Entgelts  ausführlich  besprochen.  Weniger  eingehend  würdigt 
Leyser  (Meditationes  ad  Pandektas  III.  Bd.  3.  Aufl.  1743)  die 
Werkmiete  (spec.  CCXII).  Erwähnenswert  ist  hier  nur,  dass 
er  dafür  eintritt,  den  Bauunternehmer,  nicht  nur  bei  öffent- 
lichen Bauten,  sondern  bei  allen  privaten  Bauten  fünfzehn 
Jahre  für  alle  Schäden  haften  zu  lassen.  Denn  die  Bestimmung 
des  römischen  Rechts,  die  nur  die  öffentlichen  Bauten  be- 
günstigt, widerspreche  der  Billigkeit.  Er  führt  für  seine  An- 
sicht ein  Helmstädter  Rechtsgutachten  an. 

Wendet  man  sich  nach  diesem  flüchtigen  Überblick  über 
die  Pandektenliteratur  der  Lehre  des  deutschen  Rechts  zu,  so 
ist  zunächst  zu  erwähnen,  dass  die  Vorarbeiten  zu  dem  Würt- 
tembergischen  Landrecht  von  1610  (herausgegeben  von  Faber 
und  Schlossburger,  Stuttgart  1859)  nichts  hierher  Gehöriges 
bieten  (S.  198  de  loc.  cond.  S.  206).  Dasselbe  gilt  von  Schilters 
Praxis  juris  Romani  in  foro  Germanico  (Jena  1698),  exercit.  31, 
wo  die  loc.  cond.  operis  nicht  ausdrücklich  behandelt  wird,  und 
materiellrechtlich  nur  ein  Urteil  der  Strassbnrger  Juristen- 
fakultät von  1693  in  einer  Frachtsache  geboten  wird,  und  von 
Georg  Beyers  Delineatio  Juris  Germanici  (Leipzig  1729)  III.  Buch, 
sowie  von  v.  Selchow  (Institutiones  jurisprudentiae  Germanicae 
1757),  Joh.  Rnd.  Engau  (Elementa  juris  Germanici  1737)  er- 


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wähnt  zwar  (III  11  § 119)  die  loc.  cond.  operis,  führt  jedoch 
einen  einzigen,  noch  dazu  römischrechtlichen  Satz  unter  Be- 
rufung auf  Struve  an.  Justus  Runde  (Grundsätze  des  deutschen 
Privatrechts.  Göttingen  1791)  behandelt  nur  den  Dienstvertrag. 
Johann  Heinr.  Fricke  (Grundsätze  des  Rechts  der  Handwerker, 
Göttingen  1771,  1778)  und  Joh.  Friedr.  Weisser  (Recht  der 
Handwerker  nach  allgemeinen  Grundsätzen,  insbes.  nach  den 
herzogl.  Wirttemberg.  Gesetzen,  Stuttgart  1779)  behandeln  den 
Arbeitsvertrag  als  solchen  nicht,  nur  letzterer  beschäftigt  sich 
mit  der  Stellung  des  lidlons  itn  Konkurse  und  der  einschlägigen 
Behandlung  des  Entgelts  des  Werkunternehmers. 

Während  aber  in  den  angeführten  Werken  der  Arbeits- 
vertrag und  im  besondern  der  Werkvertrag  entweder  gar 
nicht  oder  nur  in  der  einen  oder  andern  Beziehung  berück- 
sichtigt wird,  wird  ausführlich  das  Handwerks-,  Zunft-  und 
Gewerberecht  dargestellt.  Die  gewerblichen  Organisationen,  die 
Zwangs-  und  Bannrechte  wurden  der  Gegenstand  zahlreicher 
Spezialschriften.  Die  Literatur  über  das  Handwerkswesen  be- 
ginnt mit  dem  Ende  des  17.  Jahrhunderts,  wird  wesentlich  ge- 
fördert durch  Beyer  und  zu  einem  weitschweifigen  Systema 
jurisprudentiae  opificiariae  von  Struve  verarbeitet  (1738).  Unter 
den  späteren  Schriftstellern  sind  vor  allem  Fricke  und  Weisser 
sowie  Ortloff  (Corpus  juris  opificiarii  1820)  zu  nennen.  Auch 
in  dem  Werk  Struves  nimmt  der  Werkvertrag  einen  verhältnis- 
mässig geringen  Raum  ein.  Im  3 Buch  des  III.  Bandes  cap.  4 
ist  die  loc.  cond.  abgehandelt.  Die  Unterscheidung  zwischen 
loc.  cond.  operis  und  loc.  cond.  Operarum  wird  in  rümischrecht- 
liclier  Fassung  vorgetragen.  Das  Recht  des  Hausherrn  des 
Unternehmers,  auf  das  Werk  Arrest  zu  legen,  wird  als  nach 
lübischem  Rechte  zulässig  erwähnt.  Weiterhin  werden  die  im 
Freiburger  Stadtrecht  und  der  hiezu  gehörigen  Gruppe  von 
Rechten  aufgcstellten  Bestimmungen  vorgetragen,  bei  der  Be- 
sprechung der  custodia  wird  eine  Entscheidung  des  Leipziger 
Schöffenstuhls  mitgeteilt,  nach  der  ein  Schneider,  dem  bei  Nacht 
Gewand  mit  seinen  eigenen  Sachen  gestohlen  worden  ist,  es 
bezahlen  muss,  es  sei  denn,  dass  er  beweisen  kann,  dass  er 
sein  Haus  und  Stuben  recht  verwahrt  hat.  und  dass  ihm  keine 
Verwahrlosung  zugerechnet  werden  kann.  Nur  wenn  er  nach- 


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weist,  dass  die  Fenster  erbrochen  worden  sind,  ist  er  von  der 
Zahlung  schlechthin  befreit.  Der  frühere  Rechtssatz,  dass  der 
Mitverlust  eigener  Sachen  des  Unternehmers  ein  genügender 
Nachweis  der  erforderlichen  Sorgfalt  sei,  ist  also  verlassen. 
Die  Vorschriften  über  die  Gefahr  sind  dem  römischen  Recht 
entnommen.  Im  übrigen  wird  das  speziell  gewerbliche  Recht 
über  die  Fristsetzung  durch  die  Älterleute,  das  Verbot,  dem 
Schuldner  eines  Zunftgenossen  zu  arbeiten,  das  Truckverbot, 
ausführlich  vorgetragen , und  es  zeigt  sich , dass  sich  hier  die 
mittelalterlichen  Verhältnisse  nicht  geändert  haben.  Unter  den 
privilegia  opiflcum  wird  dann  des  langem  das  Retentionsrecht 
des  Unternehmers,  und  seine  Stellung  im  Konkurse  des  Be- 
stellers besprochen  (Buch  IV  cap.  3). 

5. 

Es  ist  schon  erwähnt  worden,  dass  das  römische  Recht 
vor  allem  in  der  Lehre  vom  casus  und  der  Unmöglichkeit  der 
Leistung,  sowie  der  culpa  aufgenommen  wurde.  Verschiedene 
Auffassungen  traten  wesentlich  nur  bei  der  Behandlung  der 
Frage  auf,  inwieweit  dem  Lohnanspruch  des  Werkvertragunter- 
nehmers eine  besonders  günstige  Stellung,  vor  allem  im  Kon- 
kurse des  Bestellers,  einzuräumeu  sei. 

a)  Das  Recht  des  Arbeiters,  die  verarbeitete  Sache  bis  zur 
Zahlung  des  Entgelts  durch  den  Besteller  zurückzubehalten, 
hat  sich  im  bayrischen  und  lübischen  Recht  erhalten,  aber  auch 
im  Gebiete  des  gemeinen  Rechts  auf  Grund  des  römischen 
Rechts  gegolten.  Das  bayrische  Recht  von  1616  behandelt  es, 
wie  schon  erwähnt,  als  stillschweigendes  Pfandrecht  und  steht 
damit  völlig  allein.  Diese  Konstruktion  wird  ausdrücklich  ab- 
gelehnt von  Struve  und  Mevius.  Jener  führt  das  Retentions- 
recht unter  den  beneficia  juris  opiflcum  auf: 

reliquiae  quaedam  pristini  juris  remanserunt  quatenus 
scilicet  illnd  in  ratione  aequitatis  naturali  aut  civili  qua- 
dam  regula  continetur  (I.  Bd.  4.  Buch  cap.  3). 

Mevius  begründet  es  schon  römischrechtlich: 

. . . aequiparantur  enim  operae  iis  impensis  quae  in  rem 
necessario  et  utiliter  impenduntur  (Comment.  ad  jus  Lu- 
biceuse  III  7 Art.  15). 


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Übereinstimmend  ß.  G.  Lindlieimer,  De  jure  mercedis  opificum 
in  concursu  creditorum  (Diss.  Göttingen  1753)  § 5.  A.  v.  Leyser, 
Meditat.  ad  Pand.  (1776)  spec.  CCXIX,  Voet,  Comment.  ad 
Pand.  I.  Bd.  (1734)  XIX  2 Nr.  40,  wo  hinsichtlich  des  Zurück- 
behaltungsrechts des  Schiffers  auf  Grotius  verwieseu  wird; 
ferner  für  den  Fall  des  Konkurses  des  Bestellers  G.  L.  Böhmer, 
Electa  juris  civilis  (Göttingen  1747)  I.  Bd.  exercitatio  XII  § 5 
unter  Berufung  auf  die  übereinstimmende  Ansicht  von  Lauter- 
bach, Coler,  Gayl  und  Carpzov. 

Das  Zurückbehaltungsrecht  ist  anerkannt  in  dem  Hohen- 
loheschen  Landrecht  von  1732,  nach  dessen  Gant prozess  der 
Handwerker  in  die  I.  Klasse  gehört,  wenn  er  das  Werk  noch 
in  Händen  hat,  also  das  Retentionsrecht  gebrauchen  kann 
(VI  Tit.  11).  Ebenso  die  Konkursordnung  für  die  Gemeinherr- 
schaft Breuberg  und  die  sämtlichen  Fürstlich  Löwensteinschen 
Lande  von  1805. 

b)  Im  Zusammenhang  hiermit  steht  die  Sicherung  der 
Forderungen  der  Bauhandwerker  auf  Grund  von  Werkverträgen. 
Unbestritten  war,  dass  derjenige,  der  Geld  zur  Erbauung  eines 
Hauses  hergeliehen  hatte,  zur  Sicherung  seiner  Forderung  eine 
tacita  hypotheca  an  dem  Hause  besass  (Edictum  divi  Marci). 
Die  Nürnberger  Reform,  von  1564  II  22  gestand  dem  Gläubiger 
den  Vorrang  im  Konkurse  zu: 

So  ainer  dem  andern  zu  erpawung  pesserung  und  er- 
haltung  ains  hauss  odern  andern  gnts  fürstreckung  geton 
und  bewisen  worde,  das  es  ain  notdurft  gewest  und  sein 
dargelihen  gelt  oder  anders  dahin  gewendet  worden  were 
so  soll  jme  umb  solche  seine  darstreckung  vor  andern 
gloubigern  verholffen  werden. 

Nach  dieser  Stelle  ist  es  vielleicht  zulässig,  anzunehmen,  dass 
auch  die  Materiallieferung  privilegiert  war,  aber  die  reine 
Lohnforderung  fiel  kaum  hierunter.  Dagegen  wird  nach  der 
Hamburger  Gerichtsordnung  von  1603  II  5 Art.  9 dem  Hand- 
werker, der  Arbeit  zur  notwendigen  Erbauung  von  des  Schuld- 
ners Haus,  Schiff  u.  dgl.  angewandt,  vor  allen  andern 
Gläubigern  an  dem  Hause  „der  Vorzug  gegönnt“.  Wir  haben 
hier  eine  den  Forderungen  der  Billigkeit  durchaus  entsprechende, 
selbständige  Rechtsbildung.  Immerhin  ist  diese  Erscheinung 


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129 


vereinzelt.  In  den  übrigen  Rechten  scheint  man  nicht  so  weit 
gegangen  zu  sein.  Vgl.  Württemberg.  Landr.  von  1567  S.  CCIX 
de  taeitis  hypothecis  und  über  die  Praxis,  die  nur  die  Material- 
lieferung dem  Darlehen  gleichstellte,  C.  C.  Dabelow,  Lehre, 
vom  Konkurse  der  Gläubiger  1801  S.  616. 

Pufendorf  (observationes  juris  universi  tora.  II,  observ. 
CLXX)  trat  dafür  ein,  dass  der  Arbeiter  mit  seinem  Lohnan- 
spruch dem  Darlehensgeber  gleichgestellt  werde,  denn  es  komme 
auf  die  causa  an,  nicht  auf  die  materia.  Ebenso  Ortwin 
Westenberg  (Dissert. ),  ferner  Beuther,  de  jure  praelationis 
creditorum  I 29,  der  denjenigen,  die  nur  operae  creditiert  haben, 
eine  tacita  hypotheca  einräumt,  und  Ginelin,  Ordnung  der 
Gläubiger  eap.  3 § 3.  Leyser,  medit.  ad  Pand.  spec.  LXVII 
med.  1 gesteht  dem  Lohnanspruch  dann  eine  tacita  hypotheca 
zu,  wenn  der  mit  der  Arbeit  verbundene  Vorteil  nicht  einer 
einzelnen  Person  zugute  kommt,  sondern  mit  der  Sache  selbst 
auf  jeden  andern  Erwerber  übergeht.  Dagegen  bleiben  auf 
dem  Boden  des  römischen  Rechts  stehen : Orth  in  seinen  An- 
merkungen zur  Reformation  der  Stadt  Frankfurt  a.  M.  5 Bde. 
1731  ff.  II  S.  451  und  708 ff.,  der  ausführlich  den  ganzen  Stand 
der  Streitfrage  in  Rechtsprechung  und  Lehre  darstellt,  Lind- 
heimer  in  der  oben  angeführten  Schrift  §§  9 ff.,  § 17  unter  Be- 
rufung auf  Rechtsgutachten  von  Leipzig,  Halle,  Rinteln  und 
Tübingen;  Georg  Ludw.  Böhmer,  Electa  jur  civ.  exercit.  XII 
de  jure  mercedis  opificum  in  concursu  creditorum  §§  17,  18,  so- 
wie eine  oberrichterliche  Entscheidung  von  1817  zu  Teil  I 
Titel  7 des  Katznelnbogenschen  Landrechts  (Bopp,  Beitr.  zum 
Verständn.  der  4 mittelrhein.  Landr.  1854).  Struve  schliesslich 
verneint  die  tacita  hypotheca  wegen  Fehlens  eines  Gesetzes, 
gesteht  jedoch  der  Forderung  des  Unternehmers  ein  Verzugs- 
recht im  Konkurse  zu  (IV  cap.  3 Z.  9). 

c)  Was  nun  die  Stellung  des  Werkunternehmers  mit  seinem 
Lohnanspruche  schlechthin  im  Konkurse  des  Bestellers  anlangt, 
so  ist  davon  auszugehen,  dass  der  lidlon  auch  im  Konkursrechte 
der  Neuzeit  eine  begünstigte  Stellung  insofern  einnimmt,  als  er 
gewöhnlich  in  der  I.  Klasse  der  Gläubigeransprüche  zum  Zuge 
kommt.  Vgl.  Stobbe,  Gesell,  des  Konkursproz.  S.  91 ; Wyss, 
Gesell,  des  Konkursproz.  S.  107  ff. ; Heusler,  Bildung  des  Kon- 

Hothen  b u ober,  Werk  vortrat;  ^ 


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130 

karsproz.  nach  schweizerischen  Rechten  (Zeitschr.  f.  schweizer. 
Recht  7.  Bd.  1858)  S.  193 ff. ; Hertz,  Rechts verh.  des  freien 
Gesindes  S.  91.  Es  wurde  schon  früher  erwähnt,  dass  vor 
allem  nach  Schweizerischen  Rechten  diese  Stellung  des  lidlons 
auch  den  Forderungen  verschiedener  Handwerkerklassen  ein- 
geräumt wurde.  Vgl.  Heusler  S.  196,  197;  Wyss  S.  107 — 112. 

Auch  hier  nun  zeigt  das  Hamburger  Recht  von  1603  eine 
besonders  hohe  Wertschätzung  der  Arbeit,  es  privilegiert  den 
Lohn  für  die  Arbeit.  II  5 Art.  9.  Es  heisst  in  den  Anmer- 
kungen hierzu:  Färberlohn  ist  in  den  dazu  getanen  Farben 
ein  gemeines  creditum,  und  nur  soviel  die  Arbeit  sich  beläuft, 
eine  privilegierte  Schuldforderung.  Mit  dieser  Auffassung  stimmt 
überein  die  bei  Wyss  S.  114  mitgeteilte  Bemerkung  des  Stadt- 
richters Escher  am  Ende  des  17.  Jahrh.:  „Schuhmacher-  und 
Goldschmiedarbeit  ist  eigentlich  nur  Lidlohn,  soviel  ihre  Arbeit 
daran  ist,  ausser  es  sei  eine  geringe  Anforderung“.  Das  Hohen- 
lohesche  Landrecht  von  1732  VI  11  Nr.  13  Gantprozess  setzt 
in  die  I.  Klasse  der  Gläubiger  „die  Schmiede,  Wagner,  Sattler, 
Seiler,  auf  die  letzten  2 Jahre  vor  dem  Konkurs  noch  unbezahlte 
Arbeit  und  hergegebene  Sachen,  so  zu  dem  Feld-  oder  Wein- 
bergsbau nötig  gewesen  und  angewendet  worden“.  Hier  sind 
die  nämlichen  Handwerkerklassen,  wie  im  Zürcher  Recht  ge- 
troffen, und  ebenfalls  die  Forderungen  auf  Grund  Werk- 
vertrags und  Kaufs  nicht  unterschieden.  In  die  III.  Klasse 
stellt  den  Arbeitslohn  und  die  Handwerksschulden  das  Rhein- 
gräfliche Landrecht  von  1754  (Maurenbrecher  S.  273  ff.).  Eben- 
so nach  Lindheimer  a.  a.  0.  § 15  das  Oberpfälzer  Landrecht 
tit.  2 a.  7. 

Dagegen  ist  in  der  Mehrzahl  der  Rechte  der  lidlon  auf 
das  Gesinde  beschränkt,  in  einigen  höchstens  noch  auf  die 
Tagelöhner  und  gebrödeten  Dienstleute  ausgedehnt.  Für  den 
Werkunternehmer  ist  kein  Raum.  Nürnberger  Reform,  von 
1564  XI  7,  XXII  89.  Frankfurter  Reform.  I 49  § 2.  Nassau- 
ische  Landesordnung  von  1616  XVI.  Hatzfeld- Wildenburg. 
Landr.  von  1607  I 18  (Maurenbrecher  II  361).  Kur-Trierisches 
Landr.  von  1668  ref.  1713  (ebd.  II  48  ff.)  tit.  13  §9.  Konkurs- 
ordnung der  Gemeinherrschaft  Breuberg  von  1805  (in  der  4. 
Klasse).  Des  Kaiserlichen  Hochstifts  Bamberg  Landrecht  (1769) 


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131 


II  3.  Codex  Bavar.  judic.  tit.  20  § 4 lässt  das  lidlon-Privileg 
den  Handwerker  geniessen,  der  in  der  Wohnung  des  Schuldners 
und  in  dessen  Kost  arbeitet.  In  Basel  wurde  1648  die  Privi- 
legierung der  Handwerker  abgeschafft.  (Heusler  S.  197  ff.  Dar- 
stellung des  Konkursrechts  durch  Dr.  Fäsch,  abgedr.  in  den 
Rechtsquellen  von  Basel  I 635,  sowie  Gerichtsordnung  von 
1719  ebd.  S.  805.) 

In  den  meisten  der  angeführten  Rechte  ist  der  Anspruch 
des  Arztes  auf  Bezahlung  des  Honorars  für  Behandlung  in  der 
letzten  Krankheit  des  Gemeinschuldners  privilegiert  (vgl.  auch 
Stobbe  S.  95). 

Die  Rechtslehre  verhält  sich  ablehnend  gegen  die  Privi- 
legierung des  Werkunternehmers.  Böhmer  stellt  den  Anspruch 
aus  loc.  cond.  operis  und  operarum  unter  die  chirographarii 
(§  6).  Das  Vorrecht  des  Lidions  gesteht  er  nur  den  Arbeitern 
und  Werkmeistern  in  der  Hausgemeinschaft  des  Schuldners  zu 
(§  15).  Ebenso  Lindheimer  (§§  6,  15)  unter  Berufung  auf  eine 
bei  Carpzov  angeführte  Entscheidung.  Carpzov  (Defiuitioues 
forenses  1669  I 28  def.  24  ff.)  setzt  an  die  4.  Rangstelle  die 
gebrödeten  Diener  non  autem  operarii , vel  opifices.  Weisser 
(XI.  Abschn.)  stellt  darauf  ab,  dass  die  Handwerker  in  der 
Kost  des  Bestellers  arbeiten.  Dabelow  (S.  602)  verneint  aus- 
drücklich die  Gleichstellung  von  Handwerkerschulden  und  Lid- 
Ion  und  erwähnt  nur  (S.  638),  dass  diese  nach  einigen  Rechts- 
lehreru  in  die  4.  Klasse  zu  setzen  seien,  ebenso  wie  die  Arzte 
mit  ihrem  Honoraranspruch. 

Bei  diesem  Überblick  zeigt  sich,  dass,  soweit  überhaupt 
eine  Privilegierung  des  Entgelts  des  Werkunternehmers  statt- 
fand, sie  nicht  als  solche  statuiert  wurde,  dass  vielmehr  die 
Forderung  aus  dem  Arbeitsvertrag  als  solchem  begünstigt 
werden  sollte,  und  dass  gewisse  Klassen  der  arbeitenden  Be- 
völkerung eines  Vorrechts  teilhaftig  werden  sollten. 

6. 

Seit  der  Rezeption  hat  zwar  eine  theoretische  Behandlung 
des  Werkvertrags  eingesetzt,  aber  sie  ist  wesentlich  im  An- 
schlüsse an  das  römische  Recht  erfolgt.  Die  Werkverdingung 
wurde  gemäss  der  Anordnung  der  Pandekten  unter  den  Begriff 
der  Miete,  und  zwar  der  Miete  im  römischen  Sinn  gestellt. 

s>* 


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132 


Die  Rechtslehre,  wie  die  Gesetzgebung  haben  bis  zum  Ende 
des  18.  Jabrh.  die  Eigenart  des  Arbeitsvertrags  als  solchen 
nicht  gewürdigt  und  nicht  erkannt,  dass  nur  die  besondere  ge- 
schichtliche Entwicklung  in  Rom  die  Werkverdingung  mit  dem 
Tatbestand  der  Sachmiete  in  dogmatischen  Zusammenhang  ge- 
bracht hat.  In  dogmatischer  Hinsicht  hat  erst  das  Preussische 
Landrecht  (I  11  §§  925 — 980)  dem  Werkvertrag  die  richtige 
Stellung  zugewiesen,  indem  es  ihn  unter  die  Verträge  über 
Handlungen  einreihte.  Damit  ist  die  alte,  gemeinrechtliche 
locatio  conductio  aufgegeben.  Ihm  ist  das  österreichische 
bürgerliche  Gesetzbuch  gefolgt,  das  den  Werkvertrag  mit  dem 
Dienstvertrag  unter  den  Begriff  des  Lohnvertrags  zusammen- 
fasst, ferner  das  Schweizerische  Obligationenrecht,  das  Sächsische 
Bürgerliche  Gesetzbuch  und  das  Bürgerliche  Gesetzbuch  des 
Deutschen  Reichs.  Man  darf  sagen,  dass  erst  mit  dem  Preussi- 
schen  Allgemeinen  Landrecht  sich  das  heimische  Recht  in  dog- 
matischer Beziehung  von  dem  römischen  Recht  emanzipiert  hat. 

Sicherlich  ist  dies  auf  die  naturrechtlichen  Anschauungen 
zurückzuführen,  die  im  18.  Jabrh.  neben  dem  gemeinen  Recht 
oder  gegen  es  sich  geltend  machten,  und  die  sich  gegen  die 
nicht  verständliche  Konstruktion  der  Sachmiete  auflehnten.  Es 
ist  dargelegt  worden,  dass  diese  naturrechtliche  Auffassuug 
auch  auf  das  materielle  Recht  Einfluss  hatte.  Auch  dies  zeigt 
sich  in  der  Behandlung  der  Werkverdingung  zunächst  im 
Preussischen  Landrecht,  dann  aber  auch  im  Code  civil,  der 
zwar  die  Werkverdingung  unter  der  Überschrift  der  Miete  be- 
handelt, aber  sie  materiellrechtlich  durchaus  ihrer  Besonderheit 
entsprechend  gestaltet.  Mau  ging  bei  der  Abfassung  dieser 
Gesetzbücher  davon  aus,  den  wirtschaftlichen  Verhältnissen 
entsprechende  Rechtssätze  aufzustellen,  griff  dabei  vielfach  auf 
die  von  der  gemeinrechtlichen  Lehre  ausgebildeten  Normen 
zurück,  und  suchte  von  dem  schon  in  der  Literatur  vielfach 
hervorgehobeneu  Gesichtspunkt  der  Billigkeit  aus,  die  einzelnen 
Fragen  zu  regeln.  Es  kann  nicht  davon  gesprochen  werden, 
dass  die  neueren  Gesetzgebungen  das  alte  deutsche  Recht  be- 
rücksichtigt hätten,  vielmehr  waren  die  Gedanken  ausschlag- 
gebend, die  sich  in  der  Literatur  und  Gesetzgebung  der  vor- 
ausgehenden Zeit  entwickelt  hatten. 


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133 

Vollkommen  einheitliche  Anschauungen  über  den  Werkver- 
trag haben  sich  übrigens  auch  in  neuerer  Zeit  nicht  entwickelt. 
So  kann  nach  dem  Preussischen  Allgemeinen  Landrecht,  wie 
wenigstens  die  herrschende  Meinung  lehrt,  und  nach  code  civil 
nur  ein  materielles  Werk  Gegenstand  der  Werkverdingung  sein, 
während  nach  Österreichischem  und  Deutschem  Bürgerlichen 
Gesetzbuch  auch  geistige  Erfolge  hierher  gehören.  Nach 
Preussischem  Landrecht  kann  nur  ein  Werkverständiger  einen 
Werkvertrag  abschliessen.  Dagegen  ist  überall  in  der  Neuzeit 
die  römische  Unterscheidung  der  operae  liberales  und  illiberales 
aufgegeben  worden,  und  wir  sind  daher  zu  der  Anschauung 
zurückgekehrt,  die  bereits  vor  der  Rezeption  in  Deutschland 
herrschte. 

Die  neuere  Rechtsentwicklung  hat  weiterhin  zu  einer  aus- 
giebigen Spezialisierung  des  Werkvertrags  geführt.  Die  Ver- 
träge des  Handelsgesetzbuchs,  der  Kommissions-,  Speditious-, 
Frachtvertrag  gehen  ihre  eigenen  Wege.  Der  Verlags  vertrag, 
der  Mäklervertrag,  der  Vertrag  mit  dem  Arzte  und  mit  dem 
Advokaten  wird  gesondert  behandelt.  Das  Preussische  Land- 
recht hat  nicht  mit  Unrecht  den  Bauunternehmervertrag  ge- 
sondert berücksichtigt. 

Ich  komme  zu  dem  Ergebnis:  Das  deutsche  Recht  hat 
selbständig  ein  Werkvertragsrecht  entwickelt,  dessen  Sätze  auch 
nach  der  Rezeption  des  fremden  Rechts  in  verschiedenem  Um- 
fang in  einzelnen  Rechtsgebieten  fortgegolten  haben.  Seit  dem 
16.  Jahrli.  werden  von  Gesetzgebung  und  Rechtslehre  die  im 
corpus  juris  enthaltenen  Normen  weiterentwickelt,  wobei  die 
naturrechtliche  Anschauungsweise,  die  von  „Vernuuft“  und 
„Billigkeit“  ausgeht,  von  Einfluss  ist.  Auf  diesem  Boden  stehen 
die  Gesetzgebungen  der  letzten  150  Jahre.  Sie  suchen  in  Fort- 
bildung jener  Ergebnisse  das  Vertragsrecht  in  einer  den  wirt- 
schaftlichen Bedürfnissen  der  Parteien  entsprechenden  Weise 
zu  regeln.  Sie  sind  das  Werk  selbständiger  Gedankenarbeit; 
sie  setzen  nicht  das  alte  Recht  fort,  aber  eröffnen  auf  eigener 
Grundlage  eine  neue  Periode  des  Rechts  des  deutschen  Volks. 


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Verlag  von  M.  & II.  Mamis  in  Breslau,  Kaiser -Wilhelmstr.  8 


Festgabe  für  Felis  Dahn 

zu  seinem  50jährigen  Doktorjubiläam 

gewidmet  von  gegenwärtigen  und  früheren  Angehörigen  der 
Breslauer  juristischen  Fakultät 

I.  Deutsche  Rechtsgeschichte 

10  Mark  

Beyerle,  Konrad:  Ergebnisse  einer  alamannischcn  Urbarforschung  2. — M. 

Brie,  Siegfried:  Die  Stellung  der  deutschen  Kechtsgelehrtcn  der  Rezeptions- 
zeit zum  Gewohnheitsrecht  1,20  M. 

Hedemann,  Justus  Wilhelm:  Die  Fürsorge  des  Gutsherrn  für  sein  Gesinde 
(Brandenburgiscli-Preussische  Geschichte) 1,60  M. 

Nacndrup,  Hubert:  Oogmengeschichtc  der  Arten  mittelalterlicher  Ehren- 
minderungen   : 5, — M. 

Schultze,  Alfred:  Gerüfte  und  Marktkauf  in  Beziehung  zur  Fahrnisvcr- 
folgnng 2. — M. 

II.  Römische  Rechtsgeschichte 

3 Mark  

Kleineidam,  Feodor:  Beiträge  zur  Kenntnis  der  lex  I’oetelia  1, — M. 

Klingmüller,  Fritz:  Uber  Klagenverjährung  und  deren  Wirkung  1,—  M. 

Leonhard,  Rudolf:  Die  Replik  des  Prozessgewinns  (rcplica  rei  secundum 
me  judicatac),  ein  Beitrag  zur  Lehre  voll  den  beiden  Funktionen  der 
exceptio  rei  judicatae 1,20  M. 

III.  Recht  der  Gegenwart 

9 Mark  

Beling,  Ernst:  Die  Beschimpfung  von  Religionsgescllschaften . religiösen 
Einrichtungen  und  Gebräuchen,  und  die  Reformbedürftigkeit  des  § 166 
StGB 1,20  M, 

Fischer,  Otto:  Vollstreckbarkeit 1,80  M. 

Gretener,  Xaver:  Die  Reiigionsverbrechen  im  Strafgesetzbuch  für  Russland 
vom  Jahre  1903 1, — M. 

Heymann,  Ernst:  Die  dingliche  Wirkung  der  handelsrechtlichen  Traditions- 
papiere (Konnossement,  Ladeschein,  Lagerschein) 3.20  M. 

Jacobi,  Ernst:  Die  Pflicht  zur  Berufung  der  Generalversammlung  einer 
Aktiengesellschaft 0,80  M. 

Meyer,  Herbert:  Die  rechtliche  Natur  der  nur  scheinbaren  Bestandteile 
eines  Grundstücks  (§  95  BGB.) 1, — M. 

Schott,  Richard:  Über  Veräusserungsverbotc  und  Resolutivbedingungen  im 

bürgerlichen  Recht  ...  1,20  M. 


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Zur  Rechtsstellung  der  Gäste 
im  mittelalterlichen  städtischen  Prozess 

von 

Dr.  jur.  Hermann  Kn  der  ff 


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Untersuchungen 

zur 

Deutschen  Staats-  und  Rechtsgeschichte 

herausgegeben 

von 

Dr.  Otto  Gierke 

Professor  der  Rechte  an  der  Universität  Berlin 

88.  Heft 

Zur  Rechtsstellung  der  Gäste 
im  mittelalterlichen  städtischen  Prozess 

Vorzugsweise  nach  norddeutschen  Quellen 

VOll 

Dr.  jur.  Hermann  Rudorff 


Breslau 

Verlag  von  M.  & II.  Marcus 
1907 


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Zur  Rechtsstellung  der  Gäste 
im  mittelalterlichen  städtischen 

Prozess 


Vorzugsweise  nach  norddeutschen  Quellen 


Dr.  jur.  Hermann  Rudorff 


Breslau 

Verlag  von  M.  & H.  Marcus 
1907 


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Herrn  Professor  Dr.  Karl  Zeumer 

in  dankbarer  Ergebenheit 


Der  Verfasser 


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Inhaltsübersicht 


Seite 

Erstes  Kapitel.  Börger,  Mitwobner  und  Gast 1—24 

Die  pruze.ssualen  Vorschriften,  der  juristisch  interessanteste  Bestand- 
teil des  Gästercckts.  Kntstanden  und  zu  behandeln  vor  allem  für 
außerhalb,  aber  auch  für  in  der  Stadt  gesessene  Gäste.  Notwendigkeit 
einer  Feststellung  des  Gastbegriffs. 

I.  Die  Bürger.  l'rsprünglich  lediglich  städtischer  Grundbesitz 
und  allgemeiner  Gerichtsstand  mindestens  vor  einem  StadtschulthciUeii 
erforderlich:  Möglichkeit  eines  zweiten  allgemeinen  Gerichtsstandes 
vor  auswärtigem  Grundherrn.  Später  Aufnahme  in  das  Bürgerrecht 
notwendig. 

II.  Die  Mitwohncr.  Mangels  Grundbesitz  oder  Aufnahme  nicht 
Bürger,  aber  auch  nicht  lediglich  Gäste.  — 1.  a)  Dauerndes  und  wirt- 

. , scliaftlich  selbständiges  Wohnen  in  der  Stadt,  b)  Verpflichtung  zu 
städtischen  (direkten)  Steuern  und  Diensten,  c)  Befreiung  \°n 
gaben,  die  Gästen  obliegen,  d)  Allgemeiner  Gerichtsstand  gemein- 
schaftlich mit  den  Vollbürgern.  — 2.  l)uellenmällige  Bezeichnung, 
n)  Positiv  (-angesessene  und  Mitwobner,  negativ  Leute,  die  >n  ,l"r 
Stadt  wohnen,  aber  nieht  Bürger  sind.  Zuweilen  Bezeichnung 
t * Bürger,  b)  Ausdrücklicher  Gegensatz  zn  in  und  außerhalb  der  Stadt 
wohnhaften  Gästen,  c)  Bezeichnung  als  .Gast"  seltene  Ausnahme. 

III.  Die  Gäste.  1.  Gäste,  die  in  der  Stadt  wohnen.  Meist  nach 
ihrem  Stande  bezeichnet.  Grundsätzlich  nicht  dein  Stadtgericht  und 
den  städtischen  Lasten  unterworfen.  — 2.  n)  Gäste,  die  außerhalb  des 
Stadtgerichts-  (Stadtgemeinde-)  Bezirks  wohnen.  Vorzugsweise  als 
„(fremde)  Gäste*  bezeichnet,  c)  Nicht  den  städtischen  Lasten,  aber 
dein  Zoll  unterworfen,  c)  Stadtgericht  nur  bei  V erliegen  besonderen 
Gerichtsstandes  zuständig.  Prozessuales  Verfahren,  im  Wesentlichen 
ohne  Biicksicht  auf  Kntfernung  des  Wohnsitzes  cl**s  LJastus  und  nach 
dein  Keeht  des  Prozcllorts  gchandliakt,  grundsätzlich  nicht  von  dem 
des  gewöhnlichen  bürgerlichen  Prozesses  unterschieden. 


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VIII 


Zweites  Kapitel.  Yaro,  Elcndenoid  und  prozessuale  Stellvertretung  25 — 37 

Existenz  von  prozessualen  Ausnahmevorschriften  teils  zu  Gunsten, 
teils  zu  Ungunsten  der  Gäste.  Abgesehen  von  den  Sondergebieten 
der  folgenden  Kapitel  zu  nennen: 

I.  Vorschriften  ausschließlich  für  Gäste  über  Fristen.  Ge- 
bühren. Rfigebefugnisse. 

II.  Vorschriften  allgemeinerer  Natur.  — 1.  Hegeln  über  die 
Reseitiguug  der  Varo  beim  l’nsehuldseid  und  im  Verfahren  überhaupt. 

— 2.  Regeln  über  den  Elendencid.  — 3.  Regeln,  denen  zufolge  ge- 
wisse Prozeßhandlungcn  durch  I »ritte  wahrgenommon  werden  dürfen. 
Klagerhebung  von  Amtswegen  bei  Ungerichten.  Fürsprecher.  Eigent- 
liche prozessuale  Stellvertretung. 

Drittes  Kapitel.  Vom  Gerichtsstände 37 — 80 

I.  Allgemeines.  Allgemeiner  Gerichtsstand  des  Geklagten  das 
lbrum  domicilii.  Für  das  Gästerecht  bedeutsamer  die  besonderen  fora 
contractns  und  delicti  commissi.  Seil  12.  Jahrhundert  Verwirrung 
der  Gerichtsstandsverhältnisse  infolge  schrankenlosen  1‘latzgreifcns  der 
fora  nrrcsti  und  deprehensionis.  — 1.  Justizweigerung  und  Justizvor- 
zügerung  infolge  Schwächung  der  kaiserlichen  Gewalt.  Daher  zwie- 
faches Streben  der  Städte,  a)  Entscheidung  aller  Prozesse,  in  denen 
Riirger  Reklagte.  durch  heimisches  Stadtgericht.  Aufhebung  nicht 
nur  allgemeiner,  sondern  namentlich  besonderer  Gerichtsstände  durch 
ilie  Evokationsprivilegien  späterer  Zeit,  b)  Entscheidung  aller  Pro- 
zesse, in  denen  Riirger  Kläger.  Gäste  Heklagtc,  durch  heimisches 
Stadtgericht.  Rcgriindung  des  Gerichtsstandes  zunächst  durch  Fest- 
halten von  Person  oder  Gut  des  in  der  Stadt  belindliehen  Gastes. 
Später  das  Stadtgericht,  für  Klagen  von  Rürgcrn  gegen  die  in  seinem 
Rezirk  anwesenden  Gäste  auch  ohne  jene  Voraussetzung  zuständig. 
Schließlich  das  Stadtgericht  auch  unbedingt  für  Klagen  von  Gästen 
unter  einander  zuständig.  — 2.  Die  genannten  Restrebnngen  der 
Städte  durch  andere  Vorschriften  abgeschwächt,  a,  Verbot  von  Pro- 
zessen unter  Rürgcrn  derselben  Stadt  im  auswärtigen  Gericht, 
b)  Innerhalb  der  Territorien  Einschränkung  der  städtischen  Gerichts- 
barkeit über  Ministerialen  sowie  hörige  und  unfreie  Bauern. 

II.  Die  besonderen  Gerichtsstände.  — 1.  Klagen  um  Schuld, 
a)  Im  sächsischen  I.nndrecht  allgemeine  Geltung  des  forutn  contractns 
und  der  Evokation  dorthin.  Ebenso  ursprünglich  das  Stadtrecht. 
Später  nur  territorial  und  sachlich  begrenzte  Geltung  des  städtischen 
forum  contractns.  Verfahren  bei  der  Evokation,  b)  Im  älteren  Land- 
recht  kein  forum  arrcsti.  Im  Stadtrecht  seit  dem  12.  Jahrhundert 
zunächst  Rcfughis  der  Riirger  die  Person  des  Gastes  festzuhalten, 
später  auch,  trotz,  kaiserlicher  Verbote,  entsprechendes  Recht  gegen- 
über (lern  Gut  des  Gastes.  Retähigung  der  Gäste  zu  gegenseitigem 


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IX 

Arrest  (und  zwar  sogar  Repressalienarrest),  auch  wegen  außerhalb 
kontrahierter  Schuld.  Schließlich  unbedingte  Pflicht  des  anwesenden 
Gastes  im  auswärtigen  Gericht  zur  Hauptsache  zu  verhandeln,  lediglich 
auf  Ladung  eines  Bürgers  oder  Gastes,  ohne  vorangegangene  Besetzung. 
Einschränkung  dieses  fornm  arresti  durch  Verträge  und  namentlich  zu 
Gunsten  der  Ministerialen  und  Bauern  des  Territoriums  durch  Pri- 
vilegien. — 2.  Klagen  um  Gut.  a)  Klagen  um  bewegliches  Gut.  Bei 
Anefang  Zuständigkeit  des  Gerichts,  in  dessen  Bezirk  der  Anofang 
stattfindet.  Bei  schlichter  Klage  Zuständigkeit  des  forum  domicilii 
des  Gastes  oder  des  Gerichts,  in  dessen  Bezirk  der  Gast  zufällig  an- 
getroffen  wird,  b)  Klagen  um  unbewegliches  Gut.  Trotz  Evokations- 
pririlegien  ausschließliche  Zuständigkeit  des  forum  rei  sitae.  Bei 
Klagen  wegen  einer  gegen  Grundstücke  gerichteten  strafbaren  Hand- 
lung Zuständigkeit  des  forum  delicti  commissi  oder  deprehensionis.  — 

3.  Klagen  um  Ungericht  und  Frevel,  a)  Fomm  delicti  commissi  und 
Evokation  dorthin  das  Ursprüngliche.  So  das  sächsische  Landrecht. 
Ebenso  das  Stadtrecht,  b)  Später  infolge  der  Evokationsprivilegien 
steigende  Bedeutung  des  forum  domicilii  des  Beklagten,  c)  Daneben 
Erscheinungsformen  des  forum  deprehensionis,  ohne  und  mit  Fest- 
halten des  beschuldigten  Gastes.  a.  Gericht  des  klägerischen 
Domizils,  sobald  der  schuldige  Gast  daselbst  erscheint,  ß.  Dasselbe 
Gericht  mit  Rücksicht  auf  zukünftiges  Erscheinen,  selbst  wenn  der 
Gast  tatsächlich  nicht  erscheint.  7.  Das  Gericht,  in  dem  der  verletzte 
den  schuldigen  Gast  zufällig  trifft,  ausnahmsweise  sogar  das  Gericht, 
in  dem  cs  einem  Gast  beliebt  gegen  abwesende  Gäste  Klage  zu  er- 
heben. Das  forum  deprehensionis  auch  sonst  Privilegierten  gegen- 
über wirksam.  — 4.  Gerichtsstand  der  Widerklage.  Wirksamkeit 
namentlich  bei  Prozessen  zwischen  Gästen  und  Bürgern,  insofern 
erstere  als  Kläger  für  sofortige  Antwort  Sicherheit  leisten  müssen. 

Viertes  Kapitel.  Personal-  und  Sacharrest 86—110 

I.  Zulässigkeit  und  Zweck  des  Arrests.  Angreifen  von 
Person  und  Gut  des  Schuldners  grundsätzlich  erst  nach  gerichtlicher 
Feststellung  seiner  Schuld  zulässig.  Umgekehrte  Reihenfolge  besonders 
häufig  bei  Prozessen  aller  Art  gegen  Gäste.  — 1.  a)  Klagen  um  Un- 
gericht und  Frevel.  Festhalten  der  Person  des  Gastes  bei  frischer 
Tat  wie  vemachtetem  Ungericht.  Festhalten  von  Bürgern,  b)  Gleichos 
Verfahren  in  der  Regel  gegenüber  dem  Gut  des  Gastes.  Besetzung 
von  Bürgergut.  — 2.  Klage  um  Gut.  Besetzung  von  Person  und  Gut 
des  Gastes.  — 3.  Am  verbreitetsten  der  Arrest  (i.  c.  S.)  bei  Klagen  um 
Schuld,  a)  a.  Personalarrcst  gegen  Gäste.  Notwendig  (behauptetes) 
Bestehen  einer  Schuld  und  einer  causa  arresti,  als  welche  in  früherer 
Zeit  Gasteseigenschaft  genügt.  Personalarrcst  gegen  Bürger  und 
Mitwohner.  Hier  causa  arresti  befürchtete  Flucht  wegen  Überschuldung. 
Erst  später,  und  zwar  auch  bei  Gästen,  Minderwert  des  im  Gericht 


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X 


vorhandenen  (unbeweglichen)  Vermögens  causa  arrcsti.  fl.  Zweck  des 
Pcrsmialarrests  gegen  Gäste  ursprünglich  ineist  Begründung  eines 
Gerichtsstandes,  seltener  Erzwingung  einer  Sicherheit.  Verpflichtung 
zur  Sicherstellung  für  den  Gast,  im  Gegensatz  zu  den  Bürgern,  nur 
existent,  wenn  zur  Zeit  der  Besetzung  im  auswärtigen  Gericht  uin 
(besonderer)  Gerichtsstand  bereits  begründet.  Letzteres  später  die 
Regel,  y.  L'ngetrennte  Verhandlung  über  Hauptforderung  und  Arrest- 
grund. b!  Voraussetzungen  und  Zwecke  des  Sacharrests  gegen  Gäste 
und  Einheimische  dieselben  wie  beim  I’ersonalarrest.  Eigentümlich 
die  aus  dem  Sacharrest  entwickelte  Klage  auf  das  arrcstierte  Gut. 

11.  Die  Ausführung  des  Arrests.  — 1.  a)  Grundsätzlich 
Mitwirkung  des  Gerichts  (Richter,  Büttel).  Prüfung  des  einseitigen 
klägerischen  Vorbringens,  b)  Eventuell  Mitwirkung  von  Mitbürgern. 
Nur  ausnahmsweise  Arrestanlagc  durch  Kläger  allein.  Nachträgliche 
gerichtliche  Rechtfertigung  des  eigenmächtigen  Vorgehens.  — 2.  a) 
Arrestort  der  städtische  Gerichtsbezirk  und  grundsätzlich  jedes  Privat  - 
hans.  b)  Arrestzeit.  — 3.  Maßvoller  Zwang.  Bruch  gewaltsamen 
Widerstandes.  — 4.  a)  Nach  Art  der  Arrestforderung  sofortige  Ver- 
handlung oder  vorläufige  Haft.  Vertretungsptlicht  der  Wirte,  b)  Ver- 
bleib arrcstirten  Gastguts  bei  Bürgern,  wenn  diese  Inhaber.  Sonst 
in  der  Regel  gerichtliche  Verwahrung.  — 5.  Wiederaufhebung  von 
Personal-  und  Sacharrest. 

Fünften  Kapitel.  Marktfriede  und  Prozeßgeleit III  — 146 

Einschränkungen  der  weitgehenden  Möglichkeit.  Gäste  aufzuhalten 
und  zu  beklagen. 

I.  Allgemeinste  Einschränkung  der  Marktfriede.  — 1.  Kür  Frage 
nach  der  räumlichen  Erstreckung  des  Marktfriedens  folgende  Punkte 
wesentlich.  Erteilung  des  Friedens  für  Jahr-,  Wochen-  und  Tages- 
märkte unter  derselben  Formel.  Rein  persönliche  Wirkung  des  Markl- 
friedens.  Ursprünglich  bei  Jahrmärkten,  z.  B.  nach  dem  Privileg  von 
1035  für  Bremen,  der  materielle  Inhalt  des  Friedens  kein  anderer 
als  bei  anderen  Märkten.  Aber  in  dem  Bremischen  und  dem  gleich- 
zeitigen Magdeburgiselicn  kaiserlichen  Jahrmarktsprivileg  Besonder- 
heit die  Erteilung  der  Handhabung  des  Banns  außerhalb  des  lmmunitäts- 
bezirkes  an  dun  Marktherrn  und  zwar  dort  au  ihn  allein,  hier  an  ihn 
und  die  öffentlichen  Richter  gemeinschaftlich,  w ährend  an  sich  letztere 
ausschließlich  dafür  zuständig.  Für  Bremen,  wo  Jahrmarkt  und  Jalir- 
niarktsfriedc  1035  erst  begründet,  sowie  für  Würzburg  (1030)  weitere 
Frage,  weshalb  der  Marktherr  trotz  der  ihm  früher  erteilten  lieentia 
eonstruendi  mcrcatum  kaiserlicher  Verleihung  von  Jahrmarkt  und 
namentlich  Jahrmarkt  frieden  benötigt.  Grund,  daß  dieser  Friede  sieh 
durch  weiteren  räumlichen  Geltungsbereich  von  anderen  Marktfrieden 
unterscheidet,  Befugnis  zu  seiner  Begründung  also  nicht  in  jener  li- 


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XI 


ccutia  enthalten  ist.  Hierfür  spricht  : a)  Anfangs-  und  Kndpunkt  des 
Friedens  nach  Wortlaut  aller  Marklprivilcgien  zunächst  elfen,  keine 
prinzipielle  räumliche  Krstrcckung  des  Marktfriedens  über  das  ganz«' 
Reich.  Aber  zeitliche  Krstrcckung  des  mehrtägigen  Jahrmarkts,  anders 
als  des  inorcatuin  cottidianum,  als  Einheit  über  mehrere  Tage  hin- 
weg. Entsprechend  der  Friede  des  Jahrmarkts,  gegenüber  dem  täg- 
lich erneuerten  des  Tages-  oder  Wochenmarktes,  eine  mehrtägige  Ein- 
heit. Zeitlich  Keginn  und  Endigung  des  Friedens,  sei  es  innerhalb, 
sei  es  außerhalb  des  Marktorts,  mit  Anfang  bezw.  Ende  des  Marktes. 
Marktfahrcr  außerhalb  des  Marktorts  durch  den  Fricdun  also  auch 
räumlich  nur  insoweit  geschützt,  als  die  Entfernung  vom  Marktort  eine 
Teilnahme  am  Markte  nach  lieginn  oder  vor  Endigung  des  Jahr-  bezw. 
Tagesmarktfriedens  möglich  erscheinen  läßt,  b)  Her  Standpunkt  der 
Quellen,  a.  Widerlegung  scheinbar  widersprechender  Privilegien,  jä. 
Erläuterung  der  (juellcnzeugnissc,  insbesondere  der  Privilegien  für 
Schwübisch-Hail  (1156)  und  Aachen  (1166).  — 2.  Materieller  Inhalt 
des  Marktfriedens  ursprünglich  Androhung  des  Königsbanncs  für 
ungerechtfertigte  Angriffe,  später,  namentlich  bei  Jahrmärkten,  auch 
für  an  sich  gerechtfertigte  Angriffe  (Arrest)  während  der  Marktzeit. 

ii.  Sonstige  Einschränkungen.  — 1.  Ausflüsse  des  städti- 
schen Asvlrechts  und  der  Billigkeit.  Insbesondere  l’ntcrbinduiig  des 
Uepressalienarrests.  — 2.  Prozessuales  Geleit,  zu  unterscheiden  vom 
Uciscgcleit.  a)  Privatgeleit,  Abart  des  Prozeßgeleits,  b)  i.  Eigent- 
liches prozessuales  Ueluit.  Ursprünglich  allein  vom  Richter,  später 
auch  vom  Stadtrat  erteilt.  '1.  Abwehr  gerechtfertigter  Klage  und 
Arrestierung,  namentlich  in  Schuldsachen.  y.  Mannigfache  Erteilungs- 
gründe. 8.  Verfahren  bei  der  Erteiluug.  t.  Zuwiderhandlungen  gegen 
den  Geleitsschutz. 

Sechste»  Kapitel.  Die  Gastgerichte 147— 194 

I.  Begriff  und  Name.  Gastgerichte  im  engeren  (zu  Gunsten, 
der  Gäste)  und  im  weiteren  Sinn.  Terminologie. 

II.  Entstehung.  Gastgerichte  inner-  und  außerhalb  der  Markt- 
zeit. Das  Privileg  für  Magdeburg  (1188). 

III.  Die  Bevorzugung  der  Gäste. 

IV.  Die  Parteien.  — 1.  Gast  gegen  Gast,  a)  Stets  Gastgericht 
für  den  Gastkläger,  b)  Stets  Gastgericht  für  den  beklagten  Gast,  — 

2.  Gäste  und  Bürger,  a)  Stets  Gastgericht  für  den  beklagten  Gast, 
b)  Gegenüber  dem  Gastkläger  Verweigerung  eines  Gastgerichts  die 
Ausnahme,  Zulassung  die  Regel.  — 3.  Rerhte  der  Bürger  auf  schleu- 
niges Verfahren,  a)  Bürger  als  Kläger.  Wenn  überhaupt  rasches 
Verfahren,  dann  in  der  Kegel  nur  bei  Wegefertigkeit  der  Bürger, 
b)  Bürger  als  Beklagte.  Wenn  überhaupt  rasches  Verfahren,  dann 
nur  bei  Wegefertigkeit  der  Bürger. 


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XII 


V.  Sachliche  Zuständigkeit.  — 1.  Stets  zuständig  bei  Klagen 
mn  Schuld.  — 2.  In  der  Hegel  bei  Klagen  um  Frevel.  — 3.  Stets 
bei  Klagen  um  Fahrhabe.  - 4.  Sicht  bei  Klagen  uin  Ungericht 
nnd  Erbe. 

VI.  Der  Antrag  auf  Gastgericht.  — 1.  Notwendigkeit  eines 
Antrags  dos  Berechtigten.  — 2.  Voraussetzungen,  a)  Für  Bürger, 
b)  Für  Gäste,  i.  Bestimmte  Entfernung  des  Wohnsitzes  vom  Gerichts- 
ort. ,3.  Wegefertigkeit  des  Gastes,  die  tatsächlich  im  Regelfall  vor- 
handen ist.  c)  Form  des  Nachweises. 

VII.  Die  Organisation  des  Gastgerichts.  — 1.  Änderungen 
in  der  Besetzung  des  gewöhnlichen  Gerichts.  — 2.  Eigens  für  Gäste 
eingesetzte  Gerichte.  a)  Hierher  nicht  genossenschaftliche  Recht- 
sprechung in  dritter  Stadt  durch  die  Gäste  selbst,  b)  Bestrachtung 
einzelner  Städte,  i.  Magdeburg.  J).  Riga.  f.  Wesel.  5.  Köln  (richtcr 
van  den  gestin). 

VIII.  Ladungen,  Termine,  Fristen.  Möglichste  Abkürzung 
für  Verhandlungs-  und  Beweistermine,  sowie  der  Vollstreckungsfristen. 

IX.  Das  Verfahren  im  Gastgericht.  Im  Wesentlichen  Über- 
einstimmung mit  dem  ordentlichen  Verfahren. 

Abkürzungen  für  mehrfach  gebrauchte  Literatur-  und  QuuHenwerkc  105 — 202 

Berichtigungen 203 


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Erstes  Kapitel. 

Bürger,  Mitwohner  und  Gast. 

Der  Rechtsbegriff  der  Stadt  ist  in  Deutschland  im  Laufe  des 
1*2.  und  13.  Jahrhunderts  zum  Abschluß  gelangt1).  In  dieser  Zeit 
setzt  zugleich  die  ausführlichere  Überlieferung  eines  in  den 
Städten  herrschenden  eigenartigen  Privat-,  Straf-  und  Prozeßrechts 
ein,  Gegenstände,  über  die  sich  die  Immunitäts-  und  Markt- 
privilegien des  10.  und  11.  Jahrhunderts  in  höchst  dürftiger 
Weise  verbreitet  hatten.  In  dem  Maße,  in  dein  die  Anzahl  jener 
stadtrechtlichen  Aufzeichnungen  wächst,  mehren  sich  in  ihnen 
auch  die  Sätze  über  die  Rechtsstellung,  welche  die  Gäste  im  all- 
gemeinen (die  hospitts,  e.rlranei,  adrenae , alieni,  die  utirendigeu 
lüde,  inkomelinge , feameden  und  eienden  lüde)  oder  gewisse 
wichtige  Klassen  von  Gästen  (die  mercatores,  peregnni,  mildes, 
ruxtiri,  inculatores  u.  s.  w.)  in  der  Stadt  einnehmen.  Unter 

diesen  gästerechtlichen  Vorschriften  sind  die  prozessualen  die 
juristisch  interessantesten.  Denn  sie  erschöpfen  sich  nicht,  wie  meist 
das  Privat-  und  Strafrecht,  in  einfachen  Verboten,  z.  R.  des  Grund- 
stückserwerbs, oder  in  Erhöhungen  und  Niederungen  gewisser 
Sätze,  z.  B.  der  Bußhöhen,  sondern  führen,  z.  B.  bei  den  sogen. 
Gastgerichten,  zur  Aufstellung  neuer  eigenartiger  Bestimmungen, 
die  teilweise  auf  die  Gestaltung  des  gewöhnlichen  bürgerlichen 
Prozesses  zurückwirken. 

Nicht  leicht  ist  zu  umschreiben,  was  das  mittelalterliche 
Stadtrecht  unter  Gästen,  unter  Fremden  versteht.  Auch  wenn 


')  Schröder  S.  G2U. 

Kudorff,  Hecht *,««1  eil u ijk  der  C.äste 


1 


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2 


man  den  Nachdruck  auf  die  Darstellung  der  Regeln  legt  , welche 
die  von  auswärts  in  die  Stadt  kommenden  Fremden  betreffen 

non  solum  paupere»  »cd  et  di  eite»  cuiwtcitmi/ue  ojficii,  » tnlu » 
eel  conditionis  e.rtiterint,  si re  de  propinqui»  »iee  de  lonyinqui » 
een  eiint  loci s et  per  civitatem  . . . tramitum  fecerint  cel  ad 
eam  i piacumque  occa«ionc  rel  raiiea  renerint '), 

wird  sich  zur  Aufhellung  jenes  Begriffs  ein  Blick  auf  die  Zu- 
sammensetzung der  Stadteinwohnerschaft  nicht  umgehen  lassen, 
von  der  ein  Teil  mit  zu  den  Gästen,  den  Ausleuten  rechnete. 
Diese  in  der  Stadt  gesessenen  „Gäste1-,  zu  denen,  wie  Schröder*) 
sagt,  „außer  den  Mietern  auch  das  freie  Gesinde  und  die  soge- 
nannten Muntmannen  gehörten,“  wurden  nicht  zu  den  Bürgern, 
sondern  nur  zu  den  Einwohnern  der  Stadt  gezählt.  Namentlich 
schieden  die  Vogtleute  der  städtischen  Fronhöfe,  die  Geistlichen 
und  häufig  die  in  der  Stadt  wohnhaften  Ministerialen  aus  der 
Bürgerschaft  aus.  Das  unterscheidende  Kennzeichen  der  letzteren 
war,  wenigstens  nach  herrschender  Auffassung,  einmal  Grund- 
besitz, alsdann  Gerichtsstand  vor  dem  Stadtgericht3). 

I.  Die  Bürger. 

Es  soll  hier  unterstellt  werden,  daß  ursprünglich  überall  nur 
die  städtischen  Grundbesitzer  zu  den  Bürgern  rechneten4). 

*)  Erläuterung  des  Bremischen  Domprupstes,  welche  Leute  appellatione 
peregrinorum  (t  advenarum  debent  intelligi  (1319),  Khmck  II  S.  199;  sachlich 
übereinstimmend,  nur  kurzer  gefaßt  int  die  Entscheidung  des  Bremischen 
Domkapitels  über  dieselbe  Frage  v1287),  Khmck  I 8.  478.  In  beiden 
Urkunden  werden  von  der  Beisetzung  auf  dem  Willehadikirchhofe  lediglich 
ausgenommen  diejenigen  pcra>rini  und  adi'enae,  qui  civitatem  Bremensern  visitave - 
rinf  vet  per  eam  tramitum  fecerint . . . . mercandi  gra/kt;  diese  werden  ander- 
wärts bestattet. 

*)  S.  032. 

3)  Schröder  S.  631.  032. 

4)  Schröder  S.  032.  Häutig  wird  hierfür  der  bekannte  Satz  des 
Freiburger  Stadtrechts  10  (Zusatz  des  12.  Jahrh.),  Keutgen  Urk.  S.  122, 
angeführt:  qui  proprium  non  obligatum  sed  liberum  valens  marcham  unam  in  ch'itate 
habucrit  burqemis  est.  Aber  gerade  Freiburg  i.  B.  samt  seinen  Tochterrechtei» 
zeichnet  sich  durch  einen  ausnehmend  harten  und  exklusiven  Standpunkt  in 
der  Behandlung  der  Fremden  aus  (vgl.  die  Ausführungen  im  dritten  Kapitel), 
welcher  in  der  Definition  des  Bürgerbcgriffs  sein  Widerspiel  gefunden  haben 


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3 


Wichtiger  ist  für  uns,  daß  die  Stadt  ein  besonderer  Ge- 
richtsbezirk wurde  und  die  Bürger  ihren  allgemeinen 
und  eigentümlichen  Gerichtsstand  zum  mindesten  vor 
einem  Stadtschultheißen  hatten,  der  auch  über  die  Grund- 
stücke zu  richten  pflegte1).  Allerdings  konnte  der  Umstand,  daß 
hörige  oder  unfreie  Personen  sich  in  der  Stadt  dauernd  nieder- 
ließen und  dort  Bürger  wurden,  in  älterer  Zeit  nicht  ohne  weiteres 
die  Rechte  der  außerhalb  gesessenen  Grund-  und  Gerichtsherren 
beseitigen.  An  sich  bestand  eine  ordentliche  Dingpflicht  der  Ein- 
gewanderten auch  in  den  Gerichten  der  Herren,  und  so  wurden 
besondere  Evokationsprivilegien  nötig,  die  den  allgemeinen  ur- 
sprünglichen Gerichtsstand  derEingewanderten  aufhoben *).  Below3) 
freilich  läßt  mit  der  dauernden  Entfernung  des  Hörigen  oder  Un- 
freien aus  dem  Hofgerichtsbezirk  die  Hofgerichtsbarkeit  über  ihn 
ohne  Weiteres  aufhören.  Aber  einmal  war  diese  Gerichtsbarkeit 
durchaus  nicht  regelmäßig  auf  Streitigkeiten  aus  und  auf  hof- 
rechtlichem  Grundbesitz  beschränkt.  Seeliger4)  weist  vielmehr 
darauf  hin,  daß  sie  von  höchst  mannigfaltiger  ausgedehnter 
Kompetenz  sein  konnte  und  namentlich  in  älterer  Zeit  nicht  nur 
einen  territorialen,  sondern  auch  einen  persönlichen  Geltungsbereich 
besaß.  Fenier  ist  gegen  Below  zu  bemerken,  daß  eine  Person 
zweifellos  an  mehreren  Orten  ihren  allgemeinen  Gerichtsstand 


könnte.  Jedenfalls  ist  cs  nicht  unbedenklich,  wenn  Stolze  S.  75  IT.  gerade 
das  Freiburger  Hecht  zur  Grundlage  seiner  Betrachtungen  über  .Gäste  und 
städtische  Gerichtsbarkeit“  erwählt. 

')  Vgl.  Kictächel  S.  161.  162  für  die  Marktansicdelungen.  Die  Ge- 
richtsverfassung der  Uömerstädte,  auf  anderer  Grundlage  entstanden 
(Kictschcl  S.  162  Aum.  4),  bot  in  der  hier  behandelten  Zeit  im  Resultat 
ungefähr  dasselbe  Bild  (vgl.  z.  B.  für  Köln:  Heldmanu  S.  115.  116). 

*)  Im  Gegensatz  zu  den  späteren  Evokationsprivilegien,  deren  Haupt- 
zweck in  der  Aufhebung  besonderer  Gerichtsstände  besteht,  (vgl.  unten 
Kapitel  III),  beseitigen  die  älteren  namentlich  die  Notwendigkeit  regel- 
mäßigen Aufsuchens  auswärtiger  Gerichte,  also  einen  allgemeinen 
Gerichtstand.  So  namentlich  die  bei  Keutgen  llrspr.  S.  29  Anm.  1 ange- 
führten Privilegien  für  Speier  (1111.  1182),  Mainz  (1118 — 1135)  und 
Straliburg  (1129),  sämtlich  abgedrnckt  bei  Keutgen  Erk.  S.  14.  15.  7.  8. 
sowie  das  unten  S.  4 bei  Anm.  2 abgedruckte  Privileg  für  Münstereifel. 

3)  S.  108:  s.  auch  S.  106.  107. 

4)  Besonders  auf  S.  191.  192. 

1* 


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4 


haben  konnte1),  also,  auch  wenn  sie  Bürger  und  stadtgerichts- 
pflichtig geworden  war,  trotzdem  zum  Besuche  des  Hofdings  ver- 
pflichtet bleiben  mochte.  Gerade  das  Privileg  des  Grafen  von 
Hochstaden,  hohen  Vogts  des  Stiftes  Münstereifel,  zu  Gunsten 
des  letzteren: 

manripiu , i/ue  in  prephata  rilla  anni  # pactum  complererunt, 
ad  e.rtera  placilu  ner  ceniant  nee  citentvr;  dominn  suo  an- 
nuatim  et  in  morte  xua  debitam  /lerxolvunt  iusticiam !) 
beweist,  daß  die  ordentliche  Dingpflicht  im  Hofgericht  ursprüng- 
lich nicht  von  selbst  durch  dauernde  Entfernung  des  Pflichtigen 
aufhörte. 

Als  im  13.  Jahrhundert  der  Satz  „Stadtluft  macht  frei“ 
allgemeine  Geltung  erlangt  hatte  und  nach  städtischem  Aufenthalt 
von  Jahr  und  Tag  infolgedessen  ipso  iure  nur  privatrechtliche 
Verbindlichkeiten  gegen  den  auswärtigen  Herrn  bestehen  blieben, 
erschien  es  natürlich,  wenn  der  letztere  die  ordentliche  Dingpflicht 
seines  fortziehenden  Untertanen  nach  Möglichkeit  im  Vertragswege 
zu  wahren  suchte.  So  erklärt  sich  der  von  Bclow5)  angeführte 
Vertrag  aus  dem  Jahre  1238,  in  dem  ein  nach  Andernach  ziehender 
Mann  aus  Krust  seinem  Herrn  verspricht,  auch  nach  Jahresfrist 
jährlich  einmal  in  seinem  indicium  zu  erscheinen,  si  passet *). 
Hier  wird  der  allgemeine  Gerichtsstand  wenigstens  noch  im  Wege 
der  privaten  Vereinbarung  und  zwar  nicht  nur  formell  aufrecht 
erhalten.  Denn  der  Einwurf  Belows,  das  Stadtgericht  Andernach 
hätte  sicher  Einspruch  erhoben,  wenn  dergestalt  der  Herr  in  Krust 
Gerichtsbarkeit  über  städtische  Grundstücke  hätte  erlangen  können, 
verfängt  nicht,  weil  das  forum  rei  sitae  ein  anerkannt  aus- 
schließliches war4). 

Lagen  die  oben  genannten  Voraussetzungen  bei  einem  Stadt- 
bewohner vor,  so  wurde  dieser  in  älterer  Zeit  ipso  jure  Bürger. 
Im  Gegensatz  zu  dieser  „stillschweigenden“  Aufnahme,  die  der 

')  Über  derartige  Erscheinungen  z.  U.  im  sächsischen  Landrecht  s. 
unten  Kapitel  III. 

■>,  Mittelrhein,  ü.  IS.  II  S.  214. 

3)  S.  133.  134. 

4)  ItotuluB  der  Stadt  Andernach  in:  Ann.  d.  hist.  Yer.  f.  d.  Nieder- 
rhein, Itd.  42  S.  37  f. 

4)  Vgl.  unten  Kapitel  III,  sowie  I’lanek  I S.  47  fT. 


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5 


älteren  Zeit  eigentümlich  war1),  setzte  sich  im  13,  und  14.  Jahr- 
hundert eine  ausdrückliche,  von  der  Gemeinde  oder  bestimmten 
Organen  derselben  vorzunehmende,  meist  entgeltliche  Aufnahme 
in  das  Bürgerrecht  durch.  Ks  genügen  nunmehr  also  weder 
Grundbesitz  und  selbständige  Existenz  in  der  Stadt,  um  die 
Stellung  eines  Bürgers  zu  erringen,  noch  auch  allgemeiner  Ge- 
richtsstand vor  keinem  andern  Gericht,  als  eben  dem  städtischen. 
Umgekehrt  rechnen  sogar  solche  Personen  zu  den  Bürgern,  die 
nicht  nur  nicht  Grundeigentum 2),  sondern  nicht  einmal  selbständige 
Existenz  in  der  Stadt  besitzen*),  offenbar  nur  deshalb,  weil  jener 
Form  der  ausdrücklichen  Aufnahme  Rechnung  getragen  war4). 

II.  Die  Mitwohner. 

Schon  aus  dem  letztgenannten  Umstande  erhellt,  daß  die  Art,  wie 
Schröder  lediglich  zwischen  Bürgern  und  „Gästen“  unterscheidet*), 
mindestens  für  die  spätere  Zeit  nicht  zutrifft.  Vielmehr  wurde 
ein  Teil  der  städtischen  Einwohner  zwar  mangels  Grundbesitz 
oder  Aufnahme  nicht  zu  den  Vollbürgern,  aber  trotzdem  nicht 

')  Maurer  St&dteverf.  II  S.  740  ff.  Sie  ging  vor  sich  durch  Erwerb 
von  Grundbesitz.,  möglicherweise  auch  durch  dauernde  selbständige  Nieder- 
lassung in  einer  Stadt  (vgl.  unten  S.  12  in  und  bei  Anm.  3 — 5). 

s)  Lübeck  Weistum  für  Elbing  (vor  1300?)  1!  2,  Stobbe  Beitr.  S.  165; 
desgl.  (um  1350)  15,  ebenda  S.  170.  Vgl.  Freiberg  Stadtr.  (1290 — 1307) 
II  § 3,  Krmisch  S.  42. 

3)  Osnabrück  Begräbnigordnung  (1278),  Philippi  S.  92:  on.nes  burgenses 

, . . in  tribus  parrochiis  nostris  conunorantes  dh’itts  ac  poupem , licet  quidam  ex  eis 
proprias  dontos  non  habcant  et  nliis  pro  prccio  serviant,  . . sunt  . . apitd  mniorent 
eeelesiam  sepeliendi.  Vgl.  auch  unten  S.  7 Anm.  1. 

*)  Die  in  der  vorigen  Anm.  erwähnte  Begräbnisordnung  kennt  eine 
ausdrückliche  Bnrgeraufnahme.  — Auf  die  mannigfachen  Gründe  der  „Mit- 
wohner, * diese  Aufnahme  nicht  uachzusuchcn,  deutet  Kocsfeld  Stat.  (1349), 
Niesert  U.  S.  III  157.  Unter  gewissen  Umständen,  z..  B.  wenn  sie  die  Tochter 
eines  Vollbürgers  heirateten  (Soest  Verordn,  von  1288,  Seibertz  I S.  512), 
gewisse  Nahrungszweige,  namentlich  Kaufmannschaft  oder  Handwerk  treiben 
wollten  (Kiga  umgearb.  Stat.  § 1 — um  1300  — bei  Napiersky  S.  142:  Lüne- 
burg de  proc.  iud.  Eddach  — vor  1400,  — Kraut  S.  31),  städtische  Liegen- 
schaften erbten  (Göttingen  Stat.  von  1354,  Pufendorf  III  App.  S.  186), 
war  ihnen  Erwerb  des  Bürgerrechts  vorgeschrieben,  und  zwar  im  Gegensatz 
zu  anderen  Personen  häufig  unter  erleichterten  Bedingungen  (Lübeck  Ver- 
zeichnis der  Einkünfte  von  1262,  Lnb.  U.  B.  I Nr.  269). 

5)  Oben  S.  2 bei  Anm.  2—4. 


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zu  den  „Gästen“  gezählt.  Hierher  gehören  alle  die  Leute,  die 
mit  sonstigen  nichtbürgerlichen  Einwohnern  das  Merkmal  eines  aut 
die  Dauer  berechneten  Wohnens  in  der  Stadt  teilen '),  die  aber 
regelmäßig  in  selbständiger  Stellung  leben,  städtische  Steuern  und 
Dienste  tragen  und  schließlich  in  der  Stadt  ihren  allgemeinen 
Gerichtsstand  ausschließlich  vor  dem  Stadtgericht  haben. 

1.  a)  Es  fehlt  nicht  an  Hinweisen  darauf,  daß  diese  Art 
städtischer  Einwohner  in  der  Stadt  auf  eigenem  Grund  und 
Hoden,  mindestens  in  einem  eigenen  Hause  sitzt,  das  dem  Stadt- 
gericht untersteht*).  Häufiger  freilich  sind  sie  Mieter,  die 
entweder  ein  ganzes  Haus  in  Anspruch  nehmen3),  oder  aber  bei 
Hfirgern  und  auch  solchen  Leuten,  die  dem  Stadtgericht  nicht 
unterstehen,  z.  B.  bei  Geistlichen,  Unterkommen4).  Jedenfalls 
wird,  mögen  sie  nur  Mieter  sein  oder  aber  Grundbesitzer,  betont, 
daß  sie  in  wirtschaftlicher  Selbständigkeit,  in  persönlicher 
Unabhängigkeit  in  der  Stadt  wohnen: 

ice  to  Gotlingen  ivonet  unde  negn  borgen!  enis  ttndc  eghenen 

rock  oder  (lisch  lieft  noch  nemande  vermalet  enie  to  (leitete,  de 

gift  6 Gott.  ^ to  tinee  . ...  ie  he  uver  eyn  ghaet,  so  nedarf 

he  nicht  t innen,  uver  he  mod  tollen 5). 

>)  In  Prag  Stat.  Hecht  (1314—1418)  133,  Rößler  I S.  95,  begründet 
schon  vierwöchentliches  Wohnen  cum  proprio  igne  die  Vermutung  dauernden 
Bleibens. 

a)  Metz  Rechtserkenntuis  Friedr.  II  (1314),  Mcurisse  S.  442:  Osna- 
brück Bcgr.  Ordn.  (1278),  Philippi  S.  32;  Hamburg  Stadtr.  (1232)  K 23, 
Lappenborg  1 S.  122:  Brünn  Schöffenbueh  (um  1 350)  125,  Rößler  II  S.  64: 
Göttingen  Stat.  (1354),  Pufendurf  III  App.  S.  186:  Hameln  Ratswillkür 
(1370),  Mcinardus  S.  442:  Köln  Satzungen  (1385),  Kimen  V S.  482.  483: 
Lübeck  I'rk.  (1397),  Liib.  U.  B.  IV  S.  735.  736. 

3)  Osnabrück  Begr.  Ordn.  (1278),  Philippi  S.  32:  vgl.  Freiberg 

Stadtr.  (1296—1307)  II  § 3.  1 § 30.  XL  § 5,  Ermisch  S.  44.  35.  234. 

4)  Goslar  Stadtr.  (uni  1300),  Göschen  63,  20  (vgl.  Göschen  101,  26 

in  der  Fassung  bei  Varges  S.  294  Atun.  4):  Lübeck  Stadtr.  Cod.  Brokes 
II.  202,  Hach  S.  570:  Nordhausen  Stat,  Saimnl.  (tun  1350)  II.  33, 

Foerstcmann  N.  Mitt,  III,  3 S.  54:  Lüneburg  De  proc.  iud.  Eddach  (vor 
1400),  Kraut  S.  31. 

3)  Göttingen  Notiz  im  olde  bok  (um  1375),  Schmidt  I S.  285  Atun.  2. 
Vgl.  ferner  Freiberg  Stadtr.  (1296—1307)  II  §3,  vgl.  § 1 und  2,  Ermisch 
S.  44:  hot  ein  man  eigen  rouch,  i/os  ist  g (mitte  ho  berge,  der  heizet  euch  fie- 
setsen;  Prag  Stat.  Recht  (1314 — 1418)  139,  Rößler  I S.  95:  qui  seiet  in 


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7 


Dieses  Wohnen  zusammen  mit  den  Vollbürgern  muß  auf  die 
Dauer  eingerichtet  sein,  dergestalt,  daß  auch  die  Familien- 
angehörigen des  Betreffenden  dauernd  in  der  Stadt  weilen  ’),  daß 
er  anderwärts  keinen  Zuhalt  besitzt3). 


civitate  quatuor  scptimanis  cum  proprio  igne,  refutatur  statim  pro  ave  (vgl. 
ebenda  S.  04:  qui  redpit  ins  civiie,  Ires  prerogativas  habet f qmis  non  höbet  Ule,  qui 
est  dvis  sen  — hier  = : und  — qui  sedet  IUI  scptimanis  cum  proprio  ig ne); 
Dortmund  Stadtb.  (vor  1350)  11.  Kronsdorff  S.  68:  Herrschaftl.  Recht  auf 
Hccrgewäte  u.  Gerade  wird  ausgeschlossen  gegenüber  jedem  mensehe,  dai  ti 
man  eder  wif \ dey  in  der  stat  van  Dorpmunde  wonachtu h is  unde  eg  he  neu  royk 
luvet;  Brünn  Schüffenb.  (um  1350)  125,  Rößler  II  S.  64  (negativ  gefaßt): 
inquilinus  (Gegensatz:  dvis)  nec  h.reditatem  nee  proprium  in  civitate  habe  ns 
residentiam;  Kleve  Stadtr.  (nach  1424)  96  § 4,  ZUG.  10  S.  234:  alle  bürgere 
end  oir  ingesetenen,  die  binnen  der  stat  vriheit  van  Cleve  roick  end  vuer  holden. 
Vgl.  auch  Metz  Rechtserk.  Fricdr.  II.  (1214),  Meurissc  S.  442,  abgegeben 
unter  Zustimmung  des  derzeitigen  Schöffenmeisters  und  anderer  Metzer 
Schöffen : licet  homines  de  Iluy  haberent  in  urbe  Metensi  domos,  nihilominus  debitores 
esseni  t he lo ne i , cum  in  eadem  civitate  nec  ignem  nec  /um um  face r ent,  net  eorum 
uxores  et  familiae  ibidem  mauere  nt,  nec  ipsi  in  eadem  civitate  sicut  alii  dves  faccrcnt 
excubias ; Frankfurt  a.  M.  Stadtr.  (1297)  20,  Keutgen  l'rk.  S.  189,  und  dazu  26 
(Pfahlbürger!).  — Auch  wer  nicht  in  eigenem  Hause  sitzt,  kann  also  eigenen 
Rauch  und  eigenes  Feuer  halten,  wofern  er  nur,  wie  Freiberg  Stadtr. 
(1296 — 1307)  1 § 30,  Klinisch  S.  35,  es  ausdrückt,  ein  Haus  (oder  den 
selbständigen  Teil  eines  Hauses)  dergestalt  mietet  und  bewohnt,  daß  er 
Ufirt  darinne  ist,  daz  he  die  vier  wende  inne  hat.  Hausgenosse  dagegen  ist,  wer 
mit  dem  andern  inne  ist  in  sinen  vier  wenden  (Freiberg  a.  a.  0.  § 31).  Haus- 
genossen sind  also  namentlich  Familienangehörige  und  Dienstboten  des 
Hausherren,  die  diesem  gegenüber  kein  selbständiges,  durch  Miete  und  dgl. 
begründetes  Recht  auf  Benutzung  bestimmter  abgeschlossener  Wohn  räume 
haben;  vgl.  z.  B.  S.  Ld.  R.  I 20  § 7:  die  müder  is  gast  in  des  sons  gewerm 
unde  die  sone  in  der  müder , sowie  Wcnd isch-Rügian ischer  Landgebrauch 
(bei  Gadebuseh  S.  270):  Dienstboten  sind  Leute,  die  mit  der  Herrschaft  in 
einem  huse  sind  unde  ein  fuer  thosammen  hebben. 

*)  Metz  Rechtserk.  Friedr.  II  (1214),  s.  vorige  Anmerkung.  Osna- 
brück Begr.  Ordn.  (1278),  Philippi  S.  92:  quicumquc  domum  in  civitate  emerit 
aut  conduxerit,  cuhtscumque  fuerit  conditionis,  nisi  sit  propritts,  quam  diu  ipsam  do- 
mum inhabitaverit  et  familiam  et  expensas  in  ea  habuerit , apud  maiorem  ecclcsiam 
sepeliendus  est;  wegen  der  nobiles,  ministerielles  und  coloni  werden  ebenda  besondere; 
Bestimmungen  getroffen.  S.  hierzu  oben  S.  5 Anm.  3. 

*)  Magdeb.  Frag.  II.  5 d.  3,  Bohrend  S.  173:  vgl.  auch  Brühl  (1285), 
Lacomblet  II  S.  474:  nullt  tu  . . vendere  . . debeat  vinwn  ad  brocam  nisi  oppidum 
ipsum  inhabitet  tanquam  oppidanus  et  iura  faciat  quecumque  exigit  oppidum; 
Hamburg  Stadtr.  Anh.  (1270)  5,  Lappenberg  8.  72:  desser  stad  borger  unde 


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b)  Das  Korrelat  solchen  Aufenthalts  in  (1er  Stadt,  der  nicht 
bedingt  ist  durch  Zugehörigkeit  zu  einem  andern  innerhalb  der 
Stadt  befindlichen  Gerichte  als  dem  städtischen,  bildet  die  Ver- 
pflichtung zum  Mittragen  der  städtischen  Lasten').  Nur  wer 
dauernd  innerhalb  des  Stadtbezirks  weilt,  ist  namentlich  im  Stande, 
persönliche  Dienste  zu  leisten.  Meist  ist  freilich  nur  allgemein 
von  der  Verpflichtung,  die  iura  riritati '*  zu  erfüllen,  die  Rede, 
worunter  nicht  nur  jene  Dienste,  sondern  namentlich  auch  Geld- 
zahlungen begriffen  werden.  Diese  direkten  Abgaben,  meist  Scholl 
oder  Losung  genannt,  sind  häufig  nur  in  Bezug  auf  Vollbürger 
geregelt  und  vorwiegend  nach  Verhältnis  des  städtischen  Grund- 
besitzes verteilt.  Sie  treffen  jedoch  in  letzterem  Falle  natürlich 
auch  solche  Mitwohner,  die  Eigentümer  von  stadtgerichtspflichtigen 
Immobilien  innerhalb  der  Stadt  sind*);  auch  werden  Mieter  ganzer 
Häuser  nach  Maßstab  dieses  Hauses  herangezogen3).  Da  jedoch 
der  Schoß  keineswegs  nur  vom  unbeweglichen  Vermögen,  sondern 
auch  von  beweglichen  Sachen  und  Forderungen  erhoben  werden 
kann '),  so  steuern  zutreffenden  Falles  auch  solche  Mitwohner,  die 
sich  bei  Dritten  eingemietet  haben 5). 


borgersche,  inwoner  unde  inwonersehe,  de  sik  under  desser  stad  borger- 
sc  hop  neret;  Frei  bürg  a.  E.  Priv.  (1*294),  Sodendorf  IX  S.  3T4,  und 
Goslar  Priv.  (1390),  Göschen  S.  122. 

*)  Freiberg  Stadtr.  (129G— 1307)  II  § 3.  § 9.  XII  § 1,  Ern  lisch  S.  44. 
46.  95:  Schotten  unde  wachen;  desgl.  Nordhaus c n (um  1350;  11.  33,  Foer ste- 
in ann  N.  M.  III,  3 S.  54;  Göttingen  Notiz  im  olde  bok  (um  1375),  Schmidt  I 
S.  285  Anm.  2:  Jede  Wort  gibt  to  tinsc  i ßl.  Gott,  penninge,  und  ist  sie  geteilt, 
icnvclk  hus  sinrn  tins,  und  dazu  Statut  (1354),  Pufendorf  III  App.  S.  186:  od  en 
mach  neyn  unser  medeborgerc  oder  m e davon  er  e svn  hus  und  ward  dal  beter  is 
wen  achteyn  mark  an  neme  udmanne  eder  mednvonere  de  neyn  borgher  is  . . . vor- 
kopen.  Vgl.  auch  Metz  (1214),  oben  S.  6 Anm.  5. 

*)  Osnabrück  Begr.  Ordu.  (1278),  oben  S.  7 Anm.  1. 

3)  Osnabrück,  oben  S.  7 Anm.  1:  Freiberg  Stadtr.  (1296—1307)  II 
§ 3.  XII  § 1,  Krmisch  »S.  44  und  95. 

4)  Hamburg  Stadtr.  (1292)  E 19,  Lappenberg  S.  121:  Frei  borg  i.  S. 

Stadtr.  (1296 — 1307)  IV  §§10.  11,  auch  18,  Krmisch  S.  55:  Prag  Stat. 

Hecht  (1314—1418)  104,  Rößler  I S.  65:  Marienburg  Stadtordn.  (1365), 

Voigt  S.  526:  Braunschweig  Stadtr.  (1401)  290.  291,  Hampelmann  I 

S.  125. 

5)  Nord  hausen  3.  Stat.  Satnml.  (um  1350;  II.  33,  Focrstemann  N.  M. 
III,  3 S.  54;  Göttingen  (1375),  s.  oben  S.  6 hei  Anm.  5.  Ohne  besondere 


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9 


c)  Ein  Aequivalent  für  solche  Leistungen  stellt  die  Be- 
freiung von  gewissen  Abgaben  dar,  die  den  Fremden, 
den  Gästen  obliegen,  namentlich  vom  Zoll ').  Ein  süddeutsches 
Stadt  recht  faßt  das  in  den  prägnanten  Satz  zusammen: 

oimiüi  tjui  Jacit  iura  rille,  non  ilat  theloneum *), 
also  auch  nicht  der  nun  burgenxis,  wofern  er  facil  neun  rille. 
Ausdrücklich  werden  denn  auch  verschiedentlich  städtische  Mit- 
wohnur  neben  den  Bürgern  als  nicht  zollpflichtig  bezeichnet J), 
meist  unter  Hervorhebung  der  oben  gegebenen  Begründung4). 
Demgegenüber  sind  Außenbflrger,  die  in  der  Stadt  zwar  Grund- 
besitz haben,  aber  wegen  Nichtwohnens  daselbst  zur  Leistung  von 
e.rcubiae  u.  dgl.  nicht  im  Stande  sind,  zur  Zollzahlung  verpflichtet*). 

Erwähnung  der  Wohnungsverhältniaso  wird  des  ferneren  der  Schollpiliclit 
u.  g.  w.  einfacher  Mitwohner  Erwähnung  getan  z.  B.  in:  Hern  Stadtr. 
(1218!')  25,  Keutgcn  Urk.  S.  12«:  Freiburg  i.  ü.  Handf.  (1249)  102.  107. 
108,  Gaupp  St.  R.  II  S.  100.  101:  Brühl  I’riv.  (1285),  Lacomblet  II  S.  474: 
Hamburg  Stadtr.  (1292)  E 19,  Lappenberg  S.  121:  Freiburg  a.  E.  Priv. 
(1294),  Sudendurf  IX  S.  374:  Goslar  Stadtr.  (um  1300)  bei  Göschen  101, 
26  und  in  der  Fassung  bei  Varges  S.  294  Amu.  4:  Prag  Stat.  Recht 

(1314—1418)  22.  139,  Rüßler  1 S.  15.  94:  Koesfcld  Statute  (1849),  Niesert 
U.  S.  III.  157:  Hameln  Ratswillk.  (1370),  Meinardus  S.  422.  Ausnahms- 
weise können  Mitwohner  alle  Lasten  und  Dienste  mit  gewissen  Summen  im 
voraus  jährlich  ablösen;  vgl.  Lübeck  Urk.  (1397),  Lüb.  U.  B.  IV  S.  735. 

')  Über  die  Begründung  der  Zollpflicht  der  Fremden  als  einer  Gegen- 
leistung für  die  städtischen  Pflichten  der  Bürger  vgl.  die  richtigen  Be- 
merkungen bei  Scheller,  Zoll  und  Markt  (Blankenhain  1903)  S.  56  und  57. 
— Ub  in  Namslau  (Verkauf  der  Flrbvogtei,  1333),  Tzschoppe  S.  535,  der 
Marktzins,  eine  Budenabgabe,  lediglich  von  den  hosfites  und  den  iwolat  non 
hiriditati  bezahlt  oder  ob  er,  insoweit  ihn  auch  Bürger  entrichten  müssen 
(was  die  Regel  wäre,  vgl.  Gengier  ltA.  S.  139),  vom  Liegnitzer  Herzog 
nicht  mitverkauft  wird,  ist  nicht  zu  entscheiden.  Im  übrigen  stehen  in 
Bezug  auf  Abgaben  u.  dgl.  die  Bürger  und  Mitwohner  stets  geschlossen 
den  Gästen  gegenüber. 

*)  Freiburg  i.  U.  Handf.  (1249)  102,  vgl.  auch  107,  Gaupp  St.  R.  II 
S.  100.  101. 

3)  Hagen  Priv.  (1296)  9,  Seibertz  1 S.  572,  und  zwar  in  oiner  Über- 
setzung aus  dem  Anfang  des  14.  Jahrh.:  bori^hire  und  mwomrt  sulUn  toi  fry 
syn;  Freiberg  Stadtr.  (1296—1307)  XL  §2.5,  Ermisch  S.  234:  Göttin- 
gen (1375),  oben  S.  6 bei  Anm.  5. 

J)  Über  Mühlhausen  Stadtr.  (1230 — 1250),  Herquet  S.  631,  vgl.  unten 
S.  15  bei  Anm.  6. 

Vgl.  Frcnsdorll'  in  Hans,  (fesch.  Bl.  1897  S.  130. 


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10 


(1)  Insbesondere  teilen  die  erwähnten  Mitwohner  mit  den 
Vollbürgern  den  gleichen  allgemeinen  Gerichtsstand  in 
der  Stadt,  ohne  daß  etwa  besondere  Vereinbarungen  mit  Herren, 
die  in  der  Stadt  Sondergerichte  besitzen,  nötig  waren.  Aus- 
drückliche Bestimmungen  über  diese  Gemeinschaftlichkeit  des 
Gerichtsstands  sind  freilich  selten.  Das  Stadtgericht  hat  eben  in 
der  Stadt  gewissermaßen  die  Vermutung  der  Zuständigkeit  für 

sich.  Deutlich  z.  B.  ist  jedoch  das  Stadtrecht  von  Freiberg '). 
Nach  ihm  hat,  wer  be*ez:en  ist  (und  hierzu  gehört  auch  der 

Mann,  der  nach  Freiberg  kommt  und  dort  lediglich  ein  In/:, 
eine  herberge  zum  dauernden  Wohnen  mietet*)),  gleich  dem  Erb- 
gesessenen und  im  Gegensatz  zum  einfachen  Hausgenossen  und 

selbstverständlich  zum  Ausmann  und  Gast,  Anspruch  auf  mehrfache 
Ladung  ins  Gericht.  Gleich  dem  Erbgesessenen  braucht  er.  wenn 
er  zwar  an  Gerichtsstelle,  aber  «ztctndie  den  henken  steht,  dem 
Gebot  des  Richters  sofort  zu  antworten  keine  Folge  zu  geben. 

Ähnliche  Vorschriften  wie  diese  Freibergischen  linden  sich  auch 
anderwärts5);  meist  überwiegen  freilich  allgemein  gefaßte  Sätze4). 

2.  Es  erscheint,  und  damit  kehren  wir  zum  Ausgangs- 
punkt unserer  Betrachtung  zurück,  von  vornherein  zweifelhaft, 

')  (1296—1307)  XXXII  § 12  und  11,  Krmiseh  S.  213. 

*)  II  § 3 und  XL  § 5,  Krmisch  S.  44.  234. 

3)  Brünn  Schöffenb.  (um  1350)  125,  Boßler  II  8.64,  bezüglich  des 
inquilinns  . . hirciütatem  . . . oder  prof>rbnt  in  civilate  leiben/  resiilen/iain]  Magdeb. 
Fr.  II.  5d.  3,  Bohrend  S.  173,  auf  die  Anfrage,  ob,  wer  22  Jahre  in  einer 
Stadt  wohne  und  anderwärts  keinen  Zuhalt  habe,  mochte  evn  pul  gttyn:  . . . 
wer  in  der  stat  bol  in  iar  ttndc  tag  wonhaftig  ist  rinde  andirs  in  kevner  stat  besesszen , 
der  sal  recht  habin,  gebin  und,-  nemen  g/ich  eynem  andirn  besessen  burger;  Kleve 
Stadtr.  (nach  1424)  95  § 1,  ZRG.  10  S.  232:  Geen  burger  off  burgersehe  noch 
ingesetenen  der  stat  van  Cleve  en  sal  den  andern  burger  off  bürg  he  ruhe  off  ingesetenen 
laiden  belasten  noch  lukroiden  voir  reuigen  ge  rieht,  dan  voir  geruhte  to  Cleve. 
Vgl.  ferner  Lüneburg  Priv.  (1247),  Docbncr  St&dtcpriv.  S.  28:  Landfr.  der 
Gebiet«  zw.  Rhein,  Lahn  u.  Main  (1285)  8,  Böhmer  U.  B.  I S.  122: 
Freiberg  i.  S.  Stadtr.  (1296—1307)  XXXIX  §4  (an  dinge  gen;  über  burger 
in  Freiberg  s.  unten  S.  12  bei  Anm.  3.  4)  mit  §2.  3,  Krmisch  S.  233: 
Kleve  Stadtr.  (nach  1424)  96  §4  und  zu  Tit.  257  gräil.  Priv.  (1448), 
ZRG.  10  S.  234  bezw.  257. 

4)  Z.  R.  Breslau  Rechtsbel.  an  Glogau  (1315)  1,  Korn  S.  91:  hli, 
qui  sedent  sub  miliari,  non  astant  iuri  cor  am  nostro  atlvocato  hereditario  in  nostra 
ihn  täte,  sed  tan  tum  illi  astant,  sieut  se  extendit  di  stritt us  nostre  civitatis , id  est,  tibi 
fastua  nostre  civitatis  terminantur. 


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11 


daß  die  Klasse  städtischer  Einwohner,  welche  die  bisher  be- 
schriebenen Merkmale  aufweist  und  auch  in  anderen  Punkten  den 
Vollbürgern  angenähert  ist'),  ohne  Weiteres,  wie  Schröder 
meint*),  unter  der  Bezeichnung  „Gäste“  mitbegriffen  und  also 
auch  unter  die  für  letztere  gegebenen  Vorschriften  gestellt 
worden  sein  sollte.  Wendungen  wie:  hoajie«  reyionh  alten'u» 
vice  cieitalis  (diene  qui  cenerit  ml  manendum  ')“  beweisen  natür- 
lich für  Schröder  überhaupt  nichts.  Anders  schon,  wenn 
/jette , hosjdtf» , ut/ncendige  lüde,  e.rtranci,  die  in  der  Stadt 
wohnen,  erwähnt  und  im  Gegensatz  womöglich  zu  deu  Bürgern, 
den  cicet  genannt  werden.  Doch  darf  man  bezüglich  des  letzt- 
erwähnten Punktes,  was  auch  sonst  von  Wichtigkeit  ist,  nicht 
übersehen,  daß  die  Quellen  da,  wo  sie  allgemeine  Vorschriften 
über  die  Rechtstellung  der  burger  bringen,  unter  «len  letzteren 
offenbar  häufig  nicht  nur  die  sogen.  Vollbürger  verstanden  wissen 
wollen.  Nicht  jedes  Stadtrecht  besitzt  eine  so  ins  Einzelne  durch- 
geführte und  sorgfältig  bestimmte  Terminologie  wie  das  Frei- 
belgische.  Es  kommt  auch  in  einem  so  ausführlichen  Stadtrechte 
wie  dem  Kleveschen  vor,  daß  Sätze,  die  zunächst  ausdrücklich 
auf  Bürger  und  andere  Eingesessene  bezogen  werden,  in  ihrer 
Einzeldurchführung  sich  auch  da  lediglich  über  die  Bürger  ver- 
halten, wo  diese  unzweifelhaft  nicht  allein  gemeint  sind. 

a)  Tu  Wirklichkeit  kommt  denn  auch  die  Bezeichnung  „Gast“ 
für  diese  Klasse  städtischer  Einwohner  nicht  oder  doch  nur  ganz 
vereinzelt  vor.  Im  Gegenteil  sind  sie  es,  die  im  besonderen  und 


')  Z.  B.  in  der  Fälligkeit,  für  andere  gerichtliche  Sicherheit  zu  bestellen 
bezw.  Nichtverpllichtung  Bürgen  zu  setzen  (Freiberg  i.  S.  Stadtr.  — 1296 
bis  1307 — II  t}§  3.  7,  Fnnisch  S.  44.  46),  Liegenschaften  zu  erwerben  (Tul n 
Stadtr.  — 1296 — 13,  Kcutgcn  Urk.  S.  202:  Hameln  Katswillk.  — 1370  — , 
Meinardus  S.  422:  vgl.  Bist.  I.  48  d.  .5,  Ürtluff  S.  88),  zu  Stadtänitern  ge- 
wählt zu  werden,  (Freiburg  a.  K.  1‘riv.  — 1294  — , Sudendorf  IX  S.  374). 
S.  ferner  Kcinbold  S.  56.  57  und  die  dort  citiertcn  Urteile  aus  dem 
Wcsolcr  Urteilsbuch  bei  Wolters  S.  67  Nr.  131.  134.  136:  Heinhold  deutet 
das  Urteil  Nr.  136  auf  Vorzüge  der  fern  von  der  Stadt  auf  lteisen  gezogenen 
Bürger,  während  in  Wirklichkeit  von  Aullenbürgem  die  Hede  ist.  S.  auch 
Prag  Stat.-Kecht  (1314-1418)  139,  Kniller  I S.  94.  95,  z.  T.  oben  S.  6 
Anm.  5 abgedruckt. 

*)  Oben  S.  2 bei  Anm.  2 und  3. 

3)  Breslau  Abärnl.  des  Magdeb.  Hechts  (1261),  Korn  I S.  29, 


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1*2 


eigentlichen  Sinne  von  den  Quellen  positiv  als  „ Eingesessene“, 
als  „Mitwohner *)“,  und  negativ  als  die  Leute  bezeichnet  werden, 
welche  zwar  „in  der  Stadt  wohnen,  aber  nicht  Bürger  sind5)“. 
Weiter  geht  namentlich  Freiberg  i.  S.,  woselbst  zur  Zeit  der  Nieder- 
schrift des  Stadtrechts  allem  Anschein  nach  noch  keine  förmliche 
Bürgeraufnahme  existierte8)  und  infolgedessen  das  Wort  burger, 
trotz  seines  sporadischen  Vorkommens,  eine  so  scharf  begrenzte 
Bedeutung  wie  in  andern  Städten  derselben  Zeit  nicht  besaß. 
Hier  werden  solche  Momente,  die  allen  selbständig  und  dauernd 
in  der  Stadt  Wohnenden,  dem  Stadtgericht  Unterworfenen  ge- 
meinsam sind,  in  den  Vordergrund  gestellt.  Als  das  Entscheidende 
erscheint  nicht,  ob  jemand  burger,  sondern  ob  jemand  bexezzen 
ist.  Besezzen  aber  ist  nicht  nur,  wer  auf  eigenem  oder  Erbzins- 
boden sitzt4);  für  einen  besessenen  Mann  wird  vielmehr  auch  der 
„Mieter“  gehalten1).  In  Prag,  wo  eine  förmliche  Bürgerauf- 

')  Auch  incolae,  mquilini,  in  chitate  manentes.  Vgl.  Lüneburg  l’riv. 
(1247),  Doebncr  Städtepriv.;  Lübeck  Verzeichnis  der  Einkünfte  (1262), 
Liib.  I".  B.  I Nr.  269:  Hamburg  Stadtr.  (1270)  Anhang  5 und  (1292) 
E 23,  Lappenberg  S.  72  bezw.  122:  Lübeck  Cod.  Brokes  II.  202,  Hach 
S.  570:  Hagen  Priv.  (1296)  9 in  alter  Übers.,  Scibcrtz  I S.  572:  Goslar 
Stadtr.  (um  1300),  Göschen  101,  26  in  der  Passung  bei  Varges  S.  294 
Antn.  4:  Namslau  Erbvogteiverkauf  (1333),  Tzschoppe  S.  535;  Heiligen- 
stadt Willk.  (1335)  43,  Wolf  Erk.  S.  1 1 : Göttingen  Stat.  (1344)  69, 
Zeitschr.  d.  hist.  V.  f.  N.  S.  1885  S.  162:  Koesfeld  Stat.  (1349),  Nicsert 
U.  S.  III.  157;  Mühlhausen  Vcrtr.  mit  Hessen  (1350),  Herquet  Nr.  1028: 
Brünn  Schöffenb.  (um  1350)  125,  Rößler  II  S.  64:  Frankfurt  a.  AI. 
Stat.  (um  1350)  65  § 1.  2,  Sei.  an  I S.  59;  Hannover  Stadtr.  (um  1350?) 
III.  32,  Vaterl.  Arcli.  S.  379:  Göttingen  Stat.  (1354),  l’ufendorf  III  App. 
S.  186:  Königsfeld  Rcchtsbr.  (1360)  4 und  5,  Gengier  St.  R.  S.  225: 
Hameln  Ratswillk.  (1370),  Meinardus  S.  422;  Köln  Satzungen  (1385), 
Knnen  V S.  482  ff.:  Kleve  Stadtr.  (nach  1424)  95  § 1.  2 und  96  § 4,  ZUG.  10 
S.  232.  234;  Braunschweig  Kchtcding  (1532)  XXVIII  §174,  Hänscl- 
mann  I S.  341. 

*)  Soest  Verordn.  (1288),  Scibertz  I S.  512;  Göttingen  Notiz  im  olde 
bok  (um  1375),  Schmidt  I S.  285  Anm.  2;  Wesel  l'rt.  Buch  134,  Wolters 
S.  67:  Braunschweig  Kchtcding  (1401)  111,  Hänselmann  I S.  136.  Vgl. 
auch  Prag  Uechtsb.  20,  Rößler  I S.  107. 

5)  Wenigstens  erwähnt  sie  das  sehr  ausführliche  Stadtrecht  (1296—1307) 
nicht.  Sie  wird  vielmehr  erst  in  Statuten  aus  der  zweiten  Hälfte  des 
14.  Jahrhunderts  genannt:  vgl.  Ermisch  S.  308  s.  v.  burgtrreeht. 

4)  Stadtr.  (1296—1307)  II  § 1 und  2,  Ermisch  S.  44. 

5)  II  § 3 und  I § 30,  Ermisch  S.  44  und  35.  Alle  Personen,  die 


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nähme  bekannt  ist,  heißen  derartige  Einwohner  sogar  cives  ’); 
ähnliches  findet  sich  auch  an  anderen  Orten3). 

b)  Ferner  aber  werden  diese  städtischen  „Eingesessenen“, 
„Mitwohner“  ausdrücklich  in  einen  entschiedenen  Gegensatz  zu 
den  „Gästen“  ( hospite «),  zu  den  „Ausleuten“  gestellt3).  Dies 

besetzen  sind,  bilden  mit  den  Hausgenossen,  namentlich  also  den  Kindern 
und  dem  Gesinde,  den  Inbegriff  der  Leute,  die  zu  der  Stadt  gehöreu  (XI.  § 2 
und  XIX  § 12,  Erwisch  S.  234  und  124).  Ihnen  stehen  gegenüber  einmal 
die,  die  aulicrhalb  der  Stadt  wohnen  ( uzman  und  gast),  dann  aber  auch 
solche,  die  zwar  in  der  Stadt  wohnen,  sei  es  auf  der  Burg,  sei  es  auf  Lehn- 
höfeti,  sei  es  schlieülich  auch  bei  Bürgern,  die  aber  nicht  dem  Stadtgericht 
unterstehen  (XXXIX  § 2—4,  vgl.  II  § 7,  Erwisch  S.  233.  45). 

*)  Studtr.  Huch  (1314—1418)  139,  Kollier  I S.  94,  Tgl.  oben  S.  6 Anm.  5. 
Siehe  auch  S.  7 Anm.  2. 

*)  Goslar  Stadtr.  (um  1300),  Göschen  101.  26,  mit  der  Fassung  bei 
Vargcs  S.  294  Anm.  4;  vgl.  Hamburg  Stadtr.  (1270)  Anhang  5,  Lappen- 
berg S.  72. 

3)  Zum  Teil  allgemein:  Namslau  Verk.  der  Krbvogtci  (1333),  s.  oben 
S.  9 Anm.  1:  Frankfurt  a.  M.  Stat.  (um  13.70)  G5  § 1.  2,  sei.  an.  1 S.  59: 
kein  unser  Burger  adir  der  by  uns  wonet  Süll  den  andeni,  bei  Strafe  von  ein- 
monatlicher Ausfahrt  aus  der  Stadt  oder  von  vier  Gulden,  vor  geistlich  Ge- 
richt' laden ; wird  aber  jemand  in  solcher  Art  van  eyntt  Gaste  geladin,  so  soll 
dem  Gaste  das  doppelte,  acht  Gulden,  sofort  nuch  der  Ladung  abgepfändet 
werden  dürfen:  Dist.  I.  46  d.  10,  Ortloff  S.  84:  wert  eyn  erbe  irstorben  in 
wiehbilde  uf  eynen  gast,  adder  uf  eynen  burger  adder  der  innewendig  gezogen  wer  . . . ; 
Braunschweig  Echtcding  (1401)  111,  Hänsclmann  I S.  136:  Ohne  des 
Kates  Erlaubnis  sollen  neync  geste  affte  nement  de  Air  neyn  borgher  en  leere 
Schwerter  u.  dgl.  führen.  Vgl.  auch  Goslar  Stadtr.  (um  1300),  Göschen 
63,20;  Lübeck  Stadtr.  Cod.  Brokcs  11.202,  Hach  S.  570;  Kocsfeld  Stat. 
(1349),  Niesert  U.  S.  III.  156  und  157.  — Zum  Teil  treten  die  ständigen 
Einwohner  speziell  in  Gegensatz  zu  Gästen,  zu  auswärtigen  Leuten,  die 
entweder  in  der  Stadt:  Goslar  Stadtr.  (um  1300),  Göschen  101,  26:  we  mit 
uns  nickt  ne  seotet,  de  is  en  gast  und  nen  borghere,  zusammen  mit  der  Fassung 
bei  Vargcs  S.  294  Anm.  4:  miluanre  seotet,  de  gast  nicht-,  Kordhausen  dritte 
Stat.  Sainml.  (um  1350)  II.  33,  Fuerstcmann  N.  M.  III.  3 S.  54:  eyn  borger 
mak  jool  Ansen  unde  keime  solche  lute , di  da  sehozzen  un  wachen,  eder  geste,  die  ir 
brotezen  sint  un  di  nieheines  gnoerbes  f- fit  gen.  Helte  ein  gast  gewerb,  des  man  on 
besege  mochte,  so  vorlore  sin  wert  vier  mark;  Braunschweig  Stadtr.  (1401)  290, 
s.  unten  S.  15  bei  Anm.  8,  mit  Echteding  (1532)  XXVIII  § 174,  Hänselmann 
I S.  341:  borger,  inwoncr,  borgers  gesittete  edder  teilt  mann,  oder  aber  aullurhalb 
der  Stadt  ihren  Wohnsitz  haben:  Göttingun  Stat.  (um  1344)  69,  Zschr. 
d.  hist.  Ver.  f.  N.  S.  1885  S.  162:  neyn  user  borgere  eder  medetoonere  schal 
hager  borge  eder  sakewohle  vor  utlude  werden  wenne  vor  ene  mark;  Göttingen 


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14 


erscheint  um  so  weniger  wunderbar,  als  selbst  das  Gesinde  nur 
ausnahmsweise  zu  den  Gästen  gezählt1),  häutiger  neben  und  nicht 
unter  ihnen  genannt  wird*),  obwohl  man  das  Letztere  erwarten 
dürfte.  Denn  mit  Rücksicht  auf  den  Mangel  einer  selbständigen 
Lebensstellung  in  der  Stadt’),  mit  Rücksicht  ferner  darauf,  daß 
das  Gesinde,  soweit  es  von  außen  stammt4),  in  absehbarer  Zeit 
seine  Wohnung  in  der  Stadt  wieder  aufgibt,  wird  es  vielfach 
neben  den  „Mitwohnem“,  den  „Eingesessenen“,  als  eine  besondere 
Hevfdkerungsklasse  in  den  Quellen  hervorgehoben’),  deren  Merk- 
male die  Bezeichnung  .als  „Gäste“  wohl  rechtfertigen  würden. 

c)  Wenn  einmal  „Mitwohner“  der  beschriebenen  Art  tat- 
sächlich unter  der  Bezeichnung  „Gäste“  erscheinen,  so  handelt 
es  sich  um  eine  seltene  Ausnahme.  Aus  Norddeutschland  dürften 

Stat.  (1354),  oben  S.  8 Anin.  1:  Güttingen  Notiz  im  olde  bok  (um  1 37.'»), 
oben  S.  6 bei  Anm.  5:  Hannover  Stadtr.  (um  1 350 j*)  III.  32,  Vaterl. 
Arcb.  S.  379:  Magdcb.  Prägen  II.  5 d.  3,  «.  oben  S.  10  Anm.  3:  Braun- 
schwei  g Kchtcding  (1532)  XXYIII  § 174,  vgl.  diese  Anm.  oben,  mit  Stadtr. 
(1401)  290,  s.  unten  S.  15:  s.  auch  Freiberg  oben  S.  12  Anm.  5. 

*)  Nordhausen  dritte  Stat.  Samml.  (um  1350)  II.  33,  s.  vorige  Anm. 
Vgl.  Bremen  Erste  Statuten  (1304)  II,  Oelrichs  S.  44.  — Auf  die  in  den 
Städten  vorkommenden  sog.  Muntmannen  und  „coloni“,  welche  in  einem 
Schutz-  und  Abhängigkeitsverhältnis  zu  einzelnen  Bürgern  stehen,  soll  hier 
nicht  näher  cingegangcn  werden.  Sic  werden,  von  Köln  und  vielleicht 
Magdeburg  abgesehen,  in  der  Hauptsache  nur  in  süddeutschen  Städten  ge- 
nannt. Vgl.  über  sie  Maurer  Städtevcrf.  II  S.  234  ff.:  Gengier  HA.  S.  403  ff.: 
tiierke  I S.  322  bei  Anm.  43. 

*)  Freiberg  Stadtr.  (129<i  - 1307)],  s.  oben  S.  12  Anm.  5:  Goslar 
Stadtr.  (um  1300),  Göschen  35,  3G.  55,  9.  63,  20;  Lübeck  Stadtr.  Cod. 
Brokes  II.  202,  Hach  S.  570. 

*)  Vgl.  oben  S.  <i  Anm.  5 gegen  Ende,  sowie  Göttingen  Notiz  im 
olde  bok  (um  1375),  oben  S.  (!  bei  Anm.  5.  Vielfach  muUte  das  Gesinde  erst 
durchVcrmitteliing  der  Herrschaft  klagen  oder  verklagt  werden  (Hertz  S.  37—51). 

4)  Goslar  Stadtr.  (um  1300),  Göschen  IG,  15. 

’)  Goslar  Stadtr.  (um  1300),  Göschen  t!3,  20;  Lübeck  Stadtr.  Cod. 
Brokes  II.  202,  Hach  S.  570:  Heiligenstadt  Willk.  (1335)  43,  Wolf  I rk. 
S.  1 1 ; Nordhausen  dritte  Stat.  Satnml.  (um  1350)  II.  33,  Poerstemann  N. 
M.  III,  3 S.  54:  Braunschweig  Echteding  (1532)  XXVIII  § 174,  Hänsel- 
uiaiin  I S.  341.  — Ausnahmsweise  muH  das  Gesinde,  gleich  den  ständigen 
Einwohnern,  schossen  (Freiberg  Stadtr.  IV.  § 18  bei  Ennisch),  ist  dann  aber 
auch  vom  Zoll  frei  (ebenda  XL  § 2):  in  Goslar  Stadtr.  (um  1300),  Göschen 
86.  12,  ist  das  Gesinde  auch  zum  l'rteilfindcn  berechtigt. 


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nur  Heiligenstadt1)  und  Soest*),  aus  Süddeutschland  Hem3)  und 
Freiburg  i.  U. 4)  hierher  zu  rechnen  sein;  die  beiden  letzteren 
sind  Tochterrechte  von  Freiburg  i.  Br.5).  Eigentümlich  äußert 
sich  das  Stadtrecht  von  Mühlhausen ,:).  Zieht  jemand  zu  bleibendem 
Aufenthalt  in  die  Stadt,  will  aber  nicht  bürgere  werde  unde  teil 
doch  koyphe  unde  rirkoyphe,  so  sal  he  zu  rechte  einen  royl  yebi  aUe 
ein  andir  gast.  Diese  letztere  Bezeichnung  ist  im  vorliegenden 
Fall  gerechtfertigt;  denn  die  „Mitwohner“  in  Mühlhausen  nehmen 
als  Strafübel  für  den  Nichterwerb  des  Bürgerrechts  rechtlich  nicht 
die  bürgerähnliche  Stellung  ein  wie  in  andern  Städten,  wo  sie 
namentlich  von  der  Zollzahlung  befreit  sind7). 

III.  Oie  Gäste. 

1.  Unzweifelhaft  freilich  lassen  es  auch  die  eben  genannten 
Aufzeichnungen  von  Heiligenstadt  und  Soest  nicht,  ob  die  dort 
genannten  „(»äste*4  nicht  lediglich  zu  der  Kategorie  von  Personen 
zählen,  die  das  Braunschweigische  Stadtrecht  zusammenfaßt  als  die 

gheystliken  lude  edder  uthlude,  de  neyne  stadplicht 
plegen  to  donde , alte  schoten,  waken,  uth jagen,  edder  der  stad 
hehulpelik  to  wesende  van  oren  personen  wegen,  se  woneden 
binnen  der  stad  edder  dar  enbuten *). 

■)  Hei  I igenstadt  Willk.  (1335)  43,  WolfUrk.  S.  11:  ein  put,  der  nicht 
eyn  MedJaooner  ist,  nachdem  vorher  von  Bürger,  Ilürgerskuecht  und  Mit- 
wohner die  Hede  gewesen. 

*)  Soest  alte  Schrae  (um  1350)  143  und  119,  Scibertz  II  S.  401.  399; 
vgl.  auch  Socstcr  Urteil  für  Siegen  (1300—1350)  von  bete  geben,  WcstfSl. 
Ztschr.  XI  S.  333. 

*)  Stadtr.  (1218?):  dein  extranens  (XV.  XXXVI)  steht  der  hosfes,  der  in 
urbe  residet  et  omnia  iura  civitatis  adim/'let  (XXV.  XXXIII),  gegenüber  und  er- 
freut sich  bis  zu  einem  gewissen  Grade  des  ins  burgensie  (vgl.  XIV),  Keutgen 
Urk.  S.  128.  130.  129. 

*)  Handf.  (1249).  die  zwar  die  Ausdrücke  hospts,  advena,  extremem,  non 
burgensis  vielfach  durcheinander  wirft,  aber  unter  dein  hospe < non  burgensis, 
wofern  er  facit  usus  vitle  (vgl.  z.  11.  18  mit  107),  den  ständigen  Mitwohner 
zu  verstehen  scheint,  Ganpp  St.  K.  II  S.  85.  101. 

s)  Vgl.  oben  S.  2 Anm.  4. 

*)  (1230—1250)  llerqnet  S.  C31 : über  Krwerb  des  Bürgerrechts  S.  Ii32. 

7)  Vgl.  oben  S.  9 bei  Anm.  1—5. 

8)  (1401)  290,  Hänselmann  I S.  125;  vgl.  Braunschweig  Echteding 
(1532)  XXVIII  § 174,  oben  S.  13  Anm.  3. 


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Die  ausdrückliche  Erwähnung  der  t/hei/xtlilen  lüde  deutet 
an,  daß  hier  unter  uthluden  überhaupt  alle  die  verstanden  sind, 
die  als  Pfaffen,  Ministerialen,  Grundhörige ')  ihren  allgemeinen 
Gerichtsstand  nicht  vor  dein  Stadtgericht  hatten  und  die  feiner 
auch  grundsätzlich  nicht  zum  Mittragen  der  städtischen  Lasten 
verpflichtet,  nicht  plicht bare  lüde3)  waren.  In  letzterer  Be- 
ziehung freilich  setzten  die  Städte  vielfach  durch,  daß  mindestens 
von  Grundstücken,  die  dem  Stadtgericht  unterlagen,  auch  durch 
Angehörige  jener  Stände  städtische  Lasten  mitgetragen  wurden*). 
Und  auch  bezüglich  des  Gerichtsstandes  gelang  es  den  Städten, 
ihre  eigenen  Gerichte  neben  den  Sondergerichten  jener  Stände4) 
für  Klagen  gegen  letztere  in  gewissem  Umfange  kompetent  zu 


')  ln  Kap.  OCX XVI  van  hovelmleu  timte  papen  des  deutschen  Stadt- 
rcchts  von  Lübeck  (1294),  Hach  S.  364,  gebietet  der  Hat  bei  50 Mark  Strafe, 
t/al  mn  horghere  mul  selten  sin  erve  vor  men  g ns!  noch  nen  horghere  ne  schal  vor- 
ccptn  cn  erve,  papen  oi/er  christlichen  lütten  noch  ritteieren  io/  hove- 
luiten,  io  negitener  wie.  — Bei  dieser  Gelegenheit  ist  darauf  hinzuweisen, 
daß  bei  Vorschriften  über  diese  Art  von  Gästen  letztere  in  der  Kegel  nicht 
unter  dem  Gcsamtnamcn  .Gast“,  sondern  unter  der  Bezeichnung  ihres 
Standes,  d.  h.  als  milites,  rustici,  derlei  und  dgl.  erscheinen. 

*)  Braun  schweig  Stadtr.  (1401)  290,  Hansel  mann  I S.  125:  vgl. 
oben  S.  8 bei  Anrn.  1 — 5. 

3)  Vgl.  Soest  Urt.  f.  Siegen  (1300—1850),  Westf.  Zeitschr.  XI  S.  333. 
und  alte  Schrae  (um  1350)  143,  Seibertz  II  S.  401:  Schwaney  Stadtr. 
(1344),  Wigand  I.  4 S.  100:  sowie  namentlich  den  Beschluß  von  Mühl- 
hausen (1302),  Herquet  S.  638,  woselbst  in  Anbetracht  des  Schadens,  den 
phaphen,  riuere  umtc  intim  der  Stadt  durch  Nichterfüllen  der  städtischen 
Lasten  von  städtischem  Besitz  zugefügt  haben,  für  alle  Zeiten  streng  verboten 
wird,  yeheyttte  phaphen,  rittcre  otlir  iu,lcn  vrieit  tu  gehene  an  hauen  otlir  an  antlermc 
xeheynirkygt  gute.  Auf  Lehngut  u.  dgl.  ruht  von  vornherein  nicht  städtische 
Schoß-  und  Dienstpflicht;  deshalb  ist  sein  Besitzer  im  Sinne  des  Stadt- 
rechts nicht  beseiten  (Freiberg  Stadtr.  II  § 7 bei  finnisch  S.  45).  — Ohne 
Beschränkung  sogar  auf  eigentümlichen  Besitz  von  Stadtgrüudcn  verpflichten 
zu  städtischen  Leistungen  z.  B.  Hameln  Stadtr.  (1277)  12,  Keutgen  Urk. 
S.  177:  Kreibcrg  Stadtr.  (1296 — 1307)  XXXIX  § 3,  Krmisch  S.  233: 
Hildesheim  Ilatsschluß  (1297),  Doebner  1’.  B.  I S.  262. 

*)  l'ber  grundherrliche  Gerichte  in  Magdeburg  vgl.  Hagedorn  S.  348, 
in  Braunschweig  unten  Kapitel  III.  Im  Verhältnis  zu  Dienstmannen-, 
geistlichen  u.  dgl.  Gerichten  werden  sie  selten  erwähnt.  S.  dazu  Bein» 
S.  !H(  Anm.  1. 


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machen  ’).  Auch  für  diese  letzteren,  zwar  in  der  Stadt  wohnhaften, 
aber  nicht  zu  ihrem  Gerichtsverbande  gehörigen  Personen  wird 
die  dem  Sachverhalt  entsprechende  ausdrückliche  Bezeichnung 
„Gäste“  selten  angewandt2). 

2 a)  Desto  reichlicher  findet  sich  die  Benennung  „Gast“  für 
alle  die,  die  außerhalb  des  Stadtgemeindebezirks  und  des  mit 
ihm  in  der  Regel  zusammenfallenden  Stadtgerichtsbezirks3)  gesessen 
sind4).  Häutig  werden  solche  Auswärtige  zum  Unterschied  von 

1)  Vgl.  darüber  diu  Ausführungen  in  Kapitel  III  an  verschiedenen 
Stellen.  Die  dort  cit.  Vorschriften  beziehen  sich  meist  sowohl  auf  die  in  wie 
auf  die  außerhalb  der  Stadt  wohnhaften  milites , rustici  u.  dgl.  — Man  einigte 
sich  u.  U.  mit  einzelnen  Personen.  Die  Gebrüder  von  Weidensee  erhalten  von 
Mühlhausen  (1250),  Hcrquct  Nr.  135,  die  oportunitas  libere  residendi  in  der 
Stadt  und  zwar  befreit  von  teloneum  und  gescen  (s.  jedoch  oben  S.  16  Anin.  3), 
verpflichten  sich  aber  dafür,  sich  im  Falle  einer  Klage  gegen  sie  vor  dem 
städtischen  viflitus  zu  gestehen. 

2)  S.  oben  S.  16  Anui.  1. 

3)  Das  regelmäßige  Zusammenfallen  des  «Gebiets,  innerhalb  dessen  die 
Stadt  die  Hechte  einer  Ortsgemeinde  ausnbt“,  mit  dem  Stadtgerichts- 
bezirk vertritt  mit  Hecht  Bclow  S.  32  ff.  und  S.  82  bei  Anm.  4;  vgl.  Gengier 
HA.  S.  265  ff.,  aber  auch  Rietschel  S.  221  Anm.  5.  Nur  wenn  der  Aftervogt 
ist  in  dem  wiebilde , iz  si  vor  der  stai  oder  in  den  gatten  oder  in  den  futsen , uf 
dem  morde  oder  wo  he  ist , da  ist  in  geriehle , nicht  aber,  wenn  er  kumit  uz 
disem  7i 'U bilde  uf  daz  velt  oder  in  ein  darf  oder  in  ein  vorwere  (Freiberg  Stadtr. 
XXX 11  § 2.  6 bei  Ermisch  S.  211):  wer  außerhalb  jenes  ersterwähnten  Bezirks 
wohnt,  es  sei  nun  auf  dem  gtbirge,  daz  in  die  stat  zu  V’riberc  gehöret,  oder  auf 
dem  lande,  der  ist  — obwohl  auch  für  dieses  Gebiet  die  Stadt  gewisse  pro- 
zessualische Vorschriften  gibt  (z.  H.  II  § 10.  12,  XXIX  § 4,  XXXII  § 6,  Er- 
iii i sch  S.  46.  47.  183.  211)  — ein  uzman  (I  § 37,  Ermisch  S.  37).  S.  auch 
Breslau  Rechtss.  für  Glogau  (1280)  1,  Korn  S.  48:  landlute,  dy  beder  syte 
buzen  der  stat  wichbilde  in  anderme  rechte  gesessin  sin , verantworten  sich  U.  V. 
vor  dem  Stadtgericht,  zusammengehalten  mit  Rechtsbcl.  an  Glogau  (1315) 
1,  oben  S.  10  Anm.  4:  Bautzen  Priv.  (1282),  Tzschoppc  S.  398. 

4)  Insbesondere  Brünn  Schöffenb.  (um  1350)  166.  167.  175,  Rüßler  II 
S.  84.  85.  87,  betont,  daß,  wer  aus  einem  anderen  Gerichte  kommt,  ein 
advena,  ein  Homo  extraneus  sei.  Vgl.  ferner  Wesel  Urk.  Buch  142,  Wolters 
8.  67:  die  eens  vreuidt  mans  pandt  opbaidt  voir  dem  ge  rieht  off  buten  dem 
Kerspel  gesetten;  Sachs.  Weich b.  XXVIII  § 1,  Daniels  S.  103:  Dist.  IV.  9 
d.  5 und  IV.  47  d.  4,  Ortloff  S.  198  und  275:  Bresl.  I.audr.  (1256)  195, 
Guupp  Schics.  LU.  S.  167:  bairisches  Kechtsbuch  (1332),  abgedruckt  bei 
Grimm,  deutsches  Wörterbuch  (Leipzig)  IV,  I Sp.  1456:  wir  sprechen , daz  eilies 
gesf  sein,  die  in  der  stat  nicht  gesetten  (=  wohnhaft)  sin/  noch  in  der  stat  geriehle. 
Andere  Hechte  bezeichnen  als  Auswärtigen,  als  alienus  einfach  den,  der  extra 

ICudorff,  UvcUt.'i.HtelluuK  der  (iä.-t«  2 


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18 


den  stadtbewohnenden  Gästen  noch  ausdrücklich  adcena  hoxpe«, 
hospes  alienue,  j'remet  gast,  utwerdig  gast  genannt,1)  und  als  Männer 
gekennzeichnet,  die  gcstewyz  in  die  Stadt  kommen  *),  als  Kaufleute, 
die,  anders  als  die  im  Weichbild  gesessenen  Krämer,  in  gaste s 
wissze  farn *).  Sie  zeichnen  sich  vor  den  in  der  Stadt  wohnhaften 
Gästen  eben  dadurch  aus,  daß  ihnen  die  Absicht  dauernden 
Aufenthaltes  in  der  Stadt  mangelt4).  Gäste,  die  hir  pleghen  to 
lighende  van  einer  fit  tor  anderen 4),  bleiben  eben  aus  jenem 
Grunde  Gäste.  Solche  auswärtige  Personen  sind,  wie  das  Braun- 
schweigische Stadtrecht *)  gelegentlich  einer  Vorschrift  über  Aus- 
antwortung  vererbten  Gutes  an  Auswärtige  es  ausdrückt, 

in  g hasten  wisen  in  der  stad  ....  mit  der  vorsate,  wen 
se  dal  yhevordert  hedden,  dat  ere  wonenl  denne  hir  nicht  lengh 
en  irere. 

b)  Diese  auswärtigen  Gäste  sind  ebenso  wie  die  Stadtgäste 
nicht  ding/dichtirh  edder  stadplichtich r).  — - Einmal  tragen  sie 
städtische  Lasten  grundsätzlich  nicht  mit*),  es  sei  denn,  daß  sie, 
selbst  außerhalb  wohnend,  entweder  von  ihrem  städtischen  Grund- 

ävitaltm  wohnt  (Schwerin  Stadtr.  — 1100?  — 22  in  ZKG.  9 S.  285:  Brann- 
schweig  Hagen  — 12.  Jahrb.  — 13  und  Ottonianum  — 13.  Juhrh.  — 15  in 
Hänsclmann  1 S.  2 be/.w.  5).  Vgl.  auch  vorige  Anmerkung. 

*)  Brünn  Stadtr.  (1243)  31,  Rüffler  II  S.  353:  Uersfeld  Verordn,  d. 
Abts  (1289),  Wenck  III  U.  B.  S.  157:  Soest  l'rt.  für  Siegen  (1300—1350), 
Thron,  d.  dtseh.  Städte  Bd.  24  S.  LXXV:  Erfurt  Zus.  zu  den  Stat. 
(1313),  Walch  II  S.  23:  Sehwerte  Priv.  (1397),  v.  Steinen  I S.  1507. 

*)  Magdeb.  Fragen  III.  9 d.  2,  Behrend  S.  202. 

3)  Dis  t.  V.  9 d.  24,  Ortlolf  S.  295. 

4)  Vgl.  aber  oben  S.  G Anni.  1. 

s)  Hamburg  Stadtr.  (1292)  M XI,  Lapponbcrg  S.  147. 

6)  (1401)  291,  llänselinann  I S.  125.  Vgl.  auch  Göttingen  Stat.  (1354), 
l’ufendorf  III  App.  S.  175:  Bauern,  die  < tor  vreiles  willen  . . . hir  enr  mite 
wonen  wählen,  sowie  oben  S.  2 in  und  bei  Anin.  1. 

J)  Braunschweig  Stadtr.  (1401)  291,  Hänselmann  I S.  125. 

")  Goslar  Stadtr.  (um  1300),  oben  S.  14  Anm.  1;  Prag  Stat.  Recht 
(1314—1418)  139,  Rüffler  I S.  94:  Göttingen  Notiz  im  olde  bok  (um  1375), 
oben  S.  6 bei  Anm.  5:  Braunschweig  Stadtr.  (1401)  290,  oben  S.  15  bei 
Anm.  8. 

*)  Freiberg  Stadtr.  (129G — 1307)  IV  § 3,  Krmisch  S.  52;  Prag, 
Rüffler  I S.  XCIV. 


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10 


besitz9)  oder  von  den  zu  ihrem  Gewerbebetriebe  gehörigen  und 
ständig  in  der  Stadt  befindlichen  Gütern ‘i  Schoß  erlegen  müssen. 
Anstatt  dessen  sind  sie  zollpflichtig*). 

c)  Weil  ferner  der  allgemeine  Gerichtsstand  der  auswärtigen 
Gäste  sich  außerhalb  der  Stadt  befindet,  müssen  sie  nur  bei  Vor- 
liegen eines  besonderen  Gerichtsstandes3),  namentlich  also,  wenn 
sie  sich  in  der  Stadt  befinden,  vor  dem  Stadtgericht  antworten: 

Quicumpie  mercandi  ca  um  cicitutem  int  rarer  int , tarn  ipxi 
t/uam  bona  eorutn  xub  iudicio  illorum  inaneant,  ijui  publice 
iurarerunt,  iuxtam  iudicii  darr  sentenciam,  id  ext  seabinorum*). 

Wunderten  Gäste  von  außerhalb  in  eine  Stadt  ein  und  wurden 
daselbst  Bürger,  so  hing  wahrend  einer  gewissen  Zeit  ihnen  in 
bestimmten  Beziehungen  die  ehemalige  Gasteseigenschaft  an5), 

*)  Löwenberg  i.  Schl.  Willkür  (1311)  4,  Tzschoppe  S.  489. 

2;  Vgl.  oben  S.  9 Anm.  1 bis  5,  sowie  Braunschweig  Ottonianum 
(13.  Jahrh.)  57,  Hänselmanu  I S.  7. 

*)  Barliber  s.  unten  Kapitel  111. 

*)  Utrecht  (11*29),  Hans.  U.  B.  I S.  G,  Festsetzungen  Heinrichs  V., 
nachdem  sich  SchulthoilS,  Kastellan  und  Utrechter  Bürger  über  die  gegen 
fremde  Kaulleutc  ausgebrnchten  ungerechten  Zölle  beklagt  haben.  Marien- 
burg Hamlf.  (1276)  6 und  7,  tiengler  St.  K.  S.  277,  trifft  die  Bestimmung, 
daß  Streitigkeiten  zwischen  den  in  der  Stadt  wohnhaften  Leuten  des  Land- 
meisters,  die  nicht  dem  Stadtgericht  unterstehen  ( fxempti  ab  omni  inrt  avium), 
und  solchen  Fremdlingen,  die  nicht  auf  städtischem,  sondern  eximiertem 
Boden  Aufenthalt  nehmen,  nicht  von  dem  Stadtgericht,  sondern  von  dem 
ordentlichen  Richter  jener  Leute  zu  entscheiden  sind. 

5)  Namentlich  im  Beweisrecht:  Goslar  Stadtr.  (um  1300),  Göschen  76. 
3:  auch  Riga  unigearb.  Stat.  (um  1300)  VII.  11,  Napiersky  S.  183:  Eus- 
kirchen Stadtr.  (1302)  4,  Keutgcn  Vrk.  S.  15G:  Bremen  Ordale  (1305  — 1306) 
CXXIl,  Oclrichs  S.  138.  — Umgekehrt  wird  Bürgern,  die  ihre  Bürgerschaft 
aufgeben,  auch  dann  die  Behandlung  als  Gäste,  angedroht,  wenn  sie  in  der 
Stadt  bleiben  und  die  Lasten  tragen  (Hildesheim  Stadtr.  141  — um  1300 
— , Doebncr  U.  11.  I S.  293):  vgl.  Mühlhausen,  oben  S.  15  bei  Anm.  G 
und  7.  Bürger,  die  eine  längere  Weile  aus  der  Stadt  fahren,  hören  deshalb 
noch  nicht  auf  Bürger  zu  sein  (Braunschweig  Ottonianum  50 — 13.  Jahrh. 
— , Hänsclmann  I S.  7 : Goslar  Stadtr.  — um  1300  — , Göschen  67,  24): 
Mitwohner  dagegen  sollen,  um  nicht  wieder  in  die  Stellung  von  Gästen 
herabzusinken,  in  solchen  Fällen  vorher  das  Bürgerrecht  erwerben  (Lübeck 
l'rk.  — 1397  — , Lnb.  U.  B.  IV  S.  375.  37G).  — Bezüglich  der  AuOcnbürgor 
vgl.  Gierke  II  S.  279  und  Zentner  in  ZKG.  23  S.  87  IT.:  ihre  Rechtsstellung 
ist  sehr  mannigfaltig,  auch  in  prozessualer  Hinsicht,  bald  mehr  der  der  Gäste 

2* 


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20 


und  insofern  unterschieden  sie  sich  von  den  schon  längere  Zeit  in 
der  Stadt  wohnhaften  Bürgern.  Bei  Gästen  dagegen,  die  außer- 
halb der  Stadt  ihren  Aufenthalt  behielten,  machte  es  bei  vorüber- 
gehendem Verweilen  daselbst  in  prozessualer  Richtung  wenig 
aus,  oh  sie  selbst  wiederum  in  kleinerer  oder  größerer  Entfernung 
von  der  Stadt  gesessen  waren,  und  namentlich,  oh  außerhalb  des 
Territoriums,  zu  dem  die  betreffende  Stadt  gehörte.  Nur  in  der 
Rechtsprechung  des  Brünner  Schöftenstuhles  taucht  dieser  letzte 
Gedanke,  ein  Ausfluß  beginnenden  staatlichen  Bewußtseins,  mit 
Klarheit  auf  und  nimmt  sogar  in  dem  Satze: 

Hoape a Jicitur  ia,  ipii  non  eat  terrigena,  rel  elinm,  qui  eal 
aub  ilominn  ulteriua  prineipia ') 

die  Bezeichnung  „Gast“  nur  für  Exterritoriale  in  Anspruch,  trotz- 
dem, wie  oben2)  gezeigt,  in  Brünn  auch  die  außerhalb  des  Stadt- 
geriehtsbezirkes  Wohnhaften  keineswegs  als  Einheimische  betrachtet 
und  behandelt  werden.  Anderwärts  dreht  es  sich  doch  mehr  um 
Einzelheiten.  Am  ersten  tritt  noch  der  Einfluß  von  Entfernung  und 
möglichenfalls  exterritorialer  Lage  des  Wohnsitzes  des  Fremden5) 
bei  den  Vorschriften  über  die  Gastgerichte  hervor  *).  Ferner  kommen 
diese  Umstände,  von  den  Gerichtsstands-  und  den  damit  zusammen- 
hängenden Arrestprivilegien  der  Stadt-  und  Territorialherren  für 
ihre  Ministerialen  und  Grundhörigen  abgesehen 5),  bei  manchen 
Sätzen  aus  dem  Gebiete  des  Beweisrechts  in  Betracht6).  Schließ- 

(Hildeshoim  Stadt r.  93  — um  1300  — , Doebner  U.  B.  I S.  288),  bald  inehr 
der  der  Bürger  angenähert  (Wosei  Urt.  Buch  13(1,  Wolters  S.  67). 

')  Schölfcnb.  (um  1330)  566,  llößler  11  S.  263:  vgl.  ebenda  591  (Rößler  II 
S.  272),  sowie  unten  Kapitel  VI. 

;)  S.  17  Anm.  4. 

3)  Er  ist  dann  tilhlcimlcsch  (Wittenburg  l’riv.  — 1345  — , Mcckl.  V.  B. 
IX  S.  634),  extrapnrvmrialh  (Stade  Rcchtsbr.  17 — 120!)  — , Gengier  St.  B. 
S.  455). 

4)  S.  unten  Kapitel  VI. 

ä)  S.  oben  S.  17  Anm.  1. 

6)  Zum  Nachteil  des  Exterritorialen  z.  B.:  Eeobschütz  l’riv.  Ern. 
(1270)  43.  44,  Gengier  St.  li.  S.  246  (der  innerhalb  der  provimia  Gesessene 
überzeugt  den  Dieb  mit  drei,  der  außerhalb  Gesessene  mit  sieben 
Männern):  Salzwedel  Kechtsbr.  (1273),  Pufendorf  III  App.  S.  399  (der 
außerhalb  der  Mark  Gesessene  kann  Bürger  nur  mit  Bürgern,  ein  anderer 
sie  auch  cum  extranch  testibm  überzeugen).  Zum  Vorteil  de*  Exterritorialen: 


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•21 

lieh  hängt  die  Möglichkeit,  in  bestimmten  Fällen  Klage  zu  erheben, 
bisweilen  von  jenen  Voraussetzungen  ab1).  Die  weitere  Frage,  ob 
jemand  Beichsangcliöriger  sei  oder  nicht,  spielt  in  den  prozeß- 
reehtliehen  Quellen  der  damaligen  Zeit  überhaupt  keine  Rolle. 
Wenn  Below’)  vom  Handelsverkehr  sagt,  daß  die  auf  die  Gäste 
bezüglichen  Bestimmungen  „jedenfalls  der  Hauptsache  nach  Unter- 
tanen des  deutschen  Königs,  sehr  häufig  Insassen  desselben  Terri- 
toriums“ zunächst  im  Auge  haben,  so  triflt  das  sicherlich  auch 
für  den  Prozeß  häufig  zu*).  Ausdrücklich  genannt  werden  außer- 
deutsche Gäste  überhaupt  nur  in  Verträgen  prozessualen  Inhalts, 
die  verschiedentlich  mit  ihnen  abgeschlossen  wurden4). 

Wenn  in  diesen  Verträgen  z.  B.  Heinrich  der  Löwe  den  Gotli- 
1 ändern  versprach:  plcnam  e.r  iudiciaria  potestate  no*(ra  iusticiam 
et  cor  red  tone  m conxcquantur,  oder  Lübeck  den  Schweden  zusicherte, 
sie  zu  behandeln,  als  wären  sie  Lübecker,  so  sind  das  mehr  Be- 
stärkungen alter  Gepflogenheiten  als  Zeugnisse  dafür,  daß  die 
Gothlünder,  die  Schweden  vorher  rechtlos  gewesen  wären.  Denn 
grundsätzlich  sollte  den  Gästen  überhaupt  stets  gleich  den 
Bürgern  zu  ihrem  Rechte  verhelfen  werden.  Unter  der  Voraus- 

Er  allein  ist  u.  U.  zum  Elendcneidc  berechtigt  (s.  unten  S.  30).  — (Iber 
den  Eintlull  der  Stammeszugehörigkeit  in  älterer  Zeit  auf  dem  Gebiet 
des  Beweisrechts,  namentlich  bezüglich  der  Eigenschaften  von  Zeugen,  vgl. 
Göhrum  I S.  156  Anm.  2. 

■)  Bezüglich  der  Klagen  von  Mitbürgern  gegeneinander  in  fremdem 
Lande  s.  Näheres  unten  in  Kapitel  III.  — l>er  einem  Herrn  nt  extranea 
prminaa  Entlaufene  kann  von  jenem  im  Gegensatz  zu  andern  Eigentümern 
auch  noch  nach  Jahr  und  Tag  beansprucht  worden  (Frei bürg  i.  IT.  Handf.  48, 
Gaupp  St.  K.  II  S.  102).  Vgl.  auch  Katihor  Einf.  der  Verjährung  (1315), 
Tzschoppe  8.  496:  Breslauer  Landr.  (1356)  195,  Gaupp  Schics.  L.  K. 

S.  167:  Wien  Stadtr.  (1221)  19,  Keutgen  Urk.  8.209. 

2)  Hist.  Ztschr.  86  8.  69.  S.  auch  Below  in  Jahrb.  f.  Nat.  Ük.  75  8.  30. 

3)  Die  Vorschriften  indessen  z.  B.  über  Gastgerichte  haben  gerade 
ferner  wohnende,  namentlich  auch  auücrhalb  des  Territoriums  gesessene  Gäste 
im  Auge:  vgl.  unten  Kapitel  VI. 

4)  Z.  B.  Vertrag  zw.  Deutschen  und  Gothländern,  bestätigt  von 
Heinrich  d.  Löwen  (1163),  Lflb.  U.  B.  I Nr.  3:  Köln- Flandern  (1197 
und  1212),  Hans.  U.  B.  I S.  25  bezw.  40:  Vertr.  zw.  deutschen  Kauf- 
1 cuten  und  8mnlcnsk  (1229  und  1255),  Hans.  U.  B.  I Nr.  232  bezw. 
398-  Lübeck-Schweden  (1250)  Lüh.  I'.  B.  I Nr.  170:  Bremen- Flandern 
(1255),  Eh  nick  I 8.  3<>5. 


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Setzung,  daß  sie  selbst  es  halten  würden  *),  sollten  sie  desselben 
Rechtes’),  desselben  Friedens1)  in  der  Stadt  genießen  wie  die 
Bürger  selbst.  Letztere  sollten  lediglich  wegen  dieser  ihrer  Eigen- 
schaft nicht  vor  einer  Partei,  die  (last  ist,  bevorzugt  sein*).  Die 
Verpflichtung  einer  unparteiischen  Rechtsprechung  zu  Gunsten  der 
Fremden  ward  nicht  selten  in  die  Eidesformel  aufgenoinmen, 
welche  Richter5),  Urteiler*),  Fronboten J)  oder  berufsmäßige  Vor- 
sprecher8) zu  leisten  hatten. 

Hart  genug  war  es  schon,  daß  sich  das  Prozeßverfahren  in 
der  hier  behandelten  Zeit  auch  da,  wo  ausschließlich  Gast  mit 
Gast  stritt,  durchweg  nach  dem  Recht  am  Orte  des  Prozesses 
richtete : 

ifuod  actor  et  reu s cnnmietudine * et  iura  locorum,  in  tjuibus 
litignnt,  obsercare  debent , licet  fortassis  in  aliis  loci» , ubi  alia 
vigent  iura,  residentiam  habent  corporalem 9). 

Und  wie  hier  das  Brünner,  so  entscheidet  schon  in  früherer 
Zeit  das  Magdeburger  Recht: 

< )b  sich  ztcene  ander  ein  ander  leunden  binnen  icickbilde, 
die  beide  con  Kindischer  art  sin  hcre  honten  unde  doch  nine 
icinedc  sin,  die  eine  honte  core  unde  hinge  nach  Kindischer 
site,  die  andere  ne  darf  inte  zu  rechte  nicht  antwarten,  ob  her 


*)  Goslar  Stadtr.  (1219)  22,  Kentgen  tlrk.  S.  181. 

’)  Riga  Stadtr.  (1225 — 1238)  Ein),  und  38,  Napiersky  S.  3 bozw.  10: 
Freising  Stadtr.  Huch  (1328)  (19,  Maurer  S.  309:  I.üheck  an  Burggraf 
von  Strombcrg  (13R8).  Lfib.  U.  B.  111  Nr.  f‘>72.  Vgl.  Siegburg  an  Köln 
(12S4),  Lacnniblet  11  S.  488,  und  Köln  Satzungen  (1385),  linnen  V S.  482  ff. 

*)  Braunachwcig  Ottnnianmn  (13.  Jalirli.)  57,  Hünaclmann  I S.  7: 
Hamburg-Lübeck  (um  1230),  Hans.  1'.  B.  I S.  81,  Vgl.  Straüburg 
Erstes  Stadtr.  (12.  Jahrh.)  1,  Keutgen  l'rk.  S.  93. 

*)  Brünn  Schöffenb.  (um  1350)  lfi7,  Rödler  II  S.  85.  Vgl.  jedoch 
Rostock  au  Lübeck  (um  1300),  Liib.  U.  B.  II,  1 Nr.  124. 

5)  Bist.  UL  1 d.  1,  Ortloff  S.  134:  Göttingen  grilll.  liid  auf  dem 
Leineberge  (1421).  Havemann  II  S.  509. 

a)  Hamburg  Stadtr.  (1270)  XL  11,  Lappenberg  S.  GO:  Hist.  111.  I d.  2, 
Ortloff  S.  134. 

»)  Hist.  III.  1 d.  3,  Ortloff  S.  134. 

8)  Kassel  Landgraf!.  Satzung  (1384)  29,  Gengier  Cod.  S.  472. 

'•’)  Brünn  Schöffenb.  (um  1350)  105,  Rödler  II  S.  5G. 


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23 


tcol  beklaget  in  an  der  spräche,  diu  ime  angeboren  ist,  nach 
wichbildes  rechte '). 

Mit  Hecht  liebt  Planck1)  hervor,  zwar  habe  jeder  Fremde 
nach  M.igdeburgischem  Recht")  einen  Anspruch  darauf,  in  der 
Sprache  seiner  Herkunft  beklagt  zu  werden,  also,  wenn  diese 

')  Magdeb.  Brcsl.  Hecht  (1201)  54,  I.aband  RQu.  S.  21.  Nicht  ent- 
gegensteht  S.  Ld.  R.  III.  7!)  § 2,  der  im  Anschluß  an  § 1 von  neu  ausgesetzten 
Dörfern  zu  verstehen  ist:  ihr  entweder  vom  Dorfherrn  erteiltes  oder  von 
den  Dorfgenossen  selbst  gesetztes  Recht  wird  mir  als  Sonderrecht  der  Dorf- 
genossen, nicht  aber  als  eine  gleichberechtigt  neben  dem  I.andrecht  stehende 
Rechtsbildung  (wie  z.  B.  das  Markt-  oder  Stadtrecht)  zugelassen.  Die  Be- 
merkungen von  Kühns  II  S.  382.  383  zu  Berlin  Stadtbuch  von  1397  (Buch  III 
hinter  qu.  XCVIII),  Fidicin  I S.  172,  sind  schon  ans  dem  letzterwähnten 
Gründe  unrichtig,  abgesehen  davon,  daß  in  der  fraglichen  Stelle  nicht  davon 
die  Rede  ist,  cs  müsse  jemand  mit  Zeugen  sein  Fremdtum  beweisen  (ei/erl), 
um  nicht  nach  Berliner  fokal-,  sondern  nach  sächsischem  Rechte  sich  ver- 
teidigen zu  dürfen.  — In  eine  Zeit,  da  die  einzelne  Stadt  das  eigene  Recht 
noch  nicht  zu  voller  Selbständigkeit  durchgebildet  hatte,  fällt  das  bekannte 
und  streitige  Privileg  des  Abts  Eggehard  für  Allensbach  (1075),  Keutgen 
I rk . S.  62:  Omnibus  eiusdem  oppidi  viltanis  mereandi  potestatem  c oncessimus , ut  ipsi 
et  eorum  postcri  sin t mercatores,  exreptis  Ais , qui  in  txercendis  vineis  vei  areis  oeett - 
pantur.  Ipsi  autem  mercatores  inter  se  vei  inter  alios  nulla  alia  faciant 
judieia , preterquam  quae  Constanticnsibus,  ßasiliensibus  et  omnibus  mercatoribus  ab 
antiquis  temporibus  sunt  eoncetsa  . , Rietschel  s Erklärung  (S.  195)  der  gesperrt 
gedruckten  Worte  dahin,  daß  „die  mercatores  [von  Allensbach]  in  ihren 
Rechtsstreitigkeiten  vor  Gericht  sowohl  am  Orte  selbst  wie  an  anderen  Orten 
das  allgemeine  Kaufmannsrecht  genießen  sollen“,  verträgt  sich  nicht  mit 
dem  Sinne  des  Worts  fattre,  welches  nicht  ein  leiden,  sondern  ein  „handeln“ 
bedeutet.  In  Allensbach  richtet  naturgemäß  das  Ortsgericht,  unter  Vorsitz 
des  advocatus  und  Beisitz  von  Gemeindemitgliedern,  seien  dies  nun  speziell 
die  mercatores,  seien  es  die  sonstigen  villani;  es  ist  nämlich  eine  einzige  Ge- 
meinde vorhanden,  nicht  ein  Nebeneinander  zweier  Personalgemeinden  (Below 
S.  30).  Diese  Gemeindemitglieder  finden  das  Recht  (iudicia  faciant).  Sobald 
im  einzelnen  Falle  mercatores  als  Beisitzer  fungieren  (über  die  Bildung  der 

Gerichte  im  allemannischen  Itechtsgebict  s.  Schröder  S.  557  oben)  — und 

dies  dürfte  die  Regel  dann  gewesen  sein,  wenn  der  im  Privileg  genannte 
Wochenmarkt  anstand  — , sollen  sie,  wofern  Allensbacher  oder  fremde  euer- 
catores  (so  mit  Recht  Keutgen  Urspr.  S.  214  Anm.  3)  mit  einander  prozes- 
sieren, ausschließlich  das  gemeine  Kaufmannsrecht,  den  Vorläufer  des  Stadt- 
rechts, zur  Anwendung  bringen. 

»)  I S.  136. 

s)  Vgl.  Magdcb.  Bresl.  syst.  Sch.  li.  III.  1 d.  4.  I.aband  S.  55:  und 

ferner:  S.  Ld.  R.  III.  71.  70:  Dist.  VI.  26  d.  1,  Ortlolf  S.  333. 


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•24 


wendisch  sei,  auf  wendisch;  aber  abgesehen  von  diesem  einen  Zu- 
geständnis darf,  selbst  wenn  beide  Parteien  Stammesfremde  sind, 
nur  nach  wichbilde « rechte,  nicht  nach  windischer  site  prozes- 
siert werden1).  Namentlich  auf  dem  Gebiete  des  Ueweisrechts 
war  die  Frage,  welches  Beeilt  in  Anwendung  zu  bringen  sei,  wichtig. 
Im  Rechtsbuche  von  Herford*)  wird  sie  auf  Ersuchen  eines  Für- 
sprechers des  Herrn  von  der  Lippe  und  dessen  Meiers  um  He- 
sclieid,  wie  sie  einen  in  die  Stadt  gezogenen  angeblich  eigenen 
Mann  gewinnen  sollen,  zu  gunsten  des  Prozeßorts,  des  Stadtrechts 
mit  der  Begründung  entschieden:  erex  ammete*  recht  wirte  men 
hir  nicht.  — Daß  Gäste  die  Anwendung  ihres  heimatlichen  Prozeß- 
rechts hätten  in  der  Fremde  verlangen  können,  war  eine  Aus- 
nahme, bewirkt  vielleicht  durch  ein  besonderes  Privileg,  wie  z.  II. 
das  bekannte  vom  Kaiser  an  Lübeck  erteilte,  wonach  ein  jeder 
seiner  Bürger  überall  im  Reich 

se  expurgabit  absijue  captione  xecundum  iura  jam  dicte 
civilafU  3). 

Wo  derartige  Ausnahmen  nicht  galten,  das  Recht  des  Prozeß- 
orts also  eintrat,  konnte  sich  der  Gast  bei  Verstößen  gegen  Ver- 
fahrensvorschriften in  der  Regel  nicht  mit  Rechtsunkenntnis  ent- 
schuldigen*). 

')  Die  Antwort  mul)  vom  Beklagten,  evtl,  mit  Hülfe  von  Versprechern, 
so  erteilt  werden,  dall  die  Gerichtspersonen  sic  verstehen  können  (l)ist.  VI. 
26  d.  1,  Ortloff  S.  333). 

s)  (1360)  10,  Wigand  I,  1 S.  18.  Vgl.  auch  Riga  Umgearb.  Stat.  (um 
1300)  2,  Napiersky  S.  142. 

3)  (1188)  5,  Keutgen  Urk,  8.  184.  Die  Privilegien  des  Erzbischofs 
v.  Riga  usw.  für  alle  die  Ostsee  u.  Livland  besuchenden  Kaulleutc  (1277)  und 
des  Deutschordens  meist  ers  usw.  für  die  Lübecker  (1299),  I.üb.  l\  B.  I 
nr.  37!)  bezw.  nr.  688,  lassen  die  Privilegierten  ihre  Streitigkeiten  unter 
einander  nach  gothländischem  bezw.  tübischem  Recht  erledigen:  sobald  aber 
ein  Eingeborener  mit  in  Frage  kommt,  ist,  auch  wenn  der  Richter  der 
Privilegierten  richtet,  das  Recht  des  Prozollortes  in  Anwendung  zu  bringen. 
Vgl.  übrigens  Priv.  der  Gräfin  v.  Flandern  für  die  Kaulleutc  des  Reichs 
(1252),  Lüb.  I'.  B.  I nr.  180,  wonach  Erteile  der  üandriseben  Schöffen  in 
Deutschland  in  die  Güter  der  Verurteilten  so  vollstreckt  werden  sollen, 
wie  der  flandrische  Spruch  verlangt:  gegen  ihre  Personen  jedoch  soll  nach 
dem  Hecht  des  Ortes  der  Vollstreckung  vorgegangen  werden. 

*)  Vgl.  jedoch  München  Stadtr.  Buch  (1347)  262,  Auer  S.  101:  Recht 
iles  Billwärdcr  (um  1400)  23,  Lappetibcrg  S.  328. 


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25 


Zweites  Kapitel. 

Vare,  Eiendeneid  und  prozessuale 
Stellvertretung. 

Die  grundsätzlich  gleiche  prozessuale  Behandlung  der  Gäste 
hatte  jedoch,  teils  zu  ihren  Gunsten,  teils  zu  ihren  Ungunsten, 
ihre  Ausnahmen.  Nicht  nur  verhältnismäßig  am  eigentümlichsten 
ausgeprägt,  sondern  auch,  wie  schon  aus  der  außerordentlich 
häufigen  Erwähnung  in  den  Quellen  hervorgeht,  von  ausnehmend 
praktischer  Bedeutung  iur  die  Stellung  der  Gäste1)  war  alles,  was 
sich  auf  Gerichtsstand,  auf  Personal-  und  Sacharrest,  auf  Markt- 
frieden und  Prozeßgeleit,  sowie  auf  die  sogen.  Gastgerichte  bezog; 
diese  Gebiete  mögen  deshalb  einer  gesonderten  Betrachtung  weiter 
unten  Vorbehalten  bleiben8).  An  dieser  Stelle  soll  nur  kurz  auf 
einzelne  Besonderheiten  hingewiesen  werden,  die  nicht  jene  Be- 
deutung besitzen,  von  denen  jedoch  ein  Teil  eine  sogar  ausschließ- 
liche Beziehung  gerade  auf  Gäste  hat. 

I.  Ausschließlich  auf  Gäste  dürften  u.  a.  gehen  die  Sätze, 
die  mit  Rücksicht  auf  Entfernung  und  Art  des  Wohnsitzes  den 
Gästen  die  Fristen  zur  Klagerhebung •’)  oder  zur  Rechnungslegung4) 
verlängern,  besondere  Bestimmungen  über  die  Orte  treffen,  wo  sie 
zu  laden  oder  die  Entscheidungen  ihnen  zu  verkünden  sind5);  die 
Sätze  ferner,  die  den  Gästen  höhere  Gebühren  als  Einheimischen 
auferlegen,  handele  es  sich  nun  um  Gefälle  an  die  Gerichtsbehörden 

')  Vgl.  oben  8.  2 bei  Amn.  1. 

J)  Auch  irn  Vollstreckung  verfahren,  namentlich  aber  im  Beweisvcr- 
fahren  zeigen  sich  umfangreiche  Besonderheiten,  Beide  Gebiete  bleiben  in- 
dessen, vom  Elendenoidc  und  gewissen  Besonderheiten  des  gastgerichtlichen 
Verfahrens  abgesehen,  von  vorliegender  Arbeit  ausgeschlossen. 

3)  S.  oben  S.  21  Anin.  1:  Freiburg  LU.  Handf.  (1249)  48;  Katibor 
Einf.d.Veij.  (1315):  Bresl.  Landr.  (1356)  195.  — Vgl.  auch  D ist.  I.  34  d.  2, 
Ortlofl'  S.  67,  und  unten  Kapitel  VI. 

*)  Brünn  Schöffcnb.  (um  1350)  166,  KoUler  II  S.  84. 

s)  Freiberg  Stadtr.  (1296—1307)  I §37.  III  §3,  Kruiisch  S.  36.  50 
(Markt:  Herberge);  Goslar  Stadtr.  (um  I3<>0),  Göschen  40,  24.  47,12.  52,23. 
52,  26.  67,  37  (Marktlaube:  Je  htrhtrghe  Jur  he  — sc.  der  Gast  — pleghet  in  to 
ivanJerenJe) ; Frankfurt  a/M.  Priv.  (1376),  Bönig  p.  sp.  IV  Font.  S.  591 
(seine  herfierge,  Jo  er  — sc.  der  Gast  — inne  gelegen  hat). 


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bei  Rückerstattung  abhanden  gekommener,  namentlich  gestohlener 
oder  geraubter  Gegenstände '),  bei  Vornahme  bestimmter  prozessualer 
Handlungen*),  hei  Auskunft  über  das  in  der  Stadt  geltende  Recht1); 
die  Sätze  schließlich,  die  das  Rflgerecht  der  Gäste  betreffen'). 

II.  Wichtiger  als  die  eben  genannten  erscheint  eine  Reihe 
von  Vorschriften  allgemeiner  Natur.  Es  zählen  zu  ihnen  nament- 
lich die  Regeln  über  die  Beseitigung  der  vare,  über  den  sogen. 
Eiendeneid  und  über  die  prozessuale  Stellvertretung. 

1.  Die  Regeln  über  die  Beseitigung  der  care  wird  man 
mit  Siegel4)  am  besten  zerlegen  in  solche,  die  den  Formalismus 
speziell  beim  Unschuldseide,  und  solche,  die  ihn  überhaupt  oder 
doch  in  ausgedehnten  I’artieen  des  Prozesses  ausschließen  sollen. 
Vom  Unschuldseide  nimmt  Siegel*)  an,  daß  seine  Ableistung 
ohne  care  bei  leugbarer  Schuld  schon  Ende  des  12.  Jahrhunderts 
allgemeiner  Bestandteil  des  Kaufmannsrechts  gewesen  sei7).  Wenn 


')  Münster  Stadtr.  (1221)  39.38,  Keutgen  l'rk.  S.  153:  Dortmund 
Lat.  Stat.  (1254-1256)  11  und  l'rteilsbuch  (1300—  1350)  1.  2,  Frensdorff 
S.  26  bezw.  108 : Bremen  nngcbl.  Vcrtr.  des  Erzb.  mit  Stadt  (1259),  Khmck 
I S.  337,  und  Ordale  (1305)  I.XXV,  Oelrichs  S.  109:  Hamburg  Stadtr. 
(1270)  XII.  6,  Lappenberg  S.  67:  Hannover  Stadtr.  (um  1350?)  III.  16, 
Yaterl.  Arch.  S.  362:  Brest.  Landr.  (1356)  195,  Gaupp  Sehlos.  Lande.  S.  167: 
l)ist.  IV.  9 d.  5,  OrtlnlT  S.  198.  Eine  Befreiung  der  deutschen  Kaufleute  von 
dieser  Gebühr  enthält  Riga  l’riv.  d.  Erzbisch.  (1275),  Lüb.  U.  B.  I nr.  362. 

*)  Dem  Büttel  für  die  Ladung:  Freiburg  i.  t . Handf.  (1249)  15, 
Gaupp  St.  K.  II  S.  85.  Dem  Büttel  für  die  Verwahrung  des  Schuldners:  Frci- 
berg  i.  S.  Stadtr.  (1296  — 1307)  XXXVI  §2,  Ermisch  S.  225.  Dem  Gericht 
bei  Mißlingen  erhobener  Beweise:  Münster  Stadtr.  (1221)  33.32,  Keutgen 
l'rk.  S.  152:  Wesel  l’riv.  Bcstftt.  (1277)  13,  Wigand  IV,  4 S.  410.  Dem  Ge- 
richt vor  Erklärung  der  beantragten  Friedloslegung:  Werden  Vertr.  zw.  Abt 
u.  Stiflsvogt  (1317),  Lacomblet  III  S.  121. 

*)  Magdeburg  SchöfTenspr.  für  Stendal  (1334)  II.  5 und  6,  llehrend 
l'rt.  Buch  S.  2.  Vgl.  überhaupt  Goslar  Stadtr.  (um  1300),  Göschen  1,  17: 
Magdeburg  Alph.  Samml.  v.  Schöflenspr.  338,  Wasserschieben  S.  98. 

4)  Braunschweig  Stadtr.  (1401)  2<>7,  vgl.  206,  Hänselmann  I S.  118, 
verbietet  überhaupt,  daß  ltfige  gegen  Bürger  von  Nichtbürgern  angebracht 
werde.  Magdeburg  Ratsordn.  (1329),  Magdeb.  I'.  B.  S.  200,  verlangt  dem- 
gegenüber nur  eine  vorherige  Prüfung  der  Glaubwürdigkeit  der  uhvtmii^htn  ludc. 

5)  S.  33.  35.  °)  S.  36. 

7)  Vgl.  Aachen  Priv.  (1166)  5,  Keutgen  l'rk.  S.  38:  Priv.  Fricdr.  I. 
für  die  Flandr.  Kaufleute  (1173)  4 und  8,  ebenda  S.  52:  Lübeck  Priv. 
(1188)  5,  ebenda  S.  184;  Hamburg  Priv.  (12.  Jahrh.),  Lappenberg  S.  XL: 


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■27 


sich  das  auch  nie  mit  Bestimmtheit  wird  nachweisen  lassen,  so 
ist  doch  die  Wahrscheinlichkeit  dieser  Aufstellung  sehr  groß. 
l>a  beim  Eid  das  genaue  Nachsprechen  vorgesprochener  Worte  in 
Frage  kam  und  eine  Vertretung  durch  Vorsprecher  hierbei  grund- 
sätzlich nicht  verstattet  war1),  so  befand  sich  der  Fremde,  der  in 
einem  andern  Dialekt  oder  überhaupt  nicht  deutsch  redete,  in 
einem  ganz  offensichtlichen  Nachteil.  Selbst  in  Hildesheim,  dessen 
Stadtrecht  als  das  einzige  in  Deutschland  den  Gast  bezüglich  der 
rare  bei  der  Ableistung  des  Eides  schlechter  stellt  als  den 
Bürger,  heißt  es: 

Siijuix  non  loi/uitur  noxtra  lini/un,  non  tenetur  ittrare  ad 
rare  s). 

Damit  ist  die  erwähnte  ungünstige  Vorschrift  tatsächlich  auf 
einen  kleinen  Teil  der  Gäste  beschränkt.  Denn  bei  der  großen 
Verschiedenheit  der  mittelalterlichen  Mundarten  erklären  z.  B.  die 
Schöffen  von  Brünn*)  nicht  nur  den  Sachsen,  Schwaben  und  Rhein- 
länder, sondern  auch  den  Wiener  Bürger  für  einen  alieniyena  alium 
haben»  modum  lai/unidi  i/nam  hic  lot/ui  comuetum  est ; sie  geben 
ihm  demzufolge  das  Recht,  nach  Berührung  des  Kreuzes  die  Worte 
des  Eides  so  auszusprechen,  sicut  in  suis  /lartihus  cotisueeit. 

Wenn  Schröder4)  meint,  daß  die  niederländischen  Kolonisten 
in  der  Regel  das  Privileg  erhalten  hätten,  sine  mra  schwören 
oder  überhaupt  prozessieren  zu  dürfen5),  und  daß  dies  wohl  der 

Köln  Vcrtr.  mit  Flandern  (1197),  Hans.  l\  B.  I S.  25.  Aua  späterer  Zeit 
erwähnen  dio  gefahrlose  F.idosleistung  Fremder  z.  B.  Köln  Vcrtr.  mit  Flan- 
dern (1212),  Hans.  F.  H.  I S.  40,  und  Vertr.  mit  Berg  (12fi2),  Lacomblot  II 
S.  290;  Koblenz  Altes  (ierichtsbuch  (13<;r, — 1424)  19  § 1,  Bär  S.  93. 

')  Planck  I S.  197  oben. 

’)  Stadtr.  (um  1249)  40  und  entspr.  (uni  1300)  38,  Docbnor  II.  B.  I 
S.  105  bezw.  283.  Nach  Stadtr.  (um  1249)  37.  38  und  entspr.  (um  1300)  35. 
38,  Doebner  IT.  B.  I S.  104  bezw.  S.  283,  schwört  der  Gast  dem  Bürger  sub 
penn  tjuc  dicitur  varr;  ein  gleiches  gilt  für  das  Verhältnis  von  Bürger  zu 
Bürger,  während  der  Bürger  dem  Gaste  gegenüber  von  der  vare  befreit  ist. 

>)  Schöffcnbuch  (um  1350)  454,  Rößler  II  S.  211. 

4)  S.  785.  — Mas  sog.  Priv.  Friedrichs  L für  tlandr.  Kaufleute  (1173)  4, 
Keutgen  l'rk.  S.  52,  gibt  keineswegs  nur  diesen  das  Recht  sine  van  schwören 
zu  dürfen. 

*)  Z.  B.  Erzb.  von  Magdeburg  für  die  Holländer  der  Kirche  von  Naum- 
burg (1152),  thüring.  ltechtsdenkin.  1.  145:  Heinrich  d.  Löwo  für  die  Hollän- 


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28 


erste  Anstoß  gewesen  sei,  im  späteren  Mittelalter  die  Gefahr  im 
Rechtsgang  überhaupt  aufzuheben,  so  ist  dies  wohl  nicht  richtig. 
Einmal  weisen  Rechtsaufzeichnungen  anderer  Art  in  einer  mindestens 
ebenso  frühen  Zeit  wie  jene  flandrischen  Privilegien  auf  eine  Be- 
seitigung der  raff  hin1).  Ferner  ist  zu  berücksichtigen,  daß  die 
Notwendigkeit,  den  scharenweise  anzusiedelnden,  fernher  stammenden 
Kolonisten  ihr  neues  Recht  zu  fixieren5),  zufälligerweise  gerade  für 
sie  Niederschriften  des  Prozeßrechts  in  einer  Zeit  entstehen  ließ, 
die  verhältnismäßig  nur  wenige  Aufzeichnungen  solcher  Art  her- 
vorgebracht hat.  Daß  in  diesen  Niederschriften  des  Verbots  der 
care  gedacht  wurde,  geschah,  weil  man  den  Ansiedlern  natur- 
gemäß jene  Befreiung  von  der  eure  ausdrücklich  zusichern  wollte, 
die  auch  sonstige  Fremde  genossen. 

Im  allgemeinen  wurden  seit  dem  18.  Jahrhundert  die  Ein- 
heimischen bezüglich  der  care  nicht  anders  behandelt  als  die 
Fremden : 

precipimm,  ut  omne  ius  absque  eaptione,  quod  rulgo  rare 
dicitur,  observetur  tarn  de  e.rtraneis  quam  de  burgemibus 3), 
die  Regeln  über  rare  überhaupt  meist  Ununterschieden  danach,  ob 
für  Einheimische,  ob  für  Gäste  bestimmt,  hingestellt.  Höchstens 
in  Verträgen,  namentlich  den  von  Köln4)  oder  den  niedersächsischen 

der  des  Fr.  von  Mcckengtedt  (1171),  Hoyasches  1'.  11.  II,  5 S.  2:  I’rir.  d. 
Erzb.  von  Bremen  für  Holländer  (1171),  Vogt,  inonum.  Bremcnsia  1.10. 
Vgl.  I’riv.  Friedrichs  I.  für  llandr.  Kauflcnte  (1173)  4.  8,  Keutgen  l'rk. 
S.  52:  s.  oben  S.  27  Anm.  4. 

')  s.  Siegel  S.  31  ff.  In  dem  ebenfalls  bei  Siegel  genannten  sog.  Vogt- 
wuistuin  von  Gandersheim  (1188),  Harenberg  K.  130,  wird  bezeugt,  daß 
schon  der  Graf  und  Vogt  Siegfried  von  Bomencburg  bestimmte  Güter  aus  der 
Hand  der  Acbtissin  empfangen  habe,  ne  f Uitones  tccUsiat ] saptioso  iuditio  debcant 
iudicari;  jener  Vogt  ist  identisch  mit  dem  Grafen  und  Vogt  Siegfried  (IV.), 
der  in  einer  l'rkunde  des  Bischofs  von  Hildesheim  1134  genannt  wird  und 
vor  1150  stirbt  (Harenberg  S.  188 — 172). 

s)  S.  Friv.  Heinrichs  d.  Löwen  (1171),  oben  S.  27  Anm.  5:  nt  outen 

prtdictis  emtoribus  nulla  fossil  infern  violentia,  iustieiam  eorum  distinctc  iussimia 
subnotari. 

3)  Goslar  Friv.  Friedr.  II.  (121!))  40,  Keutgen  l'rk.  S.  182. 

*)  Mit  Berg (12(13),  Ennen  II  S.466:  mit  Berg  (1280),  ebenda  III  S.  157: 
mit  Berg  (1318),  Lacomhlet  III  S.  136;  mit  Reifferscheid  (1320),  Gnnen 
IV  S.  63:  mit  Brabant  und  Aachen  (1351),  I.acomblet  III  S.  39!):  mit  Ober- 
wesel, Koblenz,  Andernach  und  Bonn  (1359),  I.acomblet  III  S.  499. 


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20 


Städten  ')  abgeschlossenen,  versicherte  man  die  Angehörigen  anderer 
Städte  und  Länder  noch  ausdrücklich  eines  equnm  iudicium, 
iudicium  grutinsnm  et  sine  ragtione , genetlich  gerethe  sunder  rair. 

2.  Auch  zur  Entwicklung  des  Eiendeneides*)  wird  die 
Jtücksicht  auf  Gäste,  welche  im  auswärtigen  Lande  der  Freunde 
und  Verwandten  entbehren,  ursprünglich  nicht  wenig  beigetragen 
haben.  In  späterer  Zeit  erscheint  er  jedenfalls,  anders  als  es  bei 
der  Befreiung  von  der  rare  der  Fall  ist,  häufig  sogar  ausschließ- 
lich aut  (Jäste  beschränkt.  Wer  mit  Eidhelfern  schwören  müßte, 
diese  aber  aufzutreiben  nicht  im  stände  ist,  darf  unter  gewissen 
Umständen  einen  «erregt  leisten,  enelende  geswerin,  d.  h.  eid- 
lich beteuern,  daß  er  lediglich  sinen  ellendighen  thuch  habe’); 
nur  darf  er,  wenn  er  diesen  Voreid  in  Anspruch  nimmt,  seine 
Unschuld  noch  nicht  angeboten  haben4).  Solche  Umstände  liegen 
vor,  zuweilen  schon,  wenn  dem  Beweisführer  nicht  die  genügende 
Anzahl  von  Verwandten4),  meist,  wenn  ihm  nicht  diese  oder  die 
erforderliche  Menge  von  Freunden  zur  Verfügung  steht.  Letzteres 
wird  natürlich  am  häufigsten  gerade  bei  Gästen  eintreten.  Nicht 

')  Monster- Friesland  (1276),  Wilmanns  HI  nr.  988:  Bündnis  zw. 
Goslar,  Braun s e li weig,  Ilalbcrstadt,  Quedlinburg  und  Aschers- 
lebrn  (1333),  Halberstädt.  U.  B.  I nr.  413.  Vgl.  Priv.  des  lirlitnd. 
I>eutschlaudmeisters  für  die  Inbischen  Kauflcutc  (1299),  I.üb.  U.  B.  I 
nr.  688. 

3)  Vgl.  über  ihn  Planck  11  S.  138  und  139. 

s)  F.schershausen  bischöl!.  Priv.  (1133 — 1137),  Böhmer  Acta  II  S.816; 
Nordhausen  iura  civitatis  (1208),  nach  Scnckenberg  visiones  S.  330  ge- 
druckt bei  Sachsse  S.  286:  Lübeck  lat.  Stadtr.  (1263)  LIV,  Hach  S.  202: 
Flensburg  Stadtr.  (1282),  nach  Westpbalen  monuni.  Cinibrica  toin.  IV 
S.  1944  gedruckt  bei  Sachsse  S.  87:  Bruchstück  eines  (Magdeburgischen?) 
Gesetzbuchs  (13  Jabrh.  ?),  Dreyer  S.  170  und  171:  Bamberg  Stadtr.  (1306) 
137.  138,  Zöpll  S.  46.  47 : Magdeburg  SchöfTenspr.  für  Stendal  (um  1340) 
XXVII  § 2,  Bohrend  Urt.  Buch  S.  112:  Vertrag  zwischen  Mecklenburg, 
Sachsen,  Schwerin  und  Lübeck,  Rostock,  Wismar,  Grcvismühlcn 
usw.  (1354),  Lüb.  U.  B.  III  nr.  218:  Berlin  Stadtbuch  (1397)  III.  Buch 
hinter  gu.  XGIV,  Fidicin  I S.  161;  RLdlt  45  § 4 und  5:  Zweite  Keurc  von 
Popcringbcn  Art.  8,  Warnkönig  III,  1 S.  297:  niederdeutscher  licchts- 
satz,  nach  Raeer  Overysselsche  Gedenkstukken  5.387  und  6.87  gedruckt 
bei  Noordcwier  S.  167:  Odensee  Priv.  (1477)  7,  nach  Kolderup  Samml.  V 
S.  207  gedruckt  bei  Sachsse  S.  87. 

4)  Lcuhschntz  Willknrrecht  rf276),  Böhme  1 Teil  II  S.  11. 

s)  F.schershausen  bischüfl.  Priv.  (1133—1137),  Böhmer  acta  II  S.  816. 


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30 


selten  ist  infolgedessen  bei  Erörterungen  über  den  Eiendeneid  nur 
von  ihnen  die  Rede ').  In  spaterer  Zeit  heiüt  es  sogar,  daß  in 
der  Stadt  nur  der  (last  Anspruch  darauf  habe,  den  Eiendeneid 
ableisten  zu  dürfen,  und  zwar  auch  er  nur,  wenn  er  außerhalb 
einer  bestimmten  Entfernung  von  der  Stadt 5),  oder  gar  nur,  wenn 
er  außerhalb  des  Territoriums  gesessen  ist,  in  dem  die  Stadt  liegt3). 

Hat  der  Berechtigte  den  erwähnten  Voreid  geleistet,  so  führt 
er  den  ihm  obliegenden  Eideshelferbeweis  derart,  daß  er  den  eigenen 
Unschuldseid  und  dazu  selbst  die  Eide  der  Eideshelfer  ableistet, 
sei  es  in  gleicher4),  sei  es  in  verminderter5),  sei  es  sogar  in  ver- 
mehrter Anzahl6).  Oder  aber  er  bringt  wenigstens  einen  Teil 
der  Eideshelfer  auf;  dann  schwört  er  seinen  Unschuldseid,  die 
Eideshelfer  leisten  ihren  Eid  ab,  und  hierauf  schwört  der 
Beweisführer,  sei  es  allein7),  sei  es  mit  den  Eidhelfern*),  so  viele 

')  Brünn  Stadtr.  (nach  13<K>)  (1,5,  Kollier  11  S.  304:  desgl.  Flensburg 
und  Odcnsce,  s.  oben  S.  29  Anui.  3. 

*)  Braunschweig  Stadtr.  (vor  1300,  SO,  Hänselmann  II  S.  225.  Vgl. 
Lüneburg  Statuten  (vor  1400}  XXXIX,  Kraut  S.  54. 

s)  Magdeburg  Schöffenspr.  f.  Stendal  (um  1340)  XXVII  § 2,  Bohrend 
Urt,  Buch  S.  112;  vgl.  Lcobschütz  Willk.  Hecht  (1276),  s.  oben  S.  29 
Anm.  4.  S.  auch  unten  S.  32  bei  A um.  7.  Ls  ist  nicht  richtig,  wenn 
Planck  II  S.  138.  139  — unter  Berufung  auf:  Magdeburg  für  Breslau 

(1295)  19,  Laband  K()u.  S.  30;  Magdeburg  für  Görlitz  (1304)  58,  Tzschoppc 
S.  44*1 : Kulm  111.  24,  Lenian  S. 58;  Ulogau  Rechtsb.  (1386)  225,  Wasscrsch- 
leben  KQu.  S.  32;  Magdeburg  Schöffenspr.  für  Stendal  von  1333,  XXVI 
§2,  und  von  1340,  XXVII  §2,  Bohrend  Urt.  Buch  S.  102  bezw.  112:  Siebs. 
Weichbild  UH  § 3,  Daniels  S.  51  — behauptet,  das  Magdeburgischc 
Hecht  habe  den  Llendeneid  überhaupt  verboten. 

*)  Ksch  ershausen  bischöfl.  l’riv.  (1 133—  1 137),  Böhmer  acta  II  S.81G: 
Bamberg  Stadtr.  (1300)  157.  158,  Zöpfl  S.  4(i.  47;  HLdH  45  §4. 

5)  Nordhausen  jura  civit.  (1208),  oben  S.  29  Anm.  3;  Bruchstück 
eines  (Magdeburgischcn  ?)  Gesetzbuchs  (13.  Jahrh.  ?),  Drevcr  S.  170.  171. 

6)  Flensburg  Stadtr.  (1282)  und  Odensee  l’riv.  (1477;  7,  beide  oben 
S.  29  Anm.  3. 

7)  Lübeck  Stadtr.  (1263)  UV,  Hach  S.  202:  Bamberg  Stadtr.  (1306) 
157.  158,  Zöpfl.  S.  46.  47:  zweite  Keure  von  I’operiughcn  Art.  8,  Warn- 
könig UI,  1 S.  297. 

9;  Bremen  Vcrtr.  mit  Hustringen  (1220),  Lhmck  I S.  141.  Hier  wird 
auch,  ohne  Beziehung  auf  Klcnde,  eine  interessante  Abart  wiederholten 
Lides  erwähnt:  Der  nicht  auf  handhafter  Tluit  ergriffene  Käuber  sr  hu  um 
iuraminlo  txpurgti,  gtwt  Marias  actor  ah  i/'su  reguirit. 


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31 


Eide  ab,  bis  die  Eide  des  mangelnden  Teiles  der  Eideshelfer  hier- 
durch ersetzt  sind.  — Bisweilen  wird  für  den  Elenden  von  vorn- 
herein eine  geringere  Zahl  von  Helfern  festgesetzt;  diese  muü 
der  Beweisführer  dann  aber  auch  sämtlich  herbeiführen '). 

Die  Anwendung  des  Eiendeneides  zu  Gunsten  der  angreifenden 
Partei  ist  höchstens  ganz  ausnahmsweise  gestattet  worden8); 
sie  wird  sogar  einmal  ausdrücklich  verboten3).  Grundsätzlich 
diente  der  Eid  der  Verteidigung  des  Beklagten,  und  zwar  ursprüng- 

')  Vertrag  zw.  Mecklenburg,  Sachsen  usw.  (1354),  oben  S.  29 
Amn.  3. 

3)  l’lanck  II  S.  138  beruft  sich  hierfür  auf  das  llallesche  Recht  für 
Neumarkt  (1285)  §29,  Labaml  RQu.  S.  11,  und  zwar  in  der  Fassung  bei 
Homeyer  Kxtravag.  S.  259  ff.  § 19:  Si  respondet , sc  debitum  pcrsolvisse,  hoc  sta- 
tin vel  ad  duas  septimanas  in  rdü/uüs  obtinebit  seihtet  ipsc  tereius  vcl  iurat  Ene- 
tcndc.  Ks  handelt  sich  bei  dieser  Fassung  wahrscheinlich  um  eine  lübisch- 
rechtlichc  Überarbeitung  des  genannten  Rechtsdenkmals  (vgl.  Homeyer  F.itrav. 
S.  2G5  und  unten  in  Kapitel  III):  bei  dieser  Überarbeitung  könnten  die 
unklar  gefällten  §§  28.  29  der  Halleschen  Kechtsmittcilung  sehr  wohl  miß- 
verstanden  und  dem  Wortlaut  des  § 29  (ebenso  wie  vorher  schon  dem 
des  § 15)  die  Worte  vd  iura t Endende  unter  Beziehung  auf  den  Beklagten 
hiuzugosetzt  worden  sein,  der  tatsächlich  zwar  im  $ 15,  nicht  aber  im  § 29 
der  Rechtsmitteilung  als  schwörender  Teil  gedacht  ist.  — Kine  gewisse 
Wahrscheinlichkeit  dafür,  dall  in  der  That  wenigstens  das  lü bische  Recht 
den  Klendeneid  auch  zu  dunsten  des  Angreifers  gekannt  haben  mag,  er- 
schließt indessen  der  Landfriede  vom  1.  November  1354  (oben  S.  29  Amn.  3), 
an  dem  sich  Lübeck  und  eine  große  Zahl  der  mit  seinem  Recht  bewidmeten 
Städte  beteiligt  haben:  derselbe  enthält  gegenüber  dem  sonst  gleichlauten- 
den Landfrieden  vom  27.  Februar  1353  Lüb.  ü.  B.  III  nr.  158)  einige  Zu- 
sätze, unter  ihnen  den,  daß  elende  lüde  nicht  wie  im  allgemeinen  die  Bürger 
ihre  bcruehlcden  Missethätcr  selbzwölft,  sondern  schon  selbdritt  gewinnen 
dürfen,  wofern  sic  nur  zuvor  ere  elende  besioeren  mit  creme  rechte.  — Was  die 
von  Bodman  II  S.  643  aus  einem  angeblichen  Kltvillcr  ürtcilsbuch  ge- 
brachten Belege  für  den  Überführungseid  des  Klendcn  anlangt,  über  die  sich 
schon  Homeyer  RI.dR  S.  473.  474  Anui.  nicht  unbedenklich  äußert,  so  darf 
man  ihnen  gegenüber  neuerdings  wohl  alle  Zurückhaltung  bewahren.  Vgl. 
H.  Meyer  in  ZRG.  37  S.  309  ff.,  namentlich  S.  333  ff.  über  die  Fälschung 
gerade  des  Kltvillcr  Urtcilsbuchs  durch  Bodman. 

3)  Bruchstück  eines  (M  agdoburgischen  ?)  Gesetzbuchs  (13.  Jahrh. ?), 
Üreyer  S.  170.  171:  wer  de  Clevere  sea l sine  Lüde  al  hebben,  de  mit  eme  al  daet 
sweren  seien;  vgl.  Magdeburg  Rechtsmitt,  an  Stendal  (1333)  XXVI  § 2, 
Behrend  ürt.  Buch  S.  102. 


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lieh  ausschließlich  des  wegen  Ungerichts  Beklagten ').  Später  wird 
er  vereinzelt  auch  für  Klagen  um  Schuld3)  und  auf  Erbe  und  Wut3) 
erwähnt.  Je  mehr  die  strengen  Regeln  über  eure  verschwanden, 
je  häutiger  die  materielle  Beweiswflrdigung  Platz  griff,  um  so 
mehr  verflüchtigte  sich  der  ursprüngliche  Sinn  des  Eiendeneides ; 
Johann  von  Buch  bezeichnet  ihn  einmal  als  t/»/4).  Immerhin 
hat  er  sich  länger  gehalten,  als  man  nach  Planck4)  vermuten 
möchte.  Denn  wenn  man  davon  absieht,  daß  das  Magdeburgische 
Recht  ihn  für  den  um  Erbe  Beklagten  gänzlich  und  im  Übrigen 
bei  Nichtgästen  verbietet*)  und  daß  auch  im  Lübischen  Recht 
letzteres  der  Fall  zu  sein  scheint’),  steht  er  im  14.  Jahrhundert 
noch  in  voller  Geltung.  — 

3.  Endlich  besitzen  alle  die  Regeln,  die  zu  gunsten  dieser 
oder  jener  Partei  gestatten,  Handlungen,  die  ihr  selbst  ob- 
liegen würden,  durch  Dritte  vornehmen  zu  lassen,  natur- 
gemäß für  das  Gästerecht  eine  besondere  Bedeutung.  — So  liegt 
z.  B.  bei  gewissen  Missetaten,  namentlich  bei  Totschlag  und 
kampfbaren  Wunden,  den  städtischen  Gerichtsbeamten  die 
Pflicht  zur  Erhebung  und  Durchführung  der  Klage  ob, 

')  Eschershausen  bischöfl.  Priv.  (1 133 — 1 137  , Böhmer  acta  IT  S.  816; 
Nordhausen  iura  civit.  (1208',  oben  S.  29  Anin.  3:  Bremen  Vertrag  mit 
Kustringcn  (1220),  Ehmck  I S.  141:  Hallcschos  Kocht  für  Ncumarkt 
(123.7)  § 15  in  der  Fassung  bei  Homejcr  Kxtrav.  8.  25!)  IT.  § 11,  Laband 
Utpi.  S.  10:  Lübeck  Stadtr.  (1203)  I„IV,  Hach  S.  202:  I.cobschntz  Willk. 
Kocht  il27l>)  oben  S.  28  Amu.  4:  Bruchstück  eines  (Magdoburgischcn  t) 
Oesctzbuchs  113.  Jahrh. '( 1 , Droycr  S.  170.  171:  Bamberg  Stadtr.  (1306) 
157.  158,  Ziipll  S.  46.  47:  zweite  Kouro  von  Po|ieringhen  Art.  8,  Warn- 
könig 111,  1 S.  2!)7. 

*)  Flensburg  Stadtr.  (1282),  oben  S.  2!)  Antu.  3;  Berlin  Stadtbuch 
(1387)  III.  Buch  hinter  qu.  Xl'IV  bezw.  XCVIII,  Fidicin  I S.  161.  172: 
Kl.ilK  45  §4.  Möglicherweise  gehört  hierher  auch  Hallcsches  Recht  für 
Neumarkt  (1235)  § 20  bei  Homcyer  Eitravag.  S.  250  IT.  § 19,  worüber  oben 
S.  31  An  m.  2. 

3)  Brünn  Stadtr.  (nach  1300)  63,  Kollier  II  S.  364.  Vgl.  aber  Magde- 
burg Schöflenspr.  f.  Stendal  (um  1340)  XXVII  §2,  Bohrend  1‘rl.B.  S.  112. 

')  RLdK  45  § 5. 

s)  II  S.  138. 

c)  Oben  S.  30  Amu.  3 und  S.  32  Anin.  3. 

’)  Wenn  man  Stadtr.  (1263)  UV  mit  (1294)  XU,  Hach  S.  202  bezw. 
289,  zusammenhrdt,  daneben  aber  die  oben  S.  31  Anui.  2 angeführten,  fiir 
den  Elemleneid  sprechenden  lübischreehlliehen  Stellen  berücksichtigt. 


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wenn  diese  Missetaten  gegen  Elende,  d.  h.  gegen  Leute  ausgeführt 
sind,  die  selbst  nicht  im  stände  sind  zu  klagen  und  die  keine  klage- 
bereiten Verwandten  in  der  Nähe  besitzen ').  Nicht  selten  wird 
hervorgehoben,  daß  dieser  Satz  in  erster  Linie  den  Gästen,  den 
Fremden  zu  gute  kommen  muß *).  — Des  Ferneren  gehören  hier- 
her die  Vorschriften  über  die  sog.  Fürsprecher,  d.h.  Leute,  die  in 
der  Verhandlung  vor  Gericht  der  anwesenden  Partei  zur  Seite  t reten  und 
ihr  Wort  sprechen.  Etwaige  Formfehler  bringen  dann,  weil  nur  von 
den  Fürsprechern,  nicht  von  der  Partei  selbst  begangen,  der  letzteren 
nicht  den  infolge  strenger  Regeln  über  rare  drohenden  Rechts-  und 
Prozeßverlust.  Freilich  ist  der  Satz  der  flandrischen  Quellen,  es 
müsse  der  gegen  eine  opjndanm  klagende  extraneus  setten  eenen 
porter  recht  te  pleghene , welcher  ebensowohl  die  Aufgahe  hat, 
den  Prozeß  an  der  Seite  der  betreffenden  Partei  durchzufuhren, 
wie  auch  die  letztere  ihrem  städtischen  Gegner  ebenbürtig  zu 
machen3;,  dem  deutschen  Rechte  nicht  bekannt.  Hier  scheint  ur- 
sprünglich sowohl  bezüglich  der  Frage,  ob  die  Partei  sich  eines 
Fürsprechers  bedienen  müsse*;,  wie  bezüglich  des  Punktes,  wer 
zum  Fürsprecher  geeignet  sei,  auch  für  Gäste  im  wesentlichen 


■)  Freiberg  Stadtr.  (1296—1307)  XXX  § 1.  2,  vgl.  3.  4,  Emiisch 
S.  190:  Magdcb.  Hrcsl.  syst.  Sch.  R.  II.  2d.  74,  I.aband  S.  52;  Magdeb. 
Fragen  1,2  d.  14  und  15,  Hehrend  S.  47.  48;  Magdeb.  Schöffenurteil. 
Höhmc  II,  2 S.  148.  149;  Lüneburg  Stat.  XCV,  Kraut  S.  76. 

a)  Köln  Schied  (1258)  Klagcpunkt  35  des  Hischofs  und  Entscheidung 
dazu,  Keutgen  l’rk.  S.  161.  169;  Brunn  Stadtr.  (nach  1300)  70,  Rößler  II 
S.  365.  Auch  geistliche  Gerichte  schritten  häufig  zu  Gunsten  von  Gästen 
ein:  Vgl.  Schreiben  Papst  Gregors  IX.  an  die  Geistlichkeit  von  Bremen 
(1234),  Lnb.  U.  B.  I nr.  65;  dort  waren  Pilger  aus  Soest  beraubt  worden 
propter  quod  torum  voti  exeeutio  impeditur. 

3;  Bennccke  S.  38  bei  Antn.  3 (Jahr  1248)  und  S.  52. 

4)  Volle  Freiheit,  ohne  Fürsprecher  zu  prozessieren,  gibt  z.  B.  einem 
jeglichen  Mann  Bist.  IV.  26  d.  12,  OrtlofT  S.  239:  vgl.  auch  Planck  I 
S.  195.  In  Köln  Kidbuch  (1341)  VII.  4,  Stein  Akten  I S.  38,  wird,  vielleicht 
mit  Rücksicht  auf  die  Formlosigkeit  und  Schnelligkeit  des  Verfahrens,  ein 
Auftreten  von  Fürsprechern  vor  den  richtcrn  von  g min  (vgl.  unten  Kap.  VI)  über- 
haupt verboten.  — Xur  Hannover  Stadtr.  (um  1350)  III.  12,  Vaterl.  Arch. 
S.  361,  und  Minden  Stadtr.  (um  1300)  12,  Docbner  Städtcpriv.  S.  33, 
drohen  dem  Gaste,  der  sine  prolomtorc  snuvi  verbum  loquitur , eine  Strafe 
von  4 Solidi  an,  zwingen  aber  auch  den  Bürger  bei  6 Penarcn  Strafe  zur 
Annahme  eines  Fürsprechers. 

Rudorff,  Rechtsstellung  der  tlüstc  3 


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Freiheit  geherrscht  zu  hüben').  Diese  Freiheit  wird,  wenigstens 
in  der  letzterwähnten  Beziehung,  später  zu  gunsten  der  Bürger- 
schaft in  zwiefacher  Hinsicht  eingeschränkt.  Einmal  kamen  näm- 
lich, als  im  Gegensatz  zu  früherer  Zeit5)  die  Vorsprecher  Honorar 
fordern  durften,  berufsmäßige  einheimische  Vorsprecher  auf,  die 
der  Bürger  und  der  Gäste  Wort  sprachen;  wo  sie  existierten, 
wurde  den  Gästen  nicht  gestattet,  Vorsprecher  zu  sein 3).  Frei- 
lich mußten  solche  berufsmäßige  Vorsprecher  dann  auch  für  Gäste 
unter  allen  Umständen  eintreten  *),  konnten  sich  also  dessen  unter 
Berufung  auf  die  Gasteseigenschaft  nicht  mehr,  wie  früher  zu- 
weilen, weigern5).  Zweitens  sollte  in  Sachen,  die  die  Stadt  oder 
den  Rat  betrafen,  bei  Strafe  ein  Bürger  nicht  oline  Erlaubnis 
des  Rats  Fürsprecher  eines  Gastes  werden6),  und  ferner  in  Pro- 
zessen, in  die  ein  Bürger  verwickelt  war,  der  Fürsprecher  eines 
Gastes  nicht  mehr  als  die  gesetzliche  Taxe  für  seine  Tätigkeit 
fordern  dürfen1).  — Namentlich  aber  ist  die  eigentliche  pro- 
zessuale Vertretung  der  (abwesenden)  Partei  für  das  Gäste- 
recht bedeutungsvoll  geworden. 

Das  deutsche  Recht  kennt  die  prozessuale  Vertretung,  von 
der  notwendigen  Vertretung  der  Weiber,  Kinder,  Unsinnigen  ab- 


l)  Jeder  Mann  kann  in  jedem  weltlichen  Gericht  Fürsprecher  werden, 
namentlich  also  der  Gast  im  auswärtigen  Gericht:  Magdeb.  Fragen  1.  5 d.  1, 
Bohrend  S.  81;  so  auch  schon  SLdR.  I 61  § 4 und  60  § 2 (vgl.  Planck  I 
S.  198.  199).  Als  Gegenbeispiel  führt  Planck  ebenda  Schwerin  Stadtr. 
(um  11  GO)  22,  ZUG.  9 S.  285,  an;  aber  der  Satz:  si  quis  extra  dvitatem 
mattem  queriutoniam  de  cive  feccrit,  polest  se  rii'is  cum  quolibet  defendere,  aliettus 
vero  cum  cive  aliquo  de/endet  se  bezieht  sich  nicht  auf  Fürsprecher,  son- 
dern auf  Zeugen.  — her  Auswärtige  durfte  aber,  mit  Rücksicht  auf 
mangelnde  Rechtskenntnis,  anders  als  der  Kinhoiiniscbe,  ohne  Weiteres  eine 
Berufung  zum  Fürsprecher  ablehnen  (Di st.  IV.  26  d.  3,  Ortloff  S.  238).  — 
Berufung  der  Vor  Sprecher  uth  der  gemeine  schreiben  nur  vor  die  späten 
Statuten  von  Verden  (1416)  182,  Pufcndorf  I App.  111  S.  136. 

*)  Noch  in  Pösneck  Gerichtsordn.  (1351)  4 und  5,  Gengier  St.  R. 
S.  357,  wird  verboten,  einen  Bürger  oder  Nichtbürger  als  Vorsprecher  zu 
miten,  d,  1».  ihm  für  seine  Tätigkeit  Geld  zu  geben. 

3)  Kassel  lamlgräll.  Satzung  (1384)  29,  Gengier  <’od.  S.  472. 

4)  Kassel,  siehe  vorige  Anm. 

5)  Hannover  Stadtr.  (um  1350)  III.  32,  vaterl.  Archiv  S.  379. 

ß)  Heiligenstadt  Willk.  (1335)  79,  Wolf  l’rk.  S.  16. 

7)  Hannover  Stadtr.  (um  1350)  III.  32,  s.  oben  Anin.  5. 


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gesehen,  ursprünglich  nur  bei  ganz  bestimmten  Alters-  und  Ge- 
sundheitshindernissen ').  Im  übrigen  darf  „ein  selbständiger  Mann, 
der  aus  beliebigem  Grunde  vor  Gericht  nicht  erscheinen  kann 
oder  auch  nicht  will“,  zunächst  selbst  im  Falle  echter  Not  nicht 
einen  gewillkürten  Vertreter,  einen  Vormund,  an  seiner  Statt  ver- 
handeln lassen*).  Der  Anstoß  zur  Änderung  dieses  Zustandes  in 
der  Richtung,  daß  zunächst  einmal  die  Bestellung  eines  Vormundes 
wenigstens  im  heimischen  Gericht,  später  auch  der  außerhalb  von 
einem  Abwesenden  erkorene  Vormund  zugelassen  werden  mußtei) * * * 5), 
ging  von  den  Städten  aus.  Denn  deren  steter  Handel  mit  ferner 
Wohnenden  drängte  in  erster  Linie  auf  die  unbedingte  Möglich- 
keit der  prozessualen  Stellvertretung.  Der  Verkehr  mit  Flandern 
und  Holland  scheint  für  diese  Entwicklung  wichtig  geworden  zu 
sein.  Schon  1212  heißt  es  in  einem  Vertrage  zwischen  Köln  und 
Flandern : 

Si  ulUjutx  et /am  de  Colonia  in  Flandria  alüptem  Flan- 
dremem  . . . conrenire  rolur  rit,  Statut  um  est,  ut  per  nuncium 
suum  sicut  per  se  ipsum  . . . omne  ius  suum  proset/ualur , et, 
Flamingi  apud  Colonium  st  initiier4). 

Es  werden  also  bereits  damals  in  der  Fremde  bestellte  Ver- 
treter auswärtiger  Kläger  im  diesseitigen  Gericht  zugelassen.  Ähn- 
lich lautet  eine  Mitteilung  des  Vogtes  und  Rates  von  Bremen  an 
die  Gräfin  von  Flandern  aus  dem  Jahre  1255: 

Si  autem  merccUor  (sc.  Flandrie)  diem  placiti  sui  e.rpec- 
tare  non  poterit,  ßdeiussor  suus  cel  alias  poterit  pro  eo  resj Hin- 
dere *). 

Diese  Urkunde  beruht  auf  einem  Vertrage,  wie  er  fast  gleich- 
lautend von  einer  großen  Zahl  deutscher  Städte  mit  Flandern  ab- 
geschlossen worden  ist6),  der  also  in  hohem  Grade  zur  Verbreitung 
des  Instituts  der  prozessualen  Vertretung  in  Deutschland  bei- 

i)  Planck  I S.  188-190. 

*)  Planck  I S.  190. 

3)  Planck  I S.  191.  192. 

<)  Hans.  U.  B.  I S.  40.  41. 

6)  Khmck  I S.  305:  wiederholt  i.  B.  1307  und  1360. 

6)  Anmerkung  des  Herausgebers  zu  der  in  der  vorigen  Amn.  erwähnten 


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tragen  mußte.  Es  findet  sich  demgemäß  die  prozessuale  Ver- 
tretung auch  einheimischer  Parteien  bereits  im  Ausgang  des 
13.  Jahrhunderts1),  namentlich  dann,  wenn  der  einheimische  Kläger 
oder  Beklagte  eine  Reise  anzutreten  sich  genötigt  sieht*),  immer 
jedoch  unter  der  Voraussetzung,  daß  der  Vertreter  im  heimischen 
Gericht  der  Partei  bestellt  wird.  Zahlreicher  freilich  sind  die 
Fälle,  wo  des  Vertreters  — und  zwar  gerade  des  außerhalb  er- 
nannten Vertreters  — eines  Gastes  gedacht  wird5).  Zuweilen  er- 
scheint sogar  das  Auftreten  eines  Boten  des  (klagenden)  Gastes 
als  das  regelmäßig  Gedachte4).  Überall  da,  wo  der  Vertreter  des 
Gastes  nicht  im  Bezirk  des  Prozeßgerichts  bestellt  wird 5),  muß 
der  (auswärts  ernannte)  Vertreter  ein  Schreiben  des  auswärtigen 
Gerichts,  der  fremden  Stadt  vorlegen  können,  in  dem  seine  Be- 
stellung zum  Vertreter  des  Gastes  beglaubigt  wird*).  Diese  Ver- 
treter der  Gäste,  als  (plenipotent ex)  procuratorex , (perti)  nuniii, 
interposita  persona,  eormunder , (wäre)  bode,  (geweldiye ) beide  usw. 

l)  Z.  B.  Freiberg  Stadtr.  (129f>— 1307)  XL1X  §20,  finnisch  S.  259. 

*)  Hamburg  Stadtr.  (1270)  V.  fi,  Lappenbcrg  S.  25;  desgl.  Riga 
Umgcarb.  Stat.  (um  1300)  II.  5 § 1.  2,  Nopiersky  S.  155. 

3)  Köln  Schied  (1258)  Klagepunkt  7 der  IJürger  und  Kntschcidung 
dazu,  Keulgcn  l'rk.  8.  164.  170;  Köln- Nimwegen  Yertr.  (1278),  I.acomblet  II 
S.  421:  Lippstadt  an  Lübeck  (1281),  Lnb.  U.  B.  I nr.  409;  Hildesheim 
Stadtr.  (um  1300)  17.  18,  Doebuer  U.  B.  I S.  281;  Goslar  Stadlr. 
(um  1300),  Göschen  18,  9 und  70,  8.  Vgl.  Bamberg  Stadtr.  (130G)  66 
und  68,  Zöpil  S.  22,  woselbst  einem  Gaste  unbedingt,  einem  Bürger  nur 
mit  Zustimmung  des  Beklagten  prozessuale  Vertretung  bewilligt  wird. 

*)  Köln  - Soest  Yertr.  (1276),  Seibcrtz  1 S.  460;  Goslar  Stadtr. 
(um  1300),  Göschen  81,  34. 

*)  L>as  trat  z.  B.  ein.  wenn  der  Gast  keine  Zeit  hatte,  das  Ende 
eines,  wenn  auch  gastgerichtlichen,  Verfahrens  abzuwarten  (Freising  Stadt- 
rechtsb.  — 1328  — 69  bei  Maurer  S.  319:  Magdeburg  alph.  Samml.  von 
Schöffenspr.  Kap.  427  bei  Wasserschieben  S.  118).  In  manchen  Städten  war 
übrigens  den  Bürgern  teils  unbedingt  (Hameln  Donat  25  — 14.  Jahrh.  — , 
Meinardus  S.  567),  teils  unter  gewissen  l'mstSnden  (Dortmund  jüngste 
Stat.  Samml.  27  — um  1400  - , FrensdorfT  S.  175)  verboten,  Gäste  als  Vor- 
münder vor  Gericht  zu  vertreten. 

6)  Köln-Soest  Vertr.  (1276),  Seibcrtz  I S.  460;  Brünn  Schiiffenb. 
(um  1850)  591,  Rößler  II  S.  272:  Dist.  III.  10  d.  4,  Ortloff  S.  154. 
Beispiele  solcher  Schreiben:  Lippstadt  an  Lübeck  (1281),  Lüb.  U.  B.  I 
nr.  409;  Wisby  an  Danzig  (1346),  Hans.  l'.  B.  III  S.  39:  Brügge  an 
Reval  (1348),  Hans.  U.  B.  III  S.  66. 


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37 


bezeichnet,  nehmen  eine  Stellung  ein  tamquam  si  dictus  eorum  con- 
ciris  personaliter  presens  esset1).  Die  Sache  stellt  in  ihren  Händen 
tho  winnc  unde  tho  rerlees *).  Ja  es  wird  sogar  einmal,  offenbar 
unter  dein  Einfluß  des  kanonischen  Rechts,  gestattet,  daß  sie  hei 
Strafsachen  in  aninuis  ihrer  Auftraggeber  den  Reinigungseid 
schwören 3).  Gleich  ihren  Vollmachtgebern  sind  sie  insbesondere 
verpflichtet,  für  Klagengewere  und  Beantwortung  der  Widerklage 
Sicherheit  zu  leisten  4). 


Drittes  Kapitel. 

Vom  Gerichtsstände. 

I.  Allgemeines. 

Der  allgemeine  Gerichtsstand  des  Beklagten  fiel  in  der  hier 
behandelten  Periode  im  Wesentlichen  bereits  mit  dem  forum 
domicilii  zusammen5)  und  besaß  naturgemäß  hervorragende 
Bedeutung.  Doch  bietet  gerade  für  eine  gästerechtliche  Be- 
trachtung die  Lehre  von  den  sogenannten  besonderen  Gerichts- 
ständen noch  mehr  Interesse.  Diese  Gerichtsstände  unterwerfen 
den  Beklagten  dem  Spruche  eines  außerheimischen  Gerichts,  und 
die  Sicherheit  der  Rechtspflege  eines  Landes  hängt  zu  einem 
großen  Teil  von  dem  Reichtum  und  der  Zweckmäßigkeit  der  Vor- 

')  Köln -Soest  Vertr.  (1276),  Seibertz  U.  B.  I S.  460.  Ähnlich 
Preising  Stadtr.  Buch  (1328)  69,  Maurer  S.  319:  Brftnn  Schöffenb. 
(um  1350)  591,  Rößler  II  S.  272. 

*)  Vgl.  die  Belege  oben  S.  36  Anm.  2. 

*)  Köln  Schied  (1258)  Klagepunkt  7 der  civcs  und  Entschcidnng  dazu, 
Kcutgen  Urk.  S.  164.  170.  Allerdings  wird  hier  die  Sendung  eines  Be- 
vollmächtigten ausnahmsweise  von  iustus  mitus  des  Auftraggebers  bezüg- 
lich der  Reise  abhängig  gemacht;  der  Beauftragte  hat  das  Vorhanden- 
sein der  Voraussetzung  zu  beweisen. 

4)  Goslar  Stadtr.  (um  1300),  Göschen  70,8  und  81,34;  Dist.  III. 
10  d.  4,  Ortloff  S.  154. 

&)  S.  oben  S.  3 ff.,  sowie  über  den  Einfluß  des  Hantgemals  und  des 
Heimatsrechts  auf  den  Gerichtsstand  in  der  ältesten  Zeit  Homeyer  Heim 
und  Stobbe  Geriehtsst.  S.  432  ff. 


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Schriften  ab,  die  sich  auf  jene  Gerichtsstände  beziehen,  von  der 
Stärke  der  Garantieen  dafür,  daß  sich  der  Beklagte  diesen  Vor- 
schriften tatsächlich  unterordnet.  In  dieser  Beziehung  zeigt  die 
Rechtsentwicklung  in  Deutschland  seit  etwa  dem  12.  Jahrhundert 
eine  rückläufige  Bewegung.  Bei  den  Klagen  um  Schuld  büßt 
das  forum  contractus,  d.  li.  des  Ortes,  wo  der  Vertrag  geschlossen 
ist,  bei  den  Klagen  aus  Frevel  und  üngericht  das  forum  delicti 
commissi  die  Bedeutung,  die  es  nach  den  älteren  stadt-  und 
landrechtlichen  Quellen  besitzt,  schließlich  völlig  ein.  Dafür  be- 
wirken die  schrankenlos  angewandten  fora  arresti  und  depreliensionis 
in  ihren  Folgen  eine  völlige  Verwirrung  aller  Gerichtsstands- 
verhältnisse. Nur  das  forum  rei  sitae  wahrt  seine  bisherige 
Stellung. 

1.  Der  Grund  dieser  Verwirrung  lag  in  der  Schwächung  der 
kaiserlichen  Gewalt,  deren  Aufgabe  es  gewesen  wäre,  der  Justiz- 
weigerung  und  -Verzögerung  zu  steuern1),  und  in  der  hieraus 
folgenden  Auflösung  des  Reichs  in  Verbände,  deren  Beziehungen 
einen  „halb  völkerrechtlichen  Charakter“  trugen2).  Denn  nun- 
mehr strebten  vorzugsweise  die  Städte  bezw.  die  Stadtherren, 
deren  Bürger  in  weit  höherem  Maße  als  die  Bewohner  des  platten 
Landes  in  den  Fernverkehr  und  die  hieraus  erwachsenden  Streitig- 
keiten hineingezogen  wurden,  ein  doppeltes  Ziel  an. 

a)  Einmal  sollten  alle  Prozesse,  in  die  Bürger  als  Beklagte 
verwickelt  waren,  nach  Möglichkeit  ausschließlich  vor  dem 
heimischen  Stadtgericht  entschieden  werden.  Diesem  Zwecke 
dienen  die  schon  im  12.  Jahrhundert  den  Städten  verliehenen 
Evokationsprivilegien,  kraft  deren  die  Bürger  bestimmter 
Städte  Ladungen  in  auswärtige  Gerichte  nicht  zu  folgen,  sondern 
nur  vor  den  Gerichten  ihrer  Stadt  zu  Recht  zu  stehen  brauchten. 
Hier  freilich  müssen  dann  Kläger,  die  von  außerhalb  kommen, 
auch  stets  Recht  erlangen  können.  In  der  Tat  ist  dies  auch  die 
Regel  gewesen.  Nur  eine  kleine  Stadtrechtsgruppe,  Freiburg  i.  Br. 
nämlich  und  einzelne  seiner  Tochterrechte,  nimmt  eine  Aus- 
nahmestellung ein  und  verweigert  dem  auswärtigen  Kläger  Ge- 


■)  Vgl.  Wach  S.  39  bei  Anm.  1 und  2. 
»)  Gierte  II  S.  389  ff.,  Wach  S.  38  ff.J 


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39 


rieht  wegen  gewisser  Delikte,  die  er  außerhalb  der  Stadt  von 
deren  Bürgern  erlitten  hat1). 

Schon  oben  (S.  3 bei  und  in  Anm.  2)  ist  darauf  hingewiesen 
worden,  daß  die  älteren  Evokationsprivilegien  mehr  den  allgemeinen 
Gerichtsstand  der  Bürger  festsetzen,  nicht  jedoch  besondere  Ge- 
richtsstände für  die  einzelne  Sache  ausschließen  sollten.  Es 
mußten  die  Gerichte  „auswärtiger  Stifter  und  weltlicher  Herren“, 
deren  Untertanen  die  Bürger  gewesen,  oder  die  Vögte  der  Stadt- 
herren selbst,  soweit  sie  außerhalb  der  Stadt  richteten,  dem  Stadt- 
gericht weichen2);  nur  hier  sollten  die  Bürger  voll  dingpflichtig 
sein.  Derartige  Privilegien  brauchten  an  »ich  das  forum  contractus 
und  delicti  commissi  nicht  zu  verdrängen*).  Anders  steht  es  mit 
den  späteren  Evokationsprivilegien,  welche  nicht  den  allgemeinen 
Gerichtsstand  regeln,  sondern  einfach  Ladungen  jeder  Art  in 
auswärtige  Gerichte  verbieten: 

V identen  ufßictionee  et  presnuran,  quas  ab  extrtnsecis  iudi- 
cibu»  sustinuerunt,  qui  eos  extra  civiUitem  ad  aliena  et  in- 
solita  iura  nolrbant  evocare , statuimun,  ne  quis  iudex 
ext  rinnecun  manens  que  mquam  ex  civibus  pro  aliquu 
causa  presumat  evocare,  nini  prius  querimoniam  suam  in 
civitate  coram  civitatis  rectoribus  vel  corain  nobin  exsequatur 


•)  Freiburg  i.  Br.  Kotei  (um  1200)  69:  Si  burpnsis  rudern  in  provin- 
cia/a  txtraneum  percusserit  vel  capillaverit,  et  extraneus  in  ewitatem  veniens  conquestus 
fuerit,  nultam  satisfaetionem  erit  habiturus  (Keutgcn  Ulk.  S.  125):  ähnlich  Bern 
Stadtrecht  (1218?)  XXXVI  § 1,  ebenda  S.  130,  und  allgemeiner,  aber  mit 
einer  dem  Kläger  günstigen  Befristung,  Kolmar  Stadtrecht  (1293)  30, 
Gaupp  §t.  R.  I S.  120.  — In  Goslar  Stadtrecht  (um  1300)  wird  wenigstens 
die  Verfestung,  die  auf  den  Antrag  des  außerhalb  beschädigten  utmannes  er- 
folgen soll,  von  der  Genehmigung  des  Kats  abhängig  gemacht  (Göschen 
S.  61,  21;  vgl.  S.  48,  31). 

*)  Vgl.  Keutgen  Urspr.  S.  28  bis  32,  bes.  S.  29  Anm.  1. 

3)  Noch  1258  wird  in  Köln,  das  sich  eines  Evokationsprivilegs  erfreute 
(vgl.  Recht  des  Burggrafen  — 1169?  — 4 bei  Keutgen  Urk.  S.  10),  im  Schied 
§ 3 auf  die  entsprechende  Beschwerde  der  Bürger  von  den  Schiedsrichtern 
geurteilt : non  debet  dominus  archiepiscopus  pati  vel  dissimulare,  tjuod  de  contractibus 
in  Colonia  /actis  vel  rebus  ibidem  habitis  extra  Coloniam  ad  iudicium  voeentur 
(Keutgen  Urk.  S.  170.  164),  womit  freilich  nicht  gesagt  ist,  daß  die  Bürger 
bei  außerhalb  geschlossenen  Verträgen  noch  in  der  Kegel  der  Evokation 
folgten. 


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40 


et  secundum  civitatis  ins  consuetudinarium  debitam  conse- 
([uatur  iusticiam  'J. 

In  zahlreichen  Füllen  teils  für  das  Gebiet  des  Reichs,  teils 
für  den  Bereich  eines  bestimmten  Territoriums  erteilt*),  scheinen 
diese  späteren  Evokationsprivilegien  manchmal,  dem  Wortlaut  nach, 
selbst  dann  eine  Klage  im  auswärtigen  Gericht  verhindern  zu 
wollen,  wenn  der  zn  beklagende  Bürger  einer  privilegierten  Stadt 
in  dessen  Bezirke  weilt: 

Nullus  prelerea  burejensis  Goslarimsis  alicnbi  iudicio  st-are 
debet  pretcrtpiam  in  ips/i  civitate  in  jxdatio  imperii , sub  ipw 
habitat, 3). 

Doch  dürfte  in  Wirklichkeit  wohl  nur  an  das  Verbot  einer 
Ladung  von  Goslarer  Bürgern,  die  nicht  im  auswärtigen  Gerichts- 
bezirk anwesend  sind,  gedacht  worden  sein4). 

In  gewissen  Fällen  übrigens,  namentlich  bei  Klagen  um 
Immobilien,  bisweilen  auch  bei  schweren  Ungerichten  oder  Klagen 
um  bewegliches  Gut5),  ward  auch  in  einem  Evokationsprivilegium 
die  Evokation  gestattet.  Regelmäßig  geschah  letzteres,  wenn  in 
dem  Gericht  des  Schuldners  Recht  geweigert  worden  war5). 

*)  Prir.  Friedrichs  I.  für  die  Bürger  von  Osnabrück  (1171),  Kcutgen 
Urk.  S.  8. 

3)  Vgl.  l.  B.  Priv.  Rudolfs  von  Ilabsburg  (1274):  valentes  rivts  nostros 
Thuricenses  ac  omnes  alias  ehitates  nobis  et  imperio  attinentis  hae  gratis  prerogath’a 
gaudere , ut  nullus  extra  huiusmodi  eivitates  super  quacunque  eatisa  in  iudieium  ers- 
te tu  r (MG. LL.  11.399),  oder  Priv.  des  Bischofs  von  Münster  für  Dülmen  (1311): 
opidanis  hoc  canetdimus,  quod  extra  nostrum  opidum  praedictum  a quoque  evaeari  non 
debent  ad  malluni  gogravii  vel  aller  ins  iudieii  auetorilate  spiritualis  iudieis  seu  civilis 
dependentis  a nobis  (Niesert  U.  B.  111  S.  24).  Ferner  sind  zu  vergleichen  die 
bei  Simon  S.  12  ff.,  Knicke  S.  21!  ff.,  Franklin  II  S.  5 Anin.  1 und  S.  10  Anm.  2 
gebrachten  Belege  und  Ausführungen,  auUcrdcm  die  Privilegien  für  Lipp- 
stadt  (1198)15,  Keutgen  Urk.  S.  149:  Bamberg  (1234),  bei  Gonglcr  Kod. 
S.  109:  Mühlhausen  (1205),  bei  Herquct  nr.  109:  Duisburg  (1290)  0, 
Gengier  Kod.  S.  950. 

3)  Priv.  Friedrichs  II.  für  Goslar  (1219)  29,  Keutgen  Urk.  8.  181. 
Vgl.  ferner  die  kaiserl.  Privilegien  für  Kolmar  (1293)  10,  Gaupp  St.  R.  I 
S.  117,  und  Dortmund  (1332)  1,  Fronsdorff  S.  190. 

*)  Ausnahmen  s.  unten  S.  04  Anm.  7. 

5)  Kassel  landgräflichc  Rechtsbest.  (1239)  2 mit  3,  Gengier  Kod. 
S.  408:  Kolmar  Stadtrecht  (1293)  10,  Gaupp  StR.  I S.  117. 

6)  Vgl.  Stobbe  Gerichtsst.  S.  400. 


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41 


Sätze,  die  dem  Inhalt  der  Evokationsprivilcgie»  entsprachen, 
wurden  schließlich  als  Sätze  städtischen  gemeinen  Rechts  auch  in 
Statuten  und  Urteile  solcher  Städte  aufgenommen,  denen  keine 
Evokationsprivilegien  erteilt  worden  waren1). 

Stobbe*)  geht  bei  der  Beurteilung  dieser  Privilegien  von 
dem  Standpunkt  aus,  daß  „die  Städte  anfangs  beanspruchten, 
daß  jeder  Fremde  in  ihrem,  nicht  in  seinem  eigenen  Gerichte 
ihnen  Rede  und  Antwort  stände“  und  daß  „für  die  einzelnen 
Städte  diese  ihre  Unabhängigkeit  bedrohende  Gewohnheit  erst 
durch  die  zahlreichen,  fast  allgemein  erteilten  privilegia  de  non 
evocando  beseitigt  werden  mußte.“  Richtiger  müßte  es  heißen, 
daß  die  Städte  in  ihrem  Bestreben,  ihre  eigenen  Bürger  als  Be- 
klagte nur  vor  ihrem  Gericht  erscheinen  zu  lassen,  durch  jene 
Privilegien  bestärkt  wurden;  diese  Privilegien  beseitigten  nicht  nur 
ungerechtfertigte,  sondern  auch  rechtlich  begründete  Evokationen3). 

b)  Die  Unmöglichkeit  rechtlich  begründete  Evokationen  zu  be- 
wirken, rief  das  Bestreben  der  Städte  wach,  als  Ersatz  hierfür 
die  Entscheidung  aller  Prozesse,  in  die  ihre  Bürger  als  Kläger, 
Gäste  als  Beklagte  verwickelt  waren,  dem  eignen  Gericht  zu- 
zuführen. 

Es  geschah  dies  zunächst  in  der  Weise,  daß  man  es  ge- 
stattete, die  Person  des  Auswärtigen  festzuhalten,  ein  Verfahren, 
namentlich  beliebt  und  ausgebildet  bei  Klagen  um  Schuld,  aber 
auch  bei  andern  Klagen  bekannt4).  Der  Gast  ward  hierdurch 

■)  Vgl.  Planck  I S.  46,  Simon  S.  10  ff. 

»)  Vcrtr.  S.  152. 

3)  Vgl.  z.  B.  die  Motivierung  des  Verbots  in  dem  Priv.  für  Osnabrück 
(1171),  oben  S.  39,  welche  nicht  auf  Rcchtsgrnndcn  beruht.  — Über  eine 
rechtlich  nicht  begründete  Kvokation  in  ein  auswärtiges  Gericht  verhält  sich 
Beilage  II  zu  Magdeb.  Fragen  I.  1 d.  23,  Behrend  S.  213. 

*)  S.  Planck  II  S.  367  ff.,  bes.  S.  370  f.  Mit  Recht  betont  Planck  gerade 
bei  den  Klagen  um  Schuld,  dalä  dem  deutschen  Recht  das  Ursprüngliche  und 
Grundsätzliche  die  Besetzung  der  Person  des  Schuldners  ist.  Insofern 
unterscheidet  sich  das  deutsche  Recht  von  der  italienischen  Kntwicklung 
(trotz  Wach  F.inl.  S.  III),  welche  von  der  praktisch  gebliebenen  langobar- 
dischen  Privatpfämlung  an  Sachen  des  Schuldners  ihren  Ausgang  nimmt  und 
die  Pfändung  der  Person  des  Schuldners  erst  später  und  als  etwas  Subsidiäres 
hervorbringt  (Wach  S.  34.  42).  In  Deutschland  war  jene  altgermanische 
Privatpfändung  in  karolingischer  Zeit  endgültig  ansgerottet  worden  (Brunner  II 
S.  446  f. ; 522).  Vgl.  unten  Kapitel  IV. 


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4-2 


gezwungen,  sich  auf  eine  Verhandlung  des  ihm  vorgeworfenen 
Unrechts  vor  einem  Gericht  einzulassen,  das  aus  andern  Gründen 
nicht  zuständig  gewesen  wäre.  Im  Verfolge  dieser  Entwicklung 
wurde  schließlich  jedes  Gericht  für  Klagen  gegen  die  in  seinem 
Bezirke  weilenden  Fremden  ganz  allgemein  für  zuständig  erklärt, 
auch  ohne  daß  durch  die  Besetzung  ihrer  Person  die  Zuständig- 
keit im  besonderen  Falle  erst  hätte  hergestellt  werden  müssen. 
Dieser  Gedanke  ist  bereits  ausgesprochen  im  Statntum  in  favorem 
principum  (1231): 

ln  rivitafibus  nostris  aclnr  fornm  rei  sci/nahir,  nisi  rrus 
rel  debitor  principalia  ibidem  fuerit  inventu s,  i/uo  ca.su  rc- 
spnndeat  ibidem  *). 

Hier  mag  zunächst  lediglich  an  ein  Betreffen  des  Aus- 
wärtigen in  der  Heimatstadt  des  Klägers  gedacht  sein.  Es  fehlt 
indessen,  namentlich  in  späterer  Zeit,  nicht  an  mannigfachen 
andern  Belegen  dafür,  daß  auch  in  Streitsachen,  wo  ausschließlich 
Gast  gegen  Gast  vor  auswärtigem  Gericht  steht,  das  letztere 
nicht  nur  wegen  einer  erfolgten  Besetzung,  sondern  ganz  allgemein 
als  zuständig  angesehen  wurde,  in  Fällen  also,  wo  nachweislich 
irgend  ein  besonderer  Gerichtsstand  nicht  begründet  war. 

Es  ist  bezeichnend,  daß  in  den  älteren  landrechtlichen  Quellen, 
namentlich  dem  sächsischen  Landrecht,  nichts  von  einer  derartigen 
Begründung  des  Gerichtsstandes  erwähnt  wird;  und  ferner,  daß 
sich  in  den  ältesten  stadtrechtlichen  Quellen  Hinweise  darauf 
finden,  daß  der  späterhin  so  wichtig  gewordene  indirekte  Zwang, 
den  man  gegen  den  abwesenden  Gast  durch  Beschlagnahme  seines 
im  Gericht  des  Klägers  befindlichen  Vermögens  auszuüben  ver- 
mochte, um  1200  noch  nicht  völlig  durchgedrungen  war  *). 

In  einzelnen  Territorien  gelang  es  den  Städten  sogar  dahin 
privilegiert  zu  werden,  daß  der  aus  dem  Territorium  stammende 
beklagte  Gast  der  Zuständigkeit  des  Stadtgerichts  unter  allen  Um- 
ständen, d.  h.  auch  dann  unterlag,  wenn  weder  das  forum  eontrae- 
tus  oder  delicti  commissi  begründet  war  noch  er  selbst  oder  sein 

')  MO.  LL.  II.  283.  Vgl.  dem  gegenüber  noch  Strati  barg  Stadtr.  (12. 
Jahrli.)  10,  Keutgen  Urk.  S.  93:  Der  amsit/iats  soll,  abgesehen  von  gewissen 
Leuten  des  Bischofs,  über  alle  richten,  die  in  die  Stadt  kommen,  nisi  ratio- 
nabiltm  opponant  r xscptiontw . 

*)  S.  unten  S.  56.  57. 


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43 


Gut  sich  in  der  Stadt  befand.  Infolgedessen  wurde  dann  eine 
Evokation  beklagter  (laste  in  das  Stadtgericht  der  klagenden 
Bürger  für  unbedingt  zulässig  erklärt: 

tpsi  potct'utU  pro  debitis  rcl  pro  <iliix  entmin  ipiox  voluerint 
licet  illi  in  terra  noxtru  rexideant,  ttudo  tjlttdio  coratn  nostro 
indirio  Wexalitnsi  proclamare  xeu  vocare  ultra  xicut  tu  rix  ext 
procedendo '). 

Wie  bei  den  Evokationsprivilegien  Vorschriften  zu  Gunsten 
des  beklagten,  wurden  hier  umgekehrt  solche  zugunsten  des 
klagenden  Bürgers  bis  in  die  äußersten  Konsequenzen  entwickelt. 
Grundsatz  aber  war,  daß.  wie  dort  der  von  außerhalb  kommende 
klagende  Gast  in  der  Stadt  Recht  finden  mußte  (S.  38),  so  um- 
gekehrt hier  der  beklagte  Gast,  der  in  Person  oder  Vermögen  in 
der  Stadt  arrestiert  oder  in  die  Stadt  evociert  wurde,  daselbst  im 
Wege  eines  ordentlichen  Gerichtsverfahrens  abgeurteilt  werden 
mußte.  Nur  Freiburg  i.  Br.  und  die  von  ihm  beeinflußten  Tochter- 
rechte  machen  auch  hier  wieder  eine  Ausnahme  und  verstatten  den 
Bürger  zur  Selbsthülfe: 

')  Priv.  des  Grafen  von  Kleve  für  Wesel  (1329),  Lacomblet  III  S.  198 
In  Strafsachen  wurde  nicht  selten  iui  foruin  actoris  geklagt,  ohne  dall  der 
beklagte  Gast  anwesend  oder  sonst  ein  Gerichtsstand  begründet  gewesen 
wäre.  Es  mag  das  mit  dein  Umstande  verknüpft  sein,  dat!  hier  die  Ver- 
festung,  zumal  wenn  sie  in  andern  Städten  gleichen  Rechts  ebenfalls  Gültig- 
keit erlangte,  eher  praktische  Resultate  zu  erzielen  vermochte:  Vgl.  z.  B. 
Magdeb.  Schöff.  Urt.  für  Stendal  (1333)  VII,  Behrend  l'rt.  B.  S.  36:  mark- 
gräll.  Privileg  für  Stendal  (1345),  Riedel  I.  XV.  S.  122:  Nau  mburg  Stadtr. 
(1337)12,  Gengier  St.  R.  S.  308:  auch  Nordhausen  Weistnmer  (1359)  b, 
Förstemann  N.  M.  1,3  S.  19  f.  — Bei  Schuldsachcn  pflegte  dergleichen 
seltener  zu  sein,  worauf  eine  von  Reinhold  S.  77  mitgeteilto  Urkunde  des 
NVoseler  Katsarchivs  (um  1400?)  hindeutet,  die  das  oben  im  Text  abgedruckte 
Privileg  dahin  erläutert:  Ind  so  cn  is  den  van  Wesell  vermids  den  punte  in  den 
eyssehen  nyet  sonder tinx  gtgeven , dan  da t die  borgere  umb  sc  holt  ind  all  ander 
saicken  eyssehen  machen,  dat  sy  nae  gemeynen  vredelosen  rechten  nyet  dan 
umb  pynlyckc  saicken  doin  cn  mochten,  dit  is  sunderlinge  gegeven.  Kin  Bei- 
spiel solcher  Evokation  um  Schuld  bietet  indessen  die  vom  Herzog  dem 
Vogt  von  Schweidnitz  1281  erteilte,  1285  allerdings  beschränkte  (s.  unten 
S.  53  Anm.  3)  Befugnis:  quod  omnes  mililes,  filios  mi/itum,  feodates,  servientes,  ad- 
voea/os,  eives,  seul/etos,  rilUwos  et  alios  omnes  ad  iudicium  evoeet  et  eisdem  eevibus 
Suidnieensibus  de  ipsis,  qui  debitores  ipsorum  fuerint,  satis/aeiat  in  pignore  et  argento 
(Tzsehoppe  S.  397.  403).  — Stobbe  Gerichtsst.  S.  457  f.  übertreibt  die  Be- 
deutung der  Privilegien,  welche  von  dem  Satz:  aetor  sequitur  forum  rei  befreien. 


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44 

Si  ertraneus  cicem  fugarerit  rel  ndnerucerit,  si  civin  iudici 
notißeacerit  prius  et  si  pogtea  eortraneus  in  civifatem  renerit, 
burgensis  i/uidi/itid  ei  midi  intulerit,  nullam  apud  iudicem 
penam  sustinebit l). 

2.  Die  Begünstigung,  welche  die  Städte  durch  Evokations- 
privilegien  erhielten,  wurde  so  zum  größten  Teile  aufgewogen 

durch  die  Tatsache,  daß  ihr  Bürger  als  Gast  fast  schrankenlos 

in  jedem  auswärtigen  Gericht  belangt  werden  konnte.  Immerhin 

waren  Mittel  vorhanden,  diese  Wirkung  wenigstens  etwas  ab- 
zuschwächen. 

a)  Es  verboten  einmal  die  Städte  oder  Stadtherren  ihren 

eigenen  Bürgern,  einander  in  fremden  Gerichten  zu  beklagen: 
Null us  eorum  tjui  civis  eester  egt  et  egge  eult  querimoniam 
faciat  de  conciei  guo  in  alienig  regionibus;  ged  gi  tjitis  habet 
cum  eo  tigere,  coram  concicibus  ging  fumiliariter  et  amice  ter- 
minet, gi  potegt.  Si  alter  eorum  gecundum  consilium  cieium 
suorum  ter minare  noluerit , tpierimonia  dijferatnr  et.  in  oppido 
regtro  terminetur  cicili  iugticia.  (Jui  istud  preceptum  non  ser- 
vil verit,  decem  ß eadiabit SJ. 


')  .Stadtrechtszusatz  (12.  Jahrh.)  26,  Keutgcn  l?rk.  S.  120.  Bern  (1218?) 
XXXVI  § 2,  ebenda  S.  130;  Straßburg  (1214)22,  ebenda  S.  104;  Kolmar 
(1293)  12,  Gaupp  St.  K.  I S.  116,  verlangen  in  ihren  Stadtrechten  wenigstens 
die  förmliche  Erhebung  der  Klage  und  auch  (Straßburg.  Kolmar)  ihre  Mit- 
teilung an  den  Beklagten,  ehe  der  verletzte  Bürger  sich  an  dem  ohne  (ieleit 
in  die  Stadt  kommenden  (last  straflos  vergreifen  darf.  Anders  liegt  der 
Fall  im  Magdeb.  SchöfTonurt.  für  Stendal  (1333)  XIV.  1,  Bohrend  Urt.  B. 
S.  68,  wo  der  Totschlag  straflos  bleibt,  weil  der  Erschlagene  bereits  ver- 
festet  war.  — Jenen  süddeutschen  Rechten  halte  man  Sätze  wie  die  der 
Stadtrechte  von  Soest  (vor  1200)21,  Keutgcn  l!rk.  S.  141;  Stade  (1259), 
Pufendorf  II  App.  V S.  159;  Padberg  (1290)  9,  Gengier  St,  K.  S.  340,  u.  a. 
m.  gegenüber. 

J)  I’riv.  des  Krzb.  von  Köln  für  Medebach  (1165)  17,  Keutgcn  l'rk. 
S.  147.  Weitere  Belege  bei  Simon  S.  6 bis  8.  Planck  I S.  46.  S.  auch  die 
Stadtrechte  von  St  raßburg  (12.  Jahrh.)  31.  Bern  (1218)  XXIII,  Münster 
i.  W.  (1221)  30,  sämtlich  bei  Keutgcn  l'rk.  S.  95.  129.  152:  Riga  (1279)  51, 
Xapierskv  S.  37:  Duisburg  (1290)  6,  Gengler  Kod.  S.  950:  Büren  (1300)  6, 
ebenda  S.  441:  Kleve  (nach  1424)  95  § 1.  ZRG.  10  S.  232.  Auch  in  SI.dR, 
III.  87  §2,  einem  vor  1270,  möglicherweise  nach  Analogie  des  Stadtrechts 
aufgenommenen  Zusatze  heißt  es,  daß  der  I.audmann  seinen  Gau-  oder  Dorf- 
genossen nicht  binnen  •arkkbthU  oder  in  cnem  utioendigen  Berichte  beklagen  solle. 


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45 


Möglicherweise  meint  dieses  Medebacher  Privileg  mit  den 
Worten  in  alienis  regionibus  etwas  ähnliches  wie  das  älteste 
Stadtrecht  Soests  (vor  1200)  *29’),  welches  verbietet,  daß  Soester 
Bürger  einander  e.rira  grorinciam,  d.  h.  wohl  außerhalb  des 
erzbischöflichen  kölnischen  Territoriums,  belangen.  Im  Übrigen 
ist  es  nicht  zweifelhaft,  daß  namentlich  in  späterer  Zeit  eine 
Klage  vor  einem  anderen  Gericht  als  dem  Stadtgericht  durch  der- 
artige Vorschriften  ausgeschlossen  werden  sollte;  anderwärts 
herrschten  eben  aliena  et  iruolita  iura.  Die  auswärtigen  Gerichte 
selbst  nahmen  auf  derartige  Vorschriften  grundsätzlich*)  keine 
Rücksicht.  Aber  auch  die  heimische  Gesetzgebung  war  nicht  in 
der  Lage,  ein  unbedingtes  Verbot  auszusprechen.  Sie  ließ  es 
namentlich  zu,  daß  der  einheimische  Bürger  den  andern  außer- 
halb beklagte,  wenn  ihm  zu  Hause  Recht  geweigert  worden  war: 
si  forte  actor  a relii/uis  burgentibm  testimonium  habeat, 
iptod  ille,  ijuem  convenire  mit,  adrocato  cantuma.r  e.rtiteril  et 
■rebellis  3J. 

Sie  ließ  aber  auch,  wie  Planck  (I  S.  4fi)  ausführt,  im  ein- 
zelnen Falle  überwiegende  Interessen  der  klagenden  Bürger  Vor- 
gehen und  demzufolge  die  angedrohte  Strafe  nur  eintreten, 

nisi  [credilor]  causam  rationabilem,  i/uae  ad  hoc  i/isum 
moceat,  assignet*). 

Einen  Fingerzeig,  wann  eine  solche  rationahilis  carna  vorlag, 
gibt  die  Glosse5)  zum  Weichbild  28.  Danach  soll  man  seinen 

*)  Keutgen  Urk.  S.  141. 

s)  Vgl.  die  Glosse  zu  Weichbild  LXVII,  Daniels  Gl.  S.  389.  391.  Im 
Stadtrechtsbuch  von  Kreising  (1328?)  G9,  Maurer  S.  320,  wird  Besetzuug 
(und  Klage?)  zwischen  zwei  Gästen  derselben  Stadt  verboten,  es  sey  dann 
das  recht  dahaim  verzignn. 

3)  Goslar  (1219)  30,  Keutgen  Urk.  8.  181;  Pritzwalk  Stadtrecht 
(1256),  Kuhns  I S.  184:  Weichbild  28  § 1,  Daniels  S.  103;  Duisburg 
(1290)  6,  Gengier  Kod.  S.  950:  Kleve  (vor  1424)  95  § 1,  ZRG.  10  S.  232; 
auch  vorige  Anm. 

4)  Brünn  Schoffenbnch  (uni  1350)95,  Rößler  S.  51. 

s)  Daniels  Gl.  S.  319.  320.  — Vgl.  auch  Planck  I S.  46  Anm.  9,  sowie 
unten  S.  55  Anm.  5 und  Nordhausen  zweite  Stat.  Samml.  (1308)  97, 
Foerstemann  N.  M.  III.  2 S.  20,  wo  die  Klage  gestattet  wird,  ah  (in  unsis 
borgers  mak  (dir  vrunt  erstagen  würde  von  einte  unse  bürgere  undc  di  Z'romedc  richter 
nicht  state  wo/de,  daz  nun  di  totenhont  uz  dem  geruhte  vierte , he  en  kette  den  talslac 


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4fi 

Gerichtsgonossen  außerhalb  beklagen  dürfen,  wenn  hier  Erbgut 
liegt,  Missetat  getan  oder  Kaufschlag  und  Bürgschaft  geschehen 
ist.,  im  wesentlichen  also  dann,  wenn  die  fora  rei  sitae,  delicti 
commissi  und  contractus  begründet  sind. 

Übrigens  wird  dem  auswärtigen  Verfahren,  auch  wenn  eine 
rationabili»  causa  nicht  vorliegt,  im  allgemeinen  die  Gültigkeit 
nicht  abgesprochen.  Der  Bürger,  dessen  Gut  in  einem  andern 
Gerichte  von  einem  Mitbürger  — wenn  auch  ohne  raiionabäi* 
causa  — besetzt  worden  ist,  wird  für  verpflichtet  erklärt,  zur 
Verhandlung  der  Sache  sich  dorthin  aufzumachen  *).  Dem  außer- 
halb gegen  einen  Mitbürger  erbrachten  Zeugenbeweis  wird  auch 
in  der  Heimatstadt  volle  Gültigkeit  beigelegt,  wofern  er  dem 
Rechte  der  Heimatstadt  entspricht*).  Eine  im  besondern  Falle 
erteilte  Erlaubnis  sowie  ausdrückliche  Parteivereinbarung  entbindet 
natürlich  überhaupt  von  dem  Verbot  und  seinen  Folgen5).  Die 
letzteren  bestehen  im  wesentlichen  nur  in  der  Androhung  von 
Strafen  und  von  Schadenersatz4);  häutig  wird  eines  dieserhalb 
eingeleiteten  besonderen  Verfahrens  gedacht*).  Nur  sehr  selten 
aber  ist  von  einer  Rückgängigmachung  des  auswärtigen  Verfahrens 
selbst  die  Rede,  so  in  Nordhausen,  wo  der  klagende  Bürger  zwei 
Mark  zahlen  und  die  Stadt  acht  Wochen  räumen  soll 

unde  ensal  us  der  buze  nicht  kome  he  en  habe  di  cluy  abe 
getan  °), 

so  in  Hagenau: 


vor  sime  gtrichte  gmordirl;  desgl.  Kleve  (nach  1424)  95  § 1,  ZKG.  10  S.  232: 
am  erfnisst. 

')  Brünn  Schöffen!),  (um  1350)  95.  Kößler  S.  50.  51,  woselbst  im  An- 
fang sinnentstellende  Interpunktion. 

a)  Bremen  Ordale  (1301)29,  Oelrichs  S.  80. 

3)  Lippstadt  (1198)3,  Keutgen  Urk.  S.  148;  Kleve  (nach  1424)  95 
§ 1,  ZUG.  10  S.  232. 

*)  Soest  Stadtr.  (vor  1200)  17:  Münster  Stadtr.  (1221)  30;  Straß- 
burg Stadtr.  (12.  Jahrh.)  31,  sämtlich  bei  Keutgen  l’rk.  S.  140.  152.  95,  und 
viele  Belege  aus  S.  44  Anm.  2. 

*)  Z.  B.  in  lliga  Stadtr.  (1279)  51,  Xapiersky  S.  37:  Glosse  zu  Weich- 
bild 67,  Daniels  Gl.  S.  389.  391:  Magdcb.  Prag.  I.  1 d.  23  Beil.  II,  Behrend 
S.  213. 

“)  Zweite  Stat.  Saruml.  (1308)  97,  Förstemann  N.  M.  III,  2 S.  20.  Köln 


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47 


Si  i/uis  snorum  cirium  ipienupiarn  e.rtra  ambitum  vi/le 
coram  (/ittx  uiH/ue  iudice  in  causam  du.rerit,  eundeni  a iudire 
absolrat  xibique  ordinatn  iudici  tres  libras  / >ersnlrat 

b)  Die  Entwicklung  einer  uneingeengten  Jurisdiktion  der 
Städte  über  alles,  was  in  ihren  Bereich  trat,  wurde  des  Ferneren 
eingeschränkt  durch  die  Territorialherren.  Der  unten  S.  411  im 
Wortlaut  wiedergegebene  Satz  des  § 2 SLdR  III.  25  bezeugt,  daß 
auch  vom  Standpunkt  des  Landrechts  aus  die  Angehörigen  der 
freien,  auf  dem  platten  Lande  wohnhaften  Bevölkerungsklassen 
binnen  markede  antworten  müssen,  wofern  dort  ein  außerordent- 
licher Gerichtsstand  begründet  ist.  Demgegenüber  sollten  die 
Ministerialen,  wenn  möglich  aber  auch  die  unfreien  und  hörigen 
Bauern  der  Stadtherren  der  Gerichtsgewalt  der  Städte  entzogen 
bleiben. 

Bezüglich  der  Ministerialen  gelang  das  häutig  in  mehr  oder 
minder  weitem  Umfang,  zumal  sie  seit  dem  12.  Jahrhundert  mit 
freien  edlen  Elementen  zu  einem  Adel  verschmolzen,  dessen  eigene 
Machtstellung  die  Bestrebungen  nach  ausschließlichem  Gerichts- 
stand vor  den  höheren  Landgerichten  und  fürstlichen  Hofgerichten*) 
wirksam  unterstützen  mußte.  Anders  stand  es  in  dieser  Beziehung 
mit  den  unfreien  und  hörigen  Bauern  und  Handwerkern.  Deshalb 
gehört  ein  Satz  wie  der  des  ersten  Straßburger  Stadtrechts: 

Causidicus  iudicabit  pro  furto,  pro  freeelu,  pro  geltschulda 
in  omnes  cives  urbis  et  in  omnes  ingred i ent  cs  eitm  de  episco- 
pafu  isto,  nixi  ralionabilem  oppnnant  e.rceplionem,  preler  minis- 
teriellen ecclesiae  et  eos  qui  su?it  de  familia  episcopi  et 
ipii  nb  ipso  sunt  ojficiati 3) 

in  seiner  Beziehung  auch  auf  sämtliche  auf  dem  Lande  wohnhaften 
Bauern  und  Handwerker  des  Bischofs  zu  den  Seltenheiten.  Da- 
gegen sind  Vorschriften,  welche  alle  oder  doch  gewisse  Klassen 
des  Adels,  mögen  sie  nun  in  oder  außerhalb  der  Stadt  wohnen, 


Eidbuch  (11341)5,  Stein  I S.  47,  erzwingt  die  Rückgängigmachung  der  erfolg- 
ten Ladung  durch  Strafandrohungen. 


')  Stadtr.  (1 1G4)  8,  Keutgen  Urk.  S.  1.35. 
*)  Schröder  S.  601  f.:  582. 

3)  (12.  Jahrh.)  10,  Keutgen  Urk.  S.  93. 


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48 


der  Gerichtsgewalt  der  Städte  völlig  entziehen,  verbreiteter1),  zn 
schweigen  von  den  Sätzen,  die  für  bestimmte  Angelegenheiten  die 
Zuständigkeit  des  Stadtgerichts  ausschließen2).  Solche  Privilegierung 
bezog  sich  natürlich,  wie  schon  angedeutet,  nur  auf  den  Adel,  die 
Ministerialen,  welche  mit  der  Stadt  Angehörige  eines  Territoriums 
waren.  Sollte  sie  auch  für  Personen  anderer  Territorien  gelten, 
so  mußten  sich  die  landesherren  darüber  vertragen: 

(Ju  intus  (sc.  articulus)  ent,  i/uod  et  unius  et  alterius  errlesiae 
homines  in  territoriis  alterulrius  iudirio  ewili  occujiari  rel 
arrettari  non  debent,  nisi  coram  domino  suo  ad  VI  septima- 
ntts  fuerint  conrenti *). 

Solche  zugunsten  bestimmter  Stände  erwachsenen  Regeln  galten 
indessen  nicht  für  die  Marktzeit4).  Mindestens  bezüglich  der 
währenddessen  abgeschlossenen  Kaufgeschäfte  grifl'  Platz  die  Regel 
des  Vogtweistums  von  Gandersheim: 

Siguis  autcm  in  prefatis  locis  (d.  h.  innerhalb  der  Stadt- 
mauer und  der  Klosterfreiheit)  publica s merratura»  e.rer- 
cuerit,  ratione  mercationis,  non  ratione  personae  legi  fnrensi 
subiacebit ; eessante  eero  causa  cessabit  et  eßectus s), 
dergestalt,  daß  dann  die  personae  ecclesiasticae,  namentlich  auch 
die  ministeriules,  vor  dem  Stadtgericht  zu  Recht  zu  stehen  hatten. 
Als  das  Gewöhnliche  wird  man  demgemäß  die  Vorschrift  des  Stadt- 
rechts von  Eferding  anseben  dürfen,  wo  es  heißt: 

De  Omnibus  venientibus  ad  foruin  iude.r  civitatis,  cuius- 
rumijue  sint  homines,  tudieabit6). 

Die  infolgedessen  an  den  Markttagen  besonders  ausgedehnte 
Rechtsprechung  zwang  an  vielen  Orten  dazu,  möglichst  nur  Streitig- 

’)  Bremen  Gerhard.  Revers.  (1246)  3,  Kcutgcn  Urk.  S.  173,  und  dazu 
l’riv.  Gerhards  II.  (1233),  Cassel  Saimid.  S.  124;  Salzwedcl  Rechtsbrief 
(1273),  Pufendorf  III  App.  S.  400:  Berlin  Priv.  (1310),  Kidicin  II  S.  18: 
Brünn  Schöffenb.  14.  32,  Rößler  II  S.  10.  17:  Mugdeb.  Bresl.  syst.  Sch.  R. 
II.  2 d.  73,  I.aband  S.  51 ; Magdeb.  Rechtsniitt.  an  Breslau  (1369),  Korn 
S.  215. 

*)  S.  unten  S.  65  ff. 

3)  Vertrag  der  Bischöfe  von  Münster  und  Osnabrück  zu  Gunsten 
ihrer  Dienstmannen  (1245),  Osnabr.  U.  B.  II  nr.  464. 

*)  Vgl.  im  allg.  Rietschel  S.  207  ff. 
s)  (1188),  Harenberg  S.  130. 

°)  (um  1260)  2,  Keutgen  ITrk.  S.  199. 


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40 


keiten,  in  die  auswärtige  Marktbesucher  verwickelt  waren,  zu  er- 
ledigen und  Prozesse  von  Bürgern  gegen  Bürger  überhaupt  zu 
verbieten: 

Nuilus  trahet  nuum  civem  in  iudicium  die  foretuti.  tri  fecerit, 
vadiubit  II  nol.1) 

II.  Die  besonderen  Gerichtsstände. 

Nach  diesem  allgemeinen  Überblick  mag  in  Kürze  betrachtet 
werden,  wie  sich  im  einzelnen  bei  den  verschiedenen  Klagen  die 
Lehre  vom  Gerichtsstände  gestaltete. 

1.  Klagen  um  Schuld. 

a)  Bei  den  Klagen  um  Schuld  war,  wie  schon  oben  S.  38  be- 
tont wurde,  das  forum  contractus  und  die  Evokation  in  das- 
selbe gerade  dem  älteren  Rechte  durchaus  geläufig. 

Schon  das  SLdR.  III.  23  sagt: 

§ 2.  Binnen  marhede  noch  binnen  utieendigen  geeichte  iw 
dar f neman  antwerden,  he  ne  hebbe  dar  tconunge  oder  gut 
binnen,  oder  he  ne.  cerwerke  sik  mit  Ungerichte  dar  inne,  oder 
he  ne  verborge  ttik  dar  binnen. 

§ 3.  Seal  so  buten  deine  geeichte  gesehiet,  des  iw  darf  he 
dar  binnen  nicht  antwerden. 

Während  Homeyer2)  in  dieser  Stelle  die  Festsetzung  einer 
ausschließlichen  Gültigkeit  des  forum  contractus  erblickt,  scheinen 
sich  Stobbe3)  und  mit  ihm  Simon4)  für  elektive  Zuständigkeit 
der  fora  contractus  und  domicilii  zu  entscheiden.  Alle  drei  lassen 
jedenfalls  eine  Evokation  in  das  Gericht  des  Vertragsschlusses 
gelten.  Demgegenüber  besteht  nach  Planck5)  ein  forum  contractus 
nur  so  lange,  als  der  Schuldner  auch  tatsächlich  in  dem  Gerichts- 
bezirk, wo  der  Vertrag  geschlossen  ist,  verweilt. 

')  Münster  Stadtr.  (1221)  29a,  Keutgeu  l'rk.  S.  132.  Vgl.  ferner  die 
Belege  bei  Rietschel  S.  206  Anm.  6. 

a)  Heimat  S.  38.  Soweit  er  die  Ausschließlichkeit  des  forum  contractus 
vertritt,  wendet  sich  gegen  ihn  mit  Hecht  l'lanck  I S.  71  Anm.;  vgl.  dazu 
KLdR.  46  § 4 nnd  Simon  S.  45. 

3)  Gerichtsst.  S.  441  ff. 

4)  S.  45  f. 

5)  Planck  I S.  76.  74  f.  69  ff. 

ltudorff.  Rechtsstellung  der  4 


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Diese  Meinungsverschiedenheit  läßt  sich  nur  durch  einen 
Vergleich  mit  der  Regelung  der  übrigen  Gerichtsstände  entscheiden. 
Planck  übersieht  hierbei,  anders  als  Hornever  und  Stobbe, 
nicht  den  scheinbaren  Widerspruch  im  § 2,  der  das  (Jericht  des 
Klagorts  als  ein  für  den  Beklagten  «/ wendiges  bezeichnet,  obwohl 
der  Beklagte  im  Bezirk  dieses  Gerichts  wohnhaft  oder  doch  mit 
Gut  angesessen  ist,  hier  also  seinen  allgemeinen  Gerichtsstand 
besitzt').  Indessen  hebt  Planck  bei  seinen  Erörterungen,  die 
diesen  Widerspruch  aufhellen  sollen,  nicht  mit  genügender  Schärfe 
den  entscheidenden,  auch  für  die  übrigen  Gerichtsstände  wichtigen 
Gesichtspunkt  heraus,  den  nämlich,  daß  nach  der  Auffassung 
des  § 2 der  Beklagte  im  Zeitpunkte  der  Klageerhebung 
nicht  im  Gerichtsbezirke  des  Klagorts  weilt.  Der  Be- 
klagte mag,  wie  in  dem  Gerichtsbezirk  des  Klageorts,  so  auch 
in  dem  seines  augenblicklichen  Aufenthalts  wohnhaft  oder  an- 
gesessen sein;  nichtsdestoweniger  muß  er  sich  nach  erfolgter 
Ladung  nach  dem  Gericht  des  Klageorts  auf  den  Weg  machen, 
das  in  diesem  Zeitpunkt  und  unter  solchen  Umstanden  ganz 
natürlich  als  ein  utwendiges  erscheint.  Jene  Auffassung  nun,  die 
nach  § 2 den  Worten  utwendiges  geruhte  zugrunde  liegt,  muß 
auch  gelten,  wenn  es  sich  um  die  Regelung  der  besonderen 
Gerichtsstände  handelt.  Das  heißt:  § 2 setzt  ausdrücklich  und 
nicht  nur  mittelbar  fest,  daß  der  Beklagte  sich  aus  dem  Gerichte 
seines  Aufenthalts  in  ein  auswärtiges  Gericht,  in  dem  er  zur  Zeit 
der  Klageerhebung  nicht  weilt,  lediglich  deshalb  zu  begeben  hat, 
weil  er  daselbst  kontrahiert  oder  delinquiert  hat  und  nunmehr  ver 
klagt  wird.  Hieraus  folgt  selbstverständlich,  daß  eine  Klage  in 
diesem  letzten  Gericht  erst  recht  zulässig  sein  muß,  wenn  der 
Beklagte  in  ihm  zur  Zeit  der  Klagoerhebung  anwesend  ist. 

Im  Gegensatz  zu  Planck2)  möchte  übrigens  anzunehmen 
sein,  daß  die  Zuständigkeit  des  forum  contractus  nicht  nur  dann 
Platz  griff,  wenn  der  Beklagte  sich  verbürgt  hatte,  sondern  bei 
allen  Arten  von  Schuldverpflichtungen.  Abgesehen  davon,  daß 
sich  sowohl  die  Glosse  zu  SLdR.  111.  25  § 2: 


')  S.  Planck  I S.  52  fl'. 
*)  1 S.  7(1. 


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51 


das  ist,  ob  er  rielleicht  bärgen  darinnen  setzte  rechts  zu  pflegen 
oder  daselbst  kauft  schlagete  und  contraci  machete , 
wie  auch  die  zu  Weichbild  28: 

kouftslayt  ouch  eyner  in  eynem  anderen  gerichte,  oder  borgite 
er  da  icht,  er  muste  do  mit  werten ') 
in  diesem  Sinne  ausspricht,  liegt  dem  § 2 in  SLdR.  III.  25  offen- 
bar nicht  die  Absicht  einer  erschöpfenden  Aufzählung  zu  Grunde. 
Darauf  deutet  einmal  die  allgemeine  Fassung  des  § 3 wie  auch 
die  Tatsache,  daß  SLdR.  III.  9 § 2: 

Frede  sal  man  unt reden  oder  beferen  binnen  deine  gerichte, 
dar  he  geloeet  is 

einen  neuen  Unterfall  bringt,  wo  ebenfalls  der  Gerichtsstand  des 
Vertrages  eingreift. 

Überhaupt  ist  nicht  zu  vergessen,  daß  die  Entwicklung  des 
Beweisrechts  die  Bedeutung  des  forum  contractus  zunächst  unter- 
stützen mußte.  Namentlich  die  Möglichkeit,  Verträge  durch  Ge- 
richts- oder  Dingmannenzeugnis  zu  erweisen,  und  ferner  das  Auf- 
kommen eines  echten  Zeugenbeweises  vorzüglich  im  Stadtrecht 
sind  hierher  zu  rechnen.  Für  den  Kreditgeber,  der  sich  dergleichen 
Beweismittel  sicherte,  war  es  in  hohem  Grade  wichtig,  den  Prozeß 
da  zu  führen,  wo  er  diese  Beweismittel  am  ehesten  zur  Hand 
hatte.  Bestand  doch  im  älteren  Recht  nicht  einmal  die  Möglich- 
keit, das  Gerichts-  oder  das  Privatzeugnis  mit  Hülfe  der  Urkunde 
einem  dritten  Gericht  zu  unterbreiten;  war  doch  für  den  Kläger, 
der  gegen  den  Beklagten  im  forum  domicilii  Vorgehen  wollte, 
die  Beweisführung  vielfach  erschwert  durch  die  Vorschrift,  nur 
Mitbürger  des  Beklagten  dürften  diesen  überzeugen. 

Erwägungen  der  letztgenannten  Art  spiegeln  sich  noch  wieder 
in  dem  bekannten  Privileg  Kaiser  Friedrichs  I.  vom  29.  Mai  1173s), 
das  in  seinen  drei  ersten  Abschnitten  Bestimmungen  über  den 
Besuch  der  Jahrmärkte  zu  Aachen  und  Duisburg  speziell  durch 
flandrische  Kaufleute  trifft,  in  seinen  Abschnittten  4 — 9 .aber  Vor- 
schriften allgemeiner  Natur  enthält,  die  sich  nicht  nur  auf  die 

')  Daniels  Gl.  S.  320.  Vgl.  auch  die  allgemeine  Fassung  von  SLdlt.  I. 
70  § 2,  worüber  Näheres  unten  S.  5G  Anm.  1. 

*)  Keutgen  Urk.  S.  öl  f.,  wo  die  Urkunde  nicht  recht  passend  als 
„Handelsvertrag  des  Reichs  mit  Flandern"  bezeichnet  wird. 

4* 


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Flandrer,  sondern  überhanpt  auf  Kaufleute,  und  ferner  auf  das 
ganze  Reichsgebiet  beziehen.  Es  heißt  da: 

4.  Quicumque  mercatores , sire  Flandrensex  sive  alii,  bona 
sua  cuiquam  crediderint , roratn  iudice  et  scabinis  hoc  faeiant, 
qui  testimonium  rei  rredite  perhibeant;  et  merrator  ita  faciens 
per  testimonium  iudicis  et  scabinorum  bona  credita  sine  eontra- 
dictione  reeipiet.  Sed  si  super  botiis  creditis  testimonium  iu~ 
dicix  et  scabinorum  non  habuerit,  ille  a quo  bona  requirun- 
lur  sacramento  sine  vara  sc  e.rpurget , quod  bonorum  debitor 
non  e.rtiterit. 

5.  Cuiuscumque  terre  mercator  bona  sua,  per  testimonium 
iudicis  et  scabinorum  credita,  rehabere  non  potuerit,  a 
iudice  et  scabinis  illius  loci  quem  debitor  inhabit at 
iusticiam  requirat  et  petat-,  ut  inde  debitor  trans- 
mittatur  ad  iudicem  et  scabinos  qui  botiis  creditis 
inter/uerunt;  coram  quibus  debitorem  convincat. 
Quodsi  iusticiam  requisitam  non  inrenerit,  deinde  illius  loci 
mercatoribus , ubi  ncgata  cst  ei  iusticia,  pignus  auf  erat,  donec 
iusticiam  consequatur,  et  ob  hatu-  causam  loci  alterius  merca- 
tores  non  infestet. 

Nach  diesem  Privileg  ist,  allerdings  unter  der  Voraussetzung 
eines  durch  Gerichtszeugnis  beweisbaren  Vertrages,  die  Evokation 
ausdrücklich  zugelassen.  Hier  wie  in  der  Bestimmung  des  Bern- 
schen  Stadtrechts: 

Si  burgensix  alapiit  e.rtra  urbem  emerit  rel  aliquid  alicui 
promiserit  xeu  debitor  alicuius  quocumque  modo  f actus  J'uerit 
et  super  hoc  in  cicitate  ab  aliquo  conreniarur , si  negare  vo- 
luerit,  e.rtra  rillam  ubi  talis  concentio  xeu  promissio  facta 
fuit  ire  debet,  et  ibi  se  per  solutionem  scu  iudicium  ab  eo 
taliter  e.rpediat,  quod  civitas  inde  non  gravetur  *) 
wird  eine  Nichtfolge  des  Schuldners  ins  forum  contractus  noch 
als  eine  Rechtsweigerung  desselben  angesehen,  die  den  Gläubiger 

')  (1218?)  XXI,  Keutgen  llrk.  S.  128.  Bas  Herrische  Stadtrecht  ist 
eine  Fälschung  aus  der  2.  Hälfte  des  13.  Jahrhunderts.  Sicherlich  ist  in 
ihm  viel  altes  positives  Hecht  nicdergclogt,  wie  Stutz  in  ZUG.  23  S.  348  IT. 
ausfiihrt:  und  zwar  darf  inan  mit  Zeerleder,  die  Berner  Handfeste  (Bern  1891) 
S.  55,  das  oben  angeführte  Kapitel  XXI  gewiß  zu  den  ältesten  Bestandteilen 
rechnen. 


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53 


zum  Repressalien  arrest  gegen  Mitbürger  des  Schuldners  be- 
rechtigt. 

In  so  allgemeiner  Form,  nicht  an  territoriale  Grenzen 
bindend,  die  Evokation  des  Einheimischen  durch  den  Auswärtigen 
betonend,  reden  vom  forum  contractus  späterhin  die  Quellen  nicht 
mehr.  Zwar  ein  ausdrückliches  Verbot  einer  Evokation  dorthin 
findet  sich  nur  ganz  vereinzelt ').  Dagegen  leidet  die  tatsächliche 
Anwendung  einer  Evokation  mindestens  Zweifel,  selbst  da,  wo  die 
Quellen  ein  forum  contractus,  einen  loeua  contractu s anzuerkennen 
scheinen: 

Si  reut  alicuiut  debiti  recogniti  ob  alic/uam  causam  se  a 
foro  actoris  absentacerit , actor  hincinde  si  presentiam  de- 
bil oris  in  loco  talis  contractus  e.rspectare  noluerit, 
forum  rei  sequatur *). 

Hier  ist  offenbar  eher  ein  zufälliges,  als  ein  durch  Ladung 
veranlaßtes  Erscheinen  des  Schuldners  im  forum  contractus  gemeint. 

Dagegen  wird  in  territorialer  Begrenzung  das  fonim 
contractus  in  mannigfacher  Beziehung  praktisch.  Namentlich  dient 
es  dazu,  die  Angehörigen  privilegierter  Stände  als  Beklagte  dem 
städtischen  Gericht  daun  zu  unterwerfen,  wenn  der  Vertrag  vor 
dem  letzteren  abgeschlossen  worden  ist: 

Item  si  castrenses  non  fecerint  pactum  coram  scabinis  super 
debitis,  non  sunt,  trahendi  ad  iudicium,  nisi  infra  iudicium 
peccacerint  manifeste 3). 

')  König  Johann  an  Breslau  (1337)  2,  Korn  S.  136. 

3)  Vertrag  zwischen  dem  Grafen  von  Berg  und  Köln  (1249),  La- 
coinblct  II  S.  188.  Vgl.  ferner  Vertrag  zwischen  dem  Herzog  von  Brabant 
und  Köln  (1251),  Hans.  IJ.  B.  I S.  136:  Item  ordinatum  es/  hiru  inde , quod  in 
terra  rws/ra,  tibi  eives  Colonienses  debita  contraxerint , cosroentiones  seu  pactiones  fece- 
rint,  ibidem  stabunt  juri  et  sententie  seabinorum  . . . Simi/iter  et  homines  nostri  de 
debitis  suis,  eonventionibus  seu  paccionibus  in  civi/a/e  ....  Cohniensi,  sowie  die  oben 
S.  39  Anm.  3 angeführte  Stelle  des  Kölner  Schieds  von  1258. 

*)  Lechenich  Kechtsbr.  (1279)  34,  Gengier  St.R.S.  241.  Vgl.  ferner 
die  vom  Herzog  dem  Vogt  zu  Schweidnitz  1285  lediglich  bezüglich  der 
ritterlichen  Personen  erteilte  einschränkende  Befugnis:  ut  omnes  . . . super 
debitis  in  dicta  eivitate  eonlraetis  coram  nostro  provinciali  advocato  eiusdem  civi- 
tatis eonventi  debcant  respondere  (Tzschoppe  S.  403:  vgl.  wegen  der  Einschrän- 
kung oben  S.  43  Anm.  1);  Salfcld  Stadtr.  (um  1300)  34,  Walch  I S.  23. 


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Oder  aber  es  mildert  die  Anwendung  des  forum  arresti:  Nur  im 
Gerichtsbezirk  des  Vertragsschlusses  soll  der  Schuldner  belangt 
und  arrestiert  werden  dürfen ').  Oder  es  schwächt  schließlich  die 
Wirkung  von  Privilegien  ab,  die  die  Ausschließlichkeit  des  forum 
domicilii  zugunsten  einiger  Städte  konstituieren:  Ist  ein  Vertrag 
vor  einem  andern  Gericht  als  dem  des  Wohnsitzes  des  Schuldners 
abgeschlossen  worden,  so  soll  er  auch  vor  dem  Vertragsgericht 
belangt  werden  können2). 

Stobbe’s*)  Satz,  das  forum  contractus  sei  nur  von  geringer 
Bedeutung  gewesen,  trifft  nach  den  bisherigen  Ausführungen  für 
das  spätere  Mittelalter  allerdings  zu.  Hier  liegt  auch  der  Grund, 
weshalb  über  die  Art  und  Weise  der  Evokation  verhältnismäßig 
sehr  wenig  überliefert  ist.  Daß  z.  B.  das  SLdR.  sich  hierüber 
nicht  äußere,  vermochte  Planck1)  zu  der  Bemerkung,  eine  Evo- 
kation ins  forum  contractus  sei  überhaupt  nach  dieser  Rechtsquelle 

')  Priv.  des  Herzogs  von  Sachsen  für  Berlin  und  Köln  (1319): 
ch'cs  coram  sno  prefecto  unroersis  . . . bominibus  ipsos  inculpare  . . . pro  dcbitis  sh't 
excessibus  in  ipso  iudicio  commissis  volentibus  dcbcnt  solummoiio  et  non  coram  Jttdict 
alicno  rcspondcre  (Fidicin  II  S.  18).  Der  gleiche  Gesichtspunkt  liegt  einer 
von  Brünn  ergangenen  Entscheidung  (Schötfenbuch  5,  Rößler  11  S.  6)  zu 
Grunde:  hier  wird  die  in  Brünn  gegen  einen  Wiener  erhobene  Schuldklage 
eines  Breslauer  Bürgers  mit  der  Begründung  abgewiesen:  Ex  quo  ador  de 
litte  ris,  ßdeinssoribus  ct  verbis  rci  conßderetur,  ambo  deberent  Wicnnam,  i/bi  contractus 
per  ipsos  est  J actus , rtmitti.  Wenn  ein  Vertrag  mit  derartigen  Garantieen  um- 
kleidet ist,  dann  soll  dem  im  Schöffenbuch  29  (Rößler  II  S.  16)  ausge- 
sprochenen Satze  zuwider  dem  Gast  gegen  den  Gast  nicht  außerhalb  des 
Kontraktsgerichts  Recht  gewahrt  werden;  anders,  wenn  ein  Gast  gegen  einen 
Brunner  Bürger  in  Brünn  und  nicht  im  forum  contractus  klagt  (Schöffen- 
buch 16C,  Rößler  II  S.  84).  Simon  S.  49  erklärt  die  Entscheidung  der 
Brünner  Schöffen  unrichtig  damit,  daß  Wien  I.eistungsort  sei ; hiervon  ist 
überhaupt  nicht  die  Rede. 

*)  Kleve  Grätl.  l’riv.  (1348),  Gengier  Kod.  S.  495:  nullus  in  lerminis 
nostris  burgenses  nostros  CHvcnses,  bona  torwn  aut  res  obtiqarc  seit  arrestare  presn- 
mat;  seit  si  quis  contra  cos  occasionem  ( actione  tu  ? ) habutrit , ad  dictum  opidu/n,  ins 
ch’ite  ibidem  postulaturus  . adveniat , nisi  aliqna  proruiserint . . que  contra  eos  testi - 
monio  scabinorum  potcrunt  opprobori,  super  quibus  fanent  id  quod  ins  dictaverit  et 
sententia  scabinorum;  Huessen  grätl.  klev.  I'riv.  (1348),  Teschenmachcr  Urk. 
XXIII  S.  14.  Vgl.  auch  Grieth  grätl.  klev.  Priv.  (1254),  Teschenmachcr 
Urk.  XXXIII  S.  26. 

s)  Gerichtsst.  S.  443. 

»)  I S.  76.  74. 


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55 


ausgeschlossen.  SLdR.  I.  70  § 2,  eine  Stelle,  der  von  Planck1) 
und  von  Meibom*)  eine  sehr  künstliche  Auslegung  gegeben 
wird,  enthält  jedoch  in  Verbindung  mit  SLdR.  III.  25  § 2.  3 und 
RLdR.  7 § 1 s)  einen  direkten  Hinweis,  wie  in  einem  bestimmten 
Unterfall,  dann  niimlich,  wenn  der  auswärtige  Schuldner  Gut 
im  Gericht  hatte,  verfahren  wurde.  Er  wurde,  wenn  er  bei  der 
Klageerhebung  nicht  gegenwärtig  war,  durch  Vermittlung  des 
Richters  geladen,  um  entweder  zu  zahlen  oder  sich  zu  verant- 
worten. Tat  er  keines  von  beiden,  so  griff  ein  eigentümliches 
Verfahren  gegen  das  Gut  des  ungehorsamen  auswärtigen  Schuldners 
Platz,  das  zur  schließlichen  Befriedigung  des  Gläubigers  führte. 
Wo  und  wie  der  Richter  den  Schuldner,  der  nicht  en  dingplich- 
tich,  der  in  dem  richte  nicht  wonaftich  is,  vorbieten  läßt, 
sagen  die  Quellen  zwar  nicht  ausdrücklich.  I)a  es  sich  aber 
um  auswärtige  Schuldner  handelt,  die  nicht  gegenwärtig  sind,  so 
ist  das  Natürliche,  daß  die  Vorladung  in  ihrem  Gerichtsbezirk  vor 
sich  geht.  Eine  unmittelbar  an  den  Schuldner  in  den  aus- 
wärtigen Gerichtsbezirk  ergehende  Ladung  wird,  allerdings  nicht 
unter  spezieller  Beziehung  auf  das  forum  contractus,  in  Wesel4) 
erwähnt.  Aber  die  weit  verbreitete  Regel  scheint  gewesen  zu 
sein,  das  Gericht  des  Schuldners  anzugehen,  ihn  unter  Über- 
mittlung der  Ladung  zur  Gestellung  im  forum  contractus  zu 
veranlassen.  Und  zwar  begab  sich  in  früherer  Zeit  der  Gläubiger 
anscheinend  selbst  ins  Gericht  des  Beklagten,  um  dem  dortigen 
Gericht  seinen  Antrag  zu  unterbreiten5),  während  es  in  späterer 
Zeit  genügte,  wenn  dem  betreffenden  Gericht  die  schriftliche  Auf- 
forderung zuging6),  seinen  Gerichtsinsassen  zur  Gestellung  im 
Gericht  des  Klägers  zu  zwingen.  — 

b)  Im  geraden  Gegensatz  zu  dem  bisher  Besprochenen  ent- 


■)  II  S.  270.  *)  S.  150. 

3)  S.  dazu  in  der  Homeycrschen  Ausgabe  S.  111  Anm.  14. 

4)  Urteilsbuch  142,  Wolters  S.  G8. 

s)  Priv.  Friedrichs  I.  (1173)  5 und  — bei  Delikten  — 6,  s.  oben 
8.52;  wohl  auch  Ilern  Stadtr.  (1218?)  XXI,  oben  8.52. 

*)  Dortmund  Stadtbuch  (vor  1350)  23,  Frensdorf!  8.  71 : Rees  Stadtr. 
(vor  1400?)  14,  Liesegang  S.  90,  beide  allerdings  nicht  mit  spezieller  Be- 
ziehung auf  das  forum  contractus,  Rees  anscheinend  auch  nur  mit  Beziehung 
auf  Deliktsklagen. 


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hält  das  Landrecht,  namentlich  das  sächsische,  für  die  ältere  Zeit 
keinen  Hinweis  darauf,  daß  lediglich  durch  Festhalten  einer  aus- 
wärtigen Person  oder  ihres  Gutes  ein  forum  arresti  hätte  be- 
gründet werden  können').  Anders  das  Stadtrecht*).  Hier  tritt 
seit  dem  Ende  des  12.  Jahrhunderts  die  Befugnis  des  Bürgers 
auf,  die  Person  des  auswärtigen  Schuldners  festzuhalten3),  un- 
eingeschränkt durch  eine  Vorschrift  etwa  der  Art,  es  müsse  der 
Bürger  zuvor  im  Gericht  des  Gastes  Recht  gesucht  haben4).  Auch 
der  Arrestierung  lediglich  des  Fremdengutes  wird  schon  früh 
Erwähnung  getan5).  Hier  mag  zunächst  Voraussetzung  gewesen 

')  Vgl.  Planck  II  S.  370,  I S.  86.  SLdR.  I.  70  § 2 — vgl.  oben  S.  51 
Anm.  1 — gehört  nicht  hierher,  weil  das  ebenda  beschriebene  Verfahren 
einmal  Ladung  und  Fristsetzung  voraussetzt,  zweitens  aber  nur  in  Verbin- 
dung mit  SLdR.  III.  25  § 2/3  — abgedruckt  oben  S.  43  — eingreift,  also 
den  Gerichtsstand  nicht  begründet. 

a)  Vgl.  im  allg.  die  Belege  bei  Simon  S.  70—73.  79 — 81  und  Flank  I 
S.  83—86. 

s)  Z.  B.  Braunschweig  Recht  des  Hagen  13,  Hänselmann  I S.  2,  und 
Ottonischcs  Stadtr.  (13.  Jahrh.)  15,  ebenda  S.  5:  Parchim  StadtrechUbe- 
widmung  (1225—1226)  6,  MeckL  U.  B.  I S.  311:  Mühlhausen  Stadtrocht 
(1230  — 1250),  Ilerquet  S.  621:  sowie  oben  Anm.  2. 

*)  Charakteristisch  der  Kölner  Schied  (1258)  bei  Keutgen  Urk.  S.  162. 
170.  168:  der  Erzbischof  sagt  in  Klagcpunkt  46:  rum  homines  ipsius  arehiepis- 
copi  atque  rxtranti  ad  eivitatem  Coloniam  vrniunt  mm  rebus  venalibus  tt  non  venalibus, 
cives  ipsi  ar restant  res  ipsorum  atque  ipsos  hominrs , dicentes  ipsos  sibi  in  pccunia  vel 
re  alia  obligatos,  ad  iudieiwn  snum  trahentes  eosdern , propter  quod  evenit,  nt  ipsi  cives 
Ca lanir nses  et  res  ipsorum  in  dh  ersis  leas  extra  eivitatem  Cotoniensem  a diversis  il/i- 
eite  arrest[ejntur  et  etiam  in  causam  trahantur  coram  iudice  actoris,  cum  tarnen 
iuris  sit  in  utroque  casu  nt  aetor  forum  rci  sequatur.  L'ndc  ipsi  cives 
inimiantur  et  ipsorum  iniuriam  alia  iniuria  comitatur,  worauf  die  Schiedsrichter 
wie  zu  Punkt  16  so  auch  hier  den  Arrest  uneingeschränkt  zulassen:  sicut 
sHpra , quod  quidam  de  hominibus  archicpiscopi  possuni  arrestari  et  simili'er  de  extra- 

neis.  — Das  kleine  Kaiserrecht  (nach  1300)  I.  34,  Endemann  S.  33, 
verlangt  indessen,  (lall  man  dem  Schuldner  von  aller  erst  vur  sime  riehter  recht 
sal  heischen , sitzit  er  also  nahet  das  man  in  gereichen  mag  in  eint  tag; 
erst  wenn  hier  Recht  geweigert  ist.  soll  man  ilm  überall  angreifen  dürfen. 
Ähnlich  Altenburg  Stadtr.  (1256)  28,  Gaupp  St.  R.  1 S.  212:  extraneus  si 
cuiquam  civium  tencatur  in  debitis  et  in  rurc  impignorari  non  possit , hie  si  inirervcrU 
eivitatem,  pro  debitis  polest  occupari.  Vgl.  übrigens  unten  S.  65  in  und  bei  Anm. 
3 und  4. 

5)  Münster  Stadtr.  (1221)  56,  Keutgen  l'rk.  S.  153:  Uolzininden 
Rcchtsbrief  (1245)  14,  Gengier  St.  R.  S.  205:  Wismar  Ratswillkür  (1306), 
Burmeister  S.  11;  sowie  oben  Anm.  2. 


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sein,  daß  der  Eigentümer  des  Gutes  nicht  persönlich  in  der  Stadt 
weilte').  Zweifellos  aber  ist  wenigstens  in  späterer  Zeit,  daß  das 
Festhalten  ausschließlich  von  Gütern  auch  des  anwesenden  Gastes 
gestattet  war,  um  ihn  in  dem  betreffenden  Gerichte  zur  Verhand- 
lung zu  nötigen5).  Es  verdient  indessen  hervorgehoben  zu  werden, 
daß  die  älteste  von  einem  Kaiser  über  den  Sacliarrest  erlassene 
Vorschrift  noch  ein  glattes  Verbot  desselben  enthält.  Es  handelt 
sich  um  das  Privileg,  das  Otto  IV.  itn  Jahre  1209  seinem  Bruder 
Heinrich  zugunsten  der  Ilürger  der  Stadt  Stade  erteilte,  mit  der 
beliebst  der  Grafschaft  Stade  Heinrich  vom  Erzbischof  von  Bremen 
belehnt  worden  war.  Es  heißt  daselbst  im  § 17,  der  bezeichnender- 
weise in  das  vom  Erzbischof  Hilebold  1259  erneuerte  Stadtrecht3) 
nicht  aufgenommen  worden  ist: 

< 'tmcedimus  ad  haee  ipsi«,  ut  nulli  extraprooinciali  liceat 
in  eieitate  re«  alicuiu « hospitis  (hier  = Wirt)  occupare,  sed 
«i  forte  civis  vel  aliqui s incnla  terrae  extraproeineialem  aliguem 
habeat  super  alii/uo  impetere,  prius  coram  iudice  extra- 
prorinciali  per  iuris  ordinein  debet  obtinere,  ut 
licitum  sit  ei  re«  ipsiu « occupare*). 

Zu  unterstellen  ist  hier,  daß  der  Fremde  nicht  persönlich  in 
der  Stadt  anwesend  ist.  Bestand  doch  gerade  in  wölfischen  Terri- 
torien, entsprechend  dem  allgemeinen  Rechtszustande,  schon  früh 
die  Befugnis,  die  Person  des  gerichtsanwesenden  Auswärtigen 
zum  Zweck  der  Verhandlung  festzunehmen: 

(Juicumipie  extra  civitatem  manens  alicui  burgensium  teneatur 
in  debito,  si  riderit  eum  in  civitate,  assumet  secum  bodellum  et. 
eunt  detinebit.  Si  autem  bodellum  habere  non  possit,  cum  duobus 

•)  Vgl.  Planck  II  S.  38G. 

s)  Münster  (oben  S.  56  Anm.  5):  Lüneburg  Statuten  (vor  1400)  L, 
Kraut  S.  58.  59.  Nach  beiden  Stellen  darf  sich  der  (last,  dessen  Gut  besetzt 
ist,  sofort  verantworten;  er  muß  also  in  der  Stadt  »ein.  Vgl.  ferner  Frei- 
berg i.  S.  Stadtr.  (1296—1307)  XLI  § I.  Krmisch  S.  239;  Freiburg  i.  U. 
Handfeste  (1249)  73,  Gaupp  St.  lt.  II  S.  96. 

3)  Pufendorf  II  App.  V S.  159. 

4)  Gengier  ,St.  R.  S.  455.  § 17  wird  von  Maurer  Städteverf.  I S.  377 
grundlos  auf  die  Zeit  des  Marktverkehrs  bezogen.  Im  Sinne  des  § 17  äußert 
sich  später  einmal  der  Rat  von  Reval  an  den  von  Dortmund  (1358),  Hans. 
U.  B.  III  S.  165. 


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guü  conciinbus  eum  / toterit  t hiincre  et  ad  iudicium  iter- 
trahere 

Wie  schon  oben*)  erwähnt,  ward  auch  den  Gästen  gegen 

')  Braunschweig  Recht  des  Hagen  (vor  1200)  13,  Hänsclmann  I S.  2. 
Braunschweig  Kocht  des  Hagen  14,  ebenda  S.  2,  läßt  auch  die  Pfandnahuic 
von  Sachen  gewisser  Schuldner  zu:  quiiumquc  »ti/es  aut  tlcricus  mit  rusticus  in 
dvitate  a/ietii  tenetur  in  debito  et  solvere  noluerit  bene  lieebit  cum  in  tivitate  detinere 
ct  res  suas  oecupare  quousque  debitum  solvat  aut  per  sententiam  evadat;  docll  dürfte 
hier,  wie  sich  u.  K.  aus  § 17  des  Ottonischen  Stadtrechts,  ebenda  S.  5,  ergibt, 
die  Festnahme  von  Person  und  Gut  des  Schuldners  erst  dann  erlaubt  sein, 
wenn  der  eivis  im  Gericht  des  Schuldners  geklagt  , aber  kein  Kecht  erhalten 
hat.  — Übrigens  sind  die  angeführten  §§  13  und  14  des  Hagen  und  die  ihnen 
entsprechenden  §§  15 — 1 14  des  Ottonianum  geeignet,  die  von  FrensdorlT 
(Hans.  Gesell.  Hl.  6 S.  117  IT.)  aufgcstcllte  Ansicht  zu  stützen,  wonach  das 
Ottonianum  nicht  ein  gleichzeitig  mit  der  erhaltenen  Redaktion  des  Hagen- 
rechts  aufgezeichnetes  Gewohnheitsrecht  der  Altstadt  ist,  sondern  eine  später 
und  zwar  zwischen  1250  und  1279  entstandene  erweiterte  Redaktion  der 
iura  Indaginis.  In  § 13  des  llagcnrechts  und  15. 16  des  Ottonianum  wird  jedem 
extra  dvitatem  wohnhaften  Schuldner  Arrest  angedroht,  wenn  ihn  der  Bürger- 
Gläubiger  binnen  deine  wiebilde  erblickt.  Dem  gegenüber  haben  § 14  des 
Hagenrechts,  17  — 19  des  Ottonianum  nur  Sinn,  wenn  man  sio  auf 
Schuldner  bezieht,  die  nicht  extra  dvitatem  wohnhaft  sind.  Während  aber 
die  erwähnten  17 — 19  des  Ottonianum  sich  weit  ausführlicher  als  jener 
Paragraph  14  des  Hagenrechts  darüber  verhalten,  wie  man  Geistliche  und 
Dienstlcute  arrestieren  und  ob  man  sic  zunächst  vor  ihrem  Send  bezw.  ihrem 
Marschall  verklagen  soll,  erwähnt  das  Ottonianum  kein  Wort  von  den  im 
Hagenrecht  § 14  genannten  rustici.  l'nter  ihnen  können  nur  die  Bewohnerder  alten 
Wik  begriffen  sein,  eines  grundhörigen  Dorfes,  das  unter  Otto  IV.  im  Jahre 
1202  durch  Graben  und  Mauer  an  der  offenen  Ostseite  geschlossen  und  in 
den  gemeinsamen  Mauerring,  der  die  drei  Weichbilde  Altstadt,  Hagen  und 
Neustadt,  sowie  die  Burgfreiheit  (letztere  namentlich  Wohnplatz  der  milites, 
der  Dienstmannen)  umschloß,  einbezogen  wurde  (Hänsclmann  in  Chron.  d. 
deutsch.  Städte  Bd.  VI  S.  XVI— XX).  Mit  Rücksicht  hierauf  konnten  die 
Bewohner  der  alten  Wik  in  gewissem  Sinne  als  nicht  extra  dvitatem  wohnhaft 
betrachtet  werden.  Zur  Stadt  im  Rechtssinne  wurde  die  alte  Wik  im  Laufe 
des  13.  Jahrhunderts:  ob  1245  — Hänsclmann  I S.  10:  vgl.  auch  die  Urkunde 
I S.  9 aus  dem  Jahre  1240,  wo  ein  eigener  advocatus  der  alten  Wik  genannt 
wird  — , ist  streitig  (dafür:  Hänselniann  Chron.  S.  XIX:  Varges,  die  Ge- 
richtsverf.  der  Stadt  Braunschw.  bis  zum  Jahre  1374,  Marb.  1890  S.  25: 
dagegen:  Rietschel  S.  95  Anin.  6 und  dort  Genannte).  Jedenfalls  aber  muß 
zwischen  der  Niederschrift  des  Hagenrechts  und  der  des  Ottonianum  die 
Stadtwcrdung  der  Wik  liegen,  da  andernfalls  dort  nicht  von  rnstki  hätte  ge- 
sprochen, hier  ihre  Erwähnung  nicht  ohne  Grund  hätte  unterbleiben  können. 

»)  S.  21. 


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59 

einander')  die  Ausübung  des  Personal-  und  Sackarrests  ge- 
stattet. Zwar  meint  Osenbrüggen8)  auf  Grund  einer  Anzahl 
süddeutscher  Weistüiner*)  das  Gegenteil  als  die  Regel  hinstellen 
zu  sollen.  Indessen  würden  diese  hofrecht  liehen  Quellen  über  das 
städtische  Verfahren  keine  genügende  Auskunft  geben.  Deshalb 
beruft  sich  Ösenbrüggen  gleich  Planck4)  auf  die  Vorschrift 
der  Statuten  von  Goslar: 

En  gast  ne  mach  den  anderen  gast  nicht  besetten ; orlorede 
arer  dal  de  rat,  so  mochte  dat  irol  sin  h), 

sowie  auf  das  Stadtrechtsbuch  von  Freising: 

kam  gast  mag  den  anndern  gast  in  der  stat  cerpittenn  noch 
anvallenn . im  seg  dann  das  recht  da  hui  m cerzignn.  das  sol 
er  bered nn  unnd  sol  im  darnach  rieht nn  als  recht  ist6). 

Aber  in  Goslar,  das  121)0  die  Reichsvogtei  erworben  hatte, 
waren  überhaupt  viele  Punkte  des  gerichtlichen  Verfahrens  mit 
einer  vorausgehenden  Erlaubnis  des  Rats  verknüpft,  sodaß  man 
von  Goslar,  das  übrigens  den  Arrest  der  Giiste  unter  einander 
gar  nicht  unbedingt  untersagt,  nicht  ohne  weiteres  auf  andere 
Orte  schließen  darf.  Und  Freising  wiederum  hat  offenbar  nur 
zwei  Gäste  aus  derselben  Stadt  im  Auge.  Denn  daß  dem  Kläger 
dahaim,  d.  h.  in  seiner  Heimatstadt,  Recht  geweigert  sein  soll, 
ist  eine  Voraussetzung,  die  man  nur  auf  den  Fall  beziehen  kann, 
daß  der  Beklagte  ein  Mitbürger  des  Klägers  ist.  So  aufgefaßt, 
paßt  die  erwähnte  Voraussetzung  zu  den  zahlreichen  Vorschriften, 
die  Besetzung  und  Klage  von  Mitbürgern  gegen  einander  nur 
dann  im  Auslande  zulassen,  wenn  in  der  Heimatstadt  der  Kläger 
kein  Recht  hat  erlangen  können').  Und  schließlich  stehen  den 
Bestimmungen  von  Goslar  und  Freising  die  zahlreichen  Nachweise 


•)  Unter  Umständen  konnte  auch  gegen  Bürger  vorsorglich  (durch  Gäste) 
im  Wege  des  Arrests  eingeschritten  werden.  Darüber  vgl.  unten  Kap.  IV. 
>)  S.  4L 

3)  Grimm  L 38  § 36.  210.  219.  225:  V.  123  § 16.  127  § 13.  159  § 16- 
177  § 14. 

*)  II  S.  372. 

s)  (um  1300),  Goschen  66,  1. 

•)  (um  1328)  69,  Maurer  S.  320, 

7)  Vgl.  oben  S.  45. 


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gegenüber,  die  unbeschränkt  Arrest  und  Klage  der  (laste  gegen 
einander  gestatten '). 

Mit  Recht  bat  Planck*)  darauf  hingewiesen,  dal,!  die  all- 
gemeine Fassung  dieser  Nachweise  die  Vermutung  rechtfertige, 
dal!  man  „in  bürgerlichen  Schnldsachen  dem  Gast  gegen  den  Gast 
selbst  wegen  auswärts  eingegangener  Verbindlichkeiten  Recht 
sprach.“  Hiermit  steht  freilich  nicht  in  Einklang  seine  Äußerung 
anderwärts*),  nicht  überall  dürfe  der  Gast  den  Gast  vorsorglich 
angreifen,  „wenn  nicht  besondere  Gründe  dessen  Verpflichtung, 
gerade  hier  zu  antworten,  ergeben“.  Indessen  fehlt  es  nicht  an 
positiven  Helegen  dafür,  daß  in  der  Tat  mindestens  in  späterer 
Zeit  der  klagende  Gast  in  den  erwähnten  Beziehungen  dem  hei- 
mischen Bürger  völlig  gleichgestellt  wurde.  Es  kam  nicht  darauf 


■)  S.  die  Belege  bei  Simon  S.  80.  81.  Auf  Erlaubnis  des  Arrests  gegen 
die  Person  oder  das  Gut  des  anwesenden  Gastes  beziehen  sich  ferner: 
Froibnrg  i.  U.  Handfeste  (1249)  117.  128,  Gaupp  St.  R.  II  S.  102.  103: 
Prag  Statutarreebt  (1314—1418)  117,  Kollier  I S.  71;  Koblenz  Gerirhtsbach 
(1366—1424)  19  § 3 und  1,  Bär  S.  93.  94:  Kleve  SUdtrechUb.  (nach  1424) 
109  § 1,  ZRG.  10  S.  239.  — Arrest  gegen  das  Gut  des  abwesenden  Gastes 
gestatten:  Stade  erzbisch.  Priv.  (1259),  Pnfendorf  II  App.  V S.  159,  mit  der 
Einschränkung,  daß  stets  der  Vogt  hinzugezogen  werden  muß:  Magdeb. 
Fragen  II.  2 d.  3a,  Bebrend  S.  156;  Magdeb.  Schöffenspr.  aus  der  Dresdener 
Hachr.  Kap.  50,  Wasserschi.  RQu.  S.  188:  Brünn  Schöffenb.  (um  1350)  110, 
ltößler  II  S.  58:  sentenriatum  /seit , quod  situ t etiler  potest  reittu  in  omni  indieio,  in 
qteo  ipswu  personaliter  rrperuerit,  pro  debitis  nr re  Stil  re ; sie  etiam  potest  res  eins  oeeu- 
pare,  et  tsd  illttd  iudüiunt  debet  r ies  venire,  et  res  disbrigando,  eertoris  querintoniis 
respondere.  — Klage  des  Gastes  gegen  den  Gast  lassen  zu  die  allgemein  gehal- 
tenen Stellen:  Freiburg  i.  U.  Handfeste  (1249)  18,  Gaupp  St.  R.  II  S.  85: 
Hamburg  Stadtr.  (1270)  VII.  5 und  IX.  14,  (1292  M.  11,  Lappenberg  S.  40. 
55.  147:  Wien-Neustadt  Stadtr.  (13.  Jahrh.)  45,  Winter  S.  152:  Goslar 
Stadtr.  (um  1300),  Göschen  36,  13:  Magdeb.  Bresl.  syst.  Sch.  R.  II.  2 d.  35, 
Laband  S.  32:  Magdeb.  Fragen  I.  2 d.  13.  II.  2 d.  8.  9 a.  14  bei  Behrend 
S.  47.  159.  160.  164.  Simon  S.  79  bezeichnet  auf  Grund  der  (späten)  Lünc- 
burgischen  Niedergcrichtaordnung  (Pufendorf  III  App.  S.  366)  es  als  das 
Wesen  des  sog.  Gastgerichts,  wenn  eine  Stadt  Klageanstellung  von  Gast  gegen 
Gast  gestattet:  er  hat  aber  die  betreffenden  Stellen  mißverstanden,  welche 
unter  „Gastgericht“  wie  gewöhnlich, (s.  unten  Kap.  VI)  schnellen  Prozeß 
zu  Gunsten  Fremder  verstehen,  mag  sich  die  Klage  nun  gegen  Gäste  oder 
gegen  einheimische  Burger  richten. 

T)  I S.  85.  86.  Falsch  Meibom  S.  159  f. 

3)  II  S.  372:  vgl.  auch  I S.  86  Zeile  5 und  S.  82  Anrn.  19. 


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61 


an,  ob  der  schuldige  Hast  sich  wegen  außerhalb  kontrahierter 
Schuld  im  fremden  Gericht  dem  klagenden  Gast  stellen  wollte, 
sondern  er  war  verpflichtet,  dies  zu  tun.  Der  Kläger  konnte 
ihn  zu  diesem  Zwecke  in  Person  festhalten: 

dominus  meus  contulil  cunctis  ciritatibus  tale  ins,  quod  possit 
quilibet  naturalem  sibi  debitis  obligat  um  in  qualibet  ciritate 
sine  de/rimento  advocatorum  et  iudicum  rum  iustitia  obligare  '); 

in  welchem  geeicht  ein  man  seinen  schuldiger  rindet,  da 
mag  er  in  icol  au/halden  oder  sein  guet  und  mag  im  c:u- 
sprerhen  um  schulde  und  her  schol  im  antworten  mit  einem 
rechten  ,). 

Der  klagende  Gast  durfte,  war  der  schuldige  Gast  nicht  persönlich 
anwesend,  sein  Gut  im  auswärtigen  Gericht  arrestieren3).  Kurz, 
er  durfte  ihn,  wie  überhaupt  allgemein  ausgesprochen  wurde, 
um  außerhalb  kontrahierte  Schuld  an  drittem  Orte  gerichtlich 
belangen : 

welk  ghast  enen  anderen  ghast  schuldeghrt  in  drsser  stad 
vmme  gheldaftighe  schuld,  de  buten  drsser  stad  ghemaket  is: 
de  schult  mach  he  im/f  ghasten  tughen,  de  ghude  lüde  zyn, 
vnde  de  also  hoghe  in  sieden  cdder  in  landen  myd  rrce  beseten 
zyn,  alse  de  schult  is  *) ; 

beschuldegite  adir  beclayete  eyn  gast  den  andirn  cmb  gelt, 
daz  her  ym  sculdig  wem  und  czoge  sich  des  an  eynen  siczinden 
rat  in  eynir  andirn  stat,  das  is  demr  wissende  teere,  end  bete, 

■)  Anhang  i.  Werleschcn  I’riv.  für  Penzlin  (1263).  Mcckl.  U.B.  II  S.  227. 

*)  Brünn  Schöffensatzung  (14.  Jahrh.),  ltölllcr  II  S.  402:  s.  ferner 
Kleines  Kaiserrecht  (nach  1300)  I.  34,  Kndemanu  S.  33;  Magdeb.  Brcsl. 
syst.  Sch.lt.  IV.  2 d.  84,  Laband  S.  178.  Vgl.  auch  Reichssentenz  (1277) 
MG.  LI,.  II.  412. 

3)  S.  die  üben  S.  60  Anm.  1 abgedruckte  Stolle  aus  Brünn  Schöffenb 
(uni  1350)  110:  vgl.  auch  Brünn  Schöffenb.  (um  1350)  95,  RiiUlor  II  S.  50. 

*)  Hamburg  Stadtr.  (1292)  H.  21,  Lappenberg  S.  140.  Vgl.  dazu 
Hamb.  Stadtrecht  (1292)  G.  6,  ebenda  S.  126,  sowie  Lübeck  deutsches 
Stadtrecht  CXI  (1294)  nebst  den  in  der  dazu  gehörigen  Anm.  abgedr. 
Stellen  aus  dem  Omi.  Hamb.  175  und  aus  dem  lteval.  Cod. : geste  de  ere  sah 
hebben,  dat  sy  um  me  sehult  cdder  anders  war  um  me,  da!  bynnen  un  s er  s ladt  tdde  r 
dar  lub.  r,cht  is  gesehen  is,  mach  de  ine  up  den  anderen  nicht  Ingen,  suss  mach 
ein  up  den  anderen  utol  lugen,  COX  (1294)  und  CXC.II  (Gött.  nebst  Segoberger 
Cod.),  Hach  S.  302.  303.  357.  442. 


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62 


des  czu  vrogin  i/n  eg  me  reclitin,  ab  man  den  sclbin  sirzinden 
rat  nicht  torhoren  nulle  rar  allir  anticort,  und  do  wedir  spricht 
der  andir  gast  ...'). 

In  negativer  Hinsicht  wäre  noch  zu  bemerken,  daß  keine  Vorschrift 
existiert,  die  Arrest  oder  Klage  lediglich  zwischen  Gästen  wegen 
außerhalb  kontrahierter  Schuld  ausdrücklich  verbietet. 

Es  dürfte  im  Gegenteil  nicht  einmal  der  von  Simon2)  aus- 
gesprochene Satz  zutroffen,  wonach  wenigstens  die  Ausübung  des 
Repressalienarrests  auf  die  Heimatstadt  des  Gläubigers  beschrankt 
geblieben  sein  soll.  Abgesehen  davon,  daß  vom  Repressalienarrest 
meist  in  einer  Weise  die  Rede  ist,  die  keinen  Schluß  zu  Gunsten 
der  Simon’schen  Auffassung  zuläßt3),  wird  nicht  selten  ausdrück- 
lich in  einem  ihr  gegenteiligen  Sinne  entschieden.  Charakteristisch 
z.  II.  ist  es,  wie  die  Stadt  Frankfurt  a.  M.  in  der  von  ihr  im  Jahre 
1297  bewirkten  Rechtsaufzeichnnng  die  möglichen  Folgen  einer 
etwa  in  der  Stadt  vorgekonnnenen  Rechtsweigerung  beschreibt: 

Dicimus  eciam,  quod  si  aliquis  ceniret  ad  nostrain  ricita- 
tem  mocendo  actione m alicui  et  optineret  in  iudicio  noslro,  iptod 
sibi  iudiciuni  super  sua  actione  jieri  deberel:  si  non  iudicare- 
tur  ei,  e.rtunc  ubicumj ue  locoruni  cid et(ur)  illum  vel 
alium  de  suis  concicibus  unum,  posset  eum  conrenire  per 
iudicem  et  occupare,  pro  eo  iptod  iustiria  ipsi  est  denegata.*) — 
Angesichts  dieses  Rechtszustandes  des  lß.  und  14.  Jahrhunderts 
ist  Rosenthals , auf  dasLandshuterStadtrecht  gegründete  Ansicht 5), 


')  Magdeb.  Brest  syst.  Sch.  R.  I.  2fi,  I.aband  S.  11.  S.  ferner  Brünn 
Schüflenb.  (um  1350)  29,  Rößler  II  S.  16:  Hannover  Stadtr.  (um  1350?) 
lib.  III  (Mind.  R.),  Yatorl.  Arch.  S.  425;  Magdeb.  KragenBeil.il  zu  I.  1 d. 
23,  Bohrend  S.  213.  Vgl.  die  oben  S.  54  Anm.  1 behandelte  Stelle  ans 
Brünn  Schöflenbuch  (um  1350)  5,  die  im  Gegensatz  zu  Magdeb.  Bresl. 
syst.  Sch.  R.  I.  26  auch  im  „Gastgericht‘  unter  gewissen  Umstünden  auf  das 
forutn  contractus  zurückweist. 

*)  S.  81. 

*)  Vgl.  z.  B.  Priv.  Friedrichs  I.  (1173;  l,  abgedruckt  oben  S.  52. 

4)  (1297)  25.  Keutgen  Urk.  S.  189.  Vgl.  ferner  Brünn  Schüflensatzung 
(14.  Jahrb.),  Rößler  II  S.  402:  Fordert  der  Klilger  Recht  in  dem  geruht,  ila  der 
r.ntu’ur/er  in  besessen  ist,  und  wiert  im  da  reeht  versait,  so  halt  er  wol  einen  andern 
auf  aus  dem  selben  geriehte , wo  er  in  rindet . 

5)  Rnsenthal  S.  108.  Die  fragt  Stelle  des  Stadtbuchs  von  Landshut 
(14.  Jahrh.)  VII.  1,  ebenda  S.  188,  lautet  : Verbuittt  ein  burger  einen  attzman  in 


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63 

es  habe  nach  dem  Grundsätze  arfor  arquitur  fnmm  rei  der  in  der 
Heimatstadt  des  Gläubigers  anwesende  Fremde  nicht  gezwungen 
werden  können,  sich  anderwärts  als  vor  dem  Gericht  seines  Wohn- 
orts auf  eine  Klage  einzulassen,  abzulehnen.  Sie  dürfte  auf  eine 
Verkennung  des  Inhalts  des  Landshuter  Rechts  zurückzuführen 
sein ').  Grundsätzlich  mußte  vielmehr  der  anwesende  Gast  einer 
Ladung  folgen  und  sich  auch  — wenigstens  in  späterer  Zeit, 
nach  eingetretener  Verwirrung  der  Gerichtsstandsverhältnisse  — stets 
auf  die  Sache  selbst  einlassen.  Leistete  er  der  Ladung  nicht  Folge, 


der  stat  umb  sein  gelt  und  taub  ander  saeh  mit  dem  vran  boten,  toi/  dann  der  anzman 
dem  b arger  ein  reeht  tun,  so  soll  der  auzman  an  den  v ranboten  werben,  dai  er  im 
ttf  das  recht  gebiet , er  well  im  ein  reeht  tun  und  habt  im  von  im  für  bieten  an 
gas tc s stat.  ehumt  dann  der  bürge r uf  duz  reeht  nicht , dieweil  der  riehter  an  qevär 
sitzet  an  dem  gerieht  und  daz  es  der  gast  meldet  und  suchet p so  ist  dem  burger  bruch 
umb  alles,  daz  er  hinz  dem  gast  ze  sprechen  hat.  se  geleicher  weis  für  daz  der  auz- 
man dem  burger  des  nacktes  an  gast  es  stat  furbut  mit  dem  vronboten,  chum  ir  des 
morgens  nicht  uf  daz  recht  an  gevar,  dieweil  der  riehter  sitzet  an  dem  rechten,  so  ge- 
vellet  der  auzman  dem  burger  umb  alles , das  er  hinz  im  zesprechen  hat  und  gcvellet 
dem  riehter  umb  das  wandel.  Roscnthal  meint  hierzu,  die  Ladung  au  den  Gast 
wurde  riiur  als  eine  Aufforderung  Namens  des  Börgers  an  den  Gast  be- 
trachtet, die  dieser  nach  Gutdünken  annehmen  und  ablehneu  konnte“;  kündigte 
der  GavSt  dem  Pronboten  an.  er  wolle  hier  zu  liecht  stehen,  und  lud  dann 
seinerseits  den  Burger  vor  Gericht,  so  wurden  erst  durch  diese  eigentlich 
wirksame  Ladung  beide  Parteien  zum  Erscheinen  vor  dein  Landshuter  Ge- 
richt verpflichtet. 

')  Rosenthal  ubersieht  bei  seinen  Darlegungen  (vgl.  vorige  Anm.)  die  Be- 
deutung der  Worte  fürbieten  an  gas/es  stat,  ein  Ausdruck,  der  übrigens  im  Stadt- 
rechtsbuch von  Preising  (1328)  69  bei  Maurer  S.  314  gelegentlich  der  Dar- 
stellung des  Gastgerichts  wiederkehrt.  An  sich  wäre  nämlich  der  Ausmann  ver- 
pflichtet, der  Ladung  des  Bürgers  zu  folgen;  auf  diese  Ladung  fand  im  regel- 
mäßigen Gange  indessen  erst  binnen  einer  vier  zehntägigen  Frist  (Stadtb.  X.  6, 
ebenda  S.  191)  gerichtliche  Verhandlung  statt.  Der  Ausmann  besitzt  dem 
gegenüber  das  im  allgemeinen  nicht  den  Bürgern,  wohl  aber  den  Gästen, 
seien  sie  nun  Beklagte  oder  Kläger,  zustehende  Recht,  sofortige  Verhand- 
lung, ein  sog.  Gastgericht,  zu  verlangen.  Die  vorliegende  Stelle  nun  befaßt 
sich  mit  einem  solchen  Gastgericht  zu  Gunsten  des  beklagten  bezw.  klagenden 
Ausmannes.  Nicht  das  also  ist  in  ihrer  ersten  Hälfte  das  Entscheidende, 
daß  der  Ausmann  dem  Burger  Recht  tun  will,  sondern  daß  er  es  im  an 
gas/es  stat,  d.  h.  sofort  tun  will.  Dieser  Wille  aber  muß  dem  klagenden 
Bürger  gegenüber  verlautbart  werden;  das  geschieht  in  Form  einer  an  den 
Bürger  ergehenden  Ladung  zu  dem  alsbald  anzusetzenden  Ding. 


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64 

entzog  er  sich  vielleicht  gar  der  Verhandlung  durch  die  Flucht, 
so  war  Strafe  und  eventuell  ein  Kontuniazialverfahren  möglich: 

Horpes  citatus  »i  non  eenerit  in  iudicium,  eadiabii  LX 

■solidos;  si  profnym  est,  et  peremptorie  citabitur 

Freilich  bot  das  Kontumazialverfahren  wenig  Aussicht,  wenn  Ver- 
mögen des  schuldigen  Gastes  im  Bezirk  des  Klagegerichts  nicht 
vorhanden  war*).  Deshalb  wurde  der  Besetzung  der  Person  des 
anwesenden,  des  Gutes  des  abwesenden  Gastes  vor  der  einfachen 
Ladung  der  Vorzug  gegeben  und  dies  Verfahren  zur  Einleitung 
des  Prozesses  gegen  Gäste  als  das  Regelmäßige  angesehen  ’).  Gäste, 
die  nicht  in  der  Stadt  weilten,  waren  einer  Ladung  in  die  Stadt 
zu  folgen  nicht  verpflichtet  bezw.  genötigt4),  wofern  nicht  das  forum 
contractus  begründet  war5)  oder  ihr  Gut  in  der  Stadt  gefunden 
und  besetzt  wurde. 

Sehr  selten  geschah  es,  daß  zu  Gunsten  einzelner  Städte,  sei  es 
für  das  Reichsgebiet6),  sei  es  für  den  Bereich  eines  Territoriums 7), 
das  forum  arresti  aufgehoben  wurde.  Und  auch  die  zwischen  ein- 
zelnen Städten  geschlossenen  Verträge  haben  eine  solche  Beseiti- 
gung auffallend  selten  zum  Zweck,  wenden  sich  vielmehr  meistens 

')  Münster  Stadtr.  (1221)  48  bei  Keutgen  Urk.  S.  153:  vgl.  auch  47  und 
20  bis  28.  — Für  Klag«  von  (last  gegen  Gast  s.  Goslar  Stadtr.  (um  1300), 
Göschen  55,  13. 

2)  Daher  die  seltene  Krwähnung. 

3j  Vgl.  Wesel  Urteilsbuch  130,  Wolters  S.  07.  Den  so  gegen  den 
Gast  ausgeübten  Zwang,  sich  zu  einer  bestimmten  Verhandlung  zu  stellen, 
bezeichnen  die  (Quellen  verschiedentlich  mit  dinekfliektieh  malern  (Al|diab. 
Saininl.  v.  Magdeb.  Schöffensprüchen  Kapitel  148,  Wasserschieben  S.  50: 
Magdeb.  Fragen  Heil.  II  zu  I.  3 d.  17,  Hehrend  S.  223). 

4)  Salfeld  Stadtbuch  (nach  1300)  Xt 'VIII,  Walch  I S.  37:  Wert  dai 
der  rirhlrr  Aisehe  einen  lantman  vor  berichte  leere  he  da  nirht  der  hintman  welle  dem 
riehtere  darumme  kryn  ge/t.  — In  Görlitz  (1320),  Tzschoppe  S.  528,  werden 
die  auf  dem  Lande  wohnhaften  Hauern  der  Kitterschaft  nach  königlicher 
Kntscheidung  durch  Vermittlung  des  Vogts  in  die  Stadt  vor  Stadtrichter 
und  Schöffen  geladen.  S.  auch  Freiberg  Stadtr.  (1290—1307)  III.  39.  40, 
Frmisch  S.  08. 

5)  Vgl.  oben  S.  54.  55:  in  späterer  Zeit  unpraktisch. 

8)  Duisburg  Rechtsbest.  Rudolfs  I.  (1290)0,  Gcnglor  Ood.  S.  950. 

7)  Die  gräll.  Privilegien  für  Kleve  (1242)  und  Grieth  (1254),  Gengier 
t'od.  S.  495  bezw.  Teschenmacher  Frk.  XXXIII  S.  26.  Vgl.  oben  S.  40 
Anm.  2 — 4. 


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6.r> 

nur  gegen  eine  übertriebene  Anwendung  des  Repressalienarrests. 
So  enthalten  denn  viele  Verträge  lediglich  ein  Verbot  des  Re- 
pressalienarrests und  geben  damit  mittelbar  das  Fortbestehen  des 
forum  arresti  gegenüber  der  Person  des  Hauptschuldners  zu. 
In  andern  Verträgen  wird  sogar  der  gegen  Person  oder  Gut 
desselben  ausgebrachte  Arrest  ausdrücklich  gestattet').  Auch  da, 
wo  die  Städte  verabreden,  der  Gläubiger  solle  behufs  Beitreibung 
seiner  Forderung  das  Domizil  des  Schuldners  aufsuchen,  ist,  wie 
z.  T.  ausdrücklich  ausgesprochen  wird,  lediglich  an  eine  vorbeu- 
gende Maßregel  gegen  mißbräuchlichen  Repressalienarrest  gedacht  *). 
Nur  vereinzelt  wird  das  forum  arresti  unzweifelhaft  vertraglich  aus- 
geschlossen5), eine  Möglichkeit,  auf  die  übrigens  das  Stadtrecht  von 
Kleve4)  bei  seiner  Erörterung  des  Arrests  ausdrücklich  hindeutet. 

In  höherem  Grade  ward  dagegen  das  forum  arresti,  wie  schon 
oben  angedentet5),  durch  die  Nonnen  beschränkt,  welche  zu  Gunsten 
des  Gerichtsstandes  gewisser  Einwohnerklassen  eines  Territoriums 


')  Ohne  Weiteres  z.  B.  in  Hildesheim-Hannovcr  (1298),  Hann. 
Urk.  B.  ur.  70:  Lübe|ck-Hamburg-Wismar  nsw.  (1358),  J.nb  IT.  B.  nr.  310. 
Unter  ausdrücklichem  Hinweis  darauf,  dall  mißbräuchlicher  Arrest  gegen 
Dritte  ausgeschlossen  bleibe,  z.  B.  in  Hamburg- Wursten  (1238),  Hamb. 
U.  B.  S.  441:  Flantlr.  Priv.  für  die  Kauft  des  rörn.  Reichs  (1252),  J.nb. 
ü.  B.  X nr.  180:  N im  wogen- Köln  (1278),  Lacomblet  II  S.421;  Arnstadt- 
Erfurt  (1283),  Amst.  ü.  B.  S.  23. 

*)  Ausdrücklich  z.  B.  in  Boppard-Köln  (1252),  Gengier  Cod.  S.  25G; 
Flandr.  Priv.  für  die  Kauf),  des  röm.  Iteichs,  s.  oben  Anmerkung  1: 
Bremen-F.msgau  (1255),  F.limck  I S.  307:  I.  and  fr.  der  Gebiete  zw.  Rhein, 
Lahn  und  Main  (1265)  3 und  5,  Böhmer  l'.  B.  I S.  122;  Soest-Köln  (127G), 
Seibertz  I S.  460;  Xi  m wegen -Köln  (1278),  s.  oben  Anmerkung  1.  Nicht 
ausdrücklich  z.  B.  in  Oldeuzaal-Koesfeld  (1261),  Wilmans  nr.  G85. 

s)  Münstcr-Osnabrü  ck- Soest  - Dort  mun  d (1277)  8,  Osn.  U.  B.  III 
nr.  598:  si  aliquis  civis  de  altera  predietarnm  civilatum  in  alteram  negotiationis  seit 
alia  quacumque  de  causa  venerit , nec  ipse  nee  res  sue  debent  ibi  a quoquam  hominwn 
obligari  seit  c/iaai  arres/ari,  sed  siqnis  ibidem  contra  eum  illiquid  duxeril  proponendum, 
mittetur  in  dvitntem,  in  qua  facit  residentiam  ille  reus,  et  eonsules  civitatis  iltius 
facient  actori  de  ipso  eorum  concive  ßeri  eorum  civitatis  iusticüun  expeditam;  Hildes- 
heim-Hannover (1310),  Hann.  U.  B.  nr.  101;  Halberstadt-yuedlin- 
burg  (132G),  Höfer  dtsche.  Urk.  II.  nr.  106;  Landfr.  des  livlind.  Deutsch- 
ordens und  Rigas  mit  Littauen,  Polozk  n.  Witebsk  (1338)  II,  Hans. 
U.  B.  II  S.  277. 

4)  (Nach  1424)  109  § 1,  ZRG.  10  S.  239. 

5)  S.  24.  25. 

Rudorff,  Rechlsstelluag  der  Gäste  3 


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66 


bestanden.  Insbesondere  griffen  sie  Platz  zum  Vorteile  des  Adels, 
der  Dienstmannen,  meist  ganz  allgemein  gefaßt,  seltener  nur  auf 
solche  Angehörige  des  Standes  bezogen,  die  außerhalb  der  Stadt 
ihren  Aufenthalt  besaßen  und  nur  vorübergehend  in  derselben  er- 
schienen. Ob  nun  rein  negativ  das  Stadtgericht  für  Klagen  um 
Schuld  gegen  derartige  Personen  als  unzuständig  bezeichnet  ’)  oder 
positiv  das  Hof-,  Land-,  Dienstmannengericht  als  das  zur  Ent- 
scheidung solcher  Streitigkeiten  berufene  Gericht  genannt  wurde2), 
jedenfalls  war  der  Ritter,  auch  wenn  er  in  der  Stadt  verweilte,  in 
solchem  Falle  nicht  zu  zwingen,  auf  Ladung  des  Klagers  vor  dem 
Stadtgericht  zu  erscheinen.  Auch  ein  Zwang  durch  Besetzung  der 
Person  oder  des  Gutes  des  Schuldners  durfte,  sollten  jene  Vor- 
schriften praktische  Wirkung  äußern,  nicht  Statt  haben,  wie  häufig 
ausdrücklich  ausgesprochen  wurde 3).  Der  tatsächliche  Zustand 
freilich  mochte  mit  der  Theorie  nicht  selten  in  Widerspruch  treten. 
So  soll  nach  einem  Vorhaben  Karls  IV.  die  im  Weichbild  Lübau 
gesessene  Ritterschaft  fortan  ausschließlich  im  Hofgericht  zu  Bautzen 
und  nicht  mehr  vor  dem  Stadtrichter  in  Lübau  zu  Recht  stehen. 
Hiergegen  wendet  sich  die  Ritterschaft  mit  der  Begründung,  sie 

')  Pritzwalk  Stadtr.  (1236)  14,  Genglcr  St.  R.  S.  364:  Brieg  Kochts- 
bi-stät.  (1324)  18,  Korn  S.  102;  Freicnwaldc  Priv.  (1338),  Riedel  I.  XV1I1 
S.  111  nr.  22.  Vgl.  auch  Wien  Stadtr.  (I2!)G)  15,  Keutgen  l:rk.  S.  215. 

*)  Braunschweig  Otton.  Stadtr.  (13.  Jahrh.)  17,  Hänselinann  I S.  5; 
Bremen  Gerb.  Revers.  (1246)  3,  Kentgcn  l'rli.  S.  173;  Neu-Salzwedel 
Priv.  (1247),  Riedel  I.  XVI.  S.  3 nr.  5:  Kngonwaldo  Rechtabr.  (1312)  13, 
Gengier  St.lt.  S.  888;  Görlitz  Kntscheid.  des  Königs  von  Böhmen  (1329), 
Tzschoppc  S.  528;  Brünn  ScliölTenb.  tum  1350)  14,  Kollier  II  S.  10.  Vgl. 
auch  Diepholz  Priv.  (1318),  Gengier  Cod.  S.  759,  und  Braunschweig 
Huldebricf  (1371)  15  mit  Verweis  auf  1299,  Hänselinann  U.  B.  I S.  58.  S. 
auch  Kühns  I S.  207.  221. 

5j  Brannschweig  (13.  Jahrh.)  17,  oben  Anmerkung  2;  Zusicherung 
der  Fürsten  von  Werlo  (1276),  Mccklb.  I'.  B.  II  S.  553:  Diepholz  (1318), 
oben  Anmerkung  2:  Magdeb.  Bresl.  svst.  Sch.  K.  II.  2 d.  73,  Laband  S.  51 
(höhere  Dicnstleulc!),  und  Magdeburg  Ueehtsbezeiigung  (1369),  Korn  S.215: 
Pelzen  Keehtsbr.  (1371)8,  Gengier  St.lt.  S.  496.  Xarh  Braunschweig 
Stadtr.  (1401)  76,  Hänselinann  1 S.  107,  nehmen  ore  mt^hrdt  undt  ore  knerhte 
an  dem  Gerichtsstands-  und  Arrestprivileg  der  herzogl.  Pienstmannen  nicht 
teil.  Andels  stellt  es  mit  den  brotezzen  der  Vasallen  in  derGörlitzcr  Knt- 
schcidung  und  mit  den  hominis  nobilium  et  ministn  in/inm  in  Bremen,  oben 
Anmerkung  2.  Vgl.  auch  Hildesheim  Stadtr.  (um  1300)  92,  Unebner  l’.  B. 

I S.  288. 


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fi7 


fürchte  dann  von  der  Bürgerschaft  auch  wegen  unbedeutender 
Schuldforderungen  in  allzu  hohem  Maße  durch  Arrest  belästigt  zu 
zu  werden '). 

Gewisse  Einschränkungen  erlitt  der  erwähnte  Rechtszustand 
schon  dadurch,  daß  Personen  adeligen  Standes  gestattet  wrard,  sich 
freiwillig  vor  dem  Stadtgericht  auf  eine  gegen  sie  angestellte  Klage 
einzulassen s) ; immerhin  konnten  sie  n.  U.  selbst  in  einem  solchen 
Falle  verlangen,  den  ihnen  zukommenden  Eid  vor  ihrem  Sonder- 
gericht ableisten  zu  dürfen3).  Oder  er  wurde  dadurch  eingeengt, 
daß  nur,  wenn  beide  Parteien  privilegierten  Standes  waren,  das 
Stadtgericht  für  unzuständig  erklärt  wurde4).  Schließlich  aber 
ward,  von  dem  Falle  der  Rechtsweigerung  ganz  abgesehen s),  gerade 
bei  Klage  um  Schuld  einer  Anzahl  von  Städten  der  Vorzug,  daß 
vor  ihrem  Gericht  die  ritterlichen  Personen  nicht  allein  klagen6), 
sondern  auch  Recht  leiden  mußten 7).  Damit  war  dann  auch  die 


*)  Die  Ritterschaft  Lübaus  an  Karl  IV.  (1348),  Tzschoppe  S.  559. 

*)  Salzwedel  Rechtsbrief  (1273),  Pufcndorf  III  App.  S.  400. 

3)  Hrünn  Schüffonb.  (um  1350)  452,  Rüßler  II  S.  211;  vgl.  dar.u 
Ilrfinn  14,  oben  S.  66  Anm.  2. 

4)  Eger  I’riv.  (1279)  21,  Gaupp  St.  11.  I S.  192. 

5)  Vgl.  z.B.  Braunschweig  (13.  Jahrh.)  17  und  (1371)  15.  16,  oben  S.  66 
Anm.  2;  Zusicherung  der  Fürsten  von  Werte  (1276),  oben  S.  66  Anm.  3; 
Diepholz  (1318),  oben  S.  66  Anm.  2. 

*)  Kühns  I S.  222  scheint  das  Gegenteil  als  die  Regel  hinstcllcn  zu 
wollen.  Doch  trifft,  soviel  wir  sehen,  einzig  Salzwedel  Itechtsbr.  (1273), 
Pufendorf  III  App.  S.  400.  mit  dem  Satze:  si  ipsi  (sc,  mi/i/es  ct  famuli)  ab  a/iis 
ßurgtnsibus  non  coram  nobis  sed  coram  iudiee  civitatis  super  hv s tlc  quibus 
movent  querimoniam  volunt  iustitiam  co/tscqui,  eidem  (sc,  milites  et  famuli) 
coram  eodetn  iudiee  statim  respo/utcant  aecusati  eine  Itestimmung,  die  so  ausgelegt 
werden  könnte.  Im  Übrigen  müssen,  wie  das  auch  das  Natürliche  ist,  die  Pri- 
vilegierten als  Kläger  im  Stadtgericht  erscheinen:  llrauuschweig  (13.  Jahrh.) 
18,  oben  S.  66  Anm. 2;  Landfr.  für  das  Gebiet  zw.  Rhein,  Lahn  und  Main 
(1265)  8.  3,  Böhmer  lT.  H.  I S.  122:  Puderstadt  I’riv.  (1314),  Jäger  nr.  14: 
Prag  Schöffonurt.  für  Glatz,  Rüßler  I nr.  14.  In  Eger  l’riv.  (1279)  18, 
Gaupp  St.  R.  1 S.  192,  heißt  es  sogar  von  dem  coram  suo  iudiee  belangten 
auswärtigen  Kdeln  oder  Dicnstmann:  si  forte  ipsum  civem  reconvencrit,  nisi 
forte  (sc.  ch’isl)  volucrit,  coram  iudiee  civitatis  sibi  tcnctur  tantummodo  tespondere. 

7)  Bremen  Priv.  Gerb.  II.  (1233),  t'assel  Samml.  S.  124  (vgl.  dagegen 
oben  S.  66  Anm.  2);  Breslau  Priv.  (1263),  Korn  S.  30,  unter  Vorbehalt  der 
Berufung  an  die  herzogliche  curia,-  Schweidnitz  Priv.  (1281),  Tzschoppe 
S.  397  (vgl.  oben  S.  43  Anm.  1);  Eger  Priv.  (1279)  21,  Gaupp  St.  R.  I S.  192 

5* 


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Ausübung  des  Arrests  gegen  sie  förmlich  gestattet').  Auch  hier 
ist  meist  nur  von  den  milites,  den  nobiles  im  allgemeinen  die  Bede. 

Im  Gegensatz  zur  Ritterschaft2)  genossen  Landbewohner  nicht- 
ritterlichen  Standes,  welche  entweder  vom  Stadtherm  oder  von 
dessen  Großen  und  Ministerialen  abhängig  waren,  nur  selten  der 
Freiheit  von  Arrest  und  Ladung  im  Stadtgericht3).  Oft  bezog 
sich  ein  bestehendes  Privileg  auch  nicht  auf  die  unfreien  und 
hörigen  Bauern  im  allgemeinen,  sondern  nur  auf  die  Bewohner 
eines  bestimmten  Ortes4).  Ward  in  einem  solchen  Falle  im  Sonder- 
gericht des  beklagten  Bauern  Recht  geweigert,  so  trat  natürlich 
das  Stadtgericht  ein5),  das  im  allgemeinen  überhaupt  für  Ladung 

Magdeburg  Rochtsbczeugung  der  Schöffen  (1369),  Korn  S.  215  (niedere 
Dienstmannen !);  Kölner  Schied  (1258),  Klage  16  des  Krzb.  und  Kutsch, 
dazu,  Keutgen  Urk.  S.  159.  108:  Landfr.  (1265)  5 und  3,  oben  S.  67  Anm.  6; 
Kreiberg  i.  S.  Stadtr  (1296 — 1307)  XLI  § 1,  Krmisch  S.  239.  — (Iber  Kon- 
traktsgerichtsstand vgl.  oben  S.  53  Anm.  3. 

')  Vgl.  die  letzten  drei  Belege  der  vorigen  Anmerkung,  sowie:  Breslau 
Bccbtss.  für  Glogau  (1280)  4,  Korn  S.  49  (vgl.  dazu  über  „Landleute“  § 1 
und  dagegen  Tzsehoppc  Einl.  S.  210):  Brünn  Stadtr.  (nach  1300)  39,  Röülcr 
II  S.  361 ; Duderstadt  Priv.  (1314),  Jäger  nr.  14;  Lübau  Priv.  (1329), 
Tzschoppe  S.  528;  Königsfeld  Rechtabrief  (1360)  4,  Gengier  St.  R.  S.  225; 
Liegnitz  Rechtsmitt,  an  Karl  IV.  (1369),  Koni  S.  218;  Perleberg  Priv. 
(1403),  Riedel  1.  III  S.  409  nr.  118.  Vgl.  auch  Kgor  Priv.  (1279)  20,  Gaupp 
St.  R.  I S.  192:  Freiburg  i.  U.  llaudf.  (1249)  73,  wo  milites,  die  in  die  Stadt 
kommen,  nur  per  mssum  snilltli  arrestiert  werden  dürfen  (Gaupp  St.  R.  II 
S.  96);  Klm  Stadtr.  (1296)28,  Keutgen  Urk.  S.  193. 

*)  Dies  wird  auch  ausdrücklich  hervorgehoben : Freienwalde  Priv. 
(1338),  Riedel  I.  XVIII  S.  111  nr.  22;  Ncu-Salzwedcl  Priv.  (1247),  Riedel 
I.  XVI  S.  3 nr.  5;  Görlitz  Entscheid,  des  Königs  von  Böhmen  (1329), 
Tzschoppc  S.  528;  Uelzen  Rechtsbrief  (1371)8,  Gengier  St.  R.  S.  496. 

s)  Bremen  Gerli.  II.  Revers.  (1246)  3,  Keutgen  Urk.  S.  173:  Marien- 
burg Handfeste  (1276)  9 zum  Teil  (vgl.  6),  Gengier  St.  R.  S.  277:  Zusiche- 
rung der  Fürsten  von  Wcrle  (1276',  Meckl.  U.  B II  S.  553;  Erklärung  der 
Grafen  v.  Schwerin  (1279),  Meckl.  li.  B.  II  S.  610:  Diepholz  Priv.  (1318), 
Gengier  Cod.  S.  759:  Paderborn  Priv.  Best.  (1327),  Philippi  S.  99:  Danzig 
Handf.  (1378)  3,  Gengier  Cod.  S.  712. 

4)  Goslar  Statuten  (1290),  Gosl.  U.  B.  II  S.  417:  Duderstadt  Priv. 
für  Obcrnfeld  (1320),  Jäger  nr.  18:  München  Stadtr.  Buch  (1347)  185, 
Auer  S.  71. 

5)  Bremen,  Werle,  Schwerin,  Diepholz  (s.  Anmerkung  3). 


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C>0 


und  Arrest  hei  Klagen  um  Schuld  gegen  Bauern  als  zuständig  be- 
trachtet wurde1). 


2.  Klagen  um  Gut. 

a)  Bei  Klagen  auf  bewegliches  Gut  soll  es  bezüglich  des 
Gerichtsstandes  einen  Unterschied  machen,  ob  mit  Anetang  oder 
oder  ob  schlicht  geklagt  wird. 

Im  erstgenannten  Verfahren  wird  „der  Besitz  des  Beklagten 
vor*)  Anstellung  der  Klage  durch  das  Ergreifen  der  Sache  von 
Seiten  des  Klägers  fcstgestellt“  und  dies  Ergreifen  alsbald  vor 
Gericht  in  rechts  förmlicher  Weise  wiederholt;  alsdann  ist  zur  Ver- 
handlung und  Entscheidung  eben  das  Gericht  zuständig,  in  dessen 
Bezirk  die  (außergerichtliche)  Ergreifung  stattfand’).  Dem  ist 
zuzustimmen.  Insbesondere  war  auch  ohne  eine  weitere  Voraus- 
setzung die  Ausübung  des  Anefangs  von  Gast  gegen  Gast  gestattet4). 

Für  schlichte  Klage  um  Gut  soll  dagegen  nur  „das  persön- 

’)  Vgl.  die  oben  8.  68  Anm.  2 angeführten  Stellen,  sowie  ferner  bezüg- 
lich der  Zulässigkeit  des  Arrests:  Mühlhausen  Stadtrccbt  (1230  bis 
1250),  Herquet  S.  621:  Altenburg  Stadtr.  (1256)  28,  Gaupp  St.  R.  I S.  212; 
Breslau  Kcchtss.  für  Glogau  (1280)  4,  Korn  S.  49:  Frankenberg  Itechts- 
brief  (1294),  Kuchenbecker  Cod.  V S.  183;  Wismar  Ratswillk.  (1306), 
Bunneister  R.  A.  8.  11;  Iluderstadt  Priv.  Best.  (1314),  Jägor  nr.  14; 
Goldberg  Priv.  (1325)  5,  Tzschoppe  S.  511;  Heiligenstadt  Willkür 
(1335)  31.  159,  Wolf  l'rk.  S.  10.  28:  Göttingen  Statut  (1354?),  Pufendorf 
III  App.  8.  199;  Königsfeld  Rechtsbr.  (1360)  4,  Gengier  St.  R.  S.  225: 
I.iegnitz  Uechtsmitt.  an  Karl  IV.  (1369),  Korn  S.  218:  Perlcberg  Priv. 
(1403),  Riedel  I.  III  S.  409  nr.  118:  Magdeb.  Bresl.  syst.  Sch.  R.  II.  2 d.  73, 
Laband  S.  51.  Bezüglich  der  Zulässigkeit  der  Klage  überhaupt: 
Schweidnitz  Priv.  (1281),  Tzschoppe  S.  397;  Brünn  SchöfTenb.  (um  1350) 
108,  Rößler  II  S.  57;  Magdeburg  Rechtsmitt,  an  Karl  IV.  (1369),  Korn 
S.  215;  Landfr.  der  Gebiete  zw.  Rhein,  Lahn  u.  Main  (1265)  3 mit  5, 
Böhmer  U.  B.  I S.  122. 

*)  Dies  das  Regelmäßige;  über  Ausnahmen  in  späterer  Zeit  siche 
Planck  I S.  836  ff. 

s)  Planck  I S.  836.  828,  auch  S.  82,  unter  Anführung  von  Magdeb. 
Rechtsbr.  für  Herzog  von  Schlesien  (1201—1238)  8,  Laband  RQu.  S.  5,  und 
Glogau  Rechtsaufz.  (1302)  2,  Tzschoppe  S.  444.  In  demselben  Sinne  Stobbc 
Gerichtsst.  S.  445. 

*)  Magdeb.  Fr.  I.  13  d.  1,  Behrend  S.  129.  Vgl.  auch  speziell  bei 
Anefang  wegen  gestohlener  Sachen:  Mühlhausen  Stadtr.  (1230—1250), 
Herquet  S.  619:  Dortmund  Stadtb.  (1350 — 1400)  63  mit  62,  Frensdorff 
S.  83.  82. 


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70 


liehe  Gericht  des  Verklagten“  zuständig  gewesen  sein1)-  Freilich 
existierte,  darin  ist  Simon5)  zuzustimmen,  keine  Bege],  die  die 
Zuständigkeit  für  die  schlichte  Klage  lediglich  von  der  Anwesen- 
heit des  Streitgegenstandes  in  dem  betreffenden  Gerichtsbezirke 
abhängig  gemacht  hätte 3).  Aber  die  schlichte  Klage  ist  ja  über- 
haupt von  der  körperlichen  Anwesenheit  der  Sache  in  der  Gerichts- 
verhandlung unabhängig.  Und  es  wäre  nicht  recht  verständlich, 
weshalb  das  Stadtrecht,  das  Klagen  der  Gaste  unter  einander  um 
ausserhalb  kontrahierte  Schuld  zuließ,  gerade  bei  Klagen  um  be- 
wegliche Habe  einen  engeren  Standpunkt  eingenommen  haben  sollte. 
Um  so  weniger  verständlich,  als  sich  die  Klage  um  Schuld  in  eine 
schlichte  Klage  um  Gut  verwandeln  konnte4).  — Daß  in  der  Tat 
auch  bei  der  schlichten  Klage  um  Gut  in  späterer  Zeit  ein  ähn- 
licher Grundsatz  herrschte  wie  bei  den  Klagen  um  Schuld,  der 
nämlich,  den  Schuldner  nicht  nur  in  seinem  Domizil,  sondern  da 
zu  belangen,  wo  man  seiner  habhaft  werden  konnte,  ist  ver- 
schiedentlich bezeugt.  So  bestimmt  einmal  das  Stadtrecht  von 
Celle  (1301)  §§  14  und  15: 

Sur  lieh  man  enen  gast  anspricht  umme  sollt , Jene  mot 
he  wol  uphalden,  rennte  he  (lat  richte  hebben  mnghe.  Umme 
nicht,  bekant  gut  scal  de  rrone  den  man  halden,  wante  deine 
rlegere  recht  geschehe 

Hier  ist  eine  schlichte  Klage  auf  Gut  gemeint,  die  jemand 
(Bürger  oder  Gast)  gegen  einen  Gast  anstellt,  welcher  außerge- 
richtlich, wie  aus  dem  Zusammenhang  mit  § 14  folgt,  seine  Ver- 
pflichtung zur  Herausgabe  einer  Sache  oder  gar  deren  Besitz  ab- 
geleugnet hat.  Die  Sache  selbst  ist  überhaupt  nicht  zur  Stelle. 
Sonst  würde  der  Gläubiger  gemäß  § 30  a.  a.  0.  das  Anefangsver- 
fahren  wählen  und  nicht  den  Mann,  sondern  die  Sache  besitten  unde 


')  Laband  venu.  Kl.  S.  103,  ib-r  sich  auf  Stnbbo  (icrichtsst.  S.  445  ff. 
bozieht,  wo  indessen  lediglich  von  Ancfang  gehandelt  wird.  S.  auch  Simon 
S.  56  nnd  57. 

ä)  S.  16  nnd  17,  sowie  S.  56  und  57. 

3)  Vgl.  oben  S.  311  Antn.  3:  de  rebus  [in  Cc/onin]  habitU . 

4)  Vgl.  Planck  I S.  494.  495  und  836.  837. 

6)  (lengler  Cod.  S.  480:  das  Stadtrecht  stimmt  im  wesentlichen  mit 
dem  It  rau  lisch  we  iger  Ottonianum  (13.  Jahrb.)  überein,  doch  ist  gerade 
§ 15  ein  dem  letzteren  unbekannter  Zusatz. 


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71 


dar  up  klagen*);  denn  auf  diese  Weise  wäre  er  einmal  vor  der 
Entziehung  eines  Vollstreckungsobjekts  geschützt,  zweitens  aber 
wäre  auch  der  Nachweis  der  Passivlegitimation  des  Beklagten, 
nämlich  der  Nachweis  des  Besitzes  der  Sache,  sichergestellt2). 

Zweitens  aber  ist  schlichte  Klage  um  Gut  in  einem  dritten 
Gericht  voraussetzungslos  dem  Gast  gegen  den  Gast  erlaubt. 
Magd.  Fr.  II.  5 d.  1 bestimmt,  daß  man  wegefertigen  fern  wohnenden 
Gästen  und  ebenso  wegefertigen  Bürgern  soll 

uvime  schalt  und  umb  varnde  habe  ytagia  richten3). 

Anefang  stellt  hier  nicht  in  Frage;  denn  bei  Anefang  galt 
überhaupt  die  uneingeschränkte  Itegel:  deprehensm  in  eodem  loco 
respondebit *),  und  mindestens  würde  der  Ausdruck  umb  carnde  habe 
auch  die  schlichte  Klage  einschließen.  Über  die  Passivbeteiligten 
verhält  sich  die  angeführte  Stelle  nicht.  Sie  setzt  lediglich  Er- 
fordernisse für  die  Kläger  fest,  gestattet  ihnen  aber  bei  deren 
Vorhandensein  wie  die  Klage  um  Schuld r>),  so  auch  die  Klage  auf 
Gut  gegen  jedermann,  er  sei  nun  Bürger  oder  aber  Gast. 

Es  mag  außerdem  darauf  hingewiesen  werden,  daß,  von  den 
möglichen  strafrechtlichen  Folgen  abgesehen6),  die  Anefangsklage 
für  den  Gast  mit  gewissen  Erschwerungen  verknüpft  sein  konnte, 
die,  hätte  ihm  in  einem  auswärtigen  Gericht  die  schlichte  Klage 

')  Glosse  zum  SLdlt.  III.  23  § 3.  In  dieser  Stelle  kommt  die  spätere 
Entwicklung  des  Anefangs  zum  Ausdruck,  die  seinen  ursprünglich  strafrecht- 
lichen Charakter  in  den  Hintergrund  treten  und  ihn  als  arrestatorische  Maß- 
regel erscheinen  läßt  (Planck  I S.  835—839,  II  S.  370);  dazu  stimmt  Celle 
Stadtr.  (1301)  15  und  30,  zusammengebaltcn  mit  Braunschweig  Otto- 
nianum  2G. 

■J)  Cello  a.  a.  0.  30  und  Braunschweig  Ottonianum  2C:  Letzteres 
schreibt  überhaupt,  ersteres  sobald  die  Anefangsklage  auf  Diebstahl  oder 
Kaub  gestützt  wird,  öffentliche  Verwahrung  vor.  Im  Übrigen  läßt  Celle  30 
freilich  die  betreffende  Sache  in  der  Hand  des  Schuldners,  eine  Itegel,  die 
indessen,  sobald  letzterer  ein  Gast  war,  gemäß  dem  arrestatorischen  Charakter 
des  Anefangs  nicht  zur  Anwendung  gelangt  sein  dürfte  (s.  unten  Kap.  IV). 

3)  Behrend  S.  172. 

4)  Magdeb.  Rcchtsbr.,  oben  S.  69  Anm.  3:  in  cod/m  kco  = auf  der 
Stelle  (Planck  I S.  828  Anm.  10). 

5)  Klage  von  Gast  gegen  Gast  um  außerhalb  kontrahierte  Schuld  im 
Gastgericht:  Magdeb.  Bresl.  syst.  Sch.  K.  I.  26,  Laband  S.  11,  und  über- 
haupt unten  Kapitel  VI. 

*)  Laband  verm.  Kl.  S.  94. 


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7-2 

gegen  einen  anderen  Gast  offen  gestanden,  ihn  des  Vorzugs  einer 
Verhandlung  häufig  hatten  berauben  müssen.  Die  Anefangsklage 
war  nämlich  nicht  selten  von  besonderen  Sicherstellungen  abhängig 
gemacht,  wenn  ein  Gast  sie  erheben  wollte1). 

Die  Klage  um  Gut  mußte  übrigens,  auch  wenn  sie  ohne 
Anefang  angestellt  war,  notgedrungen  in  ein  für  beide  Parteien 
fremdes  Gericht  gespielt  werden,  wenn  diese  sich,  wie  z.  B.  das 
Magdeburgische  Recht  im  Gegensatz  zum  Goslarischen  und  Ham- 
burgischen  vorschrieb,  in  das  Gericht  des  < leweren  begeben  mußten  *). 

b)  Für  Klagen  um  unbewegliches  Gut,  um  Erbe  be- 
stand im  Gegensatz  zu  andern  Klagen  ein  ausschließlicher  Ge- 
richtsstand, das  forum  rei  sitae’).  Auch  Evokationsprivilegien 
schützten  in  solchem  Falle  nicht  gegen  eine  rechtswirksame  Ladung 
in  ein  auswärtiges  Gericht4).  Umgekehrt  durfte  der  Eigentümer 
in  einem  andern  Gericht  solange  nicht  um  das  Erbe  angesprochen 
werden,  als  nicht  im  forum  rei  sitae  Recht  geweigert  worden  war5). 
Eine  Ausnahme  bedeutet  der  Satz  des  Hamburgischen  Stadt- 
rechts : 

. . . Unde  um  nie  erve,  dat  buten  desseme  tcicbelde  be 
legen  ie,  schal  men  to  rechte  kamen  an  dat  richte,  dar  dat 

*)  Dafür,  dat  he  syner  klughe  vol^he:  Dortmund  Stadtb.  (1350 — 1400)  G3, 
Fronsdorff  S.  83:  dafür,  daß  er  die  mit  Anefang  geforderte  Sache  nicht  in 
rechter  Fehde  (vgl.  Labaml  vorm.  Kl.  S.  77)  verloren  und  deshalb  zur  An- 
stellung der  Klage  ein  Itecht  habe:  Braunschwoig  Krweit.  Stadtges. 
Samml.  (1377 — 1380)  1)6,  Hänselmann  I S.  G9.  Der  Gast  soll  auch,  bevor  er 
den  Anefang  vollzieht,  solche  Zeugen  stellen,  die  die  vermutliche  Berechti- 
gung des  Anefangs  versichern  (Braunschwreig  a.  a.  0.). 

a)  Hierüber  finden  sich  bei  Simon  (S. 58— tili)  noch  nähere  Ausführungen. 
J)  Planck  I S.  47  ff.,  Simon  S.  21  ff.  — Auch  wer  sonst  privilegirten 
Gerichtsstandes  war,  konnte  sich  dem  Gericht  der  belegencn  Sache  nicht 
entziehen  (Brünn  Scböffenbuch  — um  1350  — 32,  bei  Rößler  II  S.  17). 
Vgl.  oben  S.  4. 

4)  Simon  S.  21.  22  und  ferner  Straßburg  Priv.  Lothars  (1129), 
Keutgen  l'rk.  S.  8,  und  Oldenburg- Bremen  (1243),  Khmck  I S.  258.  Nur 
Frankfurt  a/M.  Stadtr.  (1297)  2,  Keutgen  l'rk.  S.  188,  verlangt  zunächst 
Klage  in  der  Stadt  uml  verweist,  nachdem  dies  geschehen,  den  beklagten 
Bürger  vor  das  Gericht  der  belogenen  Sache.  Wenn  Karl  IV.  in  einer 
I’rivilegsbestätigung  für  Köln  (1355),  Lacomblet  III  S.  45G,  es  verbietet, 
die  Bürger  prapter  possessionet  aus  der  Stadt  zu  evocieren,  so  sind  dabei 
jedenfalls  Kölner  Grundstücke  gemeint. 

s)  Kassel  Rechtsbest.  (1239)  G,  Gengier  Kod.  S.  4G8. 


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73 


gud  belegen  is ; it  ne  u-ere  also,  dal  it  beide  uttee  boryhere 
teeren,  den  dat  gud  Io  horde:  de  schoten  beide  umme 
dal  gud  hyr  to  rechte  kamen''). 

Diese  letzterwähnte  Vorschrift  hatte  ihre  guten  Gründe. 
Einmal  besaß  das  Gericht  der  Heimatstadt  die  Möglichkeit,  seine 
beiden  Gerichtseingesessenen  zur  Erfüllung  eines  Urteils  über 
auswärtiges  Erbe  indirekt  zu  zwingen,  ohne  in  die  Rechte  eines 
andern  Gerichts  einzugreifen.  Zweitens  brauchten  beide  Bürger 
nicht  den  immerhin  bedenklichen  Weg  in  ein  auswärtiges  Gericht 
anzutreten,  wo  sie  dem  Arrest  wegen  Klage  um  Schuld  ausgesetzt 
waren.  Zwar  heißt  es,  daß  im  Gericht  der  belegenen  Sache  nur 
auf  eine  Klage  wegen  dieser  Sache  geantwortet  zu  werden  brauche2). 
Aber  dieser  Satz  ist  lediglich  so  zu  verstehen,  daß  der  Eigentümer 
bei  andern  Klagen  einer  einfachen  Ladung  in  das  forum  rei  sitae 
nicht  zu  folgen  braucht.  Aber  einmal  kann  er  indirekt  durch 
Besetzung  seines  Grundbesitzes3)  zu  einem  Erscheinen  gezwungen 
und  zweitens,  wenn  er  um  einer  Klage  auf  Erbe  willen  erschienen 
ist,  nach  allgemeinen  Grundsätzen  wegen  anderer  Klagen  in  Person 
besetzt  oder  vor  Gericht  geladen  werden4). 

Nicht  zu  verwechseln  mit  diesen  bürgerlichen  Klagen  aui 
Erbe  sind  Klagen,  welche  aus  einer  gegen  das  Grundstück  ge- 
richteten strafbaren  Handlung  entspringen,  ohne  daß  durch  diese 
— vom  Täter  gewöhnlich  abgeleugnete  — Handlung  ein  Recht 
an  dein  Grundstück  in  Anspruch  genommen  werden  sollte5).  Für 
solche  Fälle  gelten  die  Regeln  vom  Gerichtsstände  bei  strafbaren 
Handlungen.  Insbesondere  greifen  das  forum  delicti  commissi  und 
das  forum  deprehensionis  ein.  Die  Bestimmung  des  Hamburgischen 
Stadtrechts: 


*)  (1270)  IX.  7,  Lappenberg  I S.  51;  vgl.  Kleve  (unten  S.  74  Amn.  5). 

*)  Simon  S.  33.  34.  l’ianek  I S.  79.  80. 

3)  Vgl.  Planck  II  S.  384. 

*)  Z.  B.  schreibt  der  Landfriede  der  Gebiet»?  zwischen  Khein,  Lahn 
und  Main  (1285),  Böhmer  U.  B.  I S.  122,  in  § 3 vor,  man  solle  stets  das 
Domizil  des  Beklagten  angehen : in  § 4 heißt  es,  daß  bezüglich  (unbeweg- 
licher) Sachen  jeder  Hecht  geben  und  nehmen  müsse  im  forum  rei  sitae, 
und  in  § 5,  daß  bei  Klagen  um  Schuld  jeder  da  beklagt  werden  dürfe,  wo 
man  ihn  antrefle. 

s)  Beispiele  für  solche  Verletzungen  bei  Planck  I S.  821. 


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Mer  deit  en  gast  men  unsen  borghere  iceddersat  an  sgnem 
gude,  dat  buten  dessem  wicbelde  beleghen  is,  unde  wert  he 
bywnen  desseme  wicbelde  um  me  de  sähe  beclaget,  he  schal  eine 
darumme  hgr  rechtes  pleghen  ') 

stellt  also  keine  Ausnahme  von  den  Regeln  über  das  forum  rei 
sitae  dar*),  sondern  gestattet  die  gewöhnliche  Deliktsklage  im 
forum  deprehensionis.  Umgekehrt  bezieht  sich  der  Satz  des  Stadt- 
rechts von  Brtlnn: 

Wier  verleiden  auch  den  selben  purgern  c:u  Brunne,  da: 
man  sie  tan  iers  ertces  wegen  um  chainerlai  suche  in  da: 
lantgericht  aus  der  stat  ran  den,  die  de:  lantgcrichtes  ampt/eut 
sin/,  schal  laden ; doch  nein  wier  czicu  such  ans:  ist  da:,  da: 
sieh  ein  purger  mit  unrecht  undcrwindet  eins  andern  numnes 
erbe  oder  da:  er  czuprichet  vreeellich  gemerckt,  die  czwischen 
erb  gemachet  sin,  umb  die  czwai  suche  mag  man  sie  wol  in 
da z lantgericht  laden3) 

auf  das  forum  delicti  commissi.  Bürger,  die  auf  Grund  und  Boden 
außerhalb  der  Stadt  sitzen,  sollen  — man  sehe  namentlich  Brünn 
Stadtrecht  (1243)  24 4)  und  (131!))  171 5)  — gewissermaßen  auf 
Stadtboden  sitzen  und  nur  vor  dem  Stadtrichter  belangt  werden 
dürfen.  Begehen  sie  aber  unerlaubte  Handlungen  gegen  ebenfalls 
im  Landgerichtsbezirk  gelegene  Grundstücke  ihrer  Mitbürger6), 
so  können  sie  dieserhalb  ins  Landgericht  geladen  werden,  während 
als  forum  rei  sitae  das  Stadtgericht  anzusehen  ist. 


3.  Klagen  um  Ungericht  und  Frevel. 

а)  In  höherem  Grade  noch  als  bei  den  Klagen  um  Schuld 
das  forum  eontractus  ist  bei  den  Klagen  um  Ungericht  und 
Frevel  das  forum  delicti  commissi  ein  von  Natur  gegebenes. 

')  Oben  S.  73  Anm.  1. 

*)  So  unrichtig  Simon  S.  84. 

3)  (1292)  157,  Kollier  II  S.  378. 

«)  Rößler  II  S.  351. 

s)  Rößler  II  S.  385.  S.  auch  die  Citato  fiir  andere  deutsche  Städte  bei 
Simon  S.  80,  sowie  Kleve  Stadt r.  (nach  1424)  95  § 1.  ZltG.  10  S.  232. 

б)  Es  liegt  kein  Grund  vor,  mit  Simon  S.  29  und  30  anzunchinen,  daß 
hier  ausschließlich  Ausschreitungen  von  Bürgern  gegen  Grundstücke  von 
Landbewohnern  gemeint  seien. 


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75 


Straftaten  drängen  im  Gegensatz  zu  Schuldverhültnisscn  stets 
zu  rascher  Erledigung,  und  zwar  da,  wo  sie  begangen  sind1). 

Dem  Landrecht,  nämlich  SLdR.  III.  25  § 2 und  3,  ist  das 
erwähnte  Forum  wohl  bekannt.  Unzweifelhaft  kann  der  Verletzte 
bei  Ungericht  und  gewissen  Freveln2)  nicht  nur  im  Falle  der  Er- 
greifung des  Tfiters,  sondern  überhaupt  „auf  frischer  Tat  allhier 
die  Klage  erheben  mit  der  Wirkung  der  Verfestung  beim  Ausbleiben 
des  Täters*)“.  Dagegen  leugnet  Planck4),  daß  das  sächsische 
Landrecht  bei  übernächtiger  Klage  eine  Evokation  des  abwesenden 
Täters  vor  das  Gericht  der  begangenen  Tat  gekannt  habe;  der 
Verletzte  habe  vielmehr  dem  Täter  in  solchem  Falle  vor  dessen 
ordentliches  Gericht  folgen  müssen,  es  sei  denn,  daß  er  ihn  später 
im  Gericht  der  Tat  zufällig  angetroffen  habe.  Aber  wenn  auch 
zuzugeben  ist,  daß  SLdR.  I (!7  ij  l und  III.  13  einmal  zu  allge- 
mein gefaßt  sind,  als  daß  sie  diese  verneinende  Ansicht  wider- 
legen könnten,  und  daß  zweitens  in  ihnen  überhaupt  nur  die 
Frage  im  Vordergrund  steht,  ob  wegen  Ungericht  auch  bei  nicht 
handhafter  Tat  verfestet  werden  dürfe,  so  spricht  doch  gegen 
Planck  ein  Doppeltes.  Einmal  dasselbe,  was  oben*)  über  SLdR. 
III.  25  §§  2 und  3 bezüglich  des  forum  contractus  gesagt  worden 
ist.  Zweitens  aber,  daß  bei  Klagen  um  Ungericht  u.  s.  w.  die 
Möglichkeit  bestand,  durch  Antrag  auf  Verfestung  innerhalb  über- 
geordneter Gerichte  „die  räumliche  Wirkung  der  Verfestung  zu 
erweitern“ 6),  sodaß  im  Gegensatz  zu  den  Klagen  um  Schuld,  denen 
eine  Hilfsvollstreckung  in  einem  andern  Bezirk  als  dem  des 
Spruchgerichts  unbekannt  war,  ein  wirksames  Mittel  existierte, 
den  Beklagten  zum  Erscheinen  im  forum  delicti  commissi  zu 
zwingen. 

Auch  dem  Stadtrecht  ist  das  forum  delicti  commissi  und  die 


')  Vgl.  I.öning  Rein.  Kid  S.  34. 

■')  (tanz  allgemein  war  bei  geringeren  Vergeben  Verfestung  möglich 
im  Inbischen  Recht  (Frcnsdorff  in:  StraU.  Verf.  Huch  S.  XXXII). 

3)  l’lanck  I S.  74,  unter  Berufung  auf  SLdR.  I.  70  § 3,  I.  G8  § 2 und 
HI.  9 §5. 

4)  I S.  74.  Anders  Homeyer  Heim.  S.  58  und  97,  sowie  Simon  S.  9fi 
(vgl.  auch  S.  45.  4fi). 

s)  S.  49 — 51:  auf  S.  49  ist  SLdR.  III.  25  § 2 und  3 abgedruckt. 

*)  Planck  II  S.  303  und  304,  auch  S.  298. 


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7« 


Evokation  in  dieses  Gericht  wohl  bekannt').  Neben  dem  fornm 
contractus  wird  es  in  § li  des  oben  *)  genannten  kaiserlichen  Privi- 
legs von  1173  erwähnt: 

Si  quis  insccutun  fucrit  mercatorem  de  maiori  loro  ad  mino- 
rem,  imponens  ei  aliquod  malum,  ui  querimoniam  prosequi 
eoluerit , reeertatur  cum  mcrcatore  ad  locum  in  qua  malum 
sibi  fatetur  esse  U lut  um  et  coram  ittdice  iusticiam  consequatur. 
Prius  tarnen  quam  reeertatur  conqurrens , ßdciussionem  fnciat 
mercatori,  quod  querimoniam  hu  am  in  maiori  loco  prosequi  velit. 
Quam  si  non  fuerit  ewsecutus  et  defecerit  sccundum  ßdeiussi- 
onem  prius  factam,  mercatorem  pro  graeamine  per  sati-sfuetio- 
nem  sibi  comiliet.  Sed  si  prius  ßdciussionem  merratori 
de  prosequenda  querinumia  non  fecerit,  mercatorem  non  yracn- 
bit , sed  in  pace  dimittet. 

Anzunehmen  ist,  daß  auch  hier,  wie  bei  den  Klagen  um 
Schuld,  der  Kläger  die  Hilfe  desjenigen  Gerichts  bei  der  Evo- 
kation in  Anspruch  nehmen  darf,  in  dessen  Bezirk  der  Delinquent 
verweilt;  andernfalls  würde  Rechtsweigerung  des  betreffenden 
Gerichts  vorliegen.  Auch  hier  ist  die  Evokation  nicht  davon  ab- 
hängig gemacht,  daß  handhafte  Tat  vorliegt.  Ebensowenig  ist 
das  in  den  zahlreichen  Magdeburgischen  Quellenstellen  der  Fall, 
die  Simon  dafür  anführt,  daß  man  in  Magdeburg  das  forum  de- 
licti commissi  gar  als  ein  ausschließliches  betrachtet  habe5),  und 
die  Planck  durch  die  Unterstellung  zu  beseitigen  sucht,  in  ihnen 
sei  lediglich  von  Klage  auf  handhafte  Tat  die  Rede4); 

')  S.  im  allgemeinen  Planck  I S.  80—82  und  Simon  S.  97 — 99.  Vgl. 
Köln  Schied  (1258;  Klage  der  cives  7,  Keutgen  Urk.  S.  164.  170. 

a)  S.  51  bei  Anm.  2. 

3)  Simon  S.  97.  98,  namentlich  Magdcb.  Bresl.  syst  Sch.  R.  II.  2 d. 
78  und  III.  2 d.  5,  Laband  S.  53.  71,  sowie  Magdeb.  Fr.  I.  2 d.  20, 
Bohrend  S.  53:  Alte  ungerichte  sal  man  erst  clagen  unde  richten  in  dem  geriehte, 
do  dy  brache  gesehen,  ab  man  do  geriehte  bekommen  mag, 

*)  Planck  I S.  80  ff.,  bes.  S.  81  Ziffer  3.  Daselbst  legt  Planck  den  an 
Schweidnitz  (vor  1400)  erteilten  Magdeburger  Schöffenspruch  (Gaupp 
Schics.  LR.  S.  268  ff.)  nicht  richtig  aus.  Zwei  Sehweidnitzer  haben  einander 
in  Breslau  geschlagen  und  verwundet:  der  eine  läßt  in  Breslau  seine  Wunden 
besehen  und  klagt  dort,  der  andere  klagt  in  Schweidnitz.  Bezüglich  des 
letzteren  wird  entschieden:  dat  ungerichte  solde  men  von  ree/dis  wegen  habin 
gcclagct  in  deme  richte  dar  it  gesehen  was,  aber  da  kein  Gegner  vorhanden  gc- 


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vielmehr  setzt  gerade  mit  Beziehung  auf  übernächtige  Klage 
ein  von  den  Magdeburger  Schöffen  an  Stendal  erteilter 
Spruch')  die  Ausschließlichkeit  des  forum  delicti  commissi’) 


wesen,  der  rechte  Urteile  hätte  fragen  können,  so  hätten  die  Schöffen  von 
Schweidnitz  an  ihrem  Urteil  keine  Schuld.  Planck  meint  nun,  die  Schöffen 
hätten  wegen  Rechtshängigkeit  der  Sache  in  Breslau  nicht  in  Schweidnitz 
richten  dürfen.  Aber  in  Breslau  hatte  der  Mann,  dessen  Klage  die  Schweid- 
nitzer  Schöffen  stattgeben,  überhaupt  nicht  geklagt;  folglich  lag  keine  Rechts- 
hängigkeit dieser  Klage  vor  und  geben  auch  die  Magdeburger  Schöffen 
Rechtshängigkeit  nicht  zur  Begründung  ihres  Spruches  an.  — Dieselben 
Bedenken  bestehen  gegen  Planck's  Auslegung  von  Magdeb.  Brest,  syst. 
Sch.  R.  U.  2 d.  78. 

*)  (1333)  VII,  Bohrend  Urt.  Buch  S.  36. 

*)  Ein  Bürger  von  Seehausen  ist  in  einem  auswärtigen  Landgerichts- 
bezirk erschlagen  worden;  des  quam  des  dodes  mannes  vader  unde  brodete  unde 
dedess  tjce  claghe  in  der  stad  to  Sehnsen  dar  he  eyn  borgher  was ; de  dridtie  claghe 
wart  up  ghestoten  (wahrscheinl.  - deferre , verweisen)  mit  ordel  unde  mit  richte. 
Dali  dieser  dritten  Klage  nicht  stattgegeben  wird,  ist  nach  Ansicht  der 
Magdeburger  dann  gerechtfertigt,  wenn  der  (Irund,  weshalb  nicht  vor  dem 
Gericht  der  begangenen  Tat  geklagt  zu  werden  brauchte  (van  vrsuhten  unde 
van  angheste  lives  unde  ghudesj,  nicht  mehr  stichhaltig  erscheint,  nachdem 
nämlich  des  Mörders  Freunde  den  clegheren  dal  ghebaden , da/  si  a/dar  quemen , 
se  wollten  se  veytighen.  Dann  soll  der  Kläger  sine  claghe  dar  (d.  Ir  im  aus- 
wärtigen Goricht)  vul  vuren  Letzteres  ist  nur  in  der  Form  möglich,  daß 
(anders  als  die  in  der  Anfrage  ausgesprochene  Ansicht  will)  auch  im  aus- 
wärtigen Gericht  wieder  zu  drei  Dingen  geklagt  wird  (unde  ist  dat  he  wol 
de  — erste  — claghe  intl  vort  dare  dar  de  mart  ghescen  is , dach  mach  he  de  anderen 
— zwei  — claghe  dar  na  ah  wol  vuhioren).  Behrcnd  Urt.  Buch  S.  39  mißver- 
steht diese  letzten  Worto,  wenn  er  meint,  auch  nach  Beendigung  des  Ver- 
fahrens im  auswärtigen  Gericht,  d.  h.  nach  Erhebung  der  einen  dritten,  noch 
aus  dem  städtischen  Verfahren  Testierenden  Einzelklage,  dürfe  der  Kläger 
noch  einmal  in  Seehausen  klagen  (de  anderen  chghe  vuboren).  Die  Stelle  ist 
freilich  insofern  unklar  gefaßt,  als  sic  unter  dem  Wort  claghe  ein  Doppeltes 
versteht,  nämlich  einmal  die  in  jedem  einzelnen  Termin  vorzubringende 
Klage,  zweitens  dio  Gesauitheit  der  drei  einzelnen  Klagen,  welche  erst  Ver- 
urteilung herbeiführen  kann.  Wenn  Bchrend  S.  37  sich  für  seine  Auslegung 
auf  die  Analogie  eines  bei  ihm  zum  Abdruck  gebrachten,  1313  dem  Lande 
Lebus  erteilten  Privilegs  beruft,  so  ist  der  Unterschied  der,  daß  die  dritte 
(einzelne)  Klage  hier  in  einem  übergeordneten  Gericht,  nämlich  dem  rnark- 
grällichen  Hofgericht,  angestellt  werden  darf,  während  cs  sich  bei  der 
Stendaler  Anfrage  um  zwei  unvermittelt  neben  einander  stehende  (Stadt- 
bezw.  Land-)  Gerichte  bandelt.  Kur  für  den  Fall  behalten  die  Magdeburger 
dem  Kläger  die  dritte  (einzelne)  Klage  in  Seehausen  vor,  lassen  also  insofern 


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fest  und  bestätigt  also  ausdrficklich  die  Simonsehen  Auf- 
stellungen l). 

Der  Vorzug  unbedingter  Zuständigkeit  verblieb  dem  forum 
delicti  commissi  stets  bei  solchen  Ungerichten  und  Freveln,  die 
auf  handhalter  Tat  geklagt  wurden*).  Seine  Bedeutung  trat  in 
späterer  Zeit  außerdem  namentlich  in  doppelter  Beziehung  hervor: 
Einmal  durften  da,  wo  das  forum  del.  comm.  bereits  seine  Aus- 
schließlichkeit verloren  hatte,  Bürger  gewisser  Städte  kraft  be- 
sonderen Privilegs  wegen  solcher  Delikte,  die  sie  innerhalb  jener 
Städte  begangen  hatten,  nur  dort  belangt  werden3).  Zweitens 
unterlagen  nicht  nur  bei  handhafter  Tat4),  sondern  auch  sonst 
Angehörige  privilegierter  Stande  der  Aburteilung  durch  das  Stadt- 
gericht, wenn  sie  in  seinem  Bezirke  strafbare  Handlungen  be- 
gingen3), nur  daß  bisweilen  die  Entscheidung  kombinierten  Be- 
richten überwiesen  wurde6);  wenn  es  sich  auf  beiden  Seiten  um 
Privilegierte  handelte,  ward  sie  ausnahmsweise  dem  Stadtgericht 
ganz  entzogen1). 

b)  Trotzdem  die  praktische  Bedeutung  des  forum  delicti  com- 
missi nicht  selten  durch  Auslieferungsverträge  zwischen  verschiedenen 


tit  erste  (Besamt-)  e/ng/ie  to  rechte  stan  als}  langhe  ment  he  diese  (d.  li.  die  außer- 
halb  Angestellte  Gesamt- Je/ai.’A'  dar  v ■».-/  togh.n  hehbe , daß  Leibesnot  dem 
Kläger  die  Vollziehung  dieser  letzterwähnten  zweiten  Klage  von  neuem  un- 
möglich mache. 

■)  Hierfür  namentlich  auch  Brünn  SchölTenb.  (um  13.00)  (SOI,  ltößler  II 
S.  275.  Über  Erokation  vgl.  oben  S.  7G  bei  Amn.  2 und  S.  55  bei  Anm. 
4—6. 

s)  Vgl.  Planck  l S.  80  -82,  Simon  S.  100-104. 

3)  Berlin  I'riv.  (1319),  Fidicin  II  S.  18. 

*)  Bitter:  Lechenich  (1279)  34,  Gengier  StB.  S.  241;  Breslau 
Ücehtssiitze  f.  Glogau  (1280)  1.  Korn  S.  48.  Bauern:  I’riv.  d.  Fürsten  v. 
Weile  (1276),  Meekl.  F.  lt.  II  S.  554:  Marienburg  Hamlf.  (1276)  9, 
Gengier  StB.  S.  277:  I’riv.  d.  Grafen  v.  Schw  erin  (1279),  Meckl.  U.  B.  II 
S.  610:  Danzig  llamlf.  (1378)  3,  Gengier  Cud.  S.  712. 

5)  F.gcr  I’riv.  (1279)  21,  Gau  |<p  StB.  IS.  192:  Bautzen  I’riv.  (1282), 
Tzschoppe  S.  398:  Itügcnwaldc  Bcchtsbr.  (1312)  14,  Gengier  StB.  S.  3SS: 
Berlin  I’riv.  (1319),  Fidicin  II  S.  18. 

°)  Görlitz  Klitsch,  d.  Königs  v.  Böhmen  (1329),  Tzschoppe  S.  529: 
vgl.  Breslau  I’riv.  (1263),  Korn.  S.  30. 

7)  F.gcr  I’riv.  (1279)  21,  Gnupp  StB.  1 S.  192. 


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79 


Städten  und  Territorien  unterstützt  ward1),  geschah  ihm,  wenn 
auch  nicht  in  so  hohem  Maile  wie  dem  forum  contractus,  Abbruch 
einmal  durch  Evokationsprivilegien.  Zwar  ward  in  diesen, 
von  handhafter  Tat  abgesehen,  bisweilen  die  Evokation  wegen  ge- 
wisser Ungerichte  gestattet1).  Meist  aber  waren  sie  ganz  allge- 
mein gefallt3)  und  schlossen  also,  befand  sich  der  Verbrecher 
einmal  innerhalb  des  privilegierten  Gebiets,  eine  Ladung  ins  forum 
delicti  commissi  überhaupt  aus1).  Eine  Ausnahme  trat  in  letzterem 
Falle  nur  ein,  wenn  der  Verbrecher  unmittelbar  auf  der  Ver- 
folgung vom  Orte  der  Tat  aus  innerhalb  des  privilegierten  Be- 
zirkes ergriffen  wurde.  Dann  sollte  er  der  Regel  nach  beim  Vor- 
handensein bestimmter  Voraussetzungen5)  seinen  Verfolgern  .aus- 
geliefert werden.  Freilich  ward  diese  Vorschrift  häufig  entweder 
nicht  beobachtet  oder  vertraglich  ausgeschlossen*),  sodall  manche 

')  Warburg  Vertr.  der  beiden  Städte  (1333),  Wigand  IV,  3 S.  295; 
Loen-Berg  Bündnis  (13G1),  Lacomblet  III  S.  311. 

*)  Kassel  Rechtsbest.  (1239)  2 vgl.  3,  Gengier  Cod.  S,  468. 

3)  Simon  S.  102,  sowie  Dortmund  lat.  Stut.  (1234 — 1256)  22,  Frens- 
dorff  S.  31. 

4)  Wurden  Bürger  einer  privilegierten  Stadt  trotzdem  evociert,  so  ver- 
teidigten u.  U.  deren  Gerichtsbehörden  das  Nichterscheinen  im  ladenden 
Gericht  in  eigentümlicher  Weise;  vgl.  J.G.C.  Thomas,  der  Frankfurter  Ober- 
hof. Frankfurt  1841.  S.  584. 

5)  I)i st.  VI.  6 d.  4,  OrtlolT  8.  317:  Ist  aber  der  gewundel,  das  er  nicht 
gevolgert  en  mat,  so  schulten  dy  lute  vollen  mit  ['flieht,  diwile  si  yenen  anseheti,  der 
den  frid  gebrochen  hat.  Und  ob  er  in  ein  ander  geruhte  fliehet , mugen  si  in  da 
gevahen  uff  dem  tarnte  unde  von  dem  gerieh/e,  das  das  voll:  von  dem  lande  und  von 
dem  geriehte  nicht  daeztt  kum[t,  si  furen  in  wol  mit  in  wider.  /'Iahet  er  aber  ezu 
dorflern  oder  ezu  steten  in  ein  ander  geriehte,  da  schal  man  das  gereifte  vornueoen, 
und  laden  darczu  den  beergerneeister  und  di  burger  und  den  rat,  den  beirgeriueister 
und  die  gebier,  ob  er  in  dor/ern  geflohen  ist,  und  alle  gute  lute,  di  man  in  der  czit 
gehoben  utac,  und  heischen  yenen  heruz  ezu  rechten  geriehte.  Den  schal  man  in  ant- 
worten, ob  er  in  der  hanthaftigen  tat  begriffen  ist,  und  bestätigen,  das  si  dez  geäugen 
mugen  mit  siben  mannen,  daz  si  im  geva/get  hab.n  in  der  lianthafftigen  tat  von  iretn 
geriehte  in  das  geriehte,  Sa  stillen  si  bürgen  seezen  vor  des  manites  wer  gelt,  ob  si 
nicht  recht  uff'  in  eivardern  Ist  es  das  si  in  gewinnen  mit  rechte , so  Juren  si  in 
wider  mit  in  ir  geriehte  (vgl.  Am».  6). 

*)  Dist.  VI.  6 d.  4,  Ort  Io  ff  S.  318  (vgl.  vorige  Anm.  5):  Doeh  ist  grosse 
ezweiunge  worden  in  dem  lande  hiruntl,  daz  ttberge  gewa/t  hindert ; raenne  ieglieh 
herre,  edehnan,  ritter,  und  stete  meinen,  was  ezu  irent  geriehte  turnt,  ilaz  seltolle 
man  in  irem  gerechten  geruhten.  Daz  sprich  ich  wol,  was  in  irent  gericht  begunst 
wirf ; was  man  aber  vo/get  in  frischer  tat  uz  einte  geriehte  in  das  ander  uff  ffueh- 


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80 


Städte  sich  in  dieser  Beziehung  durcli  besonderes  Privileg1)  oder 
durch  Vertrag*)  sicherten. 

Unter  diesen  Umständen  mußte  dann  das  forum  domicilii 
des  Beklagten  gegenüber  dem  forum  delicti  commissi  an  Be- 
deutung gewinnen.  Wurde  der  Missetäter  in  letzterem  wegen 
seiner  Gasteseigensehaft  nicht  von  vornherein  festgehalten  oder 
später  zufällig  angetroffen,  so  mußte  der  Kläger  ihm  in  seine 
Heimat  folgen: 

ifuicumque  civis  Landishuetensis  in  </uocunque  iudicio  e.rtra 
civitatem  maleficium  aliquod  pei'petrewerit,  nisi  iure  el  eodem 
loco  detenlus  fueril  per  iudiccm  talein,  neress le  habebit  iude.r 
(alle  vrl  ipiilibet  conipterens  coram  iudire  Landishuetensi  iusti- 
tiam  pos/ulare . s) 

c)  Doch  blieb  die  Entwicklung  nicht  beim  forum  domicilii 
des  Beklagten  stehen 

i.  Wie  bei  den  Klagen  um  Schuld  bewirkte  auch  hier  das 
Bedürfnis,  den  Beklagten  überhaupt  da  festzunehmen  und  zu  be- 
langen, wo  man  seiner  habhaft  werden  konnte  daß  dem  heimi- 
schen Kläger  in  dessen  eigenem  Gericht  in  dieser  Be- 
ziehung weitgehende  Möglichkeiten  eröffnet  wurden.  Für  den  Fall, 
daß  der  Missetäter  hierselbst  persönlich  erschien,  ward 
sogar  die  Klage  auf  handhafter  Tat,  die  dem  Kläger  große  Vor- 
teile bot,  u.  U.  vom  forum  delicti  commissi  in  dieses  Forum 
verpflanzt: 

Si  aliquitt  infra  v el  e.rt  ra  cieitatem  spnliatus,  rulnera- 
tus  v el  occisits  fuerit  et  infra  terminos,  in  tjuibus  iniuriam 
sustinuit,  ad  iudiren  proclamarerif,  de  reo,  si  eomprehemus 
fuerit,  debita  fiat  insticia,  aut  si  aufugerit,  si  postmodum 
Ule,  i/ui  lesus  est,  reum  invenerit,  et  iniuriam  suam  testibus 
idoneis  se  proclamasse  probare  potuerit,  tamquam  si  iniuria 
recens  e.risteret,  ei  satixfaciat*'). 

tigen  fuszc , und  gebart  damit  alzo  vor  besehreben  ist,  den  schol  man  rechte  /atzen 
widerfarn  in  yenez  Berichte,  dar  sieh  das  begunst  hat,  — 11  ran  denbur  g -l’oinuiern 
I.andfr.  (1301),  Riedel  II.  II  S.  435. 

’)  Kordhausen  I’riv.  (1349),  Foerstemann  l'rk.  Gesch.  I t rk.  nr.  19; 
Stendal  I’riv.  (1349),  Kuhns  I 8.  252  ff. 

*)  Ilannenberg-Lübeck  (1273—1274),  Mcckl.  U.  K.  II  S.  470. 

5)  I.andshut  Rechtshr.  (1279)  5,  Gengier  Sttt.  S.  234. 

*)  Magdeburg  erzb.  Priv.  (1188)  5,  Laband  ItQu.  S.  2. 


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81 

Hat  also  nicht  nur  der  innerhalb,  sondern  auch  der  außerhalb 
der  Stadt  verletzte  Bürger  das  Gerüchte  innerhalb  des  Gerichts- 
bezirks der  begangenen  Tat ')  erhoben,  ist  aber  der  Schuldige 
entronnen,  so  kann  er,  wenn  er  später  (postmodum,  d.  h.  nachdem 
die  Tat  übernächtig  geworden,  immerhin  aber  nur  eine  mäßige 
Frist  verstrichen  ist’))  den  Schuldigen  in  der  Stadt  antrifft,  ihn 
hier  mit  Gerüchte  beklagen,  als  ob  die  Tat  unvernachtet  sei, 
wofern  er  nur  die  erforderlichen  Schreimannen 3)  zu  stellen  vermag'). 
— Entsprechend  darf  der  Bürger  auch  mit  vernachteter  Klage 
gegen  den  Gast  Vorgehen,  den  er  in  der  Stadt  antrifft  und  möglicher- 
weise sofort  festgenommen  hat5). 

[i.  Nicht  selten  ward  ähnlich  verfahren,  selbst  wenn  der  aus- 
wärtige Missetäter  überhaupt  nicht  im  heimischen  Gerichts- 
bezirk des  Klägers  erschien.  Es  konnte  namentlich  auch  in 
diesem  Falle  im  Gericht  des  Verletzten  Klage  mit  Gerüchte  wie 
auf  frischer  Tat  erhoben  werden: 

Si  ijuis  rcrum  facultatumoe  /warum  abalienationem  rel 
dampnarionem  susi i nuerit  iudici  nuirime  eontermino  ubi  cio- 
leniiam  paxxus  etil  bonisi/ue  hominibus  Inlimabit  (dum  modo 
ausus  «it  propter  necessitatem  rite  /tue).  Veniens  uutem  in  run- 
dem ipta  moratur  ci  vitalem  cor  am  iudire  super  casu  suo  cla- 
morem  publice  «uscitabit  et  si  reue  inj'ra  triduum  non  rompa- 
ruerit  reus  proscribelur  et  ubicumpte  locorum  reum  post  modum 
romprehenderit  si  suam  proscriptionem  cum  se.r  inculpalis 
hominibus  probare  poluerit  reus  capitali  sententie  subiacebit 6). 

')  Die  Meinung  von  Kiihns  I S.  170,  unter  dem  Ausdruck  extra  dvi- 
tatem  sei  nur  der  ländliche  Sprengel  des  Magdeburger  Burggrafen  zu  ver- 
stehen, ist  u.  E.  unbegründet. 

’)  Vgl.  Kries  S.  161,  Lüning  Rein.  Eid  S.  33  Anm.  28. 

*)  Die  als  „Zeugen-*  bekunden,  „sie  seien  zu  der  vom  Kläger  ge- 
machten Wahrnehmung  und  zu  dessen  (d.  h.  zu  dem  im  auswärtigen  Gericht 
erhobenen)  Geschrei  hinzugekommen“  (Lüning  Rein.  Eid  S.  !)3— 96). 

4)  Über  noch  weitergehende  Klagen  gegen  abwesende  Gäste  vgl. 
unten  Abschnitt  fl. 

5)  Hamburg  Stadtr.  (1270)  IX.  7 und  (1202)  N.  10,  Lappenberg  S.  51 
und  154:  vgl.  auch  schon  A ugsburg  Stadtr.  (1 156)  31,  Keutgcn  l'rk.  S.  92, 
sowie  Simon  S.  83. 

6)  Lübeck  lat.  Stadtr.  (1263;  127,  Hach  S.  209,  in  der  von  Fronsdorff, 
Strals.  Vorf.  ltuch  S.  XIX,  mitgeteilten  Form. 

Kudorff,  Kechlsstellnnff  der  Uäste  6 


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Es  ist  nicht  richtig,  wenn  Frensdorff1)  meint,  daß  in  vor- 
stehender Stelle  an  ein  subsidiäres  Tätigwerden  des  Iflbischen 
Gerichts  gedacht  werde.  Wie  in  dem  oben  a)  angeführten  Magde- 
burgischen  Privileg,  so  wird  auch  hier  zwar  Gerüchte  im  Gerichts- 
bezirk der  begangenen  Tat,  förmliche  Klage  aber  prinzipiell  im 
Gericht  des  Klägers  erhoben,  und  zwar  mit  einleitendem  Gerüchte, 
d.  h.  unter  Zuziehung  der  auswärtigen  Schreimannen,  sobald  der 
Kläger  nach  Lübeck  heimgekehrt  ist.  Auch  hier  gilt  die  Tat  als 
recrn»,  insofern  sofortige  Verurteilung,  d.  h.  Verfestnng  erfolgt, 
wenn  der  Schuldige  nicht  binnen  drei  Tagen  :l)  zu  seiner  Verant- 
wortung in  Lübeck  erscheint.  Indem  man  später  das  dem  Magde- 
burgischen  ad  iudicem  /irarlainare  entsprechende  iudici  ma-rime 
rontennino  bonim/iie  hominibu*  intinuire*)  fälschlich  von  einem  förm- 
lichen Klagen  im  auswärtigen  Gericht  verstand,  setzte  man,  um 
die  nunmehr  subsidiär  aufgefaßte  Klage  im  liibisehen  Gericht  zu 
rechtfertigen,  die  überflüssigen  Worte  dum  modo  ausax  «U  propter 
necexsitatem  vite  »ue  hinzu. 

Ferner  wurde  im  späteren  Magdehurgischen  Recht5)  dem 
Bürger  sogar  dann  Klage  mit  Gerüchte  und  zwar  mit  auswärtigen 
Schreimannen  erlaubt,  wenn  ihm  in  fremdem  Land  ohne  sein 
Beisein  durch  Raub  Schaden  zugefügt  worden  war  und  er  sofort 
nach  Kenntnis  in  seiner  Heimatstadt  Klage  erhob.  Vermochte  er 
solche  Schreimannen  nicht  alsbald  in  genügender  Zahl  zu  be- 
schallen, so  mußte  er  zu  den  gewöhnlichen  drei  Dingen  mit  je 
vierzehn  Tagen  Frist  greifen  und  durfte  erst  dann  die  Verfestnng 
des  abwesenden  auswärtigen  Täters  beantragen. 

Wie  jene  qualifizierten,  so  waren  auch  einfache  übernächtige 
Klagen  gegen  die  abwesenden  auswärtigen  Missetäter  nicht  nur 

')  Strals.  Verf.  Huch  S.  XIX.  XXII.  XXXIV. 

*)  S.  KO  Amu.  4. 

3)  Nicht:  Drei  Dingen,  wie  Frensdorff  will.  Die  svx  iacul/xiii  homines, 
mit  denen  der  Kläger  die  (sc.  in  Lübeck)  erfolgte  Verfcstung  in  Lübeck 
und  im  (iebiet  des  lübischen  liechts  bezeugen  soll,  brauchen  natürlich  nicht, 
wie  fälschlich  Frensdorff  S.  XIX.  XX.  anniinmt,  mit  den  (auswärtigen) 
Schrei  mannen  identisch  zu  sein. 

4)  Nicht  nur  an  die  im  (iericht  Gesessenen,  sondern  namentlich  aueh 
an  den  Richter  richtete  sich  das  (außergerichtliche)  Gerüchte:  vgl.  l'lanck 
I 8.  760 

5)  Magdeb.  Itresl.  sjst.  Sch.  11.  III.  2 d.  25,  Laband  S.  80. 


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81 

bei  Vorhandensein  besonderer  Gründe '),  sondern  häufig  ganz 
allgemein  im  Domizil  des  Klägers  gestattet*),  mit  der  Wirkung, 
dal.)  hei  Nichterscheinen  des  Beklagten  Verfestung  eintrat3). 

7.  Wie  bei  den  Klagen  um  Schuld,  so  zeigte  sich  schließlich 
ebenfalls  hier,  bei  den  Klagen  um  Ungericht  und  Frevel,  das 
Bestreben,  auch  dem  Gaste  nach  Möglichkeit  zu  seinem  Rechte 
zu  verhelfen. 

Es  geschah  das  einmal  in  der  Form,  daß  ohne  weitere  Voraus- 
setzungen sogar  bei  außerhalb  der  Stadt  begangenen  Delikten  dem 
Gast  gegen  den  Gast  in  der  Stadt  Recht  gesprochen  wurde: 

Welk  yhast  enen  anderen  gast  » chuldeget  in  desser  stad 
uinine  men  doetslueh  edder  umme  eiten  moerd , den  he  buten 
desser  stad  yhedtm  heft,  unde  bekunde  des  deyhene  de  be- 
srhuldeyhet  wurde , unde  spreke  he  hadde  sipien  apenbaren 
ryant  yhesltiyhen:  dut  en  milch  eine  nicht  helpen ; snnder  he 
seid  dut  beleren  na  stet! rechte*). 

Im  Gegensatz  zu  ihrer  früheren  Stellungnahme  zu  Gunsten 
des  forum  delicti  commissi  ist  diese  weitgehende  Begünstigung 
der  Gäste,  wie  anderen5),  so  auch  den  späteren  Magdeburgischen 
Rechtsquellen *)  nicht  fremd.  Nur  freilich  ist  hier  überall  voraus- 
gesetzt, daß  der  zu  beklagende  Gast  auch  persönlich  in  dem 

')  Magdeb.  Schöffenspr.  an  Stendal  (1333)  VII.  oben  S.  77  Anm.  I 
um!  2. 

*)  Oben  S.  43  Anm.  1. 

3)  Dergleichen  ward  auch  vertraglich  festgelegt:  Vgl.  die  Bünd- 
nisse von  Münster,  Osnabrück  usw.  (1246)  und  Dortmund,  Soest  usw. 
(1268),  Osnabr.  I'.  B.  II  nr.  48Ü  bei«.  III  nr.  382,  wo  die  im  Domizil 
des  klagenden  Bürgers  wegen  auUerhalb  erlittener  Delikte  ausgesprochene 
Verfestung  nach  entsprechender  Botschaft  auf  die.  Territorien  aller  Bundes- 
genossen gültig  erstreckt  wird. 

4)  Hamburg  Stadtr.  (1292)  X.  11,  Lappenberg  S.  1.74.  Festhalten 
des  Gastes  wegen  auswärts  begangener  Verbrechen  wird  ebenda  X.  10 
vorgeschrieben. 

5)  Mühlhausen  Stadtr.  (1230—1250),  Herquet  S.  619:  Dortmund 
Stadtb.  (1350—1400)  62,  FronsdnrffS.  82,  wo  die  Forderung,  die  sechs  Folger 
müßten  des  klagenden  Gastes  ualmrt  /wen  ater  Senaten  sein,  die  auswärts 
begangene  Tat  andeutet. 

e)  Magdeb.  Fr.  II.  6 d.  1,  Behrend  S.  174:  Alphab.  Samml.  Magdeb. 
Scho ffenspr.  Kap.  89,  Wasscrschlebeu  S.  31. 

6* 


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84 

Gerichte  des  Klageortes  verweilt1).  Zweifelhaft  dagegen  er- 
scheint, ob  der  Gast  auch  gegen  den  abwesenden  Gast  in 
drittem  Gericht  wegen  auswärts  begangener  übernächtiger  Tat 
klagen  durfte,  mit  der  Wirkung,  daß  bei  Nichterscheinen  Ver- 
pestung eintrat.  In  Goslar8)  war  das  mit  Erlaubnis  des  Rats 
gestattet,  in  Magdeburg*)  in  späterer  Zeit  anscheinend  sogar  vor- 
aussetzungslos: 

. . tcirt  eg»  gast  geiront  yn  euer  Stat  unde  seyne  /runde  en 
vcg  fiteren  yn  eyn  andir  gerichte  unde  clagit  in  euerem  geeichte 
nicht , do  her  geu'ont  ist , da  hat  her  seyne  clage  niete  rorlarn 
in  euerem  gerichte  do  her  mochte  geclagit  haben  In  eyner  hant- 
ha/tigen  tot  unde  hol  dor  kein  unrecht  an  geihan  unde  ist 
der  nu  tot  in  dem  anderen  gerichte  dar  he  gefurt  ist  unde 
hat  der  geclagit  czu  dreyen  dingen  so  ist  do  recht  gethan. 
Ist  dor  abir  geclagit  eyne  hanthaflige  tuet,  So  ist  euerem  burger 
czu  Unrechte  in  eyne  cor/estunge  körnen. 

Simons4)  (Jegenargument,  in  einem  nicht  erhaltenen  Teil  der 
Anfrage  müßten  noch  besondere  Voraussetzungen  genannt  gewesen 
sein,  verlangt  nicht,  da  die  Anfrage  ebenfalls  wortgetreu  mit- 
geteilt  ist5).  Natürlich  durfte  in  solchen  Fällen  der  Schuldige 
nicht  Bürger  einer  mit  Evokationsprivileg  begnadeten  Stadt  sein.  — 


')  Hier  wurde  der  Missetäter  häufig  zur  Sicherheit  festgenonraien. 
Pie  Städte  vertrugen  sieh  bezüglich  arger  Friedensbrecher  sogar  dahin, 
daß  nicht  nur  die  Verletzten,  sondern  auch  deren  Freunde  den  Schuldigen 
in  der  dritten  Stadt  aufhalten  dürften,  bis  der  Kläger  selbst  komme: 
Dortmund,  Soest  usw.  ( 1 268),  Osn.  U.  11.  III  nr.  382:  (loslar,  Braun- 
schweig usw.  (1335),  Halbcrst.  U.  B.  I nr.  443.  Vgl.  Absatz  II  dieses 
Kapitels. 

*)  Stadtr.  (um  1300)  48,31  bei  Göschen  S.  48. 

*)  Scböffenurteil  37,  Stubbe  Bcitr.  S.  105. 

4)  S.  105. 

*)  Gegen  Simon  spricht  auch  Magdcb.  Bresl.  syst.  Sch.  R.  III. 
2 d.  5,  habend  S.  71,  wo  bestimmt  ist,  ein  Gast  solle  gegen  einen  Gast 
in  dem  Gericht  zuerst  klagen,  do  dy  hanthajU  tot  ynne  geschit;  ob  mit  Klage 
auf  handhafter  Tat  oder  mit  vernachtetcr  Klage,  ist  gleichgültig  (anders 
Planck  I S.  81).  Kann  der  Gast  den  Schuldigen  aus  bewegenden  Gründen 
ebendort  nicht  belangen,  so  steht  ihm  die  Klage  nicht  nur  in  seinem,  des 
Klägers,  eigenem  Domizil  (so  unrichtig  Planck  I S.  83),  sondern  in  jedem 
dritten  Gericht  offen,  di  ivi/e  duz  nymant  icedir  rrdit.  Nur  ist  in  letzterem 


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85 


So  hatte  das  forura  deprehensionis,  d.  h.  des  Ortes,  wo 
der  auswärtige  Missetäter,  vom  forum  delicti  commissi  und  domicilii 
abgesehen,  angetroffen  und  eventuell  festgenommen  wurde,  mannig- 
fache Erweiterung  im  Laufe  der  Zeit  erfahren.  Insbesondere 
unterlagen  ihm  häufig  auch  die  Angehörigen  privilegierter  Stände, 
die  in  den  Bezirk  eines  bestimmten  Stadtgerichts  eintraten1). 

4.  Gerichtsstand  der  Widerklage. 

Ein  Gerichtsstand,  der  den  verschiedenen  Arten  von  Klagen 
gemeinsam  und  zum  Schluß  noch  kurz  zu  behandeln  ist,  ist  der 
Gerichtsstand  der  Widerklage*). 

Seitdem  das  forum  arresti  und  das  forum  deprehensionis  eine 
so  große  Ausdehnung  erhalten  hatten,  war  dieser  Gerichtsstand 
von  untergeordneter  Bedeutung.  Die  alte  Regel:  Soor  die  man 
recht  vorder  et,  dar  aal  he  rechtes  /liegen  linde  helpen *),  oder:  Srar 
die  man  klaget,  dar  mul  he  antwerden , of  man  i ip  ine  klaget*), 
wird  deshalb  im  sächsischen  Weichbild1)  nicht  einfach  wiederholt, 
sondern  nutzbar  gemacht  für  die  Frage,  wie  es  zu  halten  ist, 
wenn  ein  Mann  seinen  Gerichtsgenossen  in  einem  auswärtigen 
Gericht  belangt.  Dies  wird  zwar,  vom  Standpunkte  der  Heimat- 

Gericht  Klage  auf  handliaftcr  Tat  ausgeschlossen.  — l>ie  hier  noch  er- 
wähnten Voraussetzungen  sind  in  dem  zitierten  Schöffenurteil  37  (oben  S.  84 
Antn.  3)  gefallen. 

•)  Ritter  u.  a.:  Breslau  Priv.  (12G3),  Kern  S.  30:  I’ritzwalk 
Stadtr.  (12.56),  abgedruckt  bei  Kühns  II  S.  202:  Licgnitz  Rechtsmitt  an 
Karl  IV.  (1369),  Korn  S.  218  f.  — Bauern:  Stade  Priv.  (1259),  Pufendorf 
III  App.  V S.  159:  Goldberg  Priv.  (1325)  5,  Tzschoppe  S.  511;  Licgnitz 
(13G9),  s.  vorhin. 

s)  S.  im  allg.  Simon  S.  37-44,  Planck  I S.  72—74  und  80. 

ä)  SLdR.  I.  GO  § 3. 

*)  SLdlt.  III.  79  § 3.  Die  Meinung  dieser  Stellen  ist,  wie  Planck  I 
S.  73  bei  Antn.  9 bemerkt,  die,  dal]  jedem  Widerkläger,  nicht  nur  dum 
Beklagten  geantwortet  werden  müsse.  Auch  Brünn  Schöffenbuch  (um  1350) 
14,  Rößlor  II  S.  10,  scheint  in  diesem  Sinne  gefaßt  zu  sein.  Immerhin 
sagt  ein  Zusatz  in  Dist.  III.  10  d.  4,  Ortloff  S.  154.  wo  ein  Gastbote  mit 
versiegelten  Briefen  kommt  und  klagt,  ausdrücklich  das  Gegenteil:  Nymand 
bedarf  er  (d.  i.  der  Bote)  anders  antworten  von  yenes  wegen,  wenn  den:,  von  des- 
wegen der  mit  kuntsehafft  einer  offen  brife  geelait  hat . 

ä)  Bei  Daniels  Gl.  S.  103  (XXVIII  § 1 und  2). 


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starlt  aus,  für  unzulässig  und  strafbar  erachtet').  Geschieht  cs 
indessen,  so  soll  der  Kläger  ebendort  wieder  belangt  werden  dürfen, 
und  zwar  offenbar  gerade  von  jenem  verklagten  Gerichtsgenossen  *i. 

Das  Recht  der  Widerklage  wurde  namentlich  insofern  praktisch, 
als  dem  Gaste  vielfach  die  Pflicht  erwuchs  für  seine  eigene  dem- 
nächstige  Antwort  Sicherheit  zu  leisten,  sobald  er  einen  Ein- 
heimischen belangte,  ehe  dieser  selbst  den  Gast  verklagt  oder  arrestiert 
hatte.  Die  Verpflichtung  des  Einheimischen  zur  Antwort  hing  dann 
von  dieser  Sicherheitsleistung  ab3).  Konnte  sie  nicht  beigebracht 
werden,  so  mußte  der  Gast  entweder  unverzüglich  nach  Abhandlung 
der  Klage  seinerseits  antworten4)  oder  aber  die  Klage  des  ein- 
heimischen Bürgers  Vorgehen  lassen5). 

Über  Widerklage  zwischen  Bürgern  und  privilegierten  Ständen 
fehlt  es  an  Vorschriften.  Die  wenigen,  die  existieren,  sind  zudem 
widerspruchsvoll*).  Doch  scheint  regelmäßig  die  Pflicht  solcher 
Personen  bestanden  zu  haben,  im  Stadtgericht  zu  antworten, 
wenn  sie  daselbst  gegen  Bürger  Recht  gesucht  hatten7). 


Viertes  Kapitel. 

Personal-  und  Sacharrest. 

I.  Zulässigkeit  und  Zweck  des  Arrests. 

Grundsätzlich  soll  sich  ein  Kläger  der  Person  oder  des 
Gutes  seines  Schuldners  — dies  Wort  in  weitem  Sinne  genommen 
— erst  dann  bemächtigen,  wenn  seine  Befugnis  hierzu  durch 
l’rteil  des  zuständigen  Gerichts  ausgesprochen  worden  ist.  Gleich- 

•)  § I a.  a.  0. 

3)  § 2 a.  a.  0. 

3)  Goslar  Stadtr.  (um  1300),  Gflschon  70,8;  Freiburg  i.  U.  Ilarulf. 
(1243)  116,  Craupp  St.  R.  II  S.  102. 

4)  l)iat.  IIL  15  d.  1,  OrtlofT  S.  164. 

5)  Freiburg  i.  U.  Handf.  (1249)  116,  Ganpp  St.  R.  II  S.  102. 

*)  l'ber  Eger  I’riv.  (1279)  18  vgl.  oben  S.  67  Anm.  6.  Entsprechend 
entbindet  Ilrünn  SchiitTenb.  (um  1350)  14,  RüUlcr  II  S.  10,  den  Adel  von 
der  Verpflichtung,  im  Stadtgericht  der  Widerklage  zu  antworten. 

r)  Salzwedel  Recht sbr.  (1273),  oben  S.  67  Anm.  6 abgedruckt,  sowie 
der  von  Simon  S.  41  aus  Riedel  II  S.  410  Anm.  1 gebrachte  Beleg. 


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87 


gültig  ist  es  dann,  oh  der  Klager  unter  Zuhfllfenalmie  des  Gerichts 
oder,  mit  des  letzteren  Erlaubnis,  in  eigener  Person  die  Vollstreckung 
gegen  den  Schuldner  betreibt1).  Unter  bestimmten  Umständen 
darf  indessen  jene  gerichtliche  Feststellung  nachfolgen,  der 
Gläubiger  sogar  ohne  eine  auch  nur  vorläufige  gerichtliche  Erlaubnis 
gegen  seinen  Schuldner  mit  Zwang  einschreiten.  Diese  eigen- 
tümliche Erscheinung  findet  sich  namentlich  im  Stadtrecht,  bei 
Klagen  um  Schuld  gegen  Gäste,  als  sogenannter  Arrest  aus- 
gebildet; doch  tritt  Entsprechendes  auch  bei  Klagen  um  Ungericht 
und  Frevel,  sowie  bei  Klagen  um  Gut  auf. 

1.  a)  Des  Festhaltens  der  Person  eines  Gastes,  der  Un- 
gericht oder  Frevel  begangen  hat,  wird  allerdings  nur  sehr 
selten  in  anderer  als  in  der  Verbindung  mit  frischer  Tat  gedacht2). 
Auch  wo  diese  nicht  ausdrücklich  genannt  ist,  läßt  die  Fassung 
der  Quellen  immerhin  eine  ausschließliche  Bezugnahme  auf  sie 
oder  auch  auf  den  Fall  erfolgter  Verfestung  zu*).  Trotzdem  muß 
das  Festhalten  des  Gastes  wegen  veraachteten  Ungerichts  allgemein 
bekannt  gewesen  sein4).  Es  ergibt  sich  dies  mittelbar  nament- 
lich daraus,  daß  der  Marktfriede  oder  ein  speziell  erteiltes  Geleit 
den  Gast  davor  schützen  sollen,  wegen  von  ihm  begangener 
früherer  Straftaten  in  der  betreffenden  Stadt  festgehalten  zu 
werden4).  Damit  ist  zugegeben,  daß  der  Gast  sonst  wegen  eines 
Delikts,  das  er  vorher  in  oder  außerhalb  der  Stadt  verübt  hätte, 
hätte  besetzt  werden  können6).  Wo  der  Gast  wegen  Ungericht 


')  Vgl.  im  allgemeinen  Planck  II  S.  235— 238. 

*)  S.  Planck  II  S.  3(18  und  I S.  765  IT. 

3)  Lechenich  Keclitsbr.  (12711)  15,  Gengier  St.  lt.  S.  241:  Landahut 
ltochtabr.  (1279)  5,  Gengier  St.  Ii.  S.  234:  Hildesheim  Ntadtr.  (um  1300)  80, 
Doebner  U.  II.  I S.  287;  Goldberg  I’riv.  (1325)  5,  Tzschoppe  S.  511. 

4)  Vgl.  Planck  II  S.  368—370.  Eine  positive  Ausnahme  bildet  nur 
Goslar  Stadtr.  (um  1300),  Göschen  40.  24  und  47.  12,  wonach  ein  Gast 
wegen  übernächtigen  Friedbruchs  nur  vorgeladen  und  verfeatct,  nicht  aber 
besetzt  werden  darf. 

5)  S.  unten  Kapitel  V. 

*)  Vgl.  i.  U.  den  Wortlaut  des  Stadtrechts  von  Odcrnheim  (1286), 
Itühmer  Acta  nr.  454:  quod  ! n ipsius  fori  (d.  h.  eines  forum  septimattalc  die 
Mortis  frequcntandum ) die  vel  loco  nullus  hontinunt  pro  ahqua  causa  vcl  culpa 
anfiqua,  nisi  forte  codcm  die  factum  novum  emcrscrit,  qttod  tlebite  corrigendum 
dceernuuus,  possit  . . . aliqualitcr  corrocuiri  vcl  q uomodolibct  uto le stari. 


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88 


in  Person  festgehaltcn  werden  darf1),  soll  das  mit  Maßen 
geschehen 2).  — Auch  Einheimische,  selbst  wenn  sie  Vollbürger  waren, 
konnten  in  Lübeck  wegen  vormals  begangenen  Ungerichts,  und 
zwar  auch  durch  (taste,  aufgehalten  und  gefangen  gesetzt  werden’); 
ein  Gleiches  mag  von  Hamburg  gelten4;,  während  Magdeburg  sich 
ablehnend  verhält4). 

b)  Derselbe  Gegensatz  zwischen  lübischem  und  inagdeburgi- 
scliem  Recht  zeigt  sich  bei  der  Behandlung  der  Frage,  ob  das 
Gut  des  Verbrechers  besetzt  werden  dürfe,  um  ihn  zum  Er- 
scheinen vor  Gericht  zu  zwingen6).  Anderwärts  wird  sie,  wie 
in  Lübeck,  ausdrücklich  und  zwar  gerade  bezüglich  des  Gastes 
bejaht7).  Erscheint  der  Delinquent  oder  sein  Vertreter  bezw. 


■)  Köln  Schied  (1258)  Klagepunkte  IG  und  4G  des  Erzbischofs  und 
Entscheidungen  dazu,  Keutgen  Urk.  S.  159.  1 62.  168.  170:  Hamburg 

Stadtr.  (1292)  X.  10,  Lappenberg  S.  154:  sowie  die  Schreiben  von  Bremen 
an  Lübeck  (1320)  und  von  Harlingen  und  Norden  an  Köln  (um  1340). 
Lüb.  ÜB.  II  nr.  393  bezw.  Hans.  ÜB.  III  8.  443. 

*)  Soest  Stadtr.  (vor  1200)  21,  Keutgen  Urk.  S.  141;  Stade  erzb. 
l’riv.  (1259),  Pufendorf  II  App.  V S.  159.  Die  Frage,  ob  der  besetzte  Gast 
die  Haft  durch  Bürgenstellung  abwenden  dürfe,  behandelt  und  bejaht  ledig- 
lich das  in  der  vorigen  Anm.  erwähnte  Schreiben  von  Bremen,  entsprechend 
der  1255  vom  bremensehen  Vogt  und  Bat  an  die  Gräfin  von  Flandern  er- 
teilten Zusicherung  (Khmck  1 S.  305). 

3)  Lübeck  Weist,  für  Elbing  (vor  1300?)  B II,  Stubbe  Beitr.  S.  165, 
und  zwar,  ohne  Fluchtverdacht  zu  fordern.  Anders  in  letzterer  Beziehung 
die  lübischrechtliche  Bearbeitung  der  Rechtsmitteilung  von  Halle  an 
Neumarkt  (1235)  6 bei  Homejer  Extrav.,  Laband  Ktju.  S.  8,  die  aber 
möglicherweise  durch  § 34  (s.  unten  Anm.  5)  der  Rechtsmitteilung  beein- 
tlulSt  ist. 

*)  Obwohl  Hamburg  Stadtr.  (1270)  IX.  8,  Lappenberg  S.  153,  anders, 
als  Planck  II  S.  386  anzunehmen  scheint,  zunächst  nur  Besetzung  wegen 
Schuld  im  Auge  hat. 

*)  Hallesche  Rechtsmitt,  an  Neumarkt  (1235)  6 und  34.  Laband  RQu. 
S.  8 und  11,  lallt  Festhalten  der  Person  des  Verbrechers  nur  bei  Flucht- 
verdacht zu.  Dieses  letzte  Erfordernis  lällt  später  lallen  sächs.  Weichbild  27 
§§  1 und  2,  Daniels  (4L  S.  103,  woselbst  der  Verbrecher  indessen  znr  Bürgen- 
stellung verstattet  wird. 

6)  Hallesche  Rechtsmitt,  an  Neumarkt  (1235)  6 und  34,  Laband  RQu. 
S.  8 und  II,  sowie  lübischrechtliche  Überarbeitung  dazu  (siehe  oben 
Anm.  3). 

7)  Bezüglich  der  Eingesessenen  aber  verneint:  Lüneburg  Priv.  (1247), 
Ducbner  Städtcpriv.  S.  28,  und  Uelzen  Rechtsbr.  (1270;  5 und  6,  (jenglcr 


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80 


Erbe  nicht  binnen  bestimmter  Frist,  so  verfallt  das  besetzte  Gut 
der  Stadt  und  dem  Richter. 

2.  Bei  Klagen  um  Gut  tritt  der  Anefang,  das  Festhalten 
des  Streitobjekts,  in  den  Vordergrund.  Doch  auch  die  Person 
des  zu  Beklagenden  kann  besetzt  werden,  namentlich,  wenn  er 
ein  Gast  ist1). 

3.  Der  durch  Personal-  oder  Sacharrest  für  den  Schuldner 
herbeigeführte  Zwang,  sich  im  Forum  der  Zwangsgewalt  zu  ver- 
antworten, und  die  mittelbar  daraus  entspringende  Folge  einer 
Sicherung  der  Vollstreckung  für  den  Gläubiger  war  im  mittel- 
alterlichen Stadtrecht  von  besonderer  Wichtigkeit  bei  den  Klagen 
um  Schuld.  Schon  oben*)  ist  darauf  hingewiesen,  wie  Planck 
mit  Recht  im  Personalarrest  die  ursprüngliche  und  prinzipale  Form 
des  deutschen  Arrestes  erkannt  hat.  Gerade,  soweit  es  sich  um 
Ausbringung  des  Arrestes  gegen  Gäste  handelt,  steht  in  den 
Quellen  schon  rein  quantitativ  der  Personalarrest  im  Vordergründe, 
während,  wie  gleichfalls  oben3)  ausgeführt  wurde,  sich  in  der 
älteren  Zeit  noch  Spuren  eines  Verbotes  des  reinen,  gegen  Gäste 
auszubringenden  Sacharrestes  nachweisen  lassen. 

a)  a.  Der  Personalarrest  gegen  Gäste  hat  zwei  Voraus- 
setzungen. 

Voraussetzung  ist  einmal  das  Bestehen,  wenigstens  das  be- 
hauptete Bestehen  einer  S c h u 1 d v e r b i n d 1 i ch  k e i t des  Gastes.  Ob  sie 
auch  bedingt  oder  betagt  sein  durfte  oder  ob  sie  fällig  sein  mußte, 
ist  gerade  mit  Bezug  auf  Gäste  nicht  ausdrücklich  vorgeschrieben. 
Oder,  richtiger  ausgedrückt,  die  wenigen  Fälle,  in  denen  das 
Ausbringen  des  Arrestes  tatsächlich  an  die  Bedingung  der  Fällig- 
keit der  betreffenden  Forderung  geknüpft  wird4;,  beziehen  sich 

St.  R.  S.  49(i.  Vgl.  dazu  Planck  I S.  13!)  bei  Anm.  13  und  14,  sowie 
S.  40«.  407. 

*)  S.  oben  S.  70  und  71. 

s)  S.  41  in  und  bei  Anm.  4. 

3)  S.  57  und  58,  sowie  S.  42. 

4)  Mühlhausen  Stadtr.  (1230 — 1250),  Herquct  S.  «21:  sal  iman  von 
dun  i lande  emi  ttnsimi  burgeri  ge/di  hmne , biseil  he  den  hinne  unde  i z di  las 
irgen , diu  seipgeldm  mae  he  zech  u/haldi  mit  mi  riehtcri  edir  mit  sime  betin; 

Breslau  Rechtss.  f.  Cilogau  (1280.  4,  Korn  S.  49;  Freienwalde  l’riv.  (1338), 
Riedel  I.  XVIII.  S.  111  nr.  22:  ca/itati  dedimus  eomtitutionem , nt  quicunque 


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90 


auf  solche  Gäste,  die  in  näherer  Umgebung  der  Stadt  auf  dem 
Lande,  die  mit  den  Bürgern  in  einem  und  demselben  Territorium 
wohnen.  Sollte  hier  eine  Beschränkung  der  an  sich  geltenden 
Itegel  vorliegen,  so  mögen  Rücksichten  auf  die  Nähe  des  Wohnorts 
in  gleicher  Weise,  wie  wir  das  bei  anderen  Gelegenheiten  beobachten 
können'),  eingewirkt  haben.  Als  Regel  dürfte,  freilich  erst  für 
die  spätere  Zeit,  anzunehmen  sein,  daß  auch  bei  noch  nicht  existenter 
Forderung  der  Gast  festgehalten  werden  konnte.  Denn  wenigstens 
bezüglich  des  Sacharrestes  gegen  angesessene  Einheimische  wird 
einmal  angedeutet,  daß  er  auch  wegen  noch  nicht  fälliger  Forderung 
zulässig  sei,  wofern  der  Schuldner  voraussichtlich  zur  gericht- 
lichen Verhandlung  (wegen  Krankheit)  überhaupt  nicht  werde 
erscheinen  können J). 

Als  causa  arresti  ferner  genügt,  mindestens  in  früherer  Zeit, 
bei  Gästen  die  vom  Gläubiger  behauptete  Gasteseigenschatt,  der 
Mangel  eines  für  sie  beim  Forum  der  Zwangsgewalt  begründeten 
ordentlichen  Gerichtsstandes.  Rücksicht  auf  das  in  diesem 
Gerichtsbezirk  etwa  vorhandene,  möglicherweise  sogar  unbewegliche 
Vermögen  des  Gastes  ist  zunächst  kein  Hinderungsgrund  des 
Personalarrestes3).  Es1' verlohnt  sich,  zur  Erläuterung  dieses  zweiten 
Punktes  die  Regeln  mit  heranzuziehen,  die  den  gegen  Bürger 
und  ständige  Stadteinwohner  auszubringenden  Persunalarrest 
zum  Gegenstände  haben. 

Auch  hier  natürlich  ist  erste  Voraussetzung  das  Bestehen 
einer  vom  Gegner  zu  behauptenden  Schuld4),  wobei  — wie  hier 
ein  für  alle  Mal  hervorgehoben  werden  mag  — es  gleichgültig 
ist,  ob  der  Gegner  ein  Bürger  oder  aber  ein  Gast  ist8).  Die 

villanorum  terre  acht c nkage n . kerko w,  wrienwa/dis  et  eweryn  bona 
predictorum  ceviutn  aceonodteverit  et  si  termino  pe  rsolue io  nis  Jebito  non 
persolverit  et  in  eivitate  repertus  fuerit,  . . . ad  iudieium  trahatur  satisfaciendo 
debitis  pro  eisdem.  Vgl.  auch  ltrüun  Stadtr.  (nach  1300)  39,  Rößler  II  S.  3G1. 

■)  Vgl.  oben  S.  20,  S.  56  Am».  4 a.  E.  und  unten  Kapitel  VI. 

J)  Magdeb.  Fragen  II.  2 d.  10.  llchreud  S.  160. 

3)  Vgl.  aber  unten  S.  94  f. 

4)  Vgl.  oben  bei  Anm.  2. 

5)  Das  einzige  positive  Vcrbnt  eines  von  Gästen  gegen  Bürger  auszil- 
briugciidcn  (Sach-!)  Arrestes  enlhält  Kiscnach  Priv.  Krn.  (1283)  7,  tiaupjt 
St.  II.  I s.  199:  r/nod  nutlus  exiraneus  nostros  eh’es  vet  vadimonw  seu  causa  iDir 
venliouali  a/iaua  impngnarc  praesumat,  nisi  prima  toram  nostro  villico  et  scabinis 


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91 


zweite  Voraussetzung,  eine  spezielle  causa  arrest.i,  ist  nicht  überall 
gleichartig  ausgebildet  worden.  Uneingeschränkt  war  der  Personal- 
arrest überall  zulässig,  wenn  der  einheimische  Schuldner  um  seiner 
Verbindlichkeiten  willen  tatsächlich  Veranstaltungen  zur  Flucht  traf: 
nullntt  civium  nostrorum  /totest  alii/uriH  concicem 
siniin  infra  advocutiu in  occupare  vel  bona  eius,  nisi  ipsc 
sit  causam  suam  covam  adoocato  e.recutus,  nisi  i/>se  sit  jirn- 
fuejus '). 

Lediglich  die  für  längere  Zeit  ins  Werk  gesetzte  Abreise 
dagegen  lieiLlt  öfters  ein  nicht  zureichender  Grund2);  und  auch 
da,  wo  sie  die  Arrestanlage  an  sich  rechtfertigt *),  wird  diese  für 
den  Gläubiger  zuweilen  mit  gewissen  Einschränkungen  verknüpft4). 

nostris  ifsos  in  /mit  iui/iiii  conveniat.  Aber  25  ebenda  verbietet  den  Arrest 
gegen  Bürger  allgemein,  also  auch  den  eigenen  Mitbürgern,  und  (Personal- !) 
Arrest  gegen  Gäste,  den  die  Bürger  jedenfalls  ausübten,  wird  nach  37 
auch  den  Gästen  zugelassen.  Sonst  linden  sich  keine  Anhaltspunkte  dafür, 
daß  in  der  Ausbringung  des  Arrestes  die  Gäste  hinter  den  Bürgern  zurück- 
gesetzt  worden  wären.  Braunschweig  Stadtr.  (1401)  78  mit  70,  Hänsel- 
mann I S.  108,  verlangt  lediglich,  daß  der  Gast  den  Personalarrest  gegen 
den  (flüchtigen)  Bürger  stets  mit,  nicht,  wie  der  Bürger,  auch  am  geruhte 
vollfnhre.  Vgl.  auch  Magdeb.  Kragen  II.  2 d.  3a,  Bohrend  S.  156. 

')  Hildesheim  Stadtr.  (1249)  49,  Doebner  U.  B.  I S.  105,  und  (um 
1300)  46,  ebenda  S.  283.  Vgl.  Goslar  Aufs.  üb.  d.  Schultb.  Amt  (14.  Jabrh.), 
Göschen  110,  13:  Magdeb.  Kragen  II.  2 d.  20,  Bchrcnd  S.  H!7,  und  Braun- 
schweig Stadtr.  (1401)  79  und  78.  Hänselmann  I S.  108.  Auch  Sacharrcst 
ist  in  solchem  Kalle  natürlich  z.ulässig  und,  wenn  die  Klucht  gelungen,  das 
einzig  Mögliche  (s.  unten  S.  98). 

*)  Halberstadt  Stat.  (1370—  1400)  35,  Haiberst.  U.  B.  I nr.  686, 
allerdings  unter  spezieller  Beziehung  auf  Sacharrcst:  wer/  ok , dat  eyn  unser 
hurgere  emuech  toghe  edder  emueeh  /een  weide  und/  nicht  hauten  Trelde,  dat  Zu 
sculdieh  wert,  wur  men  des  avtruundkh  wurde,  dat  he  cn  wech  bringen  wo/de,  dat 
he  htdde,  des  gut  stöhle  men  hindern  liker  u’is  alse  eyne/n  gaste , id  enwtre  denn e, 
dat  he  sek  des  ledegen  weide  mid  rechte , dat  he  dorch  sculde  willen  nirgen  teen 
wolde , dat  scolde  men  von  eme  neuien.  Ähnlich  muß  in  Braunschweig  Stadtr. 
(1401)  79,  Hänselmann  I S.  108,  der  Bürger,  der  seinen  Mitbürger  aufhält, 
alsbald  sveren , dat  he  yd  do  doteh  angst  syner  schult,  o/ft  de  sehuldener  des  nycht 
wel  waberen  also  langhe  went  he  dat  ruhte  hebben  moghe. 

3)  Erfurt  Stat.  (1329),  Walch  II  S.  32,  mit  spezieller  Beziehung  auf 
Sacharrcst. 

*)  Magdeburg  Kcchtsmitt.  an  Breslau  (12l!l)  31,  Eaband  ItQu.  S.  18: 
ist  iz  also, ' dat  ein  man  beteuerten  oder  eines  kan/es  varen  wil  beizen  lindes,  wil  den 
Je  man  hinderen  un/be  schult,  der  ne  mach  ist  tun  nicht,  her  ne  nnt'.f  ne  men  sin  recht  vor 


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92 


Wenn  von  diesen  Fällen  einer  tatsächlichen  Begründetheit 
gänzlichen  oder  doch  längeren  Fernbleibens  des  Schuldners  von 
der  Stadt  abgesehen  wird,  soll  zunächst,  wie  unstreitig  ist,  gegen 
Bürger,  die  mit  Eigen  und  Erbe  angesessen  sind,  kein  Arrest  aus- 
gebracht'),  ein  Zwang  zur  Bürgenstellung  nicht  ausgeübt  werden*). 
Denn  Mangel  bestimmten  Vermögens  des  Bürgers  und  des  stän- 
digen Mitwohners,  namentlich  auch  Minderwert  der  schuldneriscben 
Immobilien  gegenüber  dem  Betrag  der  gläubigerischen  Forderung, 
ist  ursprünglich  kein  allgemeiner  Arrestgrund.  Noch  in  Freiberg  ') 
heißt  es: 

ist  ein  man  besetzen  unde  wirt  heklait  umme  silbi-r  unde 
Inikent  he  des,  der  darf  keinen  bürgen  setcen  rar  daz  recht, 
wen  he  besetzen  ist  unde  schozzet  unde  wachet.  He  darf  ouch 
nicht  keine  bewtsunge  tun,  daz  he  so  u-ol  besetzen  si, 
als  he  im  schult  gibet,  wend  he  im  Inikent  unde  nicht  ver- 
wunden ist.  Man  sal  in  bescheiden  in  duz  nehiste  dinc. 
Hierin  liegt  zugleich  der  Nachweis  der  Unrichtigkeit  der  von 
Planck4)  vertretenen  Anschauung,  es  sei  unbedingt  „ein  jeder  nicht 
mit  Erbe  oder  Eigen  ansässige  Mitbürger  für  unsicher  angesehen 
und  daher  der  Arrest  gegen  einen  solchen  ohne  eine  besondere  im 
konkreten  Falle  nachgewiesene  causa  arresti  zugelassen“  worden. 
Nur  das  hamhurgische 5)  und  müh  Ihausen  sehe 6),  möglicherweise  auch 
das  magdeburgische  Recht7)  könnte  zur  Rechtfertigung  herange- 

simc  ruhtere,  d.  h.  di:r  Gläubiger  muß,  wenn  er  den  Arrest  ausbringt,  bereit 
sein,  auf  Wunsch  des  arrcstiorten  Hfirgers  unverzüglich  seine  Forderung  vor 
dum  Richter  cinzuklagen.  Vgl.  unten  Kapitel  VI. 

')  Vgl.  Planck  II  S.  373.  S.  auch  oben  S.  91  bei  Amn.  1. 

*)  Münster  Stadtr.  (1221)  47,  Keutgen  Urk.  S.  153:  NmUus  eins  tractus 
in  iudicium  pro  deiitis  ponet  fideiussortm  suo  ch’i,  nisi  a prinäpio  posuerit. 

•’)  Stadtr.  (1296 — 1307)  II  § 9,  finnisch  S.  46.  Über  die,  den  ander- 
wärts sog.  ständigen  Mitwohncr  mitumfassende  Bedeutung  des  Wortes  btsnun 
in  Freiberg  vgl.  oben  S.  6 Anm.  5 und  S.  12  bei  Anm.  3 — 5,  sowie  S.  16  bei 
Anm.  1 und  2. 

4)  II  S.  373:  vgl.  unten  S.  94  und  95. 

5)  Unten  S.  94  bei  Anm.  2 und  3. 

*)  S.  unten  S.  97  bei  Anm.  2. 

7)  Hechtsbuch  von  der  Gerichtsverfassung  XXVII  § 1,  I.abaml  RQu. 
S.  68:  die  Stelle  ist  dein  vor  1269  entstandenen  Itechtsbuch  später,  wahr- 
scheinlich erst  im  14.  Jahrhundert,  zugefügt  werden  (ebenda  S.  41—47).  S. 
auch  sächs.  Weichbild  34,  Daniels  Gl.  I S.  109. 


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93 


zogen  werden.  Im  Übrigen  wird  zu  Gunsten  sogar  der  einfachen 
ständigen  Mitwohner  das,  was  Lüneburg ')  vom  Sacharreste  sagt: 

rolunius,  i/nod  udracatus  Willi  in  Inte  riritatr  manenti 
bona  mui  occupet  rel  impediat  vllo  modo,  quam  diu  iustitinm 
fttrere  mit, 

auch  bezüglich  des  Personalarrestes  häutig  ausgesprochen,  zum 
Beispiel  in  Braunschweig*),  Freiberg3),  Goslar*)  und  Brünn'). 
Insofern  also  ist  Meiboms')  Verwerfung  unbedingten  Arrestrechtes 
des  Gläubigers  gegen  nicht  erbgesessene  Mitbürger  oder  Mitwohner 
zutreffend,  wenngleich  gerade  die  Stelle  der  Magdeburger  Fragen, 
auf  die  Meibom  sich  stützt: 

ei/n  ungewiss  man,  her  teere  egn  gast  ader  egn  bürgrr,  der 
näht  stehende  erbe  enhette  noch  so  eil  varnder  habe1), 
keine  sichere  Grundlage  dafür  abgibt.  Denn  der  ungewiss  man 
ist  als  klagender  Teil  gedacht,  über  die  Stellung  von  Bürgern 
und  Gästen  in  der  Stellung  des  Beklagten  läßt  sich  aus  dem  Satze 
also  unmittelbar  nichts  schließen.  Jedenfalls  aber  wird,  wenn 
man  einen  solchen  Schluß  ziehen  will,  in  der  letzterwähnten 
Stelle,  gegensätzlich  zu  den  oben  genannten"),  Nachdruck  auf 
eine  bestimmte  Hübe  und  Art  des  Vermögens  des  Schuldners  ge- 
legt, die  Ausbringung  des  Arrestes  also  im  Gegensatz  zu  früherer 
Zeit  bereits  lediglich  auf  die  Vermutung  hin  gestattet,  daß  der 


')  Herz.  Priv.  (1247),  Docbncr  Städtopriv.  S.  28. 

a)  Ottonianum  (13.  Jahrh.)  15  mit  21,  Hänselmann  I S.  5:  Ein  Mann 
aus  der  Stadt,  der  ane  wert  ist  (21),  soll  im  Gegensatz  zu  dem  außerhalb 
der  Stadt  wohnhaften  Schuldner  (15)  erst  dann  aufgch&ltcn  und  vor  den 
Kichter  geführt  werden,  wenn  er  drei  ordnungsmäßigen  Ladungen  nicht 
Folge  geleistet  hat : es  handelt  sieh  hier  also  um  Zwang  gegen  den  bereits 
Ungehorsamen  (vgl.  Planck  II  S.  276  boi  Amu.  8). 

3)  Oben  S.  92  in  und  bei  Anm.  3,  sowie  Stadtr.  XXXV  § 16.  18.  Er- 
otisch S.  220.  221. 

4)  Stadtr.  (um  1300),  Göschen  63,  20:  Laien,  die  sich  in  geistlichem 
Hause  in^imnetiet  Iiabi'l),  sollen  vorgeladen  (vereinten)  werden,  während  ihr 
Gesinde  und  in  ihrer  Hand  befindliches  Gastgut  besetzt  (beseiten)  werden  darf. 

5)  Schöffenb.  (um  1350)  125,  Kodier  II  S.  64;  s.  oben  S.  6 Anm.  5. 
Falsch  Planck  II  S.  379.  der  proprium  rtsidenlbm  als  eigenen  Grundbesitz 
versteht.  S.  auch  unten  S.  94  Anm.  4. 

«)  S.  157  f. 

’)  II.  2 d.  4,  Hehrend  S.  157. 

8)  Oben  bei  Anm.  1—5  und  S.  92  bei  Anm.  3. 


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94 


Schuldner  infolge  mangelnden  Vermögens,  namentlich  mangelnder 
Immobilien,  sich  seinem  ordentlichen  Gerichtsstände  entziehen  werde. 

Am  entschiedensten  und  frohesten  gelangt  die  erwähnte  Ver- 
mutung, vom  Mühlhausensehen  abgesehen '),  in  dem  Satze  des 
Hamburgischen  Rechts  zum  Ausdruck: 

ei/«  ieirelil • man  unbeneten  mit  eree  schal  borgen  netten 
rnr  schult , de  men  eine  gijt  ....  Mer  ne  hecet  en  man  neuen 
borgen,  no  xc/tal  de  woltbode  ene  fetten  in  dat  gseren  wente 
to  deine  negesten  dinge 

desselben  Rechts,  das,  sobald  es  sich  um  einen  erbgesessenen  Voll- 
bflrger  handelt,  nicht  einmal  den  Sacharrest  gegen  ihn  zuläßt: 

it  ne  schal  ne  man  tin.se s borghers  gut!  beseiten,  de  erce 
hecet  unde  egen;  unde  deif  </«/•  ieinan  enboren , dat  schal 
he  beferen  mit  dren  punden 3). 

Allgemeiner  noch  befreit  Kleve4)  nicht  allein  den  ständigen 
Mitwohner,  sondern  auch  den  Vollbflrger  nur  dann  vom  Arrest, 
wenn  er  im  Gerichtsbezirk  hinreichendes  Vermögen  (guet)  besitzt. 
Und  von  diesem  Standpunkt  aus  ist  es  schließlich  zu  erklären, 
wenn  nunmehr  auch  Gäste  dann  vom  Arrest  befreit  bleiben,  wenn 
sie  durch  geeignete  Vermögensmassen  innerhalb  des  auswärtigen 
Gerichtsbezirks  Sicherheit  für  ihr  Erscheinen  zur  mündlichen  Ver- 
handlung auch  im  Forum  der  Zwangsgewalt  zu  bieten  scheinen. 
Schon  eine  so  allgemeine  Vorschrift  wie: 

man  sal  in  kci/nie  geeichte  ymande  sin  legende  gud  be- 
seelen noch  erbe  noch  sine  Jarnde  habe,  diin/le  er  czn  sinen 
schulden  domete  genug  besessen  ist i), 
braucht  nicht  nur  auf  < Jerichtseingesessene  bezogen  zu  werden. 
Jedenfalls  aber  ist  es  unnötig,  den  Satz  des  Hamburgischen  Rechtes: 
ghift  en  inan  dem  anderen  schult  uinme  gelt  unde  esschet  cm 
borghen  to  unn  hegt  de  andere  also  celc  erces  bgnncn  der  stat 

')  Unten  S.  1)7  bei  Anin.  2. 

-’)  Stadtr.  (1270)  IX.  8,  Lappenberg  S.  1.73. 

3)  Stadtr.  (1270)  IX.  11,  Lappenberg  S.  1.73:  vgl.  unten  S.  95  bei  Anm.  1. 

4)  Stadtr.  Buch  (nach  1424)  90  § 3 und  4,  ZUG.  10  S.  234.  und  dam 
9.7  § 1 (ebenda  S.  232)  und  109  § 1 (ebenda  S.  239)  Vgl.  oben  S.  11. 

4)  Bist.  III.  4 d.  14,  OrtlulT  S.  144.  — Vgl.  oben  S.  93  bei  Anm.  7, 
woselbst  der  letzte  Relativsatz  auch  auf  sw/  zu  beziehen  ist,  was  in  der 
Lesart  des  Kod.  Br.:  tyu  ungaeis  man,  , ast  n,tir  tutrger,  der  II.  s.  \v.,  noch  deut- 
licher hervortritt. 


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95 


also  de  schult  is  deinen  eine  gift  he  en  dorff  nene  horghen 
seiten,  dwymjhet  he  ene  dar  orer  dat  schal  he  beferen  mit  drgn 
jiunden *_), 

mit  Planck*)  lediglich  von  erbgesessenen  Bürgern  zu  verstehen, 
da  bezüglich  dieser  irgendwelcher  Zwang  überhaupt  ausgeschlossen 
bleiben  sollte3)  und  ferner  auch  (laste  in  Hamburg  in  Besitz  von 
Erbeigen  kommen  konnten  *).  Auch  in  Duderstadt  sollte  der 

Personal-  oder  Sacharrest  gegen  rüdere , hnecht  oder  bur  nur  zu- 
gelassen sein,  wenn  sie  in  der  Stadt  kein  (unbewegliches?)  Gut 
besaßen : 

Weh-  man  in  vnseme  richte  negn  giid  enhe/t,  dar  man  up 
cfagen  möge,  unde  eyneni  unser  hurgher  schuldich  ist,  de.  mach 
en  eder  sin  gut  uphalden  cor  sin  ghelt 5). 
ß.  Als  Zweck  des  gegen  Gäste  ausgebrachten  Personalarrestes 
wird,  wie  auch  späterhin  sehr  häufig,  so  schon  in  alter  Zeit  be- 
zeichnet, den  Schuldner  festzuhalten, 

(ftiowupie  (lebitum  solcat  aut  per  senlentiam  ecadat 6), 
donec  solcat  cel  insticiam  e.rhibeat7). 

In  der  Tat  scheint  dem  Schuldarrest  ursprünglich  ledig- 
lich der  Gedanke  zu  Grunde  gelegen  zu  haben,  den  schuldigen 
Gast  selbst  unbedingt  festzuhalten,  um  ihn  dem  Gerichte 
zur  Verhandlung  des  Streites  persönlich  vorführen  zu  können,  die 
dann  entweder  mit  der  Verurteilung  des  Beklagten  zur  Zahlung 
oder  mit  der  Abweisung  der  Klage  endigte.  Daß  von  vornherein 
ein  Anspruch  des  Klägers  darauf  bestand,  daß  der  Gast  sein  Er- 
scheinen zur  Verhandlung  durch  Bürgen  u.  dgl.  sicher  stelle,  und 
daß  erst,  falls  der  Gast  dies  nicht  gutwillig  tat,  der  Arrest  ein- 
treten  und  jenen  Anspruch  realisieren  sollte,  ist  nicht  wahrschein- 


')  Stadtr.  (1270;  IX.  12.  Lappenberg  S.  153;  s.  oben  S.  94  bei  Anm.  2 u.  3. 
■')  II  S.  373.  379. 

3)  S.  oben  S.  94  bei  Anm.  3. 

*>  Stadtr.  (1270)  Anhang  5,  Lappenberg  S.  72,  und  (1292)  K.  23,  eben- 
da S.  122. 

s)  Jäger  nr.  14. 

,;)  Braunschweig  Kerht  des  Hagen  (12,  Jahrli.)  14,  Keutgcn  Vrk. 
S.  178.  Vgl.  dazu  13  und  Ottonianuni  (13.  Jahrli.)  15,  llänselniann  I S.  5: 
wante  he  ime  vermelde  ofte  rechtes  p/egr. 

•)  Parchiin  Stadtr.  Bcwidm.  (1225  2li)  (i,  Meck!.  t'B.  I S.  311. 


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lieh.  Schon  oben ')  wurde  ausgeführt,  wie  das  Festhalten  der 
Person  des  Gastes  vornehmlich  bezweckte,  einen  Gerichtsstand  zu 
begründen , der  ohnedies  nicht  vorhanden  gewesen  wäre.  Ein 
Recht  des  Gläubigers  auf  Sicherstellung  konnte  also  begrifflich 
in  solchen  Fallen  zunächst  garnieht  bestehen.  So  erscheint  denn 
auch  die  Sicherstellung,  die  der  Gast  mit  Hülfe  von  Rfirgen  und 
dgl.  vornimmt,  in  der  Regel  nicht  als  des  Gläubigers,  sondern 
als  sein  eigenes  Recht,  mittels  dessen  er  den  Gläubiger  zwingt, 
seine  Person  freizugeben.  Ausdrücklich  wird  der  Gräfin  von 
Flandern  vom  Vogt  und  Rat  zu  Bremen  versprochen: 

( ’alumpniatus  Je  Ute  vel  alia  re  non  in  vinrulin  teneatur, 
ei  Jure  colverit  jideiuntorem  ydoneum , vel  tot  bona  habeat  ibi- 
dem, </uod  raleant  suam  emendam,  dum  modo  de  hoc  conetare 
jioesit  per  dune  dein oe  euoe  non  euepectos 
Und  wenige  Jahre  später  muß  dieselbe  Gräfin  von  Flandern 
Hamburg  gegenüber  ausdrücklich  bemerken: 

merratoree  Flandreneee  apud  Hamburg  arreetari  non  pote- 
runt  nee  cupticari  ocraeione  alicuiue  (juerimonie,  de  qua  parati 
fuerint  Jure Jideiueeoree  eufjidenb*  aut  pignora  ad  valorem  queri- 
monie  rompdentia  ad  e.repectandum  ibidem  iuetiriam  eiee  legem3). 
Daß  in  der  Tat  auch  noch  in  späterer  Zeit  die  Sicherstellung 
als  ein  Recht  des  Gastes  aufgefaßt  wurde,  geht  nicht  nur  aus 
der  ausdrücklichen  Fassung  der  Quellen  hervor*),  sondern  folgt 
mittelbar  auch  daraus,  daß  dem  beklagten  Gast,  der  arrestiert 
worden  ist,  ein  Gastgericht  bewilligt6)  und  als  Motiv  dieser  Be- 
vorzugung unterweilen  ausdrücklich  angegeben  wird,  daß  er  keine 
Bürgen  für  sein  Erscheinen  im  ordentlichen  Ding  zu  setzen  im 
Stande  sei.1’) 

')  S.  41  IT.  und  S.  55  ff. 

3)  1 1255),  Khmck  I S.  305. 

3)  (1208),  J.  M.  Lappenberg,  Hamburg.  ITrk.  liueb.  Hamburg  1842. 
S.  «01. 

')  Riga  umgoarb.  Stab,  (um  1300;  II.  9 § 1,  N apiei'sky  S.  154:  liesot zt 
der  Gläubiger  den  von  auswärts  kommenden  Schuldner  mit  umlhorde  drs 
voghedes,  rinde  ‘eil  de  wert  Irren  vor  de  senlt,  dar  sal  he  sie  an  ghenoghen  laten . 
also  vere  alse  de  wert  wisse  noch  is.  Ähnlich  Kleve  St  mit  r.  Huch  (nach  1424) 
109  § 1,  ZRG.  10  S.  239. 
s)  Lnten  Kapitel  VI. 
s)  I nten  Kapitel  VI. 


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97 


Diese  Unmöglichkeit  oder  doch  große  Schwierigkeit,  Sicherheit 
zu  beschaffen,  bestand  in  sehr  vermindertem  Grade  für  die  eigenen 
Gerichtsgenossen  des  Klägers.  Umsomehr  konnte  letzterer 
von  ihnen,  die  in  ihrem  allgemeinen  Gerichtsstände  zu  erscheinen 
von  vornherein  verpflichtet  waren,  beim  Vorliegen  der  nötigen 
Voraussetzungen  eine  Sicherstellung  dieser  ihrer  Verpflichtung 
unter  eventuellem  Arrestzwang  beanspruchen.  In  charakteristischer 
Weise  faßt  das  Stadtrecht  von  Mühlhausen  den  Gastarrest  als  ein 
Festhalten  der  Person  des  Schuldners  lediglich  zum  Zwecke 
der  Sachverhandlung  auf1),  während  es  vom  nicht  beerbten  Stadt- 
bewohner heißt: 

liet  ein  man  enim  man  sin  guit  zu  eime  tage,  so  inmac 
he  un  vor  ditni  tage  wedir  zu  phandi  noch  zu  burgin 
geticinge.  Kumit  abir  di  tue  tvi/ri  vnde  ist  he  nicht  ein 
bizezzin  man,  so  sal  he  diz  richteris  genize,  daz  he  umi 
gebt  phant  edir  phenninge •). 

Dieser  prinzipale  Anspruch  des  Gläubigers  auf  Sicherstellung,  wie 
er  namentlich  auch  im  Magdeburgischen  Rechte  ausgesprochen 
wurde 3),  mußte  späterhin,  als  schon  die  bloße  Anwesenheit  des 
Gastes  im  auswärtigen  Gericht  daselbst  einen  Gerichtsstand  für 
ihn  begründete4),  auch  dem  Gast  gegenüber  Platz  greifen.  So 
heißt  es  ausdrücklich  in  Eger  von  dem  e.rlraneus: 

ubicumque  civis  debitorem,  preterquam  in  ecclesia,  balneo  et 
taberna  convenerit,  iudex  tenelur  sibi  ibidem  pro  debitis  iudi- 
care  ipsum  ßdeiussoribus  vel  quocunujue  modo  certijicando s). 
Und  im  Rechtsbuch  nach  Distinktionen  wird,  allerdings  nach  so- 
eben vorausgegangener  Klage  des  Gastes,  dem  Widerkläger  ver- 
stattet,  er  möge  den  Gast 

an  der  stenden  stad  bedingstadeln,  daz  ist,  daz  he  bürgen 
sal  seczen,  czu  deine  nesten  dinge  icedder  zeu  antworten,  ab 


')  Der  Anfang  der  Stelle  ist  oben  S.  89  Anm.  4 abgedruckt. 
a)  Stadtrecht  (1230—1250),  Herquet  S.  032. 

3)  Magdcb.  Bresl.  syst.  Sch.  K.  1.22,  Laband  S.  9.  Vgl.  auch  Frei- 
berg Stadtr.  (1206  — 1307)  II  § 9 mit  XXXV  § IG.  18,  Ermisch  S.  46 
bzw.  220. 

4)  Oben  S.  41.  42  und  auch  S.  Gl. 

*)  Eger  Priv.  (1279)  19  mit  18,  (laupp  St.  K.  I S.  192. 

Budorff,  Rechtsstellung  der  Gante  7 


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98 


her  (d.  li.  der  Gast)  zcu  deme  gedinge  gesessen  ist,  daz  ist  in 

rir  milen.  Had  he  nbir  nicht  bürgen,  unde  tud  he  einen  eyd 

dorren,  so  mu;  her  zeu  hunt  antworten *). 

7.  Eine  Trennung  des  Verfahrens,  über  die  Rechtfertigung 
der  erfolgten  Arrestanlage  einerseits  und  über  die  Begründetheit 
speziell  der  Hauptforderung  andererseits  ist  dem  deutschen  Rechte 
damaliger  Zeit  so  gut  wie  unbekannt2).  Über  beides  wird,  nament- 
lich auch  im  sog.  gastgerichtlichen  Prozeß,  zusammen  verhandelt 
nnd  entschieden. 

b)  Die  Voraussetzungen  des  Bacharrestes  gegen  Gäste  und 
gegen  Einheimische  unterscheiden  sich  nicht  von  denen  des 
Personalarrestes. 

Der  Sacharrest  gegen  Bürger  wird  namentlich  dann  betont, 
wenn  sie  wegen  ihrer  Schulden  flüchtig  geworden  sind*).  Goslar 
hält  auch  an  dieser  ursprünglichen  Voraussetzung  als  an  einer 
ausschließlichen  fest  •),  wahrend  anderwärts  schon  die  länger  dauernde 
Entfernung  des  schuldigen  Teiles  genügt,  um  einen  Arrest  gegen 
hinterlassene  Vermögensstflcke  zu  rechtfertigen5).  Allerdings  werden 
in  diesem  zweiten  Falle  so  viele  Kautelen  gegen  eine  mißbräuch- 
liche Ausbringung  und  zu  Gunsten  einer  Wiederaufhebung  des 
ausgebrachten  Arrestes  geschallen,  daß  der  Arrest  wegen  Flucht 
des  Schuldners  tatsächlich  sehr  überwogen  haben  muß6).  Im 
Übrigen  durften  auch  hier  ständige  Mitwohner,  wofern  sie  keine 

')  III.  15  ,1.  I.  OrtlolV  8.  164. 

s)  Kino  Art  von  sofortiger  Vorverhnudlung  über  die  causa  arresti 
stellen  höchstens  die  oben  S.  !I1  Anin.  2 abged  ruckt  Oll  Stellen  dar,  in  denon 
aber  Bürger  die  Arrestierten  sind.  In  Itist.  III.  15  d.  1,  oben  bei 
Anni  I.  bandelt  es  sieb  nicht  um  eine  Verhandlung  über  die  Verpflich- 
tung zur  Hiirgeustellung.  sondern  über  des  Vorhandensein  geeigneter 
Bürgen. 

»)  Mngdeb.  Itresl.  syst.  Seh.  H.  III.  2 d.  68  und  70,  Kaliand  S.  69: 
Hürde  Kechtsbr.  (1340)  9.  tlengler  St.  11.  S.  198:  Lünen  Hechtsbr.  (1811)9, 
v.  Steinen  IV  S.  239. 

*,  Slndtr.  (um  13t KJ),  Göschen  67.  14.  Vgl.  dazu  Aufs,  über  das  Schulth. 
Amt  (14.  .lalirli.),  Göschen  110,  13. 

5)  ln  Mngdeb.  Fragen  II.  2 d.  10,  Bebrcnd  S.  160,  wird  einmal  sogar 
die  Wahrscheinlichkeit,  daß  ein  Einheimischer  wegen  Krankheit  nicht  zum 
Gericht  werde  kommen  können,  als  hinreichender  Arrestgrund  bezeichnet. 

c)  Vgl.  überhaupt  l’lanck  U S.  374—376. 


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9!* 

Anstalten  zur  Rechtsweigerung  machten,  nicht  arrestiert  werden1). 
Und  bezüglich  der  Frage,  ob  eine  bestimmte  Art  und  Größe  des 
Vermögens  vor  Sacharrest  schützte,  gilt  auch  hier  in  Ansehung 
der  Einheimischen  wie  der  Gaste  Entsprechendes  wie  beim 
Personalarrest  *). 

Auch  der  Sacharrest  wurde  gegen  Gäste  ausgebracht,  um  sie 
zur  Verhandlung  im  Forum  der  Zwangsgewalt  zu  nötigen3).  Nach- 
dem er  zum  Zwecke  der  Begründung  eines  Gerichtsstandes  überhaupt 
zugelassen  worden  war 4),  ward  hier  sowohl 5)  w ie  beim  Sacharrest 
gegen  Einheimische  die  Tatsache  bedeutsam,  daß  dieser  Arrest  dem 
Gläubiger  ein  Vermögensobjekt  verschaffte,  welches  einmal  den 
(mindestens  gegenüber  Einheimischen  bestehenden)  Sicherungs- 
anspruch des  Gläubigers  befriedigte  und  ferner  die  Vollstreckung 
in  das  Vermögen  des  Schuldners  garantierte.  Mit  Rücksicht 
darauf  ist,  wenigstens  in  den  Quellen  des  13.  und  14.  Jahrhunderts, 
von  einer  Aufhebung  des  Arrestes  gegen  anderweite  Sicher- 
stellung kaum  die  Rede;  ähnlich  wie  schon  im  Sachsenspiegel 
dann,  wenn  der  Schuldner  in  einem  begründeten  Gerichtsstand 
nicht  erschien,  ein  Verfahren  gegen  sein  Gut  Platz  griff*),  ward 
der  Sacharrest  gegen  Einheimische  und,  nach  seinem  Vorgang, 
der  gegen  Gäste  der  Beginn  einer  Klage  des  Gläubigers  auf  das 
Gut  des  Schuldners,  welches  Verfahren  hier  nicht  näher  darzustellen 


')  S.  oben  S.  93  bei  Anm.  1. 

*)  S.  oben  S.  94  bei  Anm.  3 und  5 und  8.  95  bei  Anm.  5. 

J)  S.  oben  S.  95  bei  Anm.  6 und  7.  Auch  beim  Repressaliouarrest, 
d.  h.  der  Wegnahme  von  Gut  aus  den  Händen  der  Mitbürger  des  Schuldners, 
wird  der  Zweck  einer  Herbeiführung  gerichtlicher  Verhandlung  betont.  Vgl. 
z.  H.  Priv.  Friedrichs  I.  für  Flandern  (1173),  Keutgcn  Urk.  S.  52:  itthts 
hei  mereatoribus,  tibi  negnta  est  ei  iustieia,  filmte  auferat , donec  iusticiam  conse- 
qua/ttr,  et  ob  hone  causam  toei  a/ferius  mereatores  non  infestet , utld  Vertrag 
zwischen  Köln  und  Boppard  1252),  Gongier  Kod.  S.  256:  poterunt  (nach- 
dem Recht  geweigert  worden  ist)  nostros  arrestarc  eoncioes  vel  pigmra  nostra 
(apere  et  tenerc,  qtte  tarnen  . . /. nebuntur,  quousque  conquerenti  f nee it  sotis - 
factum. 

4)  Vgl.  oben  S.  42,  56  IT.,  89. 

5)  Holzminden  Rechtsbr.  (1245)  14,  Gengier  St.  R.  S.  205:  Si  advena 

. . res  creium  accomodaverit  et  postmodum  recedens  non  persoiverit,  ns  illius  per  in- 
dicem  obligentur  ad  rcstitu  tionem  eoruni,  qnibus  debitor  es/. 

6)  S.  oben  S.  55. 

7* 


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100 


ist ]).  Bemerkt  sei  nur,  daß  Rechtfertigung  der  Hauptforderung  und 
des  Arrestes  auch  hier  wie  beim  Personalarrest  zusammenfiel  s). 

II.  Die  Ausführung  des  Arrests. 

1.  a)  Die  Ausführung  des  Arrestes  ist  grundsätzlich  von  vorn- 
herein mit  einer  Mitwirkung  des  Gerichtes  verbunden. 

Der  Kläger  soll  den  Gast  oder  sein  Gut  cum  iwtitia  obli- 
gare,  iuridice  urresUire,  iuris  nrdine  sercato  detinere3).  Und 
zwar  braucht  nicht  das  zum  Urteilfinden  vollbesetzte  Gericht  au- 
gegangen zu  werden.  Es  genügt  und  ist  das  Gewöhnliche,  sich 
an  den  Richter  allein  zu  wenden4).  Häufig  zwar  scheint  in  den 
Quellen  der  Kläger  zu  völlig  selbständigem  Handeln  verstattet  zu 
werden,  wenn  es  sich  um  Arrest  gegen  Gäste  handelt.  Aber  ab- 
gesehen davon,  daß  bei  letzteren  häufig  ohne  Weiteres  Flucht- 
verdacht begründet  sein  mochte,  ist  nicht  zu  vergessen,  daß  trotz 
obrigkeitlichen  Beistandes  immerhin  der  Gläubiger  als  der,  der 
den  Arrest  ausbringt,  als  arrestalor  angesehen  wurde5);  die 
Quellen  können  deshalb,  unter  Übergehung  jener  gerichtlichen 
Teilnahme,  lediglich  vom  Kläger  als  dem  Arrestator  reden,  ohne 
daß  man  hieraus  auf  ein  prinzipielles  Recht  desselben,  ohne  Ge- 
richt vorzugehen,  schließen  dürfte6). 


')  Vgl.  Planck  II  S.  389  ff. 
s)  S.  oben  S.  98  Anm.  2. 

3)  Penzlin  Rechtsbost.  (12G3),  Mekl.  U.  B.  II  S.  227;  Lübeck  an 
Frankfurt  (1374),  Lfib.  U.  B.  IV  S.  247;  Verordnung  Karls  IV.  für  den 
Krzbischof  von  Köln  (1372),  Lacomblet  U.  B.  III  S.  622.  Vgl.  auch  die 
Stadtrechte  von  Lippstadt  (1198)  5 und  Hamm  (1213)  16,  Keutgen  l'rk. 
S.  148  bzw.  150. 

*)  Die  Ausdrücke  Judicium , spricht  bezeichnen  in  dieser  Verbindung  häufig 
nur  den  Richter.  S.  z.  B.  Köln  Schied  (1258)  Klagepunkt  16  des  Krzbischofs 
bei  Keutgen  Urk.  S.  159,  und  Freiberg  Stadtr.  (1296—1307)  XXXV.  16 
n.  18,  F.rmisch  S.  220.  Manchmal  bezieht  sich  das  Wort  auch  auf  den 
Büttel;  vgl.  schon  Soest  Stadtr.  (vor  1200)  21,  Keutgen  Urk.  S.  141. 
s)  Brünn  Schöffenb.  (um  1350)  95,  Röliler  II  S.  50. 
rt)  Daß  da,  wo  ein  solches  Recht  scheinbar  erteilt  wird,  in  Wirklichkeit 
an  Mitwirkung  des  Richters  oder  des  Buttels  gedacht  ist.  ergibt  sich  häufig 
aus  der  Nebcneinanderstellung  von  Bestimmungen  derselben  oder  verwandter 
Hechtsquellen.  Man  vergleiche  Braunschweig  Hagen  (12.  Jahrh.)  14  mit 
13,  Hänseluiaiin  1 S.  2;  Lüneburg  Stat.  (vor  1400)  L und  zu  L,  Kraut 
S.  58.  59,  mit  Priv.  (1247),  Doebner  Städtepriv.  S.  28;  Freiberg  Stadtr. 


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101 


E.“  sollen  vielmehr  in  Ansehung  des  Arrests  da;  gericHe  unde 
eyn  rad  in  urichbilde  erkennen , ab  is  mogelich  gesin  möge '),  und 
eine  unbegründete  Vernachlässigung  dieser  Instanz  zieht  Buße  an 
den  Beklagten,  Wette  an  das  Gericht  nach  sich  *).  Die  Hülfe  des 
Richters  soll  to  rechte  van  ome  gheeschet  werden5),  d.  h.  der 
Kläger  hat  — einseitig  — alles  vorzutragen,  was  die  Besetzung 
in  dem  vorliegenden  Falle  gerechtfertigt  erscheinen  läßt4).  Im 
Besonderen  bei  Klagen  um  Schuld  wird  ihm  nahegelcgt,  nicht 
nur  das  Vorhandensein  der  Schuld  zu  behaupten,  sondern  auch 
sogleich  ihre  Höhe  anzugeben s).  Wo  der  Arrest  sich  nicht  gegen 
einen  einfachen  Gastschuldner,  sondern  gegen  einen  von  dessen  Mit- 
bürgern (Repressalienarrest)  oder  einen  privilegierten  Gast  richten 
soll,  mnß  neben  der  Gasteseigenschaft  auch  die  vorgängige  Rechts- 
weigerung im  Gericht  des  Hauptschuldners  vorgetragen 6),  bisweilen 
sogar  schon  unter  vorläufigen  Beweis  gestellt  werden7). 

(129fi— 1307)  XLI  § 1 mit  XXXV  16.  18  und  XXXVI  1.  3,  Ermisch  S.  239. 
220.  225:  Goslar  Stadtr.  (um  1300),  Göschen  8.  9,  mit  65,  25.  68,  39. 
110,  13:  Sülfeld  Stadtbuch  (nach  1300)  LV1II  mit  VII.  LXXV1,  Walch  1 
S.  28.  15.  33:  Brünn  SchüfTcnb.  (um  1350)  95  mit  389.  391.  392,  Rüßler  II 
S.  50.  177.  179:  Köln  Ordnung  der  Messe  (nach  1360)  III.  10  mit  Eidbuch 
(1341)  XX.  3,  Stein  II  S.  32  bzw.  I S.  47. 

')  Dist.  III.  4 d.  1,  Ortloff  S.  140. 

*)  Braunschweig  Ottonianum  (13.  Jahrh.)  15,  Hänsclmann  I S.  5: 
Mühlhausen  Stadtr.  (1230—1250),  Herquct  S.  621 : Salfeld  Stadtb.  (nach 
1300)  LXXVI,  Walch  1 S.  33:  Hameln  Rechtsbestätigung  (1335),  Meinardus 
S.  213:  Brünn  Schöffenb.  (um  1350)  389  und  392,  Rößler  II  S.  177.  179: 
Dist.  III.  4 d.  1,  Ortloff  S.  140:  Glogau  Kcchtsbuch  (1386)  486,  Wassersch- 
ieben KQu.  8.59:  Braunschweig  Stadtr.  (1401)  78,  Hänselmann  IS.  108. 
Vgl.  Hildesheim  Stadtr.  (um  1300)  58  a.  E.,  Doebner  U.  B.  I S.  284: 
Heiligonstadt  Willk.  (1335)  159,  Wolf  ürk.  S.  28. 

*)  Goslar  Aufs,  über  das  Schulth.  Amt  (14.  Jahrh.),  Göschen  110,  13. 

*)  Entsprechend  muß,  wer  Gut  eines  nicht  anwesenden  Gastes  besetzt, 
vor  Einweisung  in  dasselbe  schwören,  daß  er  dal  $ud  also  toset  h/lbt,  also  he 
van  reehte  seole  (Hildesheim  Stadtr.  18  — um  1300  — , Doebner  U.  B.  I 
S.  281). 

5)  Magdeb.  alphab.  Samml.  v.  Schöffenspr.  Kap.  148,  Wasscrschleben 
S.  50.  Vgl.  Hildesheim  Stadtr.  (um  1300)  17,  Doebner  U.  B.  I S.  281,  und 
Koblenz  Altes  Gerichtsbuch  (1366-1424)  19  § 3 a.  K.,  Bär  S.  94. 

ö)  Arnstadt  Vertr.  mit  Erfurt  (1283),  Arnst.  U.  B.  S.  23  (asscreret). 

*)  Zusicherung  der  Fürsten  von  Werlo  an  ihre  vasalli  (1276),  Meklb. 
U.  B.  II  S.  553;  Dist.  III.  4 d.  12,  Ortloff  S.  144. 


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102 


Rechtfertigen  die  Behauptungen  des  Klagers  die  beabsichtigte 
Arrestanlage,  so  kann  die  Mitwirkung  des  Gerichts  in  verschiedener 
Weise  vor  sich  gehen.  Entweder  begibt  sich  der  Richter  per- 
sönlich zu  dem  Gaste  oder  zu  dessen  Gut '),  in  Begleitung  natür- 
lich des  Klägers.  Oder  aber  er  erklärt  lediglich  seine  Einwilligung 
und  beauftragt  mit  der  Ausführung  entweder  den  Büttel2)  oder 
läßt  den  Kläger  selbst  gewähren3).  In  Landfriedensvereinigungen 
wird  die  Gestattung  der  Arrestanlage  bisweilen  den  besonders 
eingesetzten  Landfriedensrichtern  übertragen4). 

Der  Büttel  tritt  also  in  der  Mehrzahl  der  Fälle  auf  Geheiß 
des  Richters  in  Tätigkeit.  Der  Kläger  darf  sich  aber  von  vorn- 
herein an  ihn  wenden,  sobald  er  des  Richters  nicht  habhaft  werden 
kann i).  Und  selbst  ohne  diese  Voraussetzung  wird  unter- 
weilen ein  sofortiges  Angehen  des  Büttels  gestattet6),  dem  dann 
allerdings  nicht  immer  dieselben  Rechte  zugebilligt  werden  wie 
dem  arrestierenden  Richter7). 


')  Mühlhausen  Stadtr.(1230 — 1250),  Hcrquct  S.  621;  Braunschweig 
Ottunianuin  (13.  Jnhrh.)  15,  Hänselniann  I S.  5:  Holzminden  Rechtsbr. 

(1245)  14.  Gengier  St.  R.  S.  205;  Lüneburg  Priv.  (1247),  Doebner  Städte- 
priv.  S.  28:  Brühl  Priv.  (1285),  Lacomblct  II  S.  474:  Bodenwerder  Stadtr. 
(1287)  40,  Gengier  Kod,  S 246;  Goslar  Stadtr.  (um  1300),  Göschen  65,  25. 
68,  39.  1 10,  13. 

-)  Preiberg  Stadtr.  (1296—1807)  XXXV  § 18  und  XXXVI  § 1,  Er- 
wisch S.  221.  225:  Brünn  Schöffen!).  (uin  1350)389.  392,  Rö  Ul  er  II  S.  177. 
179:  Hist.  III.  4 d.  1.  Ortloff  8.  140. 

3)  Riga  uingearb.  Stat.  (um  1300)  II  9 § 1.  2,  Napiersky  S.  154: 
Brünn  Schöffcnb.  (tun  1350)389,  Rößler  II  S.  177:  Glogau  Rech tsb.  (1386) 
486,  Wasserschieben  S.  59.  S.  auch  Freiburg  i.  U.  llaudf.  (1249)  73, 
Gaupp  Stadtr.  II  S.  96:  Landshut  Rechtsbr.  (1279)  1,  Gengier  St.  R.  S.  233. 

•)  Landfr.  für  das  Gebiet  zw.  Rhein,  Lahn  und  Main  (1265)  9, 
Böhmer  U.  B.  I S.  122. 

s)  Goslar  Stadtr.  (um  1300),  Göschen  65,  25.  68,39.  110,  13:  Salfdd 
Stadtb.  (nach  134 KJ)  XL VI II,  Walch  I S.  26. 

*)  Braunschweig  Hagen  (12.  Jnhrh ) 13,  Hiinselmann  I S.  2:  Mühl- 
hausen Stadtr.  (1230—1250),  Herquet  S.  621:  Lübeck  Stadtr.  (1263)  49 
und  1291  14S.  Hach  S.  2(H)  bzw.  321:  Kleve  Stadtr.  (.nach  1424)  109 
\)  1 und  dazu  96  § 3.  ZKG.  10  8.  239  bzw.  234.  S.  auch  Soest  Stadtr. 
(vor  1200)  21,  Keutgen  Urk.  8.  141. 

7 ) Freiberg  Stadtr.  (1296 — 1307)  XXXV  § 16.  18  und  XXXVI  § I, 
Knnisi  li  S.  220.  225.  und  dazu  Planck  II  S.  379. 


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in:? 


b)  Abgesehen  von  ilera  Fall  richterlicher  Erlaubnis  darf  sieh 
der  Gläubiger  grundsätzlich  nur  dann  ohne  Beihilfe  von  Richter 
oder  Büttel  an  Person  oder  Gut  des  Gastes  vergreifen,  wenn  er 
dieser  gerichtlichen  Personen  nicht  habhaft  zu  werden  vermochte1). 
Aber  auch  hier  soll  er  sich  der  Regel  nach  der  Unterstützung  von 
Mitbürgern  bedienen,  sei  es  eines2),  sei  es  zweier3),  sei  es  einer 
nicht  naher  bestimmten  Anzahl4);  selbständiges  Vorgehen  bildet 
die  Ausnahme5).  — In  sehr  seltenen  Fällen  nur  wird  dem  Kläger 
grundsätzlich  ein  Vorgehen  gegen  den  Gast  auch  ohne  Beteili- 
gung gerichtlicher  Personen  zugelassen.  So  darf  der  Gastwirt 
seine  Gäste  verfolgen 6),  freilich  nur  auf  der  Straße,  während  er 
die  in  ein  Haus  Geflüchteten  lediglich  mit  dem  Gericht  heraus- 
holen soll.  Auch  gesetzte,  noch  nicht  übergebene  Pfänder  dar! 
der  Gläubiger  bisweilen  ohne  Weiteres  den  schuldigen  Gästen 
fortnehmen7)  und  in  einem  Sonderfalle  grundsätzlich  seinem  in 
die  Stadt  eintretenden  auswärtigen  ßdeiussor  aut,  debitor  ohne 

')  Nach  Magdcb.  Fragen  II.  2 d.  20,  Bohrend  S.  1*57,  sollen  Itichtcr 
oder  Büttel  unter  keinen  Umstanden  vom  Gläubiger  umgangen  werden,  auch 
wenn  der  Schuldner  ym  aä^ikitt  woLie,  Ähnlich  für  Gäste  als  Arrestierende: 
Braunschweig,  oben  S.  90  Anm.  5. 

-)  Mühlhausen  Stadtr.  (1230 — 1250),  Herquet  8.621;  Büren  Stadlr. 
(um  1300)  26,  Gengier  Kod.  S.  442;  Uri  bürg  ltechtsbr.  (1345)  11,  Gengier 
Kod.  S.  904. 

-1)  Braunsebwuig  Hagen  (12.  Jahrh.)  13,  Häuselmann  1 8.2:  Kleve 
Stadtr.  (nach  1424)  109  § 1,  /HG.  10  S.  239:  außerdem  die  beiden  oben 
S.  102  Anm.  6 angeführten  Lübeck  sehen  Stellen. 

*)  Gürlitzer  Landrecht  (nach  1 34X4)  XL IV  § 2,  Homcyer  Görl.  LH. 
S.  209;  Hameln  Kechlsbest.  (1335).  Meinardus  S.  213;  Dist.  11 L.  4 d.  1, 
Ortloff  S.  140. 

5)  Soest  Stadtr.  (vor  1200)  21,  Keutgen  Lik.  S.  141:  Krciberg  Stadtr. 
(1296  — 1307)  XXXV  j 16,  finnisch  S.  220:  Brnnn  Schiiffeiib.  (um  1350)389, 
Kößlcr  11  S.  177:  Glugau  Hechtsbuch  (1386)  486,  Wasscrschleben  Kt^u. 
S.  59;  Salfeld  Stadtb.  (nach  1300)  VII,  Walch  I S.  15. 

6)  S.  i.  B.  Bodenwerder  Stadtr.  (1287)  39  und  40,  Gengier  Kod. 
S.  246,  und  die  Belege  bei  Meibom  S.  222,  woselbst  richtig  bemerkt  ist, 
daß  sich  dieses  Arrestrecht  hauptsächlich  gegen  Nichtbürger  richtete.  Viel- 
leicht hing  es  mit  dem  Beweisvorrecht  der  Gastwirte  (s.  darüber  Planck  I 
S.  442)  zusammen.  Vgl.  auch  Freiburg  i.  U.  Hand!'.  (1249)  81,  Gaupp  II 
S.  97. 

*)  Egcr  Priv.  (1279)  20,  Gaupp  I S.  192:  vgl.  auch  Lübeck  Kod. 
Brokes  II.  202,  Hach  S.  570. 


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104 


vorherige  Zustimmung  des  Schultheißen  Vermögensstücke  mit 
Beschlag  belegen,  wofern  nur  der  Schuldner  kein  mt'les  aut  sa cer- 
dos aut  homo  religionis  ist '). 

In  allen  Fällen,  wo  der  Richter  nicht  von  vornherein  beteiligt 
ist,  wird  der  Arrestierte  ihm,  u.  ü.  auch  dem  Büttel  zuzuführen 
sein7).  Nur  in  bestimmten  Städten  ist  vorgeschrieben,  daß  der 
Arrestierte  nicht  fortgefühlt  werden,  daß  vielmehr  das  Kommen 
des  Richters  oder  des  Büttels  abgewartet  werden  soll3),  es  sei 
denn,  daß  der  Besetzte  sich  freiwillig  zum  Mitgehen  entschließt. 
Vor  dem  Richter  hat  der  Kläger  auf  eine  etwaige  Beschuldigung 
des  Arrestierten,  he  kette  on  in  obermute  ufgehalden,  d.  h.  mut- 
mutwilliger  Weise  ohne  vorheriges  Angehen  des  Richters  oder  des 
Büttels'),  diesbezüglich  sein  Verhalten  zu  rechtfertigen,  d.  h.  zu 
schwören,  duz  he  daz  nicht  anders  geenden  machte  ’),  dat  he  den 
coghet  noch  den  bodel  nicht  hebben  ne  murhtee).  Andernfalls  würde 
er  eine  misse  tat,  eine  broke,  einen  frevel  begangen  und  die  darauf 
gesetzte  Strafe  verwirkt  haben7). 

')  Freiburg  i.  U.  Handf.  (1249)  73,  Gaupp  II  S.  96:  vgl.  dazu  ebenda 
§ 81  wegen  der  Pflicht  nachher  anzuzeigen,  quapropter  eum  rrtinuU. 

%)  Braunschweig  Hagen  (12.  Jahrh.)  13,  Hänselmann  1 S.  2;  Sal- 
fcld  Stadtb.  (nach  1300)  VII,  Walch  I S.  15:  Diät.  III.  4 d.  1,  Ortloff 
S.  140:  Kleve  Stadtr.  (nach  1424)  109  § 1,  ZUG.  10  S.  239.  — Selbst  da, 
wo  der  schuldige  Gast  ohne  Zutun  des  Vogtes  vom  Kläger  auf  eigene  Hand 
aufgehalten  und  alsbald  eine  außergerichtliche  gütliche  Einigung  zwischen 
den  Parteien  zu  Stande  gekommen  ist,  unterliegt  dies  Verfahren  — bei 
Strafandrohung  im  Falle  der  Unterlassung  — der  nachträglich  cinzuholenden, 
allerdings  nicht  zu  versagenden  Genehmigung  des  Vogtes  (Hildesheim 
Stadtr.  58  — um  1300  — . Docbner  U.  B.  I S.  284;.  S.  dazu  oben  Anm.  1. 

3)  Mühlhausen  Stadtr.  (1230 — 1250),  Herquet  S.  621:  Lübeck 
Stadtr.  (1263)  49  und  (1294)  148,  Hach  8.  800  bzw.  321:  Freiberg  Stadtr. 
(1296-1307)  XXXV  § 16,  Ermisch  S.  220. 

')  Dist.  III.  4 d.  1,  Ortloff  S.  140.  Um  dergleichen  möglichst  zu  ver- 
hindern, wird  in  Fällen,  in  denen  der  Gläubiger  auf  eigene  Hand  den  Gast 
besetzen  will  oder  besetzt  hat,  von  ihm  die  Hinterlegung  einer  Sicherheit 
gefordert,  die  eventuell  als  Strafsumme  verfallen  soll  (Heiligenstadt 
Willkür  159,  Wolf  Urk.  S.  28,  bzw.  Salfeld  Stadtb.  VII  — nach  1300  — , 
Walch  I S.  15). 

s)  Dist.  III.  4 d.  1,  Ortloff  S.  140. 

6)  Goslar  Stadtr.  (um  1300),  Göschen  65,  25.  Vgl.  außerdem  oben 
S.  91  Anm.  2 und  S.  98  Anm.  2. 

Hameln  Bechtsbest.  (1335),  Meinardus  S.  213,  spricht  vou  einem 
(trlictum  iudia's  (gegen  den  Richter).  Wegen  der  Strafen  s.  oben  S.  101  Anm.  2. 


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105 


2.  a)  Arrest  darf  gegen  Gäste  in  der  gantzen  Stadl')  ausge- 
bracht werden,  und  zwar  nicht  nur  innerhalb  des  von  der  Stadt- 
mauer umschlossenen  Raumes,  sondern  auch  uz  der  stad,  vor  deme 
Tore,  in  der  Borger  Holze1).  Im  allgemeinen  dürfte  sich  der  so 
beschriebene  Raum  mit  dem  städtischen  Gerichtsbezirk  gedeckt 
haben5;-,  anderwärts  aber  scheint  die  äußerste  Grenze  durch  die 
Bannmeile  bezeichnet  worden  zu  sein 4).  Der  Regelfall,  von  dem 
die  Quellen  ausgehen,  ist,  daß  der  Kläger  den  zu  Besetzenden  auf 
der  Straße  trifft  und  ihn  dort,  eventuell  zusammen  mit  seinen 
Sachen,  namentlich  mit  Pferd  und  Wagen,  festnimmt  oder  fest- 
nehmen läßt5).  Der  Arrest  innerhalb  der  Häuser  dagegen  wird 
häufig  mit  besonderen  Kautelen  umkleidet“).  Insbesondere  kann 
auch  die  Besetzung  von  Gastgut  in  einem  Bürgerhause  dadurch 
ausgeschlossen  werden,  daß  der  Hauswirt  sich  verbürgt,  sodaß  also 
nur  dann,  wenn  es  sich  um  en  wöste  hus  dar  nen  irirt  inne  ne 
is  handelt,  das  Gut  liker  wie  alse  vj>  der  strafen  besetzt  und 
der  Obhut  des  Gerichts  anvertraut  werden  kann7).  Im  Übrigen 
gewahrt  aber  das  Privathaus,  namentlich  auch  das  des  Privile- 
gierten, den  Gästen  keinen  Schutz  vor  Arrest*);  ein  gleiches 

*)  Frankenberg  i.  H.  Rechtsbr.  (1294),  Kuchenbecker  V S.  183. 

*)  Salfeld  Stadtb.  (nach  1300)  LXXV1,  Walch  I R.  33:  Heiligenstadt 
Willkür  (1335)  31.  159,  Wrolf  Urk.  S.  10.  28.  In  Nienburg  Freiding'  (um 
1400),  Rathlef  III  S.  106,  werden  auf  die  Frage:  woferne  die  von  Nienburg 
einen  Amman  mit  Kummer  verfolgen  miigen,  vier  bestimmte  Funkte  außerhalb  der 
Stadt  nach  den  vier  Himmelsrichtungen  aufgezählt. 

3)  infra  aAvoeatiam  oe.uftare  (Hildesheim  Stadtr.  49  — um  1249  — , 
Docbncr  U.  B.  I S.  103,  mit  spezieller  Beziehung  auf  tlüchtige  Bürger): 
ufhaldin  in  unsirm  stat  rechte  (Magdcb.  Bresl.  syst.  Sch.  R.  II.  2 d.  73  bei 
Laband  S.  51).  S.  auch  Bist.  III.  2 d.  1,  Ortlotf  S.  136. 

4)  Lechenich  Rechtsbr.  (1279)  28,  Genglcr  St.  R.  S.  241. 

5)  Vgl.  Diepholz  Priv.  (1318),  Gengier  Kod.  S.  759. 

*)  Mühlhausen  Stadtr.  (1230—1250),  Herquet  8.621,  wo,  anders  als 
auf  der  offenen  Straße,  ein  Festhalten  des  auswärtigen  Schuldners  mit  Hülfe 
lediglich  der  nakibure  nicht  schon  dann  gestattet  ist,  wenn  man  richter  oder 
bote  nicht  zur  Hand  hat,  sondern  erst,  wenn  jener  unwoldi  mit  gewalt  dannin 
ge.  S.  auch  Bodenwerder  Stadtr.  (1287)  40  und  39,  Gengier  Kod.  S.  246; 
Brünn  Schoffenb.  (um  1350)  602,  Rößler  II  S.  276. 

7)  Goslar  Stadtr.  (um  1300),  Göschen  66,  23. 

*)  Goslar  Stadtr.  (um  1300),  Göschen  63,  20;  Köln  Ordn.  d.  Schöffen- 
gerichts (um  1390)  9,  Stein  I S.  566.  S.  Straßburg  Stadtr.  (12.  Jahrh.)  32, 
Keutgen  Urk.  S.  95. 


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gilt  im  Allgemeinen  von  der  Herberge,  der  Taverne  und  dem 
Kaufhaus 

b)  Auch  eine  zeitliche  Grenze  ist  dem  Arrest  gegen  Gaste 
nicht  gesteckt;  sie  können  :n  aller  ;it,  i;  ni  ta>-  oder  nacht,  be- 
setzt werden  ’). 

3.  Überall,  wo  die  Person  des  Gastes  besetzt  wird  und  dieser 
nicht  freiwillig  dem  Büttel  oder  dem  besetzenden  Klager  vor  den 
Richter  folgt  oder  wartet,  his  dieser  erscheint,  kann  der  Gast  nicht 
ohne  eine  gewisse  Kraftanstrengnng  fortgeführt  bezw.  auf  der  Stelle 
festgehalten  werden.  Dieser  Widerstand  verpflichtet  ihn  zwar,  falls 
sich  später  sein  Unrecht  herausstellt,  zu  Wette  und  Bulle  und  ebenso 
die,  die  dem  Gaste  etwa  Beistand  leisten  *,i.  Umgekehrt  aber  soll  auch 
der  Kläger  nicht  das  Mail  des  erforderlichen  Zwanges  überschreiten,  er 
mac  in  n-ol  uf holden  mit  yen-alt  an  »inen  deine  zuehtekliche *).  Hinein 
(Taste,  den  ein  Bürger  ane  certiget  corebliche,  darf  der  Wirt  oder  ein 
sonstiger  Bürger  zu  Hülfe  kommen,  allerdings  nur  dann,  »o  he 
houeichlichi » maci);  denn  Mißhandlung  des  besetzenden  Bürgers 
wird  gebüßt.  Ähnlich  ist  es  beim  Anhalten  von  Gastgut;  auch 
hier  wird  Buße  und  Wette  dem  angedroht,  der  Widerstand  leistet 
oder  ihn  unterstützt*),  und  Straflosigkeit  denen  in  Aussicht  ge- 
stellt, die  gewaltsamen  Widerstand  brechen  halfen7). 

4.  a)  Ist  der  arrestierte  Gast  vor  dem  Richter  erschienen, 
so  wird  es  bei  Klagen  um  Schuld  und  Gut  und  Frevel  im  allge- 

')  Ulm  Stadtr.  (1296)  28,  Kcutgen  Urlc.  S.  193:  Köln  Ordu.  d.  Schöffen- 
gerichts (um  1390)  9,  Stein  I S.  566.  Eine  Ausnahme  scheint  in  dieser 
Richtung  nnr  Kger  I’riv.  (1279)  19  und  18,  Gaupp  St.  R.  I S.  192,  fcst- 
setzen  zu  wellen. 

r)  Freiberg  Stadtr.  (1296 — 1307)  XXXY1  § 3,  Ermisch  S.  225. 
Ähnlich  Goslar  Stadtr.  (um  1300),  Gäschen  63.  5,  und  Dist.  III.  2 d.  1. 
Ortloff  S.  136. 

3)  Görlitzer  Landrecht  (nach  1300)  XL1V  §2,  Homoyer  Görl.  LR. 
S.  209:  Heiligeust adt  Willk.  (1335)  31,  Wolf  Urk.  S.  10:  Kleve  Stadtr. 
(nach  1424)  109  §3.  ZUG.  10  S.  240.  Vgl.  Hildesheim  Stadtr.  (um  1300) 
80,  Doebncr  U.  11.  I S.  287. 

*)  Freiberg  Stadtr.  (1296  1307)  XXXV  § 16,  Krmisch  S.  220. 

5)  Nordhauser:  Zweite  Stat.  Samml.  (1308)  13,  Foersteinann  N.  M. 
III.  2 S.  S. 

6)  Dist.  III.  4 d.  15,  Ortloff  S.  145:  Kleve  Stadtr.  (nach  1424)  109 
§ 3,  ZRG.  10  S.  240. 

7)  Goslar  Stadtr.  (um  1300),  Göschen  68,  39. 


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107 


meinen  sofort  zur  Verhandlung  (Iber  die  Sache,  zu  einem  sog. 
Gastgericht  kommen ').  Andernfalls  wandert  der  Gast,  wofern  er 
nicht  durch  Bürgen  u.  dergl.  frei  wird,  in  gerichtliches  Gewahr- 
sam *).  Bei  Klage  wegen  Ungericht  (nicht  aut  frischer  Tat) 
existiert  kein  Anspruch  auf  sofortige  Verhandlung.  Hier  gelangen 
die  Gäste,  ebenso  wie  aufgehaltene  eivee  bene  htredati,  in  obrig- 
keitliche Haft3),  die  häufig  sehr  willkürlich  und  grausam  ge- 
liandhabt  wurde4). 

Diese  Personalhaft  mochte  indessen  bei  allen  Arten  von 
Klagen  häufig  durch  die  gesetzlich  vorgeschriebene  Vertretung 
der  Gäste  durch  ihre  Wirte  ausgeschlossen  werden.  Es  heißt 
mit  Bezug  auf  diese  geradezu: 

tpiod  unwnpivnpii'  rideot  ijuem  hospitet  t/uod  tali-e  sit  pro 

tpio  ipse  reepondere  velit 5), 

nullue  debet  alium  hospitare  nisi  velit,  respondere  pro  eo G). 
Allerdings  sind  solche  Vorschriften  nicht  in  dem  Sinne  auf- 
zufassen, als  ob  der  Wirt  ohne  weiteres  von  vornherein  neben 
seinem  Gaste  für  dessen  Schulden  und  Delikte  hafte.  Bezüglich 
der  letzteren  wird  eine  solche  Haftung  namentlich  bei  Vergehen 
gegen  Leben  und  Gesundheit,  die  Gäste  im  Hause  des  Wirtes 
ohne  dessen  Mitschuld  begehen,  häufig  ausdrücklich  abgelehnt7). 

')  Vgl.  unten  Kapitel  VI. 

J)  Freiberg  Studtr.  (1296  — 1307)  XXXV  § 18  und  XXXVI  §2.  3, 
Ermisch  S.  221.  225:  Grafen  von  Wernigerode  an  Goslar  (um  1330), 
Goal.  U.  B.  III  S.  575.  S.  auch  Rcchtsbuch  von  der  Gerichtsverf. 
(Zusatz,  nach  1300)  XXVII  § 1.  Labaml  RQu.  S.  68.  und  bezüglich  des  Ro- 
pressalienarrestes  Vertrag  zwischen  Boppard  und  Köln  (1232),  Gcngler 
Kod.  S.  256. 

3)  Schiedsspr.  zw.  den  Grafen  von  Wernigerode  und  Goslar  (1290 
bis  1323),  Gosl.  U.  B.  III  S.  129:  Freiberg  Stadtr.  (1296 — 1307)  XXXVI 
§ 2.  3,  Ermisch  S.  225:  Lübeck  Weist,  f.  Elbing  (vor  1300)  B II,  Stobbe 
Beitr.  S.  165:  Urphede  Oldinghofs  an  Lübeck  (1339),  Lüb.  U.  B.  II 
nr.  690.  S.  im  allg.  Planck  II  S.  368.  369. 

4)  S.  das  Schreiben  von  Harlingen  und  Norden  an  Köln  (um  1340), 
Hans.  V.  II.  III  S.  443.  Vgl.  auch  das  oben  Amu.  2 angeführte  Schreiben 
an  Goslar. 

5)  Wismar  Rürgerspr.  (1344)  3,  Burmoister  Bürgerspr.  S.  1. 

6)  Göttingen  Statute  (um  1344)  21,  Ztschr.  d.  h.  V.  f.  N.  S.  Jahr- 
gang 1885  S.  149. 

’)  Hamburg  Stadtr.  (1270)  XII.  2,  Lappenberg  S.  66:  Hist.  VI.  28, 
Ortluff  S.  334:  Gingau  Rechtst).  (1386)  291,  Wasserschlebcn  RQu.  S.  37. — 


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108 


Wohl  aber  wird  dem  Wirte,  bei  Vermeidung  solcher  Folgen,  im 
Falle  vorsorglicher  Besetzung  des  Gastes  die  prozessuale  Ver- 
pflichtung auferlegt,  den  Gast  im  Gerichte  zu  stellen: 

« occupatum  hospen  sponte  abire  prrmüerit,  pro  eo  re- 
gpondebit.  'J. 

Ob  er  diese  prozessuale  Verpflichtung  übernehmen  will,  wird 
anderwärts  jedoch  in  das  Belieben  des  Wirtes  gestellt,  handele  es 
sich  nun  um  Klagen  wegen  Schuld5)  oder  wegen  üngericht3). 

b)  Ist  lediglich  Gast  gut  arrestiert  worden,  so  bleibt  es  für 
den  Fall,  daß  es  sich  im  Hause  Einheimischer  befindet,  dann  mit 
der  Verpflichtung  zur  Aufbewahrung  in  deren  Händen,  wenn  sie 
ihre  Bereitwilligkeit  dazu  erklären: 

dowinm  domux,  nisi  celii , ad  rerum  inlrrdictarum  conxrr- 
oationeni  nullatenux  obligat «»■*). 

Eine  so  strenge  Vertretungspflicht  wie  beim  Personalarrest  liegt 
also  dem  Wirte  hier  nicht  ob;  er  hat  jedoch,  unter  der  Voraus- 
setzung, daß  er  dazu  überhaupt  in  der  Lage  ist5),  sich  auf  Ver- 
langen darüber  zu  erklären,  ob  er  die  Aufbewahrung  der  Gegen- 
stände übernehmen  wolle8).  Gibt  er  eine  bejahende  Erklärung 
ab,  so  wird  er  nur  dann  von  seiner  Haftung  frei,  wenn  er  die 

Bei  dieser  Gelegenheit  sei  darauf  hingewiesen,  daß  sich  in  den  stadtreoht- 
lichen  (Quellen  Norddeutschlands  vor  1400  nichts  von  jener  privatrecht- 
lichen Haftung  des  Wirtes  gegenüber  seinen  Gästen  für  solchen  Schaden 
lindet,  den  diese  durch  Verlust  ihres  Eigentums  u.  s.  w.  in  seinem  Hause 
erleiden;  in  Süddeutschland  enthält  lediglich  das  Stadtrcchtsbuch  von  Frei- 
sing (um  1328)  70.  71,  Maurer  S.  320.  321,  eine  derartige  Haftpflicht,  bei 
deren  Erörterung  zwischen  speziell  anvertrauten  uud  lediglich  eingestellten 
Sachen  unterschieden  wird. 

')  Altenburg  Stadtr.  (1256)  28,  Gaupp  St.  K IS.  212.  Vgl.  Straßburg 
Erstes  Stadtr.  (12.  Jahrh.)  32,  Keutgen  Urk.  S.  95. 

*)  Riga  Umgcarb.  Stat.  (um  1300)  II  9 § 1.  2,  Napiersky  S.  154. 

3)  Braunschweig  Stadtr.  (1401)  78,  Häuselmann  I S.  108. 

*)  Brünn  Schöflenb.  (um  1350)  391,  Rößler  II  S.  179;  die  Stelle  fährt 
fort:  si  autein  ipsi  hospiti  (sc.  dem  Wirte)  Ule,  ctäus  res  sunt  interdictae,  in  tx- 
pensis  vel  in  debitis  vtl  istis  «i onsimilibus  ubligatur,  pro  talibus  res  inlerdictas  ser- 
vare  poterit  de  ipsis  pri ncipaliter  suum  debitum  extorsurus. 

ä)  Dies  ist  z.  B.  nicht  der  Fall,  wenn  sich  der  Wirt  auf  Reisen  u.  dgl. 
befindet:  Di  st.  III.  4 d.  11,  Ortloff  S.  143. 

6)  Goslar  Stadtr.  (um  1300),  Göschen  66,  6:  Dist.  III.  4 d.  11, 
OrtlofT  S.  143;  Braunschweig  Stadtr.  (1401)  78,  Hänselmann  I S.  108. 


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10!» 

gewaltsame  Entfernung  der  Sachen  zu  beweisen  im  Stande  ist1). 
Ein  gleiches  gilt,  wenn  er  absichtlich  die  Abgabe  einer  Erklärung 
hintertrieben  hat*).  Will  er  sich  dagegen  auf  die  Verwahrung 
nicht  einlassen,  so  mutt  er  die  Sachen  an  das  Gericht  oder  den 
Kläger  sofort  ausantworten 3).  Ihr  Verbleib  in  seinem  Besitz  geht 
auf  des  Klägers  Gefahr4),  dem  der  Wirt  im  Falle  des  Sieges  die 
Sachen  auszuantworten  hat.  ohne  dem  Gaste  dafür  zu  halten5). 

Gibt  der  Wirt  das  bei  ihm  arrestierte  Gastgut  heraus  oder  ist 
er  verhindert,  eine  Erklärung  abzugeben,  oder  wird  das  Gut  von 
vornherein  unter  dem  Schuldner  selbst  oder  sonstigen  Gästen,  z.  B. 
Leuten  des  Schuldners,  aufgehalten,  so  soll  es  grundsätzlich  bis  zur 
Verhandlung  oder  Erklärung  — falls  diese  nicht  sofort  stattfindet 
— in  gerichtliche  Verwahrung  gebracht  werden: 

bexeczt  der  richtet * adder  der  botel  gud  in  egme  huse  und 
der  teert  nicht  hegenwertig  teer  . . . , ho  hu!  der,  der  is  bexaezt 
hud,  da:  gud  Itetearen,  bis  duz  der  wert  zeu  hme  kempt *), 

41  tempore  interdicti  nuntiis  iudicis  dicit  (sc.  dominus  domus), 
tpiod  res  interdictax  nolit  cuxtodire,  iudex ■ ipsas  in  xuam  reci- 
piat  cuxtodiam  interdicenti  de  ipsis  iu.rta  sua/n  querimoniam 
de  iustitia  procisurus1). 

Bisweilen  scheint  jedoch  auch  dem  besetzenden  Bürger  ein  Auf- 
bewahrungsrecht zugestanden  zu  werden8).  — Verderbliches  oder 


')  Goslar  Stadtr.  (um  1300),  Göschen  67,  1;  Diät.  III.  4 d.  10,  Ort- 
loff  8.  143.  Vgl.  Planck  11  S.  381  in  und  bei  Anm.  17. 

*)  Bist.  III.  4 d.  11,  Ortloff  S.  143. 

s)  Goslar  Stadtr.  (um  1300),  Göschen  66,  6;  Brünn  Schöffenb.  (um 
1350)  391,  Römer  II  S.  179. 

‘)  Goslar  Stadtr.  (um  1300),  Göschen  66,  6. 

s)  bist.  III.  4 d.  4,  Ortloff  S.  141. 

ö)  bist.  III.  4 d.  11,  Ortloff  S.  143. 

•)  Brunn  Schöffenb.  (um  1350)  391,  Rößler  II  S.  179.  S.  ferner 
Magdeburg  Alphab.  Samrnl.  v.  Schöffenspr.  Kap.  305,  Wasserschieben  S.91; 
Frankfurt  a/M.  Priv.  Karls  IV.  (1376),  Lünig  IV.  Cont.  S.  591:  sowie 
wegen  Repressalienarrest  Vertrag  Boppard-Köln  (1252),  Gengier  Kod. 
S.  256.  Im  allgem.  vgl.  Planck  IIS.  382.  383. 

*)  Stend.  Urt.  Buch  (1333;  XXII  § 1.  Allerdings  ist  hier  der  Fall  sehr 
besonders  gelagert  — vgl.  Bohrend  Urt.  B.  S.  93  Anm.  a — , sodaß  man 
kaum  mit  Planck  II  S.  383  schließen  darf,  eine  derartige  Überantwortung 
sei  „sehr  häutig"  gewesen. 


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110 


lebendes  Gastgut  darf1),  ja  muß3),  eventuell  unter  Zustimmung 
der  Erben  und  des  Gerichts 3),  veräußert  werden.  Der  Erlös  kehrt 
in  die  bewahrende  Hand  zurück*). 

5.  Die  Benachrichtigungen,  die  an  den  Gast  ergehen,  in 
dessen  Abwesenheit  Gut  besetzt  wurde,  sind  bereits  Bestandteil 
des  Einweisungsverfahrens  und  deshalb  hier  nicht  zu  behandeln. 

Zu  erwähnen  dagegen  ist,  daß  noch  vor  Beginn  des  Ein- 
weisungsverfahrens, vor  Anfang  der  Verhandlung  zur  Sache,  eine 
Wiederaufhebung  des  Personal-  wie  des  Sacharrestes 
stattfinden  kann.  So  z.  B.,  wenn  sich  gewisse  Voraussetzungen 
des  Arrests  sofort  als  nicht  gewahrt  heraussteilen1);  namentlich 
aber,  wenn  der  Kläger  seiner  Verpflichtung,  seine  Forderung  und  die 
Ausbringung  des  Arrestes  alsbald  vor  Gericht  zu  vertreten,  nicht 
nachkommt  und  infolgedessen  der  Gast  einseitig  die  Aufhebung 
des  Arrestes  beantragt,  nachdem  er  den  Besetzer  zur  Verhandlung 
hat  auffordern  lassen.  Diese  Aufhebung  kann  entweder  unmittel- 
bar nach  geschehener  erfolgloser  Ladung6)  oder  aber  binnen  be- 
stimmter kurzer  Frist  danach')  stattfinden. 

l)  Kleve  Stadtr.  (nach  1424)  110  §5  u.  7,  ZRG.  10  S.  241. 

*)  Magd  ob.  Alphab.  Samml.  von  Schöffenspr.  Kap.  305.  Waschersch- 
lebcn  S.  91. 

»)  Diät.  111.  4 d.  4,  Ortloff  8.  141. 

*)  Bist.  III.  4 d.  4,  Ortloff  8.  141:  Frankfurt  a/M.  Priv.  Karls  IV. 
(1376),  Lünig  IV.  Cont.  8.  591.  In  Bist,  wird  das  Gut  verwahrt  und  event. 
verkauft,  nicht  vom  Kläger,  sondern  vom  Hauswirt. 

5)  Vertrag  Am  st  adt  - Erfurt  (1283),  Anist.  U.  B.  S.  23:  Sofortige 
Aufhebung  des  Repressalienarrestes,  wenn  der  Rat  der  andern  Stadt  schrift- 
lich versichert,  daß  daselbst  dem  Kläger  Rocht  gewährt  worden  sei  und 
fernerhin  gewährt  werden  solle. 

*)  Goslar  Stadtr.  (um  1300),  Göschen  66,35:  Bist,  III.  4 d.  9,  Ort- 
loff 8.  143:  Koblenz  altes  Gerichtsbnch  (1366—1424)  19  § 3,  Bär  S.  94. 

7)  Goslar  Stadtr.  (um  1300).  Göschen  66,35:  Bist.  III.  4 d.  9,  Ort- 
loff 8.  143:  Lüneburg  8tat.  (vor  1400)  L,  Kraut  8.58.  Bic  hier  überall 
fe8tgclegte  Frist  von  einem  Tage  kann  nach  Goslar  a.  a.  0.  sogar  noch  eine 
Verlängerung  erfahren,  wenn  zur  Zeit  der  Ladung  der  Besetzer  nicht  inner- 
halb der  Stadt  weilt:  diese  Verlängerung  wird  in  Bist.  a.  a.  0.  ausdrücklich 
zurückgewiesen  mit  der  Begründung:  wen  da  man  is  besaezte,  da  wüste  her 
(sc.  der  Kläger)  wo/,  da:  man  deute  besaezttn  ptte  seit  hand  tutete  fallen  mit  rechte 


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111 


Fünftes  Kapitel. 

Marktfriede  und  Prozeßgeleit. 

Die  allgemeine  Geltung  des  foruin  arresti  und  deprehensionis, 
die  weitgehende  Möglichkeit  Gäste  aufzuhalten,  erheischte  not- 
wendigerweise gewisse  Einschränkungen '). 

I.  Eine  Einschränkung  allgemeinster  Art  war  der  sogenannte 
Marktfriede.  Unter  seinem  Schutz  durften  die  Gäste  und  ihr  Gut 
nicht  aufgehalten,  ja  es  durften  die  Fremden  nicht  einmal  vor 
Gericht  geladen  und  beklagt  werden.  In  dieser  höchsten  Aus- 
bildung erscheint  der  Inhalt  des  Marktfriedens  seit  etwa  dem 
13.  Jahrhundert.  Wie  weit  er  sich  indessen  im  einzelnen  Fall 
räumlich  erstrecken  sollte,  und  ob  sein  eben  geschilderter  mate- 
rieller Inhalt  auch  schon  in  älterer  Zeit  der  gleiche  wie  späterhin, 
ob  er  namentlich  auf  Jahr-  und  auf  Wochenmärkten  derselbe  ge- 
wesen, darüber  herrscht  nicht  vollständige  Klarheit. 

1.  Was  zunächst  die  Frage  des  räumlichen  Wirkungs- 
bereiches anlangt,  so  fallt  Rietschel  seine,  auch  von  anderen 
Schriftstellern*}  vertretene  Anschauung  dahin  zusammen:  „Der 
Theorie  nach  sollte  dieser  Marktfahrerfriede  für  alle  Besucher 
des  betreffenden  Marktes  im  ganzen  Reiche  Geltung  haben; 
tatsächlich  mußte  er  sich  auf  die  nächste  Umgebung  des 
Marktes  beschränken“  s).  Dem  wäre  zu  entgegnen,  daß  in  Wahr- 
heit dieser  Gegensatz  zwischen  Theorie  und  Praxis  in  älterer 
Zeit  nicht  vorhanden  war,  weil  der  Marktfahrerfriede  ur- 
sprünglich gar  nicht  ohne  Weiteres  für  das  ganze 
Reich  gelten  sollte.  Wohl  aber  bestand  ein  anderer  Gegen- 
satz. Die  räumliche  Erstreckung  des  Marktfahrerfriedens  über 
den  Marktort  hinaus  war  nämlich  der  Regel  nach  eine  ver- 
schiedene, jenachdem  es  sich  um  einen  Jahr-  oder  nm  einen  Wochen- 
markt  handelte:  sie  stand  in  enger  Wechselbeziehung  zur 
zeitlichen  Dauer  der  einzelnen  marktlichen  Veran- 
staltung. 

')  Kine  Reihe  von  ihnen  fallt  zusammen  Kleve  Stadtr.  Buch  (nach  1424) 
109  § 1,  ZRG.  10  S.  239. 

3)  Vgl.  v.  Bclow  S.  95.  90:  Waitz  VII  S.  378;  wohl  auch  Schröder  S.  625. 

S.  209. 


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112 


Es  sei  gestattet,  zum  Nachweis  der  Richtigkeit  dieser  Auf- 
fassung zuvörderst  an  Riets  eitel  s!)  Darlegung  zu  erinnern,  daß 
der  in  den  Marktprivilegien  der  deutschen  Könige  seit  dem 
10.  Jahrhundert  auftretende  bannux  nicht  die  Verleihung  der  öffent- 
lichen Gerichtsbarkeit  bedeutet.  Die  Bann  leihe  gibt  vielmehr  dem 
Marktherm  die  Befugnis,  unter  Königsbann  einmal  die  Markt- 
abgaben zu  erheben,  zweitens  das  ihm  meist  schon  auf  Grund 
der  Immunität  zustehende,  evtl,  ihm  noch  besonders  verliehene 
Marktgericht  zu  halten,  insbesondere  Verletzungen  der  Markt- 
besucher mit  dieser  hohen  Strafe  zu  ahnden.  Gerade  diese  sollten 
wegen  ihrer  Teilnahme  am  Marktverkehr  in  eundo,  cammorando  et 
redeundo  einen  durch  Androhung  des  Königsbannes  gewährleisteten 
Frieden  (fax)  genießen: 

mercatum  omni  die  leyitimum  construi  concetsimug  et  om- 
nibux  quidrm  eundem  mercatum  inquirenlibug  paci/icum 
aditum  ac  reditum  nostri  imperialis  bannt  distric- 
tione  firmiter  xaneitnug .*) 

Die  Formel,  unter  der  den  Teilnehmern  am  Marktverkehr  der 
Friede  erteilt  wird,  lautet  in  den  Privilegien  seit  dem  10.  Jahr- 
hundert der  eben  zitierten  Freisingsehen  fast  durchweg  vollkommen 
gleich.  Es  macht  also  — anscheinend  wenigstens  — keinen 
Unterschied,  ob  der  Friede  einem  Jahrmärkte3),  einem  Wochen- 


')  S.  195-200. 

3)  Freising  Priv.  Ottos  III.  (996),  Keutgen  Urk.  S.  30.  Vgl.  ferner 
Rietschel  S.  202  und  die  Belege  ebenda  S.  203  Anin.  5 bis  12,  sowie  außerdem: 
Salzburg  Priv.  Ottos  III.  (996),  MG  DD  II,  208:  Andlati  Priv.  Heinr.  II. 
(1004).  MG  DD  III,  79;  Magdeburg  und  Bremen  Priv.  Konr.  II.  (1035), 
Keutgen  ITk.  S.  32.  33:  Külbigk  Priv.  Konr.  II.  (1036),  Mon.  Bo.  XXIXa 
S.  49;  Priv.  Heinr.  III.  für  Erzbischof  von  Mainz  (1049),  Bodman  S.  200; 
Wasserbill  ich  Priv.  Heinr.  III.  (1056),  Mittelrh.  U.  B.  I S.  405. 

3)  Würzburg  Priv.  Konr.  II.  (1030),  Mon.  Bo.  XXIXa  S.  30;  Donau- 
wfirth  Priv.  Konr.  II.  (1030),  Keutgen  l'rk.  S.  32 ; Magdeburg  Konr.  II. 
(1035),  Keutgen  Urk.  S.  32 ; Bremen  Konr.  II.  (1035),  Keutgen  l'rk.  S.  33: 
Kaufungen  Heinr.  III.  (1041),  Stumpf  nr.  50:  Essen  Heinr.  III.  (1041), 
Lacomblet  I S.  109:  Verdun  Priv.  d.  Bischofs  (1082),  Calinet  III  S.  78; 
Metz  Priv.  d.  Bischofs  (1090),  Calmet  11  S.  245,  und  (1130),  Hist,  de  Metz 
III  S.  110:  Sch vv&b iseh -Hall  Priv.  d.  Bischofs  (1156),  Wirt.  U.  B.  II 
S.  103:  Aachen  Friedr.  I.  (1166)  3,  Keutgen  l'rk.  S.  38. 


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113 


markte ')  oder  einem  Markte  zu  Oute  kommen  soll,  dessen  einzelne 
Tennine  vom  Marktherm  auf  Grund  der  ihm  allgemein  erteilten 
Iwentia  cimxtruendi  mercatum s)  nach  eigenem  Ermessen  fest- 
gesetzt werden :l).  Die  Befriedung  des  Marktes  ist  ein  derart 
allgemein  verbreitetes  Institut4),  daß  selbst  da,  wo  die  pax  nicht 
ausdrücklich  mitverliehen  ist,  anzunehmen  sein  wird,  daß  sie  als 
eine  dem  Markte  notwendig  anklebende  Eigenschaft  in  der  Be- 
fugnis des  m ercatum  construendi  und  in  der  Verleihung  des  bannux 
von  vornherein  mit  enthalten  ist. 

Dieser  Marktfriede  charakterisiert  sich  als  ein  Friede  per- 
sönlicher Natur,  der  den  einzelnen  Marktteilnehmern  zu 
Gute  kommt,  mögen  sie  nun  speziell  mercatares,  myotiatores 
oder  aber  sonstige  Personen  sein s).  Abzulehnen  ist  die  u.  a.  von 

')  Allensbach  Otto  III.  (998),  Keutgen  Urk.  S.  Gl;  Weinheim 
Otto  III.  (1000),  Keutgen  I'rk.  S.  31 : Andlau  Heinr.  II.  (1004),  MG. DD. 
III.  79;  Kaufungen  Heinr.  III.  (1041),  Stumpf  nr.  50:  Wasserb  illich 
Heinr.  III.  (1056),  Mittelrh.  U.  B.  I S.  405;  Hagenau  Fricdr.  I.  (1164)  10, 
Keutgen  Urk.  S.  135. 

s)  Daß  mtrcatum  in  solchen  allgemein  gehaltenen  Verbindungen  nicht, 
wie  Vargcs  will,  das  Hecht  des  Handelsverkehrs,  sondern  einfach  „Markt“ 
bedeutet,  hat  Itietschel  S.  42 — 45  gezeigt.  Bestätigt  wird  Rietschels  Auf- 
fassung noch  dadurch,  daß  das  Wort  mtrcatum  bei  solchen  Gelegenheiten 
bereits  in  dem  übertragenen  Sinne  von  „Markt“,  im  Sinne  nämlich  von 
Marktstätte,  Kaufstadt  gebraucht  wird  : abkati  . . . lictntiam  conctdimus  . . . merca - 
tum  t d ificandi  in  viita  que  nunctcpatur  Dumhtrio  (Donchcry  Heinr.  II.  — 

1005  — in  MG.  DI).  III.  96). 

s)  Meppen  Otto  I.  (946),  Keutgen  Urk.  S.  26:  mtrcatum  vtro  constituant 
publicum  in  Ulis  ubicumqut  abbati placuerit  loch,  paccmqut  firmissimam  tentant 
aggredientes  tt  rtgreditnlts  ct  ibi  manentes,  eodtm  modo  sicut  ab  ante- 
ccssoribus  nostris  rtgibus  iam  pridem  aliis  publicis  mercatorum  locis 
conctssum  erat;  Odenhausen  Otto  I.  (973),  Keutgen  Urk.  S.  27;  Frei- 
sing Otto  III.  (996),  Keutgen  Urk.  S.  30;  Salzburg  Otto  III.  (996),  MG. 
DD.  II.  208:  Villingen  Otto  III.  (999).  Keutgen  Urk.  S.  31 ; Helmars- 
hansen Otto  III.  (1000),  Keutgen  Urk.  S.  30:  Kreuznach  Otto  111.(1000), 
MG.  DD.  II.  367;  Priv.  Heinr.  III.  fnr  Erzb.  von  Mainz  (1049),  Bodman 
8.  200;  Kölbigk  Konr.  II.  (1036),  Mon.  Bo.  XXIX a S.  49;  Wienhausen 
Heinr.  III.  (1053),  Janicke  I.  S.  88;  Hirschbruck  Heinr.  IV.  (1057),  Mon. 
Bo.  XXIXa  S.  140:  Villach  Heinr.  IV.  (1060),  Mon.  Bo.  XXIXa  S.  343. 

*)  Itietschel  S.  200—202. 

s)  Hel marshauseu  Otto  III.  (1000),  Keutgen  Urk.  S.  30:  omnes 
neqotiatares  ceterique  m ercatum  excolentes;  Essen  Hoinr.  III.  (1041},  La- 
comblet  I.  S.  109:  ne^otiatores  ceterique  homines  ad  pr  c die  tu  »t  nurcaiuu; 
venientes , u.  S.  W. 

Kudorff,  Rechtes. st  eil  uns  der  Gäste  ® 


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114 


Schröder1)  vertretene  Ansicht,  daß  der  Marktfriede  dinglich  wirke. 
Wenn  Schröder  sich  zum  Beweise  auf  die  Privilegien  beruft,  die  dem 
Marktherrn  die  allgemeine  Erlaubnis  conetruendi  mercatum  geben, 
so  ist  zwar  zuzugestehen,  daß  mit  ihrer  Hilfe  der  Marktherr  in 
der  Tat  einen  „ständigen“  Markt  gründen  konnte,  indem  er  nämlich 
an  jedem  Tage  der  Woche  Markt  halten  ließ*).  Auf  diese  für  den 
Marktherrn  bestehende  Möglichkeit  hat  auch  schon  Rietschel3) 
hingewiesen,  gleichzeitig  aber  mit  Recht  hervorgehoben,  daß  von 
einer  solchen  Befugnis  nur  in  Ausnahmefällen  werde  Gebrauch 
gemacht  wurden  sein.  Schröder  läßt  nun  nicht  nur  diesen  letzten 
Gesichtspunkt,  er  läßt  auch  die  Frage  außer  Acht,  wie  es  denn 
mit  einem  „ständigen“  Markt  an  solchen  Orten  hätte  bestellt  sein 
sollen,  wo  das  Marktbegründungsprivileg  überhaupt  nur  einmal  in 
der  Woche  oder  gar  noch  seltener  Markt  zu  halten  gestattete,  wo 
dem  entsprechend  der  Friede  der  Marktbesucher  eben  nur  für  den 
Besuch  dieses  Marktes,  d.  h.  für  diesen  Markttag,  festgesetzt 
wurde.  Schröder  verkennt  schließlich,  daß  der  Friede  speziell 
der  auswärtigen  Marktbesucher  außerhalb  des  Marktortes  nicht 
eine  Eigentümlichkeit  der  Jahrmärkte  darstellt,  sondern  für  alle 
Märkte  gilt*),  daß  also  dort  nicht  dem  dinglichen  Frieden  ein 
spezieller  persönlicher  Friede  hinzutritt5),  sondern  daß  dort  wie 
hier  sich  die  rein  persönliche  Wirkung  des  Marktfriedens  in  be- 
sonders klarer  Weise  äußert. 

Schröders  Meinung,  daß  nur  der  Jahrmarktsiriede  (und  zwar 
außerhalb  des  Marktorts)  persönliche  Wirkung  äußere,  beruht 
namentlich  auf  dem  bekannten  Privileg,  das  Konrad  II.  im  Jahre 
1035  dem  Erzbischof  von  Bremen  verlieh: 

Becelino . . archiepiecopo  mercatum  in  e.odem  loco  (sc.  Bremen) 
. . . habere  conceesiwue,  ea  videlicet  lege,  ul  bis  in  anno  omne», 
i/ui  illuc  causa  mercandi  veniant,  unu  eice  septem  die t ante 
Pentecosten,  seeunda  viee  »imiliter  septem  die s ante  feslieitatem 

')  8.  625  in  und  bei  Anui.  24. 

s)  Fand  in  der  Tat  an  jedem  Tage  Markt  statt,  au  ist  die  Vorstellung 
denkbar,  daß  der  Marktfriode  in  solchem  Falle  innerhalb  des  Marktortes 
dingliche  Wirkung  erlangt  hätte. 

3)  S.  45  und  46. 

*)  Oben  S.  112  bei  Anm.  2 und  3,  S.  113  bei  Anni.  1 — 3.  Vgl.  Rietschel 

8.  202. 

5)  Vgl.  unten  S.  115  bei  Anm.  1. 


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115 


S.  Wülehadi  . . .,  annuale  mercatum  illic  habeant.  Bannum  autem 
nottrum  super  omnes  box  illuc  venientes,  ut  illic  eundo  et  redeundo 
habeant  pacem,  facimus  eundemque  bannum  noxtrum  praedicto 
arehiejtiscopo  ob  suumßdele  servitium  ea  ratione  concedimus,  ut  ei 
in  hoc  statu/o  tempore  ex  illuc  venientibus  aliqua  temeritas  evene- 
rit , inde  iustitiam  jaciendi  nrque  dux  neque  coines  neque  aliquix 
hominum  preter  ipxum  xuosque  successores  licentiam  habeant1). 
Diesem  Privileg  hat  Ri  et  sc  hei,  der  die  persönliche  Natur  des 
Marktfriedens  verlieht,  eine  andere  Auslegung  als  Schröder  gegeben, 
die  aber  ebenfalls  nicht  zu  billigen  ist.  Anknüpfend  an  das  von 
Otto  dem  Grollen  dem  Hamburger  Erzbistum  005  gegebenen  Privileg: 
non ....  conxtruendi  mercatum  in  loco  Bremun  nuncupato 
illi  concexsisse  licentiam  [omnibux  co nutet] . Bannum ...  pre- 
libutae  conferimux  sedi*), 

sagt  Rietschel:  „Die  Urkunde  von  1035  enthält  gegenüber  den 
früheren  Urkunden  etwas  durchaus  Neues,  nämlich  die  besondere 
Befriedung  der  von  außen  kommenden  Marktbesucher.  Der  1035 
verlieheue  Jahrmarkt  genießt  einen  höheren  Frieden  als  die 
sonstigen  Bremer  Märkte;  deshalb  war  eine  besondere  Begründungs- 
urkunde für  denselben  erforderlich“ 3).  Inwiefern  aber  das  Privileg 
den  auswärtigen  Marktbesuchern  einen  höheren  Frieden  als  bei 
sonstigen  Märkten  hätte  verschallen  sollen,  ist  bei  Rietschels  Auf- 
fassung von  der  grundsätzlichen  räumlichen  Erstreckung  des  Markt- 
fahrerfriedens über  das  ganze  Reich4)  nicht  verständlich.  Denn 
das  Privileg  spricht  weder  in  Ansehung  der  Art  der  Handlungen, 
gegen  die  die  Marktfahrer  geschützt  sein  sollen,  noch  bezüglich 
der  auf  solche  Handlungen  gesetzten  Bannbußen  etwas  aus,  was 
den  Inhalt  dieses  Jahrmarktfriedens  über  den  Inhalt  sonstiger 
Marktfrieden  erhöbe5).  — Nur  der  vermag  einen  Unterschied 
gegenüber  dem  bisherigen  Rechtszustand  zu  entdecken,  der  mit 
uns  annimmt,  daß  kraft  dieses  neuen  Privilegs  die  Marktfahrer 
in  einem  weiteren  Kreise  außerhalb  Bremens  geschützt  sein 
sollten  als  bisher.  Möglicherweise  freilich  teilt  auch  Rietschel, 

')  Keutgon  Urk.  8.  33. 

*)  MG.  DD  I.  307. 

»)  8.  48. 

4)  S.  oben  8.  112  bei  Anm.  2. 

s)  8.  oben  S.  112  bei  Amn.  2 und  3,  S.  113  bei  Audi.  1 — 3. 

8* 


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der  an  sich  die  Existenz  eines  Bremischen  Marktfriedens  auch 
schon  vor  1035  nicht  leugnet1),  diese  letzterwähnte  Anschauung; 
denn  er  setzt  vielleicht  voraus,  es  habe  jener  ältere  Friede  der 
Marktbesucher  nur  für  den  Marktort  Bremen  selbst  gegolten. 
Aber  eine  derartige  Voraussetzung  würde  mit  Kietschels  sonstigen 
Ausführungen  über  den  Marktfrieden  nicht  im  Einklänge  stehen; 
er  sagt  ja  anderwärts  ganz  allgemein3),  daß  die  Marktbesueher 
sich  dieses  Friedens  „nicht  nur  während  ihres  Aufenthaltes  am 
Marktorte  selbst,  sondern  auch  während  ilires  Kommens  und  Gehens, 
während  der  Hin-  und  Rückreise“,  erfreuen  sollen;  „ja  der 
Schutz  auf  der  Reise  erscheint  bisweilen  als  die  Hauptsache“. 

Um  zur  Klarheit  über  den  Gehalt  des  Bremischen  Jahrmarkt- 
privilegs zu  gelangen,  ist  zunächst  das  etwa  einen  Monat  früher 
erteilte  Privileg  Konrads  H.  für  Magdeburg  heranzuziehen;  in 
diesem  Privileg  heißt  es: 

Barmum  nostrum  imperialem  super  omnes  ad  mercatum 
solennem  Magedeburch  venientes,  iit  illuc  eundo  et  redeundo 
habeant  pacem , Jacimus  eundemque  bannum  nostrum  Jidelibus 
imperxi  ea  ratione  concedimus,  ul  si  in  statulo  tempore  ex 
illuc  venientibus  aliqua  temeräas  evenerü , inde  iusticiam  Ja- 
ciendi  dux  aut  oomes  vel  et  episcopus  aut  quisquis  ha- 
rn inum  locum  illum  a nobis  tenet  lieetitiam  habeant3). 
Hier  wird  nicht  wie  in  Bremen  ein  neuer  Jahrmarkt  gegründet, 
sondern  von  einem  schon  zu  Recht  bestehenden  Jahrmarkt  von 
nicht  näher  bezeichneter  Dauer  gesprochen.  Magdeburg,  dessen 
Moritzkirche  bereits  965  von  Otto  dem  Großen  im  Wege  eines  allge- 
meinen Marktprivilegs  ein  mercatum ')  erhalten  hatte,  nahm  bereits 
im  10.  Jahrhundert  eine  sehr  bedeutende  und  vorbildliche4)  Handels- 
stellung ein.  Daß  sein  Markt  im  allgemeinen  und  speziell  der 
erwähnte  mercatus  solcnnis  jenen  auch  für  die  Reise  gültigen 

')  Schon  der  Schlußsatz  in  dem  oben  S.  115  bei  Anm.  2 abgedruckten 
Privileg  deutet  darauf  bin;  vgl.  oben  S.  113  bei  Anm.  4. 

J)  S.  202. 

*)  Keutgen  Urk.  S.  32. 

4)  Und  dazu:  quiequid  hactenus  utiiitatis  exinde  ad  nostrum  publicum  ius 
pertmere  videbatur  (in:  MG.  1)D.  I.  301). 

5)  Vgl.  die  Privilegien  für  Halb  er  stadt  Otto  111.  (989):  et  utditates 
de  eodem  mercato  ...  et  ba  nno  . . . possidcant  sicut  relique  civitates,  Magadaburg 
et  aliae , und  für  tjuedlin bürg  Otto  III.  (994),  Keutgen  Urk.  S.  28  bzw.  29 


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117 


Marktfahrerfrieden  nicht  genossen  haben  sollten,  in  dessen  Besitz 
zahlreiche  andere  und  viel  minder  wichtige  Märkte  waren1),  ist 
durchaus  unwahrscheinlich.  Die  anscheinend  erst  1035  vorge- 
nommene Begründung  des  Bannes  über  die  Personen  der  zum 
Magdeburger  Jahrmarkt  ziehenden  Marktfahrer  ist  in  Wirklichkeit 
nur  die  feierliche  kaiserliche  Bestätigung  eines  bereits  bestehenden 
Zustandes.  Sie  gibt  indessen  die  Grundlage  ab  für  eine  tatsächlich 
neue  Vorschrift,  die  auch  im  Bremischen  Privileg  wiederkehrt, 
nämlich  über  die  Ausnutzung  des  Königsbannes. 

Beide  Privilegien,  das  Magdeburgische  wie  das  Bremische, 
zeigen  durch  diese  Vorschrift  klar,  daß  an  sich  der  Marktberechtigte 
die  Gerichtsbarkeit  über  die  durch  den  Königsbann  gefreiten 
Marktfahrer  nicht  auch  dann  ohne  Weiteres  ausübte*),  wenn 

*)  S.  oben  S.  112  Anm.  3 und  S.  113  Anm.  1 und  3.  Vgl.  anch  S.  116 
Anm.  4.  5 und  S.  113  bei  Anm.  4. 

'■*)  Wie  Kietschcl  S.  205  und  20fi  annimmt.  Wo  dergleichen  ausge- 
sprochen ist,  handelt  es  sich  um  Ausnahmen.  Namentlich  möchten  wir  der 
Aufzeichnung  der  Rechte  des  Herzogs  von  Lothringen  gegenüber  dem  Kloster 
St.  I » i e im  Tale  Galiläa  (1115 — 1123)  1,  Waitz  Urk.  S.  48,  nicht  zu  viel 
Bedeutung  beilegen,  wenn  es  daselbst  heißt : Si  mansionarius  Saneti  Deodati  ad 
forum  venertt  et  in  die  fori  Urtia  ferm  in  ipso  foro , vel  in  via  fori  aliquant 
culpam  feeerit,  seeundum  iustitiam  fori  inde  respondebit,  d.  h.  vor  dem  Herzog. 
Ks  handelt  sich  in  der  Urkunde  einmal,  wie  schon  Waitz  VII  S.  132  her- 
vorhebt. um  eine  Vereinbarung.  Zweitens  aber  wird  die  Gerichtsbarkeit 
des  Herzogs  lediglich  über  die  mansionarii  des  Klosters  festgestellt, 
dessen  Vogt  der  Herzog  war  und  dessen  mansionarii  pertinentes  ad  prae- 
bendam  fratrum  nach  dem  Privileg  Papst  Leos  von  1051  (Calmet  II  S.  295 ff.) 
nur  daun  widerruflich,  gegen  ‘/s  der  Gefälle,  der  Gerichtsbarkeit  des  Vogts 
unterliegen  sollten,  wenn  die  Brüder  ihn  aus  freiem  Antriebe  herbeiholten. 
Lediglich  diese  letztere  Einschränkung  wird  für  Markttage  nunmehr 
ausgeschlossen.  Wie  es  hier  und  anderwärts  mit  fremden  Markt- 

besuchern oder  auf  Märkten,  deren  Verhältnisse  lediglich  ein  könig- 
liches Privileg  ordnete,  gehalten  worden,  läßt  sich  demnach  aus  jener 
Vereinbarung  nicht  schlieüen.  — Das  Stadtrecht  von  Soest  (12.  Jahrh.)  54, 
Keutgen  Ulk.  S.  143,  erklärt  zwar  ferner  die  preeones  extra  oppidum  manentes 
für  kompetent,  quohbet  die  quo  forum  servatur  in  Susato  Ladungen  vor  das  in 
der  Stadt  abgehalteue  Gericht  auszufnhren.  Diese  Bestimmung  bedeutet 
indessen  keine  Erweiterung  der  örtlichen  Zuständigkeit  des  StadtschultheiQen 
(Gaugrafen)  zur  Marktzeit.  Das  Gericht  desselben  erstreckt  sich  vielmehr 
nicht  allein  auf  den  Baum  infra  opidum  Susalense , sondern  auch  extra  ad  unum 
miliare  eircumqnaque  (Bestand  des  Marschallamts  in  Westfalen  — 1293  bis 
1300  — , Scibertz  I S.  019  bis  621).  Der  Sinn  jenes  § 54  ist  also  lediglich. 


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118 


letztere  außerhalb  seines  Gerichts- (Immunität«-)  Bezirkes  wider- 
rechtliche Angriffe  zu  erdulden  hatten.  In  Magdeburg  wie  in 
Bremen  ist  vielmehr  erkennbar,  daß  an  sich  außerhalb  des 
Immunitätsbezirkes  die  Inhaber  der  öffentlichen  Gewalt,  Herzog, 
Graf  u.  s.  w.,  über  Brüche  des  Marktfriedens  zu  richten  und  — 
fügen  wir  hinzu  — auch  den  Königsbann  einzuziehen  hatten1), 
der  auf  der  Person  der  Verletzten  (super  omnes  ad  mercatum  ve- 
nienies)  ruhte*).  In  beiden  Privilegien  soll  nun  in  dieser  Beziehung 

daß  an  Markttagen  wegen  des  größeren  Verkehrs  neben  den  Stadtbütteln 
(§§  11.  45  des  Stadtrechts,  S.  622  bis  623  des  Bestandsverzeichnisses)  auch 
die  auf  dem  nahen  Lande  gesessenen  Fronboten  des  Stadtrichters  zn  ge- 
richtlichen Handlungen  innerhalb  der  Stadt  herangezogen  werden  dürfen.  — 
Übrig  bleiben  würde  also  nur  die  Bestimmung  der  Statuten  von  Höxter 
§ 4,  Gengier  S.  R.  S.  202,  wegen  des  dortigen  siebentägigen  Jahrmarktes: 
Si  ix assus  aliquis  infra  tluo  miliaria  ineiderit,  iudicabitur , st  pervenerit  ad  quere- 
laut  infra  septem  dies  iam  die/es;  si  quid  vero  ante  actum  fuerit,  per  omnia  liberum 
permanebit.  Ks  erscheint  aber  sehr  zweifelhaft,  ob  dieser  für  einen  engen 
Raum  bestimmte  und  verhältnismäßig  späte  (der  Jahrmarkt  wurde  iui  zweiten 
Viertel  des  13.  Jahrhunderts  vom  Abte  Hermann  von  Corvey  gegründet)  Satz 
genügt,  um  die  Erstreckung  der  Zuständigkeit  des  Marktgerichts  auf  alle 
außerhalb  des  Marktortes,  aber  während  der  Marktzeit  geschehenen  Ver- 
letzungen von  Marktfahrern  allgemein  wahrscheinlich  zu  machen. 

•)  Wo  das  ausnahmsweise  nicht  der  Kall  sein,  wo  vielmehr  der  Markt- 
berechtigte auch  außerhalb  seines  eigenen  Jurisdiktionsbezirkes  (Markt- 
friedensbrüche richten  und)  die  Bannbußen  cinzichcn  soll,  wird  das  ausdrücklich 
hervorgehoben,  so  in  dem  von  Kietschel  S.  210  zutreffend  ausgelegten  allge- 
meinen Marktprivileg  Ottos  III.  (Kcntgen  Urk.  S.  31),  das  dem  Grafen  Berthold 
im  Jahre  999  bezüglich  des  Ortes  Vi Hingen  cum  moneta,  teloneo  ac  totius 
publicae  rei  banno,  in  comitalu  quoque  ßara,  qsseui  Hilibaldtts  eomes 
teuere  et  potenter  videtur  placitare,  erteilt  wurde. 

3)  S.  die  beiden  Privilegien  für  Magdeburg  und  Bremen  oben  S.  116 
bei  Anm.  3 und  S.  115  bei  Anm.  1:  s.  ferner  oben  S.  113  bei  Anm.  5 und 
114  bei  Amn.  4.  Insofern  die  Bannbuße  wegen  eines  außerhalb  des  Markt- 
ortes an  den  Marktfahrern  verübten  Friedensbruches  einem  auswärtigen 
Richter  znficl,  bestand  der  Vorteil  eines  dem  Marktherrn  bei  Königsbann 
zngcsicherten  Marktfahrerfriedens  nicht  in  der  Erhebung  der  Bannbuße  durch 
ihn  selbst,  sondern  nur  in  der  voraussichtlich  infolge  jener  Zusicherung 
größeren  Frequentierung  des  von  ihm  zu  errichtenden  Marktes.  - Bei  dieser 
Gelegenheit  sei  daraufhingewiesen,  daß  die  Fassung:  si  ex  illuc  venientibus 
aliqtta  ttmeritas  evenerit  in  den  beiden  Privilegien  für  Magdeburg  und  Bremen  den 
Anschein  erweckt,  als  handele  es  sich  um  Gericht  und  Bann  wegen  Ver- 
gehen, die  sich  die  Marktfahrer  selbst  zu  Schulden  kommen  lassen,  was 
aber  mit  der  Motivierung:  ut  illuc  eundo  et  redeun, tu  Imbeant  paccm  nicht  zu- 


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119 


eine  Begünstigung  des  Marktherm,  des  Erzbischofs,  eintreten. 
Während  aber  in  Magdeburg  in  bestellende  Verhältnisse  einge- 
griffen wird  und  deshalb  Marktherr  und  öffentlicher  Richter  in 
der  Ausübung  der  Jurisdiktion  über  die  reisenden  Marktbesucher 
und  demzufolge  im  Bezüge  der  Bannbuße  nur  konkurrieren  sollen1), 
werden  in  Bremen,  wo  der  Jahrmarkt  neu  begründet  wird,  Her- 
zog, Graf  u.  s.  w.  von  beidem  ausdrücklich  völlig  ausgeschlossen 
und  diese  Befugnisse  ob  sunm  fidel e servitium  dem  Erzbischof 
allein  zugeschrieben. 

Diese  Verleihung  eines  erweiterten  Jurisdiktionsrechtes  über 
die  nach  Magdeburg  und  Bremen  ziehenden  Marktfahrer  erklärt 
aber  immerhin  noch  nicht  den  Umstand,  daß  der  Erzbischof  von 
Bremen  trotz  seines  Marktrechtes  den  Jahrmarkt  selbst  nicht 
ohne  die  Erlaubnis  des  Kaisers  einrichtet.  Es  ist  das 
eine  Frage,  die  auch  für  Würzburg  auftaucht.  Hier  herrschte  ein 
Marktverkehr  von  so  hoher  Blüte,  daß  täglich  Markt  gehalten 
wurde.  Trotzdem  lautet  ein  im  Jahre  1030  von  Konrad  II.  dem 
Bischof  erteiltes  Privileg: 

ibidem  monetam  public  am  . naulum  . mercatum  cotti- 
(lianum  . thelonettm  . et  tat  im  civitatis  eiuxdem  dixtrictum  . 
nie  nt  finerat  ante  noxtra  tempora  constitutum  . in  pre- 
fati  epixeopi  eiusipie  xueeexxorum  potextate  deinde  esse  conce- 
dimus  . confirmamux  ae  stabilimus.  Insuper  nos  . . . mer- 
catum annualc  a XVI  Kal.  Septembris  usque  VIllI  Kal. 
eiuxdem  mengix  ibidem  finre  permittimus  et  Omnibus 
illac  ennfiluentibus  . ibi  de morantibus  . inde  receden- 
tibux  pacem  legem  . nc  iuxticiam  fieri  praecipimux *). 
Obwohl  also  der  würzburgische  Bischof,  ebenso  wie  der  bremische 
und  der  magdeburgische  Erzbischof,  sich  als  Marktherr  eines  all- 
gemeinen, übrigens  nicht  überlieferten  Markt}) rivilegs  erfreut  haben 
muß,  und  obwohl  ferner,  ebenso  wie  in  Bremen  und  in  Magdeburg, 

samuienstimmcn  würde.  Mit  Rücksicht  auf  diese  Motivierung  wird  jene 
Vorschrift  von  Ausschreitungen  zu  verstehen  sein,  die  zwar  infolge  dos 
Kommens  auswärtiger  Marktfahrer  entstehen,  aber  nicht  nur  durch  sie  ver- 
schuldet werden. 

‘)  Nach  welchen  Grundsätzen,  wird  nicht  gesagt:  möglicherweise  ent- 
scheidet Prävention. 

»)  Mon.  Bo.  XXIX  a S.  30. 


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gerade  auch  für  Würzburg  die  Nichtexistenz  eines  Marktfriedens  das 
Unwahrscheinliche  ist,  bedarf  der  Bischof  eines  besonderen  kaiser- 
lichen Jahrmarkts-  und  Friedensprivilegs.  — Die  Schrödersche 
Erklärung  ist  abgelehnt  worden*).  Aber  auch  Rietschels  An- 
sicht, daß  die  allgemeine  licentia  rniuinumdi  merratum  dem  Markt- 
herrn an  sich  auch  die  Befugnis  zur  Errichtung  von  Jahrmärkten 
gebe*),  vermag  ebenso  wie  seine  Erläuterung  des  angeblich  nicht 
widersprechenden  Bremischen  Privilegs*)  nicht  aufzuhellen,  wes- 
halb der  Kaiser  in  Würzburg  und  in  Bremen  ein  Jahrmarkts-  und 
Friedensprivileg  erteilt.  Dies  ist  nur  dann  verständlich,  wenn  trotz 
des  Vorhandenseins  einer  allgemein  erteilten  licentia  cotutruendi 
mercatum  besondere  Verleihung  des  Jahrmarktrechts  und  des  ent- 
sprechenden Friedens  notwendig  war.  Diese  Notwendigkeit  aber 
rührt,  wie  schon  oben  angedeutet  und  jetzt  nachzuweisen  ist, 
daher,  daß  der  Jahrmarktsfriede  sich  vom  gewöhnlichen  Markt- 
frieden durch  weiteren  räumlichen  Geltungsbereich  unterschied. 

a)  Daß  Inhalt  und  Ausübung  des  Friedensschutzes  auf  den  ver- 
schiedenen Märkten  übereinstimmte,  ist  schon  oben  hervorgehoben 
worden*).  Wäre  aber  außerdem  Rietschels  Auffassung  von  der 
(theoretischen)  Ausdehnung  des  Marktfriedens  über  das  ganze 
Reich  zutreffend 5),  so  würden  Wochen-  und  Tagesmärkte  durch- 
weg ebenso  gefreit  gewesen  sein  wie  die  Jahrmärkte,  die  Märkte 
der  „Fremden“ 6).  Unwahrscheinlich  indessen  ist  von  vorn- 
herein, daß  die  Marktprivilegien  der  sächsischen  und  salischen 
Kaiser,  diese  in  eminentem  Sinn  praktischen  Dokumente,  gerade 
in  Ansehung  des  Marktfriedens  jener,  wie  Rietschel  selbst  sagt’), 
praktisch  völlig  undurchführbaren  Theorie  gehuldigt  haben  sollten. 
Der  Wortlaut  der  erwähnten  Dokumente8)  braucht  jedenfalls 
nicht  in  diesem  Sinne  gedeutet,  insbesondere  der  Ausdmck  in 

*)  Oben  S.  114  bei  Anrn.  1 und  5,  S.  115  bei  Anm.  1. 

*)  S.  45—49. 

*)  Oben  S.  115  bei  Anm.  3. 

*)  Oben  S.  112  bei  Anm.  3,  S.  113  bei  Anm.  1—3. 

s)  Oben  S.  111  bei  Anm.  3. 

*)  Vgl.  Keutgen  Urspr.  S.  187  ff. 

*)  S.  oben  S.  111. 

*)  Über  Marktprivilegien  des  13.  Jahrhunderts  s.  unten  S.  124,  besond. 
Anm.  3.  4.  Wegen  der  scheinbaren  Ausnahme  des  Marktprivilegs  für 
Allensbach  (998)  s.  unten  S.  122  bei  Anm.  3.  S.  123  bei  Anm.  1 und  2. 


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121 


redeundo  nicht  auf  das  Wiederanlangen  des  Marktfahrers  am  Aus- 
gangspunkt seiner  Marktreise  bezogen  zu  werden.  Die  pau:  in 
oeniendo  und  in  redeundo  bezeichnet  den  Genuß  eines  Friedens 
beim  Kommen  und  beim  Gehen  '),  Anfangs-  und  Endtermin  dieses 
Friedens  dagegen  bleiben  bei  dieser  Ausdrucksweise  zunächst 
völlig  offen. 

Diese  Lücke  nun  wird  ausgefüllt  und  zwar  in  verschiedenerWeise, 
je  nach  dem,  ob  ein  Jahrmarkt  oder  ein  sonstiger  Markt  in  Frage 
steht.  Eine  charakteristische  Eigentümlichkeit  des  Jahrmarktes 
ist  nämlich,  daß  er  mehrere  Tage  hinter  einander  dauert*);  er 
erstreckt  sich  als  eine  Einheit  über  mehrere  Tage  hinweg,  per 
dies  continuo»,  wie  es  häufig  in  den  Jahrmarktsprivilegien  heißt. 
Je  bedeutender  der  Jahrmarkt  werden  soll,  um  so  längere  Zeit 
nimmt  diese  Einheit  in  Anspruch.  Anders  steht  es  offensichtlich 
mit  dem  mercatum  cottidianum ’),  dem  mrrcatum  omni  die  legiti- 
mum *),  das  der  Marktherr  auf  Grund  einer  allgemeinen  licentia 
construendi  mercatum  errichtet.  Markttag  folgt  hier  auf  Markttag, 
aber  eine  höhere  Einheit  fehlt.  Dieser  Unterschied  zeitigt  eine 
wesentliche  Rechtsfolge,  eine  verschiedene  räumliche  Erstreckung 
des  Marktfriedens.  Des  letzteren  zeitliche  Dauer  nämlich  ent- 
spricht der  Länge  der  betreffenden  marktlichen  Veranstaltung6). 
Nichts  liegt  näher,  als  den  Frieden  des  mehrtägigen  Jahrmarktes 
ebenso  wie  diesen  selbst  als  eine  Einheit  aufzufassen  gegenüber 
dem  an  jedem  Markttage  sich  erneuenden  Frieden  des  Tages- 
(oder  Wochen-)  Marktes.  Nun  währt  aber,  wie  scharf  betont 
werden  muß,  der  Marktfrieden  für  die  Marktteilnehmer  nicht 
nur  am  Marktorte  selbst,  sondern  auch  außerhalb  des  Marktortes 
nur  so  lange,  als  der  durch  ihn  geschützte  (Tages-,  Wochen-,  Jahr-) 
Markt  selbst  andauert6).  Berücksichtigt  man  dies,  so  ergibt  sich, 

l)  Vgl.  auch  Wien  Stadtr.  (1296)  36,  Keutgen  Urk.  S.  219:  alle,  die  zu 

dem  jarntarchSe  (kontent, ....  sein  vri  di  zit  und  si  dar  choment  zu  dem  jar- 
marckte  un  drutaeile  si  da  beleihen  un d aueh  so  si  von  danne  varent . 

s)  Eine  Ausnahme  bildet  möglicherweise  Breitungen  Heinr.  V.  (1114), 
Kuchenbecker  XII  S.  321:  s.  auch  unten  S.  133  Anni.  5 (Koblenz). 

3)  S.  oben  S.  119  bei  Anin.  2,  sowie  Besan<;on  Priv.  des  Erzb.  (1044), 
Dunod,  Histoire  de  l’eglise.  . . de  Besancon.  1750.  S.  47. 

4)  S.  oben  S.  112  bei  Anni.  2 und  Salzburg  (S.  112  Anm.  2). 

5)  Darüber  s.  unten  S.  127  ff. 

*)  Darüber  s.  unten  S.128— 131. 


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122 


daß  der  auswärtige  Teilnehmer  eines  Tages-  (oder  Wochen-)  Marktes 
auf  seiner  Hin-  und  Rückreise  nur  dann  durch  den  Frieden  dieses 
Marktes  gefreit  wird,  wenn  (unter  Berücksichtigung  seiner  augen- 
blicklichen Entfernung  vom  Marktort)  seine  Teilnahme  am  Markte 
des  Reisetages  möglich  erscheint.  Anders  der  Besucher  des  mehr- 
tägigen Jahrmarktes.  Wofern  der  letztere  bereits  begonnen  hat 
bezw.  noch  nicht  beendigt  ist,  steht  der  Reisende  unter  dem  Schutze 
des  einheitlich  über  mehrere  Tage  erstreckten  Jahrmarktfriedens. 
Und  mag  er  unter  Umständen  mehrere  Tagereisen  vom  Marktorte 
entfernt  sein,  unter  entsprechender  Anwendung  der  für  den  Tages- 
(oder  Wochen-)  Markt  entwickelten  Voraussetzung  ist  er  dieses 
Schutzes  trotzdem  teilhaftig.  Es  erhellt  aus  dieser  Darstellung, 
daß  selbst  der  Jahrmarktsfriede  sich  seiner  Natur  nach  nicht  über 
einen  sehr  großen  Umkreis,  geschweige  denn  über  «las  Reich  er- 
strecken sollte.  Das  kann  aber  um  so  weniger  befremden,  als  — 
wie  Rietsche!  hervorhebt  — einmal  die  tatsächlichen  Verhältnisse 
dazu  stimmen'),  zweitens  aber  die  ferneren  Marktteilnehmer,  um 
derentwillen  der  Jahrmarkt  überhaupt  geschaffen  wurde,  in  der 
Regel  Kaufleute  waren  und,  planmäßig  von  Markt  zu  Markt 
reisend,  aus  einem  Marktfrieden  aus-  und  alsbald  in  einen  andern 
eintreten  konnten. 

b)  Soweit  die  stereotyp  gehaltenen  Quellen  überhaupt  Auskunft 
über  den  räumlichen  Geltungsbereich  des  Marktfriedens,  insbesondere 
des  Friedens  des  Jahrmarktes,  geben,  bestätigen  sie  die  soeben 
aus  allgemeinen  Gesichtspunkten  entwickelte  Unterscheidung  zwischen 
dem  Frieden  des  Jahrmarktes  und  dem  anderer  Märkte. 

i.  Zunächst  seien  einige  scheinbare  Widersprüche  der  Quellen 
gegen  diese  Unterscheidung  behandelt. 

Im  Gegensatz  zu  den  oben  gegebenen  Ausführungen2)  erscheint 
es  unterweilen  so,  als  habe  sich  die  Geltung  des  Marktfriedens 
für  die  Marktfahrer  in  der  Tat  auf  ihre  gesamte  Reise,  namentlich 
also  bis  zu  ihrer  Wiederankunft  zu  Hause,  erstrecken  sollen.  In 
dem  Marktprivileg  Ottos  III.  für  Allensbach5)  heißt  es  in  der 
Tat: 


')  8.  oben  S.  111. 

ä)  8.  120  bei  Anm.  8 und  S.  121  bei  Anm.  1. 
*)  (998),  Keutgen  Lrk.  S.  61. 


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123 


. . ut  i/uicunu/ue  et  undecumque  ad  «upradictum  mercatum 
venire  voluerit,  »teure  et  pacijiee  veniat  et  . . . neyotia  rxerceat 
. . . atipie  ad  propria  cum  omni  pacie  eecuritate  redeat. 

Bezeichnenderweise  aber  handelt  es  sich  hier  lediglich  um  die 
Verleihung  eines  Wochenmarktes,  dessen  vorzügliche  Bestimmung 
es  ist,  von  Leuten  der  näheren  Umgegend  besucht  zu  werden,  die 
ihren  Wohnort  am  Tage  des  Marktes  selbst  verlassen  und  wieder 
aufsuchen.  Von  diesem  Regelfälle  aus  betrachtet  zeigt  das  er- 
wähnte Privileg  dieselbe  Tendenz  wie  das  bald  darauf,  nämlich 
1004  von  Heinrich  II.  mit  Bezug  auf  Andlau  erlassene,  wonach: 
omnee  hominen  in  eine  dem  loco  mercati  invicem  negodantee 
pacem  et  s ecuritatem  in  Circuit  u per  epatium  milliarii 
c er  tarn  noetri  banni  et  de/ensinnie  teneant '). 

Auch  hier  kommt  wieder  nur  ein  Wochenmarkt  in  Frage 
und  auch  hier  soll,  bloß  schablonenmäßiger  als  in  Allensbach, 
der  Kreis  der  Leute,  die  regelmäßig  an  einem  Wochenmarkt  teil- 
nehmen und  dessen  Frieden  genießen,  territorial  festgelegt  werden, 
wie  wir  das  späterhin  auch  bei  anderen  Märkten2),  sowie  zu 

')  MG.  DD.  III.  79. 

*)  Auch  in  Hagenau  Stadtr.  (1164)  10,  Keutgen  S.  135,  ist  der  Satz 
Friedrichs  I.:  Omnibus  predicli  loci  fomm  petentibus  etindo  vel  redeundo  hfra 
miliaria  tritt  cireunujuaque  . . imperiali  rnaiestate  pacem  Jirtnam  indicimus , ebenso 
wie  die  Vorschrift  des  Rechtsbriefs  für  Landshut  (1279)  6,  Genglcr  St.R. 
S.  234  (2  Meilen),  von  einem  Wochen-  (oder  Tages-)  Markt  zu  verstehen,  da 
ein  Jahrmarkt  in  den  betreffenden  Urkunden  nicht  erwähnt  wird,  ln  der 
Tat  mußte  bei  jenen  häutig  wiederkehrenden  und  durchschnittlich  immer  von 
denselben  Leuten  der  Umgebung  aufgesuchten  Märkten  der  Versuch  nahe 
liegen,  ihren  Friedenskreis  örtlich  zu  fixieren,  und  Rietschels  Hindeutung 
auf  die  Identität  der  Bannmeile  iS.  210),  welche  ihrerseits  nicht  mit  dem 
städtischen  Gerichtsbezirk  zusammenfällt,  hat  viele  Wahrscheinlichkeit  für 
sich.  Vgl.  auch  Freiberg  Stadtr.  (1296 — 1307)  II  § 13,  Krmisch|  S.  47: 
welch  man  warnt  in  derselben  utile  umme  Vribere  linde  alle  tage  in  die  stat 
wandert.  - Die  spätere  Zeit,  in  welcher  sich  das  Bewußtsein  von  der 
ursprünglichen  Bedeutung  des  Markt-,  namentlich  des  Jahrmarktfriedens  und 
von  dem  Zusammenhang  seiner  zeitlichen  Dauer  mit  seiner  räumlichen  Er- 
strcckung  verwischte,  hat  dann  gelegentlich  auch  bei  Jahrmärkten  den 
Friedenskreis  durch  eine  bestimmte  Meilenzahl  fixiert,  so  in  den  von 
Rietschel  8.  209  und  210  erwähnten  Statuten  von  Höxter  (1223 — 1257)  4 
und  in  dem  Privileg  für  Rotenburg  (1274)  7,  Gengier  St.  R.  S.  202  bzw. 
383.  ln  Zülpich  Weist,  j 2,  Grimm  Weist.  VI  S.  680,  gilt  der  Jahrmarkts- 


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124 


sonstigen  Zwecken  bei  anderen  Gelegenheiten '),  linden.  Eine  Vor- 
schrift, wenigstens  der  Art  wie  für  Allensbach,  würde  dagegen 
dem  Sinne  des  Marktfriedens  der  alteren  Zeit  widersprochen  haben, 
wenn  man  sie  auch  auf  Jahrmärkte  hätte  anwenden  wollen.  Hier 
herrschte  die  Abhängigkeit  des  Raumes  von  der  i mehrtägigen) 
Dauer  des  Friedens;  diese  Abhängigkeit  wird  zu  einer  derartigen 
Vorschrift  wie  der  Aliensbacher  einmal  in  einer  — französischen  — 
Privilegserneuerung  geradezu  in  Gegensatz  gebracht: 

et  puet  cascuns  venir  a le  feste  au  Quesnoit  le  fran - 
quise  de  le  feste  durant  sans  estre  pris  ne  arestes 
pour  debte  quelconque , et  en  tel  manibre  toutes  gens  qui 
viennenl  au  Quesnoit  au  marquiet  le  mardy  ne  doivent 
estre  pris  ne  areste:  pour  quelconque  dette  ains  doivent.  avoir 
leur  rethour  ä leur  maison-). 

Nicht  aber  ist  zu  übersehen,  daß  in  späterer  Zeit  auch  kaiser- 
liche Jahrmarktsprivilegien  Vorkommen,  welche  den  auswärtigen 
Marktbesuchern  uneingeschränkten  Frieden  während  der  gesamten 
Hin-  und  Rückreise  zuzusichern  scheinen.  Von  diesen  Besuchern 
heißt  es  zum  ersten  Male  in  dem  Privileg  Friedrichs  II.  für 
Speier  von  1245: 

quod  in  personis  et  rebns  undique  serrentur  indempnes  et 
nullus  audeat  eos  oßendere  . . , doner  ad  preta.ratum  locum 
eeniant  et  sitb  eiusdem  nostra  et.  imperii  securitat.is  indul- 
gentia  salubriter  ad  propria  renertantur*). 

Doch  wird  in  diesem  wie  in  anderen  ähnlichen  Jahrmarkts- 
privilegien 4)  hervorgehoben,  daß  die  Marktfahrer  stehen  sub  nostro 


friede  ausdrücklich  nur  innerhalb  der  Bannmeile,  von  der  bzw.  bis  an  die 
der  Schultheiß  die  Marktbesucher  zu  und  von  der  Stadt  zu  geleiten  hat. 

')  Bei  den  Gastgerichten  (unten  Kapitel  VI),  beim  Eiendeneid  (oben 
S.  30  bei  Anm.  2),  beim  < ierichtsstando  (oben  S.  56  Anm.  4 a.  E.). 

s)  Bestätigung  der  Freiheiten  von  l)nesnoy  durch  den  Herzog  von 
Baiern  (um  1180),  Wauters  S.  38. 

*)  A.  Hilgard,  Urkunden  zur  Geschichte  der  Stadt  Speyer.  Straßburg 
1 885.  S.  54. 

*)  Bamberg  Friedr.  II.  (1245),  Mon.  Bo.  XXXIa  S.  309:  vgl.  auch 
Worms  Lndwig  d.  Bayer  (1330).  H.  Boos,  Urkundenbuch  der  Stadt  Worms. 
Berlin  1890.  II  S.  1G8,  und  Köln  Karl  IV.  (1355),  l.acoinblet  III  S.  454. — 


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125 


et  imperii  securo  ducutu,  d.  h.  unter  dem  unentgeltlichen1)  Ge- 
leitsschutz des  Reiches.  Und  dieses  führt  zu  der  wahrscheinlichen 
Erklärung  von  Fassungen  wie  der  des  Privilegs  für  Speier.  Schon 
in  sehr  früher  Zeit  wurde  Kaufleuten  bestimmter  Orte  oder 
Gegenden  ein  weitgehender  kaiserlicher  (Geleits-)  Schutz  auf  ihren 
Reisen  durch  das  ganze  Reich  versprochen,  der  mit  dem  Markt- 
frieden, einem  an  bestimmte  Gelegenheiten  gebundenen  und  für 
einen  unbeschränkten  Kreis  von  Personen  bestimmten  Frieden,  nicht 
identisch  ist.  So  erneuert  z.  B.  Otto  II.  im  Jahre  975  ein  von 
seinem  Vater  den  mercatoribus  Magadeburg  habitantibus  erteiltes 
Privileg  mit  den  Worten: 

([Und  ubique  in  nostro  regno,  non  modo  in  Christianis 
sed  etiam  beerbaricis  regionibus,  tarn  eundi  quam  redeundi 
licentia  sit  sine  ullius  molestia *).  . 

Derartiger  Schutz  ward  späterhin  den  Kaufleuten  überhaupt  zuge- 
billigt; schon  das  bekannte  Privileg  Friedrichs  I.  von  1173: 

mercatores  sub  nostro  conductu  salvis  rebus  et  per  so  nie 
habebunt  ascensum  et  descensum  in  Reno  et  in  aliis  aquis  sive 
terris  in  imperio  nostro  constitutis1) 
ist  sehr  wahrscheinlich  hierher  zu  rechnen4),  während  jedenfalls 
ohne  Beziehung  auf  Kaufleute  bestimmter  Herkunft  sich  Friedrichs  I. 
Landfriede  für  Franken  allgemein  dahin  äußert: 

. . . mercatores  ...  omni  die  ..  . pacem  habeanti). 

Da  die  Jahrmärkte  dazu  bestimmt  waren,  gerade  von  ferner 
wohnenden  Kaufleuten  besucht  zu  werden,  so  war  es,  als  jener 
allgemeine  Kaufmannsfriede  sich  ansgebildet  hatte,  verständlich, 
daß  man  den  alten  besonderen  Frieden  der  Jahrmarktsbesucher 

Erwähnt  rauf!  indessen  werden,  daß  sogar  das  Privileg  für  Speyer  Wen- 
dungen enthält  (Statutes  loeo  et  Umpore),  die  so  ansgelegt  werden  könnten, 
als  habe  der  Friede  doch  in  alten)  Sinne  eine  zeitliche  Beschränkung  ge- 
nießen sollen:  so  sicher  Krefeld  Karl  IV.  (1373),  Lacoinblet  III  S.  644: 

supradietis  lemporiius  und  per  ooine  tempus  quo  nundinas  ipsas  observari  decrevimtts. 

■)  H.  Kalisch,  Über  das  Verhältnis  des  Geleitsregals  zum  Zollregal. 
In.  Diss.  Berlin  1901,  bes.  S.  5 Anm.  1,  S.  13  und  15. 

*)  Magd.  U.  B.  I S.  8:  Zuwiderhandelnde  zahlen  der  königlichen  Kammer 
zehn  Talente  Gold. 

3)  Keutgen  Urk.  S.  52. 

*)  Vgl.  oben  S.  51.  52. 

i)  Böhmer  Acta  nr.  138.  — Einen  ähnlichen  (unentgeltlichen)  Geleits- 


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126 


mit  diesem  Frieden  verschmolz,  die  Marktfahrer  also  für  das  ganze 
Gebiet  des  Reiches  unter  den  Geleitsschutz  des  Reiches  stellte. 

Ein  zweiter  Widerspruch  gegen  unsere  Aufstellungen  würde 
es  sein,  wenn  nachweislich  schon  im  1 1.  Jahrhundert  von  Herren, 
die  an  ihrem  Bischofssitze  das  volle  Marktrecht  besaßen,  durch- 
gängig ohne  Bewilligung  des  Kaisers  auch  mehrtägige  Jahrmärkte 
mit  entsprechender  Befriedung  eingerichtet  worden  wären.  Diese 
Annahme  von  Rietscliel1)  und  Waitz*)  bedarf  indessen  einer  ent- 
schiedenen Einschränkung,  ln  Nörten,  wo  der  Erzbischof  von 
Mainz  schon  im  Jahre  1055  einen  Jahrmarkt  errichtet  haben  soll, 
handelt  es  sich  in  Wirklichkeit  um  die  Neubegründung  eines 
Klosters,  dem  die  Einkünfte  eines  schon  bestehenden  Jahrmarktes  ’) 
teilweise  verliehen  werden,  ohne  daß  über  die  Entstehung  des 
Marktes  selbst  etwas  mitgeteilt  würde.  Was  ferner  Halberstadt 
anlangt,  so  sagt  zwar  1136  der  Bischof  Rudolf  vom  Bischof 
Reinhard  in  der  großen  Bestätigungsurkunde  der  Rechte  des 
Paulsstiftes:  in  cuius  consecratioiu  forum  conttifuü  et  eiue  teloneum 
ad  tegendum  monasterium  . . . donacit *).  Aber  diese  allgemeine 
historische  Bemerkung  zwingt  durchaus  nicht  dazu  anzunehmen, 
daß  Bischof  Reinhards  Marktgründung  der  Bewilligung  des  Kaisers 
ermangelt  habe,  da  in  der  Urkunde  das  Wesentliche  nicht  die 
Art  der  Marktbegrflndung,  sondern  das  Zollrecht  des  Klosters 


schütz  für  das  Gebiet  seines  Territoriums  scheint  der  Herzog  von 
Zähringen  zu  versprechen  omnibus  forum  meurn  (sc.  Friburg)  querentibus  (Frei- 
burg i.  B.  Stadtr.  § 1.  3J — 1120  — , Keutgen  Urk.  S.  117.  118);  forum  be- 
deutet hier  nicht  ..Markt“,  sondern  .Marktansicdlung".  — Oer  (zeitlich 
beschränkte)  Friede,  den  die  Landesherren  den  Besuchern  der  in  späterer 
Zeit  von  ihnen  gegründeten  Märkte  zusichern,  heillt  häufig  «Geleit“:  Vgl. 
Hamui  Stadtr.  (1213)  16  und  18,  Keutgen  Urk.  S.  150  (dies  fori  per  singulas 
seplimanas  conductum  liberum  sistguäs  exhibcant);  Eisenach  Priv.  (1283)  28, 
Gaupp  St.  K.  II  S.  203:  Euskirchen  Priv.  (1322)  1.  2,  Ami.  d.  hist.  V.  f. 
d.  Niederrb.  51  S.  102:  Zülpich,  oben  S.  123  Aiiui.  2 a.  K. 

l)  S.  48  f. 

»)  VII  S.  387. 

*)  eiusdem  Mereati  [ 'annut j eensum  omni  anno,  t/ni  mee  administra- 
batur  mense,  eorum  dilectioni  sic  divisi  (Gudenus  I S.  21).  — Von  dem  erz- 
bischöflichen Privileg  für  Johannisberg  (1089-  1109),  Nass.  U.  B.  1 S.  108, 
läßt  sich  dasselbe  wie  bei  Halberstadt  (unten  S.  127  bei  Anm.  1)  sagen. 

')  Schmidt  11.  B.  S.  295.  Bischof  Reinhard  regierte  von  1 106  bis  1122. 


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127 


ist Ähnliches  dürfte  auch  auf  des  Bischofs  Hermann  Jahrmarkts- 
privileg vom  Jahre  1090  für  die  Kirche  St.  Klement  bei  Metz 
zutreffen,  wo  es  heißt: 

nundina»  per  oeto  cotUinuox  die x xnibi  solemniter  t eitert 
constitui  ntus,  pacent  jirmam  omnibus  illw  properuntibus  sub 
anathematis  interminalione  habendain  denuntiantes : reum 

tarnen  homicidii  hinc  e.rclndimu s ...  Et  iptoniam  bas  nundi- 
nas  bannales  esse  censemut,  sollicite  Adcocatus  . . provideat , 
ne  tpiid  . . detrahatur *). 

An  sich  hätte  es  zwar  viel  Wahrscheinlichkeit  für  sich,  daß 
Bischof  Hermann  von  Metz,  einer  der  eifrigsten  Gegner  des  Kaisers 
(Heinrichs  IV.),  sich  hier  ein  Recht  angemaßt  hätte,  das  ihm  in 
Wirklichkeit  nicht  zustand.  Ebensogut  aber  ist  es  möglich,  daß 
er  sich  zwar  die  Bewilligung  des  Kaisers  verschafft,  ihre  aus- 
drückliche Erwähnung  aber  in  seiner  Ausführnugsurkunde  ge- 
flissentlich ebenso  übergangen  hätte,  wie  er  zwischen  1080  und 
1090  in  seiner  Rekonstruktionsurkunde  des  von  Bischof  Adalbero  HI. 
1049  dem  Kloster  St.  Arnold  bei  Metz  verliehenen  achttägigen 
Jahrmarktes  die  damalige  Einwilligung  des  Kaisers  Heinrich  III. 
stillschweigend  außer  Acht  läßt3). 

fl.  Wenden  wir  uns  nunmehr  zu  den  positiven  Äußerungen  der 
(Quellen  über  den  örtlichen  Geltungsbereich  des  Marktfriedens,  so 
sind  von  solchen  Zeugnissen,  die  sich  nicht  näher  über  den  mate- 
riellen Inhalt  des  Marktfriedens  verhalten,  zunächst  hervorzuheben 
die  beiden  oben  abgedruckten  Privilegien  für  die  Erzbischöle 

9 Dali  es  sieh  um  den  (iallusmurkt  und  um  eine  mehrtägige  Dauer 
handelt,  ergibt  sich  i.  I!.  erst  aus  der  Bestätigungsurkunde  des  Bischofs 
Dietrich  (Schmidt  t'.  B.  S.  301).  — Das  bischöfliche  Privileg  für  Abt  und 
Kloster  St.  Airy  bei  Verdun  (1082),  Calmet  III  S.  7 und  8,  kommt  über- 
haupt  nicht  in  Betracht,  weil  der  dort  verliehene  Jahrmarkt  zweimal  im 
Jahre  und  zwar  immer  nur  au  je  einem  Tage,  zu  St.  Andreas  und  St.  Age- 
ricus,  etatttindet.  «Iso  keines  besonderen  Friedens  bedarf. 

-)  < 'ahnet  II  8.245.  Das  Privileg  wurde  1130  vom  Bischof  8tephan 
von  Metz  bestätigt  (Hist,  de  Metz  S.  110). 

3)  Die  betreffende  Urkunde  von  1041)  (oder  1052),  bei  Calmet  erste 
Aull.  1 S.  442  bezw.  zweite  Aull.  II  S.  306,  ist  zwar  in  der  vorliegenden  Perm 
gefälscht,  doch  liegt  ihr  eine  echte  Urkunde  zu  Grunde  und  ist  zweifellos  der 
Abtei  damals  ein  Jahrmarkt  verliehen  worden  (Miisebeck  S.  187,  195).  Dali 
es  sich  ebenso  wie  bei  dem  Jahrmarkt  der  Abtei  St.  Klement  um  einen 
achttägigen  Jahrmarkt  handelt,  ist  daraus  zu  entnehmen,  dafl  Bischof  Her- 


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128 


von  Magdeburg  und  Bremen ').  Die  Handhabung  des  Bannes  über 
die  Marktfahrer  auch  außerhalb  des  Inununitatsgebiets  des  Markt- 
herrn, mag  sie  nun  durch  diese  selbst  oder  die  königlichen  Ge- 
richtsbeamten ausgeübt  werden,  darf  stattfinden  nur  in  hoc  slufuto 
tempore,  d.  h.  sie  findet  ihre  zeitliche  (und  damit  ihre  örtliche) 
Begrenzung  in  der  Dauer  des  Jahrmarktes  selbst.  Des  Ferneren 
ist  hinzuweisen  auf  das  mit  Bewilligung  des  Kaisers  dem 
neu  gegründeten  Münster  Hall  vom  Würzburger  Bischof  115Ü 
erteilte  Jahrmarktsprivileg: 

sollemne  forum  ante  et  post  festum  sancti  Michahelis  conti- 
nuis  septetn  diebus  celebrandum  indivimus  et  eo  euntibus  et 
inde  revertentibus  per  XJIIl.  dies  pacem  . . . sub  ana- 
themate  con/irmavimus [). 

Der  auf  den  St.  Michaelstag  gelegte  Markt  soll  sich  auf  sieben 
Tage  vor  und  sieben  Tage  nach  diesem  Feste  erstrecken  und 
während  dieser  vierzehn  Tage  — der  Festtag  selbst  wird  als 
selbstverständlich  bei  Berechnung  der  Friedenszeit  nicht  ausdrück- 
lich mitberücksichtigt,  wie  sich  Entsprechendes  übrigens  nicht  selten 
auch  anderwärts  findet 3)  — sollen  die  Marktfahrer  auf  Hin-  und 
Rückreise  Frieden  haben4). 

mann  in  seinem  Rekonstruktiuns- Privileg  (1080—1090),  Cahnet  II  S.  306, 
gewissen  Geistlichen  der  Kathedrale  sowie  dem  advocatus  civitatis  fünf  Solidi 
verteilt  mm  Ersätze  für  die  Gelder,  qui  sibi  eon/eruntur  de  privatis  mtreatis 
octo  ditrum;  denn  die  kleineren  (täglichen)  Märkte,  die  bis  zu  diesem  Zeit- 
punkt während  der  acht  Tage  der  neu  belebten  St.  Arnulfsmesse  ge- 
halten worden  sind,  besitzen  neben  dieser  entweder  überhaupt  keine  oder 
doch  nur  eine  beschränkte  selbständige  Existenz  und  versprechen  deshalb 
für  die  genannte  Zeit  überhaupt  keine  oder  doch  nur  verminderte  Einnahmen. 

*)  8.  114  und  116. 
s)  Wirt.  U.  B.  II  S.  103. 

3)  Eisenach  Priv.  (1283)  29,  Gaupp  St.  K.  I S.  203:  Item  in  festis  (St. 
Georg,  Johann  d.  T.,  Mariä  Geburt,  Matthäus  Ap.)  omnes , qui  ad  nestras  lite- 
rales nundinas  Isenaeh  venerint , nostrum  dueatum  pirmum  tribus  diebus  antra  et  tri- 
bus  diebus  postta  habt  bunt . . . ex  ceptis  itlis,  qui  proscripti  sunt  et  für  es , Ander- 
nach Jahrmarktsverlegung  (1332),  Günther  III  Abt.  I nr.  187:  ordinamus 
nundinas  . . in  die  beati  Bartholomei  . . annis  singstlis  perpetue  servandas , . . conee- 
denles,  ut  omnes  . ad  ipsas  nundinas  . . venientes  per  novem  dies  ante  et  per  novem 
dies  post  libertate  otnnimoda  fruantur , sie  quod  nullus  alium  in  ipsis  novem  diebtu 
ante  et  post  sie  sta/utis  in  dieto  nostro  opido  Andernaeensi  . . . arrestare  vtl  impetere 
valeat.  Vgl.  auch  Essen  Heinr.  III.  (1041),  Lacnmblet  I S.  109. 

*)  Vgl.  auch  die  angebliche  (s.  oben  S.  52  Anui.  1)  Friedeusverleiliung 


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129 


Unter  den  Marktprivilegien,  die  sieh  anch  über  den  Inhalt  des 
Marktfriedens  verbreiten,  ragt  als  eines  der  ältesten  Friedrichs  I. 
Urkunde  aus  dem  Jahre  llßt5  über  die  zwei  16-bezw.  17-tägigen 
Jahrmärkte  zu  Aachen  hervor1).  Es  heißt  zwar  wie  gewöhnlich: 
omnes  i/uoi/t/e  ad  bas  nundinas  venientes  cd  inde  redeuntes 
vel  ibidem  commorantes  in  rebus  et  personis  firtnam  pacem 
habeant ; 

voran  geht  aber  die  Bestimmung: 

nullux  mercator  vel  (/uelibet  alia  persona  in  bis  nundinix 
mercatorem  in  causam  ducat  pro  debito  solrendo  vel  alio  quo- 
libet  negocio  quod  ante  nundinas  perpetratum  fverit;  sed  si 
in  nundinis  aliquid  perperam  factum  fuerit,  in  nundinix 
secundum  iusticiam  emendetur. 

Man  wird  Rietschel  in  seiner  Ansicht  nur  beistimmen  können, 
daß  dieses  Verbot  eines  an  sich  gerechtfertigten  Angriffes  ein 
Bestandteil  des  allgemeinen  Marktfriedens  sei2).  Allerdings  kann 
dann  nicht  gut  ein  Zweifel  über  die  Grenzen  der  räumlichen 
Wirksamkeit  des  Marktfriedens,  speziell  desjenigen  des  Jahrmarktes, 
aufkommen.  Scharf  wird  unterschieden  zwischen  dem,  was  vor 
(ante),  und  dem,  was  während  (in)  der  Marktzeit  geschehen  ist, 
und  demzufolge  mittelbar  gestattet,  Marktfahrer  während  ihrer 
Hin-  und  Rückreise  mit  (gerechtfertigter)  Klage  und  Arrestierung 
zu  bedrängen,  wofern  nur  der  Jahrmarkt  entweder  noch  nicht  be- 
gonnen oder  bereits  geendet  hat.  Der  Marktfriede  schützt  also 
auch  außerhalb  des  Ortes  nur  solange,  als  der  Markt  selbst  währt. 

Seit  Aachen  mehren  sich  entsprechende  Vorschriften  zusehends. 
Unter  ausdrücklicher  Beschränkung  auf  die  Zeit  des  Marktes 
wird  sowohl  für  Jahrmärkte  wie  häufigere  Märkte  Arrest  oder 
überhaupt  Klage  gegen  die  Marktfahrer  aus  zurückliegendem 


Friedrichs  II.  für  die  beiden  Jahrmärkte  in  Bern  (Stadtrecht  III.  IV.  — 
1218?  — , Kcutgen  Urk.  S.  12(5):  omnibus  aduenientibus  tempore  publici  fori 
theloneum  condono  et  pacem  et  securita tem  . . tarn  veniendo  quam  reeedendo 
regia  libertat e promitto  . . Et  si  aliquis  mercatorum  fuerit  tempore  fori  spr- 
liatus,  . . aut  reddi  ficiam  aut  persofoam. 

*)  Keutgen  Urk.  S.  38. 

*)  S.  203  und  204.  S.  aber  unten  S.  132  bei  Anm.  4 und  5. 

Rudorff,  Rechtsstellung  der  Gäete  ^ 


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130 


Grunde  teils  allgemein '),  teils  unter  ausdrflcklicher  Beziehung  auf 
Vermögens-^  und  Straf  klagen3)  verboten.  Die  für  Aachen  mittel- 

*)  Für  Jahrmärkte:  Andernach  Priv.  (1332),  oben  S.  128  Anm.  3: 
Bern  Stadtr.  (1218  ?)  III  mit  IV,  Keutgen  Urk.  S.  126;  Kleve  Stadtr.  Buch 
(nach  1424}  10t»  § 1,  '/.HU.  10  S.  239:  Koblenz  Altes  Gcrichtsb.  (1366  bis 
1424)  22  § 1,  Bär  S.  99:  AHwegcn  uf  unser  Heben  f rauen  oben!  nalh’itatis  tu  Vesper 
teil  gaet  aen  die  frey  seit  zu  Coblents  . . also  das  man  darafter  niemants  mehe 
kümmert  noeh  ain  gericht  beutet  noeh  den  /reden  elaget  und  kein  urtheil  weiset  und 
keynen  eyd  Ihuit,  keiner  mag  sieb  auch  loi/s  deylen  oder  den  andern  fredebruebig 
sagen  suschen  vorgenanter  seit  bifs  uf  den  neesten  gerichts  tag  nach  S.  Knnigit 
Ist  aber  etwas  mit  gerichtc  vor  der  vorgenanten  seit  angehaeben,  mag  ein  jeklicher  seiner 
taege  waerten  ist  zu  setzen  laifsen  als  vor,  ansprach  und  antwicrt  mag  man  thun 
und  das  vor  dem  gerichts  bui/s,  eyde  unde  urtheil  sal  man  aber  fortweysen  alfs  vor - 
geroirt;  Eisenach  Priv.  (1283)  29,  oben  S.  128  Anm.  3;  Euskirchen  Priv. 
(1322)  2 mit  1,  Ann.  d.  hist.  V.  f.  d.  Niederrh.  öl  S.  102:  Hamm  Stadtr. 
(1213)  18  mit  16,  Keutgen  llrk.  S.  1Ö0;  Hclmarshausen  Priv.  (1254), 
Wigand  IV,  1 S.  23:  Hörde  Reehtsbr.  (1340)  7,  Gengler  St.  R.  S.  198: 
Höxter  Stat.  (1223  1257)  4,  Gengler  St.  R.  S.  202:  Köln  Ordnung  der 
Messe  (nach  1360)  I.  11,  Stein  II  S.  29;  Lechenich  Reehtsbr.  (1279)  25. 
Gengler  St.  K.  S.  244:  Lippstadt  Stadtr.  (1198)5,  Keutgen  Urk.  S.  148: 

c/uod  foro  annuali,  duobus  diebus  ante  et  post  iudieii  rigore  nullus  bominum  astringitur, 
nisi  in  recenti  illiquid  emergat  vel  quis  exterminatus  deprehendatur.  Ködern  modo  tres 
dies  in  ebdomnda  sei/icet  Dominicas  dies,  feria  secunda  et  feria  V.  libere  sunt  conccssc, 
Lünen  Reehtsbr.  (1341)  II  mit  10,  v.  Steinen  IV  S.  239;  Kees  erzb.  Köln. 
Priv.  (1240),  Liesegang  S.  102:  item  statuimus  in  ipso  oppido  nundinas  (3mal  je 
4 Tage  im  Jahre).  Cnncfis  au/cm  ad  easdem  nundinas  venientibus  seeundum  ins 
suum  pa.x  firma  servabitur  ct  non  poterunt  per  iudicium  persone  vel  res  sue  duran 
tibns  nundinis  oeetipari.  Si  quid  vero  dan/pni  illuc  accedentes  seit  redcuntes  per  in- 
iuriam  ineurrerit  nos  ipsis  proenrabimus  resareiri.  Zülpich  Weistum,  Grimm  VI 
S.  680.  — Für  häufigere  Märkte:  Kleve  Stadtr.  Buch  (nach  1424)  109 
§ 1,  ZRG.  10  S.  239:  Euskirchen  Priv.  (1322)  1 und  2,  Ann.  d.  hist.  V.  f. 
d.  Xiederrh.  51  S.  102,  Haltern  Priv.  (1288)  5,  Gengler  St.  R.  S.  178: 
Hamm  Stadtr.  (1213)  16,  Keutgen  Urk.  S.  150;  Hörde  Reehtsbr.  (1340)  6 
und  7,  Gengler  St.  R.  S.  198:  Lippstadt  Stadtr.  (1198)5,  s.  diese  Anm. 
oben:  Lünen  Reehtsbr.  (1341)  10  und  11.  v.  Steinen  IV  S.  239:  Wesel 
Priv.  Best.  (1277)  16,  Wigand  IV,  4 S.  409. 

'■»)  Für  Jahrmärkte:  Koblenz  Stadtr.  (1363—1443)  37,  Bär  S.  54 : 
Krefeld  Priv.  (1373).  Lacomblet  III  S.  644:  Hamm  Stadtr.  (1213)  18  mit 
16,  Keutgen  Urk.  S.  150:  Hildesheim  Stadtr.  (um  1300)  145,  Doebner 
U,  B.  I S.  294:  Köln  Ordinancic  von  der  freien  Messe  (1387),  Stein  I S.  129: 
Wien  Stadtr.  (1296)  36  und  35,  Keutgen  Urk.  S.  219.  — Für  häufigere 
Märkte:  Aliendorf  Frcih.  Brief  (1370)  5.  Gengler  St.lt.  S.  4;  Hamm 
Stadtr.  (1213)  16.  Keutgen  Urk.  S.  150:  Odcrnheim  Stadtr.  (1286),  Böhmer 
acta  nr.  454. 

3)  Für  Jahrmärkte:  Koblenz  Altes  Gerichtsb.  (1366— 1424)  22  § 1, 


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131 


bar  sich  ergebende  Schlußfolgerung  für  die  Zeit  außerhalb  des 
Marktes  wird  also  auch  hier  für  Arrest  und  Klage  sowohl  bei 
Vermögens-  wie  bei  Strafklagen  mittelbar  ausgesprochen.  Was 
dagegen  während  der  Marktzeit  geschieht,  kann,  wie  schon 
Aachen')  hervorhebt,  uneingeschränkt  im  Rechtswege  verfolgt 
werden,  handele  es  sich  nun  um  Vermögens- s)  oder  Strafklagen3). 
Daß  diese  Ausnahme  bei  Klagen  der  zweiten  Art  vorzugsweise  zur 
Sprache  kommt,  liegt  wohl  daran,  daß  gewisse  Verbrecher  über- 
haupt nicht  durch  den  Marktfrieden  geschützt  werden  sollen  *),  und 
daß  nun  im  Gegensatz  zu  vormals  begangenen  Delikten,  auf  die 
sich  der  Friede  erstreckt,  betont  wird,  daß  die  gleichen,  aber 
während  des  Marktes  verübten  Straftaten  nicht  frei  sind. 

Wo  es  sich  um  eine  städtische  Aufzeichnung  des  in  der  Stadt 
geltenden  Rechtes  handelt,  wird,  und  zwar  vorzugsweise  in  späterer 
Zeit,  die  Stadt,  der  Marktort  selbst  als  der  Marktfriedensbezirk 
bezeichnet,  in  dem  ein  (an  sich  gerechtfertigtes)  Vorgehen  gegen 


Bär  S.  99:  Köln  Ordinancie  von  der  freien  Messe  (1387),  Stein  l S.  129: 
Wien  Stadtr.  (1296)  36  und  35,  Keutgen  Urk.  S.  219.  — För  Wochen- 
märkte: Odcrnhcim  Stadtr.  (1286).  Böhmer  acta  ur.  454.' 

')  Oben  S.  129. 

*)  Für  Jahrmärkte:  [Krefeld  (1373)  und  Köln  (1387),  beide  oben 
S.  130  Anm.  2,  sowie  Köln  Ordnung  der  Messe  (nach  1360)  1.  1 und  III. 
5.  10,  8tcin  II  8.28.  31.  — För  Wochenmärkte:  Odernbeim  (1286). 
oben  8.  130  Anm.  2. 

*)  Für  Jahrmärkte:  Koblenz  (1366—1424)  22  § 2.  3:  Krefeld(l373): 
Euskirchen  (1322)  4:  Hamm  (1213)  18  mit  16;  He  Iraarshauscn  (1234): 
Hölter  (1223—1257);  Köln  (nach  1360)  II.  9—11:  Lechenich  (1979): 
Lippstadt  (1198):  Zülpich  Weistum,  alles  oben  S.  130  Anm.  1 bis  3.  — 
FürhäufigcreMärkte:  Allendorf  (1370);  Euskirchen  (1322)  4;  Hamm 
(1213)  16:  Lippstadt  (1198);  Odernheim  (1286):  Wcsol  (1277),  allos 
oben  S.  130  Anm.  1 bis  3.  Ausserdem  Freiburg  i.  1'.  Handf.  (1249)  78, 
Gaupp  St.  R.  II  S.  96. 

4)  Namentlich  kommen  solche  Verbrecher  in  Betracht,  die  bereits  vor- 
festet sind,  daneben  hauptsächlich  Mörder,  Mordbrenner,  Räuber,  Hiebe  und 
solche  Leute,  die  mit  der  betreffenden  Stadt  in  offener  Fehde  liegen  (s.  die 
Beiego  oben  S.  130  Anm.  1 ff.,  S.  131  Anm.  1 ff.).  Nur  in  Zülpich  Weist.  § 2, 
Grimm  VI  S.  680,  scheint  beim  Jahrmarkt  eine  derartige  Ausnahme  nicht 
gemacht  zu  werden:  so  u1'  da  enbinnen  in  freien  wart  bombt , hett  hei  alle 
missdaet  gethan,  die  mensche  ie  gedede,  an  den  ensall  man  nit  greifen,  as 
bange  als  die  freiheit  wert. 

9* 


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132 


den  <iast  verboten  ist ') ; aber  anderwärts  wird  ausdrücklich  her- 
vorgehoben, daß  dieses  Vorgehen,  solange  der  Markt  wahrt,  auch 
außerhalb  des  städtischen  ((Berichts-)  Bezirks  untersagt  ist9).  Wer 
trotz  des  Verbots  seinen  Schuldner  wahrend  der  Marktzeit  beklagt 
oder  arrestiert,  verfällt  der  hierfür  angedrohten  Strafe;  er  kann 
sich  aber  bisweilen  (unter  Eid)  damit  entschuldigen,  daß  ihm  die 
fraglichen  Vorschriften  unbekannt  gewesen  seien  3). 

2.  Was  den  materiellen  Inhalt  des  Marktfriedens  an- 
langt, so  erscheint  es  zweifelhaft,  ob  das  Verbot  gerechtfertigter 
Angriffe  auch  schon  in  älterer  Zeit  unbedingter  Bestandteil  desselben 
gewesen  ist.  Die  knappen  Ausdrücke  in  den  Urkunden,  wie  z.  B. 
inquietare,  irritare , molestare,  violaie,  geben  darüber  keine  Aus- 
kunft. Aber  die,  unter  Verhängung  des  Bannes  über  Zuwider- 
handelnde. gegebenen  Vorschriften  für  den  Markt  in  Villingen 
von  999: 

secure  et  cum  totius  tranquillitatis  pace  eant,  redeant  et 
sine  iniusto  quolibet  dampno  negncium  suuni  e,rcolant*), 
und  für  den  Jahrmarkt  in  Verdun  von  1082: 

ne  quw  sine  lege  noceat  aut  vim  f'aciat  venientibus  sive 
redeuntibiis  b), 

würden  doch  eher  dahin  gedentet  werden  müssen,  daß  ein  an  sich 
gerechtfertigtes  Vorgehen  auch  durch  den  Marktfrieden  nicht  auf- 
gehalten  werden  sollte.  Erst  Bischof  Hermanns  Privileg  für  Metz 

')  Vgl.  z.  U.  Hildesheim  Stadtr.  (um  1300)  145,  Doebncr  U.  B.  1 
S.  2114:  Koblenz  Stadtr.  (1363—1443)  37.  Bär  S.  54:  Kleve  Stadtr.  Buch 
(nach  1424)  109  § 1,  ZK«.  10  S.  239. 

*)  Hamm  Stadtr.  (1213)  16.  18,  Kcutgcn  Urk.  S.  150;  Höxter  Stal. 
(1223-1257)  4,  Genglor  St.  K.  S.  202:  Kees  (1240),  s.  oben  S.  130  Anm.  1 : 
Wesel  gr&fl.  Priv.  Best.  (1277)  16,  Wigand  IV,  4 S.  409:  Eisenach  Priv. 
Km.  (1283)  29,  Gaupp  St.  R.  I S.  203:  Wien  Stadtr.  (1296)  36,  Keutgen  Urk. 
S.  219:  7 >/ir  nt  men  euch  . . in  t/en  vridc  fürstliches  schermes  alle,  die  zu  dem  Jar- 
tstanh/e  < kirnte  nt,  und  gehen  in  Sicherheit,  das  si  niht  mitten  werden  hechlaget 
■ n dchainem  geriktc  uinh  dehain  sacht  noch  unth  de  Hain  schulde  deu 
auzerhalb  des  jarmarchtes  sei  geschehen , und  (Forts,  obeu  S.  121  Anm.  1: 
sein  vri  di  zit  usw.) : Euskirchen  Priv.  (1322)  1.  2,  Ann.  d.  hist.  V.  f.  d. 
Niedcrrh.  51  S.  102;  Köln  Ordinancie  von  der  freien  Messe  (1387).  Stein  I 
S.  129:  Zülpich  Weist.  §2,  Grimm  VI  S.  680. 

*)  Hildesheim  Stadtr.  (um  1300)  145,  Doebner  U.  B.  I S.  294. 

*)  Keutgen  Urk.  8.  31. 

5)  Oalrnet  III  S.  7.  8. 


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133 


aus  dem  Jahr  1090  gibt  mit  dem  Satz,  nur  der  reu»  homicidii  solle 
vom  Marktfrieden  ausgeschlossen  bleiben '),  die  erste  Andeutung 
eines  Verbotes  solchen  Vorgehens  gegen  die  auswärtigen  Marktfahrer. 
Es  ist  charakteristisch,  daß  erst  seit  dem  Jahrmarktsprivilegium 
Friedrichs  I.  für  Aachen  von  1166  sich  die  Untersagung  solcher 
Angriffe  gegen  Marktfahrer  mehrt,  welche  außerhalb  der  Marktzeit 
unbedenklich  zugelassen  worden  wären,  ja  daß  diese  Untersagung 
der  Hauptbestandteil  des  Marktfriedens  zu  werden  scheint.  Es 
dürfte  dies  Zusammenhängen  einmal  damit,  daß  in  späterer  Zeit 
der  aus  dem  Burgfrieden  entwickelte  Stadtfrieden !)  schon  einen 
genügenden  Schutz  gegen  ungerechtfertigte  Angriffe,  namentlich 
gegen  körperliche  Verletzungen  zu  gewähren  schien,  zweitens  aber 
damit,  daß  sich  im  Gegensatz  zu  früherer  Zeit  die  Anschauung 
darüber,  was  ein  gerechtfertigter  Angriff  sei,  sehr  zu  Ungunsten 
der  Gäste  verschoben  hatte  und  zwar  infolge  der  oben  geschilderten 
Entwicklung  der  Gerichtsstandsverhältnisse1)  und  namentlich  auch 
des  Arrestes*).  Die  nunmehr  weitgehende  Möglichkeit,  Auswärtige 
am  Marktort  zu  belangen  und  zu  arrestieren,  mußte  deshalb  im 
Interesse  des  Marktverkelirs  beschnitten  werden.  Namentlich  für 
die  weither  besuchten  seltenen  Jahrmärkte  war  dies  wichtig. 
Und  so  kann  es  nicht  Wunder  nehmen,  daß  in  späterer  Zeit  nur 
auf  Wochenmärkten  im  Gegensatz  zu  Jahrmärkten  bisweilen  Arrest 
und  Klage  gegen  Auswärtige  uneingeschränkt  zugelassen  wurde'), 
während  früher  der  Inhalt  des  Marktfriedens  für  beide  Arten  von 
Märkten  der  gleiche  gewesen  war6). 

II.  Außer  im  Falle  des  Marktfriedens  waren  die  in  die 
Stadt  eintretenden  Gäste  noch  bei  mancherlei  sonstigen  Gelegen- 

')  S.  oben  S.  127  bei  Anm.  2. 

J)  Rietschel  S.  216  ff..  Keutgcn  Urspr.  S.  52  ff. 

3)  S.  38  ff. 

*)  S.  41  ff.  S.  86  ff. 

s)  Freiburg  i.  U.  Handf.  (1249)  126,  <iaupp  St.  R.  II  S.  103:  mdlus 
bürqemis  aut  non  burgensis  neminem , qm  ad  nostrum  forum  venerit,  in  sabbato  va- 
diare  debett  nisi  sibi  ßdeiussar  aut  debitor  fuerit  (dieser  Arrest  also  gehört  nicht 
zu  der  in  § 78  ebenda  mit  Strafe  bedrohten  Zufügung  von  dampna);  Koblenz 
Stadtr.  (1363 — 1443)  37,  Bär  S.  54:  Überall  darf  um  Schuld  besetzt  werden, 
nur  nicht  während  der  grollen  Messe  und  während  drei  anderor,  an  drei 
verschiedenen  Tagen  jährlich  stattfiudender  Märkte  (vgl.  Bär  S.  145.  146). 
8.  auch  Lechenich  Kechtsbr.  (1279)  25  mit  26,  tiengler  St.  R.  S.  244. 

»)  S.  oben  S.  112f. 


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lieiten  von  einer  an  sich  möglichen  Anbringung  von  Arrest  und 
Klage  befreit. 

1.  Ein  Ausfluß  des  Asylrechte ')  der  Städte  war  es  wohl,  daß 
Fremde,  die  in  der  Stadt  Einlager  halten  mußten*)  oder  aber  sich 
bezw,  ihre  Habe  in  die  Stadt  flüchteten5),  in  dieser  Beziehung 
ausgezeichnet  wurden:  nur  durften  sie  sich  dem  Stadtgerichte  nicht 
überhaupt  entziehen  wollen4).  Für  das,  was  in  der  Zeit  ihres 
Aufenthalts  geschah,  galt  jedenfalls  Göttingens  Satz: 

et  ne  si  dat  he  breke  eder  borghede  trat,  de  teile  dat  he 

hi  tconde.  da  mach  me  on  umme  besetten  und  ein  have *). 

Ein  Ausfluß  der  Billigkeit  war  es,  daß  hier  und  da  Gästen, 
die  zuin  Zwecke  der  Erfüllung  ihrer  Verbindlichkeiten6)  oder  auf 
Einladung  von  Bürgern7)  die  Stadt  betraten,  Freiheit  vom  Arrest 
zugesichert  wurde.  Auch  öffentliche  Interessen  mochten  im  ein- 
zelnen Falle  die  Ausbringung  des  Arrestes  verhindern;  sie  fanden, 
wie  in  dem  Verbote  die  Einbringer  bestimmter  Güter  aufzuhalten  *j 
oder  in  dem  Gebote  vorheriger  besonderer  Zustimmung  des  Rates  *), 
ihren  bezeichnendsten  Ausdruck  in  der  Vorschrift: 

neyn  borget • sali  sgck  gasles  gudes  underteynden  . . dar 

der  etadt  krot  van  ipieme  eder  kamen  mochte™). 

’)  Vgl.  Kcutgun  Urspr.  S.  69,  Rietschel  S.  218  ff. 

*)  Hameln  Rechtsbest.  (1277),  Meinardus  S.  57:  Frankfurt  a M. 
Stnt.  um  1350;  83,  Sol.  an.  I S.  72. 

3 ) Annweiler  Stadtr.  (1219)  4,  Keutgen  Urk.  S.  138;  Altcnburg 
Stadtr.  (1256)  12,  Gaupp  St.  R.  I S.  210:  Göttingen  Stat.  (1354)  L,  Pufen- 
dorf  III  App.  S.  175. 

*)  Strallburg  Krstcs  Stadtr.  (12.  Jahrh.)  2,  Keutgen  Urk.  S.  93. 

6)  Göttingen  Stat.  (1354)  L,  Pufendorf  III  App.  S.  175. 

*)  Köln  Eidbuch  (1341)  XX.  2,  Stein  I S.  47;  vgl.  Wartberg  Ver- 
trag beider  Städte  (1333),  Wigand  IV,  3 S.  294.  S.  auch  Hildeshcim  Stadtr. 
(um  1300)  157,  Poebncr  U.  B.  I S.  295. 

’)  Ahlen  Alte  Stat.  (1380)  15,  Niesert  U.  S.  III  S.  215. 

")  Ahlen  Alte  Stat.  (1380)  16,  Xicsert  U.  S.  III  S.  215:  Braun- 

schweig Stadtr.  (1401)  77,  Hänselmann  I S.  108:  vgl.  München  Stadtr. 
Buch  (1347)  379,  Auer  S.  160. 

9)  Köln  Eidbuch  (1341)  XX.  1,  Steinl  S.  47;  Braunschweig  Stadtr. 
(1401)  77,  Hänselmann  I S.  108.  Bei  Arrest  von  Gast  gegen  Gast:  Goslar 
Stadtr.  (um  1300),  Göschen  66,  1. 

,0)  Dortmund  Jüngste  Stat.  Samml.  (um  1400)  27,  Frensdorf!  S.  175. 
Dieser  Satz  wird  ebenso  wie  z.  B.  die  Vorschrift  in  Riga  umgearb.  Stat. 


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2.  Von  den  bisher  besprochenen  Fällen  eines  Schutzes  vor 
Arrest  und  Klage  unterscheidet  sich  der  mittels  des  sog.  Ge- 
leites gewährleistete  Schutz  dadurch,  daß  er  für  einen  spe- 

flim  1300)  I.  8 § 1,  Napiersky  S.  145:  so  war  tu  unsc  borghere  in  vromtcit 
land  kumt,  dar  wi  vredt  medt  h ebbet,  undt  dar  ent  tividrachtichet  mähet,  van  welkt  r - 
leyc  stukke  da/  et  si,  dar  de  vrunseap  nttde  ghesceden  /uath  werden , dt  sal  dar  weder 
varen  undt  seal  si:  dar  vorevenen,  iset  dal  et  ratmannen  o/te  anderen  craftighen  luden 
wittic  is,  besonders  auf  möglichste  Abwondung  der  Gefahr  auswärtigen 
Kepressalienarrestcs  gegen  einheimische  Bürger  abgezielt  haben.  — Eine 
Beseitigung  derartiger  Verwickelungen  haben  auch  noch  andere  Vorschriften 
im  Auge.  So  wird  verschiedentlich  bestimmt,  daß  der  einheimische  Käufer 
den  auswärtigen  Verkäufer  binnen  einer  bestimmten  kurzen  Frist,  nämlich 
an  demselben  oder  doch  am  dritten  Tage,  bezahlen  soll,  widrigenfalls  der 
Verkäufer  das  Recht  besitzt,  den  Vertrag  alsbald  aufzulösen  oder  den  Käufer 
durch  Haft  zur  Zahlung  zu  zwingen:  Priv.  des  Grafen  von  Holland  für 
Lübeck  (1298),  Lüb.  U.  B.  I nr.  675;  Priv.  des  Regenten  von  Holland 
für  die  Kaufleute  der  deutschen  Hansa  (1358)  § 22,  Hans.  U.  B.  III  S.  177; 
Köln  Ordnung  der  Messe  (nach  1360)  III.  5,  Stein  II  S.  31.  Des  ferneren 
steht  Strafe  darauf,  wenn  die  Bürger  ihren  Verpflichtungen  gegen  Gäste 
nicht  gehörig  nachkommen,  z.  B.  Geldstrafe  (3  Mark)  in  Wismar 
Bfirgcrspr.  (1345)  4,  Burmeister  Bürgerspr.  S.  3:  sohant  qnod  querimonie  de  ipso 
non  fiant  suh  pena  ///  marcarttm , oder  Stadtverweisung  in  Rostock  Rats- 
urk.  (1301),  Meklb.  U.  B.  V S.  10  (wo  der  Rat  schließlich  außerdem  die 
Gäste  von  Stadt  wegen  bezahlt),  und  in  Braun  schweig  Stadtgcsctzsamml. 
(vor  1349)  51,  Hänsclmann  I S.  47.  Hierher  ist  es  schließlich  auch  zu 
rechnen,  wenn  der  Bürger,  der  in  oder  außerhalb  seiner  Stadt  einen  Gast 
oder  sein  Gut.  besetzt  und  gastes  retkt  (vgl.  unten  Kap.  VI)  zu  tun  weigert, 
mit  einer  Buße  von  tehen  sekok  belegt  wird:  Prag  Stat.  Recht  (1314  bis 
1418)  117,  Rößler  I S.  71.  — Der  Repressalienarrcst,  namentlich  bei  Klagen 
um  Schuld,  ist  Ausfluß  eines  Gedankens,  demzufolge  schon  im  alten  frän- 
kischen Rechte  Geschlechter,  Gemeinden  und  Hundertschaften  bei  Strafsachen 
und  wegen  öffentlicher  Abgaben  für  ihre  einzelnen  Mitglieder  (vgl.  Gierkc 
II  S.  386  — 389,  sowie  I S.  73  n.  43)  hafteten.  Voraussetzung  der  Aus- 
bringung des  Reprcssalienarrestes  gegen  Gäste,  namentlich  wegen  Scbuld- 
forderungen,  war  im  Mittelalter  von  Rechts  wegen  die  Unmöglichkeit  für 
den  Gläubiger,  im  ordentlichen  Gerichte  des  Schuldners  von  diesem  Recht 
zu  erlangen,  weil  Recht  geweigert  oder  die  Erfüllung  der  im  auswärtigen 
Gericht  erklagtcn  Schuld  über  Gebühr  verzögert  wurde.  In  solchem  Falle 
durfte  er  sich  an  die  Mitbürger  des  auswärtigen  Schuldners  halten:  Priv. 
Friodrichs  I.  von  1173,  oben  S.  99  Anm.  3,  bezw.  an  des  Schuldners  Gc- 
meindegenossen : Mühlhausen  Stadtr.  (1230 — 1250),  Herquet  S.  621  (inkwnit 
abir  di  selpgeldi  nicht  herin  undt  heit  he  duttc  giclagit,  alsi  is  recht  is,  vor 
demi.  di  zu  richteri  ubir  un  gisazt  ist,  unde  daz  he  us  wnc  dan  bikennit, 
kumit  dan  der  dichein  herin,  di  tu  rechte  vur  en  phandunge  tiden  sal,  daz  sin/  alli 


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136 


ziellen  Fall  einer  einzelnen  Persönlichkeit  versprochen  wurde. 
Es  ist  hier  nicht  von  dem  Geleit  die  Rede,  welches  als  nutzbares 
Regal,  d.  h.  gegen  Entgelt  von  den  Territorialherren  geübt  wurde, 
dem  Geleiteten  vor  allem  oder  sogar  ausschließlich  Schutz  gegen 
ungerechtfertigte  Angriffe,  namentlich  gegen  Mord  und  räuberischen 
Überfall,  bieten  sollte  und  den  Geleitgeber  zu  (häufig  verdoppeltem 

di.  di  utazzir  unde  .v,  ide  mit  ume  nuzzin  unde  nizin  unde  beid-  etue  herein  gute 
ge/din,  di  lute  mac  hi  ufhaldi  mit  dtmi  stlbin  rechte  alsi  din  sctpgctdin).  Auf  die 
erwähnte  Voraussetzung  wird  namentlich  häutig  in  Verträgen  liingewieseu. 
so  z.  B.  im  Vertrag  des  Herzogs  von  Lothringen  mit  dem  Grafen 
von  Holland  (1200;.  Hans.  U.  B.  1 S.  30:  von  Hamburg  mit  Wursten 
(1238),  Lappenborg  Hamb.  U.  B.  S.  441:  von  Boppard  mit  Köln  (1252), 
Gengier  Kod.  S.  256:  von  Arnstadt  mit  Erfurt  (1283),  Arnst.  U.  B. 
S.  23:  von  Köln  mit  Nimwegen  (1278),  oben  8.  65:  von  Hannover  mit 
BrenU-n  (1301),  Ehmck  II  S.  5:  quod  nuilus  burgensium  nostrorum  possit 

ehtes  Bremenses  vel  nuneios  sttos  aut  bona  ipsorwn  arrtstarc  vel  aliquo  modo  alio 
impedire  pro  debitis  a/ienis,  nisi  prius  manifestum  esset  dominis  eonsulibus  Bremensibus 
et  aliis  bonis  hominibus , quod  ereditori  fuisset  iss  ch'itate  Bremensi  iusticia  denegata; 
vgl.  auch  die  Schreiben  Lübecks  in  der  Biscbofscbcn  Angelegenheit  von 
1368  bis  1369,  Lüb.  U.  B.  III  nr.  672.  677.  700.  Und  mit  Rücksicht  auf 
diese  Voraussetzung  wird  auch  umbe  gemach  vrede  inde  gemeyne  guit  der 
Steede  den  Bürgern  anbefohlcn,  sich  von  vornherein  zuverlässige  auswärtige 
Schuldner  auszusuchen:  Köln  Eidbuch  (1341)  XX,  Stein'I  S.  47;  desgl. 
Hamburg  - Wursten  (1238),  Lappenberg  Hamb.  U.  B.  S.  441;  Bremen- 
F.msgau  (1255),  Ehmck  I 8.  307.  Tatsächlich  wurde  allerdings  in  jenen 
unruhigen  Zeiten  die  Schranke  jener  Voraussetzung  (die  übrigens  einzig  für 
Nürnberg  kraft  einer  singularis  prerogatma  nicht  bestanden  haben  soll: 
Königsfcld  Rechtsbr.  Karls  IV.  von  1360,  § 4 und  5,  Genglor  St.  R. 
8.  225)  häutig  übersprungen,  welcher  Zustand  indessen  als  ein  rechtswidriger 
und  unbequemer  allgemein  empfunden  ward:  grave  est,  legibus  et  equitati  eon- 
trarium,  quod  aliquis  pro  alio  pregravetur . et  exinde  frequenter  etiam  raneores  ori- 
untur  (Vertrag  zwischen  Jülich  und  Köln  von  1296,  Ennen  III  8.  406). 
Stobbe  Vertr.  8.  152  halt  diesen  letzterwähnten  Zustand  froilich  für  den  ur- 
sprünglichen und  den  Satz,  der  Gläubiger  müsse  zunächst  versucht  haben 
Recht  zu  erhalten,  für  eine  mittelalterliche  spätere  Abschwächung.  Diese 
Ansicht  Stobbes  wird,  wenigstens  für  Reichsangehörige,  abzulehnen,  cs 
wird  vielmehr  mit  Wach  8.40  anzunehmen  sein,  daß,  entsprechend  der 
italienischen  Entwicklung,  die  Schwächung  der  kaiserlichen  Macht,  wie 
sie  die  Verwirrung  der  Gerichtsstandsveihältnisse  und  das  forum  arresti 
begünstigte,  so  auch  im  Reprcssalienarrcst  soit  dem  12.  Jahrhundert  ein 
Mittel  aufkommon  ließ,  das  bei  Rcchtswoigerung  die  fehlende  obcrstrichtcr- 
licho  durch  die  Selbsthülfe  ersetzte.  Die  älteren  landrcchtlichcn  Quellen 
kennen  ihn  im  Gegensatz  zu  den  städtischen  bezeichnenderweise  noch  nicht. 


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oder  dreifachem)  Schadenersatz  verpflichtete,  wenn  der  Geleitete 
durch  derartiges  Unrecht  an  Leib  und  Gut  beschädigt  worden  war. 
Diesem  Geleit,  dem  Reisegeleit,  tritt  das  in  den  Städten  geübte 
prozessuale  Geleit  gegenüber,  dessen  Kernpunkt  darin  liegt,  ge- 
rechtfertigte Angriffe  von  Person  und  Gut  des  Geleiteten  fern 
zu  halten.  Es  wird  deshalb  in  seiner  ursprünglichen  Form  vom 
Richter  selbst  gegeben,  der  auf  diese  Weise  seine  Zuständigkeit 
gegenüber  dem  Geleiteten  für  diesen  Fall  ausschließt  und  dem- 
zufolge niemandem,  der  den  Geleiteten  arrestieren  oder  beklagen 
will,  zu  seinem  vielleicht  an  sich  begründeten  Rechte  ver- 
helfen kann. 

a)  Bevor  im  Einzelnen  auf  dieses  prozessuale  Geleit  ein- 
gegangen wird,  sei  darauf  hingewiesen,  daß  in  den  deutschen 
Städten  auch  eine  Art  von  Privatgeleit  existierte,  kraft  dessen 
sich  eine  Privatperson  verpflichtete,  von  Person  oder  Gut  des  in 
die  Stadt  kommenden  Gastes  Arrest  und  Klage  abzuwenden.  In 
Lübeck  schon  1226  von  Friedrich  II.  mit  dem  Satze  verboten: 

jirmiter  inhibemue,  ne  aliqua  / lertona  magna  eel  parva, 
eerularis  eel  ecrlesiaetira,  pernone  alivui  conductum  prebeat  in 
civilutem  predictam,  quin  ipea  cuilibet  impetenti  eam  in  iure 
debeat  respondere '), 

wird  es  noch  um  1300  in  einer  interessanten  Stelle  des  Nord- 
hausenschen  Schultheißenbuchs*)  dahin  erläutert: 

•v»  quis  in  suam  tutelam  eive  in  suuin  ducutum  recipere 
voluerit  equoe  eel  currue  aticuiue,  nuncium  ■ruuin  in  eignum 
poeeeseionü  equis  eel  cnrru  superponat,  et  ei  non  fecerit,  qui- 
cu  mque  id  cum  precone  inpugnacerit,  illud  pro  pignore  iure 
pingniori  optinebit. 

Wie  sich  dieses  Geleit  im  Einzelnen  darstellte  und  ob  namentlich, 
was  wahrscheinlich  ist,  der  Geleitgeber  an  Stelle  des  Geleiteten 
eine  Dritten  gegenüber  wirksame  gesetzliche  Vertretungspflicht 
überkam5),  läßt  sich  auf  Grund  des  dürftigen  Materials  nicht  sagen. 

‘)  Stadtr.  13,  Keutgcn  Urk.  8.  187. 

*)  Stadtr.  37,  Focratemann  N.  M.  111,  l S.  41. 

5)  Vertraglich  konnte  er  sich  dem  Geleiteten  gegenüber  natürlich  zur 
Leistung  an  den  Dritten  verpflichten.  Vgl.  die  Entscheidung  in  Brünn 
Schöflenb.  (um  1330)  108,  Rößler  II  S.  57,  welcher  folgender  Fall  zu  Grunde 
liegt:  In  Chrimsir  ewis  invitavit  rusticum  dt  vilht  in  domum  suam  sub . hoc  pro - 


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138 


b)  *•  Das  prozessuale  Geleit  wird,  wie  oben  erwähnt, 
grundsätzlich  vom  Richter  allein  erteilt.  Das  ist  die 
Auffassung  des  Görlitzer  Landreehts  '•): 

iegelieh  rirhtar  de  geleite  gibil  einem  man,  der  in  time 
geeichte  icht  zu  vordirn  hat,  der  ne  sol  ime  nicht  geleite  gebin 
ron  deme  nestin  darf  bi  der  sUit  da  er  rirhtar  is,  sundir  con 
deine  lestin  ende  sinis  gerichtis; 

und  dem  Erzbischof  von  Köln,  der  das  Geleitsrecht  in  der  Stadt 
in  Anspruch  nimmt,  cum  ipse  sil  summus  iude.c  et  dominus  riri- 
tatis  ( ’olonien-is,  wird  dies  Recht  seinem  Verlangen  gemäß  von 
den  Schiedsrichtern  zugebilligt’)  und  demgemäß  an  andererstelle 
des  Schieds  hervorgehoben: 

si  aliquis  foraneorum  meluni  alleget,  quod  in  Colonia  agere 
non  audeat,  debet  dominus  archiepiscoput  eum  conducere  super 
ius  suum  J). 

Dieser  Zustand  blieb  der  regelmäßige  überall  da.  wo  des 
Stadtherrn  Befugnisse  in  Ansehung  der  Besetzung  und  Verwaltung 
des  städtischen  Gerichts  sich  im  Wesentlichen  unberührt  erhielten  *)• 


misse,  si  oeeuparetur  in  civitatc , vellet  ipsttm  absotvere  sine  damno ; die  Schöffen 
urteilen : quod  occupatio  in  qua  civis  promiserit  rusticum  absotvere,  intelliqenda  es t 
quantum  ad  facta  praeterita  et  non  ad  futura.  — Auf  eine  gesetzliche  Ycrtrctungs- 
pflicht  kann  vielleicht  die  Analogie  der  oben  S.  107  f.  behandelten  Vertretungs- 
pflicht der  Wirte  hindcutcn,  die  den  bei  ihnen  besetzten  Gast  oder  sein 
Gut  im  Gericht  stellen  müssen:  lassen  sic  beides  freiwillig  aus  dein  Hause, 
so  müssen  sio  die  gegen  den  Gast  gerichtete  Klage  erdulden. 

')  (nach  1300)  XMV  § 7,  Homejer  Görl.  LR.  S.  210. 
s)  Köln  Schied  (1258)  Klagepunkt  47  des  Erzbischofs  und  Entschei- 
dung dazu,  Keutgcn  l'rk.  S.  163  bezw.  170. 

s)  Köln  Schied  (1258)  Klagepunkt  3 der  Bürger  und  Entscheidung 
dazu,  Keutgen  l'rk.  S.  164  bezw.  170.  Über  die  Kölner  Gerichtsverfassung 
vgl.  Lau  S.  5 — 16.  20—23.  30,  sowie  Hcldmann  S.  115  - 117. 

*)  Altenburg  markgrüfl.  Stadtr.  (1256)  9 und  1,  Gaupp  1 S.  211  bezw. 
210:  scultetus  qui  pro  tempore  vobis  est  preficiendus;  Sülfeld  Stadtb.  (nach 
1300)  LVII,  Walch  I S.  28  (vgl.  CLXX1I,  ebenda  S.  57);  Rudolstadt  Stadtr. 
(1404)  41.  A.  L.  J.  Michclsen,  Rcchtsdenkmalc  aus  Thüringen.  Jena  1863. 
8,  213  (vgl.  ebenda  S.  200  ff.);  Kleve  Stadtr.  (nach  1424)  109  § 1.  4,  ZKG. 
10  S.  239.  240  (über  Ein-  und  Absetzung  des  Stadtrichters  ebenda  § 9,  S.  430): 
Bamberg  Stadtr.  (1306)  91  sowie  100,  Zöpfl  S.  28.  30  (über  die  Gerichts- 
verfassung vgl.  ebenda  Einl.  S.  52.  54). 


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139 


Und  auch  da,  wo  der  Rat  der  Stadt  in  dieser  Beziehung  ihm  nicht 
unerhebliche  Rechte  abgewann , mochte  die  selbständige  Geleits- 
erteilung durch  den  Richter  dem  Einflüsse  des  Rates  entweder 
überhaupt  nicht1)  oder  doch  nur  zum  Teile3)  unterliegen.  Immer- 
hin läßt  sich  nicht  verkennen,  daß  insbesondere  im  14.  Jahr- 
hundert der  Stadtrat  in  erheblichem  Maße  bei  der  Erteilung 
des  prozessualen  Geleites  mitwirkt,  sei  es  in  Verbindung  mit  dem 
Richter,  sei  es  in  Unabhängigkeit  von  ihm. 

Letzteres  kann  namentlich  überall  da  nicht  befremden,  wo  der 
Rat  durch  Verpfändung  oder  durch  Verkauf  des  Gerichts  seitens 
des  Stadtherrn  seihst  zum  Gerichtsherrn  geworden  war.  In  solchen 
Fällen  scheint  dem  Richter  jede  Entscheidung  über  die  Erteilung 
des  Geleits  genommen  und  diese  Befugnis  ausschließlich  dem  Rate 
vindiziert  worden  zu  sein  '’).  Es  mag  dies  damit  Zusammenhängen, 
daß  der  Rat  als  kommunales  Organ  die  Interessen  der  Stadt 
wahrzunehmen  hatte  und  ein  enger  Zusammenhang  solcher  Inter- 
essen mit  der  Erteilung  des  Geleits  in  mehr  als  einer  Richtung 
zu  Tage  trat.  Es  ergibt  sich  als  weitere  Folge  eines  solchen 
Zusammenhanges,  daß  der  Rat  (und  zwar  nicht  nur  da,  wo  er 
selbst  Gerichtsherr  ist)  für  befugt  erklärt  wird,  die  für  die 

')  Brünn  Schöffenb.  (um  1350)  600  a.  E.,  Rößler  II  S.  275;  über  die 
Gerichtsverfassung  vgl.  ebenda  Einl.  S.  LVI  und  LX1I1. 

’)  München  Kechtsbr.  (1294)  5,  Gengier  St.  R.  S.  294:  über  die  Ge- 
richtsverfassung siehe  ebenda  §§  2.  3 und  G.  Vgl.  Bamberg  Stadtr.  (1306)  100. 
unten  S.  140  in  und  bei  Anrn.  3. 

3)  Lübeck:  Stadtr.  (1294)  LYII,  Hach  S.  273:  Dänemark  an  Lübeck 
(1320 — 1325)  und  von  Buchwald  an  Lübeck  (um  1365),  Lüb.  U.  B.  II,  1 nr.  465 
bzw.  III  nr.  749.  Über  die  Gerichtsverfassung  Lübecks  siehe  C.  Wehr- 
inann,  Die  obrigkeitliche  Stellung  des  Rats  in  Lübeck  in  Hans.  Gescb.  Bl. 
Jahrg.  1884  S.  53  und  58,  sowie  Planck  I S.  33  ff.  — Goslar:  Stadtr.  (um  1300), 
Göschen  49.  23,  und  Minslcben  an  Goslar  (1311 — 1321),  Gosl.  U.  B.  III 
S.  314.  Über  die  Gerichtsverfassung  Goslars  vgl.  Bode,  Einl.  zu  Bd.  I und 
II  des  Gosl.  U.  B.,  sowie  Planck  I S.  30  ff.  — Magdeburg:  Alph.  Sam  ml. 
Magdeb.  Schöffensprüche  Kap.  305,  Wasserschieben  S.  91.  über  die  Gerichts- 
verfassung Magdeburgs  vgl.  G.  Stöckert,  Die  Reichsunmittelbarkcit  der 
Altstadt  Magdeburg  in  Hist.  Zeitschr.  Bd.  66  S.  197.  202  und  215,  sowie 
Planck  I S.  21  ff.  — Hildesheim:  Vorkauf  des  Gerichts  und  Geleits  durch 
Bischof  an  Rat  (1447),  lt.  Doebncr,  Hildcsbeim  im  späteren  Mittelalter  in: 
Studien  zur  Hildesheimischen  Geschichte.  Hildesheim  1902.  S.  21;  vgl.  für 
die  Zeit  vor  1447  unten  S.  141  Anm.  2.  3. 


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Erteilung  des  Geleits  in  Schuldsachen  erforderliche  vorherige  Er- 
laubnis des  einheimischen  Gläubigers  entweder  bei  dem  Richter 
durch  die  Ratsgenehmigung  zu  ersetzen ')  oder  aber  selbst,  ohne 
Rücksicht  auf  den  Gläubiger.  Geleit- zu  erteilen5).  Der  Rat  um- 
ging dann  den  Gläubiger  um  der  Stadt  willen: 

i •:  schol  auch  Jur  gultc  niwant  kein  jeleit  halten  ...  E: 
treffe  denn  ein  solche  gemeine  notige  heftige  sache  an,  da  ron 
man  sein  niht  enpern  mäht  und  da:  da:  dg  rwelf  erkenten, 
dg  ron  eins  heren  wegen  und  von  der  »Ult  wegen  an  dem 
stat.  gerihte  sit:en  . . , da:  man  im  ( leiegte  geben  schul le  . so 
schal  im  e:  der  Schttlfhei:  geben  in  ein  Jreiheit  oder  in  ein 
muntat  oder  an  da:  statgerihte i) ; 

euer  sal  der  rait  nemanne  rurwerde  gecen,  id  in  si  mit 
willin  of  wist  der  scholtgemare.  der  rait  in  duncke  dan,  dat 
id  bas  si  gedagn  dan  gelaissin,  so  mogin  si  id  dogn,  also  dat 
mant  den  scholtgemaren  kiinJ  düe,  as  eerre  as  man  mach 
Der  Richter  selbst  war.  anders  als  der  Rat,  an  die  vorherige  Ein- 
willigung des  Gläubigers  gebunden  5). 

')  München  Kechtsbr.  (1294)  5,  Gengier  St.  R.  S.  294:  es  sei  auch  der 
Kikter  dt  keinen  frid  her  in  die  Stat  gehen  muh  gleit  an  der  rat,  die  des  rates  pßegent, 
oder  an  des  gelten  w’llen ; vgl.  oben  8.  139  bei  Anm.  2.  sowie  unten  in  und 
bei  Anm.  3. 

*)  Lübeck  Stadtr.  (1294)  I.VII,  Huch  S.  273:  Güttingen  Stat.  (1354  ', 
l’ufendorf  III  App.  8.  199:  Hildeshcim  Kat  an  d.  von  Lübeck  (1369),  Dnobner 
U.  B.  II  8.  171:  Köln,  unten  in  und  bei  Anm.  4. 

3)  Bamberg  Stadtr.  (1306)  100.  ZSpfl.  S.  30.  Allerdings  wird  die  Ein- 
willigung des  Rats  hier  nur  mittelbar  erteilt:  die  Entscheidung  über  das 
vom  Schultheiß  /.u  erteilende  Geleit  für  guhe  ( — für  sehults)  liegt  unmittelbar 
bei  den  vom  Rat  präsentierten  und  vom  Bischof  bestätigten  zwölf  Schöffen. 
In  § 72,  Zöpfl  S.  23,  ist,  wie  hier  angemerkt  werden  mag,  nicht  von  Geleits- 
erteilung die  Rede. 

*)  Köln  Eidbnch  (1341)  XX.  9,  Stein  I S.  48:  vgl.  folgende  Anmerkung. 

s)  Vgl.  die  Stadtrechte  von  Altenburg,  Salfcld,  Rudolstadt  und 
Kleve,  oben  S.  138  Anm.  4.  sowie  von  München,  oben  Anmerkung  1.  und 
Lüneburg  Stat.  (vor  1400),  Kraut  S.  52  und  61.  Allerdings  darf  nicht 
übersehen  werden,  daß  öfters  auch  der  Rat,  mochte  er  nun  allein  (Hamburg 
Stadtr.  G.  30  — 1292  — , Lappenberg  S.  134:  Lüneburg  Stat.  — vor  1400 
— , Kraut  S.  61  und  auch  52)  oder  in  Gemeinschaft  mit  dem  stadtherrliehcn 
Richter  (Nordhausen  Rechtsbr.  6 — 1290  — , Gengier  St.  11.  S.  317.  zu- 
sammen mit  Statuten  182  — tim  1300  — und  112  — 1308  — , Foerstemann 
N.  M.  III,  I S.  69  bezw.  III,  2 S.23:  Koblenz  Stadtr.  32  u.  46 — 1388  bezw.  1425 


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141 

Aber  nicht  nur  da,  wo  der  Rat  selbst  Gerichtsherr  ist,  sondern 
auch  da,  wo  er  nur  irgendwelchen  mehr  oder  minder  großen  Ein- 
fluß auf  das  Stadtgericht  ausüben  kann,  sehen  wir  ein  Geleitsrecht 
des  Rates  sich  entwickeln.  Das  Motiv  dahin  zielender  Bestrebungen 
war  das  oben  erwähnte  öffentliche  Interesse  der  Stadt.  Die  Mög- 
lichkeit ihrer  Erfüllung  lag  einmal  in  dem  örtlich  vorhandenen  Ein- 
fluß auf  das  Stadtgericht,  dann  aber  auch  in  der  „Dehnbarkeit  des 
den  Kern  der  städtischen  Gerichtsbarkeit  bildenden  polizeilichen 
Gebiets,  dem  sich  verwaltende  und  richterliche  Funktionen  der 
verschiedensten  Art  bequem  anlehnen  ließen“ ').  So  erklärt  es  sich, 
daß  auch  in  Städten,  deren  Gericht  sich  als  ein  im  Wesentlichen 
stadtherrliches  erhalten  hatte,  wir  den  Rat,  sei  es  in  Verbindung 
mit  dem  Richter’),  sei  es  völlig  selbständig5),  ein  Geleitsrecht 

— , Bär  S.  53  bet«.  55)  Geleit  zum  Schutze  gegen  Schuldarrest  und  -klage 
erteilen,  an  die  vorherige  Einwilligung  des  Gläubigers  gebunden  wurde. 
Während  bei  Geleit  gegen  Verfolgung  von  Verbrechen  u.  dgl.  neben  den 
Strafanspröchen  des  Verletzten  auch  öffentliches  Interesse  vorhanden  war,  das 
den  zeitigen  Verzicht  auf  Strafe  unabhängig  von  dem  Belieben  des  Verletzten 
fordern  mochte,  kamen  bei  Klagen  um  Schuld  u.  dgl.  unmittelbar  nur  private 
Interessen  in  Frage.  Das  Geleit  ward  in  letzterem  Falle  als  Stundung  der 
Schuld  aufgefallt  (Lüneburg:  de  induciis  dandis,  und  Köln;  s.  wegen  beider 
diese  Anm.),  und  solche  Stundung  zu  erzwingen,  erschien  hier  und  dort  als 
ein  zu  harter  Eingriff  in  die  Sphäre  des  Einzelnen.  So  ändert  Köln  seine 
oben  S.  140  bei  Anm.  1 wiedergegebeno  Vorschrift  im  März  desselben  Jahres 
1341  durch  eine  Ratsverordnung  (Stein  I S.  27)  dahin  um:  id  sy  kirnt,  tiat 
alle  rede  oeverdragen  haent  als  mit  den  vurwenten  ind  vrieden  zo  gheven  den,  die 
in  der  stat  sehuldieh  syni  unsen  bürgeren,  dat  dat  stain  sali  ind  gehalden  werden , 
als  man  id  plaeh  zo  Halden,  ussgescheiden  dat  iler  rait  nach  alle  rede  nyeman 
darzo  dringen  en  soilen , dsl  Aee  weder  synen  gudeu  willen  Herren  noch  ritteren 
noch  nye manne  dach  en  gheve  tan  synre  schollt  kurt  noch  lanck. 

')  Frensdorf!  Einl.  S.  LXVI1I. 

a)  Hameln  Hechtsbest.  (1271),  Meinardus  S.  57  (über  die  Gerichtsverf. 
vgl.  ebenda  Eiul.  S.  XXXVI.  XXXXVII.  XXXXIX.  L);  Koblenz  Stadtr. 
(1388.  1425)  32.  4ti,  Bär  S.  53.  55  (über  die  Gerichtsverf.  ebenda  S.  22.  24); 
Hildesheim  Geleitsurkunde  (1396),  Doebner  IT.  B.  II  S.  497,  wo  es  sich 
anders  als  bei  der  Urkunde  von  1369  (s.  unten  Anmerkung  3)  nicht  um  Schuld, 
sondern  um  vonoord  nach  vorangegangener  Fehde  handelt.  Über  dio  Uerichts- 
verf.  Hildesheims  vgl.  Doebner,  die  Stadtverf.  Hildesheims  im  Mittelalter 
in:  Studien  zur  Hildeshoimischen  Geschichte.  Hildesheim  1902.  S.  3 — 5.  7. 
13,  namentlich  15  (s.  aber  auch  Stadtr.  83  — um  1300  —,  Doebner  U.  B.  1 
S.  287). 

*)  Göttingen  Stat.  (1354),  Pufendorf  III  App.  S.  199:  Hildesheim 


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ausüben  sehen.  In  dem  letztgenannten  Falle  handelt  es  sieh  aller- 
dings offensichtlich  nur  um  Schuldsachen,  deren  Kognition,  sobald 
Gäste  in  Betracht  kamen,  der  Rat  sich  so  wie  so  anzueignen  be- 
strebt war1).  Daß  der  Rat  bei  solchen  Gelegenheiten  anf  eigene 
Hand  kraft  seiner  obrigkeitlichen  Polizeigewalt  gegen  Zuwider- 
handelnde, ihm  unterworfene  Personen  einzuschreiten  befugt  und 
willens  war,  versichert  der  Rat  von  Hildesheim  dem  Lübecker  Rat 
in  einem  Schreiben,  in  dem  er  einem  dortigen  Bürger  sein  Geleit 
verspricht : 

icorde  he  yhemanet  eder  benut , dat  weide  we  afdon  mit  den, 
de  dar  ox  don  urtde  laten  weiden*). 

Entsprechendes,  d.  h.  teils  unabhängige3),  teils  mitwirkende4) 

Rat  an  den  von  Lübeck  (1369),  Docbner  U.  B.  II  S.  171  (vgl.  vorige  Anm.  und 
Ratsurkunde  aus  der  Zeit  nach  1370  bei  Poebner  U.  B.  II  S.  275):  Köln 
Kidbuch  (1341)  XX.  9,  Steinl  S.  48:  Köln  Ratsverordnung  (1341),  Stein  1 
S.  27 : Köln  an  Andernach  (1367)  und  an  Düren  (1371),  Ennen  IV  S.  532 
bezw.  618;  Wesel,  Keinhold  S.  82;  L ü n e b u r g Stat.  (vor  1 400),  Kraut  S.  61 
(wegen  der  Gerichtsverf. : unser  hern  gherichte  u.  s.  w.,  vgl.  ebenda  S.  26.  27.  68). 

')  Wegen  Köln  und  Wesel  s.  unten  Kapitel  VI. 

J)  (1369),  Docbner  U.  B.  II  S.  171. 

3)  Hamburg  Stadtr.  (1292)  G.  30,  Lappenberg  S.  134  (über  die  Ge- 
richtsverf. vgl.  A.  Obst,  Ursprung  und  Entwickl.  d.  hatnhurgischcn  Raths- 
verfassung. Berl.  I)iss.  Hamburg  1890.  S.  40.  46,  sowie  Planck  I S.  33  ff.): 
Wartberg  Vertrag  beider  Städte  (1333),  Wigand  IV,  3 S.  294;  Bremen 
(1338)  Ord.  103,  Oelrichs  S.  206  (über  die  Oerichtsvei'f.  vgl.  W.  Varges, 
Zur  Entstehungsgeschichte  Bremens:  Zeitschr.  d.  hist.  V.  f.  N.  S.  Jahrg. 
1893  S.  366,  sowie  Donandt,  Versuch  einer  Geschichte  d.  bremischen 
Stadtrechts.  Bremen  1830.  I S.  151 — 163.  172  f.  280  f.,  und  Planck  I S.  38ff.): 
Dortmund-Wesel  Urt.  Samml.  (nach  1400  zusamincngestcllt)  39,  Frensdorf! 
S.  293  (über  Gerichtsverf.  vgl.  ebenda  S.  LXI — LXVIII):  Geve  een  borgermeister 
in  onser  stat  geleyde  enen  man  aff  gude,  besäte  den  man  ofttc  dat  guet  een  bar  ge r 
myt  enen  vronen  ind  ess  wo/de  die  borgen  der  besettynge  nyet  quyt  laiten . die  borgen, 
meisten  is  meebtieh  des  geriebts,  rUbters  urut  des  vronen , dat  van  svnen  grbade  die 
man  off  dat  guet  der  besettinge  ontsiagen  werden,  ind  stillen  des  geleydes  brteyken;  ind 
dair  en  ließt  die  borger  gerne  broebe  an  gedaen,  sannt  by  dat  mit  gheriebte  gedain 
heffl;  mer  wolde  die  borgermeister  ind  der  man,  die  besät  was,  den  borger  schuldigen 
umb  smaeheit  offte  timme  schaden,  ibit  noigen  sy  doin. 

*)  Nordhausen  Recbtsbr.  (1290)  6,  Gengier  St.  R.  S.  317,  mit  Statuteu 
182  (um  1300)  und  112  (1308),  Foerstemann  N.  M.  III,  1 S.  69  bezw.  III,  2 
S.  23;  wegen  der  Gerichtsverf.  Nordhausens  s.  Rechtsbrief  § 2,  sowie  Foerste- 
mann Urk.  Gesch.  I S.  61  f.  und  E.  G.  Foerstemann,  Denkschrift  zur 
Feier  des  2.  August  1852  in  Nordhausen.  Nordhansen  1852.  S.  8 f.  Vgl.  auch 


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143 


Tätigkeit  des  Kats  bei  der  Erteilung  des  Geleits  findet  sich  na- 
türlich überall  da.  wo  der  Rat  eine  dem  Stadtrichter  übergeordnete 
Stellung  einnimmt,  mindestens  bei  der  Besetzung  dieses  Postens 
von  Rechtswegen  mitspricht. 

ß.  Das  Geleit  sollte,  wie  überhaupt  gegen  die  Anstellung  einer 
Klage1),  so  namentlich  gegen  ihre  Vorbereitung  durch  besäte  und 
peindinge,  maninge  unde  besäte,  bekümmern  umme  de  scult,  Kummer 
und  Arrest s)  schützen.  Hier  wie  in  andern  oben  angeführten 
Zeugnissen  handelt  es  sich  zu  einem  großen  Teile  um  Festhalten 
von  Person  und  Gut  lediglich  dessen,  gegen  den  der  Gläubiger  eine 
Klage  um  Schuld  anstrengen  könnte  oder5)  schon  angestrengt  hat. 
Aber  auch  ein  Aufhalten  wegen  begangener  Straftaten  sollte  ver- 
hindert werden.  Darauf  weisen  nicht  nur  allgemeine  Sätze  hin  wie 
das  Verbot  eines  beseiten  om  wat  saiken  dattet  si '),  sondern  auch 
ausdrückliche  Bestimmungen5).  Widerrechtliche  Handlungen  gegen 
den  Geleiteten  landen  dagegen  schon  als  Verletzung  des  Stadt- 
friedens gerichtliche  Sühne.  Nur  da,  wo  eine  solche  Verletzung 
an  sich  geringer  geahndet  wurde,  wenn  sie  gegen  Gäste  verübt 
worden  war,  verschaffte  das  Geleit  dem  in  die  Stadt  eintretenden 
Gaste  bisweilen  die  Rechtsstellung  eines  Bürgers6). 

•(.  Die  Nötigung  solches  Geleit  zu  erbitten  konnte  mannig- 
fache Gründe  haben,  z.  B.  den  Wunsch,  in  der  betreffenden  Stadt 
Handelsgeschäfte  abzuschließen  oder  diplomatischen  Verhandlungen 
obzuliegen.  Die  Regel  freilich  pflegte  zu  sein,  daß  man  einen 

Bremen  Urk.  des  aifiwatui  und  der  lonsutes  an  den  Kat  von  Braunachweig 
(1256!),  abgedruckt  nach  Rehtmcier  Braunschw.  Lüneb.  Chronik  S.  493  bei 
Donandt:  Versuch  u.  s.  w.  I S.  172. 

')  Lübeck  Stadtr.  (1294)  LVII,  Hach  8.273. 

J)  Göttingen  Stat.  (1354),  I’ufendorf  III  App.  S.  199;  Hildosbcim 
an  Lübeck  (1369),  Docbner  IT.  B.  II  S.  171;  liehen  Rechtsbr.  (1371)  8, 
Gengier  St.  R.  S.  496;  Köln  an  Andernach  (1367),  Ennen  IV  S.  532.  Vgl. 
Bremen  (1338)  Ord.  103,  Oelrichs  S.  206. 

»)  Salfeld  Stadtb.  (nach  1300)  LVII,  Walch  1 S.  28. 

<}  Kleve  Stadtr  (nach  1424)  109  § 1,  ZRG.  10  S.  239. 

s)  Bamberg  Stadtr.  (1306)  91  mit  100,  Zöpfl  S.  28  bzw.  30;  Wart- 
berg Vertr.  der  Städte  (1333),  Wigand  IV,  3 S.  294;  Köln  Eidbuch  (1341) 
XX.  2 und  4,  Stein  I S.  47;  Hildeshcim  Ratsurkunde  (1396)4  Uoohner  U. 
B.  II  S.  497;  Kleve  Stadtr.  (nach  1424)  109  §4,  ZRG.  10  S.  240. 

6)  Goslar  Stadtr.  (um  1300),  Göschen  49,  17  und  49,  23. 


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144 


Bürger  jener  Stadt  beklagen  oder  dort  Recht  nehmen  wollte  und 
einen  Angriff  der  Mitbürger  des  Gegners  befürchtete ').  Für  diesen 
letzterwähnten  Zweck  scheint  bisweilen  eine  Pflicht  der  ersuchten 
Behörde  zur  Geleitserteilung  bestanden  zu  haben s).  Im  allgemeinen 
freilich  entschied  sie  da,  wo  sie  nicht  durch  Verträge5)  oder  durch 
die  vorher  einzuholende  Erlaubnis  des  Gläubigers  gebunden  war, 
nach  freiem  Ermessen. 

8.  Der  Gast  erbittet  das  Geleit  entweder  persönlich4)  oder 
durch  Vermittlung  des  Rates  oder  des  Landesherrn  seiner  Vater- 
stadt5). Er  teilt  der  ersuchten  zuständigen  Behörde  gleichzeitig 
zweckmäßig  die  Namen  derer  mit,  von  denen  er  sich  eines  Bösen 
zu  versehen  meint.  Tut  er  dies  nicht  und  sind  der  betreuenden 
Behörde  nicht  schon  die  Namen  solcher  Personen  bekannt8),  so 

l)  Köln  Schied  (1258)  Klagepunkt  3 der  cives  nebst  Entscheidung, 
Keutgen  Urk.  S.  164.  170:  Nordhausen  llechtsbr.  (1290)  6,  Genglcr  St.  R. 
S.  317:  adiecimus,  nt  si  quisquam  obstantc  causa  aliqua  ervitatem  intrarc  non  andere/, 
ronsule  r et  judices  i/c  conductu  sccuro  sibi  possint  et  dcbcant  providere,  doncc  illi  eveniat 
iusticM  expedite;  München  Rechtsbrief  (1294)  7,  Gengier  8t.  R.  S.  294;  Gär* 
litzer  Landrecht  (nach  1300)  XLIV  §7,  Homeycr  Gärl.  LR.  S.  210: 
Minsleben  an  Goslar  (1311-1321),  Gosl.  U.  B.  III  S.  314;  Wartberg 
Stat.  (1312),  Wigand  IV,  3 S.  293;  Dänemark  an  Lübeck  (1320-1325). 
Lüb.  D.  B.  II,  1 nr.  465;  Wartberg  Vertr.  der  Städte  (1333),  Wigand  IV,  3 
S.  294:  Vertrag  zwischen  Goslar,  Brannschweig,  Halberstadt  u.  s.  w. 
(1335),  Halb.  U.  B.  I nr.  443;  Bremen  (1338)  Ord.  103,  Oclrichs  S.  206: 
Vertr.  zw.  Bremen  und  Hoya  (1359),  Khmck  III  S.  115;  Buchwald  an 
Lübeck  (um  1365),  Lüb.  1,'.  B.  III  nr.  749;  Koblenz  Stadtr.  (1388)  32, 
Bär  S.  53.  S.  Köln  Stat.  (1437),  Knnen  V 8.484.  wozu  zu  vgl.  Stein  I 
S.  631  ff. 

*)  Köln  (I258\  vorige  Anm.  und  oben  S.  138  bei  Anni.  3:  Nordhausen 
(1290),  vorige  Anm. 

s)  Goslar,  Braunschweig.  Hnlberstadt  usw.  (1335)  und  Bremen- 
Hoya,  beides  oben  Anmerkung  1 , sowie  Verbindung  zwischen  Lübeck, 
Hamburg,  Wismar,  Rostock  usw.  (1358),  Lüb.  U.  B.  III  nr.  310:  si 
aliquis  propter  sita  debita , que  tontraxit  in  una  civitatum  predictartini,  ab  illa  secrete 
recesserit , debitis  non  solutis,  talis  in  nulla  dvitatum  prcdictarum  securitate  aliqua  aut 
conductu  gaudere  debebit  pro  cisdctn. 

*)  Minsleben  an  Goslar  (1311  — 1321),  Gosl.  V.  B.  III  S.  814: 
Buchwald  an  Lübeck  (1365),  Lüb.  I . B.  III  nr.  749. 

s)  Hildesheim  au  Lübeck  (1369),  Docbncr  U.  B.  II  S.  171:  Däne- 
mark an  Lübeck  (1320—1325),  Lüb.  U.  B.  II,  1 nr.  465. 

c)  Sei  cs  durch  deren  eigene  Mitteilung  (Wartborg  Vertr.  — 1333  — , 
Wigand  IV,  3 S.  291),  sei  es  durch  einen  von  ihnen  schou  in  der  Stadt  gegen 


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145 


wird  sie  den  Antragsteller  um  Benennung  derselben  ersuchen1». 
Denn  nicht  allein  ist  deren  Einwilligung  u.  lT.  erforderlich*);  auch 
da,  wo  diese  nicht  nötig.  soll  wenigstens  eine  Benachrichtigung 
der  Gegner  des  Antragstellers  statttinden  *).  Die  ersuchte  Behörde 
hat  außerdem  zu  prüfen,  oh  der  Antragsteller  ein  friedloser  Mann 
ist  oder  sich  schwere  Verbrechen  gegen  die  Stadt  und  ihre  Bürger 
hat  zu  Schulden  kommen  lassen;  im  allgemeinen  soll  er  dann  kein 
Geleit  erhalten4),  und  irrtümlich  trotzdem  erteiltes  Geleit  wird  als 
nichtig  angesehen5),  es  sei  denn,  daß  er  sich  gerade  wegen  der 
ihm  vorgeworfenen  Taten  im  Stadtgericht  verantworten  will6). 

s.  Wird  das  Geleit  erteilt,  so  bezieht  es  sich  auf  die  ganze 
Zeit,  die  der  Gast  unter  Berücksichtigung  seiner  Zwecke  zum 
Kommen,  zum  Verweilen  und  zum  Fortgehen  nötig  hat  ’),  räumlich 
auf  den  gesamten  Stadtgerichtsbezirk  *).  Tritt  der  Gast  in  diesen 

den  (Hist  angestrengten  Prozeß  (Salfeld  Htadtb.  I . V 1 1 — narb  13<HI  — . 
Walch  I S.  28). 

')  Bamberg  Stadtr.  (1306)91,  Zflpfl  S.  28. 

*)  Oben  S.  140. 

ä)  Lübeck  Sladtr.  (1294)  LVII,  Hach  S.  273:  Bamberg  Stadtr.  (1306) 
Ul,  Zfipfl  S.  28:  Köln  Kidbuch  (1341)  XX.  9,  Stein  1 S.  48. 

Koblenz  Stadtr.  (1388)  32,  Bür  8.53:  Kleve  Stadtr.  (|4I7)  109 
j 4,  ZRO.  10  S.  240. 

. ■'■)  S.  die  Belege  in  der  vorigen  Anm.  ln  Koblenz  ist  das  (ieleit 
völlig  nichtig,  in  Kleve  insofern,  als  der  Hast  zwar  onghehoent  hieven,  aber 
sich  sofort  entfernen  soll. 

6)  Wartberg  Yertr.  (1333).  Wigand  IV.  3 S.  294:  Goslar,  liraun- 
sehweig.  Halberstadt  n.  s.  w.  Bündnis  (1335),  Haiberst.  l\  B.  I nr.  443: 
Koblenz  Stadtr.  (1388)  32,  Bär  S.  53. 

7)  Minsleben  an  Goslar  (1311  — 1321),  Gosl.  U.  B.  III  S.  314: 
Dänemark  an  Lübeck  (1320—1325),  Lnb.  V.  B.  II,  1 nr.  465:  Bremen- 
Hoya  (1359),  Klimck  III  S.  115.  In  München  stadtr.  (1294)  7,  Gengier 
St.  IS.  S.  294.  und  in  Bamberg  Stadtr.  (1306)  91.  Zöpll  S.  28.  wird  gleich- 
zeitig bestimmt,  daß.  wenn  der  Gast  seinen  Aufenthalt  in  der  Stadt  nicht 
dazu  benutzt,  sich  mit  seinen  Gegnern  daselbst  zu  berichten,  er  nicht  mehr 
als  dreimal  hinter  einander  Geleit  erhalten  soll. 

s)  Görlitzer  Landrecht  (nach  1300)  XLIV  §7,  oben  S.  138  hinter 
Anm.  1:  Brünn  Schöffenbuch  (um  1350)  600,  Rüßler  II  S.  275:  statt 
tttittt  pax  per  iudieem  civitatis  indieta  extra  me  tat  ittdicii  null  um 
(igat,  sie  nee  proscriptie  ultra  lisnite t htdieii  se  extendit.  Nicht  nur  innerhalb 
der  Stadtmauern,  sondern  auch  außerhalb  derselben  bindet  also  das  Geleit: 
Bamberg  Stadtr.  (1306  91.  Zöpfl  S.  28.  und  Hildesheim  GcleiUvcrsprochen 

Uudortr,  UccbtssteUuug  der  Oäsle  10 


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14t» 

Bezirk  ein  und  wird  trotz  des  erteilten  Geleits  angegriffen,  so  ist 
zu  unterscheiden,  ob  der  Gegner  von  dem  Geleit  wußte  oder  nicht. 
Im  ersten  Falle  bricht  er  es1),  im  zweiten  Falle  nicht2).  Unter 
allen  Umstünden  hat  die  Stadt  die  Verpflichtung,  das  gültig  er- 
teilte Geleit,  welches  der  Gast  seihst  nicht  durch  Friedbrüche 
aufhebt3),  zu  halten  und  Zuwiderhandlungen  Dritter  zu  unter- 
drücken4). Widrigenfalls  wird  es  so  angesehen,  als  habe  sie  seihst 
das  Geleit  gebrochen,  womit  ihr  die  volle  Schadensersatzpflicht 
zufällt5). 

des  Huts  (1350—1380),  Docbner  V.  11.  II  8.  275.  Zur  größeren  Sicherheit 
des  geleiteten  Gasts  werden  Gerichtsverhandlungen  noch  besonders  an  befrie- 
dete Orte  (Immunitäten)  innerhalb  der  Stadt  verlegt:  Hamberg  Stadtr. 
(1306)  100,  Zöpfl  S.  30,  nnd  Hremen  (1338;  Ord.  103,  Oelrichs  S.  206. 

*)  Lübeck  Stadtr.  (1294)  LYII,  Hach  8.  273:  Hamberg  Stadtr. 

(1306)  91  mit  92.  97.  98,  Zöpfl  S.  28—30. 

*)  Hamberg  Stadtr.  (1306)  92.93,  Zöpfl  S.  28.  29:  Dortmund-Wesel 
1" rt.  Samml.  (nach  1400  zusanimcngestcllt)  39,  PrensdorlT  S.  293.  Voraus- 
setzung ist  aber,  daß  an  sich  rechtmäßig  vorgegangen  worden  ist : wer  ohne 
Zuhilfenahme  gerichtlicher  Personen  den  Gast  arrestiert,  muß  sich  zwar  nicht 
wegen  Geleitbruchs,  aber  mit  Rücksicht  auf  den  Stadt  frieden  doch  wegen 
frevel  und  smaeheit  aß  schaden  verantworten  (Hamberg  und  Dortmund  a.  a.  G.: 
vgl.  oben  S.  143).  In  Hamberg  94  ist  die  Sondervorschrift  getroffen,  daß 
jeder  Gast,  der  den  andern  Gast  wegen  eines  außerhalb  Hambergs  begangenen 
l'ngerichts  festhalten  will,  sieb  zuvor  erkundigen  muß,  ob  der  letztere  geleitet 
ist  oder  nicht,  widrigenfalls  der  Angreifer  das  Geleit  bricht,  auch  wenn  er 
von  dem  Geleit  weiß. 

s)  Goslar  Stadtr.  (lim  1300).  Göschen  35.  36:  Hamberg  Stadtr 
(1306)  95.  96,  Zöpfl  S.  29.  30.  Namentlich  auch  Köln  Stat.  (1437),  Enncn 
V S.  484  (wozu  zu  vgl.  Stein  I S.  631  fF.),  wonach  auswärtige  Leute  unverzüg- 
lich vunoorde  ind geleide  einbüßen,  wenn  sie  vttr  ey neben  weretitliehen  berichten 
bynnen  unser  stat  un  hoc  sch  leeren  ind  die  riehlere,  seheßen,  utnptludcn  oß  farthyen 
mit  ungehur  liehen  worden  mishandeUen , 

4)  Göttingen  Stat.  (1354),  Pufeitdorf  111  App.  S.  199:  Köln  au 
Andernach  (1367),  Kimen  IV  S.  532:  H ildeshe im  an  Lübeck  (136)9),  Docbner 
U.  H.  II  S.  17t. 

5)  Magdeburg  Alphab.  Samml.  Magd.  SchötTcnspriiehe,  Wassersch- 
l.bon  S.  91.  Durch  Vertrag  kann  solche  Pflicht  natürlich  ahgelehnt  werden: 
Köln  an  Andernach,  in  der  vorigen  Anmerkung. 


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147 


Sechstes  Kapitel. 

Die  Gastgerichte. 

I.  Begriff  und  Name. 

Bei  Hwhtsstreitigkeiten,  in  die  Gfiste')  verwickelt  sind,  soll 
unter  Umstünden  ein  abgekürztes  Verfahren  l’latz  «reifen  dürfen. 
Insofern  mit  derartigen  Vorschriften  eine  Förderung  der  (Jfistc  be- 
zweckt wird,  heißt  die  im  einzelnen  Falle  auf  Antrag  des  Gastes 
auzuberaumende  gerichtliche  Verhandlung  ein  „Gastgericht“. 
Dieser  Ausdruck,  «ler  seit  dem  14.  Jahrhundert  in  den  Quellen 
auftaucht*),  hat  hier  stets  die  auf  den  Vorteil  der  Gäste  be- 
chränkte  Bedeutung*;.  Kr  sagt  im  Wesentlichen  dasselbe  wies 
das  derselben  Zeit  entstammende  Wort  gnstrecht,  gaxte*re<  ht  Q, 
welches  zwar  in  einem  allgemeineren  Sinne  überhaupt  von  dem 

')  Auch  da.  wo  lediglich  Mitbürger  als  Parteien  fungieren,  kann  unter 
Umständen  besondere  Beschleunigung  eintreten.  8.  darüber  unten. 

s)  Koblenz  Stadtr.  (1363)  21,  Bär  S.  ’>2.  53,  auch  8.  43:  Heiligen- 
stadt  Ordn.  des  Schulth.  Berichts  (vor  1400?)  16.  Wolf  Urk.S.-tl:  Borhold 
St  nt.  (15.  Jahrh.)  55,  Wigand  III.  1 S.  23. 

*)  Zweifelhaft  sind  nur  zwei  Stellen,  die  vom  g astrecht  handeln,  dein 
mit  gastgerieht  im  Wesentlichen  identischen  Begriffe  (vgl.  unten  bei  An- 
merkung 4):  Magdeb.  Fragen  II.  5,  Kehrend  S.  172.  ist  mit  der  Überschrift 
versehen:  Hy  wollt  wir  sagen  von  gtsttn  unde  von  gaslrttht , schildert  aber  in 
d.  1 auch  ein  auf  Antrag  von  Bürgern  gegen  (läute  eintretendes  schleuniges 
Verfahren,  hoch  bezieht  sich  die  erst  vom  Kompilator  gegebene  Überschrift 
nur  auf  den  Hauptinhalt  der  drei  Distinktionen  lind  nicht  auf  alte  in  ihnen 
gebrachten  Kinzelhuiten : cs  erhellt  dies  deutlich  daraus,  dalJ  in  d.  1 auch 
noch  von  einem  lediglich  zwischen  Mitbürgern  auszufechtenden  schleunigen 
l'ruzeli  die  Kode  ist.  Ferner  kommt  Magdeburg  Alphab.  8amml.  von 
Schöffenspr.  Kap.  72.  Wasserschieben  S.  25.  in  Betracht,  woselbst  bei  Klage 
von  Bürger  gegen  (last  erstcrervom  Richter  beschieden  wird,  rieht  to  vorderende 
des  uegesten  ddges  to  enem  ga  < free  Ale.  Doch  ist  aus  dieser  Stelle  nicht  er- 
sichtlich. ob  der  Antrag  auf  schleuniges  • Jericht  mm  Kläger  oder  von  dem 
beklagten  (Jastc  ausgegangen  ist  : letzteres  wäre  schon  deshalb  möglich, 
weil  nach  dem  Inhalt  des  Kap.  72  der  Beklagte  bei  der  Anberaumung  des 
neuen  Termins  offenbar  persönlich  zugegen  ist. 

4)  Auch:  mos  Aos/iilum  und  ins  hosfitmn  in  Brünn  Schöffenb,  (uni  1350) 
5 bzw.  18,  Köhler  11  8.6  bzw.  11:  recht  der  Vreentden  in  II  Hessen  gräll. 
l’riv.  (1348),  Teschemmicher  l"rk.  Will  S.  15. 

10’ 


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14X 


Ansprüche  der  Gäste  auf  schnelles  Gericht in  einem  engeren 
dagegen  von  dem  im  einzelnen  Fall  berufenen  und  schleunig  im 
Interesse  der  Gäste  verhandelnden  Gericht  zu  verstehen  ist2). 

Schnelles  Verfahren  kann  aber  hei  den  oben  genannten 
Rechtsstreitigkeiten  auch  eintreten,  ohne  daü  der  in  das  Verfahren 
verwickelte  Gast  von  dessen  Kürze  Nutzen  zieht,  gleichgültig  oh 
er  Kläger  oder  Beklagter  ist.  Mit  Rücksicht  hierauf  könnte  man 
von  Gastgerichten  in  weiterem  Sinne  reden,  wofern  man  die  Frage, 
wem  das  schnelle  Verfahren  dienlich  ist,  aus  der  Betrachtung 
ausscheidet.  Die  Quellen  selbst  bedienen  sich  gewisser  allgemeiner 
Ausdrücke,  die  von  bestimmten  äulleren  Eigentümlichkeiten  des 
Verfahrens  ihren  Ursprung  herleiten,  so  /m-ding  von  der  Be- 
setzung. indicinm  e.rtraordinarium 4)  und  Holding* ')  von  Besetzung 
und  Tennin.  dat  körte  nwertaegede  reeht  *)  von  Termin  und  Dauer, 
gtmengericld  oder  »Inendes  gerieht  ’)  von  dem  Orte  des  Gerichts. 
Mit  Recht  weist  Osenbriiggen*)  die  Ableitung  von  ga»»engerichl 
aus  dem  mitlverstandenen  Worte  gastgeriehi  zurück:  nur  trifft 
seine  eigene  Erklärung  “),  Gassengerichte  seien  die  unter  freiem 

')  Magdeburg  Weist,  f.  Kulm  (1338)  7,  Laband  litRi.  S.  141:  Magdeb. 
llresl.  svst.  Sch.  R.  I.  26,  Laband  S.  1 1 : Magdeb.  Kragen  LI.  2 d.  17  und 
11.  öd.  3,  Kehrend  S.  166  bzw.  173;  Magdeb.  Alphab.  Samml.  vnn  Schftffen- 
sprücheu  Kap.  144.  Wasserschieben  S.  49.  Kerner  die  eben  S.  147  Anni.  4 
angeführten  Stellen  und  Prag  Stal,  liecht  (1014  — 1418))  117,  Kniller  I S.  71: 
Preising  Stadtr.  Huch  (1328)89,  Maurer  S.  319:  Kain  Kechtabrief  (1332)  5. 
gedruckt  bei  Osenbrüggen  S.  49.  Den  Gegensatz  bildet  stat  recht,  hierher 
recht:  Preising  (s.  diese  Amn.)  und  Magdeb.  Kr.  II.  5 d.  3.  Behrend  S.  173. 

s)  Preising  Stadtr.  Buch  (1328)89  t’berächrift,  MaurerS.309:  Magdeb. 
Bretd.  syst.  Sch.  It.  111.  2 d.  138.  Laband  S.  124:  Magdeb.  Alphab.  Satutni. 
v<m  Sehöffenspr.  Kap.  22.  Wasserschieben  S.  10.  Desgl.  Schleswig  Neueres 
Stadtr.  91.  Thorsen  S.  48.  I her  den  Sprachgebrauch  von  Recht  und  Gericht 
s.  auch  Stölzel.  Hrandenb.  l’reull.  Rcchtsverf.  und  Rechtsverwalt.  (Ilerlin 
1888)  I S.  25  und  26. 

3)  Hlume  des  Sachsenspiegels  (um  1400)  I.  li  nr.  21,  RLdlt.  8. 383. 

*)  In  Brünn,  Kniller  II  S.  LXYll. 

s)  Magdeb.  SehölTenr.  der  Dresd.  Hdschr.  Kap.  156.  157.  Behrend  S.  23t, 

6)  Kochold  Stat.  (15.  Jahrh.)  57,  Wigand  III.  1 S.  24:  K a 1 k a r Stadtr. 

(vor  1417)  157.  ZUG.  10  S.215:  Kleve  Stadtr.  (nach  1424)  96  $ 5 

ZUG.  10  S.  234. 

7)  Koblenz  alt.  Gericht  sh.  (1366—1424)  19,  liSr  S.  93.  94. 

")  S.  58. 

'■')  S.  59  und  60. 


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149 


Himmel  abgelmlteueii  Gerichte  und  insofern  der  Gegensatz  solcher 
Gerichte,  die  in  Diughäusern  abgehalten  würden,  nicht  das  Ent- 
scheidende. Wie  schon  ans  der  engen  Zusammenstellung  mit  dem 
Ausdruck  * Utende»  gerirht ')  hervorgeht,  verstand  man  unter  Gassen- 
gerichten die  < lerichte,  die  nicht  an  der  ordentlichen  Dingstatte 
stattzufinden  brauchten,  welche  des  Richters  und  der  Urteillinder 
feste  Sitzplätze  aufwies  *)  und  so  gut  wie  in  einem  Hause  auch  im 
Freien  liegen  konnte.  Gassen-  oder  Gastgericht  wurde  nämlich 
häutig  da  gehalten,  wo  der  Klager  den  Heklagten  gerade  traf,  wo 
er  z.  1$.  den  Wagen  oder  das  l’ferd  des  letzteren  anhielt  ’),  in  der 
Regel  also  auf  der  Straße,  auf  der  Gasse4).  Hier  tat  der  Beklagte 
dem  Kläger  oj>  dem  Vnte,  «/<  dem  stuende  enet s_).  Recht. 


II.  Entstehung. 

Wie  und  wann  die  Gastgerichte  aufgekommen  sind,  läßt  sich 
nicht  zweifelsfrei  entscheiden.  Abwegig  ist  die  von  Grimm“) 
geäußerte  Ansicht,  die  Gastgerichte  (im  engeren  Sinn)  bedeuteten 
den  Anfang  einer  prozessualen  Gleichstellung  der  bisher  recht- 
losen Fremden;  sie  sind  in  Wirklichkeit  eiue  Besserstellung 
gegenüber  den  einheimischen  Gerichtsgenossen.  Umgekehrt  ist 
auch  Goldschmidts  Meinung7)  nicht  haltbar,  wonach  bereits  die 
Privilegien  Ludwigs  des  Frommen  und  Karls  des  Kahlen")  die 
Grundzüge  des  gastgerichtlichen  Verfahrens  enthalten;  denn  es 
handelt  sich  hier  lediglich  um  die  Erteilung  der  Immunität  an 

')  Synonym  mit  Gastgericht  gebraucht  in  Koblenz,  oben  S.  148  Anin.  7. 

*)  Planck  I S.  127.  128. 

3)  Hörde  Kechtsbr.  (1340)  21.  Gengier  St.  K.  S.  138. 

4)  Vgl.  Goslar  Stat.  (1230).  Gosl.  U.  11.  11  S.  418:  Item  muH  burgenscs 
civitatis  />cr  sculthitos  extra  forum  (<i.  li.  an  einen  Platz  außerhalb  des  Markles, 
der  ordentlichen  Gericlltsstattc)  sunt  citandi,  sed  bospites  et  atieni  possunt  citari. 

h)  Hörde,  s.  oben  Anni.  3.  uml  H Hessen  Priv.  (1348).  Teschenmacher 
Urk.  XXIII  S.  13. 

*)  deutsche  liecht  sultcrtunier  (Leipzig.  4.  Aull.  1833)  II  8.  445 7.  Das 
Gegenteil  erhellt  besonders  klar  aus  dem  Priv.  für  Magdeburg  (1 188)  7.  8, 
unten  S.  132  Anm.  2.  wo  ausdrücklich  erwähnt  wird,  daß  vor  Kinfühniug  der 
Gast  berichte  die  Gäste  das  ordentliche  Gericht  von  Burggraf  oder  Schultheiß 
um  Krlediguug  der  Klage  angehen  mußten  und  durften. 

7)  Handbuch  des  Handelsrechts.  Band  1.  Aull.  3.  .Stuttgart  1831.  S.  120. 

h)  MG.  LL.  II5  Kapitularia  1 S.  261  IT.  (813)  be*w.  2 S.  238  fl'.  (840). 


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150 


Spanier,  die  diese  an  bestimmten  Orten  des  frilnkiselien  Reiches, 
an  denen  sie  seßhaft  sind,  genießen  sollen. 

N’Sher  kommt  Schröder’)  der  Wahrheit,  wenn  er  sagt:  „Die 
Natur  des  Markt  verkehr»  brachte  es  mit  sieh.  daß  die  Markte 
mit  einem  gebotenen  Oericht  (oder  Gastgerieht)  versehen  wurden“. 
Die  Notwendigkeit  eines  solchen  Gerichts  folgt  schon  aus  der 
Natur  des  Marktfriedens,  welcher  den  auswärtigen  Marktteilnehmern 
die  Abreise  vor  SchluU  der  Marktzeit  nahelcgte,  um  sich  die  Vor- 
teile jenes  Friedens  tunlichst  auch  für  die  Reise  selbst  zu  sichern  *i. 
Schon  1 1 fit»  wird  zu  Gunsten  der  auf  den  Aachener  Markt 
strömenden  mercutorc»  erklärt: 

« mm dini « alii/uid  perperam  Jo<  tvm  fuerit,  in  niindini* 
» cc und u in  iuxtitinm  etnendefur '). 

Diese  schleunige  Gerichtsbarkeit  während  der  Marktzeit  wird  auch 
in  anderen  Quellen,  sowohl  bei  Klagen  um  Schuld4),  wie  auch  bei 
Klagen  um  Ungericht  und  Frevel5),  erwähnt.  Das  Marktweistum 
für  Zülpich®)  geht  sogar  soweit,  Frevel,  die  während  des  drei- 
tägigen Remigiusjahrmarkts  begangen  und  nicht  an  dessein  letzten 
Tage  eingeklagt  sind,  überhaupt  für  unklagbar  zu  erklären.  Zu- 
weilen schreitet  die  Gerichtsbarkeit  während  des  Marktes  noch 
rascher  vorwärts  als  die  ebenfalls  beschleunigte  Rechtsprechung 
außerhalb  der  Marktzeit  ’);  jedenfalls  bewirkt  sie  eine  gesteigerte 
Tätigkeit  des  Gerichts,  welche  das  Verbot  einer  Erledigung  reiner 
Borgerstreitigkeiten  während  der  Marktzeit  nötig  macht  *t.  — 

')  S.  192. 

Oben  S.  121  11..  namentlich  S.  132. 

3;  Priv.  Friedr.  I.  $2.  Königen  l'rlt.  S.  38. 

4)  Oben  S.  129—131. 

5J  Höxter  Stat.  (1223 — 1257)4.  Geligler  St.  11.  S.  202:  Helmars 
bansen  Priv.  (1254j,  Wigand  IV.  1 S.  23. 

®)  Grimm  VI  S.  1180.  (>81,  § 4 und  2. 

7)  Köln  Ordnung  der  vierzohntägigen  (vgl.  VI.  1)  Messe  (narb  13(10 
Mär/.  17)1.  1 und  12,  II.  1.  III.  5,  Stein  II  S.  28.  29.  30.  31,  wo  ein  Hecht 
tun  uirc(’t2oicht,  mit  der  <tmn;n  il.  s.  n . vorgeschriebe!!  wird.  Dagegen  sollen 
gewisse  kleine  Frevel  auf  dein  RuUniarktc  der  übrigens  auch  außerhalb  der 
Messe  stattfand:  I.au  S.  298  . ebenda  111.  II.  sowie  sonstige  Oastsaelicn 
außerhalb  der  Messe  nur  an  drei  Wochentagen  (siehe  Näheres  darüber  unten) 
gerichtet  werden. 

H)  S.  oben  S.  49  hei  Antu.  1. 


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151 


Wenn  es  in  einem  Privileg  für  Köln’)  heißt.  Zollhinterziehungen, 
deren  man  anderwärts  die  Kölner  Bürger  beschuldigte,  sollten 
unverzüglich  zur  Entscheidung  gebracht  werden  sire  infra  nun- 
dinns  ui  re  i-.itra,  so  erklärt  sich  dieser  letzte  Zusatz  offenbar 
daher,  daß  es  in  Ansehung  der  11!)0  und  119Ji*i  ganz  allgemein 
erteilten  Befugnis : iuramento  jim/irie  manu«  se  e.i/wryet  (sc.  der 
kölnische  Bürger)  H sine  dibdione  libere  recedal  streitig  geworden 
war,  ob  sie  sich  nur  auf  die  Zeit  der  Jahrmärkte  beziehe  oder 
nicht.  — Auch  die  Terminologie  weist  auf  die  Verwandschaft  der 
inner-  und  der  außerhalb  der  Marktzeit  geübten  schleunigen  Ge- 
richtsbarkeit  hin  *,i. 

Gleichwohl  sind  beide  nicht  ganz  identisch.  Denn  das 
außerhalb  der  Marktzeit  abgehaltene  Gastgericht  unterschied  sich 
namentlich  durch  die  erweiterte  Zuständigkeit,  die  nicht  auf  die 
am  Klageort  (und  zwar  während  der  Marktzeit)  getätigten  Vertrage 
oder  verübten  Delikte  beschränkt  war;  es  beruhte  auf  allgemeineren 
Erwägungen.  Abgesehen  vom  Anwachsen  des  Verkehrs  ist  nament- 
lich im  Hinblick  auf  die  Gastgerichte  i.  e.  S.  die  Entwicklung 
der  Gerichtsstandsverhältnisse ')  hierher  zu  ziehen,  die  den 
Kläger  teils  berechtigte,  seinen  Schuldner  au  einem  beliebigen 
dritten  Ort  zu  fassen,  teils  ihn  nötigte,  das  Domizil  desselben 
aufzusuchen.  Den  Schuldner  dort,  den  Kläger  hier  solange  zum 
Bleiben  zu  zwingen,  wie  das  ordentliche  Verfahren  verlangte, 
mußte  unbillig  erscheinen.  Hinzu  trat,  daß  namentlich  die 
Bürger  von  der  Befugnis,  die  Person  oder  das  Gut  eines  Gast- 
schuldners  festzuhalten,  umfassenden  Gebrauch  machten,  ohne  daß 
der  Besetzte  stets  in  der  Lage  war,  diese  Maßregel  durch 
hinreichende  Bürgen  oder  Pfänder  abzuwenden.  So  erschien  der 
einheimische  Kläger  in  der  Kegel  genügend  gesichert:  es  ward 

*)  Priv.  Ottos  IV.  (1212),  Lncomblct  II  S.  22. 

*)  Priv.  Heinrichs  VI.  (1190),  linnen  I S.  601,  und  (1193),  Laconiblct  I 
S.  376. 

*)  In  Huessen  jfriitl.  Priv.  (1318;.  Tcscbuninachcr  l:rk.  XXIII  8.  15, 
wird  das  Recht  auf  schleuniges  Gericht  während  der  Marktzeit  als  das 
ruht  Jer  Vretntiltn  bezeichnet,  ln  Koblenz  Stadtr.  (1363)  Art.  21,  Här 
8.  52.  53,  heißt  das  während  der  Marktzeit  in  besonderer  Form  zu  Gunsten 
der  fremden  Kaufleute  richtende  Gericht  das  saslgerahtt.  (Näheres  darüber 
s.  unten). 

4)  Vgl.  oben  Kapitel  III,  namentlich  8.  38  —49. 


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deshalb  vielfach  ein  Hecht  auf  schnelles  Gericht  gegen  Gäste  entweder 
ihm  ausdrücklich  versagt  oder  doch  nicht  entwickelt  und  erwähnt, 
während  umgekehrt  ein  entsprechender  Anspruch  gerade  des  be- 
klagten Gastes  durch  die  Verhältnisse  angeregt  und  bestärkt  werden 
mußte. 

Bezeichnend  sind  namentlich  die  Verhältnisse  in  Magdeburg. 
Die  Stadt  war  seit  dem  10.  Jahrhundert  einer  der  wichtigsten  und 
belebtesten  Handelsplätze  und  Grenzorte  des  Reiches.  Trotzdem 
ward  das  schnelle  Verfahren  in  Gastsachen  hier  erst  gegen  Ende 
des  l.\  Jahrhunderts')  eingeführt,  und  zwar  als  ein  Bestandteil 
der  Rechtsvorschriften,  welche  Erzbischof  Wiclunann  der  durch 
Brand  schwer  betroffenen  Stadt,  cum  e.r  antiipia  conxtituciane  muht« 
n uuli * in  iure  cirili  et  uliix  inrominodilaiibux  constricta  Juerit,  pro 
huiuxmodi  mitigaudi#  et  rcleeandi*  im  Jahre  11  SS  erteilte*).  Ae  per 
huiuxmodi  dilacionem  alii/ua  dampna  u tr  i nn/ue  emergant,  sollen  fort- 
an weder  die  gegen  Bürger  klagenden  Gäste  noch  die  gegen  Gäste 
klagenden  Bürger  die  ordentlichen  Gerichtssitzungen  von  Burggrat 
oder  Schultheiß  abwarten.  Auch  die  klagenden  Bürger  besitzen  hier- 
nach ein  uneingeschränktes  Recht  auf  sofortiges  Gericht,  das  aber 
infolge  der  Entwicklung  des  Arrests  verkümmert  und  in  späteren 
Quellen  teils  nur  als  das  Recht  wegefertiger  Bürger  erwähnt,  teils 
ausdrücklich  verneint  wird.  Berücksichtigt  man  schließlich,  daß  in 
demselben  Privileg*)  auch  den  beklagten  wegefertigen  Bürgern  das 
(in  späterer  Zeit  festgehaltene  i Recht  gegeben  wird,  eine  rasche 
Verhandlung  zu  fordern,  ne  votum  peregrinandi out  causam  negociamli 
oreaxio  huiuxmodi  dilacionix  impediat,  so  wird  man  aus  den  besonderen 
Magdeburgischen  Verhältnissen  doch  im  Allgemeinen  schließen 

■)  Nächst  Hagenau  Sladtr.  (1164)  16,  Königen  t'rk.  S.  136,  findet 
sich  im  Magdeburgischen  liecht  immerhin  mit  die  älteste  und  zweifels- 
freie Umsetzung  von  tiastgerichten. 

*)  § 7 und  8,  l.aband  RQu.  S.  2:  vgl.  auch  Kinl.,  l.aband  S.  1.  Dali 
die  in  der  Kinleitung  gegebene,  oben  abgcdrocktc  Motivierung  des  Privilegs 
keine  Phrase  ist,  sondern  dal!  tatsächlich  neues  liecht  geschallen  wird,  zeigt 
■/..  B.  <t  1 : hier  wird  die  eure  aufgehoben,  deren  Bestehen  in  Magdeburg  noch 
für  das  Jahr  1174  ausdrücklich  bezeugt  wird  (Jüterbogk,  Priv.  F.rzb. 
Wichmanns  bei  Schott  gen  und  Krevssig.  Diplomataria  et  scriptorcs 
historiae  (icrmanicac  uiedii  aevi.  Altenburg  1783.  III  S.  392). 

J)  J 6.  l.aband  IHpi.  S.  2. 


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153 

dürfen,  daß  die  Gastgerichte  außerhalb  der  Marktzeit  kaum  vor 
dem  12.  Jahrhundert  und  nicht  in  unmittelbarer  Anlehnung  an 
die  Marktgerichte  aufgekommen  sind. 

III.  Die  Bevorzugung  der  Gäste. 

Wenn  nicht  selten  die  Frage  aufgeworfen  worden  ist,  ob  die 
Gastgericlite  in  der  Tat  Bevorzugungen  der  Gäste  darstellten,  und 
wenn  man  diese  Frage  im  Wesentlichen  verneint  hat,  so  liegt  das 
daran,  daß  man  den  oben  l)  entwickelten  Unterschied  zwischen 
Gastgerichten  im  engeren  und  im  weiteren  Sinne  nicht  beachtete. 
Die  ersteren,  d.  h.  im  Sinne  der  Quellen  die  eigentlichen  „Gast- 
gericlite“,  bilden  für  die  Gäste  aus  naheliegenden  Erwägungen *j 
einen  unleugbaren  Vorteil.  Daß  die  Gründe  solcher  Bevorzugung 
zuletzt  egoistische  sein  mögen,  sei  es  daß  man  den  Verkehr  der 
eigenen  Stadt  fordern,  sei  es  daß  man  auswärtigen  Repressalien- 
arrest  gegen  einheimische  Bürger  verhindern  wollte,  kann  natür- 
lich nicht  dahin  führen,  die  Tatsache  der  Bevorzugung  selbst  zu 
leugnen5).  Keine  Rechtsgemeinschuft  verleiht  ja  Fremden  mehr 
liechte  als  dem  eigenen  Nutzen  frommt.  Man  rechnete  deshalb 
auch  gerade  gelegentlich  der  Gewähr  von  Gastgerichten  auf  Gegen- 
seitigkeit. was  namentlich  in  späterer  Zeit  zum  Ausdruck  gelangt  *). 
Wie  sehr  man  die  Gastgerichte  i.  e.  S.  als  eine  Bevorzugung 
empfand,  zeigt,  von  anderem  abgesehen5),  in  prägnanter  Weise 
das  Stadtrechtsbuch  von  Freising  mit  dem  Satze: 

Ob  ein  yunst  ru  uiner  »tut  kiimbt  . . .,  der  sol  ul it  yuet 

')  8.  147.  148. 

*)  München  Stadtr.  (1347)260,  Alter  S.  100,  motiviert:  aas  «•/•(*(•. der 
gast)  an  dem  uaeduttn  tay  seiner  tnpuuiid  näht  versaumpt  sey,  und  Hagenau 
Stadtr.  (1 164)  18,  Kcutgcn  l'rk,  S.  136:  propur  transeuntis  impedimenta . Ähnlich 
begründet  das  schnelle  ticrirht  zu  Dunsten  des  beklagten  wegefertigen 
Bürgers  Kreiberg  llatsvvillkür  (um  1350)  12,  13.  Knnisch  S.  274:  Der  Richter 
soll  dein  Bürger  lasch  helfen  und  ihn  dann  bissen  mm  narun^t  warten. 

3)  Wie  es  Stolze  S.  78  fl.  versucht. 

*)  H e ij  igens  t ad  t Ordn.  des  Schulth.  Gerichts  (vor  1400?)  16,  Welf 
l'rk.  8.41:  Doch  Stadtr.  (1400  1450?)  12.  ZlUi.  10  8.221:  Kalkar  Stadtr. 
(vor  1417)  157,  ZHli.  10  8.  215:  Bochold  Stat.  (15.  Jalirh.)  57,  Wigand  III. 
1 S.  24. 

5)  Vgl.  oben  S.  148  bei  Amu.  1 : Hagenau  Stadtr.  (1164  18.  Kenteren 
l’rk.  S.  186  (iuavu/t,  sc.  hospes):  Koblenz  Stadtr.  (1363)  21,  Bär  S.  52.  53 


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recht  haben n als  ainer  der  in  der  stat  gesexsnn  ist  ...  un  so 
eil  pesser  das  man  im  zue  aller  zeit  rieht nn  sol,  ob  man 
im  sein  not  ist  ’). 

Die  Vorteile  schnellen  Gerichts  wurden  auch  durch  besondere 
Verträge  sichergestellt,  deren  namentlich  Köln  zahlreiche  abseh  In  15 
und  in  denen  man  einander  iustitia  c.rpedita,  iustieia  improt raetafa, 
ein  oHeerzoicht,  oncertaghen,  hendelingen  recht  ilun,  die  Vermeidung 
jeglicher  di/acio  zusicherte  *).  l’nd  wie  den  deutschen  Kautleuten 
in  Lothringen  ’i oder  Flandern')  Erledigung  ihrer  Prozesse  binnen 
einer  meist  nach  Tagen  bestimmten  kurzen  Frist  versprochen  wurde, 
ward  den  Angehörigen  auch  jener  Länder  in  Aussicht  gestellt: 

causa  etiam  mercatoris  tnfra  tertium  dient  eel  sallcm  inj  ra 
octaeam  in  eieilate  tiostra  debet  terminori s). 

Derartige  vertragliche  Fristbestimmungen  finden  sieh  in  der  Folge 
auch  anderwärts 6). 

(in  dem  besten  und  umb  des  mar  kt  $ willen  van  fremden  knuff  luden).  — Zu  berfirk- 
sichtigen  ist  übrigens.  daß  unter  «len  Gastgerichten  i.  w.  8.  die  Gast  berichte 
i.  e.  S.  den  weitaus  grüßten  Bestandteil  ausmachten  und  den  Bürgern  gegen 
Gäste  vielfach  kein  Anspruch  auf  beschleunigtes  Verfahren  gegeben  war. 

«)  69  (1328),  Maurer  8.  309-311. 

*)  Mit  Flandern  (1197),  Hans.  V.  B.  I 8.25,  und  (1212),  Hans.  V.  B.  1 
8.40:  mit  Boppard  (1252),  Gengier  Kod.  S.  256;  mit  Berg  (1262).  La- 
eomblet  II  S.  290;  mit  H n y (1277),  Knnen  III  S.  129:  mit  Berg  (1280), 
Kimen  UI  8.  157,  und  (1318),  Lacomblet  III  8.  135:  mit  Luxemburg, 
.In lieh  und  Aachen  (1375),  Lacomblet  111  8.  600:  mit  Jülich  und 
Geldern  (1392),  Lacomblet  III  S.  849:  mit  Lüttich,  Huy,  Dinand 
Tongern,  St.  Troud  (1394),  Lacomblet  III  8.881.  Ähnlich  z.  B.  Bündnis 
/.wischen  Münster,  Osnabrück.  Soest  und  Dortmund  (1277)  8,  Osnabr. 
U.  B.  III  nr.  598:  Vertrag  zw.  Jülich  und  Kleve  (1387),  Lacomblet  III 
8.  811. 

*)  Priv.  des  Herzogs  von  Lothringen  für  die  deutschen  K autle ute 
1315)  11  und  20.  Hans.  lT.  B.  II  S.  107.  108  (eeleriler). 

4)  Privilegien  des  Grafen  von  Flandern  für  die  Kaufleute  des  römischen 
Leiches  in  Flandern  (1307)  10.  Hans.  I*.  B.  II  8.  53.  in  Brügge  (13419)  19 
(n.  27,  Hans.  U.  B.  II  S.  71.  68.  69.  und  in  Flandern  (1360)  11,  Hans.  U.  B. 
III  8.  246,  bezw.  (1360)  18  und  43.  Hans.  t\  B.  III  S.  259  u.  264. 

5)  Mitteilung  von  Vogt  und  Bat  in  Bremen  an  die  Gräfin  v.  Flandern 
1255),  Khmck  I S.  305.  Vgl.  oben  8.35  bei  Anm.  5 und  6. 

6)  Duisburg  mit  Berg  (1288),  Lacomblet  II  8.500:  st  ädt.  Landfr. 
zw.  Münster,  Osnabrück.  Soest  und  Dortmund  (1338),  Hans.  I . B.  II 
8.  277. 


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155 


IV.  Die  Parteien. 

I . Betrachtet  man  die  Gastgerichte  im  Einzelnen,  so  zeigt 
sich,  dall  hei  allen  Streitigkeiten,  in  denen  (last  gegen  Hast 
steht,  das  Recht  des  Klägers  oder  des  Beklagten  auf  Gewährung 
eines  Hastgerichts  ein  uneingeschränktes  ist. 

a)  Was  zunächst  den  klagenden  Teil  anlangt,  so  war  das 
erwähnte  Recht  Hir  ihn  von  groller  Wichtigkeit.  Denn  es  ersparte 
ihm  u.  U.  eine  Reise  in  das  Domizil  des  Beklagten,  wo  seiner 
nicht  selten  ein  erschwertes  Beweisverfahren  wartete.  Teils  wird 
im  Hinblick  auf  den  Kläger  ganz  allgemein  hervorgehoben '):  iiidi- 
rium  jieri  debrt  ultra  noctrm , i/uod  twerchnach  i liritur , oder:  man  na! 
yrtagis  rir/Uin , teils  auf  das  Recht  (und  die  Pflicht)  des  Klägers 
hingewiesen,  in  dem  zu  seinen  dunsten  berufenen  Hastgericht  so- 
fortigen Beweis  gegen  den  beklagten  Hast  zu  erbringen*).  Wo 
dem  Kläger  ein  Hastgericht  einmal  versagt  wird,  handelt  es  sich 
nie  um  ein  grundsätzliches  Verbot,  sondern  es  wirken  besondere 
Rücksichten  ein,  seien  es  solche  auf  den  Herichtsstand  *),  seien  es 
solche  auf  den  Klagegegenstand4),  seien  es  schließlich  Rück- 
sichten darauf,  dall  sich  der  Kläger,  bevor4)  er  zur  Klage  schritt, 


')  Frankfurt  a M.  Stadtr.  (1297)  17.  Keiitgen  I'rk.  .S.  189:  kleines 
Kaiserreclit  (nach  1300)  I.  16,  Kndemann  S.  18:  M agdeburg- 11  reslauer 
syst.  Sch.  Iteclit  II.  2 d.  35,  Laband  S.  32:  Wien  - Neustadt  Stadtr. 

(13.  .bihrli.)  45.  Winter  S.  152:  llain  Kcchtsbr.  1332)  5.  abgedrnckt  bei 

Osenbrnggcn  S.  49.  Das  gleiche  Hecht  des  klagenden  liastes  besteht  natürlich 
auch,  wenn  er  den  Prozett  mit  Auflmltcn  des  beklagten  liastes  (Koblenz 
das  alte  Gerichts!).  19  § 1.  3 — 1361!  bis  1424  — bei  Bär  S.  93.  94,1  bezw.  seines 
Gutes  (Magdeburg  Satnnil.  von  Schöffenspr.  aus  der  Ilrcad.  Hdschr.  Kap. 50 
bei  Wasserschieben  KGu.  S.  ISS  ff.)  oder  mit  Anefang  begonnen  hat  (Frei- 
borg Stadtr.  IX  § 1.3  mit  III  $ 3 — 1296  bis  1307  — bei  Ermisch  S. 88.91. 50). 

*)  Hamburg  Stailtr.  (1270)  VI.  6 mit  Anm.  und  VII.  5,  sowie  (1292) 
H.  3,  Lappenberg  S.  27.  40.  138:  Mugdeb.  Bresl.  syst.  Sch.  ß.  I.  26. 
Labaml  S.  11. 

3)  Brünn  SchölTenb.  (um  1350;  5,  KüLtlcr  II  S.  6.  Vgl.  oben  S.  54 
Audi.  1. 

4)  Magdeb.  Bresl.  syst.  Sch.  li.  111.  2 d.  5.  Laband  S.  71.  und  Magdeb. 
Schöffenspr.  für  Stendal  (1333)  V,  Behreml  l rt.  Buch  S.  25,  mit  Magdeb. 
Fragen  II.  5 d.  1,  Bohrend  S.  172.  173. 

5)  Vgl.  Planck  II  S.  415  Anm. 


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15fi  _ 

schon  mit  der  Setzung  eines  Pfandes  durch  den  Beklagten  hegnügt 
hat,  ohne  dieses  Pfand  mit  vorwoilin  und  mit  undirtcheide  zu 
nehmen1).  Des  ferneren  darf  der  obsiegende  Gast  gegen  den 
unterliegenden  Gast  schleunig  vollstrecken  lassen  bezw.  Urteils- 
erfnilung  verlangen,  gleichgültig  ob  ein  gastgerichtliches *)  oder 
aber  ein  gewöhnliches  Verfahren  voraufgegangen  ist’). 

b)  Umgekehrt  darf  aber  auch  der  beklagte  Gast  ausnahms- 
los verlangen,  daß  der  klagende  Gast  sofort  bereit  sei  zu  ver- 
handeln und  entweder  den  erforderlichen  Beweis  zu  erbringen  oder 
aber  des  Beklagten  Entschuldigung  entgegenzunehmen ');  insbe- 
sondere, wenn  Person  oder  Gut  durch  den  klagenden  Teil  festge- 
halten werden,  tritt  die  Wichtigkeit  dieses  Hechtes  des  beklagten 
Gastes  an  den  Tag3). 

•J.  Sehr  viel  hantiger  befassen  sich  die  Quellen  bei  der  Er- 
örterung über  Gastgerichte  mit  dem  Verhältnis  von  Bürgern 
und  Gästen  zu  einander"). 

a)  Auch  hier  ist,  soweit  der  Gast  als  Beklagter  in  Be- 

*)  Magdeh.  Fragen  II.  2 d.  9a,  Bohrend  S.  160:  anders  Magdeh.  Fragen 
II.  2 d.  14  und  17,  Kehrend  S.  UM.  166.  wo  es  sich  um  ein  iin  Gericht 
gegebenes  Pfand  handelt. 

Magdob.  Kresl.  syst.  Sch.  K.  II.  2 d.  35,  Kabaud  S.  32:  Kohlen  t 
das  alte  Gerichts!).  (1366-1424)  19  § 1.  3,  Här  S.  93.  94. 

3;  Hamburg  Stadtr.  (1270)  IX.  14  und  (1292)  M.X1,  happeuberg  S.  55 
und  147:  Bremen  andersher  übern.  Ordale  (1305)  XCIII,  Meirichs  S.  121: 
Magdeb.  Kragen  II.  2 d.  14,  Kehrend  S.  164. 

*)  Freiberg  Stadtr.  (1296—1307)  III  § 3,  Krmisch  S.  50;  Kleines 
Kaiserrecht  (nach  1300)  I.  16,  Kndcinann  S.  18  (auf  ein  Gericht  über  die 
<)Ucrnacht  hat  der  Kläger  ipso  iure  Anspruch:  ein  Gericht  auf  der  Stelle 
dagegen  hängt  vom  Willen  auch  des  Beklagten  ab):  Huesscn  Priv.  (1348), 
Tescheninacher  l'rk.  XXIII  S.  15:  Magdeburg  Kresl.  syst.  Sch.  K.  I.  26. 

I.abund  S.  11.  Vgl.  Wien-Neustadt  Stadtr.  (13.  Jahrli.)  45,  Winter  S.  152. 

5)  Kreiberg  Stadtr.  (1296  — 1307)  III  §3,  Krmisch  S.  50:  Goslar 
Stadtr.  (um  1300),  Göschen  66.  35,  und  Aufs,  über  Schulth.  Amt  (14.  Jahrli.), 
Göschen  110.  13  .in  Göschen  66,  35  ist  aus  Göschen  110.  13  bezw.  63.  28 
ein  /,»  haut , van  stumtoi  an  vor  anliaardnt  7.11  ergän/.cn : werden  Bürger  besetzt, 
so  haben  sie  nicht  liecht  auf  sofortigen,  sondern  der  Y"gt  bestimmt,  wie 
das  in  Goslar  sein  Ucclit  ist,  einen  beliebigen  Termin,  vgl.  Planck  I S.  35311'.): 
Prag  Stat.  Kerbt  (1314  — 1418)  117.  KöLSlcr  1 S.  71:  Lüneburg  Stat.  (vor 
1400)  I,  a.  K.,  Kraul  S.  58. 

")  I nerörtcrt  bleiben  auch  hier  die  zahlreichen  Aussprüche,  die  dem 


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157 


traclit  kommt,  sein  Hecht  auf  schleunige  Verhandlung  überall  ein 
unbeschränktes,  während  sich,  sobald  er  als  Kläger  aultritt,  An- 
haltspunkte dafür  finden,  daß  insbesondere  in  den  außersächsischen 
Gebieten  ihm  Hecht  auf  rasches  Gericht  bisweilen  versagt  wird  *). 
Der  Anspruch  auf  Gastgericht  wird  dem  beklagten  Gast  teils  ohne 
weitere  Motivierung  zugeschrieben *),  teils  wird  ausdrücklich  darauf 
hingewiesen,  daß  derartiges  schleuniges  Verfahren  gerechtfertigt 
sei,  weil  der  Gast  häutig  für  sein  Erscheinen  im  ordentlichen  Ding 
keine  Sicherheit  (durch  Bürgen)  setzen  könne3).  Namentlich  aber 
tritt  der  erwähnte  Anspruch  als  das  Mittel  auf,  um  einen  vom  klagen- 
den Bürger  ausgebrachten  Arrest  sofort  endgültig  zu  beseitigen1  ). 

b)  Die  entschiedenste  Begünstigung  des  klagenden  Gastes, 
ilie  darin  liegt,  daß  ihm  auch  gegen  Einheimische  rasches  Gericht 
zugebilligt  wird,  ist,  wie  schon  erwähnt,  keine  ausnahmslose.  Der 

Gast  einen  Anspruch  auf  schnelles  Gericht  zubilligcn,  ohne  zu  sagen,  in 
welcher  Parteirollc  er  sich  befindet. 

')  Ks  sei  denn  gerade  Marktzeit:  vgl.  Koblenz  Altes  Gerichtsbuch 
(1366— 1424)  l‘J  $2.  1.  Bär  S.  93.  mit  Stadtr.  (1363)  21,  Bär  S.  52.  53. 

s)  Hagenau  Stadtr.  (1164)  18.  Kcutgen  l'rk.  8.  136;  Köln  Priv 
Ottos  IV.  (1212),  Lacomblct  II  S.  22:  Magdeburger  SehOlTenrecbt  (nach 
1261)  V J 3,  l.aband  RQii.  8.  115.  116:  Krciberg  Stadtr.  (1296 — 1307;  Hl 
$3,  Knnisch  S.  50:  Goslar  Stadtr.  (um  1300),  Göschen  63.  28:  Hildcs- 
heim  Stadtr.  (um  130(B  52  mit  53,  Doebner  1’.  B.  I S.  284:  Magdeburg 
Weist,  für  Kulm  (1338)  7,  l.aband  Rlpi.  S.  141:  Magdob.  Bresl.  syst.  Sch. 
R.  II.  2 d.  35,  Laband  S.  32:  Magdeb.  Prägen  I.  16  d.  5,  Behrend  S.  142: 
Magdeb.  aljihab  Sainnil.  von  Schöffcnspr.  Kap.  144,  Wasserschloben  S.  49: 
Landshut  Stadtbuch  (14.  Jalirb.)  VII.  1,  oben  S.  62  Amn.  I und  S.  63  Amu.  I. 

3)  Dresden  markgrätl.  Satzungen  (1299;,  Gengier  Kod.  S.  890:  Magdeb. 
Fragen  I.  16  d.  5,  Behrend.  S.  142.  Allgemeiner,  weil  von  „Blenden“  han- 
delnd. ist  Brünn  Schöflensatzung  (14.  Jahrh.),  Rößler  II  S.  397,  und  Knt- 
sprechendcs  meint  Prag  Rechtsbuch  (14.  Jahrh.)  20.  Rößler  1 S.  107.  Vgl. 
auch  RLdli.  46  §2  und  4.  sowie  die  oben  S.  29  und  30  zitierten  Stellen, 
wonach  der  beklagte  (fast,  anstatt  Zeugen  zu  bringen,  u.  U.  alsbald  den 
Klcndeid  leisten  darf. 

*)  Münster  Stadtr.  (1221)  56.  Kcutgen  l’rk.  S.  153  (macht  der  Gast 
Von  seinem  Recht,  sich  wegen  seines  arrestierten  Gutes  zur  sofortigen 
Antwort  zu  erbieten,  keinen  alsbaldigen  Gebrauch,  so  muß  er  zum  ordent- 
lichen 14  tägigen  Ding  kommen):  Lechenich  erzbisch  Priv.  (1279;  15, 
Gengier  St.  R.  S.  241:  Freiberg  Stadtr.  (1296—1307)  III  § 3,  Krmiscb  8.50: 
Riga  uuigearb.  Stat.  (um  1300)  II.  9 § 1.  2,  Napicrsky  S.  154:  Goslar 
Stadtr.  (um  1300  und  Sehullhcißcnamtsaufsatz  (14.  Jahrh.),  Göschen  66.  35 


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Verfasser  des  kleinen  Kaiserreclit» ')  rechtfertigt  die  ablehnende 
Haitun.!;  mit  einer  angeblich  kaiserlichen  Bestimmung  des  Inhalts: 
und)  des  wegfertigen  manne s willen  hat  der  gesezzin  inan  sin  recht 
nit  verlorn.  Es  ist  nicht  unmöglich,  daß  eine  ähnliche  Bestimmung 
wirklich  bestanden  hat,  sich  aber,  gleich  dem  Magdeburgischen 
Recht*),  hlott  auf  das  Verhältnis  von  Bürger  zn  Bürger  bezog 
und  dann  von  dem  Verfasser  mißverständlich  auf  (laste1)  gedeutet 
worden  ist.  Deutlicher  verhalten  sich  Freiberg  *t  und  Koblenz1!, 
welche  den  klagenden  (last  zweifellos  auf  den  gewöhnlichen  Rechts- 
weg verweisen.  Während  aber  Koblenz  sich  auf  die  Vorschrift 
beschränkt,  der  Fremde  solle  den  Bürger  eoruehemen  <dß  ime  daß 
gepuirt,  laßt  Freiberg  selbst  im  vierten,  vom  beklagten  Bürger 
versäumten  Ding  kein  l'rteil  ergehen,  sondern  legt  dem  Beklagten 
von  Ding  zu  Ding  steigende  Bußen,  vom  dritten  Ding  ab  für 
jedes  versäumte  Ding  je  eine  Büßt*  von  (>0  Schillingen  auf,  die 
der  Richter  alsbald  beitreiben  muß:  Da;  nute  he  (sc.  der  ga.*t') 

triben  alse  lange  he  teil  uj  sine  pjenninge  oder  nf  sine  pfant  unde 
ouch  di  teile  der  riehter  di  buze  uf  sin  erbe  «lan  teil.  Wie  in 
Freiberg,  so  wird  auch  in  Hannover  für  das  anscheinend6)  hei 
Klage  gegen  Bürger  unbekannte  (»astgericht  i.  e.  S.  indirekt  ein 
Ersatz  geschaffen;  muß  der  klagende  (»ast  lediglich  um  eines 
gegen  den  beklagten  Burger  an  heran  in  teil  Termins  willen  in  der 

bezw.  110.  13  (hierzu  vgl.  oben  S.  156  Amn.  7);  Prag  Stat.  Hecht  (1311  — 1418, 
117,  Kfißlcr  I S.  71:  Koblenz  altes  Gerichts!).  (1386 — 1424)  13  $3  mit  § 1 
uiid  $ 2.  Bir  S.  513.  94:  hist  III.  4 «1.  3.  Ortloff  S.  143:  Lüneburg  St  nt . 
('vor  1400)  L,  Kraut  S.  .78. 

■)  (nach  1300)  I.  17,  KndeuiHim  S.  18.  13. 

*)  I nten  S.  103.  namentlich  Amn.  1 a.  H. 

3)  Au«  den  vorhin  angeführten  Worten  mit  ihrem  Gegensatz  von  u>e$- 
ftr/iq  und  gesezzin  folgt,  daß  von  Gästen  die  Hede  ist. 

*)  Stadtrecht  (129t» — 1307)  111  § 1.  Hrmisch  S.  48  bis  50:  vgl.  dagegen 
III  $ 3,  Hrmisch  S.  70,  bezüglich  der  Hechte  des  beklagten  Gastes. 
Immerhin  gewährt  111  § 1 wenigstens  rasche  Vollstreckung. 

')  Koblenz  Altes  Gcrichtsbiicli  (1380  - 1424)  19  §2,  Bär  S.  93  lind  94: 
vgl.  dagegen  19  § 2 und  3 wegen  der  Hechte  des  beklagten  Gastes. 

#;  luklar  ist  Heiligenstadt  Ordn.  des  Schultheißcngerichts  (vor 
1400?)  15.  Wolf  l’rk.  S.  40,  wo  es  beißt,  inan  solle  dein  Fremden  gegen 
einen  Bürger  helfen  nach  t/cs  Berichts  teuften  über  die  Irrungen,  während  in 
18  den  Bürgern  benachbarter  .Städte  unter  der  Voraussetzung  der  Heei|»r»*ci* 


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15i» 

Stadt  liegen  und  Zeit  verlieren,  so  soll  der  Börger  ihm  » in  kntl 
ghelden  na  mngheliken  dingen 

Die  grundsätzliche  Regel  diesen  Ausnahmen  gegenüber,  wie 
sie  namentlich  im  Magdehnrgischen  Recht  konsequent  seit  1 1 ks 
ausgesprochen  worden  ist,  bleibt  aber  das  Recht  des  klagenden 
Gastes  darauf,  dall  ihm  auch  der  Bürger  im  (iastgericht  antworte. 
Sie  findet  sich  unterschiedslos,  wie  in  den  Magdehnrgischen *),  so 
auch  in  den  westfalischen  und  niederrheinischen 1 1,  in  den  sonstigen 
niederdeutschen4),  in  den  mittel-  und  in  süddeutschen  Quellen4). 
Da  an  sich  die  Möglichkeit,  Person  oder  Gut  des  Bürgers  zu 
arrestieren.  eine  sehr  beschränkte  ist'),  so  ist  von  einem  Gast- 
gericht, das  sich  an  einen  durch  den  Gast  ausgebrachten  Arrest 
anschlösse,  kaum  die  Rede.  Nur  in  einer  Magdeburgischen 

litt  ein  fus/gtruA/  bewilligt,  dagegen  in  17  naliewuhnenden  Landleiiteu  ver- 
sagt wird.  Wahrscheinlich  ist  16  als  ein  durch  das  Erfordernis  der  Iteci- 
procitSt  begrenzter  Unter  fall  von  15  anzusehen. 

')  Hannover  Stadtr.  (um  1350?)  II.  43,  Vaterl.  Arch.  S.  310. 

*)  l’riv.  (1188)7.  I.aband  K<)n.  S.  2:  Schaffenrecht  (nach  1261)  V § 3, 
I.aband  Rt)u.  S.  115:  Weistum  fnr  Kulm  (133.8)  7,  I.aband  Rt)u.  S.  141: 
Mngdeb.  Bresl.  syst.  Sch.  R.  II.  2 d.  35  und  III.  2 d.  138,  I.aband  S.  32  und 
121:  Magdeb.  Fragen  II.  5 d.  1,  Hehrond  S.  172:  Krieg  Rechtsbestftt.  (1324) 
35,  Koni  S.  103  (sofortige  Verhandlung,  kurzfristiger  Kid):  Glogati  liechtsb. 
(1386)  520.  521.  Wasserschieben  10)11.  8.  63:  Blume  des  Ssp.  I.  lt  nr.  21. 
IH.dTt  S.  363. 

•,)  Hörde  Rechtsbr.  (1340)  21,  (ienglcr  St.  lt.  S.  198:  Goch  Stadtr. 
(nach  1400)  12,  ZRG.  10  S.  221:  Kalkar  Stadtr.  (vor  1417)  157,  ZRG.  10 
S.  215:  Bochold  Stat.  (15.  Jahrh.)  55  — 57,  Wigand  III,  1 S.  23  und  24. 
Über  Wesel  und  Köln  s.  unten. 

*)  Hamburg  Stadtr.  (1270)  VII.  5 und  (1292)  H.  3.  bappenberg  S.  40 
und  S.  134:  I.nbeck  Stadtr.  Cod.  Brokes  II.  329,  Hach  S.  581 : westor- 
lauwersches  Marktrecht  $ 1,  Richthofen  S.  421. 

5)  Erfurt  Zusätze  zu  den  Stat.  (1313),  Walch  II  S.  23:  Naumburg 
Stadtr.  Satz.  (1337)  17,  Gengier  St.  R.  S.  308:  Brünn  Schöffenb.  (um  1350) 
18  und  430,  Rölller  II  S.  11  und  200:  Kassel  Satzung  (1384)  10.  Gengier 
Kod.  S.  471 : Heiligenstadt  Ordnung  des  Schnlth.  Gerichts  (vor  1400?)  15 
und  16,  vgl.  oben  S.  159  Anin.  1.  Ferner:  Hagenau  Stadtr.  (1164)  18. 
Keutgen  Ulk.  S.  136:  Freiburg  i.  U.  Handf.  (1249)  116.  121,  üaupp  II 
S.  102.  103:  Ulm  Stadtr.  (1296)  11,  Keutgen  Urk.  S.  191:  Freising  Stadtr. 
(1328)  69,  Maurer  S.  309  ff.:  Rain  Rechtsbr.  (1332)  5,  gedruckt  bei  Osen- 
brüggen  S.  49:  Landshut  Stndtb.  (14.  Jahrh.)  VII.  1,  oben  S.  62  und  63. 

■)  Vgl.  oben  S.  90 f.  und  98  f.  S.  Koblenz  altes  Gericlitsb.  (1366  bis 


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160 

Quellenstelle1)  ist  angedeutet,  wie  die  vom  Rast-Kläger  ausgeführte 
Besetzung  des  Mutes  (der  beklagte  Bürger  selbst  scheint  nicht 
anwesend  zu  seini  rascher  zum  Ziele  führt  als  die  von  einem 
Mitbürger  ausgebrachte,  welch  letztere  nicht  in  njnm  ya*frechtr 
verfolgt  werden  darf.  - Ein  Gleiches  wie  von  dem  Recht  des 
klagenden  Gastes  auf  rasche  mündliche  Verhandlung  gilt  auch  hei 
der  lTrteilserfttllung  und  Vollstreckung.  Auch  sie  ist  grundsätzlich 
eine  schleunige,  mag  sie  sich  nun,  wie  die  Quellen  ausdrücklich 
betonen,  an  eine  rasche  Verhandlung  anschließen  *)  oder  einer 
gewöhnlichen  Verhandlung  folgen5).  Nur  Prag  stellt  eine  positive 
Ausnahme  dar4).  Auch  Hannover  beläßt  es  für  den  verurteilten 

1424)  19  § 1 und  2,  llär  S.  93.  94.  wo  Besetzung  der  Bürger  durch  GJUtn 
und  aiischliettendes  gussciurerkhl  geradezu  verboten  wird. 

■)  Alphnb.  Sani  ml.  von  Magdeb.  Schöffenspr.  Kap.  22,  Waasersch- 
leben  8.  10. 

*)  Magdeburg  Sehüffenr.  (nach  I2G1)  V §3.  I.aband  Rtjn.  S.  115: 
Magdeb.  Brest,  syst.  Sch.  It.  II.  2 d.  35,  I.aband  8.32  (evtl,  wird  der  ver- 
urteilte Bürger  sofort  persönlich  überantwortet):  Brieg  Rechtshegt  (1324; 
35,  Korn  S.  103:  Kassel  Satzung  (1334)  10,  (iengler  Kod.  8.471:  Gingau 
Ruchtab.  (1386)  520.  521.  Waaserachleben  HQu.  S.  63.  Hierher  sind  auch  zu 
rechnen  Magdeburg  erzbUch.  l’riv.  (1188)  7,  I.aband  RQu.  8.  2 (ul  cadcm 
d 1 1 cum  causa  mota  futrit  terminctur  c t sapiatur)  und  Brünn  Schöffenbuch 
(U1U  1350)  18,  Rüttler  II  S.  11  (hospiti  debil  iuxla  suam  ijucrimouiatn  in/'ra  tri - 
du  um  coutinuc  sibi  succcdens  finalit  iuslilia  exhiberi):  dort  wie  hier  tritt  an- 

schaulich zu  Tage,  wie  die  Verbindung  von  rascher  Verhandlung  und  Voll- 
streckung für  «len  klagenden  Hast  «las  Wesen  des  Uaatgerichts  i.  e.  8. 
ausmacht. 

*)  Münster  Stadtr.  (1221;  28,  Keutgen  l'rk.  8.  152,  und  dazu  26.  27. 
48:  Dortmund  Lat.  Stat.  (1254  — 1256)  34.  Frcnsilorff  S.  36,  und  dazu  5: 
Hamburg  Stadtr.  (1270)  IX.  14  und  (1292)  M.  XL  Lappenberg  8.  55  u.  147: 
Braunschweig  Dttonianum  (13.  Jalirh.)  58,  Hansclmanu  I S.  7;  Celle 
Stadtr.  (1301)  35.  (Iengler  Kod.  S.  481:  Bremen  andersh.  übernonmi.  Ordalc 
(1305)  SCIll.  Oelrichs  8.  121:  Magdeb.  Fragen  II.  2 d.  14,  Behrend  S.  164, 
und  II.  2 «I.  17,  Behrend  8.  166  (sofortige  Bezahlung  oder  umgehende  Ver- 
folgung des  auf  richterlichen  Befehl  vom  Beklagten  gesetzten  Pfandes) : 
Magdeb.  alphab.  Snmml.  von  Schöffeuspr.  Kap.  147,  Wasserschieben  8.  50: 
Glogau  Rechtsb.  (1386)  522  und  523,  Wasserschieben  l{<iu.  8.63,  nnd  dazu 
490.  497:  Schleswig  Neuere»  8tadtr.  91,  Thorsen  8.48. 

*)  Statutarrecht  (1314  — 1418)79.  Rttttler  I 8.51:  Reken nt  der  beklagte 
Bürger  dem  Gaste  seine  Schuld,  so  hat  er  14  Tage  Zahlfrist.  — Ob  Koblenz 
rasche  Vollstreckung  kennt,  ist  niidit  zu  ersehen:  über  Freiberg  s.  oben 
8.  158  Anm.  4. 


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161 

•Bürger  bei  der  üblichen  Zahlungsfrist,  führt  aber  auch  hier  in- 
direkte Beschleunigung  herbei  durch  den  Satz:  leghe  de  gast  echt 
dar  na,  men  ecole  ome  eine  kernt  echt  erleggen '). 

:i.  Bisher  standen  nur  die  Oastge  richte  im  engeren 
Sinne  zur  Erörterung.  Es  mag  jetzt  noch  ein  Blick  auf  die 
Rechte  der  Bürger,  der  Einheimischen,  geworfen  werden, 
welche  diesen  zum  Zweck  rascher  Erledigung  ihrer  Rechtsstreitig- 
keiten mit  Gästen  verliehen  sind.  Verhältnismäßig  ist  es  sehr 
selten,  daß  solche  Rechte  der  Bürger  erwähnt  werden.  Schon 
dies  läßt  einen  Schluß  darauf  zu,  daß  der  oben 2)  wiedergegebene 
Satz  des  Freisinger  Stadtrechtshuches  in  der  Tat  die  Regel  dar- 
stellt *>. 

a)  Tritt  der  Bürger  als  Kläger  auf,  so  wird  ihm  bisweilen, 
und  zwar  scheinbar  ohne  weitere  Voraussetzungen,  rasches  Gericht 
gegen  den  beklagten  Gast  bewilligt*),  namentlich  da,  wo  es  ihm 
ausnahmsweise  verboten  ist,  den  letzteren  zu  arrestieren5).  Im 
übrigen  gibt  das  Recht  des  Bürgers,  den  Gast  zu  arrestieren  und 
alsbald  vor  den  Richter  zu  führen,  ihm  noch  nicht  die  Befugnis, 
sofortige  Verhandlung  zu  beanspruchen6)-,  das  ist  vielmehr  nur 


')  Stadtr.  (um  1350?)  II.  43,  Vaterl.  Arch.  S.  310. 

*)  S.  154  bei  Am».  I. 

•*)  Das  Übersicht  Stolze  S.  78—80  bei  seinen,  namentlich  gegen  Osen- 
hrüggen  gerichteten  Ausführungen  über  die  Natur  der  (lastgerichte. 

*)  l-'rciburg  i.  i'.  Ilandf.  (1249)  19,  (iaupp  St.  It.  II  S.  85:  Hamburg 
Stadtr.  (1270)  VII.  5,  1. appenberg  S.  40:  (ioslar  Stadtr.  (um  1300),  (löschen 
*13.  5 ((lüste  können  auch  in  der  Nacht  geladen  werden,  zwecks  Verhandlung 
in  einem  anf  sofort  vom  Vogt  ungenutzten  Termin:  vgl.  l’lanck  I S.  354.  355 
und  oben  S.  150  Amn.  5):  llist.  III.  2 d.  1,  Ortlnflf  S.  130:  Kleve  Sladt- 
rechtshuch  (nach  1424)  90  f 5,  Zltti.  10  S.  234.  Hierher  zu  rechnen  sind  auch: 
Magdeburg  erzbischöfl.  I’riv.  (1188)  7,  vgl.  oben  S.  152  bei  Anin.  I — 3 uml 
unten  S.  103  Am».  3:  Münster  Stadtr.  (1221)48,  oben  S.  04  bei  Am».  I 
(der  beklagte  < rast . der  zur  mündlichen  Verhandlung  geladen,  aber  nicht 
erschienen  ist,  darf  für  den  Kall,  daü  er  flüchtig  geworden,  in  demselben 
Termin  nochmals  zweimal  — s.  ebenda  20.  27  — formell  geladen  und  als- 
bald contumaciert  werden).  — S.  übrigens  unten  S.  108  Absatz  2a. 
s)  Hörde  Kechtsbr.  (1340)  21,  (Jenglcr  St.  1t.  S.  198. 

•)  Nur  Sicherstellung  kann  der  klagende  Bürger  fordern.  Vgl.  wegen 
beklagter  Haste:  Kger  Stadtr.  (1279)  18  und  19,  fiaupp  St.  B.  I S.  192, 
und  auch  (loldberg  I’riv.  (1325)  5.  Tzsehoppo  S.  511.  S.  ferner  wegen 
ttu dürft,  Itevblssteilun*  der  liäste  G 


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ausnahmsweise  der  Fall ').  Dasselbe  gilt  »neli  von  dem  Rechte 
des  Bürgers  auf  sofortige  Zahlung  bezw.  Vollstreckung  *1;  sie 
ilarf  zuweilen  nur  dann  gefordert  werden,  wenn  ein  (auf  Antrag  des 
beklagten  Gastes  eingesetztes)  Gastgericht  i.  e.  S.  vorangegangen 
ist 3).  — Eine  andere  Frage  ist,  ob  wenigstens  dann,  wenn  der 
klagende  Bürger  wegefertig  ist,  ihm  ein  unbedingtes  Recht  auf 
rasche  Verhandlung  zusteht.  Das  Magdeburg! sehe  Recht,  das  neben 
dem  Freibergischen  allein  von  der  Wegefertigkeit  der  Bürger  und 
ihrer  Bedeutung  für  den  Prozell  handelt,  ist  in  dieser  Beziehung 
nicht  so  zweifellos  verneinend,  wie  Planck l)  annimmt.  Zwar  das 
Magdeburg-Breslauer  systematische  Schöffen  recht  II.  2 d.  35  und 
III.  2 d.  04 s)  scheint  dem  wegefertigen  Bürger  nur,  wenn  er  Be- 
klagter ist,  ein  Recht  auf  schnelles  Gericht  vindizieren,  als  Kläger 
aber  es  ihm  absprechen  zu  wollen*).  Anders  dagegen  verhalten 


Beklagter.  die  zwar  in  der  Stadt  wohnen,  aber  nicht  mit  Kigen  und  Krbe 
angesessen  sind : M ü hl  hausen  Stadtr.  (1230—1250),  Herquet  S.  632:  Magde- 
burg Rechtsbuch  von  der  Gcrichtsvcrf.  (um  1250;  XXVII  >}  1,  l.aband  ltt^u. 
S.  68,  und  danach  Säclis.  W aichbildrecht  34,  Daniels  Gl.  S.  10!)  (zwecks 
größerer  Deutlichkeit  ziisammenziilialteii  mit  Magdeb.  Hrosl.  syst.  Sch.  R.  11. 
2 d.  35,  l.aband  S.  32,  wonach  der  Bürger  auch  gegen  den  «/cd/  bterbittn  burgtr 
nur  Anspruch  hat  auf  Antwort  im  iiäehstcn  ordentlichen  Ding,  und  für  den 
Kall,  daß  er  einen  wegefertigen  Bürger  mifliält.  nur  dann  sofort  klagen  darf 
bzw.  muß.  wenn  der  letztere  es  will:  Magdeb.  Brest.  Recht  von  1261  $31. 
l.aband  lB^ii.  S.  18).  Beklagte  tiiiste  und  flüchtige  Bürger  behandelt  Gos- 
lar  Stadtr.  (um  1300),  (loschen  66.  35,  und  Aufs,  über  das  Schulth.  Amt 
(14.  Jahrh.),  Göschen  110.  13. 

')  Koblenz  Altes  tlerichtsb.  (1366—1424)  19  $2.  Bär  S.  93.  94,  und, 
im  Falle  der  Widerklage  von  Burger  gegen  (last,  Dist.  III.  15  d.  1,  Ort- 
loff  S.  164.  K.in  entsprechendes  Hecht  gegen  nicht  mit  eigenem  Feuer  Usw. 
angesessene  Kinwohner  verzeichnet  Brünn  Schöffen!),  (um  1350)  125. 
Rößler  II  S.  64. 

*)  Hamburg  Stadtr.  (1270)  IX.  14.  I. appenberg  S.  55:  Koblenz  altes 
tlericbtsbucli  (1366 — 1424)  19  $ 2 und  1.  Bär  S.  93.  94.  Vgl.  auch  Hildes- 
heim Stadtr.  (um  1 24!*)  12  und  13.  Unebner  V.  B.  1 S.  103. 

3)  Magdeburg  Sehöffenreeht  (nach  1261)  V $3.  Laluind  HQu.  S.  115. 

<)  II  S.  413. 

5)  l.aband  S.  32  und  94.  I ber  die  Auslegung  von  II.  2 d.  35  s.  aber 
Genaueres  unten  S.  163  Anm.  I. 

'■  I nd  /.war  II.  2 d.  35  gegenüber  Gästen  sowohl  wie  (wegefertigen) 
Bürgern,  während  111.  2 d.  64  überhaupt  nur  die  letzteren  im  Auge  hat. 


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163 

sich  die  Magdeburger  Fragen  II.  5 d.  1 ').  Die  Anfrage  au  die 
Schöffen  lautet  daselbst,  ob  man  klagenden  Gasten  im  allgemeinen 
und  ferner  Mitbürgern  gegen  Gäste  eyn  ding  hegen  «ulle  binnen 
rechtem  uigebgetem  dinge:  die  Schöffen  erwidern,  man  solle  fern 
gesessenen  ircyejertiyen  gelten  ....  udir  meteburger,  dg  eich 
bereit  hubin  utzeurzihende  in  ire  kouffniumchaft  udir 
betefart,  . . . umme  irholl  und  umb  earnde  habe,  i«  *ey  in  ge- 
bunden tagen  adir  bunten  gebunden  tagen , ytuyix  richten.  Statt 
auf  Eigenschaften  der  Beklagten  legen  die  Schöffen  demnach  den 
Nachdruck  auf  Eigenschaften  der  Kläger  und  antworten  so  um- 
fassend, dal!  nicht  allein  die  schnelle  Verhandlung  wegefertiger 
Bürger  gegen  Gäste  zweifellos,  sondern  auch  die  gegen  Mitbürger 
offenbar  zugelassen  werden  soll2).  Wo  der  klagende  Bürger  nicht 
wegefertig  ist.  da  verneint  das  Magdeburgische  Recht  einen  Anspruch 
auf  schleuniges  Gericht  gegen  Gäste  (oder  Bürger)  durchaus3): 


')  Bohrend  S.  172  (und  dein  entsprechend  Mugdcb.  Sehfiffenrecht  der 
Dresdener  Handschr.  Kap.  15fi.  1 .77,  ebenda  S.  234).  — Bezüglich  dieses 
Widerspruchs  zu  den  oben  S.  D>2  bei  Anin.  5 und  ti  genannten  Stellen  des 
systematischen  Sehöffenrechts  ist  übrigens  zu  bemerken,  daß  von  diesen 
II.  2 d.  .‘15  (•--  Kuhn  II.  51)  nicht  zweifelsfrei  überliefert  ist.  Denn  der 
Danzigcr  Kodex  sowohl  (I.aband  S.  XXVIII),  der  im  allgemeinen  den  besten 
Text  des  alten  Kulm  bieten  soll  und  z.  B.  das  sinnentstellende  mutt  (I.aband 
S.  33  bei  Anm.  13  zu  II.  2 d.  35)  entbehrt,  welches  der  von  I.aband  der  Aus- 
gabe des  systematischen  Sehöffenrechts  zu  Grunde  gelegte  Kodex  des  Bres- 
lauer Stadtarchivs  (I.aband  S.  XXI  IT.)  aufweist,  wie  auch  die  von  I.emun 
herausgegebene  .Vulgatlesart"  des  alten  Kulm  (I.aband  S.  XXVIII  f.)  setzen 
am  Schluß  vom  II.  2 d.  35  statt  der  Worte:  der  burger,  der  do  e/agit,  den 
Satz:  der  burger  adir  der  gast,  der  da  beclagit  wirf.  Wenn  man  von  den  nicht 
völlig  passenden  Worten  des  asstivarters  absieht.  läuft  die  Distinktion  in  dieser 
Fassung  der  Bestimmung  von  Magdeb.  Fr.  II.  5 d.  1 nicht  mehr  zuwider 
(vgl.  dazu  S.  Iß2  Anm.  fi:  für  das  Magdeb.  liecht  würde  unter  diesen  Umstünden 
mindestens  ein  Kceht  w ege  fertiger  Bürger  gegen  Gäste  auf  deren  als- 
baldige Verantwortung  anznnelunen  sein). 

*)  l'.ntgegengesetzt  entscheiden  die  sonstigen  Magdeburger  Duellen,  die 
oben  genannt  sind  (S.  Ifi2  bei  Anm.  5 und  6:  vgl.  auch  die  vor.  Anmerkung). 

*)  Magdeb.  Brest,  syst.  Sch.  B.  II.  2 d.  35,  auch  bei  der  oben  Anm.  1 
angedeuteten  Auslegung,  und  111.  2 d.  t>4,  I.aband  S.  32  bzw.  94.  S.  auch 
Magdeb.  SehöflVnr.  (nach  12ßl)  V § 3,  I.aband  Ri)u.  S.  115.  und  Weistum 
für  Kulm  (1338;  7,  ebenda  S.  141.  Nur  das  crzbischöfl.  I’riv.  (1 188)  7,  I.aband 
l!<)n.  S.  2,  s.  oben  S.  Ißl  Anm.  4.  lautete  noch  anders. 

II' 


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aber  auch  anderwärts  wird  das.  insbesondere  im  Hinblick  auf  Prozesse 
gegen  Gäste,  teils  mittelbar1),  teils  unmittelbar2)  ausgesprochen. 

b)  Dem  Bürger  als  Beklagten  wird  nur  im  Magdeburgi- 
sehen3)  und  im  Freibergischen4)  Hecht  ein  Anspruch  aut  schnelle 
Verhandlung  eingeräumt,  immer  aber  nur  dann,  wenn  er  wege- 
fertig ist;  ob  ein  Gast  oder  ein  Bürger  klagt,  ist  in  diesem  Falle 
gleichgültig. 

V.  Sachliche  Zuständigkeit. 

Die  sachliche  Zuständigkeit  der  Gastgerichte  im  engeren  und 
im  weiteren  Sinne  ist  begrenzt.  Streit  um  Krbe  und  Fngerieht 
unterliegt  ihnen  im  allgemeinen  nicht. 

1.  Am  häufigsten  treten  sie  in  Tätigkeit  bei  Klagen  um 
Schuld,  namentlich  um  Geldschuld  i)>ro  debttis,  unime  geltajte 
schult,  van  gelofteni**e  ind  copniamchap) ; um  ihretwillen  soll 
sofort  verhandelt  werden5),  insbesondere  wenn  Arrest  vorauf- 


')  Nämlich  überall  da.  wo  auf  Antrag  des  Gastes  rasches  Gericht  oder 
rasche  Vollstreckung  bewilligt,  von»  Burger  aber  nur  gesagt  wird,  daü  er 
sein  Hecht  im  gewöhnlichen  Prozeßgang  verfolge.  S.  z.  B.  Hagenau 
Stadtr.  (1164)  18,  Keutgen  Urk.  S.  136:  Magdeb.  Fragen  II.  2 d.  17, 

Behrend  S.  166:  Goslar  Aufs,  über  das  Schulth.  Amt  ;14.  Jahrli.),  Göschen 
110.  13:  Landahat  Stadtb.  (14.  Jahrli.)  VII.  I,  s.  oben  S.  62  und  63. 

2)  Frcising  Stadtr.  Buch  (um  1328)  63,  s.  oben  S.  154  bei  Anm.  1. 

s)  Kr/.bischöfl.  Priv.  (11*8)6,  Laband  H<{u.  S.  2:  Magdeb.  Bresl.  syst. 
Sch.  H.  II.  2 d.  35  und  III.  2 d.  62  bzw.  64,  I.aband  S.  32  bzw.  04.  Nainent- 
lieli  auch,  wenn  er  mit  Biicksiclit  auf  seine  Wegefertigkeit  angehalten  wird: 
M agdeb.  Bresl.  liecht  (1261)31,  I.aband  RQll.  S.  IS. 

4)  Hatswillkiir  (lim  1350)  12.  13,  F.nnisch  S.  274:  BatsschliiU  (1373), 
abgedruckt  nach  Schott,  das  Stadtr.  der  Stadt  Freiberg  i.  S.  1775  S.  80, 
bei  Planck  II  S.  414. 

5)  Hagenau  Stadtr.  (1164)18  und  17,  Keutgen  Frk.  S.  136:  Ham- 

burg Stadtr.  (1270)  VI.  6 nebst  Amu.,  I. appenberg  S.  27 : Magdeburger 
Schöffenrecht  (nach  1261)  V §3,  I.aband  H<Ju.  S.  115:  Brünn  Schöffen- 

satzung (14.  Jahrli.),  Kö Liier  II  S.  307:  Preising  Stadtr.  Buch  (1328)  60, 
Maurer  S.  309  ff.:  Köln  Frk.  (1326),  Stein  I 8.  20  nr.  I §51:  Hu  essen 
gräfl.  Priv.  (1348),  Tcsclienmacher  l’rk.  XXIII  S.  15:  Brunn  (Schöffenb. 
(um  1350)  5 und  18,  KöUler  11  S.  6 bezw.  11:  Magdeb.  Bresl.  syst.  Sch. 
Hecht  I.  26.  I.aband  S.  11:  Magdeb.  Fragen  IL.  5 d.  1.  Behrend  S.  172: 
Blume  des  Ssp.  (um  1400)  I.  B nr.  21.  ItLdH.  S.  363:  Heiligen stadt 
Ordnung  des  Schulth. Gerichts  (vor  1400)  16  und  17,  Wolf  Frk.  S.  41:  Goch 
Stadtr.  (1400  — 1450 12,  /.HG.  10  S.  221. 


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165 

gegangen  ist '),  um  ihretwillen  soll  aurh  alsbald  vollstreekt 
werden  *). 

•J.  Oh  unter  den  Klagen  um  Schuld  nicht  häutig  auch  Buß- 
und  Schadenersatzforderungen  aus  Freveln  verstanden  sein 
sollen,  kann  zweifelhaft  sein,  ist  aber  wahrscheinlich :|).  Schon 
Osenhrüggen ')  führt  richtig  aus,  datl  die  Privilegien  für  Le- 
chenich und  Brühl  *)  durch  die  Art,  wie  sie  den  Jebita  und  den 
uliii  minuta,  die  rasch  ahgeurteilt  werden  dürfen,  die  niaiora  i/no<l 
hogcricht  ocm/nJur  gegenüberstellen,  andeuten,  daß  auch  kleinere, 
durch  Zahlung  lediglich  einer  Buße  sülmbare  Frevel  unter  die 
Zuständigkeit  des  (tastgericlits  fallen.  Ausdrücklich  sprechen  sich 
in  letzterem  Sinne  aus  Bestimmungen  einmal  in  Köln,  namentlich 
in  der  Ordinancie  von  der  Halle:  es  sollen  die  richtet  van  Jen 
yegtin  richten,  wenn  rynich  yaet  oji  < 'oujinan  [teere],  Je  eich  berla- 
yeJe  ran  n/nrher  erholt  off  <jeh rech  e in  Jeni  < ’oufhuyte6).  Ferner 
läßt  (loch7)  den  Landleuten  und  andern  Klevesehen  Städten  mir 
eehuiJe  und  ran  erholt  ein  onvertaiyht  recht  widerfahren. 
Hierher  rechnet  schließlich  auch  die  Versicherung  des  bremischen 
Vogtes  und  Hates  an  die  Gräfin  von  Flandern,  daß  dem  flandri- 
schen Kaufmann,  sobald  es  sieh  nicht  um  schwere  Ungerichte, 

')  Lechcnicli  Ucchtabr.  (127Ü)  15,  t reagier  St.lt.  S.  241.  un<t  Brühl 
l’riv.  (1285),  I.acomhlct  II  S.  474:  Riga  umgearb.  Stal,  (um  1300)  11.!)  § 1 
und  2.  Napierskv  S.  154:  Aljilmh.  Satniui.  Magdeb.  Schüflenspr.  Kap.  22  und 
72,  Wasscrsehlcbcn  S.  lObzw.  25:  Koblenz  altes  ticrichtsb.  (1366—  1424)  111, 
ltär  S.  !I3.  U4.  Vgl.  unten  S.  Kit!  Anin.  5—7. 

’)  Münster  Stadtr.  (1221)  28.  Kcutgen  Krk.  S.  152:  Dortmund  lat. 
Stat.  (1254—12511)  34.  Fren.sdorirS.3ti:  Hamburg  Stadtr.  (1270)  IX.  14, 
Lappcnbcrg  S.  55:  Magdeb.  Kragen  II.  2 d.  14,  Belirend  S.  184:  Irlogau 
Itecbtsb.  (1388)522,  Wasserschieben  ltyu.  S.  G3:  Heiligeustadt  Ordn.  des 
Scliultli.  Oer.  (vor  1400)’)  16.  17,  Wolf  t rk.  S.  41. 

3,  Magdeb.  Fragen  II.  5 d.  1.  Belirend  S.  172,  welche  die  Kntscliciduiig 
von  Klagen  um  Schuld  und  Fahrhabe  den  (lastgerichlen  zu  weisen,  ihre  Zu- 
ständigkeit für  Klagen  um  Kirbe  und  Ingericht  aber  verneinen,  schweigen 
von  den  Freveln.  Vgl.  Landsliut  Stadtb.  (14.  .lahrh.)  VII.  1.  linscnthal 
S.  188  (umh  sein  feit  umi  muh  amirr  saihj. 

')  S.  55. 

* ( 1 27D)  15,  tiengler  St.  K.  S.  241,  und  (1285,  I.acomblet  II  S.  474. 

“)  Register  der  städt.  Aceise  (1400)  XXI.  17,  Stein  I S.  118.  wozu  zu 
vgl.  unten  S.  185  bis  187.  Wegen  rascher  Kntsclieiduug  bei  Zollhinterziehungen 
s.  l’riv.  Ottos  IV.  (12I21,  oben  S.  151  Anm.  1. 

•,  Stadtr.  (1400-1450?)  12.  ZRti.  10  S.  221. 


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sondern  nur  <le  Ute  rel  aliu  re  handelt,  rasches  < iericht  injru 
tcrtium  th'nn  rel  «nttem  infru  octanun  geschehen  soll;  gleichzeitig 
wird  versprochen,  der  Kaufmann  dürfe  sich  von  der  Sicherungshaft 
durch  Bürgen-  oder  Pfandstellung  befreien  und,  wenn  er  den  Ver- 
handlungstag nicht  abwarten  könne,  sich  durch  einen  Bevollmäch- 
tigten vertreten  lassen  ').  Wo  ausnahmsweise  rasches  Gericht  auch 
hei  Ungericht  zugelassen  wird,  fallen  natürlich  Frevel  mit  darunter2). 

3.  Auch  die  Klage  um  Fahrhabe  kann  im  Gastgericht  ver- 
handelt werden.  Von  der  allgemein  gehaltenen  Fassung  einer 
Anzahl  von  Quellenstellen  ’)  abgesehen,  wird  die  Zuständigkeit  des 
Gastgerichts  in  diesem  Falle  namentlich  im  Magdehurgischen 
ltecht  betont4).  Ein  besonders  gearteter  Unterfall  ist  es.  daß  der 
Gast  die  schleunige  Aufbietung  des  von  ihm  besetzten  fremden5) 
bezw.  seines  eigenen  von  andern  besetzten  Gutes  verlangen  kann*), 
um  baldigst  Gelegenheit  zu  haben,  in  jenem  Falle  seine  Forderung 
auf  das  Gut  zu  gewinnen’ i,  in  diesem  Falle  eine  Verfolgung  des 
besetzten  Gutes  durch  die  Gläubiger  mittels  schleunigen  Ah- 
schwörens  der  Schuld  unmöglich  zu  machen").  Hierher  gehört 
auch,  daß  der  klagende  Gast  ein  gerichtlich  gesetztes  Pfand  binnen 
kurzer  Frist  erklagen  und  verkaufen  darf*),  während  er  auf  ein 

1 (1255)  Khmck  I S.  505.  S.  auch  l’ri\.  des  CJrafen  von  Plaudern 
für  die  Kaufleiitc  des  lieichs  (1300)  11,  Hans.  F.  ft.  III  S.  240. 

*)  Vgl.  die  Helege  unten  S.  1U7  Anm.  2 und  3.  woselbst  neben  den  t’n- 
gerirhten  ausdrücklich  auch  Frevel  genannt  werden. 

*)  Vgl.  die  llclegc  oben  8.  lt>5  in  Anm.  3 und  5. 

•)  Magdeb.  Fragen  II.  5 d.  I,  Hehrend  S.  172,  und  Hluiiie  des  Ss|i. 
(uni  1400)  1.  li  nr.  21,  lil.dli.  S.  305.  Ilci  der  Klage  mit  Anefang  wird  den 
(rüsten  auf  ihr  Verlangen  eine  sofortig«- Verhandlung  bewilligt  in  Frei  borg 
Stadtr.  (1200—1307)  IX  $ l,  Krmisch  S.  SS,  weil  hier  bei  Anefang  lediglich 
zwischen  Bürgern  «li«-  oben  S.  71  in  und  bei  Anm.  4 dargcstellte  Kegel  aus- 
nahmsweise nicht  Platz  greift. 

s)  Magdeb.  Itresl.  syst.  Sch.  K.  III.  2 d.  13S.  buband  S.  124;  alphab. 
Sauiml.  Magdeb.  Schöflenspr.  Kap.  22,  Wasserschieben  S.  10. 

*)  Uphab.  Sainml.  Magdeb.  SchölTenspr.  Kap.  72.  Wassersehloben  S.  10. 

:)  Planck  II  S.  3!I0  (bes.  Anm.  35)  und  1 S.  438  f.  über  Verfahren  und 
Natur  der  Klage. 

■)  In  Hildesheim  Stadtr.  (um  1248)  12.  13.  I Inebner  F.  K.  1 S.  103. 
darf  umgekehrt  der  klagende  Bürger  das  besetzte  Hut  eines  Bürgers  zwar 
erst  nach  14  Tagen,  das  eines  (iastes  aber  scheu  nach  einem  Tage,  von  der 
Benachrichtigung  des  Schuldners  au  gerechnet,  erklagen. 

” Magdeb.  Fragen  11.  2 d.  14  und  17.  Bohrend  S.  ll>4  u.  1(56. 


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IR7  _ 

außergerichtlich,  zur  Abwendung  der  Klage  auf  .Schuld  gegebene« 
Pfand  die  Schuld  im  gewöhnlichen  Verfahren  einfordern  muß. 
falls  er  nicht  besondere  Abrede  getroffen  hat1). 

4.  Ausgeschlossen  dagegen  ist,  wie  schon  erwähnt,  regelmäßig 
das  gastgerichtliche  Verfahren  bei  Klagen  um  Ungericht  und 
Erbe.  Selbst  das  Westerlauwersche  Marktrecht-’),  das  neben 
Kleve3)  ausnahmsweise  auch  bei  Ungerichten  ein  derartiges  Ver- 
fahren zulaßt,  verwirft  es  für  Erbgut.  Letzteres  geschieht  nament- 
lich auch  in  Magdeburg4),  das.  in  Übereinstimmung  mit  andern 
Rechten3),  außerdem  die  Klagen  um  Ungericht  ausdrücklich  zurück- 
weist6).  Keine  Ausnahme  bildet  der  Rechtsfall  des  Hrieger  Kodex; 
hier  handelt  es  sich  offenbar  um  die  nicht  vernachtete  Klage 
gegen  einen  Nichtgefangenen ’). 

VI.  Der  Antrag  auf  Gastgericht. 

1.  Die  Beschleunigung  des  Verfahrens  tritt  nur  auf  Antrag 
des  Berechtigten  ein,  gleichgültig  ob  er  Kläger  oder  Beklagter 
ist.  Kin  Zwang  zur  Antragstellung  findet  nicht  statt;  er  würde 
für  den  Berechtigten,  dem  nicht  ohne  weiteres  die  erforderlichen 
Beweismittel,  namentlich  Zeugen  oder  gerichtliche  Urkunden,  zu 
fiebote  stehen,  u.  U.  eine  Belästigung  bedeuten.  Auf  der  andern 
Seite  ist  namentlich  die  Lage  von  Beklagten,  deren  sofortige  Ant- 
wort dei  Berechtigte  verlangt,  dann  eine  bedenkliche,  wenn  sie 
nicht  gleich  den  Unschuldseid  schwören  wollen  und  können.  Wenn 
auch  deshalb  grundsätzlich  an  der  Verpflichtung  zu.  sofortiger 
Verantwortung  festgehalten  wird,  findet  sich  doch  bisweilen,  so- 
wohl zu  Gunsten  beklagter  Klender,  wie  zu  Gunsten  beklagter 

')  Magdeb.  Krügen  11.  2 .1.  9 a.  Bohrend  S.  KW. 

*)  § 1,  Kichthofen  S.  4SI. 

3)  Stadt  r.  Buch  (nach  1424)  96  § 5,  ZUG.  in  S.  2.*i4. 

*)  Magd  ob.  Kragen  II.  ü d.  1.  Bohrend  S.  172:  ebenso  Preising 

Stadtr.  Buch  (132«)  69,  Maurer  S.  319.  Wegen  Wesel  sieho  Keinhold  S.  89. 

s)  S.  oben  S.  165  in  und  bei  Anm.  5. 

ö)  Magdeb.  Kragen  11.  5 d.  1,  Bohrend  S.  172:  Magdeb.  Brest  syst. 
Sch.  U.  III.  2 d.  5,  l,a band  S.  71 : Magdeb.  SchölTcnsjir.  ftir  Stendal  (1333'  V, 
Bohrend  l'rt.  Buch  S.  25. 

*)  Magdeb.  SchöfTcnurt..  Böhme  II.  2 S.  148  und  149.  Bei  nicht  ver- 
nachtetcr  Klage  findet  immer  sofortige  Verhandlung  statt,  gleichgültig,  wer 
die  Karteien  sind. 


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Bürger,  die  Vorschrift,  daß  die  Antwort  zwar  kurzfristig,  aber 
nicht  Zug  um  Zug  erfolgen  solle,  dal  si  desce  pun/en  sich  bedenken'), 
das  he  sich  walherat *).  Durch  die  Krkliirung,  ein  (fastgericht  zu 
begehren,  nimmt  der  Berechtigte  alle  für  ihn  damit  Verbundenen 
Vorteile  in  Anspruch,  tragt  aber  auch  die  möglichen  ihm  daraus 
erwachsenden  Nachteile *).  Der  Antrag  kann  im  ordentlichen,  ge- 
hegten. mit  Schoflen  besetzten  Ding  gestellt  werden  und  der  Klager 
mag  nicht  selten  einen  solchen  Tag  abwarten4).  Sehr  häutig 
freilich  wird  er  bei  dem  Richter  allein  angebracht5)  oder  aber, 
zur  Ladung  des  Gegners  und  Benachrichtigung  des  Richters,  sofort 
dem  Büttel  übermittelt6).  Namentlich  da.  wo  ein  Beklagter  Be- 
freiung von  ausgebrachtem  Arrest  erlangen  will,  ist  diese  Antrag- 
stellung außerhalb  des  ordentlichen  Dings  die  gegebene. 

Wo  dem  Bürger  oder  dem  Gaste  grundsätzlich  ein  An- 
spruch auf  schnelles  Gericht  zugestanden  wird,  ist  der  entsprechende 
Antrag  im  allgemeinen  noch  an  bestimmte  Voraussetzungen  ge- 
bunden. 

a»  Soweit  den  Bürgern  überhaupt  ein  solcher  Anspruch 
verliehen  ist,  wird  von  ihnen,  wenn  sie  Beklagte  sind,  stets  Be- 
hauptung (und  Nachweis)  der  Wegefertigkeit  verlangt’).  Klagen 
sie,  so  wird  jenes  Erfordernis  zwar  häufig  nicht  genannt  'S,  jedoch 
mag  es  dahingestellt  bleiben,  ob  nicht  auch  dort,  wo  eine  aus- 

•)  Kleve  Stad  Ir.  Buch  (nach  1424)  »ß  fib  ZKG.  10  S.  2154. 

«)  Preising  Stadtr.  Buch  (1328;  d!t  Maurer  S.318.  313;  vgl.  auch  unten 
S.  132  Anm.  Ik 

»)  S.  z.  It.  Magdcb.  Itiv-sl.  syst.  Sch.  K.  I.  20.  I.aband  S.  G. 

V Brünn  Schotl’enb.  (uni  1350)  £ und  Dt  Rößler  II  S.  £ bezw.  j_h 
Magdeb.  Praxen  II.  5 d.  3,  Kehrend  S.  173.  ln  Briinn  (s.  Sclniflonb.  — um 
1350  — 430.  Rößler  II  S.  200} . wo  als  Beate  der  alten  echten  Dinge  zweimal 
im  Jahre  mehrtägige  Gerichtsverhandlungen  mit  bestimmter  sachlicher  Reihen- 
felge  'sog.  iuMiium  f’treui/'lcriiim  statt  fanden.  konnte  jeder  extrsneut  ohne 
liüeksieht  auf  die  letztgenannte  Einschränkung  an  jedem  Tage  klagen. 

5;  Z.  11.  Preiherg  Sladtr.  (1230  — 1307)  III  $jlund  IX  § Krmiseh 
8.  50  bzw.  SS,  sowie  Ratswillk.  um  1350)  12,  P.riniseh  S.  274 : Koblenz 
altes  Gericlitsb.  1338—1424  13,  Bftr  S.  33.  »4:  I.finehnrg  Stat. (vor  1400  L, 
Kraut  S.  .58:  Magd  eh.  Schölfenr.  nach  12dl)  V Labaml  It'pi.  S.  1 1 5. 

Preis ing  Stadtr.  Iliicli  (1328)  113.  Maurer  S.  311 : I-andshut  Stadth. 
(14.  Jahrli.)  VII.  h Kosenlhal  S.  jss. 

’)  Oben  S.  104  bei  Anm.  jl  und  4. 

')  Vgl.  oben  S.  Dd  bei  \iim._NV_  S.  j£2  bei  Anm.  £11. 


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1 Hit 


d Wirkliche  Erwähnung  nicht  Platz  hat,  tatsächlich  derartige  Be- 
schränkungen des  Anspruches  bestanden.  Wahrend  al>er  im  Frei- 
bergittchen  Recht  die  bloße  Versicherung  des  Berechtigten,  er  sei 
wegefertig,  zur  Rechtfertigung  seines  Antrages  auf  schnelles  Gericht 
zu  genügen  scheint  ’i,  muß  im  Magdeburgischen  Recht,  sei  es  vor 
dem  Einzelrichter,  sei  es  vor  (ordentlich  oder  außerordentlich)  be- 
setztem Gericht,  zunächst  der  Eid  vom  Berechtigten  dahin  ge- 
leistet werden: 

her  »1/  icegccertig,  her  hübe  «ich  bereytit  vinme  Koitfmtin- 
srhajt.  ailir  beterart  ezu  enrnde  bitsin  Itmdis,  du:  her  de»  dingt » 
nicht  geicartin  nioges); 

erst  dann  wird  zur  Verhandlung  in  der  Sache  seihst  geschritten. 

b)  Verwickelter  sind  die  Voraussetzungen  des  Antrags,  wenn 
Gäste  ihn  stellen  wollen.  Es  spielen  dabei  eine  Rolle  sowohl 
ihre  Wegefertigkeit  wie  auch  die  Entfernung  ihres  Wohnorts  von 
dem  Gericht,  das  im  gastgerichtlichen  Verfahren  erkennen  soll. 

sl  Was  zunächst  den  zweiten  Punkt  anlangt,  so  sollen  ur- 
sprünglich und  grundsätzlich  *)  nur  solche  Gäste  den  Antrag  an- 
bringen, die,  wie  es  heißt, 

des  dint/es  eines  tuges  nicht  geeuchen  inugen  *). 

Einen  solchen  Gast,  der  ne  machte  eynes  Inges  muten  ut  tinde 
/ns),  nennen  die  Quellen  nicht  dingstedelik'1),  nicht  dingjßichtig  !J, 
im  Gegensatz  zu  demjenigen  Gaste,  der  den  Weg  vom  und  zum 
Gerichtsort  in  einem  Tage  zurückzulegen  vermag  und  deshalb 
kraft  einer  Art  Fiktion  als  in  der  Stadt  ding/ßirktig  bezeichnet 

')  Katswillkitr  (lim  1350)  12^  Knniscli  S.  274. 

’)  Magdeb.  Brcsl.  syst.  Sch.  K.  II.  d.  35.  I.abami  S.  33. 

;‘)  Anders  z.  11.  «Joch  Stadtr.  (1400-1450?)  12,  ZUG.  10  S.  221. 

Magdeburg  Schöfleiirecht  (nach  12«*1)  Vf  Laban«!  UQn.  S.  1 15. 
5)  Kraunsch weig  Stadtr.  (vor  1300)  80.  Ilftiiselniami  II  S.  225:  «la* 
neben  Lüneburg  Stat.  vor  1400)  XXXIX.  Kraut  S.  54,  und  zu  beiden  oben 
S.  30  bei  Anm.jJ  um!  S.  157  Ami».  3.  Vgl.  ferner  Krfurt  Zusätze  zu  den 
alten  Stat.  (1313),  Walch  II  S.  23^  (loekh  utioerdi«  ytsf  zu  Berichte  nicht  honte  nun; 
an  Je mc  ta^e);  Magdeb.  Fragen  11.  5 d.  2.  Bohrend  S.  173:  Gingau  Bcchtsb. 
(1380  520  521.  Wasserschieben  TOJn.  S.  H3;  Frag  Kechtsb.  1 4.  .lalirli.)  21. 
Kodier  1 S.  los, 

4i)  Naumburg  Stadtr.  Satzung  1337)  17.  Gengler  Stailtr.  S.  308. 

7)  Magdeb.  Bresl.  syst.  Sch.  K.  II.  2 d.  35,  Laban d S.  32:  Magd  eh. 
Fragen  L^  d.  «L  II.  ^ d.  J_4  und  II.  d.  L_  Kehrend  S.  142.  IK4.  172. 


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170 

wird ').  Die  notwendige  Entfernung  des  Wohnorts  dos  Gastes 
wird,  ähnlich  wie  hei  den  Wochenmarktsprivilegien*),  bisweilen 
auf  eine  bestimmte  räumliche  Maßzahl  festgelegt,  so  namentlich 
in  Freiberg: 

welch  mein  in  den  vir  milen  umme  Vfibcrr  gexezzen  ist,  der 
ixt  kein  Gant  nicht  . . . Die  nittycn  zu  dinge  irnl  kunun  *). 

Im  14.  Jahrhundert  vollzieht  sich  in  der  erwähnten  Regelung 
hier  und  da  eine  Änderung.  Diese  Änderung  hat  ihre  Wurzel 
in  dem  sieh  bildenden  territorialen  Bewußtsein,  welches  im  Gäste- 
recht  gerade  bei  der  Institution  der  Gastgerichte  am  ehesten  in 
die  Erscheinung  tritt.  Hierher  zählt  namentlich  die  bekannte 
Entscheidung  der  Schölten  von  Brütm ').  welche  einem  Manne  aus 
Jägerndorf  das  Recht  auf  Gastgericht  abspricht,  weil  er  nicht  Gast 
sei : er  stamme  aus  dem  Herzogtum  Troppau,  dessen  Herzog  ebenso 
wie  die  Stadt  Hrflnn  unter  dem  mährischen  Markgrafen  stehe: 

unde  nntundum  egt  oinnem  hominem  in  iudicio  ciritutig 
Drunnmxix  exxe  hnx/titn»,  t/ui  e.rtra  Moraviam  rettidenliani 
ril  muwtionem  hübet , i/uatn  rix  etiam  git  sub  dominio  regix 
Hohemiar i'). 

Ähnlich  dürfte  sich  die  spätere  magdeburgische  Rechtsprechung 
erklären.  Im  Jahre  133K  wird  zum  ersten  Mal  nur  dem  Gast 

*)  S;« (um I . Magdeb.  Schüffenspr.  aus  Ltresd.  Hdschr.  Kap.  50.  W'assersch- 
lcbcn  Klju.  S.  188  ff.  S.  dazu  Heil  igenstadt  Ordnung  des  Sclmllh.  Gerichts 
(vor  1400?)  17.  Wolf  Urk.  S.  41:  klagende  Ixindlcuthc , die  hier  muh  nn/s  ge- 
legen seind,  oh  Me  . . . hier  ahn  das  Gericht  und  wieder  tu  Hanfs  kommen  können, 
die  sollen  des  Berichts  warten  und  gebrauchen  gleich  als  die  /iorger  allhie  thun.  S. 
auch  oben  8.  64  Anm.  3 und  4. 

»)  S.  oben  S.  123  und  124. 

’)  Stadtr.  (1286—1307)  111  §4,  Krmiseh  S.  51:  in  dieser  Beziehung 
gelten  also  Leute  aus  Meißen.  Chemnitz,  I >r<wden  nicht  als  Gäste,  während 
sie  im  Übrigen  durchaus  deren  Hechtsstellung  haben  (vgl.  übrigens  oben  S.  12 
Antu.  5).  Dazu  stimmt,  dal!  Hist.  III.  15  d.  I,  Ortloff  S.  161.  auch  den 
einen  Gast  nennt,  der  ezu  deine  gedinge  gesessen  ist,  das  ist  in  fir  milen,  und 
der  deshalb  Bürgen  setzen  darf  und  nicht  sofort  der  Widerklage  antworten 
muß  (vgl.  S.  162  Anm.  1).  Ähnlich  wie  Freiberg,  nur  unter  Begrenzung 
auf  zwei  Meilen.  Hamberg  Stadtr.  (1306)  35.  36.  Zöpil  S.  13. 

*)  Schütten!),  (um  1350)  18,  llöUler  II  S.  II. 

*)  Ähnlich  verhalten  sich  Schöffenb.  (um  1350)  566  und  581.  die  sich 
aber  nicht  speziell  auf  Gastgerichte  beziehen:  vgl.  dazu  oben  8.20  bei 
Anm.  I und  2. 


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171 

schnelles  Gericht  gewahrt,  der  nachweist,  daß  er  rerrer  wonhnßiy 
nif  eon  denn'  gerichte  wen  c:welf  mite').  Schon  Osenbrflggen*) 
deutet  darauf  hin,  daß  diese  Vorschrift  sicli  nach  Wortlaut  und 
Inhalt  nicht  mit  den  oben  wiedergegebenen  aus  frfiherer  Zeit s » 
vereinigen  läßt:  unmöglich  kann  jemand,  der  in  so  großer  Ent- 
fernung vom  Gerichte  wohnt,  in  einem  Tage  hin-  und  zuröck- 
kommen.  Der  Satz  mit  seiner  scheinbar  willkürlichen  Entfernungs- 
bestimmung erklärt  sich  indessen  wahrscheinlich  daher,  daß  zur 
Zeit  seiner  Emanation  der  entfernteste  Grenzpnnkt  des  erzbischöf- 
lichen Territoriums,  soweit  dasselbe  ein  zusammenhängendes  Gebiet 
bildete  i Exklaven  wie  z.  B.  Jfiterbogk  bleiben  also  ausgenommen),  rund 
zwölf  Meilen  von  Magdeburg  entfernt  lag.  da  nämlich,  wo  das  Erz- 
bistum mit  dem  Bistum  Havelberg  zusammenstieß.  Insassen  dieses 
Gebiets,  die  zum  Magdeburger  Gericht  ziehen  wollten,  waren  nicht 
genötigt,  andere  Territorien  zu  durchkreuzen.  Gewährte  man  aber 
diesen  Leuten  kein  Gastgericht,  so  lag  es  nahe,  auch  außerhalb 
des  Territoriums  Gesessene  nur  dann  zum  Gastgericht  zu  ver- 
statten,  wenn  sie  weiter  als  zwölf  Meilen  von  Magdeburg  entfernt 
wohnten*). 


')  Magdeb.  Woist.  fiir  Kulm  (1338)  7,  Lahand  Kt^u.  S.  14t.  Alphub. 
Samiiil.  Magd  ob.  Sehöffcnspr.  Kap.  144.  Wasserschieben  S.  49,  wiederholt 
die  Entscheidung  jenes  Weistums,  nur  dal!  eine  Entfernung  des  Wohnsitzes 
des  Gastes  von  elf  Meilen  gefordert  wird.  Desgleichen  detiniert  Magd e b. 
Kragen  II.  2 d.  8,  Hehrend  S.  159,  bei  Entscheidung  der  Krage,  ob  einem 
Gaste  ein  Bürger  in  l’erson  zur  Vollstreckung  ausgeliefert  werden  könne, 
den  Begriff  des  < last  es  dahin:  ein  gust  keissit,  der  nieir  denne  St  mihn  ktuzin 
deute  geruhte  getestiu  ist  (vgl.  dazu  einmal  oben  S.  169  bei  Auui.  4 ff.  und  ferner 
8.  170  Anm.  3.  5).  Wahrscheinlich  verdankt  die  Zahl  -elf"  einer  schon  im 
14.  Jahrhundert  entstandenen  falschen  Lesart  von  eztnelf  ihren  Ursprung. 

s)  S.  36. 

3)  S.  oben  S.  109  Anm.  4.  5.  7,  auch  S.  170  Anm.  1. 

'}  Eine  dem  Weistum  für  Kulm  entsprechende  Entscheidung  stellt  der 
Magdeburgi s ehe  Schölfenspruch  für  Stendal  (1340?)  XXVII.  2,  Mehrend 
Ul  t.  Buch  S.  112,  dar.  wo  derjenige  Beklagte  nicht  zur  Leistung  des  Elenden- 
eides  zngetasseli  wird,  der  in  der  stad  kesete/t  is  eder  in  deine  lande  und  also 
dinzpliehlieh  (im  neueren  Sinne  des  Wortes)  jst.  Anders  Braun  sch  wei  g 
und  Lüneburg  (s.  oben  S.  30  bei  Anm.  2 und  157  Anm.  3).  Der  oben  S.  170 
Anm.  1 angeführte,  offenbar  aus  der  zweiten  Hälfte  des  14.  Jahrhunderts 
stammende  Magdeburger  Schöffensprucli  bringt  übrigens  noch  einmal  die 
filtere  Ansicht  zum  Vorschein. 


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172 


Des  ersterwähnten  Erfordernisses,  der  Wegefertigkeit  der 
l iäste,  wird  in  den  Quellen  verhältnismäßig  nicht  häufig  gedacht. 
Es  erklärt  sich  dies  daher,  daß  die  Vorschritten  über  ( iastgerichte 
i.  e.  S.  sich  immer  auf  auswärtige  (»äste  beziehen,  und  in  der 
überwiegenden  Zahl  der  Fälle  ist  deren  Wegefertigkeit  selbst- 
verständlich und  offenbar.  Das  Magdebnrgische  Schöffenrecht 
drückt  jenes  Erfordernis  aus,  indem  es  sagt,  der  Gast  müsse,  um 
ein  Gastgericht  verlangen  zu  dürfen,  nicht  bloß  weiter  als  eine 
Tagereise  entfernt  wohnen,  sondern  auch  et«  wilder  'jagt  sein;  er 
soll  beschwören: 

da*  her  ein  wilde  gast  *i  und  also  rerre  gesessen,  da*  her 
des  dinge * eines  tage*  nicht  gestichen  tauge '). 

Anders  Planck*),  welcher  ein  besonderes  Erfordernis  der 
Wegfertigkeit  des  Gastes  nicht  kennt.  Er  versteht  nämlich  unter 
einem  wilden  Gast  ursprünglich  einen  „nirgends  seßhaften  Mann“, 
indem  er  sich  auf  die  Definition  der  Magdeburger  Fragen  beruft : 
wer  fegelich  ron  wachen  ritt  w'ochen  unde.  ron  stetin  zeu 
stet  in,  ran  lande  zeu  lande  sgne  wandelunge  hat  unde  in  kegner 
stat  iar  unde  tag  wonhaßt ig  ist,  der  heisszet  unde  ist  ein 
wilder  gast3). 

Die  Bedingung,  daß  der  Gast  ein  wilder,  d.  h.  ein  „nirgend 
seßhafter  Mann“  sein  müsse,  soll  aber  in  späterer  Zeit  fortgefallen, 
oder  richtiger  dahin  abgeschwächt  worden  sein,  daß  der  Gast  über 
eine  Tagereise  weit  sitzen  müsse.  Die  Glosse  zum  sächsischen 
Weichbild4)  nämlich  identifiziert  den  wilden  und  den  über  eine 
Tagereise  weit  gesessenen  Gast: 

ist  ix  uhir  um  me  schult , so  mag  der  hurcgrece  ader  der 
schuld*  alle  tage  richten , darnmtne  das  man  mit  orteiln  nicht 
dinget ; trenne  womtnine f bekennet  der  schuldiger  die  schuld, 
der  richter  mag  ein  gebieten  by  Sonnenschein  ader  bg  egner 
nacht  zu  beza/en,  so  rerre  ab  der  forderet • egn  gast  ist  und 

')  .Magdeb.  Schflffenr,  (iiacli  I2ßl)  V § 3,  l.aband  U()u.  S.  115. 

*)  II  8.  +12,  und  zwar  unter  Berufung  auf  das  mit  dum  SchiinVnreclit 
(vnrige  Amu.)  übereinstimmende  Magdeb.  Weist,  für  liürlilz  (1304)7:  vgl. 
ferner  (ilogau  Iteelilsb.  (1380)  520  und  521,  Tzseüoppc  8.  <13.  und  Sitohs. 
Weichbildr.  Art.  XLV  ji  2.  Daniels  S.  30. 

■*)  Magdeb.  Kragen  II.  5 d.  2.  Mehrend  S.  173. 

*j  li bisse  zu  Weielibild  XI. VI,  Daniels  <rl.  S.  388,  bes.  Zeile  13. 


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173 


das  bewirt,  das  er  das  geeichte  i/n  egner  tagezit  nicht  erlangen 
kann.  (Zeile  13)  />«*  mus  abir  der  gast  bewisen  mit  zwen 
ringe rn  up  den  heiligen  das  er  egn  wilder  gast  sg. 

Planck  zufolge  muß  der  Gast,  der  auf  ein  Gastgericht  Ansjtrueli 
erhebt,  in  spaterer  Zeit  also  lediglich  nachweiaen,  daß  er  weiter 
als  eine  Tagereise  vom  Geriehtsort  entfernt  gesessen  sei. 

Dem  gegenüber  ist  aber  einzuwenden,  daß,  wenn  die  Glosse 
zum  sächsischen  Weichbild  jene  Gleichstellung  in  der  Tat 
vornimmt,  sie  den  ursprünglichen  Sinn  der  Worte  wilder  gast  nicht 
mehr  versteht1).  Denn  nach  dem  älteren  magdebttrgischen  Schöffen- 
recht muß  der  Gast,  um  ein  Gastgericht  zu  erlangen,  beschwören, 
daß  er  ein  wilde  gast,  daneben  aber  zweitens  geradezu,  daß  er 
außerhalb  einer  bestimmten  Entfernung  vom  Gerichtsort  gesessen 
sei.  Dem  gegenüber  kann  die  von  Planck  angerufene  Erklärung, 
welche  die  Magdeburger  Fragen i)  dem  Begriffe  wilder  gast  an- 
gedeihen lassen,  seihst  dann  nicht  ins  Gewicht  fallen,  wenn  sie 
Planck  Hecht  gäbe.  Denn  diese  Erklärung  entstammt  einer  späteren 
Zeit,  wahrscheinlich  erst  dem  14.  Jahrhundert,  kann  also  auf 
Mißverständnis  beruhen.  Sie  ist  zudem  offenbar  der  Definition 
nachgebildet,  welche  der  Deutschenspiegel J)  dem  Worte  kouflinde 
gibt;  es  sind  das,  wie  der  Deutschenspiegel  sagt,  Männer, 

die  von  lande  :e  lande  earnt  mit  ir  koufschaze  und  ron 
Zungen  ze  Zungen  und  ron  einem  kunirriehe  in  daz  ander. 
ln  Wirklichkeit  wollen  aber  auch  die  Magdeburger  Fragen 
nicht  als  Merkmal  des  wilden  Gastes  aufstellen,  daß  er  nirgends 
seßhaft  ist,  zumal  der  Grund,  weshalb  gerade  solche  Gäste  vor 
andern  hätten  bevorzugt  sein  sollen,  kaum  erfindlich  wäre;  sie 
wollen  vielmehr  nur  zum  Ausdruck  bringen,  daß  es  sich  um  Gäste 
handeln  müsse,  deren  Reisezweck  sie  in  keiner  der  Städte,  die 
sie  berühren,  längere  Zeit  verweilen  läßt.  Dies  wird  in  der  Regel 


')  Daher  auch  die  korrumpierte  Form  ryn  wyth  g»st  in  alphab.  Sainnil. 
Magdcb.  Schftllenspr.  Kap.  147,  Waasorschlcbcn  S.  .»0. 

*)  Oben  S.  172  Anni.  3. 

3)  Ru  titschen  Spiegel  Art.  42  und  ihm  nachgebildet  Schwahen- 
spiegel  Art.  12,  sowie  Augsburg  Stadtr.  (um  1280)  Art  32:  vgl.  auch  die 
bei  Grimm,  Deutsches  Wörterb.  (Leipzig)  IV,  1 Sp.  14öti  gegebeueti,  sämt- 
lich spaten  Definitionen  des  ÜrgritlVs  wilder  pist. 


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auf  louf’liutl? ')  zutreffen,  die  deshalb  doch  in  irgend  einer  Stadt 
seßhaft  sein  können.  Solche  Gäste  sind  im  Sinne  der  Quellen 
wilde  Gäste,  oder,  mit  andern  Worten,  Gäste,  die  ,.  wegefertig“ 
sind.  Ihnen  bringt  der  Zwang,  das  ordentliche  Ding  abzuwarten, 
eine  ebenso  beschwerliche  dilacio  wie  wegefertigen  Bürgern:  diese 
dilario  soll  durch  das  Gastgericht  vermieden  werden*). 

Von  diesem  Standpunkt  aus  erklärt  es  sich,  wenn  in  den 
späteren  Magdeburgischen  Quellen  bei  der  Besprechung  der  Gast- 
gerichte anstatt  des  unverständlich  werdenden  und  gewordenen  Aus- 
drucks wilder  gewt  der  Begriff  der  Wegefertigkeit  des  Gastes 
betont  wird3),  und  zwar  häutig  in  einerWeise,  die  erkennen  läßt, 
daß  (auswärtiger)  Gast  und  wegfertiger  Gast  den  Quellen  nicht, 
wie  Planck  anzunehmen  scheint,  unter  allen  Umständen  identisch 
sind*).  Das  Gleiche  gilt  außerhalb  des  Magdeburgischen  Quellen- 
kreixes.  So  wird  schon  1 1Ü7  in  dem  Vertrage  zwischen  Köln  und 
Flandern  jedem  Plauderer  unverzügliches  Gericht  versprochen, 

dum  ....  jier  tenam  eel  per  ai/uain  p aratu * fueril  ud 

recedendum*). 

■)  Vgl.  oben  S.  18  bei  Anm.  3 und  l>. 

*)  So  Magdeburg  l’riv.  (1188)  t>  und  7.  I.aband  Hy».  S.  2.  Vgl.  den 
unten  Anmerkung  5 angeführten  Vertrag  Köln-Flandern. 

*)  Magdeb.tlre.sl.  syst,  Sch.lt.  11.  2 d.  35,  l.ahiind  8.82:  Magdeb. 
Fragen  (.  Ifi  d.  5.  sowie  II.  2 d.  !>a  und  II.  5 d.  1,  Kehrend  S.  142  bzw. 
Kitt  und  172:  Kluine  des  Ssp.  (lim  1400)  I.  II  nr.  21,  ltl.dK,  S.  3t!3. 

•)  In  Magdeb.  ScbülTonr.  der  Itrosdcncr  lidsehr.  Kap.  lütt.  157, 
Kehrend  S.  23-1,  wird  auf  die  Frage,  ab  man  gestern,  die  da  wegefertig  sinf  oder 
nicht  Wege  fertig,  . , . notding  . . . hegen  sttlle  auswendig  echten  dingen , die  Antwort 
erteilt : wegefertigen  gelten,  die  do  verre  besessen  synf,  das  sie  Senat  gehegten 

dinge  nicht  harnen  bannen  . . .,  den  sal  man  . . . alle  tage  richten . In  alphob. 
Sanunl.  Magdeb.  SchöfTeiispr.  Kap.  2ti4a,  Wasserschieben  S.  83,  wird  er- 
örtert, wie  es  mit  einem  vom  tiast-Schuldner  dem  tiast-tilüubiger  auiler- 
gerichtlich  gesetzten  l’fande  zu  halten  sei.  wenn  de  gast,  deute  du  pnnth  ge- 
sellet r»,  werth  weckaerdieh',  und  ebenda  Kap.  427,  Wasserschleben  S.  118. 
lieiUt  es,  jemand  habe  zur  Verhandlung  seiner  Klagt:  einen  KcvollmAchtigten 
in  der  Stadt  zurucklassen  müssen,  da  er  an  gast  ttnde  weehverdieh  getoesecn 
ys.  — Planck,  der  das  Moment  der  Wegfertigkeit  der  fiAste  völlig  unbe- 
rücksichtigt liiUt,  findet  deshalb  in  II  S.  412  Anin.  auch  für  die  unten 
S.  175  bei  Anm.  3 wiedergegebene  Stelle  nicht  die  zutreffende  Deutung. 

J)  Hansisches  l'rk.  K.  I S.  25.  Für  den  Seeverkehr  tindet  sich  Ent- 
sprechendes in  den  Freiheiten  von  Kämpen  für  Norwegen  (1305)  3,  Hans. 
1’,  K.  II  8.  33:  Nur  solche  (laste,  die  natu  nt  ad  viatn  minime  preparatam  be- 


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175 


In  Freiberg  muß  der  beklagte  Gast  dem  Richter  versichern: 

Her  richtet , ich  bin  ein  gart  unde  bin  icegevertik  . . . 
Tut  irol  unde  eeiiiget  mich  '). 

Ähnliches  wird  auch  anderwärts  häufig  ausgesprochen*). 

Nicht  wegefertige  Gäste  dagegen,  die  sich  auf  längeren, 
wenn  auch  nicht  dauernden  Aufenthalt  in  einer  Stadt  eingerichtet 
haben,  müssen  sich  gleich  den  Rürgem  mit  dem  langsameren 
ordentlichen  Verfahren  begnügen: 

wor  »-ult,  dhe  ein  borghcr  dheme  anderen  einem  barghere 
in  »cu! dielt,  »cal  men  duchdingen  nver  XI1H  nacht.  Unde 
al  dhen  gheeten,  dhe  hir  pleghen  tu  I icgh ende  ran 
einer  tit  tor  anderen,  lieh  amten  bnrgheren  XI III  nacht3). 
c)  Daß  die  erwähnten  Voraussetzungen,  die  Wegefertigkeit  (beim 
Gast  oder  beim  Hürger)  und  die  gehörige  Entfernung  des  Wohn- 
sitzes (beim  Gaste),  in  der  Person  des  betreffenden  Antragstellers 
vorhanden  sind,  muß  dieser  der  Gegenpartei  in  irgend  einer  Form 
nachweisen.  Freiberg  scheint  sich,  wie  erwähnt,  mit  der  ein- 
fachen Versicherung  des  Berechtigten,  er  sei  wegefertig,  zu  be- 
gnügen4). Magdeburg  verlangt  dagegen  vom  klagenden  wie  vom 
beklagten  Gast  ausdrücklich  den  oben5)  mitgeteilten  Eid,  der  so- 
wohl die  Wegefertigkeit  wie  die  Entfernung  des  Wohnsitzes  be- 
sitzen, also  noch  Unsere  Zeit  in  der  Stadt  liegen  müssen,  dürfen,  ehe  ex 
zntn  Gastgericht  wegen  Frevel  kommt,  sieh  für  das  Erscheinen  ihrer  be- 
klagten Mitbürger  verbürgen  und  diese  so  vor  der  Sicherungshaft  bewahren. 

■)  Stadtr.  (1206  1307)  111  § 3.  Krinisch  S.  50. 

*)  Hagenau  Stadtr.  (1164)  18,  s.  oben  ß.  153  Anni.  2:  k leines  Kaiser- 
recht (nach  1300)  I.  II!  und  17,  s.  oben  8.  158  bei  Anm.  1—3:  Hörde 

Kechtsbr.  (1340)  21,  Gengier  St.  It.  S.  108:  liegen  einen  Cefonan  efi  tpcckver 7/c 
Man,  der  dar  dry  stet  irr/,  ryt  an  gktyt,  darf  der  Bürger  rasches  Gericht  be- 
antragen und  umgekehrt  gegen  den  Bürger  ein  gast,  dry  ryn  teetkverdigh  man 
teere. 

3)  Hamburg  Stadtr.  (1232)  M.  XI.  I. Uppenborg  S.  147,  eiu  Zusatz 
gegenüber  dem  Stadtr.  (von  1270)  IX.  14.  ebenda  S.  55.  Wegen  Magdob. 
Fragen  II.  5 d.  3.  Behrend  S.  173,  s.  oben  S.  10  und  13  in  und  bei  Anm.  8 
bz.w.  3.  Mißverständlich  Planck  II  S.  412  (s.  oben  S.  174  Anm.  4). 

4>  Stadtr.  (129(1— 1807)  III  §3  und  liatswillk.  (um  1350;  12,  Ermiach 
S.  50  bzw.  274. 

*)  S.  172  bei  Anm.  1. 


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rficksichtigt 1 j,  mindestens  aber  (wie  beim  Bürger  die  eidliche 
Versicherung  der  Wegefertigkeit*),  so  beim  (taste)  die  eidliche 
Behauptung,  daß  er  nicht  dingpflichtig  sei3).  Selbstverständlich 
kann  dem  Antragsteller  die  Ableistung  des  Eides  von  der  Gegen- 
partei  erlassen  werden4).  Ist  der  Eid  geleistet  und  erweisen  sich 
die  beschworenen  Tatsachen  nachträglich  als  unwahr,  tritt  z.  I!. 
der' Bürger  die  Reise  nicht  an,  so  ist  Wette  und  Ruße  zu  erlegen*). 

Abgesehen  von  den  Fällen,  in  denen  der  Berechtigte  den 
Antrag  gleich  im  ordentlichen  Ding  stellt*),  muß  er  die  ge- 
nannten Voraussetzungen  seines  Antrags,  auf  welche  er  oder  die 
Gegenpartei  im  Wege  der  h ul  per r de1)  hinzuweisen  in  der  Lage  ist. 
entweder  vor  dem  Einzelrichter  beschwüren,  wofern  dieser  nach 
den  Umstünden  des  Falles  befugt  ist  auch  in  der  Sache  selbst 
zu  entscheiden*);  oder  aber  er  schwört  vor  einem  außerordentlich 
gehegten  Ding,  wenn  der  Einzelrichter  nicht  ohne  Beisitzer  in  der 
Sache  zu  Gericht  sitzen  darf’)  und  also  diese  Beisitzer  berufen 
muß.  sobald  Antrag  auf  Gastgericht  bei  ihm  gestellt  ist. 

■)  Ebenso  Magdeb.  Kragen  II.  .7  d.  2,  Bohrend  S.  173,  und  säclis. 
Wcichbildr.  XI, V.  $2,  Daniels  S.  30.  Vgl.  Frag  Uechtsbuch  (14.  Jahrli.) 
21,  IWfllcr  I S.  108,  und  dazu  oben  S.  173  in  und  bei  Anin.  1. 

*)  Magdeb.  Hrosl.  syst.  Sch.  R.  11.  2 d.  35  nnd  111.  2 d.  84.  Lnband 
S.  32  bzw.  !I4. 

3)  Magdeb.  Weistum  für  Kulm  (1338)  7.  I.aband  Rt)u.  S.  141:  Magdeb. 
llresl.  syst.  Srh.  1«.  II.  2 d.  3.7,  I.aband  S.  32:  Magdeb.  aljdiab.  Summt,  von 
SehAflenspr.  Kap.  144.  Wasserschieben  S.  43:  Glosse  zum  säehs.  Weichbild, 
s.  oben  S.  172  bei  Amn.  4. 

*)  Weichbildrecht  der  l'ITenbachur  Handschrift,  I.aband  K<)u.  S.  87 
nnd  S.  llti  Anm.  d zu  Magdeb.  Schfiffenr.  V §3. 

4)  Magdeb.  Bresl.  syst.  Sch.  U.  III.  2 d.  (14,  I.aband  S.  !l4, 

*)  Vgl.  oben  S.  1(58  Anm.  4 und  Diät.  III.  15  d.  1,  OrtlolT  S.  1(54. 

*)  Magdeb.  llresl.  syst.  Sch.  R.  III.  2 d.  (54.  I.aband  S.  94,  wo  der 
beklagte  Bürger  seine  Wegefertigkeit  geltend  macht  und  schnelles  (iericht 
fordert.  In  Kochold  Stat.  (1.7.  Jahrh.)  57,  Wigand  III,  1 S.  24.  wendet 
umgekehrt  der  vom  (last  beklagte  Bürger  lin  Woge  der  holperede  ein,  dal! 
der  Klüger  die  Reziprozität  bei  der  Gewährung  von  Gastgerichten  nicht 
nachgew  iesen  habe.  Dieser  Nachweis,  durch  öffentliche  Urkunden  der  Heimat- 
stadt des  Gastes  zu  führen,  erscheint  in  manchen  Städten  ebenfalls  als 
ausdrückliche  Voraussetzung  des  Antrags:  vgl.  oben  S.  153  Anm.  4. 

K)  So  bei  schlichten  Schuldklagen  in  Magdeburg:  vgl.  Magdeb. 

Schöflenr.  (nach  12(51)  V §3.  I.aband  Rt|u.  S.  115. 

1 So  bei  Schuldklagcn  mit  Zcligcnnnsprcchcn  in  Magdeburg:  vgl. 


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177 


VII.  Die  Organisation  des  Gastgerichts. 

1.  Die  zur  Entscheid  uns;  eines  Rechtsfalles  besonders  berufenen 
(last Berichte  (im  engeren  und  im  weiteren  Sinne)  gehören  zur 
(lattung  der  Notgerichte ').  Die  erforderliche  Eile  kann  unter 
rmstiiuden  sogar  die  Ersetzung  der  Person  des  Einzel richters 
durch  den  Büttel2)  oder  durch  einen  beliebigen  Bürger  erforderlich 
machen,  wenn  die  Parteien 

tle*  dichter»  an  » chice  nicht  muchtcn  gehehlten  *). 

Übergebt  man  die  Falle,  in  denen  der  Richter  auch  im  gewöhn- 
lichen Prozeß  allein  richten  darf,  so  Zeigt  sich  die  Rücksicht  auf 
Beschleunigung  namentlich  bei  den  Regeln  über  die  Heranziehung 
der  Urteilfinder.  Entweder  dürfen  die  (zur  regelmäßigen  Besetzung 
des  (lerichts  gehörigen)  Schölten  bezw.  Ratsherren  durch  andere 
Bürger  ersetzt')  oder  aber  die  Zahl  der  Schöllen  bezw.  ihrer 

Magdeburg  SchölTenr.  (nach  1261)  V $3.  T.abuml  Ktju.  S.  115.  mit  dein 
Zusätze  ilcs  Weist,  für  (liirlitz  (1304).  ebenda  S.  11t!  in  Amn.  «. 

')  S.  üben  S.  148  bei  Anm.  5. 

*)  Hain  Kechtsbr.  (133g)  5.  gedruckt  bei  Osetibrnggen  S.  41). 

*)  Berlin  Stailtb.  (1397)  I qu.  19,  Kiiiicin  I S.  49  mul  50.  Nachdem 
in  dieser  städtischen  Willkür  (olde  und  «ge  roduninne  sint  desser  saht  eyn  nvrdenj 
Termine  und  Orte  für  das  alle  14  Tage  abzulmltemle  ordentliche  Ding  und 
alsdann  für  die  zweimal  in  der  Woche  zur  Erledigung  .schlichter"  Klagen 
stattlindendeii  tieriolitstagc  festgesetzt  sind,  heilst  es  weiter:  wert  nt,  die 
eyne  deine  linderen  schuldigen  wolde,  dot  r. ' e r fiorger,  getst  oder  h u r,  und  des 
richters  sn  schirr  nicht  miuhten  gehehhen,  so  so/  cvn  horger  deine  lindern  richten, 
waste  oii  den  riehter.  Es  stein  hier  olfenhnr  nicht  — etwa  in  Anlehnung  an 
Sl.dR.  1.55  $2  und  1.57.  sowie  all  Magdeb.  ltcelitsmitt.  für  Breslau  (1261) 
8.  10  bei  l.aband  K‘)ii.  S.  15  Kiirung  eines  Richters  zur  Aburteilung 
handhafter  Tat  in  Krage,  sondern  di«;  notwendigerweise  schleunige  Ent- 
scheidung von  .schlichten*  Schuldklagctt  zwischen  llürgern  und  Auswärtigen 
an  Tagen,  an  denen  der  Richter  nicht  so  wie  so  auf  der  Spreebriickc  zwischen 
Iterliu  und  Köln  zu  tierichl  sitzen  iniiL'i.  Können  ihn  die  Parteien  nicht 
erlangen,  so  wählen  sie  selbst  (mul  nicht  das  Pingvnlk.  wie  Külins  II  S.  240 
offenbar  in  dur  Voraussetzung  handliafter  Tat  unrichtig  meint)  einen  Bürger 
znm  Richter,  der  indessen,  wofern  der  ordentliche  Richter  nachträglich  er- 
scheint. diesem  Plalz  machen  htuLi. 

4)  In  der  Erneuerung  des  städt.  I.andfr.  zw.  Münster,  Osnabrück. 
Soest  und  Dortmund  (1338),  Hans.  I . B.  II  S.  277,  wird  aber  ausdrück- 
lich versprochen,  dali  die  schefenen  den  Klägern  hinnen  dreyn  tagen  zu  ihrem 
Beeilte  verhelfen  sollen. 

lCuiturff,  ItocbtsstdJuDS  der  Röste  12 


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178 


Ersatzmänner  darf  herabgemindert  werden.  Den  ersten  Wey:  schlug 
schon  11S8  Magdeburg  ein.  Wenn  e//n  ding  hassen  rechtem  us- 
gelegetem  dinge  gehegt  wird1)  und  im  Kegel  falle  Schöffen  zugezogen 
werden  müßten,  darf  die  Urteilfintierhank  zum  Teil  oder  ganz  aus 
Bürgern  bestehen,  si  scuhini  iudice » presentes  non  eint*).  Doch 
nicht  nur  wurde  dieser  Ersatz  gestattet,  es  wurde  auch  die  ur- 
sprüngliche Voll  zahl  von  sieben  Schöffen  (und  evtl,  eben  so  vielen 
Bürgern)  *i  im  Laufe  derZeit  auf  zwei  Schöffen  (und  damit  jeden- 
falls auch  auf  evtl,  nur  zwei  Bürger)  herabgemindert*).  Als  das 
Charakteristische  dieser  Gastgerichte  ward  infolgedessen  die  Be- 
setzung mit  Bürgern  empfunden*).  — In  Freiberg,  wo  im  ordent- 
lichen Ding  die  Ratmannen  als  Beisitzer  fungieren,  scheint  man 
sogar  bei  Gastgerichten,  in  denen  der  Richter  nicht  allein  richten 
durfte,  in  erster  Linie  nicht  die  Ratsherren,  sondern  sonstige 
erhalte  lute  als  Urteilfinder  berufen  zu  haben6);  ein  gleiches  ist 
von  Wien  zu  sagen !).  — Wie  in  Magdeburg s)  und  in  Frag  *), 
so  wird  auch  in  Brünn  10 1 und  namentlich  in  Koblenz  die  Zahl  der 
Schöllen,  die  im  Gastgericht  amtieren,  herabgesetzt.  In  Koblenz 
läßt  der  Schultheiß,  sobald  Antrag  auf  gassenge  rieht  bei  ihm  ge- 

')  Magdeb.  Fragen  II.  5 d.  1.  Hehrem!  S.  172. 

*)  Magdeb.  erzbisch.  I’riv.  (1188)  fi  bis  S.  I.abnnd  lMpi.  S.  2. 

s)  Falsch  ttsenbrnggen  S.  53;  nichts  spricht  dafür,  da  Li  bereits  1188 
nicht  mehr  sieben  Schöffen  hzw.  F.rsatziuänncr  verlangt  wurden. 

4)  Magdeb.  Rechtsmitt,  an  Görlitz  (1304)  7,  bei  I.abnnd  Rt)u.  S.  llti 
als  Note  e zu  Magdeb.  Schötfenr.  (nach  12<il)  V S 3:  da  bnlarf  man  cswier 
sehepfen  tu.  Pen  Grund  dieser  Herahmindening  deutet  die  Naumbtirger 
Handsebr.  des  Magd.  Schöffcnr.  (nach  1201',  I.abaml  KQu.  S.  100  und  S.  11t; 
Anm.  f zu  V.  3,  mit  dein  einer  Überbürdung  der  Schöffen  entgegen  arbei- 
tenden Satze  au:  is  in  tat  auch  nicb  ein  sc  lupft  na: b einander  driens  erteil  finde, 
im  Gastgericht  nämlich.  Infolgedessen  inutltc  bald  eine  Vellbcsctzung  der 
Bank  mit  Schöffen  von  vornherein  als  undurchführbar  erscheinen.  — Kben- 
falls  nur  zwei  Schöffen  verlangt  l’rag  Rechtsbueh  (14.  .lahrh.)  22,  KüUlcr 
I S.  108. 

5)  Vgl.  oben  S.  148  bei  Anm.  3. 

6)  Katswillk.  (um  135tt)  12.  13,  K.nnisch  S.  274,  mit  Ratsschlufj  (1373), 
nach  Schott,  das  Stadtr.  d.  Stadt  Freiborg  i.  S.  (1775)  S.  8!t  gedruckt  bei 
Planck  II  S.  414. 

7)  Wien -Neustadt  Stadtr.  (13.  Jahrh.)  45,  Winter  S.  152. 

•)  Oben  in  und  bei  Anm.  4. 

®)  Oben  Anm.  4. 

•")  l’ülilcr  II  S.  LXV11  Über  das  iudicium  extraordinarium. 


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1 79 

stellt  ist,  Schöffen  zu  sich  entbieten,  alß  eyel  alß  num  die  Zeit  an 
k-omen  mug Während  des  Marktes  hegt  man  in  Koblenz  den 
auswärtigen  Kaufleuten  sogar  ein  yaxtyericht,  das  außer  mit  dem 
Schultheißen*)  nur  mit  zwei  anstatt  mit  sieben  Schöffen  besetzt 
wird,  dafür  aber  in  der  Person  des  Bürgermeisters  eine  dem  Gast 
besonders  günstige  Verstärkung  erhält*);  denn  der  Bürgermeister 
ist  Vorsitzer  des  dem  Gastgericht  notwendig  vorausgehenden 
Schiedsgerichts  ( verstechten ),  in  dem  die  Gegenpartei  (trotzdem  der 
Gast  Schuldurkunden,  vom  Bürgermeister  oder  von  zwei  andern 
Bürgern  beglaubigt,  vorgelegt  hat)  ihre  Schuld  nicht  hat  aner- 
kennen und  gutwillig  berichtigen  wollen. 

•J.  Diese  eigentümliche  Organisation  des  Koblenzer  Gastgerichts 
erinnert  daran,  daß  auf  deutschem  Boden  hier  und  dort-  Gerichte 
existierten,  welche  nicht  nur  als  „Umbildungen  des  gewöhnlichen 
ordentlichen  Gerichts“  *)  zusammentraten,  sondern  neben  diesem  in 
Permanenz  mit  der  ausschließlichen  oder  doch  hauptsächlichen 
Aufgabe  bestanden,  Gaststreitigkeiten  zu  rascher  und  zweckdien- 
licher Erledigung  zu  bringen. 

а)  Solche  Gerichte  sind  natürlich  nicht  gemeint,  wenn  An- 
gehörige fremder  Länder  und  Städte  in  einer  dritten  Stadt  die 
Angelegenheiten  einer  von  ihnen  gebildeten  Genossenschaft  de  iure 
eommnni *)  in  gemeinschaftlicher  Zusammenkunft  ( morgineprace ) 
beraten  und  eine  den  genossenschaftlichen  Zwecken  dienende  Straf- 
gewalt über  ihre  < ienossen  ausühen.  Streitigkeiten  Einzelner  unter 
einander  soll  die  Gesamtheit  der  in  der  dritten  Stadt  anwesenden 
Mitbürger,  evtl,  nach  Wahl  eines  besonderen  iude.r,  in  Güte 
schlichten;  gelingt  letzteres  nicht,  so  soll,  wie  die  Heimatstadt 
in  solchem  Falle  vorschreibt,  keinerlei  Zwang  gegen  die  Parteien 
ausgeübt,  sondern  der  Austrag  der  Streitigkeit  bis  zur  Rückkehr 
in  die  Heimatstadt  vertagt  werden6).  Keiner  soll  den  eigenen 

')  Altes  (jcrichtsb.  (1366—1424)  19  bes.  § 1.  Bär  S.  93  f. 

*)  auiflmim  = SehultheiU:  vgl.  Bär  S.  2fi.  <54. 

*)  Stadt r.  (1363)  21,  Bär  S.  52.  53. 

*)  Kietscbel  S.  20»;.  207:  Stolzes  Bedenken  (S.  79)  gegen  diese  Aus- 
drncksweise  sind  grundlos. 

5)  l’riv.  Kaiser  Kudolfs  I.  für  die  Inbischen  Kaufleiite  (1275).  Lfib. 
U.  B.  I nr.  3»!ti. 

б)  Medebach  Stadtr.  (1165)  17,  Keutgen  trk.  S.  147:  Soest  Stadtr, 
vor  1200)  29.  Keutgen  l'rk.  S.  141,  und  alte  Schrac  (um  1350)  114,  Seibert* 

12* 


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180 

Mitbürger  etwa  im  Gericht  der  dritten  Stadt  verklagen').  Auch 
deutschen  Gerichten  gegenüber  gilt  der  Satz,  den  Stade  für  seine 
Ripett-  und  Diinemarkfahrer  aufstellt *i,  wonach  nenwnl  uth  der 
kum/ietii/e  böse  Worte.  Schlage,  Stolle  und  sonstige  mieoghe  in 
fremdem  Gericht  klauen  soll,  it  ne  *i  dm  de  uncoghe  so  grot  ei 
dal  he  ran  den  heren  unde  ran  den  v<> tjhedeu  darlho  dwu  nahen3) 
werde. 

Wahrend  aber  auf  Grund  besonderer  Verträge  die  Hanse, 
namentlich  die  Lübecker,  in  Flandern4)  und  auch  in  Holland5) 
die  Ausübung  einer  wirklichen  Gerichtsbarkeit  mit  vollziehender 
Gewalt  erlangten,  dergestalt.  daU  sie  entweder  völlig  selbständig 
oder  aber  in  Verbindung  mit  den  richterlichen  Instanzen  des 


II  8.  398:  Kortmund  au  seine  Kärger  und  Knulteute  in  Antwerpen  (1329). 
Hans.  V.  H.  II  S.  21*. 

')  S.  oben  S.  44  IT. 

*)  (um  1350'  Kl,  Hans.  I . It.  III  S.  90. 

s)  Hierbei  sei  an  ilen  Satz  des  Stadt  recht  sbuehs  von  Freising  (1328) 
t)9,  Maurer  S.  319.  320.  erinnert:  /'s  seil  auch  kein  rirhtrr  kaits  gast  nottnn  Jas 
er  sein  klag  vrlfter  tiann  sank  Urne  ding.  Jas  ist  sank  Jnekerey  unnJ  rank  unssa 
tculs/eg  Jy  einem  mensehnn  an  sein  er  oJtr  seinen  keik  gen!  leerJenn  ^so  Lesart  bei 
Maurer:  offenbar  richtiger  beiLit  es:  r rer  Jnnj  nnnJer  titrnmk  htrUaggt  den 
mee  Jer  Richter  trat  nottenn  Jas  er  Jas  reiht  vedfur.  Iliese  \ orsehrift  ist  mit 
Rücksicht  darauf  gegeben,  dall  längere  Kauer  eines  nicht  int  gastgericht- 
licben  Verfahren  zu  erledigenden  Prozesses  dein  <iast  u.  I . die  Wahl  zwischen 
Klagerftcknaliiiie  (und  damit  Kulte  u.  Wette  oder  .schadenbringendem  weite- 
rem Aufenthalt  in  der  Stadt  stellt.  Koch  stellt  dieser  I- reisingsche  Satz 
wohl  ziemlich  allein.  Wenigstens  werden  gerade  von  «iästen  sehr  häutig 
Kautionen  dafür  verlangt,  da  LI  sie  die  gegen  einen  Kärger  erhobene  Klage 
auch  durchfcchleti  werden,  und  diese  Kaution  verfall!  natürlich,  sobald  die 
Klage  zurückgeiiommen  wird. 

*)  l’riv.  des  tirafen  von  Plaudern  für  die  Kaulleute  des  römischen 
Reiches  in  Flandern  (1307  i!  und  13U0  7,  Haus.  1 . K.  IIS.  .73  bezw.  111 
S.  24.7.  und  in  Hrügge(l309/  12  und  1330)  II.  Hans.  I . K.  11  S.  l>7  bzw.  111 
S.  257:  Priv.  des  Herzogs  von  Lothringen  für  die  deutschen  Kaufleute 

(•1315)  6.  12.  14.  20.  Hans.  I . H.  II  S.  10t>  — 108:  Keschlfisse  des  

Kontors  zu  Kriiggc  (1343/49;  4.  .7  und  (13tiO  til  10.  Hans.  1.  K.  III 
S.  347.  348. 

5)  Priv.  des  tirafen  von  Holland  für  Lübeck  (1298),  Liib.  I . K.  1 
nr.  fi7.7:  Verk.  Pri\.  des  Regenten  von  Holland  für  die  Kaulleute  der 

Hause  ;I358;  17.  Hans.  1 . K.  HI  S.  177. 


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auswärtigen  Aufenthaltsorts  richteten  und  vollstreckten '),  waren 
derartige  Bevorzugungen  Xichteinheiniischer  aut  eigentlich  deutschem 
Boden  grundsätzlich  nicht  bekannt*).  Man  nmU  es  also  als  eine 
Ausnahme,  gegründet  auf  eigenartig  gestaltete  Verhältnisse,  an- 
selien,  wenn  Bischof  Albert  von  Riga  merculori/ni«  bunmn  et  ruelernx 
jiortii h Liroiiiae  rrei/ui'fitunti/'u»,  insbesondere  den  gothhindischeu 
Kaufleuten,  Privilegien  erteilt,  wie  sie  der  deutsche  Kaufmann 
anderwärts  im  Auslande  in  Anspruch  nahm  und  wie  sie  namentlich 
die  xocietnx  neu  coneodolitoe  mercutorum  auf  (iothland3)  besaß. 
Nach  jenem  bischöflichen  Privileg4)  darf  nämlich  jede  einzelne 
ririfue  uneingeschränkt  e.rce-v/u/i  «uox,  d.  h.  Delikte  ihrer  Mitglieder 
unter  einander,  richten,  während  der  bischöfliche  iwle.e  entscheidet, 
einmal  wenn  ein  Teil  bei  ihm  klagt,  zweitens  über  die,  i/ui  ad 
nullam  ciritat/in  hnbent  rexfxr/um,  sch liel.il ich  intet'  eiet;*,  d.  h. 
wenn  Streitigkeiten  zwischen  Angehörigen  verschiedener  civdate» 
wie  auch  mit  Rigisehen  Bürgern  vorliegen.  Durch  diese  Vor- 
schriften wurde  der  ausdrücklich  ausgesprochene  Grundsatz:  mper 
yildwt  eet  prinriptde  (d.  h.  das  fürstliche5!  iudicium  gestützt  und 
xin/’  epixeopi  aurtontate  das  Entstehen  einer  yilda  enntmuni«,  wie 

')  Ähnliches  auch  anderwärts.  Vgl.  I'riv.  des  Pfirsich  voll  Kügcn  für 
Lübeck  (1224),  Lüh.  t . H.  I nr.  27,  wo  gemeinschaftliches  Gericht  eingesetzt 
wird:  I’riv.  Itcstnt.  des  Königs  voll  Daiicma  rk  für  die  deutschen  Kaulleute 
auf  Skauür  und  Falsterbode  (1328)  5,  Hans.  V.  It.  II  S.  188.  S.  auch  diu 
lübischcii  an  Dänemark  gerichteten  Forderungen  (1318),  Haus  l . It.  II 
S.  124  und  unten  bei  Amu.  3 und  S.  182  bei  A um.  1. 

*)  Zu  erwähnen  wäre,  dall  in  Deutschland  die  von  verschiedenen  Terri- 
torien geschlossenen  Laudfriedensverträge  Landfricdcnsgcrirhte  einsetr.ten. 
welche  zuweilen  auch  und  zwar  meist  binnen  genau  bestimmter  Frist  l’rivat- 
slreitigkeiten  der  beiderseitigen  Fulcrtaiieii  (iiameutlieb  auch  bei  Scbllld- 
klagen)  zu  entseheiden  oder  doch  über  licrhtswcigcriing  im  einzelnen  Terri- 
torium zu  wachen  hatten.  Vgl.  Franklin  II  bes.  S.  29  und  30,  und  ferner: 
Vertrag  zwischen  Kverstein  und  Homburg  (1339),  Sudciidorf  1 S.  332: 
ltündnis  zwischen  Köln,  Münster,  Soest,  Dortmund  Usw.  (1352)  4 und 
5,  Hans.  F.  II.  III  S.  112:  llüiidnis  zw.  Loen  und  Ravensberg  (1381), 
Lacomblet  III  S.  511:  Vertr.  zw.  Mecklenburg  und  Lübeck  (1385),  Lüh. 
I".  11.  111  nr.  520:  Landfr.  zw.  Köln.  Luxemburg.  Jülich.  Aachen  (1375). 
Lacomblet  111  S.  GGl. 

3)  Maurer  Städtcverf.  Id  S.  285. 

4)  (1211).  Hans.  l\  It.  I S.  38. 

*)  Vgl.  Riga  Stadtr.  (1225—1238)30,  Xapicrsky  S.  9. 


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Gothland  eine  solche  besaß1),  für  Riga  verhindert.  Diese  den 
fremden  Kaufleuten  verliehene  Gerichtsbarkeit  ist  in  späterer  Zeit 
in  der  Weise  ausgedehnt  worden,  daß  sie  nicht  nur  Delikte,  die 
in  littore  marin  aut  ripi*  ßuminum  und  zwar  inter  ne  ipnos  verübt 
wurden,  durch  gewählte  Richter  und  nach  gothländischem  Recht 
entscheiden,  sondern  auch  Klagen  richten  durften,  welche  Ein- 
heimische bei  den  Richtern  gegen  die  Kaufleute  anbrachten,  in 
diesem  Falle  allerdings  unter  Zugrundelegung  des  rigischen  Rechts*). 
— Unhaltbar  dagegen  ist  die  Ansicht  Bartholds*),  wonach 
Heinrich  der  Löwe  *)  für  das  Gebiet  seiner  sächsischen  Lande  den 
eingeborenen  gotli ländischen,  also  nicht  deutschen  Kaufleuten  einen 
eigenen  Richter  ihres  Stammes,  Liclinatus  mit  Samen,  verstat.tet 
habe.  Liclinatus  fungiert  vielmehr  lediglich  als  nuntius,  d.  h.  als 
Bevollmächtigter  der  Gothländer  hei  den  Verhandlungen  mit  dem 
Herzog  in  Artlenburg,  ebenso  wie  Odelricus  als  Bevollmächtigter 
der  deutschen  Kauf  leute  auf  Gothland.  Während  aber  der  letztere 
in  Erneuerung  eines  alten  Zustandes3)  ausdrücklich  zum  advocatus 
et  iude.r  der  deutschen  Kaufleute  auf  Gothland  vom  Herzog  be- 
stätigt wird,  spricht  nichts  dafür,  daß  dem  Liclinatus  eine  ent- 
sprechende Gewalt  über  die  Gothländer  „in  Lübeck  oder  für  die 
andern  sächsischen  Städte“  hat  eingeräumt  werden  sollen. 

b)  ln  Gegensatz  zu  dem  bisher  Erwähnten  stehen  alle  die 
Organisationen,  die  als  einheimische  Gerichte  der  einzelnen. 
Stadt8),  aber  speziell  für  Gastsachen,  fungieren.  Diese 
Gerichte  verdanken  den  besonderen  örtlichen  Verhältnissen  ihre 
Entstehung.  Trotz  ihrer  vereinzelten  Erscheinung  wirft  die  Tat- 
sache ihrer  Existenz  doch  Licht  auf  die  Rücksichtnahme,  die  man 


Gicrke  I S.  352:  Maurer  StÄdteverf.  II  S.  204  f. 

*)  Vgl.  oben  S.  24  Anm.  3. 

3)  Geschichte  der  deutschen  Hansa.  Leipzig  (1854).  I S.  131). 

*)  Priv.  (1163),  Lub.  l\  1).  I nr.  3. 

5yi  S.  Höhlbauiu  in  Hans.  Gosch.  HI.  (1872)  S.  48. 

ß)  Innerhalb  der  Besitzungen  des  Bischofs  und  des  Domkapitels  von 
Gl o gaii  behalt  sieh  der  Herzog  von  Schlesien  pro  honore  duat/us  aus- 
schließlich Jurisdiktion  und  Gewettoanspruch  bei  Straßenraub  vor,  cum  scüicct 
Mcrcator  ex  träne  us  de  pur/ibus  alienis  veniens  spoliatur  (Urkunden  von  1253 
und  1261,  Tzschoppe  S.  331  und  348):  hier  besteht  also  besondere  Gast- 
gcrichlsbarkeit  in  »ußerstfidtiseliem  Gebiet. 


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183 


namentlich  an  verkehrsreichen  Platzen  in  prozessualer  Hinsicht 
dem  Auswärtigen  schuldig  zu  sein  glaubte. 

fi.  Zuerst  zu  erwähnen  wäre  Magdeburg.  Hier  durften  seit 
117(1  die  mereatores  de  Burc/t  et  relvpti  transalbini  mereatores  et 
negnciatores  ihre  Waren  in  einer  curia  nahe  dem  Markte  unter- 
bringen und  verkaufen1).  Gelegentlich  eines  Wiederaufbaues  des 
abgebrannten  Hauses  1224  bestätigte  der  Erzbischof  von  neuem, 
quod  nitllvs  in  ea  cum  eisdem  burgensibus  i udicandi  aliquant 
habeat.  potestatem  jireter  nnncium  nostrum  ad  hoc  specialiter 
deputat-uni *).  Wie  weit  die  Zuständigkeit  dieses,  mit  dem  erz- 
bischöflichen SchultlieiUen  oder  Burggrafen  offensichtlich  nicht 
identischen  Beamten  ging,  ist  nicht  überliefert. 

fi.  Ob  auch  der  Fremdenvogt  des  Rigisehen  Rechtes  eine 
ursprüngliche  Schöpfung  des  Stadtherrn  ist,  wird  nicht  gesagt. 
Die  geregrini,  die  pelegrime,  welche  alljährlich  seit  dem  12.  Jahr- 
hundert wegen  der  nordischen  Kreuzzüge  aus  allen  Gegenden  in 
Riga  zusammenströmten,  hatten  in  Livland  schon  früh  eine  ge- 
meinsame Organisation  erlangt*)  und  besaßen  laut  einer  Verord- 
nung, tco  men  der  pelegrime  rogliet  hexen  sal  *l,  in  Riga  das  Recht, 
sich  selbst  einen  adrocatu * zu  wählen.  Dieser  Vogt  erscheint 
hier,  wo  von  ihm  zum  ersten  Male  die  Rede  ist,  jedenfalls  bereits 
als  delegierter  Richter  des  1224  eingesetzten  Rats.  Denn  seine 
Wahl  geht  vor  sich  mit  wulborl  des  rades,  am  Freitag  nach 
geschehener  Wahl  wird  er  vom  Rat  auf  dem  Stadthause  verpflichtet 

')  Erzbisch.  Priv.,  Magd.  U.  1$.  I S.  22. 

s)  Magd.  U.  If.  I IS.  40.  — Hierbei  sei  erwähnt,  ilaß  Herzog  Boriwoys 
von  Höhuien  der  Prager  Kirche  verlieh  enriam  hospitum  in  medio  civitatis 
Pratjoe  . . . et  iudicium  ad  enriam  pertinent;  daneben  bestand  das  ins  ereile 
der  freien  deutschen  llfirgergenicinde.  I>ie  Zuständigkeit  und  Besetzung  der 
Gerichte  wird  in  der  fraglichen  Urkunde  (1100— 1140),  Rößler  I S.  XV,  noch 
näher  erörtert. 

s)  v.  Bunge  S.  9.V  In  den  Urkunden  jener  Zeit  erscheinen  in  Riga 
häutig  irres,  peregrini  et  mereatares  neben  einander  (V.  Bunge  S.  80  und  Anin. 
dazu):  mit  den  letzteren  sind  die  fast  ausnahmslos  aus  (iothlaud  nach  Riga 
kommenden  (Kuppmann  in:  Hans.  < losch.  Bl.  1872  8.  54)  fremden,  besonders 
deutschen  Kaufleute  gemeint. 

*)  Riga  Umgearb.  Stat.  (um  1300)  Kinl.  S 1 — 3.  Napiersky  S.  142. 
I'ni  1300  kann  diese  Verordnung  kaum  entstanden  sein:  damals  hatten  die 
Kreuzznge  schon  sehr  nachgelassen  (v.  Bunge  8.  9.">). 


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zu  richten  na  tue*  »laden  reckte , die  einkom menden  Strafgelder 
muß  er  an  den  Rat  tho  de*  stades  inuren  abfiihren.  Der  Vogt 
richtet  filier  alle1)  Klagen  von  pelegrimen  und  Molchen,  die  es 
nicht  sind*),  gegen  peleyrime ; andere  Streitigkeiten,  namentlich 
Klagen  der  peleyrime  gegen  Rigisehe  Bfirger,  gehören  zur  Kom- 
petenz des  Stadtvogts. 

7.  Häufiger  jedenfalls  scheinen  diese  Berichte,  wie  in  Koblenz1) 
und  auch  in  Paderborn4)  noch  zu  erkennen  ist.  aus  einer  im  Anfang 
schiedsgerichtlichen  Tätigkeit  des  Rates  hervorgegangen  zu  sein, 
in  Norddeutsehland*)  wären  namentlich  Wesel  und  Köln  hervorzu- 
heben. In  Wesel  war  der  Rat.  insbesondere  auch  als  sein  Dele- 
gierter der  Bürgermeister  allein6),  zur  Entscheidung  von  Schuld- 
sachen zwischen  Fremden  und  Einheimischen  berufen,  und  zwar, 
wie  es  scheint,  dann,  wenn  die  Fremden  Kläger  waren  und  solche 
Entscheidung  beantragten.  Die  Vollstreckung  in  das  Vermögen 
des  schuldigen  Bürgers  hatte  der  Stadtbote  auszul'nhren;  zur 
Vollstreckung  gegen  die  Person  mußte  dagegen,  allerdings  ohne 
weitere  Verhandlung  in  der  Sache  selbst,  das  Bericht  den  Berichts- 
boten stellen.  Bürger,  die  nicht  zur  Verhandlung  vor  dem  Rate 
erschienen,  verfielen  in  hohe  Strafe1). 


')  8.  dazu  oben  S.  181  bei  Anni.  3 — ">  und  S.  |S2  bei  Amu.  1.  2.  über 
die  Stellung  der  kaufmännischen  Berichte. 

*)  Mögen  es  lfigisclic  Bürger,  mögen  es  sonstige  Büste  sein. 

3)  S.  oben  S.  I7ü  bei  Anm.  2.  3:  der  Hat  war  in  Koblenz  nach  1250 
entstanden  (Bär  S.  lt!  . 

4)  Biscliötl.  l'riv  Best.  (1327).  i’hil ippi  S.  iljl:  onmrrsp  si  fuisfi/trsst  ~tl In- 
uit . seu  ruft  min  tili, ui  trvi  wt  suis  l’il/ilii  simiUni  t/urstit>sstm  super  tichilis  mir.fft 

l’tl/tl,  hnnt  torasss  tnrssit/ifisis  j'ati erber  stau  sin  s firimitus  , /eitel  eotsversire  et, 

a 

si  (oraw  ifsis  iuslitiam  non  (onsofurrdur,  rjctnnc  potnit  dchitunt  suttm  vkrvcrsa  in 
iure  exto rtjnerc. 

5)  In  Siidduiitschland  wird  dergleichen  z.  B.  in  Oesterreich,  namentlich 
aber  auch  in  München  erwähnt,  ln  dieser  Stadt  richtet,  unter  Ab- 
kürzung der  Fristen,  seit  der  ersten  Hälfte  des  lö.  Jahrhunderts  der  Stadt* 
unterrichter  als  vom  Hat  speziell  delegierter  - 1 rast  rieh ter“  den  Fremden  als 
Klägern  wie  als  Beklagten  (Näheres  hei  Weimer  S.  1*1 — 63). 

K Älteres  Bfirgerbtieh  (begonnen  1308)  Fol.  38a,  und  Stadtrechnuug 
von  1293  (bei  Heinhotd  S.  SKI;. 

: Näheres  überhaupt  bei  Keinhold  S.  St# — :»2. 


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185 

5.  Die  interessanteste,  den  Weseler  Zuständen  verwandte 
Bildung  sind  jedoch  die  im  Jahre  ld'Jli ')  zum  ersten  Male  er- 
wähnten richtet-  ran  den  tjeetin  in  der  mittelalterliclien  Handels- 
metropole Köln.  Dort  muü  der  Hat,  der  seit  der  Mitte  des 
13.  Jahrhunderts  stetig  an  Bedeutung  zunahm  und  n.  a.  dem 
Schöffenkolleg  wie  namentlich  auch  der  Hicherzeche  einen  grollen 
Teil  der  Handels-  und  Gewerbepolizei  abgewann*),  vielleicht  noch 
im  1 3.  Jahrhundert  eine  Gerichtsbarkeit  in  Gastsachen  neben  dem 
Hochgericht  oder  schon  an  Stelle  desselben  ausgeübt  haben. 
Wenigstens  ist  nicht  ausgeschlossen,  dall.  bevor  der  Hat  die  oben 
genannten  Gastrichter  speziell  aborduete,  eine  derartige  Gerichts- 
barkeit von  den  beiden  .Ratsmeistern“  versehen  wurde,  den  Vor- 
sitzenden des  Rates  und  einem  der  ältesten  aus  ihm  besetzten  be- 
sonderen Ämter1).  Denn  noch  bis  zum  Jahre  1 31) "»  bezogen  die  Rats- 
meister  die  Hallte  der  im  Gastgericht  einkommenden  Rußen4):  sie 
ahndeten  Ungebfihrlichkeiten , welche  vor  dem  Gastgericht  ge- 
schahen1). sie  hatten  auch  ein  Recht  auf  die  Hälfte  der  Rußen, 
welche  die  Gastrichter  im  Falle  der  Vollstreckungsverzögerung  zu 
erlegen  hatten6).  Und  so  mag  denn  erst  im  14.  Jahrhundert  der 
vermehrte  Tätigkeitsbereich  des  Rates,  wie  die  Schaffung  vieler 
sonstiger  Ämter,  so  auch  den  Ersatz,  der  Ratsmeister  durch  be- 
sondere Gastrichter  nötig  gemacht  haben. 

Die  beiden  Gastrichter,  Mitgliederdesengen  Rates7),  mußten 
vor  Beginn  eines  jeden  Amtsjahres  schwören,  ihre  Pflichten, 

')  Urkunde  nr.  I $ 51,  Stein  I S.  20. 

■'■)  Lau  S.  102.  288.  301. 

3)  I.au  S.  110  (vgl.  die  Urkunden  v<*n  12!)?  imd  120!),  bei  Kimen  111 
ur.  442  ii.  477). 

•)  Köllmcli  (1311)  IV.  5,  Stein  1 S.  35;  vgl.  ebenda  II  S.  155. 

6)  Kidbucli  (1341)  IV.  8.  Stein  I S.  35:  vgl.  auch  I.au  S.  110  Amu.  3. 

*)  Kidbucli  (1341)  VII.  3.  Stein  I S.  38. 

J)  Über  den  Turnus,  in  dem  das  Gast  rieht  eramt  besetzt  wurde,  wird 
berichtet  im  Kidhuch  1341  II.  !l  und  VII  Kinl.,  Stein  I S.  30  bzw.  37. 
und  im  Kidbucli  (1372  I.  !•  und  II.  !•.  Stein  I S.  83  bezw.  85.  Kau 
S.  111  .Vnin.  8 und  S.  298  irrt  übrigens,  wenn  er  nut'tirund  von  KölnOrdn. 
der  Messe  (nach  1 300),  Stein  II  S.  28  IT.,  annimnit.  die  uuu  Itat  zu  „l’ferde- 
meistern"  bestellten  zwei  Itatsberren  hätten  bei  Streitigkeiten  auf  dein  KoU- 
markt  eine  den  Gastriclitcrn  parallele  tierichtsbarkeit  ausgeübt:  letztere 
selbst  sind  in  III  J 11  gemeint  (vgl.  unten  S.  I8ti  Amu.  1 . 


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186 


namentlich  also  die  Gewährung  raschen  Gerichtes,  zu  erfülle» '). 
Sie  saßen  schon  1326  auf  dem  Bürger-! Hats-)  Hause  hinder  der 
duer1)  uud  richteten  hier,  ohne  Beisitzer  und  ein  jeder  einzeln  *), 
an  drei  Tagen  der  Woche,  nämlich  am  Dienstag,  Donnerstag  und 
Sonnabend*).  Zu  ihrer  Kompetenz  gehörten  in  erster  Linie  Schuld- 
sachen5), und  zwar  namentlich  auch  aus  dem  Handelsverkehr*1), 
also  Klagen  van  rechter  lenltcher  schoilt  ind  ran  rechter  kouman- 
»chaf  *);  doch  waren  sie  auch  für  leichte  Brüche  zuständig8).  Ur- 
sprünglich kamen,  wie  schon  der  Name  anzeigt,  wohl  lediglich 
Streitigkeiten  in  Frage,  in  die  Gäste  verwickelt  waren.  Doch 
nimmt  Lau  zu  Unrecht  an9),  es  habe  sich  ihre  Kompetenz  zuerst 
nur  auf  „Schuldklagen  von  Bürgern  gegen  fremde  Kaufleute“  er- 
streckt. Schon  1326  erscheint  vor  den  Gastrichtern  ein  Gast  als 
klagender,  ein  Bürger  als beklagterTeil1");  und  UOOheißt  esgeradezu: 
irere  egn  ich  gast  off  < out  man,  de  eich  beclagede  van  eyncher 
schalt  of  gebreche  . . . da  haint  unse  heren  rannte  Haidt 
tzirene  Hichtcre  hg  geschickt,  die  dat  richten  sollen  zurstnnt, 
dem  gaste  genoich  zodoin  mit  der  sonnen  gelt  of  gende  oß 
u/i  den  Tom"'). 

')  Kidbtieli  (1341)  Vll  Kinl.,  Stein  1 S.  37. 

s)  S.  oben  Amu.  1,  S.  1 85  Anni.  1,  sowie  Urk.  (1362),  Stein  I S.  74  und  75. 

3)  Krankheit  des  einen  von  ihnen  u.  dgl.  ist  ohne  KinfluQ:  Kidbueh 
(1341)  VII.  1,  Stein  I S.  37. 

*)  Kidbueh  (1341)  Vll.  1,  Stein  I S.  37,  und  Register  der  städt.  Accise 
(1400)  XXI.  17,  Stein  1 S.  118.  Vgl.  auch  Ordn.  der  Messe  (nach  1360)  111 
$ 11,  oben  S.  185  Anin.  7. 

5)  Kflln  L'rk.  nr.  1 § öl  (1326),  Stein  1 S.  20  (es  stellt  hier  ein  Objekt 
von  425  Mark  in  Frage);  Weist,  über  die  llatsgerichtsbarkoit  (um  1375)111.4, 
Stein  I S.  113;  Register  der  städt.  Accise  (1400)  XXI.  17.  Stein  I S.  118. 

6)  Namentlich  jedenfalls  auch  auf  den  seit  1355  wieder  eingefnhrten 

Jahrmärkten : Urdu,  der  Messe  (nach  1360)  1 bis  111,  Stein  II  S.  28  lf.. 

besonders  auch  III  § 11,  siehe  oben  S.  185  Anm.  7;  in  dem  Confhnysr  (vgl. 
oben  Amu.  5 a.  K.). 

*)  Zusätze  stlin  (iästerichtereid  (1341)  7.  Stein  I S.  53:  Weist,  über 
Ratsgerichtsb.  (um  1375)  III.  5.  Stein  I S.  113. 

*)  Ordn.  der  Messe  (nach  136(1)  III  § 11,  siehe  oben  S.  186  Amu.  7: 
Register  der  städt.  Accisc  (1400)  XXI.  17,  Stein  I S.  118. 

9)  S.  113. 

,0)  Köln  Urk.  nr.  I §51  (1326),  s.  oben  Anui.  5. 

n)  Register  der  städt.  Accise  (1400)  XXI.  17,  Stein  1 S.  118,  Vgl. 
auch  Urk.  (1362),  Stein  I S.  74  und  75:  die  soeten  . . . den  festen  richten. 


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IST 


Aber  es  konnten,  wenigstens  späterhin,  vor  den  Oastrichtem 
auch  Bürger  gegen  Gäste  klagen ').  l’ml  im  Laufe  der  Zeit  ge- 
langten auch  reine  HO rger Streitigkeiten  vor  das  Gericht,  Schuld- 
sachen unbeschränkt,  andere  im  Wege  der  beiderseitigen  Verein- 
barung *). 

Was  die  Fristen  anlangt,  binnen  deren  gerichtet  wurde,  so 
war  eine  gewisse  Begrenzung  zunächst  durch  die  drei  Sitzungs- 
tage gegeben;  nur  während  des  Jahrmarktes  wurde  stets  sofort 
gerichtet 3).  Waril  an  oder  zu  einem  solchen  Tage  geklagt,  so  ließ 
der  betreffende  Gastrichter  alsbald  zweimal  bei  Strafandrohung 
vorbieten  und  im  Fngehorsamsfalle  (sogleich?)  wegen  Schuld  und 
Buße  pfänden4).  Kam  der  Beklagte  dagegen  und  bekannte,  so 
mußte  er  sich  zur  Zahlung  binnen  e.gcht  Jagen  verpflichten  *). 
Erfolgte  die  Zahlung  nicht,  so  ward  dem  Verurteilten  alsbald 
gebet  Im  egn  gebot  rue  Munt  geh  und  nötigenfalls  sofort  gepfändet6). 
Daß  die  Richter  rasch  verfahren  und  da.  wo  sie  nicht  sofort 
pfänden  können,  dem  Rat  alsbald  Mitteilung  machen,  wird  durch 
besondere  Strafandrohungen  sicher  gestellt5).  Später  scheint  zu 
Gunsten  speziell  der  Gäste  eine  weitere  Verkürzung  der  Fristen 
eingetreten  zu  sein.  Die  Gäste  dürfen  nämlich  sofortige  Zahlung 


>)  Eidbuch  .1341)  VII.  5,  Stein  1 S.  38. 

*)  Vrk.  (1382),  Stein  I S.  74  und  75:  Register  der  stfidt.  Accise  (1400) 
XXI.  18,  Stein  I S.  118.  Dadnrch,  daß  sieh  die  Richter  van  Jen  Rettin 
immer  mehr  Befugnisse  auch  außerhalb  des  Fremden  prozosses  zulegten, 
entstanden  Kompetenzstreitigkeiten  mit  dem  Hochgericht  (vgl.  Zusätze  zu 
dem  Gästerichtereid  von  1341  § 7,  bei  Stein  I S.  53;  L'rk.  v.  I3G2,  ebenda 
I S.  75  und  75:  l’rk.  zwischen  1387  und  1387  § 7,  ebenda  I S.  53). 

3)  Vgl.  oben  S.  150  bei  Anm.  7 und  S.  188  Anm.  8. 

4)  Eidbuch  (1341)  VII.  1.  Stein  1 S.  37:  Weistum  über  die  Rats- 
geriehtsb.  (um  1375)  III.  2,  ebenda  I S.  113. 

ä)  Eidbuch  (1341)  VII.  2,  Stein  I S.  38.  und  das  zweite  Zitat  in  der 
vorigen  Anmerkung. 

8,i  Eidbue.h  (1341)  VII.  2,  Stein  1 S.  38,  und  zweites  Zitat  in  der  vor. 
Anmerkung.  Zur  Wirksamkeit  der  Gastrichterpfändung  gegenüber  dem 
Kummer  des  Hochgerichts  gehört,  daß  ersten*  früher  stattlindet:  Zusätze 
zu  dem  Gästerichtereid  (1341)  !),  Stein  I S.  53. 

7)  Eidbuch  (1341)  VII.  3.  Stein  1 S.  38.  I)ie  Entscheidung  geht  außer- 
dem auf  den  Rat  über,  der  aber  in  längeren  Fristen  richtet : Weistum 
über  die  Ratsgerichtsbarkeit  (um  1375  111.  2 und  I.  Stein  I S.  113 

bzw.  111. 


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188 


oder,  wenn  der  Beklagte  nicht  erscheint,  sofortige  Pfändung  be- 
anspruchen1), und  zwar  letztere  mit  der  Besonderheit,  daß  schon 
nach  drei  Tagen  Befriedigung  aus  den  gepfändeten  Gegenständen 
eintreten  darf:  Bürger  dagegen  sollen  von  Bürgern  oder  Hüsten 
Zahlung  oder  Pfändung  erst  nach  drei  Tagen  verlangen  und  ge- 
pfändete Sachen  acht  Tage  lang  halten*)-  Sind  keine  Zahlungs- 
oder Pfändgegenstände  vorhanden,  so  können  Bürger  wie  Gäste 
Schuldhaft  gegen  die  Verurteilten  beantragen5). 

VIII.  Termine.  Fristen.  Ladungen. 

In  Köln  ward,  wie  soeben  dargestellt,  durch  voraus  bestimmte 
Gerichtstage,  an  denen  auch  der  Einheimische  sofort  verhandeln 
mußte,  schnelles  Verfahren  gewahrt.  Anderwärts  ward  der  gleiche 
Zweck  erreicht  durch  z.  T.  noch  kürzere  Fristsetzungen  für  die 
Verhandlung  des  alsbald  einzuberufenden  Gerichts  und  für  die 
Vollstreckung.  War  der  Antrag  auf  Gastgericht  beim  Einzelrichter 
oder  im  gehegten  Ding  angebracht,  so  ist  zu  unterscheiden,  ob 
nur  der  Antragsteller  oder  beide  Parteien  zugegen  sind.  Im 
zweiten  Falle  (mag  der  Beklagte  freiwillig  mitgegangen,  mag  er 
vom  Kläger  arrestiert  worden  sein»  kann  entweder  auf  der  Stelle 
verhandelt  •)  oder  den  Parteien  ein  naher  Termin  gesetzt  werden  5), 
sei  es  auf  Verlangen  des  Klägers  oder  des  Beklagten,  sei  es  auf 
Einigung  beider  Teile.  Im  ersten  Falle  muß  geladen  werden. 
Ist  nur  der  antragsberechtigte  Kläger,  in  der  Hegel  also  ein  Gast, 
erschienen,  so  ergeht  die  Ladung  zu  dem  alsbald  anzusetzenden 
Termin  an  den  Beklagten,  er  sei  nun  Bürger8)  oder  Gast*).  Um- 

')  KegUter  der  städt.  Acciae  (1400)  XXI.  17.  Stein  l S.  118. 

*)  Register  der  städt.  Accise  (1400)  XXI.  ls,  Stein  I S.  118. 

*)  Vgl.  oben  Amu.  1 und  2. 

')  Kleines  Kaiscrroelit  (nach  1800)  l.  Iß,  Kndvinann  8.  18:  W i o n - 
Ni-nstadt  Stadtr.  (13.  .lahrli.)  45,  Winter  S.  152:  Koblenz  altes  Gerichts- 
bucli  (1308  — 1424)  l!l  Jj  1,  Uär  S.  03.  Vgl.  Magdeburg  Rechtamitt.  an 
Hreslau  (1281)  31.  I.nhaiid  IMpi.  S.  18. 

5)  Alpliab.  Saimnl.  Magdeb.  Schfiffenspr.  Kap.  72.  Wasserschieben  S.2S: 
Kläger  lällt  den  beklagten  Gast  zu  dem  auf  den  nächsten  Tag  angesetzten 
Gastgericht  in  sytur  r,ii, In ;!  Vgl.  üben  S.  147  Anin.  3. 

s)  Münster  Stadtr.  (1221)  28.  K cut  gen  S.  1.72:  Kreiburgi.  U.  llandf. 

1249)  121.  (iaupp  Stadtr.  II  S.  103:  Magdeb.  Hresl.  syst.  Sch.  R.  II.  2 d. 
35,  I.ahand  S.  32:  I.audsliut  Stadtbncli  ,14.  .lalirh.)  VII.  1.  Rosenthal 

S.  108:  lioebold  Slat.  17.  Jahrli.  76,  Wigand  III.  I S.  23.  In  Preising 


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1*9 

gekehrt  wird  sehr  h;iufi<r  der  nichtanwesende  Kläger  auf  Veran- 
lassung des  Beklagten  geladen.  Das  tritt  namentlich  ein.  wenn 
letzterer  ein  (iast  und  entweder  von  einem  Bürger1 * *)  oder  von  einem 
< laste  - 1 arrestiert  worden  ist;  aber  schon  der  auf  einen  ordent- 
lichen Dingtag  geladene  beklagte  (iast5)  oder  wegefertige  Bürger4) 
hat  jenes  Hecht  gegenüber  seinen  Klägern.  Hatte  der  Beklagte  im 
gewöhnlichen  Rechtsgang  Anspruch  auf  Ladung  zu  drei  auf  ein- 
ander folgenden  Dingen,  so  können  im  gastgerichtlichen  Verfahren 
diese  drei  Ladungen  im  Laufe  des  einen  Tages  erfolgen &i;  ander- 
wärts wird  in  solchem  Falle  eine  einmalige  Vorladung  für  ge- 
nügend erachtet’1).  Wo  umgekehrt  der  Beklagte  laden  hillt, 
namentlich  wenn  ein  (iast  selbst  oder  doch  sein  (lut  arrestiert 
worden  ist.  wird  die  Ladung  des  Klägers  vielfach  mit  besonderen 
Kautelen,  namentlich  Zuziehung  von  Zeugen,  ausgestattet,  damit 
man  den  Beklagten  nicht  etwa,  ohne  daß  der  Kläger  gehörig 
geladen  worden,  ziehen  lasse  ’i. 

Wie  schon  angedeutet,  darf  da.  wo  überhaupt  ein  Anspruch 
auf  Gastgericht  besteht,  Ladung  und  Verhandlung  grundsätzlich 
sofort,  noch  an  demselben  Tage,  stattfinden,  namentlich  wenn  der 

Stadt r.  Blich  (1328)69,  Maurer  S.  311.  darf  der  klagende  (last  ohne  Ver- 
mittlung des  liiehters  den  ltiittel  sofort  mit  der  Ladung  zum  ( iastgerielit 
am  nächsten  Tage  beauftragen:  das  umgekehrte  gilt  in  f.andshiit  zu  (liinsten 
des  beklagten  liastes. 

Kleines  Kaiserrecht  (nach  1300}  I.  1(1,  K.ndcmann  S.  18:  Magdeb. 
Bresl.  syst.  Seit.  !!.  11.  2 d.  3.">.  baband  8.  32. 

1 Kreiberg  Stadtr.  (129(1  - 1307)  111  8 3,  F.nuisch  S.  50:  (instar 

Stadtr.  (um  1300),  (löschen  6fi.  35  und  oben  S.  15(1  Anm.  5:  (ioslar  Aufs, 
über  das  Sehulth.  Amt  (14.  Jalirli.).  (löschen  110.  13:  Bist.  III.  4 d.  9. 

OrtlolT  S.  143:  Lüneburg  Stat.  (vor  1400)  L,  Kraut  S.  58. 

*j  Kreiberg  und  Lüneburg  (s.  vorige  Anm.). 

5)  Kreiberg  Stadtr.  (129(1  — 1307)  III  8 3,  Krmiseh  S.  50:  (ioslar 
Stadtr.  (tun  1300),  (löschen  (13.  28:  Huessen  I’riv.  (1348).  Tescheninai-her 
Krk.  XXIII  S.  15. 

*)  Kreiberg  Itatswillk.  (um  1350)  12,  K.rmisch  S.  274. 

s)  Magdeb.  ilresl.  syst.  Seit.  11.  II.  2 d.  35,  I.ahand  S.  32. 

ö)  Planck  I S.  355  im  Hinblick  auf  (ioslar.  Bist.  III.  4 d.  9.  OrtlolT 
S.  143.  schreibt  drei  Ladungen  vor,  scheint  also  dem  Beispiel  Magdeburgs 
(*.  vorige  Amu.)  zu  folgen. 

•)  (ioslar  Stadtr.  (um  1300).  Göscbeu  03.  28  bzw.  0(1.  35:  Huessen 
Priv.  (1348),  Teschunmacber  Krk.  XXIII  8.  15. 


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Beklagte  nur  den  einfachen  Unschuldseid  in  Schuldsachen  abzu- 
leisten braucht  ‘).  Entsprechend  kann  auch  Befriedigung  oder 
Vollstreckung,  namentlich  des  klagenden  Gastes,  noch  am  Tage 

')  Magdeburg  erstb.  Priv  (1188)  ti.  7,  l.uhanil  RQu.  S.  2:  cudtm  <üe; 
Köln  Priv.  Ottos  IV.  (1212).  I.aeomblet  II  S.  2- : amota  omni  moratione  et 
impedimento;  Münster  Stadtr.  (1221) '»6,  Keutgen  Urk.  8.  153:  eo  die;  Frei- 
burg i U.  Handf.  (1243)  13.  121,  Gaupp  St.  R.  11  S.  85.  103:  cothidie,  qua- 
übet  die;  Magdeb.  Schöffenr.  (nach  1261)  Y §3.  Laband  Rt^u.  S.  115:  alle 
tage;  H am  bürg  Stadtr.  (1270)  VI.  6 und  VII.  5,  Lappenberg  8.  27  bzw.  40: 
nathtes  o/te  dages , to  allen  tyJcn;  Lechenich  Rechtsbr.  (1273)  15.  Gengier 
St.  H.  8.  241:  statim;  Lger  Priv.  (1273)  18.  13,  Gaupp  St.  K.  I S.  132,  und 
Freiberg  Stadtr.  ( 1 236 — 1 307)  111  § 3.  4.  IX  § 1,  Klinisch  S.  50.  51.  88: 
al zu hant , tuhnnt;  Dresden  Krlüut.  Satz.  (1233),  Geugler  Kod.  S.  830. 
H ra u n sch we ig  Stadtr.  (vor  1300)  80.  Hanselinann  II  8.  225,  und  Wien- 
Neustadt  Stadtr.  (13.  Jahrh.)  45.  Winter  S.  152:  omni  Me;  Goslar  Stadtr. 
(um  1300)  und  Aufsatz  über  das  Schulth.  Amt  (14.  Jahrh.),  (loschen  63.  28 
bzw.  66.  35  und  110.  13:  to  haut . van  'turnten  an;  Hildesheim  Stadtr.  (lim 
1300)  52.  53,  Doebncr  IT.  B.  I S.  284:  to  haut;  Riga  umgearb.  8 tat.  (um 
1300;  11.  3 § 1 und  2,  Xapicrsky  S.  154,  und  Kleines  K aiserreclit  (nach 
1300)  I.  16,  Lndetnann  S.  18:  uff  der  stunde;  Krieg  Kcchtsbest.  (1324)  35. 
Korn  S.  103:  zu  hant;  Freising  Stadtr.  Buch  (1328)  63,  Maurer  S.  303  IT., 
und  Naumburg  Stadtr.  Satz.  (1337)  17.  Gengier  St.  R.  8.308:  hie  sunuen 
sehine;  Magdeburg  Weist,  f.  Kulm  (1338)  7,  Laband  R(Ju.  S.  141:  by  tage s; 
Magdeb.  Bresl.  Sch.  Recht  I.  26  und  II.  2 d.  35,  Laband  S.  11  bzw.  32, 
und  Magdeb.  Fragen  II.  5 d.  1.  Kehrend  S.  172:  ytagis;  Hörde  Reehtsbr. 
(1340)  21,  Gengier  St.  R.  S.  138,  ein  drastisches  Beispiel  für  schleunige 
Lidesleistung  durch  Gäste:  dey  solden  eUm  recht  op  dem  f 'ote.  Mailich  myf  syner 
eyntn  hant  unverthoget , dey  varmann  dey  lumt  op  dat  rat,  de  Rydene  Man  den  voet 
in  deme  stegherepe,  de  ( lande  Man  dev  Ivmt  in  de  lueht;  Hll esse II  Priv.  (1348), 
Teschemnacher  Urk.  XXIII  S.  15:  nemen  een  onv,rtaget  recht  op  die  s tuende  voet; 
Brunn  SchöfTensut/.uug  (14.  Jahrh.)  und  Schöffen!),  (um  1350)430,  Rößler  II 
8.  337  bzw.  200:  al  tag , quolihet  dierum;  Freiberg  Ratswillk.  (um  1350)  12. 
13,  Lnnisch  8.  274.  und  Ratsscliluß  (1373’.  gedruckt  bei  Planck  II  S.  414: 
in  stoppender  stat,  also  dicke  als  das  not  ist . Koblenz  altes  Gcriclitsbuch  (1366 
bis  1424)  13  § 1,  Bär  8.  33:  von  stund;  Lüneburg  Stat.  (vor  1400)  XXXIX, 
Kraut  S.  54,  Di  st.  III.  2 d.  1 und  4,  «I.  3.  Ort  I off  S.  136  bzw.  143,  und 
Kleve.  Stadtr.  (nach  1424j  36  §5,  ZRG.  10  S.234:  » nelliken , toe  hant;  Wester- 
lau  w e r s c b e s M a r k t r c c li  t § 1 . Kichthofen  421 : di  schelda  moet  tiugia  ende 
tingh  hahta  to  alle  u/erekadum  deer  m.,  ic tri  r dich  [oenj  is,  h wannet r so  hi  urit, 
Heck  8.  107  Anin.  14  legt  die  letzten  Worte  aus,  als  entscheide  der  Wille 
des  Stadtschulzen:  indessen  deutet  die  Hereinziehung  gerade  des  Auswärtigen 
an.  daß  das  Wort  hi  nicht  auf  den  Schulzen,  sondern  auf  die  (auswärtige) 
Partei  zielt. 


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191 


des  Urteils  zugelassen  werden'),  selbst  wenn  für  ordnungsmäßige 
Befriedigung  Bürgen  oder  Pfänder  gestellt  werden.  Doch  kommen 
auch  längere  Fristen  vor,  namentlich  solche,  die  über  eine  Nacht 
hinweg,  also  bis  zum  nächsten  Tage  währen  ■),  daneben  vereinzelt 
auch  zwei-  und  dreitägige  Fristen.  Die  längere  Dauer  hat  be- 
sondere flrttnde  und  dürfte,  namentlich  dem  Zwecke  dienen,  über- 
raschten Beklagten,  die  sich  nicht  mit  Fineid  verteidigen  dürfen, 
oder  Klägern  Zeit  zur  Beschaffung  von  Beweismitteln  (Zeugen 
oder  Urkunden)  zu  bieten*).  Sie  hat  ferner  bei  der  Vollstreckung 
statt,  auch  in  den  Rechten,  welche  die  Verhandlung  über  den 
Klageanspruch  am  Klagetage  selbst  stattfinden  lassen4).  Da,  wo 
ohne  nähere  Begründung  die  Verhandlung  über  die  Klage  von 
vornherein  auf  den  nächstfolgenden  Tag  angesetzt  wird*),  dürfte 
auch  ohne  Weiteres  die  Vollstreckung  an  diesem  Tage  stattge- 
funden haben;  nur  .ausnahmsweise  wird  die  Vollstreckung  aus- 

')  Magdeburg  Priv.  (1188)  6.  7,  l.aband  K<ju.  8.  2,  und  Magdeb. 
Kragen  II.  2 d.  14.  Ilehrend  S.  184:  iv  Sonnenschein ; Alphab.  Sarmnl.  Magdeb. 
SchOBenspr.  Kap.  147,  Wasserschieben  8.  .70: y Jaches-,  Glogau  Keehtxb.  (1386) 
522.523.  Wasserschleben  KQu.  S.  63:  bey  tagisliehte ; Kuhlen  z altes  Gerichts!). 
(1366 — 1424)  13  § 1,  Bär  S.  93:  dess  tags. 

*)  sequenti  die\  per  noettm  sotam;  ante  occetsum  solis  ve / altera  die,  qnod  dich 
tur  enter  twernach;  des  asteiern  dages;  ubir  tteere  nacht;  huedett  und  morgen;  von 
eyner  sonnen  zu  der  andirn. 

*)  Kreiberg  Stadtr.  (um  1300)  III  §3  und  4,  finnisch  S.  50.  51: 
Lübeck  Stadtr.  (C'od.  Brokes)  II.  329,  Hacli  8.  581:  Buchnld  Stat.  (15.,labrb.) 
56,  Wigand  III,  1 S.  23.  Vgl.  auch  bei  unbekanntem  Aufenthalt  des  zu 
Ladenden:  Goslar  Stadtr.  (um  1300).  Göschen  66.  35:  Bist.  III.  4 d.  9, 
Ortloff  S.  143. 

4)  Münster  Stadtr.  (1221)  28  mit  26.  27.  Keutgen  S.  152:  Dortmund 
Lat.  Stat.  (1254  — 1256)  34,  Frensdorff  S.  36;  Magdeburg  Schöffenr.  (nach 
1261)  V §3,  Laband  Kyu.  S.  115:  Hamburg  Stadtr.  (1270)  IX.  14  und 
(1292)  M. XI,  Lappenberg  S.  55  bzw.  147:  Celle  Stadtr.  (1301)  35,  Gengier 
Kud.  S.  481:  Glogau  ltechtsbuch  (1386)  520,  Wasaersehleben  I!Qu.  S.  63: 
Heiligenstadt  Ordnung  des  Schulth.  Gerichts  (vor  1400)  16,  Wolf  l'rk. 
S.  41:  Schleswig  Neueres  Stadtr.  91,  Thorsen  S.  48. 

*)  Hagenau  Stadtr.  (1164)  18,  Keutgen  l'rk.  S.  136:  Ulm  Stadtr. 
(1296)  11,  Keutgen  Urk.  S.  191:  Frankfurt  a.  M.  Stadtr.  (1297)  17,  Keutgen 
llrk.  S.  189:  Erfurt  Zus.  zu  den  alt.  Stat.  (1313),  Walch  II  S.  23.  S.  auch 
Kleines  Kaiserrecht  (.nach  1300)  I.  16,  Kndemann  S.  18,  wo  zwo  nacht 
jedenfalls  das  miUvcrstandenu  twernaeht  ist ; vgl.  Osenbriiggen  S.  43  Anm. 
und  l'lanek  II  S.  415. 


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1!»  2 


drücklich  um  einen  ferneren  Tag  liinansgesehoben ').  Sehr  selten 
schließlich  kommt  es  vor,  daß  gastgerichtliche  Fristen  bis  zu 
drei  Tagen2)  anschwellen.  sei  es  für  Verhandlung  und  Vollstreckung  *). 
sei  es  wegen  der  letzteren  allein*),  sei  es.  um  dem  Beklagten  zur 
Beibringung  von  Beweisen  Frist  zu  gewahren5). 

Ausdrücklich  wird  bemerkt,  dal.!  Feiertage*),  namentlich  aber 
die  gebundene  Zeit  der  Abhaltung  des  f iastgeriehts,  insbesondere 
der  Ableistung  von  Heinigungseiden  0,  nicht  entgegenstehen.  Auch 
die  Tageszeit  ist  da,  wo  das  (iastgericht  unverzüglich  stattlinden 
soll,  gleichgültig.  Nicht  nur  dürfen  (lüste  zur  Nachtzeit  laden") 
und  geladen  werden  ')',  es  müssen  auch  Bürger  nnchU's  oft e </</</<■* 
einem  (taste  als  Zeugen  helfen  1,1 1. 

( her  den  Ort,  wo  (lastgeriehte  abgehalten  werden  durften, 
ist  schon  oben  die  Rede  gewesen  "). 

')  Kassel  landgr.  Satz.  (1384)  10.  Henglcr  Knd.  S.  471. 

J\  Dem  holländischen  uml  llamlrisehen  liecht  war  dreitägige  I.adnngs- 
frist  überhaupt  gewöhnlich  (Hennecke  S.  41):  sie  findet  sieh  daher  auch  in 
den  mit  Holland  und  Flandern  geschlossenen  Verträgen  namentlich  der 
deutschen  .Seestädte. 

:l)  11  i n n n SchülTenb.  (um  1 3.’>0)  18,  liöL'der  II  S.  i!  und  11.  Vgl. 

auch  F.rjienerniig  des  Land!!,  zw.  Münster.  Osnabrück,  Soest  n.  Dort- 
mund (1338).  Hans.  I . H.  II  S.  277. 

*j  llrieg  lteehtshest.  (1324;. 35,  Korn  S.  10,‘t. 

3;  llrieg  Iteehlsbesl.  (1324;  3.1.  Korn  S.  103,  und  Kreising  Stadlr. 
Iliicli  (1328)  119,  Maurer  S.  318.  S.  oben  S.  1Ü8  hei  Atim.  1 und  2. 

®)  ltrüun  SchölVensatzung  11.  .bilirli.  . Ilölller  II  S.  397 : Weste r- 

lauwersches  Marktrecht  $ 1.  Itiehlhofen  S.  421. 

')  llambiirg  Stadt r.  1270  VII.  7.  I.appenberg  S.  40:  Freiherg 
Stadtr.  ( '12911  — 1307  Ul  $3.  F.rniHcli  S.  .7(1:  Prag  lteehlsh.  14.  Jalirh.)  37» 
liöUler  I S.  111:  Maadeh.  Fragen  1.  Hi  d.  *>  und  II.  .7  d.  1,  Bohrend 
S.  142  und  172. 

*)  Fre  ising  Stadtr.  Hneh  (132s  t!9,  Maurer  S.  311 : l.a ud  shut  Stadt  b. 
(14.  Jahrli.)  VII.  1.  I tosen! hal  S.  188. 

®)  litislar  Slaillr.  (um  1300),  i inscheu  <13.  7;  Hist.  III.  2 d.  1,  Ort- 
Inn  S.  I3li. 

llambiirg  Stadtr.  (l270)VI.fi  mit  A uni..  ba|i|ienberg  S.  27. 

")  Vgl.  oben  S.  149  hei  Anin.  2 7.  S.  auch  Fger  Priv.  (1279)  19  mit 
18.  I,aii|i|i  St.  It.  I S.  192:  I herall.  />/•./. »yi/n///  in  cn/ow,  bain?o  et  tohfrna. 


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193 


IX.  Das  Verfahren  im  Gastgericht. 

I)a.s  Verfahren  unterscheidet  sich  grundsätzlich  nicht  vom 
ordentlichen  Verfahren;  die  Abweichungen,  die  mit  Rücksicht  auf 
die  Schleunigkeit  des  Prozesses  erforderlich  werden,  sind  ver- 
haltnismäUig  gering. 

Grundsatz  ist  zunächst,  wie  schon  angedentet,  Liquidität  der 
Beweismittel.  Denen,  die  den  Antrag  auf  Gastgericht  nicht  ge- 
stellt haben,  darf  u.  U.  eine  kurze  Frist  zur  Beschaffung  von 
Beweismitteln  u.  dgl.  verstattet  werden  ').  Die  Antragsteller  selbst 
haben  kein  Recht,  nach  Zeugen  oder  Urkunden  auf  die  Suche  zu 
gehen5),  wenn  sie  sie  nicht  sofort  stellen  können3);  doch  steht 
ihnen,  wenn  sie  Beklagte  sind,  u.  U.  das  Hiilfsmittel  des  Eienden- 
eides zur  Seite4). 

Auch  sonst  soll  das  Verfahren  nicht  aufgehalten  werden. 
Der  im  Gastgericht  beklagte  Bürger,  dessen  Vormund  über  Land 
ist,  soll  nicht  Vertagung  bis  zur  Rückkehr  des  Vonnundas  ver- 
langen dürfen,  sondern  von  Gerichtswegen  einen  Vormund  er- 
halten3). Lallt  nach  Beginn  des  gastgerichtlichen  Verfahrens  ein 
Teil  sein  Nichterscheinen  mit  Krankheit  entschuldigen,  sollen 
Gerichtspersonen  alsbald  die  Wahrheit  dieser  Angabe  feststellen, 
da*  *y  beide  (d.  h.  die  Parteien)  by  rechte  blieben  “).  Unter  Umständen 
kann  der  Gast,  trotz  der  Schnelligkeit  des  Verfahrens,  dessen  Ende 
nicht  abwarten;  in  solchen  Füllen  lullt  er  einen  Vertreter  zurück, 
der  den  Prozeß  an  seiner  Statt  führt7),  jedenfalls  auch  Zahlungen 
entgegennehmen  darf8).  Die  Bestellung  von  Sicherheit,  sei  es 

*)  Vgl.  oben  S.  1C>8  bei  Anm.  I and  2,  sowie  S.  192  bei  Anm.  5. 

,J)  Mag deb.  Brest  syst.  Sch.  11.  I.  26,  l.abaud  S.  11,  und  Preising 
Stadtr.  Buch  (1328)  69,  Maurer  S.  315  (über  airch  vgl.  Osenbrnggen  8.  47). 

3 ) Eine  Ausnahme  zu  Gunsten  des  Antragstellers  bildet  Koblenz 
altes  Uerichtsb.  (1366  — 1424)  19  § 1 — 3,  BärS.  93,  wo  dem  Kläger  zum  Bei- 
bringen von  Zeugen  ein  gelegener  neuer  Tag  auf  Verlangen  angesetzt  wird. 

*)  S.  oben  S.  30  und  8.  157  Anm.  3. 

3)  Naumburg  Studtr.  Satz.  (1337)  17,  Gengier  St.  B.  S.  308. 

6)  Brieg  Rechtsbest.  (1324)  35,  Korn  8.  103.  Verweigert  der  Besetzer 
von  Gastgut  die  Rechtfertigung  im  Gastgericht,  so  wird  ihm  Strafe  ange- 
droht: 1‘rag  Stat.  Recht  (1314  bis  1418)  117,  Rößler  1 S.  71. 

')  Mitteil,  des  Vogts  und  Rats  von  Bremen  an  die  Gräfin  v.  Flandern 
(1255),  Khmrk  I S.  305:  Freising  Stadtr.  Buch  (1328)  69.  Maurer  S.  319. 

9)  Glogau  Rechtsb.  (1386)520.  Wassersehleben  KQu.  S.  63.  Während 
Kudurft.  KrcliHstellutig  der  Oiiste  13 


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194 


für  die  Weiterverhandlung,  wenn  kurzfristige  Aussetzung  erfolgt 
ist1),  sei  es  für  rasche  Erfüllung  des  gastgerichtlichen  Urteils2), 
erfolgt  wie  im  gewöhnlichen  Verfahren;  doch  darf  der  Gast  sich 
im  letztgenannten  Falle  rascher  aus  der  Sicherheit  befriedigen. 

in  Glogau  der  obsiegende  Gast  sieh  ohne  Weiteres  entfernen  darf,  muß  er 
in  Dortmund  Lat.  Stat.  ( 1 254 — 1 256)  34,  Frcnsdorff  S.  36,  Bürgen  dafür 
setzen,  daß  er  die  Leistung  des  verurteilten  Bürgers  in  Empfang  nehmen 
werde. 

l)  Koblenz  altes  Gerichtab.  (1366—1424)  19,  B8r  S.  93. 

*)  Dortmund,  oben  S.  193  Anm.  8;  Magdeb.  Fragen  II.  2 d.  14  und 
17,  Behrend  S.  164  bzw.  166:  alphab.  Samml.  Magdeb.  Schöffensprüche 
Kap.  147,  Wasserschlehen  S.  30. 


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Abkürzungen  für  mehrfach  gebrauchte  Literatur- 
und  Quellenwerke 


Ann.  d.  bist,  Ver.  f.  d.  Nicderrh.  = Annalen  des  historischen  Vereins 
für  den  Niederrhein.  Köln.  1835  ff. 

Arnst.  U.  B.  — Urkundenbach  der  Stadt  Arnstadt  704  — 1495.  Von  C.  A. 

H.  Burkhard!.  Thür.  Gesell.  Quellen,  Band  IV.  Jena.  1883. 
Auer  — Kr.  Auer.  Pas  Stadtrecht  von  München.  München.  1840. 

Bär  = M.  Bür.  Urkunden  und  Akten  zur  Geschichte  der  Verfassung  und 
Verwaltung  von  Coblenz.  Publikationen  der  Gesellschaft  für 
Rheinische  Ueschichtskunde,  Baud  17.  Bonn  a.  Kh.  1898. 
lt ehrend  =-  .1.  K.  Kehrend.  Die  Magdeburger  Fragen.  Berlin.  1865. 
Kehrend  Urt.  B.  = J.  F.  Behrend.  Ein  Stendaler  Urteilsbuch  aus  dom 
14.  Jahrhundert.  Berlin.  1868. 

Below  = G.  v.  Below.  Der  Ursprung  der  deutschen  Stadtverfassung. 
Düsseldorf.  1892. 

Ben  necke  = H.  Bennecke.  Zur  Geschichte  des  deutschen  Strafprozesses. 
Marburg.  1886. 

lind  in  an  = Fr.  Jos.  Bodman.  Kheinganische  Altertümer.  Mainz.  1819. 
Böhme  = J.  E.  Böhme.  Diplomatische  Bey  trüge  zur  Untersuchung  der 
schlesischen  liechte  und  Geschichte.  Berlin.  1770  ff. 

Böhmer  acta  — J.  Fr.  Böhmer.  Acta  imperii  seleeta.  Innsbruck.  1870  ff. 
Böhmer  l\  B.  = .1.  F.  Böhmer.  Codex  diplomaticus  Moenofrancfortanus. 

Band  I (2.  Aull,  von  I.au).  Frankfurt  a/M.  1901. 

Brunner  = II.  Brunner.  Deutsche  Rechtsgeschichte.  Leipzig.  1887  ff. 
v.  Bunge  = F.  G.  v.  Bunge.  Die  Stadt  Riga  im  13.  und  14.  Jahrhundert. 
Leipzig.  1878. 

Ilii r in o ist. er  I1A.  = C.  C.  H.  Bnrmcister.  Alterthüiner  des  Wismarseben 
Stadtrechts.  Hamburg.  1838. 

Bnrmcister  Bürgerspr.  = C.  C.  H.  Burmeistor.  Die  Bürgersprachen  . . . 
der  Stadt  Wismar.  Wismar.  1840. 

Calmet  — A.  Caliuet.  Histoire  ccclesiastique  et  civilo  de  Lorraine 
Zweite  Aull.  Nancy.  1745  ff. 


13* 


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1% 


Cassel  — Sammlung  ungedruckter  Urkunden.  Von  J. Ph. Cassel  Bremen.  1768. 
Cliron.  d.  deutsch.  St.  = K.  Hegel,  hie  Chroniken  der  deutschen  Städte. 
Leipzig.  18621V. 

Daniels  = A.  v.  Daniels.  Dat  buk  wichheldc  recht.  Nach  der  Berliner 
Handschrift  von  1369.  Berlin.  18.53. 

Daniels  Gl.  = Bcchtsdenkinäler  des  deutschen  Mittelalters.  Heraiisgeg. 

von  A.  v.  Daniels  usw.  Berlin.  1858  IT.  I. 

Deut  sch  enspicgel  — Der  Spiegel  deutscher  Leute.  Herausgeg.  von 
J.  v.  Ficker.  Innsbruck.  1859. 

Duebner  Stadt epriv.  = R.  Doebner.  Die  Städteprivilegien  Herzog  Otto 
des  Kiudes  u.  die  ältesten  Statuten  der  Stadt  Hannover.  Hanno- 
ver. 1882. 

Doebner  U.  B.  = Urkuudenbuch  der  Stadt  Hildesheim.  Von  R.  Doebner. 
Ilildcshcim.  1881  ff. 

Dreyer  = .1.  C.  II.  Drever.  Hey  träge  zur  Litteratur  und  Geschichte  des 
tcuLschcn  Rechts.  Lübeck  u.  Leipzig.  1783. 

Khinck  — Bremisches  Urkundenbucb.  Im  Aufträge  des  Senats  von  D.  R. 

Ehmck  und  W.  v.  Hippen.  Bremen.  18731V. 

Endemann  = H.  E.  Endemann.  Das  Keyser recht.  Cassel.  1846. 

En  neu  = I..  Knncn  und  G.  Eckertz.  Quellen  zur  (ieschichte  der  Stadt 
Köln.  Köln.  1860  IT. 

Er liii sch  *=  H.  Ermisch.  Das  Freiberger  Stadtrecht.  Leipzig.  1889. 

Eid i ein  = E.  Fidicin.  Historisch- Diplomatische  Beiträge  zur  Geschichte 
der  Stadt  Berlin.  Berlin.  1837  ff. 

Foerstemann  N.  M.  = K.  E.  Foerstemann.  Neue  Mittheiluiigen  aus  dem 
Gebiete  historisch-antiquarischer  Forschungen.  Halle.  1834  ff. 
Foerstemann  Urk.  G.  = E.  G.  Foerstemann.  Urkundliche  Geschichte  der 
Stadt  Nordhausen.  Halle.  1827  ff. 

Franklin  = O.  Franklin.  Das  Reichshofgericht  im  Mittelalter.  Weimar.  1867  ff. 
Frensdorff  — Dortmunder  Statuten  und  Urteile.  Von  F.  FrensdorlL 
Hansische  Geschichtsquellen,  herausg.  vom  Verein  für  Hansisch«* 
Geschichte,  Band  3.  Halle.  1882. 

Gadebusch  — Matthaeus  v.  Normanns  Wendisch  - Kügiaoiseher  Land- 
gebrauch.  Herausgeg.  von  Th.  H.  Gadebusch.  Stralsund  und 
Leipzig.  1777. 

Gaupp  Schics.  L.  = E.  Th.  Gaupp.  Das  Schics.  Landrecht.  Leipzig.  1828. 
Gau  pp  St.  R.  = E.  Th.  Gaupp.  Deutsche  Stadtrechte  des  Mittelalters. 
Breslau.  1851  ff. 

Gen  gl  er  RA.  — H.  G.  Gen  gier.  Deutsche  Stadtrecht  saltertümer.  Erlangen. 
1882. 

Gengier  Cod.  = H.  G.  Geiiglcr.  Codex  iuris  municipalis  uiedii  aevi. 
Erlangen.  1863. 

Gen  gl«*  r St.  1L  — Deutsche  Stadtrechte  des  Mittelalters.  Erlangen.  1852. 
Gicrke  — t).  < Merke.  Das  deutsche  Gciiossoiiscliaftsrccbt.  Berlin.  1868  IV. 


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197 


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Goschen  — 0.  Göschen.  Die  Goslarischen  Statuten.  Berlin.  1840. 

Gosl.  U.  R = Urkundenbuch  der  Stadt  Goslar.  Von  G.  Bode.  Geschieht«- 
quellen  der  Provinz  Sachsen,  Band  29 — 31.  Halle.  1892  ff. 
Grimm  = Weistnmer.  Gesammelt  von  J.  Grimm.  Göttingen.  1840  ff. 
Guden us  = V.  F.  de  Gudenus.  Codex  diplomaticus  exhibens  aneedota 
Moguntiaca.  Göttingen.  1743  ff. 

Günther  = W.  Günther.  Godcx  diplomaticus  Khcno-Mosellanns.  Goblenz. 
18221V. 

Mach  — J.  F.  Hach.  Das  alte  Liibischc  Hecht.  Lübeck.  1839. 
Hagedorn  = A.  Hagedorn.  Verfassnngsgeschichtc  der  Stadt  Magdeburg, 
in:  Geschichtsblätter  für  Stadt  und  Land  Magdeburg.  Band  20. 
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Haiberst.  V.  B.  *=  l’rkundcnbuch  der  Stadt  Halberstadt.  Von  G.  Schmidt. 

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Hann.  U.  B.  — Urkundenbuch  der  Stadt  Hannover.  Herausgeg.  von  K.  L. 
Grotefend  u.  a.  Hannover.  1860. 

Hänselmanu  = Urkuiideiibuch  der  Stadt  Braunschweig.  1 m Aufträge  der 
Stadtbehörden.  Von  L.  Hänselmanu.  Rraunschwcig.  1873  ff. 
Hans.  G esch.  Bl.  — Hansische  Geschichtsblätter.  Herausgeg.  vom  Verein 
für  hansische  Geschichte.  Leipzig.  1871  ff. 

Hans.  I’.  B.  = Hansisches  Urkundenbuch  Bd.  I — III.  Von  Konstantin 
Höhlbaum.  Herausgeg.  vom  Verein  für  Hansische  Geschichte. 
Halle.  1871?  ff. 

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matica.  Hannover.  1734. 

Havem an n = W.  Havemann.  Geschichte  der  Lande  Braunschweig  und 
Lüneburg.  Göttingen.  1853  ff. 

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Held  mann  = K.  Heldmann.  Der  Kölngau  und  die  Givitas  Köln.  Halle 
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Herquet  -=r  Urkundenhuch  der  Stadt  Mühlhausen.  Von  Herquot.  Geschichts- 
(|Uellen  der  Provinz  Sachsen,  Band  3.  Halle  a.  S.  1874. 

Hertz  = G.  Hertz.  Hechtsverhältnisse  des  freien  Gesindes,  ln:  Gierke, 
Untersuchungen  zur  deutschen  Staats-  und  Rechtsgeschichte,  Band  6. 
Breslau.  1878/9. 

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München.  1859  ff. 

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198 


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Des  Sachsenspiegels  2.  Teil,  Band  2.  Berlin.  1844. 

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W.  v.  Hodenberg.  Hannover.  1855  ff. 

.1  äger  = l'rkundcnbuch  der  Stadt  Duderstadt.  Von  J.  Jäger.  Hildesheim.  1883 

Jahrb.  f.  Nat.  Ök.  = Jahrbücher  für  Nationalökonomie  und  Statistik. 
Herausgeg.  von  .1.  Conrad  u.  a.  Jena.  1863  ff. 

Jan  icke  — l'rkundcnbuch  des  Hochstifts  Hildesheim  und  seiner  Bischöfe. 
Von  K.  Janicke.  Leipzig.  1896  fl'. 

Keutgen  Urk.  = F.  Keutgcn.  Urkunden  zur  städtischen  Verfassungsgc- 
schichte.  Berlin.  1899. 

Keutgen  l'rspr.  = K,  Keutgen.  Untersuchungen  über  den  Ursprung  der 
deutschen  Stadtverfassung.  Leipzig.  1895. 

Knicke  = A.  Knicke.  Kin Wanderung  in  den  westfMisehen  Städten  bis  1400. 
Munster.  1893. 

Korn  = G.  Korn.  Breslauer  Urkuudenbuch.  Breslau.  1870. 

Kraut  = W.  Th.  Kraut.  Das  alte  Stadtrecht  von  Lüneburg.  Göttingen.  1846. 

Kries  — A.  v.  Kries.  Der  Beweis  im  Strafprozeß  des  Mittelalters.  Wei- 
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Kuchcnbecker  = J.  Ph.  Kuchenbrckcr.  Analeeta  Hassiaca.  Marburg.  1728ff. 

Kn  lins  = F.  J.  Kuhns.  Geschichte  der  Gerichtsverfassung  und  des  Pro- 
zesses in  der  Mark  Brandenburg.  Berlin.  1865  ff. 

Laband  = P.  Labaud.  Das  Magdeburg- Breslauer  systematische  Schöffen- 
recht aus  der  Mitte  des  14.  Jahrhunderts.  Berlin  1863. 

Laband  lttju.  — P.  Labaud.  Magdeburger  KcchtsijUellcn.  Berlin.  1869. 

Laband  verm.  Kl.  = P.  Labaud.  Die  vermögensrechtlichen  Klagen  nach 
den  sächsischen  Rcchtsijuellen  des  Mittelalters.  Berlin.  1869. 

Lacmnblct  = Th.  J.  Lacomblet.  Urkuudenbuch  für  die  Geschichte  des 
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Lappenberg  = J.  M.  Lappenberg,  llamburgische  Beehtsaltcrtniner.  Ham- 
burg. 1845. 

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der  Stadt  Köln  bis  zum  Jahre  1369.  Bonn.  1898. 

Leman  = C.  K.  Leuian.  Das  alte  Kulmisclie  liecht.  Berlin.  1838. 

Liescgaug  =•  K.  Liesegang.  Hecht  und  Verfassung  von  Hees,  in:  West- 
deutsche Zeitscbr.  f.  Geschichte  und  Kunst.  Krg.-Band  6.  Trier 
1890. 

Lön  ing  = H.  Löning.  Der  Heinigungseid  bei  Ungerichtsklagen.  Heidelberg 
1880. 

Lüb.  U.  B.  = Urkundenbuch  der  Stadt  Lübeck.  Herausgegeben  vom  Verein 
für  Lübeckische  Geschichte.  Lübeck.  1843  ff. 

Lünig  = Joh.  U'hr.  I.nnig.  Teutsches  Reichs-Archiv.  Leipzig.  1713' fl". 

Magd.  U.  B.  = l’rkundcnbuch  der  Stadt  Magdeburg.  Von  G.  Hertel.  Go- 
schichtsquellcn  der  Prov.  Sachsen.  Band  26 — 28.  Halle  a.  S. 
1892  fl". 


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1 !I9 


Maurer  — G.  L.  v.  Maurer.  Das  Stadt-  und  Landrechtsbuch  Ruprechts 
von  Freysing.  Stuttgart  und  Tübingen.  1839. 

Maurer  Städtcverf.  = U.  L.  v.  Maurer.  Geschichte  der  Städteverfassung 
in  Deutschland.  Erlangen.  18li9  IT. 

Meibom  = W.  v.  Meibom.  Das  deutsche  Pfandrecht.  Marburg.  18G7. 

Meinardus  — l'rkundenbuch  des  Stiftes  und  der  Stadt  Hameln.  His  1407. 

Von  0.  Meinardus.  Quellen  und  Darstellungen  zur  Geschichte 
Niedersachsens,  Band  2.  Hannover.  1887. 

Me  kl.  1’.  B.  = Meklenburgisches  Urkundenbuch.  Herausgeg.  von  dem  Verein 
f.  Meklenburgisclie  Geschichte  u.  Altertumskunde.  Schwerin.  1863  ff. 

Meurisse  = M.  Meurisse.  llistoirc  des  eveques  de  l’eglise  de  Metz.  Metz. 
1G34. 

MG  DD  (bezw.  LL  bezw.  SS)  = Monumente  Uorinaniae  Historien.  Abteilung 
Diplomata,  bezw.  Leges,  bezw.  Scriptorcs. 

Mittelrh.  U.  B.  — l'rkundenbuch  zur  Geschichte  der  Mittelrheiniseheu 
Territorien.  Von  H.  Beyer  usw.  Koblenz.  1860  ff. 

Mnu.  Bo.  — Monumenta  Boica.  Edidit  Academia  Scicntiarum  Boica.  München. 
1763  ff. 

Mnsebeck  — E.  Müsobcck.  Die  Benediktinerabtei  St.  Arnulf  vor  Metz, 
in:  Jahrbuch  des  Vereins  für  lothring.  Geschichte  u.  Altertums- 
kunde. Band  13.  Metz.  1901. 

Napiersky  = L.  Napiersky.  Die  Quellen  des  Kigischen  Stadtrechts  bis 
zum  Jahre  1673.  Riga.  1876. 

Nass.  U.  B.  — Nassauisches  L'rkundenbuch.  Herausgeg.  von  K.  Menzel  und 
W.  Saner.  Wiesbaden.  1885  ff. 

Niesert  ü.  B.  — J.  Nicsert.  Beiträge  zu  einem  Münsterischen  ITrkundcn- 
buch.  Münster.  1823  ff. 

Nicsert  U.  S.  = J.  Niesert.  Münsterische  Urkundonsammlung.  Crefeld. 
1826  ff. 

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Philippi  = F.  Philippi.  Zur  Verfassungsgeschichte  der  westfälischen 
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Planck  = Das  deutsche  Gerichtsverfahren  im  Mittelalter.  Nach  dem 
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Rietschel  = S.  Rietschel.  Markt  und  Stadt  in  ihrem  rechtlichen  Verhältnis. 
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Berlin.  1857. 

Kollier  = E.  F.  Kölilcr.  Deutsche  Rechtsdonkmäler  aus  Rühmen  und 
Mähren.  Prag.  1845 IV. 

Rosenthal  = E.  Rosenthal.  Zur  Rechtsgeschichte  der  Städte  Laudshut 
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Sachsse  — 0.  R.  Sacbsse.  Das  Beweisverfahren  nach  deutschem  Rechte. 
Erlangen.  1855. 

Schmidt  = Urkundenbuch  der  Stadt  Güttingen.  Von  G.  Schmidt.  Urkunden- 
buch des  histor.  Vereins  f.  Niedersachsen.  Band  6 und  7.  Hannover. 
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Schmidt  U.  B.  — Urkundenbuch  der  Stifter  S.  Bonifacii  und  S.  Pauli  zu 
Halberstadt,  ßeschichtsqnellen  der  Provinz  Sachsen,  Band  13. 
Halle  a.  S.  1881. 

Schröder  = R.  Schröder.  Lehrbuch  der  deutschen  Rechtsgeschichte.  Leipzig. 
4.  Aull.  1902. 

Schwabenspiegel  = Der  Schwabenapiegul.  Herausg.  v.  F.  L.  A.  v.  Laß- 
berg. Tübingen.  1840. 

Secliger  = G.  Seeliger.  Die  soziale  und  jiolitische  Bedeutung  der  Grund- 
herrschaft im  früheren  Mittelalter,  in:  Abhandlungen  der  phil.  u. 
hist.  Klasse  d.  Kgl.  Sächs.  Gesellschaft  d.  Wissenschaften.  Band  22 
No.  1.  Leipzig.  1903. 

Seibertz  = .1.  S.  Seibertz.  Urkundenbuch  zur  Landes-  und  Rechtsgeschichte 
des  Herzogtums  Westfalen.  Arnsberg.  1839  ff. 

Sei.  an.  = H.  Chr.  de  Senckenberg.  Selecta  iuris  et  historiarum  aneedota. 
Frankfurt  a.  M.  1732  IT. 

Siegel  — H.  Siegel.  Die  Gefahr  vor  Gericht  und  im  Rechtsgang.  Wien.  1866. 
Simon  = R.  .1.  Simon.  Iuris  Saxoniei  medii  aevi  de  foro  coinpctenti  prac- 
cepta.  Königsberg.  1867. 

SLdll  = Des  Sachsenspiegels  Erster  Teil  oder  das  Sächsische  Landrecht. 

Herausg.  von  G.  Hoineyer.  Berlin.  3.  Ausgabe.  1861. 

Stein  — Akten  zur  Geschichte  der  Verfassung  und  Verwaltung  der  Stadt 
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Stobbe  Beitr.  — 0.  Stobbe.  Beiträge  zur  Geschichte  des  deutschen  Rechts. 
Braunschweig.  18G5. 

Stobbe  Gerichtsst.  »=-  0.  Stobbe.  Die  Grundsätze  der  dentsehen  liechts- 
quellcn  des  M.  A.  über  den  Gerichtsstand,  in:  Jahrbuch  des  gern. 
Deutschen  Rechts.  Leipzig.  Band  1 S.  427  ff. 

Stobbe  Yertr.  = 0.  Stobbe.  Zur  Geschichte  des  deutschen  Vertrags- 
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Stolze  Th.  Stolze.  Die  Entstehung  des  Gästerechts  in  den  deutschen 
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Strals.  Vcrf.  B.  — O.  Francke.  l>us  Verfestungsbuch  der  Stadt  Stralsund. 

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Tcschcnmachcr  W.  Teschenmachor.  Annales  Clivie  Juliae  usw.  Codice 
Diplomatico  illuatravit.  Frankfurt  und  Leipzig.  1721. 

Thorscn  P.  G.  Thorscn.  Die  dem  jütischen  Low  verwandten  Stadtrechte. 
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Vaterl.  Arch.  Vaterländisches  Archiv  des  historischen  Vereins  für 
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Voigt  J.  Voigt.  Geschichte  Marienburgs.  Königsberg.  1824. 

Wach  Der  Arrestprozell  in  seiner  geschichtlichen  Entwicklung.  Von  A. 
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Waitz  G.  Waitz.  Deutsche  Verfassungsgcschichtc.  Kiel.  18801T. 
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Walch  Fr.  Walch.  Vermischte  Beiträge  zu  dein  deutschen  Recht. 

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Wilmanns  — Westfälisches  Urkundenbuch , Band  111.  Von  lt.  Wilmanns. 
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Winter  = G.  Winter.  Das  Wiener  - Neustädter  Stadtrecht  des  13.  Jahr- 
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Wirt.  ü.  B.  Wirtembcrgisclies  L'rkundenbuch.  Von  dem  Kön.  Staatsarchiv 
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Wolf  J.  Wolf.  Geschichte  und  Beschreibung  der  Stadt  Heiligenstndt. 
Göttingen.  1800. 

Woltors  — A.  Wolters.  Das  Stadtrecht  von  Wesel,  in:  Zeitschrift  des 
Bergischen  Geschichtsvereins,  herausgeg.  von  K.  Routcrwck  u.  a. 
Band  4.  Bonn.  1867. 

Zeitschr.  d.  hist.  V.  f.  Nicdcrs.  — Zeitschrift  des  historischen  Vereins 
für  Niedersachsen.  Hannover.  1850  ff. 

Zöpfl  — G.  Zöpfl.  Das  alte  Bamberger  liecht.  Heidelberg.  1839. 

ZRG  - Zeitschrift  für  Rechtsgeschichte,  begründet  von  A.  F.  Kndorff  u.  a. 

(seit  Band  14  unter  dem  Titel:  Zeitschrift  der  Snvignystiftiuig  für 
Rechtsgeschichte,  germ.  Abt.).  Weimar.  1861  ff. 


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Berichtigungen 

Seite  1 Zeile  20  uml  2ö  statt  „Krust*  lies:  Kruft. 

Seite  47  Zeile  10  statt  „außerordentlicher“  lies:  besonderer. 

Seite  73  Zeile  l.r»  statt  „Aber"  lies:  Jlcnn. 

Seile  7(>  Zeile  '25  statt  „bandbarie*  lies:  bandbafter. 

Seite  ÜO  Zeile  17  statt  „ordentlichen"  lies:  allgemeinen. 

Seite  !I2  Zeile  31)  statt  „werden“  lies:  worden. 

Seite  1)5  Zeile  28  statt  „ist  nicht*  lies:  ist  wenigstens  fiir  die  meisten 
Kälte  nicht. 

Seite  1)7  Zeile  21  statt  „auch  dem"  lies;  auch  durchweg  dein. 

Seite  107  Zeile  ti  statt  *htredati*  lies:  kertditoti. 

Seite  14ti  Zeile  2<>  statt  „weiß“  lies:  nichts  weiß. 

Seite  147  Zeile  11  statt  „wies"  lies:  wie. 


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Verlag  von  M.  & H.  Marcus  in  Breslau,  Kaiser  Wilhelmstr.  8 


Abhandlungen 

aus  dem 

Staats-  und  Verwaltungsrecht 

mit  Einschluss  des  Kolonialrechts 

ln  zwanglosen  Herten  hurausgegeben  von 

Dr.  Siegfried  Brie  Dr.  Max  Fleiachinann 

ord.  Professor  an  der  Universität  Breslau  l'rlvatdoient  an  der  Universität  Halle 

1.  Flclsclunann,  Max:  Der  Weg  der  Gesetzgebung  in  Preuasen  . . 3,G0  Mk. 

2.  Olatzer,  Felix:  Das  Hecht  der  provisorischen  Gesetzgebung  in  Sonderheit 

nach  preussischem  Staatsrecht.  Ein  Beitrag  zur  Lehre  von  Gesetz  und  Ver- 
ordnung   3,50  Mk. 

3.  Posener,  Paul:  Das  Deutsche  Keichsrccht  im  Verhältnis  zum  Landesrechte. 
Eine  geschichtliche  und  dogmatische  Entwicklung  des  Grunddsatzcs,  dass 
„die  Bcichsgesetze  den  Landosgcsctzen  Vorgehen“  (RY.  a.  2),  unter  ein- 
gehender Berücksichtigung  der  modernen  bürgerlichen  Gesetzgebung  5,—  Mk. 

4.  Stelnltz,  Julius:  DispensationsbcgrifT  und  Dispensationsgewalt  auf  dem 

Gebiete  des  Deutschen  Staatsrechts 2,60  Mk. 

5.  Hamburger,  Georg:  Die  staatsrechtlichen  Besonderheiten  der  Stellung  des 

Reichslandes  Elsass-Lotliringen  im  Deutschen  Reiche 3,20  Mk. 

6.  Freund , Isinar : Die  Regentschaft  nach  preussischem  Staatsrecht:  unter 

Berücksichtigung  der  in  den  übrigen  deutschen  Bundesstaaten  geltenden 
Rechte 3,80  Mk, 

7.  Bahrfeldt,  Max:  Der  Verlust  der  Staatsangehörigkeit  durch  Naturalisation 

und  durch  Aufenthalt  im  Auslande  nach  geltendem  deutschem  und  franzö- 
sischem Staatsrechte 2, — Mk. 

8.  v.  Poser  und  Gross.Jiaedlitz,  Victor:  Die  rechtliche  Stellung  der  deutschen 

Schutzgebiete . 2,40  Mk. 

9.  Fleischer,  Max : Die  Zuständigkeit  des  deutschen  Bundesrates  für  Erledigung 

von  öffentlichrechtlichen  Streitigkeiten 3,60  Mk. 

10.  Kless,  Alfons:  Die  Mitwirkung  der  gesetzgebenden  Körperschaften  hei 

Staatsverträgen  nach  deutschem  Staatsrechte 3.—  Mk 

11.  Kless,  Gurt:  Auswärtige  Hoheitsrechte  der  deutschen  Einzelstaatcn  2,40  Mk. 

12.  Wiese,  Wilhelm:  Verfassungsänderungen  nach  Reichsrceht  . . 2,40  Mk. 

13.  Schreiber,  Karl:  Die  Beteiligung  des  Staates  au  den  Volksschiillasten  ui 

PrcuUen 1,60  Mk. 


A.  Kavorke,  vuiiu.  Kduitrd  Tr«wcndf«  Buclidnicktrd,  Breslau 


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UNIV.  OF  MICH. 

BINDER  Y 


JAN  2 5 1939