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Full text of "Zwei Jahre bei den Indianern nordwest-Brasiliens"

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Zwei Jahre bei 
den Indianern 

Nordwest-Br... 




Theodor 




Koch-Grünberg 



ZWEI JAHRE BEI DEN INDIANERN 
NORDWEST-BRASILIENS 



1 



AMMOUAIIAAT 

C PJ VAN DER PEET 

m iriicutl»AAr 
AMSTERDAM 



I 

THEODOR KOCH-GRÜNBERG 



ZWEI JAHRE 
BEI DEN INDIANERN 
NORD WEST- 
BRASILIENS 




19 2 1 

STRECKER UND SCHRÖDER 
VERLAG IN STUTTGART 



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- t ■ 

Dieses Buch wurde gedruckt bei Strecker und Schröder 
in Stuttgart / Die Einbandzeichnung ist von Hermann 
Blank / Die übrigen Zeichnungen sind von Hanns 
Anker, Hermann Dengler, Wilhelm von den Steinen, 
dem Verfasser und den Indianern 



Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen (auch ins 

Ungarische) vorbehalten 

Copyright by Strecker und Schröder, Verlag, in Stuttgart 



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Vorwort 

Dieses Buch ist die Überarbeitung eines zweibändigen Werkes, 
das 1909/10 unter dem Titel »Zwei Jahre unter den Indianern" er- 
schien und die Hauptergebnisse einer völkerkundlichen Forschungs- 
reise in den Grenzgebieten zwischen Brasilien und Kolumbien, 1903 bis 
1905, behandelt. Die gemeinverständliche Form der Reise Schilderung 
ist gewählt, damit der Leser gewissermaßen aus eigener Anschauung 
daß Leben der Eingeborenen kennenlernt und im Verlauf der Reise 
selbst seine Erfahrungen sammeln kann. 

Nur zu leicht ist der Laie geneigt, auf die .Wilden" verächtlich 
herabzusehen, weil sie nackt gehen und eine andere Hautfarbe haben. 
Die folgenden Schilderungen sollen dazu beitragen, diese Vorurteile zu 
beseitigen und weitere Kreise einer gerechten Beurteilung der Indianer 
näherzubringen. Ohne ihre Unterstützung und Treue in oft gefähr- 
lichen Lebenslagen wäre die Reise unmöglich gewesen oder hätte ein 
plötzliches Ende gefunden. 

Die Karte stützt sich auf die neuesten Forschungen. Infolge der 
Ungunst der Zeiten konnten nur verhältnismäßig wenige Bilder bei- 
gefügt werden. Dieses Buch ist ausdrücklich für einen weiteren Leser- 
kreis bestimmt. Wer über die hier behandelten Indianer wissen- 
schaftlich arbeiten will, muß deshalb zur ersten reich illustrierten 
Auflage greifen. 

Stuttgart, Februar 1921. 

Theodor Koch-Grünberg 



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Inhaltsverzeichnis 

Ka P itc ' Seils 

Vorwort VTT 

Verzeichnis der Tafeln, Textabbildungen und Karte IX 

I Auf dem Rio Negro bis Trindade 1 

II Durch die Stromschnellen des Rio Negro 12 

III Hi-i den Bani wa-Stamincn am Hin Issana 19 

IV Zu den Huhuteni- und Sinai-Indianern - - 30 

V In Cururu-cuara 38 

VI Tanzfest in Atiaru 52 

VII Jagdwaffen und Jagd am Aiary 58 

VI II Die Kaua-Indianer und ihre MaskentSnzc 67 

IX über Land zum Caiary-Uaupes 88 

X Krankheit, Tod, Begräbnis. Hochzeit bei den Siusj-lndiaueni ... 97 

XI Zurück nach Silo Felippe 123 

XII Auf dem Rio Curicuriary 135 

XIII B.-i den Ttikano- und Pcsana-Indianern IM 

XIV Bei den Tuyuka- und Bara-Indianern 195 

XV An der Pary-Cachoeira und zurück nach Sao Felippe 215 

XVI Bis Yauarete 226 

X .11 Fischfang und Kischcreigerät 243 

XVIII Ks gibt keine Hölle für die Cachoeirafahrer 256 

XIX Ins t^uellgehict des Caiary-Uaupes. Die l'niana 273 

XX Die Knlieiin-Indiaiier und ihre Maskcntnn/.e 298 

XXI Feldbau und Industrie 333 

1. Anbau und Verarbeitung der Maniok 333 

2. Flechten und Wehen 338 

3. Töpferei 344 

4. Hausschmuek 349 

XXII Zum Rio Negro und nach Sao Felippe 352 

XXIII Nochmals ins Quellgebiet des Tiquie 360 

XXIV Bei den Indianern am Rio Apaporis 368 

XXV Zum Amazone tistrom und heimwärts 396 

Erklärung fremder Ausdrücke 4Üü 

Namen- und Sachregister 407 



Verzeichnis der Tafeln, Textabbildungen und Karte 

Nr. Tafeln Sejte 

I Weihnachtslager 1 

II Maloka der Kaua-Indianer. Rio Aiary 32 

III Innenraum einer Maloka 80 

IV Umzug der Maskentfinzer. Rio Aiary 112 



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X Verzeichnis der Tafeln und Textabbildungen 

Nr. Seite 

V Signaltrommel der Tukanu-Indianer. Rio Tiquie 144 

VI Tuyuka-Indianer in vollem Tanzschmuck. Rio Tiquie . . 176 

VII Tukano-Indianer mit Tanzschild und Rassellanze. Rio Tiquie .... 208 

VIH Yurupary-Fall. Rio Caiary-Uaupes 240 

IX Hianakoto-Indianer mit Bastgürteln. Rio Macaya 288 

X 1. Kobeua-Indianerin mit Säugling in der Tragbinde 

2. Kobcua-Kind im Hängestöhlchen. Rio Caiary-Uaupes 

3. Siusi-Knabcn. Rio Aiary 320 

XI Makuna-Indianer mit Giftlanzen. Yabahana-Indianer mit Blasrohr und 

Giftpfeilköcher. Rio Apaporis 884 

XII Maskentänzer der Opaina-Indianer. Rio Apaporis 400 



Zeichnung auf der Buchdecke, Vorderseite: Maskentanz des Waldgeistes Makukö 
bei den Kobeua-Indianern. Rio Cuduiary; Rückseite: Wassertopf mit 
Bemalung. Rio Issana. 

Zeichnung auf dem Titelblatt: Yurupary-Tänzer der Tuyuka-Indianer mit großer 
Flöte nnd Schmuckkamm. Unter die Hüftschnur sind Zweige mit wohl- 
riechenden Blattern geklemmt. Rio Tiquie. 



Abbildungen 

Xr. S«Ue 
Bodenmuster einer Tonschale. Rio Issana XII 

1 Flnßdampfer auf dem Rio Negro. Bleistiftzeichnung eines Miriti- Indianers. 
Rio Tiquie. (Aus: Koch-Grünberg, Anfänge der Kunst im Urwald. 
Berlin-Stuttgart. Taf. 44, Fig. b.) 1 

2 Christliche Kapelle aus der Missionszeit. Schwarze Malerei auf einem Tanz- 
stab der Koroa-Indianer. Rio Cuduiary 11 

8 Randmuster einer Tonschale. Rio Issana 12 

4 Arara. Schwarze Malerei auf einem Tongefäß. Kio lssaua 18 

5 Tongefäße, zwei Wassertöpfe und eine Schale, mit roter Bemalung. Rio 
Issana. Etwa V» n at - l » r 19 

6 Backherd der Katapolitani-Indiauer mit Ritzmustern. Rio Issana. Etwa 

'/»• nat. Gr 2» 

7 Kaua-Indianer, mit Bogen und Fischpfeil schießend. Rio Aiary .... 30 

8 Bodenmustor einer Tonschale. Rio Issana 37 

y Neubaugerüst einer Maloka (Gemeindehaus) der Indianer am Rio Aiary 

und Rio Caiary-Uaupes 38 

10 Großer Topf ftlr Kaschiri (berauschendes Getränk), mit Lianen umschnürt. 
Kio Aiary. *Etwa V.« nat. Gr 51 



1 1 Tanzfest in einer Maloka. Durch den offenen Eingang des an der Vorder- 
wand buntbemalten Hauses sieht man im Innern tanzende Indianer mit 
Galafederschmuck und bemaltem Oberkörper. Der vordere Tänzer trägt 
in der Hand einen bemalten Tanzstab, mit dem er anscheinend auf den 
Boden stampft. Außen rechts vom Haus erblicken wir eine Frau mit be- 
maltem Oberkörper, links zwei weitere Festteilnehmer, von denen der eine 
zum Zeichen des Beginns des Tanzes mit einem Stock wider die Haus- 
wand schlägt. Bleistiftzeichnung eines Kobeua-Indianers. Rio Cuduiary. 
(Aus: Koch-Grün berg, Anfänge der Kunst, Taf. 48, Fig. a.) . . .*. 52 



12 Tabakpresse der Kaua-Indianer. Rio Aiary. V» nat. Gr 57 

13 Kaua-Indianer, mit dem Blasrohr schießend. Zwischen den Beinen hält 

er den Köcher. Rio Aiary 58 

14 Bogen- und Pfeilhaltung bei den Indianern Nordwest-Brasiliens .... 66 



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Verzeichnis der Textabbildungen XI 

St. Seite 

15 Maskentänzer. Vou links nach rechts: Papagei mit Tnnzstoek, Eule 
(Maskeukopf)* Jaguar mit Heulrohr in Resonanztopf. Bleistiftzeichnung 
eines Kaua-Indianers. Rio Aiary 67 

16 Handhabung des Brummkreisels. Rio Aiary. Etwa */» nat. Gr 87 

17 Giftpfeile für Bogen, links der Umaua- und Kobeua-Indianer; rechts der 
Siusi-Indianer. Etwa '/» nat. Gr 88 

18 Sitzschemel vom Rio Caiary-Uaupcs. Schwarze Bemalung auf rotem Grund. 
Etwa Vi» nat, Gr 96 

19 Ritzzeichnung auf einer Zauberrassel der Kobeua-Indianer. Rio Caiary- 
Uaupes 97 

20 Bodenmuster einer Tonschale. Rio Issana 122 

21 Blasrohre. Links: Blasrohr und Wischstock vom Issana- Aiary; rechts: 
Blasrohr aus dem Yapura-Gebiet. Etwa '/« n » t - ö r 123 

22 Felszeichnung vom Rio Aiary : Geflechtsmuster. (Aus: Koch-Grünberg, 
Südamerikanische Felszeichnungen. Berlin-Stuttgart 1907. Taf. 4, Fig. a.) 134 

23 Taubenfalle. Links: Falle, zum Fang gespannt; rechts: Taube in der 
Falle. Rio Caiary-Uaupes und Rio Curicuriary 135 

24 Wandmalerei an einer Tukano-Maloka. Rio Tiquie 153 

25 Lappenbaum. Rio Caiary-Uaupes 154 

26 Signaltrommel der Tukano-Indianer. Rio Tiqui£. Etwa '/<• nat - Gr. . . 194 

27 Yurupary-Fest bei den Tuyuka-Indianern. Die Waldfrflchtc werden unter 
Musik eingebracht. Rio Tiquie 195 

28 Schnupfgerätc der Indianer am obere n Tiquie und Rio Apaporis, '/i nat. Gr. 214 

29 Yuruparv-Tänzer der Tuvuka-Indianer mit Trompete und Schmuckkamm. 

Rio Tiqui£ ." 215 

30 Tongefäß für den Zaubertrank Kaapi mit Kredenzkalabassen. Rio Tiquie. 

7r nat. Gr 225 

31 Indianer betrachten Photographien. Kio Caiary-Uaupes 226 

32 Tube aus Palmnuü für dunkelrote Carayuru-Farbe zur Körperbemal ung. 
Rio Tiquie. »/• nat. Gr 242 



33 Fischfang. In der Mitte eine Kakuri-Fallc, auf die verschiedenartige Fische 
zuschwimmen. Links Fischer im Kanu mit dreieckigem Silberschmuck 
auf der Brust, der mit künstlichem Köder einen Tucunare angelt; rechts 
ein anderer Fischer im Kanu, der während des Angel ns von zwei Wespen 
überfallen und gestochen wird. Blut rinnt herab. Entsetzt schaut er sich 
nach seinen Plagegeistern um und kratzt sich an dem verletzten Knie. 
Neben ihm steht ein Knabe im Wasser (das von dem Zeichner als selbst- 
verständlich weggelassen ist) und wirft einen gefangenen Fisch ins Boot, 
während er einen anderen Fisch in der Hand hält. Am Boot hängt das 
Ruder mit breitem, rundem Blatt In beiden Booten sieht man die Huder- 
bänke. Bleistiftzeichnung eines Kobeua-Indianers. Kio Cuduiary- (Aus : 



Koch-Grünberg, Anfange der Kunst, Taf. 45.) 248 

34 Fischfalle Kakuri. Links: Vorderansicht; rechts: Seitenansicht Oberer 

Rio Negro und Nebenflüsse 257 

35 Mehrfarbige Pfostenmalcreicn, Riesenschlangen, in der Desana-Maioka 
Matapy. Rio Caiary-Uaupes 258 

36 Mehrfarbige Pfostenmalerei, Riesenschlange, in der Uanana-Maloka Caruru. 

Rio Caiary-Uaupes 272 

37 Hianakoto-Indianer bemalen ihre Gürtelbinden 273 

38 Der Verfasser, in der Hängematte sitzend. Bleistiftzeichnung eines Koroa- 
Indiancrs. Rio Cuduiary. (Aus :Koch-Grünberg, Anfänge der Kunst, 
Taf. 42, Fig. a i.) 297 



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XII 



Verzeichnis der Textabbildungen und Karte 



Kr. 



Srito 



89 Maskentanz der Aracu-Fische bei den Kobeua-Indianern. Hio Cuduiary. 298 

40 Maskentänzer. Links: Schmetterling mit Trinkkalabasse, wider deren 
Hand er mit einem Stäbchen klopft; rechts: Waldgeist Makukö mit Rias- 
rohr (Tanzstab), Köcher und Affenfigur. Bleistiftzeichnung eines Kobeua- 
Indiancrs. Rio Cuduiary. (Aus: Koch-G rünberg, Anfänge der Kunst, 
Taf. 52, Fig. a und c.) ' 382 

41 Randmuster einer Tonschale. Rio Issana 333 

42 Großer Topf für Kaschiri. Rio Aiary. Etwa '/'« nat. Gr 337 

48 Randmuster einer Tonschalc. Rio Issaua 838 

44 Webstuhl zum Herstellen der dichten Hängematten. Oberer Rio Negro 

und Nebenflüsse 343 

45 Randmuster einer Tonschale. Rio Issana 344 

46 Wassertopf und Kalabasse auf Ständern. Rio Aiary und Rio Caiary-Uaupes. 
Etwa '/» nat. Gr 348 

47 Pfostenmalcreien in Häusern der Uauana und Uaiana, den Torso eines 
Mannes mit Galafederschmuck und Körperbemaluiig darstellend. Die 
Farben sind weiß und gelb auf dunkelrotem Grunde. Rio Caiary-Uaupes 849 

48 Vogelflgur, Tauchervogel Carara, aus Maiskolben und Maisblätteru ; Haus- 
schmuck. Rio Caiary-Uaupes 351 

49 Felszeichnung an der Stromschnelle von Caruru. Rio Caiary-Uaupes. (Aus : 
Koch-Gr Unberg, Südamerikanische Felszeichnungen, Taf. 20, Fig. b.) 352 

50 Maskentänzer, Dämonenpaar Kohäkö und Kohäko. Bleistiftzeichnung eines 
Kobeua-Indianers. Rio Cuduiary 359 

51 Links: Hauptlingsstab mit Federschmuck. Rio Tiquie; rechts: Hassellanze 

der Desana-Iudianer. Rio Tiquie. »/'• l,at - Gr 360 

52 Tukano-Iudianer mit roter Gesichtsbemalung. Hio Tiquie 367 

53 Maloka, Gemeindehaus, der Indianer am Hio Apaporis in Mauiokpflanzung 
unter I'upunyapalmcn 368 

54 Tanzmaske, böser Dämon, der Opaina-Iudianer. Hio Apaporis. Utwa 

nat. Gr 895 

55 Giftlanzen der Indianer am Hio Apaporis. Etwa '/« nat. Gr 396 

56 Signal instrument aus Ton mit roter Hemalung. Hio Apaporis. Etwa '/« 

nat. Gr 405 

Karte: IU-isewegc von Theodor Koeh-Grilnberg in N'ordwesi-Urasilien 1903—1905 




Tafel I 




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Menschea sind die Menschenkinder 
Aller Zeiten, aller Zonen, 
Ob sie anter BirkenbUschen, 
Ob sie anter Palmen wohnen. 

F.W.Weber, Dreizehnlinden. 

I. Kapitel 

Auf dem Rio Negro bis Trindade 

Einen ganzen Monat schon bin ich in Manaos, der für den Kaut- 
schukhandel bedeutendsten Stadt des inneren Amazonasgebietes. Hart 
an der Grenze des Unbekannten, am Rande des ewigen Urwaldes 
gelegen, bildet sie ein eigenartiges Gemisch von Zivilisation und Wild- 
heit, von Großstadt und Indianerdorf. 

Für den 27. Juni (1903) war die Abfahrt des Rio Negro-Dampfers 
festgesetzt, der mich bei dem hohen Wasserstande bis Trindade unter* 
halb der großen Stromschnellen bringen soll. Von einem auf den 
anderen Tag wird, treu der sprichwörtlichen brasilianischen „paciencia", 
die Reise verschoben. Endlich am 30. Juni wird es Ernst. Das 
Schiffchen hat die Ausfahrtsflagge aufgezogen. Um fünf Uhr abends 

Koch-Grünberg, Zwei Jahro bei den Indianern 1 



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2 



Leben auf dem Dampfer 



soll es losgehen — es wird den andern Morgen zwischen vier und 
fünf Uhr. 

Der Gouverneur des Staates Amazonas hat mich mit den besten 
Empfehlungen an alle Behörden des Rio Negro-Gebietes ausgestattet. 
Meine Ausrüstung habe ich in Man hos sehr vervollständigt und als 
Diener einen jungen Brasilianer gewonnen, Sohn deutscher Eltern, 
namens Otto Schmidt aus Victoria in Espiritu Santo. So sind alle 
Vorbedingungen erfüllt. 

Unser alter Radkasten „Solimöes" gehört dem großen Handels- 
haus Araujo Rozas & Co. in Manaos, das den Handel im Rio Negro- 
Gebiet fast ausschließlich beherrscht. Er ist mit Fracht überladen 
und geht Behr tief, was bei seiner Altersschwäche wenig vertrauen« 
erweckend ist. Wir Passagiere sind eine bunt zusammengewürfelte 
Gesellschaft: Eingeborene Brasilianer und Venezolaner, Spanier und 
Portugiesen, ein Korse und ein Syrer vom Libanon, Handelsleute vom 
oberen Fluß, die sich ein paar Wochen in Manaos aufgehalten haben, 
um Geschäfte abzuschließen und nebenbei etwas „Großstadtluft 44 zu 
atmen. Sie fuhren eine Menge Waren mit sich als Lohn für die 
Arbeiter in der kommenden Kautschukernte. Das Oberdeck, das zu- 
gleich die I. Kajüte verkörpert, ist bei diesen kleinen Flußdampfern 
überdacht, aber nach den Seiten offen und dient zugleich als Speise-, 
Rauch- und Schlafraum. Nachts hängt hier eine Hängematte neben 
der andern; denn in den dumpfen Kabinen zu schlafen, ist kein Genuß. 
Sie sind für einige Frauen und Kinder und das Handgepäck der 
Passagiere bestimmt. Moskiten gibt es am Rio Negro nur wenige, 
und wenn man nachts auch einmal vom Regen überrascht wird, man 
gewöhnt sich bald daran, kriecht unter die warme Decke und schläft 
weiter trotz Sturm und Ungewitter. Während wir in Manaos schon 
mitten in der Trockenzeit waren, haben wir bereits eine Tagereise 
flußaufwärts merkwürdigerweise eine ganz andere Jahreszeit und fast 
jede Nacht, häufig auch am Tage heftige Regengüsse, bisweilen echte 
wütende Tropenunwetter, von denen man sich in Europa keine rechte 
Vorstellung machen kann; ein unheimliches und zugleich großartiges 
Schauspiel. Die dichten Wände der Ufervegetation sind in der finsteren 
Nacht von ununterbrochenen Blitzen grell beleuchtet. Schmetternde 
Donnerschläge lassen das Schiff erzittern und finden ihren lange an- 
haltenden Widerhall in den Gründen des Urwaldes; dazu tobt der 
Sturm, und ein Regen gießt herab, den man eigentlich nicht mehr 
„Regen" nach unseren zahmen Begriffen nennen kann: der Himmel 
bricht zusammen. 



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Der untere Rio Negro 



Das Essen auf unserem Dampfer ist erträglich, doch spielen „Carne 
secca" (getrocknetes Salzfleisch) und geräucherter Pirarucu-Fisch in 
verschiedener Form der Zubereitung eine große — nach dreitägiger 
Fahrt die einzige — Holle. Die Fleischtöpfe von Manaos liegen hinter uns. 

Auch das „Zwischendeck", d. h. das Hinterdeck unter uns, ist 
stark besetzt. Uberall liegen die Leute in den kreuzweise überein- 
ander gespannten Hängematten, auf dem Gepäck und am Boden umher, 
in friedlicher Nachbarschaft des Proviantochsen. Unter ihnen befindet 
sich ein halbes Dutzend Indianer, Bare und Baniwa vom oberen Bio 
Negro, Bedienstete der Kajütpassagiere. Täglich treibe ich mit ihnen 
Sprachstudien bis zur gegenseitigen Ermüdung, ich glaube, zum Ent- 
setzen der meisten Passagiere, die lieber Tag und Nacht Hasard 
spielen. 

Die Fahrt auf dem unteren Bio Negro bietet viel Abwechslung, 
schon wegen der zahlreichen Ansiedlungen, die teils die hellen Häuschen 
der wenigen weißen Anwohner zeigen, teils die braunen Palmstroh- 
hütten der mehr oder weniger zivilisierten Indianerbevölkerung, die 
am ganzen Fluß überwiegt. Oft liegen wir stundenlang an kleinen 
Plätzen still, um Holz einzunehmen zur Heizung des Dampfkessels. 
Malerische Palmengruppen unterbrechen bisweilen die schöne Hoch- 
waldvegetation der Ufer; hohe Wände aus rötlichem Sandstein 
wechseln mit längeren Strecken flachen Landes, die das Hochwasser 
überschwemmt hat. Besonders das nördliche Ufer ist niedrig und der 
Überschwemmung ausgesetzt, weshalb sich auch auf dem südlichen 
höheren Ufer fast alle Niederlassungen befinden. Ohne bemerkens- 
werte Strömung, wie ein riesiger See, breitet sich die dunkle Flut 
aus. Zahlreiche Inseln verbergen das andere Ufer. Die Tierwelt ist 
außerordentlich arm; wenn das Wild 6ich von den Ufern zurück- 
zieht, und die Fische sich in dem überschwemmten Walde verlieren, 
sind die Bewohner bisweilen ernstlichen Nahrungssorgen ausgesetzt. 

Am frühen Morgen des 3. Juli laufen wir Moura an, die erste 
größere Ortschaft seit Manaos. Im Halbdunkel unterscheiden wir einige 
Häuschen und Hütten, in Reih und Glied am Ufer aufmarschiert. Wir 
befinden uns hier an klassischer Stelle. Gegenüber mündet der west- 
liche Arm des geheimnisvollen Rio Yauapery, des Schlupfwinkels der 
„Indios bravos", der „anthropophagos", vor denen einst sogar Manaos 
gezittert haben soll. Im Jahre 1875 überfielen sie plötzlich in zwölf 
großen Kanu6 die Ortschaft Moura. Sie zwangen die Bewohner, sich 
auf eine Insel im Strome zu flüchten, wo sie sie mehrere Tage lang 
belagerten und mit Pfeilen beschossen, was diese mit Kugeln aus ihren 



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4 



Santa Izabel 



Feuerwaffen erwiderten, bis endlich ein beherzter Mann einige Soldaten 
von Manaos holte, die die Indianer wieder in ihre Wälder jagten. 

Bald oberhalb Moura passieren wir das Delta des Rio Branco, des 
größten linken Nebenflusses. Scharf hebt sich das helle Wasser des 
„weißen Flusses 1 * von dem dunkeln des Rio Negro ab und soll noch 
über 100 km neben diesem herfließen, ohne sich mit ihm zu vermischen. 

Am 4. Juli liegen wir einige Stunden vor Barcellos, der Haupt- 
stadt des mittleren Rio Negro. Seit 1756 — Manaos war damals 
noch ein unbedeutendes Indianernest — war Barcellos, das ehemalige 
Indianerdorf Mariua, die Hauptstadt der ganzen „Capitania Rio Negro u 
und hatte mehrere tausend Einwohner. Jetzt zählt es deren kaum 
ein paar hundert und macht mit seinen halbverfallenen Häusern einen 
verwahrlosten, öden Eindruck. Die Bewohner sind bleich, hohlwangig, 
vom Fieber zerrüttet. Von den Beamten in Manaos geht niemand 
gern dorthin. Auch wir geben dem Friedhof unseren Tribut, einen 
Baremdianer, der auf der Reise im Zwischendeck gestorben ist. Zwei 
Kameraden tragen ihn in der Hängematte zur letzten Ruhestätte, die 
anderen folgen im Gänsemarsch. Schon dreimal hat der Dampfer 
getutet, und keiner der Leidtragenden kommt zurück. Schließlich muß 
der Kapitän sie durch Matrosen auf dem Gottesacker zusammenlesen 
lassen. Sie haben zuviel auf die Auferstehung des Toten getrunken. 

Barcellos liegt am Beginn eines riesigen Flußbeckens, dessen 
größte Breite 5 bis 6 Legoas, etwa 35 000 m, betragen soll. Der Rio 
Negro ist hier bedeutend breiter als der Amazonenstrom unter dem- 
selben Längengrade. Nur wenige Inseln durchsetzen den Fluß. Das 
südliche Ufer erhebt sich in steilen Granitwänden. 

Am Nachmittag des 6. Juli kommen wir in Santa Izabel an, dem 
für den Handel des oberen Stromes wichtigsten Punkte des Rio Negro. 
Der Ort besteht aus wenigen mit Wellblech gedeckten Häuschen und 
einigen Indianerhütten, die, zerstreut und halb im Waldesgrün ver- 
steckt, auf dem südlichen Ufer und auf einer fast baumlosen Insel liegen. 
Im Hafen sehen wir neben schlanken Einbäumen einige große, plumpe 
Lastboote, die bisweilen 15 000 kg fassen und dazu dienen, die Waren 
über die bösen Stromschnellen des oberen Rio Negro zu schaffen. 

In Santa Izabel herrscht fast während des ganzen Jahres zu 
bestimmten Zeiten ein reger Verkehr. Es ist die Endstation der 
Dampfer, die nur bei sehr hohem Wasserstande bis Trindade, an den 
Fuß der großen Stromschnellen, fahren können. Hier ist, abgesehen 
von den wenigen Weißen, schon alles indianisch, merkwürdig häßliche 
Typen. Die „Lingoa geral" (Gemeinsprache), dieses aus dem alten 



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Die erste Stromschnelle 



5 



Tupi geschaffene Kunstprodukt der Missionare, das sich im Laufe 
der Zeit über einen großen Teil des Amazonasgebietes ausgebreitet 
hat, dient hier schon als unentbehrliches Verkehrsmittel. 

Am anderen Morgen fahren wir weiter. Die Lastboote haben 
einen Teil der Fracht übernommen und werden an der Seite des 
Dampfers angebunden oder in das Schlepptau genommen, wo sie bei 
jeder Veränderung des Steuerruders weit herumschlenkern. Die Be- 
satzung dieser Boote besteht nur aus Indianern. Einige neue Passa- 
giere sind hinzugekommen, unter ihnen Salvador Garrido aus Säo 
Felippe, der Herr eines Lastbootes, und Ricardo Vicente Cluny, Super- 
intendente 1 von Säo Gabriel, der Hauptstadt des oberen Rio Negro, 
an den ich offizielle Empfehlungen habe; ein günstiger Zufall. 

Gleich hinter der Niederlassung braust die erste Stromschnelle 
Tapuru-cuara (Raupenloch), wie sie in der Lingoa geral heißt, und gibt 
uns einen kleinen Begriff von dem, was unser stromaufwärts harrt, 
aber nur einen ganz kleinen. Wir haben zu wenig Dampf und können 
sie nicht nehmen. Der Dampfer steht zeitweise still, obwohl wir 
mit aller Kraft fahren. Rechts vom Schiff ragen gewaltige Felsen 
aus dem schäumenden Wasser hervor. Wir geraten in Gefahr, auf 
sie aufgetrieben zu werden. Allseits große Aufregung und viel Geschrei, 
besonders auf den nachschleppenden Booten, die von der Brandung 
heftig hin und her geschleudert werden. Zwei und eine halbe Stunde 
stehen wir so auf demselben Fleck und kommen trotz aller Anstrengung 
nicht weiter. Der Dampf geht aus, und unser alter Kasten gleitet 
zurück. Mehr Dampf wird angesetzt, ein neuer Anlauf genommen, 
und endlich gelingt es. Wir überwinden den toten Punkt und fahren 
langsam an den gefährlichen Felsen vorbei in ruhigeres Wasser. 

Oberhalb Tapuru-cuara wird der Fluß viel schmäler und hat fort- 
gesetzt starke Strömung, die sich an den vorspringenden Granitfelsen 
des rechten Ufers bricht und zahlreiche Strudel bildet. Wir sind in 
die Gebirgsregion eingetreten. Gegen Mittag kommen voraus im Westen 
auf dem rechten Ufer kegelförmige Berge in Sicht, eine ganze Kette, 
Serra de Jacami. Wir passieren die Ansiedlung Boa Vista. Ein 
hübsches Wohnhaus von ganz zivilisiertem Aussehen, einige beschei- 
denere Häuschen und Hütten, reizend unter schlanken Palmen und 
hohen Laubbäumen auf felsigem, sanft ansteigendem Ufer gelegen, 
rechtfertigen den Namen. Mit Sonnenuntergang legen wir uns an- 
gesichts des Gebirges für die Nacht an einem Baume fest, dessen 



1 Der .Supcrintendente" entspricht etwa unserem .Landrat". 



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6 



Trimiail.- 



Krone das Hochwasser erreicht hat. Wir haben nur einen Lotsen, 
der zwölf Stunden ununterbrochen Dienst tut, und die Fahrt in den 
engen Kanälen zwischen den Felsen, die bisweilen nur wenig unter 
Wasser liegen, bietet mancherlei Gefahren. 

In den nächsten Tagen passieren wir mehrere kleinere Strom- 
schnellen und nähern uns dem Curicuriary-Gebirge, das sich auf dem 
rechten Ufer nahe der Mündung des gleichnamigen Nebenflusses in 
majestätischer Massigkeit bis zu 1 000 m erhebt und mit seinen kahlen, 
schroff abfallenden Felskuppen aus rötlichem Gestein einen herrlichen 
Anblick gewährt. Von diesem Gebirge erzählt man sich wunderbare 
Geschichten. Auf dem Gipfel des höchsten Berges breite sich ein 
großer See aus, und auf ihm sei ein steinernes Boot aus uralter Zeit. 
An einer anderen Stelle finde man ein hohes Steintor und dahinter 
Felsen in Gestalt von allen möglichen Tieren. Indianerlügen und Über- 
treibungen, die „Lust zu fabulieren*, die gerade in dieser Tropenwelt 
die üppigsten Blüten zeitigt Vor einigen Jahren habe eine schwache 
Erderschütterung stattgefunden, und ein Teil des Gebirges sei abgestürzt. 

In den dortigen Wäldern streifen zahlreiche wilde Maku, die teil- 
weise noch in der Steinzeit leben sollen. Bisweilen erscheinen sie am 
Ufer des Rio Negro, um europäische Kleinigkeiten gegen Jagdbeute 
einzutauschen. 

Kurz oberhalb der Mündung des Curicuriary liegt die Niederlassung 
Trindade, unser vorläufiges Reiseziel, wo wir am 10. Juli ankommen. 
Sie ist das Besitztum des Portugiesen Jose Antonio dos Reis, der 
am ganzen Rio Negro unter seinem Spitznamen Salabardot bekannt 
ist, und besteht aus einem halben Dutzend Häuschen und Indianer- 
hütten und einer Kapelle, die einzustürzen droht. Die Ameisen haben 
sie untergraben. Hinter der Ansiedlung erstreckt sich bis zum Urwald 
eine künstliche Savanne, auf der zahlreiches Vieh weidet. Die Vege- 
tation daraufsieht ganz europäisch aus, rote Malven und blaue Blümchen, 
ähnlich unserer „Männertreu". Und doch ist es anders. Die Luft, 
die Beleuchtung stimmt nicht dazu, und das frische Grün unserer 
Fluren fehlt. 

Es ist eine bemerkenswerte Erscheinung, diewir jedoch auch in Europa 
beobachten können, daß an Stellen, wo der Wald abgerodet wird, sofort 
eine ganz andere, sich stets gleichbleibende Vegetation emporschießt, 
deren Samen bis dahin im Boden schlummerten. Charakteristisch für 
derartige Grasflächen, aber weniger erfreulich sind unzählige, winzig 
kleine rote Milben, deren Stich höchst unangenehm juckende Pusteln 
hervorruft. 



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Große Ruderboote 7 

Eine Landungsbrücke führt zum Fluß. Daneben steht ein etwas 
primitives Lagerhaus. Das Ufer wimmelt von Indianern, der Hafen von 
Lastbooten und Kanus, die auf den Dampfer warten, der ihre Herren 
und die Waren bringen soll. Zu meiner Freude treffe ich hier einen 
halben Landsmann, einen Engländer deutscher Abkunft, Alfred Stock- 
man, der über den Casiquiare zum Orinoco fahren will, um die dortigen 
Wälder auf Kautschuk zu untersuchen. — Während der nächsten vier 
Wochen teilen wir als gute Kameraden Freud und Leid der Reise. 

Hier entwickelt sich sofort eine fieberhafte Tätigkeit. Die Waren 
werden aus dem Dampfer auf die Boote übergeladen. Eine Unmenge 
Rum ist dabei, dieser würdige Helfershelfer der sogenannten Zivilisation. 
Es ist erstaunlich, welche schweren Lasten diese Indianer, wohlgebaute, 
sehr muskulöse, wenn auch durchschnittlich kleine Leute, auf dem bloßen 
Rücken schleppen können. Auch wir bringen unser Gepäck einstweilen 
in einem der Häuser unter bis zur Ankunft des Bootes, das uns der 
Superintendente von SAo Gabriel versprochen hat. 

Nach zwei Tagen fährt der Dampfer nach Manaos zurück, und 
wir nehmen damit für längere Zeit gewissermaßen Abschied von der 
zivilisierten Welt. Nachmittags setzen sich auch die plumpen Last- 
boote, von den kräftigen Indianergestalten taktmäßig gerudert, strom- 
aufwärts in Bewegung. Meine Freunde haben mich noch wiederholt 
eingeladen, sie auf ihren Besitzungen zu besuchen, und mir jede Hilfe 
zugesichert. 

Diese Lastboote haben je nach ihrer Größe zehn bis sechzehn 
Ruderer, die, auf einem erhöhten Verdeck am Bug stehend, das Fahrzeug 
an ruhigeren Stellen mit langstieligen Paddelrudern [fortbewegen. Das 
Heck bedeckt die mehrere Meter lange Tolda, ein aus Latten und 
mehreren Lagen Palmblätter festgefügtes Sonnendach. Am äußersten 
Ende des Bootes, das Querholz des mächtigen Steuerruders mit fester 
Hand haltend, waltet der Pilot seines verantwortungsreichen Amtes, 
der Tüchtigste der Mannschaft, der jeden Stein in den oft sehr engen 
Kanälen der Stromschnellen kennen muß, und von dessen Können 
und Kaltblütigkeit häufig das Leben aller Insassen abhängt. 

Bei stärkerer Strömung wird das Fahrzeug mit Haken am Ufer- 
gebüsch weitergezogen und mit gabelförmig auslaufenden Stangen fort- 
gestoßen. In den Stromschnellen aber dient vor allem die Espia, ein arm- 
dickes, etwa 50 m langes Tau, das aus den sehr widerstandsfähigen Fasern 
der Piassabapalme (Attalea funifera Mart.) geflochten ist. Die Herstellung 
solcher Taue, die sich zu diesem Dienst besonders eignen, da sie auf dem 
Wasser schwimmen und nicht faulen, bildet einen einträglichen Erwerbs« 



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8 Indianerstudien 

zweig der zahmen Indianer des oberen Rio Negro. Auch Besen werden 
aus diesen Fasern gemacht. In den Stromschnellen fährt die Bedienungs- 
mannschaft der Espia im leichten Kanu voraus, schlingt das Tau fest 
um einen Uferbaura und kehrt mit dem anderen Ende zum Lastboot 
zurück. Die Ruderer des Bootes holen nun das Tau ein und ziehen 
so das Fahrzeug stromaufwärts. Das Kanu ist währenddessen an der 
Seite des Lastbootes befestigt und nimmt das Tau auf, das sorgfaltig 
iu regelmäßigen Windungen aufgeschichtet wird, damit es sich nicht 
verwirrt. Oben angekommen, wiederholt sich dieselbe Sache. Bis- 
weilen werden vier bis fünf solcher Taue zusammengebunden. In den 
größeren Stromschnellen, besonders an Abstürzen, wird das Lastboot 
entladen und mit großer Mühe und Zeitverlust vorsichtig weiterbugsiert 
und über die Felsen geschoben, wobei man noch von Glück sagen kann, 
wenn das Fahrzeug nicht von den heftigen Wogen wider die zackigen 
Klippen geschleudert wird und zerschellt. Daher kommt es, daß eine 
solche Reise nur sehr langsam vonstatten geht, und daß man z. B. zum 
Durchfahren der Stromschnellen des Rio Negro flußaufwärts eine Woche 
braucht, während man dieselbe Strecke bei der Talfahrt in einem Tage 
zurücklegt. 

Die Wartezeit bis zur Ankunft unseres Bootes wird mit Studien 
an den zahlreichen Indianern ausgefüllt. In Jucaby, einer kleinen An- 
siedlung nahe der Mündung des Curicuriary, wohin ich am 14. Juli 
einen Abstecher im Kanu mache, lerne ich auch die Sprache der Maku 
kennen. Der Besitzer des Platzes unterhält mit diesen Waldnomaden 
einen freundschaftlichen Verkehr und zieht sie vielfach zu der Arbeit in 
seinen Kautschukwäldern heran, läßt sie Piassaba- Fasern holen, die am 
Curicuriary häufig vorkommen, oder beschäftigt sie als Jäger und Fischer. 
Man stellt mir einen kleinen alten Kerl vor, gerade keine Schönheit seines 
Geschlechts, mit verkniffenem Gesicht, auffallend dicken Stirnwülsten, 
schief gestellten, schielenden Augen und struppigem Haar. Er ist nur 
1,52 m hoch und hat sehr dunkle Hautfarbe. Schon an den ersten Wör- 
tern, die ich abfrage, erkenne ich zu meiner Freude, daß ich es mit einer 
ganz neuen Sprache zu tun habe, und zwar nicht mit irgendeinem un- 
bekannten Dialekt einer der großen Sprachgruppen, sondern mit einem 
Idiom, das nirgends in Südamerika eineVerwandtschafthat. Die Sprache 
weist eine Menge nasaler und gutturaler Laute auf und ist sehr undeut- 
lich, besonders in den Wortendungen. Die Wörter werden zum Teil, 
wohl infolge der vielen konsonantischen Endungen, kurz abgehackt 
gesprochen, bald scheu hervorgestoßen, bald zögernd verhalten, tierisch, 
wie das ganze Wesen dieser niedrigstehenden Waldbewohner ist. Nur 



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Maku-Indiancr 9 

bei scharfem Hinhören und mehrmaliger Wiederholung kann ich die 
merkwürdigen Laute festhalten. Über die Lebensverhältnisse dieser 
Maku erfahre ich von dem Indianer selbst, der auch die Lingoa geral 
spricht, und von den Ansiedlern manche interessanten Einzelheiten. 
Man faßt unter dem Namen „Maku" eine Menge Horden zusammen, die 
das rechte Ufer des Rio Negro in einer Ausdehnung von fünf Längen- 
graden besetzt halten und verschiedene Dialekte sprechen. Unstet und 
flüchtig, ohne feste Wohnsitze, streift der Maku durch die Wälder, ver- 
achtet und verfolgt von dem höherstehenden Nachbar, dem er als 
Sklave in Haus- und Feldarbeit dienen muß, und von dem er bisweilen 
Tür europäische Waren an die Weißen verhandelt wird. Ein Makujunge 
gilt eine einläufige Vorderladeflinte und weniger. So kommt es, daß 
man in fast allen Ansiedlungen des oberen Rio Negro Makusklaven 
antrifft, die wegen ihrer angeborenen Intelligenz und ihrer ausgezeich- 
neten Jägereigenschaften sehr geschätzt sind. Ihr falsches, lügnerisches 
Wesen, ihr diebischer Sinn und ihr Hang zur Trunksucht sind freilich 
die Kehrseiten der Medaille. Die wilden Maku führen Bogen mit ver- 
schiedenen Arten Pfeile, darunter Giftpfeile mit Spitzen aus hartem 
Palmholz, Blasrohre mit Giftpfeilcben und Keulen; die Stämme des 
Innern sollen noch Steinbeile im Gebrauch haben. Das Kanu kennen 
sie nicht, sondern passieren die Flüsse schwimmend oder durch Untiefen 
watend. 

Am 19. Juli kommt endlich das Boot, das mir der Superintendente 
von Säo Gabriel geschickt hat, aber in der Nacht löst es sich auf 
geheimnisvolle Weise vom Ufer und treibt mit der starken Strömung 
weit flußabwärts. Erst nach drei Tagen wird es zurückgebracht. So 
muß ich auch noch die „festa da trindade", das „Fest der Dreifaltig- 
keit", über mich ergehen lassen, das eine Menge Indianer und Misch- 
linge von nah und fern in Trindade vereinigt. Trotz des faden- 
scheinigen christlichen Mäntelchens, trotz Heiligenbilder und im höchsten 
Diskant schreiend vorgetragener Lobgesänge ist es ein echt heidnisches 
Fest. Denn am Rio Negro gibt es zwar viele Kapellen, aber keinen 
einzigen Priester, und so feiert das „christliche" Volk die Heiligenfeste 
nach seinem Geschmack, d. h. mit ausgiebigem Lärm und Strömen 
von Schnaps. 

Salabardot, der Gastgeber, der „imperador da festa", weilt zur 
Zeit in seiner Heimat Portugal, aber seine energische Gattin, eine 
Mestizin, Donna Antonia, macht vortrefflich die Honneurs und kom- 
mandiert die Leute mit Stentorstimme, so daß der „juiz do mastro", 
der eigentliche Festordner und Zeremonienmeister, ein harmloser, zer- 



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Fest der Dreifaltigkeit 



lumpter Indianer, neben ihr nur eine klägliche Rolle spielt. Der »juiz 
do mastro" hat die Vorbereitungen zum Fest zu besorgen und die Masten 
aufzurichten, an deren Spitzen Bananen und Orangen als Geschenke 
gehängt werden; daher auch sein Name. Die ganze Komödie dauert 
acht Tage und kostet den Festgeber einige tausend Mark. Alle Tage 
linden Prozessionen statt mit wehenden Fahnen, auf die geschmacklose 
Heiligenbilder gemalt sind, unter dem Lärm der Trommeln und Flöten 
und anderer Radauinstrumente. In helle Festgewänder gekleidete, 
braune Schönen tragen die kleinen Heiligenfiguren. Unaufhörlich 
knattern Freudenschüsse und zischen Raketen im Sonnenschein. 

Am Abend des 22. Juli erstrahlt ganz Trindade in feenhafter 
Beleuchtung. Alle Wege sind illuminiert. Da die Lampen nicht aus- 
reichen, tun auch mit Petroleum gefüllte halbe Orangenschalen gute 
Dienste. Wir sind von Donna Antonia zu Tisch gebeten. Nachdem 
alle Gäste, sämtliche Diener und Dienerinnen und alle Ruderknechte 
der im Hafen liegenden Boote mit Kaffee, Tee, Marmelade, süßem Gebäck 
und dünnen Maniokfladen reichlich bewirtet sind, schreitet man zum Tanz, 
der in einer großen überdeckten Halle am Hause stattfindet. Walzer 
wechselt mit Polka und Galopp nach den Klängen einer Ziehharmonika. 
Man unterhält sich anscheinend gut, wenn auch die Konversation 
zwischen Tänzer und Tänzerin gleich Null ist. Vielleicht ist man 
noch nicht recht aufgetaut und fühlt Scheu vor den Fremden. Zwischen- 
durch werden Zigaretten und ausgezeichneter Portwein gereicht, viel 
besserer, als ich seinerzeit in Oporto für schweres Geld getrunken habe. 
Erst als einheimische Tänze an die Reihe kommen, werden die braunen 
Leutchen lebhafter. So tanzen sie eine originelle „Ronda". Zunächst 
machen zwei Trommler und Vortänzer einen Rundgang, trommelnd und 
eintönig singend. Immer mehr Teilnehmer schließen sich ihnen im 
Gänsemarsch an, Männer und Weiber, erstere als Begleitung taktmäßig 
in die Hände klatschend, bis alle Tänzer zuletzt einen großen Kreis 
bilden. Zuweilen machen die Trommler beim raschen Vorwärtsschreiten 
eine Linkswendung nach der Mitte zu, der alle folgen. Auf ein Zeichen 
der Trommler stellen sich alle mit dem Gesicht nach der Mitte hin auf, 
und nun beginnen die Einzeltänze. • Zwei Tänzer treten in den Kreis, 
tanzen eine Zeitlang durch den Saal voreinander hin und her, während 
die andern im Takt dazu trommeln, klatschen und singen. Darauf 
fassen sie sich, einander zugewendet, mit dem gekrümmten rechten Fuß 
und versuchen, auf dem linken Beine hüpfend, sich zu drehen. Manche 
machen ihre Sache schlecht und werden ausgelacht. Die Weiber tanzen 
nur zu zweien in hüpfenden und drehenden Bewegungen in der Mitte 



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Heidnisches Christentum 



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des Kreises herum. Währenddessen krachen draußen unaufhörlich 
eine kleine Messingkanone und Flinten, die fast bis zur Mündung 
geladen sind. Alle diese Tänze haben nur wenig Indianisches und 
sind wahrscheinlich afrikanischen Ursprungs, ebenso wie einige der 
dabei verwendeten Instrumente, die Trommeln, mit Schlangenhaut über- 
spannte Holzzylinder, und ein vielfach eingekerbtes Bambusstück, auf 
dem der Musiker mit einem Holzstab hin und her streicht und kratzende 
Geräusche hervorruft, die nur höchst unkultivierten Ohren angenehm 
klingen mögen. 

Später gehen wir zum Volk, das in einer Strohhütte tanzt. Ein 
kleiner Raum, von wenigen schwelenden Ollampen düster beleuchtet; 
ein wüster Haufe betrunkener und mit heiseren Kehlen grölender 
Menschen, die in den tollsten Sprüngen tanzen und sich wie die leib- 
haftigen Teufel gebärden. An den Wänden sitzen halbnackte braune 
Weiber mit nackten Kinderchen, die zum Teil noch an der Brust 
liegen und so den Schnaps mit der Muttermilch einsaugen. Dazu der 
dumpfe Lärm der Trommeln, der Staub, den die Tänzer aufwirbeln, 
der Qualm der unvermeidlichen Zigaretten, der scharfe Geruch von den 
Ausdünstungen der vielen Menschen, das Ganze durchtränkt vom Duft 

des Rums . Ein Büd voll Häßlichkeit und düsterer Romantik. — 

Wir sind froh, als wir wieder draußen die frische Nachtluft atmen. 
Noch lange können wir vor dem Lärm nicht zur Ruhe kommen. Hexen- 
sabbat überall! Segnungen der Zivilisation! — 




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II. Kapitel 

Durch die Stromschnellen des Rio Negro 

Am nächsten Morgen fahren wir ab. Mit Mühe passieren wir 
die ersten Stromschnellen, aber bereits am 25. Juli müssen wir ober- 
halb Oamanaos, einer kleinen Ortschaft auf dem linken Ufer, das Boot 
mit unserem gesamten Gepäck verlassen, da es ein starkes Leck hat. 
Vierzehn lange Tage liegen wir hier fest, unter einem elenden, nach 
allen Seiten offenen Indianerschuppen, der gegen die jeden Tag und 
fast jede Nacht niedergehenden schweren Wetter mit Sturm nur ganz 
ungenügenden Schutz gewährt. Der Führer des nach Säo Gabriel 
zurückgesandten, lecken Bootes, der uns in wenigen Tagen mit einem 
besseren Boot abholen wollte, hält sein Versprechen nicht, so daß wir 
gezwungen sind, uns an den Subprefeito (Polizeipräfekt) unterhalb 
Camanaos zu wenden. Meine offiziellen Empfehlungen verschaffen uns 
nach einigen Weitläufigkeiten ein Fahrzeug mit der nötigen Mannschaft. 

Am 8. August geht es weiter, über eine Reihe schlimmer Strom- 
schnellen, die je nach dem Wasserstande einen sehr gefährlichen oder 
ganz harmlosen Charakter haben. Malerisches Felsengewirr zeichnet 
die Oachoeira das Furnas aus. Auf ihrem schroff abfallenden Ufer 
bilden übereinandergetürmte Felsblöcke eine tiefe Grotte (furna), die 
dem Platz den Namen gegeben hat. Nicht weit davon ruht ein riesiger 
Felsen mit seinem spitzen Ende auf einem anderen, hart an der Grenze 
der Möglichkeit, wie ein gewaltiger Pilz ; ein beängstigender Anblick. 
Zwei Tage später kommen wir in Silo Gabriel an, wo wir drei Wochen 
vorher hätten sein müssen. 

Säo Gabriel, die „Hauptstadt" des oberen Rio Negro, ist heute 
ein erbärmliches Nest, fast ohne Einwohner. Die Häuser sind zum 
großen Teil verlassen und liegen in Ruinen. Die einzige Straße ist 
dicht mit Gras und Unkraut bewachsen, mit Kothaufen bedeckt, ein 
Tummelplatz des lieben Viehes. Der felsige Boden trägt nur eine 
dünne Humusschicht und ist wenig fruchtbar, höchstens als Viehweide 
zu benutzen. Etwas Rindvieh wird gehalten, ein paar magere Schweine, 
die nachts in den Häuserruinen ihren Unterschlupf finden. Die wenigen 
Bewohner des Städtchens haben selbst nichts zu essen. Dort herrscht 



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Die „Hauptstadt" Säo Gabriel 



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das umgekehrte Verhältnis als gewöhnlich: die Einwohnerschaft nährt 
nicht die Durchreisenden, sondern wartet, bis diese ihr Lebensmittel 
bringen. Doch — Säo Gabriel ist der Sitz der Regierung, des Super- 
intendenten mit einer Leibwache von fünf Polizeisoldaten, die in einem 
halbverfallenen Hause, das den stolzen Namen „Quartel" (Kaserne) 
führt, tatenlos ihre Tage verbringen. 

Die Umgebung des Stadtchens ist reizvoll: dicht dabei erhebt 
sich eine steile Anhöhe, eigentlich ein einziger riesiger Felsblock, der 
von den Ruinen einer Festung aus alter, besserer Zeit gekrönt ist. 
Die wie das Innere von üppiger Vegetation überwucherten Umfassungs- 
mauern sind in unregelmäßigem Fünfeck angelegt und noch bis zu 
den Schießscharten wohl erhalten. Im Innenraum, vom Gestrüpp halb 
versteckt, liegen an mehreren Stellen alte, plumpe, eiserne Kanonen- 
rohre, vom Rost zerfressen und zerbrochen, die anscheinend aus dem 
Ende des siebzehnten oder Anfang des achtzehnten Jahrhunderts 
stammen und der Grenzwacht gegen die spanischen Besitzungen fluß- 
aufwärts den nötigen Nachdruck verleihen sollten. 

Die „Fortaleza* muß früher ein militärischer Punkt erster Ord- 
nung gewesen sein. Nach allen Seiten beherrscht 6ie, an einer scharfen 
Biegung des Flusses gelegen, weithin die Umgegend. Die Aussicht 
von der Höhe ist herrlich: Im Osten, jetzt in der Feme verschleiert, 
erblickt man die schroffen Abfälle der Serra de Curicuriary ; im Westen 
hebt sich das sphinxähnlich geformte Cabarygebirge scharf vom 
Horizont ab. Dahinter erkennt man Höhenzüge des Rio Caiary-Uaupes. 
Am Fuße des Felsens liegen zerstreut die hellen Häuschen des Ortes. 
Auf den zahlreichen Inseln im Strom lugen braune Palmstrohhütten 
aus frischem Grün. Stille Buchten, von malerischen Gruppen der 
Yauary-Palme eingefaßt, laden ein zu erfrischendem Bad. Oberhalb 
braust mit riesigem Wogenschwall die Cachoeira da Fortaleza, die • 
bedeutendste und gefahrlichste der Stromschnellen des Rio Negro. 
Dazu herrscht hier oben trotz der Hitze des Äquators eine reine, 
gesunde Gebirgsluft. — In allem ein herrliches Bild und, sieht man 
von dem verrotteten Menschenwerk ab, ein herrliches Fleckchen Erde. 

Zum Stützpunkt für meine künftigen Unternehmungen kann ich 
diesen Platz nicht wählen. Die Arbeit in den Kautschukwäldern 
beginnt jetzt, und in kurzem wird das ganze Nest leer stehen. So 
will ich der Einladung meiner Freunde vom Dampfer folgen und zu- 
nächst Herrn Garrido in Säo Felippe aufsuchen. Dort werde ich, 
wie man mir versicherte, die weitestgehende Hilfe finden. Von dort 
aus hoffe ich auch am besten eine Reise zum Rio Issana unternehmen 



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Säo Felippe 



zu können, den man mir als Sitz einer Reihe kunstfertiger Indianer« 
stamme gerühmt hat. 

In einem größeren Boot, das mir der Superintendente zur Ver- 
fügung stellt, beginnt am 18. August abermals die beschwerliche Berg- 
fahrt. Am dritten Tag haben wir alle Stromschnellen hinter uns und 
machen einen kurzen Halt in Säo Joaquim, einem Indianerdorf an 
der Mündung des Caiary-Uaupes, um Ruderer zu wechseln. Auch diese 
Ortschaft steht unter dem Zeichen der Heiligenfeste; doch gibt es 
unter der Menge der Festteilnehmer keinen einzigen Betrunkenen, 
was nicht etwa einer ausnahmsweise nüchternen Gesinnung zu ver- 
danken ist, sondern dem traurigen Umstände, daß die Würze des Festes, 
der Schnaps, ausgegangen ist, den sie nun von uns haben wollen. 

Das ganze Schnellengebiet des Rio Negro, in dessen Mittelpunkt 
ungefähr Säo Gabriel liegt, besteht eigentlich aus einer fortgesetzten 
Stromschnelle, die von den Anwohnern nach den einzelnen Abstürzen 
und FelsvorBprüngen an beiden Ufern in etwa vierzig verschiedene 
Schnellen mit besonderen Namen geteilt wird. 

Am 22. August passieren wir das Indianerdorf Santa Anna auf 
dem linken Ufer, eine ehemalige Mission, an die noch die ruinenhafte 
Kapelle erinnert. Die Bewohner sind alle beim Fest in Säo Joaquim. 
Gegen Mittag landen wir an einer langgestreckten Bank aus weißem 
Sand, hinter der einige helle Häuschen in einer Reihe liegen. Wir 
sind in Säo Felippe. 

Dank der Intelligenz und der dreißigjährigen rastlosen Tätigkeit 
eines Mannes bildet Säo Felippe eine wohltuende Ausnahme in den 
verlotterten Zuständen des Rio Negro. Don Germ an o Garrido y Otero, 
ein geborener Nordspanier, führt hier ein strenges, aber gerechtes Re- 
giment. Das ganze kleine Gemeinwesen mit seinen sauberen, freund- 
lichen Häuschen, die von Germano und seinen beiden ältesten Söhnen 
mit ihren Familien bewohnt werden, glänzt von Ordnung und Wohl- 
stand. Die vorgelagerte, riesige Sandbank, das weithin sichtbare 
Wahrzeichen von Säo Felippe, bietet in ihrer blendenden Reinheit 
gewissermaßen ein Sinnbild des ganzen Ortes und des Charakters seiner 
Bewohner. Ich werde hier auf das herzlichste aufgenommen und lerne 
in Don Germano einen in jeder Beziehung außergewöhnlichen Mann 
kennen. Er hat sich sein europäisches Wesen und Denken treu be- 
wahrt, und daB will viel heißen in diesem Lande, zumal dort an der 
äußersten Grenze- europäischer Gesittung. 

Wenn ich hier bei der Schilderung dieses besten meiner brasilia- 
nischen Freunde länger verweile, so ist es ein Herzensbedürfnis und 



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Don Germano Garrido y Otero 



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eine Pflicht der Dankbarkeit dem gegenüber, der an dem Gelingen 
meiner Reisen einen großen Anteil hat. Ich habe kaum je einen Mann 
in seinem Alter getroffen, der über eine so vielseitige Bildung, eine 
solche Spannkraft des Körpers und Geistes und jugendliche Begeiste- 
rungsfähigkeit verfügt, wie mein alter Freund. Ich habe ihn oft be- 
wundert, wenn er nach schwerer Tagesarbeit bis spät in die Nacht hinein 
in lebhaftem und anregendem Gespräch aushielt. Ich muß gestehen, 
er brachte mich oftmals in die größte Verlegenheit, wenn er in einem 
Atem über das europäische Gleichgewicht, den Nobelpreis, die „gelbe 
Gefahr" u. a. diskutierte, wenn er in der alten, neueren und neuesten 
Geschichte den besten Bescheid wußte und aus den Schlachten der 
Napoleonischen Kriege genau die Namen der führenden Offiziere und 
die Stellungen der einzelnen Armeekorps kannte. Über die Weltlage 
ist er wohl unterrichtet, denn er hält gute Zeitungen, wenn auch die 
Neuigkeiten infolge des weiten Weges erst einen Monat später nach 
Säo Felippe gelangen. Sein größter Stolz ist seine kleine Bibliothek, 
die nur gute Bücher der verschiedensten Wissenschaften und von 
Schriftstellern verschiedener Nationalität in spanischer und portu- 
giesischer Übersetzung enthält. 

Meinen Studien brachte Don Germano das größte Interesse ent- 
gegen und suchte mir stets die Wege zu ebnen. Seine unbeschränkte 
Gastfreundschaft, seine uneigennützige Hilfe, die nie versagte, seine 
wahrhaft väterliche Liebe werde ich nie vergessen. Als ich nach 
meinen zweijährigen Kreuz- und Querfahrten endgültig von dem präch- 
tigen Alten Abschied nahm, da war es ein schwerer Abschied für 
uns beide. 

Zwischen den beiden größten und volkreichsten Nebenflüssen des 
oberen Rio Negro, dem Caiary-Uaupes und dem Issana, und nur wenige 
Tagereisen von der venezolanischen Grenze, an einer geraden, ruhigen 
Flußstrecke hat Säo Felippe eine vortreffliche beherrschende Lage. 
Es ist die natürliche Station für die großen venezolanischen Lastboote, 
die den Verkehr zwischen San Carlos und Manaos, zwischen Venezuela 
und Brasilien vermitteln. 

Seinen Hauptverdienst aber findet das Haus Garrido, wie so viele 
andere, im Kautschukhandel. Während der Regenzeit, wenn der Fluß 
seinen hohen Stand hat und die Schiffahrt bequemer und weniger ge- 
fahrdrohend ist, schickt Don Germano allmonatlich ein Lastboot fluß- 
abwärts nach Trindade oder Sta. Lsabel, um die Waren zu holen, 
die der Manaosdampfer auf seine Bestellung dorthin gebracht hat, 
und die dann in Säo Felippe aufgestapelt werden. Kommt die Trocken« 



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IG 



Schuldskiaventum 



zeit heran, der „Sommer", der gewöhnlich vom August bis in den 
Februar hinein dauert, dann rüstet man sich zur Kautschukernte. Don 
Germano sendet seine stattlichen Söhne aus, die teils am unteren 
Caiary mit halbzivilisierten Indianern selbst Kautschuk ausbeuten, 
teils den oberen Rio Negro bis zur venezolanischen Grenze befahren, 
um Kautschuk gegen europäische Waren einzutauschen. Sind mehrere 
tausend Kilo beisammen, so bringt sie ein großes Lastboot zum Manaos- 
dampfer, wo sie von dem Vertreter des Hauses Araujo Rozas & Co. 
in Empfang genommen und nach dem jeweiligen Preis berechnet 
werden; eine etwas unsichere Spekulation, da der Preis für den Kaut- 
schuk beständig schwankt. 

Das fortwährende Hin- und Herfahren in den großen Ruderbooten 
und die Ausbeutung der Kautschukwälder erfordern natürlich das 
ganze Jahr hindurch eine Menge Arbeitskräfte, die für SAo Felippe 
in erster Linie der untere Issana stellt. Die dortigen Indianer stehen, 
ebenso wie ein guter Teil der Indianer des unteren Caiary, zum Hause 
Garrido in einer Art von Schuldsklavenverhältnis, das am ganzen Rio 
Negro von den weißen Grundbesitzern und Händlern gegenüber den 
Eingeborenen angewendet wird. 

Der Weiße liefert dem Indianer so viele Waren, wie er haben 
will, auf Vorschuß und berechnet sie je nach seiner Ehrlichkeit mit 
entsprechend hohen Preisen. Der Schuldner muß nun die oft sehr 
großen Summen abarbeiten, entweder durch Lieferung von Maniok - 
grütze und anderen Landesprodukten oder durch Arbeit in den Kaut- 
schukwäldern. Bisweilen wird er auch monatelang in der nächsten 
Umgebung des Herrn als Jäger und Fischer verwendet. Bei der Ab- 
rechnung wird es stets so eingerichtet, daß der Indianer nicht aus 
der Schuld herauskommt. Selbst wenn er seine ganze Schuld getilgt 
hat, erhält er wieder so viele neue Waren auf Vorschuß, daß er immer 
in Abhängigkeit bleibt. Dieses System der Schuldsklaverei ist vom 
rein moralischen Standpunkte aus gewiß zu verwerfen, aber es ist in 
diesen Gegenden ein durchaus notwendiges Übel, um überhaupt Arbeits- 
kräfte zu bekommen, und hat seinen Grund in der Indolenz der In- 
dianer und ihrem Widerwillen gegen ungewohnte Arbeit. Es bedarf 
eines gewissen Druckes, um den Indianer zu einer regelrechten Arbeit 
zu bewegen, und dieser Druck wird eben durch die Schulden aus- 
geübt. Gewissenlose Händler und Ansiedler machen sich freilich dieses 
System häufig zunutze und beuten die armen Indianer in unverant- 
wortlicher Weise aus. 

Don Germano sucht mit aller Macht diesem Unwesen zu steuern 



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Ein pflichtvergessener Grenzkommandant 



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und die Indianer vor ihren Ausbeutern zu schützen. Sein ausgeprägter 
Gerechtigkeitssinn zeigt sich gerade in seiner Stellung zu seinen zahl- 
reichen Untergebenen. Er behandelt seine Indianer mit patriarcha- 
lischer Strenge, aber doch mit Güte, wie ein Vater seine Kinder. Die 
Indianer wissen, daß sie yon ihm nie mißbraucht, oder übervorteilt 
werden. Sie wissen, daß er ihr Freund ist, und suchen bei ihm Schutz 
vor den Übergriffen anderer. 

Die Abhängigkeit der Indianer von einzelnen großen Herren kann 
für den Reisenden eine Kette von Verzögerungen werden. Auch für 
viel Geld und gute Worte kann man oft am Rio Negro keine Boote 
und Ruderer bekommen, da die Bewohner entweder auf Arbeit ab- 
wesend sind, wie in der Kautschukzeit, oder doch beständig ihren 
Herren zur Verfügung Btehen müssen. Nur die Freundschaft mit 
letzteren öffnet einem meistens die Wege. 

In meinem Entschluß, zunächst den Rio Issana und die anwohnen- 
den kunstfertigen Stämme der Aruakgruppe zu untersuchen, werde ich 
von Don Germano bestärkt. Es trifft sich günstig, da sein Sohn 
Salvador, mit dem ich schon auf dem Dampfer Solimöes Freundschaft 
geschlossen habe, in den ersten Tagen des September den Issana ein 
gutes Stück aufwärts fahren soll, um Maniokgrütze aufzukaufen und 
Indianer für die bevorstehende Arbeit in den Kautschukwäldern zu 
holen. Unsere Abreise wird jedoch sehr verzögert. Unangenehme 
Zwischenfälle versetzen die Indianer der ganzen Umgegend in Auf- 
regung. Der Kommandant der brasilianischen Grenzstation Cucuhy, 
acht Tagereisen oberhalb Säo Felippe, ein simpler Leutnant mit fünf 
Mann, treibt einen schwunghaften Handel mit Venezuela. Er läßt 
Waren in Transit von drüben kommen und schmuggelt sie über die 
Grenze. Als Ruderer für seine Boote hat er durch seine Soldaten — 
es sind gerade nicht die besten, die in diese entlegenen Grenzstationen 
gesteckt werden — am unteren Issana Indianer mit Gewalt und unter 
argen Mißhandlungen ausheben lassen. Freilich sind sie ihm bald 
wieder entlaufen, aber die Nachricht von diesen Gewalttätigkeiten hat 
sich rasch am ganzen Fluß verbreitet und die Bewohner weithin be- 
wogen, ihre Dörfer zu verlassen und sich in die Wälder zu flüchten. 
An eine Reise zum Issana ist unter diesen Umständen vorläufig nicht 
zu denken. 

Meine unfreiwillige Wartezeit verstreicht nicht unbenutzt. Ich 
kann meine Kenntnisse in der Lingoa geral, diesem einzigen Verkehrs- 
mittel auch mit entfernter wohnenden Stämmen, befestigen und in aller 
Ruhe photographische und sprachliche Aufnahmen machen, wodurch 

Koch-Gränberg, Zwei Jahre bei den Indianern 2 



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Wanderameisen 



ich eine gute Grundlage für raeine späteren Unternehmungen gewinne. 
Abgesehen von den zahlreichen Hausbediensteten, die verschiedenen 
Stämmen angehören, herrscht in Säo Felippe ein starker Verkehr von 
Indianern des Issana und des Caiary-Uaupes. Don Germano stellt 
mir alles bereitwilligst zur Verfügung und läßt oft Leute von weither 
kommen, um mir dienlich zu sein. 

Eines Tages bringt ein Massenbesuch der Wanderameise die kleine 
Ansiedlung in komische Aufregung. Ein dichter Zug dieser energischen 
Tierchen kommt vom Walde her und richtet sich gerade auf die Häuser. 
Einen großen Schuppen, unter dem Bauholz und Piassabataue lagern, 
haben sie bereits in Besitz genommen; die Termiten verlassen entsetzt 
ihre Schlupfwinkel. Wir befürchten schon, daß sie auch den Wohn- 
häusern einen unliebsamen Besuch abstatten würden, denn kein Hin- 
dernis hält sie auf ihrem Wege auf, aber sie scheinen sich eines 
Besseren zu besinnen und wenden sich in einem großen Bogen wieder 
dem Walde zu. Eine solche Einwanderung ist bisweilen so arg, daß 
selbst die Mensehen zeitweise das Feld räumen, d. h. ihre Häuser 
verlassen müssen, solange die Reinigungsarbeit dieser fleißigen Tiere 
dauert. Alles Ungeziefer, Schaben, Termiten, Skorpione, Tausend* 
füße, selbst Schlangen werden erbarmungslos von ihnen vertilgt. Auf 
meinen späteren Reisen sah ich mich mehrfach gezwungen, das Wald- 
lager mitten in der Nacht abzubrechen und an das andere Ufer zu 
fahren, um ihren schmerzhaften Bissen zu entgehen. In verhältnis- 
mäßig kurzer Zeit sollen diese Ameisen auf ihrem unaufhaltsamen 
Zuge große Strecken zurücklegen. 




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III. Kapitel 



Bei den Baniwa-Stämmen am Rio Issana 

Inzwischen haben sich die Gemüter etwas beruhigt, der saubere 
Kommandant hat sich nach seiner Grenze zurückgezogen, und am 
Mittag des 28. September fahren wir endlich ab. Unser Fahrzeug ist 
ein kleines Lastboot mit festem Sonnendach, das einige tausend Kilo 
Last faßt und als Besatzung sechs Ruderer und den Steuermann hat. 
Führer des Bootes ist Salvador. Sein jüngerer Bruder Hildebrando 
begleitet ihn; Schmidt und ich sind die Passagiere. Zwei Indianer 
fahren im leichten Kanu voraus und haben für Jagd und Fischfang 
zu sorgen. Zunächst geht es in nördlicher Richtung durch einen Fluß- 
arm, der vom rechten Ufer und zwei langgestreckten Inseln gebildet 
wird. Nachmittags lenken wir in den breiten Issana ein, der noch 
dunkleres Wasser als der Rio Negro hat und, aus NW kommend, 
während seines ganzen Laufes im wesentlichen seine Richtung bei- 
behält. 

Am nächsten Morgen passieren wir die Mündung des Cubate, eines 
kleinen Nebenflusses zur Rechten, der dadurch eine gewisse Bedeutung 
hat, daß an ihm Anizetto, der Heiland der Issana-Indianer, wohnt. 
Dieser Anizetto ist ein Vagabund, ein Hermaphrodit, wie Germano 
sagt, Gott weiß, von welchem Stamm. Vor etwa fünfundzwanzig Jahren 
trat er am Issana als Messias auf und gab sich als einen zweiten 
Jesus Christus aus. Es entstand eine große Bewegung unter den 
Indianern, die auf ihn schwuren. Viele scharten sich um ihn. Er 
heilte Kranke durch Beblasen und Bestreichen und besuchte die Dörfer 
unter großen Zeremonien. Seinen Anhängern sagte er, sie brauchten 
nicht mehr in den Pflanzungen zu arbeiten, da alles von selbst wachsen 
würde, wenn er die Felder segne. Von weither kamen Leute, um ihn 
zu befragen. Sie brachten ihm alles, was sie hatten, feierten nur noch 
Feste auf Feste und tanzten Tage und Nächte lang. Eine Straf- 
expedition, die man von Manaos aus gegen diese Bewegung schickte, 



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Indianer-.Me*»ias 



schlug fehl. Ein Nationalgardist wurde dabei von den Indianern er- 
schossen. Einer anderen Strafexpedition gelang es, Anizetto zu fangen. 
Er wurde nach Manaos geschafft und mußte beim Bau einer Kirche 
über ein Jahr lang Zwangsarbeit tun. Dann erklärte man ihn für 
unzurechnungsfähig und harmlos, da er sich blödsinnig stellte, und 
entließ ihn wieder in die Heimat. Heute ist er nicht mehr gefährlich, 
aber er hat auch jetzt noch große Macht bei den Issana-Indianern, 
die fest an ihn glauben, so daß man durch ihn viel erreichen kann. 
Sein Dorf am Cubate ist eine Art Retiro, in dem er Indianer ver- 
schiedener Stämme und Gegenden, sogar vom Caiary-Uaupes, um sich 
vereinigt hat, Lumpen wie er, die meist etwas auf dem Gewissen 
haben und es für nötig finden, die Öffentlichkeit zu fliehen. Während 
der Hochflut dieser Bewegung ermordeten Huhuteni, Parteigänger Ani- 
zettos, aus einem Stamm, der noch heute am mittleren Issana und 
seinem Nebenfluß Aiary einen etwas zweifelhaften Ruf genießt, eine 
Indianerfamilie von sieben Personen. Sie hieben sie mit ihren Wald- 
messern in Stücke. Vielleicht war es ein alter Familienzwist, ein 
Akt der Blutrache. 

Bereits um die Mitte des vorigen Jahrhunderts war am oberen 
Rio Negro ein venezolanischer Indianer namens Venancio als Messias 
aufgetreten, dessen Tätigkeit sich von der des Anizetto in nichts unter- 
schied. Er hatte, wie uns ein alter Bericht erzählt, „die Geschick- 
lichkeit gehabt, die Eingeborenen glauben zu machen, er wäre ein 
zweiter Christus und ein Gesandter des Weltschöpfers". „Er hatte 
seine Anhänger geprügelt, und man hatte sich um ihn herum 
gruppiert, um sich dem Trünke, Ausschweifungen und wilden Tänzen b 
hinzugeben. So waren nach und nach viele Indianer «ihm und seinem 
tollen Wesen zugefallen; und da solche Zusammenrottungen keineswegs 
ohne Bedeutung sind, so hatte man einen jungen Offizier mit einigen 
Soldaten dorthin geschickt. Dieser war nicht ohne Ungestüm und 
Grausamkeiten verfahren und hatte zwar den Christus und seine Schar, 
aber auch manches andere kleine Dorf oder Ansiedlung auseinander- 
gejagt, womit die dortige Kultur ihren Anfang genommen hatte." — „Um 
dieselbe Zeit erschien ein Deserteur, Bazilio Melgueiro, der sich einen 
neuen Christus nannte und die Szenen des Venancio erneuerte. Die 
Indianer ließen die Arbeit liegen und ergaben sich einem zügellosen 
Paulenzerleben." 

Im Jahre 1880 gab sich am mittleren Caiary-Uaupes ein Zauber- 
arzt aus dem Stamme der Arapaso für den Heiland aus. Er nannte 
sich Vicente Christo und führte Zwiegespräche mit den Geistern der 



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Der untere Issana 



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Verstorbenen und mit „Tupana", dem Christengott. Seine Anhänger 
ließ er um das Kreuz tanzen. Er behauptete, der Vertreter des Tupana 
zu sein und — der Vater der Missionäre, die Gott erst auf seine Bitte 
hin an den Caiary gesandt babe. (!) — Durch die Macht seiner Persön- 
lichkeit fanatisierte er die Indianer am ganzen Fluß und hatte einen 
großen Zulauf. Bald aber mißbrauchte er seine Gewalt. Er riet seinen 
Anhängern, alle Weißen zu verjagen, da sie das indianische Volk be- 
trögen. Am Bio Negro war man entsetzt und fürchtete schon einen Auf- 
stand der Indianer. Da bemächtigten sich einige beherzte Kautschuk- 
sammler des „Messias", ließen ihm eine tüchtige Tracht Prügel geben 
und warfen ihn mehrere Tage in das Gefängnis zu Barcellos. Damit 
waren sein Ansehen und seine Macht dahin, und seine Jünger ver- 
liefen sich. Bis in die neueste Zeit aber hat dieser Christo am Caiary 
Nachfolger gehabt. 

Es ist eine merkwürdige Erscheinung, daß die Messiasbewegung 
gerade in dieser Gegend immer wieder aufflackert Offenbar haben 
wir es hier mit einer altindianischen Sage in christlichem Gewand zu 
tun, die besonders den Aruakstämmen eigentümlich ist und von ein- 
zelnen ebenso schlauen, wie gewissenlosen Zauberärzten zu ihrem Vor- 
teil ausgenutzt wird. In der ganzen Welt finden wir Analogien dieses 
Glaubens an einen Heiland, vielleicht den wiederkehrenden Stammes- 
heros, der sein Volk von dem Joch der Unterdrücker befreien wird. 

Am zweiten Tage unserer Reise machen wir einen kurzen Halt 
an einigen Felsen auf dem rechten Ufer, die interessante und wohl- 
erhaltene Ritzungen tragen. Außer einigen deutlich erkennbaren Ab- 
bildungen von Vögeln und Fischen finden sich hier in einer Reihe 
angeordnet drei seltsame Figuren, in denen die Indianer Krabben 
sehen. Auf mehreren Felsen bemerkt man runde, polierte Gruben 
und lanzettförmige, glatte Rillen, Steinaxtschliffe aus alter Zeit, die 
fast stets in Gesellschaft der Felsbilder anzutreffen sind. Hier ist die 
größte Enge des Stromes. 

Die Uferszenerie des unteren Issana ist außerordentlich einförmig. 
Fast in gerader Horizontale, wie eine ununterbrochene, dichte Wand, 
schneidet der dunkle Hochwald gegen den Himmel ab. Das Tierleben 
tritt ganz zurück, kaum daß man durch einen Schwärm grüner Papa- 
geien und ein Paar leuchtender Arara, die mit heiserem Geschrei 
vorüberfliegen, an die Tropen erinnert wird. In kurzen Stößen flattert 
der komische Tukan (Pfefferfresser) hinter seinem unförmigen Schnabel 
her. Hier und da taucht, durch die Ruderschläge aufgeschreckt, ein 
neugieriger Delphin mit halbem Leib aus dem Wasser und treibt nahe 



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Äquatorial nächte 



beim Boot laut prustend sein neckisches Spiel, unbekümmert um die 
Menseben, die er nicht zu fürchten hat, da sein Tod ihnen nichts 
nützen kann. Unsere Jäger müssen oft weit in die kleinen Neben- 
bäche hineinfahren, um ein Stück Vogelwild oder einige Fische zu 
erbeuten. Der Issana 19t in Beinern unteren Lauf ein „Hungerfluß u , 
ein „rio faminto*, wie der Brasilianer sagt, und die Anwohner haben 
häufig selbst nichts zu essen, zumal sie oft monatelang im Dienste 
der weißen Ansiedler des Rio Negro stehen und dadurch ihre Pflan- 
zungen vernachlässigen. Die Strömung ist durchweg reißend, besonders 
an vorspringenden Felsecken, wo sich die Wasser brechen. Unsere 
Ruderer haben schwere Arbeit. 

Wir machen starke Tagereisen, da Salvador die verlorene Zeit 
wenigstens teilweise wieder einholen will. Zudem ist der Fluß schon 
sehr gefallen, und er muß befürchten, sein schweres Boot nicht mehr 
über die Stromschnellen bringen zu können. Die zähe Ausdauer der 
Indianer ist zu bewundern. Mit nur einstündiger Mittagspause arbeiten 
sie täglich durchschnittlich achtzehn Stunden in stoischem Oleichmut. 

Erst spät abends, wenn die Sonne längBt hinter den dunklen 
Uferwald getaucht ist, machen wir halt und schlagen das Lager 
auf einer der riesigen Sandbänke auf, die der sinkende Fluß bloß- 
gelegt hat. Schnell haben die Indianer Pfähle in den weichen Sand 
gerammt, die Hängematten werden angeknüpft, und mit wohligem Be- 
hagen streckt man die durch das lange, ruhige Sitzen im Boot steif 
gewordenen Glieder in der kühlen Nachtluft. 

Sie haben ihren eigenen Reiz, diese Aquatorialnächte unter freiem 
Himmel, besonders in der schönen Jahreszeit, wenn man keinen stören- 
den Regen zu befürchten braucht. Gleich funkelnden Diamanten leuchten 
die zahllosen Sterne durch die klare Luft herab und werfen lange 
glitzernde Streifen auf die Wellen des Flusses. Im Südwesten er- 
strahlt das herrliche Sternbild des Skorpion, das die Indianer wegen 
seiner kühnen Windungen „die große Schlange" nennen. Das gleich- 
mäßige Zirpen der Zikaden, das melancholische Konzert der Frösche 
führt uns allmählich in das Reich der Träume, bis kurz nach Mitter- 
nacht der Ruf des Führers ertönt und zur Weiterfahrt mahnt. Der 
Vollmond ist emporgestiegen und zeigt uns mit seinem hellen Schein 
den Weg. 

Von Zeit zu Zeit, wenn wir an Häusern vorbeikommen, entlockt 
ein Ruderer einer großen Seemuschel dumpfe Töne, die lebhaft an 
das Heulen einer Dampfsirene erinnern. Man glaubt fast, sich auf 
einem Dampfer zu befinden, wozu freilich der taktmäßige Ruderschlag 



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Baimva- oder Karutana-Indiaoer 



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der Indianer nicht passen will. Das wohlbekannte Zeichen soll die 
Bewohner beruhigen and ihnen Kunde geben, daß ihr Herr naht. 

Die nicht unbedeutende Bevölkerung des unteren Issana verteilt 
sich auf einzelne Hauser oder kleine Dörfer, meistens frühere Missions- 
stationen. Sie liegen stets an hohen Orten in der Nähe eines Neben» 
nußchens, dessen fruchtbare Ufer den Anbau lohnen. Terra firme 
nennt der Brasilianer dieses nutzbringende Land im Gegensatz zu dem 
Igapö, dem unbrauchbaren Uberschwemmungswald. Die Wohnungen 
sind die der ärmeren Brasilianer, Palmstrohhütten mit Lehmfachwerk. 

Die Indianer des unteren Issana werden gewöhnlich Baniwa 
oder Karutana genannt. Es sind durchschnittlich mittelgroße Ge- 
stalten mit kräftig entwickelter Muskulatur und von charakteristischem 
Typus. Wie alle Aruakstämme des Issana, sind sie geschickt in mancherlei 
Kunstfertigkeiten, und ihre mit geschmackvollen alten Mustern ver- 
zierten Töpfe und Flechtarbeiten können selbst höheren Ansprüchen 
genügen. Der europäische Einfluß ist nicht so durchgreifend gewesen, 
wie man bei dem langen Verkehr mit den Weißen annehmen sollte, 
und ihre Haushaltung und ganze Lebensweise ist, abgesehen von einigen 
europäischen Kulturerrungenschaften, echt indianisch geblieben. Die 
Männer tragen gewöhnlich Hose und Hemd, die Weiber Röcke und 
bisweilen Leibchen aus billigem Kattun. Neben ihrem Idiom sprechen 
die Karutana fast durchweg fließend Lingoa geral, aber nur wenige 
portugiesisch. Sie sind dem Namen nach Christen und feiern die 
Heiligentage mit vielem Lärm, mit vielem Schnaps — wenn sie ihn 
bekommen können — und ohne Verständnis, wie die zivilisierten In- 
dianer des Rio Negro. 

Auf der ganzen Fahrt begegnen wir den Spuren des edlen Grenz- 
kommandanten. Fast alle Häuser sind verlassen. Auch aus den 
größeren Ortschaften Sta. Anna und Carmo, den Zentren der Kam- 
tanabevölkerung, sind alle Bewohner geflohen. Carmo liegt malerisch 
auf einer steilen Felsecke am Fuß einer niedrigen Kuppe. Schlanke 
Pupunyapalmen (Guilielma speciosa), deren goldgelbe Früchte ein vor- 
treffliches Nahrungsmittel liefern, breiten wie zum Schutze ihre schönen 
Wedel über die stillen, braunen Häuschen. 

Der Ortsvorsteher von Carmo, der alte Raphaelo, ein Vertrauens- 
mann Don Germanos, ist der „Inspektor" des unteren Issana. Der- 
artige Inspektoren werden von der Regierung an Flüssen eingesetzt, 
die vorwiegend von Indianern bewohnt sind. Der Superintendente in 
Säo Gabriel ernennt zu diesem Amt Eingeborene, die alten Häupt- 
lingsfamilien angehören oder sonstwie bei ihren Stammesgenossen im 



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Zaobergift Marakai'mbara 



Ansehen stehen und etwas portugiesisch sprechen. Sie haben — dem 
Namen nach — in ihrem Bezirk amtliche Gewalt und müssen z. B. 
vom Staat empfohlenen Personen gegen angemessene Bezahlung Ruderer 
stellen. 

In einzelnen Ansiedlungen ist ein Bewohner als Wache zurück- 
geblieben, bereit, ebenfalls auszureißen und die anderen zu warnen, 
wenn Gefahr naht. Der Fluß ist wie ausgestorben. Nur selten be- 
gegnen wir einem Fischerboot, das sich scheu am Ufergebüsch hin 
drückt und im nächsten Nebenbach verschwindet. Einigemal bringt 
man uns gegen Munition, Tabak und andere Herrlichkeiten Lebens- 
mittel in schön gemusterten, flachen Körben. Angstlich erkundigen 
sich die armen Kerle nach dem Kommandanten und seiner Bande. 

Am 3. Oktober passieren wir links die Mündung des Umassa- 
Igarap£, eines ansehnlichen Baches, der die alte Grenze zwischen den 
Karutana und den stromaufwärts folgenden Stämmen bildet. Zwischen 
beiden Abteilungen, die sich heute sprachlich nur wenig voneinander 
unterscheiden, besteht von alters her eine gewisse Feindschaft. Sie 
halten sich gegenseitig für große Giftmischer, geschickt in der Her- 
stellung des Marakaimbara, jeues geheimnisvollen Zaubergiftes, 
dem jeder Todesfall zugeschrieben wird. 

Die heftige Strömung, die uns schon an der Felsecke von Carmo 
und anderen Stellen zu schaffen gemacht hat, artet jetzt in einzelne 
Schnellen aus, die von den Ausläufern niederer Kuppen gebildet werden. 

Ein häßliches Andenken erhielt ich hier von einem handlangen 
Tausendfuß, der sich in meinem Schlafanzug angesiedelt hatte und 
mich in den Unterarm biß. Die Stelle schwoll sofort an, und ich 
hatte heftige Schmerzen bis in die Fingerspitzen und die linke Brust- 
seite, die mehrere Stunden anhielten. Noch einen Monat später litt 
ich an der eiternden Wunde. 

Nach einer scharfen Krümmung, während der man die schön- 
geformte Serra de Tunuhy bald voraus, bald im Rücken hat, führt 
eine lange, gerade Strecke in fast nördlicher Richtung unmittelbar auf 
das malerische Gebirge zu, das den Fluß abzuschließen scheint. Noch 
vier Stunden strammer Fahrt auf ruhigem Wasser, und wir landen 
am Morgen des 6. Oktober am Fuße des Gebirges, am Ausgange des 
tosenden Kataraktes, im unteren Hafen des gleichnamigen Indianer- 
dorfes. 

Ein halsbrechender Pfad führt auf ein niedriges Felsplateau, das 
dem eigentlichen Gebirge vorgelagert ist und durch starke Einengung 
des Flusses die Stromschnelle bildet. Hier liegt die Ortschaft Tunuhy, 



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In Tanuhy 



ein nach indianischen Begriffen großes Dorf von vierzehn bewohnbaren 
Lehmhütten, die in zwei sauberen Straßen angeordnet sind. Alles 
ist öde und verlassen; die Bewohner sind entflohen aus Furcht vor 
den bösen Soldaten. 

Wir finden mit unserem Gepäck Unterkunft in einem der leer- 
stehenden Häuser, das voll schön bemalter Töpfe steckt, herrlicher 
Erzeugnisse des hiesigen Kunstfleißes, aber auch von Flöhen, winzig 
kleinen Feuerameisen und anderem Ungeziefer wimmelt. Auf die 
Kunde von unserer Ankunft eilen einige Indianer aus ihrem Schlupf- 
winkel herbei, um uns beim Passieren der Stromschnelle zu helfen, 
aber es ist schon zu spät. Der Fluß ist zu sehr gesunken, und nach 
mehrstündigen übermenschlichen Anstrengungen, das schwere Boot 
über die spitzen Felsen am linken Ufer emporzuziehen, gibt Salvador 
den Versuch auf und beschließt, das Boot hier zu lassen und im leichten 
Kanu weiterzufahren. 

Von der Höhe der zunächst gelegenen Kuppe des Gebirges, die 
mit lichtem Wald bewachsen ist, hat man eine herrliche Fernsicht. 
Flußabwärts überblickt man den mächtigen Strom bis zu seiner großen 
Krümmung und kann seinen Lauf noch weithin verfolgen an dem Ein- 
schnitt in der gleichmäßigen Ebene der Urwaldwipfel. Im Süden 
ragen einzelne Berge in grotesken Gestalten empor, Wasserscheiden 
zwischen dem Issana und dem Caiary-Uaupes. Im Osten verläuft in 
weiter, blauer Ferne eine langgestreckte Kette, und von Nordosten 
her grüßen die beiden schroffen Felsspitzen von Cucuhy herüber, die 
natürlichen Marksteine zwischen Brasilien und Venezuela. 

Am 8. Oktober fahren unsere Freunde weiter zum Cuiary, einem 
ansehnlichen Nebenfluß des Issana, der kurz oberhalb Tunuhy zur 
Linken mündet. Salvador hat noch gut für uns gesorgt. Die Tunuhy- 
leute, denen er uns empfohlen hat, stellen zwei Ruderer und Boote, 
und der Inspektor Antonio, der etwas unterhalb der Schnelle an einem 
Nebenbach wohnt, hat den Auftrag erhalten, uns weiterzuhelfen. Ich 
habe mir die Aufgabe gestellt, zunächst den Aiary zu erforschen, einen 
rechten Nebenfluß des Issana, der von wenig berührten Stämmen ver- 
hältnismäßig stark bevölkert sein soll und noch von keinem wissen- 
schaftlichen Reisenden besucht worden ist. 

Ich mache den Flüchtlingen meinen Gegenbesuch. Timotheo, 
einer meiner neuen Ruderer, die sofort ihren Dienst bei mir angetreten 
haben, bringt mich zu ihrem Zufluchtsort. Der andere, Ignacio, ist 
schon vorausgeeilt, um mich anzumelden. Mit Tauschwaren habe ich 
mich reichlich versehen, Tabak, kleinen Messern, Angelhaken, Streich- 



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Bei den Flüchtlingen 



hölzern, Spiegeln, Perlen und anderem Tand, Kostbarkeiten för die 
Indianer. Der kleine Bach, durch den wir fahren, ist ganz zugefallen, 
so daß nur schmale Durchgänge bleiben. An einigen Stellen hat man 
der Natur nachgeholfen und mit Baumstämmen und Astegewirr eine 
Art Verhau geschaffen. Wir landen endlich an dem ganz versumpften 
Hafen mitten im Walde, wo einige schlanke Kanus liegen, und ge- 
langen auf einem vielfach gewundenen echten Indianerpfad zu einer 
großen Maniokpflanzung mit drei erbärmlichen, ad hoc errichteten 
Palmstrohhütten, dem Retiro der Tunuhyleute. 

Ein unbeschreiblicher Indianerkram ist darunter aufgestapelt: 
Kisten, Koffer, Tongefäße, Körbe, Feuerwaffen, Blasrohre und so 
vieles andere in buntem Wirrwarr. Mein Ignacio ist schon da und 
schaukelt sich in der Hängematte, ohne von mir Notiz zu nehmen. 
Die übrige Bewohnerschaft hält sich anfangs scheu im Hintergrund 
Eine junge Frau, die einen Säugling an der Brust trägt, zieht sich 
eine Jacke an. Es sind durchweg häßliche Typen, viele mit einer 
scheußlichen Hautkrankheit behaftet, die am ganzen Issana stark auf- 
tritt. Eine alte Hexe ist davon im Gesicht ganz schwarz. Ich setze 
mich auf eine Hängematte, die mir ein halbblinder Jüngling anbietet, 
und bekümmere mich eine Zeitlang nicht weiter um die Gesellschaft, 
die in den Ecken hockt und eifrig flüsternd über den fremden Weißen 
ihre Glossen macht. Dann schenke ich nach erprobter Methode dem 
kleinen Wurm eine dicke blaue Perle, die allgemeines Entzücken 
hervorruft und dem Kinde sofort um den Hals gehängt wird, und 
das Eis ist gebrochen. Der Handel beginnt. Ich stöbere in den 
Hütten umher und bringe eine kleine, aber wertvolle Sammlung zu- 
sammen, fein gearbeitete Wassertöpfe und Schalen, die mit roten 
Mäandermustern bemalt sind (Abb. S. 19), flache Körbe, die ähnliche 
Muster in Schwarz tragen, ein riesiges, 3 m langes Blasrohr und die 
dazugehörigen Giftpfeilchen, die in einem in hübschen Mustern ge- 
flochtenen Köcher stecken, einige kleine Töpfchen mit dem verderb- 
lichen Curaregift und andere schöne Sachen, die mir alle anstandslos 
gegen europäische Kleinigkeiten überlassen werden. Die guten Leut- 
chen wollen sich vor Lachen ausschütten über diesen sonderbaren 
Handel. Sie halten mich offenbar für ein wenig verrückt, da wohl 
noch nie ein Weißer zu ihnen gekommen ist, der solchen Kram be- 
gehrte und nach ihrer Meinung viel zu teuer bezahlte. 

Die Unterhaltung geht ganz flott, da alle Indianer in Tunuhy 
die Lingoa geral beherrschen und sogar im Verkehr unter sich fast 
ausschließlich anwenden, so daß ihr einheimisches Idiom allmählich 



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Katapolitani-Indianer 



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der Vergessenheit geweiht ist und schon jetzt von der jüngeren Generation 
nnr noch teilweise verstanden wird. Vor dem Kommandanten haben 
sie eine Heidenangst. Seine Schändlichkeiten scheinen sich im Ver- 
hältnis zur Entfernung vom Tatorte im Munde der Indianer bis ins 
UngemeBsene vergrößert zu haben. Erst gegen Sonnenuntergang 
trenne ich mich von meinen neuen Freunden und trete mit meinen 
beiden Ruderern, schwer beladen, den Heimweg an, um Schmidt, der 
in Tunuhy bei dem Gepäck zurückgeblieben ist, von seiner Einsamkeit 
zu erlösen. 

Am andern Tag ist die ganze Gesellschaft schon früh bei uns und 
bringt eine ganze Hauseinrichtung mit, die ich ihnen gern abkaufe. 

DieBe sogenannten Baniwa von Tunuhy und einigen Niederlassungen 
flußaufwärts sprechen heute außer der Lingoa geral einen Aruak- 
dialekt, der in vielen Wörtern mit dem Karutana des unteren Issana 
identisch ist. In früheren Zeiten hätten sie eine andere, sehr häßliche 
Sprache, ähnlich wie die Maku, gesprochen und seien wie diese ohne 
feste Wohnsitze im Walde umhergestreift , bis sie von den von Nord- 
osten her eindringenden Baniwa (Aruakstämmen) Kultur und Sprache 
annahmen. Noch heute werden sie von ihren westlichen Nachbarn, 
den Siusi, die hauptsächlich die Nebenflüsse Cuiary und Aiary be- 
völkern und den reinsten Aruak-Typus darstellen, etwas über die Achsel 
angesehen und, wie von den Karutana, für arge Giftmischer gehalten. 
Bei den Siusi heißen sie Katapolitani. 

Trotz ihrer christlichen Namen sind sie in ihrem ganzen Denken 
und in ihrer Lebensweise echte Indianer geblieben. Von der christ- 
lichen Religion, die ihnen schon seit Generationen nicht mehr gelehrt 
wird, wissen sie nichts und feiern nur noch einige Heiligentage, be- 
sonders das Fest des heiligen Antonius, des Schutzpatrons des Flusses, 
neben ihren altheidnischen Festen mit Tänzen und Saufgelagen. Die 
entstellende Hautkrankheit, die angeborene wilde Häßlichkeit ihrer 
Gesichtszüge und die europäischen Lumpen, mit denen sie sich be- 
hängen, dies alles verleiht den im übrigen wohlproportionierten 
Körpern dieser Indianer ein degeneriertes Aussehen. 

Nachmittags — wir liegen gerade in der Hängematte und halten 
Siesta — treten plötzlich mit freundlichem Gruß vier Indianer durch 
die Hintertür, ein wohlbeleibter Alter und drei junge Burschen. Es 
ist der Inspektor Diogo vom Bezirk oberhalb Tunuhy. Sie sind ge- 
kommen, um Salvador beim Passieren der Schnellen zu helfen, haben 
aber schon unterwegs erfahren, daß es zu spät sei. Erstaunt, uns 
hier zu treffen, halten sie mich anfangs für den Kommandanten, schließen 



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Inspektor Antonio 



aber bald mit uns Freundschaft, nachdem wir sie aufgeklärt und mit 
einem Schnaps und Zigaretten bewirtet haben. Eifrigst erkundigen 
sie sich, ob und wann der Kommandant käme. Wir beruhigen sie 
und machen ihnen alle möglichen Versprechungen, wenn sie uns bemalte 
Töpfe und andere Sachen brächten. Mit ein paar Kleinigkeiten, Ge- 
schenken für Frauen und Kinderchen, ziehen sie schließlich zufrieden 
heimwärts. 

Am anderen Morgen trifft Inspektor Antonio ein. Fast hätte er 
mich das Leben gekostet. Ich klettere zwischen den Felsen umher, 
um wilde Tauben zu Bchießen, die dort zahlreich nisten, als gerade 
die Indianerboote unter mir in den Hafen einfahren. In der Freude 
meines Herzens wage ich mich zu weit vor und stürze eine gute Strecke 
ab, wobei der eine Flintenhahn auf- und zuschnappt und der Schuß 
sich glücklicherweise nach oben entlädt, ohne mich zu verletzen. Ab- 
gesehen von einigen zerschundenen Fingern und Gliederschmerzen geht 
die Sache noch gut ab, nur komme ich etwas mitgenommen bei den 
Indianern an, die aber die Fassung vorzüglich bewahren. Als ich auf 
Antonio zutrete, um ihn zu begrüßen, kehrt er sich sogar von mir ab 
und zieht rasch ein sauberes, blendendweißes Hemd über seinen nackten 
Oberkörper, viel sauberer als das meinige! 

Er ist ein würdevoller älterer Herr und spricht ein wenig portu- 
giesisch, eignet sich daher sehr gut für meine Zwecke. Nach längerer 
Beratung mit meinen beiden Ruderern, und nachdem ich ihm eine gute 
Belohnung zugesichert habe, willigt er ein, uns bis zu dem größten 
Dorfe der Siusi am Aiary zu bringen, eine Reise von etwa zehn Tagen. 

Gegen Mittag stellt sich wirklich Diogo ein mit einer Bande von 
einigen dreißig Siusi von der Ortschaft Tucumarapecuma und anderen 
Niederlassungen am oberen Fluß in einem Dutzend mit Hausrat schwer 
beladener Kanus. Die Männer sind mit Hemd und Hose bekleidet, 
die Weiber meist halbnackt und, wie die nackten Kinder, am ganzen 
Körper mit roten Tupfen bemalt, ein Mittel gegen Schnupfen und 
andere Krankheiten, die die Reise mit sich bringt. Sie verkaufen uns 
eine Menge Ethnographica. Ihre herrlich gemusterten Töpfe, Schalen 
und Körbe zeichnen sich durch besonders feine Arbeit aus. Große, 
dache Siebe, die zum Durchsieben der trockenen Maniokmasse dienen, 
sind ebenfalls in roten und schwarzen geometrischen Mustern geflochten. 
Gegen einige Stücke Kattun und Seife für die Weiber, Munition für 
die Männer erhalten wir den ganzen Kram. Der Handel geht flott 
und geregelt. Jede Partei ist zufrieden. In einer knappen Stunde 
ist alles erledigt, und die Leute fahren weiter. Schneidig bringen sie 



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Ipeka-Indianer 



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ihre Boote durch die brausende Stromschnelle. Sie wollen zum Rio 
Negro, um während des Sommers in den Kautschukwäldern zu arbeiten. 
Mancher wird nicht wiederkehren! — 

Antonio besitzt auch in Tunuhy ein Haus, das er jedoch nur zur 
Zeit der Feste bezieht. Ich lasse hier die ethnographische Sammlung 
zurück, die schon stattlich angewachsen ist, .wenn auch der Herr 
Inspektor meint, in seinem Hause seien die Sachen nicht sicher, »viel- 
leicht kommt der Kommandant und brennt die ganze Ortschaft nieder ! u 

Kurz vor unserer Abreise trifft eine Familie Ipeka-Indianer ein, 
ein schöner, Bchlanker Mann mit feingeschnittenen Zügen, der einen 
merkwürdigen Strohzylinder auf dem schwarzen Haar trägt, seine noch 
jugendliche Gattin und fünf stramme Jungen wie die Orgelpfeifen. Sie 
befinden sich auf der Heimreise zum oberen Issana, wo dieser Aruakstamm 
oberhalb der großen Katarakte eine Reihe von Dörfern bewohnt. Mit 
Hilfe Antonios gelingt es mir, die beiden ältesten Söhne als Ruderer 
zu verpflichten. Ihr Vater nimmt einige schwere Kisten bis zur Mündung 
des Aiary mit und entlastet unsere tiefgehenden Boote. Damit ist die 
letzte Schwierigkeit gelöst, und in der Frühe des 12. Oktober fahren 
wir in zwei mit fünf Ruderern bemannten Booten ab. 




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IV. Kapitel 

Zu den Huhuteni- und Siusi- 
Indianern 

Abgesehen von einigen kleineren 
Schnellen, die jedoch nur bei niedrigem 
Wasserstande bemerkbar sind, fließt der 
Strom oberhalb der Tunuhy-Cachoeira 
ruhig dahin. Trotzdem kommen wir in- 
folge unserer schwerbeladenen Fahr- 
zeuge nur langsam vorwärts. 

Bis zur Mündung des ansehnlichen 
Cuiary, die wir nachmittags erreichen, 
begleitet das langgestreckte, nicht sehr 
hohe Tunuhygebirge, nahe herantretend, 
den Fluß und gibt ihm eine fast südliche Richtung. Eine kurze Strecke 
verläuft es noch entlang dem Cuiary. Dieser an Stromschnellen reiche 
Nebenfluß, der dasselbe schwarze Wasser wie der Hauptstrom führt, 
hat seine Quellen in Colombia. Er ist in seiner ganzen Ausdehnung 
von Aruakstämmen bewohnt, die zwar verschiedene Hordennamen 
führen, aber, abgesehen von unwesentlichen dialektischen Abweichungen, 
dieselbe Sprache sprechen wie die Katapolitani. 

Nachmittags kommen wir an zwei weiteren Niederlassungen der 
Katapolitani auf dem rechten Ufer vorüber und verbringen die Nacht 
in Sfto Jose, dem aus drei Häusern bestehenden Besitztum des In- 
spektors Diogo. Von dem dicken alten Herrn werden wir freundlich 
aufgenommen. Er sucht sofort mit uns Geschäfte zu machen, aber 
wir vertrösten ihn bis zur Rückkehr. Am nächsten Morgen treffen 
wir auf der Weiterfahrt einige Boote mit halbnackten Siusi vom Aiary, 
die auf dem Wege in den Kautschukwald sind. Auch sie glauben 
anfangs, deo Kommandanten vor sich zu haben, und zittern vor 
Angst. Sie führen ihre ganze Habe mit sich. Für eine Schachtel 
Streichhölzer und zwei Nähnadeln verkaufen sie uns eine Last ge- 
räucherter Fische. 

Mit der Niederlassung SAo Marcellino, die kurz oberhalb SAo Jose 
auf dem rechten Ufer liegt, hört das Gebiet der Katapolitani auf. 
Es kommt nun eine menschenleere Strecke von zwei Tagen Fahrt, 
auf der ein paar verlassene Häuser und Wüstungen die frühere Be- 
siedlung anzeigen. Lichter Trockenwald, aus dem nur wenige hohe 
Laubbäume hervorragen, tritt an Stelle des feuchten Hochwaldes; 
mächtige Bänke aus weißem Sande ersetzen die Felsen, die oberhalb 




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Fischreiche Seen 



31 



Tunuhy zahlreich zutage treten and die Schiffahrt gefährden. Die 
Jagd wird reichhaltiger. An den schmalen Zuflüssen im Schutze des 
Waldes gehen der plumpe Tapir und der kleine Rothirsch zur Tränke. 
In dichten Schwärmen kreisen fette Tauchervögel in der Luft; große 
schwarz-weiße Enten, Störche verschiedener Art und weiße Reiher zeigen 
die Nähe von Seen an, und hier und da brummt im Unterholz ein 
Hokkohuhn, dessen schmackhaftes Fleisch einen hervorragenden Platz 
auf der tropischen Speisekarte verdient. 

Ein sonderbares J agderlebnis, das mich bei ungläubigen Gemütern 
vielleicht in den Verdacht des Jägerlateiners bringen wird, bereitet 
uns viel Vergnügen. Meine Indianer fangen mit den Händen an einer 
seichten Stelle einen riesigen Sorubimfisch, eine Art Wels, von etwa 
10 kg Gewicht, der eine große Cabessudoscbildkröte lebend in seinem 
breiten Maule trägt. Sie hat sich fest in das Maul des Fisches ver- 
krallt und hätte ihn sicher getötet. Leider entkommt sie, als die 
Leute den willkommenen Fang in das Boot heben. 

Der Cabessudo , eine Wasserschildkröte , die wegen ihres dicken 
Kopfes den Namen führt und eine Spezialität des Issana und seiner 
Nebenflüsse ist, wird von den Indianern auf höchst grausame Weise 
zubereitet Sie legen das Tier mit dem Rücken auf ein starkes Feuer, 
wo es sich langsam zu Tode zappelt. Erst dann wird es ausgeworfen 
und zerlegt. Das Fleisch löst sich dadurch leichter von der Schale 
ab. Bisweilen schlagen sie dem lebenden Tier ein Loch in den Rücken- 
schild, entfernen die Eingeweide und braten es ganz in der Schale. 

In der Nähe der Mündung des Aiary bildet der Issana ein Netz 
von zahlreichen Seen, die wegen ihres Fischreichtums am ganzen Fluß 
berühmt sind. Zur Zeit des niedrigsten Wasserstandes kommen die 
Indianer von weit her und beziehen mit ihrem ganzen Haushalt auf 
den großen Sandbänken fliegende Lager, um hier ihren reichlichen 
Lebensunterhalt zu finden. Am See Cuetani, so erzählen die Siusi, 
stand vor alten Zeiten ein großes Haus der Fische, das jetzt für die 
Menschen unsichtbar geworden ist. 

Mitten in dem flachen und versumpften Seengebiet steigt das 
rechte Ufer plötzlich zu gewaltiger Höhe empor, der weithin leuchtenden 
Barreira de Yui (Froschgatter). Sie besteht aus feinem, weißem Sand, 
durch den oben einzelne- dunkle Felsen schauen. Am Fuße finden 
sich Nester des bläulichen Tones, aus dem die Indianerinnen ihre 
schönen Gefäße formen. Mühsam klettern wir, durch den nachstürzenden 
Sand watend, zur Höhe, die mit vereinzelten niedrigen Bäumen be- 
standen ist. Zahlreiche breite Spuren zeigen an, daß hier Jaguare 



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Der untere Aiary 



ihr Wesen treiben. Diese Campinas, wie der Brasilianer die vege- 
tationsarmen Sandfelder nennt, erstrecken sich weit flußabwärts und bis 
zum oberen Aiary und gewähren den Indianern bequeme Verkehrswege. 

Am 16. Oktober kommen wir zur ersten Niederlassung der Siusi, 
einer Hütte brasilianischen Stils, durch eine Längswand in zwei Räume 
geteilt. Sie steht ganz leer, nur ein riesiger, mit feinen Lianenstreifen 
umflochtener Topf und ein langer Holztrog, die zur Bereitung des 
beliebten Kaschiri, eines leicht alkoholischen Getränkes, dienen, fristen 
hier ein einsames Dasein. Die Bewohner sind im Kautschukwald. 
Nachmittags gelangen wir zur Mündung des Aiary und verbringen 
gegenüber im Sumpfwalde eine scheußliche Regennacht. 

Am nächsten Morgen trenne ich mich von Schmidt, der hier die 
Ipekafamilie und unser übriges Gepäck erwarten soll, und fahre mit 
Antonio und Timotheo einstweilen allein weiter, den Aiary aufwärts. 
Nach wenigen Stunden Fahrt kommen wir an der Mündung seines 
linken Nebenflusses Quiary vorüber, der fast so groß wie der Haupt- 
üuß ist, aber nach Aussage meiner Leute wegen seiner versumpften, 
unfruchtbaren Ufer keine Anwohner hat. Die ersten Reisetage lassen 
sich schlecht an. Wir haben viel Regen, ein naßkaltes, häßliches 
Wetter, und kämpfen mühsam gegen die starke Strömung, die uns an 
jeder schärferen Ecke zwingt, zum anderen Ufer zu kreuzen. So geht 
viel Zeit verloren. 

Der untere Aiary hat eine schwache Bevölkerung, Siusi und Hu hü- 
ten i. Wir treffen nur wenige Wohnungen, teils am Flusse selbst, teils 
an kleinen Bächen und Seen gelegen, Palmstrohhütten ohne Abteilungen 
mit fast auf die Erde reichendem Dach. Sie sind bis auf einige alte 
Kochtöpfe und anderen unnützen Kram ausgeräumt, die Bewohner auf 
Kautschukarbeit abwesend. Auf einer Sandbank finden wir einen 
halbverhungerten Köter, der als echter Indianerhund vor meinem An- 
blick scheu ausreißt und sich erst mit uns anfreundet, als ihm Antonio 
in seiner Sprache: „Tsinu uatsepinu!" („Hund, komm her!") zuruft. 
Leider müssen wir ihn zurücklassen, um unser überladenes Boot nicht 
noch mehr zu beschweren und nicht noch einen hungrigen Gast mehr 
bei Tisch zu haben. 

Am 18. Oktober abends hören wir plötzlich flußaufwärts Hunde- 
gebell und kommen am anderen Morgen früh zu einem stillen Bach, 
an dem, wie Antonio vom Hörensagen weiß, eine Niederlassung der 
Huhuteni liegen soll. Wir fahren hinein und finden wirklich auf dem 
ansteigenden Ufer eine Hütte und zwei Küchenschuppen inmitten einer 
Bananenpflanzung. 



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Tafel II 




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Fliehende Huhuteni 



. 33 



Von einem Fußpfad aus, der in den Wald führt, bellen uns drei 
Hunde wütend an. Sonst ist niemand da, aber die Wohnung ist voll 
Hausgerät, sogar die Waffen sind zurückgelassen, nur die Hängematten 
fehlen. Ich schicke Timotheo auf dem Fußpfad in den Wald den 
Flüchtlingen nach und stöbere mit Antonio in der Hütte umher. Sie 
enthält nichts besonders Schönes und Interessantes. Die Töpfe sind 
fast alle unbemalt. Ein schlecht gearbeiteter Köcher ohne Giftpfeilchen, 
einige kleine, verräucherte Körbchen mit gerösteten Pfefferfrüchten 
hängen von einem Gerüst herab; an der Wand lehnen Blasrohre, 
Bogen, Pfeile mit Eisenspitzen und sogar ein paar Vorderlader. An- 
tonio ruft wiederholt in seinem liebenswürdigsten Tone: „Pinuadese! 
pinukaku piauaine!" („Kommt doch herbei! Sprecht doch mit uns!"), 
aber nur das Echo antwortet ihm. Endlich kommt Timotheo zurück, 
unverrichteter Dinge. Er hat weit im Wald einen alten Indianer ge- 
troffen, der ausruhend am Wege saß. Er rief ihn in seiner Sprache 
an, aber jener raffte sich auf und entfloh entsetzt. Wie sich später 
herausstellte, hatten uns die Leute am Abend vorher sprechen hören 
und waren eiligst in den Wald geflohen, da sie mich für den Kom- 
mandanten hielten, dessen Ruf bis zu ihnen gedrungen war. Schmidt 
fand wenige Tage später den Bach durch Verhaue gesperrt 

Die Ufer des unteren Aiary zeigen wenig Abwechslung. Man 
freut sich schon, wenn einmal die Öffnung eines Sees oder eines kleinen 
Zuflusses das ewige Einerlei unterbricht. Hier und da ragen aus dem 
Dunkel der Laubbäume stattliche Miriti-Palmen (Mauritia flexuosa) 
empor oder Gruppen von Carana-i, dünnstämmigen Fächerpalmen. 

An weithin sichtbaren Stellen, besonders hohen Sandbänken, lasse 
ich aufklärende Schreiben an „Kariuatinga", „den weißen Fremden", 
zurück, wie die Indianer meinen Schmidt wegen seiner weißblonden Haare 
nennen. Das Briefchen wird, mit einigen Blättern als Schutz darüber, 
in einen in den Sand gerammten Stock geklemmt. Der wie ein Spiegel 
glänzende Deckel einer Konservenbüchse dient bisweilen als Merkzeichen 
für diese primitive Urwaldpost. 

Am 20. Oktober treffen wir an einer Lagune eine Hütte mit 
fünf Feuerstellen und bald darauf an einem rechten Zuflüßchen ein 
großes, wohlgebautes Sippenhaus, eine Maloka, wie man in Nord- 
brasilien sagt, die erste ursprüngliche Indianerwohnung auf dieser Reise. 
In beiden Häusern fehlen die Bewohner, aber wiederum ist der ganze 
Hausrat zurückgeblieben. Die Frontseite der Maloka ist bis Mannes- 
höhe mit breiten Rindenstücken verkleidet, die mit zahlreichen rohen 
Kohlezeichnungen, Darstellungen von Menschen und Tieren, Ornamenten 

Kocu-Grttnbcrg, Zwei Jahre bei den Indianern 3 



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34 . 



Knillich Bewohner 



und anderem, bedeckt sind. Auch hier hat offenbar kürzlich eine 
Kneiperei stattgefunden. Ein Holztrog und mehrere große, umflochtene 
Töpfe stehen noch inmitten des weiten Raumes und im Kreise herum 
einige niedrige Sitzschemel, als wenn man soeben erst die Tafel auf- 
gehoben hätte. Ich nehme ein Bündel großer Pfeile mit, deren ver- 
giftete Holzspitzen zum Schutze des Trägers in einem feingeflochtenen 
Futteral stecken. Als Gegengabe lasse ich zwei Schachteln Streich- 
hölzer zurück. Vier, die ich anfangs geben wollte, seien zuviel, sagt 
Antonio. Unten am Hafen liegt im Wasser eine Anzahl dicker , bis 
l'/a m langer Flötenpfeifen aus Palmholz, Yapurutu in der Baniwa- 
sprache; aber sie sind schon zerplatzt und des Mitnehmens nicht wert. 

Auf der Weiterfahrt treffen wir die heimkehrenden Bewohner der 
Maloka, einen kräftigen jungen Mann, zwei Weiber und ein halbes 
Dutzend Kinder, in drei hochbeladenen Kanus. Sie kommen von 
einem Tanzfest in Curum-cuara (Krötenloch), dem größten Dorf der 
Siusi, eine Tagereise flußaufwärts. Der Mann, ein prachtvoll gewachsener 
Mensch, ist nackt bis auf die Schambinde, ein schmales Stück Zeug 
europäischer Herkunft, das zwischen den Beinen durchgezogen und 
vorn und hinten unter die Hüftschnur geklemmt wird. Die Weiber 
tragen kurze Kattunröcke. Ihre Gesichter sind glänzend rot über- 
strichen, ihre Oberkörper mit schwarzen Tupfen bemalt, Zeichen des 
verflossenen Festes. Die Kinder erfreuen sich noch ihrer natürlichen 
Nacktheit. Auf einen ermunternden Zuruf Antonios kommen die Leute 
zutraulich näher, und bald ist eine flotte Unterhaltung im Gange, da 
sich das Katapolitani von dem Siusi, das diese Huhuteni sprechen, 
kaum unterscheidet. Antonio gibt genaue Auskunft über das Woher 
und Wohin und den Zweck der Reise. Er betont verschiedene Male, 
wie „matsiatene", „vortrefflich", ich sei, und wie viele schöne Sachen 
ich mit mir führe, was anscheinend einen guten Eindruck macht. Die 
Fremden begleiten seine Ausführungen mit vielen höflich-erstaunten : 

„Oho ka! oho ka ! tt und wiederholen einzelne wichtige Worte 

in anerkennendem Ton. Auch eine Art „Friedenspfeife* geht um. 
Der junge Mann reicht meinen Ruderern seinen Zigarettenstumme], 
ein wenig Tabak in roten Baumbast gewickelt, und diese geben ihn 
nach ein paar Zügen wieder zurück. Wir erfahren einige Neuigkeiten. 
In Cururu-cuara wohne Mandu, der Häuptling der Siusi, der gut 
portugiesisch spreche. Dort seien viele Leute. 

Der Huhuteni willigt rasch ein, uns zu begleiten, und steigt in 
mein Boot Mehrere Schnüre blauer und weißer Glasperlen, die 
er um den Hals trägt, steckt er beim Abschied von den Seinen 



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Bei den Huhateni-Indianern 



35 



sorgfältig in ein kleines Säckchen und läßt sie zurück. Seine Hänge- 
matte, Maniokfladen und Maniokgrütze nimmt er mit. Mit Eilzugs- 
geschwindigkeit geht es weiter. Freilich kann ich mich nun gar nicht 
mehr rühren, denn das Boot geht kaum zwei Finger breit über Wasser, 
und bei der geringsten Bewegung zur Seite schlagen die Wellen von 
rechts und links herein. Gegen Abend kommen wir wiederum zu einer 
Maloka der Hnhuteni auf dem linken Ufer. Im Hafen liegen vier 
kleine Einbäume, drei weitere sind auf dem Land in Arbeit. Ein 
Fußpfad führt landeinwärts. 

Wir senden Chico (Francisco), wie Antonio unseren Huhuteni 
nennt, voraus, uns anzumelden, und folgen im Gänsemarsch. Der 
zivilisierte Herr Inspektor sagt, als wir uns zum Besuche rüsten: „Oh, 
jetzt habe ich ein so schmutziges Hemd an!" Ich tröste ihn, mein 
Hemd sei noch viel schmutziger als das seinige, und zudem wüßten 
die Leute ja davon nichts, da sie selbst nackt gingen. Gegen die 
bösen Hunde haben wir uns, wie es üblich ist, wenn man eine Indianer- 
wohnung besucht, mit festen Stöcken bewaffnet. Die Maloka liegt auf 
einer Lichtung, ein ebenso großes, sauberes Haus wie das vorige. 
Von dem Hausherrn, der sich durch stark gewelltes Haar auszeichnet, 
werden wir freundlich aufgenommen. Ich habe ihn etwas unter dem 
Wert taxiert, denn zur Feier des Empfanges trägt er Hemd und 
Hose, die Hausfrau eine weiße Jacke. Sonst geht alles mehr oder 
weniger nackt. Für mich wird sofort eine Hängematte angebunden, 
Antonio nimmt auf einem alten Kistchen Platz, Timotheo auf einem 
niedrigen Schemel, und die Unterhaltung beginnt. Antonio als Im- 
presario und Sprecher setzt wiederum den Leuten den Zweck meines 
Hierseins auseinander, so gut er es selbst weiß, und malt meine Vor- 
züge in den rosigsten Farben. Für Perlen, Messer und andere Herr- 
lichkeiten wolle ich bemalte Töpfe, gemusterte Körbe und sonstigen 
Hausrat einhandeln, was natürlich wieder allgemeines erstauntes Lachen 
hervorruft. Ich mache bei der ganzen Unterhaltung, die in „Baniwa" 
geführt wird, den stummen Zuschauer und fühle mich als angestauntes 
Wundertier. 

Offenbar ist jetzt nur eine Familie anwesend, doch scheint das 
große Haus gewöhnlich von viel mehr Personen bewohnt zu sein. Ich 
bemerke viele schöne Ethnographica. Besonders erfreuen mich fein 
gemusterte flache Körbe, die ich nach meinen bisherigen Erfahrungen 
hier nicht mehr vermutet habe. Ein angefangener Korb läßt deutlich 
die Art der Arbeit erkennen. In dem Hause herrscht eine arge Hitze. 
Wir nehmen deshalb Abschied und fahren zur gegenüberliegenden 



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3(1 



Kin beschaulicher Vormittag 



Sandbank, um dort die Nacht unter freiem Himmel zuzubringen, ßehr 
zu unserem Schaden, denn bald nach Mitternacht bricht ein furcht- 
bares, lange anhaltendes Unwetter los und treibt uns unter das Zelt- 
tuch, mit dem die auf dem Sande aufgestapelte Last bedeckt ist. So 
verbringen wir, zusammengekauert und zitternd vor Frost, die lange 
Nacht. Erst gegen acht Uhr morgens kommt Chico mit einem jungen 
Mann von drüben und holt uns ab. 

Unser Wirt hat diesmal vernünftigerweise die lästige Kleidung 
abgelegt und zeigt sich in seiner nackten Schönheit. Zum Willkommen 
bietet uns die Frau eine große Kalabasse voll Schibe\ in Wasser auf- 
gelöste Maniokgrütze. Die hübsche, stramme Haustochter, die bis auf 
ein kurzes Röckchen und bunte Perlenschnüre um die Handgelenke 
nackt geht, bäckt uns gegen etwas Tabak einen großen Maniokfladen. 
Ich habe mir einige kleine Tauschwaren mitgenommen, man ist aber 
nicht sehr geneigt zum Handel. Verschiedene Gegenstände, die ich 
gern erworben hätte, gehören anderen Leuten, die noch in Cururu cuara 
beim Fest sind. Fremdes Eigentum wird streng geachtet. Nie ver- 
kauft einer auch nur eine Kleinigkeit, die einen anderen Besitzer hat, 
ohne dessen Wissen und Zustimmung, nie nimmt einer die Bezahlung 
für einen anderen an. 

Wiederum lange Unterhaltung in Baniwa. Die Wörter werden 
sehr rasch, die Silben sehr kurz ausgesprochen. Der Ton ist singend 
und gewissermaßen liebenswürdig. Ungemein störend wirken auf die 
Dauer die häufigen Wiederholungen und vielen höflichen .Oho ka b des 
Zuhörers. Ich bin wieder der Gegenstand der Unterhaltung, wie ich 
aus ihren ungenierten Blicken und dem fröhlichen Lachen deutlich 
erkennen kann. Die Hausfrau nimmt aus ihrer Hängematte in einer 
Ecke, wo sie mit einem kleinen kranken Kinde liegt, eifrig am Gespräch 
teil. In einer anderen Hängematte ruht teilnabmlos, von Zeit zu 
Zeit leise hustend, ein uraltes Großmütterchen. 

Zehn Uhr, und der Regen läßt noch immer nicht nach. So führen 
wir hier ein beschauliches Dasein, schaukeln uns in der Hängematte, 
rauchen eine Zigarette nach der anderen und unterhalten uns, so gut 
es gehen will, in einem Kauderwelsch von portugiesisch, Lingoa geral 
und Baniwa. Chico beginnt mit umherliegendem Material ein hübsches, 
rotweißes Korbmuster zu flechten. Die Flechterei besorgen nur die 
Männer, wie die Töpferei ein ausschließliches Monopol der Frauen 
ist. Bald wird er der Arbeit überdrüssig, setzt sich an das Feuer 
und plaudert mit den anderen. Zwischendurch laust die Hausfrau 
an der Hintertür emsig einen kleinen Jungen. Der Vater versucht 



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Ankunft in Cururu-cuara 



37 



indessen, das kranke Kleine in der Hängematte zu beruhigen, das 
kläglich nach der „nana" (Mama) schreit. Draußen rauscht einförmig 
der Regen. 

Erst gegen Mittag hellt sich das Wetter einigermaßen auf, und 
wir können weiterfahren. Bald darauf kommen wir an einem rasch- 
strömenden, linken Zufluß vorüber, dem ansehnlichen Uirauasu-Farana, 
an dem eine große Maloka der Kaua-Indianer liegt. Der Fluß hat 
hier eine verhältnismäßig starke Bevölkerung. Gegen vier Uhr machen 
wir eine kurze Rast in der großen, neuen Maloka Dzoroali-numana der 
Huhuteni auf dem rechten Ufer, wo wir nur drei Bewohner, Mann, 
Weib und Kind, festlich bemalt, antreffen. Eine knappe halbe Stunde 
Fahrt bringt uns zum Ätiaru. einem kleinen Zufluß zur Linken. Hier 
findet sich ein weiteres Haus der Huhuteni, dem wir jetzt aus Mangel 
an Zeit keinen Besuch abstatten können. Erst kurz vor Einbruch der 
Dunkelheit kommen wir im Hafen von Cururu-cuara an. 




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V. Kapitel 



In Cururu-cuara 

Es scheint noch recht fidel herzugehen. Der Lärm vieler Stimmen 
schallt zum Hafen herab. Einige nackte Jungen laufen die Böschung 
hinunter. Ein total Betrunkener kommt dahergetorkelt, laut „branco, 
branco!" („Weißer, Weißer!") rufend. Es ist der Zauberarzt des 
Dorfes. Er faßt mich bei der Hand und geleitet mich zum Festhause, 
oder besser gesagt, er führt sich an mir und läßt mir am Eingang 
den Vortritt. Viel nacktes Volk ist in dem großen Räume anwesend, 
darunter, so scheint es, zahlreicher Besuch. Man begrüßt mich freund- 
lich und läßt mich auf einer Hängematte Platz nehmen. Antonio 
sagt sein Sprüchlein her und findet wie immer dankbare Zuhörer. 
Die Kneiperei ist noch in vollem Gange. Viele große Töpfe stehen 
da, gefüllt mit dem edlen Naß. Ein bildschöner, nackter Indianer 
mit wahrhaft klassischen Gesichtszügen, der Bruder des abwesenden 
Häuptlings, macht den Gastgeber. Einige alte Herren haben des Guten 
schon zuviel getan und liegen mit verglasten Augen in der Hängematte. 
Ich empfehle mich bald wieder, um den versäumten Schlaf der vorigen 
Nacht nachzuholen. 

Unter einigen Bäumen, nahe beim Boot, haben wir unser Lager 
aufgeschlagen. Vom Kaschiri-Hause dringen noch lange lebhaftes 
Gespräch und einzelne Juchzer der Betrunkenen herüber. Die Kröten 
des Cururu-cuara (Krötenlochs), des gegenüberliegenden kleinen Sees, 
der dem Dorf den Namen gegeben hat, lassen dazu ihr eintöniges 
Konzert hören. 

Am anderen Morgen räumt man uns eine elende, nur wenig über 



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Zoclitrelajq-e 



39 



mannshohe Hütte ein, in der wir mit unserem Gepäck kaum Platz 
finden. 

Cururu-cuara oder Dorataua-numana, wie der Ort in der Siusi- 
Sprache heißt, besteht aus zwei großen, neuen Sippenhäusern, die in 
einer Front liegen. Das eine Haus ist noch unfertig. Es fehlt die 
Bedeckung der Vorderseite. Vor einiger Zeit ist das Dorf durch 
Kinder, die mit Feuer gespielt haben, ein Raub der Flammen geworden. 
Die einzelnen Familien wohnen in provisorischen Hütten. 

Es wird weiter gesoffen. Ich gehe bald wieder zum Festhause 
und nehme am Gelage teil. Der schwerbetrunkene Wirt schwankt 
zwischen den Kaschiri-Töpfen und seinen Gästen hin und her und 
bringt jedem einzelnen der Reihe nach die große Kalabasse, die er 
immer wieder von neuem füllt. Viele sind schon abgefallen. Mein 
Chico schnarcht lang ausgestreckt auf einer Lattenbank; in einer 
Hängematte liegen zwei Schlafende eng umschlungen. Trotz der all- 
gemeinen Bezechtheit herrscht noch ein gewisser Komment. Der Gast- 
geber überreicht die Kalabasse mit aufmunterndem „Aha! u , worauf 
der Gast, der sie in Empfang nimmt, „Ho! u erwidert. Hat er sie, 
meistens ohne abzusetzen, geleert, so gibt er sie mit einem „Aha u 
dem Wirt zurück, und dieser quittiert mit „Ho!". Auch ich trinke 
ansehnliche Quantitäten von dem braunen Zeug, das säuerlich prickelnd 
schmeckt, mit einer leichten Erinnerung an Weißbier. 

Höchst unappetitlich wie sein Aussehen ist auch die Zubereitung 
dieses am ganzen oberen Rio Negro und seinen Nebenflüssen und in 
vielen anderen Gegenden des tropischen Südamerika so beliebten 
Getränkes. Stark angebrannte Maniokfladen werden zerkleinert in 
einen Holztrog geworfen und mit frischem Wasser angesetzt. Um die 
Gärung zu beschleunigen, werden von den Weibern oder bei manchen 
Stämmen auch von den Männern Maniokfladen gekaut und hinzugetan. 
Blätter eines gewissen Baumes, bisweilen auch Zuckerrohrsaft, liefern 
berauschende Ingredienzien. Das Ganze kneten die Weiber sorgfaltig 
durch. Darauf wird der Trog mit frischen Bananenblättern oder mit 
Matten dicht verdeckt und steht in der warmen Maloka neben dem Herd- 
feuer, das die ganze Nacht hindurch unterhalten wird. Am nächsten 
Tage kann das Gebräu als süßliches, harmloses Payauru getrunken 
werden. Eigentliches Kaschiri wird es erst nach zweitägiger Gärung 
und enthält dann genug Alkohol, um sich darin einen tüchtigen Rausch 
zu holen. Die braune, breiartige Masse wird zu diesem Zweck von der 
Frau, die, abgesehen von dem Kauen, das Monopol der Kaschiri- 
Bereitung hat, durch ein großes Korbsieb gepreßt, das auf einem 



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* 



40 Der betrunkene Zauberarzt 

dreieckigen Holzgestell ruht. Die immer noch dicke Brühe läuft in 
den darunterstehenden Topf, aus dem sie die Gastgeberin oder ihr 
Gatte mit der Kalabasse kredenzt. Bisweilen wird die frisch angesetzte 
Masse in dem Holztroge oder einem größeren Topfe oder auch nur 
in Bananenblätter gewickelt wochenlang aufbewahrt, um bei Gelegen- 
heit, mit Wasser durchgesiebt, ihre Verwendung zu finden. Die fest 
verschlossenen Töpfe sind häufig mit einem Netz von Schlingpflanzen 
umflochten, damit sie durch die Gärung nicht zersprengt werden 
(Abb. S. 51). Außer der Maniok werden auch Knollenfrüchte, süße 
Bataten, Mais und verschiedene Palmfrüchte zur Kaschiri-Bereitung 
verwendet. Besonders die goldgelben Früchte der Pupunya-Palme 
liefern ein sehr schmackhaftes Getränk. 

Das Kaschiri in Cururu-cuara ist sehr nachlässig durchgepreßt. 
Man muß es beim Trinken noch einmal durch die Zähne sieben und 
spuckt dann den im Munde zurückbleibenden Satz ungeniert zu Boden . 
Die schmierigen Hände wischt man an den Hauspfosten ab, die deut- 
liche Spuren häufiger Benutzung zeigen. 

Der Zauberarzt ist wieder am meisten betrunken. Ich benutze 
die günstige Gelegenheit und handele ihm einen großen Teil seines 
Zauberapparates ab. Es ist verschiedener fremder Import darunter. 
Zwei fein geflochtene, zylindrische Körbchen von ganz anderem Typus 
als dem hier gebräuchlichen stammen vom Norden her, wahrschein- 
lich von Stämmen des Inirida oder Guaviare; ebenso eine Halskette 
mit zwei riesigen Zähnen des großen Alligators, der in den Gewässern 
des Issana nicht vorkommt, dagegen im Orinoco und seinen Neben- 
flüssen um so häufiger ist. Diesen Zähnen werden bei vielen Stämmen 
Südamerikas gewisse magische Kräfte zugeschrieben. Auch zwei Stück- 
chen durchsichtigen Harzes gehören zu Beinern Handwerkszeug. Er 
reibt sie zwischen den Händen und läßt mich daran riechen, ebenso 
wie er es bei seinen Krankenkuren macht. Mit einem großen Berg- 
kristall, der auch von weit her sein soll, tut er noch wichtiger und 
will ihn um keinen Preis hergeben. Ich habe den Stein schon halb 
und halb erworben, da verschwindet er wieder auf geheimnisvolle 
Weise. Nachher, als mein Freund nüchtern geworden ist, tut ihm 
der ganze Handel leid, und er will ihn rückgängig machen, aber es 
ist zu spät. 

Gegen Mittag kommt Häuptling Mandu von der Arbeit; endlich 
einer, mit dem man vernünftig reden kann. Er ist ein Mann in den 
besten Jahren mit ernstem, vertrauenerweckendem Gesicht und offen- 
bar sehr intelligent. Sein Portugiesisch ist zwar nicht hervorragend, 



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Oberhäaptling Mandu 



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genügt aber neben der Lingoa geral, die er gut beherrscht, zur Ver- 
ständigung. Er verspricht mir sofort, ein größeres Boot und Leute 
zur Weiterfahrt zu besorgen und mir überhaupt in allen Stücken behilf- 
lich zu sein. Mandu hat sich in seiner Jugend längere Zeit in den 
Ansiedlungen der Weißen am Rio Negro aufgehalten und ist sich 
seines feineren Tones wohl bewußt. Außerdem hat Antonio, der 
selbst vor mir einen gewaltigen Respekt hat, mich ihm als eine hoch- 
offizielle Persönlichkeit hingestellt, die im Auftrage des Governadors 
in Manaos reise, von dessen Existenz Mandu eine dunkle AhnuDg hat. 

Er entstammt, wie er selbst mir mit Stolz erzählt, einer uralten 
Häuptlingsfamilie und betrachtet sich als den Oberhäuptling über alle 
Anwohner des Aiary. Vor alter Zeit seien seine Vorfahren vom 
oberen Issana zum Aiary gekommen und hätten die Huhuteni, die 
damals noch unstet durch die Wälder streiften, unterworfen und seß- 
haft gemacht. Diese vergaßen allmählich ihr eigenes, „sehr häßliches 41 
Idiom und nahmen dafür die wohlklingende Sprache der Sieger an, 
aber ihre grobknochigen Gesichter mit den stark vortretenden Joch- 
beinen, dem breiten Mund, der engen Augenspalte und den etwas 
schief gestellten Augen sind noch heute sofort von den fein geschnittenen, 
fast europäischen Zügen der Siusi zu unterscheiden. Mandu bezeich- 
net sich und seine zwei Brüder als reinblütige Oaliperi-dakeni, 
wie sich die Siusi in ihrer eigenen Sprache nennen. Die übrige Be- 
völkerung des Aiary ist ein Gemisch aus verschiedenen Stämmen, da 
auch Ehen mit Weibern vom nahen Caiary-Uaupes, besonders mit 
den benachbarten Uanana, nicht zu den Seltenheiten gehören. 

Die Uäuptlingswürde ist erblich und geht vom Vater auf den 
Sohn über, aber mit dem oft recht weiten Umwege über die Brüder 
des Vaters. Mandus Vater, ein harmloser Greis, lebt noch in Cururu- 
cuara. Er hat seinerzeit zugunsten seines erstgeborenen Sohnes, eines 
älteren Bruders Mandus, freiwillig sein Amt niedergelegt, da er die 
Regierungsgeschäfte nicht mehr besorgen konnte, wie mir Mandu mit 
etwas anderen Worten erklärt. Als der älteste Sohn nach einiger 
Zeit starb, wurde Mandu Häuptling, obwohl jener einen erwachsenen 
Sohn hinterlassen hat. Stirbt auch Mandu, so folgen ihm seine 
beiden Brüder im Amte, immer dem Alter nach, und erst nach des 
jüngsten Bruders Tode kann der Sohn des ältesten Bruders Häupt- 
ling werden. 

Die Machtbefugnisse eines solchen Häuptlings sind gering und 
beschränken sich gewöhnlich auf die Dorfgemeinschaft, der er angehört 
und als Ältester vorsteht. Er hat hauptsächlich eine repräsentative 



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42 



Hfiuptlingswesen 



Stellung, empfangt die Fremden und leitet die Verhandlungen mit 
ihnen als Vertreter des ganzen Dorfes, dessen Wünsche er vermittelt. 
Bei allen Beratungen innerhalb der Dorfgemeinschaft, zu denen er 
Versammlungen einberufen kann, führt er den Vorsitz. Zu allen An- 
gelegenheiten, die das ganze Dorf betreffen, gemeinsamen Jagd- und 
Fischzügen, Bau der Maloka, Fehden mit anderen Stämmen, die aber 
jetzt kaum mehr vorkommen, kann er seine Leute zusammenkommen 
lassen und jedem einzelnen seinen Platz anweisen. Von Zeit zu Zeit 
läßt er das Haus ausbessern, den Dorfplatz reinigen und die Wege 
instand setzen. Bei Tanzfesten präsidiert er als Vortänzer und Tanz- 
ordoer. Verläßt er das Dorf für längere Zeit, so übergibt er seinem 
ältesten Bruder die Vertretung seines Amtes in einer längeren, mono- 
tonen, häufig von Klagezeremonien unterbrochenen Abschiedsrede. Bei 
Streitigkeiten unter den Dorfgenossen, die höchst selten sind, schlichtet 
der Häuptling mit ermahnenden Worten: „Das ist nicht gut, laßt den 
Lärm!" Strafen kann er nicht. Die Herrschaft über die anderen 
Stämme des Aiary, Huhuteni und Kaua, ist heutzutage fast nur noch 
nominell, doch wurde Mandu in allen Dörfern, die ich später mit ihm 
besuchte, als Häuptling empfangen und geehrt. Man könnte dieses 
Häuptlingssystem in seinen Befugnissen am besten mit dem Amte 
unserer Dorfschulzen vergleichen; der Gemeinderat hier ist dort die 
Gemeinschaft der verheirateten Männer. 

Das größere der beiden Sippenhäuser in Cururu-cuara wird vom 
Häuptling, seinen beiden Brüdern Gregorio und Chico, dem Zauberarzt 
und einem gewissen Ignacio mit ihren Familien bewohnt. Das andere 
Haus gehört dem verheirateten Sohn des verstorbenen Häuptlings. 
Der Besitzer der kleinen Hütte, die uns zur Wohnung angewiesen ist, 
ein junger Siusi mit Frau und drei kleinen Kindern, ist zu ihm gezogen. 
Im ganzen beträgt die Bevölkerung etwa vierzig Seelen. Alle übrigen 
Dörfer am Aiary bestehen nur aus einem großen Gemeindehaus, 
der Maloka. 

Die Maloka liegt immer auf hohen, der jährlichen Überschwemmung 
nicht ausgesetzten Uferstellen, in unmittelbarer Nähe eines Nebenbaches, 
der fruchtbaren Boden für die ausgedehnten Pflanzungen einer jeden 
einzelnen Familie und gesundes Trinkwasser gewährt. Vor dem Hause, 
dessen Front stets nach dem Fluß hin gerichtet ist, erstreckt sich ein 
weiter, freier Platz, der sehr sauber gehalten wird. Häufig liegt hier 
ein Baumstamm, auf dem sich die Männer in der kühleren Abendzeit 
zu einem Plauderstündchen niederlassen. Der Dorfplatz ist umrahmt 
von einem kleinen Hain breitblätteriger Bananen und hoher Pupunha- 



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Gemeindehaas Maloka 



43 



palmen, deren Früchte von den Frauen zu allen möglichen Leckerbissen 
verarbeitet werden. Diese Palme gehört zu den wichtigsten Nutz- 
pflanzen des Indianers, der sie mittels Schößlinge fortpflanzt, da der 
steinharte Samenkern die Fortpflanzung nicht mehr ermöglicht, ja bis- 
weilen gänzlich verschwunden ist, was auf eine jahrhundertelange Kultur 
schließen läßt. Hinter dem Hause trennt nur ein schmaler Streifen 
gerodeten Landes, bisweilen auch eine Maniok-, Mais- oder Zuckerrohr- 
pflanzung die menschliche Wohnstätte von dem Urwalde. 

Die Bewohner einer solchen Maloka gehören meistens im weiteren 
Sinne einer Familie an; häufig ist es nur ein älteres Paar mit seinen 
erwachsenen Söhnen und ihren Familien. Da aber die Frau nie aus 
dem eigenen Stamm genommen wird, so trifft man gewöhnlich unter 
den Weibern einer Maloka Angehörige mehrerer Stämme mit ver- 
schiedenen Sprachen. Der Familienälteste ist in diesem Falle zugleich 
der Orts- oder Gemeindevorsteher. 

Die Konstruktion dieser Malokas bleibt sich überall, abgesehen 
von Unterschieden in den Größen Verhältnissen , gleich und ist die 
folgende: Der Grundriß ist oblong bis quadratisch. Sechs Hauptstrebe- 
pfeiler, zu je zwei oben durch einen Querbalken verbunden, tragen das 
allmählich ansteigende, hohe Dach, das fast bis zur Erde herabreicht 
und durch das Gitterwerk der langen Dachsparren gebildet wird. Von 
der Mitte eines jeden Querbalkens aus geht ein Vertikalpfosten in die 
Höhe, auf dessen häufig gabelförmigem, oberem Ende der Dachfirst 
ruht, der außerdem noch von mehreren, gewöhnlich vier, kurzen Hori- 
zontalbalken gestützt wird. Zwei Reihen von je fünf oder sechs 
kleineren Strebepfeilern stehen näher den sehr niedrigen Seitenwänden. 
Die gleich hohen Strebepfeiler werden untereinander und mit den Dach* 
sparren durch je einen Horizontalbalken verbunden. An der Frontseite 
steht das Dach weit über und bietet dadurch einen gewissen Schutz 
vor dem Regen (Abb. S. 38). 

Der Längsraum in der Mitte des Hauses bleibt als Durchgang 
und Verkehrsraum, als Festsaal und Tanzplatz frei. In den Seiten- 
räumen befinden sich die Wohnstätten der einzelnen Familien, die 
meistens durch niedrige Mattenwände voneinander getrennt sind. 
Mannigfache Hausgeräte liegen hier umher; braune Palmfaserhänge- 
matten ziehen sich von Pfosten zu Pfosten; kohlende Holzkloben, 
zwischen einigen Steinen sternförmig zusammengelegt, bilden den häus- 
lichen Herd, dessen Feuer selten erlischt. Ein allen Bewohnern der 
Maloka gemeinsamer Herd mit großer, runder Tonplatte dient zur 
Herstellung der Maniokfladen und zum Rösten der Maniokgrütze, der 



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Einrichtung der Maloka 



Hauptnahrung der Indianer. Bisweilen fehlt auch nicht die primitive 
hölzerne Zuckerrohrpresse des brasilianischen Ansiedlers. An den 
beiden kaum einen Meter hohen Seitenwänden laufen gewöhnlich manns- 
hohe Gerüste aus Palmlutten entlang, wo Körbe und anderer Hausrat 
untergebracht werden. Andere Körbe, für den Handel bestimmt, 
hängen hoch im Giebel des Hauses. In der Bekleidung des Daches, 
die aus mehreren schindelartigen Lagen Fächerblätter der Carana- 
Palrae besteht, stecken die wohl geglätteten, nicht sehr langen Bogen 
und ungefiederten Pfeile, die häufig schon europäische Eisenspitzen 
mit Widerhaken, bei den wenig berührten Stämmen aber noch Spitzen 
aus harten Affenknochen tragen und neben großen und kleinen Hand- 
netzen zum Fischfang verwendet werden. Bündel längerer, ebenfalls 
ungefiederter Rohrpfeile mit vergifteten Holzspitzen, die außer wenigen 
Feuerwaffen zur Jagd auf größeres Wild dienen, lehnen an der hinteren 
Giebelwand, daneben mächtige Blasrohre, die Hauptjagdwaffe dieser 
Indianer, in deren Handhabung schon die Knaben eine große Gewandt* 
heit zeigen. Von einem Gerüst hängen zierlich geflochtene Köcher 
herab, die die todbringenden Giftpfeilchen bergen. 

Der Eingang und der ihm gerade gegenüberliegende Ausgang des 
Hauses sind hoch und breit. Den Verschluß bildet eine Art Falltür, 
die von oben nach unten klappt und während der Nacht geschlossen 
bleibt. Sie besteht aus zwei aufeinander gepaßten und durch Liaoen 
miteinander verbundenen Gittern aus Palmlatten, zwischen die eine 
dichte BlätterfülluDg gelegt ist. Bei Tagesanbruch wird die Tür auf- 
geklappt und an einem vom Giebel herabhängenden Strick oder einer 
Liane, die unten in eiue Schlinge ausläuft, befestigt. 

Gestelle aus rechtwinklig sich kreuzenden Stangen bilden die 
Gruudlage für die niedrigen Seitenwände und die beiden Giebelwände. 
Sie werden außen mit mehreren Schichten Caranablätter bedeckt, auf 
die Palmlatten horizontal gelegt und mit aller Kraft angedrückt werden. 
Das Ganzo wird mit Lianen fest zusammengebunden, so daß eine wasser- 
dichte Decke entsteht. Auch jedes Palmblatt der Dachbekleidung 
wird sorgfältig mit Liane an den Horizontalsparren befestigt. Bis- 
weilen sind die Giebelwände mit großen Matten aus den herrlichen 
Wedeln der Inajapalme bedeckt, deren Fiedorn einmaschig miteinander 
verflochten sind. Bei vielen Malokas ist die Frontseite bis über Manns- 
höhe mit aufrechtstehenden, auseinandergebreiteten Rindenstücken be- 
legt. Ein Rauchfang fehlt; der Rauch entweicht durch die lockere 
Palmstrohbekleidung des oberen Teiles der beiden Giebelwände. Jeder, 
auch der kleinste Teil des Hauses führt seinen besonderen Namen. 



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Tjüches Leben in der Maloka 



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Dem ganzen Bau, der Wind und Wetter erfolgreich Trotz bietet, ob- 
wohl die aus mächtigen Baumstämmen hergestellten, wohlgeglätteten, 
zylindrischen Pfosten und Querbalken ohne alle Beschläge und Nägel 
nur durch Bänder von Schlingpflanzen zusammengehalten werden, gebührt 
volle Bewunderung. Die Malokas zeigen häufig ansehnliche Dimen- 
sionen. So ist das Häuptlingshaus in Cururu-cuara 18,60 m lang, 
16,80 m breit und 7 m hoch (Taf. II und III). 

Das Innere der Maloka ist meistens sauber gehalten. Der fest- 
gestampfte Boden wird von den Bewohnern, denen Reinlichkeit eine 
Hauptlebensbedingung ist, öfters gefegt. In der Kegel überläßt man 
dieses schmutzige Geschäft, wie viele andere unangenehme Sachen, den 
alten Weibern, die sich ihrer Arbeit mit großem Eifer hingeben. 
Leider wirbelt ihr großer Reiserbesen Wolken von Staub auf, denn 
sie kehren trocken und sprengen erst nachher. Der Kehricht aus dem 
Hause wird am Rande des Dorfplatzes in den Wald geschüttet, wo 
er sich häufig zu einem niedrigen Wall anhäuft. Zu gewissen Geschäften 
geht der Indianer weit in den Wald hinein. 

Der Bau der Maloka bleibt allein den Männern überlassen. Jeder 
von ihnen übernimmt nach den Anweisungen des Häuptlings einen 
bestimmten Teil der Arbeit. Bei Arbeiten in größerer Höhe vom 
Erdboden bedient man sich einer primitiven Leiter, zwei dünner 
Baumstämme, die durch einen horizontalen Stamm miteinander ver- 
bunden sind. 

Die Zahl der Bewohner ist sehr verschieden und schwankt zwischen 
zehn und an hundert Seelen, die in diesem einen großen Raum ein- 
trächtig beisammen leben. Monatelang habe ich in solchen großen 
Häusern gewohnt, aber nie hörte ich unter normalen Verhältnissen 
Zank und Streit, und der hohen Sittlichkeit der Bewohner kann ich 
nur das beste Zeugnis ausstellen. 

Das Leben in einem dieser großen Gemeindehäuser spielt sich 
an gewöhnlichen Tagen mit idyllischer Gleichmäßigkeit ab. Schon 
lange vor Tagesanbruch sind die Bewohner wach und unterhalten sich 
von Häogematte zu Hängematte quer durch den ganzen Raum hin 
mit rücksichtsloser Stimme. Beim ersten Morgengrauen, gegen fünf 
Uhr, gehen alle zum Baden im nahen Fluß. Bald rufen die Frauen 
zum ersten Frühstück. Eine jede setzt in einem großen Tontopf die 
aufgewärmten Reste des gestrigen Mahls, zerkochtes und stark gepfeffertes 
Fischgericht oder Wildbret, und eine flache Korbwanne mit Maniok- 
fladen in die Mitte des Hauses. Nun verlassen auch die Männer die 
Hängematte, die sie nach dem Bad wieder aufgesucht haben, hocken 



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46 



Industrie 



sich in einem Kreis uro die Genüsse herum und erheben die Hände 
zu dem lecker bereiteten Mahl. Nach dem Essen spült sich jeder mit 
frischem Wasser den Mund aus und wäscht sich die Hände, um den 
Nachtisch in Empfang zu nehmen. Große Kalabassen gehen reihum, 
gefüllt mit erfrischender und zugleich nahrhafter Maniokbrühe. Nach 
den Männern essen die Weiber, wie es dort Sitte und Anstand gebieten. 
Dann geht alles seinen Beschäftigungen nach, die Männer auf Jagd 
und Fischfang, die Frauen zur Arbeit in den Pflanzungen, und fried- 
liche Stille herrscht im ganzen Dorf. Nur ein paar Alte sind zurück- 
geblieben und schaukeln sich untätig in der Hängematte. Vom Hafen 
her ertönt von Zeit zu Zeit der gedämpfte Lärm einiger Kinder, die 
dort im Wasser heruraplätschern, oder aus dem Gipfel eines Baumes 
am Waldesrande der heisere Schrei eines zahmen Papageis. 

Steigt die Sonne höher, und wird die Hitze für die Arbeit im 
Freien unerträglich, so kehren die Frauen allmählich vom Felde zurück, 
gebückt daherkeuchend unter der schweren Last der mit Maniok- 
wurzeln wohlgefüllten, großen Tragkörbe, die ihnen an einem über die 
Stirn gelegten Bastbande auf dem Kücken hängen. Das kleinste Kind, 
das die sorgliche Pflege der Mutter noch nicht entbehren kann, reitet 
lose umschlungen auf ihrer Hüfte oder ruht in der breiten Tragbinde 
aus rotem Bast schlummernd an der Brust der Mutter, die das zarte 
Köpfchen mit einem Bananenblatt oder einem kleinen Sieb vor den 
grellen Sonnenstrahlen schützt. 

Sofort nach ihrer Heimkehr gehen die fleißigen Frauen an die 
Verarbeitung der mitgebrachten Vorräte. Bald kommen auch die 
Männer zurück mit der Beute, die ihnen die fischreichen Gewässer 
gewähren. Die Fische werden von den Frauen mit viel Pfeffer zum 
Abendbrot gekocht, das gegen sechs Uhr stattfindet. Die Szenen vom 
Morgen wiederholen sich. Dann sitzt man noch ein Weilchen bei 
einer Zigarette zusammen und erzählt sich Jagderlebnisse und andere 
Geschichten. Kurz nach Sonnenuntergang sucht die ganze Bürger- 
schaft ihre Lagerstätten auf. 

Die Industrie ist in Cururu-cuara sehr gering. Nur die wenigen 
Weiber, die vom Issana stammen, verstehen es, hübsch bemalte Töpfe 
und Schalen und Maniok-Reibebretter zu verfertigen. Obgleich ich 
sofort bei meiner Ankunft derartige Sachen bestellt habe, fällt es doch 
niemand ein, mehr davon herzustellen, als sie gerade für den Haus- 
gebrauch nötig haben. Die Leute sind überhaupt keine Freunde von 
überflüssiger Arbeit. Die Männer gehen lieber auf die Jagd oder 
zechen Kaschiri, und die jungen Burschen kann ich nur mit allen 



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Die ersten Tanzinaskcn 



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möglichen Versprechungen dazu bringen, mir einige schön gemusterte 
Körbe zu flechten. 

Die Bretter zum Reiben der Maniokwurzeln sind mehr oder weniger 
rechteckig und tragen in die leicht konkave Oberfläche als Zähne ein- 
gelassen spitze Steinchen, die häufig in denselben hübschen Grecque- 
mustern angeordnet sind, wie sie die Weiber auf die Töpfe und Schalen 
malen. Die Reibebretter werden nur von Issanaweibern, besonders 
Karutana und Katapolitani, hergestellt, und finden durch die regen 
Handelsbeziehungen der Stämme dieser Gebiete eine weite Verbreitung 
bis an die Zuflüsse des Tapura. Die Steine zu den Reibebrettern, 
Granit oder Quarzit, stammen von der Stromschnelle von Tunuhy 
oder aus den Schnellengebieten des oberen Issana und Aiary. 

Beim Maniokreiben sitzt die Frau am Boden und hält das Brett 
auf dem Schoß. Im Takte der Arbeit stößt sie den Atem ruckweise 
zischend durch die Zähne und zieht die Luft wieder schnaufend ein. 

Auch in der Verfertigung der bemalten Töpfe und Schalen sind 
die Issanaweiber Meisterinnen, während ähnliche Erzeugnisse der 
anderen Stämme, z. B. der Huhuteni und Kaua, daneben recht dürftig 
aussehen. Die schönsten gemusterten Körbe und Blasrohrköcher 
kommen vom Cuiary. Die Bewohner des Aiary verfertigen haupt- 
sächlich Kanus. Bei der Aufwärtsfahrt haben wir mehrere Werften 
passiert. 

Die Leute von Cururu-cuara zeigen geringe Handelslust. Kaum 
bringt mir jemand etwas freiwillig zum Verkauf. Fast alles muß ich 
mir in den Häusern zusammenstöbern. In einer dunklen Ecke finde ich 
zu meiner großen Freude auf einem Gerüst ganz verstaubt zwei herr- 
liche Tanzmaskenanzüge, die bis auf wenige Mängel wohlerhalten sind. 
Die Körper sind aus weißem Baststoff gearbeitet und mit bunten 
Mustern bemalt; Ärmel aus rotem Baststoff stecken in den Armlöchern-, 
lange, gelbe Baststreifen hängen von den Ärmeln und den Masken- 
körpern herab. Die eine Maske stellt den Schmetterling, makalu, die 
andere eine Spannerraupe, akoro, dar, wie mir Mandu erklärt. Sie 
stammen von den Kaua, die flußaufwärts einige große Malokas be- 
wohnen. Dort sollen noch mehr solcher Maskenanzüge zu finden sein. 
Mein Entschluß ist rasch gefaßt. Sofort nach Schmidts Ankunft 
wollen wir den Aiary soweit wie möglich aufwärts fahren, um diese 
interessante ethnographische Entdeckung weiter zu verfolgen. 

Eines Tages kommen die Jäger mit einem Tapir zurück. Gregorio, 
Mandus Bruder, hat ihn mit seiner alten Donnerbüchse geschossen, 
die zum Teil mit Faserschnüren zusammengebunden ist. Unter dem 



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48 Gemeinsame Mahlzeiten 

Jubel der ganzen Bevölkerung wird er am Hafen im Flusse aus- 
geworfen und zerlegt. Es ist ein starkes Tier. Der Häuptling nimmt 
die Verteilung vor und sendet auch Stücke an die benachbarten Malokas. 
Wir erhalten für etwas Pulver ein gutes Rippenstück. Jn beiden 
Häusern werden große Roste errichtet, um das Fleisch über lang- 
samem Feuer zu braten und zu konservieren. Ein Teil der Beute 
wird von den Weibern gekocht und in dem Häuptlingshause verzehrt. 
Meine Leute werden dazu eingeladen, bekommen aber getrennt von 
den übrigen gedeckt. Inmitten des Hauses hockt der Häuptling mit 
dem männlichen Teil der Bevölkerung um einige Töpfe und Schüsseln. 
Jeder langt mit den Fingern in den einen Topf, holt ein Stück Fleisch 
heraus, taucht es in einen anderen Topf mit starker Pfefferbrühe, 
darauf in Maniokgrütze und verspeist es. Ein Schluck Fleischbrühe 
aus einer Schale, die reihum geht, spült alles hinunter. Der Zauber- 
arzt sitzt merkwürdigerweise ganz allein, abgesondert von den übrigen 
und holt sich nur von Zeit zu Zeit zu seinem Maniokfladen einen 
Brocken Fleisch aus dem Topfe meiner Leute. 

Nachdem die Männer gespeist haben, setzen sich die Weiber um 
die Töpfe und essen, was die Männer Übriggelassen haben; aber sie 
haben wahrscheinlich schon beim Kochen ihr Teil vorweg genommen, 
denn ihre Mahlzeit ist unverhältnismäßig kurz. 

In den nächsten Tagen kommt viel Besuch. Man sollte meinen, 
die Leute hätten den Braten gerochen. Mandu stellt sie mir alle vor 
und sucht möglichst viel Ehre mit mir einzulegen. Meine kleine Hütte 
ist voll Menschen, die alles bewundern, aber nichts entwenden. Es herrscht 
ein unglaublicher Lärm unter diesem munteren Völkchen, das stets zum 
Lachen und Scherzen geneigt ist. Selbst wenn sie sich bisweilen in harro- 
los anständiger Weise über mich lustig machen, kann ich ihnen nicht böse 
sein; halten sie doch alles, was ich tue, und was sie nicht verstehen, für 
überspannt. Ich lasse alle meine Künste spielen. Am meisten Interesse 
und lauten Jubel bei jung und alt erregt ein Buch mit großen, bunten 
Bildern von Tieren der Alten und Neuen Welt. Ich erkläre Mandu 
die Bilder auf portugiesich und Lingoa geral, so gut ich es kann, und 
er übersetzt es seinen Stammesgenossen ins Siusi. Jede Tierpfote, 
jede Kralle wird eingehend besprochen, jeder fremde Name von 
allen Anwesenden im Chorus wiederholt. Besondere Freude ruft das 
Nilpferd hervor mit seinem häßlichen Gesicht und seinem komischen 
Namen „Hippopotamo", ebenso das Nashorn und die großen Affen 
Orang-Utan und Gorilla. Sind wir mit dem Bilderbuche fertig, so 
heißt es: „Zeige das große Schießgewehr, zeige das kleine Schießgewehr, 



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Eintracht der Indianer 



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blase die Trompete!" Mandu kommandiert, und ich gehorche. Ich 
erkläre ihnen meine Jagdflinte mit den großen, schweren Schrotpatronen, 
gebe vor dem Haas unter dem Kreischen der Weiber rasch nach- 
einander sechs Schüsse mit dem Revolver ab; ich blase auf dem Jagd- 
hörnchen, zeige ihnen die Uhr, die — „ticke- tacke" — Tag und Nacht 
wacht, und endlich das kleine Metermaß, das von selbst in sein Haus 
schnurrt. Ich versuche sogar, ihnen die photographische Kamera zu 
erklären, und finde merkwürdig rasches Verständnis dafür. Bald er- 
kennen sie das umgekehrte Bild auf der Mattscheibe. Besonders 
Mandu ist gar nicht mehr unter dem schwarzen Tuch wegzubringen 
und äußert eine kindliche Freude, wenn er einen Hund oder die Jungen 
auf der Mattscheibe vorüberlaufen sieht. Beim Photographieren leistet 
er mir treffliche Dienste, holt die Leute zur Aufnahme herbei und 
bringt sie mit einigen energischen Worten und freundschaftlichen Püffen 
in die richtige Stellung. Auch abends, wenn ich die Platten unter 
dem schwarzen Zelt entwickele, habe ich immer ein dankbares Publi- 
kum, das sich während meiner geheimnisvollen Arbeit nur flüsternd 
zu unterhalten wagt. Jede fertige Platte, die ich herausbringe, wird 
gebührend bewundert und belacht, und das Negativbild meistens sofort 
erkannt. 

Trotz ihrer Begeisterung für alle diese unerhörten Neuheiten be- 
nehmen sich die Indianer weit gesitteter als unsere Großstädter bei 
ähnlichen Gelegenheiten. Kein Stoßen und Drängeln findet statt; 
kein häßlicher Zank um den besseren Platz stört die Gemütlichkeit. 
Alles verläuft nach einer gewissen Ordnung und Regel. Die Gegen- 
stände gehen von Hand zu Hand und kehren stets auf demselben 
Wege zu mir zurück. Selbst wenn der erste Empfänger inzwischen 
beiseite gegangen ist, läuft man ihm nach uod überreicht ihm den 
Gegenstand, damit er ihn wieder in meine Hände legt. 

Auch bei den gemeinschaftlichen Mahlzeiten und den gastlichen 
Bewirtungen in einer fremden Maloka fiel mir diese Eintracht angenehm 
auf. Nie habe ich auf meinen späteren Reisen das Gegenteil beob- 
achtet. Jeden Leckerbissen, den ich meinen Ruderern gab, teilten sie 
brüderlich miteinander. 

Mehrere Leute sind mit der häßlichen Hautkrankheit behaftet. 
Der ganze Körper ist mit schwarzen und weißen Flecken bedeckt, die 
besonders an Händen und Füßen auftreten. Junge Leute, bei denen 
die Krankheit noch im Entstehen begriffen ist, haben weißliche Flecke 
mit zackigem Rande. Diese vergrößern sich allmählich, fließen in- 
einander und sondern einen Schorf ab, der, unter die Speisen gemischt, 

Koch-0 runberg, Zwei Jahre bei den Indianern 4 



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50 Hautkrankheit 

die Krankheit übertragen soll. Der Zauberarzt und seine Frau sind 
an manchen Körperstellen schwarz wie Mohren, an anderen heller als 
ich. Die schwarzen Stellen fühlen sich hart und rauh an, die weißen 
sind glatt und etwas runzelig und haben das Aussehen von Brand- 
narben. Eine Frau bringt mir ihren Sohn, einen Jungen von etwa 
zwölf Jahren, zur Kur. Er hat von dieser ekelhaften Krankheit form- 
liche Geschwüre am Körper. Die Krankheit scheint erblich zu sein, 
jedoch erst von einem gewissen Alter an aufzutreten. Der Zauberarzt 
hat drei reizende, wohlgebildete und anscheinend völlig gesunde Kinder- 
chen. Auf das sonstige Wohlbefinden soll dieses Leiden keinen Einfluß 
haben. Ein Heilmittel kennen die Indianer nicht. Sie sehen die 
Ursache der Krankheit, die wohl der Ortlichkeit und der Lebensweise 
zuzuschreiben ist, in dem Genuß gewisser Fische, z. 6. des Pirarara. 
Es ist nicht unmöglich, daß dies letztere einen gewissen Anteil an der 
Entstehung hat, da das Fett dieses Fisches eine besondere Kraft zu 
haben scheint, das Pigment zu ändern. Dem zahmen roten Arara 
reißen die Indianer die grünlichen Federn an den Ansätzen der Flügel 
aus und bestreichen die Stellen mit dem Fett des Pirarara oder einer 
gewissen Kröte. Die neuen Federn werden herrlich orangegelb und 
behalten diese Farbe für immer, auch wenn sie später mehrmals 
wechseln, da sie von Zeit zu Zeit ausgerupft werden, um beim Tanz- 
schmuck Verwendung zu finden. 

Augenleiden sind häufig bei den kleinen Kindern, die auf der 
Erde im Staub und in der Asche des Herdfeuers umherkriechen. Die 
Eitern konsultieren mich öfters als Augenarzt. Ich gebe ihnen aus 
meiner Reiseapotheke ein Augenwasser, das mir bei einer heftigen 
Augenentzündung nach der Regennacht an der Mündung des Aiarj 
gute Dieuste getan hat. Antonio hat den Indianern, wie von allem, 
so auch von diesem wundertätigen Mittel berichtet. 

Auch der Häuptling nimmt gern meine ärztliche Hilfe in Anspruch. 
Einmal hat er eine geschwollene Backe mit Zahnweh, das andere Mal 
starkes Herzklopfen und allgemeinen Katzenjammer vom vielen Kaschiri- 
trinken. Als Universalheilmittel erhält er einen Angosturabittern, was 
ihm jedenfalls nichts schadet, aber seine Leiden anscheinend nicht 
hebt, denn er kommt immer wieder. 

Mit meinem biederen Inspektor Antonio gibt es eines Tages einen 
komischen Zwischenfall. Ich habe mir in unserer elenden Bude ein 
tüchtiges Loch in den Kopf gestoßen, das stark blutet. Auf meine 
Anweisung hin wäscht Mandu die Wunde aus und bestreut sie mit 
Jodoform. Im Scherz streue ich Antonio etwas von dem scharf- 



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Antonio, der fromme Christ 



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riechenden Pulver auf die Hand. Er bekommt plötzlich große Angst, 
rennt eilends in den Wald hinein und wird eine Zeitlang nicht gesehen. 
Bei seiner Rückkehr erzählt er mir, „das Gift habe ihm furchtbare 
,kaka 4 (Durchfall) verursacht". Als Entgelt für diesen Schabernack 
besprenge ich meine drei Kerle mit Patschuli, so daß sie duften wie 
ein Parfumerieladen. Sofort bittet sich Antonio, der fromme Christ, 
ein Pläschchen davon aus, um sich am Feste seines Schutzpatrons damit 
zu salben. 




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VI. Kapitel 

Tanzfest in Ätiaru 

Am 26. Oktober kommt Schmidt an. Er hat unterwegs eine Siusi- 
familie getroffen, die auf der Heimreise nach Cururu-cuara begriffen 
war und einen Teil der Last in ihr Boot nahm. Nachmittags fahren 
wir mit der ganzen Bewohnerschaft Und zahlreichen Gästen aus der 
Umgegend, darunter Uanana vom Caiary-Uaupes, zu einem Tanzfest 
nach Ätiaru, der nächsten Huhuteni- Maloka flußabwärts. An zwei- 
hundert Menschen, von den ältesten Leuten bis zu den kleinsten 
Kindern, sind hier versammelt. Alle haben sich zur Feier des Tages 
den ganzen Körper mit dem blauschwarzen Saft der Genipapofrucht 
bemalt und das Gesicht mit feinen, roten Mustern verziert. Viele, 
besonders die Leute vom Caiary, trugen reichen Silberschmuck um 
den Hals, teils einfache Münzen, teils dreieckige, glatte Stücke, die 
durch Klopfen und Schleifen aus Silbermünzen hergestellt und wegen 
ihrer Gestalt von den Siusi makalu, Schmetterling, genannt werden. 

Bei Sonnenuntergang, gegen sechs Uhr, beginnen die Tänze. Zwei 
Männer, bunte Federkronen auf dem Kopf und Klappern aus Fruchte 
schalen um den rechten Fußknöchel gebunden, tanzen im raschen 
Marschschritt vor dem Festhause hin und her. Die eine Hand haben 
sie auf der Schulter des Nebenmannes liegen, mit der anderen Hand 
halten sie die großen Yapurutu, 1—1 '/* m lange Flöten aus dem 



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Verschiedene Tänze 



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Holz der Paschiubapalme (Iriartea exorrhiza), denen sie eine ein- 
förmige, aber melodische Weise entlocken. Diese Flöten geben je 
nach ihrer Länge hellere oder dumpfere Töne von sich, die sich noch 
durch stärkeres oder leichteres Blasen variieren lassen. Jedes Paar 
ist aufeinander gestimmt. Währenddessen sitzen zwei andere Yapurutu- 
bläser, ebenso geschmückt wie die beiden Tänzer, aber ohne Klappern, 
auf einem Baumstamm links vom Eingang des Hauses und begleiten 
den Tanz mit ihren Instrumenten. So geht es wohl ein dutzendmal 
hin und her, dann treten die beiden Tänzer in das Haus ein und 
schreiten auch hier noch einigemal im mittleren Längsraum auf und 
ab, jeden zweiten Schritt mit den Klappern betonend. Zwei Weiber 
haben sie in ihre Mitte genommen, indem sie mit dem freien Arm ihren 
Hals umschlingen. Eifrig trippelnd suchen die bemalten Schönen sich 
den weit ausgreifenden Schritten ihrer Tänzer anzupassen, deren 
Hüften sie umfaßt halten. Mit einein anhaltenden Fortissimo der 
großen Flöten schließt diese Nummer. Die darauf folgende Pause 
wird mit Musik ausgefüllt. Auf einer langen Bank im Hause sitzen 
einige Jünglinge und blasen kurze Akkorde in raschem Tempo auf 
Panpfeifen, die genau die Form der altgriechischen Syrinx haben. 
Am Schluß singen sie in eintöniger Weise: „A-ha-a-a!", stoßen einen 
lauten Juchzer aus und pfeifen gellend durch die Zähne. Zwischen- 
durch wird Kaschiri gereicht. 

Die fremden Gäste, Siusi und Uanana, bleiben draußen auf dem 
großen, freien Platz, wo schon Stöcke eingerammt und Hängematten 
für Weiber und Kinder aufgehängt sind. Zahlreiche Feuerchen brennen 
daneben zum Schutz gegen die kühle Vollmondnacht. Im Hause tanzen 
die Kaua des nahen Üirauasu-Parana, ein Alter mit 15 Jünglingen und 
Knaben, eine Runde. Zunächst stellen sie sich, der Alte als Vortänzer 
in der Mitte, in einer geraden Linie auf und schreiten so mehrmals 
vor- und rückwärts. Dann ordnen sie sich im Kreise hintereinander, 
indem sie die linke Hand auf die rechte Schulter des Vordermannes 
legen. In der rechten Hand halten alle Teilnehmer die mit Ritz- 
mustern verzierte und mit Federn behängte Kürbisrassel, die neben 
der Fußklapper dazu dient, das Aufstampfen des rechten Fußes zu 
begleiten und den strengen Rhythmus des Tanzes noch mehr hervor- 
zuheben. An den Enden der wenig offenen Runde haben sich den 
Tänzern einige halbwüchsige Jungen angeschlossen, die zwar noch 
etwas regellos umherspringen, aber ihre kleinen Rasseln schon tapfer 
im Takte schwingen und es den Alteren in allen Stücken gleich- 
zutun suchen. Inzwischen haben die Fremden eine Unmenge Inga- 



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Gastgeschenke 



Schoten 1 , ihr Gastgeschenk, vor dem Eingang des Hauses in einem 
hohen Haufen aufgestapelt und eine Art Puppe aus bunten Lappen 
daraufgepflanzt. Ein Mann steht daneben und entlockt während des 
ganzen Vorganges einer Querflöte dumpfe Töne. 

Die Tänzer, die Weiber und Mädchen zwischen sich genommen 
haben, tanzen nun aus dem Hause heraus und einigemal um den 
Ingahaufen herum. In endloser Wiederholung ertönt der rhythmische 
Gesang der Männer. 

Dann kehren sie in das Haus zurück und tanzen noch einige 
Kunden ohne Weiber. Schließlich stellen sie sich wie zu Anfang 
in einer Reihe auf, das Gesicht dem Kaschiritrog zugewendet, und 
rufen zweimal „He-he-e-e-e!" Ein lauter Juchzer, ein gellender Pfiff 
durch die Zähne; das linke Bein wird vorgesetzt, der Oberkörper 
zurückgeworfen; noch ein letztes starkes Rasseln mit den Kürbisrasseln, 
und die Tänzer gehen auseinander. 

Draußen haben unterdessen die fremden Gäste den Ingahaufen 
niedergerissen und die Puppe weggenommen. Einige Weiber tragen 
einen Teil der Früchte in großen Tragkörben in das Haus, wo sie mit 
lautem Jubel empfangen werden. Sie überbringen die Gastgeschenke. 
Um den Rest der Inga werden wieder verschiedene Tänze aufgeführt, 
zunächst von zwei Yapurutubläsern mit zwei Mädchen in der Mitte, 
wie am Anfang des Festes. Dann kommen vier Jünglinge, die zu 
zwei und zwei in raschem Tempo die Früchte umkreisen und mit an- 
erkennenswerter Lungenkraft auf ihren Panpfeifen blasen. Endlich 
tanzt Mandu mit seinen Leuten den Uaneui, eine Runde, bei der die 
Tänzer seitlich hintereinander schreiten. Die linke Hand ruht auf 
der rechten Schulter des Vordermannes, die rechte Hand hält am ge- 
schnitzten Handgriff die Uana, den hohlgebrannten und mit bunten 
Mustern bemalten Stab aus leichtem Cecropiaholz, mit dem sie takt- 
mäßig auf den Boden stampfen. Der verschiedene Durchmesser der 
Zylinder bewirkt die Verschiedenheit der Töne. 

Auch an diesem Tunze nehmen nach einiger Zeit Weiber teil. 
Sie schreiten etwas außerhalb des Kreises, da ihre rechte Hand auf 
der linken Schulter des Partners liegt. Einige fuhren Kinder an der 
freien Hand oder lassen die Kleinen auf der linken Hüfte reiten, 
andere tragen Säuglinge in der Bastbinde. Die Kinder schlafen zum 

Teil während des Tanzes trotz des Lärmes. Ein Weib schreit lange 

. * 

1 Inga dulcis. Eine Leguminosenart mit langen Schoten. Die schwarzen, 
bohnenali nlichen Samen sind in eine weiße, schwamm ige .Masse gebettet, die einen 
zuckersüßen Saft enthält, der von den Indianern sehr geschätzt wird. 



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Heilbehandlung 



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anhaltend in gellendem Ton als Begleitung zu dem feierlichen, ge- 
tragenen Gesang der Männer. 

Nach jeder Tour laufen reichgeschuiückte Jünglinge im Gänse- 
marsch mit eingeknickten Knien zu den durstigen Tänzern und kredenzen 
ihnen große Kalabassen voll Kaschiri, die sie aus dem Trog im Hause 
schöpfen. Sie singen dazu in aufmunterndem Tone: „Tsa-ha-ha-ha- ! 
tsa-a-a-! M , worauf die anderen mit schallendem „He-he-he-!" erwidern. 
Allmählich wird alle Inga in das Haus getragen und unter lautem 
Beifallsgeschrei der Umsitzenden im Kreise der Tänzer niedergeworfen. 

So geht es fort die ganze Nacht in stetem Wechsel der Tänze; 
ein unbeschreiblicher Lärm. Ich liege zusammengekrümmt in einer 
kurzen und schmalen Hängematte und schaue zu. Bisweilen kommt 
einer und bringt mir die Kaschirikalabasse oder bettelt mich um Tabak 
an, den ich selbst nicht mehr habe. Viele sind schon stark be- 
trunken, aber kein Streit findet statt. Alle sind von bestrickender 
Liebenswürdigkeit zueinander und gegen mich, ein Herz und eine 
Seele. Den großen Raum erhellen nur wenige flackernde Feuerchen. 
Auf einem GestelJ am Ausgang liegen etwas abwärts gerichtet, damit 
sie weiter brennen, einige Fackeln aus harzigem Holz, die der Haus- 
herr von Zeit zu Zeit versorgt. Die Nebenräume sind voll von Hänge- 
matten, die kreuz und quer und mehrfach übereinander hängen. In 
einigen liegen Weiber mit Säuglingen, die bisweilen erwachen und 
mit lautem Zetergeschrei am allgemeinen Spektakel teilnehmen. 

In einer Ecke bekommt ein junger Mann im Kaschirirausch Schrei- 
krämpfe. Er wird von einigen kräftigen Mädchen und dem Zauberarzte 
der Uanana, einem hübschen Kerl mit wildem Gesicht, am Boden 
festgehalten. Der Zauberarzt sucht ihn zu heilen. Mit einer Kürbis- 
rassel in der linken Hand beständig rasselnd, hockt er vor dem 
Kranken nieder. Aus einer großen Zigarre in der rechten Hand 
nimmt er von Zeit zu Zeit einige Züge und bepustet den ganzen 
Körper des Patienten mit Tabaksqualm, besonders den Kopf, den er 
zwischen seinen beiden Händen hält. Dann streicht er in langsamen, 
gleichmäßigen Strichen die Krankheitsmaterie von dem Leibe des 
Kranken ab und streut sie hinter sich in die Luft, indem er kräftig 
dahinter her bläst. Zwischendurch läßt er einen eintönigen Gesang 
hören. Der Kranke beruhigt sich zusehends und schläft schließlich 
ein. Trotz des unaufhörlichen Lärmes und der Kühle, die gegen 
Morgen eintritt, schlafen auch wir endlich. Vielleicht tut auch der 
reichliche Kaschirigenuß etwas dazu. 

Am nächsten Tage fahre ich mit meinen Leuten frühzeitig nach 



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SandHöhf 



Cururu-cuara zurück, während die übrigen weiter feiern oder ihren 
Rausch ausschlafen. Erst am späten Abend kommen sie nach, einige 
besonders Trunkfeste sogar erst am anderen Morgen. 

Unsere treuen Katapolitani kehren reich belohnt in die Heimat 
zurück. Sie nehmen die Sammlung mit, die ich hier eingetauscht 
habe, um sie ebenfalls im Hause Antonios in Tunuhy bis zu unserer 
Rückkehr aufzubewahren. 

Wir leben uns immer mehr ein in Cururu-cuara. Schmidt ist 
infolge seines nie versiegenden Humors bald der Liebling des ganzen 
Dorfes, besonders der Kinder und jungen Leute. Er spielt mit ihnen 
auf dem großen Dorf platz „Haschen, Bockspringen" und andere schöne 
Spiele und hat dabei bereitwillige und gelehrige Schüler. Nach Sonnen« 
Untergang, wenn ich unter dem photographischen Dunkelkammerzelt 
schwitze, veranstaltet Kariuatinga gewöhnlich große Vorstellung mit 
einzelnen Glanznummern, die er nicht oft genug wiederholen kann. 
Er singt brasilianische und deutsche Lieder und gibt sogar unter 
allgemeiner Anerkennung die Tänze und Gesänge der Indianer zum 
besten, natürlich mit ganz unverstandenem Text, den er sich mit ähn- 
lich klingenden brasilianischen Worten mundgerecht gemacht hat. 
Wenn ich dann gar unter meinem schwarzen Zelt mitsinge, kennt 
der Jubel unserer Zuhörer keine Grenzen. Es ist sehr gemütlich in 
Cururu-cuara! 

Weniger angenehm sind die Sandflöhe, von denen die Hütte 
wimmelt. Diese winzig kleinen Bestien nehmen besonders die Zehen 
als Angriffspunkte, wobei sie solche Stellen bevorzugen, die schon ein- 
mal angestochen sind. Unter leichtem Jucken bohren sich die Weibchen 
nach der Befruchtung in die Haut und erreichen dort in wenigen Tagen 
die Größe einer Erbse. Mit einem zugespitzten Stäbchen aus Palmholz 
muß man dann das ganze Tier vorsichtig entfernen, damit nicht Teile 
davon zurückbleiben und heftige Entzündungen hervorrufen. 

Die Bewohner von Cururu-cuara bieten alles auf, um uns den 
Aufenthalt behaglich zu machen. Gegen kleine Entgelte, Glasperlen, 
Angelhaken u. a., versorgen sie uns täglich mit Speise und Trank. 
Hühner europäischer Abkunft, die sie in großer Zahl halten, ver- 
kaufen sie uns anstandslos. Sie selbst essen weder Hühner noch Eier. 

Das Kaschiri geht gar nicht aus. Wir sind zu einem »zwanglosen 
Herrenbierabend u im Hause des Thronfolgers eingeladen. Auf den 
langen, niedrigen, kunstlos aus einem Stück gearbeiteten Bänken, 
die in den Malokas am Aiary zu beiden Seiten des Eingangs für die 
Gäste aufgestellt sind, sitzen die Männer und erzählen sich Jagd- 



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Zwangloser Herrenbierabend 



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geschienten und andere Erlebnisse. Der Hausherr und Gastgeber 
hockt in der Mitte am Boden. Drei Jungen gehen mit gefüllten 
Kalabassen emsig von einem zum anderen. Das Kaschiri ist erst 
eintägig, leichtes Payauru. Niemand ist betrunken, obwohl fleißig 
gezecht wird. Im Hintergrunde hocken die Weiber, schwatzend und 
lachend oder leise eine Weise singend, eine Tanzweise vom Caiary, 
wie uns Mandu erklärt ; in den Hängematten schlafen die Kinderchen. 
Ich habe zur besseren Beleuchtung mein Windlicht hergeliehen, das 
an einem Hauspfosten aufgehängt ist. Den Häuptling haben Schmidt 
und ich in die Mitte genommen. Er macht mir die höchsten Lobes- 
erhebungen, die ich ebenso erwidere : Wir seien so nette Leute, ge- 
hörten jetzt ganz hier zur Bevölkerung. Ich erkläre ihm dagegen, ich 
sei noch nirgends so wohl aufgenommen worden wie hier; die Leute 
hier seien alle so gut; wenn ich zum Governador zurückkäme, wolle 
ich ihm davon und von dem vorzüglichen Häuptling berichten. Ich muß 
ihm immer wieder erzählen, wie weit mein Vaterland entfernt sei, und 
wie kalt es dort sei; daß dort im Winter das Wasser hart wie Stein 
würde, was ihn alles sehr interessiert und wundert. Auch einige 
fremde Gäste sind da, Huhuteni aus Atiaru und ein Mann von dem 
Nebenbach, dessen Anwohner mich für den Kommandanten gehalten 
hatten und in den Wald geflohen waren, wie Mandu im Bewußtsein 
seines feineren Taktes laut lachend erzählt. Chico schildert mit leb- 
haften Gebärden, wie er ein Hokkohuhn geschossen habe: man sieht 
den Pfeil förmlich aus dem Blasrohr fliegen ; der Erzähler macht mit 
dem Zeigefinger eine rasche Bewegung schräg nach oben und hält mit 
einem Ruck an : der Vogel ist getroffen. Dann wartet er eine Weile ; 
die oben gebliebene Hand mit dem ausgestreckten Finger fällt nach 
unten : der Vogel stürzt, von dem Gift getötet, zur Erde. 




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VII. Kapitel 

Jagdwaffen und Jagd 
am Aiary 

Neben der Fischerei, die den 
hauptsächlichsten Bestandteil der 
animalischen Kost liefert, tritt die 
Jagd sehr zurück. Sie wird mehr 
als Sport betrieben und auch zu 
dem Zweck, in die etwas monotonen 
Genüsse der Tafel gelegentlich eine 
Abwechslung zu bringen. Trotz- 
dem zeigen die Jagdgeräte eine 
sorgfältige, bisweilen geschmackvolle 
Ausführung. Der Indianer weiß 
sie meisterhaft zu handhaben. Er 
gibt sich der Jagd mit aller Leiden- 
schaft hin und ist äußerst geschickt beim Aufspüren und Verfolgen des 
Wildes. Er kennt genau die Lebensgewohnheiten der Tiere und ver- 
steht es, sie durch täuschende Nachahmung ihrer Laute anzulocken. 
Die geringste Spur, die dem Auge eines Europäers entgeht, ja häufig 
nur sein ausgeprägter Geruchssinn bieten ihm natürliche Wegweiser. 
Mit unermüdlicher Ausdauer, geräuschlos wie eine Katze, schleicht 
der Indianer stundenlang durch den verworrenen Urwald dem Wilde 
nach, bis er es erreicht und mit sicherer Hand erlegt. Seine Jagd- 
trophäen, Zähne und Federn der erbeuteten Tiere, trägt er stolz als 
Schmuck bei festlichen Gelegenheiten. 

Die Hauptjagdwaffe der Indianer Nordwestbrasiliens für Vogel 
und kleinere Vierfüßler, besonders solche, die sich auf Bäumen be- 
wegen, ist das Blasrohr. 

Die Stämme des Issana und seiner Zuflüsse gebrauchen ein Blas- 
rohr, das in der Hauptsache aus zwei Teilen besteht und auf folgende 
Weise hergestellt wird. Ein 2,80 — 3 in langes Rohr einer Arundinaria, 
deren Halm vom Wurzelstock aus vier und mehr Meter kerzengerade 
und ohne Knoten ansteigt, bevor er Astchen ansetzt, trocknet man 
vorsichtig, damit es sich nicht verzieht, am Feuer und in der Sonne. 
Um das zylindrische, innen und außen vollständig glatte Rohr vor 
Beschädigungen zu schützen, wird es auf der Außenseite leicht mit 
schwarzem Wachs bestrichen, mit feinen Baststreifen umwickelt und 
der ganzen Länge nach in das Stämmchen einer Paschiuba-Palme 
geschoben, aus dem man das Mark entfernt hat. Beide Teile müssen 



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Blasrohr und Köcher 



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genau ineinander passen und werden durch die Bastumwicklung wohl 
gedichtet. Damit das Futteral nicht aufplatzt, wird am oberen Ende 
ein Ring leicht eingekerbt und mit Faserschnur umwickelt. Das 6 — 8 cm 
lange Mundstück, das dem unteren Ende aufgesetzt wird, ist aus rotem 
Holz verfertigt und hat etwa die Form eines abgestumpften Kegels. 
Diese Art Blasrohr hat in der ganzen Länge den gleichen Durch- 
messer, etwa 2 l l% cm, und ein Kaliber von 11—13 mm. Als Visier 
werden, 80 — 90 cm vom Mundstück entfernt, entweder ein einfacher 
Wulst aus schwarzem Wachs oder zwei Schneidezähne eines Nagetieres 
dicht nebeneinander mittels desselben Materials aufgeklebt (Abb. S. 123). 

Neben diesem Blasrohr ist noch ein anderes im Gebrauch, das 
von dieser gewöhnlichen Art nicht unerheblich abweicht. Statt des 
ausgehöhlten Paschiuba-Stämmchens dient als Kohrfutteral das junge 
Stämmchen eines gewissen Baumes, das der Länge nach in zwei 
gleiche Hälften gespalten wird. Aus jeder Hälfte wird eine glatte 
Längsrinne derartig herausgeschabt, daß beide Teile, um das Rohr 
gelegt, dieses vollständig umschließen. Das Ganze wird mit schwarzem 
Wachs überstrichen und mit dunkelbraunen, glänzenden Rindenstreifen 
in etwas übereinander liegenden Spiralen umwickelt. 

Die Arundinaria, deren Halm den Hauptbestandteil dieser Blas- 
rohre bildet, kommt nur in bestimmten Gegenden vor, und die 
Indianer machen öfters weite Reisen, um sich diese wichtigen Halme 
zu verschaffen. 

Zum Auswischen des Blasrohrs benutzt man einen langen, sehr 
gleichmäßig gearbeiteten, wohlgeglätteten Stab aus schwerem, schwarzem 
Palmholz, um dessen oberes Ende ein Bündel Wurzelfasern befestigt 
ist, während das untere Ende als Handgriff eine Fadenumwicklung 
trägt (Abb. S. 123). 

Der Köche r zum Aufbewahren der Blasrohrpfeilchen hat im großen 
und ganzen die Form einer nach der Mitte zu sich verengenden, 42 
bis 45 cm langen Röhre, deren oberer Durchmesser etwas größer ist 
als der untere, und ist gewöhnlich aus feinen Rohrstreifen geflochten. 
Als Boden ist eine Holzscheibe oder ein Stück Kalabasse eingesetzt 
und, ebenso wie der untere Teil des Geflechts, auf der Außenseite 
mit einer dicken Pechschicht überzogen. Der übrige Teil des Köchers 
ist von einem zweiten, feineren Geflecht umgeben, das in seiner unteren 
Hälfte dieselben geschmackvollen, schwarzen und roten Mäandermuster 
zeigt, die diese Indianer auch in ihre Korbwaren einflechten und auf 
ihre schönen Tongefäße malen. Eine um die Mitte des Köchers ge- 
schlungene Schnur dient zum Anhängen. 



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Pfeilgift Curare 



Die Stämme am Aiary gebrauchen auch Köcher, die an Stelle 
des feineren Geflechtes bis zum oberen Rande mit Pech überzogen sind. 

Die im Querschnitt gewöhnlich viereckigen Giftpfeilchen, deren 
ein Köcher bis zu zehn und mehr Stück birgt, sind in der Regel aus 
schwarzem, schwerem Palmholz, selten aus weißem, leichterem Holz 
verfertigt und von der Dicke einer starken Stricknadel. Sie haben 
eine Länge von etwa 40 cm und laufen an dem einen Ende in eine 
feine Spitze aus, die etwa 4 cm lang mit Gift bestrichen wird und oberhalb 
dieser Stelle einen leichten ringförmigen Einschnitt trägt. Um das 
andere Ende ist mit einem dünnen Faden ein Büschel leichter Baum- 
seide (Eriodendron) spindelförmig gewickelt, das die Höhlung des 
Rohres genau ausfüllt und dadurch dem Hauch des Jägers genügenden 
Widerstand entgegensetzt. Damit die Pfeilchen im Köcher einen festen 
Halt haben und ihre Spitzen nicht am Boden zerstoßen, stecken sie in 
einem lockeren Knäuel gelber Bastfasern. Die Pechschicht, die den unteren 
Teil des Köchers bedeckt, soll verhüten, daß die vergifteten Spitzen der 
Pfeilchen durch das Geflecht dringen und den Träger selbst verletzen. 

Das allgemein in Nordwestbrasilien verwendete Pfeil gif t ist das 
in der Wissenschaft wohlbekannte Curare, dessen Zubereitung unter 
gewissen Zeremonien vorsieh geht und meistens, besonders vor Europäern, 
streng geheimgehalten wird. 

Nach der Angabe des Häuptlings Mandu ist der Hauptbestandteil 
des am Issana gebräuchlichen Curare die Rinde einer Schlingpflanze, 
die am Boden wächst und von den Siusi maukulipi genannt wird. 
Man trocknet die Rinde am Feuer, kocht sie mit Wasser ab, seiht 
den Absud durch ein engmaschiges Sieb, so daß alle noch übrig- 
gebliebenen festen Bestandteile zurückbleiben, und kocht den Saft so 
lange ein, bis er schwarzbraun und dicker als Sirup wird. Dazu 
kommen noch andere Ingredienzien, Giftstoffe und klebrige Pflanzen- 
säfte, die bewirken sollen, daß das Gift besser am Holze haftet. 

Die Herstellung ist ein Monopol gewisser Stämme, was wiederum 
Veranlassung zu weiten Handelsreisen gibt. Das Pfeilgift wird in 
niedlichen schwarzen Tontöpfchen von nur 5 bis 8 cm Höhe verwahrt, 
die mit Palmblättern, Baststückchen oder alten Lappen europäischen 
Zeugstoffes verschlossen werden. 

Die Preise, die allgemein für Pfeilgift gezahlt werden, sind ver- 
hältnismäßig hoch. Ich sah, wie einer meiner Ruderer, die während 
der Reise stets Handelsgeschäfte machten, ein großes amerikanisches 
Messer, das er sich erst kurz vorher mit tagelanger Arbeit sauer ver- 
dient hatte, gegen ein winziges Töpfchen mit Curare hingab. 



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Wirkung des Curare 



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Das Ourare trocknet rasch zu einer spröden, glänzend schwarzen 
Masse ein, kann aber leicht mit Wasser gelöst werden. Auch die 
Hitze des Feuers macht es weich. Zum Gebrauch taucht man ent- 
weder ein ganzes Bündel Ffeilchen in das Gift oder streicht das Gift 
je nach Bedarf auf die Pfeilspitze. 

Unter dem Einfluß der Feuchtigkeit verliert das Curare allmählich 
seine Kraft. Daher werden auch die Gifttöpfchen sorgfältig verschlossen 
gehalten und, ebenso wie die Köcher mit den vergifteten Pfeilchen, 
an dem trockensten Ort in der Hütte aufbewahrt. So behält das 
Gift jahrelang seine Wirksamkeit. 

Die Wirkungen des Ourare sind durch zahlreiche Versuche erprobt 
worden. Dringt es in das Blut ein, so lähmt es sofort die willkür- 
liche Muskelbewegung an der getroffenen Stelle. Mit dem zirkulierenden 
Blut verbreitet sich das Gift und mit ihm die Lähmung im ganzen 
Körper, ergreift schließlich die Brustmuskeln, verhindert die Atmungs- 
bewegungen und führt plötzlich einen schmerzlosen Tod durch Er- 
sticken herbei, ohne daß das Bewußtsein geschwunden oder, abgesehen 
von leichteren Konvulsionen, Tetanuserscheinungen eingetreten wären. 
Der Tod erfolgt je nach der Stärke des Giftes und der Widerstands- 
fähigkeit des Tieres in kürzerer oder längerer Zeit, bei Vögeln häufig 
schon in ein bis zwei Minuten, bei Affen und kleineren Vierfüßlern 
in fünf bis zehn und bei größeren Tieren, Hirsch, Wildschwein, 
Jaguar, Tapir, in zehn bis zwanzig Minuten. Wirksame Gegenmittel 
gegen Curarevergiftungen kennt man bis jetzt nicht. Auf den Magen 
hat das Curare keine besonders schädliche Wirkung, so daß auch die 
damit getöteten Tiere unbedenklich gegessen werden können. Ja, die 
Indianer sagen, daß das Gift das Fleisch der Tiere besonders schmack- 
haft mache. 

Wollen die Indianer ein Tier, z. B. einen Affen, nur vorüber- 
gehend lähmen und dadurch lebendig fangen, um ihn später als Haus- 
tier zu zähmen, so verwenden sie ein stark verdünntes Gift. 

Die Handhabung des Blasrohrs erfordert große Gewandtheit und 
ansehnliche Körperkraft. Am sichersten schießt man, wenn man das 
Blasrohr vertikal oder nur wenig schräg nach oben hält. Der Schütze 
preßt mit der rechten Hand das Mundstück fest wider den Mund und 
umfaßt und stützt zugleich das Rohr mit der Linken, die er unmittel- 
bar an die rechte Hand anschließt ; eine Haltung, die bei der Länge 
und dem großen Gewicht des Blasrohrs einen sicheren Schuß außer- 
ordentlich erschwert. Er visiert über das Rohr, das er allmählich aus 
seiner vertikalen Lage in die Richtung fallen läßt, in der sich das 



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Jagd mit dem Blasrohr 



Wild befindet. Erscheint das Tier im Visier, so treibt er den Pfeil 
mit kurzem, scharfem Hauch durch das Rohr. Den Köcher hält er 
dabei gewöhnlich zwischen den Oberschenkeln, um die Geschosse bequem 
herausziehen zu können (Abb. S. 58). 

Ein kräftiger Mann kann den kleinen Pfeil mit solcher Gewalt 
aus dem Rohr blasen, daß er noch in einer Entfernung von 30 bis 
40 m sicher sein Ziel erreicht und seine volle Wirkung ausübt. Öfters 
habe ich mit den Indianern nach der Scheibe geschossen und mich 
über ihre Treffsicherheit erstaunt. Auf 20 bis 30 m wurde bei horizontaler 
Haltung des Blasrohrs eine Banane, gewiß ein kleines Ziel, selten 
gefehlt. Die Durchschlagskraft ist ziemlich groß. In einer Entfernung 
von etwa 20 m durchbohrte bei meinen eigenen Versuchen das leichte 
Geschoß den Deckel eines Zigarrenkistchens. 

Die Jagd mit dem Blasrohr ist überaus anregend und fesselnd, 
besonders die Jagd auf den Hokko. Dieser große Vogel aus der 
Familie der Baumhühner erinnert in seinem ganzen Aussehen und in 
seinen Gewohnheiten sehr an unseren Auerhahn und gehört zu dem 
schmackhaftesten Wildbret im tropischen Südamerika. Seinen Ruf, 
ein eintöniges Brummen, das mehr von einem Raubtier als von einem 
Vogel herzurühren scheint, läßt er mit kurzen Unterbrechungen Tag 
und Nacht hören und verrät dadurch leicht seinen Standort. Der 
Indianer schleicht sich vor Sonnenaufgang unbemerkt in seine Nähe 
und schießt beim ersten Morgenlicht das todbringende Pfeilchen auf 
ihn ab. Der Vogel, meistens am Flügel getroffen, weiß nicht, wie ihm 
geschieht. Angstlich wendet er Kopf und Hals hin und her, kann 
aber nicht entrinnen, da das Gift ihm sofort die Flugkraft nimmt. 
Bald werden seine Bewegungen matter, und nach kurzer Zeit fällt er 
tot zu Boden. 

Schwieriger wird die Jagd, wenn der Vogel den Jäger vor dem 
Schuß bemerkt und mit lautem, schwerfälligem Flügelschlag in nicht 
allzu großer Höhe über dem Erdboden davonflattert, um sich bald 
wieder niederzulassen. Da gehört schon die Gewandtheit des Indianers 
dazu, ihm mit dem langen Blasrohr in der Hand durch das verwachsene 
Unterholz und die schlingenden Lianen zu folgen. Der einmal geschreckte 
Vogel ist sehr scheu und läßt den Jäger nur schwer näherkommen. 
Aber der Indianer kennt die Geheimnisse seines Waldes. Wo der 
Europäer resigniert umkehren würde, da findet er immer noch einen 
Durchschlupf Mit zäher Ausdauer verfolgt er den Flüchtling kreuz 
und quer durch das Gewirr, bis er emilich zu Schuß kommt und 
das Wildbret erlegt. 



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Vergiftete Pfeile 



63 



Am Tage beschleicht man den Hokko am besten, während er 
seinen monotonen Ruf ausstößt. Er ist dabei ziemlich taub, ähnlich 
wie der Auerhahn während des „Schleifens", so daß man ihn, natürlich 
in guter Deckung, anspringen kann. 

Auch die Jagd auf Affen, die sich in den Wipfeln der riesigen 
Urwaldbäume in tollen Sprüngen von Ast zu Ast, von Liane zu Liane 
schwingen, stellt an die Gewandtheit des Jägers die höchsten Ansprüche. 

Bisweilen macht sich der Indianer in der Nähe eines Futter- 
platzes am Erdboden oder im Geäst eines Baumes einen „Jagdschirm u 
aus zusammengebogenen Zweigen zurecht, damit er bequem und un- 
bemerkt die Vögel schießen kann, wenn sie zur Atzung kommen. Auf 
diese Weise erlegt er die gesellig lebenden Vögel, Papageien, Arara, 
Tauben und das Cujubim (Penelope), einen Hühnervogel, dessen Fleisch 
zur Zeit der Reife gewisser Palmfrüchte besonders fett und lecker ist. 

Die Indianer hatten recht, wenn sie mir öfters erklärten, daß ihr 
Blasrohr weit vorteilhafter sei als meine Jagdflinte, da es geräusch- 
los tote und dem Jäger ermögliche, in kurzer Zeit einen ganzen 
Schwann Vögel oder eine Schar Affen einen nach dem anderen vom 
Baume zu schießen, während man mit der Feuerwaffe unter denselben 
Verhältnissen nur ein Tier, im besten Falle zwei Tiere erlegen könne. 

Deshalb ist dem Indianer seine Jagdwaffe, die ihm neben den 
materiellen Genüssen soviel Reiz gewährt, teuer, und er gibt sie nicht 
gern weg, ebensowenig wie ein Jäger bei uns sich gern einer guten 
Flinte entäußert, auf die er eingeschossen ist, und der er so manche 
Beute verdankt. 

Schon die Knaben üben sich eifrig im Schießen mit Blasrohren, 
die nach Länge und Gewicht ihren geringeren Körperkräften an- 
gemessen sind. Als Zielscheiben dienen ihnen Vogelfiguren, aus Mais- 
kolben und ihren Umhüllungsblättern kunstvoll gearbeitet (Abb. S. 361). 
Sie hängen als Schmuck von den Querbalken des Hauses herab und 
sind bisweilen mit unvergifteten Blasrohrpfeilen gespickt. Die Kolibri, 
die zu Hunderten die Blütenbäume umschwirren, schießen die Knaben 
mit Kugeln aus gekauten Blättern. 

Zur Jagd auf größere Vierfüßler, Wildschwein, Tapir, Hirsch, 
Jaguar usw., dienen große vergiftete Pfeile. 

Die bei den Stämmen des Issanagebietes gebräuchlichen Gift- 
pfeile haben eine Länge von 160 bis 165 cm und bestehen aus einem 
Rohrschaft mit eingefügtem, im Querschnitt rundem Stab aus schwarzem, 
hartem Palmholz, der ein Fünftel des ganzen Pfeiles mißt und allmählich 
in eine feine Spitze ausläuft. Eine Umwicklung mit gepichtem Faden 



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«4 Bogen 

aus den zähen Blattfasern einer Bromeliacee oder mit feinen Bast- 
streifen hält beide Teile fest zusammen. In einer Länge Ton etwa 
1 1 cm ist die Spitze mit Curare bestrichen und mit fünf ringförmigen 
Einkerbungen versehen, die wohl bewirken sollen, daß die vergiftete 
Spitze in der Wunde abbricht, wenn das getroffene Tier durch das 
Dickicht flieht. Das ungefiederte und ungekerbte Handendc ist mit 
feiner, gepichter Schnur dicht umwickelt 

Zur vollständigen Ausrüstung eines Jägers gehört ein Bündel von 
sieben Pfeilen, deren Spitzen zum Schutze des Trägers in einem etwa 
20 cm langen Blattfutteral stecken, das ungefähr die Form eines ab- 
gestumpften Kegels hat und sich aus folgenden einzelnen Teilen zu- 
sammensetzt: Über jede Pfeilspitze wird eine zylindrische Hülse aus 
einem zusammengerollten zähen Blatt oder aus einem Stück Bohr 
gestülpt. Diese Hülsen werden so mit Bast zusammengebunden, daß 
sechs von ihnen die siebente umschließen. Die Zwischenräume füllt 
man mit Pech aus. Um das Ganze werden zähe Blätter gelegt, die 
durch Bastfäden zusammengehalten werden. Der obere Teil des 
Futterals wird dicht mit Palmfaserschnur umwickelt und außerdem 
mit Pech überstrichen, damit die Pfeilspitzen die Hülle nicht durch- 
bohren. Nicht selten wird dieser Pechüberzug zum Schmuck mit roter 
Farbe eingerieben (Abb. S. 88). 

Der Bogen ist durchschnittlich 175 cm lang, aus einem dunkel- 
roten, schweren, wohlgeglätteten Holz. Der mittlere Querschnitt ist 
mehr oder weniger halbkreisförmig mit konkaver Innenseite. Nach 
den Enden zu verjüngt sich der Bogen allmählich und läuft schließlich 
in je eine stark abgesetzte Spitze von kreisrundem Querschnitt aus, 
die das Abrutschen der Sehne verhindern soll. Diese ist zweisträhnig 
und wird wie alle Schnüre auf dem nackten Oberschenkel mit der 
flachen Hand sorgfältig gedreht. Sie besteht gewöhnlich aus den 
Fasern einer Bromeliacee, bisweilen auch aus den gleichfalls sehr festen 
Fasern der Tucumpalme ( Astrocaryum). Vermittelst einfacher Schleifen 
wird die Sehne über die Enden des Bogens gehängt. 

Will man den Bogen spannen, so stemmt man das untere Ende 
auf den Erdboden und biegt das Holz, indem man das linke Knie 
wider die Mitte des Bogens drückt. Darauf nimmt man die obere 
Schleife ab, dreht die Schnur etwas zusammen, wodurch man sie ver- 
kürzt, und hängt sie wieder ein. 

Beim Schießen hält der Indianer den Bogen mehr oder weniger 
senkrecht vor sich, visiert scharf über den Pfeil, zieht die Sehne rasch 
an und läßt sie mit dem Pfeil fahren (Abb. S. 30). Das Pfeilende hält 



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Weidwerk 



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er mit Daumen und Zeigefinger der rechten Hand, während sich die 
übrigen drei Finger einfach wider die Handfläche drücken. Der Pfeil liegt 
links vom Bogen zwischen Daumen und Zeigefinger der linken Hand. 
Der Zeigefinger wird ein wenig über den Pfeil gelegt und gibt ihm 
die sichere Richtung. Die übrigen Finger halten den Bogen, der sich 
beim Anziehen der Sehne wider den Ballen der Hand preßt. Der 
Daumen liegt entweder der Länge nach am Bogen, den er spannen 
hilft, oder er umfaßt das Holz. Einen Schutz des Handgelenkes gegen 
den Anprall der Bogensehne gibt es nicht (Abb. S. 66). 

Die Jagd auf Tapire und Hirsche wird mit Vorliebe an den 
Trinkplätzen dieser Tiere ausgeübt, an stillen Waldbächen oder kleinen 
Lagunen, die der Indianer genau kennt. Dort beschleicht er das 
wechselnde Wild oder stellt sich schon vor Tagesanbruch oder gegen 
Abend an, um es aus guter Deckung zu erlegen. Auch der Jaguar 
lauert dem Wild gern an diesen Plätzen auf und fällt dabei bisweilen 
dem Jäger zur Beute. 

Nicht ohne Gefahr ist die Jagd auf Wildschweine, die in großen 
Rotten von hundert und mehr Stück auftreten. Man hört das Poltern, 
Schnauben und Wetzen der Tiere schon weit. Werden sie geschreckt« 
so stürmen sie mit gesenktem Kopf in gerader Richtung durch den 
Wald, und wehe dem Jäger, der ihnen in den Weg gerät! Mit ihrem 
mächtigen Gewaff schlagen sie den Unglücklichen zuschanden. Daher 
ist es auch gefährlich, mitten aus der Rotte heraus ein Tier zu schießen, 
weil dann die anderen oft mit gesträubter Borstenmähne den Jäger an- 
nehmen, dem nichts weiter übrigbleibt, als so rasch wie möglich einen 
Baum zu erklettern, wenn er den wütenden Bestien nicht zum Opfer 
fallen will. Man schießt deshalb die Nachzügler, die ermüdet hinter 
dem großen Trupp hertrotten. 

Wenn sich in der Nähe eines Dorfes eine Rotte Wildschweine 
zeigt, so veranstalten bisweilen alle Männer einen gemeinsamen Jagd- 
zug, zu dem gewöhnlich der Häuptling auffordert. Gr verteilt auch 
die Beute an die verschiedenen Familien. Auch wenn ein einzelner 
Jäger ein größeres Wild erlegt hat, überläßt er es dem Häuptling 
zur Verteilung. Was nicht sofort gegessen wird, wird wie beim Fisch- 
fang auf dem Rost über langsamem Feuer gebraten und dadurch für 
Tage, ja Wochen konserviert. 

Schon frühzeitig üben sich die Knaben mit kleinen Bogen und 
Pfeilen, wobei sie, wenn die Mutter es nicht sieht, gern die armen 
Haushühner zum Ziel nehmen, die schreiend auseinanderlaufen, sobald 
der junge Schütze naht. Schon dem kleinsten Stammhalter, der noch 

Koch-Grimberg, Zwei Jahre bei den Indianern 5 



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Stoßlanzen 



an der Mutter Brust ruht, fertigt der stolze Vater oder der Großvater 
einen winzigen Bogen und Pfeil aus der elastischen Rippe des Palm- 
blattes. Die Pfeilchen sind zugespitzt, tun aber bei der geringen Kraft 
des eifrigen kleinen Jägers wenig Schaden. Bisweilen sind sie am 
oberen Ende zur Vorsicht mit einem Knopf aus schwarzem Wachs 
versehen. 

Den großen Jagdtieren, besonders Wildschweinen und Jaguaren, 
geht der Indianer auch mit Stoßlanzen zu Leibe. Sie bestehen 
aus einem starken, mannshohen Holzschaft, der am oberen Ende eine 
breite, lanzettförmige Eisenspitze europäischer Herkunft trägt. Die 
Jagd erfordert eine sichere Hand und große Kaltblütigkeit. 

Die Geschicklichkeit, mit der der Indianer seine einheimischen 
Waffen handhabt, kommt ihm auch beim Gebrauch der Feuerwaffen 
zugute. Seine große Intelligenz läßt ihn schnell die Geheimnisse der 
neuen Waffe erkennen und beherrschen, und bald ist er auch damit 
ein vollendeter Jäger. 




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VIII. Kapitel 

Die Kaua-Indiancr und ihre Maskentänze 

Am 2. November nehmen wir vorläufig Abschied von Cururu-cuara, 
mit dessen Bewohnern wir in der kurzen Zeit gut Freund geworden sind. 

Am Abend vorher hatten wir zur Feier des Abschieds das ganze 
Dorf zur Schokolade eingeladen, die in einem großen Indianertopf 
gebraut wurde. Alle waren erschienen. Ein junger Kaua, der bereits 
im Kaut9chukwald am Rio Negro gearbeitet hat, liefert die Tafelmusik. 
Auf unserer Ziehharmonika spielt er stundenlang dieselbe eintönige 
Melodie. Die Pausen füllt Kariuatinga mit seinen beliebten Clowns- 
späßen aus. Erst spät trennen wir uns, befriedigt von dem genuß- 
reichen Abend. 

Für die Fahrt flußaufwärts haben wir von einem Huhuteni gegen 
einen einläufigen Vorderlader eine Montaria erstanden, in der wir mit 
dem Gepäck reichlich Platz finden, und dazu mit Hilfe Mandus vier 
kräftige Burschen als Ruderer verpflichtet. Eine Montaria ist ein 
größeres Boot, das dadurch hergestellt wird, daß man einem Einbaum 
durch aufgenagelte Seitenplanken ein erhöhtes Bord gibt, wodurch seine 
Wasserverdrängung und damit seine Tragfähigkeit vermehrt wird. 
Zur Bequemlichkeit des Reisenden und znm Schutze des Gepäcks ist 
das Heck gewöhnlich mit einem Geflecht aus Latten und Palmblättern 
überdacht. Dieses Fahrzeug ist eine europäische Errungenschaft, die 
sich bei den Indianern dieser Gebiete rasch eingebürgert hat. 



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Mandu als Keis»>inarschall 



Einen eleganten Einbaum, den ich gern als Jagdboot gehabt 
hätte, wollte mir zwar der Besitzer verkaufen, aber seine Frau weigerte 
sich, und so zerschlug sich der Handel. Die Frauen haben auch dort 
viel mitzureden. 

Mandu hat sich mir freiwillig als Pilot angeboten; er will «ein 
bißchen spazierenreisen u , wie er sagt. Sein Ansehen als Häuptling 
und seine Hilfe als Dolmetscher können für mich nur wertvoll sein. 
Beim Abschied überträgt er seinem Bruder Gregorio mit vielen ein- 
tönig hergeplapperten Worten die Staatsgeschäfte. Auch seinem alten 
Vater, dem früheren Häuptling, und der Witwe seines verstorbenen 
Bruders hält er längere Reden offiziellen Charakters. 

Nach kaum vierstündiger glatter Fahrt erreichen wir die Siusi- 
Maloka Dupalipana auf dem rechten Ufer, die an der gleichnamigen 
ansehnlichen Stromschnelle liegt, und treten damit in das Schnellen- 
Gebiet des mittleren Aiary ein. Wir bleiben hier bis zum anderen 
Morgen, teils um Handelsgeschäfte zu machen, teils aus Höflichkeit 
gegen die Bewohner, alte gute Bekannte von Cururu-cuara und 
vom Tanzfest in Atiaru. Die Vorderwand des Hauses ist bis über 
Mannshöhe mit Rindenstücken bedeckt, auf die mit Kohle oder roter 
Farbe zahlreiche Figuren von Menschen, Tieren, schwarzen Jaguaren 
und Vögeln, Geflechtsmuster u. a. gemalt sind. In den einen Haupt- 
pfeiler ist ein schönes Grecque-Muster eingeschnitten und mit weißer 
Farbe eingerieben. 

Hinter der Maloka durchschreitet man auf gut gangbarem Pfad 
einen schmalen Waldstreifen und gelangt auf eine weite, fast vegetations- 
lose Fläche aus weißem Sand. Der Weg führe so einen Tag weiter, 
wie mir Mandu erzählt, und ende schließlich, aber versumpft und 
unpassierbar, am Caiary. Die wenigen weißen Händler, die bis hierher 
kommen, gingen auf diesem Pfad zur Jagd. Diese großen Sandflächen, 
die sich bis zur Barreira de Yui und weiterhin bis zum unteren Issana 
ausdehnen, seien ein Tummelplatz zahlreicher Jaguare, die bei Dupa- 
lipana häufig den Fluß durchschwämmen. 

Ich verstärke hier meine Mannschaft durch zwei Ruderer, was 
auch not tut, denn die Strömung des von zahlreichen Felsen ein- 
geengten Flusses wird nun reißend und erfordert die volle Kraft. 

Am nächsten Morgen gelangen wir frühzeitig zur Maloka Hala- 
pokuliana auf dem linken Ufer. Sie führt ihren Namen nach den 
großen Campinas aus weißem Sand (halapokuli), die sich auch von 
hier aus landeinwärts erstrecken. Die Bewohner des Hauses sind 
abwesend, wir finden aber einige interessante Ethnographica, be- 



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Wasserfälle und Felszeichnnngen 



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malte Töpfe und Schalen, Tanzmaskenanzüge und andere schöne 
Sachen. 

Ich nehme mit, was mir gefällt, um es später dem Besitzer, 
den wir in der nächsten Niederlassung treffen sollen, abzukaufen. 
Nachmittags kommen wir an den Jaguar-Steinen, dzaui-ne'fda 
in der Siusisprache , vorüber, deren große Felsritzungen sich in der 
Tat mit einiger Phantasie als Zeichnungen von Jaguaren deuten lassen, 
und erreichen mit Sonnenuntergang den Hafen des berühmten Fuß- 
pfades zum Caiary-Uaupes, von dem ich schon in SAo Felippe gehört 
habe. Die Sinsi-Maloka Pedalinuana liegt ein wenig landeinwärts an 
einem Bach, den wir, auf einem Baumstamm balancierend, Uber- 
schreiten müssen. 

Am anderen Morgen machen wir dort Besuch. Vor dem peinlich 
sauber gehaltenen Haus dehnt sich ein weiter, freier Platz aus, der 
von Bananen und Pupunya- Palmen eingefaßt ist. Eine Öffnung im 
Walde zeigt den Beginn des Weges an, der in gerader Richtung, 
abgesehen von den kleinen Windungen, die jeder Indianerpfad hat, 
nach der Stromschnelle und dem Uanana-Dorf Caruru am Caiary führt. 
Die Händler benutzen bisweilen diesen Fußpfad, um vom Caiary aus 
Geschäfte mit den Indianern des Aiary zu machen oder auch um- 
gekehrt. Ihre Boote lassen sie in dem jeweiligen Hafen zurück. Die 
Indianerstämme beider Flüsse unterhalten auf diesem Wege einen 
regen Verkehr miteinander, der im Austausch ihrer Kulturerzeugnisse 
und in wechselseitigen Heiraten seinen Ausdruck findet. 

Die freundlichen Bewohner begleiten uns bis zur nächsten Strom- 
schnelle, deren Brausen deutlich zu uns herübertönt, um uns beim 
Hinüberschaffen des Bootes zu helfen. 

Die Fälle Bocoepana und Hipana, die dicht aufeinanderfolgen, 
haben ansehnliche Abstürze und erfordern ein zweimaliges Ausladen 
des ganzen Gepäcks. Das leere Boot muß eine längere Strecke über 
die Felsen am rechten Ufer geschoben werden. An beiden Katarakten 
finden wir deutliche Felsritzungen, wie überhaupt der Aiary reich ist 
an solchen Zeugnissen aus der Vergangenheit, die überall da auf- 
treten, wo Aruakstämme längere Zeit gewohnt haben. Hier sind es 
meistens Muster, wie sie die Indianer noch heute auf ihren Gerät- 
schaften anbringen (Abb. S. 134), daneben scharfe Steinaxtschliffe, 
ähnlich denen, die ich am unteren Issana beobachtet habe. Eine 
große menschliche Figur mit stark hervorgehobenen Geschlechtsteilen 
wird mir als Bild des Kuai gedeutet, eines Sohnes des Yaperikuli, 
des Stammvaters der Aruakstämme dieser Gegenden. 



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Iväipana 



Am 5. NoTember kommen wir frühmorgens an dem ansehnlichen 
linken Zufluß Uarana Torüber, der an seiner Mündung fast ebenso 
breit ist wie der Aiary an dieser Stelle. Ein Boot mit Kaua begegnet 
uns, die an diesem Fliißchen landeinwärts eine Maloka haben. Ein 
anderes Haus, das wir weiter flußaufwärts auf dem rechten Ufer treffen, 
ist wegen des Todes seines Besitzers verlassen. Von hier aus führt 
ein zweiter Pfad nach Caruru, der aber jetzt nicht mehr benutzt wird. 

Noch eine Reihe kleinerer Stromschnellen müssen wir überwinden, 
die jedoch nur bei sehr niedrigem Wasserstande der Fahrt Schwierig- 
keiten bereiten, bis wir am nächsten Morgen die große Yurupary- 
Cachoeira, Iyäipana in der Siusisprache, erreichen. Sie hat ihren 
Namen von dem Iyäimi, dem schlimmsten Dämon dieser Aruak, 
dessen Kopf die Indianer in einer großen, zähnefletschenden Fratze 
sehen, die sich neben vielen anderen alten Ritzungen auf den Felsen 
der Stromschnelle findet. In einigen Felsen sind lange, runde Gänge, 
offenbar im Laufe der Zeit durch das heftig strömende Wasser, aus- 
gehöhlt. Vor vielen, vielen Jahren, so erzählt man sich, sei hier ein Un- 
geheuer hindurchgekrochen und habe den harten Stein herausgebissen. 

Die geräumige Maloka liegt auf dem rechten hohen Ufer. Die 
Rindenbekleidung der Vorderseite ist mit regelmäßigen Figuren in 
Schwarz- Weiß-Rot-Gelb bemalt und zeugt von dem Kunstsinn der 
Bewohner, der sich besonders in der Anfertigung der bunt gemusterten 
Maskenanzüge ausspricht (Taf. II und IV). 

Der Hausrat ist noch fast ganz ursprünglich und weist nur wenige 
fremde Errungenschaften auf. Die Händler kommen nicht bis hier 
herauf, und diese Indianer gehen nur selten zum Rio Negro hinab, 
um in den Kautschukwäldern zu arbeiten, so daß sie gezwungen sind, 
fast alle ihre europäischen Bedürfnisse, wie Axte, Messer u. a., durch 
Zwischenhandel von den unteren Stämmen zu beziehen. 

Auf einem Gerüst in der Ecke liegt eine Anzahl neuer Masken; 
über einem Querbalken hängen zahlreiche lange Peitschen, mit denen 
sich die Männer bei einem gewissen religiösen Tanz bis auf das Blut 
geißeln. Einige Jünglinge zeigen mir triumphierend ihre langen „Re- 
nommierschmisse" am Bauch und an den Oberschenkeln. Ich habe 
diese Peitschen schon im „christlichen" Tunuhy gefunden. 

Mandu setzt den Leuten, von denen wir freundlich aufgenommen 
werden, meine Wünsche auseinander. Ohne Zögern verkaufen sie mir 
ihre schönen Masken und versprechen, für Äxte und Messer noch 
andere zu verfertigen. Sie machen sich auch sofort an die Arbeit, 
als ich ihnen meine Schätze gezeigt habe. 



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Schmidts Unfall 



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Einer bringt mir eine große Kalabasse zum Verkauf. Sie ist auf 
der Außenseite mit geometrischen Mustern bemalt, die aber schon 
stark verwischt sind, und rührt von den Umaua her, einem Stamme 
im Quellgebiet des Caiary. Sie trügen breite Rindengürtel fest um 
den Leib geschnürt, erzählt mir Mandu, der es freilich nur vom Hören- 
sagen weiß. 

Am Falle Hipana hat Schmidt leider einen schweren Unfall er- 
litten und liegt nun krank danieder. Auf schmalem Waldpfad ist ihm 
ein Zweig in die Augen geschnellt, die sich heftig entzündet haben 
und ihn furchtbar schmerzen. Tag und Nacht liegt er, ohne etwas 
zu sich zu nehmen, in einem dunklen Winkel des Hauses stöhnend 
in seiner Hängematte, und ich habe ernßte Besorgnis um sein Augen- 
licht. Schließlich, als alle Mittel aus meiner Reiseapotheke nichts 
helfen, kurieren ihn die Indianer in kurzer Zeit, indem sie ihm den 
Saft einer gewissen Schlingpflanze in die Augen träufeln, der dort 
ein kurzes Schmerzempfinden hervorruft, dann angenehm kühlt und 
bald Linderung schafft. 

Infolgedessen habe ich hier die ganze Arbeit allein zu bewältigen, 
und das ist wirklich keine Kleinigkeit. Alle Augenblicke kommt einer 
mit einem anderen Wunsch. Hier soll ich einen Handel mit großen 
Yapurutuflöten machen, dort bringt mir eine Frau zwei riesige Ananas 
und einen Maniokfladen und erhält dafür vier Schächtelchen Streich- 
hölzer; Mandu will Munition zum Jagen haben; meine Ruderer verlangen 
Nadeln und Zwirn zum Nähen ihrer Hosen, die sie von mir als Voraus- 
bezahlung erhalten haben und nun in die richtige Form bringen 
wollen; dieser bettelt mich um Tabak an, jener um ein Heilmittel 
für sein krankes Kind; von Zeit zu Zeit muß ich den kalten Um- 
schlag um Schmidts Augen erneuern; dazwischen soll ich den Ein- 
heimischen das Bilderbuch zeigen, die Gewehre erklären, das Signal- 
hörnchen blasen; die Küche muß besorgt, der Tee bereitet werden; 
dann wieder wird die Lufttemperatur mit dem Schleuderthermometer 
gemessen ; sprachliche und andere Notizen werden aufgezeichnet, denn 
alles muß rasch niedergeschrieben werden; die Eindrücke jagen sich 
an diesem interessanten Platz und schwinden so rasch, wie sie ge- 
kommen sind. 

Kommt die Nacht heran, so habe ich noch immer keine Ruhe. 
Wenn die Bewohnerschaft längst im süßen Schlummer liegt, muß 
ich noch die Platten entwickeln, die ich am Tage aufgenommen habe, 
und sie später im Fluß wässern. 

Es sind herrlich klare Nächte. Ich sitze auf einem von der Flut 



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Kaua-Indiaiur 



umspülten Felsen mitten in der Stromschnelle. Die Wasser kommen 
and gehen; es ist wie ein Atmen des Stromes. Der Fall brüllt; 
die Wogen rauschen zu meinen Füßen zwischen den Felsen hin und 
her — hin und her. Es klingt wie Geisterstimmen. Vielleicht er- 
zählen sie sich von alten Zeiten, als die Vorväter der jetzigen Be- 
wohner diese Zeichen in das harte Gestein gruben, die ihren Nach- 
kommen heute so geheimnisvoll erscheinen. Langsam steigt der Mond 
hinter mir auf und beleuchtet grell die Teufelsfratze an dem hoch- 
ragenden Felsen. — Wenn jetzt der Iyäimi in eigener Person zu mir 
herabstiege, ich würde mich nicht wundern. 

Die Bewohner der Maloka gehören ebenfalls dem Stamme der 
Kaua, Wespen-Indianer, an, die das Hauptkontingent zu der Be- 
völkerung des Aiary stellen. 

Sie sind vorzeiten vom nahen Querary, dem größten linken Neben- 
tluße des oberen Caiary-Uaupes, eingewandert. Ursprünglich Aruak, 
wie fast alle Stämme des Querary, wurden sie von den einfallenden 
Kobeua unterjocht und nahmen die Sprache und manche Sitten von 
ihnen an. Nach ihrem Exodus zum Aiary kamen diese Kaua wieder 
mit reinen Aruak, besonders den Siusi, mit denen sie zahlreiche Ehen 
eingehen, in engste Berührung. So kommt es, daß heute fast nur noch 
die älteren Leute Kobeua sprechen, während die jüngere Generation 
wieder zu Aruak geworden ist und unter sich und im Verkehr mit 
den Nachbarn sich des Siusi bedient oder eines Aruakdialektes, der 
nur wenig von diesem verschieden ist. 

Die Leute von Iyäipana sind unverfälschte Naturkinder von liebens- 
würdigem Wesen. Der Herr des Hauses aber mit schlauem, von stark 
gewelltem Haar umrahmtem Fuchsgesicht paßt nicht in diesen ehr- 
lichen Kreis. Er ist ein „Baniwa" von einem Stamme des Issana und, 
wie er mir erzählt, längere Zeit in Manaos gewesen. Schmidt be- 
hauptet Bogar, ihn dort als Soldat gesehen zu haben. Jedenfalls 
spricht er verhältnismäßig gut portugiesisch, hat aber leider auch 
einige Laster der Zivilisation angenommen. Seine Redlichkeit läßt, 
im Gegensatz zu dem treuen Sinn seiner Hausgenossen, viel zu wünschen 
übrig, wie Schmidt erfahren mußte, dem er später kurz vor unserer 
Abreise aus seinem Wäschesack einen ganzen Anzug stahl. Nun — 
er hat einen Krüppelfuß und hinkt daher etwas. Vielleicht ist es 
der Iyäimi oder sein höllischer Vetter in eigener Person. 

Sonst ist Iyäipana ein herrlicher Platz mit idealer Bade- 
einrichtung. Der Fluß hat im Laufe der Jahrhunderte in den Felsen 
große, runde Löcher ausgespült. Man setzt oder legt sich in diese 



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Verfertigen der Tanzmasken 



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bei dem klaren Wasser saubersten aller Badewannen und läßt die 
hin und her brausenden Wogen über den Körper strömen. Am Lande 
stören zahlreiche Insekten ein wenig den Genuß, kleine Wespen, die 
stechen, ohne gereizt zu sein, schwarze Bienchen, die zwar nicht 
stechen, aber in Masse auf dem Körper herumkrabbeln, um den Schweiß 
aufzusaugen, und ein Heer von Stechmücken jeder Art und Größe; 
aber das nimmt man gern in den Kauf, sonst wäre es zu schön hier. 

Inzwischen sind die Leute fleißig bei der Maskeoarbeit. Der 
innere weiße Bast eines gewissen Laubbaumes wird nach Entfernung 
der äußeren Rinde durch Klopfen mit einem mehrfach eingekerbten 
Holzklöppel vorsichtig von dem Stamm gelöst, sorgfältig ausgewaschen 
und in noch feuchtem Zustande in der richtigen Form der betreffenden 
Tanzfigur mit Nadeln aus Affenknochen über biegsame Stäbe genäht. 
Wenn die Baststücke in der glühenden Sonne auf den Felsen der 
Stromschnelle rasch getrocknet sind, werden sie je nach ihrer Be- 
stimmung mit verschiedenen Mustern bemalt. Die schwarze Farbe 
liefert der von den Kochtöpfen abgeschabte feine Ruß, die rote die 
Samen des ürueustrauches (Bixa Orellana) und die gelbe ein lehm- 
artiger Ton der Uferwände ; die weißen Felder werden aus dem natür- 
lichen blendenden Weiß des Bastes ausgespart. Die Farben mischt 
man mit dem klebrigen Milchsaft desselben Baumes, von dem der 
BaBt genommen ist, damit sie auf der rauhen Fläche besser haften 
und nicht ineinanderlaufen. Zum Ziehen der geraden Linien benutzt 
man Lineale, die aus den Blattstengeln der Miritipalme zurecht ge- 
schnitten sind; die gebogenen Linien werden mit Hilfe von Lianen 
hergestellt. Als Pinsel dienen Holzstäbchen, die an dem einen Ende 
mit Baumwolle und Pflanzenfasern umwickelt sind. Beim Bemalen 
schieben die Künstler mehrere Bananenblätter in den Maskenkörper, 
um eine feste Unterlage zu haben, und zugleich auch, um die Gegen- 
seite nicht zu beschmutzen, da die Farben durch den lockeren Bast- 
stoff dringen, wenn die Pinselstäbchen fest aufgedrückt werden. Die 
bunten geometrischen Figuren deuten häufig die Fell- oder Hautzeich- 
nung des betreffenden Tieres an, das die Maske darstellen soll. Be- 
sonders mühsam ist die Bemalung der Jaguarmaske. Kleine rote 
Kreise bezeichnen das rotgelbe Fell des Tieres, viele schwarze Kreise 
dazwischen die schwarze Zeichnung des Felles. Der Künstler taucht 
ein ausgehöhltes Holzstäbchen in die Farbe und drückt es auf dem 
Baststoff ab. Vorsichtig bläst er vorher in die Höhlung, um die klebrige 
Haut davor zu entfernen und die Zeichnung nicht zu verderben. Ein 
anderer Baum liefert den roten Bast zu den Ärmeln, ein anderer den 



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Kinderspiele 



langen gelben Behang. Den meisten Masken ist ein Gesicht mit 
fletschenden Zähnen aufgemalt, manche tragen eine Art Zopf ans 
gelbem Bast (Abb. S. 67 und Taf. IV). 

Ich sehe hier verschiedene Einderspiele wieder, die ich schon in 
Oururu-cuara beobachtet habe. Die Jungen laufen Stelzen. Stücke 
hohlen Cecropia-Holzes, oben zur Hälfte abgespalten, haben sie sich 
mit Stricken an den Beinen befestigt und stolzieren kunstgerecht um- 
her. Großen Jubel und allgemeines Erstaunen erregt es, als ich mir 
die Hölzer anbinde und über den Dorfplatz und im Haus herumstelze. 
Sie haben diese Kunst dem Weißen gar nicht zugetraut. Beliebt ist 
auch das Schießen mit Knallbüchsen, unter dem besonders die armen 
Hunde zu leiden haben. Dieses Spielzeug besteht aus einem aus- 
gehöhlten Holz und einem glatten Stab. Als Pfropfen dient gekaute 
Rinde. Überflüssigerweise blasen die Schützen vor dem Laden 
heftig in das Rohr. Ein Junge jongliert geschickt mit zwei runden 
Früchten. Kleinere Knaben spielen mit Kreiseln. Es gibt davon zwei 
Arten: einfache Kreisel und Brummkreisel. Erstere bestehen aus 
einer runden Scheibe aus schwarzem Bienenwachs oder aus gebranntem 
Ton, durch die ein Holzstäbchen getrieben ist. Sie werden mit beiden 
Händen durch Quirlbewegung in Schwung gesetzt, gewöhnlich zwei 
bis drei zusammen in einem großen flachen Korb, in dem sie munter 
umhertanzen und sich gegenseitig zum Ergötzen der Kinder umstoßen. 

Bei den Brummkreiseln ist die Scheibe durch eine hohle Palm- 
frucht ersetzt, in die an der Seite zum Hervorbringen des Tones ein 
Loch gebohrt ist. Beim Gebrauch streifen die Knaben einen aus 
Palmfaserschnüren zusammengedrehten Ring über den Daumen der 
linken Hand und ziehen den Kreisel ab mittels einer Schnur, die, von 
unten beginnend, regelmäßig um den unteren Teil des Stabchens ge- 
wickelt ist und zwischen Ring und Daumenwurzel durchgeht. Der 
Ring soll das Abrutschen des Kreisels beim Abziehen der Schnur 
verhindern (Abb. S. 87). 

Auch die über einen großen Teil der Erde verbreiteten Faden- 
spiele, die man in Süddeutschland „ Abheben u nennt, fehlen nicht. 
Die einzelnen Figuren haben besondere Namen. So gibt es den 
„Bogen", den „Mond u , die „Plejaden", das „Gürteltier", die „Spinne" 
und die „Raupe", ja sogar das „Tapireingeweide 44 . Bei der Figur der 
„Raupe 14 wirken alle Finger außer den Daumen mit. Durch Hin- 
und Herbewegen der Finger soll das Kriechen dieses Tieres dar- 
gestellt werden. 

Aus schwarzem Wachs wissen die Kinder allerhand niedliche 



Bleistiftzeichnungen 



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Figuren von Menschen und Tieren zu modellieren, wobei sie die charak- 
teristischen Merkmale stark hervorheben. Der Jaguar ist kenntlich 
an dem dicken, runden Kopf, dem langen Schweif und den runden 
Pfoten. Der Ochse zeigt mächtig geschwungene Hörner. Der Pfeffer- 
fresser ist dargestellt, wie man ihn häufig mit unbeholfenem Flug von 
einem Ufer zum anderen flattern sieht, wohl gekennzeichnet durch den 
unförmigen Schnabel und die kurzen Flügel. 

Ebenso geschickt sind Kinder und Erwachsene im Zeichnen. Da 
sie gewohnt sind, mit dem Malstäbchen Muster auf ihrem Körper, 
ihren Maskenanzügen und Gerätschaften anzubringen, wird es ihnen 
nicht schwer, den Bleistift regelrecht zu führen und die Zeichnung 
mit sicherer Hand zu entwerfen. Auch vor verhältnismäßig schwierigen 
Motiven schrecken diese primitiven Künstler nicht zurück. Ich erhalte 
zahlreiche Bilder von Menschen und Tieren, von Masken und Masken- 
tänzern; Bilder von verschiedenem Wert und verschiedener Auf- 
fassung (Abb. S. 67). 

Ein kaum zehnjähriger, sehr intelligenter Siusi- Knabe ist ein 
gewandter und genauer Zeichner. Auf mein Verlangen entwirft er 
von mir eine charakteristische Figur. Ich muß dem kleinen Maler 
förmlich sitzen oder vielmehr stehen. Er betrachtet und befühlt 
sorgfältig die Pantoffeln, die Strümpfe, die ich wegen der Stech- 
mückenplage über die Hosen gezogen habe, die Hosenträger, unnütze 
Herrlichkeiten der Zivilisation, die bald den Weg alles Irdischen 
gegangen sein werden. Er vergißt nicht Schnurrbart und Vollbart. 
Das Radiergummi, das ich an einer Schnur im Hemdenknopfloch trage, 
interessiert den jungen Künstler ganz besonders, weil es das Papier 
immer wieder so schön sauber macht, wenn er etwas falsch gezeichnet 
hat. In die Hände gibt er mir das von mir unzertrennliche „papera", 
wie die Indianer mein Tagebuch nennen, und den Bleistift, Attribute, 
ohne die sich die guten Leute den verrückten Weißen gar nicht 
denken können. Er vergißt nichts, ja er zeichnet sogar das, was er 
nicht sieht und wegen der Kleidung nicht sehen kann. 

Die ethnographische Sammlung erhält hier manchen Zuwachs an 
Hausgerät und Schmuckgegenständen. Die schönsten Halsketten finden 
wir bei den kleinen Kindern. Die Eltern suchen ihre abgöttische 
Liebe zu ihren Sprößlingen schon äußerlich dadurch zu kennzeichnen, 
daß sie sie mit reichem Schmuck behängen. Kugelige Samen, zu- 
geschliffene Stückchen aus der harten Schale verschiedener Palmfrüchte, 
die sch auf eiförmigen Blattknochen der Landschildkröte, Menschen- 
händchen, zierlich geschnitzt aus der Schale desselben Reptils, Zähne 



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Mit MAnda zur letzten Maloka 



von verschiedenen Tieren, wie Jaguar, Wildschwein, Alligator, Affen u. a., 
sind neben bunten Glasperlen in geschmackvoller Anordnung auf Palm- 
faserachniire gereiht. Ähnliche Ketten aus hohlen Nüssen und Palm- 
früchten tragen die kleinen Kinder als Klappern um die Fußknöchel. 
Zum Durchbohren dient ein zugespitzter Affenknochensplitter, der mit 
gepichtem Faden an einem Palmholzstab befestigt ist. Quirlen mit 
beiden Händen ruft rasch das gewünschte Loch hervor. In Ermange- 
lung eines solchen Werkzeuges verwenden die Indianer auch einen 
gewöhnlichen Fischpfeil mit Eisen- oder Knochenspitze, der ebenso 
gute Dienste tut. Perlen und anderer Kleinkram werden in zierlichen, 
aus Palmblatt geflochtenen Schachteln aufbewahrt. 

Am 10. November fahre ich mit Mandu und einigen meiner Ru- 
derer flußaufwärts weiter, um der nächsten Maloka einen kurzen Besuch 
abzustatten. Schmidt, dessen Augen auf dem Wege der Besserung 
sind, habe ich in der Obhut der Indianer zurückgelassen. Unterwegs 
schneiden meine Leute b i k i p i , eine Schlingpflanze, ein anderes Augen- 
mittel, und träufeln sich den Saft mittels Blatttrichter in die Augen, 
um beim Rudern und Jagen besser sehen zu können. Eine scharf vor- 
springende Ecke am rechten Ufer nennt Mandu: Ulitukuana, weil 
hier die Tauben (ulitu), wenn sie in großen Schwärmen auf der Wander- 
schaft sind, Rast machen und Wasser trinken. Ein mächtiger, mitten 
aus dem Fluß aufragender Felsen heißt: Dzauiyaschagarota. In 
alter Zeit, so erzählt mir der Häuptling, habe hier ein riesiger Jaguar 
(dzaui) den Fluß passiert, indem er vom rechten Ufer mit einem Satz 
auf den Felsen und mit einem zweiten Satz von da an das andere 
Ufer sprang; eine respektable Leistung von je 25 m, die den berühmten 
Sprung des heiligen Bernhard sehr in den Schatten stellt. Noch jetzt 
zeigt man auf dem Felsen die Spuren der Jaguar krallen. 

Kurz nach Mittag kommen wir nach ruhiger Fahrt im Hafen der 
Maloka an, die auf dem linken Ufer etwas landeinwärts liegt. Im 
üblichen Gänsemarsch mit Mandu an der Spitze gehen wir hin. Die 
Indianer haben eine förmliche Scheu davor, nebeneinander zu gehen. 
Wenn ich einmal im Eifer des Gesprächs — ich habe mir das Hinter- 
einandergehen nachgerade auch schon angewöhnt — neben den Häupt- 
ling trete, bleibt er sofort stehen und läßt mir den Vortritt. Als ich 
in Iyäipana vom Hafen zur Maloka ging und einen Augenblick stehen- 
blieb, um mir einen spitzen Stein von der Fußsohle zu entfernen, 
machten meine vier Jungen, die hinter mir das schwere Gepäck herauf- 
schleppten, wie auf Kommando auch halt, obwohl der Weg breit genug 
war, um aneinander vorbeizugehen. 



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Enipfangszeremonie 77 

Die langweilige Empfangszeremonie, die ich in allen bewohnten 
Malokas, die wir bisher besacht haben, Uber mich ergeben lassen 
mußte, dauert diesmal viel länger als gewöhnlich und trägt einen viel 
ernsteren Charakter. Wir treten in das Haus und bleiben still- 
schweigend dicht hintereinander am Eingang stehen, bis der Hausherr zu 
uns kommt, Mandu mit einigen kurzen Worten begrüßt und ihm da- 
durch gleichsam erst die Erlaubnis gibt, zu verweilen. Mandu ant- 
wortet ebenso kurz, und nun beginnt zwischen beiden ein langes, rasch 
und eintönig hergeplappertes Wechselgespräch, in dem einzelne Worte 
immer wiederkehren. Wir anderen verhalten uns still und teilnahm- 
los. Zunächst erzählt der Wirt alles, was sich in der Zwischenzeit in 
seinem Hause ereignet hat, mit steter Wiederholung einzelner Worte. 
Dann gibt Mandu alle Neuigkeiten aus seiner Heimat zum besten 
und überbringt Grüße von allen Verwandten und Freunden. Beide 
sehen sich während dieser Formalitäten grundsätzlich nicht an und 
verharren völlig regungslos auf einem Fleck. Der eine schaut nach 
dieser, der andere nach jener Seite, als ginge ihn die ganze Sache 
nichts an. Bei beiden ist die Stimme weinerlich hoch geschraubt. 
Es muß viel Trauriges sein, was sie sich zu erzählen haben. Der 
jugendliche Sohn des Hauswirtes ist vor kurzer Zeit gestorben. Die 
blauschwarze Genipapo-Bemalung, die die Bewohner der Maloka tragen, 
stammt von einem Kaschirifest, das wenige Tage vorher zu Ehren des 
Toten stattgefunden hat. Nach dem Vater kommt der Bruder des Ver- 
storbenen, ein junger, kräftiger Mann von einigen zwanzig Jahren, und 
endlich die alte Mutter, die ihre halbblinden Augen fast ganz zu- 
gekniffen hat. Sie schreit die Worte laut heraus in unsäglichem Jammer 
um den toten Sohn. Die übrigen Anwesenden, die bei dem Trauerfall 
nicht unmittelbar beteiligt sind, begrüßen uns nur kurz, indem sie 
nacheinander an uns herantreten, zuerst die Männer, dann die Weiber. 
Endlich werden wir zum Sitzen eingeladen, ich nehme anf einer Hänge- 
matte, Mandu auf einem niedrigen Schemel Platz, und die Frauen 
bringen die übliche Bewirtung. Dem gepfefferten Fischgericht ist ge- 
kochter Mais zugesetzt. Die Maiskörner werden auch im Kolben am 
Feuer geröstet und dann abgeknabbert. Wir nehmen von allem etwas, 
um keine der Geberinnen zu kränken. Nach uns essen die Leute. 

Als Nachtisch und Erfrischungsgetränk gibt es Karibe, mit kaltem 
Wasser angerührte Maniokstärke, und süße Bananenbrühe. Wenn 
man sich von der Mahlzeit erhebt, sagt man: „Uataitenu(h)aineka 
uatsuaketa akepa!", was Mandu Ubersetzt: „Ich bin fertig (mit dem 
Essen); der Topf war groß! u 



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Totenklage 



Wir haben es günstig getroffen. In etwa zehn Tagen soll ein großes 
Maskentanzfest stattfinden, eine Trauerfeier für den Verstorbenen ; denn 
nur bei solchen traurigen Gelegenheiten wird mit Masken getanzt. 

Es ist eine verhältnismäßig stark bevölkerte Maloka. Wohl 
vierzig und mehr Individuen wohnen hier. Sie gehören verschiedenen 
Stämmen an. Die meisten sind Kaua, unter denen sich einige Siusi und 
sogar zwei Tariana von einem Aruakstamme des mittleren Caiary- 
Uaupes niedergelassen haben. Die Weiber stammen in der Mehrzahl 
von Querary. 

Im Laufe des Nachmittags stellt sich die ganze Bewohnerschaft 
ein. Die Männer legen zunächst ihre Waffen und Gerätschaften bei- 
seite und nehmen dann erst von unserer Anwesenheit Notiz. Wieder 
finden einige kürzere Begrüßungszeremonien in gewöhnlichem Ton statt. 
Jeder der Männer bringt Mundu der Reihe nach eine lange, in trockene 
oder auch noch grüne Blätter der sogenannten „Banana brava" ge- 
wickelte Zigarette. Der Häuptling tut daraus einige Züge und gibt 
sie dann weiter. Der Rauch wird durch die Nase geblasen. All- 
mählich kommen hübsche Ethnographica zum Vorschein, darunter 
Perlenschürzchen, die von den Weibern beim Tanz getragen werden 
und dieselben geschmackvollen Grecque-Muster wie die Ton- und 
Flecht waren zeigen. 

Um sechs Uhr, bei Eintritt der Dunkelheit, treten einige Männer 
und Weiber vor Mandu und halten ihm in zeremoniellem Ton eine 
längere Rede, die von diesem mit einigen höflichen „Oho ka" be- 
antwortet wird. Es ist der Gutenachtgruß der Wirte, der noch einmal 
kurz nach acht Uhr beim Schlafengehen in etwas anderer Weise 
wiederholt wird. Eine ähnliche Zeremonie findet um sechs Uhr 
morgens bei Tagesanbruch statt. 

In der Nacht gegen vier Uhr werde ich von Jammerlauten ge- 
weckt. Mandu und der Bruder des Verstorbenen hocken dicht bei 
meiner Hängematte am Boden und klagen in herzzerreißenden Tönen. 
Zunächst ist es dasselbe eintönige Wechselgespräch wie am vorher- 
gehenden Tage. Allmählich aber folgen die Worte immer rascher 
aufeinander, der Ton wird immer kläglicher. Beide halten die Hände 
vor das Gesicht und schluchzen laut zwischen den einzelnen Worten. 
Schließlich gehen ihre Reden ineinander über und endigen in einem 
längeren Duett. Die Stimmen erheben sich, von Schluchzen und 
kläglichem Weinen unterbrochen, in einer Art Akkord zu den höchsten 
Jammertönen, um dann in demselben Akkord abwärts zu fallen und 
leise klagend zu enden. Es klingt recht melodisch. Besonders Mandu 



Rückkehr nach Iyäipana 



79 



hält auf Melodie und Rhythmus, der andere schreit zu laut dazwischen. 
Nach einer Viertelstunde hört die Klage plötzlich auf, die Hände 
werden vom Gesicht genommen, und die Trauernden unterhalten sich 
mit gewöhnlicher Stimme. Tränen sind bei Mandu sicher nicht ge- 
flossen. Des Toten Bruder scheint bitterlich geweint zu haben, denn 
er schneuzt sich zum Schluß die Nase kräftig mit der Hand. Mir 
selbst ist ganz traurig zumut. Während der Zeremonie schauten sich 
die Trauernden nicht an, sondern saßen rechtwinklig voneinander 
abgekehrt. Die übrigen Bewohner nahmen gar keinen Anteil an der 
Klage, unterhielten sich, lachten laut; einige Jungen lärmten und 
liefen aus und ein. 

Am 12. November fahren wir nach Iyäipana zurück. Der Ab- 
schied Mandus von seinen Verwandten ist ebenso traurig wie die 
Begrüßung bei unserer Ankunft, aber auch ebenso langweilig. Wieder- 
um werden Grüße ausgetauscht an die ganze Verwandtschaft, immer 
der Reihe nach an jeden einzelnen, mit steter Wiederholung der Gruß- 
formel. Mandu sitzt auf einer niedrigen Bank, spielt mit einem Faden 
und schaut scheinbar teilnahmlos zu Boden. Der andere steht vor 
ihm, den Rücken ihm halb zugekehrt, und blickt in die Weite. 

Trotz der Trauer hat der schlaue Häuptling die Gelegenheit be- 
nutzt, einen kleinen Handel zu machen. Er hat einige Körbe Maniok- 
grütze, einen großen Weibertragkorb und ein zierlich geflochtenes 
Hängekörbchen gekauft, in dem die Indianer geröstete Pfefferfrüchte, 
Perlen und sonstige Kleinigkeiten verwahren. Zu meinem Schmerz 
hat er auch einen eleganten Bogen erworben, den ich gern für die 
Sammlung gehabt hätte. 

Der Handelstrieb ist bei den Indianern sehr ausgeprägt, wie 
ich bei meinen Ruderern vielfach beobachtet habe. Die Bezahlung 
in Tauschwaren von entsprechendem Wert wird ohne Geschrei und 
Zank vereinbart. Sie erfolgt bisweilen erst Monate nachher, aber mit 
größter Gewissenhaftigkeit. 

In Iyäipana finde ich alles in bester Ordnung. Schmidt ist 
wieder gesund, die Masken sind fertig, und mit Sonnenuntergang be- 
ginnen die Tänze. In den Masken werden teils Tiere dargestellt, wie 
der Schmetterling, der Herr aller Maskentänze, der schwarze Aas- 
geier, der Jaguar, Fische, Raupen, Käferlarven u. a., teils böse Dä- 
monen in menschlicher Gestalt und mit menschlichen Tätigkeiten, 
Riesen und Zwerge. Auch die Tiermasken stellen Dämonen dar, die 
einzelne Tierklassen repräsentieren ; aber sie sind keine naturalistischen 
Nachbildungen des betreffenden Tieres, das sie verkörpern, sondern sie 



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80 



MaskenUn/e 



unterscheiden sich kaum von den menschlichen Masken und sind nur 
durch einzelne besondere Merkmale, Ornamente und Attribute charak- 
terisiert. Nicht immer wird mit derselben Maske derselbe Tanz ge- 
tanzt. Bisweilen kommt die jeweilige Bedeutung der Maske erst durch 
den Tanz selbst zum Ausdruck. Die Tänze werden nur von Männern, 
aber im Beisein der Weiber und Kinder ausgeübt. Die Teilnehmer, 
deren Körper durch die Maskenanzüge zum größten Teil verhüllt sind, 
bewegen sich in raschen Schritten mit etwas einknickenden Knien und 
singen dazu eintönige, jedoch nicht unmelodische Weisen, deren dumpf- 
traurige Töne zu den zähnefletschenden Fratzengesichtern unheimlich 
passen. Die meisten Masken tragen eine lange Schwanzfeder des 
roten Arara auf dem Kopf (Taf. IV). 

Die Texte, die dem Aruak und dem Kobeua angehören, sind 
offenbar uralt und von den Sängern teilweise selbst nicht mehr zu 
deuten. Viele Wörter sind einfache Gesangeslaute, wie unser „la-la-la u 
und „rudirallala", andere sollen den Ruf des betreffenden Tieres nach- 
ahmen. Auch die charakteristischen Bewegungen der Tiere und die 
verderblichen Eigenschaften der Dämonen werden in vortrefflicher Pan- 
tomime vorgeführt. Um den strengen Rhythmus noch mehr zu be- 
tonen, halten einige Tänzer mehr oder weniger lange, mit Bastfahnen 
verzierte Tanzstöcke in der einen Hand und stoßen sie im Takt auf 
den Boden. Zum Zeichen, daß der Tanz beginnen soll, klopfen sie 
mit den Stöcken wider die Hauswand. Am Schluß einer jeden Tour 
laufen die Tänzer mit hüpfenden Schrittchen zu dem Standort der 
Masken, die vor der Maloka in einer Reihe auf Stöcken aufgepflanzt 
sind (Taf. II), springen dort ein paarmal rasch vor und zurück unter 
mehrmaligem Hin- und Herwiegen und Vor- und Rückwärtswerfen 
des Oberkörpers, stampfen noch einmal kräftig auf der Stelle auf 
und demaskieren sich. 

Auch dieses Maskenfest ist eine Trauerfeier für einen jungen 
Mann, der vor wenigen Wochen hier gestorben ist. Dies kommt mir 
plötzlich zum Bewußtsein. Ich sitze während der Tänze mit Mandu 
in gemütlicher Unterhaltung auf einer Bank. Mit einem Male steht 
er auf und sagt zu mir, er wolle mit Oasimiro, dem Hausherrn, sprechen. 
Er wechselt einige kurze Worte mit Marcellino, meinem älteren Ru- 
derer aus Dupalipana, und beide treten zu Oasimiro. Es entwickelt 
sich eine erregte Unterhaltung, die sich allmählich in den Hintergrund 
des Hauses zieht. Sie schreien mit wilden Gebärden laut durch- 
einander und denten aufgeregt nach der Erde. Schon glauben wir, 
es gäbe eine kleine Rauferei, wie bei uns zu Hause auf der Kirch- 



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Tafel III 




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Sprachauf nähme 



81 



weih, da hocken alle drei im Kreise nieder, halten die Hände vor das 
Gesicht und jammern schluchzend denselben Klagegesang, den ich 
wenige Tage vorher flußaufwärts gehört habe. Währenddessen nehmen 
die Tänze ihren Fortgang. Marcellino wird die Sache zuerot lang- 
weilig. Er dreht den Kopf um und schaut den Tänzern zu. Dann 
kommt er, in seinem Kaschirirausch blöde lachend, auf uns zu ge- 
torkelt, umarmt Schmidt und bittet mich um eine ,dzäma w (Tabak, 
Zigarette). So anständig diese Indianer in der Nüchternheit sind, so 
zudringlich sind sie im angetrunkenen Zustande. Die beiden anderen 
jammern noch eine Zeitlang weiter, hören dann auch plötzlich auf 
und unterhalten sich in gewöhnlichem Ton. 

Einen anderen Beweis, daß diese Totenklage leere Zeremonie 
ist, erhalte ich einige Tage später. Am Tage nach dem Tanzfest, 
das vierundzwanzig Stunden gedauert hat, kommt ein Boot mit be- 
kleideten Indianern. Es ist Joaquim, der Bruder Casimiros, der aus 
dem Kautschukwald heimkehrt. Die traurige Nachricht, die er mit- 
bringt, daß dort seine Frau und eine Tochter dem bösen Fieber er- 
legen seien, wird verhältnismäßig gleichgültig aufgenommen. Erst am 
anderen Morgen um fünf Uhr findet eine unendlich lange offizielle 
Trauerzeremonie nebst Klagegesang zwischen den Hinterbliebenen um 
diesen mindestens sechs Wochen zurückliegenden Todesfall statt. 

Am 14. November nimmt Mandu von uns Abschied, um nach 
Oururu-cuara zurückzukehren. Er hat seine selbstgewählte Stellung 
als Führer und Impresario in trefflicher Weise ausgefüllt. In spätestens 
drei Wochen verspreche ich wieder bei ihm zu sein. 

Wir haben noch viel zu tun mit Photographieren und Sprach- 
aufnahmen, wobei meine verzweifelten Anstrengungen, die schwierigen 
Kehllaute des Kobeua nachzusprechen, viel belacht werden. Häufig 
lassen sich die Indianer von mir deutsche Ausdrücke sagen und 
wundern sich über meine harte „häßliche" Sprache. Bei meinen 
Sprachaufnahmen kann ich mich mit Vorteil des Siusi oder des ihm 
nahe verwandten Katapolitani bedienen, von dem ich dank meinem 
treuen Antonio ein umfangreiches Vokabular angelegt habe. Einige 
nach unseren Anstandsbegriffen verfängliche Wörter frage ich als 
gesitteter Kulturmensch meinen Gewährsmann mit leiser Stimme. Wie 
erstaune ich aber, als mir eine alte Frau, die ein schärferes Gehör 
als Gesicht hat, die Kobeua- Übersetzung laut über den halben Dorf- 
platz zuschreit, ohne daß jemand Anstoß daran nimmt. 

Am 19. November fahren wir ab zur nächsten Maloka, wo zwei 
Tage später das Maskenfest seinen Anfang nimmt. 

Koch-Ürünber*, Zwei Jahre bei den Indianern 6 



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Beginn des Maskenfestes 



Die Einleitung ist eine wesentlich andere als in Iyäipana. Während 
dort ein einfacher Umzug aller Masken stattfand, die ihre Attribute 
in den Händen trugen (Taf. IV), ist es hier eine wilde Szene von hoch* 
dramatischer Wirkung. Nachmittags gegen vier Uhr kommen sechs Ge- 
stalten, in phantastische Maskenunzüge gehüllt, im Gänsemarsch aus 
dem Wald und tanzen einigemal in Gruppen zu zweien oder einzeln 
auf dem Dorfplatz im Geschwindschritt hin und her, beständig eine 
dumpftraurige Weise singend. Währenddessen tanzen zwei Masken, 
die sich mit verschränkten Fingern an den Händen halten (Abb. S. 298), 
im Mittelgang des Hauses singend auf und ab. Plötzlich stürmen die 
anderen von draußen her mit lautem Geheul zum Eingang, schlagen mit 
Stöcken und langen Haken heftig wider die Wand und suchen den Ein- 
tritt zu erzwingen, der ihnen von den beiden Masken im Hause gewehrt 
wird. Es sind die bösen Geister, die von der Maloka Besitz nehmen 
wollen. Während dieser aufregenden, sehr natürlich gespielten Szene 
stoßen die Mutter und die Witwe des Verstorbenen ein herzzerreißendes 
Jammergeschrei aus. Der Angriff am Eingang ist abgeschlagen, 
aber die Geister laufen rasch um das Haus herum und suchen durch 
den Ausgang einzudringen. Dieselbe Szene wiederholt sich, nur noch 

wilder, zügelloser. Immer lauter wird das „He-he-he !"-Geheul 

der Angreifer und Verteidiger, immer heftiger der Ansturm. Das 
Haus erdröhnt von den wuchtigen Schlägen. Dicke Strohbüschel der 
Wandbekleidung fallen, von den Haken herabgerissen, zu Boden. Die 
Klage der Weiber schwillt zum höchsten, lautesten Jammer an. Schon 
dringen die Geister in das Haus. Zwei Masken stehen sich gegen- 
über und halten unter Gesang einen Querbalken des Daches mit den 
langen Haken fest. Die anderen tanzen singend, in derselben Ord- 
nung wie draußen, im Hause hin und her. Das laute Klagegeheul der 
beiden Weiber geht allmählich in den von Schluchzen begleiteten, 
melodischen Trauergesang über, um endlich leise zu ersterben. Die 
Zuschauer verhalten sich ruhig. Die Weiber machen ängstliche Ge- 
sichter. Zwei Mädchen sind sogar behende auf ein Gerüst geklettert. 
Nach Beendigung des Tanzes aber lachen und lärmen wieder alle laut 
durcheinander, auch die beiden Klageweiber, die eben noch, hier und 
dort am Boden hockend und mit den Händen das Gesicht verhüllend, 
so bitterlich geweint und geschluchzt haben. 

Nach dieser ernsten Einleitung beginnen die harmloseren Tänze, 
von denen einige besonders charakteristisch sind. 

Der Tänzer des schwarzen Aasgeiers hält mit beiden Händen 
einen Stock wider den Nacken und ahmt durch Hin- und Herschwanken 



Tier- und Dämonentänze 



83 



des Oberkörpers den watschelnden Gang dieses Vogels nach, den seine 
mächtigen Schwingen in seinem unendlichen Element der Sonne ent- 
gegentragen, während er sich anf der Erde mit balancierenden Flügeln 
nnr langsam und unbeholfen fortbewegt. 

Der Jaguartänzer hüpft mit stark gebeugtem Oberkörper in 
katzenartigen Sprüngen wild umher und entlockt einem Rohr, das der 
besseren Resonanz wegen in einem Topfe festgebunden ist, dumpfe Laute, 
die entfernt an das Heulen der gefürchteten Bestie erinnern. In dem 
Topfe befinden sich Steinchen, mit denen der Tänzer von Zeit zu Zeit 
rasselt. Dann geht er mit raschen, weit ausgreifenden Schritten 
singend hin und her. Auch der Gesang, der aus mehreren Strophen 
besteht, sucht in einzelnen stets wiederkehrenden Worten die Natur- 
laute des Raubtiers nachzuahmen. 

Der Tanz der Mistkäfer soll die reinigende Arbeit dieses fleißigen 
Tierchens darstellen, das aus Kot kleine Kugeln dreht und sie als 
Nahrung in der Erde vergräbt. Zwei Maskentänzer schreiten neben- 
einander Hand in Hand unter Gesang vor- und rückwärts. Sie halten 
unter den äußeren Armen ihre Tanzstäbe eingeklemmt und wälzen 
damit einen Stock, der die Kotkugel vorstellt, hin und her. 

Der Eulentänzer, der als einziger nur einen Maskenkopf auf- 
gestülpt hat, hält in der linken Hand einen brennenden Span, in der 
rechten einen Stock. Mit kurzen Schritten springt er auf und ab und 
klopft wider die Hauspfosten. Er ahmt das Flattern der Eule von 
Baum zu Baum nach und läßt ihren Ruf: „Pu-pu-pu tt , ertönen, der 
diesem Vogel bei den Kobeua auch den Namen Pupuli eingetragen 
hat. Der brennende Span soll offenbar die glühenden Augen der 
Eule andeuten. Dieser Tanz ist durch die eleganten Bewegungen des 
schlanken nackten Körpers besonders anmutig. 

Ein schlimmer Waldgeist ist ein bebarteter Zwerg, den die 
Kobeua Makukö, die Siusi Huiniri nennen. Er foppt den Jäger, 
indem er ihm die Beute vor der Nase wegschießt, tötet aber auch 
gelegentlich Menschen mit seinen Giftpfeilchen. Sein Tanz gibt die 
Jagd mit dem Blasrohr in trefflicher Pantomime wieder. Er zeigt, 
wie der Jäger das Wild allmählich beschleicht und endlich zu Schuß 
kommt. Dabei wirft der Tänzer im geeigneten Augenblick eine aus 
Baststreifen geknüpfte Affenfigur, die er am linken Arm getragen 
hat, vor sich hin. Sie stellt den angeschossenen Affen dar, den der 
Tänzer nun mit dem Blasrohr, seinem langen, mit Baststreifen ver- 
zierten Tanzstab, völlig totsticht, wobei er das angstvolle Pfeifen des 
Tieres naturgetreu nachahmt (Abb. Buchumschlag). 



84 



Phallustan/. 



Voll Humor ist die mimische Vorführung einer Alligator jagd. 
Man hat die rohe Figur eines Alligators aus Baststoff zusammen- 
gewickelt. Drei Masken schlagen das Tier mit Stöcken tot, binden 
die Beute an eine lange Stange und tragen sie auf den Schultern 
unter Gesang im Hause herum. Dann hocken sie am Boden nieder, 
werfen das Wild aus und zerlegen es. Die Weiber bringen Töpfe 
herbei. Feuer wird scheinbar angezündet und die FleischstUcke zum 
Kochen in die Töpfe gestopft. Ich werde zum Mitessen eingeladen 
und hocke mich zu den Jägern, indem ich tue, als ob ich von den 
Fleischstücken Fetzen mit den Zähnen abrisse. Ich schimpfe und 
sage, das Fleisch sei n matsi--te w , „sehr schlecht", d. h. «hart wie der 
Teufel", und schneide beim Kauen die fürchterlichsten Grimassen, was 
allgemeinen Jubel hervorruft. Auch Kariuatinga erhält sein Teil. 
Schließlich wickeln die Masken den Rest des „Fleisches" wieder um 
die Stange und tragen sie noch einigemal singend durch das Haus. 

Wohl der interessanteste Tanz ist ein Phallus tanz, an dem 
alle Masken unterschiedslos teilnehmen können. Der Akt der Be- 
gattung und Befruchtung wird mimisch dargestellt. Trotz der grotesken 
Bewegungen wird der Tanz sowohl von den Tänzern selbst, als auch 
von den Zuschauern durchaus ernst aufgefaßt. Er soll im ganzen 
Dorf, bei allen und allem, Menschen, Tieren und Pflanzen, Frucht- 
barkeit bewirken; ein Gedanke voll tiefer sittlicher Bedeutung und 
frei von jeder Unanständigkeit in unserem Sinn! 

„Unanständig", welch verkehrtes Wort hier! Diese nackten 
Indianer sind so anständig, wie es nur Menschen sein können: sie 
zanken sich nicht; sie prügeln sich nicht; ihre Sittlichkeit steht auf 
hoher Stufe, obgleich viele Familien in einem Raum zusammenwohnen; 
ja, sie scheuen sich sogar, vor Fremden ihre Frauen zu liebkosen. 

Während des ganzen Festes wurde Kaschiri gereicht, aber nie- 
mand ist betrunken, außer meinem Ruderer Marcellino, der nicht viel 
vertragen kann. Von Zeit zu Zeit klagt die Alte um ihren jüngst 
verstorbenen Sohn, ohne daß jemand Notiz davon nimmt. Erst am 
anderen Mittag findet das Totenfest seinen Abschluß. 

Die tiefere Bedeutung aller dieser Maskentänze tritt klar hervor. 
Es sind Zaubermittel. Der Geist des Toten, dem man wie überall 
böse, rachsüchtige Eigenschaften zuschreibt, soll durch die Tänze und 
die fortgesetzte Klage versöhnt werden, damit er nicht wiederkehrt 
und einen der Hinterbliebenen zu sich holt. Die bösen Dämonen, 
die vielleicht den Tod des Verwandten verschuldet haben, und vor deren 
Tücke die Menschen nie sicher sind, sollen von weiterem Unheil ab- 



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Bedeutung der Maskentfinze 



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gehalten werden. Die Feinde des Jägers, Makukö und Jaguar, die 
Schädlinge des Feldes, Raupen, Käferlarven und anderes Ungeziefer, 
sollen durch mimische Nachahmung ihrer Handlungen magisch beein- 
flußt und den Menschen günstig gestimmt werden, in gleicher Weise 
auch die Jagdtiere selbst, so daß reiche Jagd und reiche Ernte werde 
und Segen und Fruchtbarkeit für alles Wachstum. 

So sehen wir diese Maskentänze von denselben Grundmotiven ge- 
leitet, wie sie auf der ganzen Welt bei fast allen Maskentänzen religiösen 
Charakters maßgebend sind : Dämonenvertreibung und Fruchtbarkeits- 
erzeugung. 

Dieses letzte Dorf des Aiary gehört gewissermaßen schon zum 
Caiary-Uaupe8, mehr als die Maloka der Yurupary-Cachoeira. Die 
Kobeuasprache, die in Iyäipana die jüngere Generation schon halb 
vergessen hat, ist den Hiesigen noch wohlgeläufig. Viele der Bewohner 
haben am Querary das Licht der Welt erblickt, und von dort her 
stammen neben den Maskentänzen viele Gerätschaften des Haushalts 
und des Tanzes, so die aus einem Stück gefertigten, auf der leicht 
konkaven Sitzplatte mit schwarzen Mustern auf rotem Grund bemalten 
Schemel (Abb. S. 96), die am übrigen Aiary nur vereinzelt zu finden 
und gewöhnlich durch ganz roh gearbeitete Schemel aus sehr leichtem 
Holz ersetzt sind, die buntgemusterten Perlenschtirzchen der Weiber 
und vieles andere. Auf die beiden Mittelpfeiler des Hauses ist eine 
Figur mit menschlichem Fratzengesicht gemalt, wie es die Masken 
tragen. Sie soll, wie mir erklärt wird, die Kopie einer Zeichnung dar- 
stellen, die sich in vielen Häusern der Kobeua am oberen Caiary fände. 

Weder hier noch in Iyäipana gibt es die häßliche Hautkrankheit. 
Die Leute sehen gesund und kräftig aus, nur ein Junge von etwa 
zwölf Jahren ist ganz verwachsen; ein Beweis, daß mißgestaltete 
Kinder nicht immer sofort nach der Geburt umgebracht werden, wie 
es bei vielen Stämmen Südamerikas Sitte ist. Als wir eines Abends 
Tee trinken, saugt er die Teeblätter aus und reibt sich damit als 
Heilmittel den kranken Körper ein. 

Neben dem Hause befindet sich eine kleine Tabakpflanzung. Der 
Tabak wird auf höchst einfache Weise zubereitet. Man pflückt die 
Blätter vom Stengel ab, dörrt sie langsam auf einem Korbsieb in der 
Nähe des Herdes, feuchtet sie wieder an und stampft sie im Mörser. 
Dann formt man sie mittels eines Bandes aus starkem Bast und 
feinerer Baststreifen zu einem flachrunden Kuchen und trocknet sie 
in dieser elastischen Presse, die man von Zeit zu Zeit enger zieht, 
an der Sonne (Abb. S. 57). 



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Läuse- und Ameisenessen 



De gustibus non est disputandum! Die Indianer verzehren die 
Läuschen, die in reichlicher Anzahl ihr dichtes Haupthaar bevölkern. 
Schon in Iyüipana hüben wir fast jeden Morgen und Abend mit Ver- 
gnügen zugesellen, wenn die Weiber reihenweise hintereinander auf 
den Felsen hockten und sich gegenseitig den Liebesdienst des Lausens 
erwiesen. Sie geben sich der Sache mit Eifer und Genuß hin, und 
ich habe das Empfinden, daß sie die Tierchen in erster Linie nicht 
als lästige Parasiten betrachten, die man auf jede Weise vertilgen 
müsse, sondern als Leckerbissen, ganz abgesehen von der aktiven und 
passiven Befriedigung, die ihnen diese .niedere Jagd" gewährt. 

Auch die Piuns, winzige Stechmücken, die leider am ganzen 
Aiary nicht fehlen, werden von den Indianern verspeist. Häufig sieht 
man eine Frau hinter ihrem Gatten am Boden sitzen und ihm die 
kleinen blutstrotzenden Bestien vom Rücken ablesen. Dann preßt sie 
die Wunde mit den Fingern zusammen und saugt das Gift aus. 

Einen anderen indianischen Leckerbissen, der auch unserem 
europäischen Gaumen recht gut mundet, lerne ich hier zum erstenmal 
kennen. Es sind große geflügelte Ameisen, die auf der Herdplatte 
geröstet werden und uns in dieser Wildnis wie feines Weihnachts- 
gebäck schmecken. Man reißt den mit scharfen Mandibeln bewehrten, 
dicken Kopf und die Flügelreste, die nach dem Rösten stehen- 
geblieben sind, ab und verspeist nur das fette Abdomen. Kenner 
verzehren sie auch lebendig. Das Schwärmen dieser Ameisen findet 
zu Beginn der Regenzeit statt und bedeutet Festtage für das ganze 
Dorf. Auf die erste Kunde davon eilt groß und klein unter lautem 
Jubel mit Körben und Töpfen zu dem Bau und sucht möglichst viel 
von der kostbaren Delikatesse zu erhaschen. 

Am 24. November besuchen wir flußaufwärts den Katarakt 
Katsiripana (Alligator-Haus), dessen dumpfes Getöse in den stillen 
Nächten deutlich zu uns herübergedrungen ist. Eine Stunde Fahrt 
bringt uns zu diesem ansehnlichen Wasserfall, der in zwei Stufen von 
etwa 3 und 7 m Höhe abstürzt. Ein herrlicher Anblick ! Überall 
mächtige Felsen, wohin man schaut. Felsen an beiden Ufern, Felsen 
mitten im Strom, an denen sich die schäumenden Wogen brechen. 
So weit man stromaufwärts sehen kann — Felsen und strudelnde 
Schnellen, vom düsteren Uferwald begrenzt. Wie in einen riesigen 
Trichter ergießt sich die immer noch ansehnliche Wassermasse — der 
Fluß ist hier auf 25 bis 20 m eingeengt — in die Tiefe. Hochauf spritzt 
der weiße Gischt und steigt als feiner Wasserstaub empor. An einer 
Stelle bilden übereinandergetürmte Felsen eine natürliche Höhle, das 



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Fall Kateiripana 



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„ Katsiripana". Links führt eine primitive Brücke aus Stangen und 
Schlingpflanzen über das Felsengewirr. Auf einem guten Pfad, der 
auch zum Durchschleppen der Boote dient, umgeht man am rechten 
Ufer den Absturz. Auf den Felsen finden sich zahlreiche Figuren 
von Menschen und Tieren eingeritzt. 

Oberhalb dieses Wasserfalles gibt es nach den übereinstimmenden 
Zeugnissen der Indianer keine Anwohner mehr. Ein weiteres Vor- 
dringen würde ethnographisch nichts Neues bringen. Sicherlich ver- 
engert sich der Fluß kurz oberhalb dieser geographischen und ethno- 
graphischen Grenze, ähnlich wie andere, und verzweigt sich in einzelne 
Quellflüßchen, so daß eine Aufwärtsfahrt, ganz abgesehen von der 
wissenschaftlichen Wertlosigkeit, nur mit einem kleinen Kanu ohne 
Gepäck möglich wäre und mir viel Zeitverlust verursachen würde. 
Damit kann ich nicht rechnen. Das Quellgebiet soll dem Querary 
nahekommen, was den Verkehr zwischen den Anwohnern beider Flüsse 
sehr erleichtert. 




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IX. Kapitel 

über Land zum Caiary-Uaupes 



Am 26. NoTember führe ich einen 
Plan aus, den ich schon mit Mandu in 
■ S J| § allen Einzelheiten besprochen habe, eine 
Uberlandtour zum Caiary-Uaupes, um einen 
Teil dieses vielgenannten Flusses schon 
jetzt kennen zu lernen und den nahen Zu- 
sammenhang der beiden Flußgebiete ge- 
nauer festzustellen. Wir benutzen dabei 
einen Fußpfad, der kurz oberhalb der 
letzten Maloka seinen Ausgang nimmt. 
Von seinem Vorhandensein habe ich erst 
am Aiary gehört. Drei meiner Ruderer 
begleiten mich. Der alte Kaua-Häuptling 
und seine Frau schließen sich mir frei- 
willig an. Schmidt fahrt an demselben 
Tag mit der ganzen wertvollen Ladung 
nach Cururu-cuara zurück, um mich dort 
zu erwarten, denn wir wollen erst auf dem 
unteren Fußpfad von Caruru aus zum 
Aiary zurückkehren. 

Der Weg, ein vielfach verschlungener 
Indianerpfad, führt zunächst durch Hoch- 
wald, dessen niedergestürzte Baumriesen 
uns manches Hindernis entgegenstellen. 
Dann schreiten wir auf dem Kamm eines 
niedrigen Höhenzuges, der Wasserscheide, 
über Oampinas aus weißem Sande und gelangen schließlich, talwärts 
steigend, durch ein böses Sumpfgebiet zu dein größten rechten Neben- 
fluß des Rio Negro, gegenüber dem aus zwei Sippenhäusern und einem 
Neubaugerüst bestehenden Uanana-Dorf Yuticu. Der ganze Marsch 
hat, im Indianergeschwindschritt und die Ruhepausen abgerechnet, 
nur drei Stunden und zehn Minuten gedauert und im wesentlichen die 
süd-südwestliche Richtung beibehalten. Der Caiary-Uaupes hat noch 
hier, obgleich schon weit flußaufwärts, eine ansehnliche Breite von 
mehreren hundert Metern und erscheint mir riesig im Vergleich zu 
dem schmalen Waldflüßchen, auf dem ich mich fast zwei Monate lang 
herumgetrieben habe. 

Die Uanana nehmen uns anfangs mit Mißtrauen auf, da von 



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Bei den Uanana-Indianern 



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dieser Seite nie ein Weißer gekommen ist, überzeugen sich aber bald 
von meinen lauteren Absiebten und veranstalten uns zu Ehren sogar ein 
Kaschiri, zu dem von den umliegenden Malokas viele festlich bemalte 
Gäste erscheinen. Einige haben rote Blümchen mit der Blüte nach vorn 
hinter die Ohren gesteckt, andere grüne Zweige zu beiden Seiten unter 
die Hüftschnur geklemmt, deren Wohlgeruch ein wenig an Maikraut 
erinnert. Ich habe diesen Schmuck schon bei den Festen am Aiary bemerkt. 

Freilich haben die armen Indianer Grund, den Weißen zu mißtrauen, 
denn seit einem halben Jahr sind am oberen Caiary von Westen her 
colombianische Kautschuksammler erschienen und bis zu den Uanana- 
Dörfern herabgekommen, wo sie sich übel aufführten. In allen Malokas, 
die wir besuchen, vernehmen wir bittere Klagen über diese „Pioniere 
der Zivilisation"; ein Seitenstück zu dem edlen Kommandanten von 
Cucuhy, nur in grelleren Farben! — 

Die Sprache der Uanana ist gänzlich verschieden von den Aruak- 
sprachen des Issana-Aiary und dem Tukano, der Hauptsprache des 
Caiary- Uaupes, die ich schon von Leuten Don Germanos in Säo Felippe 
kennen gelernt habe, näher verwandt. Infolge regen Verkehrs und 
wechselseitiger Heiraten zwischen den Uanana und den Aruakstämmen 
des Aiary hat sich allmählich eine Verkehrssprache herausgebildet, mit 
deren Hilfe sich meine Leute leicht verständigen können. Wo dieser 
Jargon nicht ausreicht, bedient man sich der Lingoa geral, die vielen 
geläufig ist. 

Leider nehmen es die Bewohner von Yutica nicht so genau mit 
der Ehrlichkeit. Mehrmals machen sie sich kleiner Diebstähle und 
Betrügereien schuldig. Beim Tauschhandel bringen sie häufig die 
Gegenstände, die sie gerade in der Hand halten, beiseite. Besonders 
einige dralle Mädchen — Wohlbeleibtheit ist bei diesem Stamm über- 
haupt nicht selten — stehlen wie die Elstern. Auch der Häuptling 
sucht mich bei einem Handel um ein Paar schön gemusterter Knie- 
bänder zu betrügen, indem er sie rasch gegen schlechtere umtauscht. 
„Die Leute taugen nichts!", sagt der ehrliche Nerienene (Hirsch- 
zunge), ein Kaua vom Uirauasu-Parana, der treueste meiner Begleiter. 
Er hat nicht ganz unrecht. Am Aiary ist so etwas nie vorgekommen. 
Und doch, man kann den Leutchen nicht böse sein. Wenn ich sie 
auf einer Unredlichkeit ertappe, dann brechen sie in ein unbefangenes 
Lachen aus und geben jeden Gegenstand, den ich zurückverlange, 
sofort wieder her. Es sind ja keine Wertgegenstände, um die es sich 
handelt, aber um die Achtung auch bei meinen eigenen Leuten nicht 
einzubüßen, darf ich mir nicht die geringsten Übergriffe gefallen lassen. 



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Durch die Stromschnellen 



Der alte Kau a- Häuptling und seine Frau kehren von hier aus mit 
ihrem wohlverdienten Lohn zum Aiary zurück, und am 29. November 
bringen uns die Uanana in rascher Fahrt durch die Stromschnellen 
von Yacare\ Tapiira-girao, Matapy u. a., die einander an tosender 
Wildheit nichts nachgeben, nach Carum, der Hauptniederlassung des 
Stammes. Wir kommen dabei an einer ganzen Reihe sauberer Malokas 
vorüber, deren Bauart dieselbe ist wie am Aiary. 

Eine Talfahrt durch die Stromschnellen ist anfangs aufregend, 
aber man gewöhnt sich bald daran. An steilen Abstürzen lassen wir 
das Kanu vorsichtig hinab. Dann steigen wir wieder ein und werden 
mit rasender Schnelligkeit durch das Ende der Schnelle gerissen, die 
hinter uns tobt und weithin hohe Wogen aufwirft. Das Boot scheint 
zeitweilig stillzustehen, während die Felsen unheimlich nahe an uns 
vorübersausen. Ruhig und sicher lenkt der Steuermann das Fahrzeug 
durch die tiefen Wogentäler. Jetzt hebt es eine Welle hoch empor, 
um es im nächsten Augenblick scheinbar in einen tiefen Abgrund zu 
schleudern. Beständig gehen Spritzer über Bord. Heftig arbeiten 
die Ruderer. Schon sind wir durch, ohne daß wir uns so recht der 
großen Gefahr, in der wir schwebten, bewußt waren ; eine kurze Strecke 
ruhigen Wassers, und dann wiederholen sich dieselben Szenen. Aber 
mit einem guten indianischen Steuermann hat man kaum etwas zu be- 
fürchten. Die Leute kennen ihre Wasserstraße, die sie so häufig 
fahren müssen, den einzigen Verbindungsweg zwischen den einzelnen 
Dörfern, und fühlen sich auf ihr so sicher wie ein geübter Kutscher 
im Gewühl der Großstadt. 

In der Stromschnelle von Tapiira-girao hätten wir um ein Haar 
einen bösen Unfall erlitten. Sie wird durch eine enge Felsschlucht 
gebildet, durch die sich die gewaltige Wassermenge preßt. Der Fluß 
macht hier eine scharfe Wendung; einige schmale Arme schneiden 
eine vorspringende Ecke ab. Nur bei niedrigem Wasserstande kann 
man den Hauptstrom benutzen, da bei Hochwasser selbst ein größeres 
Boot in dem furchtbaren Wogenschwall kentern würde. Wir fahren 
durch einen der Arme, der in einen etwa 2 m hohen Wasserfall aus- 
geht. Als meine Leute das beladene Kanu über den Absturz schaffen 
wollen, wird es ihnen aus den Händen gerissen. Der Steuermann, ein 
älterer Uanana, hält noch fest, gleitet aber selbst auf den schlüpfrigen 
Felsen aus und saust mit dem Fahrzeug hinab, ohne es loszulassen. 
Noch im letzten Augenblick kann er es zur Seite in ruhigeres Wasser 
ziehen, sonst wäre die ganze Ladung verloren gewesen. 

Kaum sind wir wieder eingestiegen und weitergefahren, tla bricht 



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Ein unerwarteter Besuch 



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ein schon lange drohendes Unwetter mit aller Wucht los und nötigt 
uns, im oberen Hafen der Maloka Matapy Schutz zu suchen; freilich 
einen sehr zweifelhaften Schutz, denn im Nu sind wir durch den 
gießenden Tropenregen bis auf die Haut durchnäßt. Meine Leute 
holen rasch in der nahen Pflanzung Bananenblätter und decken damit 
das Gepäck. Ich laufe durch den Wald zur Maloka, die auf der 
steilen Höhe des rechten Ufers herrlich liegt und den Caiary fluß- 
abwärts weithin beherrscht. Das schöne, geräumige Haus ist auf der 
Bindenbekleidung der Vorderwand, ähnlich wie die Maloka Iyäipana, 
mit bunten Mustern bemalt. Auch die beiden Mittelpfeiler tragen 
Figuren in bunten Farben. Die Bewohner nehmen mich anfangs 
zurückhaltend auf. Sie wissen offenbar nicht recht, was sie aus mir 
machen sollen, und halten mich für einen Colombianer, da ich fluß- 
abwärts gekommen bin, ohne daß ich vorher flußaufwärts hier durch- 
kam. Zudem bin ich durch die Hintertüre eingetreten, was dort 
allgemein als ein grober Verstoß gegen die Etikette angesehen wird. 
Aber sie sehen wenigstens, daß ich völlig durchnäßt bin und vor Frost 
zittere. Ich bitte um einen Platz am Feuer, der mir auch freundlich 
eingeräumt wird. Die Indianer haben sich in den Hintergrund des 
Hauses zurückgezogen und unterhalten sich flüsternd. Einige bissige 
Hunde werden von ihren Herren nur mit Mühe davon zurückgehalten, 
ihre Wut an dem Weißen auszulassen. Nach einiger Zeit — der 
Regen hat inzwischen aufgehört — kommen meine Leute, wie es 
sich gehört, durch den Eingang, werden vom Hausherrn feierlich 
begrüßt und geben bald die gewünschte Aufklärung über meine 
Herkunft, meine friedlichen Absichten und den Zweck meiner Reiße. 
Jetzt werden wir auch in der herkömmlichen Weise bewirtet, und ah 
Abschiedstrunk gibt es vorzügliches Kaschiri, das sich der unverbesser- 
liche Marcellino nur zu wohl schmecken läßt. Ohne weiteren Zwischen- 
fall erreichen wir gegen Sonnenuntergang Caruru. 

Drei Tage bin ich der Gast des liebenswürdigen, noch jugend- 
lichen Häuptlings, der zugleich der Oberhäuptling des ganzen Uanana- 
Stammes ist. Dank dem Nimbus, der sich allmählich um meine Person 
gewoben hat, behandelt er mich mit ausgesuchter Höflichkeit und 
großer Achtung. 

Caruru liegt höchst malerisch am Kopf der gleichnamigen Strom- 
schnelle, deren langer, aber allmählicher Absturz gewöhnlich über Land 
umgangen wird. Der Fluß bricht sich durch hohe felsige Ufer gewalt- 
sam seine Bahn und ist von beiden Seiten durch vorspringende Fels- 
ecken stark eingeengt. Das linke Ufer bildet sozusagen eine einzige 



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Beim Oberh&aptüng; in Carum 



riesige Felsplatte, die in mehreren Stufen ansteigt und bei Hochwasser 
durch einen schmalen Flußarm vom Festland getrennt ist. Auf der 
vertikalen Fläche einer dieser langgestreckten Felsstufen sind mehrere 
etwa L'/s m hohe Figuren eingeritzt, die Menschen und Fische dar- 
zustellen scheinen und, der Verwitterung nach zu urteilen, schon ein 
ansehnliches Alter haben. In der Nahe der Figuren finden sich auf 
dem flachen Felsboden zahlreiche längliche und runde Steinbeilschliffe. 
Diese beiden Arten von Schleifmarken kommen häufig nebeneinander 
vor. Die runden, schalenähnlichen Marken sind offenbar dadurch ent- 
standen, daß die Indianer an diesen Stellen die flachen Seiten ihrer 
Steinbeile zugeschliffen und geglättet haben. Die langen, schmalen 
Furchen, die an beiden Enden spitz zulaufen, sind anscheinend durch 
das Schleifen der Steinbeilschneiden hervorgerufen. 

Unmittelbar am Absturz der Stromschnelle erhebt sich eine Gruppe 
übereinander getürmter und mit Gebüsch bewachsener Felsen, die 
mehrere Ritzungen tragen (Abb. S. 352). In einer trefflichen Schlangen- 
figur, die eine Länge von 1,70 m hat, und deren Kopf und Leib breiter 
als gewöhnlich aus dem Gestein herausgearbeitet sind, sehen die In- 
dianer die Jararaca, eine der schrecklichsten Giftschlangen Südamerikas. 

Von den neun Häusern, aus denen sich Caruru zusammensetzt, 
liegt die Mehrzahl auf dem linken Ufer. Nur ein älterer Uanana 
namens JoAo hat sich mit seinem Anhaug eine Maloka auf dem hohen 
rechten Ufer erbaut. Das neue, saubere Haus des Häuptlings, in dem 
wir Unterkunft finden, liegt ein wenig landeinwärts mit freier Aus- 
sicht nach dem Fluß hin. Ein Fußpfad führt zu einer anderen 
Maloka, die einem jungen Ehepaar gehört. Die übrigen Häuser, 
kleine Familienwohnungen, darunter eine Hütte brasilianischen Stils 
mit lehmbeworfenen Wänden, Reste der ehemaligen Franziskaner- 
Mission, liegen im Walde zerstreut, zum Teil an einem Bach, der 
kurz unterhalb der Stromschnelle in den Hauptfluß mündet. Das 
ganze Dorf zählt etwa hundert Einwohner. 

Es sind durchweg freundliche und anständige Menschen. Ihr 
zurückhaltendes Wesen steht im angenehmen Gegensatze zu der Zudring- 
lichkeit der Leute von Yutica. Die Frauen teilen sich in meine Be- 
wirtung und bringen mir abwechselnd morgens und abends den Er- 
frischungstrank, warme Stärkebrühe, und Maniokfladen, frisch vom 
Ofen. Fische liefert reichlich die Stromschnelle. Auch gute Ethno- 
graphica werden mir zum Kauf angeboten, darunter wohlerhaltene 
Steinbeilklingen, Reliquien aus Vaters Zeiten. Ich bezahle fast alles 
mit Perlen. Auf meine dicken „bayrischen" Perlen, deutsche Aus- 



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Meine Bilderbücher 



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schuß wäre, besonders auf die dunkelblauen, sind die Indianer ganz 
versessen. Sonst verlangen sie nur noch kleine weiße Perlen, mit 
denen ich mich glücklicherweise in Manaos versehen habe. Meine 
feinen hellblauen und roten „venezianischen" Perlen finden gar keine 
Gnade vor ihren Augen ; sie nehmen sie kaum geschenkt. So ist man 
auch im Urwald der Mode unterworfen. 

Unter den Damen des Hauses ist eine Jungfrau mittleren Alters, 
die aus dem Rahmen ihrer Umgebung entschieden herausfällt. Sie ist 
längere Jahre als Dienstmädchen in Manaos gewesen und spricht 
ein wenig portugiesisch. Auf ihre nackten Stammesbrüder sieht sie 
mir gegenüber mit Verachtung herab und bildet sich nicht wenig darauf 
ein, sich mit dem Weißen in seiner Sprache unterhalten zu können. 
Während meiner Anwesenheit hat sie ihren starken Körper und vollen 
Busen in eine rote Bluse gezwängt. So oft die Reihe an ihr ist, bringt sie 
mir mein Frühstück, den warmen Maniokfladen, auf einem mit blendend- 
weißem Tüchlein bedeckten Porzellanteller. Und dabei kann ich auf 
solche zarten Aufmerksamkeiten einer feineren Kultur gar keinen An- 
Bpruch machen, sehe ich doch mit meinen schmutzigen und zerrissenen 
Hosen, mit meinem struppigen Bart, ohne Schuhe und Strümpfe 
schlimmer aus als ein Vagabund. 

Auch auf dieser Tour habe ich meine Bilderbücher als Haupt- 
attraktion mitgenommen. Marcellino erklärt sie, so gut er es versteht. 
Öfters werde ich zu Hilfe gerufen und muß in Lingoa geral, die alle 
beherrschen, nähere Auskunft geben. Einige Bilder sind besonders 
begehrt: wie die „Pischana" (Katze) vor dem „Yauara" (Hund) auf 
einen Baum flüchtet ; wie das Mädchen weint, weil ihm der Topf mit 
Milch hingefallen und zerbrochen ist, und dabei von einem „Kurumi" 
(Knaben) mit einem Stück „Menyu" (Maniokfladen) getröstet wird. 
Sämtliche deutsche Schornsteinfeger bitte ich um Verzeihung, daß ich 
sie als „Yurupary" (böse Geister) bezeichnet habe, aber ich kann 
diese schreckhaften schwarzen Kerle den Indianern nicht besser 
verständlich machen. Von den bunten Bildern der vielen, vielen 
„Surara" (Soldaten) kommen wir auf Krieg und Kriegsgeschrei zu 
sprechen. Meine Mensurschmisse halten sie für Kriegsnarben und 
fragen mich mit ehrfurchtsvollem Schauder, wie viele Feinde ich 
schon totgeschlagen habe. 

Auf die Colombianer ist man auch hier schlecht zu sprechen. 
Sie hätten Maniokmehl und andere Lebensmittel erhoben, Hühner 
totgeschossen und nichts bezahlt. Man zeigt mir die Hiebmarken 
ihrer Waldmesser in den Pfeilern des Hauses. Bei einem Kaschiri, 



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Colora bianer-P&ntoniime 



das uns der Häupling gibt, führt der dicke JoAo Tom anderen Ufer, 
ein lebhafter und schlauer Indianer, eine dramatische Szene mit mir 
auf, um mir die Roheit dieser weißen Banditen zu veranschaulichen. 
Ich stelle den Besitzer des Hauses dar und empfange Joäo am Ein- 
gang. Er kommt daher als Colombianer, unseren Vorderlader auf 
der Schulter — Winchesterbüchsen hätten die Colombianer nicht — , 
das breite Waldmesser in der Rechten. „Guten Tag!" — er spricht 
alle Worte mit rauher, herrischer Stimme. Ich antworte: „ Guten 
Tag, Weißer!" Er gibt mir die Hand; wir treten ein; er schaut sich 
überall mit wütenden Blicken um: „Hast du keine Hühner?" — „Nein, 
es sind keine da, Herr!" Er tritt zum Eingang, legt die Flinte an, 
schießt scheinbar: „Päng-päng-päng", drei Hühner; am Ausgang wieder- 
holt er dieselbe Szene. Schließlich haut er pantomimisch in die Haus- 
pfosten und zerschlägt die großen Töpfe und Schalen. 

Am 3. Dezember nehmen wir Abschied von den guten Leuten, 
nachdem ich ihnen wiederholt habe versprechen müssen, in einigen 
Monden mit vielen schönen Waren auf anderem Weg, Caiary aufwärts, 
hierher zurückzukehren. Diesmal begleitet uns ein junges Uanana- 
Ehepaar mit seinen zwei prächtigen dicken Buben. Den älteren trägt 
der Mann auf dem Rücken, den jüngeren die Frau in einer Bastbinde 
an der Seite. Ihr eigenes Gepäck, Hängematte u. a., etwas Reise- 
proviant und einige von meinen Sachen hat sie in einem großen Trag- 
korb untergebracht. Trotz der schweren Last kommen sie rasch vorwärts. 

Der Beginn des Pfades ist von gefallenen Baumstämmen und 
Asten versperrt und für europäische Augen nicht sichtbar. Wir waten 
anfangs durch einen scheußlichen Sumpf und steigen dann steil bergan 
auf einen niedrigen Höhenzug, auf dem wir in östlicher Richtung ent- 
lang schreiten. Der Wald, der uns mit zahlreichen Wurzeln den Weg 
beschwerlich machte, wird durch Campinas aus feinem weißem Sand 
abgelöst, die den Füßen einige Erholung gewähren. Bald steigen wir 
wieder abwärts. Das Terrain wird wellig. Schmale Waldstreifen 
schließen kleine Wasseradern ein, die ihr „schwarzes" und auffallend 
kühles Wasser nach Süden dem Caiary zuführen. In schwindelnder 
Höhe überschreiten wir auf glattem Baumstamm einen ansehnlichen 
Bach, der zwischen tief eingerissenen Ufern dahinströmt. 

Unsere Indianerreihe verteilt sich folgendermaßen: Voran schreitet 
mein treuer Nerienene, schwer bepackt mit meinem Rucksack, seiner 
Hängematte und anderen Sachen, in der einen Hand einen Korb mit 
drei Hühnern, die beständig miteinander in Fehde liegen. Wenn sie 
sich gar zu schlecht benehmen, werden sie heftig durcheinander- 



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Zurück zum Aiary 



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geschüttelt, worauf sie wieder eine Zeitlang Ruhe halten. Auf der 
Schulter trägt Nerienene einen zweiläufigen Vorderlader, den ich 
meinen Leuten als Jagdgewehr überlassen habe. Ich gehe dicht 
hinter ihm, am Gürtel das Waldmesser und eine kleine Ledertasche 
mit Tage* und Skizzenbuch, Photographien und sechs Monate alten 
Briefen aus der Heimat, in der linken Hand den Winchesterkarabiner, 
in der rechten eine drei Meter lange Tanzlanze, die ich in Yutica 
erworben habe. Wenn ich einmal über die Wurzeln stolpere, die 
überall im schmalen Pfad hochstehen, oder über eine Liane, die 
tückisch meine Füße umstrickt, dann springt der Junge rasch vor, 
um nicht von der drohenden spitzen Lanze durchbohrt zu werden. 
Hinter uns, aber in weitem Abstand, kommen Marcellino, der edle 
Zecher, mit sechs Hühnern und Hähnen, Hängematten, Tanzflöten 
und anderem Kram beladen*, dann ein junger Kaua von Iyäipana, 
den wir wegen seines dortigen TanzkostUms „JoAo Makukö 4 * (Hans 
Waldteufel) getauft haben, mit dem photographischen Apparat, Hänge- 
matten, Flöten, einem Kasten mit Federschmuck und dem Koch- 
geschirr. Den Schluß macht das Uanana-Ehepaar mit Tragkörben 
und Kindern. So geht es im Indianergeschwindschritt durch dick 
und dünn. 

Nach einem Marsch von mehr als zwei Stunden überschreiten wir 
abermals einen niedrigen Höhenzug, die Wasserscheide, und schlagen 
nun nordöstliche bis nördliche Richtung ein. Die anderen bleiben 
allmählich weit hinter uns zurück. Ich frage Nerienene, wie weit es 
noch bis zu einem guten Lagerplatz sei, den er mir verheißen hat. 
Sein rechter Zeigefinger weist, langsam aufwärts steigend, nach vorn : 

„Yasu-yasu-yasu! 44 : Anhöhe, „te e! w der Zeigefinger fällt: 

Tal = ein Bach ; und so weiter ; noch fünf Bäche. Man klettert 
förmlich an seinen Worten und Gebärden in die Höhe und fällt mit 
ihnen zu Tal. 

Wir setzen den beschwerlichen Marsch noch längere Zeit nach 
Sonnenuntergang in tiefer Finsternis fort und erreichen endlich den 
Lagerplatz, zwei primitive Schutzhütten an dem kleinen Fall eines 
Baches. Hier warten wir auf die anderen. Es wird sieben, es wird 
acht Uhr; niemand erscheint, obwohl inzwischen der Vollmond hoch- 
gestiegen ist und den Weg hell beleuchtet. Ich gebe zwei Schüsse 
ab; umsonst! 

Wir haben nichts zu essen, nicht einmal Maniokgrütze, und der 
unzuverlässige Marcellino hat meine Hängematte und Decke. Nerienene 
bietet mir seine für mich viel zu kleine Hängematte an. Ich gebe dem 



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Marcel Iino 



guten Jungen dafür meine Schlafjacke und das große schwarze Tuch 
vom photographischen Apparat. Er wickelt Bich hinein und schläft 
auf dem warmen Felsen fest bis zum frühen Morgen. In der weit- 
maschigen Hängematte und in den schweißdurchnäßten Kleidern ist 
die Nachtkühle doppelt fühlbar. Ich bin froh, als es endlich 
Tag wird. Nun stellen sich auch die übrigen ein, an der Spitze 
Marcellino. Ich mache meinem Arger in einigen kräftigen Worten Luft, 
worauf er auf seinen langen Beinen Reißaus nimmt und erst am Aiary 
wieder zu uns stößt. Ein Marsch von nur fünfundvierzig Minuten 
auf verhältnismäßig gutem Pfad bringt uns zur Maloka Pedalinuana 
am Aiary, die ich genau einen Monat vorher besucht habe. Das Haus 
steht leer. Die Bewohner sind wahrscheinlich zu einem Fest ab- 
wesend. In einigen Kanus, die wir im Hafen finden, kommen wir 
nun rasch vorwärts und gelangen gegen Abend nach Dupalipana, 
Marcellinos Heim, wo wir vor einem Unwetter Schutz suchen. 

Marcellino ist wieder obenauf; er bettelt mich um Tabak an, 
zeigt sich dann aber als Hausherr von der liebenswürdigsten Seite. 
Später in Cururu-cuara bei der Auslohnung ist er wieder unverschämt. 
Ich sage ihm deshalb beim Abschied auf deutsch: „Du bist der größte 
Lump, der mir je im Leben begegnet ist!", was er auch zu Schmidts 
besonderer Freude mit einem kräftigen „Sim! (Ja)" bestätigt, dem 
einzigen portugiesischen Wort, das er kennt und diesmal wenigstens 
passend anwendet. 




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X. Kapitel 

Krankheit, Tod, Begräbnis, Hochzeit bei den Siusi- 

Indianern 

In Cururu-cuara finde ich die Bewohner in großer Aufregung. 
Ein älterer Siusi der letzten Maloka, der Schmidt und die kostbare 
Sammlung als Pilot durch alle Fährnisse der Stromschnellen hierher 
gebracht hat, ist an Lungenentzündung schwer erkrankt. An dem- 
selben Mittag findet eine Kur vor dem Hause von Mandus Neffen statt. 
Der Kranke und ein junger Mann von Cururu-cuara, der an einer 
leichten Erkältung leidet, liegen in der brennenden Sonnenhitze lang 
ausgestreckt am Boden; der hiesige Zauberarzt und ein anderer von 
einer nahen Maloka hocken mit wichtigen Gesichtern vor ihnen. 
Zunächst läßt der eine die Patienten an einer Schneckenschale 
riechen, die ein gelbes Pulver enthält. Die Kranken ziehen es stark 
durch die Nase ein, verfallen in Zuckungen und bald darauf in 
völlige Bewußtlosigkeit. Während dieser Narkose nehmen die Zauber- 
ärzte die übliche Behandlung vor mit Bepusten und Bestreichen 
des Körpers. Sie saugen den Krankheitsstoff heftig ein, blasen ihn 
wieder von sich und zerstreuen ihn mit der Hand nach allen Seiten. 
Von Zeit zu Zeit laufen sie beiseite an das Gebüsch und stöhnen, 
spucken und rülpsen jämmerlich. Dann kehren sie wieder zu ihren 
Opfern zurück und wiederholen dieselbe Kur. Sie singen eine ein- 
tönige Melodie, eine Art Kanon, bei dem der eine dem anderen 
stets um einige Takte voraus ist. Der Fremde schwingt dazu ener- 
gisch die mit Ritzmustern verzierte und oben mit einem Büschel roter 
Federn geschmückte Zauberrassel über den Kranken hin und her, der 
Hiesige seinen Zauberstein, jenen großen Bergkristal], den ich seiner- 
zeit nicht erwerben konnte. Beide Ärzte sind von dem Kaschiri, das 
Mandus Gattin gerade gibt, betrunken und lachen sich bisweilen 
verständnisinnig an, wie römische Auguren. Allmählich kommen die 
Kranken wieder zu sich und werden in ihre Hängematten gebracht. 

Koch-Orttnberg, Zwei Jahre bei den Indianern 7 




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98 Prophylaktische Bemal un<,' 

Als ich den „christlichen" Häuptling frage, was dies alles bedeute, 
antwortet er mir: „Dummes Zeug! Du weißt es ja! a , und kurz dar- 
auf finde ich ihn mit seinem Vater und seinem Bruder Gregorio rot 
bemalt hinter dem Hause, wo sie sich gegenseitig anpusten, um die 
Krankheit von sich fernzuhalten! 

Als die Krankheit auftrat, malten sich alle Leute des Dorfes mit 
heilkräftiger Farbe rote Tupfen auf den ganzen Körper. Bei den kleinen 
Kindern, die doch am leichtesten krank werden und sterben, und bei 
den Bewohnern des Hauses, in dem der Lungenkranke untergebracht 
ist, und die dadurch in nähere Berührung mit dem Krankheitsstoffe 
kommen, wird diese prophylaktische Bemalung längere Zeit beibehalten 
und jeden Tag erneuert. 

Merkwürdigerweise erholt sich der Kranke in den nächsten Tagen 
so weit, daß er seine Hängematte verlassen kann und mir in der kleinen 
Hütte, die uns wieder zur Wohnung eingeräumt ist, einen Besuch ab- 
stattet. Freilich ist er sehr schwach und bewegt sich nur mühsam am 
Stock weiter. Er sieht verfallen aus; ganze Büschel seines Haares 
sind schneeweiß geworden. Seit Beginn seiner Krankheit hat er außer 
dünner Mehlsuppe nichts zu sich genommen, da die Indianer bei jedem 
Unwohlsein strengste Diät einhalten. 

Am 18. Dezember gegen Sonnenuntergang wird abermals eine Kur 
ausgeführt, und zwar von Mandus Vater, der in der ganzen Gegend in 
dem Rufe eines geschickten Zauberarztes steht. Der Alte schüttet 
dem Patienten, der vor dem Hause auf einem Schemel sitzt, mit heftigem 
Schwung Schale auf Schale voll eines Gebräus, das er aus einem großen 
Topf schöpft, über den ganzen Körper, besonders über Kopf und Rücken, 
den Sitz der Schmerzen. Es ist ein Aufguß aus den stark aromatisch 
duftenden Blättern eines gewissen Strauches und aus Gräsern, der nach- 
mittags bei einem kleinen Feuer in der Sonne gestanden hat. Nach 
dieser Prozedur nimmt er den Kopf des Kranken in beide Hände, 
bestreicht und knetet ihn und pustet ihn mit kurzen, heftigen Stößen an. 
Dann suchen beide emsig am Boden; auch andere laufen herbei und 
helfen suchen. Schließlich findet der Zauberarzt fünf kurze, glatte, 
schwarze Stäbchen. Ich frage, was das sei. Da antwortet der Kranke 
selbst, diese Stäbchen hätten ihm im Leibe gesteckt und beinahe seinen 
Tod herbeigeführt. Der Wunderdoktor sieht mich darauf von der Seite 
an und — lächelt. Der arme Patient ist nach dieser Gewaltkur, die 
im Abendtau stattfand, natürlich wieder viel kränker und hustet und 
stöhnt die halbe Nacht. 

Am nächsten Morgen leidet er an starkem Kopfweh. Eine alte 



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Krankcnkor 



99 



Frau weicht abermals Medizinblätter eine Zeitlang in Wasser ein, 
schlagt sie in ein Tuch und bindet es ihm als Kompresse um den 
Kopf. Trotzdem macht die Krankheit rasche Fortschritte, so daß 
abends nochmals zu einer weit nachdrücklicheren Kur geschritten wird, 
die Gregorio vornimmt. Der Kranke sitzt wiederum auf einem Schemel, 
zusammengesunken und halb bewußtlos. Die große Topfschale mit 
der Medizin steht hinter ihm. Der Arzt nimmt zuerst mehrere Züge 
aus einer Zigarette und verschluckt den Rauch. Dann knetet er dem 
Patienten mit beiden Händen den Kopf und die linke Schulter, wo 
dieser ihm auf seine Frage heftige Schmerzen angibt, stößt den Tabaks- 
qualm wieder hervor und bläst ihn auf die schmerzenden Körperteile, 
die er mit aller Kraft zusammenpreßt. Zwischendurch streicht er 
die unsichtbare Materie von dem Leibe des Kranken ab, formt die 
eine Hand trichterförmig vor dem Munde und bläst den Giftstoff von 
sich, indem er ihn mit der Hand weiter weht und in die Lüfte zer- 
streut. So geht es eine Zeitlang abwechselnd fort Ich habe mich 
als „Kollege - dicht dabei gehockt und sehe genau zu. Endlich legt 
der Arzt die Zigarette beiseite, schöpft eine große Kalabasse voll des 
Absuds, nachdem er ihn aufmerksam betrachtet hat, nimmt einen Schluck 
davon in den Mund und prustet ihn auf die kranken Körperteile. Dann 
schüttet er dem Patienten wie am vorhergehenden Tag das Wasser mit 
kräftigem Schwung über Kopf und Rücken, bis die Topfschale leer ist, 

wobei er den Bädern durch heftig hervorgestoßenes „Ha — pff ! 

ha — pff !" noch größere Wirkung zu geben sucht. Darauf folgt 

wieder Zusammenpressen des Kopfes und Schulterblatts mit „Ts-ts-ts"- 
Lauten, Bepusten und Abstreichen der Materie. Von Zeit zu Zeit 
nimmt der Zauberarzt ein schwarzes Stäbchen vom Boden auf, be- 
trachtet es aufmerksam, bepustet es und legt es sorgfaltig beiseite. 
Diese Stäbchen, ein halbes Dutzend an der Zahl, aus hartem Palm- 
holz geschnitten und wohl geglättet, hatte er, wie ich deutlich sah, 
kunstgerecht in der linken Hand verborgen, die die Kalabasse hielt. 
Beim Uberschütten des Wassers oder beim Abstreichen des Krank- 
heitsstoffes praktizierte er sie noch viel kunstgerechter auf die Erde, 
ohne daß ich es bemerken konnte. Währenddessen halten sich alle 
Bewohner scheu zurück. Erst nach beendigter Prozedur kommen sie 
herbeigelaufen, beschauen die Stäbchen, die jener in der Hand hält, 
mit abergläubischen Gesichtern und machen über die Größe einiger, 
die besonders heftige Schmerzen bedeuten, kritische Bemerkungen. 
Schließlich trägt der Zauberarzt die unheilvollen Stäbchen in das 
Gebüsch, wo er sie anscheinend zerbricht und weit von sich wirft. 



100 



Ärztliches Honorar 



Mehrmals habe ich den festen Eindruck gewonnen, daß alle Bewohner, 
Männer und Weiber, vielleicht außer den Zauberärzten selbst, an den 
Giftzauber und die Kur glauben. Als Honorar für ihre Tätigkeit 
erhalten die Zauberärzte Gebrauchsgegenstände, einen Korb, eine 
Hängematte u. a. Die Behandlung eines kranken Kindes wurde ein- 
mal in Cururu-cuara mit einer Porzellanschale bezahlt. 

Die darauffolgende Nacht ist fürchterlich. Der arme Kranke 
stöhnt und röchelt laut und atmet so rasch und pfeifend, daß man 
jeden Augenblick glaubt, es müsse zu Ende sein. Die ganze Bevölkerung 
wacht. Von Zeit zu Zeit führt ihn die Alte, seine Schwiegermutter, 
ins Freie. Einmal fallt er hin, und sie schreit laut jammernd um 
Beistand nach den Männern. Gegen drei Uhr findet wieder eine Kur 
statt. Deutlich höre ich das klatschende Saugen und heftige Pusten 
des Zauberarztes. Nach jedem Kurakt läuft er aus dem Haus heraus 
abseits an das Gebüsch und hockt dort nieder, wie ich im Mondschein 
erkennen kann. Er gibt Töne von sich, als wenn er sich erbreche, 
und bepustet einen Gegenstand in seiner Hand, den er dann beiseite 
schafft. Kurz darauf vernimmt man einen melodischen, von Schluchzen 
begleiteten Trauergesang einer jüngeren Frau, der morgens um sieben 
Uhr wiederholt wird. Der Kranke liegt bewußtlos und halblaut phan- 
tasierend in seiner Hängematte. Man hat ihn aufgegeben. Noch in 
der Nacht bat Mandu Boten in die benachbarten Malokas geschickt, 
um Freunde und Verwandte zum Begräbnis einzuladen. 

Gegen zehn Uhr mache ich einen Besuch bei dem Kranken. Er 
ist aufgestanden, hält ein großes Stück Zuckerrohr in der Hand und 
will hinaus, um einen unsichtbaren Feind, den er in seinem hohen 
Delirium sieht, zu erschlagen. Mandus Neffe sucht vergeblich, ihn zu 
überwältigen. Ich rede ihm ruhig zu, er solle sich in seine Hänge- 
matte legen, da sei es besser, und er geht auch sofort mit mir. Weich 
und stetig streiche ich ihm eine Zeitlang über den ganzen Körper, 
worauf er sich wirklich beruhigt und endlich einschläft, was auf die 
Umstehenden einen großen Eindruck macht. Bald aber fangen die 
Fieberdelirien von neuem an. Mit seinen trockenen Lippen versucht 
er eine Tanzmelodie zu pfeifen, was den furchtbaren Ernst des Augen- 
blicks noch erhöht. Wiederum findet ein Klagegesang statt, diesmal 
in dem Hause des Häuptlings, zwischen einer hiesigen Frau und einem 
Huhuteni von Atiaru, einem nahen Verwandten des Sterbenden. 

Nachmittags veranstalten drei Zauberärzte, Mandus Vater, sein 
Bruder Gregorio und der Huhuteni, hinter dem Sterbehaus eine große 
Beschwörung. Sie sind im Gesicht scheußlich rot bemalt und halten 



Zaubergift 



101 



in der rechten Hand die Zauberrassel, die sie unaufhörlich über einem 
flachen Korb schwingen, der die Habseligkeiten des Sterbenden ent- 
hält. Dazu singen sie mit leiser Stimme eine monotone Weise, die 
eigentlich nur aus drei Tönen und wenigen Worten besteht, die immer 
wiederkehren. So treiben sie, dicht um den Korb am Boden hockend, 
den Geist der Krankheit aus den Sachen heraus. Bisweilen springen 
sie auf und schütteln die Rasseln heftig nach allen Seiten, um den Geist 
zu verjagen und von weiterem Unheil abzuhalten. Dies dauert etwa 
eine Stunde. Dann gehen sie zum Krankenlager, das jetzt durch Gitter 
aus schmalen Palmlatten abgesperrt ist, und versuchen eine letzte Kur. 
Doch bald kehren sie hinter das Haus zurück und führen dort die- 
selbe Szene auf wie vorher, nur weit kürzer, worauf sie sich am Flusse 
die Bemalung abwaschen. 

Die Nacht verläuft womöglich noch unruhiger als die vorige. 
Ein trübes Wetter hat eingesetzt, recht wie geschaffen zum Sterben! 
Langsam rauscht der Hegen herab. In einem der Häuser klagen 
wieder einige Weiber, und das Stöhnen und halblaute Phantasieren 
des Sterbenden bildet dazu eine schaurige Begleitung. — — — 

Mandu erzählt mir, ein Gift, das dem Kranken hier oder flußauf- 
wärts durch Zauberei beigebracht worden sei, würde seinen Tod verur- 
sachen. Gregorio habe dieses Gift herausgeblasen. Er zeigt es mir. 
Es sind, soviel ich erkennen kann, harmlose gelbe Hundehaare, in ein 
schmutziges Läppchen eingewickelt. Schmidt hatte schon Angst, es 
seien einige von seinen blonden Locken. Der Häuptling zeigt mir 
auch den Faden, den jener unbekannte Feind zum Einschnüren des 
Giftbündels benutzt habe. Wie dieses ansehnliche Stück Gift in den 
Leib des Kranken gekommen ist, weiß er mir selbst nicht zu erklären. 
Es ist hineingezaubert worden. Das Läppchen mit dem Gift hat Mandu 
in ein großes Blatt gewickelt und dieses Päckchen außen unter der 
Dachbekleidung seines Hauses verborgen. Als er es wieder an seinen 
Platz zurückstecken will, warnt ihn seine Frau und rät ihm, das Gift 
in den Fluß zu werfen, was er jedoch nicht tut. Ich blase mir wie 
ein Zanberarzt über die Hände, die das Gift angefaßt haben, um alle 
schädlichen Einflüsse zu entfernen, worauf Mandu es ebenso macht. 
Als ein Kind die Stelle betritt, wo wir die unheimliche Sache unter- 
sucht haben, schreien die Weiber entsetzt auf und reißen es weg. 

Um acht Uhr morgens stimmen Mandus Vater und Neffe eine laute 
Trauerklage unmittelbar neben der Hängematte des Sterbenden an, der 
röchelnd daliegt. Es ist dieselbe Zeremonie, wie ich sie bei dem 
Maskentanzfest in Iyäipana beobachtet habe. Zunächst deuten sie 



102 



Tod und Totenklage 



heftig zur Erde, schütteln dann die Waffen, die sie in den Händen 
halten, einen Bogen mit Pfeilen und eine lange Lanze mit breiter Eisen- 
spitze, drohend nach einer Richtung und gehen endlich, sich nieder- 
hockend und das Gesicht mit der einen Hand verhüllend, in den 
rhythmischen Klagegesang über. 

Kurz nach Mittag — ich bin gerade von der Jagd gekommen 
und plaudere mit Mandu in seinem Hause — bricht plötzlich lauter 
Lärm, Geschrei und Weinen los. Der Häuptling ruft: „Er ist tot! 1 *, 
ergreift meine Flinte, die noch geladen neben mir steht, und gibt auf 
dem Dorfplatz einen Schuß in einen Baum ab. Ich eile rasch zum 
Trauerhause. Eine wilde Szene! Einige Männer und Weiber hocken 
dicht bei dem Sterbelager und heulen die Klage. Andere stehen auf- 
recht und deuten mit aufgeregten Gebärden nach dem Toten, indem 
sie unaufhörlich schreien: „Warum bist du gestorben? Warum hast du 
uns verlassen?" Sie stoßen drohende Worte aus gegen den unsicht- 
baren Feind, der den Tod verschuldet hat, hocken dann ebenfalls nieder 
und mischen ihre jammernden Stimmen in das Klagegeschrei der übrigen. 
Allmählich kommen alle herbeigelaufen: Männer, Weiber mit Säuglingen 
und Kinder. Die Erwachsenen treten nahe heran, immer der Reihe 
nach. Jeder wartet, bis er einen anderen findet, der die Zeremonie 
mitmacht. Heftige Worte und Gebärden, Niederhocken und Klage- 
gesang, wie vorher. Stets zu zweien, Mann und Mann, Weib und Weib. 
Die Weiber, zum Teil mit aufgelösten, wild um das Gesicht hängenden 
Haaren, hocken voreinander, die eine Hand auf der Schulter der 
Freundin, mit der anderen das Gesicht verhüllend; die Männer neben- 
einander, den einen Arm um den Hals des Freundes geschlungen. 
Fast alle weinen Ströme von Tränen, nur einige Männer, besonders 
die Zauberärzte, kneifen die Augen krampfhaft zusammen und reizen 
sich zu erkünstelten Tränen. Immer, wenn neue Leidtragende an- 
kommen, kehren dieselben Szenen wieder. Hat einer genug geklagt, 
dann putzt er die Tränen ab, schneuzt sich kräftig die Nase und 
benimmt sich so, als wenn nichts vorgefallen wäre. 

Plötzlich noch lauteres, heftigeres Geschrei bei dem Totenlager, 
klatschende Schläge: die Stammesalte stürzt hervor mit wirr um das 
Gesicht fliegenden Haaren, verfolgt von Mandus Vater, dem alten 
Zauberarzt, der wild auf sie einschlägt. Er ergreift einen Stock und 
tut, als wolle er sie totschlagen. Unter lautem Gezeter zerren sie sich 
hin und her. Wütend schreit der Alte: „Deine Verwandten haben 
ihn getötet, haben ihn vergiftet! Du bist schlecht! Warum ist er 
gestorben, der doch viel jünger war als du, der noch soviel arbeiten 



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Der Leichnam wird gefesselt 103 

konnte und für uns sorgte? Warum bist du nicht gestorben, die du 
schon so alt und zu nichts mehr nutz bist? Nun ist er gestorben, 
nun sollst du auch sterben!" Die anderen machen ängstliche Gesichter, 
bleiben aber teilnahmlos. Da stürzt Mandus Neffe, der Sohn der Alten, 
mit einem noch größeren Knüppel auf seinen Großvater los, droht, ihn 
niederzuschlagen, und schreit: „Laß die Alte, sie ist nicht schuld daran! 
Sie arbeitet noch soviel für uns. Wenn du sie tötest, haben wir nichts 
mehr zu essen!" Erbittert ringen sie. Mit Mühe hält Mandu, der 
gerade in das Haus tritt, die Wütenden auseinander. Ich glaube schon, 
es sei etwas nicht in Ordnung, aber es ist leere Zeremonie. Sie 
lassen voneinander ab. Die Alte zieht sich in eine Eoke in ihre 
Hängematte zurück, klagt und schimpft noch eine Zeitlang vor sich 
hin und beruhigt sich dann. Der Zauberarzt setzt sich zu mir, nimmt 
mir die Zigarette aus dem Munde und raucht sie weiter. Sein Enkel 
tritt wieder zu der Leiche, schreit, hockt nieder und weint wie vorher. 

Nun spielt sich hinter dem Lattenverschlag, der zur Absperrung 
des Totenlagers dient, eine unheimliche Szene ab. Mandu ist mit einem 
scharfen Messer zu der Leiche getreten, zerschneidet ein altes Hemd 
in Streifen und fesselt damit dem Toten unter lautem Stöhnen der 
Anstrengung Hände und Füße. Weiber und Kinder ziehen sich scheu 
zurück. Tiefe Stille herrscht im ganzen Haus, nur hinter dem Gitter 
hervor dringt erregtes Geflüster. Gregorio, der neben mir sitzt und 
als Zauberarzt mehr sieht als gewöhnliche Sterbliche, deutet plötzlich 
nach dem Giebel des Hauses, wie wenn dort etwas in der Luft fliege, 
macht eine Bewegung mit der Hand, als wolle er es verjagen, und 
bläst dahinter her. Der Totengeist ist entwichen. 

Die Einzelklagen dauern den ganzen Nachmittag fort. Ich gehe 
zum Hafen, wo Mandu mit zwei anderen einen Sarg zimmert. Die Länge 
des Leichnams hat er mit einem Pfeil gemessen. Er teilt das Kanu, 
das dem Verstorbenen bei Lebzeiten gehört hat, in dieser Länge und 
paßt die beiden Stücke gut aufeinander, indem er die Ränder mit dem 
Waldmesser zurechthaut. In den oberen Teil dieses primitiven Sarges 
wird ein Loch gebohrt, um dem Totengeiste die zeitweilige Verbindung 
mit den Gebeinen zu ermöglichen. Man ist wieder ganz vergnügt. 

Nach beendigter Arbeit gehen wir zum Trauerhaus zurück. Die 
Szene ist verändert. Der Tote liegt mit Hemd und Hose bekleidet — 
im Leben ging er nackt — , das Gesicht verhüllt, lang ausgestreckt, 
inmitten des Hauses auf dem Lattengitter. Die Arme sind ihm an 
den Leib geschnürt, die Füße über den Knöcheln gefesselt; auch die 
Hände, die auf dem Bauche liegen, sind fest zusammengebunden. 



104 



Begräbnis im Hause 



Zwischen dem rechten Mittel- und Hinterpfosten des Hauses haben 
die Männer mit Rudern ein tiefes Grab geschaufelt, an dem noch 
gearbeitet wird. Mandu enthüllt der Leiche das Gesicht, das den 
„Baniwa" -Typus mit der scharf gebogenen Nase im Tode besonders 
deutlich zeigt, und bedeckt es mit einer Art Maske aus Kürbisschale, 
in die er mit dem Messer Löcher für die Augen und einen Spalt für 
den Mund geschnitten hat. Auf seine Aufforderung hin hat seine hübsche 
Tochter nach einigem Widerstreben das starre Totenantlitz mit dunkel- 
roter Farbe überstrichen. Der ganze Leichnam wird nun mit alten 
Zeugstoffen umhüllt, die mit Schnüren aus Palmfasern fest zugeschnürt 
werden. Einige Männer betten dieses Mumienbündel in den Kanu- 
sarg, legen den Deckel darüber und binden beide Teile mit Stricken 
zusammen. Dann kauern Mandus Neffe und seine Frau, die die nächsten 
Leidtragenden zu sein scheinen, da die Frau des Toten schon vor Jahren 
gestorben ist, neben dem Sarge nieder und singen wieder bitterlich 
weinend die schluchzende Klage. Auch die Alte läßt einige Jammer- 
laute aus ihrer Ecke hören. Der Sohn des Toten, ein reizender Junge 
von etwa zehn Jahren, der heute zwei dünne schwarze Striche über 
die Augen gemalt trägt, hat seinem Vater eine Axt und einige Kleinig- 
keiten in den Sarg mitgegeben. Der Hauptnachlaß, der durch die drei 
Zauberer von allem Schädlichen befreit worden ist, wie Ruder, Bogen 
und Pfeile, Blasrohr, Köcher, Federschmuck u. a., bleibt ihm als Erbe. 
Endlich werden die vordere und hintere Öffnung des Sarges mit großen 
Topfscherben und Stücken einer Herdplatte verschlossen, und, während 
Mandu hinter dem Hause wieder einen Flintenschuß löst, wird der Sarg 
von einigen Männern an Stricken in das Grab hinabgelassen. Es folgt 
eine unbeschreiblich wilde Szene. Die Weiber reißen die Kinder an 
sich und zum offenen Grab, drücken die Weinenden dort nieder und 
hocken sich selbst laut jammernd mit den schreienden Säuglingen hin. 
Von allen Seiten kommen sie herbeigelaufen, kauern um das Grab 
herum und weinen und schluchzen immer wieder in einem gewissen 
Rhythmus mit melodischem Tonfall: 

„Mein Bruder, mein Bruder, 

Du, mein armer Bruder, bist gestorben, 

Mein Bruder, mein Bruder!" 

Über das offene Grab fliegt eine weiße Motte. Gregorio geht ihr 
durch das ganze Haus nach und beobachtet aufmerksam, wie sie am 
Giebel verschwindet. Plötzlich springen alle auf und werfen mit den 
Händen die Erde in das Grab unter abermaligem schreiendem und 



Fasten der Hinterbliebenen 



105 



schluchzendem Klagegesang. Einige Männer stampfen sie mit dicken 
Stöcken möglichst fest, der Platz wird sorgfältig geebnet, und in kurzer 
Zeit erinnert fast nichts mehr daran, daß hier einer den letzten Schlaf 
schläft. Die Klage am Grabe dauert noch eine Weile fort, wird aber 
dann mit einemmal abgebrochen. Man geht zur Tagesordnung über, 
lacht und scherzt. Die Feier ist in der Hauptsache erledigt. Die 
offizielle Totenklage wird noch zehn Tage lang von Zeit zu Zeit aus- 
geübt, anfangs sehr regelmäßig, drei- bis viermal, zu bestimmten Stunden 
am Tage und in der Nacht, und zwar meistens von den nächsten Hinter- 
bliebenen am Grabe, bisweilen auch von Mandu und seinen Angehörigen 
im Häuptlingshaus. Allmählich aber verstummen die Klagen, und das 
Alltagsleben tritt wieder in seine Rechte, zumal auch ein mehrtägiges 
Freudenfest die Bewohner von Cururu-cuara auf andere Gedanken 
bringt. 

Am Abend des Begräbnistages ertönt aus dem Sterbehause die 
Stimme des Häuptlings in einem halblauten melodischen Gesang, der offen- 
bar aus vielen einzelnen Strophen besteht, denn er wird bisweilen durch 
Gespräch unterbrochen. Es ist ein Abschluß der Hauptfeier, wie mir 
Mandu erklärt : Sobald der Tod eintritt, werden alle Töpfe im Sterbe- 
haus ausgeschüttet, alle Lebensmittel vernichtet. Solange der Tote 
noch über der Erde ist, dürfen die Hinterbliebenen nur Maniokfladen 
und Pfeffer essen. Kurze Zeit nach dem Begräbnis spricht der Häupt- 
ling am Grab eine Art Segen, jenen langen Abendgesang, der ungefähr 
lautet: „Es ist alles vorbei! Er liegt in seinem Grab! Jetzt könnt 
ihr wieder alles essen!" Dann folgt eine endlose Aufzählung aller 
Früchte und Tiere, die sie jetzt wieder essen dürfen, in einzelnen Ab- 
sätzen mit steter Wiederholung der einleitenden Worte und sich gleich- 
bleibendem Refrain. Damit ist das kurze Fasten beendet. 

In der Nacht läßt eine Eule wiederholt aus dem nahen Uferwald 
ihren schaurigen Ruf ertönen. Der große Zauberarzt Gregorio tritt 
mit einer Fackel aus dem Hause und leuchtet nach dem Hafen hinunter. 
Der Geist des Toten spukt. Auch in der nächsten Nacht kommt 
Mandu heraus und schaut nach dem Flusse, geht dann um das Haus 
herum und beobachtet eine Zeitlang aufmerksam den Wald, indem er, 
um besser sehen zu können, die Fackel hinter sich hält. 

Der Totengeist bleibt ein bis zwei Tage in der Nähe des Grabes 
und geht dann, unsichtbar für die Menschen, in eine andere Welt. 
Diese andere Welt, das Jenseits der Siusi, liegt am oberen Issana, 
im Walde auf einem hohen Gebirge, oberhalb des Nebenflusses Pamary. 
Dort ist die alte Heimat der Siusi, aber heute ist sie für die Menschen 



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1015 



Jenseits 



unsichtbar geworden. Dort wohnten die Siusi vor uralten Zeiten. Dort 
wohnen die Geister der Vorfahren noch heute. Es gibt dort zwei Häuser, 
Hämapana (Tapirhaus) und Kuliripana (Sorubimhaus) , die 
ebenso gebaut und eingerichtet sind wie am Aiary, aber viel größer 
und schöner. Dort gibt es viele Leute , große Pflanzungen, viel Wild 
und Fische und viel Essen. Wenn ein neuer Geist ankommt, wird er 
von den Vorfahren freundlich aufgenommen, schön bemalt, und es 
findet ihm zu Ehren ein großes Tanzfest mit Kaschiri statt. Dieses 
herrliche Land ist nur das Jenseits der Siusi und ihrer Verwandten, 
der Ipeka, Kuati, Tatu und Tariana, d. h. aller reinen Aruak- 
stämme des Issana und Caiary-Uaupes. Die übrigen Nationen des 
Caiary, Uanana, Tukan o, Des an a u. a., so erklärt Mandu, hätten 
ein anderes Jenseits, von dem er nichts wisse. Als den Siusi nicht 
stammverwandt mit einem anderen Jenseits bezeichnet er ausdrücklich 
auch die Katapolitani. 

Im Traum macht die Seele des Menschen einen Besuch in der 
anderen Welt. 

Der Sohn erbt, wie wir gesehen haben, die ganze Hinterlassen- 
schaft des Vaters. Ist kein Sohn da, so fällt der Nachlaß an den Bruder 
des Verstorbenen and die Verwandten. 

Erst nach einem Jahr darf der Witwer oder die Witwe eine neue 
Ehe eingehen. 

Am Tage nach dem Begräbnis ist die ganze Bevölkerung von 
Cururu-cuara wieder mit heilkräftiger, roter Farbe in vereinzelten 
kunstlosen Strichen bemalt, besonders an den Füßen. Nur die Zauber- 
ärzte, die offenbar vermöge ihrer übernatürlichen Kraft den Angriffen 
der bösen Geister nicht so ausgesetzt sind, tragen diese prophylaktische 
Bemalung nicht. 

Das Drama ist mit allen diesen Zeremonien noch nicht zu Ende. 
Vor kurzem sind zwei junge Männer in einer Maloka flußabwärts 
gestorben. Es wird daher beschlossen, dem geheimnisvollen Feind, 
der diese Todesfälle verschuldet hat, energisch zu Leibe zu gehen. 
Boten werden bestimmt, die einige Kleidungsstücke der Verstorbenen 
und das „Gift 4 *, das Gregorio aus dem Leibe des Kranken hervor- 
gezaubert hat, zu einem Stamme weit im Nordosten bringen sollen, 
der sich durch viele und mächtige Zauberärzte auszeichnet. Sie müßten 
zu diesem Zwecke, sagt Mandu, bis in das Quellgebiet des Cuiary 
fahren, von wo aus sie auf weitem Landmarsch einen großen Fluß in 
„Espanya" (Venezuela oder Colombia) erreichten, an dem die Pid- 
zari große, runde Häuser bewohnten. Dort wird die Hinterlassen- 



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Vorbereitung zum Zauberarzt 



107 



schaft der Toten im Kreise der Zauberärzte niedergelegt. Diese unter- 
suchen sie noch einmal genau, machen ihre Beschwörung darüber und 
verbrennen das „Gift" feierlich. Mit dem Augenblicke, da es in Asche 
zerfällt, stirbt der ferne Feind, der den Tod herbeigeführt hat. — Die 
Pidzari sind zweifellos die Guahibo am Rio Vichada oder Vichara, 
einem linken Nebenflüsse des mittleren Orinoco, deren Zauberärzte 
einen weiten Ruf genießen. 

Das Amt des Zauberarztes vererbt sich bei den Siusi vom Vater 
auf den Sohn. Eine besondere Probe ist nicht nötig, nur eine 
gewisse Vorbereitung durch den Vater. Durch seine Beschwörungen 
zaubert der Alte ein glattes, schwarzes Stäbchen, wie sie der Zauber- 
arzt bei der Krankenkur aus dem Leibe des Patienten holt, vom Himmel 
herunter und „verschluckt es". Unter heftigem Stöhnen und Rülpsen 
gibt er es wieder von sich und zaubert es durch Blasen dem Novizen 
in alle Teile seines Körpers: Kopf, Brust, Rücken, Bauch, Ober- und 
Unterarme, Hände, Beine, Füße, indem er ihn dadurch befähigt, die 
Krankheiten aller dieser Körperteile bei seinen Patienten zu heilen, 
d. h. diese schwarzen Stäbchen, die das Krankheitsgift vorstellen, 
wieder aus dem Leibe des Kranken hervorzuzaubern. 

So spielt der Zauberarzt im Leben dieser Indianer eine große Rolle. 
Er ist der Vermittler der Menschen mit den Geistern, sowohl den 
Geistern der Verstorbenen als auch den bösen Dämonen, die nach ihrem 
Glauben die ganze Natur bevölkern. Er hat vermöge seiner über- 
natürlichen Kräfte über die finsteren Mächte eine gewisse Gewalt, 
die er zum Nutzen, aber auch zum Schaden der gewöhnlichen Sterb- 
lichen verwenden kann, und dies verleiht ihm die Macht über seine 
Mitmenschen. 

Die Trauerfeier geht fast unmittelbar in ein Freudenfest über, das 
eine Menge Gäste in Cururu-cuara vereinigt. Das Kaschiri ist wäh- 
rend der ganzen Zeit nicht ausgegangen; Mandus Gattin und seine 
beiden schönen Töchter sorgen stets für neuen Stoff. Weiber und Kinder 
tragen schon rote Gesichtsbemalung als Vorzeichen des Festes, die Männer 
bringen ihren Schmuck und ihre Tanzgeräte in Ordnung. 

Am 16. Dezember, fünf Tage nach dem Begräbnis, bei Sonnen- 
aufgang wird das Fest durch den Häuptling mit einer endlosen, ein- 
tönig hergeplapperten Rede eröffnet. Er gibt das Tagesprogramm: 
„Heute wird nichts gearbeitet! Der heutige Tag gehört dem Fest!" 
und bestimmt in allen Einzelheiten die Fest-, Tanz- und Kaschiri- 
Ordnung mit den üblichen langen Wünschen, daß das Fest gut verlaufe. 
Das genügt aber diesen zeremoniellen Leuten noch nicht. Drei 



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108 



Kaschirifest 



Stunden später finden im Häuptlingshause abermals lange Gespräche 
statt zwischen Mandu und Gregorio und darauf zwischen letzterem 
und dem jüngsten Bruder Chico. Beide Sprecher stehen rechts und 
links an einem Hauptmittelpfosten und schauen sich wieder grundsätz- 
lich nicht an. Zwischen ihnen, inmitten des Hauses, sind zwei schön 
bemalte Tonschalen mit Kaschiri aufgestellt, die offenbar besprochen 
werden. 

Für die Kaua des Uirauasu-Parana, die man auch zum Fest 
erwartet, werden als Bezahlung für irgendeine Leistung zwei große 
Lasten Kaschiristoff gepackt, die sie nach dem Fest in ihre Heimat 
mitnehmen sollen. Das säuerlich duftende Zeug, ein zäher braungelber 
Brei, sieht unbeschreiblich ekelhaft aus. Das Behältnis, das zur Auf- 
nahme des Stoffes dient, besteht aus langen, mit Lianen verbundenen 
Palmlatten und ist mit Bananenblättern ausgelegt. Bananenblätter 
werden über die Masse gedeckt, die überstehenden Palmlatten an beiden 
Enden zusammengebunden und das Ganze nochmals mit Lianen ver- 
schnürt, so daß das Bündel in der Form einem Kanu nicht unähnlich 
ist. Eine entrindete dicke Stange wird der Länge nach darüber 
befestigt, um die schwere Last bequemer tragen zu können. Dann 
hocken sich der schon etwas angetrunkene Chico und sein Vater davor 
und sprechen eine Art Segen darüber, auf daß dem edlen Stoff nichts 
Böses anhafte. 

Gegen Mittag kommen weitere Gäste, Huhuteni von Atiaru und 
anderen Malokas, und bald nach ihnen Kaua und Siusi vom oberen 
Fluß, Verwandte des Verstorbenen, darunter sein Bruder mit Frau 
und Kind und der alte Häuptling mit seiner Frau, die mich seiner- 
zeit nach Yutica begleitet haben. Nach einer sehr langen Begrüßungs- 
zeremonie im Häuptlingshause eilen sie, geführt von dem heftig schreien- 
den und gestikulierenden Chico und seinem Neffen, zum Grab, wo 
sich wieder eine wilde Trauerszene abspielt. Jeder der Leidtragenden 
ist bewaffnet. Der eine schwingt ein langes Waldmesser, der andere 
einen dreizackigen Fischspeer aus Palmholz, der dritte einen Bogen 
und ein Bündel langer Giftpfeile in der Rechten. Die Trauer um den 
Toten, die ich schon beendigt glaubte, hebt wieder mit erneuter Kraft 
an. Wenn man nicht wüßte, daß alles Zeremonie wäre, es könnte einem 
angst und bange dabei werden. 

Auch Mandu klagt diesmal mit, aus Rücksicht auf die Fremden. 
Die Neuangekommenen bleiben noch eine Zeitlang im verschlossenen 
Hause, und die Klage will kein Ende nehmen. Endlich kommen auch 
sie zum Festhaus und nehmen an der allgemeinen Kneiperei teil. Auch 



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Täuze 



109 



der Bruder des Toten, der wahre Ströme von Tränen vergossen hat, 
ist wieder ganz lustig und spült seinen Schmerz mit Kaschiri hin- 
unter. Schmidt und ich tun nach Kräften mit. Wir sitzen mit 
anderen wackeren Zechern auf einer langen niedrigen Bank neben- 
einander wie die Papageien auf der Stange ; neben mir Mandus Vater, 
der alte lustige Kerl, mein Spezialfreund. Er hat Beinen Arm zärt- 
lich um meinen Hals geschlungen und versichert mir immer wieder, wie 
„matsiate" („ausgezeichnet 41 ) ich sei. In seinem mit ein paar por- 
tugiesischen Brocken gemischten Kauderwelsch nennt er mich „Dotoro 
nukamarara" („mein lieber Freund Doktor"). Alle Augenblicke 
nimmt er mir die Zigarette weg, tut einige Züge und steckt sie mir 
wieder in den Mund. Bisweilen aber gibt er sie an den Nachbar weiter. 
Dann geht sie von Mund zu Mund, um zerkaut und kaschiriduftend 
in meinen Mund zurückzukehren. Je mehr er trinkt, desto zärtlicher 
wird mein Freund. Er reibt sein stacheliges Kinn an meinem Gesicht 
und zupft mich an meinem langen Schnurrbart, der es ihm besonders 
angetan hat. Ich blase ihm dafür scheinbar meinen Bart an, wie es 
der Zauberarzt macht, wenn er einem anderen etwas Böses anbläst, 
was ihn anfangs doch etwas stutzig macht. Von Zeit zu Zeit muntert er 
mich auf: „Uascha dotoro!" („Wohlan, Doktor!"), und dann machen 
wir unseren überströmenden Herzen Luft und stoßen das bei Kaschiri - 
festen übliche Freudengeschrei aus, ein zweimaliges „E ... he ... he!" 
mit lautem Juchzer und gellendem Pfiff durch die Zähne. Es ist wieder 
einmal sehr gemütlich in Cururu-cuara ! 

Gegen Abend beginnen die Tänze, die im wesentlichen dieselben 
sind wie in Atiaru. Die Tanzstäbe hat man diesmal besonders fest- 
lich zugerichtet. Der Handgriff wird hoch überragt von drei Stäbchen, 
die mit weißen Reiherfedern geschmückt sind und durch zwei quer 
gebundene Stäbchen oben fächerförmig auseinandergehalten werden. 
Mandu, als „Herr des Tanzes u , trägt auf dem Haupt eine schöne 
Federkrone aus weißen Reiherfedern, von der ein langer Schweif aus 
Schwänzen des Pfefferfressers über den Rücken fällt. Leider hat er 
eine arg zerrissene und schmutzige Hose an. Mit seinem rotbemalten 
Gesicht, aus dem die scharf gebogene Nase kräftig vorspringt, sieht er 
wie ein Sioux-Häuptling in den Indianergeschichten aus. 

Nach Sonnenuntergang finden die Rundtänze abwechselnd im Hause 
um die großen Kaschiritöpfe herum oder draußen auf dem freien 
Dorfplatze statt. Dazwischen tanzen junge Burschen, auf ihren Pan- 
pfeifen und langen Yapurutu blasend, ihr Mädchen im Arm im flotten 
Marschtempo hin und her. Der untere Teil der Yapurutuflöten ist mit 



110 



Neue Gäste 



Flocken von weißem Flaum beklebt. Fackeln aus harzigen Holz- 
scheiten erhellen nur notdürftig die tiefe Dunkelheit. Noch immer 
kommen neue Gäste, und immer wieder erschallt die Totenklage in dem 
fröhlichen Lärm. 

Am nächsten Tage ist natürlich die ganze Festgesellschaft, be- 
sonders der männliche Teil, mehr oder weniger betrunken. Man hat 
die ganze Nacht hindurch gefeiert und setzt nun diesen Lebenswandel 
fort. Nachmittags kommt noch ein halbes Dutzend Kanus voll Leute, 
meist Kaua vom Uirauasu-Parana. Sie bringen neuen Stoff mit in 
sechs großen Töpfen, die mit Bananenblättern wohlverdeckt und mit 
Lianen verschnürt sind. Ein Gefäß ist so riesig und schwer, daß es 
sechs kräftige junge Männer nur mit Mühe die Böschung binauf- 
schleppen. Mit lautem Jubel werden sie begrüßt. Der betrunkene 
Mandu, der sich kaum auf den Beinen halten kann, empfängt seine 
Gäste am Hafen und hält trotz seiner Schwachheit die lange Be- 
grüßungszeremonie getreulich ab. Wieder findet als Einleitung eine 
heftige Totenklage am Grabe statt, die besonders von den Hiesigen 
in ihrem betrunkenen Elend mit Genuß ausgeführt wird. Dann geht 
man zum gemütlicheren Teil über. Das Festhaus ist gedrängt voll 
Menschen. Auf drei Seiten wird von den Weibern eifrig Kaschiri 
bereitet, von Mandus Frau und Töchtern, von den Huhuteni und von 
den Kaua des Uirauasu-Parana. Die Kredenzschalen haben enorme 
Dimensionen. Ein bis zwei Liter des dickflüssigen Gebräus werden in 
mächtigen Zügen, ohne abzusetzen, hinuntergewürgt. 

Die neuen Gäste lassen sich vor dem Hause durch die Frauen 
und Mädchen hübsche Muster auf den Leib malen, um auch im Äußeren 
würdig zu bestehen, andere überschmieren den ganzen Körper mit 
Ausnahme des Gesichts kunstlos mit Genipaposaft. Zunächst wird 
die Haut mit roter Farbe eingerieben und dann erst der schmutzig- 
graue Saft der Genipapofrucht aufgetragen, der durch die Einwirkung 
der Luft bald schwarzblau wird und trotz vielen Badens zwei Wochen 
und länger haftet. In das Gesicht malt sich jeder Tänzer selbst mit 
Hilfe eines kleinen Spiegels feine rote Muster. 

Die Tänze dauern fort. Ich tanze mit den Leuten von Cururu- 
cuara einen unendlich langen Uaneui und singe dazu, so gut ich es 
kann. Auch Schmidt nimmt teil, am ganzen Oberkörper und im Ge- 
sicht mit Mustern bemalt. Die Kaua gehen einen Makapeti zum 
besten, die Runde mit den Handrasseln und den Fußklappern. Der 
alte, dicke Häuptling, der, wie die meisten seiner Stammesgenossen, 
von der Hautkrankheit fast schwarz ist, gilt als der Herr dieses Tanzes, 



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Allgemeine Betronkenheit 



111 



aber nur der Oberhäuptling Mandu kann mit Genehmigung aller 
Männer die Musikinstrumente veräußern. Leider hat einer der jüngeren 
Leute, der erst vor kurzem von der Kautschukarbeit am Rio Negro 
zurückgekommen ist, eine kleine Korbflasche mit Rum mitgebracht, 
mit dem er nun jeden beglückt, so daß die allgemeine Betrunkenheit 
bald einen bedenklichen Grad erreicht. Viele liegen kreuz und quer 
in den zahlreichen Hängematten, die alle Nebenräume des großen 
Hauses erfüllen; denn jeder Gast bringt den notwendigsten Hausrat, 
Töpfe, Körbe und einige Lebensmittel und auch seine Hängematte 
mit, um gleich die verschiedenen Räusche ausschlafen zu können. Fast 
alle trinken bis zur Bewußtlosigkeit, bis sie umfallen und irgendwo 
liegen bleiben, auch im Kaschirischmutz auf der Erde. Die sonst so 
bescheidenen und liebenswürdigen Menschen sind gar nicht mehr 
wiederzuerkennen. Zudringlich wie Zigeuner betteln sie mich um dies 
und das und besonders um Tabak an, und wenn ich mich einmal in 
die kleine Hütte zurückziehe, die man uns zur Wohnung angewiesen 
hat, um mich etwas von dem Hexensabbat auszuruhen, dann kommen 
sie sofort in Scharen nach und belästigen mich in der unverschämtesten 
Weise. Mandu zwar hält, wenn auch mit Mühe, seine Würde noch 
aufrecht, aber er hat leider, auch im nüchternen Zustande, die frei- 
gebige Gewohnheit, sooft ich ihm meinen Tabak zu einer Zigarette 
anbiete, für alle Umstehenden Zigaretten zu drehen. Vergeblich sage 
ich: „Karupaka-dzäma!" „Es ist kein Tabak mehr da!" Sie lassen 
sich nicht abschrecken und erreichen immer wieder ihren Zweck. 
Schließlich rauchen Schmidt und ich unsere Zigaretten unten am 
Hafen fern von dem Getriebe im Schutze der Nacht. 

Geraucht wird überhaupt viel in Cururu-cuara, auch von Weibern 
und Kindern. Der fünfjährige Sohn Gregorios nimmt seinem Vater 
oft die Zigarette aus der Hand, tut einige Züge und gibt sie ihm 
wieder zurück, ohne daß der Alte über diese frühreife Selbständigkeit 
seines hoffnungsvollen Sprößlings irgendwelches Erstaunen zeigt. 

Am dritten Festtage kommen einige unerfreuliche Zwischenfälle 
vor. Als ich morgens das Festhaus betrete, dringt ein junger Mann 
auf mich ein und schreit laut, ich solle weggehen, sie brauchten hier 
keinen Weißen. Er will tätlich werden, aber ich knicke ihm die 
Hände zusammen, so daß er vor mir einen unfreiwilligen Kniefall tut 
und nur noch aus sicherer Entfernung weiterschimpft. Später sucht 
er mit Schmidt anzubinden, aber mit dem gleichen Mißerfolg. Die 
anderen lachen. Es ist derselbe unangenehme Mensch, der beim Tanz- 
fest in Ätiaru Schreikrämpfe bekam und geistig nicht ganz normal zu 



Eheliche Prügelei 



sein scheint. Wegen seines „bösen Suffs u ist er am ganzen Aiary 
berüchtigt und selbst bei seinen Stammesgenossen sehr unbeliebt. 

Nachmittags hat er eine wüste Prügelei mit seiner besseren Hälfte, 
die sich mit einem dicken Knüppel tapfer wehrt. Die Schläge fallen 
hageldicht auf Kopf und Leib. Die Streitenden reißen sich an den 
Haaren hin und her. Der wütenden Frau läuft das Blut stromweise 
über das Gesicht. Sie erwischt ein großes Waldmesser und hatte 
ihren Gatten sicher totgeschlagen, wenn ihr nicht ein junger Mann, 
der dafür von ihr ebenfalls tüchtige Prügel bezieht, die Mordwaffe 
entwunden hätte. Die anderen schauen aufmerksam zu; nur wenige 
nehmen für den einen oder den anderen Teil Partei. Die armen 
Kinderchen schreien. Endlich hat sie ihn unter, prügelt ihn mit ihren 
kräftigen Fäusten weidlich durch und verläßt als Siegerin das Schlacht- 
feld. Jedesmal, wenn die Frau mit einem Teil ihrer Habe an ihrem 
Manne vorbeikommt, der jämmerlich zusammengeduckt auf einer Bank 
sitzt, gibt sie ihm einige Püffe in den Rücken. Einen großen Koch- 
topf zerschlägt sie zur allgemeinen Freude auf seinem Kopfe, aber der 
Elende macht gar keinen Versuch, sich zu wehren. Ohne von ihren 
Wirten Abschied zu nehmen, fährt sie mit ihrer alten Mutter und 
ihren Kindern flußabwärts in die Heimat zurück. 

Der Häuptling hatte sich während dieser ehelichen Szene kluger- 
weise in die entfernteste Ecke zurückgezogen. Obwohl ich an Raufereien 
bei „Kirmessen" gewöhnt bin, so hielt ich es doch für meine Pflicht, 
Mandu zum Einschreiten aufzufordern, aber er sagte: „Was geht das 
mich an? Das ist in der ganzen Welt so, wenn die Leute betrunken 
sind; das ist schon vor alter Zeit so gewesen ! w Und er hatte 
recht! — 

Daß Prügeleien bei Kaschirigelagen nicht ganz zu den Selten- 
heiten gehören, erfahre ich von Mandus Vater. Er zeigt mir seinen 
gebrochenen und schlecht geheilten Unterarm. Den habe ihm einer 
im Streit mit dem Tanzstab zerschlagen. 

Die allgemeine Gemütlichkeit leidet durchaus nicht unter diesen 
Zwischenfällen. Es wird flott weitergetanzt und weitergetrunken. Alle 
diese Tänze zerfallen, wie ich schon in Ätiaru bemerkt habe, in drei 
Touren: I. Tanz der Männer. II. Eintreten der Weiber. III. Über- 
reichen des Kaschiri. In den meisten Fällen beendigen die Männer 
allein den Tanz. Sie stellen sich zum Schluß mit dem Gesicht gegen 
das Publikum in einer Reihe auf und stoßen die Tanzstäbe unter 
Jauchzen und Pfeifen mehrmals rasch auf den Boden oder rasseln 
andauernd mit den Handrasseln. Dann bringen die jungen Burschen 



Tafel IV 




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Yalaki karupakapa!" 



113 



in großen Kalabassen den erfrischenden Trunk, wobei sie laut: 

„Tsa a a ! w oder „Ma — ma — ma — ma !" oder auch 

„Be — be — be — be !* rufen. Wenn sich zwei Personen, 

auch Mann und Frau, gegenseitig die Kalabasse mit Kaschiri über- 
reichen, singen sie dazu einen melodisch einschmeichelnden Wechsel- 
gesang mit offenbar improvisiertem Text, eine Art „Schnadahüpfeln". 

An jedem Festtage werden morgens „belegte Brötchen" gereicht. 
Auf dem Rost gebackene, teilweise schon sehr alte Fische werden 
nochmals gekocht — schon wegen der zahlreichen Maden — und dann 
zusammen mit gerösteten Pfefferfrüchten im hölzernen Mörser, der 
am Aiary teils zylindrische, teils Trogform hat, zerstoßen. Die Mörser- 
keule, ein einfacher dicker Stock aus sehr schwerem Holz, ist mit 
einer Fußklapper geschmückt, damit er, des Festes würdig, auch 
Lärm macht. Die wenig appetitliche Masse wird auf Stückchen 
Maniokfladen verteilt, die von den Jungen auf einem großen Sieb 
herumgereicht werden. Auch wir erhalten unser Teil. 

Als alle Töpfe geleert sind, stellen die Kaua auch ihre beiden großen 
Bündel mit Kaschiristoff zur Verfügung, damit beileibe nichts übrigbleibt. 

Am Abend des 19. Dezember kommen — merkwürdig spät — 
noch einige neue Gäste, Huhuteni, mein früherer Ruderer Chico, der 
mich nach Cururu-cuara gebracht hat, mit seinem Vater und anderen. 
Mandu hält mit dem Alten die offizielle Trauerklage am Grabe ab. 

Infolge der unmäßigen Trinkerei, wobei selbst die kleinsten Kinder 
nicht verschont werden, sind die Zauberärzte sehr in Anspruch ge- 
nommen. Auch der alte Huhuteni wird am Tage nach seiner An- 
kunft mehrfach konsultiert und fuhrt, obwohl stark angetrunken, die 
Kur in besonders feierlicher Weise aus. Zuerst nimmt er aus einer 
großen Zigarette einige Züge und bläst den Rauch langsam von sich, 
gen Osten und gen Westen, indem er ihn mit feierlichen Hand- 
bewegungen gleichsam verteilt. Darauf betrachtet er aufmerksam den 
Patienten, der offenbar an starkem Katzenjammer leidet, bläst ihm 
Tabaksqualm langsam und leicht über Kopf, Rücken und Brust und 
streicht zugleich linde mit der rechten Hand an diesen schmerzenden 
Körperteilen abwärts. Den Kern der Behandlung bildet die übliche 
Wasserkur. Als Krankheitsgift findet der Zauberarzt einmal ein 
Stückchen Holzkohle, das andere Mal einen Fetzen Palmfasern, da 
er sich zu diesen Kuren nicht hat vorbereiten können. 

Endlich, am 20. Dezember, nach fast fünftägiger Dauer, findet das 
Fest seinen Abschluß. Der Stoff geht aus. „ Yalaki karupakapa! " 
(„Das Kaschiri ist alle!") sagt Gregorio wehmütig zu mir, und ich 

Kocb-G rünberg, Zwei Jahro bei den Indianern 8 



114 



Anfahrt der Brautleute 

♦ 



darauf: „Matsia te!" („Das ist sehr gut!") Mandu meint, 

das Fest sei doch sehr schön gewesen, nichts sei vorgefallen — die 
eheliche Prügelei zählt er also nicht mit! — und niemand sei krank 
geworden. Mit etwas anderen Worten: „'s war halt doch ein schönes 
Fest, alles wieder voll gewest!" 

Am nächsten Morgen bei Sonnenaufgang findet nochmals eine 
laute und anhaltende Klage der Verwandten und Freunde des Ver- 
storbenen am Grabe statt und bald darauf eine lange Abschieds- 
zeremonie zwischen den Leuten von Cururu-cuara und den Gästen, 
wobei es auffallend lebhaft zugeht. Plötzlich wird diese abgebrochen, 
der Lärm verstummt, und sämtliche Kaua vom Uirauasu-Parana fahren 
rasch und ohne Jubelgeschrei, wie es bei diesen Gelegenheiten sonst 
üblich ist, ab. Niemand von den Wirten gibt ihnen das Geleit. Nur 
die älteste Tochter Mandus kommt bald nach der Abfahrt der Gäste 
zum Flusse herabgelaufen, hockt sich nieder und weint laut. Während- 
dessen hat der Häuptling in seinem Hause mit den Huhuteni eine 
ernste Unterredung zeremoniellen Charakters, worauf auch diese sich 
zur Heimfahrt rüsten. Mandu bleibt zurück und stimmt, in seiner Hänge- 
matte sitzend, einen von tränenreichem Schluchzen begleiteten, melodi- 
schen Klagegesang an. Unten am Hafen verhandeln die Huhuteni 
mit der weinenden Schönen; ein älterer Siusi vermittelt. Plötzlich 
rafft das Mädchen einigen Hausrat zusammen, den die Mutter ihr 
nachgetragen hat, springt in das Boot der Fremden und fährt mit 
ihnen rasch davon. Mandus Bruder Chico und seine Frau, die auf 
der hohen Uferböschung neben mir gestanden und der Entwicklung 
der Dinge mit großem Interesse zugeschaut haben, lachen laut, laufen 
in das Haus und melden es dem trostlosen Häuptling, der noch kurze 
Zeit weiterklagt und sich dann auch beruhigt. 

Erst jetzt erfahre ich den Zusammenhang dieser mysteriösen Ge- 
schichte : Der Trauerfeier für den Toten hat sich, von uns unbemerkt, 
ein Hochzeitsfest angeschlossen , zu dem zwei Bewerber erschienen, 
mein Nerienene, der Häuptlingssohn der Kaua, und der Huhuteni 
Chico, der eigentlich Kamida (Ente) heißt. Kamida hat den Sieg 
davongetragen und die Braut heimgeführt; Nerienene und seine Leute 
sind mit langer Nase abgezogen. Mandus Tochter schien ungern mit- 
zugehen und nur dem Willen des Vaters zu folgen, denn sie und 
Nerienene hatten sich sehr lieb. Wie oft haben wir den hübschen, 
treuherzigen Burschen mit seinem Schätzchen geneckt, und wie gern 
ließ er sich unsere Scherze gefallen. Noch während des Taozfestes 
schäkerten die beiden Liebesleute beständig miteinander und saßen 



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Hochzeit und Aussteuer 



115 



oft — honni soit qui mal y pense! — nebeneinander auf einer Hänge- 
matte. Der Machtspruch Mandus hat diesem Idyll ein rauhes Ende 
bereitet. Welche Gründe den Häuptling bewogen, dem Herzenswunsche 
seiner Tochter entgegenzutreten, habe ich nie erfahren können. Auch 
im Urwald gibt es hartherzige Väter! 

Uber die Gebräuche, denen das Weib am Aiary von dem Eintritt 
in die Jungfräulichkeit bis zur Mutterschaft unterworfen ist, erzählt 
mir Mandu manche Einzelheiten. 

Bei der ersten Menstruation wird dem Mädchen von der Mutter 
das Haupthaar kurz geschnitten und der Rücken mit Genipapo- 
farbe überstrichen. Die Jungfrau sitzt während der Prozedur in- 
mitten des Hauses, im Kreise der „Freundschaft 14 . Jeder von den 
Freunden nimmt sich einige Büschel Haare, die er sorgfältig verwahrt 
und später am Kopfputz und anderem Tanzschmuck anbringt. Darauf 
findet ein großes Kaschirifest statt. 

Bis zur zweiten Menstruation darf das Mädchen nur Maniokfladen, 
Pfeffer nnd kleine Fische essen. Alle größeren Fische und warm- 
blütigen Tiere sind ihr verboten. Beim Eintritt der zweiten Menstrua- 
tion singt der Vater früh vor Sonnenaufgang einen ähnlichen langen 
Gesang mit Aufzählung aller Tiernamen, wie es bei der Totenfeier 
gebräuchlich ist. Dann wird der Jungfrau ein großer Topf voll Fische 
und Fleisch von allen möglichen Jagdtieren vorgesetzt, und das Fasten 
ist beendet. Zur Feier des Tages wird sie mit heilkräftiger, roter 
Farbe schön bemalt Kaschiri mit Tanz darf natürlich auch bei dieser 
Gelegenheit nicht fehlen. 

Die Hochzeit ist, wie wir gesehen haben, mit einem mehrtägigen 
Tanzfest verbunden, das im Hause des Brautvaters veranstaltet wird. 
Am Schluß der Feier hält dieser dem Schwiegersohn eine längere 
Rede und übergibt ihm die Tochter als Gattin, womit die Ehe als 
geschlossen gilt. Der junge Mann steuert zum Hochzeitsfest geräucherte 
Fische und Wildbret bei, die junge Frau bringt ihren Schwiegereltern 
Kaschiristott* mit. Sie zieht in das Haus ihres Mannes, das in der 
Regel auch die Wohnung ihrer Schwiegereltern ist. Die Aussteuer 
der Tochter Mandus bestand in einigen Töpfen, Körben, wenigen 
Kattunröcken und der Hängematte. Die zeremonielle Unterredung 
des Häuptlings mit den Huhuteni war die Ubergabe der Braut an 
den Bräutigam, der darauffolgende Klagegesang der offizielle Abschied 
von der Tochter. In der fluchtartigen Abfahrt der jungen Eheleute 
können wir ein Überbleibsel des alten Frauenraubs erkennen. 

Während der Schwangerschaft darf die Frau alles essen. 



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116 



Geburt und Wochenstubd 



Wenn die Stunde der Geburt herannaht, verlassen alle Männer 
das Haus. Die Gebärende liegt in der Hängematte in ihrer Wohnungs- 
abteilung, die durch Gitter aus Palmlatten wohl verschlossen ist. 
Sämtliche Weiber sind bei ihr und helfen bei der Geburt. Die Nabel- 
schnur und die Nachgeburt werden sofort an Ort und Stelle vergraben. 

„Wenn nun Zwillinge geboren werden?" — „Das kommt nicht vor!" 
antwortet Mandu ; das heißt in seinem Reich habe er es niemals erlebt. 
Er kenne aber einen Häuptling am Issana, der zwei Söhne auf einmal 
bekommen habe, und das sei „sehr gut!". 

Nach der Geburt bleibt die junge Mutter mit dem Säugling fünf 
Tage lang in ihrer Wohnungsabteilung, von der Außenwelt streng 
abgeschlossen. Der Mann hält mit ihr getreulich die fünftägige 
Wochenstube ab. Beide Ehegatten dürfen während dieser Zeit nichts 
arbeiten, sich nicht waschen und nur Maniokfladen und Pfeffer essen. 
Jeder Verstoß gegen diese Vorschriften würde dem Neugeborenen 
schaden. Nach Ablauf der fünf Tage singt der Vater des Mannes 
den bekannten langen, eintönigen Gesang: „Jetzt könnt ihr wieder 
baden, jetzt könnt ihr wieder essen!« mit der Aufzählung aller Fische 
und Jagdtiere, deren Genuß ihnen nun wieder erlaubt ist. Ein ge- 
meinsames Bad der Eltern und des Kindes beschließt die Zeit der 
Enthaltsamkeit. 

Gestillt wird bis in das zweite Jahr hinein und länger. In Cururu- 
cuara sah ich einen kräftigen Jungen von mindestens drei Jahren 
während des Spielens von seinen Kameraden weglaufen und Bich an 
der Mutterbrust stärken. 

Der Großvater, Vater des Vaters, gibt dem Kinde den Namen 
fünf Tage nach der Geburt. Die meisten dieser Indianernamen be- 
ziehen sich auf Tiere und sind oft in ihrer unfreiwilligen Komik viel 
ansprechender als die christlichen Namen, die diese Indianer bei ge- 
legentlichen Besuchen von weißen Händlern oder bei ihrer Arbeit in 
den Kautschuk wäldern bekommen. So heißt Mandu selbst: Unuli 
(Reiher), sein Bruder Gregorio: Uatsoli (Aasgeier), sein jüngster 
Bruder Chico: Paitschi (Frosch). Mandus Vater führt den ominösen 
Namen: Tsoida (Laus), seine Schwester heißt: Ruibukuri (Ibis), 
und sein kleiner Sohn, ein unruhiger Springinsfeld, den der Häupt- 
ling stolz Jose" Manuel ruft, der aber darauf nie hört, hat 
den bezeichnenden Namen: Maderi (Eichhorn) erhalten. Bei den, 
Kaua am oberen Aiary bin ich einem „Alligator": Katsir i, und 
einem „Mistkäfer": Ischita begegnet. Unter den Ruderern, die mich 
später nach Säo Felippe brachten, fanden sich ein „Ameisenbär" ein 



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Namen 



117 



„Gürteltier", ja sogar ein „Gürteltierbart", ein „Jaguarschnurrbart" 
und eine „ Alligator schnauze". Einzelne Namen wiederholen sich 
häufiger. Bei der Anrede bedienen sich Verwandte mit Vorliebe des 
vertraulichen: Noli oder Nuli, was eigentlich „mein Schwager" be- 
deutet. Atsiali (Mann), womit öfters kleine Jungen gerufen werden, 
ist kein Personenname, sondern eine Art Liebkosungswort, wie wir 
zu kleinen Knaben „Manne, Männchen" sagen. 

Während die Indianer ihre christlichen Namen ohne weiteres 
angeben, zeigen sie stets ein gewisses Widerstreben, wenn ich sie nach 
ihren einheimischen Namen frage. Gewöhnlich erfahre ich diese erst 
aus zweitem Munde. Selbst die einheimischen Namen der Dörfer teilt 
mir Mandu auf meine wiederholten Fragen nur heimlich und zögernd 
mit. Wahrscheinlich spielt hier, wie auch bei anderen Naturvölkern, 
die Furcht eine Rolle, der Fremde könne mit dem Namen, als einem 
Teil des Individuums, eine schädliche Zauberei treiben. 

Außer den christlichen Namen der Bewohner erinnert am Aiary 
nur wenig an das Christentum. Die Porzellanpüppchen, die ich den 
Frauen und Kindern schenke, werden allgemein „Tupana" genannt; 
ein Wort aus der Lingoa geral, mit dem die Missionare „Gott" be- 
zeichnen. Man hält sie für Figuren von Heiligen, wie man sie noch 
heute bei den Indianern des Issana aus den Zeiten der Missionen findet. 

Diese christlichen Reminiszenzen treten kurz vor unserer Abreise 
noch deutlicher zutage. Mandu bittet mich, das Kind seines Bruders 
Chico zu taufen ! — Schon Don Germano hat mich darauf aufmerksam 
gemacht, daß ich dieser Aufforderung wahrscheinlich nicht entgehen 
würde. In diesen Gegenden, wo die Priester seit Jahrzehnten gänz- 
lich fehlen, ist es allgemein üblich, daß die weißen Händler auf Ver- 
langen die Taufe vornehmen. Die Indianer, die selbst einen Teil 
ihrer Jugend in Missionen verbrachten oder wenigstens durch ihre 
Väter von der christlichen Lehre eine vage Kunde erhielten, haben 
zwar die Bedeutung der heiligen Handlung vergessen oder nie ge- 
kannt, sehen aber in der Taufe eine Art Zauberhandlung, von der 
sie sich für das Gedeihen der Kinder viel versprechen. Gern würde 
ich der Sache aus dem Wege gehen, kann aber den wiederholten 
Bitten meines bewährten Freundes Mandu nicht widerstehen. Meine 
Weigerung würde er vielleicht falsch auffassen. Ich ziehe also meine 
noch verhältnismäßig neue Kakijacke an, die ich nur wenig getragen 
habe; die von der Caiary-Tour arg mitgenommene, von mir „ kunst- 
gerecht" mit Palmfaserschnur geflickte Hose kann ich leider nicht 
wieder neu machen, aber ich kämme mir wenigstens mein wüstes Haar 



118 



Christliche Taute 



und den struppigen Bart und gehe zum Häuptlingshaus, wo schon die 
ganze Bewohnerschaft versammelt ist. Die Weiber und Kinder sitzen 
auf den Bänken oder auf den Hängematten, die Männer, auch der 
glückliche Vater, stehen umher und wissen offenbar nicht, was sie 
aus der ganzen Sache machen sollen. Gregorio, der tapfere Zauber- 
arzt, hat sich scheu in eine Ecke zurückgezogen, als wenn er dem 
Vorgang nicht recht traue. Ich gebe Mandu zu verstehen, daß ich 
zweier Paten bedürfe. Darob langes Zögern und verlegenes Lächeln 
ringsum; kein Freiwilliger tritt vor. Schließlich bestimme ich den 
Häuptling selbst zu dem einen Paten; eine Frau, die stramme Gattin 
seines Neffen, meldet sich darauf als zweite Patin, und die Feier kann 
beginnen. Ich habe zwei Kerzen für die Paten und etwas Salz ge- 
stiftet. Auch Mandu hat seine Vorbereitungen getroffen. Eine alte 
Kiste, die innen mit bunten Zeugfetzen ausstaffiert ist, dient als Nische 
für eine kleine Figur des heiligen Antonius. Ein Caiary-Schemel in- 
mitten des Hauses ist mit einem weißen Tuch bedeckt. Darauf steht 
ein Porzellanteller mit Flußwasser und neben diesem ein Porzellan- 
näpfchen, das eigentlich das von mir gestiftete Salz enthalten sollte; 
aber man hat es wohl für zu kostbar gehalten und zum Hausverbrauch 
beiseitegestellt. Anfangs kann man sich über den Namen nicht einigen. 
Ich schlage „Barbara" vor, dann „Antonia" nach dem Namen meiner 
kleinen Schwägerin, deren Geburtstag gerade in diesen Tagen wieder- 
kehrt. Man ist endlich einverstanden. Die Paten halten die brennenden 
Kerzen. Die Patin, die den noch kleinen Täufling, der kläglich 
weint — mir selbst ist das Weinen näher als das Lachen — auf 
dem Ann trägt, kniet auf Mandus Anweisung vor dem Bänkchen 
nieder. Ich spreche über dem Wasser ein deutsches Vaterunser und 
taufe das Kind mit portugiesischen Worten auf den Namen „ Antonia". 
Vorsichtshalber habe ich dem Häuptling vorher erklärt, ich würde 
das Kind nach der Sitte meiner Heimat taufen, womit er auch zu- 
frieden war, und was er seinen Leuten sofort in ihre Sprache über- 
setzte. Darauf frage ich ihn: „Ist es fertig ? u — „Nein, Herr Doktor, 
es fehlt noch eine!* 4 , und man bringt mir ein etwa dreijähriges Mädchen, 
das sich anfangs heftig sträubt, und das ich mit Mandu und seiner 
erwachsenen Tochter als Paten auf den Namen „Seliana* taufe. So 
verstehe ich es wenigstens aus Mandus portugiesischem Kauderwelsch; 
eigentlich soll es „Severiana" heißen. Der Häuptling fragt: „Ist es 
fertig?"; ich darauf: .Es ist fertig!", und die Feier ist zu Ende. 
Ich entschuldige mich noch bei ihm, daß die Taufe so kurz gewesen 
wäre, aber das sei so in meinem Vaterlande und schließlich dieselbe 



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Koai-Flöten 



119 



Sache. Während der ganzen Feier benahmen sich die Zuschauer 
musterhaft; als ich aber in meine Hütte zurückgehe, höre ich, daß 
sie über den Vorgang und besonders über die Art, wie ich das Gebet 
gesprochen habe, harmlos wie Kinder spotten. Das ist der ganze 
Erfolg. — 

Unser Aufenthalt am Aiary neigt sich seinem Ende zu. Mandu, 
der es sich nicht nehmen lassen will, seine vornehmen Gäste persönlich 
nach SAo Felippe zurückzubringen, macht seine beiden Kanus für die 
Reise zurecht; wir packen im Schweiße unseres Angesichts. 

Zum Andenken werden Schmidt und ich gemessen. Unsere an- 
sehnliche Körpergröße, die überall Aufsehen erregt hat, wird durch 
Kohlenstriche an einem Hauspfeiler verewigt. Zum Vergleich stellen 
sich einige Indianer darunter. Der bedeutende Unterschied ruft all- 
gemeines „Pö !" des Erstaunens hervor. 

Der letzte Tag unserer Anwesenheit bringt der ethnographischen 
Sammlung einen wertvollen Zuwachs. Schon am Rio Negro hübe 
ich von einem geheimnisvollen religiösen Tanz der Indianer ge- 
hört, von dem die Weiber strengstens ausgeschlossen seien. Die 
Männer bliesen dabei auf riesigen Flöten und geißelten sich bis aufs 
Blut. Die Peitschen, schwanke, mit Baumbast umwickelte Gerten, 
habe ich schon in Tunuhy und in mehreren Malokas am Aiary an- 
getroffen. Sie hängen gewöhnlich über dem Querbalken, der die beiden 
Mittelpfosten des Hauses miteinander verbindet, und wurden mir gegen 
eine geringe Bezahlung anstandslos verkauft. Die Flöten dagegen 
habe ich bisher nie zu Gesicht bekommen. Man tut sehr geheimnis- 
voll damit, und wo auch immer ich danach frage, heißt es: „Wir 
haben keine!" oder: „Der und der hat sie mit fortgenommen!" End- 
lich, nach längerem Drängen, und nicht ohne daß ich wiederholt den 
Governador in Manaos ins Treffen führen muß, der alle diese Dinge sehen 
wolle, gesteht mir Mandu, daß er im Besitze von drei Flöten sei, die 
er mir gegen ein großes Waldmesser zu überlassen verspricht. Vor- 
her aber müsse er mit Joäo Amaro, dem Sohne seines verstorbenen 
Bruders, dem künftigen Thronfolger, reden, ob er damit einverstanden 
sei. Auch bittet er mich, möglichst vorsichtig mit den Flöten zu ver- 
fahren, besonders während der Reise, denn seine Frau, die ihn be- 
gleiten wolle, dürfe die Instrumente auf keinen Fall sehen. 

Abends gegen acht Uhr, als das Dorf in stiller Ruhe liegt, 
kommt Mandu in unsere Hütte, gibt jedem die Hand und verschwindet 
wieder, ohne ein Wort zu sagen; ein geheimnisvoller Anfang! Wir 
sitzen und harren der Dinge, die da kommen sollen. Nach kurzer 



120 



Koai-Fest 



Zeit kehrt der Häuptling zurück, betrachtet genau unsere elende 
Hütte und fordert uns mit flüsternder Stimme auf, die großen Lücken 
in den Wänden zu verwahren, damit die Weiber den „Koai tt , wie er 
die Flöten nennt, nicht sähen, was auch mit unseren Zelttüchern ge- 
schieht. Kaum ist er wieder weg, da erscheint ein halbes Dutzend 
neugieriger Jungen, auf die als zukünftige Männer und Mittänzer das 
Verbot keinen Bezug hat. Auch sie unterhalten sich in flüsterndem 
Ton. Endlich meldet uns Mandu, daß der Koai im Anzug sei. Fackel- 
bewehrt geht er mit Joäo Amaro, der im gewöhnlichen Leben Halidali 
(Gürteltier) heißt und „Herr" des Koai-Tanzes ist, zum Hafen und 
kehrt gleich darauf mit dem Koai zurück. Es sind drei riesige Flöten 
aus wohlgeglättetem Paschiuba- Palmholz von starkem Durchmesser, 
sonst nach der Art der Yapurutu gebaut. Sie triefen von Wasser 
und sind offenbar nicht weit vom Hafen im Fluß aufbewahrt ge- 
wesen, damit sie nicht trocken wurden und platzten. Der Häupt- 
ling übergibt sie mir in gewisser feierlicher Weise und schließt daran 
eine kurze Erklärung des Tanzes. Die Jungen kichern, besonders als 
Halidali beim allzu eifrigen Demonstrieren aus Versehen in eine Flöte 
bläst, und diese einen leichten dumpfen Ton von sich gibt. Auch 
Schmidt und ich können bei dem geheimnisvollen Zauber das Lachen 
kaum verbeißen. Die Flöten werden sorgfältig in eine alte Hose ver- 
packt, und Mandu kündigt uns an, daß er mit dem ersten Hahnen- 
schrei wiederkommen und sie mit Schmidt auf dem Grunde des großen 
Bootes verstauen wolle, worauf die ganze Gesellschaft wie ein Nacbt- 
spuk verschwindet und uns mit den unheimlichen Instrumenten allein 
läßt. Pünktlich gegen zwei Uhr nachts wird der Koai verladen, und 
damit ist alles zur Abfahrt bereit. 

Der Tanz mit diesen großen Flöten ist das bedeutsamste Fest 
der indianischen Bevölkerung am ganzen oberen Rio Negro und seinen 
Nebenflüssen. Auch von den sogenannten christlichen Indianern wird 
eB gefeiert. Am Aiary findet es statt, wenn die Früchte ge- 
wisser Palmen reif sind. Es beginnt nachmittags gegen drei Uhr. 
In feierlichem Zuge, die Flötenbläser an der Spitze, werden die ein- 
geernteten Palmfrüchte in die Maloka gebracht. Alle weiblichen 
Personen und die kleinen Knaben verlassen bei den ersten fernen Flöten - 
tönen das Haus und ziehen sich in ein anderes Haus zurück, dessen 
Ausgänge verschlossen werden, oder verbergen sich, wo dieses fehlt, 
im Walde. Gewöhnlich sind es zwei Flöten, die die Musik liefern. 
Sie sind je nach ihrer Länge verschieden im Ton und genau aufeinander 
gestimmt. Der Tanz besteht in einfachen Rundgängen, die nach der 



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Geißelung 



121 



Zahl der Flöten von zwei oder drei Mäunern in raschem Marschtempo 
ausgeführt werden. Die Tänzer blasen dazu auf ihren Instrumenten, 
die sie mit der rechten Hand schräg abwärts halten, eine dumpfe, ein- 
tönige, jedoch nicht unangenehm klingende Weise. Die linke Hand 
ruht auf der rechten Schulter des Nebenmannes. Unter dem rechten 
Arm eingeklemmt tragen sie die lange Peitsche. Nach jeder Runde 
stellen sie sich nebeneinander auf. Der eine Tänzer nimmt seine Flöte 
in die linke Hand und bringt seinem Partner, der sein Instrument 
in die Höhe hält und aus Leibeskräften bläst, mit der Peitsche drei 
heftige Hiebe über Bauch und Seiten bei, so daß das Blut stromweise 
aus den klaffenden Wunden fließt. Ein Gesang findet nicht statt. 
So geht es längere Zeit fort. Der Anblick der blutüberströmten Leiber 
und der reichliche Genuß von Kaschiri steigern immer mehr die Er- 
regung. Ein Tänzer löst den anderen ab, bis alle teilgenommen haben 
und diese ernste Feier den gewöhnlichen harmlosen Tänzen Platz macht, 
an denen auch die Weiber sich beteiligen. 

Die großen Flöten heißen im Siusi gewöhnlich, wie der ganze 
Tanz und der Geist, dem zu Ehren er stattfindet: Koai oder Kuai. 
Es sind, genauer bezeichnet, offene Flötenpfeifen ohne Tonlöcher. 
Das obere Ende des Flötenzylinders ist mit Bastringen und Pech ge- 
dichtet, so daß nur ein enger Kanal freibleibt, der zu einem viereckigen 
Luftloch führt. Als Lippen sind über einen Teil des Luftlochs Bast- 
stücke gebunden. Die Töne werden durch stärkeres oder schwächeres 
Blasen variiert. Die Flöten von Cururu-cuara haben eine Länge von 
90, 100 und 110 cm bei einem Durchmesser von 6— 7 cm. 

Der Koai, dem dieses blutige Fest gewidmet ist, ist der Sohn 
des Yaperikuli, des Stammesheros dieser Aruakstämme. Er ist 
vom oberen Aiary gekommen, von der Stromschnelle Bocoepana, 
wo sich noch sein Bild auf einem großen Felsen eingegraben findet. 
Die Teilnahme an der Feier ist ein Privileg der erwachsenen Männer. 
Weiber dürfen die Flöten nicht einmal sehen, sonst tötet sie der 
Koai, das heißt, sie werden mit dem Tode bestraft. 

Auf meine Frage, warum der Koai-Tanz stattfinde, antwortet 
mir Mandu: „Ich weiß es nicht! Unsere Vorfahren haben dies schon 
vor alter Zeit so getan; daher machen wir es noch heute so." Und 
doch haben wir es hier mit einer Art Kultus zu tun, wenn auch diese 
tiefere Bedeutung den heutigen Indianern abhanden gekommen zu sein 
scheint. Die Zeit, die für das Fest gewählt wird, die Kulthandlungen, 
die dabei vorgenommen werden, und endlich und insbesondere gewisse 
Einzelheiten in den darauf bezüglichen Mythen, dies alles weist deutlich 



122 



Waldgeister 



auf eine Beziehung zum Sonnenheros hin, der den Menschen die Wald- 
früchte gegeben hat und jährlich reifen läßt. So ist dieses Fest ur- 
sprünglich eine Art Dankfest, um den Geist zu befriedigen, und zu- 
gleich eine Zuuberhandlung, um ihn durch Tänze, Kasteiungen und 
Geißelung zu beeinflussen und weitere reiche Ernte zu erlangen. 
Schon der Aufnahme in den Männerbund, dessen Privileg die Aus- 
übung dieses Geheimkultes ist, gehen schmerzhafte Kasteiungen und 
Geißelungen voraus. 

Außer dem Koai, der im Grunde genommen ein guter Geist 
ist und nur vorwitzigen Weibern und kleinen Jungen gefährlich werden 
kann, haben die Siusi noch zahlreiche Dämonen, denen mehr oder 
weniger unheilvolle Eigenschaften zugeschrieben werden. Alß ich eines 
Tages Mandu nach dem Namen und der Bedeutung der Geister fragte, 
schwieg er eine Zeitlang still und schaute verlegen zu Boden. Dann 
sprach er einige befehlende Worte zu hinter mir stehenden Personen. 
Es waren seine beiden Töchter, die inzwischen hinzugetreten waren 
und nun vom gestrengen Herrn Vater weggejagt wurden. „Die 
Mädchen", sagte Mandu, „dürfen nichts von den Geistern hören." 
Der schlimmste Dämon ist der Iyäimi. Als obersten Waldgeist 
nannte mir der Häuptling den Auakaruna, dessen Name mit 
auakata (Wald) zusammenhängt. Ein anderer Waldgeist ist der 
ßiuli. Neben diesen aber macht noch eine Unzahl kleinerer Geister 
den Wald unsicher, die unter dem Namen Auakata minali 
(Waldbewohner) zusammengefaßt werden. 





XL Kapitel 

Zurück nach Säo Felippe 

Am 22. Dezember heißt es Abschied 
nehmen von Oururu-cuara und seinen uns 
liebgewordenen, gutmütigen Bewohnern. Der 
Abschied tut uns leid und ihnen auch; das 
merkt man deutlich. Wir haben schon ganz 
zur Bevölkerung gehört. Mitten in der Nacht 
fangen die Jungen unter großem Lärm meine 
Hähne und Hühner, die ich vom Caiary mit- 
gebracht habe. Bald nach Tagesanbruch 
beginnen die Abschiedszeremonien, die den 
ganzen Vormittag andauern. Mandu hockt 
in seinem Haus bei seinem Bruder Gregorio 
und übergibt ihm in langweilig monotoner 
Rede die Stellvertretung während seiner 
Abwesenheit. Jede einzelne Person, jeder 
Gegenstand wird ihm mit immer wieder- 
kehrenden Worten anvertraut. Danach 
schluchzt Gregorio einen Klagegesang, ähn- 
lich wie Mandu beim Abschied von seiner 
Tochter und mit ganz ähnlicher Melodie und 
ähnlichem Rhythmus wie bei der Totenklage. 
Weniger feierliche Zeremonien finden zwi- 
schen der Häuptlingsfamilie, die uns be- 
gleiten will, und den Zurückbleibenden statt. 
Gegen ein Uhr kommen wir endlich fort. 
Ich fahre mit zwei Ruderern in einem leich- 
ten, eleganten Jagdkanu, das ich in Iyäipana 
für eine Axt erstanden habe. Schmidt be- 
fehligt die Montana, die den größten Teil 
des Gepäckes faßt und bis unter das Sonnen- 
dach vollgestopft ist ; denn alle diese Körbe» 
Töpfe, Säcke mit Maskenanzügen und so 
viele andere wertvolle Ethnographica wiegen 
zwar nicht allzuviel, nehmen aber um so 
mehr Raum weg, so daß mein getreuer 
Kariuatinga kaum Platz findet, seine langen Beine auszustrecken. Er 
hat vorläufig nur zwei Ruderer erhalten; flußabwärts sollen noch 
einige hinzukommen. Mandu steuert. Der Häuptling hat seine ganze 



I 



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124 



Abschied von Cururu-eunra 



Familie bei sich: seine Frau mit Säugling, seine erwachsene, noch 
unverheiratete Tochter, eine jüngere Tochter, die eben anfängt er- 
wachsen zu werden, und zwei kleine Söhne. Die Familie fährt in 
zwei schwer beladenen Kanus, die kaum über Wasser gehen, aber sie 
kommen verhältnismäßig gut vorwärts, denn auch die Kinder ge- 
brauchen schon emsig ihre kleinen Ruder. Der schlaue Handels- 
mann Mandu nimmt eine ganze Anzahl riesiger Töpfe und Ton- 
schalen mit, die er den Leuten von Tunuhy verkaufen will, da der 
Aiary-Ton dem dortigen vorgezogen wird, außerdem Maniokreibe- 
bretter, zahlreiche große Körbe mit allen möglichen Lebensmitteln 
und anderen Kram. Auf dem Ganzen thront ein zylindrischer, aus 
dünnen Holzstäben verfertigter Käfig, der einem unaufhörlich häßlich 
schreienden Affen zur engen Wohnung dient. Mein früherer Ruderer, 
der Katapolitani Timotheo aus Tunuhy, bat das kleine Scheusal seiner- 
zeit in Cururu-cuara für ein Reibebrett gekauft, aber es ist ihm nach- 
her entlaufen und erst nach der Abfahrt seines neuen Herrn ins Dorf 
zurückgekehrt. Mandu will den Affen nun seinem rechtmäßigen Be- 
sitzer bringen. Leider tut das Vieh dem ehrlichen Häuptling den 
Schmerz an und entweicht auf Nimmerwiedersehen in den Wald, 
nachdem es die Stäbe seines Kerkers zerbissen hat. Das kleinere 
Kanu der Familie Mandu trägt drei schwere Körbe Maniokmehl, 
die Don Germano verkauft werden sollen. 

In Ätiaru, wo wir kurze Rast machen, erhalten wir nur einen 
Ruderer, einen Kaua, der schon mit mir am oberen Aiary war. 
Der andere muß bei seiner Mutter bleiben, die inzwischen schwer 
erkrankt ist. Bei der folgenden Maloka Dzoroalinumana schließt sich 
uns dafür ein älterer Huhuteni Pedro mit zwei Söhnen an, dessen 
Kanu ebenfalls mit Töpfen zu Handelszwecken hoch bepackt ist, und 
bald darauf ein junger Siusi namens Hilario mit seiner Frau, der in 
dem Ruf eines ausgezeichneten Jägers steht, so daß sich unsere Flotille 
nun aus sechs Booten zusammensetzt. 

Am nächsten Tag können wir den Neuvermählten unseren Besuch 
abstatten. Auf dem hohen linken Ufer über einigen Felsen, wo wir 
bei der Aufwärtsreise nur eine frische Pflanzung bemerkt haben, schaut 
jetzt eine mittelgroße Maloka weit in die Lande. Hier verlebt das 
junge Paar die Flitterwochen, freilich in Gemeinschaft mit einigen 
zwanzig Verwandten, Huhuteni und Siusi. Chico-Kamida hat mit seinen 
Augehörigen die alte Wohnung verlassen, da dort das Land nichts mohr 
tauge, und sich hier auf luftiger Höhe ein schmuckes Heim geschaffen. 

Die Ausnutzung des Bodens oder auch der Tod des Oberhauptes 



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Alsehiedsklage 



125 



oder eines anderen angesehenen Gliedes der Familie sind häufig die 
Gründe, daß Wohnplätze verlassen werden. Eine ganz andere Vege- 
tation wuchert an diesen Stätten menschlicher Arbeit empor und macht 
solche Plätze zwischen dem riesenhaften Urwaldgewirr auf viele Jahr- 
zehnte hinaus deutlich erkennbar. Diese häufigen Wüstungen erwecken 
bei manchem flüchtig reisenden Forscher den Glauben, als sei die Be- 
völkerung früher viel zahlreicher gewesen. 

Die junge Frau hat sich schon ganz mit ihrem Schicksal ab- 
gefunden und scheint mit ihrem stattlichen Mann ein Herz und eine 
Seele zu sein. Armer Nerienene, so rasch hat sie dich vergessen! 

Wir werden freundlich aufgenommen und mit vorzüglichen frisch- 
warmen Maniokfladen, Fischchen und Pfefferbrühe bewirtet. Eine An- 
zahl prächtiger Ethnographica, Ton- und Flechtwaren, hat man schon 
für mich bereitgestellt. Beim Aufbruch am nächsten Morgen hält 
Mandu seiner Schwester, die ebenfalls hier wohnt, eine offizielle Ab- 
schiedsrede, worauf beide nebeneinander am Hafen niederhocken, den 
einen Arm gegenseitig um den Hals schlingen und einen langen, jämmer- 
lichen Klagegesang hören lassen ; eine lächerliche Zeremonie, die mich 
jedoch lebhaft an manchen tränenreichen Abschied an unseren Bahn- 
höfen erinnert, und da handelt es sich häufig nur um eine Entfernung 
von wenigen Stunden! 

Gegen Mittag kommen wir zu dem Bach, den die dort wohnenden 
Huhuteni seinerzeit aus Furcht vor dem Kommandanten versperrt 
hatten. Ich fahre hinein. Die Indianer haben sich noch nicht die 
Zeit genommen, den Verhau zu entfernen. Nur mit Mühe dringen 
wir bis zum Hause vor. Ein kleines Kaschiri hat stattgefunden. Mit 
den angetrunkenen Bewohnern ist nicht viel anzufangen. Für eine 
Schachtel Streichhölzer überläßt man mir drei geräucherte Fische, 
die, um mit Mandu zu reden, „vor alter Zeit" einmal frisch gewesen 
sein mögen. Der Handel wäre nicht nötig gewesen, denn als ich zum 
Frühstücksplatz an der Mündung der Baches zurückkehre, hat Hilario 
inzwischen vortrefflich für unsere Tafel gesorgt. Der untere Aiary 
ist, ebenso wie das benachbarte Seengebiet des Issana, außerordentlich 
wild- und fischreich. 

Das Nachtlager beziehen wir auf einer der großen Sandbänke, 
die jetzt bei dem niedrigen Wasserstande überall zutage treten. Zur 
Feier des Weihnachtsabends habe ich einige Kerzenstümpfchen auf 
den Zweigen eines weit überhängenden Uferbaumes befestigt. In der 
herrlichen sternklaren Nacht scheint unser Christbaum einen doppelt 
hellen Glanz auszustrahlen. Die Gedanken schweifen zur fernen 



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126 



Regenwetter und Schlangen 



Heimat! Mandu, der mit seiner Familie stets etwas abseits 

lagert, tritt hinzu und fragt mich verwundert, was das bedeute. Ich 
sage ihm, in meinem Lande feiere man heute ein fröhliches Fest, ein 
Fest der Kinder, ein Familienfest. Da bringt mir der gute Kerl, 
der vom Christentum nur einen undeutlichen Schimmer hat, seinen 
heiligen Antonius, den er auf Reisen immer mit sich nimmt. Wir 
legen ein weißeB Tuch auf einen Klappstuhl und stellen den „Tupana u 
darauf. Daneben brennt, in einen Baumstumpf gesteckt, eine Kerze. 
So feiern wir Weihnachten! 

Am folgenden Tage gelangen wir zum Issana. Das Wetter ist 
durchschnittlich recht schlecht. Fast jede Nacht werden wir gegen 
Morgen, besonders nach Monduntergang in unserer Ruhe durch heftigen 
Regen gestört, der häutig stundenlang anhält und sich während des 
Tages mehrmals wiederholt. Und dabei ist die Trockenzeit noch nicht 
zu Ende! Kein Wunder, wenn meine Leute zeitweilig stark an Er- 
kältung leiden. Mandus Frau und Kinder sind deshalb stets mit 
heilkräftigen roten Tupfen bemalt. Pedro sucht immer wieder ver- 
geblich den Regen zu vertreiben. Bald bläst er heftig gegen die heran- 
ziehenden Wolken, indem er die rechte Hand trichterförmig wider den 
Mund hält, bald steht er aufrecht im Boot und fuchtelt mit den Armen 
und dem breiten Paddelruder in der Luft herum, um die Wolken zu 
zerstreuen. Öfters werde ich aufgefordert, mein Schleuderthermometer 
als Zauber gegen den Regen in Bewegung zu setzen. 

Infolge des feuchten Wetters kommen Schlangen zum Vorschein. 
Eines Mittags frühstücken wir unter einigen hohen Bäumen. Ich 
sehe zufällig in die Höhe und bemerke eine etwa 1 m lange, grüne 
Schlange, die gerade über unseren Köpfen an einem Ast baumelt. 
Schmidt schlägt sie mit einer Stange herunter. Es ist eine harmlose 
Lianenschlange. Eines Nachts erhebt sich lauter Lärm im Lager 
Mandus. Eine Jararaca ist, angezogen durch das Feuer, von einem 
Baum herab neben der Hängematte der beiden Kleinen zu Boden 
gefallen. Sie richtet sich schon zum Sprunge auf, als ihr der Häupt- 
ling mit einem Stockschlag noch rechtzeitig den Garaus macht. 

Wir reisen gemächlich, schon um Mandus Familienboote nicht zu 
weit hinter uns zu lassen. Auch meine Jungen haben keine Eile. 
Jeder Vogel, der vorüberfliegt, jeder Fisch, den ihre scharfen Augen 
in dein dunklen Wasser bemerken, wird eifrig besprochen. Wenn an 
felsigen Stellen bei der heftigen Strömung die Flut in Wirbeln auf- 
sprudelt, rufen sie im Scherz: „Mauali, umauali to , „Wasserschlange". 
Der liebste von meinen Genossen ist mir der kleine Taru (Ameisen- 



Zusammentreffen mit den Katapolitani 



127 



bär), der bildhübsche Sohn meines in Cururu-cuara verstorbenen 
Ruderers. Sein liebenswürdiges und anständiges Wesen gewinnt ihm 
unsere Herzen. Seine rasche Auffassungsgabe ist erstaunlich. Er 
lernt sogar einige deutsche Worte, und es klingt sehr drollig, wenn 
er bei Tagesanbruch mit seiner glockenhellen Stimme „Hamburg-Süd- 
amerikanische Dampfschiffahrtsgesellschaft" fehlerlos herausschmettert. 
Schmidt hat ihm diese harten und nicht nur für einen Indianer schwer 
auszusprechenden Worte in wenigen Tagen beigebracht. Der Junge 
hält sie wahrscheinlich für einen Morgengruß. 

Am 26. Dezember treffen wir auf einer großen Sandbank den 
dicken Inspektor Diogo, der mit einigen anderen Familien hier fischt. 
Sie scheinen bis jetzt wenig Glück gehabt zu haben. Zwei magere 
Fische liegen auf ihrem großen Bratrost, und die Maniokgrütze ist 
ihnen nahezu ausgegangen. Das Zeug, das sie uns mit WasBer an- 
gerührt als Schibe anbieten, schmeckt widerlich erdig und moderig. 
Ich gebe ihnen Maniokgrütze, Salz und Tabak, wofür Diogo verspricht, 
gemusterte Körbe zu liefern, was er jedoch später anscheinend ver- 
gißt. Der alte Gauner bittet mich um ein Mittel für seine schwachen 
Augen und um ein Universalmittel gegen den — Tod. Ich kann dem 
„Christen" nicht begreiflich machen, daß gegen diesen unerbittlichen 
Herrn noch kein Kraut gewachsen sei. 

Eine kurze Strecke unterhalb stoßen wir auf das Lager der 
Tunuhy-Leute. Ich feuere zur Anmeldung einige Schüsse ab, stoße 
ein paarmal in das Signalhorn und fahre langsam heran. Mein alter 
Freund Inspektor Antonio zieht sich rasch zum Empfang die Hosen 
an, wie ich zu meinem Entzücken bemerke, kommt mir dann feierlich 
entgegen und begrüßt mich herzlich. Ich erzähle ihm ausführlich von 
unserer weiten Reise; er meint, ich sei sehr mager geworden usw. usw., 
was man so schwatzt. Inzwischen kommen auch die übrigen Boote. 
Neugierig umlagert uns in angemessener Entfernung die ganze Gesell- 
schaft. Auch meine beiden anderen Ruderer, Ignacio und Timotheo, 
stellen sich freundlich grinsend ein. 

Eine häßliche, verlotterte Zigeunerbande! Nun erscheinen sie 
mir noch häßlicher und verlotterter, nachdem ich die schönen, nackten 
Gestalten der Aiary-Indianer gesehen habe. Jetzt kommt es mir erst 
recht zum Bewußtsein, daß diese Katapolitani vorzeiten ein maku- 
ähnliches Volk auf sehr niedriger Kulturstufe waren, und daß ihre 
Seelen nicht in den Privathimmel der aristokratischen Aruak gehören. 
Sie haben ihren ganzen Haushalt mitgeschleppt, Hühner, zahlreiche 
böse Hunde und eine Unmenge Kram, und fühlen sich in ihren 



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Furcht vor den Koai-Flöten 



elenden Hütten, die ihnen schon seit zwei Wochen als Wohnung dienen, 
offenbar sehr wohl. Der Wandergeist steckt noch in diesen Nach- 
kommen jener Waldindianer, die einBt unstet und flüchtig wie wilde 
Tiere durch die Wälder streiften. 

Auch hier vernachlässigt der zeremonielle Mandu seine Pflicht 
nicht. In einer der Hütten hält er am folgenden Morgen eine längere 
Begrüßungsrede und klagt dann mit einer älteren Frau, einer Stammes- 
genossin, um den in Cururu-cuara Verstorbenen. 

Da das Wetter immer schlechter wird und auf ergiebige Jagd 
oder Fischfang bei der Weiterfahrt nicht mehr zu rechnen ist, so 
benutze ich die günstige Gelegenheit und kaufe für Pulver, Schrot 
und viele Glasperlen eine Menge geräucherter Fische und Wildbret 
aus den reichen Vorräten der Tunuhj-Leute. 

Am 30. Dezember kommen wir in Tunuhy an. Antonio, der uns 
nachgefahren ist, liefert am anderen Morgen meine Sammlung in gutem 
Zustand ab und bekommt als Lohn für seine Treue eine große Axt. 

Es erfordert schwere Arbeit, die vielen zerbrechlichen Töpfe und 
Schalen über das niedrige, schroffe Felsplateau zu schaffen, auf dem 
die Ortschaft Tunuhy liegt, aber es ist der einzige Weg, die tosende 
Stromschnelle zu umgehen, die nur mit leeren Booten passiert werden 
kann. Einer meiner Ruderer hat beim Ausladen schon das Bündel 
mit den drei großen Flöten auf dem Rücken, um sie bergauf zu tragen, 
als eine Frau auf der Höhe des Pfades erscheint Schleunigst läuft 
er zurück, versteckt den „Koai* zu unterst in der Montana und fährt 
damit abseits in das Gebüsch. Mit Hilfe eines Katapolitani, der mit 
seiner Familie hier zurückgeblieben ist und für seine Mühe ein wenig 
Schrot erhält, werden die größeren Boote ohne Unfall durch die 
Stromschnelle gebracht. Mit dem leichten Kanu fahren zwei meiner 
Jungen glatt durch die heftige Brandung. 

Neben einem Haus in Tunuhy zeigt man mir einen primitiven 
Wegweiser, der nur für sehr geübte Augen sichtbar ist. Ein ungleich 
geknicktes Stäbchen ist so in den Boden gesteckt, daß der recht- 
winkelig abstehende kürzere Teil flußaufwärts weist. Eines ähnlichen 
»Zinkens" hatten sich meine Leute am Aiary bedient, um unseren 
Jägern, die zurückgeblieben waren, die Richtung nach der Sandbank 
anzugeben, auf der wir übernachten wollten. 

In allen Dörfern des unteren Issana sind die Bewohner zurück- 
gekehrt und beruhigt. Nur in einer kleinen Niederlassung scheinen 
die armen Leute die Furcht vor dem Kommandanten noch nicht über- 
wunden zu haben und fliehen erschreckt bei meiner Ankunft. 



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Wieder in Säo Felippe 



129 



Eine Nacht verbringen wir im Dorfe Anizettos, das aus sechs 
geranmigen, aber nachlässig gebauten Hütten, halboffenen Schuppen, 
besteht. Schmidt, der vorausgefahren ist, wird vom „Messias** in 
höchsteigener Person empfangen und kauft ihm ein paar kleine Schild- 
kröten ab. Es ist ein Mann in den mittleren Jahren, von kleiner, 
häßlicher Gestalt. Sein verschlagenes Gesicht paßt trefflich zu seinem 
widerlich kriechenden Wesen. Bei meiner Ankunft ist der Kerl ver- 
schwunden. Offenbar hält er mich für eine offizielle Persönlichkeit, 
mit der er nach seinen schlechten Erfahrungen nichts zu tun haben 
will. Auch die übrige Bewohnerschaft hält sich scheu zurück. Wir 
beziehen mit unseren Leuten ein leerstehendes Haus. Die Nacht ver- 
läuft ohne Zwischenfall. Mandu und Hilario mit ihren Familien sind 
merkwürdigerweise nicht mit uns gekommen, sondern haben gegenüber 
auf einer Sandbank übernachtet. 

Am nächsten Mittag (8. Januar 1904) kommen wir wohlbehalten 
in Säo Felippe an. 

Von Don Germano werden wir herzlich aufgenommen. Seit langen 
Monaten sitzen wir wieder an einem sauber gedeckten Tisch. Säo 
Felippe steht unter dem Zeichen der Kautschukernte. Von den er- 
wachsenen Söhnen ist nur unser ehemaliger Reisegefährte Hildebrando 
bei seinem Vater zurückgeblieben. Alle anderen sind auf Handels- 
reisen abwesend, um von den Anwohnern des oberen Rio Negro 
Kautschuk aufzukaufen, oder arbeiten selbst mit ihren Indianern im 
Kautschukwald. Den edlen Grenzkommandanten hat man zwar auf 
Veranlassung Don Germanos und anderer Freunde abberufen, aber 
er treibt sich noch immer an der Grenze herum und setzt dort seinen 
Unfug fort, zum großen Arger des alten Herrn. Sein Nachfolger sei 
ein Schwächling und allzu großer Freund des Alkohols. 

Wir beziehen mit Sack und Pack das leerstehende saubere 
Häuschen Salvadors. Unsere Leute werden in einem Schuppen unter- 
gebracht, der zum Aufbewahren von Palmfasertauen, Brettern, Planken 
und anderem Material für den Bootsbau dient. Ich finde eine ganze 
Last Briefe vor; Briefe aus der Heimat, die zum Teil schon ein halbes 
Jahr alt sind. 

Unser Koai hätte beinahe wieder Unheil angerichtet. Beim Aus- 
laden läuft die ganze weibliche Bevölkerung zusammen und bewundert 
neugierig und unter spöttischen Bemerkungen den bunten Kram, den 
wir bei den „wilden Indianern" aufgekauft haben. Arglos hebt Schmidt 
als letztes Stück der Ladung die Flöten auf, um sie in das Haus zu 
tragen, da springt mein Huhuteni Pedro rasch hinzu, entreißt ihm das 

Koch-Gr Ihlberg, Zwei Jahre bei den Indianern 9 



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130 



Unbeständiger Charakter des Indianers 



verhängnisvolle Bündel, verstaut es wieder im Boot und fahrt damit 
flußabwärts in einen schmalen Bach, wo er die Flöten unter Wasser 
▼ersteckt. Später läßt sie Don Germane» im Schutze der Nacht durch 
zwei seiner Indianer holen und sofort transportfähig verpacken. Ob- 
wohl er in jeder Beziehung vorurteilsfrei ist, nimmt er doch kluger- 
weise auf den Glauben und die Gebräuche seiner Indianer strenge 
Rücksicht. 

Bis auf den heutigen Tag veranstalten nicht nur die Anwohner 
des Issana und Caiary-Uaupes, sondern auch die sogenannten „ christ- 
lichen w Indianer und Mischlinge des oberen Rio Negro von Säo Felippe 
bis Säo Gabriel trotz aller Kapellen und Heiligenfeste von Zeit zu Zeit 
den blutigen Tanz zu Ehren des Koai, den man am Rio Negro und 
seinen Nebenflüssen gewöhnlich, aber sehr mit Unrecht mit einem 
Wort der Lingoa geral nach dem schlimmsten Dämon der alten Tupi- 
Indianer Yurupary nennt. 

Ich hätte die Jüngeren meiner Leute gern länger bei mir behalten, 
um sie bei meiner geplanten Reise zum Caiary-Uaupes als Ruderer zu 
benutzen, da es in der Zeit der Kautschukernte schwerhält, Leute 
zu bekommen. Von Caruru aus wollte ich sie über Land nach Hause 
schicken. Mehrmals habe ich ihnen während der Fahrt diesen Vor- 
schlag gemacht, fand aber wenig Entgegenkommen und erhielt nur 
ausweichende Antworten. 

Der Indianer gibt dem Weißen auf eine gerade Frage, die ihm 
lästig ist, selten eine gerade Antwort, sondern sucht mit unbestimmten 
Ausdrücken, wie „vielleicht", „es kann sein", „wer weiß 44 , ein offenes 
„Ja" oder „Nein 44 zu umgehen. Dies mag zum großen Teil in 
seinem unbeständigen Charakter liegen, der dem Reisenden oft genug 
Schwierigkeiten bereitet. Sicherlich und nicht zuletzt aber sind auch 
die schlechten Erfahrungen daran schuld, die er im Verkehr mit ge- 
wissenlosen Weißen oder Mischlingen gemacht hat. 

Schon am Tage nach unserer Ankunft scheitert mein schöner 
Plan. Mandu kommt wiederholt zu mir und bittet mich um Maniok- 
mehl, „da seine Kinder Hunger hätten 44 . Der Schlaukopf hat, ohne 
mir etwas davon zu sagen, alle seine wohlgefullten Mehlkörbe Don 
Germano verkauft, und nun soll ich natürlich Ersatz schaffen. Da ist 
guter Rat teuer! Germano will und kann mir kein Mehl in größerer 
Menge verkaufen, da er selbst wenig hat und für seine Arbeiter viel 
braucht. Deshalb sehe ich mich genötigt, die Leute sofort in ihre 
Heimat zu entlassen, um die vielen hungrigen Mäuler los zu sein. 
Am anderen Morgen werden sie ausgelohnt, wobei wir jedes einzelnen 



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„Uaapä", ein Schimpfwort 



131 



oft recht merkwürdige Wünsche, soweit es geht, berücksichtigen. Der 
kleine Tarn erhält unter anderem einen weißen Anzug und ein kokettes 
Strohhütchen, so daß er wie ein Dandy umherstolziert. Kaum haben 
Pedro und die J ungen ihren Lohn empfangen, als sie sich, anscheinend 
auf Mandus Anstiften, heimlich und, ohne Abschied zu nehmen, in 
drei Kanus auf und davon machen. Sie fürchten wohl, wir würden 
sie mit Gewalt zurückhalten. Die beiden Familienväter Mandu und 
Hilario benehmen sich gesitteter. German o schenkt ihnen eine Korb- 
wanne voll Maniokgrütze. Damit können sie bei einiger Sparsamkeit 
wenigstens bis zu den ersten Karutanadörfern reichen. Gegen Mittag 
fahren auch sie ab. Der Issana ist für uns erledigt. 

Die Abneigung meiner Leute gegen eine Fahrt auf dem Caiary- 
Uaupes wird mir erst allmählich klar. Sie fürchten das geheime 
Zaubergift der dortigen Stämme, ihrer alten Feinde. Noch heute 
besteht eine gewisse Feindschaft zwischen den Anwohnern dieser 
beiden Nachbarflüsse, wenn auch die offenen Fehden aufgehört haben. 
Die Bezeichnung „Rio Uaupes", die sich gewöhnlich auf unseren Karten 
findet, ist in den dortigen Gegenden ganz ungebräuchlich. Besonders 
die Indianer nennen, wenn sie mit Weißen sprechen, den Fluß stets 
w Caiary M . „Uaupes" bezeichnet nicht den Fluß, sondern die ihm an- 
wohnenden Stämme und scheint ursprünglich eine üble Bedeutung 
gehabt zu haben. Die alteingesessenen, höher kultivierten Aruak be- 
nannten so die von Süden und Südwesten her einfallenden Wildstämme, 
wie Tukano, Kobeua u. a., von denen sie allmählich verdrängt und 
zum Teil aufgesogen wurden. Noch jetzt sehen die Aruak des Issana 
mit einer gewissen Verachtung auf ihre Nachbarn herab und betrachten 
den Namen „Uaupes" als eine Art Schimpfwort, ebenso wie die Indianer 
des Caiary die Bezeichnung „Uaupes* nicht gern hören. Sagt man 
z. B. zu einem Karutana: „Du bist nichts wert, du bist ein Aus- 
reißer!" usw., so antwortet er gewöhnlich in der Lingoa geral: „Ische 
ti(ma) uaupe!" „Ich bin kein Uaup£! u und setzt sich damit in be- 
wußten Gegensatz zu dem alten Erbfeind dieser Aruak. 

Sofort nach der Abfahrt unserer Leute machen wir uns an das 
Verpacken der Sammlung, und das ist wirklich keine Kleinigkeit. 
Don Germuno stellt uns zwar alles, was er an Kisten und Pack- 
material besitzt, zur freien Verfügung, aber er kann nicht mehr geben, 
als er bat. Vor allem fehlt es an Holzwolle, um die hundert reich be- 
malten, aber vielfach schlecht gebrannten Töpfe und Schalen so zu 
verpacken, daß sie eine weite und beschwerliche Reise zu Wasser und 
zu Lande, ein wiederholtes Aus- und Einladen überstehen können. 



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Mignel Pecil 



Zwar lasse ich durch die Indianer Gras schneiden und an der Sonne 
trocknen, aber das ist nur ein schwacher Notbehelf und kann die 
elastische und doch feste Holzwolle nicht ersetzen. 

Die Besucher eines Museums, die später die Sammlungen in den 
Glasschränken anstaunen, ahnen gar nicht, welche Wege diese vielen 
zerbrechlichen Sachen zurücklegen müssen, ehe sie an Ort und Stelle 
gelangen. Trauernd nimmt der Forscher Abschied von den Gegen- 
ständen, die er mit Liebe zusammengebracht und glücklich durch alle 
Fährnisse geleitet hat, um sie einem ungewissen Schicksal und un- 
geschickten, oft rohen Händen zu überlassen. 

Das Wetter ist für die Kautschukerote so ungünstig, wie nur 
irgend möglich. Fast jeden Tag gehen Gewitter mit starken Regen- 
güssen nieder ; eine für diese Jahreszeit außergewöhnliche Erscheinung. 
Infolge der Nässe bilden sich auf den Kleidern Schimmelkulturen, 
rosten Waffen und Geräte. Alles mögliche Ungeziefer tritt auf. Un- 
mittelbar vor unserem Wohnhause töten die Indianer beim Grasschneiden 
drei Jararaca-Scblangen. Am 12. Januar tobt gegen ein Uhr nach- 
mittags ein heftiger Gewittersturm. Der Rio Negro geht mit hohen 
Wellen. Das Thermometer fällt danach auf 22° Celsius, während es 
sonst um diese Zeit (zwei Uhr nachmittags) durchschnittlich 30° Celsius 
zeigt. Wir klappern vor Frost. Der Fluß steigt beständig. Der 
untere Caiary droht seine niedrigen Ufer zu überschwemmen. Die 
Indianer, die dort mit ihren Familien Kautschuk ausbeuten, leiden an 
Fieber und Erkältungskrankheiten. Salvador hat noch fast nichts 
arbeiten können. Auch Francisco, der am 17. Januar von der Grenze 
kommt, bringt nur wenig Kautschuk mit. 

Es ist kein Wunder, daß der alte Herr bisweilen nicht gerade 
rosiger Laune ist. Zu allem Überfluß kommen eines Tages der Syrer 
Miguel Pecil, mein Reisegefährte vom Dampfer Solimöes, und der 
Araber Miguel Matuto, den ich in Trindade kennengelernt habe, und 
berichten von neuen Schändlichkeiten des Grenzkommandanten. Don 
Germano verhandelt drei volle Tage mit den beiden Herren. Noch 
spät in der Nacht schallen ihre erregten Stimmen zu uns herüber. 

Pecil ist ein lustiger Geselle. Er hat ein bewegtes Leben hinter 
sich und weiß immer etwas zu erzählen. Wie die meisten Armenier 
oder Türken, die man überall in Südamerika trifft, hat er ganz klein 
angefangen. Zuerst ist er mit einem Kasten im Lande umhergezogen 
und hat den Weibern Knöpfe, bunte Bänder, Spiegel und anderen 
Tand verhandelt. Jetzt besitzt er ein ansehnliches Landgut mit Vieh, 
drei Tagereisen oberhalb Silo Felippe gegenüber dem Indianerdorfe 



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Der neue Grenzkorumandant 



133 



und der früheren Mission Silo Marcellino, außerdem einen Kautschuk- 
wald am unteren Rio Negro und mehrere große Lastboote und gehört 
zu den einflußreichsten Herren der Gegend. 

So verläuft auch unser zweiter Aufenthalt in Sao Felippe recht 
abwechslungsreich. Jeder Tag bringt etwas anderes. Es herrscht 
ein beständiges Kommen und Gehen. Am l. Februar erscheint der 
neue Grenzkommandant, ein abschreckend häßlicher, dunkelhäutiger 
Mulatte. Er ist in großer Aufregung und meldet dem alten Herrn, 
sein Vorgänger sei über Nacht mit sämtlichen Soldaten ausgerückt 
und fahre in mehreren Booten flußabwärts, angeblich nach Manaos. 
Er selbst ist ihm im leichten Kanu vorausgeeilt. So liegt die Grenze 
ganz verlassen, nur ein altes Weib ist zurückgeblieben. Der edle 
Kommandant ohne Soldaten schreibt in unserem Zimmer lange Be- 
richte an seine vorgesetzte Behörde in Manaos. Selbst Feder, Tinte 
und Papier scheint ihm sein Freund mitgenommen zu haben. In der 
Tat fährt drei Tage später der Missetäter am anderen Ufer rasch 
flußabwärts. Die Kommandantenflagge weht vom Heck seines Bootes. 

Don Germano hat alle Hände voll zu tun. Der neue Komman- 
dant wird mit guten Ratschlägen und Proviant, den ihm der Alte 
auf Pump liefert, zur Grenze entlassen. Antonio Garrido, der kaum 
mit Post und Waren von Tapuru-cuara gekommen ist, wird wiederum 
mit Kautschuk dorthin geschickt. Er nimmt einen Teil meiner Samm- 
lung mit; das übrige wird in ein Lastboot Pecils verladen, der eben- 
falls nach Tapuru-cuara fährt. 

Endlich schlägt auch unsere Stunde. Ich will zunächst den Rio 
Curicuriary und seine primitiven Anwohner, die Maku, kennenlernen 
und bei dieser Gelegenheit eine Besteigung des herrlichen Gebirges 
nahe seiner Mündung versuchen. Allein will uns Don Germano mit 
unserer schweren Montaria nicht fahren lassen, da uns sonst, wie er 
sagt, „die Cachoeiras fressen" würden. Deshalb überläßt er uns noch 
im letzten Augenblick drei seiner Indianer als Ruderer, einen Tukano, 
der wegen seiner außergewöhnlichen Körpergröße „Joäo Grande" 
(Großhans) genannt wird, und zwei Maku, Ignacio und Nasario, Vater 
und Sohn. Sie hausen schon seit langen Jahren an einem kleinen 
Bach gegenüber Säo Felippe und sind Schuldsklaven Germanos. Alle 
drei können gerade nicht als Zierden ihrer Rasse gelten, weder in 
körperlicher, noch in moralischer Hinsicht. Von der europäischen 
„Zivilisation" haben sie nur die Laster angenommen. Sie sind in der 
ganzen Umgegend als die schlimmsten Schnapsbrüder bekannt. In 
nüchternem Zustande und mit einiger Strenge aber sind sie wohl zu 



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Schwarze und weiße Maku 



gebrauchen. Ignacio ist wie alle Maku ein vorzüglicher Jäger, Joao 
infolge seiner Körperstärke ein ausdauernder Ruderer und ein treff- 
licher Pilot in den Stromschnellen. Der Minderwertigste der drei ist 
der junge Nasario, ein stets unzufriedener, unzuverlässiger und fauler 
Bursche. Wegen seiner auffallend dunklen Hautfarbe, die durch Haut- 
krankheit noch verstärkt ist, hat man ihm den Beinamen „o preto u 
(der Schwarze) gegeben. 

Die Ansiedler am Rio Negro unterscheiden bei den Maku zwei 
Typen, die gänzlich voneinander abweichen : „Macus brancos" von sehr 
heller Hautfarbe, mit feinen, bisweilen europäisch anmutenden Zügen, 
nicht selten mit schief gestellten Augen, und „Macus pretos" von sehr 
dunkler Hautfarbe und negerähnlichem Typus mit breiter, abgeplatteter 
Nase und öfters tierisch ausgebildeten, stark vorstehenden Kiefern. 
Meine beiden Maku sind von der letzteren Sorte. 




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XII. Kapitel 

Auf dem Rio Curicuriary 



Am 7. Februar gegen Mittag fahren wir ab. Nach vier Stunden 
kommen wir an der Mündung des Caiary-Uaupes vorüber, die durch 
die Insel Tatu grande (großes Gürteltier) in zwei Arme geteilt wird. 
Unterhalb der Stromschnelle, die nun folgt, gewinnen wir den ersten 
Fernblick auf die Serra de Curicuriary mit ihren von der Abendsonne 
rötlich bestrahlten, schroff abfallenden Kuppen. Deutlich erkennt 
man, daß ihr eine niedrigere Kette vorgelagert ist. Auf diese führe 
ein Weg, haben uns die Indianer gesagt; das höhere Gebirge, das 
weiter im Süden liege, sei unbesteigbar. Wir machen vorübergehend 
halt an einer kleinen Niederlassung auf dem linken Ufer, wo wir 
anfangs übernachten wollten; aber hier sind vor kurzem zwei junge 
Männer gestorben und im Hause begraben. Von dem einen „Sarg u 
liegt noch ein Stück Kanu da. So sehr hängen diese „christlichen" 
Indianer an ihren alten Gebräuchen! Meine Leute haben Angst vor 
dem Zaubergifte Marakaimbara deshalb fahren wir weiter und bleiben 
über Nacht in der Niederlassung Yauacaca, wo eine Schwägerin von 
Joäo Grande wohnt. Nur Weiber und Kinder sind da; die Männer 
befinden sich im Kautschukwald. Von flußaufwärts lassen sich dumpfe 
Flötentöne hören. Im benachbarten Oarapana findet ein Yurupary- 
Tanz statt — es ist die Zeit der Palmfrucht- Reife — , daher auch die 
vielen Kanus, die wir im Vorüberfahren dort auf der Sandbank be- 
merkt haben. Die Flötentöne folgen rasch aufeinander in flottem 
Tempo: „Turutu-tu , turutu-tu." Abwechselnd werden die helleren 



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In Lebensgefahr 



und dumpferen Flöten geblasen. Die einzelnen Musikstücke dauern 
verhältnismäßig lang. Nach jedem Stück findet eine längere Pause 
statt. So geht es bis spät in die Nacht hinein. 

Am nächsten Morgen fahren wir ohne Unfall durch die folgenden 
Stromschnellen. Zur Rechten erhebt sich das Cabary- Gebirge in seiner 
Sphinxgestalt, ein Sinnbild dieser Gegend, die so viele Rätsel birgt. 

Im Hafen von Silo Gabriel treffen wir den ehemaligen Grenz- 
kommandanten mit seiner Soldateska, die gerade ihre Boote mit Kisten 
und Koffern beladen. Zwei Indianer Salvadors, die der Unverbesser- 
liche an der Caiarymündung abgefangen und zum Ruderdienste gepreßt 
hatte, sind ihm an der ersten Stromschnelle entlaufen. 

* 

Ich mache mit Schmidt einen kurzen Besuch bei Superintendente 
Cluny, aber das ist schon viel zu lange. Als wir zurückkommen, finden 
wir unsere beiden Alten in bedenklicher Stimmung. Sie haben sich 
in dem elenden Nest Schnaps zu verschaffen gewußt und viel mehr 
davon getrunken, als für die Weiterfahrt gut ist. Ignacio ist von 
einer beängstigenden Redseligkeit. Immer wieder erzählt er mir das- 
selbe und drückt seine Freude darüber aus, daß er jetzt in seine 
Heimat, zu seinen Verwandten käme, während er doch sonst gar nicht 
gern an seine Abstammung von den Maku erinnert wird. Zwar 
gelangen wir noch glücklich durch die Schnellen von Arapaso und das 
Furnas, aber schon in der folgenden Stromschnelle bekommen wir viel 
Wasser ins Boot, da sich Ignacio und Joäo Grande mitten im wilden 
Wogenschwall um die bessere Fahrstraße streiten. In rasender Fahrt 
passieren wir die Schnellen von Tapajos, Suasu und Cacury; in dem 
furchtbaren Strudel von Oamanaos aber ereilt uns beinahe unser Schick- 
sal. Meine Leute sind zu betrunken oder vielleicht auch zu schwach, 
um das schwer beladene Boot in ruhigeres Wasser zu lenken. Daher 
geraten wir mitten in die hohen Wogen am Fnße des Absturzes, die 
von allen Seiten in das Boot schlagen. Steuerlos wird es hin- und 
hergeworfen. Es ist schon halb voll Wasser und kommt nicht wieder 
hoch. Die nächste Welle, die über Bord geht, muß uns in den Grund 
bohren, und lebend kommen wir aus diesem Teufelskessel nicht wieder 
heraus. Da, in der höchsten Not, ergreift Schmidt einen Teller und 
schöpft verzweifelt Wasser aus, und es gelingt. Wir kommen , wenn 
auch triefend, durch und in den sicheren Hafen. Auf der Höhe des 
Ufers stehen Leute von Camanaos und schauen dem interessanten, für 
sie wohl nicht sehr seltenen Schauspiel zu. 

Über unsere nächsten Reisewege erhalten wir hier einige spärliche 
Angaben: Zwei Tage müsse man den Curicuriary aufwärts fahren, bis 



Schwarzes und weißes Wasser 



137 



man zu seinem rechten Zufluß Cariua-Igarape" und zum Pfad in das 
Gebirge käme. 

Am anderen Tag lenken wir in den Rio Curicuriary ein, der an 
seiner Mündung etwa 100 m breit ist, aber sehr tief zu sein scheint 
und zwischen niedrigen Ufern rasch dahinströmt. Sein klares und 
wohlschmeckendes Wasser ist viel dankler als das des Rio Negro. Es 
erscheint bei reflektiertem Licht vollständig kaffeebraun und behält 
auch bei durchgehendem Licht im Glas einen bräunlicbgelben Ton. 
Unter heftigen Regengüssen erreichen wir bereits am nächsten Morgen 
einen ansehnlichen Zufluß zur Rechten, den uns verheißenen Cariua- 
Igarape\ der ebenfalls „schwarzes" Wasser hat. Nach zweistündigem 
Kampf gegen seine reißende Strömung kommen wir an einen sehr ver- 
wachsenen Nebenbach mit „weißem", d. h. durchsichtigem Wasser, das 
bei größerer Tiefe einen bläulichen Schimmer hat. Es ist der Tuisica- 
Igarape\ wie wir später erfahren. Auf seinem linken Ufer, nahe seiner 
Mündung, führt ein Pfad in südöstlicher Richtung waldeinwärts. Hier 
schlagen wir unser Lager auf. Ignacio und Joäo, die ich sofort auf 
Kundschaft ausschicke, kehren gegen Abend zurück mit der Meldung, 
daß der Pfad gut gangbar sei; sie seien fast bis an den Fuß des 
Gebirges gekommen. 

Wir sitzen noch lange beim Feuer zusammen, rauchen eine Zigarette 
nach der anderen und schwatzen über dies und das. Joäo gibt mir 
Unterricht im Tukano, seiner fürchterlichen Stammessprache, voll nasaler, 
gutturaler und ganz undeutlicher Laute. Er nennt mir die Namen aller 
Tiere, die ihre Stimmen hören lassen. Es ist eine herrliche, sternklare 
Nacht, wie wir sie seit unserer Abreise von SAo Felippe nicht mehr 
gehabt haben. Die ganze Natur scheint sich daran zu erfreuen. Die 
Zikaden vollführen einen Höllenlärm, der bald wie das Schnurren einer 
großen Spinnerei, bald wie das Wetzen von Sensen klingt; melancholisch 
singen die Frösche; nicht weit von uns brummt ein Hokko; vom Gebirge 
her heult in langgezogenen, dumpfen Lauten ein Jaguar, und in behag- 
lichen Tönen lacht der Urutaui, ein Ziegenmelker, von dem die Indianer 
eines ihrer hübschen erotischen Märchen zu erzählen wissen. 

Kurz nach Mitternacht wird unsere Ruhe wieder gestört. Der 
offizielle Regen strömt herab und dauert bis gegen Morgen an. Früh- 
zeitig machen wir uns auf den Weg. Die beiden Maku begleiten uns, 
beladen mit Proviant für zwei Tage, unseren Hängematten und dem 
großen photographischen Apparat. Joäo, der sich unwohl fühlt, bleibt 
als Wache beim Boot. 

Bald stoßen wir auf zwei alte, sehr primitive Lager der Maku, 



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138 



Maka-Lager 



„Lager der Waldleute u , wie Ignacio sich ausdrückt, da der Name 
„Maku u für ihn einen unangenehmen Beigeschmack hat. Sie bestehen 
aus vielen kaum mannshohen Schutzhütten. Drei Stöcke sind pyramiden- 
förmig in die Erde gesteckt und oben mit Lianen zusammengebunden, 
Zweige und Palmblätter lose darübergelegt. In diesen elenden Unter- 
schlupfen, die den Namen Hütten eigentlich nicht verdienen, haust der 
Maku mit seiner oft zahlreichen Familie, den Unbilden der Witterung 
preisgegeben, wie das flüchtige Tier des Waldes. Der Hausrat dieser 
wilden Maku beschränkt sich auf einige roh gearbeitete Töpfe und 
Schalen. Sie haben keine Hängematten, sondern sohlafen auf einer 
Unterlage von Blättern am Boden. 

Wir überschreiten zweimal den Tuisica und mehrere kleine Rinn- 
sale, die ihm zufließen und teils schwarzes, teils weißes Wasser führen. 
Welcher Ursache mag die braune Färbung des Wassers zuzuschreiben 
sein? Manche vermuten, das Wasser färbe sich, wenn es über Sarsa- 
parillewurzeln laufe ; und doch traf ich häufig während meiner Reisen 
Wasseradern, die dicht nebeneinander durch denselben Wald, über 
denselben Boden strömten, die eine mit schwarzem, die andere mit 
weißem Wasser. Das schwarze, klare Wasser, sagen die Indianer, sei 
gesund, das weiße, das beim Stehen einen Satz absondert, bringe Fieber. 

Der Pfad verläuft ostwärts und verliert sich schließlich im Walde. 
Meine Maku erklettern behende wie Affen zwei Bäume und orientieren 
sich über die Richtung, in der das Gebirge liegt. Zu diesem Zweck 
suchen sie sich einen hohen Baum aus, in dessen unmittelbarer Nähe 
mehrere andere Bäume von geringer Höhe und geringerem Stammes- 
umfang stehen, deren Aste näher dem Erdboden ansetzen. Vom 
niedrigsten Baum steigen sie immer höher und höher, bis sie in der 
Krone des höchsten Baumes einen Uberblick über den Wald gewinnen. 

Nach einem Marsch von zwei Stunden kommen wir wieder in das 
Tälchen des Tuisica, der hier als kleiner Wasserlauf über Felsen sprudelt, 
und gelangen damit an den Fuß des Gebirges. 

Eine ganz andere Vegetation von echt tropischer Wildheit und 
Üppigkeit nimmt uns auf. Laubbäume von bisher nie gesehener 
Riesigkeit ragen scheinbar ins Unendliche. An der Basis der kerzen- 
geraden Stämme von gewaltigem Umfang laufen nach allen Seiten hohe 
wandartige Wurzeln aus, die wir mühsam übersteigen müssen. An 
schlanken Paschiubapalmen , die sich mit zahlreichen Luftwurzeln an 
die Erde klammern, klettern breitblätterige Philodendren und andere 
Schmarotzer in die Höhe. In jeder Ritze der Bäume, an jedem trockenen 
Aste, überall, wo sie nur ein wenig Nahrung finden können, haben 



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Schwieriger Anstieg 



139 



sich die verschiedenartigsten Orchideen eingenistet. Welche botanischen 
Schätze mag diese unbekannte Tropenwildnis bergen! — Der Boden, 
mit moderndem Laub bedeckt, trieft von Nässe. Überall versperren 
niedergestürzte, faulende Baumriesen den Weg. Nur mit Mühe hauen 
wir uns, häufig auf dem Leib weiterkriechend, mit dem Waldmesser 
einen Bchmalen Pfad durch das Gewirr. Dazu herrscht eine Treib- 
hausschwüle unter dem dichten Blätterdach, das kaum ein Sonnen- 
strahl durchdringt. Zentnerschwer beengt sie die Brust. Wir steigen 
steil bergan, die Vegetation bleibt dieselbe. Bald kommen mächtige 
Felsen, wie von Riesenhand kreuz und quer durcheinander geworfen; 
dazwischen wuchern hohe Farne. Bis zu den Knien versinkt man in 
den nassen Moder. 

Plötzlich ruft uns die Natur, die hier in ihrer ganzen unendlichen, 
unbezwingbaren Größe zu uns spricht, ein gebieterisches Halt zu. 
Wir stehen an einer senkrecht ansteigenden Felsmasse, einem einzigen 
riesigen Felsblock von mehreren hundert Metern Höhe. Inzwischen 
ist es Abend geworden. Wir steigen wieder abwärts und beziehen am 
rauschenden Tuisica, mitten im Tropenwalde unser Nachtlager, schmutzig 
und naß, wie wir sind. Auch die Hängematten und Decken sind schwer 
von Nässe. Zahlreiche Moskiten, große und kleine, und der in den 
nassen Sachen unangenehm fühlbare nächtliche Temperaturwechsel 
lassen uns nicht recht zur Ruhe kommen. 

Am nächsten Tag erneuern wir den Versuch. Es ist ein tau- 
frischer Morgen; dichter Nebel lagert über dem Hochwald und dem 
Gebirge. Wir halten uns diesmal mehr rechts und klettern in öst- 
licher Richtung am Fuße der letzten Felswand entlang, die schräg 
aufwärts verläuft. Bald erreichen wir wieder an steilem Abhang das 
Bett des Tuisica, das hier sehr breit ist. Zur Regenzeit muß er ein 
wildtosender Gießbach sein; man sieht es an den mächtigen Felsen, 
die er auf seinem Wege mit sich gerissen hat. Wir steigen in ihm 
weiter und gelangen endlich zu dem Ursprung unseres treuen Begleiters 
auf diesem Marsch, wo er als schmale Wasserader in einem engen 
Kamin von gewaltiger Höhe zerstäubend herabstürzt. An schroffen 
Felsen klettern wir in die Höhe, wo nur immer ein Riß im Gestein, 
eine Wurzel, ein Philodendron einen häufig trügerischen Halt bieten. 

Eine glatte, weit überhängende Felswand, die selbst für geübte, 
mit allen sportlichen Hilfsmitteln ausgerüstete Bergsteiger ein schweres 
und gefährliches Stück Arbeit bieten würde, setzt uns ein Ziel, aber 
das wunderbare Panorama, das sich hier vor unseren Blicken ent- 
rollt, entschädigt uns reichlich für so viel Mühe und Gefahr. In der 



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HO 



Herrliche Fernsicht 



klaren Luft — der Nebel bat sieb inzwischen gesenkt — schweift der 
Blick ungehindert scheinbar in unendliche Fernen, frei über den gewal- 
tigen Hochwald, der sich wie ein Meer bis zum blauen Horizont vor 
uns ausdehnt. Zur Linken in südöstlicher Richtung setzt sich die 
Serra de Curicuriary in zwei etwas höheren Kuppen fort, die ebenfalls 
in schroff abfallende, vegetationslose, tafelförmige Felsblöcke ausgehen. 
Nur die äußerste Kuppe neigt sich an der westlichen Seite, zwar 
immer noch steil, aber doch mehr allmählich zu Tal und ist auch an 
dieser Stelle bis oben hin mit Waldvegetation bekleidet, so daß bei 
ihr noch am leichtesten ein vollkommener Aufstieg zu ermöglichen 
wäre. Südlich von der Serra de Curicuriary erscheint ein anderes 
Gebirge mit zwei nicht minder hohen Kuppen, die Tipiaca-uitera, 
die Heimat lgnacios, die er in jungen Jahren mit seinem Vater ver- 
ließ, um sein Leben als Knecht der Weißen zu verbringen. Vor uns 
erstrecken sich zwei bedeutend niedrigere Höhenzüge in einzelnen sanft 
abfallenden, bewaldeten Hügeln und im Südwesten in weiter, blauer 
Ferne einige ansehnliche Ketten, Gebirge des Yapura oder darüber 
hinaus Wasserscheiden zwischen diesem und dem Solimöes. Sonst ist 
kein Wasserlauf, keine andere Lücke zu erkennen, nur Wald in unend- 
lich glatter Fläche. Den Blick nach Norden und Osten auf den 
Rio Negro versperrt uns die unbezwingbare Felswand, doch können 
wir mit dem Erreichten schon zufrieden sein, denn die Aussicht ist 
herrlich, und es weht eine langentbehrte frische Gebirgsluft, die uns 
die Lungen weitet. Wir sind ungefähr 900 m hoch gekommen-, der 
äußerste Gipfel dieser Kuppe mag noch 100 m höher sein. 

Das Wasser des Tuisica ist nicht „weiß", wie das des Rio Branco 
oder wie das schmutziggelbe Wasser des Solimöes und anderer Flüsse, 
sondern kristallklar, echtes Gebirgswasser. Es ist an seinem Ursprung 
reines Himmelswasser. Die Wolken, die Nebel schlagen an den schroffen 
Abhängen nieder. Auf unserem ganzen Kletterweg entlang der über- 
hängenden Felswand strömte die Feuchtigkeit wie starker Regen auf 
uns herab. — Daher rührt wohl die Sage von dem großen See, 
der sich auf dem Gipfel des Curicuriary-Gebirges befinden soll. — 
Warum aber bleibt das Wasser des Tuisica auf seinem ganzen weiten 
Laufe „weiß", d.h. klar, und warum empfängt er aus demselben Walde, 
den er durchfließt, Wasseradern mit schwarzem Wasser, wie es der 
Cariua-Igarape und der Curicuriary selbst haben? 

Der Abstieg ist noch scheußlicher als der Aufstieg. Wir ver- 
lieren uns mehrmals im dichten Gestrüpp zwischen dem Gewirr riesiger 
Felsblöcke, die zu natürlichen Grotten und Höhlen übereinander getürmt 



Unfall Nasarios 



141 



sind. Zudem hätte Nasario hier um ein Haar einen entsetzlichen Tod 
erlitten. Er war auf der Jagd nach einem Hokko vorausgeeilt und 
hatte schon einmal vorbeigeschossen. Sein Vater war ihm nachgegangen. 
Plötzlich hören wir ein kurzes Gepolter und gleich darauf fürchter- 
liches Gebrüll und „Aga — aga! u , den Schmerzensruf der Indianer. 
Dann schreit der Alte, wir sollten rasch kommen. Wir springen eilends 
hin. Alle möglichen Vermutungen fliegen mir durch den Sinn: Töd- 
licher Sturz vom hohen Baum, Angriff eines Jaguars, einer großen 
Schlange, Kampf mit wilden Maku ! — Nichts von alledem : ein mäch- 
tiger Felsblock, auf den er gesprungen war, hat sich gelöst und ihn 
unter sich begraben. Nur der Kopf mit dem schmerzverzerrten, grauen 
Gesicht ist noch zu sehen ; ein schrecklicher Anblick ! Ich denke nicht 
anders, als der übrige Körper sei zerschmettert, doch da kriecht er 
schon hervor, heil und ganz bis auf eine leichte Quetschung und Haut- 
abschürfung an der rechten Schulter. Unkraut vergeht nicht! Er war 
zum Glück in ein Loch gefallen und hat den Felsen, den ein kleiner 
Baumstamm im Sturze etwas gehemmt hat, mit fast übermenschlicher 
Kraft gehalten, bis es seinem Vater und Schmidt gelang, den schweren 
Block von ihm abzuwälzen; sonst wäre er zu Brei zerquetscht worden. 

Ignacio schießt endlich den Unglücksvogel, der nachher, am Spieß 
gebraten, vorzüglich mundet. Es war ein großer Mutum da serra, 
wie ihn die Brasilianer nennen, mit schwarzem Gefieder, einigen weißen 
Federn am Bauch und einem Kamm aus schwarzen, gekräuselten 
Federchen auf dem Kopf. Der Mutum do campo oder de vargem 
ist kleiner und hat bei einfachem, schwarzem Gefieder nur braune 
Schwanzspitzen. 

Ohne Schwierigkeiten kommen wir wieder im Lager an, da wir 
am vorhergehenden Tage den Weg durch geknickte Zweige und Hieb- 
marken an den Baumstämmen wohl gekennzeichnet haben. 

Unterwegs holt Ignacio von einer hohen Bacabapalme ein Bündel 
reifer Früchte herunter, die, blau angelaufen, wie Pflaumen aussehen 
und an langen, roten, von einem Kolben herabhängenden Stengeln 
traubenartig sitzen. Sie werden in einer länglichen, mit grünen Blättern 
ausgelegten Kiepe geborgen, die die Indianer zu diesem Zweck rasch 
aus zwei Palmblättern herzustellen wissen, indem sie die Fiedern mit- 
einander verflechten. Auch der Tapir liebt die Bacaba, wie wir an 
frischen Spuren sehen, ebenso das Jacuhuhn, der Pfefferfresser und 
andere Tiere. Zum Abendessen gibt es als besonderen Genuß Bacaba- 
brühe. Die Früchte werden in einem Kochtopf mit Wasser kurze Zeit 
einem leichten Feuer ausgesetzt und durch Stoßen mit einem ent- 



142 



Cariua-Igarapt» 



rindeten Stock und Kneten mit den Händen so lange bearbeitet, bis 
eine weißlich« violette, fette, sehr nahrhafte Brühe entsteht, die ab- 
gegossen wird. Mit einem Zusatz von etwas Zucker und Maniokgrütze 
und mit ein wenig Urwaldphantasie schmeckt sie uns vortrefflich, wie 
leichte Schokolade, und sieht auch so aus. 

Am nächsten Morgen fahren wir den Cariua-Igarape noch wenige 
Stunden aufwärts vorbei an einem ansehnlichen Zuflüsse zur Rechten 
mit milchig-weißem Wasser und gelangen bald darauf zu einem male- 
rischen Fall von 4 bis 5 m Höhe in zwei Stufen. Durch einen riesigen, 
quer überliegenden Felsen hat sich der bis auf 10 m Breite zusammen- 
gedrängte, aber anscheinend sehr tiefe Bach im Laufe der Zeit einen 
breiten Weg gebahnt und stürzt unter dieser natürlichen Bogenbrücke 
brausend zu Tal. Dicker, gelber Schaum bedeckt in den ruhigen Buchten 
zu beiden Seiten unterhalb des Falles die dunkle Flut und schiebt 
sich hoch über unser Boot. 

Auf altem, tief ausgetretenem Makupfad umgehen wir den Fall. 
Oberhalb schwimmen uns wieder Schaumbrocken entgegen, Anzeichen 
weiterer Stromschnellen. Der Bach soll in großem Bogen von dem 
Südabhange des Curicuriarygebirges kommen. Noch andere Menschen- 
spuren linden wir hier, mit der Eisenaxt geschlagene Baumstämme 
und einen frisch ausgehauenen, breiten Weg, der zu einer Hütte im 
Walde führt. Leute von Jucaby oder Camanaos sind kürzlich hier 
gewesen und haben Bauholz und Piassabafasern geholt. Diese braunen, 
elastischen Fasern hängen als Rest des von der Witterung zerstörten 
Gewebes dicht am Stamme herab. Manchmal dienen sie Giftschlangen 
als Wohnung. Durch Klopfen werden die Fasern von den holzigen 
Bestandteilen befreit. Auch meine Indianer nehmen dicke Bündel 
davon mit, um zu Hause Besen daraus zu verfertigen. 

Wir fahren nun in den Rio Curicuriary zurück und verfolgen 
diesen weiter aufwärts, um zu einem Flußpfad zu gelangen, der, wie 
wir schon in Süo Felippe gehört haben, zum unteren Caiary-Uaupes 
führen soll. Die Uaupes-Indianer benutzen ihn häufig, um den bösen 
Stromschnellen des Rio Negro und den Ubergriffen der Weißen in 
Silo Gabriel zu entgehen. Auch Flüchtlinge kehren auf diesem Wege 
in ihre Heimat zurück. 

Nur sehr langsam kommen wir gegen die starke Strömung vor- 
wärts, da Nasario jetzt mit Rücksicht auf seine geschundene Schulter 
einen willkommenen Grund hat zu faulenzen und tagelang untätig im 
Boot sitzt und Zigaretten raucht. Schmidt übernimmt das Steuerruder. 

Von den wilden Maku, denen zuliebe wir überhaupt diese beschwer- 



Tukano-IndiaiuT 



143 



liehe Reise unternommen haben, finden wir nur vereinzelte Spuren. 
An einer Stelle ist ein frisches Termitennest so an den überhängenden 
Ast eines Baumes gebunden, daß es den Wasserspiegel berührt. Ein 
schmaler Pfad führt waldeinwärts. Wie mir Ignacio erklärt, dient 
das kugelige Nest seinen wilden Stammesbrüdern als Köder für Aracu- 
fische. Der Schütze verbirgt sich dahinter im Gebüsch. Kommen 
nun die Fische, um nach dem Leckerbissen zu schnappen, so fallen 
sie dem sicheren Pfeil zur Beute. 

Am 14. Februar treffen wir ein Kanu mit einem bekleideten 
Indianer und kommen kurz darauf an eine bewohnte Niederlassung, 
eine saubere Hütte mit schuppenartigem Anbau. Anfangs halte ich 
die Leute für zahme Maku, aber es stellt sich bald heraus, daß es 
Tukano sind, Eingewanderte vom nahen Caiary. Auch Besuch ist da. 
Im Hafen liegen viele Kanus. Bedienstete eines Kautschuksammlers 
am Rio Negro, ebenfalls Tukano, wollen bei ihren Verwandten Maniok- 
stecklinge holen, um für ihren Herrn eine Pflanzung anzulegen. Die 
ganze Gesellschaft sieht schon recht zivilisiert aus. Einige halbnackte 
Weiber ziehen, als wir näher kommen, rasch bunte Zeugjacken an. 
Die Hütte steckt voll europäischen Gerätes. Außer den am ganzen 
Caiary gebräuchlichen Tonwaren, bemalten Schemeln, Körben u. a. 
bemerke ich nicht viel Indianisches. 

Nach der Bewirtung entspinnt sich sofort eine lebhafte Unter- 
haltung, an der sich die Weiber eifrig beteiligen. Der Pfad zum 
Caiary sei sehr kurz und mit Boot und Gepäck gut zu passieren. 
Er gehe nicht unmittelbar vom Curicuriary aus, sondern von seinem 
linken Zufluß Capauary. In vierzehn Tagen könne man im leichten 
Kanu dorthin gelangen ; wir mit unserer schwerfälligen Arche würden 
wohl drei Wochen dazu brauchen. Die Maku kämen manchmal in 
Scharen hier durch ; sie hätten Furcht vor den Weißen. Bisweilen 
träten sie an den Stromschnellen aus dem Walde hervor, um gegen 
europäische Waren beim Durchschleppen der Boote zu helfen. Ihr 
eigentliches Gebiet sei an den Quellflüssen des Curicuriary, die man 
in drei Wochen erreichen könne. Die Maku aufzusuchen, sei unmög- 
lich, da sie ohne feste Wohnsitze in den Wäldern umherstreiften. 

An den folgenden Tagen passieren wir mit großer Mühe drei 
Stromschnellen, die einzigen des mittleren Curicuriary. An der einen 
finde ich Felszeichnungen, die nur leicht auf die Oberfläche des Steines 
geritzt und offenbar erst wenige Wochen, vielleicht Tage alt sind. 
Sie stellen in primitiver Ausführung Affen und Menschen dar, daneben 
Figuren ornamentalen Charakters. Hier wird mir zum erstenmal klar, 



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Tierleben 



wie diese oft tiefen Gravierungen entstehen. Sie finden sich fast 
immer an Stromschnellen und Wasserfällen, wo viele flache Felsen 
umherliegen, und das Durchschleppen der Boote einen längeren Auf- 
enthalt bedingt. Ein Indianer ritzt mit aufgerafftem, spitzem Stein 
halb unbewußt eine Figur nur leicht auf die glatte Felswand; die 
Zeichnung hält sich lange auf dem harten Gestein. Ein anderer, der 
später kommt, zieht, dem Nachahmungstrieb gehorchend, die Umrisse 
spielend nach, und so fort und fort, bis diese im Laufe der Zeit zu 
tiefen Rillen werden. Es bedarf dazu gar nicht einmal so langer Zeit. 

Dieser Curicuriary ist ein merkwürdiger Fluß. Er scheint immer 
breiter zu werden, je höher wir kommen. Jedenfalls ist er hier be- 
deutend breiter als an seiner Mündung. Oberhalb der Stromschnellen 
fließt er ohne merkliche Strömung dahin. Bald breitet er sich see- 
artig aus, bald überschwemmt er weithin die niedrigen Ufer, die mit 
lichtem Wald bestanden sind. Selten unterbrechen kleine Hochwald- 
partien die Einförmigkeit. Öfters stoßen wir auf Spuren von Faser- 
suchern, die an den zahlreichen Piassabapalmen reiche Ausbeute finden. 
Die Vegetation, die ganze Szenerie des stillen Flusses, der zu beiden 
Seiten Lagunen abzweigt, erinnert an den Issana unterhalb der Mün- 
dung des Aiary, nur fehlen im Curicuriary die großen Sandbänke. 

Die Jagd ist spärlich und kann nur gelegentlich während der 
Fahrt ausgeübt werden, da der weithin überschwemmte Wald das Ein- 
dringen verhindert. Hin und wieder turnt eine Bande Uacari-Affen 
von Baum zu Baum, aber vergeblich versuchen meine Indianer sie 
durch Nachahmen ihrer schnalzenden Laute, die wie das Entkorken 
einer Flasche klingen, anzulocken. Schwärme weißer Reiher bedecken 
wie riesige weiße Blüten einen hohen Uferbaum und erheben sich 
scheu, bevor wir auf Schaßweite herankommen können. Bisweilen 
schießt Ignacio vom Boot aus einen Oarara, der mit der Flügelhaltung 
des heraldischen Adlers auf einem Ast sitzt und sich sonnt, seltener 
einen Hokko oder an den wenigen höheren Uferstellen eine Taube. 
Der Fischfang liefert gar keine Beute, da die Fische sich in den 
überschwemmten Wald zerstreut haben. Immer wieder müssen die 
Fleischkonserven herhalten, die uns schon zuwider sind. 

Verschiedenartige Stechmücken, Bienen, Wespen, Bremsen und 
anderes lästiges Ungeziefer verbittern uns manchen Lagerplatz. Be- 
sonders zudringlich sind die uns schon vom Aiary her bekannten 
„Schweißbienchen", die mit Vorliebe Augen, Ohren und Nasenlöcher 
als Angriffspunkte nehmen. Zu Dutzenden sitzen sie auf dem Bissen, 
den man eben zum Munde führen will, und bekommt man eins zwischen 



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3 

3 



□ 

1 




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Flüchtlinge 



145 



die Zähne, so hat man einen Geschmack nach ranzigem Haaröl, 
und der Genuß ist hin. Das Wetter entschädigt uns wenigstens. 
Wir haben ruhige Nächte und sonnige Tage, in die vereinzelte Ge- 
witter Abkühlung bringen. Zahllose Papageien beleben die sonst so 
einförmige Landschaft. An keinem Fluß habe ich so viele von den 
grünen Schreihälsen gesehen und gehört, wie an diesem „Curicuriary", 
der seinen Namen „Papageienfluß" mit Recht führt. Manche Palm- 
stämme sind mit Löchern übersät, von denen eins nicht selten zwei 
bis drei Nester aufweist. 

Am 19. Februar treffen wir verlassene Hütten, Kanus mit nackten 
Indianern, die bei unserer Annäherung entsetzt fliehen, und am folgen- 
den Tage zwei kleinere bewohnte Malokas, die sich durch nichts von 
den Malokas am Aiary unterscheiden. Es sind wieder Tukano, Emi- 
granten vom unteren Caiary, die sich in diese Einöde vor Unbilden 
einer brutalen Zivilisation gerettet haben. Schon in Camanaos wurde 
uns gesagt, es sei schwierig, hier oben Leute anzutreffen, weil dieser 
Fluß eine Art Zufluchtsort für Indianer vom Caiary sei, die ihren 
Herren ausgerissen wären oder sonst irgend etwas auf dem Kerbholz 
hätten. 

In der ersten Maloka ist nur ein kranker Mann anwesend, den 
ein Stachelrochen am Fußgelenk bis auf den Knochen schwer ver- 
wundet hat. Seine junge, für den häßlichen Mann viel zu hübsche 
Gattin pflegt ihn. Vor einigen Monaten, so erzählt er, sei ein Weißer 
aus Sao Gabriel mit einem großen Boot den Fluß heraufgefahren, 
um mit Gewalt Leute zu holen; daher die Furcht vor uns Weißen. 
Die Hängematte, an die der Kranke gebannt ist, schwankte, so zitterte 
der arme Kerl vor Angst, als Joäo Grande, den ich vorausgeschickt 
hatte, ins Haus trat. 

Viel Volk treffen wir in der zweiten Maloka. Ein Kaschirifest 
ist soeben zu Ende gegangen. Auch diese Leute benehmen sich 
anfangs recht ängstlich, werden aber bald zutraulich, als Joao-sie 
über unsere Harmlosigkeit aufklärt. Haus und Bewohner zeigen noch 
wenig europäischen Einfluß. Die meisten Männer sind bis auf die 
schmale Schambinde nackt, die Weiber nur mit Röcken aus europäischem 
Kattun bekleidet. Auf meine Frage nach Ethnographica geben sie mir 
ausweichende Antworten. Auf einem Gestell, das zum Schutze gegen 
Ameisen, Termiten und andere kleine Zerstörer an einer starken Schnur 
von einem Querbalken des Daches frei herabhängt, liegen drei aus 
Palmblättern geflochtene, längliche Kasten, die in ganz Nordwest- 
brasüien zum Aufbewahren von Tanzschmuck dienen, aber sie gehören 

Koch-Ortluberg, Zwei Jahre- bei den Indianern 10 



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146 



Tau bei) falle 



angeblich „anderen Herren", die auf Arbeit in den Kautschukwäldern 
am Rio Negro sind. Wir kaufen einigen Proviant und fahren bald 
weiter. 

Au mehreren dieser Wohnplätze sah ich zum erstenmal sehr 
zweckentsprechende Vogelfallen, die am Caiary allgemein im Ge- 
brauch sind und besonders zum Fang von Tauben verwendet werden. 
Ein starkes Holz wird gebogen und mit beiden Enden fest in den 
Erdboden gesteckt.* In einiger Entfernung davon und im rechten 
Winkel zu diesem Bogenholz wird eine elastische Gerte im Boden 
befestigt. Sie trägt am freien Ende eine aus Palm fasern gedrehte 
Schnur, die in eine Schlinge ausläuft. Im oberen Teil der Schnur 
ist ein Querhölzchen zu zwei uogleichen Teilen eingeknotet. Man 
stellt die Falle, indem man die Gerte umbiegt und das Querhölzchen 
mit dem kürzeren Ende, damit es sich später leichter auslöst, unter 
das Bogenholz klemmt. Zwischen das andere Ende dieses Sperr- 
hölzchens und die beiden Bügel des Bogenholzes wird horizontal ein 
Stab geschoben, der das Sperrbölzchen in seiner Lage und dadurch 
die ganze Falle in der Spannung hält. Auf das eine Ende dieses 
Horizontalstabes, das bedeutend länger über das Bogenholz heraus- 
ragt als das andere, wird kunstgerecht und möglichst unbemerkbar, 
bisweilen auf einem trockenen Blatt, die Schlinge gelegt. Setzt sich 
nun eine Taube auf dieses längere Ende, so drückt sie den Horizontal- 
stab infolge ihrer Körperschwere abwärts. Dadurch wird das Sperr- 
hölzchen frei, und die Gerte Bchnellt mit großer Gewalt zurück. Der 
Vogel aber flattert, an den Beinen gefangen, in der Schlinge (Abb. S. 135). 

Beim Taubenfang werden mehrere dieser Fallen an der Außen- 
seite eines niedrigen, runden Zaunes aufgestellt, der aus kreuzweise 
in den Boden gesteckten Stäbchen besteht. In die Mitte dieses Zaunes 
wird als Lockspeise Maniokgrütze gestreut. Aus Scheu vor dem Zaun 
fliegt die Taube nicht direkt zum Futter, sondern läßt sich in einiger 
Entfernung davon außerhalb des Zaunes nieder, trippelt nach ihrer 
Gewohnheit heran, hüpft auf den Horizontalstab, um über das Hindernis 
zu gelangen, und ist gefangen. 

Wie mir die Indianer versichern, werden derartige Fallen, natür- 
lich von weitaus stärkerer Konstruktion, auch zum Fang von größeren 
Vögeln, ja von Vierfüßlern und anderen Tieren verwendet. 

Am 21. Februar erreichen wir endlich den kaum 40 m breiten 
Capauary, der uns zum Caiary führen soll. Er hat ebenso schwarzes 
Wasser wie der Hauptstrom. Nahe seiner Mündung liegen auf dem 
felsigen linken Ufer einige Tukano-Hütten, und dann kommen bis zum 



Tauchervögel 



147 



Fußpfad keine Anwohner mehr. In den ersten Tagen hält es schwer, 
geeignete Lagerplätze zu finden, da das Hochwasser die niedrigen 
Ufer weithin überschwemmt hat. Ein Nachtlager wird mir immer in 
Erinnerung bleiben. Wir sind den ganzen Tag gefahren, ohne einen 
Fußbreit trockenen Landes anzutreffen. Ein umgestürzter dicker Baum- 
stamm, der ein wenig aus dem Wasser hervorragt, bietet uns schließ- 
lich ein notdürftiges Plätzchen, um ein Feuer anzuzünden. In den 
Asten, knapp über dem Wasserspiegel, schaukeln unsere Hängematten. 

Das korkzieherartig gewundene, träge Flüßchen verliert sich in 
einem Netz von Armen und stillen Lagunen, die häufig untereinander 
in Verbindung stehen, Resten des alten Flußbettes, das sich beständig 
verändert, indem das Hochwasser die schmalen Landbrücken durch- 
bricht. 

Die Fahrt ist unbeschreiblich langweilig. Das geringe Tierleben 
bietet nur wenig Abwechslung. Streckenweise scheint die ganze Natur 
in tiefen Schlaf versunken zu sein. Die stumpfsinnigen Carara treten 
jetzt häufiger auf; ein Zeichen, daß die Trockenzeit zu Ende ist. 
Dieser Tauchervogel ist der schläfrigste der gefiederten Bewohner des 
Tropenwaldes. Sofort nach seinem reichlichen Mahle, das ausschließ- 
lich aus Fischen besteht, hockt er sich mit eingezogenem Hals auf 
dem oberen Ast eines Uferbaumes nieder und nimmt den kaum unter- 
brochenen Schlaf wieder auf. Wird er plötzlich aufgeschreckt, so läßt 
er sich in das Wasser plumpsen und taucht unter. Er vermag infolge 
der eigentümlichen Bildung seines Schnabels an zehn Minuten unter 
Wasser zu bleiben und weiter zu schwimmen und entgeht dadurch 
häufig seinem Verfolger. Anfangs ließen wir uns durch diese List öfters 
irreführen und waren sehr enttäuscht, wenn nach einem Schuß unsere 
Jagdbeute, die wir schon sicher in unseren Händen glaubten, viele 
Meter flußabwärts wohlbehalten wieder auftauchte. Die Carara, die 
an Schwarzwasserflüssen leben, sind recht schmackhaft, wenn auch sehr 
fett. Das weiße Wasser oder vielmehr seine Fische sollen einen üblen 
Einfluß auf das Fleisch der Carara haben und es tranig und ungenieß- 
bar machen. Dasselbe habe ich bei anderen Wasservögeln, besonders 
den Reiher- und Storcharten, beobachtet. 

öfters lassen sich Brüllaffen hören, deren Geheul auch als Vor- 
bote der nahen Regenzeit gilt. Die Indianer sagen, daß die einzelnen 
Banden der Brüllaffen unter Häuptlingen organisiert seien, denen sie 
gehorchten, und die auch die Vorsänger bei ihren Konzerten bildeten. 
Köstlich ist es, wenn Joäo Grande und Ignacio, die im Bug des 
Bootes nebeneinander rudern, den „Guariua tuschaua" (Häuptling der 



148 



Yutuiru-Fall 



Brüllaffen) kopieren, der seine Frau zärtlich umschlungen hält und, sich 
vor- und rückwärts neigend, ein schauerliches Geheul ausstößt. Es 
gehört gar nicht viel Phantasie dazu, um in den beiden alten, grund- 
häßlichen Kerlen wirkliche Brüllaffen zu sehen. 

Bald aber geht uns der Humor aus. Es regnet Tag für Tag in 
Strömen. Ignacio wird krank und liegt fiebernd unter dem Bootsdach. 
Deutlich kann man merken, wie die Langeweile die Leute nervös macht. 
Wenn im Wald in der Stille der Nacht ein dürrer Ast bricht oder 
irgendein Tier in das Wasser platscht, oder gar ein Baumriese, vom 
Zahn der Zeit zernagt, mit donnerähnlichem Krachen, in weitem Um- 
kreis alles vernichtend, zu Boden stürzt, dann sagen die Indianer leise 
zueinander: „Borero! 44 Sie fürchten den Borero, einen bösen Dämon 
der Tukano. In scheußlicher Mißgestalt streift er durch den Wald 
und dreht den Leuten, die ihm begegnen, die Hälse um. 

Am 28. Februar passieren wir über Land den mehrere Meter 
hohen Absturz von Yutuiru, wie die Tukano diesen Wasserfall nennen. 
Mit vereinten Kräften schleifen wir die leere Montaria, von der wir 
das Schutzdach abgenommen haben, die steile, felsige Höhe aufwärts 
auf den eigentlichen Pfad, den anscheinend schon viele Generationen 
in dieser Weise benutzt haben ; denn die hohen Wurzeln der Bäume 
sind glatt abgeschliffen. Es ist ein tüchtiges Stück Arbeit. Nur Fuß 
für Fuß kommen wir mit Hilfe von Rollhölzern vorwärts. Joäo hat 
das Piassabatau, das an der vordersten Ruderbank befestigt ist, auf 
der Höhe um einen Baum geschlungen, zieht es immer nach, wenn 
wir ein Stückchen weiterkommen, und hält mit aller Kraft fest, wenn 
das schwere Boot wieder hinabzugleiten droht. Auf der Hälfte des 
Weges liegt ein Wrack unserer Vorgänger. Oberhalb des Falles 
schwimmt im Ufergebüsch ein aus frischem Holz geschnitztes, win- 
ziges Kanu, ein Kinderspielzeug. Zwei Tage vor unserer Ankunft, so 
haben uns die Tukano erzählt, sei eine große Montaria voll Indianer, 
Männer, Weiber und Kinder, hier durchgekommen, Kobeua vom Querary, 
die mehrere Monate in den Kautschukwäldern am Rio Negro ge- 
arbeitet haben und nun heimwärts reisen. 

Noch drei Tage müssen wir die langweilige Fahrt fortsetzen, bis 
wir endlich am 2. März unter strömendem Regen am Fußpfad zum 
Caiary ankommen. Zur Abwechslung ist Joäo krank an Rheumatis- 
mus und liegt tatenlos in der Hängematte. Während am anderen 
Morgen Schmidt und die beiden Maku mit dem Transport des Bootes 
beginnen, verfolge ich den Pfad, der breit, stellenweise aber sehr ver- 
sumpft ist und Spuren häufiger Benutzung zeigt. Über eine unbedeu- 



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Heisende Tukano-Indianer 



149 



tende Anhöhe, die Wasserscheide, gelangeich, kräftig ausschreitend, nach 
fünfzig Minuten zum Hafen des Carana-Igarap£, der sein schwarzes 
Wasser dem Caiary zuführt. Dort treffe ich eine Bande Tukano- 
Indianer vom Caiary. Sie sind anfangs erschreckt, als so unerwartet 
ein mit Flinte bewaffneter Weißer aus dem Walde tritt, beruhigen sich 
aber sofort, als sie hören, daß ich der „Doktor aus Säo Felippe, der 
Freund der Indianer * sei. Sie haben schon davon gehört, daß ich 
den Issana und Aiary hinaufgefahren und über Land zum Caiary 
gegangen bin. Wie ein Lauffeuer hat sich die Nachricht von dem 
verrückten „Kariua", der weder Kautschuksammler, noch Händler sei, 
nur zum Vergnügen reise und allen möglichen unnützen Kram aufkaufe, 
über das ganze riesige Gebiet verbreitet. Wir haben uns offenbar gut 
eingeführt. 

Die Leute haben drei Kanus, etwas Lebensmittel und ein wenig 
Kautschuk bei sich. Sie wollen über den Curicuriary zum Rio Negro 
fahren, um dort für ihren Herrn zu arbeiten. Ein älterer Mann 
zeigt mir seinen stark geschwollenen Fuß mit heftig eiternder Wunde 
und bittet mich um ein Heilmittel. Zwei Monate vorher ist ihm ein 
Baum daraufgefallen. Trotzdem will er die weite und beschwerliche 
Reise mitmachen. 

In dem sumpfigen Grund nahe dem Ufer ist ein kreisrunder 
Behälter zum Aufbewahren von Schildkröten errichtet, ein an der 
oberen Hälfte mit Lianen zusammengeflochtener Zaun aus starken, 
tief in den Boden gerammten, etwa halbmannshohen Stöcken, die hand- 
breit voneinander stehen. 

Einige hohe Bäume beschatten das Grab eines Uaupes-Indianers, 
eines Flüchtlings, der, wie so viele, an der Mündung des Curicuriary 
seinem Herrn weggelaufen ist, um zu den Seinen zurückzukehren. 
Hier, fast schon in der Heimat, hat ihn sein Schicksal erreicht. Er 
konnte nicht mehr weiter und ist Hungers gestorben. 

Mit zwei kräftigen jungen Männern wende ich mich zum Lager 
zurück. Der Transport des Bootes und Gepäcks geht nun rasch von- 
statten. Leider ereignet sich dabei ein Unfall, der leicht böse Folgen 
hätte haben können. An einer abschüssigen Stelle gleitet das Boot 
den Leuten aus den Händen und stößt mit aller Wucht wider einen 
Baum. Ein breiter Riß klafft im Vorderteil, aber die Indianer wissen 
sich zu helfen. Mit einem alten Hemde Ignacios wird das Leck ver- 
stopft und das Boot mit einem Stück Tau und einem Holzknüppel 
stark geknebelt, so daß nur wenig Wasser eindringt. Auch beladen 
wir hauptsächlich das Heck. 



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150 



Zum Caiary-Uaupes 



Unter großem Hallo schleifen nun die Tukano ihre Kanus her- 
über, wobei ihnen meine Leute redlich helfen. Am nächsten Tage 
werden die Fremden mit Streichhölzern, Tabak, Perlen und anderem 
Kleinkram ausgelohnt, ich verbinde dem Alten seine Beinwunde, taufe 
in aller Eile ein kleines Mädchen auf den Namen „Emilia", und dann 
scheiden wir als gute Freunde. 

Der Carana-Igarape* ist sehr eng und voll niedergestürzter Baum- 
stämme. Hier und da ist ein dicker Stamm, der jetzt hoch über dem 
Wasser liegt, mit der Axt frisch durchgeschlagen und zeigt die schwere 
Arbeit unserer Vorgänger, der Kobeua, die hier mit ihrer großen 
Montaria bei höherem Wasserstande sich einen Weg gebahnt haben. 
Bald biegen wir in einen schmalen Arm zur Linken ein, der bisweilen 
knapp so breit ist wie unser Boot. Mühsam müssen wir das Fahr- 
zeug mit den Rudern weiterstoßen, an den Zweigen und Uferstämmen 
weiterziehen. Jeden Augenblick sitzen wir an seichten Stellen fest. 
Wir fahren durch ein mit hohen Schneidegläsern und niedrigem Ge- 
büsch bestandenes Überschwemmungsgebiet. Wäre das Wasser nur 
ein wenig mehr gesunken, so würden wir mit unserem tiefgehenden 
Boot nie durchkommen. Endlich verlassen wir den gewundenen Arm 
und laufen in den nicht viel breiteren Bach ein, der hier sehr stark 
strömt. Reißend geht es eine Zeitlang abwärts. Scharf müssen die 
beiden Maku achtgeben und das Fahrzeug häufig noch im letzten 
Augenblick von einem drohenden Baumstamm oder quer überhangendem 
Astegewirr mit dem Ruder abstoßen. Auch der immer noch kranke 
JoAo hat beim Steuern keine leichte Arbeit. Die Sonne geht unter. 
Wir verzweifeln schon, noch vor Einbruch der Dunkelheit aus diesem 
Labyrinth herauszukommen, und befürchten, die Nacht wieder über 
dem Wasser zubringen zu müssen, was bei den zahllosen großen Mos- 
kiten gerade nicht zu den Annehmlichkeiten des menschlichen Daseins 
gehören würde. Da öffnet sich vor uns eine kleine Lagune, und wir 
gelangen zu der auf ansteigendem Ufer liegenden Maloka der Tukano, 
die uns ihre Stammesbrüder verheißen haben. Die tolle Fahrt ist zu 
Ende, ein würdiger Abschluß dieser abenteuerlichen Tour zum Curi- 
curiary. Es ist ein lange entbehrter Genuß, wieder unter menschlichem 
Dach zu schlafen, gegen Xachtregen geschützt. 

Unterhalb der Maloka verzweigt sich der Carana-Igarape in zahl- 
reiche Kanäle und langgestreckte Lagunen und mündet schließlich in 
einen Arm des Caiary-Uaupes. Am 6. März nach vierstündiger Fahrt 
begrüßen wir die gewaltige Wassermasse dieses größten Nebenflusses 
des oberen Rio Negro. Der freie Ausblick über den herrlichen Strom 



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Porto Alegrre 



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tut uns wohl. Erleichtert atmen wir auf wie einer, der nach langer 
Haft der Freiheit wiedergegeben ist. 

Der Caiary hat an dieser Stelle eine Breite von mindestens 600 m 
und dunkelgrünes Wasser. Beide Ufer sind mit schönem Hochwald 
bestanden, dessen Baumkronen von dichten Schlinggewächsen lauben- 
artig überwachsen sind, während an den Stämmen zahlreiche Orchideen 
und andere Schmarotzer nisten. Am linken Ufer lugen die braunen 
Malokas der Indianer aus dem Grün hervor. 

Wir durchkreuzen die schwache Strömung des Flusses und besuchen 
die Maloka Cururu, um Lebensmittel zu kaufen. Der Besitzer, ein 
Tariana vom mittleren Fluß, der hier mit anderen Indianern Kaut- 
schuk ausbeutet, ist nicht anwesend. Wir treffen nur einige nackte 
und festlich bemalte Tukano-Jünglinge, die mit gedunsenen Gesichtern 
in der Hängematte faulenzen und auf der Panpfeife blasen. Viele Flöten 
liegen umher. Inmitten des Hauses stehen ein Kaschiritrog und mehrere 
große Kaschiritöpfe ; aber sie sind leider leer. Wir erhalten nichts, 
keine Hühner, keine Fische, keine Maniokfladen, und müssen wieder 
zu Konserven unsere Zuflucht nehmen, die schon auf die Neige gehen. 
Meine Leute sind krank und unzufrieden; sie wollen nach Hause. 
Eigentlich kann ich es ihnen nicht verdenken; denn sie haben sich 
ursprünglich nur für zehn bis zwölf Tage verpflichtet, und nun dauert 
diese fieise bereits einen Monat. Wir fahren deshalb an das rechte 
Ufer zurück zur Niederlassung Porto Alegre, wo ein Weißer namens 
Albino wohnen soll. 

Der Platz besteht aus zwei primitiven Häusern brasilianischen 
Stils mit Strohdach und lebmbeworfenen Wänden. Das eine, dessen 
vorspringendes Dach eine Art Veranda bildet, dient als Wohnhaus, 
das andere, nach dem Holzkreuz auf dem Giebel zu urteilen, als Kapelle. 
Albino, ein hellfarbiger Mestize, empfangt uns freundlich am Hafen. 
Anfangs hat er uns für Colombianer gehalten, die auch hier in üblem 
Rufe stehen. Wie er erzählt, hat er sich für alle Fälle in Waffenbereit- 
schaft gesetzt, seine Winchesterbüchse geladen und die nahe wohnenden 
Indianer benachrichtigt. Er ist angenehm überrascht, als er uns 
erkennt, die er schon flüchtig in Silo Felippe gesehen hat. Auch seine 
Frau stellt er uns vor, eine sehr häßliche Tukano, und seine drei nied- 
lichen Kinderchen, einen Jungen und zwei Mädchen. Das kleinste 
Kind hat leider die krankhafte Gewohnheit des Erdessens, die unter 
den Indianerkindern vielfach verbreitet ist. Es leidet offenbar an 
Leibweh, und sein Schreien stört uns nachts den Schlummer. 

Albino verliert sehr bei näherem Bekanntwerden. Er ist ein 



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Ein „pobre diabo 



„pobre diabo", wie der Brasilianer sagt; ein Wort mit verächtlicher 
Nebenbedeutung, das im Deutschen keine genaue Entsprechung hat: ein 
„ armer Teufel", sowohl in materieller, als auch in geistiger Beziehung. 
Er ist ein typischer Lügner. In seinen Erzählungen mischen sich 
beständig Wahrheit und Dichtung, und es hält schwer, die Spreu von 
dem Weizen zu scheiden. Welches Thema wir auch immer anschlagen, — 
alles kennt er, überall ist er gewesen. Er erzählt von großen Reisen, 
die er gemacht, von furchtbaren Abenteuern, die er bestanden hat. 
Vieles erscheint uns unglaubwürdig und stellt sich später als Lüge 
heraus. 

Er hat angeblich schon den Tiquie bis an seine Quellen befahren. 
Dort treffe man die Andira- Indianer (Fledermaus-Indianer), eine Art 
Maku. Ohne feste Wohnsitze streiften diese nur des Nachts umher ; 
bei Tage aber schliefen sie sehr fest, mit Händen und Füßen an Baum- 
ästen hängend, wie Fledermäuse, und seien so leicht zu fangen. 

Von den Colombianern erzählt er neue Schandtaten, die sich weit 
im Quellgebiet des Caiary zugetragen haben sollen. Sie wären dort 
mit den Umaua, einem sonst als friedlich bekannten Stamme, in blutigen 
Streit geraten. 

Öfters erhalten wir Besuch von Indianern der umliegenden Malokas, 
die Bilderbücher und Photographien betrachten wollen. Der Häuptling 
der nur wenig flußaufwärts gelegenen Tukano-Maloka Santarem, der 
wie ein behäbiger Dorfschulze aussieht, kommt mit Frau und Kind und 
bringt uns frischwarme Maniokfladen und goldgelbe Pupunya-Früchte. 
Der Tariana von Cururu bessert mit seinen Leuten unser Boot aus. 
Beständig sind wir von Neugierigen umlagert, die besonders über 
meine Sprachkenntnisse immer wieder in Erstaunen ausbrechen, da 
das Siusi, das ich vom Aiary her noch einigermaßen verstehe, in 
vielen Wörtern mit dem Tariana identisch ist. So wäre Porto Alegre, 
abgesehen von den zahllosen Stechmücken, für uns ein ganz unter- 
haltender Platz, wenn uns nicht manchmal der Hunger plagte. Es 
ist beinahe so, wie einst in Säo Gabriel. Albino und seine Frau tun 
fast nichts für die Bewirtung ihrer Gäste. Sie haben anscheinend 
selbst nichts. Mehrmals rettet Ignacio die Situation und versorgt uns 
mit großen Fischen, die dieser gewandte Maku mit einer zugespitzten 
Stange, einem ad hoc gemachten Fischspeer, im nahen Bach erlegt ; 
aber der größte Teil davon verschwindet auf Nimmerwiedersehen in 
Frau Albinos Küche. Es ist höchste Zeit, daß wir weiterkommen. 

Schon während der langweiligen Fahrt auf dem Capauary habe 
ich den Beschluß gefaßt, vom Caiary aus nicht direkt nach Säo Felippe 



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Schmidt fährt nach Säo Felippc 



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zurückzukehren, zumal die Curicuriary-Tour ethnographisch ziemlich 
ergebnislos verlaufen ist, sondern den Tiquie soweit wie möglich zu 
befahren. Aus den phantastischen Erzählungen Albinos und den An- 
gaben der Indianer habe ich wenigstens so viel heraus gehört, daß 
dieser Fluß von mehreren Stämmen stark besiedelt ist und mir ein 
reiches Arbeitsfeld bieten wird. Da ich für diese Reise nicht genügend 
ausgerüstet bin, so fährt Schmidt mit meinen bisherigen und sieben 
neuen Ruderern in einem eleganten Kanu, einem wahren Rennboot, 
nach Säo Felippe, um dort Tauschwaren und photographische Platten 
zu holen, vielleicht auch die inzwischen angekommene Post. Ich will 
einstweilen allein vorausfahren. 



XLII. Kapitel 



Bei den Tukano- und Desana-Indiaiiern 

Am Morgen des 11. März fahre ich ab, dem Tiquie entgegen. 
Ich habe nur drei Ruderer bekommen können, die sämtlich dem 
großen Stamme der Tukano angehören : Battista, den Schwager Albinos, 
Augustino, einen älteren Mann, als Pilot und einen schlanken, bis auf 
die Schambinde nackten Jüngling vom Cabary-Igarape, einem Zufluß 
des mittleren Tiquie, namens Mandu, der eines Tages mit seinen 
Angehörigen auf der Durchreise in Porto Alegre vorsprach und von 
Albino für mich gemietet wurde. 

Wir machen einen kurzen Besuch in dem gegenüberliegenden 
Nanarapecuma (Ananasspitze), Battistas Heimatort, wo dieser seine 
Hängematte und Maniokfladen als Reisezehrung holen will. Das Dorf, 
eine frühere Mission, setzt sich aus zwei brasilianischen Wohnbütten 
und einer geräumigen Maloka zusammen. Zurzeit scheint nur Battistas 
Familie anwesend zu sein, seine Mutter, seine junge Frau und einige 
hübsche Kinderchen. Die Weiber sind gerade bei der Töpferei. Ein 
paar wohlgeformte Töpfe aus frischem Ton stehen zum Trocknen in 
einer Ecke der Wohnung nahe dem Herdfeuer. 

Die Nacht verbringen wir in Agutiroca (Aguti-Haus), einer eben- 



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Lappenbaum 



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falls von Tukano bewohnten Maloka von sechs Feuerstellen auf dem 
hohen rechten Ufer. Wir werden in Abwesenheit der Männer von 
einer älteren, sehr energischen Dame empfangen. Während sie sich 
mit uns unterhält, kommt ein etwa dreijähriger, kräftiger Knabe 
aus der Schar seiner Gespielen herbeigesprungen, nimmt ihr die 
Zigarette aus der Hand, tut einige Züge daraus und gibt sie ihr 
zurück. Darauf macht er es sich auf ihrem Schoß bequem und saugt 
eifrig aus ihrer Brust den erfrischenden und nährenden Trank. Keinen 
Augenblick hat die Frau dabei ihre Rede unterbrochen. 

Auf der Weiterfahrt kommen wir an einem „Lappenbaum'* vor- 
über. Am linken Ufer ragt ein uralter, einst niedergestürzter und 
gänzlich der Kinde entkleideter Baumstamm aus dem Wasser. Er ist 
der Sitz eines alten, weiblichen Zauberarztes, so erklärt mir Battista. 
Jeder Indianer, der hier flußaufwärts vorbeifährt, läßt dem Geist eine 
mehr oder minder wertvolle Gabe zurück, um sich eine gute Reise 
zu sichern. Es hängen da: eine zerrissene Hängematte, ein Körb- 
chen mit einem Stück Maniokfladen darin, ein Affenfell, mehrere 
Fische, ein Paket brasilianischen Tabaks, das sich bei der Unter- 
suchung als leer erweist, einige verschnürte Bündel unbekannten Inhalts, 
Blätter aus feinem, rotem Baumbast, die von den Indianern als Zigaretten- 
Umhüllung verwendet werden, ein altes Hemd, sogar ein rundes Ter- 
mitennest und anderes mehr. Auch wir spenden unseren Tribut in 
Gestalt einiger Zitronen und Waldfrüchte, um uns den Geist günstig 
zu stimmen (Abb. S. 154). 

Gegenüber der Mündung des Tiquie, die wir gegen zehn Uhr erreichen, 
hat sich ein junger Brasilianer angesiedelt. Wir frühstücken in seinem 
noch unfertigen Blockhaus, das er sich von einer Anzahl Indianer 
erbauen läßt. Abilio, so heißt er, stammt aus dem fernen Matto 
Grosso. Er hat in Cuyaba das Gymnasium und in Rio de Janeiro 
die Kriegsschule besucht. Seine Verwandten sitzen als Herren auf 
den großen Viehwirtschaften um Cuyaba. So haben wir manchen 
gemeinsamen Bekannten, da ich mich (1899) mehrere Wochen in der 
Hauptstadt Matto Grossos aufgehalten habe. 

Der Rio Tiquie, der uns nun aufnimmt, kommt aus Westen und 
hat schwarzes Wasser. Wenige Stunden oberhalb seiner Mündung, 
wo er eine Breite von etwa 150 m hat, fließt ihm von Süden her der 
ansehnliche Ira-Parana zu, der der schwarzbraunen Farbe seines 
Wassers seinen Namen „Hooigfluß* verdankt. Sein Unterlauf sei 
unbewohnt; in seinem Quellgebiet aber treffe man neben anderen 
Stämmen viele Maku, die zum Teil seßhaft seien, und weiter im Süden 



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Der untere Tiquie 



die Yahuana und Miranya. Nach etwa dreißig Tagen Kanufahrt 
komme man an einen Pfad, der in einem Tag zu einem Zufluß des 
Yapura führe, oder auch „Yupura", wie die Indianer vielfach diesen 
großen Nebenfluß des Amazonenstromes nennen. Die Yahuana und 
Miranya seien schon Yapura-Bewohner. 

Wir verlassen öfters den Hauptfluß, dessen starke Strömung 
unseren geringen Kräften große Schwierigkeiten bereitet, und fahren 
durch die schmalen Arme, in die sich der untere Tiquie verzweigt, 
um seine vielen Windungen abzuschneiden. Der Tiquie zeigt den 
Typus aller Flüsse zwischen dem Rio Negro unterhalb der Einmündung 
des Caiary-Uaupes und dem Yapura. Sein unteres Flußgebiet ist bis 
auf wenige höhere Stellen Flachland. Aus den ÜberschwemmungeD, 
die bei Hochwasser beide Ufer heimsuchen, haben sich im Laufe der 
Zeit zahlreiche Seen gebildet, die mit dem Hauptfluß durch schmale 
Zugänge in Verbindung bleiben und von kleinen Wasseradern gespeist 
werden. Alle diese Seen und die Zuflüsse des unteren Tiquie haben 
schwarzes Wasser und führen zum Teil davon ihre Namen, so der 
„Blutsee", der „Rotwasserbach" und andere. Die Vegetation zeigt 
den echten tropischen Sumpfwald, wie man ihn sich nur in der kühnsten 
Phantasie vorstellen kann. Überall sieht man mangrovenartige Laub- 
bäume, unter deren gebogenen Stützwurzeln zur Not ein Kanu durch- 
fahren kann, mit langen Stacheln bewehrte Yauary-Palmen, hohe 
Miriti-Palmen mit ihren mächtigen Blätterkronen und die mannig- 
fachsten Epiphyten, die der von Wasserdampf geschwängerten Luft 
ihr Schmarotzerdasein verdanken. Alles ist von Schlingpflanzen zu 
einem unentwirrbaren Chaos verstrickt. Tagsüber haben wir unter 
Wolken von Stechmücken zu leiden, die morgens und abends von 
großen Bremsen abgelöst werden. 

Wir übernachten in vereinzelten Malokas, die jetzt zur Zeit der 
Kautschukernte leer stehen und von Sandflöhen wimmeln, oder unter 
offenen Schuppen von Kautschuksammlern. Der untere Tiquie ist 
verhältnismäßig reich an Kautschuk minderer Qualität, der nicht von 
Weißen, sondern nur von Indianern in primitiver Weise und mit 
geringem Ertrage ausgebeutet wird. 

Von Zeit zu Zeit begegnen wir Kanus mit nackten Insassen, die 
rasch an uns vorüberfahren oder auch, wenn es Bekannte sind, meine 
Leute in längeren Gesprächen festhalten. Ihre Ladung, ein wenig 
Kautschuk und Lebensmittel, Maniokgrütze, Bananen, Ananas und 
lebende Hühner, ist für Abilio bestimmt. 

Am 14. März kommen wir frühmorgens zu einem rechten Neben- 



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Kuraaa- und Miriti-Indianer 



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floß, an dem wir eine bewohnte Ansiedelung zu finden hoffen. Mühsam 
bahnen wir uns einen Weg durch das Astegewirr, da die Indianer 
nur einen schmalen Durchschlupf für kleine Kanus freigelassen haben. 
Weiter oberhalb kräht ein Hahn, Battista wirft sich in Besuchs- 
toilette, d. h. er setzt seinen alten Filzhut auf, das sicherste Zeichen, 
daß die Ansiedlung nahe ist. Ein kräftiger Alter erwartet uns am 
Hafen. Zur Feier unserer Ankunft hat er ein unglaublich zerrissenes 
und schmutziges Hemd angezogen. Etwas abseits, inmitten einer großen 
Maniok-Pflanzung steht ein kleines Haus, viel zu klein für so viele 
Bewohner, sieben Männer, ebenso viele Weiber und zehn Kinder. Die 
zwei Räume, in die das Haus durch niedrige Scheidewände geteilt ist, 
hängen voll Hängematten. Bei den Kuraua, die hier wohnen, sind mehrere 
Miriti-Indianer vom mittleren Tiquie mit ihren Familien zu Besuch, 
auffallend große, herkulisch gebaute Männer mit klobigen Gesichtern, 
die infolge starker Entwicklung der Stirnwülste einen finsteren Aus- 
druck aufweisen. Die Kuraua, die sich in ihrer Sprache Yohoroa 
nennen, sind aus Yukirarapecuma (Salzspitze), dem Hauptsitze dieses 
kleinen Stammes am mittleren Caiary, hierher eingewandert. 

Die Unterhaltung findet in der Tukanosprache statt, die am ganzen 
Tiquie* als Verkehrssprache gilt. Zudem sprechen die Miriti oder 
Neenoa, wie sie sich selbst nennen, heute nur noch Tukano, und 
die Ktiraua einen Dialekt, der nur wenig davon abweicht. Die Neenoa 
hätten früher eine sehr häßliche Sprache gehabt, „häßlich wie Maku". 

Ein solches zeremonielles Zwiegespräch ist nach unseren Begriffen 
äußerst langweilig anzuhören. Der eine stößt einzelne kurze Worte 
rasch hervor ; der andere wiederholt immer das letzte Wort, wobei er 
häufig „ha, e, aha" und andere Laute hinzufügt Öfters wiederholen 
beide mehrmals wechselweise ein Wort und lassen es mit vielen höf- 
lichen „ha, e, aha, nötäui, nötäpi, nötapa, nÖtäui(ne), nötäpano, nötä- 
pena" usw. in unzähligen Variationen leise verklingen. Dabei wird 
nur mit halblauter, gleichgültiger Stimme und langen Pausen gesprochen. 
Die Sprechenden schauen sich wie am Aiary nicht an, sondern blicken 
zu Boden oder zur Seite. 

Battista und Augustino kehren von hier aus zurück, nachdem sie 
mir drei neue Ruderer besorgt haben, mit denen ich sogleich die 
Reise fortsetze. Am nächsten Morgen erreichen wir an einem größeren 
linken Nebenbach ein von Desana bewohntes Haus. 

Die Desana des Tiquie sind vom benachbarten Papury, dem zweit- 
größten rechten Nebenflusse des Caiary, eingewandert, wo noch heute 
die Hauptmasse des Stammes sitzt. Am Tiquie bewohnen sie mindestens 



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158 Desana-Indianer 

ein Dutzend Malokas mit zweihundert bis dreihundert Seelen. Bei 
den alteingesessenen Tukano gelten sie noch jetzt als Eindringlinge, 
was sich in der Lingoa-geral-Bezeichnung Papury-uara (Papury- 
Bewohner) ausspricht, die ihnen die Tukano gern beilegen. Von ihren 
Nachbarn werden die Desana etwas über die Achsel angesehen. Sie 
sollen der einzige Stamm sein, der Ehen mit Maku eingeht, was z. B. 
die Tukano streng vermeiden. Uberhaupt haben sie im Äußeren etwas 
„Makuähnliches 1 '. Manche halten sie geradezu für Mischlinge zwischen 
Maku und anderen Stämmen. Ich möchte dies nicht annehmen, da 
sie eine eigene, vom Tukano sehr verschiedene, wenn auch zu derselben 
Gruppe gehörende Sprache sprechen. Zu den Tukano des Tiquie 
stehen die Desana in einer Art von freundschaftlichem Untertanen- 
verhältnis; aber zwischen beiden Stämmen herrscht ein gewisser Anta- 
gonismus, wie ich mehrfach beobachtet habe. Bei Begegnungen auf 
dem Fluß fahren beide Teile meistens ohne Gruß aneinander vorüber. 
Eines Tages, als ich mit Desana-Ruderern im Walde frühstückte, 
kam ein Boot mit Tukano an. Nur mein Tukano Mandu ging zum 
Hafen und führte mit seinen Stammesgenossen ein längeres Gespräch. 
Die Desana begrüßten die Fremden nicht einmal, geschweige denn, 
daß sie sie zu ihrem Frühstück einluden, wie es sonst üblich ist. 

Somatisch unterscheiden sich die Desana sehr von den anderen 
Stämmen des Tiquie\ Ihr Körper ist bei weitem nicht so gut pro- 
portioniert und wohlgebildet, sondern von plumpem Knochengerüst. 
Charakteristisch 6ind die bedeutende Kopfhöhe, das gewölbte Hinter- 
haupt und das struppige Haar. Die durchschnittlich häßlichen, ovalen 
Gesichter fallen auf durch starke Stimwtilste, vorspringende Backen- 
knochen, rohe Stumpfnasen mit dicker Spitze und schlitzförmige, etwas 
schräggestellte Augen. 

Sie nennen sich selbst Wina. Der Name Desana ist einer 
Aruaksprache entnommen; denn die Tariana, die ein reines Glied 
der Aruakgruppe darstellen, nennen diesen Stamm in ihrer Sprache 
Dätsana. 

Die Desana, bei denen wir Unterkunft gefunden haben, sind 
offenbar wohlsituierte Leute. Wir werden reichlich bewirtet. Über 
einem Querbalken des Hauses hängen ganze Lasten reifer Maiskolben. 
Ein großer hellgrüner Papagei mit gelben Federn im Schwänze krabbelt 
darauf herum und knabbert daran, wird aber jedesmal von den Weibern 

unter lautem „Tsu — tsu — tsu — tsu !* oder „Sch — sch! M , 

wie bei uns, verjagt. An einem Hauspfosten hängt ein dickes Bündel 
Tanzklappern, geflochtene Bänder mit anhängenden halbierten, harten, 



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Zum Urubu-Lago 



159 



braunen Frachtschalen, wie sie am Aiary von den Tänzern um den 
rechten Fußknöchel getragen werden. Auf einem Lattengestell stehen 
zwei Federschmuckkasten. Aber alle diese schönen Sachen scheinen 
einem Abwesenden zu gehören und nicht verkauft zu werden. Wenigstens 
steht man meinen Handelsgelüsten sehr kühl gegenüber. Ein langer 
Kerl mit finsterem, häßlichem Gesicht, der mich Uberhaupt nicht be- 
grüßt hat, sondern die ganze Zeit, mich argwöhnisch betrachtend, 
in der Hängematte liegt, hat den berühmten Schmuck der Uaupes- 
Indianer, einen feingeschliffenen und an dem einen Ende durchbohrten 
Quarzzylinder, um den Hals hängen. Als ich ihn frage, ob er ihn 
mir verkaufen wolle, antwortet er nur sehr lakonisch, aber mit Nach- 
druck: „Nein!" Ein Alter will für einen Quarzschmuck und drei 
Fußklappern eine Flinte haben! Nach langem Hin- und Herreden 
erstehe ich drei Klappern — viel zu teuer — für ein großes Wald- 
inesser. Bei den Verhandlungen tut sich eine alte Frau sehr hervor 
und überschreit schnatternd die Männer. Auch hier sehe ich ein 
zwei- bis dreijähriges Mädchen an der Mutterbrust trinken. 

Zum Abschied muß ich Kinder taufen, zwei Mädchen. Das eine, 
das schon recht groß ist, weint und sträubt sich heftig. Ich taufe 
es auf den Namen Antonia, den ich wiederum selbst vorschlage; 
den anderen Namen, den mir die Indianer sagten, habe ich falsch 
verstanden und dann vergessen; jedenfalls war er sehr sonderbar. 

Am nächsten Tage bringen mich drei Desana zum Urubu-Lago, 
wo wir gegen Abend ankommen. Wir fahren bis an das Ende des 
langgestreckten Sees, steigen eine Anhöhe aus gelbem Lehm hinan 
durch niedrigen Wald und gelangen über einen freien Dorfplatz zu 
einer unfertigen, an der Vorder- und Rückseite offenen Maloka. 

Von einem dicken älteren Herrn namens Marco werden wir 
freundlich empfangen. Er setzt sich bald zu mir und erzählt mir in 
Lingoa geral, die er vollkommen beherrscht, seine Lebens- und Leidens- 
geschichte. Sein verstorbener Vater sei Häuptling von Taracua ge- 
wesen, einem jetzt eingegangenen, großen Dorf der Tukano, einer 
früheren Mission, die etwas oberhalb der Mündung des Tiquie* auf 
dem rechten Ufer des Caiary lag. Er selbst habe eine große Maloka 
in Cururu am unteren Tiquie* gehabt, aber eines Tages sei der frühere 
Superintendente von Silo Gabriel mit seinen bösen „Surara" (Soldaten) 
gekommen, habe seine schöne Maloka mit allem Hausgerät nieder- 
gebrannt und die Bewohner mißhandelt. Er zeigt mir eine breite 
Narbe über seiner Oberlippe, die von einem Säbelhieb herrührt. Seine 
Frau hat davon eine Narbe über der einen Hand. Marco flüchtete 



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Indianische Astronomie 



sich mit seinen Angehörigen zum Urnbu-Lago unter den Schutz der 
Neenoa, denen diese neue Maloka gehört. Hinter der Maloka hausen 
er und seine erwachsenen Söhne mit ihren Familien eng zusammen- 
gepfercht in einigen provisorischen Hütten. 

Im Laufe der Unterhaltung zählt er mir alle Orte, die ich am 
Tiquie passieren müsse, und alle Stämme, die ihn bewohnen, in seiner 
Sprache auf. Von sich sagte er stolz, indem er sich auf die Brust 
schlägt: „Ische tukano — daebsd, tukano mira — dachsea!" „Ich 
bin ein Tukano, wir sind Tukano ! u Auch am Papury säßen 
viele und volkreiche Stämme: „Mira — mira — mira!" („Leute — 
Leute — Leute!") Alle Stämme des Tiquie* seien gut, nur die Maku 
taugten nichts. 

Ich will hier Schmidt erwarten. Marco errichtet mit seinen Söhnen 
in einer Ecke der Maloka ein Gerüst, auf dem er mein Gepäck auf- 
stapelt, zum Schutze gegen die Blattschneide - Ameisen, vor deren 
scharfen Kiefern kein Leder sicher ist. Während der nächsten zwei 
Wochen verlebe ich hier allein mit den Indianern friedliche und genuß- 
reiche Tage. Bald bin ich mit diesen prächtigen, unverdorbenen 
Menschen so vertraut, als wenn wir uns schon seit Jahren kennten. 
Große Freude mache ich ihnen, wenn ich erkläre, daß ich nun ganz 
zu den „ Urabu-ipaua-uara" (Urubu-Lago- Bewohnern) gehöre. 

Jeden Abend sitzen wir zusammen und treiben wissenschaftliche 
Studien. Ich erzähle ihnen von den Stämmen am fernen Xingu, die 
ich 1899 kennengelernt habe, und sie geben mir ethnographische 
Einzelheiten über die Anwohner des Oaiary und seiner Nebenflüsse. 
Später hocken wir uns vor die Maloka, auf den weißen Sand des 
Dorfplatzes, um die frische Nachtluft zu genießen, und nun kommt 
die Astronomie an die Reihe. Der neue Mond wird mit Jubel begrüßt. 
Sie zeigen und benennen mir die an dem klaren Himmel wunderbar 
leuchtenden Sternbilder, in denen ihre Phantasie Menschen und Tiere, 
häufig Gestalten ihrer Sage, und nach der Ähnlichkeit Gegenstände 
des täglichen Lebens sieht. Was ich so durch praktischen Unter- 
richt lerne, wird bei Tage aus dem Gedächtnis wiederholt und durch 
Zeichnungen in den Sand und mit dem Bleistift in das Skizzenbuch 
in richtiger lokaler Anordnung der einzelnen Konstellationen erläutert 
und gefestigt. 

Die Sterne haben für den Indianer, abgesehen davon, daß sie 
mit seinen Mythen eng zusammenhängen, ein ganz besonderes, prak- 
tisches Interesse. Sie gelten ihm als Zeitmesser, als Wegweiser ; nach 
der Stellung der einzelnen Sternbilder zueinander berechnet er die 



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Verschiedene Anstandsbegriffe 



161 



Jahreszeiten, bestimmt er die Arbeit in seinen Pflanzungen. Daher 
freut es ihn auch, wenn man dieses Interesse teilt. Bin ich in diesen 
Stunden der Schüler, so kann ich ihnen wieder imponieren, wenn ich 
die „Muhipu" (Sonne) herunterhole, d. h. ihnen die Haut mit einem 
Vergrößerungsglas verbrenne. Man kann aber auch die Wissenschaft 
Ubertreiben. Eines Nachts gegen vier Uhr weckt mich ein junger 
Mann, einer meiner eifrigsten Lehrer, aus süßem Schlummer: Ich 
solle einmal hinausgehen, der „Bolaka M (Morgenstern) sei so schön 
zu sehen! 

Größere Schwierigkeiten habe ich bei der Spracbaufnahme, deren 
Zweck sie nicht einsehen. Ich muß alle Wörter gleichsam spielend 
aus ihnen herausholen, dann macht es ihnen selbst Spaß, und ich 
erhalte das, was ich haben will. Uber die Pronomina können wir 
uns gar nicht einigen, trotz ihrer Bereitwilligkeit und Engelsgeduld; 
sie verstehen mich einfach nicht. Hier spricht kein Mensch auch 
nur eine Silbe portugiesisch und nur wenige die Lingoa geral. Als 
ich Marco nach den Verben „gebären* und „geboren werden" frage, 
antwortet er mir zu meinem Erstaunen ganz leise und mit einem ver- 
legenen Seitenblick auf die Weiber. Es ist gewiß ein feiner Anstands- 
begriff, daß der Mann sich scheut, über eine Handlung zu sprechen, 
die nur die Frau angeht, und bei der die Anwesenheit der Männer 
ausgeschlossen ist. Gar nicht prüde sind sie dagegen bei Wörtern, die 
wir allenfalls nur verblümt auszusprechen wagen. Ja, es bereitet ihnen 
offenbar einen naiven Genuß, mich wiederholt nach dergleichen in 
meiner Sprache zu fragen. Meine gute Erziehung sträubt sich bisweilen, 
ihre neugierigen Fragen zu beantworten, zumal in der Anwesenheit 
von Damen, die jedoch „gar nichts dabei finden". Nie habe ich den 
Eindruck, daß es sich um bewußte Zoten handele. 

Auch meinen Namen wollen sie wissen. „Dotoro", erkläre ich 
ihnen, sei in meiner Heimat dasselbe wie hier „Paye* (Zauberarzt). 
„Koch" bemühen sie sich vergeblich nachzusprechen. Der dicke Marco 
bringt schließlich einen heftigen Schnarchlaut zustande, der von allen 
unter jauchzendem Jubel nachgeahmt wird. Noch lange, nachdem wir 
uns mit einem freundlichen: „Bis morgen!" getrennt haben, ertönen 
diese linguistischen Schnarchkünste aus den verschiedenen Hängematten. 

Uber meine Herkunft und meine Familienverhältnisse muß ich 
ihnen genauen Bescheid geben: ob ich „Flußbewohner" oder „Gebirgs- 
bewohner" sei, ob ich eine Frau, und wie viele Kinder ich habe. Den 
Photographien meiner Angehörigen, besonders vier Bildern meiner 
Braut, bringen sie das größte Interesse entgegen. „Zeige deine Frau!* 

Koeb-0 rilnberg, Zwei .Jahre bei den Indianern 11 



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Indianischer Stutze 



so heißt es immer wieder, and ebenso oft kehrt die durch die vier 
verschiedenen Aufnahmen veranlaßte Frage wieder, ob ich vier Frauen 
habe, wie es sich für einen so mächtigen und reichen Häuptling 
geziemt. 

Ihre Ehrlichkeit ist verblüffend. Ich könnte alle Koffer offen 
stehen lassen; sie entwenden nichts. Sogar bedruckte Papierschnitzel, 
die ich wegwerfe, Stückchen abgetropften Stearins legen sie mir immer 
wieder sorgfältig auf meinen Klappstuhl. 

Viele Indianerinnen heiraten außerordentlich früh. Hier gibt es 
zwei Frauen, die kaum dem Kindheitsalter entwachsen sind und viel- 
leicht vierzehn bis fünfzehn Jahre zählen. Die eine hat schon zwei 
Kinder, darunter ein Mädchen von mindestens drei Jahren. 

Marco kann als reiner Typus des Tukano- Stammes gelten, dessen 
charakteristische Merkmale folgende sind: Runder, dicker Kopf, breites 
Gesicht mit meist gerade gestellten Augen und gutmütigem Gesichts- 
ausdruck, häutig starke Stirnwülste, großer Mund mit vollen Lippen, 
gerade Nase mit breiten Nasenflügeln, welliges, bisweilen fast gelocktes 
Haupthaar. Die gewöhnliche Körperhöhe beträgt zwischen 160 und 
170 cm. Sehr häufig trifft man bei diesem Stamme wohlbeleibte, breit- 
schulterige Gestalten mit herkulischer Muskelbildung. 

Im ganzen scheinen die Bewohner von Urubu-Lago gesunde Leute 
zu sein, die besonders durch ihre prachtvollen Zähne, einen seltenen 
Schmuck bei den Indianern, angenehm auffallen. Unter den Kindern 
befindet sich ein in den Schultern verwachsener Knabe von etwa sechs 
Jahren; ein anderer ist am ganzen Körper mit weißer Fleckenkrankheit 
behaftet ; glücklicherweise eine Ausnahme am Tiquie. Auch das Söhn- 
chen eines jungen Neenoa, des eigentlichen Hausbesitzers, ist ein 
Krüppel. Der eine Fuß ist im Gelenk nach innen gekrümmt. Der 
Vater bittet mich um ein Heilmittel gegen das Übel. — Was könnte 
hier ein tüchtiger Missionar mit medizinischen Kenntnissen Segens- 
reiches leisten! — Rührend ist die Zärtlichkeit des Vaters zu dem 
armen Kinde. Kommt er vom Fischfang heim, so springt er mit dem 
Kleinen auf dem Arm in der Maloka herum und singt ihm Tanz- 
weisen vor. 

Auch einen richtigen Dandy gibt es in Urubu-Lago, einen Jüng- 
ling von etwa achtzehn Jahren. Seine Brust ist «stets mit Perlen- 
schnuren behängt. Um den Hals trägt er mehrere Bänder aus Perlen 
und viereckig zugeschliffenen Stückchen aus glänzend schwarzen Palm- 
fruchtschalen und tief auf die Brust herab den reichsten Silberschmuck, 
so daß es bei jedem Schritt an ihm klingt und klirrt. Bevor er zum 



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Körpcrbemalung 



163 



Fischfang geht, kämmt er sich mit Hilfe eines kleinen Spiegele, von 
denen er mehrere besitzt, sorgfältig die Haare, legt all seinen Schmuck 
an, bemalt sich das Gesicht mit feinen roten Mustern und vergißt 
auch nie, seine kleine Plötenpfeife aus Hirschknochen mitzunehmen. 
Kehrt er, meist mit Beute beladen, heim, so hört man ihn schon von 
weitem seine schrillen, monotonen Weisen blasen. An jeder Seite hat 
er einen grünen Zweig unter die Hüftschnur geklemmt, wie ihn die 
Männer zur Kaschiri-Zeit tragen. — Ein lieber lustiger Narr. 

Die Eitelkeit des Dandys wirkt ansteckend. Die jungen Männer und 
auch mein Mandu wechseln des Tages mehrmals die Gesichtsbemalung 
und finden immer neue Muster (Abb. S. 367). Die Malstäbchen sind 
dieselben wie am Aiary, dünne Holzstäbchen, die an dem einen Ende 
mit einer Faseruniwicklung verdickt sind. Die rote Farbe (Bignonia 
Chica) wird in kleinen Brocken in Säckchen aus rotem Bast oder in 
kleinen kugeligen Kalabassen aulbewahrt. Auch haben sie eine Art 
Farbtuben aus glänzend schwarzen Palmfruchtschalen, die häufig mit 
Ritzmustern verziert sind. An der Seite haben diese Fruchtschalen 
ein Loch, das zum größten Teil mit Wachs zugeklebt ist, so daß man 
immer nur wenig Farbe herausschütteln kann (Abb. S. 242). Beim 
Gebrauch zerreibt man ein Bröckchen Farbe auf dem Knie, dem Ober- 
schenkel oder auf der Seite des Fußes und dreht das mit Speichel 
angefeuchtete Malstäbchen mehrmals darauf hin und her. Zur Körper- 
bemalung mit Genipapo-Saft bedienen sich die Indianer am Tiquie 
zylindrischer Rollstempel aus sehr leichtem Holz, in die Muster ein- 
geschnitten sind. 

Es ist eine sehr fleißige Bevölkerung. Jeden Morgen, häufig 
lange vor Sonnenaufgang bei Fackelschein, gehen die Männer zum 
Fischen und mit Tagesanbruch die Frauen auf die Pflanzungen. Dann 
bleibe ich ganz allein zurück in dem großen Haus, oder die alte Groß- 
mutter leistet mir Gesellschaft und wartet den Enkel, wobei sie, um 
den kleinen Kerl zu belustigen, dieselben Späßchen macht und die- 
selben unartikulierten Laute ausstößt, wie es die Großmütter bei uns 
tun. Sie ist nie untätig und macht sich in mannigfacher Weise nützlich. 
Nachmittags holt sie in einem großen Tragkorb schwere Lasten Brenn- 
holz für die Nacht, ein Geschäft, das sonst den Familienvätern obliegt. 
Sie jätet fleißig Unkraut auf dem Dorfplatz und kehrt von Zeit »zu 
Zeit die Maloka. Führt sich ein Hund im Hause ungebührlieh auf, 
so schafft sie scheltend den Schmutz weg. Gewöhnlich sitzt sie still- 
vergnügt in einer Ecke und zieht feine Palmfasern aus. 

Man lebt in Urubu-Lago fast nur von Fischen, die in großer 



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Frogchftchenkel 



Menge gefangen werden. In der Maloka finden sich nur ein Blasrohr 
und ein Köcher mit ein paar Giftpfeilchen, mit denen höchst selten 
einmal ein Hokko oder ein anderer Hühnervogel geschossen wird. 
Dagegen gibt es mehrere Bogen, viele Fischpfeile, Angeln, Netze ver- 
schiedener Größe, aber keine einzige Feuerwaffe. Jeden Mittag geht 
Marco mit seinen Söhnen in den Wald, um feine Lianen und anderes 
Material für Reusen und große Fischfallen zu holen. 

Hunger braucht man nicht zu leiden. Außer den üblichen beiden 
gemeinsamen Mahlzeiten, frühmorgens und abends kurz vor Sonnen- 
untergang, welche Männer und Weiber inmitten der Maloka getrennt 
voneinander einnehmen, gibt es tagsüber in den einzelnen Familien- 
abteilungen kleinere Extramahlzeiten. Von den Fischen, die der Mann 
heimbringt, läßt er durch seine Frau einen Teil sofort zubereiten und 
lädt dann alle anwesenden Männer zu dem improvisierten Mahl. Von 
jeder Mahlzeit erhalte ich meinen reichlichen Anteil, häufig mehr, als 
ich bewältigen kann. 

Zum erstenmal in meinem Leben esse ich hier Froschschenkel. 
Die Indianer, die große Liebhaber von Fröschen sind, fangen sie in 
Menge, spießen sie lebend auf einen Stock und legen sie wenige 
Minuten in das Feuer, bis alles Schleimige der Haut verkohlt ist. 
Auch werden sie so, wie sie sind, gekocht. Die Suppe sieht etwas 
grün aus, schmeckt aber recht kräftig. 

Vor der Maloka ist Tabak auf einzelnen Beeten angepflanzt ; auch 
steht da eine einsame Zwiebel, auf die der Dicke nicht wenig stolz ist. 

Zwei struppige Hunde, einige Hühner, ein junger, sehr frecher 
Beutelstar und ein kleiner, brauner Vogel, der ein monotones „Uru u 
ausstößt und davon in der Lingoa geral seinen Namen hat, werden 
als Haustiere gehalten. Als Hühnerbaus dient ein großer umgestülpter 
Topf, aus dem nahe dem oberen Rand ein viereckiges Stück als Zugang 
ausgeschnitten ist. Nachts wird ein Holzklotz vor die Öffnung gelegt, 
zum Schutz gegen die Beutelratte und andere Hühnerräuber. Zu den 
Haustieren gehören gewissermaßen auch zahlreiche Webervögel, die 
nahe bei der Maloka ihre kunstreichen Beutelnester an die Wedel 
einer Pupunyapalme gehängt haben. Dieser reizende Spottvogel sucht 
immer die Nähe der Menschen auf und findet sich fast bei jeder 
Ansiedlung am unteren Caiary. Sein neckischer Ruf klingt etwa: 
n ä-anaku-e M oder „ä-a-ku-koetiku". 

Auch dieser sonst so angenehme Aufenthalt hat seine Schatten- 
seiten, die Sandflohplage. Unter dem Beileid der ganzen Bevölkerung 
holt mir ein junger Mann mit Hilfe eines Palmstachels die erbsen- 



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Tänze und Tanzweisen 



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großen Tiereben unter den Zehennägeln hervor, und ich bin schon 
so sehr zum Indianer geworden, daß ich, wenn sich irgendwo einer 
Sandflöhe herausbohrt, schleunigst hinlaufe, mich dazu hocke und auf- 
merksam zuschaue. 

Die Fadenspiele, mit denen sich die jungen Leute in den abend- 
lichen Mußestunden unterhalten, sind im wesentlichen dieselben wie 
am Aiary. Was dort „Tapireingeweide" ist, ist hier „Tapir mit vier 
Beinen 4 *. Dazu kommen noch das „Pfeil- Junge", die „Beutelratte", 
ein „kleiner Vogel" und andere. 

Eines Tages gibt der Hausherr seinen Gästen zu Ehren ein kleines 
Kaschiri, bei dem es sehr solide hergeht. Drei Knaben und ein junger 
Mann improvisieren einen Tanz. Sie tanzen eine Art Quadrille in 
verschiedenen Touren und blasen dazu unaufhörlich auf primitiven 
Flöten, die sie sich in der Eile zurechtgeschnitten haben. Sie haben 
sich im Gesicht festlich rot bemalt und an den Hüften mit grünen 
Zweigen geschmückt, deren wohlriechende Blätter sie auch dem Ka- 
schiri zusetzen. Die rechte Hand ruht auf der linken Schulter des 
Nebenmannes ; die linke hält die Flöte zum Mund und bewegt sie im 
Takte auf und nieder. Zwei rasche Schritte vorwärts mit wippenden 
Knien, ein kräftiges Stampfen ; so geht es immer hin und her und im 
Kreis. Dazu blasen sie eine einfache Weise in drei Tönen. Auch um 
mich tanzen sie rundum und ehren mich nach jeder Tour durch ein 
lautes Geschrei, in dem die Worte „pechkasa" (Fremder, Weißer) 
und „üotoro" mehrmals wiederkehren. Marco sitzt mit einigen 
anderen auf einer Bank und schaut dem Treiben des jungen Volkes 
zu. In den Pausen singt er mit halblauter, tiefer Stimme melodische 
Tanzweisen, nur wenige Worte, die sich in leichten Variationen endlos 
wiederholen. 

Eines Tages findet plötzlich eine Klagezeremonie »statt. Die alte 
Großmutter hockt nieder und stimmt, den rechten Ellbogen auf das 
Knie gestützt und mit der Hand die Augen verhüllend, einen Trauer- 
gesang an, in dem sich das Wort „noraio" (Frau) unzähligemal wieder- 
holt. Der Gesang bewegt sich in demselben Tonfall wie die Toten- 
klagen, die ich so oft am Aiary gehört habe. Die Alte hat die Nachricht 
bekommen, daß ihre Schwester in Tapuru-cuara am Rio Negro an 
dem Zaubergift einer Negerfrau gestorben sei. Nach ihrem langen 
Klagelied ist sie wieder fröhlich wie immer. Die anderen haben sich 
gar nicht darum gekümmert. 

Endlich kommt Schmidt. Ich hatte schon Sorge um ihn und 
nicht ohne Grund, wie ich jetzt erfahre. Er hat selbst in einem kleinen 



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Abschied von Urubu-Lago 



Kanu von Säo Felippe aus die Post in Silo Gabriel holen müssen und 
ist trotzdem bereits am 18. März wieder in Porto Alegre bei Albino 
gewesen. Dort mußte er vier Tage warten und erhielt nur einen 
Ruderer, der ihn zu Abilio brachte, bei dem er wieder vier Tage 
Aufenthalt hatte. Auf der Weiterfahrt wäre sein Boot in einem heftigen 
Gewittersturm beinahe gekentert. Das Schutzdach wurde herabgerissen ; 
sein Karabiner fiel in den tiefen Fluß und konnte erst am nächsten 
Tage durch Indianer Abilios nach langem Tauchen herausgeholt werden. 

Unter meinem Gepäck, das Schmidt mitgebracht hat, befinden 
sich einige europäische Karnevalsmasken, die Tierköpfe darstellen, 
Tiger, Affe, Bär und andere. Der dicke Marco setzt sie der Reihe 
nach auf und schreckt unter den tollsten Sprüngen die Weiber und 
Kinder, die kreischend und lachend nach allen Seiten auseinanderlaufen. 

Nach langem Handeln, langem Uberlegen auf der anderen Seite 
und vielem Dazwischenreden der Weiber kaufe ich von dem Haus- 
herrn einen schönen Brustschmuck aus dreieckigen Silberplättchen, 
die die Tukano wie die Siusi „Schmetterlinge", in ihrer eigenen Sprache 
M omonoa nennen. Überhaupt ist der Einfluß der Frau recht be- 
merkbar. Ich will für die Weiterreise einige geräucherte Fische kaufen, 
da sagt der Besitzer, das habe seine Frau zu bestimmen, der die Fische 
gehörten. 

Am 30. März kurz vor unserer Abreise gibt es noch eine große 
Aufregung. Der jüngste Sohn Marcos, ein prächtiger Junge von etwa 
fünfzehn Jahren, ist nahe beim Hafen, wo wir täglich baden, von einem 
Stachelrochen in den Fuß geschlagen worden. Der Vater schleppt 
den Verletzten auf dem Rücken die Anhöhe hinan in das Haus. Der 
Fuß ist schon stark angeschwollen. Der Schmerz, den ihm die zer- 
rissene und bis auf den Knochen geschlagene Wunde verursacht, 
scheint fürchterlich zu sein, denn der kräftige Junge weint und schreit 
laut. Wir waschen die Wunde mit Petroleum aus, das als das beste 
Mittel für derartige Verletzungen gilt, verbinden sie und legen den 
armen Kerl in die Hängematte, wo er bald einschläft. 

Nach herzlichem Abschied setzen wir mit nur zwei neuen Ruderern 
unsere Reise fort und gelangen nach wenigen Stunden Fahrt zum 
Yauyra-Lago. Ein sumpfiger Pfad führt uns in fünfundzwanzig Minuten 
waldeinwärts zu einer von Desana bewohnten Maloka. Es sind wieder ab- 
schreckend häßliche Typen, krumm- und dürrbeinige Kerle mit merk- 
würdigen breiten, gewölbten Stirnen und schräggestellten Augen. Eine 
alte, fast erblindete Frau tritt zu jedem von uns Weißen heran und 
hält uns in raschem, schreiendem Geplapper lange Reden, anscheinend 



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Schwieriger Handel 



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sehr freundlichen und lobenden Inhaltes. Schmidt lacht; ich wahre 
mit Mühe die Haltung und werfe viele höfliche „E — ehe" dazwischen. 
Die zwei Tukano kehren schon von hier aus auf einem kurzen Fuß- 
pfad, der beide Malokas miteinander verbindet, in die Heimat zurück. 
Wir mieten vier Ruderer und gehen rasch zum Hafen, wo wir im 
Walde Lager beziehen. 

Am nächsten Morgen ist schon frühzeitig die ganze Bevölkerung 
bei uns, an zwanzig Personen ohne die zahlreichen Kinder, wie sich 
die Desana überhaupt vor den anderen Stämmen durch größere Frucht- 
barkeit auszuzeichnen scheinen. Sie bringen uns Reisezebrung, Hühner, 
vorzügliche große Bananen, eine Last geräucherter Fische und eine 
Menge frischwarmer Maniokfladen. Einiges muß ich zurückweisen, da 
wir schon mehr als genug haben und unser Boot nicht überladen dürfen. 
Auch der Herr der Maloka ist erschienen, ein langer, häßlicher Kerl 
mit verkniffenen Augen in einem komischen Clownsgesicht, das noch 
dazu eine typische Clownsbemalung trägt. Es herrscht ein toller Lärm. 
Alles schreit durcheinander. Besonders um einige Ethnographica kann 
ich mit einer älteren Dame gar nicht handelseinig werden. Sie ver- 
langt immer etwas anderes dafür, bald dieses, bald jenes. Sie schreit 
mich an, ich schreie sie an. Sie wirft mir meine Tauschwaren, die sie 
schon genommen hatte, in das Boot zurück, läuft weg, kommt wieder. 
Endlich beruhigt sie sich, und wir können abfahren. Noch weit begleitet 
uns das aufgeregte Geschrei der Weiber, die mir unter den lebhaftesten 
Gebärden auseinandersetzen, welche Sachen sie für ihre Männer, 
meine Ruderer, als Bezahlung haben wollen, Herrlichkeiten, die natür- 
lich ihr eigenes Herz begehrt. 

Das Boot ist vorne überladen und hat an der Seite ein starkes 
Leck, durch das bei jedem Ruderschlag das Wasser hoch aufsprudelt. 
Beständig muß Schmidt es mit einer Kalabasse ausschöpfen, aber 
wir kommen rasch vorwärts, da die Neuen anhaltend rudern. 

Wir fahren wieder durch zahlreiche schmale Arme, in denen wir 
mit unserem plumpen Boot mehrmals stecken bleiben. An einer solchen 
Stelle finden wir in die Rinde eines Baumes geritzt eine große männ- 
liche Figur mit Federschmuck. Einer unserer Vorgänger hat offenbar 
die unfreiwillige Muße zu dieser Kunstleistung benutzt. 

Auf höherem Ufer treten jetzt vereinzelte Paschiubapalmen auf, 
und jungfräulich schlanke Assa'i ragen mit ihren feinen Wedeln aus 
dem Walde hervor. Hier und da leuchten aus dem dunklen Laub die 
roten und gelben Blütenbüschel der Orchideen. 

Am 2. April begegnen wir in einem breiten Arm einem Kanu 



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Krinnernngen an die Missionszeit 



mit einem älteren Indianer und zwei Knaben. Es ist der Häuptling 
der früheren Mission Tucano an der gleichnamigen Stromschnelle des 
mittleren Tiquie\ Jetzt hat er sich wenig unterhalb seiner alten Wohn- 
stätte auf dem rechten Ufer eine Maloka erbaut, wo wir die Nacht 
zubringen. Häuptling Joaquini, ein schöner, schlanker Mann mit fein 
gebogener Nase und klugen, blitzenden Augen, ist über meine Person 
genau unterrichtet und behandelt mich mit großer Höflichkeit. Als 
er hörte, daß ich käme, ist er mir, wie er sagt, sofort entgegen- 
gefahren, um sich mir zur Verfügung zu stellen. Er erzählt mir weitere 
Greuelgeschichten von dem pflicht- und ehrvergessenen Superinten - 
dente und seinen rohen Soldaten. Es ist ihm ähnlich ergangen wie 
dem Häuptling Marco in Urubu-Lago. Sein schönes, stark bevölkertes 
Dorf haben sie ausgeraubt und dann niedergebrannt. Seine Leute 
zerstreuten sich nach allen Richtungen. Jetzt hat er sich mit wenigen 
Männern hier angesiedelt, aber die Pflanzung sei noch zu jung und 
gebe nur wenig Ertrag. Es fehlten Weiber, sie zu bearbeiten, Maniok- 
fladen und Mehl zu bereiten. Auch sein Häuptlingpatent, das ihm 
seinerzeit „Pai Venancio" verschafft habe, sei mitverbrannt. Von 
dem P. Venancio 1 , dem Vorsteher der Missionen des Tiquie in den 
achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, spricht er mit großer 
Liebe und Ehrerbietung und fragt mich, ob ich nicht dafür sorgen 
könne, daß wieder ein „Pai w an den Tiquie* käme. Er bringt seine 
berechtigten Klagen in anständiger Weise vor, so daß er mich in 
tiefer Seele dauert. — In einer Ecke der Maloka zeigt mir Joaquim 
ein buntes Heiligenhäuschen mit einem hübschen Marienbild, einige 
Leuchter aus Messing und eine wohltönende Gebetglocke, Reste einstiger 
Herrlichkeit. 

Meine tüchtigen Desana- Ruderer werden mit Tabak, Streich- 
hölzern, kleinen Spiegeln und Angelhaken zufriedengestellt. Joaquim 
begleitet uns mit drei Mann bis zu einem Zufluß zur Rechten, an dem 
zwei von Tukano und Desana bewohnte Malokas liegen. Wir halten 
hier, durch ein heftiges Unwetter gezwungen, eine mehrstündige Rast 
und erhandeln einige interessante Ethnographica. Schmidt stöbert 
mit Joaquim, der mich in dieser Beziehung sehr an Häuptling Mandu 
vom Aiary erinnert, in allen Ecken des Hauses herum. Sie bringen 
mir ein paar aus feinen Stäbchen und Lianen kunstreich geflochtene 
runde Schilde, die einen kegelförmigen Nabel haben. Es sind aus- 
schließlich Tanzschilde, die bei größeren Festlichkeiten mittels eines 



•Fr. Veiiazio Ziloclii vom Union «lor Franziskaner, ein Italiener. 



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Soldat* ngrcucl 



1G9 



schmalen Bandes am linken Unterarm getragen werden. Merkwürdige 
Musikinstrumente kommen zum Vorschein, aus Ton gebrannt, schwarz 
glasiert und mit gelb eingeriebenen Ritzmustern verziert. Sie haben 
ein Loch an der Seite, auf dem bei Tanzfesten, wie auf einer Muschel, 
dumpf geblasen wird. Auch dienen diese Tuten dazu, auf der Reise 
Signale zu geben, wenn man 6ich einer Maloka nähert, damit die 
Bewohner wissen, daß Freunde kommen. 

Nach zweistündiger Fahrt erreichen wir die Tucano-Cachoeira, 
eine heftige Schnelle, die für die Schiffahrt besonders gefährlich ist. 
Der Fluß bricht sich an einer scharf vorspringenden Felsecke und wird 
vorübergehend in eine andere Richtung gelenkt, so daß schwerbeladene 
Boote dadurch leicht gegen den Felsen geschleudert werden können. 
Wir übernachten unter einem offenen Schuppen inmitten einer neuen 
Maniokpflanzung. Etwas oberhalb der Schnelle erstreckt sich auf dem 
rechten Ufer die Wüstung der jMission Tucano oder Santa Izabel, wie 
sie in den offiziellen Berichten genannt wird, der ehemaligen Residenz 
des Paters Venancio. 

Am nächsten Tage kommen wir nach Iraiti, der größten Nieder- 
lassung der Neenoa, einer riesigen Maloka von vierzehn Feuerstellen. 
Auch hier haben die Soldaten übel gehaust, geraubt und gebrannt, 
Männer, Weiber und Kinder mißhandelt, einen Mann erschossen und 
den alten Häuptling und andere in Ketten gelegt. Einen jungen Mann 
haben sie sogar in Ketten mit nach Sao Gabriel geschleppt und fast 
ohne Speise und Trank gelassen, so daß er dort, abgemagert zum 
Skelett, angekommen sei. Sie haben ihm nach seiner Beschreibung 
Fuß- und Handschellen angelegt, mit Ketten, die um Leib und Hals 
geschlungen waren. In Silo Gabriel ist es ihm gelungen zu ent- 
weichen. Er hat die Eisen durchgefeilt und ist unter großen Mühen 
über den Curicuriary in seine Heimat zurückgekehrt. 

Die ethnographische Sammlung erhält eine große Bereicherung. 
Ein alter, auf dem einen Auge erblindeter Häuptling verkauft mir einen 
aus Palmblättern geflochtenen Kasten voll herrlichen Tanzschmucks. 

Wir müssen auch hier wieder die Ruderer wechseln. Tags darauf 
besuchen wir ein kleines Tukanohaus an einem nahen Bach, wo wir 
ebenfalls gute Handelsgeschäfte machen, und fahren dann ohne Aufent- 
halt bis nach Sonnenuntergang durch. Auf einer Waldlichtung, wo 
früher eine Hütte gestanden hat, wollen wir Rast machen, aber der 
Platz wimmelt von Wanderaineisen, die empfindlich beißen. Deshalb 
schiffen wir uns wieder ein und fahren in der Dunkelheit weiter bis 
zu einem Nebenbach, auf dessen hohem Ufer der Vater eines meiner 



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170 



Häuptling Lorenzo 



Ruderer eine Pflanzung mit kleiner Hütte besitzt. Man hat uns schon 
gehört und geleitet uns mit Fackeln die steile Böschung hinan. Es 
ist der alte, halbblinde Häuptling, der mir in Ira'i'ti die schönen 
Sachen verkauft hat. Freundlich weist er uns in seiner heißen und 
rauchigen Hütte bequeme Plätze an. Am folgenden Morgen fährt er 
im kleinen Kanu mit uns bis zu einem Platz auf dem rechten Ufer, wo 
sein von den Soldaten zerstörtes Dorf, die frühere Mission Nazareth, 
gestanden hat. Er will mir noch einmal alles von den bösen Soldaten 
erzählen, damit ich es aufschreibe und später dem Governador in 
Manaos berichte. Die Wüstung ist sehr ausgedehnt. Verkohlte Haus- 
pfosten ragen traurig aus dem niedrigen Gestrüpp hervor, das bereits 
wieder die einstige Stätte christlichen Fleißes überwuchert. Die 
Soldaten haben hier einen Tukano, der von einem Kaschirifest kam 
und ahnungslos im Kanu am anderen Ufer vorüberfuhr, mit mehreren 
Schüssen vom Lande aus schändlich ermordet. 

Erst Monate später erfuhr ich genaueres über die ganze Tragödie. 
Ein junger Ansiedler aus Sao Gabriel hatte auf der Reise am unteren 
Caiary in der Trunkenheit mit einem Tukanohäuptling namens Lorenzo 
Streit angefangen und war von dessen Makusklaven totgeschlagen 
worden. Darauf griff man zu einem beliebten Mittel, das schon so 
viel Unheil angerichtet hat und gewöhnlich den Unschuldigen trifft: 
der Superintendente veranstaltete eine „Strafexpedition". Einige An- 
siedler vom Rio Negro und unteren Caiary, Weiße und Mischlinge 
und zwei armenische Händler, schlössen sich ihm an, und die ganze 
Bande zog plündernd, sengend und mordend den Tiquie aufwärts bis 
zu diesem Tukanodorf, dessen Vernichtung den Abschluß der Helden- 
taten dieser Vertreter einer höheren Zivilisation bildete. 

Und noch etwas erfuhr ich im weiteren Verlauf der Reise : Mein 
einäugiger Freund, der liebenswürdige alte Tukanohäuptling, unter 
dessen Schutze ich so friedlich geschlafen hatte, war jener am unteren 
Caiary und am Rio Negro berüchtigte und gefürchtete Lorenzo, von 
dem wir schon in Sfio Gabriel und SAo Felippe die greulichsten Ge- 
schichten gehört hatten. Er hatte angeblich schon acht Weiße er- 
mordet, darunter einen Franzosen mit Weib und Kind, dem er als 
Führer diente. Wie man sich erzählte, hatte er seinem Opfer Schnurr- 
bart und Vollbart mit der Haut abgezogen, diese am Feuer getrocknet 
und bei Tanzfesten damit seinen Spott getrieben. 

Nachmittags kommen wir an der Mündung des Castanya-Parana 
vorüber, eines ansehnlichen rechten Nebenflusses, dessen „weißes", 
schmutzig -gelbes Wasser schon zwei Stunden vorher neben dem 



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Der alle Maximiano 



171 



„schwarzen" Wasser des Tiquie deutlich sichtbar war. Durch einen 
„schlechten Makupfad" von fünf Tagen, den man mit einem leichten 
Kanu in sieben Tagen erreichen könne, stehe er mit dem Yapura in Ver- 
bindung. Oberhalb der Mündung besteht das hohe linke Ufer aus rotem 
Ton. Der Platz heißt bei den Tukano Pino-peri (Schlangenloch). 
In alter Zeit habe hier eine riesige, schöngezeichnete Schlange gewohnt. 
Man sieht noch zwei große Löcher, die sie gewühlt hat. Bald mündet 
von links der Conory-Igarape , von dessen Oberlauf ein Fußpfad in 
drei Tagen zum Papury führe. Der ganze Bach und die Umgegend 
bis zum Papury sei von Maku bewohnt. Mit Sonnenuntergang kommen 
wir beim Tukanohäuptling Maximiano an. 

Wir erklettern das steile rechte Ufer und schreiten über eine 
weite, mit Brauneisensteingeröll bedeckte und zum Teil mit hohem 
Gras bewachsene Lichtung, an deren Ende sich die Maloka, ein Neu- 
bau von mächtigen Dimensionen, erhebt. Sie ist schon unter Dach, 
wird aber noch nicht bewohnt. Giebelwände und innere Einrichtung 
fehlen. Daneben liegt eine größere Wohnhütte des Häuptlings und 
etwas abseits eine kleinere Hütte. Maximiano, ein alter, untersetzter 
Mann mit auffallend starkem Kinnbart, nimmt uns höflich in seiner 
luftigen Maloka auf. Er trägt Hemd und Hose. Bart und Haupthaar 
sind fast weiß; eine Seltenheit bei einem Indianer. Er entschuldigt 
sich sofort, daß er kein Portugiesisch spreche, und nennt mir seinen 
langen und hochtrabenden Namen: Jos«? Maximiano da Silva Francisco. 
Die Maloka baue er nicht selbst, das müßten die Maku tun, von denen 
er zahlreiche zur Verfügung habe. Er sei überhaupt der „Herr des 
Conory-Igarape", der wegen seines Reichtums an Maku auch Maku- 
Igarape genannt werde. 

Früher stand hier die große Mission Sslo Jose\ Noch manches 
erinnert an diese Zeit. Ein jetzt verwachsener Landungsplatz etwas 
unterhalb des eigentlichen Hafens wird von meinen Ruderern „ Hafen 
des Pai Venancio" genannt. Der Häuptling zeigt mir mitten auf dem 
freien Platz die Ruine der kleinen Kapelle. Nur noch das angebrannte 
Gerüst ist stehen geblieben. Das Haus des heiligen Joseph ist eines 
Tages, als das Gras niederbrannte, ein Raub der Flammen geworden. 
In der Maloka findet sich wieder ein buntes verschlossenes Häuschen 
mit dem Bilde des Heiligeu. Maximiano fragt mich, was für ein 
Wochentag sei, wann Ostern sei. Auch unsere Sammlung bereichert 
er noch kurz vor der Weiterreise durch einige schöne Stücke. Nach 
einer Stunde Fahrt kommen wir an dem linken Zufluß Cucura-Igarape 
vorüber, an dem weit einwärts eine Maloka der Desana liegt. Dort 



172 



Kin Freund der Zivilisation 



beöndet sich eine große Holztrommel, auf der die Bewohner mit den 
Tukano an der Pary-Cachoeira, eine starke Tagereise weit, signalisieren. 
Ein langer Pfad führt über diese Maloka bis zum Papury. Überhaupt 
gibt es viele Pfade zwischen Tiquie" und Papury, da die Anwohner 
beider Flüsse einen regen Verkehr unterhalten. Vor Zeiten habe in 
dieser Gegend des Tiquie ein erbitterter Kampf zwischen Tukano und 
Uaiana stattgefunden, wobei auf beiden Seiten viele gefallen seien. 

Oberhalb der Mündung des Castanya-Parana fehlen erfreulicher- 
weise die Tagesstechmücken, was wohl dem klaren, flaschengrünen 
Wasser zu verdanke:) ist. 

Mittag6rast machen wir im Hafen der stark bewohnten Tukano- 
Maloka Esteyu auf dem rechten Ufer. Der Häuptling ist ein Mann 
von Bildung. Er spricht leidlich portugiesisch und trägt — wohl nur 
uns zu Ehren — eine feine schwarze Hose, ein sauberes weißes Batist- 
hemd und eine schwarze seidene Mütze, so daß wir in unserem ab- 
gerissenen Zustande eigentlich gar nicht hierher passen. Tn der Maloka 
hängen an allen Pfosten Kleidungsstücke, und zahlreiche Kotler und 
europäische Gerätschaften aller Art zeigen an, daß die Bewohner 
mit den Händlern und Kautschuksammlern am Rio Negro in lebhafter 
Verbindung stehen. Ein .Viter erzählt mir, alle Tuyuka am oberen 
Tiquie seien auf die Kunde von unserer Annäherung weit in den 
Wald geflohen, da sie gehört hätten, die Soldaten kämen. Ich 
glaube nicht mehr an diese Indianerlügen. 

Die Grenzen, Jagd- und Fischereigereehtsauun der einzelnen 
Malokas, scheinen ziemlich streng gewahrt zu werden. Öfters höre ich 
von meinen Ruderern: „Von diesem Bach ist der und der Häuptling 
der Herr", oder: „Hier hört das Gebiet dieses Häuptlings auf", uud 
ähnliches. Auf der Reise dagegen sind Jagd und Fischfang frei; ja, 
es kommt häutig vor, daß Fischfallen von vorüberfahrenden Indianern 
unrechtmäßig entleert werden. 

Am nächsten Tage hat Schmidt einen Fieberanfall ; wahrscheinlich 
ist es eine starke Erkältung infolge des schweren Nachtnebels. Wir 
machen deshalb frühzeitig halt und übernachten in einem leerstehenden 
Desanahaus an einem kleinen Nebenbach zur Rechten, der zwischen 
steilen Ufern im Waldesdunkel dahinfließt. Meine Leute sind anfangs 
mit der Wahl des Platzes nicht ganz einverstanden. Es sei hier nicht 
geheuer. In einer nahen Bucht treibe eine große Wasserschlange ihr 
Wesen, im Walde hielten sich viele bös«« Geister auf; auch schlechte 
Leute streiften hier umher, Maku, die auf jeden Fall schlecht sind, 
und schlechte Desana: trotzdem wird unser Friede durch nichts gestört. 



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Ankunft an der Pnry-Cachoeira 



173 



Seit der Einmündung des Castanya-Parana hat der Fluß ein ganz 
anderes Aussehen angenommen. Beide Ufer erheben sich in steilen 
Lehmwänden oder bilden niedrige, bewaldete Höhenzüge. Schroffe 
Felswände engen hin und wieder den Fluß ein. Die Strömung wird 
reißend. Wir nähern uns dem Gebiet der Stromschnellen. 

In einem kleinen Haus, das auf dem rechten Ufer einsam auf 
schwindelnder Höhe steht, besuchen wir einen uralten Tukano, der am 
ganzen Tiquie* als der berühmteste Zauberarzt gilt. Er ist vollkommen 
erblindet und liegt, zum Skelett abgemagert, in der Hängematte, da 
er nicht mehr gehen kann; aber sein Geist ist noch frisch, und leb- 
haft unterhält er sich mit meinen Leuten, die ihm alles mögliche über 
mich und meine Reise erzählen müssen. 

Gegenüber mündet der Umari-Igarape , an dem einige Malokas 
der Tukano und Desana liegen. Von seinem Oberlauf führt ein viel 
benutzter Pfad in zwei Tagen zum Papury. 

Auf der Weiterfahrt finden wir auf der schroff abfallenden rechten 
Uferwand aus hartem, gelbem Lehm mehrere Figuren frisch eingeritzt, 
unter ihnen die fast lebensgroße Darstellung eines Mannes in vollem 
Tanzschmuck: Federkrone auf dem Haupt, Quarz- und Silberschrouck 
um den Hals und den mit Tierzähnen behängten Gürtel um die Lenden. 
Die Figuren rühren von den Tukano der nahen Pary-Cachoeira her, 
die wir am Nachmittag des 9. April erreichen. 

Die Niederlassung liegt etwas landeinwärts auf dem freien rechten 
Ufer der Stromschnelle: eine sehr große, schon ein wenig baufällige 
Maloka, daneben die große Familienhtitte des verstorbenen Häuptlings, 
die jetzt von seiner Witwe und ihrem jüngeren Sohn mit Familie be- 
wohnt wird. Dazu gehören noch zwei kleine Familienhütten auf dem 
anderen Ufer. Von der früheren Mission Silo Pedro ist keine Spur 
mehr vorhanden. Wir treffen nur wenige Männer. Die meisten sind 
flußaufwärts gefahren, um bei den Tuyuka Maniokgrütze zu kaufen, 
die für SAo Felippe bestimmt ist. In Abwesenheit des Häuptlings 
empfängt uns sein Oheim, ein wohlbeleibter Mann in den mittleren 
Jahren. Im Hintergrunde des halbdunklen Hauses hängt die mächtige 
Signaltrommel, von der ich schon am unteren Caiary gehört habe. 
Schmidt nimmt sie sofort in Augenschein. Ich tue vorerst so, als 
wenn ich mich gar nicht dafür interessierte. 

Die Begrüßung dauert bei weitem nicht so lange wie am Aiary. 
Die Bewohner treten der Reihe nach zu jedem einzelnen Gast heran 
und bewillkommnen ihn mit wenigen kurz hervorgestoßenen Worten, 
auf die der andere jedesmal sofort antwortet. Eine Massenbegrüßung 



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Strenge* Zeremoniell 



findet nie statt; ja, es vergeht immer einige Zeit, bis ein anderer 
hinzutritt. Nach den Männern begrüßen die Weiber die Gäste in der- 
selben Weise, nur kürzer. 

Bis spät abends Bitzen meine Ruderer mit ihren Wirten in leb- 
hafter Unterhaltung zusammen. Noch nie habe ich ein so rasches, 
lautes, anhaltendes, nervenerschütterndes Geplapper gehört. Bisweilen 
stockt der Redestrom. Dann sagt einer ein Wort, das von den 
anderen nach der Reihe mit eintöniger Stimme wiederholt wird. 
Komisch wirkt das strenge Zeremoniell. Sogar wenn einer zu einem 
dringenden Geschäft austreten will, teilt er jedem einzelnen sein Vor- 
haben mit, und jeder ruft ihm „Uaya!" („Geh hin! wohlan!") zu. 
Kommt er wieder herein, so gibt er jedem einzelnen eine kurze Er- 
klärung, die aber an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig läßt, und 
jeder bestätigt ihm mit Befriedigung die Tatsache. Gegen acht Uhr 
verabschieden sich die Wirte von den Gästen für die Nacht. Das 
Geplapper erhebt sich zum höchsten Fortissimo. Alle reden zu 
gleicher Zeit mit lauter, eintöniger Stimme und vielen dazwischen- 

geworfenen „E " und „A — Dann sprechen die Wirte 

noch eine ganze W eile stehend auf jeden Gast ein, der auf dem niedrigen 
Schemel sitzen bleibt. Plötzlich, wie abgebrochen, tiefe Stille. Alles 
geht schweigend auseinander, nur in den Ohren summt es noch eine 
Zeitlang fort. 

Während des ganzen Abends wird Kaschiri gereicht. Dazu 
kreisen eine fast fußlange, in grüne Blätter gewickelte Zigarre und 
eine Kalabasse mit einem grünlichen Pulver, das die Indianer Batu 
nennen. Es ist Coca. Ich habe dieses Genußmittel schon in einigen 
anderen Malokas am Tiquie gefunden. 

Der Cocastrauch (Erythroxylon Coca) wird am ganzen Tiquie 
und Papury und an einem Teil des mittleren Caiary auf den Pflanzungen 
reihenweise in bestimmten Zwischenräumen angebaut und erfreut sich 
der besonderen Sorgfalt der Männer, die sich allein mit dem Einernten 
und Verarbeiten der Cocablätter befassen, da sie faßt allein das Pulver 
genießen. Von Zeit zu Zeit gehen die Männer auf die Pflanzung und 
holen in kleineren Tragkörben, die ihnen an einem Bastband über 
der linken Schulter hängen, die zarten, blaßgrünen, o?alen Blätter. 
Diese werden auf der Herdplatte oder in einem Topf über dem Feuer 
unter beständigem Umrühren geröstet und im Mörser zerstampft. Dem 
Pulver wird Asche aus Cecropiablättern zugesetzt und die Mischung 
in ein Säckchen aus rotem Baurabast geschüttet. Darauf wird ein 
langer Stab in das Säckchen gesteckt und dieses dann fest zugebunden. 



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Coca 



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Klopft man nun mit dem Ende des Stabee, an dem der Cocabeutel 
befestigt ist, wider die innere Wand eines hohlen, unten geschlossenen 
Holzzylinders, so dringt ein feines, grünlichgraues Pulver durch den 
Baststoff, das in einer meist am Rande mit Ritzmustern verzierten 
Kalabasse gesammelt wird. Auf einem praktischen Untersatz aus Rohr- 
stäbchen, die in Form einer Sanduhr durch Lianen zusammengehalten 
werden, gibt man der Kalabasse einen festeren Stand (Abb. S. 348). 
Mittels einer kleinen Schöpf kalabasse oder eines aus dem Schenkel - 
knochen des Jaguars geschnitzten Löffels oder auch nur eines Stückchens 
trockenen Bananenblattes nimmt man eine Portion des Cocapulvers 
in den Mund, wo es eine vermehrte Absonderung des Speichels ver- 
ursacht, mit dem es allmählich hinuntergeschluckt wird. Die Coca 
hat einen bitterlichen Geschmack und zieht etwas den Mund zusammen, 
aber man gewöhnt sich bald daran. Die Wirkung ist eine stimulierende. 
Deshalb wird die Coca besonders bei Tanzfesten und auf der Reise 
mit Leidenschaft genossen, denn sie vertreibt die Müdigkeit und das 
Gefühl des Hungers und regt Körper und Geist zu größerer Leistungs- 
fähigkeit an. Bei diesen Gelegenheiten verwahren die Indianer das 
Cocapulver in schön polierten, kugeligen Kalabassen, die sie an einem 
geflochtenen Band über der linken Schulter tragen, oder in einfachen 
Säckchen aus starkem, rotem Bast mit Anhängeschnur. Zum Saugen 
dient ein hohler Reiherknochen, der stets zum sofortigen Gebrauch 
in dem Behälter steckt und an dem Tragband befestigt ist. Im Über- 
maße genossen, kann die Coca den Nerven schädlich sein. 

Pater Venancio, so erzählen mir die Indianer, habe einen Absud 
aus den aromatischen Cocablättern als Tee getrunken. In Maximianos 
Maloka nahm man das Cocapulver mit einem kleinen silbernen Löffel, 
der beim Bilde des Heiligen aufbewahrt wurde, dem hinterlassenen 
Teelöffel des guten Paters. 

Die Tukano von Pary-Cachoeira, die sehr bequeme Herren sind 
und, wie Schmidt boshaft behauptet, kaum den Weg zu ihren eigenen 
Pflanzungen kennen, halten sich Makusklaven, die ihnen die ganze 
Arbeit abnehmen müssen. Diese Maku, drei Männer, deren Herr der 
Häuptling ist, hausen mit ihren Weibern und zahlreichen Kindern in 
einigen elenden Hütten im Walde, nahe beim Dorfe. Fast jeden Tag 
kommen die Männer in die Maloka, bringen ihrem Herrn Wildbret, 
Fische und Waldfrüchte oder stellen sich ihm zu mancherlei häuslichen 
Diensten zur Verfügung. Sie werden von den Tukano gut behandelt, 
etwa wie zahme Tiere. Sogar bei den kleinen Kaschiriabenden werden 
die Maku geduldet. Wenn sie nicht Coca bereiten, hocken sie in 



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Makusklaven 



einer dunklen Ecke des Hauses und bekommen regelmäßig eine Kala- 
basse mit Kaschiri und von Zeit zu Zeit eine Zigarre. An den Tänzen 
dürfen sie sieb nicht beteiligen, ebensowenig an der Unterhaltung, 
wenn sie nicht gefragt werden. Auch tragen sie keinen Schmuck. 
Zwei Makumädchen von fünf bis sieben Jahren beaufsichtigen das 
kleinste Kind einer Tukanofamilie oder schleppen Brennholz herbei und 
unterhalten das Feuer. Nie sehe ich sie mit den gleichalterigen Tukano- 
kindern spielen. Uns Weißen weichen sie scheu wie wilde Tiere aus. 

Die Aufnahme ihrer fürchterlichen Sprache ist bei dem zurück- 
haltenden Wesen dieser Waldleute, die infolge der ungewohnten An- 
strengung rasch ermüden, eine wahre Tortur für beide Teile. Zudem 
umlagert mich die ganze Bevölkerung, besonders die Weiber, und bricht 
bei jedem Makuwort in ein brüllendes Gelächter aus. Ich bediene 
mich dabei des Tukano , das diese Maku sprechen , während sie die 
Lingoa geral nicht verstehen. Dieselbe allgemeine Heiterkeit errege 
ich, als ich die Maku photographiere. Es ist den Tukano offenbar 
so, als wenn ich Affen photographierte. Die Maku, so sagen alle 
ansässigen Uaupes- Indianer, sind keine Menschen. 

Von den Tukano werden die Maku bisweilen als „Sündenböcke" 
benutzt. Stirbt ein Tukano an einer schleichenden Krankheit, die 
nie auf natürliche Ursache zurückgeführt, sondern der heimlichen 
Rache eines Feindes zugeschrieben wird, so sucht der Zauberarzt den 
Feind, der dem Verstorbenen das Krankheitsgift beigebracht hat, durch 
seine Beschwörungen zu ermitteln und findet ihn nicht selten in einem 
Maku. Die Hinterbliebenen ziehen nun aus, um den „Mord 4 * zu 
rächen , überfallen und töten die Übeltäter und rauben Weiber und 
Kinder, die sie später meistens an die Weißen verkaufen. Der junge 
Häuptling hier hat ein Schriftstück aus dem Nachlasse seines Vaters, 
das von P. Venancio ausgestellt und unterzeichnet ist. Es enthält 
zehn Paragraphen, die der verstorbene Häuptling beschwören mußte. 
Ein Paragraph verbietet ausdrücklich den Sklavenhandel mit Maku. 
Diese guten Lehren sind vergessen oder nie befolgt worden, denn 
bis auf den heutigen Tag wird ein schwunghafter Handel mit Maku- 
kindern getrieben. 

Die Makumädchen, die im Haushalte der Tukano dienen, gelten 
als freie Weiber für die Jünglinge. Auch die jungen Ehemänner 
naschen bisweilen, wie man mir erzählt, von der verbotenen Frucht. 

Mit dem Maku vom Curicuriary, das ich seinerzeit in Jucaby am 
Rio Negro aufnahm, zeigt das Tiquie-Maku enge Verwandtschaft. 
Viele Wörter sind in beiden Sprachen identisch oder weisen nur geringe 



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Ruderlohn 



- 



177 



dialektische Unterschiede auf, die zum Teil wohl auch der Schwierig- 
keit bei der Aufnahme zuzuschreiben sind. Eine große Anzahl von Aus- 
drücken aber ist gänzlich verschieden, darunter viele für die Sprach- 
vergleichung sehr wichtige Wörter, z. B. Hand, Fuß, Wasser, Feuer, 
Sonne, Stern, Haus, Mensch u. a. 

Die Maku des Tiquie sind durchschnittlich kleine Leute, wenig 
über 1,50 m hoch, und von heller Hautfarbe. Viele sehen schlecht 
genährt aus, was wohl hauptsächlich ihrem wilden Waldleben zuzu- 
schreiben ist. Besonders die Männer fallen auf durch unproportionierten 
Körperbau, lange Arme, große Hände und Füße und bisweilen säbel- 
förmige Unterschenkel. Die Gesichter sind meistens häßlich, häufig 
von stupidem Ausdruck, mit niedriger, fliehender Stirn, tief eingezogener 
Nasenwurzel, ungewöhnlich breiten Nasenflügeln bei hohem Rücken. 
Das auffallendste Merkmal aber bei allen Maku ist der schnauzen- 
förmige Mund, der durch die tiefen, von den Nasenflügeln zu den 
Mundwinkeln streichenden Hautfalten äußerlich schürf markiert wird. 
Unter den Weibern begegnet man nicht selten wohlgebildeten Gestalten 
mit einnehmenden Gesichtszügen. Bei den hiesigen Maku ist eine 
Frau von außerordentlich massigen Proportionen, die nicht nur ihre 
StamniesgenoBsen , sondern auch die Tukanoweiber an Körperhöhe 
weit überragt. 

Die Löhne für meine Ruderer, die mich in fünf Tagen von Iraiti 
bis Pary-Cachoeira gebracht haben, sind vielleicht von Interesse: 



Renardo: 

4 m Kattun 
1 Küchenraesser 
50 kleine Angelhaken 
4 Schachteln Streichhölzer 

Candido: 

2,20 m starkes, blaues 
Hosenzeug 
1 Paketchen Tabak 
4 Schachteln Streichhölzer 



Henrique: 
4 m Kattun 

1 Frauenkamm aus Hartgummi 
50 kleine Angelhaken 
4 Schachteln Streichhölzer 

Lino : 

1 Küchenmesser 
25 kleine Angelhaken 

1 Paketchen Tabak 
12 Schachteln Streichhölzer 



Bei derartigen Bezahlungen hat jeder seine eigenen Wünsche, die 
man, soweit wie möglich, berücksichtigen muß. 

Am 10. April kommt Häuptling Jose, ein junger Mann von sym- 
pathischem Wesen. Seine Körperlänge ist für einen Tukano außer- 
gewöhnlich, 1,76 m. Er ist prachtvoll gebaut, schlank und doch von 

Kocb-Grünbcrg, Zwei Jahre bei den Indianern 12 



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Tukano-Hfiuptlinjj Jose 



vollendeter Muskulatur, mit einem auch nach unseren Hegriffen schönen, 
offenen Gesicht, aus dem zwei große Augen strahlen. Er begrüßt 
uns sehr freundlich, zumal er gehört hat, daß wir Freunde vom alten 
Germano, seinem Gläubiger, seien. Mit dem Häuptling kommt eine 
Menge Leute, Männer und Weiher, die größtenteils im Gesicht rot 
bemalt sind. Einige tragen noch Spuren von Genipapo-Bemalung am 
Körper, von einem Tanzfest bei den Bara, einem Stammt* im Quell- 
gebiet des Tiquie. Alle Männer sind mit großen Quarzzylindern ge- 
schmückt. Besonders schön ist der Schmuck des Häuptlings. Die 
Weiber haben Ketten aus durchbohrten Silbermünzen und Momonoa- 
Silberschmuck um den Hals gehängt. Schon die Knaben tragen ihre 
entsprechend kleineren Quarzzylinder. 

Häuptling Jose hat nach seines Vaters Tod die Regierung an- 
getreten, ein vielleicht vereinzelter Beweis, daß die Erbfolge auch 
direkt vom Vater auf den Sohn übergehen kann, denn es leben in der 
Maloka noch drei Brüder seines Vaters, die nach dem am Aiarv gebräuch- 
lichen Rechte vor ihrem Neffen zur Regierung hätten kommen müssen. 

Der Häuptling besitzt zwei Frauen, eine Tuyuka und eine Tariana, 
die ihn bereits mit einem halben Dutzend prächtiger Kinder beschenkt 
haben. Die Polygamie scheint am ganzen Caiary ein Vorrecht der 
Häuptlinge zu sein. Ich habe sie später nur noch einmal bei einem 
Häuptling der Tuyuka beobachtet. In beiden Fällen lebten die Frauen 
in vollkommener Eintracht miteinander und teilten sich in die Haus- 
geschät'te. Nie sah ich, daß eine von dem Gatten irgendwie bevorzugt 
wurde. Ein Mann darf, wie mir mehrfach erklärt wurde, nur dann 
eine zweite Frau nehmen, wenn die erste damit einverstanden ist. 
Wie am Aiarv, so wird auch am Caiary-Uaupes die Frau stets aus 
fremdem Stamme, oft weither geholt. Hier an der Pary-Oachoeira 
sind unter den verheirateten Frauen neben Tuyuka und Tariana auch 
die Stämme der Desana und Bara vertreten. 

Die Gesamtzahl der Bewohner der Maloka und einiger umliegenden 
Hütten beträgt etwa hundert Seelen, die alle mehr oder weniger eine 
große Familie bilden. Die Maloka ist 28,80 m lang, 21 m breit und 
10,20 m hoch. 

Die Tage gehen mit vielerlei Arbeit rasch dahin. Ich photo- 
graphiere nach und nach die ganze erwachsene Bevölkerung. Vor 
der Kamera, deren Anblick selbst manchem zivilisierten Europäer 
Angstgefühle verursacht, haben die Leute gar keine Scheu. Sie drängen 
sich förmlich dazu, photographiert zu werden. Nur der stolze Häupt- 
ling fragt mich, ob es auch nicht töte. 



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Kinderspielzeug: 



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Aus einem alten Moskitonetz Schmidts nähen wir Schmetterlings- 
netze zurecht, und nun gehen die Knaben von früh bis spät auf den 
Schmetterlingsfang. Anfangs benehmen sie sich dabei recht un- 
geschickt. Es kommt ihnen gar nicht darauf an, mir Falter vor- 
zulegen, die nur noch einen Flügel haben. Bald aber begreifen diese 
intelligenten kleinen Menschen, was ich will, besonders als ich einige 
wohlerhaltene Exemplare reichlich mit Perlen bezahle. 

Ein neckisches Spielzeug, das sich ähnlich auch in unseren „Zauber- 
kästen" findet, nennen sie „pino" (Schlange). Es besteht in einem 
aus elastischen Kohrstreifen geflochtenen, dünnen Schlauch, der an 
dem einen Ende offen ist, an dem anderen Ende in einen Ring aus- 
geht. Steckt man den Finger in das offene Ende und zieht den 
Schlauch an dem Ring lang, so verengert er sich, und man ist gefangen. 
„Die Schlange hat zugepackt." Man kommt erst wieder frei, wenn 
man den Schlauch zusammenstülpt und ihn dadurch erweitert. Ein 
Hauptvergnügen bereitet es den Kindern, wenn wir uns von ihnen an 
der ^Schlange" über den halben Dorfplatz ziehen lassen. 

Ein anderes Spielzeug besteht aus zwei leeren Fruchtschalen, die 
so an Schnüren befestigt sind, daß sie mit den Offnungen wider- 
einander liegen. Man hält die Schnüre mit beiden Händen an den 
Enden fest, wirbelt die Fruchtschalen mehrmals herum und zieht dann 
straff an. Dadurch schwirren die Schalen zurück und bringen einen 
knarrenden Ton hervor. 

Die Brummkreisel, die sie in einem großen, flachen Korb tanzen 
lassen, sind dieselben wie am Aiary. 

Die sonst so gutmütigen Kinder sind gegen Tiere bisweilen recht 
grausam. Ich habe ein Huhn gekauft und es den Jungen gegeben, 
damit sie ihm den Hals umdrehen und es am Hafen zum Mittagessen 
zurichten. Als ich nach einer Weile hingehe, haben sie das Huhn 
bei lebendigem Leibe gerupft und lassen es laufen. Das arme, nackte 
Tier, dem nur noch einige Schwanzfedern stehengeblieben sind, verbirgt 
sich schreiend in einer nahen Pflanzung. Die Kinder jagen mit lautem 
Jubel hinterdrein. Schließlich muß ich es mit einem Schuß von seinem 
erbärmlichen Dasein erlösen. 

Mit den Kindern spielt ein Zwerg, der nur 1,07 m hoch ist. 
Er hat einen unförmig dicken Bauch und stark vortretenden Nabel. 
Obwohl schon ein Jüngling von 15 bis 18 Jahren, ist er auch geistig 
ganz auf kindlichem Standpunkte stehengeblieben. Seine beiden ver- 
storbenen Eltern seien normal gewesen. 

Gern erzählen die Leute von den Stämmen im Süden, besonders 



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180 



Blasrohr-Indianer 



von den Buchpu-machsa (Blasrohrleuten), die bei ihnen in großem 
Respekt zu stehen scheinen. Dieser wilde Stamm lebe am Dyi- 
[garape, einem Zufluß des Pira-Parana, der sich in den Yapura 
ergieße. Von den Tuyuka aus seien sie in eineinhalb Tagen zu er- 
reichen. Sie bewohnten runde Häuser, durchbohrten die Ohrläppchen 
und trügen breite Bastschurze um die Lenden. Sie hätten noch nie 
Weiße gesehen und würden wahrscheinlich bei unserer Ankunft weg- 
laufen. Wenn wir uns aber durch die Tuyuka anmelden ließen, die 
mit jenen im Verkehr stünden, so würden sie uns wohl empfangen. 

Ein großer Tag für die Sammlung! Schmidt kauft die 
Signaltrommel! Ich habe ihm den Handel ganz überlassen, da 
er dem Gegenstande naturgemäß ruhiger gegenübersteht, als ich in 
meiner ethnographischen Begeisterung, und infolgedessen die Trommel 
leichter und billiger erwerben kann. Er macht auch seine Sache vor- 
züglich. Zuerst versucht er es mit mehreren ganzen Stücken grell- 
bunten Kattuns, womit die Weiber natürlich sehr einverstanden wären, 
aber der Häuptling will eine Feuerwaffe haben, da es doch eine 
„Angelegenheit der Männer" sei. Er verlangt einen doppelläufigen 
Vorderlader, den wir aber nicht haben. Schmidt vertröstet ihn auf 
Silo Felippe, aber er läßt sieh nicht darauf ein. Da holt Schmidt 
Waldmesser, Axte und andere schöne Sachen aus dem Koffer und 
reizt den habgierigen und leichtsinnigen Mann, indem er ganz langsam, 
in großen Pausen ein Stück neben das andere legt. Schließlich 
einigen sie sich auf vier Waldmesser, fünf Axte, hundert Angelhaken 
und ein Paket Streichhölzer. Der Kauf wird durch Handschlag be- 
kräftigt — soviel haben diese Tukano schon von den Weißen gelernt — , 
und ich bin „Herr der Trommel". Fast wäre der Handel noch 
zu guter Letzt rückgängig gemacht worden. Plötzlich kommt der älteste 
Oheim des Häuptlings hinzu, der bei dem Kauf nicht zugegen war, 
erfaßt sofort die Situation und schreit seinen Neffen wütend an, er 
sei kein rechter Häuptling, er sei ein Knabe, oder mit anderen Worten, 
„ein dummer Junge" usw. Schmidt drückt ihm als „Schweigegeld" 
ein großes amerikanisches Waldmesser in die Hand, das er schleunigst 
beiseite trägt, und der Zwischenfall ist erledigt. 

Die Trommel ist ein Prachtstück ersten Ranges von erheblichem 
Alter. Sie ist aus einem Stück gearbeitet. Ein mächtiger Zylinder 
von 1,81 m Länge und 2,15 m Umfang aus sehr hartem Holz ist 
oben mit vier runden, durch einen schmalen Schlitz miteinander ver- 
bundenen Schallöcliem versehen, durch die allein der Zylinder mit 
Hilfe von Feuer kunstreich ausgehöhlt ist. In der Mitte ist eine 



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Signaltrommel 



181 



Scheidewand geblieben, die das Innere in zwei Kammern teilt. Diese 
stehen jedoch durch einen schmalen, senkrechten Schlitz und einen 
breiten, am Boden des Trommelzylinders verlaufenden Kanal mit- 
einander in Verbindung. Dadurch, daß an der einen Hälfte der 
inneren Scheidewand ein Zapfen stehengeblieben ist, der nach unten 
in den Kanal reicht, werden zwei verschiedene Töne erzielt. Die 
runde Fläche der einen äußeren Seitenwand ist mit gelben Mustern auf 
dunkelrotem Grunde bemalt. Der Holzzylinder ruht auf Bastpolstern 
in zwei Trägern aus verflochtenen Lianen freischwebend an vier starken, 
schräg gestellten Stützen, die tief in den Erdboden gerammt sind. 
Die Trommel wird mit zwei aus hartem Holz geschnitzten Schlegeln 
bearbeitet, die am Kopf mit Kautschuk überzogen und mit Faser- 
schnur kreuzweise umwickelt sind. Getrommelt wird mit je einem 
Schlegel auf die Mitte des Zylinders zu beiden Seiten des Längs- 
schlitzes. Zunächst schlägt die linke Hand mit dem Schlegel auf die 
eine Seite einige leichtere Schläge; darauf fällt die rechte Hand mit 
dem anderen Schlegel ein und gibt in stärkeren, zuerst langsamen, 
dann immer rascher folgenden Schlägen den Hauptton, während die 
linke Hand, mit schwächeren Schlägen dazwischenfallend , gleichsam 
die Begleitung liefert. Die Schläge werden rascher und rascher, bis 
sie zuletzt in einem anhaltenden Wirbel endigen. Den Schall, dessen 
Schwingungen durch das Freischweben des Trommelzylinders und 
seine weiche , elastische Unterlage noch befördert werdeu , hört man 
in der Nacht meilenweit, wie ich mich selbst überzeugt habe (Abb. 
S. 194 und Taf. V). 

Von einer eigentlichen Trommelsprache, wie in anderen 
Gegenden Südamerikas, können wir am Caiary-Uaupes nicht oder 
vielleicht nicht mehr reden. Diese Trommeln dienen lediglich zum 
Signalisieren, als Alarminstrument bei Kriegsgefahr, und um die Nach- 
barn zu größeren Festlichkeiten zusammenzurufen. Einige Tage vor 
einem großen Tanzfest wird jedesmal um die Wende der Nacht die 
Trommel geschlagen, auch am frühen Morgen des Festtages und von 
Zeit zu Zeit während des Festes zur Flötenbegleitung. Beim Trommeln 
in der Morgenstille werden die Zugänge der Maloka verschlossen ge- 
halten, damit die Tonwellen nicht vom Walde verschluckt werden, 
sondern sich konzentrieren, durch den Giebel des Hauses entweichen 
und sich erst über den Wipfeln der Bäume in der freien Luft aus- 
breiten. 

Diese Signaltrommeln sind über einen großen Teil des tropischen 
Südamerika verbreitet. Nördlich vom Amazonenstrom reichen sie 



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182 



Tinuka-Indianer 



vom Orinoco, wo sie heute nicht mehr vorkommen, über den Caiary- 
Uaupes, Yapura, Issa bis an den Fuß der Kordilleren. 

Am 13. April fahrt Häuptling .lose in einer großen Montaria 
mit sechs Ruderern nach Sao Felippe. Er hat 2b' Körbe Maniok- 
grütze, 28 Hühner und eine Anzahl großer Tragkörbe und Kalabassen 
geladen, um damit einen Teil seiner Schulden zu bezahlen. Ich gebe 
ihm einen Kotier mit, in den ich alle kleineren Ethnographica der 
Sammlung verpackt habe, und einen Brief an Don Germano, worin 
ich diesen um einige notwendige Ergänzungen meiner Waren bitte. 
Besonders fehlen mir kleine Angelhaken, die neben Perlen zu den 
am meisten begehrten Tauschartikeln am Caiary-Uaupes gehören. 
Auch der Tabak geht auf die Neige, da die ganze Bevölkerung mit 
uns raucht. Der Häuptling rechnet auf Hin- und Rückreise einen 
Monat. Vor der Abfahrt erteilt er jedem mit seiner lauten energischen 
Stimme Befehle für die Zeit seiner Abwesenheit und übergibt seinem 
ältesten Oheim mit einigen Worten die Regentschaft. Heulszenen wie 
in Cururu-cuara am Aiary finden hier beim Abschied nicht statt; es 
geht vielmehr recht heiter dabei zu. 

Eines Tages kommen zwei junge, im Gesicht rot bemalte Indianer 
auf kurzen Besuch, schlanke, hübsche Burschen mit selbstbewußtem 
Auftreten. Es sind Tuyuka von der großen Maloka Pinokoaliro, drei 
Tagereisen flußaufwärts. Sie überbringen die Einladung zu einein 
Tanzfest. Die Tukano haben sich zu Ehren ihrer Gäste die Gesichter 
rot überstrichen oder mit Mustern bemalt. 

Am 17. April fahren wir ab. Meine Ruderer aus Iraiti haben 
gleich bei unserer Ankunft die Montaria über die Pary-Cachoeira und 
die folgende Stromschnelle gezogen und in einem kleinen Nebenbach 
untergebracht, der den oberen Hafen der Maloka bildet. Dorthin 
wurde auf einem Fußpfad unser Gepäck geschafft. 

An ruhigeren Stellen fahren wir sehr gemütlich. Von Zeit zu 
Zeit holt einer meiner jungen Ruderer seine Panpfeife hervor und 
bläst eine Weise, oder sie pflücken Yapura früchte von einem Ufer- 
baum, weiße, nußartige Kerne in einer mehrfach geschlitzten, rot- 
grünen Fmchthülle. Wenn die Kerne von der gallebitteren, bräun- 
lichen Substanz, in der sie lagern, durch Waschen befreit sind, schmecken 
sie vorzüglich, süß wie frische Haselnüsse. Zur Reifezeit werden sie 
von den Indianern in Körben gesammelt, sauber enthülst und zu einer 
grauen, käsigen Masse verkocht, die auf Maniokfladen gegessen wird- 

Nachmittags besuchen wir eine Maloka auf dem linken Ufer' 
wo der Inspektor Antonio seinen Sitz hat, ein alter Tukano mit 



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Inspektor Antonio 



183 



schwachem Schnurr- und Vollbart. Er spricht notdürftig portugiesisch, 
scheint aber gerade kein Geisteslicht zu sein. Bald lenken wir in den 
Cabary-Igarape ein, der auf derselben Seite sein schwarzes Wasser 
dem Tiquie zuführt. Er soll sehr fischreich sein. Seine Mündung 
ist mit einem Fischzaun abgesperrt. Auf seinem rechten Ufer nahe 
der Mündung liegt eine saubere, geräumige Maloka der Tukano, das 
Vaterhaus meines Mandu, wo wir für die nächsten Tage freundliche 
Aufnahme finden. Die Begrüßung zwischen Mandu und seinen An- 
gehörigen ist sehr kurz und scheinbar gleichgültig. 

Der Indianer versteht es meisterhaft, seine Gefühle, besonders 
vor Fremden, zu verbergen ; aber der Familiensinn ist bei ihm mindestens 
ebenso tief ausgeprägt wie beim Europäer, dessen häufig übertriebene 
Gefühlsäußerungen er verachtet. Die Klage um einen inzwischen Ver- 
storbenen, wie ich sie öfters bei Empfängen am Aiary beobachtet 
habe, ist im Grunde leere Zeremonie und hat mit dem Gefühl nichts 
zu tun. Der strengen Etikette, die einen ernsten, würdevollen Empfang 
vorschreibt, unterwerfen sich auch meine Ruderer, selbst wenn sie nach 
einer Abwesenheit von Wochen und Monaten zu ihren Verwandten 
zurückkehren. Ist aber dieser offizielle Teil vorüber, dann geht es 
an ein stundenlanges, ausführliches Erzählen der Reiseerlebnisse, wobei 
der Erzähler, unterstützt durch das dem Indianer eigentümliche Nach- 
ahmungstalent, gewöhnlich auf Kosten seines weißen Herrn auch nicht 
die kleinsten humoristischen Einzelheiten vergißt und seine Zuhörer 
zu wahren Lachsalven begeistert. 

Oberhalb der Tukano-Maloka liegt am Cabary-Igarape eine Maloka 
der Tuyuka, wo zwei Tage nach unserer Ankunft ein Tanzfest stattfindet. 

Um drei Uhr fahren wir alle in der großen, neuen Montaria des 
Hausherrn dorthin ab. Das Boot ist voll froher Menschen in Festes- 
stimmung. Auch die beiden Tuyuka, die seinerzeit die Einladung 
nach der Pary-Cachoeira gebracht haben, fahren mit uns. Der eine hat 
eine Schwester Mandus zur Frau und ist mit dieser und seinem gleich- 
alterigen Freunde bei seinen Schwiegereltern zu Besuch. Mehrere 
Kanus, dicht besetzt mit rot bemalten Indianern, begegnen uns. Laut 
erschallen die Begrüßungen von Boot zu Boot. Jeder einzelne, Mann, 
Weib und Kind, erhält wie üblich seinen besonderen Gruß. Auch der 
Inspektor Antonio und einige alte Bekannten von der Pary-Cachoeira 
fahren rasch an unserer schwer beladenen Arche vorüber. Koch 
während der Fahrt malen sich die Weiber rote Muster ins Gesicht 
und erweisen auch Kariuatinga diesen Liebesdienst. Es ist ein an- 
sehnlicher, zwischen hohen, felsigen Ufern dahinströmender und vielfach 



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184 



Kmpfangszeremonie 



von kleinen Felsinseln durchsetzter Bach. Nach kurzer Fahrt kommen 
wir an die brausende Periijuito-Cachoeira, so benannt nach den zahl- 
losen grünen Papageien, die dort ihren Trinkplatz haben. Wir lassen 
unsere schwere Montaria am Fuß des Falles zurück und gelangen auf 
einem schmalen Kicbtwege durch den Wald zur Tuyuka-Maloka, die 
von der Höhe der gegenüberliegenden lehmigen Uferwand zu uns 
herübergrüßt. Mit einem Kanu werden wir übergesetzt. 

Die Maloka ist nicht sehr groß; sie hat nur acht Feuerstellen. 
Eine Menge Menschen ist schon anwesend, alle am ganzen Körper 
mit geschmackvollen Mustern festlich bemalt, auch Gäste von einer 
zweiten Tukano-Maloka, die an demselben Bach weiter aufwärts liegt. 
Von den Männern und Jünglingen, die im Hause nahe dem Ausgang 
sich in einer Reihe aufgestellt haben, werden wir mit lautem r He-he- 
he u -Geschrei empfangen. Diese Tuyuka sind durchschnittlich pracht- 
volle Indianergestalten mit edelgeschnittenen Gesichtszügen und fein- 
gebogenen Nasen, schönere Typen als die Tukano mit ihren meist 
gedrungenen Körpern und breiten Gesichtern. 

Die Empfangszeremonie ist endlos. Reihenweise hintereinander 
treten die Wirte zu uns heran und begrüßen jeden einzelnen mit lautem, 
eintönigem Geplapper. Erst dann können wir uns in einer Ecke 
häuslich niederlassen. Fortgesetzt werden große Kalabassen voll 
goldgelben, wohlschmeckenden Kaschiri gereicht. Es ist aus den 
Früchten der Pupunyapalme bereitet, denen eine ziemliche Quantität 
Zuckerrohrsaft, gekochte und zerstampfte Bataten und andere Knollen 
zugesetzt werden. Eine Riesenzigarre, in eine schön geschnitzte Holz- 
gabel geklemmt, macht die Runde. Wer während der Unterhaltung 
nicht rauchen will , steckt die Gabel mit dem spitzen Ende vor sich 
in die Erde. Auch Coca wird angeboten. 

Die langweiligen Höflichkeitsphrasen wiederholen sich von Zeit 
zu Zeit zwischen Wirten und Gästen die ganze Nacht hindurch. 
Inspektor Antonio, der sich wegen seiner europäischen Übertünchung 
mehr dünkt als diese Söhne der Wildnis, sagt zu mir: „Wenn diese 
Wilden miteinander sprechen, klingt es wie Papageiengeschnatter ! u — 
So unrecht hat er nicht. — Ich habe ihn übrigens unterschätzt. Er 
ist bei näherem Bekanntwerden ein recht intelligenter alter Kerl und 
kann daher für meine Zwecke wohl brauchbar sein. In seiner Jugend 
hat er auf einem Amazonasdampfer als Heizer gedient und ist bis 
zum Purus gekommen; daher seine portugiesischen Sprachkenntnisse. 
Leider wird neben dem harmlosen Kaschiri von einem alten Tuyuka 
auch Rum kredenzt, glücklicherweise nur wenig. Man hat das Gift- 



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Galaschmuck 185 

zeug von weißen Händlern eingetauscht, die nur selten diese entlegene 
Gegend besuchen. 

Gegen Sonnenuntergang werden die Tuyuka von einigen älteren 
Männern zum Tanze geschmückt; eine umständliche Prozedur, die 
etwa eine Stunde dauert. Um den wertvollen Federschmuck nicht 
durch Schweiß zu beschmutzen, wird dem Tänzer zunächst ein schmales 
Band aus weißem Baumbast fest um den Kopf gelegt, so daß die 
Stirnhaare ein wenig darunter hervorschauen. Darüber bindet man 
die herrliche, breite Federbinde aus den leuchtend gelben und roten 
Federchen des Aracanga, umsäumt von den weißen Flaumfedern des 
weißen Aasgeiers. Hinten wird sie weit überragt von einem breiten 
Aufstecker aus feinen weißen Reiherfedern; eine lange Schwanzfeder des 
roten Arara, von deren Mitte eine weiße Feder herabhängt, ist dort 
horizontal eingesteckt. Die durch einen Knochensplitter verstärkte 
Spule der Ararafeder ist mit einer Krause aus Papageifedern um- 
wunden und durch eine runde, in der Mitte durchbohrte Kalabassen- 
scherbe oder Scheibe aus Gürteltierschale gezogen. In den durch- 
bohrten Ohrläppchen hängen halbierte und blankgeputzte Messinghülsen 
von Winchesterpatronen , die bei den Bewegungen des Tänzers hell 
erklingen. Hinter jedem Obr steckt mit der Fahue nach vorn eine 
weiße Feder. Hals und Brust zieren reicher Silberschmuck und der 
kostbare Quarzzylinder. Die Haare werden am Hinterkopf in einem 
Schopf zusammengefaßt, der mit Hilfe eines daruntergelegten Banunen- 
blattstengels und langer, aus Affenhaaren geflochtener Stricke, die 
Haar und Stengel dicht umwickeln, zu einem künstlichen Zopf ver- 
längert wird. Über den Zöpfansatz wird horizontal ein Jaguarknochen 
gebunden, der den Halt gibt für dicke Bündel von Affenhaarstricken 
und Federbälge des weißen Reihers, die lang über den Rücken herab- 
wallen. Am linken Armgelenk trägt jeder Tänzer eine QuaBte aus 
Affenhaarstricken und bunten Federn, die über einer glänzend schwarz 
polierten und mit Ritzmustern verzierten Palmfruchtschale befestigt 
sind. An einigen Quasten häugen die rötlich-grün schimmernden, 
metallisch klingenden Flügeldecken des Buprestiskäfers. Kunstvoll 
aus feinen Faserschnüren in Mäandermustern gewebte Bänder, die 
mit gelber Tonfarbe überstrichen und an der Außenseite uiit zierlichen 
Federtroddeln geschmückt sind, umspannen die Beine der Tänzer 
unterhalb der Knie. Die Lenden umschließt ein wertvoller Gürtel 
aus aufgereihten Zähnen des Jaguars oder Wildschweins, von dem vorn 
ein langer, mit roten, selten mit blauen Mustern bemalter Schurz aus 
weißein Bast herabhängt (Taf. VI). 



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1H6 



Prächtige Tänze 



Die Tuyuka geben den Hall. Die Tukano sind ihre Gäste und 
Zuschauer; sie tanzen für sich, stellen aber ihren Galaschmuck, 
den der ältere Bruder Mandus in Verwahrung hat, den Wirten zur 
Verfügung. 

Das Fest wird eingeleitet durch einen Tanz der Tuyuka, der im 
Hause stattfindet. Die Tänzer gehen vun einem Gast zum andern 
und verkündigen mit einigen kurzen Worten den Beginn des Tanzes. 
Dann treten sie in einer langen Reihe an, das Gesiebt dem Eingang 
zugewendet. Die rechte Hand ruht auf der linken Schulter des Neben- 
mannes; die linke hält ein Bündel Klappern aus halbierten Frucht- 
schalen, die den Tanzschritt betonen sollen. Zunächst stampfen sie 
unter rhythmischem Rasseln mehrmals auf der Stelle ; dann setzt der 
Gesang ein, der, anfangs langsam und leise, allmählich anschwillt und 
immer rascher wird. Die Tänzer bewegen sich in weit ausholenden 
Schritten mit wippenden Knien, wesentlich im Viervierteltakt, bald 
nach rechts, bald nach links, einen Sprungschritt vorwärts mit kräftigem 
Aufstampfen und geschmeidigem Beugen des Oberkörpers, so daß die 
hohen Reiherfedern mit ihren zitternden Spitzen fast den Boden be- 
rühren, einen kürzeren Schritt ohne Stampfen rückwärts. Bald nehmen 
junge Weiber am Tauze teil. Sie sind nackt bis auf das schon ge- 
musterte Perlenschürzchen und die gelben Kniebänder. Sie treten 
so zwischen die Tanzenden, daß der eine Tänzer, dessen rechte Hand 
auf der linken Schulter des Nebenmannes liegt, mit dem freien Arm 
den Nacken der Frau umschlingt, die die Hüften ihrer beiden Partner 
umfaßt hält. So trippeln die Schönen eifrig mit. Der Tanz wird 
zur raschen Runde um die älteren Frauen herum, hauptsächlich „Ball- 
mütter", die inmitten des Hauses zu beiden Seiten des Mittelganges 
am Boden hocken und schwatzen. Nach einiger Zeit treten die jungen 
Tänzerinnen zurück. Eine Weile steigert sich der Tanz zum wildesten 
Fortissimo. Mit weiten, regelmäßigen Sprüngen tanzen die Männer 
eine letzte Runde. Der Boden erdröhnt von dem kräftigen Aufstampfen. 
Es ist ein Genuß, diese elastischen, kraftvollen Gestalten zu seheu, 
in ihrem farbenreichen Schmuck, der sich dem weichen, braunen Ton 
der Haut harmonisch anschmiegt, und den das bisweilen aufflackernde 
Licht der Fackeln nur noch leuchtender hervortreten läßt. Man fühlt 
sich um Jahrhunderte zurückversetzt, in die Zeit, als noch nicht des 
weißen Mannes Fuß den Boden ihrer Heimat betreten hatte. Wie 
viel schöner sind doch diese ebenmäßigen Körper in ihrer reinen 
Nacktheit, als wenn sie mit Kleidern oder Kleiderfetzen behängt sind! 

Der Gesang paßt sich dem flotten Tempo des Tanzes an; eine 



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Zaabcrtrank Kaapi 



187 



ernste, durchaus nicht monotone, ich möchte sagen kriegerische Weise 
von strengem Rhythmus. Zum Schluß stehen die Tänzer wie am 
Anfang in einer Reihe, stampfen noch einige Male an der Stelle und 
gehen nach dem üblichen Schrei und gellendem Pfiff zwischen den 
Zähnen auseinander. 

Der Tanz dauert sehr lange und besteht aus einzelnen Abteilungen, 
die sich aber im großen und ganzen gleichbleiben. Bei dieser gewal- 
tigen Anstrengung ist die unermüdliche Ausdauer der Tänzer zu be- 
wundern, denen zuletzt der Schweiß in Strömen vom Körper rinnt. 
Nach jeder längeren Tour geht ein älterer Mann von einem Tänzer 
zum andern und klopft mit einem elastischen Stäbchen den Staub von 
der kostbaren Federbinde. 

Mandus Schwager, der schöne Häuptlingssohn aus Pinokoaliro, 
ist Vortänzer. Er tanzt in der Mitte der Kette, gibt Ton und Tempo 
an und markiert den Schluß einer jeden Tour. Jede seiner Bewegungen 
setzt sich gleichsam wie ein elektrischer Schlag durch die ganze Kette 
fort. Den äußersten Tänzern haben sich, wie ich es auch am Aiary 
gesehen habe, einige halbwüchsige Jungen mit einfachen Federreifen 
um den Kopf angeschlossen, damit sie den Tanz beizeiten lernen. 
Sie suchen schon wacker mitzutun, werden aber durch die langen 
Schritte der Erwachsenen zum Jubel der Zuschauer bald hierhin, bald 
dorthin geschleudert. Die Tukanogäste hocken währenddessen auf 
niedrigen Schemeln rechts und links vom Eingang und stoßen zum 
Schluß ein lautes Geschrei der Anerkennung aus. 

Nun wird von einem Tuyuka, der einfacher geschmückt ist als 
die Tänzer, ein elegant gearbeitetes Tongefäß hereingebracht. Es ist 
mit Kaapi gefüllt, dem beliebten Reizmittel der Uaupesindianer bei 
ihren großen Tanzfesten, dessen Genuß angenehme Halluzinationen 
hervorruft. Mit einem Aufstampfen des rechten Fußes und „Ma! tt - 
Schrei setzt er das Gefäß vor den Tänzern nieder, die im Halbkreis 
herumsitzen. Er rührt das kostbare Gebräu, das wie Jauche aussieht, 
mit einem Stäbchen tüchtig um und füllt mit einer kleinen, innen rot 
bemalten Kalabasse eine andere, die er jedem der Tänzer der Reihe 
nach zum Austrinken kredenzt. Dann ehren die Tukano die Tänzer, 
indem sie ihnen Kaschiri bringen. Im Gänsemarsch, mit ganz ein- 
geknickten Knien fast am Boden hinkriechend, kommen sie in Schlangen- 
linien rasch daher und reichen ihren Wirten unter lautem .,Ma-ma-ma!" 
in gewaltigen Kalabassen den Labetrunk. 

Nach einer kurzen Pause, die von den Tukano mit Musik auf 
Panpfeifen, kleinen Flöten aus Hirschknoehen und anderen Instru- 



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183 



Kundtfinze der Tukano 



menten ausgefüllt wird, wiederholen die Tuyuka ihren Tanz. Darauf 
lassen sich die Tukano vor dem Haus von ihren Weibern festlich 
schmücken. Sie tragen nur einfache Federkronen in geflochtenen 
Strohreifen um den Kopf, Federkämme mit Rückenschmuck hinten im 
Haar. Den Scheitel bedeckt eine Art Haube aus losen Entendaunen, 
die infolge häutigen Durchknetens mit Baumasche zusammenhalten. 
Die prächtigen Zahngürtel und bemalten Bastschurze fehlen; soust 
gleicht ihr Schmuck dem der Tuyuka. Die Klappern, die jene in der 
rechten Hand getragen haben, sind bei den Tukano um den rechten 
Fußknöchel gewunden. In der linken Hand halten sie einen langen 
Stab, der bei den Vortänzern durch eine Kürbisrassel ersetzt ist. 
Einige tragen Büschel wohlriechender Blätter unter der Hüftschnur. 
Auch sie tanzen in einer oftenen Runde, zwei Vortänzer in der Mitte, 
zunächst auf dem freien Dorfplatz, dann im Hause, in demselben 
flotten Tanzschritt wie die Tuyuka. Der Takt, den die Vortänzer mit 
ihren Kürbisras6eln angeben, wird von den übrigen durch Aufstampfen 
mit den Stäben betont. Auch hier nehmen eine Zeitlang die Weiber 
in gleicher Weise am Tanze teil. Bald aber treten sie zur Seite der 
Männer und tanzen außerhalb des Kreises, indem sie immer zwei 
Schritte vorwärts und zwei Schritte rückwärts machen und bald die 
linke, bald die rechte Hand auf die Schulter ihres Tänzers legen, der 
seine Partnerin mit dem rechten Arm um die linke Hüfte laßt. Der 
Tanz endet unter dem Beifallsgeschrei der Tuyuka, die diesmal die 
Zuschauer bilden und nun ihre Gäste mit Kaapi und Kaschiri be- 
wirten. Auch die alten Herren bekommen ihr Kaapi; der Inspektor 
trinkt sogar, wie er mir stolz erzählt, drei kleine Kalabassen davon; 
als junger Mann habe er noch viel mehr trinkeu können. 

Die Tukano- Jünglinge tanzen von Zeit zu Zeit eine Art „Chassc- 
eroise* zu zwei Paaren, indem sie unermüdlich hin und wider springen 
und ihren Panpfeifen eine gellende Weise entlocken. Bisweilen kommen 
zwei von ihnen emsig flötend in das Haus hinein und tanzen dort so 
lange umher, bis sich ihnen zwei nackte Mädchen anschließen, mit 
denen sie allmählich im nächtlichen Dunkel verschwinden. — — 

So gellt es die ganze Nacht in abwechselnden Tänzen der Tuyuka 
im Haus, der Tukano meistens auf dem Dorfplatz. Die Tukano- Weiber 
haben sich draußen in der sternfunkelnden, herrlichen Tropeunacht 
eiu Feuer angezündet und hocken dabei. Auch einige ältere Herren 
wärmen daran ihre steifen Knochen, lassen fleißig die Coca-Kalabasse 
und die Riesenzigarre kreisen und halten endlose, plappernde Gespräche 
bis zum frühen Morgen. Diese Indianer haben eine fabelhafte Aus- 



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Haschischrausch 



189 



dauer im Stillsitzen. Ein alter Tuyuka, ein außergewöhnlich langer 
Kerl, sitzt stundenlang unbeweglich wie der steinerne Gast auf einem 
niedrigen Schemel, ohne eine Miene zu verziehen; so sitzt er um elf 
Uhr, als ich einschlafe, und so sitzt er noch beim Morgengrauen, als 
ich wieder erwache. 

Das Zeremoniell spielt wieder während des ganzen Festes eine 
Hauptrolle. Bisweilen schreit ein älterer Mann den Jünglingen ein 
lautes, aufmunterndes „Yeömachkö!" („Mein Sohn!") zu — „Prosit! 
Ihr Füchse ! u 

Speisen werden nicht gereicht. Es geschieht selten bei Tanzfesten. 
Das Kaschiri liefert Trank und Speise, sagen die Indianer, die frei- 
lich sehr genügsam sind. Nur unter den älteren Herren geht eine 
Kalabasse mit gerösteter Maniokstärke um, die mit Hilfe eines Stück- 
chens trockenen Bananenblattes, ähnlich wie Coca, genommen wird. 
Der Inspektor, der schon des Guten erheblich zuviel getan hat, bringt 
uns von Zeit zu Zeit etwas davon und rettet uns vor dem Verhungern. 

Ich habe endlich genug, lasse mir durch Freund Antonio eine 
Hängematte besorgen und schlafe in einer Ecke des Hauses trotz des 
unbeschreiblichen Lärmes „fest, doch etwas unbequem". 

Gegen zwei Uhr nachts weckt mich Schmidt; das Kaapi tut seine 
Wirkung bei den Tänzern. Sie erheben unter heftigen Gebärden 
ein wüstes Geschrei und laufen dann paarweise mit eingeknickten 
Knien und kurzen raschen Schritten im Mittelgang hintereinander 
her. Unter dem rechten Arm eingeklemmt hält ein jeder mit beiden 
Händen einen Stab schräg abwärts und schaut mit wilden Blicken vor 
sich hin, als wenn er einen schnell enteilenden Feind töten wolle, den 
er vielleicht in seinem Haschischrausch sieht. Wütend stechen sie in 
den Boden. Enttäuscht drehen sie sich um, schwingen ihre Stäbe mit 
lautem Geschrei und laufen dann nach einer anderen Richtung in der- 
selben Weise wie vorher. Es scheint viel Zeremonie und Verstellung 
dabei zu sein. Die anderen lachen, die Weiber schreien sogar vor 
Vergnügen. 

Am nächsten Morgen, kurz nach Sonnenaufgang, finden die Tänze 
ihren Abschluß. Die Tänzer, die sich musterhaft gehalten haben, 
legen ihren herrlichen Schmuck ab. Der Federschmuck wird, wie zu 
Beginn des Festes, mit einer gewissen Feierlichkeit teils an schön 
geschnitzte, am oberen Ende mit Federgehängen verzierte Häuptlings- 
stäbe gebunden, die in den Erdboden gesteckt sind (Abb. S. 3GU), teils 
auf einem umgestülpten, großen Sieb ausgebreitet. Einige ältere Leute 
zählen die einzelnen Teile genau und verwahren den Feder- und Haar- 



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Zubereiten des Kaapi 



schmuck und die Bastschurze in einem aus Palmblattstreifen verfertig- 
ten, länglichen Kasten sorgsam zwischen Stücken braunen Baumbastes. 
Die Zahngürtel, Fußklappern und Kürbisrasseln werden in einen Sack 
aus rotem Bast gesteckt. Wir verabschieden uns von unseren freund- 
lichen Wirten und fahren zur Tukano-Maloka zurück. Das Kaschiri 
ist noch nicht zu Ende. Einige „Ritter von der Gemütlichkeit", 
darunter natürlich der Herr Inspektor, bleiben bis zum Abend. 

Der Indianer ist mit Recht stolz auf seinen farbenprächtigen 
Tanzschmuck und veräußert ihn ungern. Es hält ungemein schwer, 
vollständige Schmucke zu erwerben, da sie gemeinsamer Besitz 
sind, und ein einzelner sie nur in Verwahrung hat, aber ohne die 
Zustimmung aller nicht veräußern kann. Gewöhnlich kann man nur 
einzelne Stücke kaufen, die sich als Erbstücke im Privatbesitz befinden, 
seltener vollständige Schmucke von Häuptlingen, deren Gemeinde sich 
aufgelöst hat. 

Das Kaapi ist der Aufguß von einem Malpighiaceen-Strauche 
(Banisteria) und wird auf folgende Weise nur von den Männern bereitet, 
da die Frauen kein Kaapi trinken. Die Wurzeln, Stengel und Blätter 
des Strauches werden in einem breiten, trogformigen Mörser zu einer 
grünlich-braunen Masse zerstampft, die in einem Topf mit wenig Wasser 
ausgewaschen, gut ausgedrückt und nochmals im Mörser gestampft und 
gewaschen wird. Der dadurch entstandene Brei, der im Aussehen 
etwas an Kuhdreck erinnert, wird durch zwei ineinandergelegte, feine 
Siebe in das Kaapigefäß geseiht, wobei durch Stoßen wider den Rand 
der Siebe nachgeholfen wird. Der Topf mit dem unappetitlichen Trank 
wird sorgfältig mit Blättern zugedeckt und eine Zeitlang vor das Haus 
gestellt. Das Kaapigefäß hat immer dieselbe bauchige Urnenform und 
ist stets mit den gleichen gelben Mustern auf dunkelrotem Grunde 
bemalt. Merkwürdigerweise ähneln diese sehr den Mustern, die auf 
die runde Außenwand der Signaltrommel gemalt sind. Am oberen 
Rande hat das Gefäß zwei horizontal abstehende, blattförmige Henkel, 
an denen es getragen wird, und zwei Löcher, in denen eine Anhänge- 
schnur befestigt ist. Es wird nie gewaschen, aber von Zeit zu Zeit 
neu bemalt (Abb. S. 225). 

Die Wirkung des Kaapi ähnelt einem Hasebischrausch. Man sieht, 
wie die Indianer erzählen, alles viel größer und schöner, als es in 
Wirklichkeit ist. Das Haus ist riesig groß und prächtig. Viele, viele 
Leute sieht man, besonders viele Weiber. — Das Erotische scheint 
bei diesem Rausch eine Hauptrolle zu spielen. — An den Hauspfosten 
winden sich große, bunte Schlangen auf und nieder. Alle Farben sind 



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Musikinstrumente 



191 



grell bunt. Manche, die Kaapi trinken, verfallen plötzlich in tiefe 
Bewußtlosigkeit und haben dann die schönsten Träume, freilich auch 
beim Erwachen die schönsten Kopfschmerzen — Katzenjammer. 

So erging es Schmidt beim Tanzfest in Atiuru am Aiary, als er 
eine kleine Kalabasse Kaapi, das wir damals noch nicht kannten, 
getrunken hatte. In seiner kurzen Ohnmacht hatte er einen „langen 
und wunderschönen Traum", so daß er, noch im Halbdusel, ganz böse 
war, als ich ihn mit einem Becher Wasser in die graue Wirklichkeit 
zurückrief. 

Die bei den Tanzfesten am Tiquie gebräuchlichen Musikinstrumente 
kommen in der gleichen Weise am ganzen übrigen Caiary-Uaupes vor 
und sind uns zum Teil schon am Aiary begegnet. 

Es sind Panpfeifen verschiedener Größe mit fünf bis siebzehn 
Kohren, die unten stets durch den natürlichen Knoten geschlossen 
sind; Yapurutu-Flötenpfeifen, die, wie gewöhnlich die Panflöten, stets 
paarweise geblasen werden und aufeinander abgestimmt sind; kleinere 
Flötenpfeifen aus Rohr mit zwei bis vier Tonlöchern, die zuweilen 
auf der Vorder- und Rückseite angebracht sind. Viele dieser Rohr- 
pfeifen sind mit Ritzmustern verziert; einige sind fast der ganzen Länge 
nach mit gepichten Schnüren aus feinen Pflanzenfasern dicht umwickelt, 
andere mit bunten Federchen geschmückt. Das obere Ende ist mit 
Wachs gedichtet, so daß nur ein schmaler Kanal freibleibt, der zu 
einem viereckigen Luftloch führt. 

Sehr beliebt sind die kleinen Flötenpfeifen aus Tierknochen, weil 
sie sich bequem überall mitnehmen lassen und nicht so zerbrechlich 
sind wie die Rohrpfeifen. Das Material zu diesen Pfeifen liefern die 
Schenkelknochen von Hirsch, Jaguar und Reiher. Die Flötenpfeifen 
aus Hirsch- und Jaguarknochen sind entweder am unteren Ende offen, 
oben aber mit einem Wachspfropfen versehen, der einen engen Kanal 
zu einem dreieckigen Luftloch freiläßt, oder beide Enden bleiben offen. 
In diesem Falle ist ein viereckiges oder halbrundes Luftloch aus dem 
oberen Rande ausgeschnitten. Man preßt diese Pfeifen wider die Unter- 
lippe und bläst schräg in das Luftloch hinein. Diese Flötenpfeifen 
haben gewöhnlich drei, seltener vier Tonlöcher. Bisweilen sind sie mit 
Ritzmustern verziert oder zur Festzeit mit Klappern aus den Flügel- 
decken des Buprestis-Prachtkäfers oder mit roten Blümchen geschmückt. 

Die gleichfalls unten offenen Flötenpfeifen aus Reiherknochen haben 
Lippen aus aufgebundenen Blättern, ein viereckiges Luftloch, zu dem 
ein durch einen Wachspfropfen hervorgebrachter Kanal führt, und in 
der Regel vier Tonlöcher. Sie geben schrille Töne. 



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192 



Indianer als Erzieher 



Bei allen Flötenpfeifen, denen die aufgebundenen Blattlippen fehlen, 
dient der scharfe untere Rand des Luftlochs als Lippe. 

Höchst merkwürdige Instrumente sind „Flöten* aus Schädeln von 
Hirsch, Nasenbär und anderen Tieren. Ein großer Teil des Schädels 
wird mit Pech überklebt. Nur das Hinterhauptsloch und der Nasen- 
eingang bleiben frei. Man bläst über eins von diesen Löchern hin 
und benutzt das andere als Tonloch. 

Schließlich gibt es noch ein nicht minder primitives Instrument 
aus der ganzen Schale der Landschildkröte, aus der man das Tier 
entfernt hat. An die eine Öffnung wird etwas Pech geklebt. Man 
erhitzt dieses und streicht mit der Hand darüber hin, wodurch ein Ton 
entsteht, der mit kläglichem Unkenruf eine gewisse Ähnlichkeit hat. 

Wir sind wohl aufgenommen bei Mandus Eltern. Seine Mutter 
ist eine energische und verständige Frau. Eines Tages gibt sie mir 
eine heilsame Lehre. Sie hat ein Söhnchen von drei Jahren, das 
Nesthäkchen; seine Geschwister sind zwischen vierzehn und fünfund- 
zwanzig Jahren alt. Der reizende kleine Kerl ist unser aller Liebling. 
Seine Mutter hat ihn mit reichem Schmuck behängt, großen Jaguar- 
zähnen, einem seltenen, der Länge nach durchbohrten Quarzzylinder 
und dicken Glasperlen aus meinen Vorräten. Auch das Haar hat sie 
ihm auf besondere Weise zugeschnitten. Der Vorderteil des Kopfes 
ist ganz kurz geschoren, während ihm vom Wirbel ab langes Haar 
herabhängt. Eines Mittags bringt mir Schmidt einen herrlichen azur- 
blauen Morpho, der, was man selten bei diesen Schmetterlingen trifft, 
vollkommen unversehrt ist. Ich lege ihn einstweilen beiseite, um ihn 
später zu verwahren. Mein kleiner Freund aber, der wie gewöhnlich 
zu meinen Füßen spielt, greift nach dem bunten Ding und verdirbt 
mir den Falter. Leider lasse ich mich zu einigen heftigen Worten 
hinreißen. Der Junge, an eine solche Behandlung nicht gewöhnt, sieht 
mich zuerst mit seinen großen, dunklen Augen verwundert an und läuft 
dann weinend zu seiner Mutter. Diese hält mir eine längere Straf- 
predigt und sagt unter anderem, es sei doch nicht recht, ein kleines 
Kind zu schelten, das noch nicht wissen könne, was es tue! — 

Auch Schmidt erhält hier eine deutliche, wenn auch unbeabsich- 
tigte erzieherische Lehre, die zugleich auf das natürliche Anstands- 
gefühl dieser „wilden" Indianer ein helles Licht wirft. Er will die 
„Matchicbe" vorführen, eine Art Bauchtanz, der in Manaos in etwas 
zweifelhaften Lokalen getanzt wird, und hat sich zu diesem Zweck 
mit einem Frauenrock und meiner Wollweste schauderhaft ausstaffiert. 
Das Fehlende müssen untergestopfte Hemden und Kalabassen ersetzen. 



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Bereiten von Medizin 



193 



Bei den sehr unanständigen Bewegungen des Tänzers ziehen sich die 
Frauen und Mädchen scheu zurück, und er macht zu meiner Freude 
gründlich Fiasko. — Über alles Geschlechtliche kann man ruhig mit 
ihnen sprechen, weil es etwas Natürliches ist; nur die Zote schreckt 
sie ab. 

Bei dem großen Tanzfest mit den Tujuka haben sich einige Leute 
in der frischen Nachtluft erkältet. Mandus älterer Bruder, der mit 
seinem indianischen Namen Doä (Trabira-Fisch), mit seinem christ- 
lichen Namen, wie so viele, Antonio heißt, macht im Hause in einer 
Topfschale über einem kleinen Feuer einen Absud aus Medizinkräutern 
zurecht. Als Schmidt von diesem Feuerchen einen Brand nimmt und 
sich damit eine Zigarette anzündet, bittet ihn der Zauberarzt, das 
Rauchen dabei zu unterlassen, da es die Medizin schlecht mache. Auch 
nimmt er den Brand, den Schmidt benutzt hat, von seinem Feuer 
weg und facht dieses dann stark an, so daß das Gebräu kocht. Die 
Krankenbehandlung ist dieselbe wie am Aiary. 

Wie bei den Festen, so wird in geringem Maßstabe auch im 
gewöhnlichen Leben das Zeremoniell streng beobachtet. Geht einer 
baden, so sagt er zu jedem Anwesenden: „Uanima", „Ich gehe baden", 
worauf der andere erwidert: „0(e)sani! w „Gehe baden!" 

Unter den zeitweiligen Bewohnern der Maloka befindet sich ein 
älterer Maku mit vertrauenerweckendem, durchaus nicht häßlichem 
Gesicht, aber wiederum spindeldürren Beinen. Er ist vom Umari- 
Igarape, einem linken Zufluß des Tiquie* weiter aufwärts, hierher 
gekommen und gehört Mandus Vater. Von den „Herren Tukano" 
wird er gut behandelt und bereitet für sie große Mengen Coca. 

Im Umkreis des Hauses gibt es auffallend viele Tagesstechmücken, 
die am Tiquie oberhalb der Mündung des weißen Castanya-Parana 
fehlen. Auch hier soll ein Bach mit weißem Wasser, der nahebei dem 
Cabary-Igarape zufließt, die Ursache sein. 

Eines Morgens kurz vor Sonnenaufgang hören wir deutlich die 
dumpfen Schläge der großen Trommel an der Pary-Cachoeira, meiner 
Trommel. Nachmittags soll dort ein kleines Kaschiri stattfinden. 

Die am ganzen Caiary-Uaupes und weit über seine Grenzen hinaus 
gebräuchlichen, schlittenförmigen Schemel, deren leicht konkave Sitz- 
fläche mit schwarzen Mustern auf rotem Grund bemalt und poliert 
ist (Abb. S. 96), erreichen hier auffallend große Dimensionen von 
1,20 bis 1,36 m Länge. Daneben gibt es Schemel von nur 30 biß 25 cm 
Länge. Die Höhe aller dieser Schemel, die stets aus einem Stück 
gearbeitet sind, beträgt in der Mitte nur 10 bis 25 cm bei einer Breite 

Koch-Orünberg, Zwei Jahre bei den Indianern 13 



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Weiterfahrt 



der Sitzplatte von 15 bis 46 cm. Die langen Sitzschemel sind für 
mehrere Personen bestimmt. 

Am 25. April fahre ich zur Maloka des Inspektors Antonio und 
verpflichte ihn für die ganze Reise stromaufwärts als Führer und 
Dolmetscher. In einer Hängematte liegt ein noch junger, furchtbar 
abgezehrter Mann. Er klagt über heftige Schmerzen in Brust und 
Rücken und bittet mich um ein Heilmittel. Offenbar leidet er an 
Lungenschwindsucht, zu der die Indianer infolge ihrer von Natur 
schwachen Lunge neigen. 

Zwei Tage später fahren wir weiter. 




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XIV. Kapitel 

Bei den Tuyuka- und Bara-Indianern 

Außer Inspektor Antonio und seinem hünenhaften Sohn Pa6chiko 
(Francisco), der den indianischen Namen Tepasonea führt, hat sich 
wieder Mandu uns angeschlossen und Germano, ein junger Tukano 
von der Pary-Cachoeira, der auch Yupuli heißt. Die beiden Tuyuka 
fahren in unserer Begleitung heimwärts. 

Der Cabary-Igarape gilt als die eigentliche und alte Grenze des 
Tukano-Gebietes. Einige Stunden tiquieaufwärts gibt es noch eine 
kleinere Tukano-Maloka mit wenigen Bewohnern auf dem rechten, 
lehmigen Ufer etwas unterhalb der reißenden Yabuti-Cachoeira. Dann 
folgt eine Anzahl gewaltiger Katarakte, die den Oberlauf gleichsam 
verschließen. 

Der imposanteste Fall ist die Caruru-Cachoeira. Er ist 15 m 
hoch und höher. Die Felsen fallen, wie die Indianer erzählen, so 
senkrecht ab, und der Anprall der Wogen ist 60 heftig, daß man bei 
einem gewissen Wasserstande unter dem Fall eine längere Strecke fast 
bis an das andere Ufer gehen könne, ohne naß zu werden. Hochauf 
stäubender Wasserdunst verschleiert weithin Fluß und Uferwald. Am 
Fuße des Falles ist links ein steiler, aber kurzer Pfad zum Hinüber- 
schaffen der Boote und der Last. Auf den Felsen finden sich zahl- 
reiche Figuren eingeritzt, die jedoch zum größten Teil unter dem hohen 
W r asser verborgen bleiben. 



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Katarakte und Stromschnellen 



Ich sei der vierte Weiße, sagt Antonio, der diese natürliche 
Schranke passiere. Vor mir seien einmal zwei Händler glücklich 
hinübergekommen, aber durch Unvorsichtigkeit trieb ihre große Montaria 
mit dem gesamten Gepäck den Fall hinab, so daß sie gezwungen waren, 
über Land zum Cabary-Igarape" zurückzukehren. Auch ein weißer 
Jäger sei im leichten Kanu flußaufwärts gewesen und habe dort in 
wenigen Tagen ein Dutzend Tapire geschossen. Bis zu den Bara sei 
noch nie ein Weißer gekommen. 

Unmittelbar über dem Absturz wird das Gepäck wieder eingeladen 
und das Boot an den Zweigen der Ufersträucher vorsichtig in ruhigeres 
Wasser weitergezogen. Schaudernd blickt man zur Seite in den spru- 
delnden Abgrund. 

Nach wenigen Stunden Fahrt gelangen wir zum Umari-Igarapt', 
dessen klares, hellgrünes Wasser Bich scharf gegen das schwarze des 
Tiquie abhebt, das seit Pary-Cachoeira immer dunkler geworden ist. 
Nahe der Mündung liegt die erste Maloka der Tuyuka, ein mittel- 
großes Haus mit acht Feuerstellen, von denen 6echs zurzeit bewohnt 
sind. Wir treffen verhältnismäßig viele Leute an, darunter wohl einige 
Gäste; denn es wird neben Coca etwas saueres Kaschiri gereicht. Die 
meisten sehen krank aus; ein jüngerer Mann ist offenbar schwind- 
süchtig, ein anderer auf beiden Augen erblindet; kurz, eine armselige, 
ungemütliche Gesellschaft. 

Die folgenden Katarakte werden ebenfalls über Land auf dem 
rechten Ufer umgangen. Der nächste Fall steht der Caruru-Cachoeira 
zwar an Höhe nicht nach, fällt aber nicht in einem senkrechten Sturz 
wie diese, sondern in einzelnen Stufen, wodurch der Eindruck nicht 
so gewaltig ist. Die Pucu-Cachoeira fuhrt ihren Namen „lange Strom- 
schnelle" mit vollem Recht. Sie besteht aus zahlreichen Fällen und 
klippenreichen Schnellen und kostet uns mehrere Stunden schwerer 
Arbeit. 

In einer sauberen Maloka der Tuyuka auf dem rechten Ufer ver- 
bringen wir die Nacht. Eine der hintersten Abteilungen des Hauses 
ist durch Gitter aus Palmlatten und Matten von dem übrigen Raum 
Btreng abgeschlossen. Dort hält ein junges Ehepaar gemeinsam die 
Wochenstube ab. Von Zeit zu Zeit quäkt das Neugeborene. 

Am nächsten Morgen findet die fünftägige Wochenstube ihren 
feierlichen Abschluß. Kurz vor Tagesanbruch tragen die Indianer 
alles Gerät, das den jungen Eheleuten gehört, Kaschiritöpfe, Schemel, 
einen Kasten mit Federschmuck und anderes, und besonders die 
Waffen ins Freie. Dann verlassen alle Unbeteiligten das Haus durch 



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Gebrauche nach der Gebart 



197 



die Hintertür. Bald bewegt sich durch den Eingang ein eigenartiger 
Zug zum Fluß. Voran schreitet die Mutter des jungen Mannes und 
trägt auf einer großen Topfscherbe glühende und stark qualmende 
Kohlen, deren Rauch sie mit einem Feuerfächer auf dem ganzen Wege 
um sich verbreitet. Dahinter kommt die junge Mutter mit dem Neu- 
geborenen auf den Armen und hinter ihr der glückliche Vater. Am 
Flusse angelangt, beräuchert die Alte, auf und ab schreitend, den 
ganzen Platz, steigt dann in ein kleines Kanu und beräuchert auch 
das Wasser hin und her. Darauf nehmen beide Eheleute mit dem 
Kleinen ein Bad und kehren in da6 Haus zurück, wo ihnen die Groß- 
mutter einen großen Topf voll gekochter Fische bringt, die erste 
festere Speise seit fünf Tagen. 

Aus diesen Gebräuchen scheint hervorzugehen, daß Eltern und 
Kind kurz nach der Geburt als unrein gelten. Deshalb wird gebadet. 
Die strenge Enthaltsamkeit der Eltern — sie dürfen während der fünf 
Tage nur Maniokfladen und Grütze essen und nichts arbeiten — , die 
Beräucherung des Weges und des Wassers, die Entfernung der Gerät- 
schaften, besonders der Waffen, aus dem Hause sollen offenbar alle 
schädlichen Einflüsse von dem kleinen Weltbürger abwenden. 

Ob die heutigen Indianer freilich noch die tiefere Bedeutung aller 
dieser Gebräuche kennen, ist zweifelhaft. 

Nach dem gemeinsamen Bad gibt der Vater, nicht der Groß- 
vater, dem Kind einen Namen, der sich auch hier häufig auf ein Tier 
bezieht. 

Die Tuyuka haben eine Menge zahmer Tiere: eine Katze, mehrere 
Hunde, Hühner, einen großen, grünen Papagei mit gelbem Schwanz, 
einen Pcrikito, einen Beutelstar, zwei rote und einen blauen Arara. 
Für 6 m Kattun kaufe ich der jungen Mutter, einem bildsauberen 
Frauchen, dem man die kürzliche Niederkunft gar nicht ansieht, 
einen Arara ab. Er hat künstlich gefärbte, orangegelbe Schulter- 
federn (vgl. S. 50) und führt den poetischen Namen Bolaka, Morgen- 
stern, wird aber gewöhnlich kurz Bola gerufen. Er spricht einige 
Worte Tuyuka. Ich lasse ihn einstweilen hier, um ihn auf der Rück- 
reise nach SAo Felippe mitzunehmen. 

Nicht weit von der Maloka kommen wir an zwei elenden, von 
Tuyuka bewohnten Hütten vorüber. Daneben sehen wir die verkohlten 
Pfosten eines größeren Hauses. Kinder haben mit Feuer gespielt — 
das alte Lied. Den Leuten ist fast alles verbrannt. Wir passieren 
noch einige harmlose Schnellen und kommen am 30. April gegen Abend 
über die lange, gerade Flußstrecke Pinokoaliro, wo vorzeiten eine riesige, 



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H»8 



Bei den Tuyuka in Pinokoaliro 



menschenfressende Schlange (pino) gebaust haben soll, zu der gleich- 
namigen großen Maloka der Tuyuka. 

Schon von ferne hören wir fröhlichen Lärm. Ein Tanzfest wird 
vorbereitet. Viele Leute sind zusammengekommen. Freundlich werden 
wir aufgenommen. Deutlich merkt man, daß selten Weiße hierher 
kommen. Neugierig mustern uns die Weiber, die in angemessener 
Entfernung von uns am Boden hocken. Die Kinder laufen scheu 
auseinander, sobald wir in ihre Nähe kommen. Eine alte Tukano, die 
hier verheiratet ist, setzt sich neben meine Hängematte und erzählt 
mir mit lebhaften Gebärden lange Geschichten in ihrer Sprache: Der 
Pira-Parana sei von hier aus südwärts über den Dyi-Igarape" in sieben 
Tagen zu erreichen. Auch könne man von den Bara auf einem Fuß- 
pfad in einem Tag zum Yauacaca-Igarape, einem Zufluß des Pira-Parana, 
gelangen. Am Pira-Parana, den die Tukano Uaiya (Fisch flu ß) nennen, 
wohnten, außer den Buchpu-machsa, die Palänoa, Erulia, Pamo-machsa 
und andere Stämme, am unteren Fluß auch Yahuana. Diese lägen 
öfters im Krieg mit den Buchpu-machsn und hätten schon viele von 
ihnen mit vergifteten Pfeilen getötet. 

Gegen neun Uhr geht die ganze Bürgerschaft nach den üblichen 
guten Wünschen zur Ruhe. 

Mitten in der Nacht, schon vor drei Uhr, beginnt wieder der Lärm. 
Die Weiber arbeiten am Kaschiri und schwatzen. Plötzlich erhebt sich 
draußen auf dem Dorfplatz ein geheimnisvolles Getön, eine hellere, 
melodische Weise, wie die feierlichen Orgelklänge eines alten Kirchen- 
liedes, dazwischen dumpf heulende Laute, unheimlich anzuhören. Ich 
will hinausgehen. Der Eingang ist geschlossen. Die Ritzen hat man 
mit Matten und Bananenblättern zugestellt. Als Wache stehen zwei 
Jünglinge davor, die mir bedeuten, jetzt könne ich nicht hinausgehen ; 
draußen sei der Yurupary, den die Weiber in der Maloka nicht 
sehen dürften; aber ich lasse nicht nach und schlüpfe hinaus. Yor 
dem Hause stehen sechs Jünglinge und blasen auf Instrumenten von 
verschiedener Gestalt und Größe. Vier davon sind Flötenpfeifen, denen 
vom Aiary ähnlich, aus schön geglättetem Paschiubapalmholz verfertigt 
und am unteren Ende mit weißem Ton überstrichen. Zwei sind sehr 
lang, die beiden andern weit kürzer und von starkem Durchmesser. 
Die übrigen Instrumente sind mächtige Trompeten aus spiralig ge- 
drehter Rinde, in der als Mundstück ein dickes Paschiubarohr steckt. 
Durch außen der Länge nach aufgelegte Holzstäbchen und Lianenringe 
werden sie zusammengehalten. Sie sind es, von denen das unheimliche 
Heulen ausgeht (Abb. S. 215 und Titelblatt). 



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Erntefest 



19» 



Die Musik dauert noch eine Zeitlang fort und entfernt sich dann 
nach dem Flusse hin. Den ganzen Morgen hört man vom unteren 
Hafen her von Zeit zu Zeit die dumpfen Töne. Nachmittags gegen 
drei Uhr kommen die Klänge näher. Auf ein Zeichen des Häuptlings 
lassen die Männer die Eingangstür herab. Alle weiblichen Personen 
entfernen sich rasch durch den Ausgang, der sofort hinter ihnen ver- 
schlossen wird. Nun wird die Vordertür wieder hochgehoben, und über 
den weiten, freien Dorfplatz kommen die sechs Musiker der vergangenen 
Nacht paarweise hintereinander in raschem Tempo mit einknickenden 
Knien. Sie sind nur im Gesicht mit roten Mustern bemalt. Einige 
haben Federkämme in das Haar gesteckt. Hinter ihnen schreiten im 
Gänsemarsch drei ältere Männer und ein Knabe. An einem über die 
Stirn gehenden Bastbande tragen sie lange, aus je zwei frischen Palmen- 
wedeln geflochtene Kiepen, die mit Miriti- und Yapura-Früchten voll- 
bepackt sind. Mit der rechten Hand stützen sie sich schwer auf einen 
Stab. Nur mit Mühe können sie den Bläsern folgen. Die Herbstfrüchte 
des Waldes werden unter Musik eingebracht (Abb. S. 195). 

Sie treten in die Maloka. Die Träger rufen laut „He- he-he-he ! M 

und werfen mit einem auffordernden „Ma !" im Hintergrunde 

des Hauses ihre Last zu Boden. Die beiden Musiker mit den langen 
Flöten stellen sich am Eingang auf, das Gesicht dem Innenraum zu- 
gekehrt, und blasen ihre melodische Weise, wobei sie die Instrumente 
in einer Ellipse schwingen lassen. Die vier anderen schreiten im 
Mittelgang des Hauses hin und her und schwingen während des raschen 
und anhaltenden Blasens ihre schweren Instrumente auf und nieder. 
So geht es längere Zeit mit großer Ausdauer fort. Dann werden die 
Instrumente auf den Boden gelegt: eine kurze Pause, und andere 
Musiker treten ein. Diese Tänze dauern über eine Stunde, worauf 
die Bläser in derselben Ordnung, in der sie gekommen sind, über 
den Platz verschwinden, und das Haus wieder den Weibern geöffnet 
wird. Während des ganzen Aktes bewachten einige Männer beide 
Zugänge des Hauses. 

Die Namen der einzelnen Instrumente nennen mir die Tuyuka 
nur mit Widerstreben und sehr leise. Auch bitten sie mich, sie den 
Weibern nicht zu verraten. 

Der Schalltrichter aus Kinde wird jedesmal nach dem Gebrauch 
weggeworfen und nur das Mundstück aus Paschiubapalmrobr zu- 
sammen mit den großen Flöten in einem nahen Bach verborgen auf- 
bewahrt. 

Nach dem Abzüge der Yurupary-Tänzer bereiten einige junge 



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200 



„So leben wir!" 



Männer vor dem Hause Kaapi. Kurz vorher hält ein alter Zauber- 
arzt, der sich durch sein starkes Haupthaar auszeichnet, eine lange, 
eintönige Ansprache. Dann zündet er eine Riesenzigarre an, die in 
eine Holzgabel geklemmt ist, und hockt, eifrig rauchend, in einer 
dunklen Ecke hinter einem Matten verschlag nieder. Er kommt erst 
wieder zum Vorschein, als das Kaapi fertig ist. 

Mit dem Eintritt der Dunkelheit beginnen die profanen Tänze, 
an denen auch die Weiber teilnehmen. Der prachtvolle Schmuck der 
Männer ist derselbe wie beim Tanzfest am Cabary-Igarape. Die 
Weiber sind auch hier nur mit Perlenschürzchen bekleidet. Vor dem 
Ankleiden der Tänzer tritt ein junger Tuyuka, der an diesem Tage 
„Herr des Tanzes" und Vortänzer ist — der schöne Häuptlingssohn 
ist heute der Wirt — , mit einem langen Stab in der Hand zu jedem 
Gast und teilt ihm die Festordnung mit. Inspektor Antonio übersetzt 
mir die Worte folgendermaßen: „So leben wir! Wir wollen heute 
tanzen, wir wollen Kaschiri trinken, wir wollen Kaapi trinken, wie 
wir es immer getan haben! Keiu Streit soll zwischen uns sein!" usw. 
Der andere erwidert darauf etwa folgendes: „Ja, so wollen wir es 
machen! Wir wollen tanzen!" usw. „Es ist gut!" 

Auch der Tanz ist im wesentlichen derselbe wie am Cabary- 
Igarape. Nur wird hier vor jedem Tanz Kaapi gereicht. Die Tänzer 
tragen in der linken Hand große Kürbisrasseln und um den rechten 
Fußknöchel Klappern aus Fruchtschalen, mit denen sie beim Auf- 
stampfen den Takt betonen. Bevor die Tänzer antreten, gehen sie 
zu jedem Zuschauer und sagen: „Wir wollen tanzen!*, worauf der 
andere entgegnet: „Es ist gut! Tanzet!" Nach dem Tanze sprechen 
sie zu jedem: „Wir haben getanzt. Ihr habt zugeschaut!" und erhalten 
die Antwort: „Ihr habt getanzt. Wir haben zugeschaut!" Während 
des Tanzens stoßen die Zuschauer von Zeit zu Zeit ein halblautes, 
langgezogenes und zum Schluß allmählich fallendes „Ho !" aus. 

Die Musik auf den Zauberinstrumenten hat draußen in der Dunkel- 
heit wieder eingesetzt. Damit der „Yurupary" von den Weibern nicht 
gesehen werden kann, ist für die Bläser rechts vom Eingang ein 
Mattenverschlag hergerichtet. 

Während der Pause sitzen die Tänzer in einer Reihe auf kleinen 
Schemeln. Vor ihnen hocken einige ältere Männer, darunter der Häupt- 
ling, auf einen geschnitzten Stab gestützt. Alle reden unglaublich 
rasch und eintönig durcheinander, immer wieder dieselben Worte, 

einzelne Sätze mit langgezogenem, ausklingendem „ — a !" 

Dabei kreist die große Zigarre, in die Gabel geklemmt. Die Redenden 



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Fasten 



201 



machen mit dem ausgestreckten rechten Arm feierliche Bewegungen 
hin und her. „So ist es bei jedem Fest, wenn die große Zigarre 
geraucht wird u , sagt Antonio. Er übersetzt mir die Worte: „So leben 
wir schon lange Zeit, so tanzen wir, so trinken wir Kaschiri, so trinken 
wir Kaapi, wir sind Freunde!" usw. 

Auch ich nehme zwei kleine Kalabassen Ton dem Zaubertrank, 
um die Wirkung am eigenen Leibe zu erproben. Das Zeug schmeckt 
leicht bitter. In der Tat habe ich nach einiger Zeit, besonders wenn 
ich in die Dunkelheit hinaustrete, ein merkwürdiges grellfarbiges 
Flimmern vor den Augen, und beim Schreiben huscht es über das 
Papier wie rote Flammen. Bei der vierten Kalabasse, erklärt mir der 
Inspektor, müsse man sich heftig übergeben, und dann habe man die 
schönsten Gesichte. 

Die Festbeleuchtung liefern, anstatt der Kienholzfackeln, die ich 
bisher stets angetroffen habe, Stücke Pech. Sie sind auf einem etwa 
mannshohen, glatten Stamm aufgehäuft, der inmitten der Maloka zur 
Seite des Hauptganges eingerammt ist. 

Bald nach Mitternacht macht sich der Kaapi-Rausch bei den 
Tänzern bemerkbar. Sie springen wie toll umher. Es ist dieselbe 
Komödie wie am Cabary-Igarapo. 

Gegen sieben Uhr morgens ist der offizielle Teil des Festes zu 
Ende. Kein Tänzer ist betrunken ; selbst die alten Herren sind nur 
wenig angezecht. Bewundernswert war die Ausdauer des Inspektors 
und seines Sohnes. Vierund zwanzig Stunden lang saßen sie mit einigen 
älteren Tuyuka zusammen und plapperten unaufhörlich, manchmal mit 
leiser, geheimnisvoller Stimme; zuweilen sang einer den andern halb- 
laut Tanz weisen vor. Als ich Antonio fragte, was sie da schwatzten, 
antwortete er: „Wir treiben Konversation, erzählen uns Geschichten!* 4 
Sein Sohn Paschiko und der Tuyuka - Häuptling seien „Meister" 
darin. Die beiden Helden nahmen ihre Unterhaltung so ernst, daß 
sie sogar zusammen hinausgingen, um ihre Notdurft zu verrichten, 
und dann am Waldesrande dicht nebeneinander hockten, beständig 
dabei „konvenierend*. 

Diese Unredlichkeit im nächsten Umkreise der Maloka ist glück- 
licherweise nur bei großen Tanzfesten allgemeiner Gebrauch. 

Während der ganzen Dauer des Yurupary-Festes wird streng 
gefastet. Am Abend nach Abschluß der Feier steckt der Zauberarzt 
jedem älteren Manne eine geröstete Capsicum-Frucht, die er auf ein 
Stäbchen gespießt hat, in den Mund, worauf sie wieder alles essen 
dürfen. Die Jünglinge und besonders die Tänzer erhalten ihre Cap- 



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202 



Die Dochkafliuara 



sicum-Frucht sogar erst am anderen Morgen nach Sonnenaufgang. 
Nachmittags träufeln sie sich eine scharfe Brühe aus Zitronensaft, 
rotem Pfeffer und Salz mit Hilfe eines Blatttrichters in die Nase 
und ziehen sie in den Mund. Damit sind auch für sie die Fasten 
beendet. 

Dem Yurupary-Tanze wird eine starke Zauberwirkung zugeschrieben. 
Er soll alle Krankheiten vertreiben und selbst große Wunden heilen. 

Wie besorgt die Indianer um ihren schönen Tanzschmuck sind, 
konnte ich auch hier wieder bemerken. Als ich die Tänzer vor dem 
Hause photographieren wollte, stellten sie sich dicht wider die Wand 
unter den Dachvorsprung, damit die Federkronen nicht durch den 
Morgentau litten. 

Die Tuyuka nennen sich selbst Dochkafhuara und werden von 
den Tukano Diikana genannt. Die Hauptmasse des Stammes, der 
150 — 200 Seelen zählt, wohnt am oberen Tiqui£, wo die Maloka 
Pinokoaliro als Zentrum und Sammelplatz bei großen Festen gilt. Eine 
kleinere Abteilung lebt im Quellgebiet des Papury. 

Die Tuyuka von Pinokoaliro, unverdorbene Naturkinder, sind 
durchschnittlich sympathische Menschen von edler Gesinnung, stolzem, 
selbstbewußtem Auftreten und hervorragender Intelligenz. Wir genießen 
hier die liebenswürdigste Gastfreundschaft. 

Dem körperlichen Habitus nach lassen sich bei den Tuyuka zwei 
Typen beobachten, ein feinerer und ein gröberer Typus, die so auf- 
fallende Unterschiede zeigen, daß man bisweilen nicht glaubt, es mit 
Angehörigen desselben Stammes zu tun zu haben. Die charakteristi- 
schen Merkmale des feineren Typus sind folgende: Schlank gewachsene 
Gestalten, die gegen die plumpen, bisweilen dickbäuchigen Tukano 
angenehm auffallen und höher wirken als diese, obwohl die Körper- 
höhe der Tuyuka nur 157—167 cm beträgt; große dolichocephale 
Köpfe; Gesicht lang und schmal; Stirn nicht sehr hoch, etwas fliehend; 
kräftig vorspringende Nase mit hohem Rücken und schmaler Wurzel; 
Lippen voll; Jochbogen und Kieferwinkel wenig vortretend. — Der 
gröbere Typus zeigt gedrungene Gestalten mit runden, niedrigen, häutig 
auffallend häßlichen Gesichtern, deren Muskulatur sehr plastisch her- 
vortritt; Stumpfnasen mit etwas aufwärtsgerichteten Nasenlöchern, 
konkavem Rücken und breiter Wurzel. Die Augen sind bisweilen 
schief gestellt. — Die Haare der Tuyuka sind Bchwarz und straff, bei 
größerer Länge leicht gewellt. 

Die Tuyukafrauen sind gerade keine Schönheiten, zeichnen sich 
aber durch ihre schlanken, wohlproportionierten Gestalten und die 



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Indianer$täinmc ain I'ira-Parana 



203 



größere Grazie in ihren Bewegungen vor den untersetzten, gedrungenen, 
häufig plumpen Tukanofrauen vorteilhaft aus. 

Mit den kleinen Horden am Pira-Parana und seinen Zuflüssen, 
die zu derselben Sprachgruppe gehören, unterhalten die Tuyuka einen 
regen Verkehr und vielfache verwandtschaftliche Verbindungen, während 
sie zu den Stämmen des unteren Tiquie" in nur losen Beziehungen 
stehen. Vom nahen Dyi-Igarapr sind zwei Gäste gekommen. Ein 
älterer, häßlicher Mann mit krummen Beinen und triefenden Schlitz- 
äugen gehört dem Stamme der Omöa-mach6a an. Er hat ziemlich 
weit durchlöcherte Ohrläppchen. Zu Hause trügen sie ein Stückchen 
Pfeilrohr und zur Festzeit ein Büschel Federn darin. Der andere, 
ein hübscher Knabe mit großen Augen und feingebogener Nase, ist 
ein Buchpu-machsa oder Buhagana, wie er sich selbst nennt. Die 
Sprachen beider Stämme sind fast identisch, weichen aber vom Tukano 
in vielen Wörtern gänzlich ab. 

Unter den in Pinokoaliro verheirateten Frauen befinden sich 
Angehörige der Sära vom Dyi-Igarape und der Palänoa, Erulia 
und Tsöla vom oberen Pira-Parana. Die Sprachen der drei ersteren 
Stämme sind vom Buhagana nur dialektisch verschieden, während die 
Sprache der Tsöla oder Tsöna, wie die Tuyuka diesen Stamm nennen, 
mehr dem Tuyuka verwandt ist. 

Die Durchbohrung der Ohrläppchen ist bei den Tuyuka, wie am 
ganzen Caiary-Uaupes, allgemein üblich. Einige alte Leute tragen in 
der Öffnung kleine Pflöcke aus leichtem Holz oder aus Bohr. Die 
heutige Jugend zieht meistens europäische Messingohrringe vor. Auch 
die Durchbohrung der Unterlippe, in der mehr oder weniger lange 
Holzstäbchen getragen werden, ist heute aufgegeben und findet sich 
nur noch bei einigen Vertretern der älteren Generation. Früher hätten 
alle Stämme des Tiquie diese Sitte gehabt, so erzählt mir Inspektor 
Antonio, der selbst eine durchbohrte Unterlippe hat. Die Särafrau, 
die durch ihre Häßlichkeit und ihr gelocktes Haupthaar auffällt, hat 
die Nasenscheidewand durchbohrt. 

Ein beliebter Schmuck der Männer sind runde Ziernarben an den 
Armen, die ich auch bei einigen Tukano an der Pary-Cachoeira und 
am Cabary-Igarape" beobachtet habe. Sie werden mit dem glühenden 
Ende eines Holzstabes eine über der anderen eingebrannt und finden 
sich nur bei den Jünglingen und Männern, scheinen daher ein Zeichen 
der Mannbarkeit zu sein. Bisweilen schmücken bis zu achtzehn dieser 
Narben einen Arm. 

Die Maloka von Pinokoaliro ist 27 m lang, 17,80 m breit und an 



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204 



Schnupfpulver Parika 



der Vorderseite 7,80 m hoch. Sie unterscheidet sich etwas von den 
im Grundriß rein viereckigen Malokas, die ich bisher gesehen habt*. 
Am hinteren Ende hat sie einen halbkreisförmigen Anbau, der dem 
Häuptling als Wohnung dient und von dem Hauptraum durch eine 
höhere Wand getrennt ist. Ein nicht sehr breiter Zugang verbindet 
beide Teile miteinander. Daher hat diese Maloka an der Vorderseite 
eine Giebelwand, nach hinten aber fallt das Dach in allmählicher 
Rundung ab und sitzt unmittelbar auf der kaum einen Meter hohen 
Wand. Ein schmaler und niedriger Ausgang führt ins Freie. 

Es ist erstaunlich, welche enormen Mengen Coca in Pinokoaliro 
Tag für Tag genossen werden. Als die beiden Gäste vom Dyi-Igarape 
sich zur Heimreise rüsten, nehmen sie für einen Marsch von einund- 
einhalb Tagen nur mehrere Säckchen Coca mit, aber keine Lebens- 
mittel, nicht einmal Maniokfladen. 

Vereinzelt sieht man hier ein anderes Reizmittel im Gebrauch, 
das offenbar von den Stämmen des Yapuragebietes herrührt, da es 
bei diesen sehr beliebt ist und sich am ganzen übrigen Caiary-Uaupes 
nicht findet. Es ist ein graues, scharfes Schnnpfpulver von stark 
narkotischer Wirkung, das in der Lingoa geral unter dem Namen 
Parika bekannt ist und aus den getrockneten Samen einer Mimose 
hergestellt wird. Es wird in kleinen kugeligen Kalabassen aufbewahrt 
oder in Schneckenschalen, deren Öffnung gewöhnlich mit einem ein- 
gepichten Spiegelglas verschlossen ist, und die, ebenso wie die Kala- 
bassen, einen mit Pech aufgesetzten Vogelknochen als Tülle tragen. 
Als Stöpsel dient ein zusammengerolltes Blatt oder Bastst reifchen 
oder ein Pflöckchen aus leichtem Holz, das bisweilen mit den schwarzen, 
gekräuselten Federn vom Kamm des großen Hokko verziert ist. 
Geschnupft wird vermittelst eines gabelförmigen Gerätes aus zwei 
kommunizierenden Vogelknochen, die aneinandergepicht sind. Beim 
Gebrauch schüttet man etwas von dem Pulver aus der Dose auf die 
flache Hand und schöpft es mit der Knochengabel auf. Dann steckt 
man das eine Ende der Gabel in ein Nasenloch, das andere in den 
Mund und teilt durch kurzes Blasen das feine Pulver den innersten 
Schleimhäuten der Nase mit (Abb. S. 214). 

Anfangs will es mir gar nicht gelingen, Tanzschmuck einzuhandeln. 
Erst als ich meine Tauschwaren ausbreite, wird mir eine Anzahl schöner 
Stücke gebracht. Die Preise sind sehr verschieden und entsprechen 
häufig nicht dem Wert des Gegenstandes. Für zwei breite Aufstecker 
aus feinen weißen Reiherfedern mit vollständigem Rückenschmuck aus 
Schenkelknochen des Jaguars und anhängenden Affenhaarstricken und 



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Jlaskcnanzüge 205 

Reiberbälgen muß ich einen einläufigen Vorderlader geben. Die herr- 
lichen Kronen aus orangegelben Ararafederchen, Federquasten, die am 
Arm getragen werden, gehen schon für Pulver, Schrot und Zündhütchen 
weg. Ein paar Zierstäbe, die der ganzen Länge nach mit weißem 
Geierflaum bekleidet and am oberen Ende mit einem Büschel bunter 
Federn geschmückt sind, gelten ein gewöhnliches Messer. Sie werden 
den Federkronen hinten vertikal aufgesteckt. Vier prächtige Gürtel 
aus Wildschwein- und Jaguarzähnen erhalte ich für zwei Waldmesser. 
Kürbisrasseln und Fußklappern werden billig für ein gewöhnliches 
Messer oder gar für einige Stopfnadeln und eine Rolle Zwirn abgegeben. 
Auf diese Weise gelingt es mir, einige vollständige Tanzschmucke zu- 
sammenzustellen. 

Aus einer Ecke holt ein junger Mann Teile von sonderbaren 
Maskenanzügen hervor und zeigt mir, wie sie getragen werden. Es 
sind lange Behänge aus feinem Baumbast, die um den Bauch gewickelt 
werden und bis auf die Füße herabreichen; geschlossene Jacken aus 
grobem, rotem Baststoff mit langen, angenähten Armein und einem 
Schlitz, um den Kopf durchzustecken; eine Art Säcke aus demselben 
Stoff, die über den Kopf gezogen werden, und in die zwei Löcher für 
die Augen gerissen sind; endlich hohle Zylinder aus leichtem Cecropia- 
holz, die mit kunstlosen roten und gelben Mustern und mit einem 
Gesicht bemalt sind. Sie werden auf dem Kopf getragen und haben 
zu beiden Seiten ein viereckiges Loch, in das ein geschnitztes und mit 
roten Mustern bemaltes Brettchen, das Ohr, gesteckt wird. Leider 
ist nur noch ein Brettchen vorhanden. Die Tänzer schreiten rasch 
mit schaukelnden Bewegungen hin und her. Diese Maskenanzüge, die 
von den Rubagana stammen, stellen Dämonen dar. Auch die Omöa- 
machsa und Sära hätten solche Maskentänze. 

Fast alle männlichen Bewohner tragen die kostbaren Quarzzylinder 
in prächtigen Exemplaren um den Hals. Das glänzend weiße Gestein 
findet sich an einem Platz auf dem linken Ufer des Tiquie tief im 
Wald in der Erde. Man sprengt ein geeignetes Stück ab und gibt 
ihm durch Schlagen mit einem anderen Quarzstein die nötige Form. 
Dabei schlägt man mit dem faustgroßen und vom vielen Gebrauch 
abgerundeten Klopfstein leicht an dem Quarzzylinder herunter, wie 
wenn man Feuer schlagen wolle. Dann schleift man den Zylinder 
auf Sandstein und poliert ihn mit feinem Sand oder auch mit Bims- 
stein, der vom oberen Solimöes stammt und den Uaupes-Indianern in 
kleinen Stücken auf dem weiten Weg über den Yapura zugeführt 
wird. Schon diese Herrichtung des Quarzzylinders ist das mühselige 



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206 Quarzschmuck 

Werk vou vielen Monaten, zumal sich der Indianer nur gelegentlich 
damit beschäftigen kann. Nicht minder mühsam und zeitraubend ist 
die Durchbohrung. Der Indianer hält den Zylinder mit den Füßen 
am Boden fest und quirlt mit beiden Händen einen zugespitzten Stab 
aus Paschiubapalmholz auf dem harten Stein, indem er von Zeit zu 
Zeit feinen weißen Sand, aber kein Wasser zusetzt. Beim Beginn 
des Durchbohrens wird der glatten Rundung des Quarzes ein Klümp- 
chen Pech aufgesetzt, damit der Stab beim Quirlen nicht abrutscht, 
bis das Loch tief genug ist. Mehrere Paschiubastäbe nutzen sich beim 
Durchbohren eines Steines ganz ab, da sie immer wieder nachgespitzt 
werden müssen. Die Quarzzylinder haben eine Länge von 10 bis 15 cm 
bei einem Durchmesser von 2 bis 3 cm und sind an beiden Enden 
abgeflacht. Sie sind gewöhnlich nahe dem einen Ende der Quere nach, 
selten der Länge nach durchbohrt. Von den letzteren, die bei den 
Indianern als die größte Kostbarkeit gelten, habe ich nur kleinere 
Stücke bei Kindern zu Gesicht bekommen, aber trotz vieler Bemühungen 
nicht erwerben können. Die Quarzzylinder werden stets zusammen mit 
gewissen glänzend schwarzen Samen an einer aus Palmfasern sorg- 
fältig gedrehten Schnur getragen, deren Enden lang über den Rücken 
herabhängen. 

Am 9. Mai fahren einige Tuyuka mit Weibern und Kindern und 
einem Makusklaven flußabwärts, um dort Pech zu holen, das sie aus 
dem Harz eines Baumes gewinnen. Für einen Aufenthalt von acht 
Tagen schleppen sie fast ihren ganzen Hausrat mit. 

Auf meinen Wunsch nimmt Schmidt Haarproben von Männern 
und Weibern. Anfangs sträuben sie sich dagegen, in der Besorgnis, 
es könne damit zu ihrem Schaden Zauberei getrieben werden. Erst 
als ich ihnen erkläre, ich wolle diese schwarzen Haare meiner Frau 
zeigen, die blonde Haare habe, sind sie einverstanden, verschneiden 
nun aber ihrerseits Schmidts weißblonde Locken „zum Andenken" 
fürchterlich. 

Schmidt hat hier einen neuen, sehr bezeichnenden Namen bekommen, 
Nomio-achkä, Weiberaffe, weil er den ganzen Tag, natürlich in allen 
Ehren, bei den Weibern steckt und sich beständig mit den Mädchen 
herumzerrt. Mich nennen sie bisweilen scherzend wegen meines wüsten 
Bartes Uachti, Dämon, böser Geist. 

Am 10. Mai fahren wir weiter. Der Tiquie ist viel schmäler 
geworden ; er mißt nur noch 25 m, während seine Breite gleich unter- 
halb der Pary-Cachoeira 62 m beträgt. Das Flußbett ist vielfach 
durch niedergestürzte Bäume und Geäst versperrt. Nachmittags gelangen 



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Blasrohr 



207 



wir zum Macucu-Igarap<5, einem ansehnlichen linken Zufloß mit grün- 
lich weißem Wasser, an dem die erste Maloka der Bara liegt. Sie 
wird gegenwärtig nur von zwei Bara-Familien, Vater und Sohn, bewohnt 
und einigen Tuyuka, die auf Besuch sind. Unter diesen befindet sich 
ein alter Mann, der wie ein verkörpertes Stück Vergangenheit anmutet. 
Sein langes, in der Mitte gescheiteltes Haar ist hinten mit einem schmalen 
Streifen aus gelbem Bast zu einer Art Zopf umwickelt und verleiht 
dadurch dem Besitzer ein eigentümliches, weibisches Aussehen, wozu 
die ungewöhnlich stark entwickelten Brustwarzen nicht übel passen. 
Diese Haartracht war früher am ganzen Caiary-Uaupes verbreitet, wie 
mir die Indianer versichern, und wie man an den Tanzmasken erkennt, 
die fast sämtlich den aus Baststreifen hergestellten Zopf haben. 

So sind wir nun bei den Bara, den angeblichen Menschenfressern, 
vor denen uns Salvador Garrido in Säo Felippe gewarnt hat. Sie 
sind ebenso harmlos und gutmütig wie alle anderen „wilden" Indianer, 
denen wir bisher begegnet sind. Der Herr der Maloka ist ein alter, 
fideler Kerl mit einem so komischen Gesicht, daß es selbst den trüb- 
sinnigsten Hypochonder zum Lachen reizen muß. 

Für eine Axt erhandele ich ein vortrefflich gearbeitetes, riesiges 
Blasrohr nebst Köcher. Sie rühren von den Buhagana her, die in der 
ganzen Gegend als Verfertiger der besten Blasrohre und Köcher gelten 
und dieser Geschicklichkeit ihren Namen verdanken. Von den bisher 
gesehenen Waffen dieser Art weichen sie erheblich ab. Diese Blas- 
rohre erreichen eine Länge von 3 1 /* m und verjüngen sich gegen die 
Mündung hin stark. Sie sind erheblich schwerer als die am Issana- 
Aiary gebräuchlichen Blasrohre, die auch am ganzen Caiary-Uaupes 
verwendet werden, und werden auf dieselbe Weise hergestellt, wie ich 
es oben (8. 59) an zweiter Stelle beschrieben habe, aber es fehlt die 
Einlage aus Arundinaria-Rohr, und die mit großer Genauigkeit uus 
den beiden Hälften des Baumstämmchens herausgeschabten, glatten 
Längsrinnen bilden die Höhlung der Waffe. Die mit schwarzbraunen 
Rindenstreifen in Spiralwindungen dicht umwickelte Oberflüche des 
Rohres ist mit schwarzem Bienenwachs überzogen und bisweilen noch 
mit roter Farbe eingerieben. Das Kaliber beträgt nur 9 mm. Das 
10 bis 12 cm lange Mundstück aus rotem Holz hat die Form einer 
nach der Mitte zu sich verengenden Röhre. Das Visier, das ebenfalls 
aus dem aufgepichten Schneidezahn eines Nagetieres besteht, sitzt 
gewöhnlich dem Mundstück sehr nahe, 5 bis 8 cm davon entfernt, 
was beim Schießen sehr unbequem ist und große Übung erfordert 
(Abb. S. 123). 



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208 



Köcher und Pfeilgrift 



Der Köcher ist besonders zierlich aus einem schönen roten Holz 
gearbeitet, das am Yapura häufiger vorkommt. Er hat mehr oder 
weniger zylindrische Gestalt und eine Länge von 33 bis 35 cm bei 
einem oberen Durchmesser von 8 bis 10 cm. Auf der Außenseite ist 
das Holz durch andauerndes Bestreichen mit den lederartigen Hüll- 
blättern des Blütenstandes der Assai'-Palme fein poliert. Als Boden 
dient eine Holzscheibe, deren Rand mit Pech verstrichen ist. Der 
obere Teil des Köchers ist mit einer flachen, etwa 3 cm breiten Hohl- 
kehle verziert, die nach unten mit einem schmalen Ring abschließt. 
Über dieser Hohlkehle setzt der Köcher bis zum Rande scharf ab, 
um den außen mit Pech überzogenen Deckel aus Flechtwerk aufzu- 
nehmen. An mehreren Palmfaserschnüren, die um die Hohlkehle 
geschlungen sind, ist eine dickere Schnur befestigt. Sie dient zum 
Anhängen des Köchers und trägt auch mittels einer kleinen Schnur 
und eines kleinen Ringes, der aus Knochen oder der steinharten, 
schwarzen Schale der Tucuma-Palmfrucht verfertigt ist, den Deckel. 
Originell ist der Einsatz, der die Giftpfeilchen aufnimmt Palmblatt- 
fiedern oder die zähen, breiten Halme eines Grases sind umgebogen 
und, dicht nebeneinander liegend, mit Schnüren zu einer kleinen Matte 
verflochten, in der die Pfeilchen wie in einem Besteck fest verwahrt 
werden. Zusammengerollt muß die Matte genau in die Höhlung des 
Köchers passen, so daß die vergifteten Spitzen der Geschosse den Boden 
nicht berühren. An einer Schnur kann man das ganze „Besteck" 
bequem herausheben. Diese Giftpfeilchen unterscheiden sich nur durch 
ihre geringere Länge, 33 bis 34 cm, von denen, die in den nördlichen 
Nachbargebieten im Gebrauch sind. 

Auch das Pfeilgift der Buhagana, das so stark sein soll, daß es 
einen Tapir tötet, ist berühmt und ein begehrter Artikel. Die anderen 
Stämme unternehmen oft weite Handelsreisen, um es sich zu ver- 
schaffen. Die Buhagana verkaufen ihren Nachbarn Tuyuka und Bara 
das Pfeilgift gewöhnlich gegen große, kunstvoll gewickelte Knäuel von 
Stricken aus Fasern der Tucum- und Miritipalme, in deren Herstellung 
diese Tiquie-Stämme Meister sind. 

Oberhalb der Mündung des Macucu-Igarape, der zwei Tagereisen 
aufwärts durch einen Fußpfad von zwei Tagen mit einem Zufluß des oberen 
Papury in Verbindung steht, ist der Tiquie nur noch ein schmaler, 
verwachsener Quellbach. Als wir am 12. Mai weiterfahren, haben wir 
mit Axt und Waldmesser schwere Arbeit, um mit unserem breiten 
Boot durchzukommen, obwohl wir das Schutzdach abgenommen haben. 
Wir machen deshalb schon kurz nach Mittag Rast in einer Hütte auf 



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Tafel VII 




Tukano-Indianer mit Tan/.schild und Rassellanze. Rio Tiquic 



Bei den Bara-Indianern 



209 



dem linken Ufer. Sie liegt in einer großen Maniokpflanzung und 
dient einer Bara-Familie, Mann, Frau und fünf reizenden Kindern, 
als Absteigequartier für die Zeit der Feldarbeiten. 

Der Tiquie ist hier auf 10 m Breite zusammengeschrumpft. 

Am nächsten Morgen begegnen wir unterwegs einem Kanu mit 
zwei Tuyuka, die wir in Pinokoaliro kennengelernt haben. Sie holen 
einen Zauberarzt. Flußaufwärts in der großen Maloka der Bara f 
wo sie sich bei Verwandten zu Besuch aufhielten, ist einer schwer 
erkrankt. 

Das Quellflüßchen teilt sich nun in zahlreiche schmale Arme und 
verliert sich schließlich im Sumpfwalde. Das Wasser hat eine hell- 
grüne, durchsichtige Färbung, während es wenige Stunden unterhalb, 
vor der Einmündung des Macucu-Igarape\ dunkelbraun ist. So ändert 
das Tiquie-Wasser öfters seine Farbe, je nachdem Bäche mit schwarzem 
oder weißem Wasser zufließen. 

Außerordentlich ist der Reichtum an Orchideen. Ich sammle auf 
kurzer Strecke, nur im Vorüberfahren, über ein halbes Dutzend verschie- 
dener Arten, die in Blüte stehen. An diesem vegetationsreichen Fluß 
habe ich ein kleines Herbarium angelegt, bei dem fortgesetzten feuchten 
Wetter aber — wir sind ja mitten in der Hegenzeit — bleibt mir 
wenig Hoffnung, die Pflanzen gut trocknen zu können. 

Bei strömendem Regen kommen wir nachmittags im Hafen an. 
Die Maloka, die ziemlich weit landeinwärts auf freier, schwarzerdiger 
Anhöhe liegt, ist die größte, die wir bisher gesehen haben, und von 
derselben Bauart, wie die von Pinokoaliro. Sie ist 29 ra lang, 18,60 m 
breit und 8,70 m hoch und zählt 16 Feuerstellen. 

Die meisten Bewohner hüben noch nie Weiße gesehen. Wir 
werden deshalb gebührend angestaunt, und selbst nach einem mehr- 
tägigen Aufenthalt haben Frauen und Kinder die Scheu vor uns nicht 
verloren. Drei Jungfrauen hat man kurz vor unserer Ankunft in einer 
zweiten Maloka in Sicherheit gebracht, die eine halbe Tagereise fluß- 
aufwärts liegt und angeblich von fünf Familien bewohnt wird. 

Die Bara sind ein kleiner Stamm von etwa hundert Seelen, dessen 
Sprache dem Tuyuka und Tsöla näher verwandt ist. Sie führen eine 
vorwiegend vegetarische Lebensweise, da das versumpfte Gewässer, an 
dem sie wohnen, ihnen keine größeren Fische liefert, und Jagd fast 
nicht ausgeübt wird. Sie haben keine Fischnetze; auch von Bogen und 
Fischpfeilen kann ich nichts bemerken. Aus einer alten Messerklinge 
verfertigen sie sich mühevoll elende Angelhaken, mit denen sie nur wenige 
kleine Fische fangen. Leider können wir ihnen nicht aushelfen, da uns 

Koch-Grün berg, Zwei Jahre bei den Indianern 14 



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210 



Schmale Kost 



die Angelhaken schon in Pinokoaliro ausgegangen sind. Die einzigen 
Jagdwaffen, die wir vorfinden, sind zwei Blasrohre und Köcher. Sie 
stammen wiederum von den Buhagana und werden uns gegen an- 
gemessene Bezahlung anstandslos überlassen. In der Maloka werden 
weder Hühner, noch andere zahme Tiere gehalten, nur einige Hunde. 
In den großen Maniokpflanzungen im Umkreis des Hauses fehlen merk- 
würdigerweise Bananen, Ananas und andere Früchte, die sonst in den 
indianischen Küchenzettel etwas Abwechslung bringen. An reichliche 
Nahrung bei den Tukano und Tuyuka gewöhnt, müssen wir mit Maniok- 
speisen, gerösteten Blattschneide-Ameisen und sehr fetten, stacheligen 
Käfern, die sich gerade zahlreich an den Zweigen der Inga- Sträucher 
finden, kümmerlich unser Leben fristen. 

Ein Gutes haben diese Hungertage: Schmidt und ich werden 
Frühaufsteher. Schon kurz nach fünf Uhr, noch in der Dunkelheit, 
wecken wir einander, um beileibe nicht das erste Frühstück, Maniok- 
fladen, Stärkebrühe und geröstete Ameisen, zu versäumen, da sonst 
die traurigsten Folgen daraus entstehen könnten. Wir essen unmäßig, 
denn dieses „erste Frühstück" muß vorhalten, da es meistens die einzige 
größere Mahlzeit am Tage ist. Mit Coca aber, die die Indianer in 
ungeheuren Mengen zu sich nehmen, können wir Europäer uns noch 
nicht begnügen. Zum Tunken der Maniokfladen gibt es gepfefferte 
Tukupi, dickflüssig eingekochte Maniokbrühe, die an Geschmack der 
besten englischen Sauce gleichkommt. Die anderen Stämme des Tiquie 
haben als Tunke einfache Stärkebrühe, mit Gapsicumfrüchten gekocht. 
Ein Ereignis ist es, als uns am Abend des vierten Tages ein Knabe 
ein zartes Aguti bringt, das ein Hund in einem hohlen Baum gestellt 
hatte. Aber es ist leider nur zu wenig, eine Ratte für sechs kräftige 
Männer! 

Obwohl noch nicht von europäischem Einfluß angekränkelt, haben 
die meisten dieser Bara im Gegensatz zu den offenen, ehrlichen, stets 
liebenswürdigen Tuyuka einen verschlossenen, fast düsteren Charakter. 
Während ich mich bei den anderen Stammen des Tiquie nie über 
Unredlichkeit zu beklagen hatte, machen sich die Bara kleiner Die- 
bereien schuldig. Beim Ausladen fehlt mein Waldmesser. Erst 
auf meine sehr energische Einsprache „findet" es ein Bara am Hafen, 
wo Schmidt mit meinen Leuten stundenlang danach gesucht hat. 

Die äußere Erscheinung der Bara wirkt im ganzen nicht un- 
angenehm. Es sind schlanke, ebenmäßige Gestalten, im Durchschnitt 
etwas kleiner als die Tuyuka. Einige zeigen finstere Gesichter mit 
verkniffenen Augen, was zum Teil auch den stark ausgeprägten Stirn- 



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Krankenkuren 



211 



wülsten zuzuschreiben ist. Die Stirn ist bei den meisten wohlgerundet, 
wenig fliehend. Allen gemeinsam ist die kräftig vorspringende, edel- 
geformte Nase. Der Nasenrücken ist hoch, der vom Knorpel gestützte 
untere Teil leicht konvex, die Spitze etwas hängend, der Mund groß 
mit fleischigen, geschwungenen Lippen. 

Die Weiber gehen gewöhnlich ganz nackt, bekleideten sich aber 
bei unserer Ankunft mit kurzen Röcken aus Kattun, den sie sich, 
wie Eisenwaren und andere europäische Gerätschaften, auf dem Wege 
des Zwischenhandels mit den Tuyuka und Tukano zu verschaffen 
wissen. 

Diese Bara des Quellgebietes gehören mehr noch als die Tuyuka 
ihrer Sprache und ihren ganzen Lebensgewohnheiten nach schon zum 
Yapura-Gebiet. Mit den Tuyuka haben sie, abgesehen von den ge- 
ringen Handelsinteressen, wenig Verkehr, dagegen enge Beziehungen 
zu den Stämmen des Pira-Parana. Zur Zeit ist der Häuptling mit 
einigen Männern am Pira-Parana abwesend. Sein Bruder führt für 
ihn die Geschäfte. Eines Abends klagen ein paar Weiber, Palänoa, 
um eine dort verstorbene Anverwandte. 

Der Zauberarzt, den die beiden Tuyuka geholt haben, ist eben- 
falls ein alter Bekannter von uns aus Pinokoaliro. Er ist ein baum- 
langer, hagerer Geselle mit würdevollem Benehmen. Wir nennen ihn 
nur „Stockman", da er uns ein klein wenig an unseren englischen 
Freund erinnert. Bei seiner Ankunft ist er im Gesicht rot bemalt 
und begrüßt sich mit jedem einzelnen, auch mit dem Kranken, in 
längerer, ernster Rede. Die Krankheitsgeschichte wird mehrmals aus- 
führlich erzählt. Der Kranke, ein noch junger Mann, leidet, seiner 
gelben Gesichtsfarbe nach zu urteilen, an schwerer Malaria, die in 
diesem Sumpfgebiet vorkommen soll. Der Znuberarzt nimmt an ihm 
und seinem kranken Töchterchen drei Kuren vor, die sich in nichts 
von den am Aiary gesehenen unterscheiden. Es ist dasselbe Bestreichen 
und Beblasen des Körpers, dasselbe heftige Überschütten des Wassers, 
dasselbe Aufsammeln der schwarzen Holzstäbchen, die als Ursache 
der Krankheit gelten. Zum Schluß stellt er die Diagnose, das Gift 
sei von Süden her gekommen. Als Honorar erhält er vier große Kala- 
bassen. Die Zauberärzte bekommen stets Bezahlung, manchmal sogar 
eine Hängematte. 

Eines Abends erscheinen zwei fremde Indianer, Tuyuka vom oberen 
Papury, Schwäger des Kranken, der eine Schwester von ihnen zur 
Frau hat. Wilde Begrüßungsszenen finden statt, zunächst mit der 
Schwester, dann mit dem Kranken selbst, der mit jämmerlicher Stimme 



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212 



Ehetrennung' 



über seine Leiden berichtet. Die beiden Fremdlinge stoßen drohende 
Worte aus, deuten mit leidenschaftlichen Gebärden in die Ferne und 
schütteln ein langes Messer und einen Stock, den sie in der Rechten 
tragen, als wollten sie den unbekannten Gegner bedrohen, der ihrem 
Verwandten die Krankheit geschickt hat. Es ist ganz so, wie bei dem 
Sterbefall in Cururu-cuara am Aiary; nur das Trauergeheul zum 
Schluß fehlt. 

Nachdem sie alle Bewohner der Maloka in ähnlicher Weise be- 
grüßt haben, setzen sich die Fremden nieder, und die Unterhaltung 
lenkt in ruhigere Bahnen ein. Sie bleiben bis zum übernächsten Tag 
und beteiligen sich auch an einer kleinen Kneiperei. Nichts deutet 
auf etwas Außergewöhnliches hin. Erst als sie Abschied nehmen, 
wird es uns klar, daß sie nur gekommen sind, um ihre Schwester von 
dem kranken Gatten weg in die Heimat zurückzuholen. Offenbar hat 
man ihn aufgegeben. Die Frau belädt sich mit ihrem gesunden Knaben 
und ihrem ganzen Hausrat; ihr krankes Mädchen läßt sie zurück. 
Mit weinerlichen Worten sagt sie jedem einzelnen Lebewohl. Die 
beiden Tuyuka schreien vom Eingang her wild in das Haus hinein; 
die Bara antworten ebenso. Dann gehen jene weg. Der Vater des 
Kranken läuft ihnen nach. Am Waldesrand kommt es abermals zu 
einer aufregenden Szene. Der Bara schimpft heftig hinter den Schei- 
denden her. Die Brüder wenden sich um. Leidenschaftliche Gebärden 
auf beiden Seiten. Wir denken schon, es käme zu Schlägen, aber 
jene verschwinden im Wald, und der Bara kommt gleichgültig zurück. 
Trotz des Lärms hatte ich den Eindruck, daß es sich nur um leere 
Zeremonie handelte, was auch aus der Teilnahmlosigkeit der Zu- 
schauer hervorzugehen schien. 

So barbarisch dieser Brauch unserem moralischen Empfinden er- 
scheint, es hat für den primitiven Menschen nichts Unnatürliches, 
einen Kranken zu verlassen, der im Haushalt nur überflüssige Mühe 
und Arbeit verursacht und der Gemeinschaft nichts mehr nützen, 
sondern nur schaden kann. 

Am 18. Mai machen wir, begleitet von einigen Bara, einen Ab- 
stecher zum Yauacaca-Igarape. In einer Stunde erreichen wir in drei 
Kanus den Beginn des viel betretenen Fußpfades. Eine weitere knappe 
Stunde brauchen wir, um in südwestlicher Richtung über die niedrige 
Wasserscheide in das Flußgebiet des Yapura zu gelangen. Der Yaua- 
caca-Igarape ist ungefähr 12 m breit. Sein weißes Wasser sieht aus, 
als ob es mit Milch vermischt sei. Im Hafen liegt ein gutes, mittel- 
großes Kanu. Der Ausgang des Fußpfades ist arg versumpft. Auf 



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Fußpfad zum Yapura 



einer höheren, trockenen Stelle dehnt sich eine große Maniokpflanzung 
aus mit vielen Cocasträuchern, einigen Bananen und sogar Zuckerrohr. 
Ein kleines Haus gehört zwei Barafamilien, die zur Zeit am Tiquie* 
weilen. Auch am Beginn des Pfades ist eine Pflanzung mit einer 
Schutzhütte. Unter der Blätterverkleidung des Daches finde ich eine 
indianische Zanderbüchse. Sie besteht aus einem Stück Bambusrohr, 
das mit dem im nördlichen Südamerika bekannten Ameisenzunder ge- 
füllt ist, einer filzartigen, feinhaarigen Masse von dem Nest einer 
gewissen Ameise. Den Boden der Büchse bildet das Internodium, 
das durchbohrt ist, um der Luft Zutritt zu gewähren. Ein Deckel 
fehlt. Diese Zunderbüchse dient den Indianern dazu, bei ihren Mär- 
schen von Fluß zu Fluß den glimmenden Brand mitzunehmen, um 
bei der Ankunft sofort und ohne viele Mühe Feuer anzünden zu 
können. 

über die Gegenden im Westen und Süden erfahre ich von den 
Indianern noch folgendes: Der Tiquie entspringe wenige Tagereisen 
flußaufwärts aus einem See. Wahrscheinlich ist darunter nur eine 
Lagune dieses Surapfgebietes zu verstehen, dessen Abfluß der Tiquie 
bildet. Am Yauacaca-Igarape lägen waldeinwärts zwei Malokas, die 
von Tsöloa oder Tsöroa und von Palänoa bewohnt würden. Die TsÖloa 
seien ein anderer Stamm als die Tsöla des oberen Pira-Parana. Ein 
alter Bara zeichnet mir eine Karte des Pira-Parana und seiner Zu- 
flüsse in den Sand, wobei er die Stromschnellen durch Kreise an- 
deutet. Der Pira-Parana münde in einen anderen „Papuli", den 
Apaporis der Karten. 

Ich kaufe ein Bündel Tanzstäbe aus Cecropia-Holz. Sie unter- 
scheiden sich wenig von den Uana-Stäben am Aiary, sind aber sorg- 
fältiger gearbeitet und mit feinen roten und schwarzen Mustern be- 
malt. Die Farben, Urucurot und Kohle, hat man, um sie haltbarer 
zu machen, mit einer Art Gummisaft angerührt. 

Am 19. Mai fahren wir wieder tiquieabwärts. 

Auf einem quer über das Wasser hängenden Baumstamm, unter 
dem wir uns mit Mühe durchzwängen, liegt eine Schlange von etwa 
l 1 /» m Länge. Ich bemerke sie erst, als sie dicht vor meinem Ge- 
sicht züngelt. Antonio, der hinter mir steuert, schlägt sie mit dein 
Ruder herunter. 

In Pinokoaliro, wo wir abends ankommen, müssen wir den Frauen 
immer wieder von den Hungertagen bei den Bara erzählen, was wir 
auch mit möglichst drastischen Gebärden tun. Ungeheurer Jubel er- 
schallt, wenn wir den Bauch einziehen, die Hände darauf pressen 



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214 



Rückkehr nach der Pary-Caehoeira 



und mit kläglicher Stimme rufen: „Kaleke mani, sena mani, oho 
mani! — menekapetero, yamimechka!" („Keine Hühner, keine Ananas, 
keine Bananen! — aber Käfer, Ameisen!") 

Auf der Weiterfahrt holen wir Bolaka ab, der mit geschnittenen 
Flügeln auf dem Bootsdach Platz nimmt. 

Die Caruru-Cachoeira bietet jetzt bei bedeutend niedrigerem 
Wasserstande einen womöglich noch großartigeren Anblick, da der 
senkrechte Absturz mehr zur Geltung kommt, und man näher heran- 
fahren kann. Die Felszeichnungen am linken Ufer sind nun sichtbar 
geworden. 

In der Maloka des Inspektors liegt der Schwindsüchtige im Sterben. 
Man merkt nicht viel davon. Die Weiber, darunter die junge Frau 
des Sterbenden, scherzen mit Schmidt und lachen laut. 

Am Abend des 22. Mai begrüßen wir unsere Freunde an der 
Pary-Cachoeira. 




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XV. Kapitel 

An der Pary-Cachoeira und 
zurück nach Sao Felippe 

Seit Anfang des Monats halten 
sich hier zwei brasilianische Kaut* 
8chuksammler auf, ein Weißer und 
ein Mulatte. Sie haben sich in der 
Nähe des unteren Hafens einen 
Schuppen errichtet, unter dem sie 
wohnen, und bauen ein großes Boot 
zum Transport von vierzig bis fünfzig 
Körben Maniokgrütze, die sie hier 
und in der Umgegend gekauft haben, 
und auf deren Herstellung sie warten. 
Meinen Ruderer Germano und einen 
anderen jungen Mann, den wir wegen 
seiner Wohlbeleibtheit „Barrigudo" 
(Dickbauch) nennen, verpflichten sie 
gleich nach unserer Rückkehr gegen 
teilweise Vorausbezahlung in Waren 
als Arbeiter für ihren Kautschukwald 
am unteren Rio Negro. 
Inzwischen haben Indianer vom Papury alarmierende Nachrichten 
gebracht. Die wilden Kobeua am oberen Caiary hätten mit colom- 
bianischen Kautschuksammlern blutige Zusammenstöße gehabt, wobei 
diese nahezu vernichtet worden wären. 

Häuptling Jose ist längst aus Silo Felippe zurück. Er hat uns 
Briefe, Tauschwaren und frischen Kaffee mitgebracht, was uns nicht 
wenig freut, da unser Kaffee schon über ein Jahr alt ist und wie 
Blumenerde schmeckt Don Germano hat dem Häuptling, wie dieser 
uns erzählt, wiederholt eindringlich ans Herz gelegt, uns gut zu be- 
handeln und uns in jeder Weise behilflich zu sein. 

Gegen unsere Montaria und Waren erstehe ich nach längerem 
Handeln das große Boot, in dem Jose nach Sao Felippe gefahren 
war. Es faßt bequem die schwere Signaltrommel und unsere ganze 
Last. Luiz, des Häuptlings jüngerer Bruder, ein schlauer, verschlagener 
Geselle, der von seiner Tuyuka-Mutter, der zweiten Frau seines Vaters, 
die zierliche Gestalt und feinere Gesichtszüge geerbt hat, kalfatert 
das Boot und versieht es mit einetn neuen Schutzdach. Er hat ver- 
sprochen, uns nach Sao Felippe zu bringen. 



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21« 



Schmidt« Hosenhondel 



Schmidt macht wieder einen ausgezeichneten Handel. Ein älterer 
Tukano, der anscheinend nicht über große Geistesgaben verfügt, ist 
ganz versessen auf einen seiner Anzüge, Rock und Hose aus dickem, 
dunklem Wollstoff, mit dem Kariuatinga, alias Nomio-achkä einst auf 
der Promenade in Manaos Furore gemacht hat. Schmidt treibt den 
Preis ungeheuer in die Höhe und verkauft den Anzug schließlich für 
eine umfangreiche Sammlung des herrlichsten Tanzschmuckes. Der 
Indianer will den dicken Anzug, wie er mir erklärt, beim Kaschiri 
tragen, wenn die große Zigarre und die Oocakalabasse kreisen und 
die alten Herren „konvenieren" ! — Am nächsten Morgen beim un- 
barmherzigen Licht des Tages entdeckt der neue Besitzer, daß die 
Hose am Hinterteil mehrere Flicken aufweist, was ihm abends im 
Halbdunkel und bei seiner blinden Begeisterung entgangen ist. Er 
kommt zu mir und will eine andere Hose haben, aber ich bedeute 
ihm sehr energisch, das sei nicht meine Sache, und der Handel sei 
abgeschlossen, worauf er sich drückt. Oh, diese Indianer! — 

Am 30. Mai fährt der Häuptling mit den meisten Männern in 
meinem großen Boot zu einem Tanzfest am Umari-Igarape. Sie nehmen 
Körbe voll Iua pischuna als Gastgeschenk mit, schwarzer, beeren- 
artiger Früchte eines hohen Waldbaumes, die sie einige Tage vorher 
am Cabary-Igarape geholt haben. Mehrere Kasten enthalten ihren 
Tanzschmuck. Die Zahngürtel, Rasseln und Klappern sind in kleineren 
Tragkörben verpackt, die außen mit Baststoff bekleidet sind. 

Schmidt und ich folgen am nächsten Morgen mit Weibern und 
Kindern. Wir setzen an das andere Ufer über, von wo ein Pfad 
durch lichten Wald in einer Stunde zum Festhaus, einer Maloka der 
Tukano, führt, die an einem brausenden Falle des ansehnlichen 
Baches liegt. Unsere lange Reihe eröffnet Yepalia, genannt 
Ignacia, das nach indianischen Begriffen schönste Mädchen der Gegend. 
Sie trägt ein kleines, flaches Korbsieb mit Perlenschürzchen und 
anderem Tanzschmuck auf dem Kopf. Hinter ihr komme ich mit 
meiner Hängematte. Dann folgen einige Knaben und Schmidt mit 
der großen photographischen Kamera. Den Schluß machen die übrigen 
Weiber, mit kleinen Kindern und allem möglichen Kram beladen. 
Schmidt vergleicht unsere Reihe nicht übel mit einer Maultierkara- 
wane, indem er sagt, wir hätten eine schöne „Madrinha". Freilich 
ist mir unsere Btolze, sich mit natürlicher Grazie in den Hüften 
wiegende Führerin lieber als eine altersschwache Stute, die meistens 
die Madrinha („Mütterchen", d. h. 'Führerin, Leittier) einer Maultier- 
karawane bildet. 



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Grosses Yurupary-Fcst 



217 



Auch ich habe mir, um mich zum Fest zu schmücken, von der' 
selben „Madrinha" Oberkörper und Arme mit Genipapo-Mustern be- 
malen lassen. Nach der Bemalung soll man den ganzen Tag nicht 
baden und die Zeichnungen der freien Luft aussetzen, bis sie blau- 
schwarz sind. 

Schon auf dem Marsch haben wir den Lärm vieler Menschen 
und die Töne zahlreicher Yurupary-Instrumente gehört. Auf dem 
freien Platz hinter der Maloka Bind niedrige Baracken aus Palm- 
blättern errichtet, unter denen die Weiber und kleinen Kinder, auch 
Knaben bis zu einem gewissen Alter, lagern. Der Ausgang ist mit 
der Klapptüre, Matten und Bananenblättern dicht verschlossen, damit 
die draußen Sitzenden die Instrumente, aus denen die Stimmen der 
Dämonen sprechen, nicht sehen können. Vor dem Hause sind schon 
einige junge Männer eifrig dabei, Kaapi zu bereiten. In der Maloka 
schreiten vierundzwanzig Yurupary-Musi kanten paarweise hintereinander, 
indem sie ihre Instrumente während des Blasens teils schräg nach 
oben halten, teils hin und her oder auf und nieder schwingen. Die 
Tänzer tragen einfache Kopfreifen oder Federkämme. Vortänzer sind 
Häuptling Jose" und sein jüngster Oheim. Der Häuptling gilt als 
Herr des ganzen Tanzfestes und als Tanzordner. Die Bewohner der 
Maloka geben nur die Bewirtung und nehmen an den Tänzen nicht 
teil. Am Eingang und Ausgang des Hauses sitzen einige ältere 
Männer, darunter auch Inspektor Antonio. Sie tragen am linken Arm 
Tanzschilde, die am Rande mit Federn behängt sind. Neben ihnen 
stecken prächtige Zierlanzen im Boden. Sie singen mit lauter, feier- 
licher Stimme und bewegen dabei den Kopf und die hoch erhobenen 
rechten Arme hin und her. 

Diese Zierlanzen sind wahre Kunstwerke. Sie sind mit großer 
Genauigkeit aus schwerem, rotem Holz gearbeitet und wohl geglättet. 
Der obere Teil ist stets in denselben Mustern geschnitzt und mit Ge- 
hängen aus mannigfachen Federn, Affenhaarstricken und Menschen- 
haaren geschmückt, Haupthaaren, die den Mädchen beim ersten Zeichen 
der Reife abgeschnitten werden (vgl. oben S. 115). Winzige türkis- 
blaue und rotviolette Federn sind hier in einer Art Mosaik auf das 
Holz gebunden, Krausen aus weißem Hokkoflaum in gewissen Ab- 
ständen angebracht. Das obere Ende ist gabelförmig geteilt und bis- 
weilen mit Spitzen aus Holz, Knochen oder auch Zähnen eines Nage- 
tieres versehen, die mit einer dichten Umwickelung aus Faserscbnur 
befestigt sind. Uber der langen Spitze, in die der untere Teil aus- 
geht, findet sich eine Vorrichtung zum Rasseln. Bei der Bearbeitung 



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•218 



Schild und Rassellanze 



des Schaftes ist an dieser Stelle eine spindelförmige Verdickung stehen- 
geblieben, die durch zwei Längsspalten ausgehöhlt wird. Runde Kiesel, 
die als Klappern dienen, werden in die Höhlung gebracht, indem man 
das Holz über Feuer erwärmt und die Spalten dadurch Torübergehend 
erweitert. Nach dem Fest wird über den oberen Teil der Lanze zum 
Schutze des Feder- und Haarschmuckes ein aus schmalen Rohrstreifen 
geflochtenes, zylindrisches Futteral gestülpt. Die Rassellanze wird stets 
zusammen mit dem Schild getragen, und zwar nur, wenn Kaapi ge- 
trunken wird. Ein eigentlicher Tanz findet damit nicht statt. Das 
Kaapi wird gewöhnlich von einem älteren Manne kredenzt. Dem 
Tänzer hängt der Schild am linken Unterarm. Mit der rechten Hand 
faßt er die Lanze unmittelbar unter dem Federschmuck und hält sie 
mit gekrümmtem Arm wagerecht über der Schulter, so daß die Spitze 
mit der Rassel nach hinten weist. Zunächst schüttelt er die Lanze 
mehrmals, schlägt sie dann auf die Schulter und läßt sie mit schrillem 
Rasseln ausvibrieren, indem er bei jedem Schlag mit den Knien wippt. 
Schild und Rassellanze sind unzweifelhaft aus wirklichen Kriegswaffen 
hervorgegangen. Sie stammen ursprünglich von den Desana, die noch 
heute das Monopol der Herstellung haben und sie an die anderen 
Stämme verhandeln (Abb. S. 360 und Taf. VII). 

Der allgemeine Tanz der Yurupary-Bläser dauert eine geraume 
Zeit. Den Tänzern strömt infolge der großen Anstrengung der Schweiß 
von den kunstlos mit Genipapo überstrichenen Körpern. Darauf 
tanzen einzelne Paare abwechselnd, immer auf eine befehlende Hand- 
bewegung des Häuptlings Jose, der mit übergeschlagenem Bein auf einem 
europäischen Rohrstuhl inmitten der Maloka sitzt. Zwei Hörner sind 
so lang und schwer, daß die Musikanten damit nicht tanzen können, 
sondern sie schräg wider den Boden stemmen und an der Stelle blasen. 
Der Ton klingt über die Maßen unheimlich, wie das stoßweise Heulen 
eines wütenden Tieres. Es herrscht ein fürchterlicher Lärm. 

Die Flöten sind oben mit einem Pfropfen aus weißem Ton ver- 
schlossen und mit einem grünen Blatt bedeckt. Ein enger Kanal 
führt durch die Mitte des Blattes und schräg durch den frischen Ton 
bis zu einem Luftloch in der Flötenwand, das mit Lippen aus auf- 
gebundenen grünen Blättern versehen ist. Der untere Teil der Flöten 
ist mit weißem Ton überstrichen, auf dem rote Zeichnungen angebracht 
sind. Auch die Hörner haben auf der ganzen Oberfläche diese Be- 
malung. 

Nach einiger Zeit werden die Gastgeschenke hereingebracht. Zwei 
junge Männer tragen je einen Korb voll Iua pischuna im Laufschritt 



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Yurupary-Tänze und Geißelung' 



219 



unter dem Beifallsgeschrei der Zuschauer in die Maloka, schwenken 
ihn inmitten des Hauses einigemal hin und her und stellen ihn dann, 
einen neben den andern, in einer Ecke nieder. 

Es wird weidlich Kaschiri gezecht und leider auch Schnaps ge- 
trunken, wenn auch nur in geringem Maße. Uber zweihundert Per- 
sonen, Männer, Weiber und Kinder, sind hier versammelt; außer 
Tukano, die weitaus die Mehrzahl der Festteilnehmer bilden, auch 
Desana von einer Maloka, die an einem noch schrofferen Falle bach- 
aufwärts liegt. 

Die Yurupary-Tänze sind je nach den Instrumenten, die dabei 
geblasen werden, sehr verschieden. Zwei Männer in reiferen Jahren 
führen einen eigenartigen langsamen Tanz auf und blasen dazu auf 
den längsten Flöten eine sehr melodische Weise. Sie machen einen 
Schritt vorwärts, heben dann den anderen Fuß und klopfen mit den 
Zehen einigemal auf den Boden, bevor sie den Fuß zum weiteren 
Schritt vorsetzen. So bewegen sie sich langsam und feierlich im Mittel- 
gang des Hauses auf und nieder. Um den Kopf tragen sie als Diadem 
ein fingerbreites, aus Faserschnüren geflochtenes Band, in das Büschel 
roter und gelber Federchen eingeknotet sind, und hinten im Haar 
einen in feinen Mustern umflochtenen Kamm, von dessen Enden Affen- 
haar8tricke mit Federtroddeln herabhängen. Ihre Instrumente, die 
sie hin und her schwingen, sind über der Bemalung mit einer Krause 
aus den gelben Schwanzfedern des Beutelstars geschmückt. 

Hierauf folgt ein Tanz in raschem Tempo mit kleineren Flöten, 
die mit einer Krause aus den langen, roten Schwanzfedern des Ara- 
canga umwunden sind. Die Tänzer halten die Instrumente nach oben 
und entlocken ihnen kurz abgestoßene Töne. Es ist ein prächtiger 
Anblick, wenn sich bei den schnellen Schritten der Männer die roten 
Federkrausen fächerartig auseinanderbreiten. 

Unterdessen bemalen sich die jüngeren Tänzer im Gesicht mit 
roten Mustern und legen den Galascbmuck an. Dabei wird schon 
Kaapi gereicht. Ein paar Neulinge vertragen das Zeug nicht und 
brechen es vor der Maloka wieder aus. Die Yurupary-Tänze werden 
nun in vollem Schmuck bis gegen Sonnenuntergang fortgesetzt. Dann 
werden die jüngeren Teilnehmer ausgepeitscht und damit endgültig in 
den Geheimbund der Männer aufgenommen. Jeder Kandidat um- 
klammert mit beiden Händen den Schaft einer langen Lanze mit 
Eisenspitze, die im Boden steckt. Oberkörper und Gesicht hat er 
etwas geneigt; die Stirn preßt er wider die Hände. Der Großonkel 
des Häuptlings Jose, ein außergewöhnlich kräftiger Mann, bringt ihm 



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220 



Pubertätsweihen des Mfinnerbundes 



mit einer schwanken Gerte, deren Nebenzweige man so abgeschnitten 
hat, daß spitze Knoten stehengeblieben sind, drei scharfe Hiebe über 
den nackten Körper bei, die hauptsächlich Waden und Bauch treffen 
und klaffende Wunden hinterlassen. 

Es unterliegt wohl kaum einem Zweifel, daß wir es hier mit 
Pubertätsgebräuchen zu tun haben. Der Eintritt der Jünglinge in 
das mannbare Alter und ihre Aufnahme in die Gemeinschaft der er* 
wachsenen Männer werden festlich begangen. Diese Aufnahme wird 
durch alle möglichen Kasteiungen erschwert, damit den Jünglingen 
der Ernst der Sache zum Bewußtsein kommt. Die ganze Feier mit 
ihrem geheimnisvollen Beiwerk soll offenbar auch eine zauberhafte 
Wirkung auf die Novizen ausüben, soll sie stark machen für den 
Ernst und die Freuden des Lebens. Wahrscheinlich findet diese Weihe 
nur alle paar Jahre statt, wenn genug Jünglinge herangewachsen 
sind, mit denen der feierliche und umständliche Akt vorgenommen 
werden kann. Daher kommt es, daß sich unter den Kandidaten manche 
finden, die schon sechzehn bis achtzehn Jahre alt sind, während andere 
erst zwölf bis vierzehn Jahre zählen. Die Jünglinge nehmen gewöhn- 
lich schon mehrere Jahre vorher als Zuschauer an den Yurupary- 
Festen teil, damit sie in die Mysterien allmählich eingeweiht werden. 

Die Feste des Mäunerbundes finden stets zur Zeit der Reife 
einzelner Waldfrüchte statt und sind den Dämonen der Fruchtbarkeit 
geweiht. Die Tänze sind Zaubermittel, um diese Dämonen, die sich 
in den Instrumenten verkörpern, magisch zu beeinflussen und günstig 
zu stimmen. Deshalb unterwerfen sich auch die Eingeweihten den 
Kasteiungen und von Zeit zu Zeit schweren Geißelungen. Die Weiber 
dürfen die Instrumente nicht nur nicht sehen, sie dürfen nicht einmal 
von ihrem Vorhandensein etwas wissen. Sie sollen nicht hinter das 
Geheimnis kommen. Sie sollen in dem Glauben erhalten werden, daß 
es wirkliche Dämonen sind, die den Männern erscheinen und diese 
uuheimlichen Töne von sich geben. Mit dem Preisgeben des Geheim- 
nisses fallt naturgemäß auch der geheimnisvolle Einfluß, den die Männer 
mit diesen Zeremonien auf die Weiber ausüben, und die Autorität 
der Männer gegenüber den Weibern wird dadurch überhaupt beein- 
trächtigt. Deshalb ist es den Teilnehmern streng verboten, den Weibern 
etwas davon zu verraten. Dazu kommt die Furcht vor der Rache 
der Dämonen, an deren Macht auch die Männer glauben. In Pino- 
koaliro habe ich einige kleine Skizzen von Yurupary-Tänzern und 
-Instrumenten in mein Tagebuch gezeichnet. Ich mache zwar mit den 
Bildern bei den Männern einen großen Eindruck. Sie jubeln laut, 



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Furcht vor den Dämonen 



221 



wenn ich sie ihnen heimlich vorweise, bitten mich aher jedesmal ein- 
dringlich, sie den Weibern nicht zu zeigen. Sie furchten für diese 
und für sich selbst. Allgemein ist die Scheu, mir Einzelheiten über 
das Fest und die Instrumente mitzuteilen. Selbst mir gegenüber sagen 
die Indianer stets Ton den Instrumenten : „Es sind Dämonen (Yuru- 
pary) mit verschiedenen Namen und verschiedenen Stimmen. w Mehrere 
Indianer zeigen deutlich ihren Verdruß darüber, daß wir Weiße über- 
haupt an der Feier teilnehmen, und Häuptling Jose* geht in seiner 
Furcht vor der photographischen Kamera sogar so weit, mir die Auf- 
nahme der Tänze zu verbieten. 

Trotz aller dieser Vorsicht hatte ich oft den Eindruck, daß die 
Weiber, besonders die älteren, den Zusammenhang wohl kennen oder 
wenigstens ahnen, sei es nun, daß sie die Tänze zufällig zu Gesicht 
bekommen haben, oder daß sie mit echt weiblicher Schlauheit und 
Uberredungsgabe ihren schwachen Ehegatten das Geheimnis entlockt 
haben. Auch in diesem Falle zwingt sie die Furcht vor der Rache 
der Dämonen, den Anblick der Instrumente zu meiden und ihr Ge- 
heimnis vor anderen Frauen zu bewahren. In früherer Zeit mag 
wohl auf die Profanierung der Mysterien durch die Weiber unmittel- 
bare Todesstrafe gefolgt sein. Was jetzt mit einer solchen Sünderin 
geschieht, konnte ich nicht genau in Erfahrung bringen. Man sagte 
mir: „Der Dämon tötet sie. M Vielleicht wird sie mittels eines lang- 
sam wirkenden Giftes, das der Indianer sicher kennt, aus der Welt 
geschafft. 

Die ursprüngliche tiefere Bedeutung dieses geheimen Männer- 
bundes wurzelt in demselben Glauben, der auch den Phallustänzen am 
Aiary zugrunde liegt, daß die einzige treibende und befruchtende Kraft 
in der ganzen Natur die zeugende Kraft des Mannes ist. 

Nach Einbruch der Dunkelheit finden die Yurupary-Tänze ihren 
Abschluß; die Musik wird jedoch die ganze Nacht hindurch wie in 
Pinokoaliro hinter einem Verschlag vor der Maloka fortgesetzt. Im 
Hause dauern die gewöhnlichen Rundtänze in voller Gala, auch unter 
Beteiligung der Weiber, bis zum nächsten Morgen nach Sonnenaufgang. 
Da es zu viele Teilnehmer sind, tanzt man gleichzeitig in zwei Runden. 
Beide Stämme, Tukano und Desana, lösen sich von Zeit zu Zeit bei 
den Tänzen ab. Die Vortänzer tragen über der linken Schulter eine 
Art Hacke mit einer Klinge aus schwarzem Palmholz, die vermittelst 
roter Baumwollfäden an einem winkeligen Stiel aus glattem, schwarzem 
Holz festgebunden ist. Eine Schnur, die beide Schenkel des Stiels 
miteinander verbindet, hält das Instrument zugleich an der Schulter 



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222 



Hacke als Tanzgerät 



des Tänzers fest In alter Zeit war die Klinge aus Stein. Von den 
Bara des Macucu-Igarape habe ich zwei Ter witterte Exemplare solcher 
Steinklingen erworben. 

Dieses Tanzgerät ist offenbar aus einer Gebrauchshacke ent- 
standen, die entweder zur Bearbeitung des Erdbodens diente oder, 
was noch wahrscheinlicher ist, bei der Herstellung der Einbäume ver- 
wendet wurde, zumal das Werkzeug, das von den Indianern heutiges- 
tags zu dieser Arbeit benutzt wird, abgesehen von der eisernen Klinge, 
in Beiner Form dem Tanzgerät durchaus gleicht. 

Das Haus wird während der Nacht durch ein großes Holzfeuer 
erleuchtet. Das Kaapi ruft dieselben Szenen hervor wie in Pinokoaliro, 
nur daß die Berauschten hier mit Schild und Rassellanze bewehrt 
sind. Es ist nicht ausgeschlossen, daß es sich bei diesen Kaapi- 
Zeremonien ursprünglich um eine Art Vorspiel zu kriegerischen Unter- 
nehmungen handelte, wobei der Zaubertrank die Krieger zu blinder 
Kampfeswut anreizen sollte. 

Am Morgen sind alle Männer mehr oder weniger betrunken. Sie 
übergeben sich und beschmutzen in ekelhaftester Weise die nächste 
Umgebung der Maloka. Auch einen kleinen Wortstreit hat es in der 
Nacht gegeben, zwischen dem Häuptling Jose, der im Rausche sehr 
streitsüchtig ist, und einem anderen. Zu Tätlichkeiten ist es nicht 
gekommen. Ich habe genug von dem widerlichen Schauspiel und kehre 
über Land nach der Pary-Cachoeira zurück. 

Die beiden Frauen, die dort hausgehalten haben, sind froh, als 
ich komme. Sie haben Angst vor dem „Tapayuna" (Schwarzen, Neger), 
wie sie den Mulatten nennen, obwohl er viel heller ist als sie selbst. 
Alle Tapayuna, so sagen sie, seien schlecht und ließen die Weiber 
nicht in Ruhe, womit sie nicht ganz unrecht haben. Die Frauen zeigen 
sich in ihrer Dankbarkeit von der liebenswürdigsten Seite. Sie backen 
mir knusperige Maniokfladen und kochen dazu ein mir neues, aber 
recht wohlschmeckendes Gericht, kleine Fische mit Pupunyablüten. 
Wenn die kleinen, runden, gelben Blüten der Pupunya-Palme abfallen, 
wird ein Korb darunter gehängt, um sie zu sammeln. Sie schmecken 
gekocht ähnlich wie unreifer Mais. 

Nachmittags kommt auch Schmidt mit den übrigen Weibern und 
Kindern zurück. Die Männer erscheinen erst am auderen Morgen, 
stark verkatert und ohne Stimme vom Saufen und Singen. Sie dürfen 
noch nichts essen, außer Maniokfladen. Erst gegen zehn Uhr gibt 
Inspektor Antonio jedem eine geröstete Pfefferfrucht mit Salz und 
Maniokfladen. Der Alte hat vorher, in der Hängematte liegend, eine 



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Abschied von der Pary-Cachoeira 



22'i 



ganze Weile eifrig und mit ernstem Gesicht über die Kalabasse ge- 
blasen, die die Pfefferfrüchte enthielt. Die jüngeren Leute ziehen 
außerdem dieselbe scharfe Brühe durch die Nase, über die wir uns 
schon in Finokoaliro entsetzt haben. Die strengen Fasten, die damit 
ihr Ende finden, haben volle drei Tage gedauert. 

Bei gewöhnlichen Tanzfesten werden bisweilen wie am Aiary 
„belegte Brötchen", Maniokfladen mit gekochten Fischen, angeboten. 
Als Tisch dient an der Pary-Cachoeira ein besonders großes, rundes 
Sieb, das auf einem niedrigen Gestell aus Kohrstäbchen befestigt ist. 
Auf ihm wird auch am Anfang und am Schluß des Tanzfestes der 
Galaschmuck ausgebreitet. 

Am 4. Juni nehmen wir Abschied, nachdem wir noch jeden mit 
einer Kleinigkeit beschenkt haben. Immer wieder wollen die Frauen 
und Kinder von uns hören, wie viele Monde bis zu unserer Wieder- 
kehr vorübergehen werden, und wie viele schöne Sachen wir ihnen dann 
mitbringen. Vor Freude klatschen sie in die Hände. 

Wir bleiben die Nacht in Silo Jose, wo Maximianos Maloka 
inzwischen von seinen Maku fertig gebaut worden ist. Der Häupt- 
ling hat sie noch nicht bezogen. Unzählige Sandflöhe, die eisen- 
haltigen Boden zu bevorzugen scheinen, sind bis jetzt die einzigen 
Bewohner. 

Den Weg über den Yauacaca-Igarape zum Yapura kennt Maxi- 
miano sehr gut aus eigener Erfahrung. Der Yauacaca-Igarape münde 
nach drei Tagen Kanufahrt in den Pira-Parana. Nach fünf Tagen 
gelange man auf diesem in den Apaporis und erst nach zehn Tagen 
apaporisabwärts in den Yapura. Unter den Stämmen, die man auf 
dieser Reise antreffe, nennt er die Kuretoa, die ich aus älteren 
Reiseschilderungen als Coretus kenne. Alle Stämme seien gut, nur 
die Yahuana oder Yahuna, wie er diesen Stamm nennt, seien sehr 
schlecht und töteten die Leute mit Curare. 

Indianer vom Papury haben Maximiano erzählt, die bösen Colom- 
bianer kämen jetzt zum Tiquie, aber er glaubt nicht daran und meint : 
„So weit über Land gehen nur Maku!* 4 Beim Abschied trägt mir 
der loyale Häuptling „Grüße an das Governo (die Regierung)" auf. 

Gleich unterhalb Urubu-Lago begegnen wir Albino, dem „pobre 
diabo" von Porto Alegre. Er fährt mit einer großen Montaria, in der 
er seine ganze Familie untergebracht hat, und zwei Booten flußaufwärts. 
Sein Begleiter ist ein banditonhaft aussehender Mestize vom unteren 
Caiary. Über uns, so lügt Albino, seien am Rio Negro die merk- 
würdigsten Nachrichten verbreitet. Die einen sagten, wir 6eien von 



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Ein Philosoph im Urwald 



den Tiquie-Indianern ermordet worden; die anderen, wir seien über 
den Yapura nach Manaos zurückgekehrt. 

In Agutiroca, wo wir am 9. Juni übernachten, begrüßt mich ein 
junger Indianer als „Compadre" (Gevatter). Es ist ein Besana, dessen 
Töchterchen ich seinerzeit getauft habe. Auch die „Comadre" tritt 
zu mir mit meinem kleinen Patenkinde, das mir ein Patschhändchen 
geben muß. So habe ich noch eine Menge Compadres und Comadres 
am Tiquie! — 

Am nächsten Morgen treffen wir zu unserem größten Erstaunen 
wiederum Albino und seine Begleitung, die sich mit ihren Booten am 
rechten Ufer abwärts treiben lassen. Er erzählt uns eine lange 
Schauergeschichte, in der er sich natürlich als die verfolgte Unschuld 
hinstellt. Sie hätten vom Häuptling Marco am Urubu-Lago Schulden 
eintreiben wollen, seien aber ohne ihr Zutun von ihm und seinen 
Leuten attackiert worden. Ich erwidere ihm unter anderem : „Das ist 
unmöglich; ich habe mich vierzehn Tage allein bei diesen Leuten auf- 
gehalten, die keinem Hund etwas zuleide tun, geschweige denn ohne 
Not einem Menschen!* Unser Abschied ist kurz und kühl. 

Am Uassa'i-Parana, einem langen Arm des Caiary, der eine weite 
Krümmung des Flusses abschneidet, statten wir einem jungen Brasi- 
lianer namens Teiles, einem hellhäutigen Mulatten, einen kurzen Be- 
such ab. Einige mehr als ärmliche Hütten, auf einer höheren, trockenen 
Stelle des linken Ufers gelegen, bilden sein Heim. Hier haust der 
ehemalige Offiziersaspirant und Kriegsschüler fern vom Getriebe der 
Welt, der er einst angehört hat, mit seiner hübschen indianischen 
Frau und einigen Tukano-lndianern. Früher hat er mehrere Jahre 
am Tiquie gewohnt. Ein ernster, kluger Mann, ein Philosoph, der 
sich mitten in dieser Sumpfwildnis bei einigen guten Büchern, die er 
aus dem Schiffbruch seines Lebens gerettet hat, anscheinend sehr wohl 
fühlt. Er nimmt uns liebenswürdig auf und bewirtet uns mit Alligator- 
rippen, die in Schmalz gebacken sind und uns vortrefflich munden. 

In Sao Joaquim ist es genau so, wie vor einem Jahr: Glocken- 
gebimmel, Flintenschüsse, Raketengeknatter, Trommeln und Flöten, 
Umzüge mit Heiligenbildern, Fahnen und Flitterkram, aber auch 
Schnapsduft, — kurz ein Heiligenfest früherer Missionsindianer, die 
schon lange die Zucht des Geistlichen entbehrt haben. Man feiert 
Vorabend von Sao Antonio. Spöttisch lachend mustern diese „Christen* 
in ihren sauberen Festgewändern unsere abgerissene Kleidung und 
meine nackten Indianer, die sich mit Recht weit besser dünken als 
die Vertreter einer karikierten Zivilisation. 



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AliBBions- Indianer 225 

Säo Joaquim ist nur in der Zeit der Heil igen feste, Juni, Juli, 
August, bewohnt. In den übrigen Monaten leben die Indianer familien- 
weise auf ihren zerstreuten Pflanzungen. Als Schmidt im März vor- 
überfuhr, stand alles leer, und die Häuser waren zum Teil verfallen 
und toll Unkraut. Nur für die Feste wird das ganze Dorf gereinigt 
und ausgebessert. 

Am 14. Juni sind wir wieder in Silo Felippe. 




Koch- Grünberg, Zwei Jahre bei den Indianern 15 



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XVI. Kapitel 



Bis Yauarete 

In Silo Felippe ist alles wie einst: Mehrere Söhne sind in Ge- 
schäften abwesend; der „Alte" wettert hinter seinen Indianern; die 
Gäste gehen ein und aus. 

In den ersten Tagen nach unserer Rückkehr herrscht ein häßliches 
Wetter. Die Sonne kommt gar nicht zum Vorschein. Die ganze Gegend 
ist in grauen Dunst gehüllt. Mit kurzen Unterbrechungen fällt ein 
feiner, kalter Regen, so daß das Thermometer am 18. Juni mittags 
zwei Uhr die auffallend niedrige Temperatur von 23° C zeigt. Die 
„Friagens", wie der Brasilianer diese kalten Tage nennt, kehren in 
jedem Jahr zu derselben Zeit, vor Beginn des Frühlings, wieder und 
dauern meistens vier, bisweilen acht Tage. Die Indianer haben für 
diese kurze Periode eine sehr treffende Bezeichnung. Sie nennen sie in 
der Lingoa geral „Aru" nach einer kleinen Kröte, deren massenhaftes 
Auftreten dieses feuchtkalte Wetter begünstigt. Die „Aru" ist stets 
von kaltem Südwind begleitet, hat aber mit ihrem Nebelregen auf den 
Wasserstand keinen EinHuß. Als eine Folge des schlechten Wetters 
ist vielleicht eine Augenentzündung anzusehen, die nach und nach einen 
großen Teil der Bevölkerung, auch mich, ergreift. Sie äußert sich in 
heftigen Schmerzen der blutunterlaufenen Augäpfel und starker Empfind- 
lichkeit gegen das Licht und hält in der ltegel zwei bis drei Tage an. 



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Heiligenfeste in Säo Fclippe 



227 



Auch der Beginn des Herbstes, Ende Dezember, wird durch eine 
Reihe kalter, nebeliger Regentage angezeigt, unter denen wir auf der 
Rückreise vom Aiary (1903) sehr zu leiden hatten. 

Am 23. Juni feiert man Vorabend von Säo Joäo. Ein Dutzend 
hoher Scheiterhaufen ist in einer Linie in angemessener Entfernung 
von den strohgedeckten Häusern aufgepflanzt und wird nach Eintritt 
der Dunkelheit unter dem üblichen Geschrei und dem Knattern des 
Feuerwerkes abgebrannt. Der Himmel zeigt sich gnädig und beschert 
eine echte Johannisnacht. In vollem Glänze windet sich hoch über 
uns die „Boiasu" (große Schlange), unser „Skorpion", das prächtigste 
Sternbild des Aquatorialhimmels. Aus einer der Indianerhutten er- 
schallen bis zum frühen Morgen fröhlicher Lärm und die Klänge der 
Ziehharmonika. — Viva Säo Joäo! 

Die Festtage folgen jetzt dicht aufeinander. Die Indianer kommen 
aus ihrem Schnapsdusel nicht mehr heraus. Am 28. Juni ist Vor- 
abend von Säo Pedro. Einige Indianer ziehen singend und bettelnd 
von Haus zu Haus. Vor dem Gesicht tragen sie Larven, die sie sich 
nach Art unserer Kamevalsmasken aus Pappdeckel geschnitten und be- 
malt haben. Sie erhalten Rotwein und Schnaps oder kleine Geldmünzen. 

Drei Tage später erscheinen vom Issana her mehrere Kanus voll 
betrunkener und laut johlender Festgenossen. Es sind Leute aus Säo 
Joaquim, Santa Anna und anderen Dörfern, die siebzehn Tage vorher 
nach kurzem Aufenthalt in Säo Felippe mit ihren Heiligenbildern und 
Fahnen bis Tunuhy gefahren sind und in allen Dörfern der „christ- 
lichen" Baniwa mit Schnaps und Kaschiri gefeiert haben. Sie ver- 
anstalten am nächsten Tage nach der Musik von zwei Trommeln, 
einigen Flöten und einer Ziehharmonika eine Prozession durch den 
Ort und betteln, angeblich für die Heiligen, in Wirklichkeit für ihre 
durstigen Kehlen. Damit hat die Festzeit, die ununterbrochen etwa 
einen Monat dauert und an die Kräfte der Teilnehmer die höchsten 
Ansprüche stellt, ihr Ende erreicht. „Gott sei Dank! - sagt Don 
Germano, dem dieses verkommene Christentum ein Greuel ist. 

Eine für mich traurige Nachricht bringt Salvador, der mit Post 
und Waren von Tapuru-cuara kommt. Albino hat bei seinem Zu- 
sammenstoß mit den Leuten von Urubu-Lago einen Sohn des Häupt- 
lings Marco und einen älteren Mann erschossen, was er mir seinerzeit 
wohlweislich verschwiegen hat. Der Mörder ist zwar von Manoel An- 
tonio de Albuquerque, dem am unteren Caiary ansässigen Subprefeito, 
verhaftet worden; aber das sei nur zum Schein, meint Don Germano, 
denn „eine Krähe hacke der anderen die Augen nicht aus". 



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228 



Abstecher nach Säo Marcellinu 



Salvador hat mir mehrere Kisten mit photographischen Platten 
und Tauschwaren mitgebracht, meine Sammlung vom Tiquie* ist ver- 
packt und soll mit dem nächsten Lastboot nach Tapuru-cuara gehen, 
so daß ich nun die beabsichtigte große Reise zum Caiary - Uaupes 
getrost antreten kann. Da kommen am 13. Juli ein Weißer und 
ein Neger. Sie haben mit den Indianern des oberen Caiary Handel 
treiben wollen, sind aber auf halbem Wege umgekehrt aus Angst 
vor den Kobeua, die an der Yurupary-Cachoeira, dem obersten Fall 
des Caiary, zwei colombianische Kautschuksammler getötet haben 
sollen. Die Kobeua, so erzählen diese Helden, mordeten jetzt alle 
Weißen, die sich in ihr Gebiet wagten. Sie raten mir dringend ab, 
meine Reise zu unternehmen. Als ich ihnen erkläre, ich würde trotz* 
dem nicht davon abstehen, denn die Indianer würden mir nichts tun, 
da sie keine Bestien seien und wohl einen Unterschied machten zwischen 
guten und schlechten Weißen, schütteln sie mitleidig lächelnd den 
Kopf. Sie halten mich für einen Menschen, der mit offenen Augen 
in sein Verderben rennt. 

Am 16. Juli fahre ich mit Schmidt nach Sao Marcellino, um 
Freund Pecil den längst versprochenen Besuch abzustatten. Ein Vene- 
zolaner, der mit seinem Lastboot heimwärts fährt, gibt uns in liebens- 
würdiger Weise freie Passage. Es ist ein merkwürdiges Leben auf 
einem solchen Lastboot. Der ganze plumpe Kasten ist vollgepfropft 
mit Waren aller Art, die unter dem großen, die hintere Hälfte des 
Fahrzeuges einnehmenden Schutzdach nur wenig Raum lassen und 
einen unbestimmbaren Geruch verbreiten. Den Tag Uber faulenzt man 
dort auf mehr oder weniger harten Säcken herum und sucht in den 
unglaublichsten Körperlagen ein einigermaßen bequemes Plätzchen zu 
finden, wobei man doch immer wieder mit den scharfen Kanten der 
zahlreichen Koffer und Kisten in unliebsame Berührung kommt. Das 
Essen teilt man mit den Leuten; in einem großen eisernen Topf werden 
gesalzenes und an der Sonne getrocknetes Rindfleisch, Knollenfrüchte, 
Kürbis und Reiß zusammengekocht. Vier- bis fünfmal am Tage wird 
Kaffee getrunken, und bald nach Dunkelwerden kriecht jeder in seine 
Hängematte, die unter dem Schutzdach befestigt ist. Man liegt darin 
zwar wie in einem Loch, zu einem Knäuel zusammengekrümmt, schläft 
aber trotz der Stickluft bald ein. Die Besatzung, die unser schwer- 
fälliges Boot mit Stangen, Haken und Tauen nur langsam fortbewegt, 
besteht aus Indianern (Bare), Mischlingen und reinen Negern. 

Am zweiten Tag der Fahrt kommt uns das venezolanische Dampf- 
boot „ General Castro" entgegen und nimmt unser Fahrzeug und zwei 



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Zum Caiary-Uaupes 



229 



andere Lastboote ins Schlepptau, so daß wir jetzt rascher vorwärts- 
kommen and am Abend des 18. Juli die Ansiedlung Pecils erreichen. 

Das Dampfboot ist zwar nur ein kleines Ding und starrt ron 
Schmutz, und doch — es ist ein eigenartiges Gefühl, wieder mit einem 
Dampfer zu fahren, das Geräusch der Maschine zu hören. Ein Hauch 
der Zivilisation weht uns an. Aber nur ein Hauch! Wie weit sind 
wir von dem, was man wirklich Zivilisation nennen darf, entfernt! — 

Pecil nimmt uns herzlich auf und zeigt sich als der aufmerksamste 
Wirt, den man sich nur denken kann. Wir verleben bei ihm Tage 
der Ruhe und der Erholung. Ein Indianerboot bringt uns am 27. Juli 
wieder nach SAo Felippe. 

Hier gibt es noch manches Geschäftliche zu erledigen. Das Boot 
maß kalfatert, das Schutzdach ausgebessert werden. Erst am 4. August 
kommen wir weg. Don Germano gibt mir fünf Leute mit, die uns 
bis zum Subprefeito bringen sollen. Unseren geflügelten Genossen 
Bolaka lassen wir einstweilen unter der Obhut eines alten Indianers 
in Säo Felippe zurück. 

Nach dreistündiger Fahrt lenken wir durch den nördlichen Mündungs- 
arm in den Rio Caiary-Uaupes ein und landen vor dem Dorfe Sao 
Joaquim, das jetzt wieder verödet daliegt. Die Wege sind von Unkraut 
gesäubert; die meisten Häuser, besonders das Haus des Inspektors, 
in dem wir übernachten, befinden sich in gutem Zustande; ein Haus 
ist, wahrscheinlich in der allgemeinen Betrunkenheit, niedergebrannt. 

Silo Joaquim liegt auf der Höhe eines Felsvorsprungs des rechten 
- Ufers, an der unteren Spitze einer weiten Bucht. Die Wohnungen 
sind zu beiden Seiten einer Straße angeordnet, die parallel dem Flusse 
verläuft. Die höchste Stelle des Dorfes nehmen der Friedhof und die 
Kirche ein, ein schmuckloses Gebäude mit Lehmwänden und Palm- 
strohdach. Auf dem freien Platze davor hängen nach der Sitte des 
Landes an einem niedrigen Gerüst unter einem kleinen Schutzdach 
aus Palmblättern drei Glocken. 

Die Missionsgeschichte des Caiary-Uaupes zeigt ein beständiges 
Auf und Nieder. Die ersten Missionsversuche fallen anscheinend in die 
zweite Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts. Schon damals sollen an 
diesem Flusse Sao Joaquim und Sao Jeronimo, das heutige Ipanorl, gleich- 
zeitig mit Sao Felippe und Sao Marcellino am Rio Negro durch Mis- 
sionare vom Orden der Karmeliter gegründet worden sein. Dazu 
kamen im Anfange des vorigen Jahrhunderts mehrere Stationen am 
unteren Caiary, deren klägliche Reste sich bis auf unsere Tage erhalten 
haben. Im Laufe der Zeit erlahmte der Eifer, so daß der Karmeliter 



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230 



Frühere Misaionsversuclic 



P. Gregorio, als er im Jahre 1852 die Leitung der Mission über- 
nahm, nur noch Trümmer der einstigen Herrlichkeit vorfand. Dank 
seiner Energie und der gutartigen Gesinnung der Indianer konnte er 
in kurzer Zeit die Arbeit seiner Vorgänger zu neuer Blüte bringen. 
Ja, es gelang ihm, auch am mittleren Caiary festen Fuß zu fassen, 
wo er zahlreiche Stationen anlegte und sich unter den Uanana in 
Carum niederließ, aber schon nach zwei Jahren mußte dieser treff- 
liche Missionar die Stätte seiner ersprießlichen Tätigkeit verlassen, 
die rasch verfiel. Nach verschiedenen vergeblichen Versuchen wurde 
im Jahre 1880 die Missionierung des Caiary-Uaupes durch die Franzis- 
kaner in großem Stil wieder aufgenommen. Bald entstand eine Reihe 
wohl organisierter Stationen, die sich über eine Strecke von ungefähr 
800 Kilometern ausdehnten und zusammen mit den Missionen am 
Issana, die ebenfalls zu dem Wirkungskreis der Franziskaner gehörten, 
nach den Berichten mehr als dreitausend Bewohner zählten. 

Aber auch diese Missionsarbeit, die so aussichtsreich begonnen 
hatte, erreichte 1883 ein vorzeitiges Ende. Die Patres ließen sich 
durch ihren Übereifer zu der verhängnisvollen Torheit hinreißen, Kult- 
geräte der Tariana in Ipanore zu profanieren, was ihnen um ein Haar 
das Leben gekostet hätte. Sie mußten fliehen und kehrten nicht mehr 
zum Caiary zurück. Die Bekehrten zerstreuten sich und nahmen ihre 
alten Gewohnheiten, die ihnen noch nicht fremd geworden waren, 
wieder auf. Seit dieser Zeit hat man den Versuch nicht erneuert, 
und die heutigen Indianer haben kaum noch eine vage Erinnerung an 
ihre Seelenhirten. 

Von den ehemaligen Missionsdörfern am unteren Caiary, unter- 
halb Ipanore, sind außer Säo Joaquim nur Yurarapecuma und Nanara- 
pecuma übrig, beide auf dem linken Ufer. Die anderen sind ver- 
schwunden, und öde Wüstungen nehmen die Stelle ein, wo einst 
Micurarapecuma, das große Taracua und andere Dörfer standen. 

Der untere Caiary, der von der Mündung des Tiquie an im 
wesentlichen eine westöstliche Richtung einnimmt, hat keine Strom- 
schnellen. Die größtenteils flachen Ufer werden in der Regenzeit 
vom Hochwasser überschwemmt. Zahlreiche Bäche führen zu beiden 
Seiten dem Hauptflusse ihr grünliches oder dunkelbraunes Wasser zu. 
Nahe seiner Mündung ist der Caiary nur 200 bis 300 m breit, 
erreicht aber weiter aufwärts, unterhalb des Schnellen-Gebietes, bis- 
weilen eine Breite von 1000 bis 1500 m. Er ist von großen und 
kleinen Inseln durchsetzt, die von üppiger Sumpfvegetation überwuchert 
sind und viele schmale Arme bilden. Hier und da ziehen sich Stein- 



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Frühlingsnächtc 231 

barren in den Fluß hinein und bringen bei niedrigem Wasserstande,' 
der auch riesige Sandbänke zutage treten laßt, gewisse Gefahren für 
die Schiffahrt. Einige Felskuppen ragen aus dem flachen Lande auf, 
unter ihnen die Panella - Uitera, das „Topfgebirge*, deren Gestalt 
einem umgestülpten Topfe ähnelt. Fernab im Südwesten erblickt man 
während der ersten Tage der Fahrt von Zeit zu Zeit die blauen 
Höhen der Pati-Uitera, wo der Capauary-Igarap£, unser langweiliger 
Freund von der Curicuriary-Reise, seinen Ursprung zu haben scheint. 

Wenige Stunden oberhalb des Tukano-Dorfes Yurarapecuma, der 
alten Mission SAo Pedro, wo wir am 6. August übernachten, findet 
sich an dem rechten Ufer eine Gruppe großer, runder Felsen, die von 
den Indianern „Blasrohrfelsen" genannt werden. Durch den einen 
Felsen führt ein breites, zylindrisches Loch, das vermutlich im Laufe 
der Zeit durch die Einwirkung des Wassers entstanden ist, und durch 
das man eine flußaufwärts auf dem rechten Ufer gelegene Kuppe er- 
blickt. Es ist das „Blasrohr" des Oak e, des Stammvaters der Tukano. 
Mit ihm habe der Heros nach einem „Steinhaus" geschossen, einer 
hochragenden Felsmasse, die auf dem vegetationslosen Gipfel des Ge- 
birges deutlich sichtbar ist. 

Die weiten, ungehinderten Ausblicke nach Westen lassen uns die 
zu Beginn der Trockenzeit besonders herrlichen Sonnenuntergänge in 
ihrer vollen Schönheit genießen. Sofort nach dem Niedertauchen der 
Sonne brennt der Horizont in strahlendem Gelb, das allmählich immer 
duukler wird, orangefarben, und sich endlich zu einem satten Purpur- 
rot vertieft, dessen letzter Schimmer noch gegen sieben Uhr im Dunkel 
der Nacht wie eine ferne Feuersbrunst herüberleuchtet. Wie bedauert 
man es, daß man diese Farbenharmonie nicht im Bilde festhalten 
kann : aber, ich glaube, selbst der größte Künstler würde dieses farben- 
prächtige Gemälde der Natur nicht wiedergeben können. 

Es sind echte Frühlingsnächte, wie bei uns im Mai ; der Himmel 
wolkenlos; von Südwesten her weht ein frischer Wind. Unermüdlich 
zirpen die Grillen, lassen die Frösche ihre mannigfachen Stimmen 
hören. Unzählige Käfer, unseren Maikäfern ähnlich, aber etwas heller 
und plumper von Gestalt, durchschwirren die Luft. Gegen Morgen 
wird es gewöhnlich empfindlich kühl; starker Tau geht nieder und 
tropft wie Regen von den Bäumen. 

Am 8. August kommen wir zum Subprefeito Manoel Antonio de 
Albuquerque. Er bewohnt auf dem linken Ufer die kleine, saubere 
Ansiedlung Bella Vista, die recht zivilisiert anmutet: ein weiß und 
blau angestrichenes, festgebautes Wohnhaus, mit Wellblech gedeckt, 



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232 



Beim Subprefeito 



davor ein hoher Flaggenmast, etwas abseits mehrere Hütten, im Hafen 
zwei Lastboote, einige Montarias und Einbänme. 

Albuquerque ist Mestize, am Flusse selbst geboren. Das Indianer- 
blut herrscht bei ihm stark vor. Die Frauen, die ich zu Gesicht be- 
komme, sind wohl alle reinblütige Indianerinnen. Dank der Empfehlungs- 
briefe, die mir Don Germano und Salvador mitgegeben haben, werde 
ich mit großer Höflichkeit aufgenommen und ein wenig als offizielle 
Persönlichkeit behandelt. Auf der langgestreckten Insel gegenüber 
der Niederlassung schauen einige mit Wellblech oder Palmstroh ge- 
deckte Häuschen und Hütten aus dem üppigen Grün hervor. Sie 
gehören dem alten Boaventura, einem der Stammväter des Geschlechtes 
der Albuquerque. Er kommt gegen Abend auf ein Plauderstündchen 
herüber und entpuppt sich als ein freundlicher Herr, der im Leben 
viel gesehen hat und darüber trefflich zu erzählen weiß. Er ist gebürtig 
aus Para, wohnt aber schon einige dreißig Jahre am Caiary, den er 
weit flußaufwärts befahren hat. 

Vor unserer Abreise muß ich die ganze Gesellschaft in einzelnen 
Gruppen photographieren, auch den alten Boaventura, der im hohen 
Vatermörder, bunter Halsbinde, schwarzer Hose, Rock und Weste 
aussieht, als wolle er an einem Sonntagnachmittag in seiner Vater- 
stadt Spazierengehen. Bei dieser Gelegenheit lerne ich auch den 
„indianischen Stammvater" kennen, den uralten Pedro, Häuptling 
einer nahen Maloka der Uaikana. Ich photographiere ihn, der sich 
nicht minder nobel herausgeputzt hat, mit seiner Tochter und einer 
Anzahl Enkel oder Urenkel. Am Hals und an den Händen der kor- 
pulenten Dame schaut unter der feinen Bluse noch die Genipapo-Be- 
malung von einem Tanzfest hervor, das in der Nacht vorher in der 
Maloka stattgefunden hat. Deutlich haben wir die melodischen Töne 
der Yapurutu-Flöten gehört. Jetzt hat sie ein buntkariertes Kattun- 
kleid angezogen und hält in der Hand einen kleinen europäischen 
Fächer. — .Bitte recht freundlich!" — 

Albuquerque stellt mir unentgeltlich vier Ruderer und einen Pilot 
bis Ipanore zur Vertilgung und gibt uns, außer einem Empfehlungs- 
brief an den dort ansässigen Colombianer Thomas Rois, zwei Flaschen 
Bier und andere Wegzehrung mit. 

Wenige Stunden oberhalb des Ortes fließt dem Caiary von links 
her der ansehnliche Yauiary zu, der durch Fußpfade mit dem Oubate, 
dem rechten Nebenfluß des unteren Issana, und weiter aufwärts mit dem 
Aiary in Verbindung steht. Er ist unbewohnt, aber die Uaupes-Indianer 
benutzen ihn, um zum Retiro des „Heilandes" Anizetto zu entfliehen. 



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Heftige Stürme 233 

Je weiter wir flußaufwärts kommen, desto zahlreicher und ursprung- 
licher wird die indianische Bevölkerung. Auf dein rechten Ufer setzt 
sich das alte Tukanodorf Emhaiua aus drei Hütten zusammen, deren 
männliche Bewohner sich schon mit der Schambinde als Bekleidung 
begnügen. An einem Zuflüßchen, das wegen seines dunklen Wassers 
den Namen „Kohlebach" führt, finden wir eine Hütte und zwei ge- 
räumige Malokas der Tukano. 

Porto Alegre, das wir am 11. August passieren, liegt verödet da. 
Soweit wir vom anderen Ufer aus erkennen können, sind die Häuser 
geplündert und teilweise zerstört. Die Fensterläden hängen schief 
in den Angeln. Albino haben wir nicht mehr in Bella Vista ange- 
troffen. Er ist mit mehreren Brasilianern flußaufwärts gefahren. 

In Nanarapecuma besuchen wir Francisco Courado, einen Weißen, 
der hier sein .Winterquartier" hat; im Sommer arbeitet er am Rio 
Negro unterhalb Santa Izabel im Kautschukwald. Manoel Albuquerque 
hat mir für ihn einen Brief und einige Büchsen kondensierter Milch 
für seine kranke Frau mitgegeben, die inzwischen gestorben ist. In 
ihm lerne ich einen ganz besonderen Typus kennen, der mir bisher 
in dieser Wildnis nicht begegnet ist, einen Salonmenschen ! Er spricht 
im reinsten Portugiesisch und in den gewühltesten Redewendungen 
über meine Expedition, meine wissenschaftlichen Arbeiten, mein reiches 
Forschungsgebiet usw. usw. Unter den feinsten Segenswünschen und 
zahlreichen Umarmungen und Verbeugungen auf beiden Seiten trennen 
wir uns schließlich. 

Wie in unserer gemäßigten Zone, so scheidet auch in den Tropen 
der Winter, die Regenzeit, unter heftigen Stürmen. Unterhalb der 
Mündung des Tiquie* bricht gegen Mittag von Osten her plötzlich ein 
Orkan los, so anhaltend und mit solcher Heftigkeit, wie ich es hier 
nie erlebt habe. Der Fluß hat Wellen wie eine bewegte See. Hätte uns 
der Sturm mitten auf dem breiten Strom überrascht, es wäre unser sicherer 
Untergang gewesen. Die Dünung ist so stark, daß wir erst Stunden 
nachher daran denken können, das schützende Ufergebüsch, unter das 
wir uns geflüchtet haben, zu verlassen. 

Der „Lappenbaum u bekommt von uns eine — leere — Bierflasche 
und die dazugehörige Strohhülse als Votivgaben. 

Abilio Fernandez treffen wir nicht in seinem Haus; er ist fluß- 
abwärts gefahren. Seine hübsche Genossin, eine sehr hellhäutige Ära- 
paso-Indianerin, und sein Geschäftsführer, ein blutjunges Kerlchen, 
frisch aus Manaos importiert, halten haus und nehmen uns verwilderte 
Gesellen mit einiger Vorsicht auf. 



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234 



Bei den Tariana in Ipanore 



Seitdem wir die Mündung des Tiquie" hinter uns haben, fahren 
wir in nordwestlicher Richtung, die bis Ipanore im großen und ganzen 
die gleiche bleibt. Die weite Wüstung der ehemaligen Mission Taracua 
oder Säo Francisco, die noch vor zweiundzwanzig Jahren vierzig be- 
wohnte Häuser und eine Kirche zählte, zieht sich einen niedrigen 
Hügel hinan. Der Caiary ist hier sehr breit und ohne Inseln. Wir 
fahren am linken Ufer aufwärts, als wir mehrere hundert Meter von 
uns entfernt ein Tier den Fluß durchschwimmen sehen. Meine Indianer 
halten es anfangs für eine große Schlange. Ich schieße mit dem 
Karabiner hin. Als die Kugel wenige Meter vor ihm in das Wasser 
schlägt, wendet es um und sucht wieder das andere Ufer zu gewinnen, 
aber die starke Strömung reißt es mit sich fort, uns entgegen. Die 
Indianer schreien aufgeregt „Aguti" (Goldhase), dann „Suasu" (Hirsch). 
Scharf rudern wir darauf zu. Ich gebe ihm mit einem Kopfschuß den 
Rest. Es ist ein kleiner, zarter Hirsch, und für die nächsten Tage 
ist unsere Küche reichlich versorgt. 

Oberhalb Taracua finden sich mehrere von Tukano bewohnte 
Malokas auf dem rechten Ufer landeinwärts an einigen Nebenbächen. 
Auch am 13. August haben wir nach Mittag einen heftigen Sturm 
zu überstehen. Wir passieren dann die Mündung des ansehnlichen 
Abacate-Parana, der dem Caiary von rechts zufließt, und bald darauf 
die große Tukano -Maloka Tuyuca-cuara auf demselben Ufer. Im 
Hafen liegt eine Anzahl Kanus, und viele nackte Indianer stehen auf 
der hohen Uferwand. Offenbar ist ein Trinkfest im Gange. Gegen 
Abend erreichen wir das erste Haus von Ipanore" am Ausgang der 
Stromschnelle, deren Brausen deutlich herübertönt. 

Ein älterer Tariana mit starker Hakennase, einige stramme Weiber 
vom Tukano -Typus und Kinderchen sind die Bewohner. Niemand 
spricht ein Wort portugiesisch. Ich erzähle ihnen in der Lingoa 
geral, daß ich der „Dotoro* sei, „mira kamarara" („der Indianer 
Freund tt ), und schildere ihnen auf ausführliche indianische Weise, d. h. 
von Station zu Station, unsere früheren Reisen, wobei mir eine Frau 
lebhaft ins Wort fällt und in schnatterndem Tukano die anderen 
über meine Person aufklärt. Sie haben alle schon von unseren Taten 
gehört und sind offenbar erfreut, uns hier zu sehen. Auch mein 
Spitzname „Uachti" (Dämon), den mir die Tuyuka gegeben haben, 
wird genannt. Ich spreche mit ihnen Lingoa geral, Tukano und einige 
Brocken Tariana, die ich von Leuten Don Gerraanos gelernt habe. 
So werden wir rasch gute Freunde. 

Auch hier wird, wie am Tiquie, das Tukano als Verkehrssprache 



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Die Uitoto und Karihona 



235 



gebraucht. Die Ruderer, die mir Albuquerque mitgegeben hat, und 
die drei Stämmen mit verschiedener Sprache, Tukano, Desana und 
Uaikana, angehören, führen ihre Unterhaltung nur in Tukano. Mit 
mir sprechen sie Lingoa geral. Das Tariana, das den Aruaksprachen 
des Issana nahe verwandt ist, scheint eine aussterbende Sprache zu 
sein. Unser Tariana -Wirt spricht mit den Weibern nur Tukano, 
und die Kinder sprechen natürlich erst recht nur die Sprache der 
Mutter. 

Am anderen Morgen besuchen wir den Columbianer Thomas Rois, 
einen bescheidenen, liebenswürdigen Mann, der mir sofort einige Leute 
zur Weiterfahrt besorgt. Flußaufwärts, so erzählt er uns, sehe es 
jetzt böse aus. Viele Malokas stünden leer. Die Indianer seien ent- 
flohen aus Angst vor zwei Banden Weiüer, die Arbeiter für die Kaut- 
schukwälder am Rio Negro holen wollten und sich alle möglichen 
Gewalttätigkeiten zuschulden kommen ließen. 

Den Fluß oberhalb der Yurupary-Cachoeira kennt Thomas nicht, 
aber er hat einen colombianischen Kautschuksammler zu Besuch, der 
dort wohl Bescheid weiß und uns mancherlei Angaben macht. Auch 
von den Stämmen der Uitoto und Karihona spricht er. Die ersteren 
arbeiteten schon für die Colombianer in den Kautschukwäldern, die 
Karihona noch nicht. Das Karihona, das vom Uitoto ganz verschieden 
sei, bilde die dortige Verkehrssprache. Alle Kautschuksammler sprächen 
es mehr oder weniger. Er nennt mir eine Anzahl Wörter, die mit 
dem Carijona, das Crevaux im Jahre 1879 am oberen Yapura 
aufgenommen hat, nahezu identisch sind. Die Karihona durchbohrten 
Nasenscheidewand, Unterlippe und Ohrläppchen und trügen Rohrstücke 
und beim Tanze Federn darin. Die Männer schnürten breite Bast- 
streifen fest um den Leib, so daß sie den Oberkörper immer gerade 
halten müßten. 

Das Dorf Ipanore liegt auf beiden ansteigenden Ufern des Caiary 
am Fuße der ersten Stromschnelle. Es besteht aus einigen zwanzig 
Häuschen und Hütten, versteckt im frischen Grün zahlreicher Bananen 
und Orangenbäume. Viele Häuser sind unbewohnt und halb verfallen, 
die Straßen von hohem Gras und Sträuchern überwuchert. Kirche 
und Pfarrhaus, die einst die kunstfertige Hand des P. Jose (Giuseppe 
Coppi) mit Wandgemälden schmückte, sind verschwunden. Auf der 
Höhe des rechten Ufers hat man eine große Maloka errichtet und 
lebt darin nach der Sitte der Väter. 

Schon der alte Boaventura hat mir geschildert, wie sich die Ver- 
treibung der Missionare abspielte. Der Häuptling von Ipanore* ergänzt 



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23P, 



Übereifer der Missionare 



mir jetzt seine Erzählung aus eigener Erinnerung : Die Tariana haben 
Maskenanzüge aus Affenhaaren, mit denen sie bei den Yuruparyfesten 
tanzen, und die sie vor den Weibern ängstlich geheimhalten. P. Jose 
hatte sich nun yod dem Häuptling der Tariana in Yauarete, die mit 
den Leuten von Ipanore verfeindet waren, einen solchen Maskenanzug 
zu verschaffen gewußt und ihn in der Kirche versteckt. Am Sonntag, 
als viel Volk, besonders eine Menge Weiber, in der Kirche war, holte 
P. Mathe us (Matteo Canioni), der die Messe abhielt, den „Yurupary" 
plötzlich hervor, um ihnen zu zeigen, daß sie nichts von dem Dämon 
zu furchten hätten, und dadurch mit einemmal den Unglauben aus- 
zurotten. Ein furchtbarer Aufruhr war die Folge dieses unklugen 
Streiches. Die Weiber warfen sich zu Boden und verbargen voll 
Angst das Gesicht, wollten fliehen, fanden aber alle Türen verschlossen 
und P. Jose als Wache davor. Die Männer drangen mit Stöcken 
und anderen Waffen auf P. Matheus ein, um ihm den Yurupary zu 
entreißen und den Missetäter zu erschlagen, der mit dem schweren 
Bronzekruzinx kräftig auf seine Angreifer einschlug. Beide Missionare 
gerieten in die größte Gefahr und wurden nur durch das Eingreifen 
des Häuptlings vom Tode bewahrt. Unter den Drohungen der Indianer 
mußten sie sich sofort auf Nimmerwiedersehen einschiffen. — Kurze 
Zeit vor diesem für die Missionen des Caiary verhängnisvollen Ereignis 
hatte P. Jose eines Tages den Maskenanzug zur allgemeinen Besich- 
tigung an einem Flaggenmast gehißt, worauf sämtliche Weiber in den 
Wald geflohen waren. — Und mit solchen Gewaltetreichen wollten 
die guten Missionare die Indianer zu Christen machen! — 

Die Stromschnelle von Ipanore* wird durch das am linken Ufer 
entlang ziehende, gleichnamige Gebirge hervorgerufen. Sie ist fluß- 
aufwärts unpassierbar. Der mächtige Strom wird durch einen nur etwa 
200 m breiten, aber ungefiihr einen Kilometer langen Kanal gepreßt, 
in dem riesige Granitblöcke die fürchterlichsten Brandungen und 
Strudel erzeugen. Südlich von diesem Hauptkanal und von ihm durch 
eine lange Felsinsel getrennt, findet sich ein schmälerer Arm, der im 
Sommer austrocknet. Hier werden bei Hochwasser die Boote über 
die flachen Felsen am rechten Ufer gezogen. 

Die Indianer sagen, daß der Katarakt an manchen Tagen ein 
dumpfes Tönen hören lasse, ähnlich dem Klange der großen Yurupary- 
Instrumente. Dies sei ein Zeichen, daß der Dämoo der Stromschnelle 
ein Opfer fordere. 

Oberhalb Ipanore* wird der Fluß wieder erheblich breit, doch schon 
nach kaum fünfzehn Minuten ruhiger Fahrt stellt sich uns ein neues 



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Fortgesetzte Stromschnellen 



237 



schweres Hindernis entgegen. Durch fortgesetzt heftige Strömung und 
kleinere Schnellen gelangt man dann zur langen und wütenden Pinu- 
pinu-Cachoeira, die wiederum durch eine große Felsinsel in zwei Teile 
geteilt ist und links in dem brüllenden und jederzeit unpassierbaren 
Katarakt von Urubu-cuara abstürzt. Wir müssen mehrmals das ganze 
Gepäck ausladen, kommen aber mit Hilfe der anwohnenden Tariana 
ohne Verlust hinüber. 

Die Mannschaft, die uns der Subprefeito unentgeltlich zur Ver- 
fügung gestellt hat, wird hier ausgelohnt. Die .Geschenke" wiegen 
mehr, als wenn ich die Leute selbst verpflichtet und „bezahlt" hätte, 
aber wir sind wenigstens ein gutes Stück weiter gekommen. 

Am Kopfe der Pinupinu - Cachoeira ist die Strömung reißend. 
Vorsichtig müssen wir uns am Ufergebüsch weiterziehen. In einem 
kritischen Augenblick löst sich das Steuer, ein breites Paddelruder, 
das mit Stricken am Heck des Bootes befestigt ist. Unaufhaltsam 
werden wir dem tosenden Absturz zugerissen und sehen schon den 
Tod vor Augen, als ein Strudel unser Boot erfaßt und zum rettenden 
Ufer treibt. 

In diesem Schnellen-Gebiet finden sich auf beiden Ufern mehrere 
Malokas der Tariana, die zum Teil nach den Stromschnellen, an denen 
sie liegen, benannt sind. Sie sind wohl von früheren Einwohnern der 
Mission und ihren Nachkommen .bevölkert, da die Franziskaner fast 
den ganzen Tarianastamm in dem großen Ipanore oder Säo Jeronimo 
vereinigt hatten. 

Von Ipanore an gibt es am Caiary keinen ansässigen Weißen mehr. 

Die Maloka Urubu-cuara, wo wir am 14. August übernachten, 
liegt reizvoll auf der hohen, sauber gehaltenen Wand des linken Ufers. 
Eine geräumige Kirche mit Strohdach und lehmbeworfenen Wänden 
erinnert an die Zeit der Missionen. 

Am nächsten Tage passieren wir einige weitere Häuser der Tariana, 
die von den Bewohnern aus Furcht vor den Weißen verlassen sind, 
und kommen am Abend zu der Tariana- Maloka Tamandua auf dem 
rechten Ufer. Wir finden sie besetzt von einer der Banden unter der 
Führung eines berüchtigten Armeniers, der schon bei der „Straf- 
expedition* gegen die Tiquie-Indianer eine üble Rolle gespielt hat. Der 
erste Mensch, den wir am Hafen erblicken, ist — Albino. Er wendet 
sich scheu ab, als er uns erkennt. Ich verzichte auf weitere Bekannt- 
schaften und lasse trotz Einladung erst am oberen Hafen haltmachen, 
wo wir in der klarfrischen Nacht lagern. 

Die andere Bande, die unter einem gewissen Cabral, ebenfalls 



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238 



Korea- und Yohoroa-Indianer 



einem übelberüchtigten Subjekt, steht, fährt am nächsten Mittag in 
mehreren großen Booten flußabwärts an uns vorüber. Die meisten 
sind banditenhaft aussehende Cearenser, die wenige Monate vorher 
wegen einer furchtbaren Hungersnot auf Staatskosten aus ihrer Heimat 
auswandern mußten und an die verschiedenen Staaten verteilt wurden, 
gerade nicht zum Vorteil der letzteren. Ein Kerl fragt Schmidt, 
wohin wir führen. „Zur Yurupary-Cachoeira!" — „Ihr seid wohl 
von dort oben?" — Er hält uns für Oolombianer. 

Wir kommen nun zu den Arapaso (Spechten), die sich selbst 
Korea nennen, was dasselbe bedeutet. Sie stellen heute eine Unter- 
abteilung der Tukano mit gleicher Sprache dar, sollen aber nach ihren 
eigenen Angaben in früheren Zeiten eine andere Sprache gehabt haben 
und weichen auch somatisch mit ihren durchschnittlich schlanken Ge- 
stalten und feineren Zügen nicht unerheblich von den Tukano ab. 
Der ganze Stamm zählt heute kaum hundert Seelen, die zwei große 
Malokas bewohnen. Der sehr geräumigen, an der Vorderwand mit 
bunten Mustern bemalten Maloka Panacu steht Abilios Schwieger- 
vater, ein Bchöner, schlanker Indianer, als Häuptling vor. Er fuhrt 
bittere Klagen gegen das weiße Gesindel. In der zweiten Maloka 
kehren die geflohenen Bewohner erst bei unserer Ankunft zurück. 
Leider trägt der Platz seinen Namen „Micuim" mit vollem Recht, 
denn er wimmelt von diesen winzigen Bestien, roten Milben, deren 
Stiche unangenehm juckende Pusteln hervorrufen. Wir begegnen hier 
einem Weißen in einer großen, von nackten Indianern geruderten 
Montaria. Es ist ein alter Bekannter von uns namens Nunez, Be- 
sitzer einer Niederlassung unterhalb Santa Izabel am Rio Negro, bei 
dem wir vor einem Jahr Kaffee getruuken haben. Er freut sich sehr, 
uns wiederzusehen. So trifft man 6ich in dieser Wildnis. — Nunez kommt 
vom Papury, wo er Arbeiter für seinen Kautschukwald geholt hat. 

Oberhalb der Arapaso bewohnen die Kuraua oder Yohoroa, eine 
andere Unterabteilung der Tukano, fünf Malokas, die teiU am Flusse 
selbst, teils an den Nebenbächen liegen. Wir sind ihnen schon am Tiqui(* 
begegnet. Der Hauptsitz dieses kleinen Stammes, der nicht viel mehr 
als hundert Individuen umfaßt, ist Yukirarapecuma auf dem rechten 
Ufer des Caiary. An die ehemalige Mission Säo Miguel erinnert nur 
noch der hohe Stamm des Kreuzes, an den die Termiten ein großes, 
kugeliges Nest gebaut haben. 

Die Nachbarn der Yohoroa sind die Pira-tapuyo (Fischindianer), 
die in ihrer eigenen Sprache, und im Tukano Uaikana heißen. Sie 
sind ein verhältnismäßig volkreicher Stamm, der mit sechs- bis acht- 



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raikana-Indianor 



239 



hundert Seelen nicht zu hoch geschätzt sein mag. An diesem Teil 
des Caiary besitzen sie mehrere Häuser, darunter die ansehnliche 
Maloka Yasitara am Ausgang der Araripira-Cachoeira. Die Haupt- 
masse des Stammes aber sitzt am Papury und an seinem großen linken 
Zufluß Maku - Igarape\ Die Uaikana sind durch ihre meist häßlich 
verkniffenen, wilden Gesichtszüge und struppigen Haare leicht von den 
anderen Stämmen zu unterscheiden, besonders von den feineren, eine 
höhere Intelligenz verratenden Typen der Tariana. Sie scheinen zu 
diesen in einer Art von freundschaftlichem Untertanenverhältnis zu 
stehen. Ihre Sprache ist ein Dialekt der Tukanogruppe. Sie kommt 
lexikalisch dem Uanana näher, weicht aber vom Tukan o in vielen 
Wörtern nicht unerheblich ab. 

Die lange Araripira-Cachoeira besteht aus einer reißenden, von 
Felsen und Felsinselchen durchsetzten Schnelle. Bei niedrigem 
Wasserstande kann sie leicht durch einen Kanal passiert werden, den 
eine größere Insel mit dem linken Flußufer bildet. Sie ist eigentlich 
nur der Ausläufer der Yauarete-Cachoeira, einer der gewaltigsten 
Schnellen des Caiary, die wir am 20. August erreichen. 

Die Yauarete-Cachoeira ist ein riesiges Felsenmeer mit zahlreichen 
Abstürzen. Mit aller Vorsicht muß das entladene Boot hinüber gehoben 
und geschoben werden. Die anwohnenden Indianer, die an diese 
Arbeit gewöhnt sind, helfen redlich mit und schaffen auch das Ge- 
päck über Land bis zum Hause des Häuptlings Matthias am Kopfe 
der langen Stromschnelle. Ihre Bezahlung erhalten sie in Perlen, 
selbst die älteste Großmutter, die irgendeinen leichten Gegenstand 
getragen hat, und der kleinste Säugling, der beim Transport schlummernd 
an der Mutter Brust ruhte. 

Diese Stromschnelle ist besonders reich an gut ausgeführten und 
wohlerhaltenen Felszeichnungen, die mannigfaltige und phantastische 
Formen zeigen. Einzelne Figuren sind an zwei Meter lang und in 
das harte Gestein tief eingeritzt. An einigen sieht man deutlich, wie 
spätere Geschlechter, die Bedeutung der angefangenen Figur mißver- 
stehend oder aus jeweiliger Laune, die Linien in ganz anderer Richtung 
weitergezogen oder nahe aneinander hergehende Linien unrichtig mit- 
einander verbunden haben, wodurch sie ein Zerrbild schufen, aus dem 
die ursprünglich gewollte Bedeutung nur sehr schwer zu erkennen 
ist. Die Glätte der Rillen zeigt, daß die Indianer die meisten Figuren 
bis in die jüngste Zeit häufig nachgeritzt haben. Auf mehreren Felsen 
finden sich zahlreiche Schleif marken von Steinwerkzeugen, teils läng- 
lich-scharfe, teils runde von verschiedener Tiefe. 



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Bei den Tariana in Yauaret.' 



Am Fuß der Yauarete-Cachoeira stürzt der Papury über Felsen 
in den Hauptstrom, nach dem Tiquie" der größte rechte Nebenfluß 
des Caiary, der sozusagen aus einer fortgesetzten Stromschnelle besteht. 
Er hat schwarzes nnd auffallend kühles Wasser. Das Gebiet des 
Papury ist von verschiedenen Stämmen stark bevölkert. An seinem 
unteren und mittleren Lauf sitzen Uaikana, Tukano und Desana, am 
Oberlauf und im Quellgebiet Karapana, Tatu neben Tuyuka und 
anderen kleinen Stämmen, sämtlich Glieder der Tukano-Gruppe. Auf 
beiden Seiten des Flusses streifen zahlreiche Maku. 

In der Umgebung der Yauarete-Cachoeira wohnen in etwa zwanzig 
Malokas und Hütten brasilianischen Stils Tariana, eine andere Ab- 
teilung dieses Aruakstammes, die den Tariana von Ipanore* seit Jahr- 
zehnten gewissermaßen feindlich gegenüberstehen. Um die Mitte des 
vorigen Jahrhunderts bildeten sie ein einziges Volk unter einem Ober- 
häuptling, der am ganzen Fluß eine große Macht besaß. Nach ihrer 
eigenen Tradition sind die Tariana vorzeiten vom Issana eingewandert. 
Auch ihr Typus kennzeichnet sie sofort als nahe Verwandte der 
dortigen reinen Aruakstämme, der Siusi, Ipeka und anderer. 

Das Tariana von Yauarete" hat viele nasale Laute und unter- 
scheidet sich dialektisch von der Schwestersprache in Ipanorl. In 
Yauarete sprechen die Männer auch unter sich nur Tukano; die 
jüngere Generation hat schon viele Tarianawörter vergessen; der beste 
Beweis, daß diese klangvolle Sprache allmählich dem Untergange 
geweiht ist. 

Zur Zeit gibt es in Yauarete zwei Häuptlinge, Joäo und Matthias, 
Todfeinde, die durch die Stromschnelle räumlich voneinander getrennt 
wohnen. Der alte, einäugige JoiXo ist, wie er mir erzählt, Häuptling der 
ehemaligen großen Mission Säo Antonio gewesen, von der nur noch die 
weite Wüstung auf beiden Ufern unterhalb der Stromschnelle zu sehen 
ist. Aus dieser Glanzzeit hat er eine Statuette des heiligen Antonius 
nebst vier Messingleuchtern gerettet. Drei große Epidemien, die kurz 
aufeinander folgten, hätten fast sämtliche Bewohner der Ortschaft 
hinweggerafft. Auch seine Frau und sein erwachsener Sohn seien 
gestorben; nur er allein sei von der ganzen Familie übrig geblieben. 
Matthias habe noch jetzt viele Leute; er sei aber ein Lump und 
wüßte seine Leute nicht zu regieren. 

Häuptling Matthias, ein älterer Mann mit typischem Gauner- 
gesicht, empfängt uns am oberen Hafen im Kostüm eines Straßengigerls, 
Tennisanzug aus weißem, schwarzgestreiftem Flanell und nagelneuem, 
rundem Strohhütchen, an dem noch die Fabrikmarke hängt. Er hat 



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Tafel VIII 




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Regenzaaber 



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diese Kostbarkeiten von einem brasilianischen Händler erstanden. 
Leider ist er ziemlich betrunken und sieht mit seinem kurzgeschorenen 
Haar wie ein verkleideter Zuchthaussträfling aus, ist wohl auch nicht 
viel besser. Er will sofort von mir eine Flinte haben. Ich verspreche 
sie ihm, wenn er mir dafür einige Yurupary - Instrumente und die 
beiden alten Masken aus Affenhaaren gebe, die, wie ich gehört habe, 
in Yauarete aufbewahrt werden. Anfangs tut er erschrocken, willigt 
dann aber anscheinend ein. Schließlich stellt es sich heraus, daß 
nicht er, sondern Joäo die Masken in Verwahrung hat. 

Matthias zeigt uns eine fürchterliche Wunde an seinem Bein 
von dem Biß einer Jararaca- Schlange, die hier häufig vorkommen 
soll. Die schon drei Jahre alte Wunde ist noch immer geschwollen 
und eiterig und hat sich über einen großen Teil des Beines verbreitet. 

Während wir uns noch unterhalten, zieht im Osten ein schweres 
Watter auf. Der Häuptling und ich blasen aus Leibeskräften dagegen 
mit ausklingendem „Te-te-te-te! M ; wir suchen die Wolken mit der Hand 
zu vertreiben und schreien abwechselnd auf Tariana: „Piena iya! 

piena piene* — ! u und auf Tukano: „Ochko to! ochko to yö 

tiayö ! M („Regen gehe weg! ziehe fort ! M ), aber es hilft nichts; 

wir werden beide tüchtig naß. 

Beim Regenzauber hält man die rechte Hand trichterförmig vor 
den Mund und bläst nach der Gegend hin, aus welcher der Regen 
droht. Während des Blasens wird die Hand allmählich geöffnet und 
die Wetterwolke mit einer Bewegung des ausgestreckten Armes verjagt. 

Im Laufe der drei Tage, die wir in Yauarete* verbringen, kommt 
wie gewöhnlich viel Besuch, um uns anzustaunen, auch vom Papury: 
Tukano, große, muskulöse Kerle mit häßlichen, breiten Gesichtern, 
nicht minder häßliche Uaikana, fast alle im Gesicht rot bemalt, wie 
es die Etikette verlangt. Die Weiber bringen vier hohe, zylindrische, 
aus schmalen Palmlatten verfertigte Behälter und einen Bastsack voll 
„Maikäfer", die jetzt in solcher Masse auftreten, daß das WasBer in 
den stillen Buchten oft ganz mit ihnen bedeckt ist, zur Freude der 
Aracu - Fische. Diese Käfer Bind sehr fett und werden von den 
Indianern, wie die geflügelten Blattschneide- Ameisen , geröstet und 
gegessen, schmecken auch nicht übel, wie ich mich selbst überzeuge. 
Der Bastsack ist aus einer mit bunten Mustern bemalten Tanzmaske 
hergestellt, ein BeweiB, daß auch die Papury -Indianer neben den 
heiligen Affenhaarmasken, die von den Weibern nicht gesehen werden 
dürfen, ebensolche mehr profane Bastmasken haben, wie die Kaua 
des Aiary und die Kobeua des oberen Caiary-Uaupes. 

Koch. Granberg, Zwei Jahre bei den Indianern 16 



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Cocft-Essen 



In Yauarete wird Coca gegessen. Diese Gewohnheit scheint sich 
vom Tiquie* über deo Papury hier eingebürgert zu haben, da ich sie 
am ganzen übrigen Hauptfluß nicht beobachtete. 

Der Haushalt dieser ehemaligen Missionszöglinge ist noch fast rein 
indianisch. Außer Äxten, Messern und Hacken für die Feldarbeit 
gibt es in den Häusern nur wenige europäische Gegenstände, ein paar 
Koffer, einige Kleidungsstücke, hier und da eine alte, verrostete Flinte. 

Am Tage nach unserer Ankunft halten zwei Weiber hinter dem 
Hause des Häuptlings eine sehr kurze Klagezeremonie ab für eine 
Anverwandte, die ein Jahr vorher gestorben ist. 

Man bringt uns immer reichlich Lebensmittel, weit mehr als wir 
verzehren können, besonders kleine Fische, die Hauptnahrung der 
Bewohner von Yauarete, die sie in Masse auf eigenartigen Fallen in 
der Stromschnelle fangen. 




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XVII. Kapitel 

Fischfang und Fischereigerät 

Die verhältnismäßig starke Indianerbevölkerung Nordwestbrasiliens 
und der angrenzenden Gebiete erwirbt ihren Lebensunterhalt in erster 
Linie durch den Fischfang. 

Der obere Rio Negro und seine großen Nebenflüsse, besonders 
der Caiary-Uaupes, ebenso wie der benachbarte Yapura und seine 
Nebenflüsse sind außerordentlich reich an Fischen, die das ganze Jahr 
hindurch in beständiger Wanderung begriffen sind und manche an- 
sässigen Stämme zu einem zeitweiligen Nomadenleben zwingen. Zur 
Zeit des niedrigen Wasserstandes, in den Monaten Dezember bis 
März, wenn die kleineren Zuflüsse fast austrocknen, ziehen sich die 
Fische in den Hauptfluß zurück und halten sich an tieferen Steilen 
unterhalb der Stromschnellen und Wasserfälle und in den zahlreichen 
Lagunen auf, die mit dem Fluß in Verbindung stehen. Dann ver- 
lassen die Indianer ihre für die trockene Jahreszeit weniger günstig 
gelegenen Dörfer und begeben sich mit ihrem ganzen Haushalt, mit 
Kindern und Hunden an diese fischreichen Plätze, um auf verschiedene 
Weise der willkommenen Beute nachzustellen. Rasch sind aus Stangen 
und Palmwedeln leichte Hütten errichtet, und reges Leben herrscht 
auf den weiten Sandbänken, die der zurückweichende Fluß entblößt 
hat. Die Fische werden zum Teil sofort von den Weibern zur Mahl- 
zeit zubereitet ; der größere Teil aber wird auf großen Bratrosten aus 
frischen Holzstäben über langsamem Feuer konserviert, um an Regen- 



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Jährliche Fischwanderungen 



tagen, die in diesen Gegenden selbst in der Trockenzeit nicht aua- 
bleiben, als Nahrung zu dienen. Ist der Platz ausgebeutet, so zieht 
die ganze Bande weiter. Durchschnittlich bleiben die Indianer drei 
Monate auf der Wanderschaft. Viele große Maniokfladen werden zu 
diesem Zweck gebacken, getrocknet und, ähnlich wie Maniokgrütze, 
in tiefen, mit grünen Blättern ausgelegten Körben dicht aufeinander 
verpackt, als Mundvorrat für die Sommerfrische. 

An zwei Flüssen habe ich solche fliegenden Sommerlager ge- 
troffen, im Dezember 1903 mehrere Lager der Katapolitani am mittleren 
Issana und im Februar 1905 einige Lager der Tukano in dem flachen 
Seengebiet des unteren Tiquiö. 

Der an Fällen reiche, meist zwischen hohen Ufern dahinströmende 
Caiary-Uaupes gewahrt seinen Anwohnern zu jeder Jahreszeit ge- 
nügenden Lebensunterhalt, so daß sie es nicht nötig haben, ihre Malokas 
zu verlassen. 

Mit dem stärkeren Einsetzen der Regenzeit folgen die Fische dem 
steigenden Wasser und kehren je nach ihrer Gewohnheit teils einzeln, 
teils in großen Schwärmen in die höheren Flußgebiete zurück. Nicht 
selten fährt man dann durch so dichte Fischzüge, daß man deutlich 
das scharrende Geräusch vernimmt, mit dem die Fische die Boots- 
wände streifen. Das Hochwasser dauert im oberen Bio Negro und 
seinen Nebenflüssen in der Regel von März bis Juli. Die kleineren 
Zuflüsse, die meistens eine starke Indianerbevölkerung haben, führen 
jetzt genügend Wasser, um auch großen Fischen den Aufenthalt in 
ihnen zu ermöglichen. Der Fischfang liefert reiche Ergebnisse. Bald 
aber steigt der Fluß höher und höher; die Gewässer erreichen die 
Kronen der hohen Uferbäume; sie füllen von neuem die Seen, die in 
der Trockenzeit teilweise zu stinkenden Morästen herabgesunken sind ; 
sie überfluten die niedrigen Ufer und verwandeln stundenweit das 
Land in einen riesigen Waldsee, in dem sich die Fische verlieren, 
sicher vor den Verfolgungen des Menschen. So gewährt die Natur 
in dieser Periode, die in den Indianerdörfern häufig Schmalhans 
Küchenmeister sein läßt, den Fischen die nötige Schonzeit In ihren 
unzugänglichen Schlupfwinkeln setzen sie in aller Ruhe ihren Laich ab. 
Die junge Brut findet überall genügende Nahrung; sie kann sich in 
Muße entwickeln, so daß sie, wenn mit dem Eintritt der Trockenzeit 
die Gewässer in ihr altes Bett zurückkehren, den älteren Genossen 
folgen kann. 

Der Indianer Nordwestbrasiliens fangt die Fische auf verschiedene 
Weise. Gewöhnlich schießt er sie mit Bogen und Pfeil. Am frühen 



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Fischfang mit Bogen and Pfeil 



245 



Morgen, häutig schon vor Tagesanbruch, fahrt jeder Familienvater im 
leichten Kanu, von seinem kleinen Sohn oder einem jüngeren Freunde 
begleitet, auf den Fischfang, um für die tägliche Mahlzeit zu sorgen. 
Gegen Mittag kehren sie zurück. Sind sie erfolgreich gewesen, so 
hört man sie schon von ferne lachen und plaudern. Stolzen Schrittes 
kommt der glückliche Fischer über den großen, freien Dorfplatz. Auf 
der rechten Schulter hält er wagerecht Bogen und Pfeile. Von dem 
Ende des Bogens hängt an einer Liane, die durch Maul und Kiemen 
geht, ein dickes Bündel Fische herab. Die Linke führt bisweilen eine 
kleine Flöte aus Hirschknochen zum Munde, der er schrille, eintönige 
Weisen entlockt. Beifällige Worte der Frauen und der Alten, die 
zu Hause geblieben sind, empfangen ihn, und die gefangenen Fische 
werden eifrig besprochen. Ist er aber erfolglos gewesen, dann schleicht 
er sich womöglich auf Umwegen in das Haus, um dem gutmütigen 
Spott der anderen zu entgehen. 

Ein vom Kanu aus Fische schießender Indianer gewährt einen 
überaus malerischen Anblick. Im Heck des Bootes sitzt der Gefährte, 
der das kleine Fahrzeug mit kaum bemerkbaren Schlägen seines breiten 
Paddelruders weitertreibt und zugleich steuert. Vorn steht der Schütze, 
Bogen und Pfeil schußgerecht in den Händen haltend (Abb. S. 30). 
Jede Muskel seines schönen nackten Körpers ist in Erwartung ge- 
strafft, und selten enteilt ein Pfeil der Sehne, ohne sein Ziel zu er- 
reichen. Oft habe ich die außerordentliche Sicherheit bewundert, mit 
der die Indianer die Fische, die ein europäisches Auge in dem dunkeln 
Wasser des Flusses kaum erkennen kann, auf diese Weise erbeuteten. 
Der Pfeil wird aus kurzer Entfernung unmittelbar auf die Beute ab- 
geschossen. Um die Strahlenbrechung zu berechnen, taucht ihn der 
Schütze von Zeit zu Zeit in das Wasser. 

Diese Art des Fischfangs ist die edelste und auch die beliebteste. 
Schon die kleinen Jungen üben sich darin mit ihren Miniaturwaffen. 
Häufig ist es für den Reisenden, der Eile hat, eine Quelle des Argers, 
wenn die Ruderer sich während der Fahrt von ihrer Jagdleidenschaft 
hinreißen lassen, auch wenn sie nicht Bogen und Pfeil zur Hand 
haben. Besonders an Sandbänken und seichten Stellen wird in dem 
klaren Wasser jeder Fisch beobachtet und besprochen. Den rechten 
Arm ausstreckend, schnippen die Ruderer mit Daumen und Zeige- 
finger nach dem Fisch hin, indem sie so die Bewegung des Bogen- 
schießens nachahmen. Das trägt natürlich nicht zur Schnelligkeit der 
Fahrt bei. 

Der Indianer benutzt beim Fischeschießen gern den Köder. Der 



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H&rpanenpfeil 



Maku bindet zu diesem Zweck, wie wir gesehen haben, ein frisches 
Termitennest so an den überhängenden Ast eines Baumes, daß es 
den Wasserspiegel berührt. Die braunen „Maikäfer", die beim Be- 
ginn der Trockenzeit zahlreich auftreten, werden als freischwimmender 
Köder verwendet. Der Schütze wirft einen Käfer an der Stelle, wo 
sich ein Schwärm Aracufische befindet, auf das Wasser und schießt 
nach dem zuschnappenden Fisch. 

Auch nächtlicherweile wird den Fischen mit Bogen und Pfeil 
nachgestellt, wie ich bei den Katapolitani beobachtet habe. Der Pfeil, 
der dabei zur Verwendung kommt, ist im Gegensatz zu den gewöhn- 
lichen Fischpfeilen auffallend kurz. Bei dieser nächtlichen Jagd hält 
der Indianer in der rechten Hand die Fackel, in der linken den Bogen 
und zieht Sehne und Pfeil mit dem Munde an; daher die Kürze des 
Pfeiles, um sicherer abschießen zu können. 

Wie alle Pfeile am Issana und Caiary und in den nach Norden 
und Süden hin benachbarten Gebieten, so haben auch die Fischpfeile 
keine Fiederung, sondern an dieser Stelle nur eine einfache Um- 
wickelung mit feiner, gepichter Schnur aus Pflanzenfasern. Sie be- 
stehen aus einem Rohrschaft mit eingefügtem Holzstab, der etwa ein 
Viertel bis ein Sechstel des ganzen Pfeiles mißt. In diesem Stab ist 
die meistens schon eiserne, mit einem Widerhaken versehene Spitze 
befestigt. Bei den Stämmen an den oberen Flußläufen, die fernab 
Ton allem Verkehr mit den Weißen wohnen, finden sich noch Fisch- 
pfeile mit Spitzen aus Affenknochen in derselben Ausführung, wie sie 
die Eisenspitzen zeigen. Diese Eisenspitzen werden massenhaft im 
Ausland hergestellt und von den Händlern und Kautschuksammlern 
als Bezahlung für Ruderdienste und andere Arbeiten eingeführt. 

Bei dem kurzen Pfeil, der zur nächtlichen Fischjagd verwendet 
wird, ist am Handende in das weiche Mark des Rohres ein Holzstift 
getrieben, der etwas hervorragt und eine Fadenumwickelung trägt, 
die ihn zugleich mit dem Rohre verbindet. Dadurch wird verhindert, 
daß die Zähne der Schützen, die den Pfeil fest fassen müssen, um die 
Schnur anzuziehen, das Rohr zersplittern. Eine Kerbe am Handende 
fehlt bei sämtlichen Pfeilen. 

Auch ein Harpunenpfeil ist im Gebrauch. Er besteht aus zwei 
beweglichen Teilen und hat eine Gesamtlänge von etwa 150 cm. In 
einen 125 cm langen, starken Rohrschaft ist ein Holzstab von 10 cm 
Länge fest eingefügt und mit gepichtem Faden aus zähen Pflanzenfasern 
umwickelt. Dieser Holzstab trägt einen 2 cm hohen hölzernen Auf- 
satz in der Form eines umgekehrten abgestumpften Kegels, dessen 



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Schildkrötenjagd 



247 



Grandfläche mit einem nicht sehr tiefen Loch versehen ist. Es dient 
zur Aufnahme eines zweiten Holzstabes, der mit dem Rohre durch 
eine lange, zweisträhnig aus Pflanzenfasern gedrehte Schnur verbunden 
ist. Die Verbindungsschnur ist um den Rohrschaft geschlungen. In 
den beweglichen Holzstab ist die eiserne Spitze eingefugt, die mehrere 
Widerhaken hat. Fiederung und Kerbe fehlen; um jedoch dem mit 
Faserschnur umwickelten Handende größere Festigkeit zu geben, ist 
ein Holzstift bis zum Ende des Rohres eingetrieben, der den sonst 
von dem weichen Mark eingenommenen Raum vollständig ausfüllt. 
Trifft nun ein solcher Harpunenpfeil die Beute und haftet in ihr, so 
löst sich der nur lose eingefügte obere Holzstab von dem übrigen Teil 
des Pfeiles. Der Rohrschaft dient als Schwimmer, um dem Fischer 
die Richtung anzugeben, die das fliehende Tier einschlägt, das an der 
abrollenden Schnur leicht eingeholt werden kann. Diese Harpunen- 
pfeile werden zur Jagd auf große Fische, besonders Welsarten, aber 
auch auf Wasserschildkröten verwendet. 

Die Schildkrötenjagd erfordert große Gewandtheit und Treff- 
sicherheit, da der vorgestreckte Hals und Kopf, die allein von dem 
schwimmenden Tier über Wasser sichtbar werden, ein gar kleines und 
unsicheres Ziel bieten. Sie wird an ruhigen und sonnenklaren Tagen in 
Btillen Buchten und kleinen Lagunen ausgeübt, wo die Tiere sich im Wasser 
tummeln und sich an dem Uferschilf und mannigfachen Kräutern gütlich 
tun. Wie beim Fischeschießen steht der Schütze aufrecht im Vorderteil 
des Bootes, das von seinem Gefährten vorsichtig gelenkt wird. Nicht die 
geringste Bewegung des Wasserspiegels entgeht seinem scharfen Auge. 
Schußbereit liegt der Pfeil auf der Sehne; denn sobald das Tier den 
Kopf aus dem Wasser streckt, um Luft zu schöpfen und nach seinem 
Verfolger auszuschauen, muß der Schütze den Augenblick benutzen 
und den Pfeil entsenden, der sich in eleganter Kurve auf das Ziel 
herabsenkt. 

Am Issana und Caiary fehlen die Harpunenpfeile, die besonders 
am Yapura im Gebrauch sind. Zum Fang der größeren Fische ver- 
wenden die dortigen Indianer einen starken Speer in Form eines 
Dreizacks, der dem Attribut Poseidons als Modell hätte dienen können. 
Er ist etwa 180 cm lang, aus dem harten Holz der Paschiubapalme 
gearbeitet und besteht aus drei Teilen. Der im Querschnitt trapezoidale 
Schaft läuft nach unten allmählich spitz zu, damit man den Speer in 
den Erdboden stecken kann. Oben endigt er in einer etwa 45 cm 
langen, an zwei Seiten abgesetzten Spitze, die zugleich die mittlere 
Spitze des Dreizacks bildet. An dieses Mittelstück sind mit Faser- 



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Fischspeeren und Angeln 



schnüren zwei ebenso lange Spitzen ans Paschiubaholz festgebunden, 
die in einer Weise schräg zugeschnitten sind, daß sie gabelförmig 
abstehen. Die Absätze des Schaftes, auf denen die beiden Seiten- 
spitzen sitzen, sollen ihnen einen festeren Halt geben. Am oberen 
Drittel wird der Dreizack durch eine Schnur aus Pflanzenfasern zu- 
sammengehalten. 

Das Fischspeeren wird häufig bei Nacht ausgeführt. Der Fischer 
hält in der Linken eine Fackel aus kienigem Holz, die ihm leuchtet 
und zugleich den Fisch anlockt und blendet. Mit kräftigem Stoß 
spießt er die Beute im seichten Wasser in den Sand, legt dann die 
Fackel beiseite, faßt vorsichtig mit der Linken unter den Fisch und 
hebt ihn an dem Speer aus dem Wasser, worauf er ihn mit einem Holz- 
knüppel Tollends totschlägt. 

In Ermangelung eines solchen Dreizacks benutzen die Indianer 
auch mit großer Gewandtheit eine zugespitzte Stange. Ich habe es 
sogar beobachtet, wie sich einer meiner Ruderer einen Fischspeer aus 
einem alten Kistennagel zurechtmachte, den er zuschärfte und mit 
gepichter Faserschnur an eine Stange band. Mit diesem primitiven 
Instrument erlegte er mitten in dem Wogenschwall einer flachen Strom- 
schnelle eine ganze Anzahl großer schwarzer Pacu, schmackhafter 
Raubfische mit dicker, lederartiger Haut, die sich vornehmlich in dem 
stark bewegten Wasser der Stromschnellen und Fälle aufhalten. 

Eine weitere Art des Einzelfischfangs ist das Angeln, das bei 
den von mir besuchten Stämmen eine große Rolle spielt. Man darf 
wohl jetzt als sicher annehmen, daß die Angel im Gebiet des Amazonen- 
stroms erst durch die Europäer eingeführt worden ist, aber der Indianer 
hat im Laufe der Zeit die Angelfischerei selbständig ausgebildet und 
zu einer erstaunlichen Vollendung gebracht. Er kennt genau die ver- 
schiedenen Köder, die er bei den verschiedenen Fischen anwenden 
muß. Den kleinen, silberglänzenden Pacu, der sich gewöhnlich im 
Uferschilf oder in dem unter Wasser stehenden Gebüsch aufhält, fangt 
man am besten mit kleinen, feinen Angeln, an die man den Leib einer 
Heuschrecke gespießt hat. Die Angelrute muß sehr dünn und schwank 
sein. Häufig schnellt der Indianer mit ihr ein paarmal durch das 
Wasser, um die Fische anzulocken. 

Leckerbissen für den sehr schmackhaften, fetten, aber auch sehr 
grätenreichen Aracu sind Früchte eines gewissen Uferbaumes, kleine 
Würmer, Maden und mancherlei Insekten. 

Der Tucunare, der im Ausseben und Geschmack am meisten 
unserer Forelle ähnelt, wird auch wie diese mit künstlichem Köder 



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Piranya-Fische 



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gefangen. Am oberen Teil der Angel sind rote und gelbe Federchen 
des Pfefferfressers und weiße Pflanzenfasern befestigt. Der Fischer 
läßt die Angel hüpfend über das Wasser gleiten. Der Tucunare hält 
das bunte Ding für einen jener kleinen Fische, die auf der Flucht 
vor ihrem gefräßigen Feind bisweilen mehrere Meter weit über das 
Wasser springen, schnappt nach der vermeintlichen Beute und ist 
gefangen (Abb. S. 243). 

Eine andere Art des Tucunarefanges , die uns besonders große 
Exemplare lieferte, übten wir in den Seen des mittleren Issana. In 
einem wohlbemannten, leichten Kanu fuhren wir mit aller Kraft los 
und schleiften an langer, starker Schnur eine nach der oben be. 
schriebenen WeiBe hergerichtete Angel hinter uns her, die infolge der 
schnellen Fahrt auf dem Wasser tanzte. Besonders spannend war 
der Augenblick, wenn ein großer Fisch mit plötzlichem Ruck anbiß. 
Wir ließen die Schnur vollends ablaufen, um das Tier zu ermüden, 
und zogen es dann langsam und vorsichtig an das Boot, wo wir es 
mit einem Stück Holz töteten. 

Der gefräßigste Raubfisch, der selbst Menschen und Tieren ge- 
fährlich werden kann, ist die Piranya. Die messerscharfen Zähne 
dieses etwa 30 cm langen Fisches benutzt der Indianer in ursprüng- 
lichen Verhältnissen als Werkzeug zum Schneiden. Daher wird auch 
die Schere in der Lingoa geral „piranya" genannt. Die Piranyas 
treten stets in großen Scharen zu Hunderten, ja zu Tausenden auf 
besonders in stillen Buchten, an der Mündung kleiner Zuflüsse, wo 
sie auf andere Fische lauern. Wehe dem Menschen, der in den Be- 
reich ihrer Zähne kommt! Die kleinste offene Wunde — und an 
solchen fehlt es selten bei diesem wilden Wanderleben — lockt die ge- 
fräßigen Unholde in Masse herbei. Jeder reißt ein Stückchen Fleisch von 
dem Körper seines Opfers, und im Nu ist der Bedauernswerte skelettiert. 

Gewöhnlich erlegt der Indianer die Piranya mit Bogen und Pfeil, 
oder er fängt sie mit stärkerer Angel an langer Schnur, die er mit 
großer Gewandtheit weit in das Wasser zu schleudern versteht, während 
er das andere Ende fest um die Hand geschlungen hält. In seiner 
Gefräßigkeit verschont dieser Fisch selbst nicht seinesgleichen. Daher 
zerschneidet man gewöhnlich die erste Piranya, die man fängt, und 
nimmt die Stücke als Köder für die übrigen. Meistens umwickelten 
wir den oberen Teil der Angel und ein Stück der Schnur dicht mit 
Messingdraht, und doch kam es öfters vor, daß ein Fisch, wenn wir 
ihn aus dem Wasser zogen, mit seinen furchtbaren Zähnen Schnur und 
Umwickelung knirschend zerbiß. 



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250 



Fischnetze 



Mannigfaltig sind die Fischnetze, je nach ihrem Gebrauch. 
Sie sind stets ans den widerstandsfähigen Fasern der Tucumpalme 
gearbeitet. 

Mit großen, verstellbaren Handnetzen, ähnlich unseren H am e n , 
werden größere Fische gefangen, zum Beispiel die Aracuüsche, wenn 
sie bei steigendem Wasser in den Stromschnellen in dichten Zügen 
flußaufwärts gehen. Ein solches Netz bat die Form eines nach unten 
spitz zulaufenden, nach oben sich stark erweiternden Sackes und be- 
steht aus geknoteten Maschen, die in Filetarbeit mittels einer hölzernen 
Nadel über einem wohl geglätteten, platten Holzstab hergestellt werden, 
dessen Breite die Größe der Maschen bedingt Mit einer dickeren 
Schnur aus Tucumfasern ist das Netz an zwei etwa 2,50 m langen, 
starken Gerten befestigt. Dieselbe Schnur dient dazu, diese beiden 
Gerten gegen das untere Ende hin zusammenzuhalten. An der einen 
Gerte ist ein Querholz festgebunden, das am freien Ende gabelförmig 
ausläuft. Will man das Netz gebrauchen, so spreizt man die beiden 
Bügel mittels dieses Gabelholzes auseinander. Dadurch öffnet sich 
der Netzsack, und die Bügel kreuzen sich an der Stelle, wo sie mit 
der Schnur zusammengebunden sind. Nach dem Gebrauche klappt 
man die Bügel zusammen, indem man die Gabel zurückschlägt, wickelt 
das Netz um die dicht nebeneinander liegenden Gerten, und das ganze 
Gerät nimmt nun im Kanu nicht mehr Platz ein als eine Ruderstange. 

Außer diesen großen Handnetzen haben die Indianer auch kleine 
Fischnetze, entweder mehr oder weniger flache, die in einen runden 
Rahmen aus Schlingpflanze gespannt werden, oder Käscher, Beutel- 
netze, die an einer rund-oval zusammengebogenen Schlingpflanze be- 
festigt sind. Das eine der gekreuzten Enden des Bügels steht oft 
weit über und dient als Handhabe. Im Gegensatz zu den großen, 
geknüpften Netzen ist bei diesen kleinen Netzen die einfache Schling- 
technik verwendet. 

Die runden Netze werden in Mondscheinnächten an dem Rande 
einer Sandbank in dem seichten Wasser platt auf den Boden gedrückt. 
Mit einem Stöckchen, das er in der anderen Hand hält, plätschert der 
Indianer leicht im Wasser. Die kleinen Fische werden dadurch an- 
gelockt und, wenn sie Uber dem Netze stehen, mit einem Schwung an 
das Land geschleudert. Bisweilen lockt man die Fischchen auch durch 
Köder an, den man in der leicht vertieften Mitte des Netzes anbringt. 

Ahnlich soll der Jaguar fischen. Wie mir öfters von Indianern 
und auch von glaubwürdigen weißen Ansiedlern versichert wurde, sitzt 
er im Mondschein am flachen Strand, plätschert mit seinem langen 



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Reusen 25 1 

Schweif im Wasser und wirft die herankommenden Fische mit einem 
Schlag seiner breiten Tatze auf das Trockene. Freilich hat die Ge- 
schichte eine verzweifelte Ähnlichkeit mit dem Schabernack, den 
Reinecke Fuchs Frau Gieremund, der Wölfin, spielte. Unmöglich aber 
ist sie nicht. 

Mit den Käschern holen die Indianer die Fische aus den Kakuri, 
den großen Fischfallen, von denen später die Rede sein wird. 

Von Reusen, die in der Lingoa geral Matapi genannt werden, 
sind zwei Arten im Gebrauch. Sie sind aus gespaltenen Rohrstäbchen 
oder Palmblattrippen hergestellt, die mit dünnen Lianen durchflochten 
sind und dadurch zusammengehalten werden. Man befestigt diese 
Fischkörbe im strömenden Wasser an Orten, die von den großen Fisch- 
zügen berührt werden, am Ufer des Hauptstromes selbst oder in den 
schmalen Wasseradern, die ihm zufließen. 

Die eine Art dieser Reusen dient zum Fang von kleinen Fischen, 
besonders in den Nebenbächen, und ist infolgedessen nur leicht gebaut. 
Durch eine weite Mündung, die sich konisch stark verengt, gelangen 
die Fische in ein langes, schmales, schlauchförmiges Geflecht, das sich 
nach der Mitte zu allmählich wieder ein wenig erweitert, am Ende 
aber eng zusammenschließt. Bei dem Versuch, sich durch diesen 
Schlauch zu drängen, geraten die Fische immer fester hinein, so daß 
sie sich, auch durch ihre Flossen und Schuppen an der freien Be- 
wegung gehindert, schließlich nicht mehr rühren, geschweige denn sich 
umwenden und durch die Mündung wieder herausschwimmen können. 

Die anderen Reusen sind von weitaus festerer Konstruktion und 
über starken Ringen aus Schlingpflanzen aufgebaut. Je nach ihrer 
Größe sind sie auch für größere Fische geeignet. Der im vorderen 
Teil zylindrische Korb läuft nach hinten konisch aus. In der vorderen 
Öffnung ist aus Stäbchen und Ringen, ähnlich wie bei unseren Aal- 
reusen, ein nach innen trichterförmiger Eingang angebracht, durch 
den die Fische wohl eindringen können, selten aber wieder den Aus- 
weg finden. Sind Fische in der Reuse, so nimmt man sie aus dem 
Wasser, löst die Liane, die das Ende des Korbes zusammenhält, biegt 
die Stäbchen auseinander und schüttet die Fische durch die so ent- 
standene Öffnung in das Boot. 

Zum Fang von Krabben, die in verwachsenen Bächen häufig 
vorkommen, gebrauchen die Indianer ein aus Rohrstreifen und Tucum- 
faserschnüren geflochtenes Körbchen, das nach unten enger wird. Den 
Boden bildet ein Netzgeflecht, damit das Wasser rascher abläuft. 
Das Körbchen wird, ähnlich wie ein Käscher, an einem aus einem 



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252 



Fischfalle Kakuri 



Stück Schlingpflanze zusammengebogenen Bügel befestigt, dessen Enden 
lang überstehen und den Handgriff bilden. Bisweilen fängt man auch 
Krabben mit den kleinen, runden, in der Mitte leicht vertieften 
Fischnetzen. 

Außer dem Einzelfischfang, dem die bisher beschriebenen Geräte 
dienen, die sich jeder Mann zu seinem eigenen Gebrauch selbst ver- 
fertigt, gibt es auch Methoden des Fischfangs, die in Unternehmungen 
einer ganzen Dorfgemeinschaft ihre Betätigung finden und massenhafte 
Beute liefern. 

Jede Maloka am Issana und Caiary hat eine oder mehrere große 
Fisch fallen, die in der Lingoa geral Kakuri genannt werden und 
in verschiedenartiger Ausführung über einen großen Teil Brasiliens 
verbreitet sind. Ein Kakuri besteht im wesentlichen aus mehreren 
aus Paschinbalatten mit Lianen geflochtenen Zäunen, die, im Grundriß 
dreieckig zusammengefügt und durch Pfosten und Stangen festgehalten 
und gestutzt, an starkströmenden Stellen am Flußufer oder in den 
Nebenbächen aufrecht im Wasser stehen. Die Vorderwand ist in der 
Mitte durch einen Spalt geteilt und mit einer Einkehle versehen, die, 
wie bei den Reusen, den Fischen einen schmalen Zugang in die Fang- 
kammer, aber keinen Ausweg gestattet. Das Kakuri ist stets fluß- 
abwärts gerichtet, um die großen Fischztige, wenn sie mit steigendem 
Wasser flußaufwärts gehen, abzufangen. Bei vielen dieser Fischfallen, 
besonders den größeren, ist die Vorderwand nach beiden Seiten hin 
durch schräg nach vorn gestellte Zäune verlängert, durch welche die 
Fische in das Kakuri getrieben werden sollen. Die Fische gehen an 
den Zäunen entlang aufwärts, bis sie an den Schlitz kommen, und 
durch diesen in die Falle. Bisweilen sind die Kakurizäune so hoch, 
daß sie auch bei Hochwasser über den Wasserspiegel ragen. Der 
vordere Teil der Fangkammer ist zu beiden Seiten der Einkehle mit 
Paschiubalatten bedeckt, um dem Indianer, wenn er nachsehen will, ob 
Fische in der Falle sind, einen festen Standort zu gewähren (Abb. S. 257). 
Bevor er in die Fangkammer hinabsteigt, untersucht er mit einem Stab, 
ob sich ein Zitteraal oder ein Stachelrochen gefangen hat. Er benutzt 
dazu frisches, grünes Holz, das die elektrischen Schläge leitet. 

Während der Zitteraal gewöhnlich nur beim Tauchen gefährlich 
wird und durch plötzliche elektrische Entladungen leicht die Bewußt- 
losigkeit und damit den Tod des Menschen herbeiführen kann, gehört 
der Stachelrochen zu den gefürch totsten Bewohnern der dortigen Ge- 
wässer. Die Wunde, die sein gezackter, mit mächtigem Widerhaken 
bewehrter Schwanz schlägt, wenn man den Fisch nur oberflächlich 



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Fischfalle Girao 



253 



berührt, ist fürchterlich and erfordert Monate zur Heilung. Mehrmals 
habe ich solche Wunden gesehen, die bisweilen in Blutvergiftung über- 
gehen und den Tod des Betroffenen verursachen. Die Stachelrochen 
liegen vornehmlich im seichten Wasser an den Sandbänken in Ver- 
tiefungen , die sie durch Drehen ihres runden Körpers hervorrufen. 
Glücklicherweise sind diese Fische sehr scheu, so daß sie bei einiger 
Bewegung im Wasser fliehen. 

Es kommt auch eiue Falle für kleine Fische vor, gewisser- 
maßen die Miniaturausgabe eines Kakuri. Sie besteht aus einem nur 
wenig über 1 m hohen Zylinder aus Rohrstäbchen, der sich auf einem 
Boden aus demselben Material erhebt und an einer Stelle der Lange 
nach einwärts gebogen ist. Der untere Teil dieses Einschnitts wird 
durch zwei Querstäbchen auseinandergehalten, um den Fischchen 
einen schmalen Zugang zu gewähren. Die Falle wird am Ufer in 
starker Strömung oder in der Mündung eines Nebenbaches mit der 
Schlitzöffnung flußabwärts in das Wasser gestellt und ähnlich wie ein 
großes Kakuri befestigt. Um die Fische anzulocken, bringt man im 
Innern der Falle ein aufgeschnittenes Termitennest an. Sind genug 
Fische darin, so hebt man den leichten Behälter an einer aus Liane 
geflochtenen Handhabe aus dem Fluß. Das Wasser läuft durch die 
schmalen Zwischenräume zwischen den Latten der Seitenwand und 
des Bodens rasch ab. Die Fische bleiben zurück und werden durch 
die obere Öffnung des Zylinders in das Kanu geschüttet. 

Noch reichere Beute als die großen und kleinen Kakuri liefern 
die sogenannten Giraos. Mehrere dieser ebenso einfachen wie zweck- 
mäßigen Fallen linden sich in den Stromschnellen des mittleren Caiary, 
bei Yauarete* und Caruru. 

Die Giraos von Yauarete* dienen sämtlich dem Fang kleiner Fische. 
Unterhalb eines Absturzes zwischen zwei vorspringenden Felsen ist 
ein festes Gerüst aus sich kreuzenden Stangen angebracht, auf dem 
eine Rohrmatte befestigt ist. Sie ruht am Fuße des Absturzes un- 
mittelbar auf dem Wasserspiegel, so daß das fallende Wasser über 
sie hinsprudelt. Die Fischchen ziehen mit steigendem Wasser ihrer 
Gewohnheit gemäß in dichten Schwärmen flußaufwärts und suchen 
den Absturz zu passieren, indem sie den Weg zwischen den aus dem 
Wasser ragenden Felsen zu beiden Seiten der Matte benutzen. Durch 
den heftigen Anprall der Fluten werden sie zurück und auf die Matte 
geschleudert, wo sie zappelnd liegen bleiben, da die Matte am unteren 
Ende und an den beiden Seiten hochgebogen ist, damit das Wasser sofort 
abläuft, und die Fische nicht abspringen können. Außerdem ist die 



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254 



Schmoren der kleinen Fische 



Matte etwas nach einer Seite geneigt, so daß alle Fische dorthin ge- 
spült werden, sich dort aufschichten and leicht aufgesammelt werden 
können. Bisweilen hocken vier bis fünf Jünglinge und Mädchen zu 
gleicher Zeit auf den horizontalen Querstangen des Gerüstes, das die 
Matte trägt, oder auf dieser selbst und können doch kaum den Reich- 
tum so rasch aufraffen', wie ihn die gütige Natur ihnen mit Tollen 
Händen gibt. Sie bergen die Beute in zierlich geflochtenen, kugeligen, 
meist sauber mit grünen Blättern ausgelegten Körbchen. In zwei 
Stunden holen sich vier Familien ihr reichliches Abendbrot. 

Diese Fischzüge dauern das ganze Jahr hindurch. An mehreren 
Stellen der ausgedehnten Stromschnelle finden sich solche Gerüste, 
die für den ungleichen Wasserstand des Flusses in den verschiedenen 
Jahreszeiten berechnet sind, je nachdem die Fische flußaufwärts oder 
flußabwärts ziehen. 

Mit viel spanischem Pfeffer gekocht, munden diese zarten und 
doch kräftigen Fischchen, die im Aussehen Sardinen ähneln, ganz 
vortrefflich, obgleich sie weder ausgenommen, noch geschuppt werden. 
Auch brät man sie entweder am Spieß, das heißt reihenweise auf ein 
Stöckchen gespießt, das man schräg zum Feuer geneigt in den Erd- 
boden steckt, oder packt sie dicht, wie Sardinen in der Büchse, zwischen 
grüne Blätter und macht daraus ein Bündel, das man mit Liane zu- 
sammenschnürt und eine Zeitlang in das Feuer legt, bis die äußeren 
Blätter verkohlt sind. Offnet man dann das Bündel, so entströmt 
ihm ein lieblicher Duft. Die Fischchen sind gebraten, ohne dadurch 
an Saft und Kraft verloren zu haben. 

Die Fallen für größere Fische, die ich bei den Uanana von Caruru 
sah, sind ebenso gebaut, aber naturgemäß viel größer und fester mit 
hoch überstehendem Geländer. Während meines Aufenthaltes an diesem 
herrlichen Platz untersuchten wir die Fallen mehrmals am Tage, und 
selten wurde unsere Hoffnung getäuscht. Meistens fanden wir mehrere 
Fische auf dem aus starken Paschiubalatten hergestellten Rost, ein- 
mal sogar eine riesige Pirahiba (Art Wels) von 25 bis 30 Pfund, an 
dem die ganze Bewohnerschaft des Dorfes genug hatte. 

Zu diesen Giraos kann man auch eine Falle für kleine Fische 
rechnen, die gewöhnlich von Kindern gehandhabt wird. Ich erhielt 
ein Exemplar bei dem Fischervolk der Katapolitani. Sie besteht aus 
einer 65 cm langen und 50 cm breiten Matte aus gespaltenen Rohr- 
stäbchen, die durch Lianen zusammengehalten werden. Der untere 
Teil ist in einer Länge von 15 cm umgeklappt, so daß eine Art Tasche 
entsteht, die an beiden Seiten durch je ein Rundholz und Verschnürung 



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Bratspieß and Bratrost 



255 



mit Lianen geschlossen ist. Zum Gebranch wird die Tasche durch 
zwei Holzklötzchen aufgesperrt und die Falle an dem niederen Ab- 
sturz einer Stromschnelle so befestigt, daß das fallende Wasser in die 
Tasche stürzt und die kleinen Fische, die es mit sich reißt, darin 
zurückhält. Von Zeit zu Zeit hebt man die Tasche aus dem Wasser 
und untersucht sie auf ihren Inhalt. 

Verschiedenartig, wie wir bereits mehrfach gesehen haben, ist die 
Zubereitung der Fische. 

Will man auf der Reise möglichst rasch ein schmackhaftes Mahl 
haben, so brät man einen frisch gefangenen, mittelgroßen Fisch, be- 
sonders den fetten Aracu, auf folgende Weise am Spieß : Man schneidet 
ihn unten der ganzen Länge nach auf, klappt ihn nach Entfernung 
der Eingeweide platt auseinander und klemmt ihn zwischen die ge- 
spaltenen Zinken eines gegabelten Holzes, dessen Enden man mit Liane 
wieder zusammenbindet, damit der Fisch nicht herausrutschen kann. 
Setzt man ihn dann durch häufiges Wenden auf beiden Seiten mög- 
lichst gleichmäßig der Hitze des Feuers aus, so ist er in wenigen 
Minuten schön knusperig gebraten. 

Fällt der Fang besonders reich aus, so werden die Fische, die 
nicht sofort gegessen werden, auf dem Bratrost über langsamem Feuer 
gedörrt und geräuchert, so daß sie sich tage-, ja wochenlang halten 
und als Reisezehrung mitgenommen werden können. Freilich kommt 
es dem Indianer manchmal nicht darauf an, aus einem schon halb- 
faulen Fisch die Maden herauszuschütteln, ihn dann aufzukochen und 
das etwas zweifelhafte Gericht, das wie Fischleim riecht und schmeckt, 
mit dem größten Appetit zu verzehren. 

Die frischen Fische öffnet man gewöhnlich durch einen Längs- 
schnitt an der Seite, um die Eingeweide zu entfernen, und legt sie 
nebeneinander auf den Bratrost, der in ganz Brasilien in derselben 
Form gebraucht wird. Drei Stöcke werden in Form einer Pyramide 
zusammengestellt und an den oberen Enden mit Liane vereinigt. Von 
der Mitte des einen Stockes, etwa einen halben Meter vom Erdboden, 
bindet man zu den beiden anderen Stöcken je einen Horizontalstab, 
legt parallele Stäbe darüber, und der einfache Rost ist fertig. Bis- 
weilen sind diese Bratroste, besonders wenn sie größere Mengen Fische 
zugleich aufnehmen sollen, viereckig und von ansehnlichen Dimensionen. 
Zu diesem Zwecke werden vier 50 — 60 cm hohe, am oberen Ende 
gegabelte Stöcke in den Boden gerammt, in je zwei Gabeln ein Quer- 
stab und Uber diese Querstäbe wieder die parallelen Stäbe gelegt, die 
den Rost bilden. 



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256 



Eine sehr praktische Einrichtung findet man in vielen Malokat 
am Caiary-Uaupes. Uber der Feuerstelle einer jeden Familie hängt 
an starker Schnur, die Uber eine Dachsparre oder einen Balken des 
Hauses läuft, ein dreieckiger oder viereckiger Rost. Durch Anziehen 
oder Nachlassen der Schnur kann man, je nach der Stärke des Feuers, 
die Höhe des Rostes beliebig verändern oder ihn, wenn er nicht ge- 
braucht wird, ganz hochziehen. 

Mühelos, aber reich an Beute ist der Fischfang mit dem Pari. 
So nennt man in der Lingoa geral große Zäune aus Paschiubalatten, 
ähnlich wie beim Kakuri. Bei Beginn der Trockenzeit werden damit 
fischreiche Nebenbäche und kleine Lagunen, die mit dem Fluß in 
Verbindung stehen, gesperrt und den Fischen der Rückweg ab- 
geschnitten. Verlaufen sich die Gewässer, so ist es leicht, der Fische 
habhaft zu werden. Man schießt sie mit Bogen und Pfeil, erschlägt 
sie auch wohl mit Messern und Stöcken oder schöpft sie mit Netzen 
und Korbsieben heraus. 

Manchmal dämmen die Indianer einen Bach oberhalb eines tieferen, 
fischreichen Platzes durch einen festen Erdwall ab und schöpfen unter- 
halb des Dammes das Wasser rasch aus, so daß die Fische auf das 
Trockene geraten. 

Die ergiebigste, zugleich aber auch unedelste Fischerei ist das 
Vergiften der Gewässer mit Pflanzengiften. Verhältnismäßig 
harmlos ist das Fischen mit Kunambi. Dieser Name bezeichnet 
in der Lingoa geral einen etwa mannshohen Strauch mit weißen 
Blüten aus der Familie der Compositae (Clibadium Schomburgkü). 
Die Pflanze findet sich bei vielen Dörfern des Issana und Caiary an- 
gebaut. Die Blätter werden zu einem Brei zerhackt, der mit klein- 
geschnittenem Fleisch vermischt wird. Aus dieser Masse werden kleine 
Kugeln geformt, die als Lockspeise in den Fluß geworfen und von 
gewissen Fischen gierig verschlungen werden. Bald nach dem Genuß 
kommen diese an die Oberfläche des Wassers und sterben. 

Die Lingoa geral faßt eine ganze Anzahl Fischgifte unter dem 
Namen Timbo zusammen, gewöhnlich aber versteht man darunter 
die Paullinia pinnata. Der Fang verläuft in folgender Weise: 
Die frische Timbowurzel wird an den Ort gebracht, wo man fischen 
will, dort im Kanu zerklopft und immer wieder mit Wasser ausgespült, 
bis nur noch ein ganz zerfaserter Stoff übrig ist, und im Kanu sich 
genug Gift, eine weißlich-milchige Brühe, angesammelt hat. Dann 
wird das Kanu in der fischreichen, stillen Bucht, die mit Parizaun 
abgesperrt ist, umgestülpt, so daß das Timbo auf einmal das Wasser 



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Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau 



257 



vergiftet und die Fische betäubt, die, mit dem Bauche nach oben, 
an die Oberfläche kommen und leicht gefangen werden können. 

Ebenso fischt man in der halb ausgetrockneten, kleinen Lagune 
und im ruhigen Bach. Diesen sperrt man entweder unterhalb der 
Vergiftungsstelle mit Parizaun ab oder stellt dort Leute auf, welche 
die an der Oberfläche abtreibenden, betäubten Fische mit großen und 
kleinen Netzen und Körben auffangen. 

Wie der Fischfang selbst, so ist auch die Herstellung der meisten 
dazu nötigen Geräte Sache der Männer ; nur bei großen Fisch- 
zügen wird die Hilf« der Frauen und Kinder häufig in Anspruch ge- 
nommen. Bei der Zubereitung der Fische wird eine strenge Arbeits- 
teilung zwischen Mann und Frau eingehalten: der Mann brät die 
Fische, die Frau kocht sie. 

Die großen Fischfallen, wie Kakuri, Girao, Pari, und alle Fische, 
die damit gefangen werden, sind Eigentum der ganzen Gemeinde. Der 
Häuptling oder GemeindeYorsteher fordert von Zeit zu Zeit alle 
Männer auf, diese Geräte auszubessern, er lädt sie zu gemeinsamen 
großen Fischzügen ein und verteilt die Beute an die einzelnen Familien. 




Koch-Granberg, Zwei Jahre bei den Indianern 



17 




XVIII. Kapitel 

Es gibt keine Hölle für die 
Cachoeirafahrer 

„Es gibt keine Hölle für die Cachoeira- 
fahrer! 44 sagt ein brasilianisches Sprichwort — 
und wahrlich, wer einen solchen echten Ca- 
choeirafluß befahren hat und wochenlang täg- 
lich immer wieder von neuem die Aufregung 
und Anstrengung durchkostete, die ein Über- 
winden der verschiedenartigsten Stromschnellen 
mit sich bringt — wo oft ein Ruderschlag über 
Leben und Tod entscheidet — den schreckt so 
leicht keine Hölle. Und dennoch, wer möchte 
die Erinnerung missen, dieses köstliche Gefühl 
der bestandenen Gefahr, dieses erhebende Be- 
wußtsein der eigenen Kraft nach der äußersten 
Anspannung aller Nerven ? — 

Oachoeiras nennt der Brasilianer mit 
einem Sammelnamen alle diese Hindernisse 
\ der Schiffahrt und des Verkehrs, die doch so 
verschieden sind, je nach ihrer Beschaffenheit 
und dem Wasserstande. Da gibt es ganz flache Stromschnellen, die 
man noch mit anhaltendem Rudern überwindet. Andere sind nur bei 
vollem Fluß brüllende Ungeheuer, während sie bei niedrigem Wasser- 
stande keine Gefahr bringen. Umgekehrt gibt es andere, die bei Hoch- 
wasser nur durch die reißende Strömung sich bemerkbar machen, 
während sie im Sommer von Felsen starren und kaum zu durchfahren 
sind. Andere endlich sind senkrechte Katarakte von mehreren Metern 
Höhe, die zu allen Jahreszeiten die gleichen Gefahren und die gleiche 
stundenlange Arbeit bereiten. 

Wenn wir früh vor Sonnenaufgang das Nachtlager abbrechen und 
in der kühlen Morgenluft auf dem stillen Fluß stromaufwärts rudern, 
dann schwimmen uns oft große Schaumbrocken, noch unberührt von 
den auflösenden Sonnenstrahlen, entgegen und künden die Nähe einer 
Stromschnelle. Auge und Ohr richten sich gespannt auf das Kommende. 
Da tönt zuerst undeutlich, dann immer stärker ein Brausen zu uns 
herüber, und plötzlich bei einer Biegung des Flusses liegt am Ende 
der langen, geraden Strecke, in die fast jede größere Stromschnelle 
ausgeht, der Katarakt mit seinen stürzenden Wassern vor unseren 
Blicken. Die Sonne, die inzwischen höher und höher gestiegen ist, 



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Cachoeira-Arbeit 



269 



bestrahlt die schäumenden Wogen und läßt den feinen Wasserstaub 
in Regenbogenfarben aufleuchten. Das Boot tanzt auf den aufgeregten 
Wellen. Noch weit vom Absturz entfernt müssen wir anlegen. Das 
Gepäck wird ausgeladen und auf schmalem Pfad durch den Wald 
oder über die sonnendurchglühten Felsen bis oberhalb des Falles 
geschafft and dort auf einer flachen Landzunge an ruhigem Wasser 
aufgestapelt. In dem leeren Boot rudern die Indianer weiter, am 
Ufer entlang, im Schaum der Brandung. Kann die Kraft der Ruder 
nicht mehr den Ansturm der zurückdrängenden Wogen überwinden, 
so muß das Tau helfen. Im Wasser watend, das sie bis zur Brust 
umschäumt, ziehen die Indianer das plumpe Boot flußaufwärts, wäh- 
rend der Steuermann mit sicherer Hand den oft schmalen Weg zwischen 
den hohen Felsen innehält. So geht es bis an den Fuß des Absturzes. 
Mit vereinten Kräften wird das schwere Fahrzeug über die senkrechte 
Felsenstufe gehoben und dann weitergeschleift über die zackigen Felsen, 
deren scharfe Kanten sich in das dünne Holz des Bodens bohren, so 
daß es sich knisternd biegt. Doch es gelingt! — Unsere Vorgänger 
waren nicht so glücklich. Dort liegt ein zerspaltenes Kanu. 

Schwieriger und gefahrvoller wird die Fahrt, wenn die Beschaffen- 
heit der Ufer das Ausladen nicht gestattet, und wir eine lange und 
von Felsen starrende Stromschnelle mit beladenem Boot passieren 
müssen. Da werden an die Leistungsfähigkeit der Mannschaft die 
höchsten Anforderungen gestellt. Schwer ist der Kampf gegen die 
reißenden Wogen. Schon sind wir auf der Höhe. Minutenlang steht 
das Boot auf demselben Fleck. Da erlahmt die Kraft der Ruderer, 
und wir gleiten zurück ; aber der Indianer läßt sich nicht entmutigen. 
Wir versuchen es immer wieder. Endlich — nach einer letzten gewal- 
tigen Anstrengung, einem letzten anfeuernden Hä-hä-hä-Geschrei der 
Ruderer sind wir hinüber. Hinter uns brausen die Wogen. Noch sind 
wir nicht außer Gefahr. Felsen und Strudel begrüßen uns auch ober- 
halb der Schnelle. Jedes ruhige Wasser in den Buchten der kleinen 
Felsinseln, jede Gegenströmung, die das Fahrzeug mit sich reißt, 
wird benutzt. In einer solchen Strömung fahren wir, ohne die Ruder 
zu gebrauchen, zwischen zwei Felsblöcken rasch flußaufwärts. Da, 
am Ende des Kanals drängt die Strömung der Schnelle abwärts, 
begegnet den Wassern der Gegenströmung, wirft hohe Wogen über uns, 
füllt das Boot halb mit Wasser und schleudert es heftig hin und her. 
Da hängt Leben und Tod oft nur von der Ruhe und Sicherheit des 
Piloten ab ; ein Ruderschlag, ein Zufall oder, wie man es sonst nennen 
will, entscheidet. 



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260 



Eine Salon-Sprache 



Mehr als vierzig Stromschnellen and Fälle allein im Caiary-Uaupes 
haben wir so überwunden. Bei den meisten maßte das Gepäck ganz 
oder teilweise ausgeladen werden. Als wir endlich weit im Westen den 
gewaltigen Yurupary-Fall hinter uns hatten and in dem fast toten Fluß 
weiterfahren, da fehlte uns das Brausen, die Arbeit, der Nervenreiz; 
die Leute wurden schlapp und kamen auf dumme Gedanken. 

Am 23. August fahren wir von Yauarete* ab. Häuptling Matthias 
als Pilot und sieben Ruderer bringen uns bis zur Grenze des Tariana- 
Gebietes. Wir passieren die durch ihre Zickzack-Kanäle berüchtigte 
Stromschnelle von Uacariaca and kommen zu einer langgestreckten 
Insel nahe dem linken Ufer, auf der ein Tariana-Haus mit dem großen 
Neubaugerüst einer Maloka liegt. Hier findet sich eine hübsche Signal- 
trommel, etwas kleiner als unsere vom Tiqui£, aber ebenso gearbeitet. 
Sie hängt zwischen vier Pfosten, deren rund zugehauene Köpfe mit 
Menschengesichtern bemalt sind. Schmidt ersteht sie mit der üblichen 
Gewandtheit nach kurzem Handel für einen einläufigen Vorderlader, 
V/t Pfund Pulver, 500 Zündhütchen und 1 Pfund Schrot. 

Auf dem linken Ufer der kurzen, aber bösen Micura-Cachoeira, 
in der unser Boot beinahe gekentert wäre, liegen eine große, an- 
scheinend verlassene Maloka und etwas abseits ein kleineres, von drei 
bis vier Tarianafamilien bewohntes Haus. Als ich mich dem Hause 
nähere, bringt ein Knabe einen Palmblattkasten mit Federschmuck 
rasch durch die Hintertür in Sicherheit Man hat schon von unseren 
Kaufgelüsten gehört. Zwei wiederum häßliche Uaikana, am ganzen 
Körper mit feinen und sauber ausgeführten Genipapo-Mustern bemalt, 
sind vomMacu-Igarapezu Besuch gekommen. Vor zweiundzwanzig Jahren 
hatten die Franziskaner hier eine Mission, die hauptsächlich von Uai- 
kana bevölkert war. Bald erreichen wir die letzte Maloka der Tariana, 
die an der oberen Spitze einer großen Insel liegt. Durch Vermittlung 
des Häuptlings bekommen wir neue Mannschaft. Bei diesen Besuchen 
in anderen Niederlassungen ihres Stammes, beim Empfang und der 
darauf folgenden offiziellen Unterhaltung bedienen sich meine Leute 
stets des Tariana; auf der Fahrt sprechen sie nur Tukano. Das 
Tariana gilt offenbar als feinere Zeremoniellsprache, gewissermaßen 
als „Sprache des Salons", während das Tukano mehr bei der alltäg- 
lichen Unterhaltung seine Verwendung findet. Die Bewohner dieser 
Insel unterscheiden sich im Typus sehr von den Tariana von Yauarete. 
Ich hätte sie als Tukano angesprochen, wenn mir nicht Matthias aus- 
drücklich versichert hätte, daß es seine Stammesbrüder wären. 

Am nächsten Tag kommen wir zu den Uiua (Pfeilrohr-Indianern), 



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Stammesheros Yaperikuli 



261 



einem kleinen Stamm von kaum hundert Seelen, der heute seiner Sprache 
nach eine Unterabteilung der Tukano darstellt. Ihre größte Maloka 
liegt an dem steilen rechten Ufer der Umari-Cachoeira, wo das ganze 
Gepäck ausgeladen werden muß. Zahlreiche, schon sehr verwitterte 
Ritzzeichnungen bedecken die flachen Felsen. Die meisten sind mehr 
oder weniger ausgeführte menschliche Figuren von ansehnlicher Größe, 
die zum Teil auf der Kreislinie des Kopfes merkwürdige halbkreis- 
förmige Bogen, vielleicht die Darstellung eines Kopfputzes, tragen. 
Einige Figuren sind von den Indianern frisch nachgezogen. Alle diese 
Felsritzungen, erklären mir die Tariana, habe Yaperikuli gemacht, 
ihr Stammesheros, den sie mit ihren nördlichen Verwandten am Issana 
gemeinsam haben. Zwei Tagereisen flußaufwärts findet sich auf einem 
Felsen einer kleinen Stromschnelle eine natürliche Vertiefung, die eine 
auffallende Ähnlichkeit mit einer menschlichen Fußtapfe hat. Yaperi- 
kuli, so geht die Sage, hat diese Spur in das harte Gestein getreten. 

Vor den colombianischen Kautschuksammlern scheint man große 
Angst zu haben. In allen Malokas sind die sich stets gleichbleibenden 
Fragen, ob wir flußabwärts Colombianer getroffen hätten, und wann 
sie kämen. Sie seien „ganz schlecht* 4 , mißhandelten die Leute, nähmen 
Hühner und andere Lebensmittel weg und bezahlten nicht. 

Die folgenden Tage fuhren uns durch das Gebiet der Yurupari 
(Dämonen-Indianer), die wiederum Tariana sprechen, im Typus aber 
von den Tariana von Ipanore und Yauarete* stark abweichen. Wie 
die Uaikana scheinen sie in einer gewissen Abhängigkeit von den wirk- 
lieben Tariana zu stehen, weshalb sie auch im Laufe der Zeit deren 
Sprache angenommen haben. Sie bewohnen am Hauptfluß ein halbes 
Dutzend Malokas und einige kleine Häuser. 

Der 27. August ist ein besonders schwerer Tag für uns. Wir 
überwinden die reißende Yapu-Cachoeira und unmittelbar darauf die 
Pucu-Cachoeira, ein unendliches Gewirr von Stromschnellen und Ab- 
stürzen. Auf einer Insel mitten in der heftigen Strömung liegt das erste 
kleine Haus der Uanana, deren Bewohner zur Zeit abwesend sind. 
Den gewaltigen Absturz der Arara-Cachoeira, der sich ohne Unter- 
brechung quer durch den Fluß zieht und zu allen Jahreszeiten unpassier- 
bar ist, umgehen wir auf einem Pfad über eine steile, mit lichtem 
Wald bewachsene Anhöhe, die, in den Fluß vorspringend, die Schnelle 
hervorruft. Die Indianer schleifen unterdessen das leere Boot über 
die flachen, mit schlüpfrigen Wasserpflanzen bedeckten Felsen am rechten 
Ufer. Einige Felsen tragen eine Menge stark verwitterter Indianer- 
ritzungen, deren Bedeutung nicht mehr zu enträtseln ist. Viele sind 



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262 



Wieder beim Oberhäuptling in Carum 



wohl nur sinnlose Kritzeleien. An einem kleinen Bach zur Rechten 
machen wir nach den fürchterlichen Anstrengungen des Tages halt. 
Ich stehe hier an einem für meine Reise bedeutsamen Punkt. Gegen- 
über mündet der Fußpfad, auf dem ich fast neun Monate vorher in 
das Flußgebiet des Issana zurückgekehrt bin. 

Von unserem Lagerplatz aus führt ein kurzer Pfad über die 
folgenden Stromschnellen bis zur Maloka meines alten Freundes, des 
dicken Uanana Joao, auf dem steilen rechten Ufer der Caruru-Cacho- 
eira. Oberhäuptling Gomes, der den stolzen Indianernamen Maha- 
piria (großer Arara) führt, schafft am nächsten Morgen mit seinen 
Leuten unser Gepäck in sein Haus und bringt auch unsere Montaria 
glücklich durch die lange Stromschnelle, deren einzelne Stufen beson- 
dere Namen fuhren. In der sauberen Maloka des Häuptlings finden 
wir für die nächsten Tage gastfreundliche Aufnahme. 

Zum erstenmal höre ich hier die Colombianer loben. Joao, der 
mein Boot durch die Schnellen pilotiert hat, verlangt für seine Arbeits- 
leistung ein großes Waldmesser, einen unverhältnismäßig hohen Lohn. 
Als ihm Schmidt ein Päckchen Tabak gibt, kommt er wütend zu 
mir gelaufen und schreit, Kariuatinga sei schlecht; die Colombianer 
bezahlten bedeutend besser. — Und ein Jahr vorher wurde hier über 
dieselben Colombianer als schlechte Bezahler und sonstige Missetäter 
weidlich geschimpft, wie jetzt wieder flußabwärts ! In der Tat scheinen 
diese Herren inzwischen aus irgendeinem Grund gerade hier in Carum 
die Preise verdorben zu haben. Ein Uanana zeigt mir ein gutes Messer 
mit Horngriff, das er für einen Arbeitstag erhalten habe. — Die ersten 
Colombianer seien sehr schlecht gewesen. Raphaelo aber, ihr Anführer, 
der jetzt flußabwärts nach Manaos gefahren ist, sei ein trefflicher 
Mann und halte seine Leute in guter Zucht. 

Gegen Mittag fahren alle Männer zu einem Kaschirifest nach Matapy. 
Nur Paulino, ein älterer Uanana mit auffallend langen Beinen, bleibt 
zurück als Wächter der Ordnung und Unschuld. Er entpuppt sich als 
geschickter Bootsbauer und bessert unsere Montaria aus, die durch 
den wüsten Transport arg mitgenommen ist. 

Am folgenden Tag findet im Hause des Häuptlings ein Yurupary- 
Fest statt. Es ist dieselbe Sache wie am Tiquie\ Mehrere große 
Tragkörbe voll Miritifrüchte werden unter der Musik von zwei langen 
Flöten, zwei langen und zwei sehr kurzen, dicken Trompeten ein- 
gebracht. Die Frauen und Kinder haben sich auf einen warnenden 
Zuruf Paulinos in eins der kleinen Familienhäuser zurückgezogen. Die 
Zugänge der Maloka werden sorgfältig verschlossen. Nach Sonnen- 



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Jose Kadyu 



263 



Untergang folgen profane Tänze, aber nur von einfach geschmückten 
Jünglingen, die, ihr Mädchen im Arm, auf Panpfeifen blasen. Es ist 
nur ein kleines Dabukuri, wie diese Yurupary-Feste in der 
Lingoa geral heißen. An großen Dabukuri, so erklären mir die 
Uanana, nähmen viele Leute und viele Instrumente teil, und die Jüng- 
linge würden gepeitscht. Sie erhielten besonders Schläge über den 
Bauch. Dann dürften sie fünf Monate lang kein Fleisch, keine Fische, 
keinen spanischen Pfeffer essen, sondern nur ganz leichte Speisen, 
Maniokgerichte, Ameisen, Käferlarven und andere schöne Dinge. Die 
Jünglinge würden nur einmal gepeitscht, die Männer nicht mehr. — 
Jedoch scheint auch nach der Aufnahme in den Männerbund, wie bei 
den Aruakstämmen am Issana-Aiary, gelegentlich gegenseitiges Aus- 
peitschen vorzukommen, wenn auch nur bis zu einem gewissen Alter. 
Wenigstens habe ich wiederholt an jungen verheirateten Männern 
frische Narben bemerkt, die nach ihren Angaben von Peitschenhieben 
bei Yurupary-Festen herrührten. 

Abends kommt Joäo mit anderen aus Matapy zurück. Man hat 
dort mit Masken getanzt. Sie bringen einen Maskenanzug mit, der 
in derselben Weise verfertigt ist wie die Maskenanzüge der Kaua am 
Aiary und den Dämon Kohäkö der Kobeua darstellt. 

Unter den Gästen befindet sich ein über und über mit schwarzer 
Hautkrankheit behafteter Kobeua vom Cuduiary, der jetzt unterhalb 
Caruru wohnt. Ich habe ihn schon im März an der Mündung des 
Tiquie bei Abilio getroffen, für den er arbeitet. Jose\ so heißt er mit 
seinem christlichen Namen — als Kobeua nennt er sich, was er nur 
mit Widerstreben zugibt, Kadyu (Huhn) — , ist schon reichlich zivili- 
siert, aber ein williger und bescheidener Mensch. Er hat mehrere Jahre 
seines Lebens unter den Weißen verbracht und spricht ein wenig por- 
tugiesisch. Als Heizer auf einem Dampfboot ist er bis Para gekommen. 
Zu meiner Freude willigt er ein, mich bis in seine Heimat zu begleiten 
und bei seinen Stammesgenossen einzuführen. Er will das Angenehme 
mit dem Nützlichen verbinden und am oberen Fluß für seinen Herrn, 
dem er 500 Milreis schuldet, Sarsaparille 1 holen. 

Zwei neue Tanzschilde, die ich vom Häuptling erwerbe, stammen 
von den Desana des Papury, die sich auch hier allein mit der Her- 
stellung befassen. Djese Desana sind der einzige Stamm des Caiary- 
Gebietes, bei dem eine Stammestatauierung gebräuchlich ist. Sie wird 
mit einem Palmstachel ausgeführt und besteht aus zwei von der Unter- 

1 Smilax ornata, eine zur Familie der Liliaeeen gehörende Schlingpflanze. 
T>ie Wurzel wird zu Arzneizwecken verwendet. 



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264 



Der Herr Professor 



lippe zum Kinn parallel verlaufenden, blauen Linien. Beide Geschlechter 
tragen nie ohne Unterschied. Die Unterlippe wird durchbohrt. Bei 
den Desana des Tiquie* habe ich dieses Stammesabzeichen nicht 
bemerkt. 

Der etwa vierjährige Sohn des Häuptlings trägt schon die Hüft- 
schnur, aber noch nicht die Schambinde. Ich habe dies auch am Aiary 
und später am Tiqui6 bei kleinen Knaben beobachtet. 

Verweichlichung bleibt dem Indianerkinde fern. Ein Neugeborenes 
von wenigen Tagen wird von der Mutter jeden Morgen im kalten Wasser 
des nahen Baches gebadet. Auch zu ihrer täglichen Arbeit in der 
Pflanzung und zu einem Kaschirifest in einer benachbarten Maloka 
nimmt sie es mit. 

Als Dienerin der Häuptlingsfrau lebt in Carum eine junge Maku 
vom Papury mit ihrem Töchterchen. Sie wird ebenso gut behandelt 
wie die Makusklaven der Tukano und Tuyuka am Tiquie. 

Zwei niedliche Kätzchen, seltene Haustiere am Caiary, treiben 
mit den Kindern ihr neckisches Spiel. 

Seit meinem ersten Besuch hat man das Haus des Häuptlings 
künstlerisch ausgeschmückt. Von den beiden Mittelpfosten leuchten 
in frischen, bunten Farben große Figuren, ähnlich denen, die ich seiner- 
zeit im nahen Matapy gesehen habe (Abb. S. 268 und 272). 

Am 5. September fahren wir weiter und gelangen an demselben 
Tag durch mehrere harmlose Stromschnellen nach Matapy. Dabei 
kommen wir an einem Friedhof der Uanana auf einer Insel vorüber. 
Die Uanana bestatten allein von allen Stämmen des Caiary-Uaupes 
ihre Toten nicht im Haus, sondern in gemeinschaftlichen Friedhöfen 
auf kleinen Inseln oder auf Anhöhen mitten im Wald. Ob diese Sitte 
dem Einfluß der früheren Missionen zuzuschreiben ist, habe ich nicht 
in Erfahrung bringen können. 

Von der liebenswürdigen Bevölkerung von Matapy werde ich als 
alter Freund aufgenommen. Hier wohnen Uanana und Desana zusammen. 
Der Hausherr, ein prächtiger Mann, den wir wegen seiner gemessenen, 
lehrhaften Art den „Herrn Professor" nennen, ist ein Desana. Er 
ist der höflichste Indianer, dem ich je begegnet bin, sorgt peinlich 
für unser Wohlergehen und ist eifrig bemüht, meine Sprachstudien zu 
fördern, so daß ich auf der Weiterfahrt — er bringt uns mit seinen 
Leuten drei Tagereisen flußaufwärts — bisweilen die vielen Namen für 
jede Insel, jede Landspitze, jeden Felsen kaum so rasch aufzeichnen 
kann, wie sie mir der gelehrte Herr angibt. 

Am Tage unserer Ankunft, so erzählt er, sei ein alter Maku 



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Kobeua-Masken 



2«5 



plötzlich auf dem südlichen Flußufer erschienen und, als er Leute sah, 
wieder scheu im Walde verschwunden. 

Das Maskentanzfest, das Tor kurzem hier stattgefunden hat, ist von 
einigen Kobeua veranstaltet worden, die in der Umgegend zerstreut 
zwischen den Uanana wohnen. Diese haben auch die Masken verfertigt. 
Die Uanana und Desana verständen diese Kunst nicht. An dem 
Fest haben sich fünf Masken beteiligt. Ich kaufe eine Maske des 
Aasgeiers. Mit ihrem Fratzengesicht unterscheidet sie sich kaum 
von den Masken, die menschlich gestaltete Dämonen darstellen, aber 
von jedem Ärmel hängt ein viereckiger, mit bunten Mustern bemalter 
Lappen aus weißem Bast herab, der mir als „Flügel" bezeichnet wird. 
Ich lasse mir von den Hiesigen zwei Tänze vorführen. Der Aasgeier- 
Tanz wird in derselben Weise ausgeführt wie am Aiary. Der Tänzer 
hält einen Stock mit beiden Händen wider den Kacken, macht mit 
dem Oberkörper hin und her schaukelnde Bewegungen und stößt 
eigentümliche, dumpfe „Gö-gö-gö tt -Laute aus. Beim Tanz des Dämons 
bewegt sich der Tänzer mit eingeknickten Knien hin und her, das 
Maskengesicht nach oben gerichtet, und dreht mit erhobenen Händen 
einen Stock rasch um seine Achse, indem er halblaut, eintönig 
„Kwai-kwai-kwai" ruft. Bei beiden Tänzen wurde nicht gesungen, da 
die Uanana und Desana offenbar die Kobeua-Texte nicht kennen und 
in ihrer Sprache keine Maskengesänge haben. 

Die Anwohner dieses Teiles des Caiary stehen mit den Stämmen 
des Aiary in regem Verkehr. Eine junge , hübsche Uanana ist mit 
ihren beiden strammen Söhnen aus dem dortigen Dupalipana zu Besuch 
gekommen, wo sie als die Gattin meines früheren Reisegefährten, des 
trinkfreudigen Siusi Marcellino, lebt. In Carum habe ich einen jungen 
Zauberarzt der Uanana getroffen, den ich ein Jahr vorher beim Tanz- 
fest in Atiaru am Aiary kennenlernte. 

Die Matapy-Cachoeira, die auf der rechten Seite in einem Fall 
abstürzt und nur nahe dem linken Ufer hinter einer Insel passiert 
werden kann, hat ihren Namen von einem „natürlichen Matapi", einem 
Felsenloch, aus dem die Fische, wenn sie hineingeraten, nicht wieder 
herausschwimmen können. Von der steilen Höhe herab, auf der die 
Maloka liegt, hat man eine herrliche Aussicht, besonders in der 
weichen Abendbeleuchtung des Tropensommers. Man blickt weit fluß- 
abwärts, halbwegs Caruru, über sprudelnde Stromschnellen, deren 
weiße Schaumstreifen sich von dem dunklen Flußwasser wirkungsvoll 
abheben. Wie natürliche Kulissen schieben sich die bewaldeten Ufer- 
spitzen an den Flußwindungen vor. 



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2K6 



Neue Übergriffe der Colombianer 



Kurz oberhalb der Matapy-Cachoeira beginnt das riesige Felsen- 
meer von Tapira-girao. In zwei aufeinandergetürmten Felsen 6ehen 
die Indianer einen Tapirkopf. So hat jeder sonderbar geformte 
Felsen im Caiary seinen Namen. Es gibt „Wildschweine", „ Jaguare*, 
ein „Jaguar-Ohr", „Fischottern 44 , sogar einen „Nabelfels" u. a. Die 
wütende Schnelle von Tapira-girao umgehen wir unter großen An- 
strengungen durch einen der schmalen Arme, die allein die Durchfahrt 
ermöglichen. Der Fluß wird nun auffallend breit und fließt so harm- 
los träge dahin, daß man ihm solche Sprünge, wie er sie wenige Kilo- 
meter weiter abwärts macht, gar nicht zutrauen will aber bald halten 
wir vor einem neuen Hindernis, der Yacare-Cachoeira, die mit ihrem 
starken Absturz den Fluß abschließt und durch eine mit Gesträuch 
bewachsene, größere Felsinsel in zwei Hälften geteilt wird. 

In der Uanana-Maloka auf dem rechten Ufer treffe ich meinen 
ehemaligen Lotsen mit seiner Familie. Das reizende Töchterchen, das 
ich damals mit kurzgeschnittenem Haupthaar und häßlicher schwarzer 
Genipapo-Beschmierung, den Kennzeichen für die erste Reife, sah, ist 
inzwischen zur blühenden Jungfrau herangewachsen. Leider wird hier 
einem meiner Leute aus unserem Boot ein großes Messer gestohlen, 
das auch auf meine energischen Beschwerden hin nicht wieder zum 
Vorschein kommt. Die Nähe von Yutica, das ich noch vom vorigen 
Jahr in unangenehmer Erinnerung habe, scheint einen schlechten 
Einfluß auszuüben. 

In einer anderen Maloka ist nur ein uralter Kobeua nebst seinem 
Enkel, einem schönen, schlanken Jüngling, anwesend. Als der Alte 
hört, daß wir seine Heimat besuchen wollen, hält er uns eine lange 
Rede in den „tiefen Kehllauten seiner Sprache* 4 . Dort oben sei es 
sehr schön. Seine Landsleute seien gut. Sie hätten reichlich zu essen. 
Es gebe viele Fische, viele Waldhühner, viele Tapire usw. Er wünscht 
uns mit anderen Worten „glückliche Reise". 

Abends, als wir oberhalb der Yutica-Cachoeira lagern, kommt ein 
älterer Uanana und klagt mir sein Leid. Die Colombianer hätten seinen 
Sohn Dianomio (Ente) zu ihrer Niederlassung am oberen Caiary mit- 
genommen und auch nicht herausgegeben, obwohl er selbst im' leichten 
Kanu hingefahren sei. Ich frage ihn nach den dortigen Gegenden 
und ihren Bewohnern. Von der Yurupary-Cachoeira bis zur Ansied- 
lung der Colombianer habe er sieben Tage gebraucht. Die Umaua 
wohnten südlich vom Caiary am Macaya, der in den Papury 
fließe, einen „anderen Papury 44 , der dein Yapura zuströme, den 
A paporis. 



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Karaiben 



2U7 



Allmählich erfahre ich manches Interessante über diese Umaua 
von meinem Kobeaa Jose, «1er sie persönlich kennt. Sie seien 
identisch mit den Karihona; also ein Kar aibenstamm! 
„Karihona" sei nur der Name, den die Colombianer diesem Stamme 
gäben. Früher hätten die Umaua Menschen gefressen. Sie hätten 
mit dem Gefangenen zuerst ein Kaschirifest gefeiert und ihn dann 
geschlachtet Sie trieben Handel mit den Kobeua des Cuduiary, von 
denen sie europäische Waren, Eisengeräte, Perlen u. a., gegen Pfeil- 
gift eintauschten. In seiner Jugend sei einmal eine ganze Bande 
Umaua zum Cuduiary gekommen. Neuerdings kämen sie seltener, da 
sie mit den Colombianern in blutiger Fehde lägen ; doch weilten gerade 
jetzt einige Umaua als Flüchtlinge unter den Kobeua. Viele von 
ihnen sprächen Kobeua. 

In ruhigem Wasser fahren wir nun weiter, überwinden ohne Mühe 
die harmlose Taina-Cachoeira und verbringen die Nacht zum 11. Sep- 
tember in der Uanana-Maloka Taracua auf dem linken Ufer, wo wir 
unsere Mannschaft erneuern. Die meisten Weiber hier gehören schon 
dem Stamme der Kobeua an, plumpe Gestalten von geringer Körper- 
größe mit häßlichen Gesichtern, breiten Stumpfnasen und dicken 
Lippen. Zum Überfluß sind einige im Gesicht scheußlich rot über- 
schmiert. 

Durch eine Reihe kleinerer Stromschnellen gelangen wir am 
12. September zur Mündung des Querary, des bedeutendsten linken 
Nebenflusses des Caiary-Uaupes. Er ist von Stämmen bewohnt, die 
von ihren Nachbarn den Weißen gegenüber allgemein mit dem Sammel- 
namen „Baniwa" bezeichnet werden und ursprünglich Aruakdialekte 
sprachen. Von den einfallenden Kobeua wurden sie unterjocht und 
nahmen die Sprache der Sieger an. Sie zerfallen in mehrere Unter- 
abteilungen mit besonderen Namen, unter denen die Horde der Yulä- 
maua (Riesenschlangen-Indianer) am unteren Querary die bedeu- 
tendste ist. Ihre nächsten Verwandten sind die Kaua des oberen 
Aiary. Die Yulämaua bewohnen auch am Caiary selbst auf einer 
kurzen Strecke unterhalb der Querary-Mündung einige Niederlassungen 
und scheiden dadurch die Uanana in zwei Abteilungen. Eine große 
Maloka dieser „Baniwa" auf dem hohen rechten Ufer finden wir „mira 
ima tt (ohne Leute). Dagegen treffen wir in einer gegenüberliegenden 
Hütte einen Mann dieses Stammes mit zwei Uanana- Weibern und 
einem hübschen Jüngling, der, wie es sich herausstellt, ein Siusi und 
alter Bekannter von mir vom Aiary ist. Der Mann ist ein langbeiniger, 
dürrer Kerl mit verkniffenem, wenig Vertrauen erweckendem, rundem 



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268 



Die Baniwa des Querary 



Gesicht, niedriger Stirn, vorstehenden Backenknochen, großen, etwas 
vorquellenden Augen, großem Mund mit schmalen Lippen und lockigem 
Haar. Er spricht kein Wort Lingoa geral und hat eine Schambinde 
aus rotem Baumbast. Schon beim Fest in Caruru habe ich einen 
Angehörigen dieses Stammes getroffen, der im Typus auffallend mit 
diesem übereinstimmte. 

Die Baniwa des Querary genießen einen wenig guten Ruf. Sie 
haben vor einigen Jahren einen weißen Händler mit Frau, Kind und 
einem indianischen Diener, Tukano vom unteren Oaiary, angeblich aus 
Habsucht ermordet und ihre Leichen in den Fluß geworfen. Sie wagen 
nicht, den Caiary abwärts zu fahren, wenn sie zur Arbeit in die Kaut- 
schukwälder des Rio Negro gehen, sondern schlagen mit Überschrei- 
tung der Wasserscheide den Umweg über den Aiary-lssana ein, um 
der Rache der Tukano zu entgehen. 

Auch am Querary gibt es Maku, die im Dienste der Yulämaua 
stehen. In alter Zeit seien die Uanana, die früher am Querary gewohnt 
hätten, ihre Herren gewesen. 

Oberhalb der Querary-Mttndung wohnt in zahlreichen Malokas die 
zweite Abteilung der Uanana, die ebenfalls den Häuptling Gomes in 
Caruru als ihren Oberhäuptling anerkennt, wenn auch seine Macht 
heutigestags nur noch nominell ist. Der ansehnliche Paca-Igarape> 
ein linker Zufluß, an dem zwei stark bevölkerte Malokas liegen, 
ist durch ein riesiges Kakuri abgesperrt. Wir kaufen eine Menge 
Fische. Die Bewohner sind großenteils unbeschreiblich häßlich. Viele 
sehen krank aus. Ein Alter mit stärkerem Bartwuchs hat ein wahres 
Menschenfressergesicht. Bei einer Frau ist die eine Pupille ganz weiß 
und undurchsichtig; der geschwollene Augapfel tritt stark hervor. 

Die nächsten Tage bringen schwere Arbeit. Es gilt, die ge- 
fährlichen Stromschnellen von Macucu, Nambi und Nana zu über- 
winden, die fast unmittelbar aufeinander folgen. Niedere, mit Wald 
bewachsene Kuppen oder jäh aufsteigende, nackte Felsspitzen begleiten 
fortwährend, besonders auf dem linken Ufer etwas landeinwärts, den 
Fluß und engen ihn ein, so daß er zwischen riesigen Felsen dahintost. 
In allen diesen Stromschnellen finden sich zahlreiche Felsritzungen. 
Einen weiteren Absturz umgehen wir mittels eines schmalen Kanals 
am rechten Ufer. Wir passieren auch die lange, reißende Tipiaca- 
Oachoeira ohne Unfall und machen in der großen Uanana-Maloka auf 
dem linken Ufer einen Rasttag, um das Boot auszubessern, das bei 
der höllischen Fahrt wieder ganz leck geworden ist. 

Das Haus liegt reizvoll unter hohen Pupunya- Palmen am Ende 



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Frische Felszeichaimgen 



269 



eines großen, freien Platzes auf einer in den Fluß vorspringenden 
Landspitze, die nicht mit Unrecht den Namen „böse Spitze" führt. 

Der jugendliche Sohn des Häuptlings ist ein alter Bekannter von uns. 
Ich habe ihn seinerzeit nebst anderen Uanana aus der Umgegend von 
Tipiaca in Trindade am Rio Negro photographiert. Die Bilder rufen 
lauten Jubel hervor. Besonders der Häuptling macht über jedes Bild 
seine Witzchen, die sich meistens, wie häufig bei alten Herren, hart 
an der Grenze des Anstandes bewegen und von den anderen aus- 
giebig belacht werden. 

Colombianer, die nicht lange vorher hier gewesen sind, haben sich 
bestialisch aufgeführt, die bildhübsche Frau meines jungen Freundes 
mehrere Tagereisen weit mit sich geschleppt und vergewaltigt. 

Die Tipiaca-Cachoeira weist eine Menge interessanter Felszeich- 
nungen auf. Zwei davon stellen Maskentänzer dar, die, mit Original- 
masken verglichen, durch die charakteristischen Abzeichen als „Schmetter- 
ling" und „Aasgeier" zu deuten sind. So werden sie auch von meinen 
indianischen Begleitern bestimmt. Auf einem anderen Felsen sind das 
Bild eines Maskentänzers und eine menschliche Figur frisch ein- 
geritzt; ein Beweis, daß solche Felszeichnungen noch heute aus- 
geführt werden. 

Eine kurze Strecke oberhalb der Tipiaca-Cachoeira fließt dem Caiary 
von rechts her der ansehnliche Abiu-Igarape" zu, nach längerer Pause 
wieder ein echter Schwarzwasserttuß. Fährt man ihn einen Tag auf- 
wärts, so gelangt man zu einem Fußpfad, der in einem Tag zum 
Paca-Parana führt, einem Nebenfluß des Papury, den man in einem 
weiteren Tag erreichen kann. 

Die Tucano-Cachoeira bereitet uns keine größeren Schwierigkeiten, 
aber an der kleinen Maloka, die auf dem linken Ufer liegt, lassen uns 
zwei wütende Hunde kaum landen. Sie sehen wie kleine Wölfe aus 
und sind wegen ihrer Wildheit am ganzen oberen Caiary berüchtigt. 
Neben dem Haus befindet sich eine Tabakpflanzung, mit gekreuzten 
Stöcken sorgfältig eingefriedet. 

Die Tucunare-Cachoeira, die wir am 17. September passieren, ist 
von gewaltigen Felsen durchsetzt, zwischen denen wir mit dem halb- 
entladenen Boot nur unter großen Schwierigkeiten und beständiger 
Gefahr unseren Weg finden. Gegen Abend erreichen wir eine Maloka 
auf dem rechten Ufer am Ausgang der wilden Taiasu-Cachoeira. Wir 
treffen hier eine sehr gemischte Bevölkerung, Uanana, Desana und 
sogar Tukano vom unteren Fluß, die wahrscheinlich aus irgendwelchen 
schwerwiegenden Gründen so weit von ihrer Heimat weggezogen sind. 



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Grenze de« Uanana-Gebietea 



Auf dieser letzten Strecke haben wir unbeschreiblich unter der 
Stechmückenplage zu leiden. An den Häusern sind alle Zugänge mit 
Matten aus Palmstäbchen verhängt, und doch hat man keine Ruhe 
vor den schmerzhaften Stichen der kleinen geflügelten Quälgeister. 

Die Taiasu-Cachoeira tost in einer scharfen Krümmung des Flusses, 
die man auf zwei kurzen Pfaden durch den Wald abschneiden kann. 
Sie gehört zu den gefährlichsten Stromschnellen des Caiary. Durch 
eine größere Insel wird der Fluß in zwei Arme geschieden, von denen 
nur der rechte zu befahren ist. Hier preßt sich der größte Teil der 
gewaltigen Wasserinasse durch einen schmalen, von unzähligen riesigen 
Felsblöcken halb versperrten Kanal. Mit dem Tau wird das entladene 
Boot vom Ufer aus langsam und vorsichtig aufwärts gezogen. Jose 
muß ob mit einer Stange fortwährend abstoßen, damit es nicht von der 
Wucht der Strömung wider die Felsen geschleudert wird und elend 
zerschellt. Mächtige Holzstöße, von Termiten zernagt, lagern auf den 
Felsen, Reste von Urwaldriesen, die der Fluß bei Hochwasser fem 
im Quellgebiet zugleich mit der Uferwand losreißt und beim Sinken 
des Wassers absetzt. Im linken Arm ragen spitze Klippen aus dem 
Wasser hervor, in einer Reihe, wie eine Rotte dahinstürmender Taiasu 
(Wildschweine). 

Oberhalb der Stromschnelle ist auf der linken Seite eine kleine 
Lagune, von den Uanana Büro (Rattenloch) genannt. Sie stehe, 
sagen die Indianer, durch ein tiefes Loch, durch das in alter Zeit 
eine große Schlange gekrochen sei, mit dem Paca-Igarape weit unter- 
halb in Verbindung, und die Fische benutzten diesen Weg, um von 
einem Wasser zum anderen zu gelangen. Vielleicht ist diese Sage 
dadurch entstanden, daß sich in beiden Gewässern Fische finden, die 
in dem dazwischen liegenden Teil des Flusses nicht vorkommen. 

Auf beiden Ufern treten niedrige Höhenzüge und einzelne Kuppen 
an den Fluß heran. Sie bilden die mehrere Meter hohen Abstürze 
der Uaracapury- und Uacuraua-Cachoeira, die durch flache Schnellen 
voneinander getrennt sind. 

Uaracapury bildet heute die Grenze des Uanana-Gebietes. Unter- 
halb des Falles wohnen noch in mehreren kleinen Häusern Uanana, 
während unmittelbar darüber schon die Malokas der Kobeua beginnen. 
Das eigentliche „Land der Kobeua" aber wird noch heute von Taiasu- 
Cachoeira an gerechnet. In früheren Zeiten hätten von da an überall 
Kobeua gewohnt, erst später hätten sich auf dieser ganzen Strecke Uanana 
angesiedelt und die Kobeua allmählich flußaufwärts zurückgedrängt. 

Schon zur Zeit des P. Gregorio (1852 — 1853) und später unter 



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Kobeua-Imlianer 



Sä71 



den Franziskanern (1880—1883) bestand in Uaracapnry eine Uanana- 
Mission, deren Wüstang auf dem linken Ufer am Kopf der Strom- 
schnelle deutlich zu sehen ist. An dieser geweihten Stätte finden wir 
Unterkunft in der Hütte eines älteren Uanana namens Mandu Adam, 
eines widerlich kriechenden Menschen, der europäische Kultur schon 
hinreichend genossen hat. Er spricht gut portugiesisch und ist so 
kultiviert, daß er Schmidt über Nacht mehrere Wäschestücke stiehlt, 
die dieser auf dem Felsen zum Trocknen ausgebreitet hat. 

Die Uanana nennen sich selbst Kotitia. Der ganze Stamm 
zählt 600—600 Seelen, die sich auf etwa 30 Niederlassungen verteilen 
und von den Nachbarn mit einzelnen Hordennamen unterschieden 
werden. Es sind durchschnittlich gedrungene Gestalten von außer- 
gewöhnlich entwickeltem Schul tergerüst; mußkulös, wohlgenährt. Altere 
Männer und junge Mädchen neigen häufig zu Fettleibigkeit. 

Oberhalb der Uaracapury- Cachoeira sitzt eine verhältnismäßig 
starke Kobeua-Bevölkerung. Uberall sehen wir Häuser und Kanus mit 
nackten Insassen. Bei einigen Malokas ist die Rindenbekleidung der 
Vorderwand mit bunten Mustern bemalt. Die Leute sind noch sehr 
ursprünglich. Man bemerkt wenige europäische Geräte. In den Ecken 
lehnen Blasrohre mit umflochtenen Köchern und Bündel langer Gift- 
pfeile, wie ich sie in ähnlicher Ausführung vom Aiary her kenne. 
Bei den Männern herrscht die Schambinde aus rotem Baumbast vor. 
Mehrere Frauen sind nur mit einem kaum handgroßen, viereckigen 
Schürzchen bekleidet, das an einer zierlichen Schnur weißer Perlen 
hängt. Beim Stehen und Gehen klemmen sie das Schürzchen zwischen 
die Oberschenkel, so daß 68 den Eindruck erweckt, als sei es wie die 
Schambinden der Männer zwischen den Beinen durchgezogen und hinten 
an der Hüftschnur wieder befestigt. Beim Sitzen, z. B. im Kanu, 
hängt das Schürzchen frei herab. Viele Männer und Frauen tragen, 
fest um die Beine geschnürt, so daß das Fleisch oben und unten hervor- 
quillt, die aus feinen Pflanzenfasern kunstreich gewebten und mit gelber 
Tonfarbe überstrichenen Kniebänder, die am Tiquie* nur bei festlichen 
Gelegenheiten angelegt werden. 

Zwei Stromschnellen gilt es noch zu überwinden. In der einen 
haben die Colombianer vor kurzem eine große Montaria mit Waren 
verloren, die sie von Santa Izabel geholt hatten. Sie hatten schon 
die Cachoeira passiert, das Boot wieder beladen und am Ufergebüsch 
vertäut. Da löste sich das Tau, das Fahrzeug geriet in den Strudel 
und ging auf den Grund. Die ganze Last war verloren. Die Mann- 
schaft rettete sich weit unterhalb durch Schwimmen. 



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272 Furcht vor den Colombiauern 

Auch hier sind die Colombianer nicht gut angeschrieben. In allen 
Malokas klagt man über sie. Ein hübscher Kobeua mit reichem Silber- 
schmuck um den Hals, der in einer Bucht fischt, zittert vor Angst, 
als wir ihn herbeirufen. In einem kleinen Haus flieht ein Jüngling 
bei unserem Eintritt rasch durch die Hintertür. Ein anderer kommt 
erst auf Joses Zareden und auf unsere Versicherung, daß wir keine 
Colombianer seien, zitternd und fahl vor Entsetzen hinter einer 
Wand hervor. 

Am Nachmittag des 21. September fahren wir in den Cuduiary ein. 




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XIX. Kapitel 



Ins Quellgebiet des Caiary-Uaupes. Die Umaua 

Der Cuduiary ist an seiner Mündung höchstens 40—50 m breit 
und hat hier klares, braunes Wasser, das mehrere Grad kühler ist 
als das Wasser des Caiary. Beide Ufer sind Überschwemmungswald. 
Die dunkle Färbung des Wassers rührt von einem kleinen Bach her, 
der nahe der Mündung dem Cuduiary von links zufließt. Von ihm 
führt ein Fußpfad in eineinhalb Tagen zum Querary. Oberhalb dieses 
Nebenbaches ist das Wasser des Cuduiary hellgrün durchsichtig, viel 
klarer als das Wasser des Caiary in dieser Gegend. 

In der Kobeua-Maloka Namocoliba, wo wir nachmittags ankommen, 
werden wir freundlich empfangen. Offenbar ist man genau über uns 
unterrichtet. Jos6-Kadyu, der seine Rolle als Impresario wohl erfaßt 
hat, tut alles, damit wir von seiner eigentlichen Heimat einen mög- 
lichst guten Eindruck gewinnen. Er stammt aus einer jetzt ein- 
gegangenen Maloka eine Tagereise flußaufwärts und ist hier wohlbekannt. 
Es sind liebenswürdige, unverdorbene Menschen ohne jede Scheu. 
Bald werden wir gute Freunde. Wir balgen uns mit den jungen Männern 
herum, scherzen mit den Frauen und Mädchen, spielen mit den kleinen 
und kleinsten Kindern. Selbst die mannigfachen Haustiere, Hunde, 

Koch-OrünberK, Zwei Jahre bei den Indianern 18 



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274 



Bei den Kobeuo in Namocoliba 



Affen und Papageien, sind bald so zutraulich zu uns, als wenn wir 
zur Familie gehörten. Ich halte einem jungen Manne meine Taschen- 
uhr an das Ohr. Er ist über das „Tick-tack" sehr erstaunt und be- 
schreibt es den anderen. Nun wollen alle das merkwürdige .Tick tack* 4 
hören. Auch die jungen, hübschen Frauen und Mädchen kommen 
furchtlos herbei, und Großmutter streicht ihnen das starke, schwarze 
Haar von den Ohren, damit ich die Uhr dicht anlegen kann, und 
ihnen nichts von den seltsamen Tönen entgeht. Als ich ihnen den 
Zweck der Uhr, so gut ich es kann, erklärt habe, geben sie ihr den 
Namen „auiya" (Sonne); ein Beweis für ihre richtige Auffassung. 

Ich lasse sie mit dem Bleistift in das Skizzenbuch zeichnen, fiir 
ein halbes Päckchen Tabak die Seite. Zwei bis drei Männer sind 
stets eifrig bei der Arbeit. Das Skizzenbuch liegt auf einem meiner 
Koffer. Zwei dieser primitiven Künstler sitzen auf niedrigen Schemeln, 
krumm wie Fragezeichen, die Nase beinahe auf dem Buch, und zeichnen 
gleichzeitig auf dasselbe Blatt, der eine von rechts, der andere von links. 
Andere hocken dabei und geben ihnen unaufgefordert gute Ratschläge. 
Einer zeigt besondere Begabung für lebendige Darstellungen, die bisweilen 
nicht eines gewissen Humors entbehren (Abb. S. 52 und 243). Auch Masken 
zeichnen sie sehr sorgfaltig mit den entsprechenden Mustern. Zum 
Ziehen der geraden Linien bedienen sie sich kleiner Lineale aus ge- 
glätteten Palmholzstäbchen, ähnlich wie beim Bemalen der wirklichen 
Masken (Abb. S. 359). 

Einige Männer in Namocoliba tragen ebensolche runde, ein- 
gebrannte Ziernarben auf den Armen, wie ich sie schon bei den 
Stämmen am Tiquie gesehen habe. 

Das Kobeua des Cuduiary ist mit dem Kobeua, das ich bei den 
Kaua am oberen Aiary aufgenommen habe, identisch, wenn man von 
kleinen dialektischen Unterschieden absieht und von manchen Aruak- 
wörtern, die das Aiary- Kobeua übernommen oder beibehalten und 
kobeua-gemäß umgebildet hat. Das Kobeua gehört zu derselben 
Gruppe wie das Tukano, ist aber dieser Sprache nur entfernt verwandt. 

Die Maloka Namocoliba liegt auf einem freien, sehr sauber ge- 
haltenen Platz am rechten Ufer des Cuduiary, das in steiler Wand 
aus rotem Lehm aufsteigt. Der Fluß hat hier eine Breite von 47 m 
bei einer Tiefe von 5 — 6 m. Die Bewohnerschaft bildet eine 
Familie und zählt mit Frauen und Kindern achtzehn Seelen. Das 
Oberhaupt der Familie, Mianikö, und seine Frau haben drei ver- 
heiratete Söhne, und eine Tochter von etwa zehn Jahren. Nur ein 
Sohn hat ein reizendes Töchterchen von ungefähr eineinhalb Jahren. 



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Koroa-Indianer 



275 



Außerdem leben hier die alte Matter des Häuptlings, sein jüngerer 
Bruder Ola in bisher kinderloser Ehe und zwei verheiratete Söhne seineB 
verstorbenen älteren Bruders, yoo denen der ältere ein Söhnchen von 
etwa dreiviertel Jahren besitzt, der jüngere, der kaum dem Jünglings- 
alter entwachsen ist, schon Aussicht auf Nachkommenschaft hat. Die 
Frauen gehören folgenden Stämmen an; vier Kolätalapöauö, von 
einem „Baniwa" -Stamme des oberen Querary mit Kobeuasprache, 
zwei Yulämaua, eine Hölöua, von einem „Baniwa M -Stamme des 
oberen Cuduiary mit Kobeuasprache, und eine Uaiana vom oberen 
Caiary. 

Als Gäste weilen in Namocoliba ein Bahuna vom oberen Cuduiary 
mit seiner vollkommen nackten Frau und einem nackten Töchterchen. 
Der Mann ist ein schöngewachsener Indianer von schlankem Körperbau, 
mit länglichem, sehr regelmäßigem, sympathischem Gesicht und fein- 
gebogener, schmaler Nase. Das schlichte Haar trägt er lang bis auf 
den Nacken. Die Leute wollen hier Maniok und Maniokgrütze holen. 
Am oberen Cuduiary werde Maniok nicht angebaut, sondern durch 
Mais ersetzt. 

Wie überall in Nordwestbrasilien, so gibt man auch am Cuduiary 
jedem älteren Manne, besonders dem Altesten einer Maloka, in der 
Lingoa geral die ehrende Bezeichnung Tuschaua (Häuptling). 
Daher hat jede Niederlassung ihren Tuschaua, ohne daß dieser zu- 
gleich ein Häuptling im eigentlichen Sinne zu sein braucht. Die 
Kobeua ehren jeden älteren Mann, einerlei ob er mit ihnen verwandt 
ist oder nicht, mit der Anrede: „Hipakö" oder „Pakö" („mein Vater, 
Oheim"). Jede ältere Frau reden sie an: „Hipako" oder „Pako" 
(„meine Mutter, Tante"). Zum Vater sagen die Kinder gewöhnlich: 
„Badyö M („Papa"), zur Mutter: „Ba" („Mama"). Ahnlich ist es in 
allen anderen Dialekten der Tukanogruppe. Die Anrede zwischen 
ungefähr gleichalterigen Personen ist: „Pakumö, Pakumo", was unserem 
„Gevatter, Gevatterin" entspricht. 

Am 23. September fahren wir weiter cuduiaryaufwärts und 
kommen nach einer Stunde zu einer Maloka der Koroa (Ibis-Indianer), 
einer Unterabteilung der Kobeua mit derselben Sprache. Sie seien 
vorzeiten vom oberen Querary eingewandert. Im Typus unterscheiden 
sie sich nicht unwesentlich von den Kobeua des unteren Cuduiary. 
Sie sind durchschnittlich kleiner und zierlicher gebaut und erinnern 
durch ihre feingeformten Nasen mit der etwas hängenden Spitze an 
die Bara des Tiquie-Quellgebietes. Ein junger Mann hat unverhältnis- 
mäßig lange Unterschenkel, was besonders beim Hocken auf den 



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21 H 



Hähänaua-Kobeua 



niedrigen Schemeln komisch wirkt. Wir bleiben hier bis zum nächsten 
Morgen und machen mancherlei Tauschgeschäfte. 

Zwei Stunden flußaufwärts liegt auf demselben Ufer eine zweite 
Maloka der Koroa, die aber zurzeit nur von einem alten Weibe bewohnt 
wird. Der Cuduiary ist verhältnismäßig stark bevölkert. Jeden Augen- 
blick begegnen uns vollbesetzte Kanus, die zum Teil auf der Innen- 
seite mit weißen und gelben Mustern, Strichen und Punkten, bemalt 
sind. Ein Ruder trägt auf dem Blatt in roter Farbe eine menschliche 
Figur männlichen Geschlechts. Eine junge, bis auf das Bastschürzchen 
nackte Frau, die mit zwei Kinderchen im kleinen Kanu allein fluß- 
aufwärts fährt, schwatzt längere Zeit mit meinen Leuten. Sie ist sehr rede- 
gewandt und erzählt ein langes und breites von einem Indianer, der 
wenige Tage vorher von einem Jaguar angefallen worden sei, ihn 
aber mit der Axt totgeschlagen habe. Während wir frühstücken, er- 
scheinen mehrere Boote mit rotbemalten Männern und Jünglingen, 
die sich zu einem Kaschirifest am Querary begeben wollen. Schon 
von ferne hörten wir sie lustig plaudern und Flöte blasen. Sie bitten 
sich von uns einen Feuerbrand aus und fahren weiter. 

Wir Ubernachten in der mit bunten Mustern und Fratzen be- 
malten Maloka Surubiroca auf dem linken Ufer. Hier wohnen drei 
Brüder mit ihren Familien, auffallend muskulöse Gestalten von ganz 
anderem Typus als die Kobeua, die wir bis jetzt gesehen haben. 

Der Stamm der Kobeua oder Hähänaua, wie sie sich selbst 
bezeichnen, zerfällt in eine Anzahl Unterhorden mit verschiedenen 
Namen und zum Teil von sehr verschiedener Abstammung. Als 
eigentliche Hähänaua gelten nur die Bewohner von Namocoliba 
und je einer Maloka ober- und unterhalb. Ihr Typus ist sehr ein- 
heitlich und zeichoet sich aus durch breites, offenes Gesicht, wohl- 
entwickelte Stirn, hohe Nase mit nur wenig hängender Spitze und 
straffes Haar. — Die Leute von Surubiroca und einer naheliegenden 
Maloka werden Papulihähänaua genannt. Es sind Nachkommen 
von Tukano, die vorzeiten vom Papury, worauf ihr Name hindeutet, 
eingewandert und hier zu Kobeua geworden sind. Ihre Abstammung 
können sie nicht verleugnen. Mit ihren gedrungenen Gestalten, den 
breiten, derben Gesichtern und vor allem dem stark gewellten, fast 
lockigen Haar fielen sie mir und Schmidt sofort durch ihre Ähnlich- 
keit mit den Tukano des Tiqui^ auf, bevor wir ihre Vorgeschichte 
kannten. 

Der Name „Kobeua" ist unzweifelhaft ursprünglich ein Spott- 
name, der ihnen von den Nachbarn gegeben worden ist, wahrschein- 



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Wildschweine 



277 



lieh von ihren alten Feinden, den Aruakstämmen, ähnlich wie „Karu- 
tana u oder „Korekaru" für die Bewohner des unteren Issana und, ahn- 
lich wie diese letzteren Namen, hervorgerufen durch die auffallende Ge- 
wohnheit dieser Indianer, da« Verneinungswort „köbäuö" („nicht, nein") 
in ihrer Sprache sehr häufig anzuwenden. 

In Surubiroca zeigt sich mein Jos6-Kadyu wieder von seiner 
zivilisierten Seite. Statt des einheimischen Kobeua, seiner Mutter- 
sprache, gebraucht er bei der Unterhaltung mit dem Häuptling die 
Lingoa geral. Wahrscheinlich hält er dies für vornehmer. Ebenso 
hat er es schon in einigen Kobeua-Malokas am Caiary gemacht. 

Über dem Querbalken der mittleren Hauspfosten hängen einige 
Peitschen, mit Bast umwickelte Gerten, wie sie am Aiary beim 
Yurupary-Fest gebraucht werden. In einer Ecke finde ich vier ganz 
neue, fein bemalte Maskenkörper zu Säcken verarbeitet, die zum Auf- 
bewahren von Baumwolle, Kalabassen und anderem Kram dienen. 
Vor einiger Zeit ist das Söhnchen des Häuptlings gestorben. Die 
Maskenfragmente stammen von der Totenfeier. Ich erwerbe eine 
wohlerhaltene Steinbeilklinge. Zwei andere haben die Indianer leider 
in kleine Stücke zerklopft und als Klappersteinchen für die Rassel- 
lanzen verwendet. 

Zwei Stunden Fahrt bringen uns von hier nach Tuibö, der ersten 
Maloka der Bahuna auf dem linken Ufer, einem etwas liederlich ge- 
bauten Haus, dessen Vorder- und Rückwand nur mit Palmstroh bekleidet 
sind. Auch die Sauberkeit im Innern läßt viel zu wünschen übrig, im 
Gegensatz zu den Malokas der Kobeua, in denen peinliche Ordnung 
und Reinlichkeit herrschen. 

Kaum haben wir die offiziellen Begrüßungsreden und die Bewirtung 
hinter uns, da kommen einige Jünglinge und melden, daß „in der Nähe* 4 
eine große Rotte Sauen im Walde sei. Sofort setzen wir uns in Trab, 
eine lange Reihe Jäger, einige Vorderlader, mehrere Bogen mit Gift- 
pfeilen und unsere beiden Winchester. Die „Nähe" ist Behr weit und 
der Marsch durch den stachligen und verwachsenen Sumpfwald für 
unsere nackten Füße äußerst beschwerlich. Wir durchqueren zwei 
Pflanzungen. Von einigen nackten Weibern, die Maniok stecken — 
die Grenze des Maniok- Anbaus sei weiter flußaufwärts — , werden wir 
freundlich begrüßt. Wir finden auch die breite Fährte der Wild- 
schweine, wo sie einen Bach durchsetzt haben, kehren aber nach 
längerem Suchen erfolglos zurück. Die Schwarzkittel sind schon über 
alle Berge, und der Schweinebraten ist uns diesmal am Munde vorbei- 
gegangen. 



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278 



Halm ria-Inilianer 



Nachmittags kommt eine Anzahl Kanus mit Bahuna und Mala- 
pöoua, Männern, Weibern und Kindern, aus der stark bevölkerten 
Umgegend. Bis zum Abend hocken sie bei uns am Hafen. Sie bringen 
einiges zum Verkauf, Lebensmittel, ein halbes Dutzend Steinbeilklingen, 
Halsketten aus Samen und Tierzähnen und mehrere Bälge des Felsen- 
hahns, der mit seinem orangefarbenen Gefieder zu den prächtigsten 
Vögeln des höhergelegenen Tropenwaldes gehört. Auch der junge 
Bahuna, der den Kampf mit dem Jaguar bestanden hat, stellt sich Tor. 
Er bietet die Zähne zum Verkauf an und zeigt mir eine böse Wunde 
unter dem Fußknöchel, die ihm die Bestie mit den Krallen geschlagen 
hat Nach der Größe und Abnutzung der Zähne, von denen der eine 
hohl ist, zu urteilen, muß es ein riesiges und altes Tier gewesen sein. 
Den Kadaver mit dem Fell hat er leider in den Fluß geworfen. 

Eigentliche Bahuna oder, wie die Kobeua sagen, Bahoköoa 
sind nur die Bewohner von Tuibö und den umliegenden Häusern. 
Die Malapöoua, die weiter flußaufwärts wohnen, sind eine Unterhorde 
von ihnen. Beide Stämme werden von den Kobeua gewöhnlich ohne 
Unterschied Bahoköoa genannt oder einfach Boloa (Maku). Sie sollen 
früher eine andere, „sehr häßliche" Sprache geredet haben und an- 
geblich erst von den Kobeua gezwungen worden sein, ihr unstetes 
Wanderleben aufzugeben und seßhaft zu werden. Heute betrachten 
sich natürlich alle als echte Kobeua, sprechen auch nur noch diese 
Sprache und hören sich mit ihren eigentlichen Hordennamen ungern 
nennen. Auch mein Jost?, der sich stolz Kobeua genannt hat, Ist 
seinem Stamme nach ein Bahuna. Die wirklichen Kobeua sehen mit 
souveräner Verachtung auf diese Nachbarn, die sich von ihnen durch 
gröbere Typen und häufig mangelhafte Körperproportionen unter- 
scheiden, wenn sie es ihnen gegenüber als höfliche Leute auch nicht 
merken lassen. 

Um die Maloka TuibÖ finden sich die Beste eines Grabens, ver- 
fallen und vom Gestrüpp überwuchert; „aus sehr alter Zeit", sagen 
die Indianer. Derartige Gräben seien noch an mehreren anderen 
Stellen am Cuduiary vorhanden. 

Mit Hilfe Joses miete ich hier fünf junge Leute für die Weiter- 
reise caiaryaufwärts. Schmidt soll sie später abholen, da ich mich 
vorher noch einige Zeit in Namocoliba aufhalten will. Alle bekommen 
einen Teil ihres Lohnes vorausbezahlt, Waldmesser, Frauenkämme, 
Perlen, Streichhölzer und andere Sachen. 

Auch meine Ruderer haben mit den Bahuna Handelsgeschäfte 
gemacht. Einer hat ein Blasrohr nebst Köcher gekauft, ein anderer 



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Indianischer Dünkel 



279 



einen jungen, zahmen Barrigudo-Affen (Lagothriz olivaceus), ein aller- 
liebstes Tier mit dichtem, weichem, graubraunem Pelz und schwarzen 
Augen. Im Gegensatz zu anderen Affen ist der Barrigudo anständig, 
zutraulich und nicht bissig. Die Bezahlung erfolgt in beiden Fällen 
erst später gelegentlich. So ist der Indianer an das Vorausbezahlen 
und Schuldenmachen, wie es auch in seinem Dienste bei den Kautschuk- 
sammlern Sitte ist, von seinem eigenen Tauschhandel her gewöhnt. 

Beim Abfahren fehlt mein großes Waldmesser, das mich bereits 
am Xingu (1899) begleitet hat. Auf ein sehr energisches Verhör hin, 
das Schmidt unter den Knaben anstellt, taucht einer in den Fluß 
und holt das Messer herauf. Er und ein anderer kleiner Spitzbube, 
die sich den ganzen Tag beim Boot herumtrieben, haben es auf diese 
schlaue Weise zu stehlen versucht. 

Wir bleiben die Nacht in Surubiroca. Der dortige Häuptling ist 
anfangs gekränkt. Er sagt, er habe die Absicht gehabt, mich mit 
Kobeua-Ruderern bis zu den Umaua zu bringen, aber jetzt hätte ich 
schon Bahuna, und .mit diesen Leuten" führe er nicht! Schließlich 
bringe ich ihn doch dazu, daß er einwilligt, mich als Pilot zu begleiten. 
Ein kräftiger, junger Bursche vom Stamme der Koroa schließt sich 
noch an. Auch diese beiden erhalten große Vorausbezahlung in 
Tauschwaren. 

Der Häuptling ist selbst schon bei den Umaua gewesen und 
kennt die dortigen Gegenden genau. Er nennt mir einige Stämme 
mit Umauasprache, die am Macaya wohnen sollen. Die Umaua tanzten 
„mit schlechten Federkronen u auf dem Haupt und schlügen dazu 
kleine Felltrommeln. Jose kennt vom Hörensagen ein paar Tanz- 
lieder. Es sind eintönige Wiederholungen einzelner Wörter mit gleich- 
bleibendem Refrain; Aufzählung von Gegenständen, die beim Tanz 
irgendeine Rolle spielen. Schließlich geben mir die beiden einige 
Umaua- Wörter an, aus denen sich die Zugehörigkeit dieser Sprache 
zur Karaibengruppe mit Sicherheit ergibt. 

Außer dem Barrigudo-Affen haben wir in Tuibö ein kleines, nacktes 
Indianermädchen an Bord genommen, eine Waise. Einer meiner 
Ruderer, der Häuptling von Uaracapury, will das Töchterchen seines 
verstorbenen Bruders in seine Heimat führen. Das niedliche Ding 
mit einem Japanergesich tchen wird rasch zutraulich. Während der 
Weiterfahrt sitzt es bei uns unter dem Schutzdach und ißt Bananen. 
(Jegen Abend wird es müde und fängt an zu weinen. Schmidt nimmt 
es auf den Arm, worauf es sich bald beruhigt und einschläft. Er 
will es auf eine Decke betten, aber es erwacht und weint von neuem. 



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280 



Ein Kacheakt 



So sitzt der gute, lange Kerl starr und steif unter dem niedrigen Schutz- 
dach, aus Besorgnis, er könne das Kind wecken, das die dicken 
Armchen um seinen Hals geschlungen hat und fest schläft. So sitzt 
er noch nach einer halben Stunde. Die Beine schlafen ihm ein, aber 
er rührt sich nicht. Von der Nachtkühle erweckt, wird die nackte 
Kleine unruhig, und Schmidt ist verzweifelt, bis ein Kobeua-Ruderer 
dem Kinde zuspricht: „Obähako mipakö daibi!" („Weine nicht, dein 
Onkel kommt!") Lange nach Sonnenuntergang kommen wir in Namocoliba 
an. Schmidt trägt sein Pflegetöchterchen, das sich wieder fest an ihn ge- 
klammert hat, hinauf in die Maloka. Als die Weiber es nehmen wollen 
schreit es fürchterlich, bis sein Onkel kommt. 

Noch spät in der Nacht geht Schmidt mit unserer Laterne im 
Haus herum, leuchtet in jede Wohnungsabteilung hinein — besonders 
bei den jungen Ehepaaren — und sagt unter immer wieder erneutem 
Jubel auf Kobeua „Gutenacht u : „Naina haläuö!* — 

Zwei Tage später gibt 01a, der jüngere Bruder des Häuptlings, 
ein kleines Kaschiri. Unter den Gästen, Koroa und Kobeua, befindet sich 
ein Mialaua, ein kräftiger Kerl mit wildem Gesicht, von einer kleinen 
Horde mit Kobeuasprache, nur vier Familien, die unterhalb der Yuru- 
pary-Cachoeira eine Maloka bewohnen. Er erzählt mir treuherzig, 
daß er einer der Indianer sei, die wenige Monate vorher einige Colom- 
bianer an der Yurupary-Cachoeira erschlagen hätten, nachdem diese 
zuerst einen Kobeua erschossen, Weiber weggenommen und verge- 
waltigt haben. Seinem Bruder hätten die Colombianer bei dieser 
Gelegenheit eine Kugel durch den Arm geschossen. Er sei noch krank. 

Nachmittags, als sich die Stechmücken ein wenig verzogen haben, 
setzen wir uns vor das Haus und zechen dort weiter. Ich will dem 
Häuptling, der neben mir auf einem Schemel sitzt, eine Kalabasse 
mit Kaschiri kredenzen und tue dies nach der Sitte der Aiary-Indianer, 
indem ich unter w Ma-ma-ma-ma u -Geschrei mit eingeknickten Knien 
in Schlangenlinien auf ihn zulaufe. Er nimmt die Kalabasse nicht an. 
bis ich zuerst daraus getrunken und sie dem Gastgeber zurückgegeben 
habe, der sie ihm dann zum Trinken reicht. Offenbar habe ich einen 
groben Verstoß gegen die Etikette begangen ; aber man belacht meinen 
Witz mehr, als er es verdient. 

Sonst ist die Unterhaltung ebenso langweilig, wie überall am 
Caiary-Uaupes bei einem kleinen Kaschirifest. Mit eintöniger Stimme er- 
zählt einer, während die anderen stets die Schlagwörter drei- bis viermal 
in erstaunt fragendem Tone wiederholen oder unzählige Höflichkeits- 



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Essbare Ameisen 



281 



phrasen dazwischenwerfen, wie: „AkÖlö mökali! Akölö mökali mami!" 
(„Was du da sagst! Was du da sagst, mein Bruder ! u ) oder auch 
„Ali ökali, alu kali" („Nun da, nun jetzt«), „käpatediyä, käpatedimä" u. a. 

Beim „Austreten" melden sie es jedem einzelnen mit derselben 
Gewissenhaftigkeit und Deutlichkeit, wie es am Tiquie die gute Sitte 
gebietet. 

Dieser Etikette unterwirft man sich auch im alltäglichen Leben. 
Geht einer auf die Jagd, zum Fischen, zum Baden oder auch nur zum 
Holzholen, so teilt er es den anderen kurz mit. Geht die Frau morgens 
auf die Pflanzung, so sagt sie zu den Zurückbleibenden der Reihe nach : 
„Jetzt gehe ich auf die Pflanzung." „Gehe!" erwidern diese. Jeder, 
der von irgendeiner Beschäftigung außerhalb der Maloka nach Hause 
kommt, wird von jedem einzelnen der Anwesenden der Reihe nach mit 
„Du kommst?" begrüßt. Die Antwort lautet: „Ich komme." Ebenso 
sind Begrüßung und Antwort, wenn Gäste in einer Maloka ankommen. 

Noch vor Einbruch der Dunkelheit ist das Kaschiri zu Ende. Zum 
Zeichen dafür badet der Gastgeber im Fluß und wäscht sich die fest» 
liehe Bemalung vom Gesicht. Mit den einfachen Worten : „Ich will 
schlafen gehen" verabschieden sich die Gäste von jedem einzelnen 
ihrer Wirte, worauf diese antworten: »Geh' schlafen!", und der Bier- 
abend ist beendet. 

Eines Abends kommt einer in das Haus gelaufen und ruft, die 
Blattschneide- Ameisen seien am Ausfliegen, was man schon seit Tagen 
erwartet hat. Früh Tor Sonnenaufgang ziehen fast alle Bewohner aus, 
um die Tiere zu fangen. Man hat über dem Nest ein niedriges Gerüst 
errichtet, auf das sich die Indianer stellen, um von den wütenden 
Ameisen nicht gebissen zu werden. Mit Fackeln verbrennen sie den 
auskriechenden Tieren, bevor sie auffliegen können, die langen Flügel 
und raffen sie dann so rasch, wie möglich, in Körbe und Blattüten. 
Während der nächsten Tage gibt es zum Frühstück pikante belegte 
Brötchen, Maniokfladen mit gerösteten und zusammen mit spanischem 
Pfeffer und Salz fein zerstoßenen Ameisen, die uns allen ausgezeichnet 
schmecken. 

Am 6. Oktober fährt Schmidt nach Tuibö und kommt am folgenden 
Abend mit der ganzen Mannschaft zurück. Sie vollführen am Hafen 
einen Höllenlärm, so daß die Weiber schon fürchten, es seien Colom- 
bianer, bis einer meldet: „Nomitakä daibi!" („Weiberaffe kommt!") 
Schmidts Spitznamen vom Tiquie* „Nomio-achkä", den ich den Eobeua 
verraten habe, haben sie sofort mit Vergnügen adoptiert und in ihre 
Sprache übersetzt. 



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282 



Der Caiary-Uaupes oberhalb des Cudaiary 



Leider verläßt mich Jose^Kadyu, der mir gute Dienste geleistet 
bat. In einem plumpen Boot, das er sich in Surubiroca gekauft 
hat, fahrt er flußabwärts, um seine Schulden zu bezahlen. 

Am 9. Oktober nehmen auch wir Abschied von unseren freund- 
lichen Wirten und setzen unsere Reise caiary aufwärts fort. 

Auf der ganzen langen Strecke vom Cuduiary bis zur Yurupary- 
Cachoeira sind nur noch drei im Vergleich zu den anderen unbedeu- 
tende Schnellen zu überwinden. Schön gewellte, mittelhohe Gebirgs- 
ketten, aus deren Waldesgrün mächtige Felsen hervorragen, begleiten 
nahe herantretend den Fluß zu beiden Seiten und weisen ihm seinen 
vielfach gewundenen Lauf an, gewähren aber auch angenehme Ab- 
wechslung, die noch erhöht wird durch das erklärende Geplauder 
meiner Kobeua-Ru derer, die diese blauen, geheimnisvollen Höhen mit 
den Gestalten ihrer Stammessage bevölkern. Häufig sind es keine 
verschiedenen Ketten, wie man nach den Angaben der Indianer und 
den vielen Namen, die diese ihnen beilegen, annehmen sollte, sondern 
längere Höhenzüge, die durch schmale Täler in einzelne Teile geschieden 
sind. Besonders hervorzuheben durch ihre Höhe und ihre Bedeutung 
sind auf dem rechten Ufer die Makölami (Ararahaus), auf die die 
Eobeua das Seelenjenseits ihres Stammes verlegen, die etwas landein- 
wärts verlaufende, nach Osten schroff abfallende, lange Kette K o h i d i 
pädäba und die Taku, das Jenseits der Maskenseelen und die 
Heimat einiger Dämonen. Sie bildet mit dem Fluß nach Westen zu 
einen spitzen Winkel. Für jeden ihrer zahlreichen Felsen haben die 
Kobeua einen besonderen Namen, der meistens das Wort für Masken- 
baststoff (taro) oder Maskenanzug (takahä) enthält. 

Unzählige kleine Waaserläufe rinnen von diesen Höhenzügen zum 
Caiary, aber auch größere Zuflüsse, die von weiter landeinwärts ziehenden 
Gebirgsketten kommen, ergießen sich von beiden Seiten in den Haupt- 
strom, so von links der Cubiu- und kurz darauf der Puranga-Parana, 
von rechts der Dyi-, Miriti-, Tui- und Ti-Igarape, sämtlich mit schwarzem 
Wasser. In den dunkelbraunen Miriti-Igarape* mündet ein Bach mit 
weißem Wasser; eine auffallende Erscheinung, die ich mehrfach be- 
obachtet habe. 

Die Bevölkerung ist sehr schwach und gehört teils kleinen, niedrig- 
stehenden Horden mit Kobeuasprache an, teils besteht sie aus vor- 
geschobenen Posten der Uaiana und anderer sprachverwandter Stämme 
des oberen Papury, der vom Oberlauf der rechten Zuflüsse aus auf 
mehr oder weniger kurzen Überlandwegen zu erreichen ist. Am Dyi- 
Igarape, der vierzehn Stromschnellen habe, gebe es drei Malokas der 



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Spiele nicht mit Schießgewehr 283 

Uaiana. Ihre Sprache gehört zur Tukanogruppe und ist dem Tuyuka 
näher verwandt. 

Früher sei die Bevölkerung an dieser Strecke des Caiary viel 
stärker gewesen, aber aus Furcht vor den Colombianern, die Leute 
mit Gewalt fortgeschleppt hätten, seien die Indianer weit weg in das 
Quellgebiet der größeren Nebenflüsse und bis zum Papury geflohen. 
In der Tat treffen wir eine Reihe verlassener Malokas. Selbst die 
Bewohner des Cuduiary hätten sich beim ersten Besuch der Kaut- 
schuksammler zeitweise auf die Pflanzungen und in die Wälder ge- 
flüchtet. 

Am ersten Tag der Fahrt machen wir frühzeitig Rast bei einer 
Maloka, die mit ihrer reichbemalten Vorderseite auf dem hohen linken 
Lehmufer weithin sichtbar ist. Die Bewohner gehören zur Kobeua- 
borde der Pialaua. Gegen Abend — ich bin gerade im Begriff, 
die üblichen Malereien auf den beiden mittleren Hauspfosten abzu- 
zeichnen — erschallt vom Hafen her ein donnernder Schuß. Er kann 
nur aus meinem Jagdgewehr kommen , da die leichten Vorderlader, 
die ich meinen Indianern überlassen habe, mit ihrem kleinen Kaliber 
nur eine schwache Ladung aufnehmen. Ahnungsvoll laufen wir hin. 
Im Boot sitzt verlegen lächelnd mein Pilot, der Häuptling von Suru- 
biroca, in der Hand meine Doppelflinte, aus deren einem Lauf der 
Rauch langsam entweicht. Nicht weit davon entfernt steigt ein Knabe 
aus dem Fluß und schüttelt sich wie ein Jagdhund. Die Sache ist 
noch gnädig abgegangen. Der Häuptling hat den Hiesigen die Waffen 
zeigen wollen, darunter auch meine Jagdflinte, die er natürlich nicht 
kannte. Dabei hat er beide Hähne aufgezogen ; einer ist zugeschnappt, 
und der Schuß zum Glück, ohne jemand zu treffen, in den Wald 
gegangen. Der Knabe war nach dem Schuß vor Schrecken in den 
Fluß gesprungen. Der stolze Häuptling ist selbst nicht wenig er- 
schrocken und beschämt über seine Missetat, besonders als ich ihn 
mit energischen Worten zurechtweise. 

Am nächsten Mittag halten wir bei einer Maloka an der Mündung 
des Dyi-Igarape, um einige Körbe Maniokgrütze zu kaufen. Ein Uaiana, 
der hier unter den Utiuaiua (Wespen- Indianern), einer Horde der 
Kobeua, lebt, spricht gut portugiesisch, stottert aber fürchterlich. Er 
ist schon als Heizer auf einem brasilianischen Dampfer bis Maranhao 
gekommen und scheint alle Fehler der europäischen Zivilisation an- 
genommen zu haben. Zuerst erzählt er uns alle möglichen Schauer- 
geschichten von den Colombianern, ist aber dann mit seiner Bezahlung 
nicht zufrieden und schreit, als wir abfahren, wir seien nichts wert, 



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284 



Uasöna-Indianer 



„schlechter als Colombianer", die in dieser Gegend als der Inbegriff 
aller Gemeinheit zu gelten scheinen. Erst als ich meine Winchester- 
büchse langsam unter dem Bootsdach hervorhole, reißt er schleunigst aus. 
Kaum sind wir außer Hörweite, da halten meine Leute das Boot an 
und beginnen, heftig auf den Burschen zu schimpfen und sein Stottern 
nachzuspotten. „Der Uauadyö (Stotterer) sei wegen seiner Unver- 
schämtheit am ganzen Flusse bekannt. Wir hätten ihn an einen 
Baum binden und durchprügeln sollen u , usw. Es war mir schon auf- 
gefallen, daß mein Pilot kaum ein Wort mit dem Kerl sprach. Der 
Zwischenfall war ihm offenbar sehr unangenehm. 

Die Nacht zum 12. Oktober verbringen wir am Manapialia, einem 
Nebenbach zur Rechten mit schwarzem Wasser, voll Fische und kleiner 
Alligatoren. Zwei kleinere Häuser sind hier von Uasöna (Fisch- 
netz-Indianern) bewohnt, deren Hauptsitz wiederum am oberen Papury 
ist. Viele von ihnen sind unter Mittelgröße, von zierlichem Körper- 
bau. Mit ihren länglichen, schmalen Gesichtern unterscheiden sie sich 
sehr von den Kobeua und ähneln mehr den Uaiana und dem feineren 
Typus der Tuyuka am oberen Tiquie\ Fast alle sind mit schwarzer 
Hautkrankheit behaftet. Selbst kleine Kinder leiden an diesem häß- 
lichen Übel. Ein Alter hat stark geschwollene und vereiterte Beine. 

Die Sprache ist dem Uaiana eng verwandt, wie auch mein Gewährs- 
mann betont, aber weicher als dieses. Sie ist hier dem baldigen Unter- 
gange geweiht. Diese wenigen Leute, die mit ihren Stammesgenossen 
nur noch einen losen Verkehr unterhalten, sind mit Kobeuaweibern 
verheiratet und von Stämmen umgeben, die ausschließlich Kobeua 
sprechen. Sie vergessen allmählich ihre eigene Sprache, die sie nicht 
mehr gebrauchen, und nehmen dafür das Kobeua an. So weiß mein 
Gewährsmann schon manche Wörter nicht mehr und muß sich bei 
anderen, besonders bei alten Leuten, Rat holen. 

Wir lassen uns von den Weibern Schikitaya bereiten. Roter 
Pfeffer, den man auf der Herdplatte geröstet hat, wird zu Pulver 
gestoßen und mit Salz gemischt, als scharfes Gewürz für die Speisen. 
Der Pfefferstaub verbreitet sich während der Arbeit in der ganzen 
Maloka, und alles niest und hustet, als wenn plötzlich eine Influenza- 
Epidemie ausgebrochen wäre. 

Als wir am folgenden Tag bei einem kleinen Haus an der Mündung 
des Cubiu-Parana frühstücken, machen sich zwei meiner Ruderer, 
Bahuna, mit Zurücklassung ihrer Hängematten heimlich davon. 
Es ist das erstemal, daß mir Leute weglaufen. Sie haben es, wie 
ich erfahre, nur getan aus Furcht vor den Oolombianern und allen 



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Ausreißerstimmung 



285 



anderen Schrecknissen, die sie am oberen Caiary erwarten. Offenbar 
wollen sie den Fußpfad benutzen, der vom Cubiu-Parana eine Tage- 
reise aufwärts zum Cuduiary führt. In dieser Gegend des Cubui- 
Parana lägen drei Kobeua-Häuser, und der Oberhäuptling des ganzen 
Kobeua-Stamme8 habe dort seinen Sitz. 

Am Puranga-Parana sollen drei Umaua sein. Ich sende deshalb 
den Pilot und einen Bahuna flußaufwärts voraus zur nächsten Maloka, 
um uns anzumelden, und lasse an der Mündung das Lager aufschlagen. 
Wir verbringen eine unruhige Nacht. Das böse Beispiel scheint an- 
steckend zu wirken. Es herrscht eine wahre Ausreißerstimmung. Die 
Leute sitzen bedrückt umher und geben auf Schmidts Späße gar nicht 
mehr ein. Besonders ein junger Uaiana, der ein wenig portugiesisch 
spricht, und den wir zum Koch ernannt haben, klagt über die „Maletta" 
(Malaria), die oberhalb Yurupary-Oachoeira herrsche. Ich bin froh, 
als am nächsten Morgen keiner fehlt. Wir fahren den ansehnlichen 
Zufluß aufwärts und gelangen in wenigen Stunden zur ersten Maloka, 
einem nach allen Seiten offenen Schuppen voll Menschen, so daß wir 
kaum Unterkommen finden. 

Die Bewohner nennen sich Ihoädouö. In alter Zeit seien sie 
„Maku" gewesen, sagt mein Pilot, jetzt seien sie „mira", d. h. „Leute, 
Menschen w , und sprächen nur Kobeua. Die ganze Wirtschaft macht 
noch einen sehr primitiven Eindruck. Sie bewillkommnen uns mit 
linkischem Handschlag und dem Kobeuagruß: „Dakölö manu?" („Du 
kommst, Bruder?"), worauf ich der Sitte gemäß erwidere: „Dauö 
mami, — pakö, — kibö, — pako!" („Ich komme, Bruder, — Vater 
oder Onkel, — Schwester, — Mutter oder Tante! 44 ), je nachdem es 
ein jüngerer oder älterer Mann, eine jüngere oder ältere Frau ist. 
Die Männer sind nur mit der Bastbinde bekleidet, die Weiber mit 
Bastschürzchen oder vollkommen nackt. Das Haupthaar tragen sie 
lang, frei herabfallend und in der Mitte gescheitelt. Bei den Männern 
ist das sehlichte Haupthaar etwa in der Mitte der Stirn und im Nacken 
horizontal geschnitten. 

Von der armseligen Gesellschaft ist nicht viel zu erwerben. Ein 
Bündel Giftpfeile stammt von den Umaua; ebenso ein Töpfchen mit 
starkem Curare, das mein Pilot für ein Messer kauft. 

Am folgenden Abend kommen die Umaua mit ihren Weibern. 
Einer meiner Bahuna hat sie von der nächsten Maloka geholt. Es ist 
ein prächtiges Bild, als die drei hohen Gestalten, vom flackernden 
Licht der Feuer unsicher beleuchtet, plötzlich aus dem Waldesdunkel 
hervortreten. In einiger Entfernung vom Hause bleiben sie hinter- 



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286 



Die Hianakoto 



einander stehen. Zwei tragen kurze, schwere Keulen aus rotem Holz 
auf der Schulter ; der Vorderste stützt sich auf eine neue Jagdflinte. 
Der Häuptling der Ihoädouö begrüßt sie in längerer Ansprache, die 
von einem Umaua, der gut Kobeua spricht, ebenso erwidert wird. 
Dann hocken sie sich auf die herbeigebrachten Schemel und essen 
gekochtes Alligatorfleisch, das der Hausherr ihnen in einem Schüsselchen 
mit der einfachen Einladung: „Hiabö!" („Kaiman!") vorsetzt. Er hat 
das Tier nachmittags mit einem Fischpfeil, Schuß ins Auge, erlegt. 

Ich verhandele sofort mit ihnen. Zwei, Kauanamu und Kaui- 
ii m u , willigen ein, mich zu begleiten, nachdem ihnen mein Pilot wieder- 
holt versichert hat, daß sie unter meinem Schutze von den Colombianern 
nichts zu befürchten hätten. Der dritte, Uäketimu, will bei den Frauen 
zurückbleiben. Ihre Besorgnis bat einen guten Grund. Die Kaut- 
schuksammler haben zuerst ihre Maloka am Macaya überfallen, einige 
ihrer Stammesbrüder erschossen und Weiber und Mädchen mit sich 
geschleppt. In gerechtem Zorn über diese Greuel unternahmen diese 
drei vor wenigen Monaten einen Rachezug zum oberen Caiary und 
erschlugen vier Colombianer, denen sie im Walde begegneten. Kaui- 
limu trägt, neben anderen Kriegsnarben, von diesem Kampf eine 
fürchterliche, schlecht verheilte Narbe an seinem Leib, die von einem 
Hieb mit dem Waldmesser herrührt. Als Beutestücke fuhren sie zahl- 
reiche europäische Sachen mit sich. 

Meine drei Umaua gehören zum Stamme der Hianakoto. Zwei 
der Frauen sind Kobeua; die dritte ist eine Tsahatsaha, von einem 
anderen Karaibenstamme. Sie ist völlig nackt, von zierlicher Gestalt, 
mit hübschem, rundem Gesicht, leider am ganzen Körper mit schwarzer 
Hautkrankheit bedeckt. 

Am 1 7. Oktober fahren wir mit neun Mann weiter. Unsere Aus- 
reißer haben wir hier gut ergänzen können. Außer den beiden Umaua 
sind noch zwei Ihoädouö hiüzugekommen. 

Wenn mehrere Indianer in einem Boot rudern, so tun 6ie dies 
stets in strengem Takt. Es gibt verschiedene Taktarten, die ver- 
schiedene Benennungen führen, und mit denen die Ruderer von Zeit 
zu Zeit abwechseln. 

Zwei Mann fahren in einem leichten Kanu jeden Morgen mehrere 
Stunden voraus, um zu jagen und zu fischen und uns gegen Mittag 
an einem geeigneten Rastplatz mit der Beute zu erwarten. An der 
Mündung des Tui-Igarape haben diese beiden ein aufregendes Aben- 
teuer. Auf der Jagd nach einem Hokko begegnet ihnen im Uferwald 
ein großer Jaguar. Der junge Koroa springt in seiner Angst in das 



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Yurupary-Cachoeira 



287 



Kanu und stößt ab. Der andere schießt aus nächster Nähe dem Tier, 
das zum Sprunge kauert, eine Ladung Schrot in die Flanke, worauf 
es laut brüllend sich im Walde verliert. Der ängstliche Jüngling 
erntet natürlich reichlichen Spott und wird ganz rot yor Scham. 

Am Nachmittag des 21. Oktober erreichen wir die gewaltige Yuru- 
pary-Cachoeira. Ihr Fall ist 20 m hoch, höher als der Absturz der 
Caruru-Cachoeira des Tiquie\ teilt sich aber in einzelne Stufen. Auch 
bei niedrigem Wasserstande, wie jetzt» bietet der Katarakt bei der 
Breite des Flusses ein erhabenes Schauspiel. Bei Hochwasser muß es 
ein überwältigender Anblick sein. Auf den flachen, von den stets an- 
stürmenden Wogen vielfach unterwaschenen Felsen des linken Ufers 
zeigt mir der Pilot die Stelle, wo seine Verwandten zwei Colombianer 
erschlagen haben, einen Weißen und einen Miranya-Indianer. 

Die Colombianer hatten einige Kobeua zum Ruderdienöte gepreßt. 
Während zwei der Kautschuksammler das Boot über den Fall brachten, 
wollten die beiden anderen das Frühstück bereiten. Sie schickten die 
Indianer fort, Brennholz zu holen. Diese fielen aber aus dem Busch 
heraus über die Nichtsahnenden her. Der eine, der gerade Feuer 
anzündete, wurde mit einer breiten Eisenlaoze, die man sonst zur Jagd 
auf Jaguare und Wildschweine verwendet, an den Boden geheftet; 
den anderen erschossen sie mit seiner eigenen Flinte. Die beiden 
Uberlebenden Hohen entsetzt. 

Auf den Felsen liegen Menschenknochen, von Raubtieren zerstreut, 
umher, darunter ein starker Beinknochen, an dem noch Muskelfetzen 
hängen. Hoch in den Lüften ziehen einige Aasgeier ihre majestätischen 
Kreise, die südamerikanische Sanitätspolizei, die immer da ist, wo es 
etwas Derartiges zu holen gibt. Meine Leute sind auf einmal still 
geworden und machen keine Anstalten, das Lager aufzuschlagen. „Hier 
wollen wir nicht schlafen," sagt der Pilot, „hier gehen Gespenster um!" 
Selbst die tapferen Umauakrieger äußern offen ihre Furcht vor den 
Geistern der Erschlagenen. Was will ich machen ? Ich lasse wieder 
einladen und zum rechten Ufer fahren, wo wir auf der vorspringenden 
Felsecke die Nacht verbringen, durch die Breite des Flusses sicher 
getrennt von den Gespenstern. Vom Gebtisch verdeckt findet sich 
hier eine geräumige Felsgrotte, ein guter Zufluchtsort vor Regen. 

In der Nähe fischen fremde Indianer auf einigen kleineren Giraos. 
Es sind Tchidua und ein junger U tiua, ein Zauberarzt, der unter 
diesen lebt, Bewohner des Ti-Igarape. 

Mein Pilot klagt über Schmerzen im Rücken und in den Beinen 
und läßt sich im Mondschein von dem fremden Zauberarzt behandeln. 



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288 



Der Caiary-Uaupes oberhalb der Yurupary-Cachoeira 



Es ist dasselbe Bestreichen, Bepusten, klatschende Saugen, wie überall. 
Nach jedem Akt geht der Zaaberarzt feierlichen Schrittes an den Strand, 
steht eine Zeitlang da und wirft dann die Krankheitsmaterie weit weg, 
indem er reinigend über die Hände bläst. 

Am nächsten Morgen sind alle Leute sehr niedergedrückt, auch 
der sonst so energische Häuptling, dem die nächtliche Kur offenbar 
nicht geholfen hat. Er erklärt mir, wir hätten nicht genug Maniok- 
grütze für die weite Reise; sie wollten lieber umkehren, als unterwegs 
Hunger leiden. Ich stelle ihn energisch zur Rede und sage ihm, ich 
hätte nicht gedacht, daß er ein solcher .Pitua" (Feigling) wäre. Das 
hilft. Er sieht mich zuerst wild an, wendet sich aber dann zu der 
Mannschaft und übernimmt mit einem lauten „Halika!" («Vorwärts ! u ) 
wieder die Führung. 

Es kostet nicht geringe Anstrengungen, das schwere Boot über 
die hohen Felsenstufen zu schaffen, die letzte gewaltige Schranke in 
diesem wilden Fluß (Taf. VIII). 

Auf einem flachen Felsen finden wir zahlreiche Vertiefungen, an- 
scheinend vom Wasser ausgespült, die in der Tat menschlichen Fuß- 
spuren ähneln. Es seien Fußtapfen von Utiuania, die in alter Zeit 
dort gewohnt hätten, sagen die Indianer. 

Eine kurze Biegung oberhalb des Falles verbreitert und verflacht 
sich der Caiary-Uaupes so sehr, daß man ihn bei niedrigem Wasser- 
stande durchschreiten kann, und bildet die harmlose Pacaräo- oder 
Yui-Cachoeira (Froschschnelle). Vom rechten Ufer aus sei es nicht 
weit bis zum Arararuaya-Igarape, einem linken Zufluß des oberen Pira- 
Parana, so daß das Flußsystem des Yapura hier nahe heran tritt. 
Oberhalb dieser letzten Schnelle bis zum westlichsten Punkt, den wir 
erreicht haben, fließt der Caiary träge mit weißlichem, an manchen 
Stellen fast stagnierendem Wasser dahin, bald in unendlich langen, 
geraden Strecken, bald in unglaublich verdrehten Windungen, die bis- 
weilen in sich selbst zurückzukehren scheinen. Wir kommen nach 
stundenlanger Fahrt wieder so nahe an die Yurupary-Cachoeira heran, 
daß ihr Brausen einen neuen Katarakt vortäuscht. Der Fluß ent- 
hält nur wenige Inseln. Beide Ufer tragen Hochwald oder niederen, 
lichten Wald. Außer zahllosen kleinen Rinnsalen nimmt er an 
ansehnlicheren Zuflüssen auf von rechts den Arararuaya-Igarape, 
der mit dem gleichnamigen linken Zufluß des oberen Pira-Parana 
nicht zu verwechseln ist, und den kleineren Matapy-Igarap£, von links 
den Caruru-Igarap«' , den Abacate-Parana und den Uaracu-Igarape. 
Sämtliche Zuflüsse führen schwarzes (dunkelbraunes, klares) Wasser, 



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Tafel IX 




Reichtum an Wild und Fischen 



289 



das beim Stehen, im Gegensatz zu dem weißlichen Wasser des Haupt- 
Stromes, keinen Satz absondert und von den Indianern als gesund 
bezeichnet wird. Der Carum -Igarape sei so breit und groß wie der 
Cuduiary und entspringe, ebenso wie der Cubiu- und Puranga-Parana, 
in der Nähe seiner Quelle auf demselben hohen Gebirge. Durch diese 
entlegenen Gegenden streife ein Makustamm, die Takaliua, wie die 
Kobeua sie nennen. Vom Oberlauf des Caruru-Igarape* führe über 
Grasland bis zum Cuduiary ein Fußpfad, der die beiden anderen 
Zuflüsse schneide. Auch der Abacate-Parana stehe dem Cuduiary an 
Größe nicht nach. Oberhalb des Abacate wird der Caiary auffallend 
schmäler. Auf beiden Seiten steht der Fluß mit einer Anzahl von 
Schwarzwasserseen in Verbindung, unter denen der Widi-Lago und 
der Uarua-Lago zur Rechten die bedeutendsten sind. 

Auf dieser ganzen Strecke gibt es heute keine seßhaften Indianer. 
Die Lebensbedingungen sind zu ungünstig, da die beiden meist 
niedrigen Ufer bei Hochwasser vielfach der Überschwemmung ausgesetzt 
sind und sich daher zum Anbau nicht eignen. Nur auf dem linken 
Ufer finden wir die Reste von zwei Malokas. Angeblich haben die 
Colombianer das erste Haus, dessen Bewohner der kobeuasprechenden 
Horde der Böoiboa angehörten, niedergebrannt und einige Weiber und 
Männer mit sich geschleppt. Die übrigen sind an den oberen Abacate- 
Parana geflohen. Das zweite Haus, das von Bialidoa bewohnt ge- 
wesen war, hat man offenbar wegen fortgesetzter Todesfälle verlassen. 
Wir sehen darin mehrere Gräber. 

Diese menschenleeren Gebiete des oberen Caiary sind außerordent- 
lich reich an Wild und Fischen. Uberall hört man das eintönige 
Brummen des Mutum de vargem (Hokko), den schon etwas melodi- 
scheren Ruf seines Verwandten, des Urumutum. Scharen der verschieden- 
artigsten Affen schwingen sich auf den Uferbäumen vou Ast zu Ast und 
beleben mit ihren possierlichen Sprüngen und ihrem Geschrei zeitweise die 
Stille der einförmigen Landschaft. Neugierig und fast ohne Scheu 
äugen sie auf die fremde Erscheinung der Menschen herab. Hier und 
da huscht das Cujubim durch die Zweige, ein zierliches Baumhuhn, 
dessen Wildbret zu gewissen Zeiten des Jahres kein anderes an Zart- 
heit und Geschmack gleichkommt. Auch der Tapir tritt an manchen 
Stellen zahlreich auf, besonders an der PacarAo-Cachoeira, wo auf 
beiden Ufern seine tief ausgetretenen Pfade kreuz und quer den Wald 
durchziehen. Die weiten Buchten und Seen sind der Tummelplatz 
zahlloser Pirahiba, Sorubim, Pacu und des schöngezeichneten Tucunare, 
dem unter den Fischen Nordwestbrasiliens die Palme gebührt. An 

Koch-« riinberg, Zwei Jahre bei den Indianern 19 



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290 



Giftschlange Surucocn 



den Mündungen der Nebenbäche wimmelt es von gefräßigen Piranya. 
Schmidt und ich fangen an einer Stelle in einer halben Stunde vierzig 
Stück. Wir wagen nicht, die Hand in das Wasser zn stecken, 
geschweige denn zu baden. Ein paar Kalabassen voll Wasser, über 
den Körper geschüttet, geben uns die notwendige Erfrischung. 

Eines Nachts wird Schmidt, als er beschaulich angelnd auf dem 
Schutzdach des Bootes sitzt, von einer mächtigen Pirahiba von dreißig 
bis vierzig Pfund beinahe in das Wasser gezogen, was ihm wegen 
der vielen Piranya übel bekommen wäre. Trotzdem lässt er die Leine 
nicht los und ruft laut um Hilfe, bis wir kommen, den Tapferen 
aus seiner peinlichen Lage erlösen und die schwere Beute einziehen. 

Es sind zum Teil andere Arten von Fischen, die sich unterhalb 
des Yurupary-Falles nicht finden, ebenso wie die dortigen Fische, 
außer Pacu, Piranya und Pirahiba, die die Abstürze passieren sollen, 
oberhalb nicht vorkommen. 

Eine Abwechslung in der Speisekarte und zugleich nahrhafte Kost 
gewähren uns die weißen, kugelrunden Eier der Matamata (Chelys 
fimbriata), einer abschreckend häßlichen Schildkröte, die sich in Nestern 
von zwanzig und mehr Stück in den Lehmufern finden. Beim Suchen 
der Eier hätte einer meiner Leute, der Koch, beinahe sein Leben ein- 
gebüßt. Er war an der steilen Uferwand in die Höhe geklettert und 
wollte sich an dem oberen Rande festhalten, um mit der freien Hand 
die Eier auszugraben. Zu seinem Entsetzen ergriff er eine Schlange, 
die hier ebenfalls nach Schildkröteneiern suchte. Es war eine Surucucu, 
der furchtbare Buschmeister (Lachesis muta L.) die einzige Giftschlange 
des tropischen Südamerika, die, ohne gereizt zu sein, den Menschen 
angreift. Glücklicherweise hatte er sie unmittelbar hinter dem Kopf 
gefaßt, so daß sie nicht beißen konnte, und schleuderte sie weit in 
den Fluß hinein. Ganz fahl und zitternd kam er im Lager an. 

Das Wetter, das in der ersten Zeit nach unserer Abreise vom 
Cuduiary recht schlecht war und fast jeden Tag heftige Gewitter mit 
darauffolgendem langsamem Regen brachte, wird allmählich besser. 
Der Sommer naht. Besonders die Nächte sind herrlich, bisweilen frei- 
lich empfindlich kühl. Bei dem klaren Mondschein brechen wir meistens 
schon um drei oder vier Uhr nachts auf und kommen bei der frischen 
Luft auf dem ruhigen Fluß, der keine tückischen Klippen birgt, rasch 
vorwärts. Seit Yurupary-Cachoeira fehlen die lästigen Tagesstech- 
mücken. 

Am Puranga-Parana hat sich eine Indianerfamilie uns angeschlossen, 
die in unserem Schutze bis zum Caruru-Igarape, ihrer Heimat, reisen 



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Indianerfamilie auf Reisen 291 

will, ein älterer Herr mit stets lächelndem Faltengesicht nebst Frau 
und drei Kindern. Ihr Kanu bietet während der Fahrt einen köst- 
lichen Anblick. Das kleine Fahrzeug ist voll bepackt mit allem mög- 
lichen Indianerkram, großen, runden Tragkörben, flachen Körben und 
Sieben und anderem Wirrwarr, so daß es mit seiner Besatzung nur 
wenig über Wasser geht. Ganz vorn am hochstehenden Bug hockt 
zusammengekauert — man merkt es ihm an, daß ihm die Sache höchst 
ungemütlich ist — ein gelber Köter und schaut unverwandt nach 
seinem Herrn, der den Vorruderer macht. In der Mitte paddeln die 
beiden Töchter im Alter von etwa zehn und sechs Jahren, und im Heck 
steuert die Frau, die den im Gesicht rot beschmierten Säugling quer 
über dem Schoß liegen hat, so daß er sich von Zeit zu Zeit bequem 
Beine Nahrung holen kann. — So machen diese Indianer tage-, ja 
wochenlange Reisen. 

Eines Tages lagern die Leute unter einer alten Schutzhütte im 
Wald, als plötzlich das kleinste Kind, das auf dem Stroh umher- 
kriecht, laut aufschreit. Ein Skorpion hat es an den Geschlechtsteil 
gestochen. Die Mutter macht sich nicht viel daraus und klopft nur 
ein paarmal auf die wunde Stelle, worauf sich das Kindchen beruhigt. 
Bald aber bekommt es heftiges Erbrecheu. Schmidt gibt ihm starkes 
Salzwasser zu trinken und kuriert es damit in kurzer Zeit. 

Als uns die Familie am Caruru-Igarape verläßt, erfaßt meine 
Leute wieder das Heimweh. Sie wollen über den Fußpfad nach Hause. 
Nur mit schlauen Überredungskünsten gelingt es mir, sie auch über 
diesen letzten gefährlichen Punkt hinwegzubringen. Unsere Maniokgrütze 
wird immer knapper und muß jedem einzelnen in bestimmten Rationen 
zugemessen werden. Ein Ruderer hat starke Dysenterie, wohl infolge 
des weißen Flußwassers, und liegt ganz matt unter dem Bootsdach. 
Ein paar andere, auch der Pilot, leiden an Erkältung. „Yalanai 
molo kulakenai!" („Der Weißen Katarrh ist sehr schlecht! 44 ), sagen 
die Umaua, die wie die meisten Indianerstämme glauben, daß der 
Katarrh ihnen von den Weißen gebracht sei. 

Am 29. Oktober hören wir flußaufwärts zwei Schüsse fallen. Die 
Colombianer sind nahe. Wir verbergen die Beutestücke meiner Umaua 
im Wald und beziehen frühzeitig Lager, um nicht in der späten Tages- 
stunde an der Niederlassung anzukommen. Als wir am nächsten Morgen 
um eine Ecke biegen, liegt diese vor uns auf dem hohen linken Ufer ; 
einige kleine Palmstrohhütten, ein offener Schuppen, eine neue Maniok- 
Pflanzung. Die beiden Umaua setzen rasch zwei alte Hüte von uns 
auf und ziehen die Krempe tief in das Gesicht. Zwei Weiße erwarten 



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292 Kl " peinlicher Augenblick 

* 

uns am Hafen, nialariagelbe , wenig vertrauenerweckende Gesichter; 
der eine schielt auf einem Auge ; Zierden für ein Verbrecheralbum. — 
Sie sind sehr erstaunt über unser plötzliches Erscheinen, bis wir uns 
vorstellen, und ich ihnen einen Empfehlungsbrief von Thomas Rois in 
Ipanore an einen ihrer Führer, Manuel Olarte, übergebe. Don Manuel 
sei nicht da, sondern in einer anderen Niederlassung flußaufwärts. 
Sie erkundigen sich eifrig nach Don Raphael, den sie schon lange er- 
warten. Wir können ihnen keine Auskunft geben. Meine Frage, ob 
sie uns Maniokgrütze ablassen könnten, verneinen sie. Sie hätten 
selbst keine. Freilich sehen sie auch recht verhungert aus. — Man 
traut uns nicht trotz aller Empfehlungen. Da ruft zum Uberfluß eine 
junge Indianerin, die in einem Kanu am Hafen Kleider wäscht, den 
beiden Kautschuksammlern in einer mir fremden Sprache einige Worte 
zu , indem sie auf den dicken Kauilimu zeigt, der schleunigst unter 
dem Bootsdach verschwindet. Die Colombianer werden noch stutziger, 
und der eine sagt: „Da ist ja einer von denen, die unsere Leute 
totgeschlagen und mir einen Lanzenstich in die Seite beigebracht 
haben!" — — — Aus Rücksicht auf unsere Mannschaft ist es Zeit, 
daß wir die Unterredung beenden. Wir nehmen kurz Abschied und 
fahren am anderen Ufer rasch flußaufwärts weiter. 

Nach einer halben Stunde kommen wir zum Uarua-Lago (Spiegel- 
see). Der Caiary-Uaupes hat hier noch eine Breite von 70 m und 
eine Tiefe von 10 m an allen Stellen. Gern würde ich einen Ab- 
stecher zum Macaya machen, um die Umaua auch iu ihren Wohn« 
sitzen kennen zu lernen, aber es fehlt uns die Maniokgrütze, der unent- 
behrlichste Mundvorrat für eine Landreise, die Leute sind krank und 
fühlen sich unsicher im Feindesland, und der Weg ist weit. Daher 
gebe ich schweren Herzens, aber zur Freude meiner Indianer den 
Befehl zur Rückfahrt. — 

Die Umaua sind reine Karaiben, deren nächste Verwandten 
fern im Osten in den Guayanas sitzen, und zerfallen in eine Anzahl Unter- 
horden mit verschiedenen Namen, die aber eine Sprache mit geringen 
dialektischen Unterschieden sprechen. Die dem oberen Caiary-Uaupes 
zunächst wohnenden Umaua bezeichneu sich selbst mit dem Namen 
Hianakoto (Geier-Indianer), einem echten Karaiben wort; denn die 
Endung n -koto, -goto", die „Leute, Volk, Indianer 44 bedeutet, findet 
sich in zahlreichen Stammesnamen dieser Gruppe. Die Hianakoto 
haben am Macaya und am Cunyary acht Malokas. Ihre Sprache 
ist völlig übereinstimmend mit dem Idiom der Tsahatsaha (Taucher- 
vogel -Indianer), die südlich von ihnen auf den weiten steinigen Sa- 



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Karaibenstärame des Yapura-Gebictes 



293 



vannen am Cunyary und Mesai drei Malokas bewohnen, und weicht 
auch nur wenig ab von dem sogenannten Carijona, das der fran- 
zösische Reisende Crevaux an den Ufern des oberen Yapura aufnahm. 
^Carijona" (Karihona) ist überhaupt kein Stammesname, sondern heißt 
in der Uraauasprache .Menschen, Leute". Deshalb werden alle diese 
Karaibenstärame, die das ganze gewaltige Gebiet zwischen dem oberen 
Caiary-Uaupes und dem oberen Yapura oder Caqueta besetzt halten, 
Ton den Colombianern mit dem Gesamtnamen Carijona bezeichnet. 
Der Name „Umaua" aber, der einigen Sprachen der Tukanogruppe an- 
gehört und „Kröten" bedeutet, ist wohl ursprünglich ein Spottname, 
mit dem die Nachbarstämme die Gesamtheit dieser Karaiben benannten. 

Die Hianakoto zeichnen sich wie fast alle echten Karaiben durch 
hohen Wuchs, athletischen Muskelbau und regelmäßige Züge aus. 
Koch jetzt denke ich dankbar an ihr sich stets gleichbleibendes, liebens- 
würdiges Wesen und ihre Treue zurück, die auch in schwierigen 
Lagen nicht einen Augenblick wankend wurde. 

Die Tracht der Männer besteht in einem langen und bis zu 35 cm 
breiten Streifen harten Baumbastes, der fest um den Oberkörper ge- 
rollt wird, einer Art Gürtel oder, richtiger gesagt, Bauchbinde, die 
sie hono nennen. Um diesen starren Streifen, der unter den Armen 
dicht anschließt, werden weichere Bastbinden gelegt, die meistens 
charakteristische Figuren und Ornamente in roter Harzfarbe tragen 
und über der Brust zusammengeschnürt werden. Der Penis ist unter 
dem Gürtel hochgelegt und mit Hilfe der Hüftschnur am Leib befestigt. 
Diese Gürtel werden nie abgelegt, bis sie von selbst unbrauchbar 
werden und durch neue ersetzt werden müssen. Bei den Männern 
ist das Haupthaar rund um den Kopf geschnitten. Die Weiber gehen 
ganz nackt und haben das Haupthaar kurz geschoren. Männer und 
Weiber durchbohren die Ohrläppchen und die Nasenscheidewand und 
tragen Rohrstäbchen, beim Tanz federgeschmückte Vogelknochen darin 
(Taf. IX). 

Noch zur Zeit Crevaux' waren die Carijona als Menschenfresser 
berüchtigt, und die Kobeua versicherten mir wiederholt, daß die 
Uraaua ihre kannibalischen Gewohnheiten noch nicht lange aufgegeben 
hätten. Als einen Rest der Anthropophagie kann man es wohl an- 
sehen, daß meine Hianakoto nach Aussage der Kobeua den erschlagenen 
Colombianern die Köpfe abschnitten und nebst den Eingeweiden in den 
Fluß warfen. Die so verstümmelten Leiber ließen sie am Tatorte liegen. 

Die ersten Tage der Rückfahrt lassen sich schlimm an. Die 
Maniokgrütze ist uns ausgegangen. Ich lasse den Leuten aus einigen 



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Raphael Tobar 



Maggi-Tafeln eine dicke Suppe kochen und sage ihnen, das sei Maniok- 
niehl aus meiner Heimat, wodurch ich ihnen das ungewohnte Gericht 
mundgerecht mache. Das Jagdkanu haben wir, um rascher vorwärts 
zu kommen, in das Schlepptau der Montaria genommen. Büchsen- 
fleisch, da6 ich den Indianern gebe, kochen sie ganz aus und essen 
dann das grobfaserige, wertlose Zeug, die nahrhafte Fleischbrühe 
aber schütten sie weg! Alle Leute sind matt, zwei fieberkrank. Ein 
älterer Mann hat offenbar Malaria tertiana, denn er bekommt an 
jedem dritten Tag nachmittags gegen zwei Uhr starkes Fieber, das am 
Abend vergeht. Auch uns Europäern liegt es bleischwer in allen 
Gliedern. Das Fehlen der Maniokgrütze und infolgedessen des Schib6, 
des beliebten, durststillenden Erfrischungsgetränkes, zwingt uns öfters, 
als gut ist, von dem weißlichen Wasser zu trinken. 

Am 5. November begegnen wir dem Colombianer- Führer Raphael 
Tobar, der von Manaos kommt und mit nur wenig Mannschaft in 
drei Booten langsam flußaufwärts fährt. Er ist ein sympathischer 
Mann von guter Bildung mit humanen Ansichten über die Einge- 
borenen, was in dieser abgelegenen Wildnis leider zu den Seltenheiten 
gehört, und zeigt sich uns gegenüber von der liebenswürdigsten Seite. 
Für meine Reise interessiert er sich sehr. Als er erfährt, daß ich 
beabsichtige, über den Tiquie und Apaporis den Yapura zu erreichen, 
schreibt er mir einen Empfehlungsbrief an seinen Freund, den Colom- 
bianer Cecilio Plata, der an der Mündung des Apaporis ein Haus 
habe. Er warnt mich vor den Indianern am Yapura, die sehr ge- 
fährlich seien. Vor einiger Zeit hätten dieAndokes an einem Tage 
sechzig colombianiscbe Kautschuksammler erschlagen, aber diese seien 
selbst daran schuld gewesen, da sie die Indianer zuerst mißhandelt 
und ihnen Weiber weggenommen hätten. — An der Yurupary-Cacho- 
eira seien ihm die meisten seiner Leute, zwölf U au pes- Indianer, Uasöna 
und Kobeua, in einer Montaria entflohen, obwohl er sie gut behandelt 
habe. Drei Körbe Mehl hätten sie mitgenommen. Die wenigen 
Ruderer, die er außer seinen eigenen Leuten noch hat, sind Kobeua 
und Uanana, alte Bekannte von uns aus Uaracapury. Beim Abschied 
schenkt er uns einen großen Korb Maniokgrütze, was uns in diesem 
Augenblick am meisten willkommen ist. 

Köstlich benimmt sich bei diesem Zusammentreffen Kauilimu, der 
Mann mit dem schlechten Gewissen. Während der langen Unter- 
redung mit Don Raphael sitzt er zusammengekauert im Boot, das 
Haupt gesenkt. Den linken Arm preßt er wider die Seite, um die 
fürchterliche Narbe, sein „besonderes Kennzeichen* 4 , zu verbergen. 



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Tapirjagd 



205 



Mit der rechten Hand verdeckt er seine Nase, deren weit durchlöcherte 
Scheidewand ihn sofort als Umaua verraten würde. 

Wir lagern oberhalb der Pacarao - Cachoeira. Ich gehe gegen 
Abend mit unserem Bahuna-Jäger und Kauilimu, der schwarze Pacu- 
fische Speeren will, zur Stromschnelle, um mich auf Tapire anzusetzen. 
Während der Umaua in den seichten Fluss hinein watet, setzen 
wir uns auf einen großen, vom Hochwasser angeschwemmten Holz- 
stoß, um nach dem Marsch durch den Sumpfwald ein wenig auszu- 
ruhen. Wir sitzen ohne Deckung, da wir den Tapirwechsel weiter 
unterhalb vermuten, rauchen eine Zigarette und schauen gespannt 
Kauilimu zu. Es ist ein schönes, lebendiges Bild, wie der muskulöse 
nackte Mensch mitten in den schäumenden Wogen den Fischen auf- 
lauert, sich von Zeit zu Zeit niederduckt, mit dem primitiven Speer 
auslegt, kräftig zusticht und den zappelnden Fisch aus dem Wasser 
bebt. Unwillkürlich blicke ich mich einmal langsam um. — Kaum 
zwanzig Gänge hinter uns steht ein starker Tapir, der von den salzigen 
Wasserpflanzen äst und bisweilen mit dem beweglichen Rüssel windet, 
unsere Anwesenheit aber nicht bemerkt, da wir unter Wind sitzen 
und uns nicht bewegt haben. Ich stoße meinen Gefährten vorsichtig 
an, flüstere ihm zu: „Tapiira!", gleite gedankenschnell von meinem 
hohen Sitz herab in Deckung und schieße dem Tier, das spitz von 
uns abgewendet steht, eine Riflekugel in das Rückgrat. Es stürzt, 
erhebt sich aber sofort wieder und sucht schwerkrank in plumpem 
Galopp den schützenden Wald zu erreichen. Der Bahuna schießt 
mit seinem Vorderlader hinter ihm drein, aber das Schrot macht auf 
den Dickhäuter wenig Eindruck und treibt ihn nur zu größerer Eile 
an. „Suana!" („Er ist weg!* 4 ) schreit aufgeregt mein Geiährte. Ich 
springe rasch in das Wasser, lade im Laufen, schieße ihm eine 
Kugel in die Keule und bringe ihm dann, als er mir die Seite bietet, 
einen Blattschuß bei. Am Waldesrand bricht er zusammen und ver- 
endet. — Große Freude! Es ist ein prächtiges Stück, stark wie ein 
junger Stier. Nun haben wir Fleisch in Hülle und Fülle! — Kaui- 
limu weidet den Tapir kunstgerecht aus, und wir schleifen ihn in 
das seichte Wasser, wo er bis zum anderen Morgen liegen bleibt. 
Nur Leber und Nieren nehmen wir mit in das Lager, das wir erst 
in der Dunkelheit erreichen. Unsere Ankunft bringt auch dorthin 
frohe Aufregung. Die Leute haben unsere Schüsse gehört und darüber 
nicht sehr schmeichelhafte Vermutungen angestellt. Immer wieder 
muß der Bahuna erzählen, wie uns das Tier überrascht hat, und wie 
und wohin ich es geschossen habe. Bis in die späte Nacht hinein 



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29« 



Die Macht des Kaschiri 



brodelt und schmort es an den verschiedenen Lagerfeuern. Am Spieß 
gebratene Tapirleber und gekochte Tapirnieren sind freilich auch 
Delikatessen, die man nicht alle Tage hat. 

Mit großer Mühe bringen wir das Boot über den Fall (Taf. VIII). 
Heinahe hätte eine Felsspitze es in der Mitte gespalten. Hart schlägt 
es auf. Verschiedene alte Lecke öffnen sich wieder. Wir lagern am Fuß 
des Kataraktes, um das Boot notdürftig auszubessern und den Tapir 
auf dem Bratrost zuzubereiten. Die Leute wollen sich endlich einmal 
wieder gründlich satt essen und tun dies auch in ausgiebigem Maße, 
besonders die beiden Umaua, die sogar das Fett mit Blat tüten ab- 
schöpfen und trinken. Mitten in der Nacht weckt mich Kauanamu 
und bittet mich um eine Zigarette. Es ist ihm sehr schlecht. In 
seinem Kopf macht es „Bo-bo-bo-bo", wie er sagt. „Madzihuli kula- 
kenai!" „Der Tapir ist böse!" — 

An einem Nebenbach besuchen wir eine verlassene Maloka der 
Kobeua. Vor Jahresfrist haben die Colombianer hier einen jungen 
Mann erschossen, dessen Grab sich neben zwei anderen im Hause 
findet. 

Bei den Ihoädouö halten wir uns nur kurz auf, um den Umaua 
Uäketimu und seine Frau, die Tsahatsaha, mitzunehmen. Mit unserer 
zahlreichen Mannschaft hätten wir hier verhungern können. Die 
Leute haben nur eine elende Pflanzung und verarbeiten die Maniok- 
wurzeln, wenn sie noch ganz klein sind. Sie bieten uns holzige und 
charakterlos schmeckende Fladen an, die sie aus der Wurzel einer 
dicken Liane hergestellt haben. Mit Windeseile fahren wir weiter. 
So scharf haben raeine Leute noch nie gerudert. Schon sinkt die 
Sonne, aber sie zeigen keine Neigung haltzumachen. Ich frage 
den Pilot, ob in der Nähe kein Lagerplatz sei. Da erfahre ich den 
Grund ihres Eifers. Sie wollen noch bis zur Maloka der UasÖna 
kommen, wo ein Maiskaschiri mit Tanz stattfände. In tiefer Dunkel- 
heit durchfahren wir eine kleine Stromschnelle. Die Ruderer schreien 
und jubeln, als wenn sie schon betrunken wären. Erst nach zehn 
Uhr kommen wir am Manapialia an; aber kein Flötengetön, kein 
Tanzlärm ist zu hören. Ich sage: „Sie schlafen alle!" und lache 
den durstigen Häuptling aus. Leise fahren wir zum Hafen. Man hat 
uns gehört und kommt mit Fakeln, hält sich aber vorsichtig zurück, 
aus Angst, es seien die Colombianer, die ihre Ausreißer wiederholen 
wollten. Als sie meine Stimme hören, rufen sie erfreut: „Dotoro!" 
und kommen heran. Das Kaschiri war nur klein; aber es sind noch 
ziemlich viele Gäste da. Man hat auch getanzt. In einer Ecke lehnen 



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Rückkehr nach Naniocoliba 



297 



bantbemalte TanzBtäbe. Trinkend, rauchend und plaudernd sitzen wir 
bis zum frühen Morgen zusammen. Sie erzählen uns triumphierend, 
wie sie den Colombianern während eines heftigen Gewittersturmes ent- 
flohen seien. Nur zwei Tage hätten sie bis hierher gebraucht. 

Wir machen am anderen Tag, 1 1. November, noch einige Handels- 
geschäfte. Ein Bahuna kauft ein großes Fischnetz und vier Kala- 
bassen; der Koroa zwei Bastsäckchen mit roter Farbe. 

An demselben Abend treffen wir wieder, freudig begrüßt, in Namo- 
coliba ein. 




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XX. Kapitel 

Die Kobern* - Indianer 
und ihre Maskentänze 

Meine Leute werden glänzend 
ausgelohnt. Nach dieser mähe- 
vollen Reise haben sie es auch 
redlich verdient. Der Uaiana 
hat sich zur Kontrolle ein Kerb- 
holz geschnitzt Die Kernen an 
der einen Kante des platten 
Stabes bezeichnen die Tage- 
reisen bis Uarua-Lago, die 
Kerben an der anderen Kante 
die Tage der Rückfahrt. In SAo 
Felippe erhielt ich von einem 
Karutana des unteren Issana 
ein dreikantiges Kerbholz, an 
dein die verschieden angeordneten Kerben verschiedene Arbeitsleistungen 
bedeuten. 

Ich habe mir vom oberen Caiary ein kleines Fieber mitgebracht 
und muß in den ersten Tagen nach unserer Rückkehr stundenlang 
in der Hängematte liegen. Die Stechmücken treten jetzt in ganzen 
Wolken auf. Man kann kaum essen, viel weniger schreiben. Das 
Moskitonetz hilft nicht viel. Die kleinen Bestien kriechen durch die 
engen Maschen. Da decke ich noch das schwarze Tuch vom photo- 
graphischen Apparat und ein großes Badetuch darüber und liege in 
den heißesten Stunden des Tages, in denen diese Insektenplage am 
schlimmsten ist, im Halbdunkel wie in einem Backofen. 

Die Umaua verfertigen neue Bastgürtel. Von früh bis spät hocken 
sie mit einer unglaublichen Ausdauer in einer Ecke des wegen der 
Stechmücken verdunkelten Hauses und bemalen sie bei einem schmalen 
Streifen Lichtes, der durch einen kleinen Spalt der Blätterwand fällt. 
Als Pinsel dient ein feines Stäbchen, als Farbe Urucurot, mit klebriger 
Baummilch angerührt, als Farbnäpfchen ein zusammengebogenes Stück 
Bananenblatt (Abb. S. 273). 

Die Zeichnungen bestehen teils in Mustern, die dank einer ent- 
fernten Ähnlichkeit nach Tieren (Schlangen, Fischen), Teilen von 
Tieren (Fischgräten, Ameisenbärrippen u. a.), Gerätschaften (Axt- 
klingen) usw. benannt werden, teils stellen sie Seelen von Zauber- 
ärzten dar, menschliche Torsos mit Fratzengesichtern. Nach dem 



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Die Bastgürtel der Cmaua 



209 



Tode eines Zauberarztes teilt sich seine körperlich gedachte Seele. 
Während die untere Hälfte im Grabe verbleibt, geht der obere Körper- 
teil nicht in das Jenseits der gewöhnlichen Sterblichen, sondern in 
den „ Spezi al- Olymp" dieser Vermittler zwischen Menschheit und 
Geisterwelt über, in eine große Höhle am Macaya, wo diese Bevor- 
zugten auf bemalten Schemeln sitzen und Menschen fressen; eine 
Erinnerung an die Anthropophagensitten dieses Karaibenstammes. 
Wenn einer mit der Bemalung fertig ist, läßt er sich von einem 
anderen den breiten, starren, auf der Außenseite mit Urucurot tiber- 
strichenen Baststreifen vermittels der weichen Bastbinden fest um die 
Brust schnüren. Dann legt er sich der Länge nach auf die Erde, 
und der andere tritt so lange auf ihm herum, bis eich der Gürtel 
der Form des Leibes angepaßt hat. Der ebenfalls rot gefärbte, fein 
gefaserte Behang wird einfach zwischen die Lagen des aufgerollten 
.Hastgürtels gesteckt. 

Die Umaua haben keine Maskentänze. Sie tanzen in ihren Bast- 
gürteln, mit Federn und anderem Zierat geschmückt, zum Klang von 
Felltrommeln, die an einer über die Schulter laufenden Schnur an 
der linken Seite getragen und mit einem hölzernen Schlegel bearbeitet 
werden. Das Trommelfell aus der Haut des Brüllaffen, Wildschweins 
oder Hirsches ist mit bunten Mustern bemalt und, wie bei unseren 
europäischen Trommeln, mit Schnüren über den hölzernen Zylinder 
gespannt. Diese Trommeln sind sicher nicht ursprünglich indianisch, 
wahrscheinlich aber ein alter Besitz dieser Karaibenstämme aus der 
Zeit des ersten Auftretens der Europäer. Der Name für die Fell- 
trommel, tabulu, beweist dies zur Genüge. Er ist unzweifelhaft 
ans dem spanischen tambor verderbt und der Umauasprache an- 
gepaßt. Ein beliebter Tanzachmuck der Umaaa, der sogar in ihren 
Tanzliedern besungen wird, sind dreieckige Silberplättchen, die durch 
Klopfen und Schleifen aus Münzen hergestellt werden. Sie werden 
gewöhnlich nicht, wie von den Uaupes-Indianern, auf der Brust, sondern 
in den durchbohrten Ohrläppchen getragen. 

Kauanamu führt uns einen ihrer Tänze vor. Er faßt Schmidt 
unter dem Arm und springt mit ihm wild herum, vor- und rückwärts 
und sich im Kreise drehend, so daß „Nomitakä" nach der kurzen 
Vorstellung halbtot ist, obwohl er keinen Panzergürtel trägt. Die Tänze 
sind nach Tieren benannt. 

Das Zeichnen wird epidemisch. Umaua und Kobeua drängen 
sich dazu, für eine Kleinigkeit, ein paar Perlen, eine Zigarette, in 
das Skizzenbuch zu zeichnen. Jedes umherliegende Papierschnitzel, 



300 



die weiße Innenseite des Umhüllungspapiers unserer Tafelschokolade, 
selbst die Etiketten an Stücken der ethnographischen Sammlung be- 
decken sie mit Proben ihrer Kunst, Figuren von Menschen und Tieren, 
Maskentänzern, wenig schmeichelhaften Porträts von mir und Schmidt u. a. 
Einige Kritzeleien sollen meine Notizen auf den Etiketten nachahmen 
ahmen (Abb. S. 297, 332, 359). 

Ich mache den Scherz und lege einen Blaubogen unter das Blatt, 
auf dem ein Kobeua die charakteristische Figur eines Fisches ent- 
wirft. Als ich ihn dann frage, wie viele Fische er gezeichnet habe, 
sagt er natürlich: „Einen", und ist sehr erstaunt, als ich ihm einen 
zweiten ganz gleichen Fisch, die Kopie auf der nächsten Seite, zeige, 
bis ich ihm das Wunder erkläre. Nun will es jeder versuchen. 

Ein beliebter Sport, dem wir mit den jüngeren Männern besonders 
in den kühleren Nachmittagsstunden huldigen, ist ein Ballspiel, das 
am ganzen Caiary und am benachbarten Aiary geübt wird. Die Bälle 
sind aus den Umhüllungsblättern des Maiskolbens verfertigt, wobei 
die in einem Büschel überstehenden, langen Enden der Blätter, wie 
die Feder bei unserem Schlagball, dem Ball die sichere Richtung 
geben. Bisweilen wird noch eine gelbe Schwanzfeder des Beutelstara 
oben eingesteckt. Die Spieler stehen im Kreis in gewissen Abständen 
voneinander. Meistens wird mit zwei Bällen gespielt, die mit der 
Handfläche abgeschlagen werden und die Erde nicht berühren dürfen. 
Es ist ein sehr unterhaltender Sport, bei dem man die außerordent- 
liche Gewandtheit der Indianer und das Muskelspiel ihrer schönen, 
nackten Körper bewundern kann. 

Von den Umaua habe ich ein Blasrohr erworben, das nur 190 cm 
lang, sonst aber ebenso gearbeitet ist wie das Blasrohr der Buha- 
gana, das ich am oberen Tiquie kaufte, und wie alle Blasrohre des 
Yapuragebietes (Abb. S. 123). Es dient zur Jagd auf Hebhühner, die 
gewöhnlich im Dickicht des Waldes rasch am Erdboden hinlaufen und 
dadurch die Handhabung eines langen Blasrohrs unmöglich machen. 
Das Visier besteht aus dem aufgepichten Schneidezahn eines Nagetieres. 
Blasrohr und Köcher tauschen die Umaua von ihren östlichen Nachbarn 
am Apaporis, dem Aruakstamme der Kauyari, ein. Sie liefern diesen 
dafür starkes Pfeilgift, in dessen Herstellung sie Hervorragendes leisten. 

Die großen Giftpfeile, die am oberen Caiary und am Apaporis 
für Hochjagd verwendet werden, haben eine Länge von 145 bis 185 cm. 
Sie unterscheiden sich nicht unwesentlich von den am Aiary gebräuch- 
lichen. Der in den Rohrschaft eingefügte, im Querschnitt runde Stab 
aus wohlgeglättetem, dunkelrotem oder schwarzem Holz läuft nicht, 



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Kriegs- und Tanzkeulcn 301 

wie dort, unmittelbar in eine Spitze aus, sondern hat am oberen, 
abgestumpften Ende einen 2 bis 3 1 /* cm tiefen Einschnitt, in den die 
im Querschnitt viereckige bis ovale, 10 bis 12 cm lange Spitze aus 
hartem Palmholz eingesetzt und durch eine Umwickelung mit gepichter 
Faserschnur ziemlich lose befestigt ist. Die Spitze ist fast in ihrer 
ganzen Ausdehnung dick nüt Curare bestrichen und bisweilen ober- 
halb der Giftschicht ringförmig eingeschnitten. Sonst zeigt der Pfeil 
dieselbe Technik wie am Aiary. Das Futteral unterscheidet sich von 
dem der Aiary-Pfeile nur durch sorgfältigere Ausführung und äußeren 
Zierat, Verbrämung mit Affenfell und dergleichen (Abb. S. 88). Die 
Spitzen der Pfeile bestehen bisweilen aus den mit feinen Widerhaken 
versehenen Rochenstacheln, was natürlich die furchtbare Wirkung des 
Geschosses noch erhöht. 

Der Bogen ist derselbe, den die Indianer zu den Fiscbpfeilen 
benutzen, und unterscheidet sich nicht von dem Bogen, der am Issana- 
Aiary im Gebrauch ist. Auch die Blasrohre und die Köcher für die 
Giftpfeilchen bleiben sich in beiden Flußgebieten gleich. 

Die Keule, die Hauptwaffe für den Nahkampf, ist am Caiary wie 
am Issana bereits verschwunden. Hier in Namocoliba habe ich zu- 
fällig noch eine solche Reliquie aus Vaters Zeit gefunden. Sie stand 
unbeachtet in einer Ecke des Hauses und wurde mir für ein kleines 
Küchenmesser anstandslos überlassen. Den Spuren nach zu urteilen, 
wurde sie zum Umrühren der Maniokgrütze auf der Herdplatte oder 
als Stampfer im Mörser benutzt. Sie ist aus schwerem, rotem Holz 
gearbeitet und 112 cm lang. Der Handgriff ist mit geschnitzten 
Mustern verziert und geht allmählich mit flacher Bahn in das nur 
wenig breite Blatt über, dessen Kanten abgerundet sind. 

Bei einem gewissen Tanz, von dem ich später sprechen werde, 
tragen die Kobeua und ihre Verwandten noch heute Keulen, die eine 
wesentlich andere Gestalt haben. Sie sind aus demselben roten Holz 
gefertigt, flach und auf dem Blatt mit eingeschnitzten Geflechtsmustern 
versehen, die mit weißem Ton eingerieben werden, damit sie besser 
hervortreten. Ihre Länge beträgt etwa 110 cm. 

Die Kriegskeulen der ümaua sind ein gutes Zeugnis für die öst- 
liche Herkunft dieses Karaibenstammes. Sie ähneln selbst in Einzel- 
heiten den Keulen der nahe verwandten Guayanastämme. Das Material 
dieser flachen, verhältnismäßig kurzen (85 bis 90 cm) Keulen ist 
wiederum ein schweres, rotes Holz. Der Handgriff läuft in eine Spitze 
aus, die bei den Guayanakeulen angeblich dazu dient, dem nieder- 
geworfenen Feind in die Schläfe oder in das Ohr den Gnadenstoß 



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■M)2 



Totenklage 



zu versetzen. Eine aus Palinfaserschnur geflochtene Schlinge, die 
gewöhnlich zum Aufhängen der Waffe dient, wird heim Kampf zur 
größeren Sicherheit um das Handgelenk geschlungen. Die Keule ist 
die ständige Begleiterin des Umauakriegers. Er nimmt sie sogar zu 
freundschaftlichen Besuchen und Tanzfesten mit und benutzt sie ge- 
legentlich als Ruderbank in seinem Kanu. 

Meine Umaua genießen in Namocoliba eine unbeschränkte Gast- 
freundschaft. Jeden Morgen geht die Tsahatsaha abwechselnd mit 
einer anderen Kobeuafrau auf die Pflanzung und bringt einen Korb 
voll Maniokwurzeln heim, die sie sofort verarbeitet. Alle dazu nötigen 
Geräte werden ihr zur Verfügung gestellt. Auch zu allen Mahlzeiten 
werden die Umaua eingeladen. 

Am 19. November fahren sie in schwerbeladenem Kanu in ihre 
ferne Heimat, zunächst zum Puranga-Parana, wo Kauanamu und 
Kauilimu ihre Frauen holen wollen. Von den Kobeua erhalten sie 
eine Menge Maniokfladen als Gastgeschenke. Beim Abschied bitten 
sie mich, bald zum Macaya zu kommen und lange bei den Hianakoto 
zu bleiben. Sie hätten viele schöne Sachen, besonders schöngemusterte, 
nach der Beschreibung zylindrische Körbe. 

In Surubiroca ist ein älterer Mann gestorben. Ola, der dort 
bei einem kleinen Kaschirifest war, bringt die Nachricht nach Namoco- 
liba. Sofort hockt die Frau des Häuptlings nieder und stimmt 
schreiend die Totenklage an. Die übrigen bleiben gleichgültig und 
fahren fort zu erzählen, zu lachen und zu scherzen. Auch „Mama", 
wie wir sie nennen, ist nach ihrer Klage fröhlich wie zuvor. Der 
Häuptling überließ diese lästige Pflicht seiner Frau, obwohl sie gar 
nicht einmal mit dein Verstorbenen blutsverwandt war. 

Am 23. November kommen in einigen Booten die Ihoädouö vom 
Puranga-Parana. Der Empfang jedes einzelnen ist endlos, ein mono- 
tones, mit jämmerlicher Stimme vorgetragenes Geplapper. Wieder 
hält »Mama" mit einer älteren Frau die Totenklage für den jüngst 
Verstorbenen ab, der ein naher Verwandter der Ankömmlinge gewesen 
ist Es ist in allen Einzelheiten dieselbe Zeremonie wie am Aiary. 
Beide Frauen hocken nebeneinander am Boden und halten sich mit 
dem einen Arm umschlungen, während sie mit der anderen Hand das 
Gesicht bedecken. Zuerst klagen sie abwechselnd; dann vereinigen 
sie ihre Stimmen, die immer lauter, zu einem wütenden Gekreisch 
werden und schließlich in einen melodischen Trauergesang übergehen : 

„Mein Sohn — mein Sohn — mein Sohn — warum bist du ge- 
storben — mein Sohn — mein Sohn !" 



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Abschiedsklage 



303 



Die anderen kümmern sich nicht darum, schwatzen laut durch- 
einander, blasen auf kleinen Flöten und Mundharmonikas, die sie von 
mir bekommen haben; ja, die jungen Leute, die bei uns in einer Ecke 
sitzen, spotten den beiden alten Klageweibern leise nach. 

Die Beziehungen zu den Gebräuchen der Aruakstämme des Issana- 
Gebietes werden am nächsten Tage noch deutlicher. Die an einen 
Hölöua vom oberen Cuduiary verheiratete, älteste Tochter des Häupt- 
lings, die mit ihrem Mann und drei kleinen Kindern schon seit einigen 
Wochen bei ihren Eltern zu Besuch weilt, nimmt Abschied, um in 
die Heimat zurückzukehren. Frühmorgens vor Sonnenaufgang findet 
ein langes, eintöniges Gespräch zwischen dem Häuptling und seinem 
Schwiegersohne statt, wobei sich beide, wie immer bei solchen Gelegen- 
heiten, nicht anschauen. Darauf wiederholt sich dieselbe Szene zwischen 
Vater und Tochter, endet aber damit, daß beide niederhocken, den 
einen Arm um den Hals des anderen schlingen und einen von Schluchzen 
und Tränenströmen unterbrochenen Trauergesang, die Abschiedsklage, 
anstimmen, in derselben Melodie und demselben Rhythmus wie bei 
der Totenklage. Dann führt Mama mit Schwiegersohn und Tochter 
dieselben Szenen auf, und damit ist die Hauptzeremonie — denn eine 
Zeremonie war es trotz der Tränen — beendet. Ein längeres, jämmer- 
liches Geplapper zwischen allen Teilen nacheinander, wie am Anfang, 
bildet den Schluß. Die Abziehenden beladen sich mit ihren Hab- 
seligkeiten, nehmen von jedem der Reihe nach mit wenigen gleich- 
gültigen Worten Abschied und gehen, begleitet von allen Anwesenden, 
zum Hafen. Die Angehörigen geben ihnen kleine Geschenke mit auf 
den Weg, Maniokfladen, Kleidungsstücke u. a.; ich schenke einen 
Kamm. Bei der Abfahrt herrscht allgemein, auch bei den Eltern, die 
größte Fröhlichkeit. 

Die Kobeua haben mir viel erzählt von großen Grasflächen, die 
sich am oberen Cuduiary erstrecken sollen, und von riesigen „Stein- 
häusern", die sich auf diesen Savannen befänden. Trotz der phantasti- 
schen Beschreibung der Indianer glaube ich, daß es sich um groß- 
artige Naturgebilde handelt, aber ich will der Sache auf den Grund 
gehen und bei dieser Gelegenheit möglichst viel vom Cuduiary kennen 
lernen. 

Am 25. November fahre ich im leichten Kanu mit wenig Gepäck 
ab. Ola, der die „Steinhäuser** aus eigener Anschauung kennt, nehme 
ich als Steuermann und Führer mit, drei junge Männer und einen 
Knaben als Ruderer und einen Hund. Schmidt bleibt in Namo- 
coliba zurück. 



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304 



Zum oberen Cudoiary 



Unterwegs treffen wir meinen früheren Piloten zum oberen 
Caiary und kaufen ihm von einem Tapir, den er gerade geschossen 
hat, ein gutes Stück ab. In Surubiroca hat ein Knabe Dysenterie. 
Der Häuptling verspricht sich viel von den Wirkungen einer wollenen 
Bauchbinde, mit der ich seinerzeit auf der Reise einen kranken Bahuna 
„kuriert 4 * habe. Ich schicke deshalb einen Boten mit einem Schreiben 
an Schmidt und bitte ihn, die Wunderbinde und etwas Tee zu schicken, 
was dem Patienten, wenn auch nichts nützen, so doch jedenfalls nichts 
schaden kann. 

Kurz vor Tuibö begegnen uns zwei Fischer, Bahuna, darunter 
einer meiner Ausreißer. Der Bursche wird ganz fahl, als er mich 
erblickt, liefert aber ohne Weigerung einen Teil seines vorausbezahlten 
Lohnes aus. Unser Tnpirfleisch ist schon am zweiten Tage schlecht 
geworden. Öla bindet den Rest mit einer Liane an einen über den 
Fluß hängenden Ast als „Lebensmittel für die Bahuna, diese Maku u , 
wie er verächtlich sagt. 

Der Fluß ist sehr gefallen. Überall treten kleine Sandbänke 
zutage. Trotz der starken Sommerhitze, die jetzt herrscht, ist es eine 
gemütliche Fahrt, zumal uns seit Surubiroca keine Stechmücken mehr 
das Leben verbittern. Wir beeilen uns auch nicht sehr, plaudern, 
baden mehrmals am Tage und schießen von Zeit zu Zeit Fische, von 
denen der Fluß oberhalb Namocoliba zu dieser Jahreszeit voll ist. 
An seichten Stellen stoßen die Leute das Kanu mit Stangen weiter. 

Der Cuduiary hat vier größere Stromschnellen, die in kurzen 
Zwischenräumen aufeinanderfolgen. Sie sind reich an Steinaxtschliffen 
und wohlausgeführten Felszeichnungen, unter denen große, menschen- 
ähnliche Figuren bemerkenswert erscheinen. 

Als ich Öla frage, wer alle diese Zeichen und Zeichnungen ge- 
macht habe, gibt er mir die vernünftige Antwort: „Vor alter Zeit 
haben es Leute mit Stein getan." 

Die kleinen Zuflüsse auf beiden Seiten führen zum Teil milchig- 
weißes Wasser, das sich von dem dunkelgrünen Wasser des Cudoiary 
scharf unterscheidet. Die Mündung eines ansehnlichen Nebenbaches 
ist mit Schilf und Gebüsch verwachsen; ein Zeichen, daß er nicht 
befahren wird. Er sei ein „Schlangenhaus'*, sagen die Indianer. Viele 
riesige Wasserschlangen hätten in ihm ihre Schlupfwinkel. Nahe der 
Mündung herrscht ein durchdringender Moschusgeruch. Meine Leute 
zeigen sich frische, breite Fährten in dem regennassen Uferschilf, 
das die Ungeheuer beim Durchkriechen niedergedrückt haben. Wir beeilen 
uns, von dem unheimlichen Ort wegzukommen. 



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Kobeuahorden am oberen Cuduiary 



305 



Die verhältnismäßig starke Bevölkerung des Cuduiary ist sehr 
verschiedenen Ursprungs, spricht aber heutzutage nur eine Sprache, 
das Kobeua. Im Gebiet der Malapöoua, einer Unterabteilung der 
Bahuna, liegt noch eine Maloka der Koroa. Dann folgen in einigen 
kleinen Häusern Hähänaua (Kobeua), die früher Pädikuö (Reibebrett- 
Leute) hießen, und PiätokauÖ. In alter Zeit seien diese letzteren 
Feinde der Kobeua gewesen, und noch heute sind sie berüchtigt als 
„Herren des Krankheitsgiftes". Viele scheinen noch nie Weiße ge- 
sehen zu haben. Kleine Fischerkanus bergen sich bei unserer An- 
näherung scheu unter dem Ufergebüsch. Ich besuche ein Haus. Die 
Bewohner, denen das dichte Haupthaar bis auf die Schultern fällt, 
halten sich ängstlich im Hintergrund. Als ich ein Bündel Giftpfeile 
zur Ansicht verlange, reicht es mir ein Alter, indem er es an der 
äußersten Spitze hält, drei Schritte vom Leibe. In einer verlassenen 
Maloka dieses Stammes wird mein jüngster Begleiter während des 
Schlafes von einer großen Fledermaus in die Zehe gebissen, so daß 
er viel Blut verliert und mehrere Stunden ganz schwach ist. 

Am Oberlauf des Flusses wohnt in zwei Malokas und mehreren 
Hütten der kleine „Baniwa w -Stamm der Hölöua. Früher Aruak, 
wie die meisten Anwohner des Querary, sprechen sie heute nur Kobeua. 

Der obere Cuduiary ist reich an Wild, besonders an Tapiren, 
die zu verschiedenen Trinkplätzen im Walde kommen und dort mit 
ihren Jungen in possierlich-plumpen Sprüngen ihr Spiel treiben, was 
wir mehrmals in guter Deckung beobachten können. Lebensmittel 
bringen uns die Indianer mehr, als wir verzehren können. Wir haben 
bisweilen das halbe Boot voll Bananen und prächtiger Ananas und 
müssen manches zurückweisen oder an Vorüberfahrende verschenken. 

Am 28. November erreichen wir die letzte Maloka der Hölöua, 
nachdem wir uns den ganzen Tag mühsam durch den von Baum- 
stämmen verfallenen, nur noch wenige Meter breiten Fluß gearbeitet 
haben. Zugleich mit uns kommt die Hölöua-Familie an, die einen 
Tag vor uns in Namocoliba abgefahren ist, wegen der kleinen Kinder 
aber nur kurze Tagereisen machen konnte. Ein Kaschirifest ist im 
Gange. Viel Volk ist erschienen, unter den Bahuna-Gästen auch 
mein anderer Ausreißer, der mir verlegen aus dem Wege geht, das 
verkörperte schlechte Gewissen. Ein schlanker, junger Mann, nackt 
wie alle anderen, redet mich in gutem Portugiesisch an. Er ist im 
Hause eines Brasilianers am Rio Negro erzogen worden. Jetzt will 
er nichts mehr mit den Weißen zu tun haben. Offenbar hat er 
schlimme Erfahrungen gemacht. Der Flötenlärm und das Durch- 

Koch-IJrünberg, Zwei Jahre bei den Indianern 20 



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306 



Buschsteppe 



einanderschwatzen so vieler Menschen lassen mich die ganze Nacht 
kaum zur Buhe kommen. 

Am nächsten Morgen herrscht allgemeine Katerstimmung. Auch 
meine Leute liegen halb bewußtlos in den Hängematten, als wenn die 
ganze Reise nur ein eitler Traum sei, bis ich sie mit einigen kräftigen 
Worten aufmuntere. Zwei Stunden Fahrt bringen uns zu einem Fuß- 
pfad auf dem rechten Ufer, der zu den Savannen führt. Zunächst 
geht es steil bergan durch Hochwald ; dann folgt ein schmaler Streifen 
lichten Waldes, und vor uns liegt die weite Savanne im Sonnenbrande. 

Ein merkwürdiger Anblick, ungewohnt für einen, der so lange 
Monate nur dichten Urwald gesehen hat! Die ganze Fläche ist mit 
Felsplatten übersät. Eine spärliche, von mir noch nie gesehene 
Vegetation fristet in den Felsritzen ein elendes Dasein. Niedrige, 
krankhaft verwachsene Bäume, verkümmerte Sträucher, Baumlilien, 
kandelaberartig verästelt, mit Büscheln harter Blätter an den Spitzen, 
hier und da ein einsames buntes Blümchen. Fern im Süden begrenzen 
den Blick die Gebirge des oberen Caiary, von denen sich die sagen- 
umwobene Taku, der Wohnsitz der Dämonen, mit ihren schroffen 
Felshängen scharf abhebt. Es ist keine eigentliche Savanne, sondern 
eine sehr lichte Buschsteppe mit Krüppelvegetation. Wir schreiten 
weiter auf dem sonnendurchglühten Hochplateau, über dem die Luft 
vor Hitze zittert. Die Naturgewalt hat auf den Felsplatten zahl- 
reiche Gruben und Grübchen ausgehöhlt, deren Ränder scharf empor- 
stehen, wie wenn sie beständig niederfallende Regentropfen hergestellt 
hätten. Der Marsch mit nackten Füßen über diese heißen Zacken 
ist recht mühevoll. Schon wandern wir eine halbe Stunde; endlich 
sagt Öla: „Da ist das eine große Steinhaus!" Zunächst sehe ich 
gar nichts ; der Boden ist so flach wie überall, bedeckt mit zahlreichen 
Steinplatten, die nur wenig hoch übereinander liegen. Wir kriechen 
durch dichtes Gestrüpp bis zu einem niedrigen Spalt, der sich in 
schwarzer Finsternis nahe am Boden zwischen einigen Felsplatten zeigt. 
Gleich hinter dem schmalen Eingang öffoet sich ein riesiges Labyrinth 
von hohen Sälen und geraden, breiten Gängen, die zu beiden Seiten 
regelmäßige Kammern abzweigen. Die hohe Decke, die von dem 
matten Schein unserer Laterne nicht erreicht werden kann und in 
tiefem Dunkel liegt, ist gestützt von mächtigen, runden, nach der 
Mitte zu sich verjüngenden Pfeilern; der Boden platt wie gestampft, 
mit feinem, weißem Sand bedeckt; das Gestein, ein weißlicher Sand- 
stein, aus dem das ganze Plateau zu bestehen scheint, ist mit einer 
gelblichen Schicht, ähnlich Tropfstein, überzogen, teils spiegelglatt, 



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Die „Steinhäuser" 



307 



teils von zahlreichen Grübchen und Höhlungen zerrissen. Wir be- 
suchen einige Gänge und Säle, dringen aber bei weitem nicht bis an 
das Ende vor. Bei unserem spärlichen Licht wäre es auch zu ge- 
fährlich, da wir, abgesehen von Raubzeug und kriechendem Gewürm, 
nicht wissen können, ob sich nicht plötzlich ein heimtückischer Ab- 
grund vor unseren Füßen öffnet. Uberall ertönt in der Finsternis 
ein unheimliches Sausen: es sind Tausende von großen Fledermäusen, 
die wohl als einzige Bewohner diese unterirdischen Paläste bevölkern. 
Auch Jaguare und Riesenschlangen sollen sie bisweilen zum Schlupf- 
winkel wählen. Diese Höhle, die vom Cuduiary weiter entfernt ist, 
nennen die Indianer „Haus des Felsenhahns". In der Nähe ruht 
eine Steinplatte in einer Höhe von etwa zwei Metern auf einigen 
Felsen und bildet eine Art Tor. Ein vielbetretener, schmaler Pfad, 
der den Cubiu-Parana mit dem Cuduiary verbindet, führt an diesen 
gewaltigen Höhlungen vorbei, von denen wir eine zweite, anscheinend 
nicht minder große, auf dem Rückmarsch flüchtig besuchen. In ihr, 
nahe dem einzigen niedrigen Eingang, entspringt ein unterirdisch 
fließender Quell mit klarem, braunem, sehr kaltem Wasser. Wahr- 
scheinlich stehen beide Höhlungen miteinander in Verbindung. Diese 
zweite Höhle heißt bei den Indianern .Haus des Affen u . In sehr 
alter Zeit hätten „andere Leute", die sagenhaften Kuaiua, die 
• Steinhäuser u erbaut. 

In der Tat — die Indianer haben recht! Es sind „Steinhäuser", 
aber nicht von schwacher Menschenhand errichtet, — die allgewaltige 
Natur ist der Baumeister gewesen. Wie viele Jahrtausende mögen 
darüber hingegangen sein, bis das Wasser diese Höhlungen aus dem 
Sandstein ausspülte und dieses riesige Labyrinth schuf, das sich mit 
mehreren Eingängen offenbar unter dem ganzen Hochplateau hinzieht! 

Fünf Tagereisen oberhalb der Höhlen erhebt sich, nach der Aus- 
sage der Indianer, inmitten großer Grasflächen ein steiles Gebirge, 
von dem der Cuduiary als kleiner Bach in Kaskaden abstürzt. Auf 
diesen Savannen, die sich weit nach Norden erstrecken, streifen 
Maku, die von den Kobeua Yapooa genannt werden. 

Gegen Abend sind wir wieder in der Hölöua-Maloka und treten 
am anderen Morgen die Rückreise an. 

Die Hölöua- und Kobeua-Häuser flußabwärts finden wir verlassen. 
Die Bewohner sind in den Wald geflohen. Wie mir Öla erzählt, sind 
die Kuati (Nasenbär-Indianer) der Issana-Quellflüsse auf dem Kriegs- 
pfad. Ein Hölöua, der bei Verwandten am oberen Querary gewesen 
ist, hat die Nachricht mitgebracht, daß eine Bande Kuati auf weiten 



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308 



Heirat 



Landwegen im Anzug sei, um die Hölöua totzuschlagen. Wahrschein- 
lich handelt es sich um Blutrache, Zauberei oder ähnliches. Vor 
einiger Zeit hätten die Kuati bei einem Nachbarstamme die Bewohner 
von drei Häusern erschlagen. Bei diesen „Kriegen" überfallen die 
Feinde die Maloka gewöhnlich frühmorgens einige Stunden vor Sonnen- 
aufgang und töten die schlafenden Bewohner mit den fürchterlichen 
breiten Eisenlanzen. Alle diese Aruakstämme des Issana- 
Quellgebietes und die „Baniwa" -Stämme des Querary 
seien alte Feinde der Kobeua. 

Es gibt noch manchen Aufenthalt. In jedem Haus, das wir be- 
suchen, mit jedem Vorüberfahrenden hält Ola ein längeres Gespräch 
über Woher und Wohin und schildert unsere Reise mit allen Einzel- 
heiten. Die Indianer sind schrecklich neugierig und gewissenhaft — 
wenigstens in ihren Erzählungen. Eine stehende Redensart, mit der 
jede Unterhaltung eingeleitet wird, ist: „Kopai däuö kali! a — „Heim 
fahre ich jetzt! 44 

In Surubiroca treffen wir nur eine alte Frau und einige Kinder. 
Die Männer sind in einer nahen Maloka beim Kaschiri. In der Nacht 
hören wir von dort her lange Zeit wüstes Geschrei. «Die Männer 
streiten 41 , sagt Ola. Deutlich schallt vor allen heraus die Stimme 
meines ehemaligen Piloten, der im Rausch gefahrlich sei. Am Morgen 
kommen sie an, alle, leider auch eine Frau, betrunken und zudring- 
lich. Wir machen, daß wir weiterkommen, und landen am 2. Dezember 
gegen Mittag im Hafen unseres idyllischen Namocoliba. 

Bei dieBein langen und friedvollen Zusammensein mit den Kobeua 
habe ich den besten Einblick in ihr harmonisches Familienleben ge- 
wonnen und manches über ihre Sitten, Gebräuche und Anschauungen 
durch eigene Beobachtung und die Erzählungen meiner Freunde er- 
fahren. Vieles haben sie mit den Stämmen des Aiary gemeinsam, 
wie überhaupt ihre ganze Kultur von den Aruak stark beeinflußt 
erscheint. 

Will bei den Kobeua ein junger Mann heiraten, bo fragt er bei 
dem Vater seiner Auserwählten an. Gibt dieser 6eine Einwilligung, 
so bleibt der Bräutigam fünf Tage lang im Hause seiner zukünftigen 
Schwiegereltern. Während dieser Zeit findet ein großes Tanzfest mit 
Gelage statt, zu dem viele Gäste eingeladen werden. Am Schluß des 
Festes übergibt der Vater dem Schwiegersohne die Tochter mit 
empfehlenden und ermahnenden Worten und erklärt damit die Ehe 
als gültig. Darauf nimmt der junge Ehemann die Gattin bei der 
Hand und eilt mit ihr zum Hafen. Der Schwiegervater folgt dem 



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Frauenraub 309 

* 

Paar, indem er laut klagt und die Tochter, die ebenfalls weint und 
klagt, beständig mit der Hand leicht auf den Rücken schlägt. Hinter 
ihm kommt die weinende Mutter, die die Aussteuer der Tochter, 
Hängematte, Körbe, Töpfe usw., trägt und in das Kanu der Braut- 
leute legt, die darauf mit größter Geschwindigkeit heimwärts fahren. 
Als Geschenke oder, besser gesagt, Bezahlung erhalten die Eltern der 
Frau von dem Schwiegersöhne : Hängematte, Körbe, Siebe und wert- 
volle Tanzgeräte. 

Bei manchen Horden soll noch heute der zeremonielle Frauen- 
raub Sitte sein. Die Braut wird von dem Bräutigam und seiner Sippe 
mit Gewalt und unter großem Lärm aus der Maloka geraubt, wobei es 
bisweilen auf beiden Seiten tüchtige Prügel absetzt. Am anderen Tag 
kommen die Parteien zur eigentlichen Hochzeit zusammen und tanzen 
bei einem Trinkgelage friedlich miteinander. Bei der Hochzeitsfeier- 
lichkeit werden von Braut und Bräutigam die Kaschiri- Kalabassen aus- 
getauscht. 

Uber einen „Raub der Sabinerinnen u am oberen Caiary berichtet 
eine Sage der Kobeua, die unzweifelhaft einen historischen Hinter- 
grund hat: Vor vielen, vielen Jahren raubten die Uanana, die damals 
am oberen Querary wohnten, die beiden Töchter des Hömänihikö, 
des Stammvaters der Kobeua, und machten sie zu ihren Frauen. Darob 
erzürnte Hömänihikö, zog mit seinem Bruder Mianikötöibö gegen 
die Uanana zu Feld und verbrannte eine große Anzahl von ihnen in 
einem Hause. Die Überlebenden flohen nach der Stromschnelle von 
Caruru, wo noch heute der Hauptsitz des ganzen Stammes ist. 

Auch die bis auf den heutigen Tag von den freien Stämmen des 
oberen Rio Negro und seiner Nebenflüsse streng beobachtete Gewohn- 
heit, die Frauen stets aus anderem Stamme zu nehmen, scheint auf 
den alten Frauenraub hinzuweisen. 

Während das junge Mädchen die größte Freiheit genießt und 
ihre Unschuld nicht über alle Zweifel erhaben zu sein braucht, steht 
die Ehe durchschnittlich auf einer sittlich hohen Stufe, und die Treue 
wird selten von einem der beiden Ehegatten verletzt. 

Nie habe ich auch nur den Schatten eines undezenten Benehmens 
im Verkehr von Eheleuten bemerkt, nie unter normalen Verhältnissen 
ernstere Streitigkeiten, häßliche Szenen, die in unserem „zivilisierten* 
Europa in manchen Kreisen leider vielfach an der Tagesordnung sind. 

Ein junges Pärchen in Namocoliba war unzertrennlich. Fuhr 
der Mann zum Fischfang, so saß die Frau am Steuer ; ging die Frau 
zur Arbeit in die Pflanzung, so begleitete sie der Mann mit Bogen 



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310 



Schwangerschaft and Gebart 



und Pfeilen, um in ihrer Nähe zu jagen. Nach des Tages Last und 
Hitze saßen die beiden gewöhnlich auf dem Dorfplatz, kämmten sich 
gegenseitig die Haare und lasen sich die Läuschen aus dem dichten 
Haupthaar oder die Stechmücken vom Rücken ab. 

Spielt die Frau schon als Gattin und Beraterin des Mannes eine 
große Rolle, so ist dies naturgemäß noch mehr der Fall, sobald sie 
Mutter geworden ist. Damit übernimmt sie ihre eigentliche Lebens- 
aufgabe, denn die Pflege und die Erziehung der Kinder in den ersten 
Lebensjahren ist allein ihrer Pflichttreue überlassen. 

Schon vor seinem Eintritt in die Welt genießt das Kind die Für- 
sorge der Mutter. Einen Monat vor der Geburt darf die Kobeuafrau 
alle Vögel und Fische essen, außer dem Pirarara-Fisch, dessen Genuß 
überhaupt mancherlei üble Folgen haben soll. Alle Vierfüßler aber, 
besonders Tapir, Wasserschwein und Hirsch, sind ihr verboten. Diese 
Vorschrift gipfelt also in einer geregelten Diät, wie sie der Indianer 
bei allen Krankheitsfallen anwendet. Der Mann darf alles essen. 

Mit irgendwelchen geschlechtlichen Speisevorschriften hing es 
wahrscheinlich zusammen, daß zwei meiner Umaua, die in kinderloser 
Ehe lebten, keinen Hirschbraten essen wollten, sondern heftigen Ab- 
scheu davor ausdrückten, während der dritte, der ein Söhnchen sein 
eigen nannte, mit gutem Appetit davon aß. 

Die Geburt findet entweder in der Maloka selbst oder in einer 
abseits gelegenen Hütte oder auch nur im Walde statt, im Beisein 
und unter dem Beistand aller verheirateten Weiber, die im Gesicht 
festlich rot bemalt sind. Die Nabelschnur wird von der Mutter des 
Mannes mit Schneidegras abgeschnitten und sofort mit der Nachgeburt 
vergraben. Bei Zwillingen wird das Zweitgehorene unmittelbar nach 
der Geburt getötet und an Ort und Stelle begraben ; wenn die Kinder 
verschiedenen Geschlechts sind, das weibliche. 

Wenige Stunden nach einer Geburt in Namocoliba begab sich 
der Zauberarzt mit seinem ganzen Zauberapparat, Rassel, Berg- 
kristallen u. a., den er in einem flachen Korb trug, in die „Wochen- 
stube", die mit Palmlatten uud Bananenblättern dicht abgeschlossen 
wurde. Dort nahm er eine lange Beschwörung in eintönigem Gemurmel 
vor, wobei außer der Wöchnerin und ihrem Manne nur seine Eltern 
anwesend waren. Der Abschluß der fünftägigen Wochenzeit, die 
stets in der Wohnungsabteilung des jungen Paares abgehalten wird, 
war von denselben Gebräuchen begleitet wie am Tiquie. Bevor man 
das Neugeborene zum ersten Bad trug, wurde das ganze Haus aus- 
geräumt. Auch wir mußten unser Gepäck ins Freie bringen. Erst 



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Namen 



311 



am folgenden Tage brachte ein naher Anverwandter — in der Regel 
ist 68 der Bruder des Mannes — gekochte Fischchen zur Speise, womit 
die Fastenzeit vorüber war. 

Acht Tage nach der Geburt veranstalten die Eltern zu Ehren 
ihres Sprößlings ein Trinkfest, zu dem die ganze Verwandtschaft zu- 
sammenkommt. Bei dieser Gelegenheit gibt der Großvater (Vater 
des Vaters) dem Kinde den Namen. Die Knaben erhalten fast immer 
zwei, die Mädchen stets nur einen Namen. Gewöhnlich werden die 
Kinder nach Tieren benannt, die Mädchen auch nach Pflanzen. Da 
gibt eB einen »Tapir", ein „Wasserschwein", eine „Fledermaus", einen 
„Geier", eine „Eule", eine „Kröte", eine „Krabbe", verschiedene 
Arten Fische, aber auch einen „Hirschhaar", einen „Hirschbart". 
Eine Frau heißt „Specht", eine andere „Bastmutter". 

Zusammengesetzte Namen werden fast stets abgekürzt. Statt 
„Ölahindo" sagt man „Öla", statt „Yamapola" (Hirschhaar) oder 
„Yamahäuö (Hirschbart) „Yama" usw. Auch meine Umaua „Kauilimu" 
und „Kauanamu" nannten die Kobeua gewöhnlich „Kaui" und„Kaua*. 
Ebenso werden die christlichen Namen häufig abgekürzt. Statt „Do- 
mingo" sagen sie „Domi", statt „Marcellino" „Massa". 

Ein kleines Kind, Knabe oder Mädchen, reden die Kobeua mit 
dem Liebkosungswort „Tchumi" an, was ungefähr unserem „Kleines, 
Kleinchen" entspricht. 

Auch hier begegnet man der Scheu, den indianischen Namen zu 
nennen. Dieselbe Furcht vor Zauberei , die aus diesem Bedenken 
spricht, zeigte sich, als ich von den Indianern Haarproben nehmen 
wollte. 

Vom Augenblick der Geburt bis zu dem Zeitpunkt, wo das Kind 
sich seinen eigenen Füßen anvertrauen kann, sieht man die Mutter 
selten ohne dieses. Es ist bis dahin sozusagen ein untrennbarer Teil 
ihres Ichs. 

Ist das Kind noch sehr klein, so trägt es die Mutter in einer 
breiten Bastbinde, die sie über die rechte Schulter hängt. Später, 
wenn es schon allein sitzen kann, läßt sie es auf ihrer Hüfte reiten 
und umschlingt es nur lose mit der einen Hand. In dieser Weise 
kann man häufig Mutter und Kind am Tanze der Männer teilnehmen 
sehen. Schon die kleinen Mädchen schleppen so ihre jüngeren Ge- 
schwister umher, deren Pflege ihnen zeitweise anvertraut ist. Possier- 
lich ist der gravitätische Ernst, mit dem diese kleinen Mütter, das 
ältere Vorbild nachahmend, ihr Amt versehen. Wird das Kind der 
Mutter bei ihren häuslichen Arbeiten lästig, so bringt sie es im Hänge- 



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Kleine Kinder und junge Tiere 



stühlchen unter. Es sind äußerst zweckentsprechende, aus biegsamen 
Stäbchen und Baststreifen verfertigte Apparate, in denen das Kind 
aufrecht sitzen oder auch ßtehen kann. Damit ist beiden Teilen ge- 
holfen. Die Mutter ist der Wartung des Kleinen für einige Zeit 
enthoben, das Kind ist in Sicherheit*, es kann nicht fallen und nicht 
auf dem Boden umherkriechen, Erde essen und sonstigen Unfug an- 
richten. Ja, wenn man das Stühlchen so tief hängt, daß das Kind 
mit den Füßen auf dem Boden Bteht, kann es darin sogar laufen lernen 
(Taf. X). 

Ihre Mutterliebe übertragen die Indianerinnen auch auf ihre zahl* 
reichen Haustiere, in deren Zucht und Zähmung sie ihren ganzen 
Stolz setzen. Was sie daher von jungen Säugetieren fangen können, 
ziehen sie an ihrer eigenen Brust auf, wodurch diesen Tieren, nament- 
lich den Affen, eine solche Anhänglichkeit eingepflanzt wird, daß sie 
der Pflegemutter auf Schritt und Tritt folgen. 

Unter den Lieblingstieren, die die Kobeuafrauen bei allen mög- 
lichen Gelegenheiten mit sich schleppen, sind junge Faultiere, die 
stumpfsinnigsten Bewohner des brasilianischen U rwaldes. Wie kleine 
Kinder klammern sich diese Tiere um den Hals ihrer Pflegemütter, 
in deren Fürsorge sie sich mit ihren zweibeinigen Milchgeschwistern 
redlich teilen. 

Eines Tages hatte ein Jäger eine Aftin geschossen und das Junge 
lebend mitgebracht. Seine Frau suchte es an ihre Brust zu gewöhnen, 
indem sie das sich heftig sträubende kleine Scheusal, das wütend 
kratzte und um sich biß, kräftig am Halse packte und ihm aus ihren 
vollen Brüsten Milch in das Maul spritzte. Auch einen kleinen Vogel 
fütterte sie auf diese Weise, aber der war schon verständiger und 
sperrte den Schnabel verlangend auf nach dem süßen Trank. 

Die Kinder genießen von den Eltern eine liebevolle Behandlung, 
wenn der Indianer auch gewöhnlich seine Gefühle vor Fremden ver- 
birgt. In allen Niederlassungen, wo ich mich längere Zeit aufhielt, 
und wo die Indianer mich gewissermaßen zur Familie rechneten und 
deshalb keine Scheu mehr zeigten, bemerkte ich, daß die Eltern be- 
sonders die kleinen Kinder mit denselben Zärtlichkeiten überschütten 
wie bei uns. Stundenlang sah ich Frauen mit ihren Kindern spielen 
und sie unterhalten. Ist noch ein Säugling da, der die ausschließliche 
Pflege der Mutter beansprucht, oder muß diese ihrer Hausarbeit nach- 
gehen, so überläßt sie das etwas ältere Kind gern der Großmutter, 
die bisweilen auch das Säugen übernimmt. Die Indianer sagen, die 
Frauen wendeten ein Mittel an, das ihnen die Milch bis in ein hohes 



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Mutterliebe 



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Alter erhalte. Freilich gibt es unter den Indianerinnen noch recht 
jagendliche Großmütter. Da viele bei ihrer frühen Entwicklung schon 
mit zwölf bis vierzehn Jahren heiraten, so können sie Großmütter 
werden in einem Alter, in dem die moderne Europäerin noch lange 
nicht an diese Würde denkt. Die allzufrühe Mannbarkeit und Heirat 
der indianischen Mädchen mag eine der Hauptursachen ihres raschen 
Verblühens sein. Das weibliche Geschlecht ist zwar in der Regel von 
gesundem und kräftigem Körperbau, zeichnet sich aber gerade nicht 
durch Schönheit aus. Nach dem fünfundzwanzigsten Lebensjahre ist 
bei der Indianerin die Blüte gewöhnlich vorüber. Die ebenmäßige 
Gestalt wird häufig durch ekelhafte Fettanhäufung verdeckt, und die 
Elastizität der Bewegungen macht einer gewissen Trägheit Platz. 
Andere Frauen magern nach mehrmaliger Mutterschaft stark ab; die 
Züge werden scharf und knochig, und unter den älteren Weibern trifft 
man bisweilen wahre Hexenmodelle mit halberblindeten, triefenden Augen. 

Trotz der geringen Bekleidung der Frauen habe ich bei ihnen 
nie die geringste Unanständigkeit gesehen. Selbst gänzlich unbekleidete 
Frauen benehmen sich so dezent, daß man ihre Nacktheit völlig vergißt. 

Die zärtliche Liebe der Mutter zum Kinde zeigt sich schon darin, 
daß sie es mit allein möglichen Schmuck behängt. Die schönsten 
Halsketten aus aufgereihten Tierzähnen, Pflanzensamen und mühsam 
durchbohrten Steinperlen findet man bei den kleinen Kindern. Durch 
nichts kann man sich die Eltern und besonders die Mutter rascher 
zu Freunden machen, als wenn man ihr Kind mit Perlen beschenkt, 
die sofort auf einen Faden gereiht und dem Kleinen um den Hals 
gehängt werden, was stets die ganze Familie zu lauten Ausrufen der 
Bewunderung hinreißt. 

Bei jeder Gelegenheit wird das Kind von der Mutter bemalt, 
teils zum Schmuck mit Urucurot, teils als prophylaktisches Mittel 
gegen den bösen Katarrh und andere Krankheiten mit der heilkräftigen, 
dunkelroten Farbe der Bignonia Chica. Oft brachten mir die Frauen 
ihre kranken Kinder und baten mich flehentlich, sie zu heilen. Rührend 
ist ihre Sorge, erschütternd ihre Trauer bei dem Verlust ihrer Lieb- 
linge. Gleich im Anfang meiner Bekanntschaft zählten mir die Frauen 
gewöhnlich mit jämmerlicher Stimme die Kinder auf, die ihnen der un- 
erbittliche Tod entrissen hatte, indem sie mit traurigen Mienen nach 
der Erde zeigten. Die Kindersterblichkeit ist groß. Daher kommt 
es wohl auch, daß in diesem Gebiet trotz der verhältnismäßig großen 
Fruchtbarkeit der Frauen die Bewohnerzahl nicht zunimmt, bei einigen 
Stämmen sogar ständig zurückgeht. 



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HegräbnisgebrÄnche 



Die Kinder zeigen frühzeitig große Intelligenz und natürlichen 
Anstand. Zwar gibt es auch bei den Indianern, wie in der ganzen 
Welt, ungezogene Kinder, besonders unter den kleineren, die noch 
nicht die Ruhe und Selbstbeherrschung der Eltern angenommen 
haben. Wohl weisen die Eltern sie dann mit ermahnenden Worten 
zurecht, wohl sagt der Vater einmal zum schreienden Kind, das ihm 
und anderen die Nachtruhe stört: „Obähakö, abochökö daibi!" — 
„Sei still, der böse Geist kommt!", aber nie sah ich, daß sie sich 
in jähem Zorn zu Ungerechtigkeiten oder gar Mißhandlungen hin- 
reißen ließen. 

Sobald sie laufen können, ahmen die Kinder die Tätigkeit der 
Erwachsenen nach. Während das kleine Kind sich mit einem Bambus- 
Stäbchen als Spielzeug begnügt, übt sich der heranwachsende Knabe 
mit kleinen Bogen und Pfeilen, die ihm der Vater verfertigt. Das 
Mädchen fängt frühzeitig an, der Mutter zur Hand zu gehen. Es 
beaufsichtigt die jüngeren Geschwister und lernt spielend die ver- 
schiedenen Geschäfte der Hausfrau. 

Stirbt ein Koben a, so hocken während der folgenden Nacht die 
Männer auf der einen, die Weiber auf der anderen Seite der Hänge- 
matte, in welcher der Leichnam liegt, und halten die Totenklage ab. 
Am anderen Morgen wird der Verstorbene in seinem Kanu, in der- 
selben Weise wie am Aiary, inmitten der Maloka begraben. Sein 
Federschmuck wird ihm auf die Brust gelegt und mit in das Grab 
gegeben. Auf dem geschlossenen Grabe werden sein Bogen und seine 
Pfeile, seine Fischreusen und andere Gerätschaften, auf dein Grabe 
der Frau ihre Körbe und Siebe verbrannt, ihre Töpfe zerschlagen und 
die Scherben in den Wald geworfen, damit nichts von der Habe des 
Toten zurückbleibt, und der Totengeist nicht gezwungen ist zurück- 
zukehren, sein Eigentum zu beanspruchen und die Hinterbliebenen 
für ihre Nachlässigkeit oder Habgier zu bestrafen. Solange der 
Leichnam noch nicht in der Erde ruht, dürfen die Anverwandten 
nichts essen. Ein Bad beendigt das Fasten. Die laute, zeremonielle 
Totenklage wird fünf Tage lang, morgens, mittags und abends, von 
den Hinterbliebenen am Grabe ausgeübt, auch später noch gelegentlich 
wiederholt. 

Sofort nach dem Begräbnis werden Masken verfertigt und ein 
großes Kaschiri bereitet. Am neunten Tage findet das Totenfest zu 
Ehren des Verstorbenen statt. Die Maloka wird durch Zäune aus 
Palmlatten geteilt. In der hinteren Hälfte bleiben die Weiber und 
Kinder. In der vorderen Hälfte veranstalten die Männer zunächst 



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Seelenglaubc 



315 



einen Yuruparytanz, wobei sie auf zwei riesigen Trompeten blasen. 
Gepeitscht wird nicht. Danach wird der Zaun weggenommen, und im 
Beisein der Weiber und Kinder beginnen unter erneuter Totenklage 
Maskentänze, die bis zum nächsten Tage dauern. 

Stirbt ein Häuptling, so folgen ihm in der Würde zunächst seine 
Brüder und erst nach diesen sein ältester Sohn. Letzterer wird 
Häuptling, „wenn er eben Mann geworden ist" ; doch kommt Minder- 
jährigkeit kaum vor, da stets genug Oheime vorhanden sind, die nach 
dem Alter einander folgen, so daß der Sohn des ersten Häuptlings 
häufig schon ein ansehnliches Alter erreicht hat, ehe er die Geschäfte 
des Ältesten übernimmt. 

Erst nach Ablauf eines Jahres dürfen Witwer oder Witwe wieder 
heiraten. 

Der Totengeist bleibt einen Tag beim Leichnam und geht dann 
nach Makölami (Ararahaus), einer schönen, geräumigen, für die 
Menschen unsichtbaren Maloka auf dem gleichnamigen Gebirge ober- 
halb der Mündung des Cuduiary, wo er von den Geistern der Vor- 
fahren festlich empfangen wird. Ein anderer Höhenzug, nicht weit 
von Makölami, trägt ebenfalls auf seinem Gipfel ein großes „Stein- 
haus". Beide Gebirge gelten als das Jenseits der Kobeuaseelen. 

Beim Schlaf und Traum verläßt die Seele den Körper und „geht 
spazieren". Sie steht eine Zeitlang beim Kopfe des Schlafenden, geht 
dann langsam zu seinen Füßen, steht auch dort eine Zeitlang still, 
kehrt langsam zum Kopfe zurück und so fort, immer hin und her. 
Schließlich schlüpft sie wieder durch den Mund in den Körper, und 
der Mensch erwacht. Bisweilen macht die Seele auch weitere Ausflüge. 
Träume ich von den Umaua, so war meine Seele bei ihnen. 

Im Dunkel der Nacht traf ich einmal den Umaua Kauanamu vor 
dem Haus neben dem Eingang stehend. Mit der Hand strich er 6ich 
über das Gesicht und blies dann die „Materie" in die Luft, ähnlich 
wie es die Zauberärzte bei der Krankenkur machen. Ob er einen 
bösen Traum gehabt hatte und ihn auf diese Weise verscheuchen 
wollte? 

Beim Niesen und Gähnen verläßt die Seele einen Augenblick 
den Körper durch Mund und Nase. Während der Reise zum oberen 
Cuduiary nieste Öla eines Tages heftig und sagte dann zu mir: „Jetzt 
denkeich an eine Frau." „An deine Frau?" fragte ich ihn. „Nein, 
an eine andere! 44 antwortete der Spitzbube. 

Bei einem starken Donnerschlag trennt sich nach dem Glauben 
der Kobeua eine Seele vom Körper; ein Mensch stirbt. 



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Endokannibalismus 



Eine Art von Endokannibalismus schilderte mir der Häuptling 
von Namocoliba nach eigener Anschauung: Fünfzehn Jahre nach dem 
Begräbnis werden die Gebeine des verstorbenen Vorfahren au 15 er 
dem Schädel ausgegraben und in einem großen Feuer vor der Maloka 
verbrannt. Die verkohlten Knochen werden säuberlich gesammelt und 
in einem Topf auf ein Feuer gesetzt, das einen ganzen Monat, Tag 
und Nacht, unterhalten wird, bis die Knochen in Asche zerfallen. 
Das Knochenmehl wird nochmals im Mörser fein gestoßen. Bei dem 
Totenfest, zu dem viele Leute zusammenkommen, wird ein großer Topf 
mit Kaschiri, das nur aus Mais gebraut und sehr dickflüssig und stark 
ist, in die Mitte der Maloka gestellt und das Knochenmehl durch ein 
dichtes Sieb in den Festtrank geseiht. Der Häuptling rührt das Ge- 
bräu mit einem Stab um und gibt zuerst jedem der umsitzenden Männer 
eine große Kalabasse davon zu trinken, aber nur den Alten und 
den Familienvätern, die schon dreiKind erhaben, darauf 
ebenso den Weibern, aber wiederum nur den Alten und 
den Müttern von drei Kindern. 

Bei diesem Fest wird, außer den gewöhnlichen Maskentänzen, 
ein besonderer Tanz aufgeführt. Die Teilnehmer tragen laug herab- 
wallende Streifen aus gelbem Bast wie eine Stola um den Hals und mit 
Bastfahnen verzierte Keulen unter dem linken Arm (vgl. S. 301). In 
der rechten Hand halten sie einfache Röhren aus leichtem Cecropiaholz, 
auf die hölzerne Fischfiguren gebunden sind. Sie schreiten vor- und 
rückwärts, indem sie jedesmal mit dem rechten Fuß aufstampfen, ent- 
locken ihren primitiven Instrumenten dumpfe Töne und singen dazu 
einen eintönigen Gesang mit unzähligen Wiederholungen. 

Den Ursprung dieser merkwürdigen Sitte, die sich auch bei anderen 
Stämmen des tropischen Südamerika findet, können wir in dem Glauben 
suchen, daß die Knochen, die nach der Zersetzung des Leibes allein 
übrigbleiben, der eigentliche und letzte Sitz der Seele sind. Unfähig, 
das Körperliche vom Geistigen zu trennen, macht sich der primitive 
Mensch des Geistes und Wesens seiner Vorfahren, die ihm als die 
verkörperten trefflichen Eigenschaften gelten, auf diese handgreifliche 
Weise teilhaftig. 

Dem Glauben an die unmittelbare Übertragung gewisser Eigen- 
schaften und Fähigkeiten vom Tier auf den Menschen, der auch in 
den Speisevorschriften vor und nach der Geburt seinen Ausdruck 
findet, begegnen wir in folgendem Brauch der Kobeua: Es gibt einen 
kleinen Falken mit rotem Schnabel, der sich besonders in den 
Pflanzungen aufhält und ein so scharfes Gesicht haben soll, daß er 



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Zaubcrarzt 



317 



aus bedeutender Höhe sogar einen Wurm auf der Erde sehen könne. 
Wenn ein Eobeua einen solchen Vogel erlegt, sticht er ihm in die 
Augen und träufelt die darin enthaltene Flüssigkeit in seine eigenen 
Augen, um auf der Jagd schärfer sehen zu können. 

Wie überall, so nimmt auch bei den Kobeua der Zauberarzt eine 
hervorragende und in mancher Beziehung gefürchtete Stellung ein. 
Nur mit Hilfe eines älteren Zauberarztes kann man diese Würde er- 
langen. Dieser holt von einem hohen Gebirge weiße Zaubersteinchen, 
die ein großer mythischer Geier auf natürlichem Wege von sich ge- 
geben hat. Er zaubert sie dem Kandidaten durch die Nase in den 
Kopf, wo sie „das ganze Gehirn und die Augen fressen" und deren 
Stelle einnehmen. Der übrige Körper bleibt unberührt davon. In diesen 
weißen Steinchen, vielleicht Bergkristallen, steckt offenbar die ganze 
Kraft des Zauberarztes. Der Kandidat darf nun einen Monat lang 
nur Maniokspeisen zu sich nehmen und seine ehelichen Pflichten 
nicht ausüben. Dann darf er zunächst wieder gewisse kleine Fische 
essen, weiterhin größere Fische und endlich Fleisch von warmblütigen 
Tieren. Nach dem Fasten ist er Zauberarzt und kann als solcher 
Krankheiten heilen. Bei den Kobeua gebe es nur gute Zauber- 
ärzte! Viele böse Zauberer aber seien bei den Möläua (Moskito- 
Indianern) im Quellgebiet des Ti-Igarape" und am oberen Papury. 

Wird ein Zauberarzt sehr alt, so daß er nur noch mühsam 
gehen kann, dann wird er ein Jaguar, d. h. er geht von Zeit zu Zeit 
in den Wald, verwandelt sich dort in einen Jaguar und tötet und 
frißt Hirsche und andere Tiere, aber auch Menschen. Er kehrt aus 
dem Walde zurück und wird wieder Mensch. „Die Jaguarhaut birgt 
er in seinem Schlafwinkel über seiner Hängematte unter den Dach- 
sparren." Stirbt ein Zauberarzt, „so wird seine Jaguarhaut mit ihm 
begraben". Seine Seele aber geht nicht in das Jenseits über, sondern 
streift für immer im Walde umher als „sehr böser Jaguar". 

Wir haben es hier mit einem ausgesprochenen Werwolfglauben 
zu tun, der uns zugleich den Schlüssel dazu gibt, warum im Kobeua 
und in den meisten anderen Sprachen der Tukanogruppe die Be- 
zeichnungen für Jaguar und Zauberarzt identisch sind. 

Böse Menschen bringen den Leuten Gift bei und machen sie da- 
durch krank. Der Feind geht auf ein Gebirge und holt dort Zauber- 
gift, das in Gestalt und Farbe Stärkemehl ähnelt. Er faßt es nicht 
mit den Händen an, sondern schiebt es mit einem Stäbchen auf ein 
Blatt und schüttet es von diesem auf ein anderes Blatt, das er vor- 
sichtig zusammenfaltet und verschnürt. Bei einem Tanzfest sticht er 



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318 



Zaulierras^el 



heimlich mit einem Stäbchen ein Loch in das Bündel und läßt den 
Inhalt in die Kalabasse des Gegners laufen. Dieser trinkt davon 
und wird krank. Stirbt er, so spricht der Zauberarzt mit, dem Toten- 
geiste, der ihm den Schuldigen nennt. Dann überfallen die Verwandten 
die Maloka des „Mörders", töten alle Bewohner, Männer, Weiber und 
Kinder, soweit sie nicht entfliehen, und verbrennen das Haus. 
Die Krankenkur ist dieselbe wie am Aiary. 
Als in Namocoliba eine junge Frau am Fieber erkrankte, ent- 
zauberte der Zauberarzt auch ihren ganzen Kleinkram, den er in 
einen flachen Korb gelegt hatte, indem er eifrig Tabakrauch darüber 
hin blies und mit der rechten Hand die Krankheitsmaterie wegstrich 
und in die Luft wehte. Er nahm 6eine Pflicht sehr genau und zog 
sich nach einer heftigen Kur an der Frau, die über eine halbe Stunde 
gedauert hatte, ganz matt in seine Hängematte zurück, wo er noch 
eine Zeitlang weiterstöhnte, rülpste und spuckte. 

Beim Krankenzauber spielt die Zauberrassel eine Hauptrolle. Der 
Zauberarzt trennt sich unter keinen Umständen von diesem Wertobjekt, 
dem er eine geheimnisvolle Kraft zuschreibt. Nach langem, vergeb- 
lichem Bemühen glückte es mir, von einem uralten Zauberarzte der 
Kobeua am Caiary, der es nicht mehr weit bis zum Jaguar hatte, 
eine Zauberrassel zu erwerben. So oft ich sie später einem Zauber- 
arzt am Cuduiary zeigte, brach er in mißfälliges Erstaunen über den 
in seinen Augen gewissenlosen Handel aus. 

Die Zauberrassel hat im wesentlichen die Form der gewöhnlichen 
Tanzrassel, doch ist das obere Ende des Holzstabes, der durch den 
Rasselkürbis gesteckt ist, mit einem Büschel Papageifedern geschmückt. 
Die mit heilkräftiger, dunkelroter Farbe eingeriebene Oberfläche des 
Kürbisses ist mit Ritzungen versehen, die aber von den typischen Ritz- 
mustern der Tanzrasseln sehr abweichen und in einfachen Parallel- 
strichen, Bogenlinien, Winkeln und menschlichen Figuren bestehen, 
deren Bedeutung ich trotz vielfachen Nachfragens nicht in Erfahrung 
bringen konnte (Abb. S. 97). An mehreren Stellen ist der Kürbis 
durchlöchert. Bei der Beschwörung bläst der Zauberarzt durch diese 
Löcher den narkotisierenden Tabakrauch in das Innere des Kürbisses. 
Durch das Hin- und Herschwingen der Rassel entweicht der Rauch 
wieder durch die Löcher und verbreitet sich über dem Kranken oder 
den Gegenständen, die entzaubert werden sollen. 

Als ärztliches Honorar gelten rote Farbe, spanischer Pfeffer, 
Töpfe, Hängematten, Bogen, aber niemals Pfeile. 

Außer den bösen Dämonen der Maskentänze, Makukö, Kohäkö, 



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Waldgeister und Stammessage 



319 



Hailäkö u. a., von denen weiter unten die Rede sein wird, fürchten 
die Kobeua besonders drei Waldgeister: Kuinaopäko sieht aus wie 
ein Tapir, ist aber viel größer. Er frißt Menschen. Makatchikö 
ist nur halbmannshoch. Er hat eine schöngeschnitzte Keule in der 
Hand, mit der er zuerst auf seinen langen Phallus stößt und dann wider 
die hohen Bäume schlägt, daß es schallt wie ein Flintenschuß. Mit 
der Keule tötet er Menschen. Popali ist etwas größer als Makatchikö, 
„so groß wie ein kleiner Mann", und zeichnet sich durch einen un- 
geheueren Phallus aus. Auch er tötet Leute. 

Der Zauberarzt in Namocoliba erzählte mir manches von den 
Überlieferungen der Kobeua. Außergewöhnlich, wie bei vielen Völkern 
der Erde, ist die Geburt des Ahnherrn. Ich gebe hier die Mythe von 
Hömänihikö, dem Ahnherrn der Kobeua, in der ganzen umständ- 
lichen Redeweise des Erzählers wieder: 

Hömänihikös Mutter ging mit Hömänihikö schwanger. Sie hatte 
eine Fischreuse aus Lianen verfertigt. Als sie sie in den Fluß legen 
wollte, stürzte sie damit vom hohen Ufer herab in das Wasser, geriet 
in die Reuse und ertrank. Von dem Geruch des faulenden Leichnams 
angelockt, kam der weiße Aasgeier und zerhackte den Bauch der 
Toten. Da kroch Hömänihikö lebend hervor. Er setzte sich, schon 
vollständig zum Tanz geschmückt, auf den Hals des Aasgeiers und 
flog mit ihm durch den Wald bis zur Wüstung des Hauses seines 
Vaters, wo sie gegen Abend ankamen. Dort ließ er sich in Gestalt 
einer Eule auf einem stehengebliebenen Hauspfosten nieder. Der Aas- 
geier aber flog weiter in seine Wohnung. Hömänihikös Großmutter 
lag in der Gestalt einer großen Jararaca-Schlange in der Wüstung 
zusammengerollt unter dürren Cecropiablättern. Hömänihikö blies sie 
durch ein Blasrohr mit Tabakrauch an, bis sie einschlief und früh am 
anderen Morgen als Mensch erwachte. Darauf ging die Großmutter 
mit Hömänihikö weg, um an einem anderen Platz ein neues, großes 
Haus zu bauen. Als sie dort angekommen waren, sagte die Alte zu 
Hömänihikö: „Geh in den Wald und fang den Jaguar, der deinen 
Vater gefressen hat!" Hömänihikö ging in den Wald und fällte einen 
Baum mit der Axt. Da kam ein Jaguar. Hömänihikö schoß den Jaguar 
mit Blasrohr und Giftpfeilchen, zog ihm die Zähne aus und machte sich 
daraus einen Halsschmuck. Dann ging er nach Hause. Am folgenden 
Tag ging Hömänihikö wieder in den Wald und fällte eine Palme mit 
dem Waldmesser. Da kam ein anderer Jaguar. Hömänihikö schoß ihn 
mit Blasrohr und Giftpfeilchen, zog ihm die Zähne aus und machte 
sich einen Halsschmuck daraus. Dann ging er heim. Am anderen 



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.{20 



Höminihikös Taten 



Tag ging Hömänihikö zur Pflanzung der Geier, die in alter Zeit 
Menseben waren. Er zog nur eine riesig große Maniokwurzel aus 
und brachte sie heim. Die Großmutter rieb die Wurzel auf dem 
Reibebrett, einen großen Topf voll Masse, preßte diese durch ein Sieb 
und buk tags darauf einen Maniokfladen. Am folgenden Tage ging 
die Großmutter mit Hömänihikö zur Pflanzung der Geier. Die Sonne 
brannte sehr heiß herab, und Hömänihikö, der vorher groß und „alt" 
war, wurde davon zu einem kleinen Knaben. Um Mittag kam ein 
Geiermädchen zur Pflanzung und ging baden im nahen Fluß. Hömäni- 
hikö begehrte sie zum Weibe. Er verwandelte sich in einen kleinen 
Vogel und umflatterte das Mädchen. Dieses fing den kleinen Vogel. 
Hömänihikö aber faßte sie und tat ihr Gewalt an. Dann setzte er 
sich dem Mädchen auf den Rücken und kam so mit ihr zur Maloka 
der Geier. Dort trank er Maniokbrühe, wurde aber nicht satt (wört- 
lich: sein Bauch war nicht voll). Er kehrte dann nach Hause zurück. 
Dort angekommen, wurde er wieder „groß und alt tt . — Seine Groß- 
mutter hatte inzwischen kleine Fische gefangen, mit Blättern umwickelt 
und gebraten. Sie gab sie dein Geier, der sie in sein Haus trug, 
dort in einen Korb legte und verzehrte. — Dann zog die Großmutter 
drei Maniokwurzeln aus, kehrte heim, verarbeitete sie und machte ein 
großes Kaschiri. Die Geier kamen zum Kaschiri. Hömänihikö tanzte. 
Er wollte aber die Geier töten. Sie tanzten bis zum frühen Morgen. 
Hömänihikö sprach zu den Geiern: „Ich will euch töten!" Hömänihikö 
tötete alle Geier mit dem Waldmesser. Seine Großmutter aber schalt 
ihn und sprach: „ Warum hast du die Geier getötet? Da tötete 
Hömänihikö auch seine Großmutter. Er schlug sie mit dem Wald- 
messer um den Leib in zwei Stücke. Darauf ging Hömänihikö weg 
und kam zum Hause der Heuschrecken, die in alter Zeit Menschen 
waren. Er tötete sie alle und zog dann weiter und kam zum Hause 
der Yurupary- Affen, die in alter Zeit Menschen waren. Er tötete alle 
Yurupary-Affen und blieb in ihrem Hause wohnen. 

Soweit der Zauberarzt Öla erzählte mir später noch von weiteren 
Taten des Stammesheros. Außer den Jaguaren, Geiern, Heuschrecken 
und Yurupary-Affen tötete Hömänihikö die Blattschneide-Ameisen, 
Wespen, Taracua-Ameisen und Hirsche. Bei der Erzählung geht der 
Begriff" von Mensch und Tier bunt durcheinander. Der Erzähler fällt 
gewissermaßen aus der Rolle. Obwohl er ausdrücklich betont, daß 
die Blattschneide-Araeisen, Wespen, Taracua-Ameisen und Hirsche 
damals, in alter Zeit, Menschen waren, werden sie im Mythus doch 
wie Tiere behandelt: das Haus der Wespen zerklatschte der Stammes- 



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1 Kobcaa-Indianerin mit Säugling in der Tragbinde 

2 Kobeua-Kind im Hängestühlchen. Rio Caiary-Uaupes 

3 Siasi-Knaben. Rio Aiary 



Hnmänihikös Brüder 



321 



heros zwischen seinen Händen und tötete so alle Bewohner. Die 
Blattschneide-Ameisen zerrieb er zwischen den Händen und warf sie 
dann weg. In das Haus der Taracua-Ameisen blies er Feuer mit 
dem Blasrohr, so daß alle Bewohner tot niederfielen. Die Hirsche 
tötete er mit Blasrohr und Giftpfeilchen. — Auch die Todesart der 
Großmutter weist auf ihre frühere Schlangengestalt hin. Hömänihikö 
schlug sie mit dem Waldmesser in zwei Stücke. 

Den Kern dieser Mythen bilden unzweifelhaft historische Vor- 
gänge, die einer nicht allzufernen Vergangenheit angehören, erbitterte 
Kämpfe, welche die von Westen her einfallenden Kobeua mit den 
eingesessenen Stämmen zu bestehen hatten, und in denen sie Sieger 
blieben. Der Stammvater Hömänihikö repräsentiert in diesen Erzäh- 
lungen den ganzen Kobeuastamm. Er tritt als der große Zauberer 
auf. Er verwandelt sich mühelos bald in ein Tier, bald wieder in 
einen Menschen; er gibt seiner Großmutter in der Tabaknarkose die 
menschliche Gestalt; er ist mit übernatürlichen Kräften begabt, die 
ihn über alle seine Feinde triumphieren lassen. 

Hömänihikö hatte nach der Tradition zwei Brüder, Mianikö 
töibö und Kuai. Alle drei gelten als Vorfahren der Kobeua, wenn 
auch Hömänihikö der vornehmste unter ihnen zu sein scheint, denn 
auf die Frage nach dem Stammvater der Kobeua wurde stets nur 
Hömänihikö genannt, den wir somit als den eigentlichen und ursprüng- 
lichen Ahnherrn des ganzen Stammes ansehen müssen. 

Auch Mianikö töibö ist wie seine Brüder „Mensch 41 , trotz seiner 
scheußlichen Gestalt. Er hat keinen Kopf und die beiden Augen 
auf der Brust an Stelle der Brustwarzen. 

Kuai ist sicher erst viel später in den Sagenkreis der Kobeua 
aufgenommen worden, denn er ist einer der Ahnherren der Aruak- 
8tämme dieser Gegenden, der Sohn des Yaperikuli, des „ersten Baniwa u . 
Wie die Kobeua von den unterworfenen Aruak zugleich mit den 
Weibern viele Sitten und einen großen Teil der eigenartigen Kultur 
übernahmen, so adoptierten sie auch den Ahnherrn. 

Kuai, der den Hauptkulturheros, den obersten Fruchtbarkeits- 
dämon der Aruakstämme darstellt, gilt den Kobeua als der Erfinder 
und Lehrmeister von Geräten und Gebräuchen, die mit dem Feldkult, 
wie überhaupt mit dem Wachstum und der Fruchtbarkeit in der ganzen 
Natur eng zusammenhängen, der Masken und Maskentänze; ein deut- 
licher Beweis, daß die Maskentänze den Kobeua nicht ursprünglich 
eigentümlich sind, sondern daß auch in diesem Falle die Aruak ihre 
Lehrmeister gewesen sind. 

Koch-OrünberR, Zwei Jahre bei dm Indianern 21 



322 



Erfindung der Masken und M&akent&nze 



In ganz alter Zeit, so berichtet die Überlieferung, tanzten die Kobeua, 
ebenso wie die anderen Stämme des Caiary-Uaupes, nur mit dem ge- 
wöhnlichen Federschmuck, und zwar an der Taiasu-Oachoeira, der alten 
Heimat des Kobeuastamraes. Sie wußten damals noch nichts von 
Masken. Kuai verfertigte die erste Maske und tanzte zuerst mit seinen 
Brüdern in Masken. Er lehrte diese Kunst dann seinen Kindern, den 
Kobeua. Das erste Maskentanzfest fand in Uaracapury 6tatt, das zweite 
in Murucututu, einer flachen Schnelle nur wenig flußaufwärts davon. 
Darauf zogen sie weiter zur Taku, dem Jenseits der Masken- 
seelen, an der Mündung des Ti-Igarap£, und veranstalteten dort das 
dritte Maskentanzfest. Nach Beendigung dieses Festes ging ein jeder 
in sein Haus: Kuai in sein großes Steinhaus Kuaikölami auf einem 
hohen und langen Gebirge in den Savannen des oberen Caruru-Igarape': 
Hömänibikö in sein großes Steinhaus Hömänihikölaroi auf einem 
hohen Gebirge am Querary „nicht weit von Namocoliba"; Mianikö 
töibö in sein großes Steinhaus Makölami auf dem gleichnamigen 
Gebirge oberhalb der Mündung des Cuduiary. In alter Zeit weilten 
Kuai und Hömänihikö in ihren Steinhäusern auf Erden und tanzten 
auch dort mit Masken. Später gingen beide zum Himmel, wo sie 
noch heute sind und mit Masken tanzen. Mianikö töibö aber weilt 
bis auf den heutigen Tag mit seiner Frau Wänio in seinem geräumigen 
und schönen Steinhaus Makölami (Arara-Haus) als Herr aller Kobeua- 
Seelen, die nach dem Tode zu ihm gehen, und als Herr aller 
Arara! Er hat dort viele, viele Arara und ist „Arara-Herr, Arara- 
Vater". 

Meine Frage, ob die Seelen der verstorbenen Kobeua Arara 
würden, wurde ausdrücklich verneint, und doch liegt wohl diesem 
seltsamen Zusammengehen ursprünglich der Gedanke zugrunde, der 
jetzt vielleicht vergessen ist, daß die Kobeua nach ihrem Tode Arara 
werden. 

In verhältnismäßig neuere Zeit fällt wohl der Kriegszug, den in 
der Überlieferung Hömänihikö und Mianikö töibö am oberen Querary 
gegen die Uanana führten. 

Die Yurupary-Feste werden bei den Kobeua ebenso gefeiert wie 
am ganzen Caiary-Uaupes. Die den Teilnehmern auferlegten Fasten, 
während deren sie nur Maniokspeiseu und gewisse kleine Fische, aber 
keinen spanischen Pfeffer essen dürfen, dauern fünf Tage. Wenn weib- 
liche Personen den Dämon, d. h. die Musikinstrumente, sehen, „sterben 
sie u ; wenn kleine Knaben ihn sehen, werden sie Erdesser. 

Die Kobeua haben auch Tiertänze ohne Masken, bei denen Figuren 



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Tiertänze 



323 



von Vögeln, Fischen und Eidechsen Verwendung tinden. Die Vogel- 
figuren sind in der Regel aus sehr leichtem Holz geschnitzt, entweder 
leicht angekohlt oder mit bunten Mustern bemalt, mit weißem Flaum 
beklebt und mitFederchen besteckt. Sie stellen Kolibri, kleine Schwalben, 
Geier, Tauben, Aasgeier und andere Vögel dar und hängen an zwei 
ebenfalls mit Flaum beklebten Schnüren, die an Stäbchen befestigt 
sind. Zwei Tänzer umschlingen sich mit dem einen Arm und halten 
in der anderen Hand oder unter den Arm geklemmt einen Stab, so 
daß die Figur an den Schnüren vor ihnen schwebt. In gleicher Weise 
wird auch mit hölzernen, bunt bemalten Fischfiguren getanzt. Die 
Figur des Schwälbchens wird auf einen Stab gebunden. Jeder der 
beiden Tänzer hält einen solchen Stab in der Hand. Auch die aus 
Bast verfertigten und mit Flaum beklebten Eidechsenfiguren werden 
beim Tanz an Schnüren, aber ohne Stäbchen getragen. Die einfach 
geschmückten Tänzer schreiten unter eintönigem Gesang vor- und rück- 
wärts, indem sie mit dem Oberkörper taktmäßig einknicken und mit 
dem rechten Fuß aufstampfen. 

Bei einem anderen Tanz tragen die Teilnehmer auf dem Kopf 
einen aus Stäbchen und Lianen verfertigten, bisweilen mit Palmfaser- 
schnüren umflochtenen und mit bunten Federn geschmückten Hut in 
Sanduhrform, der den größten Teil des Gesichtes verdeckt. In der 
Hand halten sie die Kürbisrassel, mit der sie den Takt hervorheben. 
Außer Gebrauch werden diese Hüte zusammengebunden und, ähnlich 
wie Körbe und Siebe, im Giebel des Hauses aufgehängt. 

Die interessanteste Betätigung findet der Dämonenglaube in den 
Maskeotänzen. 

Viele Masken und Maskentänze haben die Kobeua mit den Kaua 
des oberen Aiary gemein, die nach ihrer eigenen Angabe die Masken- 
tänze aus ihrer alten Heimat, vom Querary, mitgebracht haben. „In 
alter Zeit u , so erzählte mir mein Freund, der Siu6i-Häuptling Mandu, 
„kamen die Leute des Caiarv, die schon Masken machten, und lehrten 
die Aiary-Leute diese Kunst. 44 

Die Verfertigung der Masken ist dieselbe wie am Aiary. Mittel- 
dicke, astlose Stücke von dem Stamm eines gewissen Laubbaumes 
werden mit dem Messer der äußeren Rinde entkleidet. Der darunter- 
sitzende, weiße Bast wird mit einem gekerbten Holzschlegel so lange ge- 
klopft, bis er sich in Form eines Ärmels leicht vom Holz abstreifen läßt, 
worauf er tüchtig gewaschen und mit aller Vorsicht, damit er nicht 
reißt, in die Breite gezogen wird. Eine eingesteckte gebogene Gerte, 
über die der Baststoff mit Affenknochennadel und Faserschnur genäht 



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324 



Vorfertigen der Masken 



wird, gibt ihm die nötige Form und verhindert das Einschnurren, wenn 
der Maskenkörper nun zum Trocknen aufgehängt wird. Das Bemalen 
wird mit großer Sorgfalt und peinlicher Sauberkeit ausgeführt. Der 
Maskenkörper liegt zu diesem Zweck auf einem mit Bananenblättern 
bedeckten Gitter aus Palmstäben oder auf einer aus Palmblatt gefloch- 
tenen Matte. Als Lineale dienen sauber halbierte Palmblattstengel. 
Die gelben Baststreifen des Behanges, der die Beine des Tänzers zum 
Teil verhüllen soll, werden um eine Liane geschlungen, die dann mit 
dem unteren Rande des Maskenkörpers vernäht wird. Dieser gelbe 
Bast wird von einem anderen Laubbaum genommen und ebenfalls im 
ganzen Stück durch Stoßen mit einem Holz von dem Stamm, an dem 
er sehr fest sitzt, losgelöst. Von dem dicken, langfaserigen Bastteppicb 
lassen sich die einzelnen Streifen leicht abziehen. Die Ärmel aus festem, 
rotem Bast werden durch Seitenlöcher des Maskenkörpers gesteckt und 
dort durch einen Lianenring, über den der Rand des Ärmels genäht 
ist, festgehalten. Auch der äußere Rand des Ärmels ist über einen 
Lianenring genäht und mit gelben Baststreifen behängt. Die fertige 
Maske heißt bei den Kobeua takahä. Der Tänzer sieht durch den 
porösen Baststoff oder reißt Gucklöcher hinein. Zum Tanz werden 
die Maskenkörper mit weißem Entenflaum beklebt. Die Tanzstäbe, 
die ebenfalls am oberen Teil zwei Bastbehänge tragen, sind je nach 
ihrer Bestimmung von verschiedener Länge; die größeren messen bis 
zu 3 m, die kleineren, aber stärkeren etwa l'/t m. Auch die Länge 
des Behanges am Maskenkörper soll je nach der Bedeutung der Maske 
verschieden sein. Die Herstellung der Masken dauert mit Herbei- 
schaffen alles Materials zehn bis zwölf Tage. 

Als Kinderspielzeug, damit die künftigen Tänzer die Bedeutung 
der einzelnen Masken und Maskentänze spielend lernen, gibt es reizende 
Maskenmodelle aus Maiskolben. Sie sind ebenso hergerichtet und 
bemalt, wie ihre großen Vorbilder; selbst der mit Bastbehängen 
geschmückte Tanzstock fehlt nicht. 

Auch bei den Kobeua geben Totenfeste die Veranlassung zu Masken- 
tänzen. Diese beginnen gegen drei Uhr nachmittags mit derselben 
dramatischen Einführung wie am Aiary. Die Masken kommen aus 
dem Wald vom Flusse her und stürmen die Maloka, was ihnen von 
anderen Masken ohne Erfolg gewehrt wird. Die Maskentänze dauern 
bis zum folgenden Morgen. Dann werden die Masken auf dem Dorf- 
platz auf Stöcken aufgepflanzt, an den Ärmeln mittels des Bastbehanges 
eng miteinander verknüpft und angezündet. Unter dem lauten Klage- 
geschrei der ganzen Trauergesellschaft brennt die lange Reihe ab. 
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Dämonischer Charakter der Masken 



325 



Nur einige wenige Masken werden zurückbehalten und zu Säcken ver- 
arbeitet, in denen Kalabassen und andere Gerätschaften aufbewahrt 
werden. Daher kommt es, daß man in den Malokas der Kobeua selten 
unversehrte Maskenanzüge trifft, weil diese zu jedem Totenfest neu 
hergestellt werden müssen. Auch die Kaua des Aiary banden am 
Schluß des Tanzfestes alle Masken, die vor dem Haus in einer Reihe 
auf Stöcken aufgepflanzt waren, an den Ärmeln zusammen. Warum 
sie dies taten, konnte ich mir damals nicht erklären. Sie hielten den 
Brauch genau ein, verbrannten aber die Masken nicht, da diese durch 
Kauf mein Eigentum geworden waren. 

Alle Masken stellen Dämonen dar. Die Phantasie des Indianers 
bevölkert die ganze Natur mit bösen und guten Geistern, die auf 
Leben und Sterben einen großen Einfluß ausüben. Keine Krankheit, 
zumal keine innere, deren Wesen der Indianer sich nicht erklären 
kann, führt er auf natürliche Ursachen zurück, vielmehr schreibt er 
Krankheit und Tod, wie überhaupt alles Unheil und damit auch den 
Tod des Stammesgenossen, dem die Maskenfeier gilt, der Rache eines 
bösen Geistes oder eines mit dämonischer Macht ausgestatteten Feindes 
zu. Dieses Suchen nach der verkörperten Ursache aller Leiden und 
Freuden spricht sich auch in den Maskentänzen aus. Hier treten 
redend und handelnd menschliche Geister mit einem großen Gefolge 
der mannigfachsten Tiere, die aber wiederum Dämonen darstellen 
und die einzelnen Tierklassen repräsentieren, zum Teil mit vorzüg- 
licher Mimik auf. Der Dämon steckt in der Maske, ist in ihr ver- 
körpert; die Maske ist für den Indianer der Dämon. Wenn ich die 
Kobeua nach der Bedeutung dieser oder jener Maske fragte, sagten 
sie stets: „Dies ist der Schmetterling, der Aracufisch, der Makukö" 
usw., und niemals: „Dies ist die Maske des Schmetterlings, des 
Aracufisches, des Makukö." Der Dämon der Maske geht auch auf 
den jeweiligen Tänzer über, der sich mit ihr bekleidet. Am frühen 
Morgen nach Ausgang des Totenfestes, wenn die Masken in Flammen 
aufgegangen sind, verlassen die Dämonen ihren vorübergehenden Auf- 
enthaltsort und begeben sich nach Taku, dem Maskenjenseits, oder 
in ihre auf einem anderen Gebirge oder in einer Stromschnelle gelegene 
Wohnung. 

Hier gehen die Angaben auseinander. Einige sagten mir : „Alle 
Dämonen sind Herren auf Taku. Dort ist ihr großes Steinhaus, 
Takölami (Basthaus) oder Abochökölami (Dämonenhaus) genannt, 
ihre Maloka, die sie gemeinschaftlich bewohnen." — Später wurde mir 
erzählt, auf Taku gäbe es eine Menge Steinhäuser; jeder Dämon habe 



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326 



MaskiMiseele 



dort sein eigenes Haus. Von meinen Ruderern wurden mir seinerzeit 
beim Anblick dieses Gebirges unter den aus dem Wal desgrün hervor- 
ragenden Felsen ein „ Popälikölami, Makukölami, Kuinaopäkokölami- 
und andere Dämonenhäuser angegeben. — Andere erzählten, nur 
Makukö bewohne zusammen mit Popäli ein Steinhaus auf Taku. 

Die Dämonen sind unsichtbar den gewöhnlichen Sterblichen ; nur 
der Zauberarzt kann sie vermöge seiner übernatürlichen Kraft sehen 
und mit ihnen sprechen. Diesen unsichtbaren Teil der Maske nannten 
mir die Kobeua, um mir sein Wesen möglichst deutlich zu machen, 
mit dem Lingoa geral-Wort Maskara-anga (Maskenseele). Wie 
die menschliche Seele unsichtbar im Körper steckt, ihn belebt und 
nach dem Tode nach Makölami, dem Jenseits aller Kobeuaseelen, 
geht, so verläßt auch mit dem „Tode", d. h. dem Verbrennen der Maske, 
die unsichtbare Kraft, die ihr während des Festes innewohnte, die 
sichtbare Hülle und kehrt in ihre eigentliche Wohnung zurück. Diese 
unsichtbare Kraft ist der Dämon. „Alle Masken sind Abochökö 
(Dämonen); alle Abochökö sind Herren der Masken", sagten die 
Kobeua. 

Die Vorstellung von Taku als dem Maskenjenseits mag nach 
Analogie des menschlichen Jenseits entstanden sein. 

Das Verbrennen der Maske ist wohl in demselben Glauben begründet, 
wie das Verbrennen der Hinterlassenschaft des Toten, in der Furcht vor 
der unerwünschten Rückkehr des Dämons, mit dem man nach dem 
Totenfest nichts mehr zu tun haben will. Wenn einzelne Masken auf- 
bewahrt oder zu Säcken verarbeitet werden, so müssen wir dies bereits 
als ein Zeichen des Verfalls ansehen. 

Von den Kobeua erwarb ich über fünfzig verschiedene Masken; 
ein Beweis, wie stark bevölkert der Indianer sich seine Dämonenwelt 
vorstellt. Außer menschlich gestalteten Dämonen, Riesen und Zwergen, 
tritt eine Menge Tiere auf, der Jaguar, der Hirsch und das Faul- 
tier, verschiedene Arten Vögel und Fische, die Giftschlange Jararaca, 
Frösche und Kröten, die Wasserjungfer, Schmetterlinge, Käfer und 
andere Insekten, Spinnen, Raupen und Käferlarven. 

Der dämonische Charakter der Maske drückt sich schon darin 
aus, daß selbst viele Tiermasken ein menschliches Gesicht und einen 
aus gelbem Bast gedrehten Zopf haben, der an die frühere Haartracht 
der Kobeuamänner erinnert. Auch die „Wohnung" vieler dieser Tiere 
steht im schärfsten Widerspruch zu ihrer natürlichen Lebensweise. 

Die feierlich getragenen, trotz ihrer Eintönigkeit nicht unmelodischen 
Weisen, die die Maskentänze begleiten, zeichnen sich durch strengen 



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Riesen und Zwerge 



327 



Rhythmus aus, der durch den Tanzschritt und durch Aufstampfen der 
Tanzstocke scharf hervorgehoben wird. Fast allen Gesängen gemein- 
sam ist der dumpfaus klingende Refrain „oho— ho tt oder „ho-ho". Die 
Bewegungen oder Gewohnheiten der Tiere werden mimisch nachgeahmt. 
Die Texte können die Indianer selbst nicht mehr deuten. In einigen 
Tanzliedern scheinen Kobeuaworte und unverstandene oder im Laufe 
der Zeit verderbte Aruakworte nebeneinander vorzukommen. Bisweilen 
bestehen die Lieder nur aus den Naturlauten des betreffenden Tieres 
oder dem Namen des Dämons, mit wenigen lakonischen Worten ver- 
flochten, in endloser Wiederholung. 

Nur die Männer tanzen mit Masken; die Weiber und Kinder bilden 
die Zuschauer. 

Einzelnen Dämonen sind wir schon bei den Maskentänzen der Kaua 
begegnet, so dem schwarzen Aasgeier, dem Jaguar, dem Mistkäfer, der 
Eule und dem Waldgeist und Jagdkobold Makukö, deren Masken und 
Tänze in beiden Gebieten mehr oder weniger tibereinstimmen. 

„Alle Herren der Masken sind Dämonen", sagten die Kobeua, 
bezeichneten aber einige besonders böse als „wirkliche Dämonen u . 
Zu diesen gehört in erster Linie Makukö, der die Leute mit Blas- 
rohr und Giftpfeilchen totschießt. Er ist ein kleiner Mann mit Voll- 
bart. Sein Masken anzug wird daher stets kleiner verfertigt als die 
übrigen und ist für den kleinsten Tänzer bestimmt. Makukö hat eine 
Frau, Makuko, deren Maske sich durch Einzelheiten in der Be- 
malung von der ihres Mannes unterscheidet. 

Auch andere Dämonen sind beweibt. Gefürchtete Gesellen sind 
das Riesenpaar Eohäkö und Kohäko, die sich ohne bestimmte 
Wohnung im Walde herumtreiben und die Menschen mit der Keule 
totschlagen. Beim Tanz tragen sie beide in der rechten Hand als 
charakteristisches Attribut einen dicken Stock, mit dem sie taktmäßig 
aufstampfen. 

An Wildheit und Mordlust gibt ihnen der Riese Hailäkö nichts 
nach. Er tötet Leute im Wald, indem er mit jeder Hand einen 
Baumstamm faßt und auf sie wirft. Beim Tanz trägt er in jeder Hand 
einen Knüttel. 

Es gibt noch eine Reihe anderer nicht minder gefiirchteter Riesen, 
die sämtlich im Walde den Leuten mit Knütteln zu Leibe gehen, unter 
ihnen Hauhabo und Palutchikö. Der erstere hält sich in der 
Nahe von Flüssen auf und ruft frühmorgens „Gu-gu-gu". Bei Namo- 
coliba soll ein solcher Dämon wohnen, was nicht unmöglich ist, denn 
Hauhabo bezeichnet im Kobeua die „große Eule", eine Art Uhu. 



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328 



Dämon der Mulana 



Die Maske des Palutchikö zeichnet sich durch das unförmige Gesicht 
aus, das aus einer riesigen Kalabasse hergestellt ist Ein langer Bast- 
zopf fällt bis auf die Erde herab. 

Iyäimi, der schlimmste Dämon der Kaua, wird von diesen durch 
eine eigenartige Maske dargestellt: Ein ganzes Stück Bast ist am 
unteren Teil so auseinandergeschnitten und wieder zusammengenäht, 
daß Hosenbeine entstanden sind. Der obere Teil der Basthülle hat zu 
beiden Seiten Löcher für die Arme des Tänzers und wird am Hals zu- 
gebunden. Eine andere Basthülle, die mit einem menschlichen Gesicht 
bemalt und mit runden, schwarzumrandeten Augenlöchern versehen ist, 
stülpt der Tänzer über Kopf und Hals. Auf dem Scheitel ist eine 
Kalabassenscherbe festgenäht. Diese Maske, die, mit bunten Horizontal- 
streifen bemalt, einem Badeanzug ähnelt, braucht ihre Entstehung nicht 
europäischem Einfluß zu verdanken, da Hosenmasken auch bei gänz- 
lich unberührten Stämmen Südamerikas gefunden worden sind. 

So harmlos manche der in den Masken dargestellten Tiere im 
gewöhnlichen Leben sind, so unheilbringend ist der Dämon, der sich 
in ihnen verkörpert. Der große, azurblaue Morpho-Schmetterling, der 
mit seiner leuchtenden Farbenpracht das Auge entzückt und wie ein 
herabgekommenes Stückchen Himmel anmutet, ist einer der gefahr- 
lichsten Dämonen. Wir sind ihm schon bei den Kaua begegnet. Dort 
gilt er als der „Herr aller Maskentänze". Nach dem Glauben der 
Kobeua hat er seinen Sitz in der Yurupary-Cachoeira, wo er in 
einem großen Topf, wie ihn die Weiber zum Kaschiribereiten gebrauchen, 
die Malaria braut, so daß alle, die von dem Wasser trinkeu, krank 
werden. In der Tat tritt an dem sonst so gesunden Fluß oberhalb 
dieses Kataraktes, wohl infolge des dort ganz anderen, weißen, fast 
stagnierenden Wassers, Malaria auf, was wohl die Veranlassung zu 
diesem Glauben gegeben hat. Die Maske des Schmetterlings ist durch 
die aus Flechtwerk hergestellten, mit bunten Mustern bemalten Flügel, 
die zu beiden Seiten des Kopfes angenäht sind, und dem aus Liane 
gebogenen Rüssel wohl charakterisiert. Als Grundform des auf dem 
Kopf des Tänzers sitzenden Schmetterlingskopfes dient einKorbgeflecht. 
Die Zackenzeichnung auf der Brust des Maskenkörpers soll das Flattern 
des Schmetterlings andeuten. Der Tänzer hält in der einen Hand das 
Attribut der unheilvollen Tätigkeit seines Dämons, die Trinkkalabasse, 
wider die er im Takt mit einem Stäbchen schlägt (Tafel IV und Abb. 
S. 332). In der Kegel treten zwei Schmetterlinge zusammen auf, die in 
dieser Weise unter Gesang bald in weitausgreifendem Geschwindschritt, 
bald langsamer hintereinander her tanzen und endlich dicht zusammen, 



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Höst' Tierdiimoneii 



329 



einander zugewendet, am Boden niederhocken und vor- und rückwärts 
kriechen. Es soll das gaukelnde Spiel der Schmetterlinge in der Luft 
dargestellt und veranschaulicht werden, wie sie in dichten Haufen 
im Sonnenschein auf den Sandbänken oder den Felsen der Strom- 
schnellen sitzen. Tanz und Gesang schließen unter raschem Klappern 

wider die Kalabassen und mit ausklingendem „e he u 

der Tänzer. 

Ein anderer gefürchteter Dämon ist eine kleine Blattwanze, die 
in den Pflanzungen der Indianer wohnt. Sie stößt gerösteten Pfeffer 
in einem kleinen Holzmörser und streut den feinen Staub in die Luft, 
so daß er den Leuten, die in der Pflanzung arbeiten, in die Augen 
fliegt und sie triefäugig macht. Am Aiary bin ich diesem Dämon, 
der eine ganz menschliche Maske hat, nicht begegnet. 

Die auch in Wirklichkeit mit Recht gefürchtete, sehr giftige Vogel- 
spinne gehört zu den schlimmsten Vertretern der Dämonenwelt. Sie 
sammelt „Krankheitsgift", das „im Eingang des Hauses am Boden 
liegt", in fünf Blattütchen, die sie nebeneinander an einen Faden bindet 
und dann im Wald über den Köpfen der Leute ausschüttelt, so daß 
das Gift auf sie fallt und sie krank macht. Beim Tanz hält sie die 
Schnur mit den verhängnisvollen Bündelchen mit beiden Händen vor 
sich und drückt sie jedesmal nach einigen Schlitten im Takt wider 
den Leib, wobei sie den Oberkörper rasch vorwärts beugt und mit 
dem rechten Fuß aufstampft. 

Ualali tötet zwar keine Menschen, aber alle Fische. Er hat 
sein Steinhaus in einem Katarakt des oberen Caruru-Igarape. Sein 
Name bezeichnet im Kobeua den Carara, einen Tauchervogei, der nur 
von Fischen lebt und sich durch große Gefräßigkeit auszeichnet. 

Pupuli, die Eule, lebt ohne bestimmte Wohnung auf Bergen 
und fraß in alter Zeit Menschen. Sie gilt noch heute als ein böser 
Dämon. Den Tanz kennen wir vom Aiary. 

Der Jaguar ist ebenfalls Gebirgsbewohner und ein sehr böser 
Dämon. Er fängt Tiere und Menschen mit Krallen und Zähnen und 
frißt sie. Der Tanz unterscheidet sich bei den Kobeua von dem am 
Aiary gesehenen nur dadurch, daß der Tänzer auf einem einfachen 
Bambusrohr bläst, ohne dabei einen Topf als Resonanzboden zu 
gebrauchen. 

Miaui, ein großer Raubvogel, wahrscheinlich die gewaltige 
Harpyie, ist ein böser Walddämon. Er tötet Tiere und Menschen. 

Die Jararacaschlange ist ohne weiteres auch als Dämon sehr 
gefährlich. 



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330 



Harmlose Tierdämonen 



Neben diesen und anderen bösen Dämonen , die auf jede Weise 
Tieren und Menschen nach dem Leben trachten, gibt es eine große 
Anzahl Tierdämonen, die gut oder wenigstens harmlos sind, wie der 
Hirsch, der ein guter Zauberarzt ist, der Papagei, die Hausspinne, 
der Mistkäfer, das Faultier und unzählige andere Bewohner der Erde, 
des Wassers und der Luft. Der Tänzer der Hausspinne bindet eine 
Schnur, an der ein mit einer Feder verzierter Lianenring hängt, mit 
dem einen Ende an einen Hauspfosten. Das andere Ende hält er in 
der Hand und schlingt den Faden, immer weiter greifend, allmählich 
um die Hand, wie eine Spinne den gesponnenen Faden wieder an 
sich zieht. 

Der Tanz der Wasserjungfer wird, wie verschiedene andere Tänze, 
von zwei Masken ausgeführt. Sie halten, einander zugewendet, mit 
beiden Händen einen Stock horizontal zwischen sich und schreiten 
rasch vor« und rückwärts, so daß es aussieht, als wenn sie sich gegen- 
seitig hin und her zögen. Der flotte Rhythmus des Gesanges kenn- 
zeichnet trefflich den graziösen Flug des munteren Insekts. Am Aiary 
wurde mir derselbe Tanz als Tanz des großen Laternentrfigers an- 
gegeben, eines in Wirklichkeit harmlosen Insekts, das die Indianer 
für das giftigste aller Wesen halten. 

Der Faultiertänzer steht stumpfsinnig inmitten der Maloka und 
hält mit einer langen Hakenstange einen Querbalken des Hauses fest. 
Es soll veranschaulicht werden, wie dieses trägste aller Geschöpfe mit 
seinen gewaltigen Sichelkrallen, ohne seine Stellung zu verändern, an 
dem Ast eines Baumes hängt. Augen, Ohren und Maul sind bei dem 
Tier in Wirklichkeit so klein, daß sie an dem runden, aus Flechtwerk 
verfertigten und mit Baststoff überkleideten Kopf der Maske Uber- 
haupt nicht dargestellt sind. 

Außer den bisher behandelten Tänzen, die den einzelnen Dämonen 
eigentümlich sind und in der Regel nur mit der dazu bestimmten 
Maske getanzt werden, gibt es auch Tänze, an denen sich alle 
Masken ohne Unterschied beteiligen können. Mehrere dieser Tänze 
sah ich schon am Aiary. Sehr beliebt ist der Tanz der Sand- 
flöhe, der von möglichst vielen Masken ausgeführt wird. Die linke 
Hand der Tänzer ruht auf der rechten Schulter des Nebenmannes. 
In der Rechten hält jeder einen langen Tanzstock vertikal vor sich. 
So schreiten sie unter Gesang hin und her. Zum Schluß laufen sie 
mit raschem „Tse-tse-tse" zum Standort ihrer Masken und demas- 
kieren sich. Auch am Tanz des Aracuan -Vogels (Ortalis sp.) können 
beliebig viele Masken teilnehmen, die in derselben Haltung wie beim 



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I'hallustan/. 



vorigen Tanz bald nebeneinander nach rechts und nach links schreiten, 
bald hintereinander eine flotte Runde tanzen, wobei sie zugleich mit 
dem rechten Fuß und mit dein Tanzstock aufstampfen und singen. 

Zu den Massentänzen gehört auch ein Phallustanz, der in 
beiden Gebieten in gleicher Weise stattfindet. Die Fruchtbarkeits- 
erzeugung wird durch mimische Darstellung der Begattung und Befruch- 
tung drastisch zum Ausdruck gebracht. Die Tänzer halten große, aus 
Bast gedrehte Phallen mit Testikeln aus den roten Zapfen eines niedrigen 
Baumes mit beiden Händen an den Leib und tanzen zunächst im 
Geschwindschritt unter Gesang mit vorgebeugtem Oberkörper hinter- 
einander her, wobei sie mit dem rechten Fuß aufstampfen. Plötz- 
lich springen sie mit heftigen Koitusbewegungen und lautem Stöhnen 
„ai (ye) — ai (ye) — ai (ye) u wild dahin und stellen sich endlich in 
einer unregelmäßigen Gruppe auf. Sie streichen mit der rechten Hand 
leicht über die Phallen, klopfen unter schnalzenden Lauten mit den 
Fingern darauf und machen unter Blasen mit der ausgestreckten Hand 
wehende Bewegungen, wie wenn sie etwas in die Lüfte zerstreuten. 
Der ruckweise ausströmende Samen wird überallhin verbreitet. So 
treiben sie es in jedem Winkel des Hauses, am Rande des Waldes und 
der nahegelegenen Pflanzung; sie springen zwischen die zuschauenden 
Frauen und Mädchen, die schreiend und lachend auseinanderstieben; 
sie stoßen mit den Phallen gegeneinander; ja, sie attakieren mich 
und Schmidt, während wir die Szene photographieren. 

Es liegt in der Natur der Sache, daß die Indianer sich diesem 
Phallustanz mit besonderem Genuß hingeben und dabei zu obszönen 
Spaßen neigen, die eigentlich nicht dazu gehören. Trotzdem ist es, 
wie ich schon früher ausführte, ein ernster und, da ein natürlicher 
Vorgang dargestellt wird, nach der Auffassung des Naturmenschen 
anständiger Tanz. Die Maskengeister sind ah Dämonen der Fruchtbar- 
keit gedacht, die in der Ausübung des geschlechtlichen Aktes mimisch 
vorgeführt werden, um dadurch Wachstum, Werden und Gedeihen in 
der ganzen Natur, die sich in ihnen verkörpert, zu fordern. 

Auf die Bedeutung der Maskentänze im allgemeinen habe ich schon 
früher hingewiesen. Allen diesen mimischen Darstellungen liegt die 
Idee einer Zauberwirkung zugrunde. Sie sollen dem Dorf und seinen 
Bewohnern, den Pflanzungen, der ganzen umgebenden Natur Segen 
und Fruchtbarkeit bringen, gleichsam als Ersatz für den Toten, zu 
dessen Ehren das Fest stattfindet. Dadurch, daß der Tänzer in 
Bewegungen und Handlungen das Wesen, das er darzustellen sucht, 
möglichst getreu nachahmt, identifiziert er sich mit ihm. Die geheimnis- 



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3!52 



Fruchtbiirk.*itsz&uber 



volle Kraft, die der Maske innewohnt, geht auf den Tänzer über, 
macht ihn selbst zu einem mächtigen Dämon und befähigt ihn, die 
Dämonen zu vertreiben oder günstig zu stimmen. Besonders die Dämonen 
des Wachstums, die Tiergeister, die dabei eine Rolle spielen, und die 
Tiergeister der Jagd und des Fischfangs sollen durch mimische Hand- 
lungen in den Machtbereich des Menschen gebannt werden. 




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XXI. Kapitel 



Feldbau und Industrie 

1. Anbau und Verarbeitung der Maniok 

Der Feldbau der Indianer Nordwestbrasiliens beschränkt sich im 
wesentlichen auf den Anbau der Maniok. Die Maiskultur tritt dagegen 
im ganzen Gebiet sehr zurück. Mais wird wohl hier und da neben 
der Maniok angebaut, aber immer nur in kleineren Mengen, um zu 
Kaschiri verarbeitet zu werden oder auch reif geröstet oder unreif ge- 
kocht als angenehme Zukost zu Fleischspeisen zu dienen. 

Die weite Verbreitung der Maniokkultur im tropischen Südamerika, 
selbst bei niedrigstebenden Stämmen, setzt eine sehr lauge Entwicklung 
voraus. Staunend sehen wir, wie eine der giftigsten Pflanzen, die, in 
rohem Zustande genossen, unfehlbar den Tod herbeiführt, dem Menschen 
nutzbar gemacht wird und im Laufe der Zeit zu einem unentbehrlichen 
Nahrungsmittel geworden ist. 

Die Kultur und Verarbeitung der Maniok liegen ausschließlich in 
den Händen der Frau und nehmen den größten Teil ihrer Zeit in 
Anspruch. Bevor der junge Mann die Ehe eingeht, rodet er, gewöhn- 
lich gegen Ende der Regenzeit, auf höherem, nicht der jährlichen 
Überschwemmung ausgesetztem Land ein größeres Stück Wald aus. 
Zu diesem Zwecke wird um einen großen Baum herum eine Menge 
kleinerer Bäume angeschlagen, worauf der Baumriese gefällt wird. Im 
Fallen reißt er die schwächeren Genossen, mit denen er durch Schling- 
pflanzen vielfach verbunden ist, mit sich und verursacht dadurch gleich- 
sam einen Waldbruch. Die Bäume bleiben etwa drei Monate in der 
heißen Sonne liegen, bis sie trocken sind, und werden dann abgebrannt. 
Asche und Kohle liefern dem an sich schon fruchtbaren Boden einen 
kräftigen Dung. Künstlicher Dung wird nicht verwendet. Ist der 
Boden ausgenutzt, so bereitet der Mann eine neue Pflanzung vor. Damit 
aber ist die Tätigkeit des Mannes bei diesem primitiven Ackerbau 
erschöpft. Das übrige, das Pflanzen, Einernten und Verarbeiten der 
Maniok, ist Sache der Frau. 

Die Zeit der Pflanzungsarbeiten bestimmen die Indianer nach dem 
Stand einzelner Sternbilder, besonders der Plcjaden. Sind diese unter 



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334 



Anbau and Einernten der Maniok 



dem Horizont verschwanden, so beginnen die regelmäßigen, starken 
Regenfalle. 

Die Maniokreiser, kurze, mit zwei bis drei Knoten versebene 
Stücke des Pflanzen Stengels, werden mit starker Neigung in den 
Erdboden gesteckt oder auch nur auf den Boden gelegt und mit 
Erde bedeckt. Die weitere Entwicklung besorgt die gütige Natur, da 
unter diesen glücklichen Breiten die Jahreszeiten mit großer Gleich- 
mäßigkeit verlaufen und, abgesehen von tierischen Schädlingen, dem 
Wachstum der Pflanzen keinerlei Gefahr droht. Es dauert in der 
Regel zwei Jahre, bis die Wurzeln reif sind. Je nach der Reifezeit, 
dem Geschmack der Maniok und äußeren Merkmalen unterscheidet 
der Indianer eine Reihe von Abarten, die er mit besonderen Namen 
belegt. 

Das Einernten und Verarbeiten der Maniokwurzeln stellen an die 
Kräfte und die Ausdauer der Frau gewaltige Anforderungen. Jeden 
Morgen mit Tagesanbruch, nachdem sie das gewohnte Bad genommen 
und sich an dem einfachen Mahle gestärkt hat, geht die Frau auf 
das Feld, wo ihrer verschiedenartige Pflichten harren. Neue Schöß- 
linge müssen gesteckt, eine junge Anpflanzung von überwucherndem 
Unkraut gereinigt und reife Wurzeln für den Bedarf des Tages aus- 
gezogen werden. Die einheimischen, primitiven Holzgeräte, die zum 
Jäten und Auflockern des Bodens dienten, einfache Holzbacken oder 
zugespitzte Stöcke, sind fast im ganzen Gebiet europäischen Werkzeugen 
gewichen. Die ursprüngliche Form der beim Feldbau verwendeten Hacke 
hat sich vielleicht in einem Tanzgerät erhalten, das die Vortänzer bei 
Yurupary-Festen am Tiquie über der Schulter tragen (vgl. S. 221 — 222). 

Mit schwer gepacktem Tragkorb kehrt die Frau gegen Mittag 
nach Hause zurück. Die halbwüchsigen Mädchen helfen schon tüchtig 
der Mutter und schleppen ihre kleinen Tragkörbe mit ernsthafter M iene. 
Die Maniokwurzeln, die in der Form einer großen Rübe ähneln, werden 
meistens sofort verarbeitet, du sie sonst leicht verderben und unbrauch- 
bar werden. Sie werden mit dem Messer geschält und auf recht- 
eckigen Brettern, in deren konkaver Oberfläche spitze Steinsplitter in 
geschmackvollen Mustern als Zähnchen eingelassen sind, fein zerrieben. 
Die weißliche Masse, die wie geriebene Kartoffel aussieht, wird ver- 
mittels eines zylindrischen Schlauches aus Flechtwerk oder durch 
längeres Kneten auf einem feinen Sieb, das auf einem dreieckigen, 
zusammenklappbaren Holzgestell ruht, von dem giftigen Saft, der Blau- 
säure enthält, befreit. Der mit der Masse gefüllte, aus zähen, aber 
sehr elastischen Rohrstreifen geflochtene Schlauch hängt an einem 



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Verarbeiten der Maniokwurzeln 



335 



vorstehenden Querbalken des Hauses und wird durch ein in den 
unteren Ring gehängtes Gewicht oder durch eine Preßstange, auf die 
sich bisweilen die halbe Familie setzt, beschwert. Dadurch wird er 
in die Länge gezogen und preßt den giftigen Saft aus, der in eine 
untergestellte Tonschale fließt Ist aller Saft ausgelaufen, so drückt 
die Frau den Schlauch wieder zusammen, verkürzt und erweitert ihn 
dadurch und schüttet die trockene Masse in den bereitstehenden 
flachen Korb. 

Das Mehl wird nun, indem man die Masse auf einem gröberen Sieb 
hin und her reibt, von holzigen Bestandteilen und dickeren Brocken 
geschieden und darauf wohlverteilt auf der stark erhitzten Ofenplatte 
ausgebreitet. Sie besteht aus einer kreisrunden Tonplatte von 1 bis 
2 m Durchmesser mit leicht erhöhtem Bande und ruht horizontal 
auf einem mit zwei Schürlöchern versehenen, durch eingebackene 
Steine gefestigten Lehmwall oder auf drei tönernen Füßen oder um- 
gestülpten, niedrigen Tontöpfen, die unter sich durch einen Lehmwall 
verbunden Bind. Bei den kunstfertigen Aruakstämmen des Issana 
findet man bisweilen auf der Oberfläche des Lehmwalles Mäandermuster 
eingeritzt (Abb. S. 29). Ebensolche Tonfüße, die mehr oder weniger 
die Form eines Hohlzylinders haben, werden auch als Untersätze 
für gewöhnliche Kochtöpfe benutzt. Im Notfall dienen dazu ein- 
fache Steine. Der für die ganze Maloka gemeinsame Herd befindet 
sich entweder im Hause selbst oder in einem offenen Schuppen nahe 
dabei, in dem die Frauen den größten Teil des Tages zubringen. 
Das Mehl wird durch häufiges Umrühren mit einem hölzernen Spatel 
vollends getrocknet und leicht geröstet oder auch zu dünnen, runden 
Fladen, der beliebtesten Zukost der Indianer, gebacken. Um das 
Anbrennen zu verhindern, rückt die Frau den Kuchen auf der Herd- 
platte eifrig hin und her, bis die untere Seite gelbbraun ist, worauf 
sie die linke Hand flach auf den Kuchen legt, mit der anderen Hand 
den zierlich geflochtenen Feuerfächer darunterschiebt und das fertige 
Gebäck abhebt. Bisweilen wendet die Frau auf diese Weise den Kuchen 
um, damit auch die obere Seite für kurze Zeit der Hitze ausgesetzt 
wird. Je nach der Beschaffenheit des Mehls und der Zubereitung 
unterscheidet man verschiedene Sorten Maniokfladen. 

Um das Mehl dauerhafter zu machen, wird die Maniokwurzel 
mehrere Tage lang im Wasser einer leichten Gärung überlassen, so 
daß sich die äußere rauhe Haut ohne Mühe mit den Fingern abschälen 
läßt. Darauf wird das Mehl in der oben beschriebenen Weise her- 
gestellt, aber viel schärfer geröstet. Es hält sich monatelang und wird 



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Maniokgetrlnk«? 



von den Indianern in tiefen, mit frischen Blättern ausgelegten Körben 
zu ca. 50 Pfand in den Handel gebracht. Die weißen Händler und 
Kautschuksammler bestellen häufig bei den Indianern große Mengen 
dieses notwendigsten Lebensmittels. Da es im allgemeinen sehr grob- 
körnig ist und auch noch holzige Bestandteile enthält, habe ich es 
hier gewöhnlich mit „Maniokgrütze" bezeichnet 

Läßt man den aus der Maniokmasse ausgepreßten Saft eine Zeit- 
lang stehen, so setzt er eine weiße Masse ab, die mit frischem Wasser 
durchgespült wird, um den letzten Rest des Giftstoffes zu entfernen. 
Leicht geröstet, findet dieses feine Stärkemehl bei vielen Gerichten 
Verwendung. Die daraus hergestellten, sehr dünnen, knusperigen 
Fladen sind selbst für europäische Gaumen ein liecker bissen. 

Mannigfach sind die Getränke, welche die Frauen aus dem ge- 
rösteten Maniokmehl zu bereiten wissen. Es wird entweder mit kühlem 
Wasser angerührt und liefert besonders auf der Reise in den heißen Mit- 
tagsstunden einen erfrischenden Trunk, oder es wird zum ersten Früh- 
stück zu einer warmen Suppe gekocht, oder Maniokfladen werden warm, 
wie sie vom Ofen kommen, mit der Hand zerdrückt und in Wasser 
fein aufgelöst. Am besten mundet der Trank, wenn dazu feines Stärke- 
mehl verwendet wird. Dieses wird auch mit kleinen Fischen und viel 
spanischem Pfeffer zu einer gallertartigen Masse verkocht, in die 
Maniokfladen getunkt werden, oder es wird mit Ananassaft zu einem 
wohlschmeckenden Trank gekocht, der auch einem verwöhnten Ge- 
schmack genügen würde. Zum Umrühren dient häufig ein hübsch 
geschnitzter Holzspatel. 

Selbst der giftige Manioksaft findet seine nützliche Verwendung. 
Er wird durch längeres starkes Kochen und Abschäumen vom Gift- 
stoff befreit und liefert ein süßliches, erfrischendes und nahrhaftes 
Getränk. Kocht man den Manioksaft mit spanischem Pfeffer, Salz 
und anderen scharfen Zutaten zu einer dickflüssigen, schwarzbraunen 
Sauce ein, so erhält man ein vorzügliches Gewürz, das den Speisen 
zugesetzt wird oder als Tunke für Maniokfladen dient. 

Das beliebteste Getränk aber, das bei keinem auch noch so kleinen 
Feste oder auch nur bei einem freundnachbarlichen Besuche fehlen 
darf und von den Teilnehmern in ungeheuren Mengen genossen wird, 
ist das Kaschiri, eine Art leicht alkoholischen Bieres, von dessen 
wenig appetitlicher Zubereitung und Verwendung ich bereits früher 
erzählt habe. Es wird gewöhnlich aus Maniokfladen, aber auch aus 
Mais, Palmfrüchten und verschiedenartigen Knollen hergestellt. 

Außer der giftigen Maniok wird auch die sogenannte süße Maniok, 



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Andere pflanzliche Speisen 337 

aber in weit geringerem Maße angebaut und liefert, in Wasser gekocht 
oder in der Asche gebraten, eine schmackhafte Zukost. 

Mit der Verarbeitung der Maniok ist die Tätigkeit der Frau bei 
der Beschaffung und Zubereitung des Lebensunterhaltes nicht erschöpft, 
denn es gibt noch mancherlei Speisen, von Bananen, Knollenfrüchten, 
süßen Bataten und verschiedenen Früchten des Waldes, welche die 
Frau schmackhaft herzurichten weiß, und die indianische Tafel ist 
durchaus nicht so einförmig, wie man sich gewöhnlich vorstellt; aber 
die Maniok bleibt der wichtigste Faktor im Haushalte des Indianers 
Nordwestbrasiliens und verleiht seinem ganzen Leben ein charakteri- 
stisches Gepräge. 




Koch-Grünberg, Zwei Jahre bei den Indianern <J2 



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2. Flechten und Weben 

Ein Haaptzweig der Industrie, in dem es besonders die Stämme 
des oberen Tiqutä, Tayuka und Bara, zu großer Fertigkeit gebracht 
haben, ist das Herstellen von Schnüren und Stricken aus den 
Blattfasern verschiedener Palmen, Mauritia flexuosa, Astrocaryum- 
Arten und anderer. 

Die innersten, noch weichen Blättchen der Palmkrone läßt man 
einige Tage welken und zieht dann leicht die Oberhaut mit den Fingern 
ab. Diese Fasern werden zunächst einzeln mit dem Ballen der flachen 
rechten Hand auf dem nackten Oberschenkel gedrillt und dann durch 
mehrfaches Hin- und Herstreichen zusammengedreht, wobei das eine 
Ende mit den Zehen festgehalten wird, um ein Zusammenschnurren 
der Fasern zu verhindern. Auf diese Weise wissen die Männer sehr 
feste Stricke in großer Länge zu drehen, die sie in kunstvollen Knäueln 
aufwickeln und an andere Stämme, z. B. die Buhagana der benachbarten 
YapurazaflUsse gegen Curare, verhandeln. Gewöhnlich benutzen die 
Männer die abendlichen Erholungsstunden zu dieser Beschäftigung. 
Mitten in der Maloka sind Stäbe in den Boden gesteckt, an denen 
dicke Bündel Palmfasern, mit Baumbast umwickelt oder zopfartig 
geflochten, fertige Schnüre und ganze Knäuel hängen. Die Männer 
hocken auf Schemeln davor und lassen sich auch durch die lebhafte 
Unterhaltung der übrigen, an der sie von Zeit zu Zeit teilnehmen, 
nicht in ihrer Arbeit stören. 

Aus diesen Palmfaserschnüren werden Hängematten auf folgende 
einfache Weise hergestellt: An zwei Stützpfosten des Hauses oder in 
den Erdboden gerammten Stöcken ist eine Horizontalstange befestigt, 
auf deren beide Enden zwei Holzhaken gebunden sind. Die Entfernung 
dieser Haken voneinander bestimmt die Länge der Hängematte. Von 
einem dicken Knäuel, das gewöhnlich in einem Tragkorb verwahrt 
ist, wird der Faden abgezogen, über die Haken gehängt und zusammen- 
gebunden. Er bildet den Anfang der zusammenhängenden Kette. In 
bestimmter Entfernung voneinander werden die Doppelfäden des Ein- 
schlages daran befestigt. Darauf wird aufs neue Kettenfaden von dem 
Knäuel abgezogen, über die Haken gehängt und mit dem Doppelfaden 
kreuzweise umflochten und so fort, bis die Hängematte, die bei der 
Arbeit auf der Querstange ruht, die nötige Breite erreicht hat und 



— — 



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Webstuhl 



339 



die Einschlagfäden über dem letzten Kettenfaden verknüpft werden. 
So kann eine Hängematte in einem Tag fertig werden, aber die Her- 
stellung der Fasern und Schnüre erfordert viel Zeit und Arbeit. Je 
geringer die Entfernung der Einschlagfäden voneinander ist, desto 
dichter wird das Netz der Hängematte, desto länger ist naturgemäß 
die Arbeitsdauer. 

Die Einschlagfäden sind meistens aus demselben Material wie die 
Kettenfäden, bisweilen aber auch, um die Haltbarkeit der Hängematte 
zu vergrößern, aus den feinen, sehr festen Fasern einer Bromeliacee. 

Zum Herstellen von dichten, zeugartigen Hängematten benutzt 
man in Nordwestbrasilien einen primitiven Webstuhl (Abb. S. 343). 
Dieser besteht aus zwei vierkantigen Pfeilern, a, die in die Erde gerammt 
oder einfach an eine Wand oder einen Querbalken des Hauses gelehnt 
werden. Jeder Pfeiler hat zwei Löcher zur Aufnahme von zwei runden 
Horizontalbalken, b, über welche die parallelen Fäden der Kette laufen. 
Die Löcher in den Pfeilern sind länglich, damit man den Abstand 
der beiden Querbalken voneinander durch Einsetzen von Holzkeilen 
beliebig verändern kann, je nachdem man die Hängematte länger oder 
kürzer machen will. Der vordere und hintere Teil der Kette sind 
durch einen verschiebbaren Stab, d, getrennt, damit sich beide Teile 
beim Arbeiten nicht verwirren. Ein anderer weit dünnerer Stab, c, 
ist zwischen die geraden und ungeraden Fäden des vorderen Teiles 
der Kette geschoben, um diese während des Webens auseinanderzu- 
halten. Dadurch entstehen wiederum vordere und hintere Kettenfäden. 
An jedem hinteren Kettenfaden ist eine verschiebbare Schlinge befestigt, 
die zwischen den vorderen Fäden hervorragt. Durch diese Schlingen 
wird beim Weben eine Gerte gesteckt, e, damit die Frau die hinteren 
Kettenfäden bequem und mit einem Male vor die vorderen ziehen 
und das flache, schwertförmige Webemesser, g, aus wohlgeglättetem, 
schwerem, dunkelrotem Bogenholz zwischen die vorderen und hinteren 
Kettenfäden stecken kann. Dadurch, daß sie das Webemesser quer 
stellt, schafft sie einen genügenden Zwischenraum zum Durchziehen 
des Einschlages, der mittels des Webemessers angedrückt wird. Glatte 
Stäbchen, welche die Etnschlagfäden tragen, f, dienen als Schiffchen. 
Die Einschlagfäden werden bisweilen verschieden gefärbt, schwarz mit 
Genipaposaft, gelb mit dem Absud gewisser Hölzer, selten rot mit der 
Pflanzenfarbe Carayuru. Hat das Gewebe die nötige Länge erreicht, 
so wird der Rest der Kette durch einen Querschnitt in der Mitte 
geteilt. Die stehengebliebenen Kettenfaden werden untereinander zopf- 
artig verflochten und mit etwas stärkeren Palmfaserschnüren verknüpft. 



340 



Hängematten 



Diese bilden eine mit Schnur verfestigte Schlinge, die zur Aufnahme 
der dicken Hängeraattenstricke bestimmt ist. 

Es ist nicht ausgeschlossen, daß dieser Webeapparat, der sich 
in gleicher Weise auch im benachbarten Venezuela und Colombia 
findet, ursprünglich nicht indianisch ist, sondern erst durch die Europäer, 
freilich schon vor Jahrhunderten, eingeführt wurde und sich im Laufe 
der Zeit unter der eingeborenen Bevölkerung selbständig ausgebreitet 
hat. Je tiefer man ins Innere vordringt, je weiter man sich von den 
Grenzen europäischer Kultur und europäischen Einflusses entfernt, 
desto seltener begegnet man diesem primitiven Webstuhl. Die Stämme 
des oberen Tiqui£, Tuyuka und Bara, kennen ihn nicht, ebensowenig 
die Kobeua und andere Stämme des oberen Caiary, während ich ihn 
bei den Tukano, Desana und Tariana und den Aruakstämmen des 
Issana-Aiary, die mit den Weißen in gewissem Zusammenhange stehen 
und längere Zeit hindurch Missionseinfltissen ausgesetzt waren, mehr- 
fach im Gebrauch gefunden habe. 

Die Hängematten aus Mauritiafasern zerreißen verhältnismäßig 
leicht und stehen deshalb nicht sehr hoch im Werte, während die 
Hängematten aus den Fasern der Tucumpalme (Astrocaryum sp.) 
mehrere Generationen überdauern sollen und demgemäß geschätzt 
werden. 

Die gewöhnlichen Palmfaserhängematten sind sehr praktisch für 
die Flußreise, da sie rasch trocknen, nicht leicht stockig werden und 
zusammengedreht einen geringen Raum einnehmen. Freilich gewähren 
sie wenig Schutz gegen die nächtliche Kühle, und man tut gut daran, 
sich in diesen Schlafnetzen, wie man in Brasilien sagt, „mit dem Feuer 
von unten her zuzudecken", das auch in der Maloka neben der Hänge- 
matte während der ganzen Nacht unterhalten wird. 

Hängematten aus Baumwolle kommen in den Gebieten des Issana 
und Caiary-Uaupes nicht vor, da dieser Strauch dort wenig angebaut wird. 

Das Strickedrehen ist in ganz Nordwestbrasilien eine ausschließ- 
liche Arbeit des Mannes. Bei den Siusi sah ich ausnahmsweise auch 
ein Mädchen eine einfache Palmfaserhängematte verfertigen. Bei den 
Kobeua dagegen übten mir Männer diese Industrie aus. Am Web- 
stuhl arbeiten nur Frauen. 

Von großer Mannigfaltigkeit sind die Korbflechtarbeiten. 
Man unterscheidet drei Hauptarten von Geflechten. Bei der ersten 
Art, die am meisten verbreitet ist, werden zwei senkrecht zueinander 
stehende Gruppen von Geflechtsstreifen derartig miteinander ver- 
flochten, daß die Streifen der einen Gruppe jedesmal eine gewisse An- 



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Korbwannen 



341 



zahl von Streifen der anderen Gruppe überspringen, bzw. von ihnen 
übersprangen werden, und zwar so, daß immer die in gleicher Richtung 
verlaufenden Geflechtsmaschen stufenförmig nebeneinander, bzw. über- 
einander liegen. — Die zweite Art zeichnet sich dadurch aus, daß 
eine Anzahl Rohrstreifen, Palmblattrippen, Holzstäbchen, Lianenstücke 
oder Palmfaserschnüre parallel nebeneinander gelegt und mit Quer- 
streifen ähnlichen Materials umflochten wird. Diese Flechtart ist bei 
den einfachen Hängematten angewendet. — Bei der dritten Hauptart 
werden zwei Gruppen von Geflechtsstreifen, die in verschiedener Rich- 
tung übereinandergelegt sind, von einer dritten, wieder in anderer 
Richtung verlaufenden Streifengruppe durchflochten. 

In keinem Indianerhaushalte Nordwestbrasiliens fehlen die flach - 
runden Korb wannen von verschiedener Größe, die zur Aufnahme 
von Maniokfladen, Mehl und Früchten bestimmt sind. Sie gehören der 
ersten Hauptart der Geflechte an und sind besonders am iBsana-Aiary 
in geschmackvollen, schwarzen, seltener roten Mustern geflochten, die 
sich teils in einem breiten Streifen über die Innenfläche des Korbes 
ziehen, teils diese ganz einnehmen. Wir finden in diesem Gebiet 
eine größere Anzahl Geflechtsmuster vertreten, die über Südamerika 
weit verbreitet sind. Am häufigsten kommen Mäander in mehreren 
Variationen vor, außerdem Zickzackmuster, abwechselnde Streifung in 
horizontaler und vertikaler Richtung, Gruppen konzentrischer Quadrate 
mit einem Punkt, einem Kreuz oder einem ausgefüllten Viereck in 
der Mitte, Gruppen ineinanderliegender rechter Winkel, die mit den 
Spitzen einander zugekehrt sind. Alle diese Muster, selbst die ver- 
wickelte Hakenfigur des Mäanders, sind unzweifelhaft durch die 
Technik des Flechtens bedingt. 

Die Flechtstreifen bestehen bei diesen Korbwannen aus der Schale 
von Blattstielen der Mauritia und anderer Palmen und werden mit 
Genipapo und Carayuru schwarz und rot gefärbt. Die Wanne wird 
zunächst in Form einer viereckigen Matte geflochten, die dann, mehr 
oder weniger gewölbt, mit gepichter Faserschnur über einem starken 
Rand aus mehrfach spiralig zusammengebogener Liane befestigt wird. 
Das überstehende Geflecht wird abgeschnitten. Den äußeren Abschluß 
des Randes bildet ein stärkerer Lianenring, der in seiner ganzen Aus- 
dehnung mit schmalen Rohrstreifen umwickelt ist. Eine Faserschlinge 
dient zum Anhängen des Korbes. 

Große, sehr feine, leicht gewölbte Siebe von derselben 
Geflechtsart und demselben Material, die zum Auspressen der Maniok - 
masse auf ein dreiseitiges Holzgestell gelegt werden, sind häufig eben- 



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342 



Siebe und Körbe 



falls mit Musterstreifen verziert oder auf der ganzen Innenfläche, 
bisweilen auch auf der Außenfläche, gemustert. Der Rand wird mit 
einer dicken Liane verstärkt. Die überstehenden Enden der Flecht- 
streifen werden gleichmäßig verschnitten und sauber verflochten. Bis- 
weilen wird noch ein kleiner, mit Rohr umflochtener Henkel angefügt. 
Besonders schöne Siebe dieser Art fand ich bei den Uanana. 

Nicht minder groß sind runde, flache, gewöhnlich in schwarz- 
roten Mustern geflochtene Siebe, die dieselbe Geflechtsart und die- 
selbe Arbeit am Rande zeigen. Sie sind gröber alß die vorigen und 
dienen dazu, die im Preßschlauch ausgepreßte Maniokmasse von dickeren 
Brocken und holzigen Bestandteilen zu reinigen. Bei den Siusi fand 
ich einige dieser Siebe auf der Rückseite mit Figuren von Menschen 
und Tieren und mit Mäandern in Carayurufarbe bemalt. 

Noch gröber sind kleine, viereckige Siebe, bei denen das 
Geflecht, nachdem die Enden der Rohrstreifen miteinander verflochten 
sind, an allen vier Seiten zwischen je zwei Stäbe geklemmt and mit 
Rohrstreifen daran befestigt ist. Sie zeigen verschiedene Geflechts- 
arten. Bei den einen sind einfach zwei Gruppen von Rohrstreifen 
rechtwinklig miteinander verflochten; die anderen zählen zur dritten 
Hauptart der Geflechte. 

Selten finden sich zylindrische Körbe von verschiedener 
Größe mit viereckigem Boden. Die Geflechtsart ist dieselbe wie bei 
den Korbwannen, mit denen sie auch in der Arbeit am Rande tiber- 
einstimmen. Sie tragen stets dieselben Muster, konzentrische Quadrate 
in Schwarz und Rot, und werden zum Aufbewahren von Kleinkram, 
Perlen, gerösteten Pfefferfrtichten und dergleichen, benutzt. 

Hänge körbchen von kugeliger oder karaffenähnlicher Form, 
die ich besonders am Aiary im Gebrauch fand, dienen dem gleichen 
Zweck. Sie sind aus dünnen, halbierten Lianen auf drei Arten her- 
gestellt. Bei einigen sind die Streifen auf die einfachste Weise recht- 
winklig miteinander verflochten. Andere gehören zur ersten und 
zweiten Hauptart der Geflechte. 

In derselben Weise und aus demselben Material sind tiefere 
Korbwannen geflochten, die zum Verwahren von Knollen, Bataten, 
Bananen und anderen Früchten dienen. 

Von verschiedener Form sind die Behälter, in denen Pfefferfrüchte 
über dem Herdfeuer geröstet werden. Einige bestehen aus langen 
Rohrstreifen, die in der Form eines Beutels zusammengebogen und 
in gewissen Zwischenräumen mit feinen Lianen umflochten sind, die 
das Ganze zusammenhalten. Zum Pfefferrösten benutzt man auch 



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.Matten 



313 



Körbchen verschiedener Flechtart und zylindrische Behälter aus Holz- 
stäbchen, die von Lianenringen umflochten sind. 

Zum Zudecken der Kochtöpfe und Wassergefäße dienen quadratische 
Matten aus einfachem Palmblattgeflecht. Bisweilen wird der Holz- 
trog, in dem Kaschiri angesetzt wird, mit einer fast 3 m langen Roll- 
matte zugedeckt. Sie besteht aus nebeneinanderliegenden starken 
Kohrstreifen, die an den beiden Enden und in der Mitte mit je einer 
Palmfaserschnur umflochten und dadurch zusammengehalten sind. 

Die größeren Flechtarbeiten, Korbwannen, Siebe usw., werden 
in der Regel von Männern verfertigt, die Hängekörbchen auch von 
Frauen. 




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ZU 


















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3. Töpferei 

Die Töpferei ist in ganz Nordwestbrasilien ein Monopol der Frau 
und wird ohne Drehscheibe in einer einfachen Weise ausgeübt, die 
wir auch in anderen Erdteilen finden und an Gefäßen aus dem prä- 
historischen Europa nachweisen können. 

Bei allen Stämmen des Issana und Caiary-Uaupes begegnen wir 
einer Keramik von reicher Vollkommenheit, außer bei den rohen Maku, 
die nur sehr primitive Tongeräte zustande bringen. 

Das Material, das am oberen Rio Negro und seinen Nebenflüssen 
verwendet wird, ist ein feiner, sehr fetter, bläulicher Ton, der sich 
in kleineren Lagern in dem Lehm und Letten der Flußufer findet, 
und zwar nicht allzu häutig, so daß Stämme, in deren Gebiet er nicht 
vorkommt, oft weite Handelsreisen unternehmen, um sich damit zu 
versehen. Er wird ungeschlämmt verarbeitet, aber vorher sorgfältig 
durchgeknetet und von härteren Bestandteilen und Steinchen befreit. 
Um dem Ton einen festeren Zusammenhalt zu geben, mischt ihn die 
Künstlerin mit der fein zerstoßenen Asche aus der Rinde einer 
Bignoniacee. 

Bei der Arbeit kauert die Frau am Boden und wälzt mit beiden 
Händen auf einer Matte oder auf dem breiten Blatt eines Paddel- 
ruders lange, möglichst gleichmäßige Tonwülste, die sie dann in der 
Gestalt, die das Gefäß bekommen soll, in Spiralen übereinanderlegt. 
Dabei drückt sie die Wülste gleichzeitig mit der linken Hand leicht 
aneinander und verbindet dadurch den weichen Stoff. Die Rillen 
zwischen den einzelnen Wülsten werden zunächst mit dem Fingernagel 
oder mit einem Holzbrettchen, danach mit einer Kalabassenscherbe 
innen und außen fein verstrichen, womit dem Gefäß zugleich die 
elegante Form gegeben wird. Endlich wird das Gefäß mit einem 
glänzenden Kiesel geglättet. Diese Kiesel stammen aus dem Gebiete 
des oberen Yapura und finden bei den Stämmen des Caiary-Uaupes 
und Issana eine weite Verbreitung. Die Kobeua erhalten sie von 
den befreundeten Umaua. Bisweilen werden zwei Henkel zu beiden 
Seiten an den oberen Rand des Topfes gesetzt, wobei die Frau die 
Tonbrocken vorher mit Speichel anfeuchtet, damit sie besser haften 
bleiben und sich mit dem noch frischen Ton des Topfes verbinden. 

Das im Rohbau fertige Gefäß wird drei bis vier Tage laug in 



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Bemalen und Brennen der Gefässe 



345 



einem sicheren Winkel des warmen Hauses, meistens auf einem etwa 
mannshohen Gerüst in der Nähe des Herdfeuers, und dann drei 
Tage lang in der Sonne, manchmal noch mehrere Stunden über einem 
schwachen Feuer getrocknet. Damit es nicht zusammenfallt oder 
schief wird, wird die Öffnung mittels eingeklemmter Stäbchen aus- 
einandergehalten. 

Beim Brennen wird das Gefäß in einer flachen Grube mit der 
Öffnung nach unten auf drei tönerne Herdfüße oder einige Steine 
gesetzt und mit leichten Holzscheiten kegelförmig umstellt, so daß 
oben ein schmaler Rauchausgang bleibt. Uber die Holzscheite wird 
eine dicke Schicht trockener Rindenstücke gelegt. Das Feuer, das 
von innen entzündet wird, bleibt dadurch nach innen konzentriert und 
entwickelt eine starke Hitze. Während des Brennens wirft die Frau 
mehrere Hände voll Asche über die Flammen. Ist alles, Holz und 
Rinde, abgebrannt, so ist das Gefäß fertig. Zunächst rotglühend, 
kühlt es sich in der Luft allmählich ab, wenn nicht zuweilen ein 
plötzlicher Regenguß das mühevolle Werk der fleißigen Frau vernichtet. 

Eine besonders hoch entwickelte Keramik, deren Erzeugnisse mit 
hübschen roten Mustern, Mäandern und anderen Geflechtsmustern, 
Schneckenlinien, aber auch Figoren von Menschen und Tieren bemalt 
sind, . haben die Aruakstämme des Issana und seiner Nebenflüsse. 
Diese Master werden auf das an der Sonne getrocknete Gefäß auf- 
getragen, das dann mit pulverisiertem Harz überstreut oder mit der 
Milch eines gewissen Baumes überschüttet wird. Dadurch entsteht 
beim Brennen ein glänzender Firnis, der die Malerei prächtig durch- 
scheinen läßt. Bei den Töpfen ist stets die Außenseite mit Mustern 
bemalt, die Innenseite schwarz überstrichen; bei den Schalen trägt 
umgekehrt die Innenseite die Muster, während die Außenseite ent- 
weder in der natürlichen gelblich-grauen Tonfarbe geblieben oder mit 
Carayururot überstrichen ist. Die zchwarze Farbe ist Topfruß oder 
Ruß aus verbrannten Palmfrüchten, mit klebrigem Pflanzensaft an- 
gerührt (Abb. S. 12, 18, 19, 37, 122, 333, 338, 344, 348). 

Alle bemalten Gefäße, Töpfe und Schalen, werden, um ihre 
Schönheit zu schonen, gewöhnlich nur zum Herbeiholen und Aufbewahren 
von Wasser gebraucht. Nur bei feierlichen Empfängen und bei Tanz- 
festen werden die Schalen bisweilen auch zum Kredenzen von Maniok- 
getränken und selbst von Kaschiri verwendet, obwohl diese alkohol- 
haltige Flüssigkeit auf den Firnis und die Malerei mit der Zeit 
zerstörend wirkt. 

Auf einem Ständer aus Palmstäbchen, die mittels Lianen in Form 



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34(3 



Akkulturation 



einer Sanduhr zusammengeflochten sind, werden die Wassertöpfe und 
Schalen aufgestellt (Abb. S. 348). 

Die Keramik der Uaupesstämme steht zwar an Güte des Materials 
und Eleganz der Formen der des Issanagebietes nicht nach, aber 
die Gefäße sind meistens nur glänzend schwarz überstrichen, selten 
mit gelben Mustern auf schwarzem Grunde bemalt. Die gelbe Farbe 
ist eine Tonart. Diese ornamentierten Gefäße rühren wohl stets von 
Tarianaweibern her. Auch schwarze Schalen, die eingeritzte Mäander 
und andere Muster am Rande tragen, finden sich bei diesem Aruak- 
stamm. 

Die Formen und die Größe der Gefäße sind außerordentlich 
mannigfaltig und je nach dem Kulturgrade des Stammes von der 
primitivsten Art bis zu hoher Vollendung. Da gibt es vor allem die 
verschiedenartigsten Töpfe und Schalen zur Verarbeitung der Maniok, 
winzige Eßnäpfchen für kleine Kinder bis zu Schalen von fast '/« m 
Durchmesser zur Aufnahme der Maniokmasse, zierliche, wenige Zenti- 
meter hohe Töpfchen für das Pfeilgift Curare bis zu riesigen, bauchigen 
Kaschiritöpfen von fast 1 m Höhe und 2—3 m Umfang, Töpfe und 
Schalen von wahrhaft klassischen Formen, mit reizenden Mustern 
bemalt, und schmucklose Kochtöpfe, überall ist die Frau die Künstlerin, 
ja manche Stämme haben die Kunst der Töpferei erst von ihren 
Frauen, die sie aus anderem Stamme nahmen, gelernt. 

Im Gebiete des Caiary-Uaupes hat eine Akkulturation statt- 
gefunden zwischen den Stämmen der Tukanogruppe, die als Eroberer 
auftraten, und den eingesessenen, höher kultivierten Aruakstämmen, 
die sie unterjochten, verdrängten oder aufsogen. Noch jetzt ist die 
kunstvolle Flechterei und Töpferei im Issanagebiete, dem eigentlichen 
Aruaklande, in höchster Blüte, und die Tariana und die ehemaligen 
Aruakstämme des Querary und oberen Cuduiary besitzen in diesen 
Künsten eine besondere Fertigkeit, ebenso die Kobeua, die manche 
Güter ihres Kulturbesitzes ihren Aruaknachbarn verdanken. Wie in 
alten kriegerischen Zeiten der Frauenraub diesen Prozeß der Akkul- 
turation förderte, so tut dies heute noch in hohem Maße die allgemein 
verbreitete Sitte, die Frau stets aus fremdem Stamme zu nehmen, und 
nicht in letzter Linie der rege freundschaftliche Verkehr und die leb- 
haften Handelsbeziehungen zwischen Stämmen verschiedenen Ursprungs. 
Dazu kommt, daß das Rohmaterial zu einzelnen Produkten nur in 
bestimmten Gegenden vorkommt, was die dort wohnenden Stämme zu 
Spezialindustrien geführt hat. Der nahe Zusammenhang der weit- 
verästelten Stromsysteme Nordwestbrasiliens durch natürliche Bifur- 



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Kalabassen und Ornamente 



kation, wenigstens in der Regenzeit, oder durch kurze Fußpfade er- 
leichtert diesen Verkehr ungemein. 

Als Trink- und Schöpfgefäß dient im gewöhnlichen Leben die 
Kalabasse aus der halbierten Fruchtschale des Cuyete- Baumes. 
Sie ist außen braun poliert, innen schwarz lackiert, bisweilen am 
Rande oder auf der ganzen Außenfläche mit Ritzmustern verziert. 
Der schwarze Lack wird auf sonderbare Weise hervorgerufen: Die 
Schale wird auf der Innenseite wohl geglättet, mit Absud aus Carayuru- 
blättem überstrichen und dann über Maniokblätter gestülpt, die mit 
menschlichem Urin Übergossen sind. Sie bleibt 60 lange liegen, bis 
die Innenfläche tiefschwarz und glänzend ist. 

Die Ornamente, die dem Indianer die Flechttechnik liefert, 
bringt er, wie wir gesehen haben, auf seinen Gefäßen an; er bemalt 
seinen Körper damit; er malt, schnitzt oder ritzt sie auf die Wände 
und Pfeiler seines Hauses, auf seine Waffen, seine Haus- und Tanz- 
geräte. Außer diesen Geflechtsornamenten gibt es auch andere Muster, 
deren Ursprung wir nicht mit Sicherheit feststellen können, oder die 
zufällig entstanden sein mögen und dank der ausschweifenden Phantasie 
des Indianers ihre Namen nach Tieren oder Pflanzen führen oder 
wenigstens mit einzelnen besonders charakteristischen Teilen oder 
Abzeichen von diesen in Beziehung gesetzt werden. An einigen 
Zeichnungen kann man erkennen, wie während des Malens die Phantasie 
des Indianers Seitensprücge macht, so daß aus demselben Motiv durch 
Hinzufügen einzelner charakteristischer Teile die verschiedensten Figuren 
entstehen können. Ferner dienen zur Verzierung die mehr oder weniger 
charakteristischen Figuren von Menschen oder dämonischen Wesen 
und Tieren, Vierfüßlern und Vögeln verschiedener Art, Alligatoren, 
Eidechsen, Heuschrecken u. a. (Abb. S. 18). 

Die roten Farben, Carayuru und Urucu, die der Indianer 
zu seinen Malereien verwendet, gewinnt er auf folgende Weise. 

Die Blätter der Schlingpflanze Carayuru (Bignonia Chica Humb.) 
werden langsam getrocknet und in Trögen oder großen Töpfen in 
Wasser angesetzt, wo sie nach zwei oder drei Tagen in Gärung über- 
gehen und ein feines, dunkelrotes Pulver absetzen. Dieser Farbstoff 
wird mehrmals mit frischem Wasser ausgewaschen, an der Sonne 
getrocknet und in Tuben aus Palmfruchtschalen, kleinen Kalabassen, 
Schächtelchen aus Palmblättern und Säckchen aus Baumbast aufbewahrt. 
Das dunkelrote Carayuru dient auch als heil- und zauberkräftige Farbe 
bei den verschiedensten Gelegenheiten. Die Zauberärzte bemalen damit 
ihre Geräte und ihren eigenen Körper. Bei einem Krankheits- oder 



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348 



Rote Farben 



Todesfall soll eB alle Angehörigen eines Dorfes vor dem Unheil 
schützen. Der Kranke wird damit bemalt und endlich der Tote, bevor 
das Grab sich über ihm schließt. 

Die Samen der Urucustaude (HixuOrellana), die eine weichstachelige 
Kapsel, ähnlich wie bei den Bucheckern, umschließt, sind mit einem 
gelbroten Farbstoff überzogen, der frisch von der Pflanze weg, mit 
Speichel, Ol oder klebriger Baummilch angerührt, zum Bemalen ge- 
braucht werden kann. Er wird auch getrocknet in kleinen Mengen 
aufbewahrt. Man findet rot- oder weißblühende Urucusträucher bei 
jeder Maloka angepflanzt. Die Urucufarbe ist bei weitem nicht so 
haltbar wie das Carayuru und verbleicht rasch, wenn sie dem Licht 
ausgesetzt wird. 




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4. Hau 8 sch muck 

Die Rindenbekleidung der Vorderseite bei vielen Malokas des 
OaiaryUaupes und der angrenzenden Gebiete dient, wie wir mehrfach 
gesehen haben, den Bewohnern zur Ausübung ihrer primitiven Kunst. 
Häufig sind es nur mit Kohle mehr oder weniger charakteristisch 
gezeichnete Figuren von Menschen, Tieren und Geräten des täglichen 
Gebrauchs oder Geflechtsmuster. Bisweilen aber tragen diese Haus- 
wände auch reiche Ornamente in bunten Farben, schwarz, rot, gelb, 
weiß, regelmäßig angeordnet. 

Auch die mittleren Hauptpfosten dieser Malokas sind häufig mit 
Malereien in Weiß und Gelb auf dunkelrotem Grunde verziert. 

Besonders ist es eine Figur, die in den verschiedensten Variationen, 
1 — l 1 /« m hoch, immer wiederkehrt. Sie stellt in der Hauptsache 
offenbar den Torso eines Mannes in vollem Tanzschmuck dar. Das 
Haupt schmückt die breite Binde aus gelben Aracangafederchen, die 
hinten von dem Aufstecker aus den feinen Federn des weißen Reihers 
überragt wird. Sogar das kleine Dreieck aus roten Federchen, das 
aus dem herrlichen Orangegelb der Federbinde hervorleuchtet, findet 
sich auf diesen Figuren. Die mit Mustern ausgefüllten Rechtecke 
unter dem Gesicht sollen wahrscheinlich die Brustbemalung des Tänzers 
andeuten. Dasselbe Muster kehrt in der Körperbemalung der Indianer 
zur Zeit der Feste, auf ihren Töpfen und Tanzgeräten wieder. Einige 



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350 



Menschen- und Schlangenbilder 



Figuren zeigen Wangenbemalung und das früher bei allen Stämmen 
des Caiarj übliche Unterlippenloch. In einer Uanana-Maloka traf 
ich sogar die vollständige, fast lebensgroße Figur eines tanzenden 
Mannes mit dem ganzen charakteristischen Beiwerk des Schmuckes 
auf die beiden Mittelpfosten gemalt. 

Diese Pfostenmalereien finden sich auf einem verhältnismäßig 
kleinen Raum, dem Gebiete des oberen Caiary - Uaupes und des be- 
nachbarten Aiary, besonders in den Malokas der Uanana und Kobeua, 
in den verschiedensten Phasen der Stilisierung. 

In einigen Figuren erkennt man nur mit Mühe das ursprüngliche 
menschliche Motiv, das sich immer mehr verwischt und schließlich 
nur noch durch einen Vergleich mit anderen naturalistischeren Dar- 
stellungen derselben Art zu deuten ist. Einen deutlichen Beweis für 
die ursprüngliche Bedeutung aller dieser Figuren gibt uns der Name, 
mit dem die Uanana sie bezeichnen. Sie nennen sie „Mensch" 
oder auch „Menschenbild" (Abb. S. 349). 

In den Malokas Matapy und Carum am Caiary fand ich auf 
der Rückseite der mit solchen Menschenfiguren geschmückten Pfosten 
bunte Malereien, die Riesenschlangen darstellten. In ihren angenehmen 
Farben, schwarz, rot, gelb, weiß auf purpurrotem Grunde, machten 
diese geschmackvoll gemusterten Figuren einen besonders prächtigen 
Eindruck. 

Die an 2 m langen Schlangenfiguren von Matapy waren mehr oder 
weniger naturalistisch gehalten, so daß sie ohne weiteres zu deuten 
waren. In eleganten Windungen schienen sie die Pfeiler emporzu- 
kriechen. Der untere, auf der Zeichnung punktierte Teil der Figuren 
war im Original stark verwischt, da die Pfosten bei häuslichen 
Arbeiten und besonders bei Trinkgelagen zum Abwischen der Hände 
dienen (Abb. S. 258). 

Die Schlangenbilder in Carum waren stark stilisiert, so daß man 
kaum die ursprüngliche Bedeutung erkennen konnte. Die Uanana 
nannten sie „Riesenschlangenbild" und bezeichneten mir die 
einzelnen Teile des Tieres, seine mächtigen Zahnreihen, seine Augen, 
umgeben von den Augenbrauenbogen, und seine Kinnbacken (Abb. 
S. 272). 

Ein reizender Hausschmuck endlich sind Figuren, aus Maiskolben 
und ihren Umhüllungsblättern gearbeitet oder kunstvoll aus Palmblatt- 
streifen geflochten. Sie stellen Menschen und Tiere, Schwalben und 
andere Vögel und Schlangen dar und hängen gewöhnlich nebenein- 
ander an einer Schnur zwischen den mittleren Hauptstrebepfeilern. 



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Maisvögel 



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Bisweilen baumeln sie auch Ton den Querbalken herab und hier und 
da von den Dachsparren bis in den Giebel des Hauses. 

In den meisten dieser Maisvögel erkennt man ohne Mühe fliegende 
Tauchervögel. Ein dicker Maiskolben mit Umhüllung bildet den Leib, 
der daran stehengebliebene lange, leicht gekrümmte Stiel den bieg- 
samen Hals und den spitzschnäbeligen Kopf des Vogels. An zwei 
Stäbchen, die horizontal durch den „Leib" gesteckt sind, hängen Um- 
hüllungsblätter, die nach den Enden zu immer kürzer werden und die 
breiten Schwingen darstellen. Ein in das Ende des Maiskolbens 
gestecktes, quer durchgeschnittenes Umhüllungsblatt ahmt geschickt 
den Schwanz des Vogels nach, den er beim Fliegen fächerförmig aus- 
einander breitet. Schwungfedern, Schwanz und Leib sind zum Teil 
schwarz bemalt (Abb. S. 351). 

In einer Maloka sah ich einen aus demselben Material naturgetreu 
hergestellten Storch, der so kunstreich unter dem Dach aufgehängt 
war, daß er mit seinen langen Beinen aufrecht auf dem Querbalken 
des Hauses stand. 

Einige dieser Maisfiguren sind mit unvergifteten Blasrohrpfeilchen 
gespickt. Die Knaben üben sich an diesen niedlichen Zielscheiben 
(vgl. S. 63). 

Dem häuslichen Leben des Indianers fehlt nicht die Poesie. 
Sein Haus ist ihm nicht nur ein Unterschlupf, sondern ein Heim, das 
er nach seinen Kräften erbaut, ausstattet und schmückt. 





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XXII. Kapitel 



Zum Rio Negro und nach Säo Felippe 

Unser Aufenthalt bei dem liebenswürdigen Volke der Kobeua 
neigt sieb seinem Ende zu. 

Wenige Tage vor unserer Abreise kommt eine Bande Ynlämana 
vom Querary, Verwandte einiger in Namocoliba verheirateter Frauen. 
Es sind sieben Männer und Knaben, durchweg muskulöse Gestalten, 
auffallend durch die starken Stirnwülste, die den Gesichtern einen 
etwas finsteren Ausdruck verleihen. Sie wollen Arundinaria-Halme 
schneiden, die in ihrer Heimat nicht wachsen) als Einlage für Blasrohre. 
Mit den Kobeua tauschen sie Körbe und Siebe. 

Die Frauen geben zu Ehren ihrer Stammesbrüder ein kleines 
Kaschiri, das jedoch die tägliche Arbeit nicht unterbricht. Der 
Zauberarzt ist eifrig damit beschäftigt, in der Nähe Wald für eine 
neue Pflanzung zu roden. Den ganzen Tag erschallt das lange an» 
haltende, donnerähnliche Krachen und Rauschen der niederstürzenden 
Bäume. Trinkend und gemütlich plaudernd sitzen wir am Abend 
beisammen. Gegen neun Uhr findet ein Tanz statt. Ein Dutzend 
Tänzer, nur wenige mit einfachen Federreifen geschmückt, bewegt sich 
im raschen Tanzschritt in der üblichen Runde. Die linke Hand ruht 
auf der rechten Schulter des Nebenmannes. Die rechte Hand hält 
einen am oberen Ende mit Fußklappern umwundenen, schmucklosen 



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Abschied 



353 



Holzstab, der bei jedem Schritt rasselnd aufgestoßen wird. Tanz und 
Gesang beginnen feierlich langsam, werden immer rascher und endigen 
langsam und feierlich. Zum Schluß stellen sich alle Tänzer in einer 
Reihe, dem Eingang zugewendet, in der Maloka auf, singen und 
stampfen noch eine Zeitlang sehr langsam weiter und gehen dann nach 
drei kurzen, lauten Schreien und schrillen Pfiffen durch die Zähne 
auseinander. Die Tänze dauern bis zum frühen Morgen. Auch Frauen 
nehmen daran teil. Es ist ganz bo, wie seinerzeit am Aiary; nur die 
viehische Trunkenheit fehlt. 

Schmidt macht mir in diesen Tagen schwere Sorge. Er bekommt 
jeden Abend zu einer gewissen Stunde heftige Magenkrämpfe und 
Hustenanfälle, die ihn zum Erbrechen reizen und öfters mit Fieber 
verbunden sind. Es sei Zaubergift von den Colombianern, meint der 
Häuptling. Ich halte es für Keuchhusten. Eine Frau leidet unter 
denselben Anfällen. Auch die Frau des Häuptlings liegt mehrere Tage 
mit fürchterlichen Schmerzen wimmernd in der Hängematte. Auf dem 
Weg zur Pflanzung ist sie an zwei Tagen hintereinander von Vogel- 
spinnen an der Hand und am Fuß gebissen worden. 

Am 12. Dezember nehmen wir Abschied. Aus allen umliegenden 
Malokas sind Leute gekommen, um uns Lebewohl zu sagen. Die 
Bewohner von Surubiroca, die uns nach Matapy bringen wollen, sind 
vollzählig erschienen. Ihr Häuptling hält mir mitten auf dem Dorf- 
platz vor versammeltem Volk eine lange Lobrede in Lingoa geral, die 
mit dem alten Missionsgruß „Yasu tupana irumo!" („Geh mit Gott! tt ) 
feierlich ausklingt. Alle geben uns das Geleit zum Hafen. Die 
Frauen reichen mir noch einmal ihre Kinder. Jeder will mir die 
Hand drücken. Selten ist mir ein Abschied so schwer geworden. — 

Es war eine unvergeßlich schöne Zeit. Man hat uns volles 
Vertrauen entgegengebracht, und nie ist unser Vertrauen getäuscht 
worden. Nie wurde unsere Eintracht ernstlich gestört. Niemals wurde 
uns das geringste entwendet, obwohl wir die Koffer bisweilen offen 
stehen ließen. Bei unserer Abreise zum oberen Caiary blieb der größte 
Teil unseres Gepäcks in Namocoliba zurück. Der Häuptling ließ vor 
unseren Augen in einer Ecke der Maloka ein Gerüst errichten und 
unsere Kisten und Ballen dort aufstapeln. Als wir nach einem Monat 
zurückkehrten, lag eine dicke Staubschicht auf den Sachen. Niemand 
hatte daran gerührt, obwohl alle wußten, daß sie Kostbarkeiten, 
Perlen, Äxte, Messer, enthielten. 

Ich lernte hier so recht das reiche Seelenleben kennen, durch 
das sich die indianische Frau auszeichnet. Sie ist nichts weniger als 

Koch-GrUobcrg, Zwei Jahre bei den Indianern 23 



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354 



'Indianische Frauen 



das „stumpfsinnige Lasttier" , wie sie so oft von flüchtigen Beobachtern 
dargestellt wird. Während der Mann seine Kräfte mehr dem Ge- 
meinwesen widmet, spielt sich das Leben der Frau im engen Kreise 
der Familie ab. Mit den Hauptpflichten in der Familie übernimmt 
sie auch die Hauptrechte. Ihr Leben ist wohl reich an Mühe 
und Arbeit, aber gerade dadurch findet sie Gelegenheit, alle ihre 
Fähigkeiten zu entfalten und ihre seelischen Eigenschaften zur vollen 
Entwicklung zu bringen. Ihre große Intelligenz ist angenehm ver- 
bunden mit einer reinen Gutmütigkeit, die sie nicht nur gegen An- 
gehörige ihrer Familie und ihres Stammes, sondern auch gegen Fremde 
betätigt, die ihr Vertrauen gewonnen haben. Wir wurden von den 
Frauen wie Stammesgenossen behandelt. Sie ließen es nie an Speise 
und Trank für uns fehlen und waren eifrig für unser Wohlergehen 
besorgt. Besonders war es die Frau des Häuptlings, die Mutterstelle 
an uns vertrat, und deren liebevoller Fürsorge ich mich erfreute. Es 
wurde mir wirklich nicht schwer, die gütige Alte „meine Mutter" 
anzureden, zumal wenn ich sah, welche freudige Genugtuung ich damit 
ihr und ihren Angehörigen bereitete, und ich freute mich ebenso, wenn 
sie mich „mein Sohn" nannte. Jeden Morgen, sobald ich erwachte, 
schickte sie mir ihre kleine Tochter mit einer Kalabasse frischen 
Wassers zum Mundausspülen und Zähneputzen, und manchen Extra- 
bissen, manchen erfrischenden Trank danke ich ihr. Beim Abschied 
fehlten „meine Mutter u und „meine kleine Schwester". Sie waren 
schon vor Tagesanbruch auf die Pflanzung gegangen, um in der 
Scheidestunde nicht zugegen zu sein. — 

Der Caiary hat infolge des sehr niedrigen Wasserstandes ein ganz 
anderes Aussehen angenommen. Überall ragen riesige Felsen, zwischen 
denen das Wasser verschwindet; weithin leuchten weiße Sandbänke. 

An allen Malokas, besonders bei den Stromschnellen, sieht man 
jetzt merkwürdige Zäune aus entrindeten Stangen, die an der Spitze 
bisweilen noch Fiederblätter tragen. Auf den Kreuzungspunkten der 
Stangen liegen Bündelchen gelber Rinde. Es sind „Badeanstalten" 
der Indianer. Mit der Rinde, die, mit Wasser gerieben, einen dicken 
Schaum wie Seife erzeugt, reinigen sie den Körper und auch Kleider. 
Jedes Bündelchen Rinde hat seinen bestimmten Besitzer. 

Schon am 16. Dezember gelangten wir nach Matapy. Bei der 
Aufwärtsfahrt haben wir zu derselben Strecke volle vierzehn Tage 
gebraucht. Wir bleiben hier einen Tag, um die Montaria zu kalfatern, 
die durch den schwierigen Transport über die unzähligen Felsen wieder 
ganz leck geworden ist. Der „Herr Professor" willigt sofort ein, 



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Maku als Tagelöhner 



355 



uns mit einigen Desana und Uanana und drei Maku bis Yauarete 
zu bringen. 

Diese Maku gehören zu einer Bande von einigen zwanzig Männern, 
Weibern und Kindern, die eines Tages vom Papury her nach Matapy 
gekommen sind. Fünf Männer mit ihren Familien hat der Häuptling 
behalten; zwei hat er dem Oberhäuptling in Caruru überlassen; die 
übrigen sind in der Umgegend verteilt worden. Sie wohnen nicht 
in der Maloka, sondern halten sich in der Nähe im Walde unter 
erbärmlichen Hütten auf und werden nur zu besonderen Dienstleistungen 
herangerufen. Sie helfen auch beim Ausbessern unseres Bootes und 
werden bezahlt wie die anderen. Der Häuptling fragt sie, was sie 
haben wollen. Es sind also hier keine Haussklaven, wie z. B. bei 
den Tukano an der Pary-Cachoeira des Tiquie, sondern eine Art 
Tagelöhner. Die Weiber, die mir zu Gesicht kommen , sind ab- 
schreckend häßlich. Einige hübsche, großäugige, aber unbeschreiblich 
schmutzige Kinderchen schreien mörderisch, sobald wir Weißen uns 
ihnen nahen. Die Männer machen im Verkehr keinen unsympathischen 
Eindruck, zeigen aber in dem wenig proportionierten Körperbau, den 
breiten Nasenflügeln und dem schnauzenformigen Mund den häßlichen 
Makutypus. Mit Hilfe des Desana, das sie beherrschen, nehme ich 
eine Wörterliste ihrer fürchterlichen Sprache auf, die bisher unbekannt 
war. Sie scheint mit dem Maku des Querary, von dem ich einige 
Wörter bei den Kobeua hörte, identisch zu sein, ist aber in den meisten 
Wörtern gänzlich verschieden von dem Maku des Tiquie* und Curicuriary. 
Nur wenige Ausdrücke zeigen eine entfernte Verwandtschaft, die mit 
dem Tiquie* -Maku größer zu sein scheint als mit dem Maku vom 
Curicuriary. 

Das Uanana mit seinem halblauten, verschwommenen Lispeln und 
hochgeschraubten, singenden Tonfall mutet uns jetzt, nachdem wir 
monatelang nur das rauhe, stark gutturale und nasale Kobeua gehört 
haben, ganz sonderbar an. 

Der Typus der Desana ist im ganzen Caiarygebiet sehr einheit- 
lich. Meine Ruderer sind an den langen Köpfen, dem struppigen Haar 
und den schräggestellten, geschlitzten Augen sofort als Angehörige 
dieses Stammes zu erkennen. 

An der Caruru-Cachoeira haben wir ein Erlebnis, das uns noch 
tagelang Stoff zur Heiterkeit gibt. Beim Frühstück erscheint plötzlich 
eine sehr korpulente Indianerin, mit einem langen geblümten Rock 
nebst eng anschließender Taille bekleidet, ein weißes türkisches Tuch 
um den vollen Nacken geschlungen, an den nackten Füßen feine Leder- 



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356 Don Raphaels Indianerbrant 

pantöffelchen. Es ist meine alte Bekannte vom Jahr vorher. Sie 
redet mich in gewähltem Portugiesisch an, so daß ich ganz verlegen 
werde, denn ich habe mein bißchen Portugiesisch über der Lingoa geral 
und dem Kobeua fast vergessen. Sie erkundigt sich eingehend 
nach „Don Rafaelo", wo ich ihm begegnet sei, was er mit mir ge- 
sprochen habe, wann er wieder flußabwärts käme, ob er nicht ein 
Boot herunterschicken wolle usw. usw. Nach manchem komischen 
Hin und Her stellt es sich heraus, daß sie die Uanana ist, die der 
Colombianerchef Raphael Tobar kürzlich zur Gattin erkoren hat. Zu 
ihrer Beruhigung können wir ihr mitteilen, daß er uns gesagt habe, 
er wolle ein Boot schicken, um sie zu sich zu holen. Ihre „zivilisierte 4 * 
Erscheinung wirkt in der nackten Umgebung ungeheuer komisch, und 
wir atmen auf, als sie sich endlich verabschiedet; denn es war schwer, 
die Fassung zu bewahren, besonders als der böse Schmidt sie fragte, 
wie viele Kinder sie habe, und sie gekränkt antwortete : .Was denken 
Sie denn? Ich bin ja noch Jungfrau !" Wußten wir doch, daß diese 
„Jungfrau" jahrelang die Geliebte unseres einstigen Kobeuafuhrers 
JoseMCadyu war. — 

Sonst sind die Colombianer weniger begehrt. Überall fragt man 
ängstlich nach diesen sauberen Herren, die eine Art Popanz für die 
Uaupes-Indianer zu sein scheinen. In einer Maloka sitzen die jungen 
Männer am Eingang und verfertigen Pfeile. Sie sehen mich erst, als 
ich dicht vor ihnen stehe. Mit dem Schreckensruf „Kolombiano !" 
stieben sie auseinander, kommen aber sofort zurück, als sie ihren 
Freund „Dotoro" erkennen. 

Um ein Haar wäre ich untergegangen. Die Stromschnelle von 
Uacariaca oberhalb Yauarete ist jetzt sehr reißend und nur durch 
einen Zickzackkanal zu passieren. Ich fahre mit zwei halbwüchsigen 
Knaben in einem Einbau m, unserem Jagdboot, während Schmidt die 
Montaria befehligt. Mein einziger Ruderer bringt das lange und schwere 
Kanu im entscheidenden Augenblick nicht herum. Es wird wider einen 
Felsen geschlagen und durch den Andrang der Wogen daran fest- 
gehalten. Die Last rutscht; das Boot füllt sich halb mit Wasser, 
und nur der Gewandtheit und Geistesgegenwart meiner beiden kleinen 
Genossen ist es zu verdanken, daß wir nicht sinken und in der tosenden 
Schnelle alles verlieren. Mein Ruderer springt sofort, als er die 
drohende Gefahr bemerkt, in das Wasser, 6temmt sich mit den Füßen 
gegen den Felsen und hält das Kanu mit den Händen einigermaßen 
davon ab, während ich mich rasch auf die andere Seite werfe und 
das Boot, über dem schon die Wogen zusammenschlagen, wieder ins 



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Affenhaarmasken 357 

Gleichgewicht bringe. Der Pilot fischt unterdessen mein Ledertäsch- 
chen und einen kleinen Blechkasten, der außer Briefen sämtliche Tage- 
bücher und Vokabularien enthält, aus der Stromschnelle auf. Die 
halbe Nacht trocknen wir Papiere auf einem großen Bratrost. Zwei 
Maku, die in einem leeren Kanu uns folgten und als echte Waldläufer 
gar nichts vom Rudern verstanden, haben sich einfach treiben lassen 
und kamen ohne Unfall durch. In derselben Schnelle haben schon ver- 
schiedene Weiße Boote und Last verloren, auch die Colombianer, 
diese Pechvögel. 

Vom 22. bis 25. Dezember liegen wir in Yauarete fest, da wir 
keine Ruderer bekommen. Wir lagern anfangs am unteren Hafen unter 
einigen überhängenden Bäumen (Tafel I), siedeln aber dann, weil das 
Wetter sehr schlecht wird, in die vernachlässigte Maloka des alten 
Häuptlings JoAo über, die ein paar hundert Meter landeinwärts an 
einem Nebenbach liegt. Auch hier ist eine Signaltrommel. Nach 
längeren Verhandlungen bekomme ich endlich zur Weiterreise bis 
Sao Felippe elf Mann mit dem Häuptling. Zum Transport der 
Signaltrommel, die wir seinerzeit auf einer nahen Insel gekauft haben, 
und zur Rückfahrt der Mannschaft miete ich noch eine kleinere Montaria. 

Außer einem halben Dutzend Yurupary- Instrumente von der ge- 
wöhnlichen Form, die wiederum mit aller Vorsicht und der üblichen 
Geheimniskrämerei im Kielwasser der Montaria versteckt werden, er- 
werbe ich von Joäo zwei sehr alte Maskenunzüge, wie sie von den 
Tariana, Uanana und anderen Stämmen des Caiary bei großen Yurupary- 
festen getragen und vor den Weibern streng geheim gehalten werden. 
Solche Maskenanzüge waren seinerzeit die Veranlassung zur Vertreibung 
der Missionare (vgl. S. 236). Es sind eigentümliche ärmellose Kapuzen, 
aus braunen Alfenhaarstricken zusammengenäht und mit Menschen- 
haareu durchflochten, Haupthaaren, die den Mädchen bei der ersten 
Menstruation abgeschnitten werden; ein deutlicher Hinweis auf den 
Zusammenhang dieser Feste mit der Pubertät. Löcher dienen zum 
Durchstecken der Arme und für Augen und Mund. Ein langer Be- 
hang aus Palm fasern verdeckt die Beine der Tänzer. Die Spitze der 
Kapuze wird beim Fest mit einer Federkrause und einem Anhänger 
aus dem Balg eines kleinen Säugetieres geschmückt. Die größere 
Maske nennt der Häuptling „Mann", die kleinere „Frau". Sie treten 
stets paarweise auf und stellen den Dämon des Yuruparyfestes und 
seine Frau dar. . In der Regel besitzt jeder Stamm nur ein Paar, 
das der Oberhäuptling in Verwahrung hat und an andere Malokas 
für die Dauer des Festes verleiht. Die Feste, bei denen mit diesen 



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358 



SchUngensage 



Masken getanzt wird, sind mit schweren Geißelungen der Teilnehmer 
verbunden. 

Am unteren Hafen von Yauarete* findet sich eine künstliche Fels- 
ritzung, die man mit einiger Phantasie für eine Tapirspur halten 
könnte. In uralter Zeit, als Yaperikuli noch unter den Menschen 
weilte, sei ein riesiger Tapir von hier aus in den Fluß gesprungen 
und habe die Spur hinterlassen. 

Auf der Weiterfahrt erzählt man uns, Indianer hätten in der 
Abwesenheit Abilios sein Haus geplündert. «Das haben die Leute 
von Ipanore getan!" sagt sofort Jofto, aus dem die alte Todfeindschaft 
zwischen' den beiden Abteilungen des Tarianastammes spricht. Am 
Ort der Tat stellt sich die .große Plünderung" als ein kleiner Dieb- 
stahl heraus. Durchreisende Indianer haben einen Koffer erbrochen 
und etwas Kattun und Perlen daraus entwendet. Das ist alles! — 
So wächst eine Nachricht im Munde der Indianer von Ort zu Ort 
lawinenartig an. 

Die Stromschnelle von Ipanore umgehen wir mit dem Gepäck 
auf einem Pfad über Land. Die leeren Boote fahren die Leute durch 
den nördlichen Hauptarm, da der schmale und harmlose Nebenarm, 
den wir auf der Hinreise benutzten, trocken liegt. Es hätte nicht 
viel gefehlt, und die Montaria wäre in den großen Strudel gezogen 
worden. Schmidt, der an der tollen Fahrt teilnahm, stand eine 
nicht geringe Angst aus. Vor Jahren verlor hier ein Weißer ein 
großes Boot mit der gesamten Mannschaft; alle Indianer ertranken 
in den furchtbaren Strudeln. 

Über die Entstehung der zahlreichen Stromschnellen des Caiary 
und seinen vielfach gewundenen Lauf haben die Indianer folgende 
Sage: Vor vielen, vielen Jahren kam von Westen her eine riesige 
Schlange. Die anderen Tiere wollten sie töten. Überall, wo heute 
Stromschnellen sind, stellten sie ihr Hindernisse in den Weg: Bei 
Taiasu suchte eine Reihe von Wildschweinen sie aufzuhalten, bei 
Yacare" ein großer Alligator; bei Tapira-girao hatten die Tapire eine 
große Falle (girao) gebaut, um die Schlange zu fangen; bei Matapy 
hatten die Tiere eine gewaltige Reuse gelegt; bei Yandu hatte 
eine große Spinne ihr Netz ausgespannt; bei Arara kamen viele 
große Araras geflogen und ließen Felsen, die sie im Schnabel trugen, 
auf sie herabfallen, usw. Doch die Schlange war starker und über- 
wand alle Hindernisse. Die Bewohner des unteren Caiary hatten schon 
einen großen Topf verfertigt, um das Ungeheuer darin zuzubereiten. 
Nun stülpten sie den unnütz gewordenen Topf um, der bis auf den 



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Brandnachricht 



359 



heutigen Tag in der abgerundeten Kuppe der Panella-uitera zu sehen 
ist. Bei Säo Gabriel wurde die Schlange endlich gefangen und ge- 
tötet. Noch heute sieht man dort die „Kessel", runde Löcher in den 
Felsen, in denen sie gekocht wurde. 

In Nanarapecuma treffen wir Salvador und Hildebrando, die mit 
einem kleinen Lastboot auf der Fahrt nach Ipanore sind. Wir er- 
halten die traurige Nachricht, daß am 8. November Salvador* Haus 
mit dem ganzen Inhalt und alle Hütten flußabwärts davon nieder- 
gebrannt sind. Es war noch ein Glück, daß gerade ein scharfer Nord- 
wind wehte; sonst wäre von der sauberen Ansiedlung nichts übrig 
geblieben. Der Brand war durch die Unvorsichtigkeit einer indianischen 
Dienerin entstanden, die auf offenem Herd mit Petroleum Feuer an- 
gezündet hatte. Salvador war während des Unglücks mit seiner Familie 
auf dem Fischfang an einer nahen Lagune. Sie haben nur gerettet, 
was sie auf dem Leibe trugen. Auch der Rest meiner Ausrüstung, 
der in Salvadors Haus lagerte, Flinten, Munition, Tauschwaren u. a , 
ist verbrannt. Ich bange um meine Tagebücher und Wörterlisten, Früchte 
meiner Reisen zum Issana und Tiquic, und verbringe einige schlaf- 
lose Nächte, bis ich in Säo Felippe, wo wir am 1. Januar 1906 an- 
kommen, erfahre, daß ich am Tage unserer Abreise diese Schätze 
Don Germano anvertraut hatte, dessen Haus vom Feuer verschont 
geblieben ist. Ich wäre sonst noch einmal zum Issana gefahren. 




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et 



XXIII. Kapitel 

Nochmals ins Quellgebiet 
des Tiquiö 

In der Ruhe von Silo Felippe 
erholen wir uns rasch von den großen 
Anstrengungen der Caiary- Reise. 
Auch eine schwere Erkältung, die 
ich der zugigen Hütte des alten Joflo 
in Yauaret«'* verdanke, und die sich 
durch die Fahrt im offenen Kanu bei 
dem regnerischen Wetter noch ver- 
schlimmert hat, verliert sich bald bei 
der ausgezeichneten Pflege. 

Die Sammlungen werden verpackt 
und Antonio Garrido mitgegeben, der 
mit einem Lastboot nach Tapuru- 
cuara fährt; die Montaria wird gründ- 
lich ausgebessert, und am 6. Februar 
nehmen wir endgültig Abschied von 
SAo Felippe und von Don Gerraano, 
der mir von Anfang bis zu Ende ein 
wahrer Freund und Vater war. — 
Die Heimreise beginnt! Uber 
Tiquie und Yapura wollen wir den 
Aniazonenstrom erreichen. 

Unter unserer Mannschaft be- 
finden sich wieder wie im vorigen 
Jahr die beiden alten Schnapsbrüder, 
der Maku Ignacio und der Tukano 
Joao Grande. Mein Arara Bolaka 
ist in der „Pension" etwas verwildert 
und hat infolge falscher Ernährung 
mit Fleisch den Glanz seines Ge- 
fieders erheblich eingebüßt. 

Der untere Caiary ist noch mehr 
gesunken. Beständig müssen wir wegen der vorgelagerten, stundenlangen 
Sandbänke kreuzen und kommen daher nur sehr langsam vorwärts. An 
den Sandbänken, die gegen die scharfe Strömung schroff abfallen, ziehen 
die Indianer das Boot vom Strand aus am Tau rasch flußaufwärts. 
Vom Lappenbaum steht nur noch ein kurzer Stumpf; das übrige ist ver- 



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Maximianos Kriegszug 



361 



fault und vom Wasser entführt. Wir geben dem Geist wieder unseren 
Tribut, ich ein Stück geräucherten Fisches, Schmidt eine Scheibe Kürbis, 
die Indianer Fischgräten und andere unbrauchbare Sachen. Bei der 
Niederlassung Abilios treffen wir Salvador mit seinem kleinen Last* 
boot, der nach uns von Sao Felippe abgefahren ist, uns aber bei Nacht 
überholt hat. Er übergibt mir ein herzliches Abschiedsschreiben seines 
Vaters. Vier Tukano vom oberen Tiquie" haben am vorhergehenden 
Tage Salvador Maniokgrütze gebracht, darunter Faschiko, der Sohn 
des Inspektors Antonio, der mich seinerzeit in das Quellgebiet deR 
Tiquie begleitet hat. Das kommt mir sehr gelegen. Ich entlasse 
meine alten, durch den Alkohol entnervten Kerle und nehme diese 
jungen, kräftigen Burschen als Ruderer. 

Auch der Tiquie", den wir nun aufwärts fahren, hat sehr niedrigen 
Wasserstand, so daß meine Leute das Boot mit Stangen weiterstoßen 
können. Kleine Lager aus primitiven Hütten halten die Sandbänke 
besetzt. Von weither, sogar vom Papury, sind Indianer gekommen, 
um in den Seen des unteren Tiquie" zu fischen. 

Am 25. Februar kommen wir an der Mündung des Castanya Parana 
vorüber, der acht Tagereisen aufwärts durch einen kurzen Fußpfad 
auch mit dem Dyi-[garap£, einem linken Zufluß des Pira-Parana, in 
Verbindung steht. Wir begegnen hier dem Tukanohäuptling Maxiiniano 
und ziehen bei ihm nochmals nähere Erkundigungen über den Weg 
zum Yapura ein. Von meinen Ruderern erfahre ich jetzt, woher der 
Alte diese Kenntüisse hat. Als Jüngling hat er im Bunde mit den 
Buhagana einen Kriegszug gegen die Yahuna unternommen. Er brauchte 
über einen Monat, um zu ihren Wohnsitzen am Apaporis zu gelangen. 
Dieser berühmte Zug, von dem man sich noch heute, nach etwa vierzig 
Jahren, am ganzen Tiquie" erzählt, war, wie die meisten Indianerfehden, 
nichts anderes als ein nächtlicher Uberfall auf eine friedliche Maloka, 
deren nichtsahnende, von einem großen Tanzfest ermattete Bewohner im 
Schlafe niedergemacht wurden. Von den verbündeten Buhagana seien drei 
gefallen, zwei durch Flintenschüsse, einer durch Axthiebe; die Tukano 
seien alle unversehrt zurückgekehrt. Wenige Weiber und Kinder 
schleppte man als Gefangene mit und verkaufte sie später an die 
Weißen. Jetzt kämen solche Kriege nicht mehr vor, nur ab und zu 
ein Totschlag wegen Zauberei. Man schildert mir diesen Kriegszug 
mit allen Einzelheiten und unter lebhaften Pantomimen: So hätten 
die Weiber und Kinder geschrien; bis zu den Knöcheln hätten die 
Helden im Blute gewatet! — Der streitbare Alte verdient nach seinem 
Tod alsHeros in den Sagenkreis der Tukano aufgenommen zu werden! — 



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362 



Inspektor maou putari!" 



Bei ihren Kämpfen sollen sich die Yahuna, wie ich am Caiary 
mehrfach gehört habe, einer heimtückischen Waffe bedienen. Sie bänden 
sich lange, mit Curare vergiftete Palmstacheln an die Ellbogen und 
Handgelenke und verwundeten die Feinde im Handgemenge zu Tode. 
Besonders die Weiber verteidigten sich damit gegen fremde Angriffe. 

Nach langem Suchen finden wir einen Baum, der uns eine Menge 
roten Bastes liefert. Auch wir Europäer ziehen diesen wegen seines 
aromatischen Geruchs dem Zigarettenpapier vor. Die Indianer er- 
klettern den Baum mit Hilfe eines aus Liane geflochtenen Ringes, in 
den sie die Füße setzen, um auf diese Weise am Stamm immer höher 
zu rutschen. Mit dem Waldmesser lösen sie die Rinde in langen 
Streifen vom Stamm, schneiden sie parallel zurecht, ziehen die äußere 
rauhe Schicht vorsichtig ab und klopfen mit einem platten Holz oder 
der flachen Klinge des Weidmessers so lange wider das eine Ende 
des jetzt noch steifen Bastteils, bis die vielen Lagen des Bastes sich 
gelöst haben. Dann waschen sie den Bast sorgfältig, um den klebrigen 
Saft zu entfernen, lösen die feinen Häute vorsichtig voneinander und 
trocknen sie. 

An der Pary-Cachoeira werden wir am 96. Februar als alte 
Freunde empfangen. Häuptling Jose" ist mit den meisten Männern 
flußaufwärts zu den Tuyuka gefahren, um Palmblätter für das Dach 
der neuen Maloka zu holen. Das im Rohbau fertige, riesige Haus 
erhebt sich auf dem großen, freien Platz etwas vor der alten Maloka, 
die dem Einsturz droht. Luiz, des Häuptlings jüngerer Bruder, der 
uns vor einem Jahr nach Säo Felippe brachte, erbietet sich, uns bis 
zum Yauacaca-Igarape zu begleiten. Er nimmt seine ganze Familie 
mit, da seine Frau, eine Bara, die Gelegenheit benutzen will, ihre 
Verwandten zu besuchen. 

Unser alter Freund Inspektor Antonio, so erzählt man uns hier, 
liege im Sterben. Der Beschreibung nach hat er einen Schlaganfall 
gehabt. Natürlich ist er „vergiftet" worden; Zaubergift vom oberen Fluß. 

Am nächsten Tage kommen wir zu ihm. Er kann nicht mehr 
gehen und hört fast nichts mehr. Seit drei Monaten hat er die Hänge- 
matte nicht verlassen. Trotzdem ist er noch ebenso lebhaft wie früher 
und nimmt an allem Anteil. Freilich ist er sehr abgemagert, da er 
nach der bekannten Indianermethode, alle Krankheiten mit über- 
triebener Diät zu kurieren, während seiner ganzen Leidenszeit nichts 
gegessen hat außer warmer Mehlsuppe. Seine Angehörigen sagen 
einfach zu mir: „Inspektor manu putari!" („Der Inspektor will sterben!"). 
Damit ist aber auch ihre Teilnahme erschöpft. Er bleibt in seinem 



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Ein merkwürdiger Destillierapparat 



363 



finsteren, rauchigen and staubigen Wohnraum; man bringt ihm von 
Zeit zu Zeit seine Mehlsuppe; eine alte Frau hockt sich bisweilen 
zur Unterhaltung zu ihm; im übrigen — „manu putari!" Er ist auf- 
gegeben. — Unsere Bauern machen es vielfach nicht besser. — Und 
der gute Alte will noch gar nicht diese schöne Welt verlassen. Er 
kommandiert von seinem Sterbelager aus die Weiber zum Photo- 
graphieren. Er schwatzt mit uns ein langes und breites über unsere 
Reise und bedauert sehr, daß er krank sei, sonst würde er uns bis 
zu den Buhagana am Dyi-Igarape" begleiten. Seine erste Frage an 
Paschiko ist, wer uns jetzt dorthin bringe, da er selbst doch nicht 
helfen könne! — 

Gegen Abend kommt Häuptling Jose mit seinen Mannen und 
einer Anzahl Makusklaven in einem halben Dutzend größerer Boote. 
Meine schwere Montaria, die mir im Gebiet der Fälle und in den 
schmalen Quellarmen doch nur hinderlich wäre, tauscht er ein gegen 
ein langes Kanu, das den größten Teil unseres Gepäcks faßt. Den 
Rest nimmt Luiz in sein Familienboot. Der Häuptling schickt seine 
Mannschaft nach der Pary-Cachoeira voraus und bleibt mit einigen 
älteren Tukano bis zum nächsten Morgen zu einem kleinen Kaschiri 
aus den schönen rotgelben Früchten der Pupunya-Palme, an dem die 
Weiber den ganzen Tag tüchtig gearbeitet haben. Es ist aus altem 
Stoff angesetzt und sehr sauer. Auch Schnaps wird in einem feinen 
Henkelglas gereicht, ein bitterlich- süßlich schmeckendes, wasserklares 
Giftzeug, das mit Rum nicht die entfernteste Ähnlichkeit hat. Sie 
stellen es unter einem Schuppen hinter dem Haus mittels eines sehr 
primitiven Destillierapparates her, dessen einen Teil — horribile dictu! — 
ein schweres, ehernes Taufbecken der guten Padres bildet. Eine ge- 
waltige Ironie des Schicksals! — 

Ich suche hier möglichst viel Maniokgrütze zu kaufen, da am 
Pira-Parana, wie man mir sagt, keine Leute wohnen, sondern nur an 
seinen Zuflüssen, zum Teil weit einwärts. 

Mittags sind wir gerade damit beschäftigt, durch Geschenke an 
die Bewohner unser Gepäck auf das Notwendigste zu beschränken, 
als drei Indianer, das Ruder in der Hand, ins Haus springen. Es ist 
Antonio, der älteste Sohn des Tukano-Häuptlings vom nahen Cabary- 
Igarap£, mit zwei jungen Burschen. Er fangt sofort an, laut zu schreien 
und zu gestikulieren. Paschiko schreit dagegen, zieht sich aber dann 
grollend in eine Ecke des Hauses zurück ; der andere schimpft weiter. 
Plötzlich bricht ein fürchterlicher Lärm los. Beide Helden rennen 
im Mittelgang der Maloka gegeneinander und fuchteln unter wütendem 



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Ü64 



Abscliiedsfeier 



Geschrei mit Armen und Beinen in der Luft herum, go daß einer, 
der die Indianer nicht kennt, das Schlimmste befürchten müßte. Aber 
sie bleiben sich immer hübsch drei Schritte vom Leib. Schmidts Hänge- 
matte, die zwischen den beiden Mittelpfeilern des Hauses ausgespannt 
ist, trennt die streitenden Parteien. So geht es eine ganze Weile fort. Durch 
Fragen bekomme ich endlich folgendes heraus: Die Cabary-Leute sind 
böse, weil wir dort keinen Besuch gemacht haben, und beschuldigen 
Paschiko, er habe uns ihnen vorenthalten. Deshalb ist Antonio mit 
seinen Getreuen gekommen ; er will uns freiwillig zu den Tuyuka bringen. 
Schließlich mache ich dem Streit ein Ende und sage den Eindring- 
lingen, sie sollten heimgeben, ich wolle mit ihnen nichts zu tun haben, 
ich dulde keinen solchen Lärm in der Maloka meines Freundes, des 
kranken Inspektors, worauf sie verschwinden. Die Hiesigen triumphieren. 
Jeder Frau, die von der Pflanzung zurückkehrt, wird der Vorfall mit 
großer Schadenfreude erzählt. 

Ein Gewittersturm mit heftigem Regen verzögert unsere Abfahrt 
bis zum anderen Morgen. Abends bereiten mir die Frauen eine kleine 
Abschied9feier. Sie haben sich mir zu Ehren rote Muster in das 
Gesicht gemalt und hocken im Halbkreis um meine Hängematte. Sie 
wollen die Namen aller meiner Angehörigen wissen und tragen an alle 
nach der Reihe Grüße auf. Von meiner Braut oder, wie sie sagen, 
„Frau" sprechen sie mit dem ehrenden Ausdruck „yeöraamio elsa u 
(»meine ältere Schwester Elsa u ) und nennen mich „yeömamio ponakö* 
(»meiner älteren Schwester Mann"). Wie gewöhnlich muß ich singen. 
Ich singe alles, was mir in den Sinn kommt, lustige und traurige Lieder, 
Soldatenlieder und sentimentale Abschiedslieder. Immer wieder bitten 
sie mich: „Dotoro achpänu bachsa!" („Doktor, sing noch ein Lied!") 
Wer kann da widerstehen? Ich singe, bis ich heiser werde. Zum 
Dank geben mir die Frauen nun auch ihre Gesänge zum besten, die 
trotz der verhältnismäßig wenigen Töne, in denen sie sich bewegen, 
nicht unmelodisch sind und halblaut in raschem Takt vorgetragen 
werden. Es sind Lieder der Tukano, Palänoa, Erulia und anderer 
Stämme. Zuletzt improvisieren sie. Sie besingen mich und meine 
Angehörigen ; sie besingen die ganze Reise , meine Heimkehr und das 
Wiedersehen mit meiner Frau und meinen Kindern. Am anderen 
Morgen stehen sie alle auf dem hohen Ufer, und so lange sie mein 
Boot mit den Blicken verfolgen können, rufen sie mir nach: »Ayuato 
mönömo elsa!" („Grüße deine Frau Elsa! M ) 

In dem letzten Tukanohaus treffen wir einen Indianer, den eine 
Jararaca-Schlange drei Jahre vorher in das Bein unterhalb des Knies 



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Ein intelligenter Papagei 



365 



gebissen hat. Das Bein ist, wie er mir erzählt, nach einiger Zeit 
unter der Bißstelle abgefault. Der Mann bewegt sich jetzt an einer 
einfachen Krücke und einem Stock rasch vorwärts und befindet sich 
körperlich uud geistig wohl und munter. 

An der Caruru - Cachoeira rupfen meine Indianer Bolaka die 
schlechten gelben Federn aus, damit sie wieder in neuem Glanz er- 
stehen können. So oft auf der Weiterfahrt das Brausen eines Kataraktes 
ertönt, fängt Bolaka an zu schreien. Offenbar fürchtet er wieder 
gerupft zu werden. In seiner alten Heimat, der ersten kleinen Tuyuka- 
Maloka auf dem rechten Ufer, scheint er noch Witterung von seinen 
Stammesgenossen zu haben, die inzwischen flußabwärts verkauft worden 
sind. Er fliegt suchend hin und her und schreit gegen seine Gewohn- 
heit unaufhörlich. Die Araras sind sehr gesellig. Auf der Reise 
wird jedes vorüberfliegende Arara-Paar von Bolaka, der auf dem Schutz- 
dach des Bootes sitzt, laut beschrien, so daß die Angerufenen häufig 
wieder kehrtmachen, um zu sehen, wer sie da begrüßt. In der Maloka 
des Inspektors hatte Bolaka sofort mit einem wunderschönen, jungen 
Arara — oder war es eine Arara- Jungfrau? — innige Freundschaft 
geschlossen. Sie waren unzertrennlich und hätten beim Abschied sicher 
geweint, wenn ihnen erleichternde Tränen beschieden gewesen wären. — 

Merkwürdigerweise werden wir in dieser Tuyuka-Maloka nicht 
bewirtet Den Grund erfahre ich später: Das Haus hat vor kurzem 
neue Bewohner bekommen; die Pflanzung ist noch jung und gibt keinen 
Ertrag, da die Maniok nach dem Pflanzen zwei Jahre zum Reifen 
braucht. Deshalb nähren sich die Leute jetzt nur von Umari-Früchten 
(Geoffroya spinosa L.), deren Reifezeit gerade ist, und haben aus der 
Masse der Umari-Kerae sogar eine Art Fladen bereitet, die rötlich 
aussehen und einen weoig angenehmen, bitteren Geschmack haben. 

Mehrmals fangen meine Indianer junge Tiere, um sie zu zähmen. 
Luiz nimmt aus einem Taubennest zwei Junge heraus. Seine Frau 
futtert die noch ganz nackten Tierchen. Sie kaut Nüsse der Pataua- 
Palme zu feinem Brei und steckt dann die Schnäbelchen in ihren Mund, 
und die kleinen, häßlichen Geschöpfe schlingen und schlucken gierig. Ein 
anderer Ruderer holt aus einem Nest einen jungen, fast ausgewachsenen 
Beutelstar. Auf derartige Menagerien sind die Indianer erpicht. 

In Pinokoaliro bekommen wir neue Mannschaft und setzen am 
6. März in vier Kanus unsere Reise fort. Die Tuyuka wollen uns 
bis zum Dyi-Igarape bringen. Ich sende zwei Leute auf dem Land- 
weg dorthin und lasse den Buhagana sagen, sie möchten uns an der 
Mündung des Dyi-Igarape erwarten. 



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366 



Giftschlange 



Nun beginnt wieder die beschwerliche Fahrt in dem engen Quell- 
flüßchen. Unzählige Spinnen und Ameisen der verschiedensten Arten 
streifen wir von den Asten ins Boot. Zu den schlimmsten Plage- 
geistern des Urwaldes gehören die winzigen Feuerameisen. Wo sie 
über die Haut laufen, brennt es längere Zeit wie Feuer. 

In einem sehr schmalen, verwachsenen Kanal bleiben wir mehr- 
mals stecken. Ich greife ins Ufergebüsch, um das Boot weiterzuziehen. 
Da reißt der vor mir rudernde Tuyuka meine Hand rasch zurück und 
schreit, ganz fahl vor Entsetzen : „ Anya ! Anya ! * („Jararaca ! Jararaca!") 
Am Fuße des Strauches, einen knappen Meter von mir entfernt, liegt 
aufgerollt und nach mir züngelnd eine schwarze Jararaca, eine der 
schlimmsten Giftschlangen. Um ein Haar wäre ich gebissen worden. 
Aufgeregtes Geschrei bei meiner Mannschaft, während ich mich kaum 
zu rühren wage. Ein Tuyuka will sie mit dem Ruder erschlagen. 
Schmidt zerschmettert ihr aus nächster Nähe mit einem Schuß den 
Kopf. Der Zwischenfall wird lebhaft besprochen. Die Indianer, die, 
meinem Beispiel folgend, ein besonderes Interesse daran haben, die 
Namen aller Gegenstände und Tiere in unserer Sprache zu hören, 
fragen Schmidt und mich nach dem Wort für d i a n y a , wie sie diese 
Giftschlange nennen. Schmidt gibt ihnen das Lingoa geral-Wort 
yararaka an, das auch in den brasilianischen Sprachgebrauch über- 
gegangen ist. Mir bleibt daher nichts anderes übrig, als ihnen den 
lateinischen Namen „Bothrops atrox M zu sagen, den sie sich sofort 
als „botrokes atrokes" mundgerecht machen und wiederholt vor sich 
hin sprechen, wie Kinder, die sich eine Aufgabe einprägen. Sooft 
wir nun an einer verwachsenen Uferstelle vorüberkommen, wo ein 
solches Scheusal verborgen sein kann, rufen sie mir laut und warnend 
zu: „Botrokes atrokes uii! 4 * („Bothrops-atrox-Haus!") — Vier Tage 
nachher, als wir die Wasserscheide zum Yapura längst überschritten, 
und viele neue Eindrücke die Gedanken an dieses Schlangen- 
abenteuer verdrängt hatten, gelangten wir an einen kleinen See. Auf 
meine Frage nach dem Namen des Sees antwortete mir ein Tuyuka 
mit schelmischem Stolz: „Botrokes atrokes dicbtara!" Es war der 
„ Jararaca-Lago" ! — 

Von den Bara kaufen wir zwei neue Kanus. Das größte davon, 
über sieben Meter lang, tief und aus dem besten Bootsholz elegant 
gearbeitet, liegt im Hafen des Yauacaca-Igarape, bo daß wir nur das 
kleinere Kanu über die schmale Wasserscheide schaffen müssen, was 
mit Hilfe der zahlreichen Indianer rasch vonstatten geht. 

Die Bara erzählen mir, ein Weißer namens „Parata" baue jetzt 



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Gespenster 367 

am unteren Pira-Parana ein Haus. Sie meinen den Colombianer 
Gecilio PI ata, an den ich einen Empfehlungsbrief Ton Raphael 
Tobar habe. In früherer Zeit hätten ihn die verhaßten Yahuna 
durch einen Pfeilschuß in die Seite ermorden wollen; dann habe er 
Krieg mit ihnen geführt und viele getötet. Jetzt fürchteten ihn die 
Yahuna. 

Die Nacht vom 8. auf den 9. März verbringen wir in der jetzt 
verlassenen Bara-Maloka am Hafen des Yauacaca-Igarape\ Spät abends 
kommen zwei meiner Tuyuka von der Jagd zurück, der eine mit 
blutender Wunde an der Schläfe. Sie sind vor einem Gespenst aus- 
gerissen, das im dunklen Wald auf sie zukam. Dabei ist der eine 
gestürzt und hat sich am Flintenlauf verletzt. 




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XXIV. Kapitel 



Bei den Indianern am Rio Apaporis 

Am 9. März treten wir die Talfahrt an. Der Yauacaca-Igarapt' 
strömt in zahllosen Windungen zwischen hohen Ufern rasch dahin und 
behält die südöstliche Richtung bis zu seiner Mündung bei. An unserem 
Einschiffungsplatz hat er eine Breite von etwa 12 m und ist an beiden 
Ufern seicht, in der Mitte 1 — 1 7« m tief. Freilich ist jetzt der Wasser- 
stand sehr niedrig, wie man an den Ufermarken deutlich erkennen 
kann. Er nimmt viele kleine Wasseradern auf, die meistens klares, 
seltener weißes Wasser, wie der Bach selbst, führen. Mit dem Dyi- 
Igarape, der ihm mehr oder weniger parallel fließt, verbindet ihn eine 
Bifurkation. Er empfängt von ihm einen schmalen Arm mit klarem 
Wasser. Auf beiden Ufern und an einem Nebenbach finden sich 
mehrere Wüstungen. Vier rühren von den Palänoa her, eine von den 
Bara und eine aus sehr alter Zeit von den Tuyuka. 

Während der ersten drei Tage ist die Fahrt äußerst beschwer- 
lich. Keine 50 m weit ist der Bach frei. Jeden Augenblick müssen 
wir auf einen übergestürzten mächtigen Baumstamm steigen, während 
die Indianer die schwerbeladenen Kanus mit aller Wucht über das 
Hindernis schleifen. Bald müssen wir uns tiach in die Boote legen, 
wenn es in sausender Fahrt verhängnisvoll nahe unter einem dicken 
Baumstamm durchgeht. 



Schwierige I Art 



369 



Bolala, der bequeme Herr, der vor Feistheit die Flügel nicht 
mear anbgen kann, und dem die dumme Fahrerei überhaupt ein 
Gleuel if', keucht wie ein Jagdhund in den Stoppelfeldern und quit- 
tiert jedsn Zweig, der ihn streift, durch lautes Geschrei. Einmal 
nimmt er meine Aufmerksamkeit so in Anspruch, daß ich zwischen 
einen Baumstamm und einen Koffer geklemmt werde und beinahe 
das G-nick breche. Bisweilen scheint der Bach zu Ende zu sein, 
und e n hoher Berg von Bäumen und Astegewirr muß in stunden- 
langer, schwerer Arbeit durchhauen werden, um einen Durchschlupf 
zu finden. 

Meine treuen Tuyuka sind trotz aller Anstrengungen lustig und 
gut* r Dinge, wozu das herrliche Wetter nicht wenig beiträgt, und auch 
wir haben keine Veranlassung, trüben Gedanken nachzuhängen. Sie 
liefen ihren „Diikana-kapitama" („Tuyuka-Häuptling"), wie sie mich 
neanen, zärtlich und lesen mir jeden Wunsch von den Augen ab. Auf 
jeien Ast machen sie mich aufmerksam und knicken jedes Zweiglein, 
damit ich keinen Schaden leide. Während der unfreiwilligen Pausen 
treiben wir mancherlei kindliche Kurzweil. Eins meiner Kunststücke 
verfehlt nie seine Wirkung, wenn ich meine Augen im Kreise rollen lasse ; 
denn das können sie nicht. Habe ich aber lange genug rechtsum gerollt, 
so verlangen sie, daß ich auch linksum rolle, und das kann ich zum Glück 
auch. — Auf die Bara sind sie wegen einiger Diebereien sehr schlecht 
zu sprechen. Diese haben bei der Auszahlung ein Päckchen Tabak 
und, was in meinen Augen viel schlimmer ist, einem meiner Tuyuka 
seinen selbstverfertigten Strohhut gestohlen. Wir haben uns deshalb 
auch kein Gewissen daraus gemacht, ihrer Pflanzung eine Last Zucker- 
rohr, Zitronen, Pfeffer und Coca für die Reise zu entnehmen. Öfters 
führen die Tuyuka pantomimisch und mit einem gewissen Genuß vor 
wie ein Bara, als ich gerade nicht hinsah, ein Päckchen Tabak aus 
dem offenen Koffer entwendet und in der Achselhöhle verborgen hätte; 
wie er dann weggelaufen wäre. „ Bara-machsa yaani!" („Die Bara- 
Leute sind schlecht!"), „Bara pochsa!" („Die Bara sind Maku! u ), so 
lautet stets der Refrain. Und in der Tat, beide Stämme sind nicht 
miteinander zu vergleichen. 

Am dritten Tage der Fahrt kommen wir an eine Wüstung der 
Palänoa auf dem linken Ufer und übernachten dort unter einem Schuppen. 
Von hier aus führt ein Fußpfad in östlicher Richtung in einem halben 
Tag zu der großen Maloka der Bara am Tiquie. Die Bara und die 
Stämme des oberen Pira-Parana, besonders die Palänoa, benutzen ihn 
zu gegenseitigen Besuchen. Im Hafen liegen zwei größere, elegante 

Koch-Grhnberg, Zwei Jahre bei den Indianern 24 



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370 



Die ersten Indianer 



Kanus, auf das Land gezogen. Das eine gebort den Bara, das andere 
einigen Palänoa, die vor kurzem hier angekommen und Uber Land zur 
Bara-Maloka weitergegangen sind, um dort an einem Tanzfest teilzu- 
nehmen. Daher ist auch der obere Yauacaca-Igarape so unwegsam, 
weil er den Indianern selten als Verkehrsweg dient. 

Im Dach des Schuppens stecken ein paar Paddelruder der Palänoa. 
Sie sind länger als die am Caiary und Rio Negro gebräuchlichen Ruder 
und haben nicht wie diese ein breites, rundes, sondern ein langes, 
schmales, spitz zulaufendes Blatt. Der angeschnitzte Handgriff ist 
gerade, während er bei den Rio Negro-Rudem geschweift ist und sich 
dadurch der Hand besser anpaßt. Solche Ruder hätten alle Stämme 
der Yapuraseite, sagen die Tuyuka, die sich über die ungewohnten 
Dinger lustig machen. Sie nehmen das Kanu der Bara mit, um es 
zur Rückfahrt zu benutzen. 

Am Nachmittag des 12. März — wir verzweifeln schon daran, 
heute noch Anwohner zu treffen — halten meine Leute plötzlich die 
Boote an, schnuppern in die Luft und sagen: „Pächkamä! Pächkamä!" 
(„Feuer! Feuer!") Lautlos werden die Ruder eingetaucht; wie die 
Diebe schleichen wir weiter. Da — um die Ecke dichter Rauch, zwei 
Kanus am Ufer; ein Hund bellt uns wütend an; im Waldeshinter- 
grunde einige braune Hängematten über kleinen Feuern. Auf den 
Anruf meiner Leute kommt eine vollständig nackte ältere Frau mit 
einem kleinen Knaben hervor, der sich ängstlich an sie schmiegt. Die 
gelockten Haupthaare der Frau sind kurz geschnitten. Eine lebhafte 
Unterhaltung entspinnt sich. Die Tuyuka stellen uns vor und be- 
schreiben kurz unsere Reise. Sofort wird die Alte zutraulicher; denn 
sie kennt den „Dotoro" und seinen weißen Begleiter „Kariuatinga" 
schon vom Hörensagen und weiß, daß wir Freunde der Indianer sind. 
Das Lager gehört Palänoa vom oberen Pira-Parana, die im Walde 
Castanya- und Yapurafrüchte suchen. Die Frau ist vom Stamme 
der Tsöloa. Ich schenke ihr eine Schachtel Streichhölzer, dem Kleinen 
ein paar Perlen, und dann fahren wir rasch weiter, um noch heute 
zu einer Maloka der Tsöloa zu kommen. Mit voller Kraft geht es 
über die schlimmsten Baumstämme weg. Weniger gute Boote- würden 
es gar nicht aushalten. Bald begegnen wir einem Kanu mit zwei 
alten Männern, die uns Yapuranüsse und gekochtes Hokkohuhn für 
kleine Angelhaken geben. Beide sind gerade keine Schönheiten ihres 
Geschlechts. Sie haben ein kleines Loch in der Unterlippe, ein größeres 
in den Ohrläppchen mit Rohrptiöckchen darin und tragen das Haar 
halblang bis zur Schulter. Der eine hat es mit einem Streifen roten 



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Bei den Tsöloa-Indianern 



371 



Baststoffes zu einer Art Zopf umwickelt. Sie fahren in ihrem leichten 
Kanu voraus, um uns anzumelden. Mit Einbruch der Dunkelheit ge- 
langen wir zum Hafen an einem kleinen Bach zur Rechten. 

Die Maloka, die ziemlich weit landeinwärts liegt, erreichen wir 
nach einem üblen Marsch durch den finsteren Wald auf schmalem, 
wurzeligem Indianerpfad, wobei noch ein tiefer Bach auf schwankem 
Baumstamm überschritten werden muß. Die Bewohner empfangen 
uns freundlich, obwohl wir die ersten "Weißen sind, die sie zu G-esicht 
bekommen. Die Weiber gehen, wie bei den Bara, ohne alle Bekleidung. 
Die jungen Männer sind im Gesicht rot bemalt. Man steht im Zeichen 
eines Yuruparyfestes, das am nächsten Tage stattfindet. Das Haus 
gleicht in allem den Malokas der Tuyuka und Bara und hat wie diese 
einen runden Hinterbau. Auch der Hausrat ist derselbe wie dort. 
Auffallend ist der Mangel an Keramik. Es gibt nur wenige und 
schlechte Töpfe, so daß wir nicht einmal einen Wassertopf für unseren 
Gebrauch bekommen können. Welch ein Unterschied gegen die schönen 
Töpferwaren am Caiary und Issana! — Sonst sind die Handels* 
beziehungen zu den Stämmen des Tiquie anscheinend sehr rege. Man 
zeigt mir ein großes, neues Waldmesser, das ich im vergangenen Jahr 
in Pinokoaliro als Bezahlung gegeben habe, und das durch den Zwischen- 
handel bis hierher gelangt ist. 

Außer den Tsöloa wohnen hier zwei Dachsäana, Vater und 
Sohn, mit ihren Familien, die einzigen ihres Stammes, und zwei alte 
Yahuna, Brüder, die aber ihre Sprache vergessen haben, da sie' 
schon als Kinder, wohl als Gefangene, hierher gekommen sind. Die 
letzteren sind ausgesprochen häßliche Typen mit kleinen, verkniffenen 
Augen, krummen Näschen und halblangem, wirrgelocktem Haupthaar. 

Die Sprache der Tsöloa ist mit dem Erulia fast identisch. 
Dialektische Unterschiede sind gering. Wenige Tiernamen sind ver- 
schieden. Es erregt allgemeines Erstaunen, als ich meinem Gewährs- 
mann „seine Sprache" aus meiner vorjährigen Erulia-Aufnahme vom 
Papier ablese. 

Vom Dyi-Igarape, der verhältnismäßig stark bevölkert zu sein scheint, 
sind einige Festgäste gekommen, Yäba, scheu wie Wildkatzen. Ein 
langer, hagerer Alter mit nordamerikanischem Indianergesicht hat eine 
ansehnliche Glatze, eine große Seltenheit bei den Indianern. Die 
Sprache ist identisch mit dem Buhagana. 

Einem dieser Leute kaufe ich ein Bündel Giftlanzen ab, die 
am Caiary nicht im Gebrauch sind, im Yapuragebiet aber allgemein 
Verwendung finden. Es sind Wurflanzen, die zur Jagd auf große 



372 



Giftlanzen 



Vierfüßler und als Angriffswaffen im Kampfe dienen. Sie haben eine 
Gesamtlänge von etwa 175 cm und sind aus rotem Holz gearbeitet, 
wohlgeglättet und von rundem Querschnitt. Nach unten verjüngen sie 
sich, so daß der Schwerpunkt der Waffe im oberen Ende liegt. Der 
obere, dickere Teil ist in einer Länge von 5 cm etwas abgesetzt und 
mit einem tiefen Einschnitt versehen, in den die im Querschnitt vier- 
eckige Spitze eingefügt und durch eine Umwickelung mit feinem Bast 
lose befestigt ist. Das hervorragende Ende der Spitze ist in seiner 
ganzen Ausdehnung mit Gift bestrichen, zeigt aber keine Einschnitte. 

Nach Art der Giftpfeile werden stets sieben Lanzen zu einem 
Bündel vereinigt. Auch das dazu gehörige Futteral gleicht in seiner 
Anlage dem Futteral der Giftpfeile. Die vergifteten Spitzen stecken 
in Rohrhülsen, die mit Baststreifen zusammengebunden, und deren 
Zwischenräume mit Pech ausgefüllt sind. Diese Hülle wird gewöhn- 
lich auf der ganzen Außenfläche mit einer dicken Pechschicht überzogen 
(Abb. S. 396). 

Das Yuruparyfest verläuft in derselben Weise wie seinerzeit am 
Tiquie. Die Veranlassung dazu gibt, wie dort, die Ernte der Mauritia- 
und Yapurafrüchte, die in Palmblattkiepen unter der Musik von zwei 
Flöten und zwei Trompeten ins Haus getragen werden. Profane Tänze 
von prächtiger Wildheit folgen. Jeder Tanz hat seinen Namen; so 
heißt einer „Fischtanz". Auch Weiber nehmen zeitweise daran teil. 
Bei einem Tanz tragen die herrlich geschmückten Männer in der rechten 
Hand dicke Bambusstäbe, mit denen sie im Takte aufstampfen. Diesen 
Bambus findet man an einer Stromschnelle des Pira-Parana; am Caiary 
und Issana kommt er nicht vor. 1 )as Zeremoniell wird streng gewahrt : 
rechts vom Eingang sitzen die Gäste vom Dyi-Igarape, links wir und 
die Tuyuka als Zuschauer. Vor jedem Tanz treten die einzelnen 
Tänzer zu den Gruppen und rufen mit lauter Stimme aus, was getanzt 
werden soll, worauf die Zuschauer mit ermunternden Zurufen ant- 
worten. Am Schluß des Tanzes stoßen die Zuschauer ein lautes Bei- 
fallsgeschrei aus. Auch ich spende nach einem besonders wilden, im 
raschesten Tempo exakt ausgeführten Tanz durch Klatschen und Bravo- 
rufen meinen Beifall, was ihnen offenbar sehr gefällt; d enn sie kommen 
nachher zu mir und fragen mich, ob es wirklich schön gewesen sei. 

Die Panpfeifentänze zu zweien, bei denen die Jünglinge mit ihren 
Mädchen eine Zeitlang rasch in der Maloka hin und her tanzen und 
allmählich im nächtlichen Dunkel verschwinden, haben ihren besonderen 
Zweck. Sie werden, wie mir meine Tuyuka erklären, nur von Liebesleuten 
ausgeführt, und die Nacht deckt alles Naschen mit einem gnädigen Mantel. 



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Bei den Palänoa-Indianern 



.'373 



Vor Beginn des Festes hockte sich ein gemütlicher, dicker Alter, 
der Zauberarzt der Maloka, hinter einen Lattenverschlag neben den 
Eingang, so daß ihn keines der Weiber sehen konnte, und blies unter 
beschwörenden Worten über eine große Kalabasse voll Coca. Danach 
wurden Kaapi- Wurzeln zu ihm gebracht, mit denen er es ebenso machte. 
Es war eine Art Segen. Ahnliches haben wir in Pinokoaliro und 
an der Pary-Cachoeira beobachtet. 

Der Kaapi-Topf ist ein uraltes Ding mit abgebrochenen Ohren und 
furchtbar schmutzig, da er ja nie nach dem Gebrauch gewaschen wird. 

Coca wird in unglaublichen Massen vertilgt. Den ganzen Tag geht 
die Kalabasse um. Besonders ein Täba leistet darin Außerordent- 
liches. Beständig hat er einen dicken Knoten in der linken Backe, 
als wenn diese von Zahnschmerzen geschwollen sei. Ich muß etwa 
eine halbe Stunde warten und ihn scharf beobachten, daß er seine 
Vorratskammer nicht von neuem füllt, um eine einigermaßen an- 
ständige Photographie von ihm zu bekommen. Schließlich aber ist er 
'auf dem Bilde doch einseitig geschwollen. 

Bei den Kaschirifesten scheint es bisweilen nicht ganz friedlich 
herzugehen. Ein Tuyuka zeigt mir fürchterliche Narben am linken 
Oberarm und Schulterblatt von Hieben mit dem Waldmesser, die er 
beim Streit im Kaschirirausch empfangen habe. 

Am nächsten Mittag gelangen wir zu einem Hafen am rechten 
Ufer. Ein längerer Pfad führt uns zu einer Maloka der Palänoa oder 
vielmehr einer provisorischen Hütte; die riesige Maloka mit rundem 
Hinterbau, 32 m lang und 24 m breit, ist vor kurzem bis auf die 
verkohlten Pfosten niedergebrannt. Die Männer sind zu dem Tanz- 
fest der Bara gefahren; nur Weiber und Kinder sind anwesend. 
Zuerst sehr scheu, da sie noch nie Weiße gesehen haben, werden sie 
allmählich zutraulicher. Abends kommen noch drei Männer mit Fischen, 
Gäste vom Dyi-Igarape, zwei Doä und ein Tsaina, ein bildschöner 
Jüngling. Beide Sprachen stimmen wiederum mit dem Buhagana 
überein. 

Wir bemerken hier einige europäische Erzeugnisse, einen Holzkoffer, 
Kattunröcke usw., Import von den Bara, wie wir auf unsere Fragen 
erfahren. Die Stämme des oberen Pira-Parana haben keine Beziehungen 
zu den Weißen am Tapura. Auch mehrere bemalte Schemel stammen 
vom Tiquie. Hier wie bei den Tsöloa erhalte ich Angaben über 
„Parata", die aber nur auf Hörensagen beruhen. Sein Haus soll vier 
Tagereisen von hier an der Mündung des Pira-Parana liegen. 

Eine knappe Stunde Fahrt bringt uns am anderen Tage (14. März) 



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374 



Steinbeile 



zum Pira-Parana, der an dieser Stelle 50 — 60 m breit ist und tief- 
schwarzes Wasser führt. Er ist sehr trocken. Eine größere Sandbank 
an der Mündung des Yauacaca-Igarape besteht aus weißem Kiesel» 
geröll, teilweise leichteren, porösen Steinen, wie Kreide, welche die 
Tuyuka „Schlangensterne" nennen. Sie schaben feinen Staub davon 
ab und putzen damit ihren Silberschmuck. 

Bis zu seiner Mündung fließt der Pira-Parana in siidsüdöstlicher 
bis südlicher Richtung, teils zwischen schroff abfallenden Felswänden, 
teils an niedrigen, bewaldeten Höhenzügen vorüber, die längs der Ufer 
verlaufen und durch Täler mit kleinen, klaren Wasseradern in einzelne 
Kuppen geteilt sind. Gegen die Mündung hin finden sich auf beiden 
Seiten einige Seen, die mit dem Fluß in Verbindung stehen. 

Erst fünf Tagereisen oberhalb der Mündung des Yauacaca-Igarape 
trifft man wieder Indianer, Palänoa; über ihnen wohnen Erulia 
und weiter aufwärts Tsöla oder, wie die Tuyuka sagen, Tsöna, 
eine andere Horde als die Tsöloa, wenn auch beide zu derselben 
Sprachgruppe gehören. 

Diese Stämme hätten bis vor wenigen Jahren noch Steinbeile im 
Gebrauch gehabt, und die Bewohner des Quellgebietes verwendeten 
sie noch heute, ganz große, halbarmlange bis zu ganz kleinen. Ein 
alter Tsöloa zeigte mir die Befestigung der Klinge. Der etwa 45 bis 
50 cm lange, ein wenig gebogene und an beiden Seiten abgeflachte 
Stiel wird nahe dem einen Ende mit zwei gegenüberliegenden breiten, 
viereckigen Kerben versehen. Die Klinge wird mit dem Bahnende 
flach in die eine Kerbe gelegt und mit Palmfaserschnur vielfach um- 
wickelt, die an den Schäftungseinschnitten der Klinge und an der 
anderen Kerbe einen Halt findet. Die Umschnürung wird dick mit 
Pech Uberstrichen. Der Dyi-Igarap« 5 , bei den Tuyuka Kumeya 
(Axtbach), habe seinen Namen daher, daß in früheren Zeiten die Leute 
dort ihre Steinbeile geholt hätten. An einer Stromschnelle im unteren 
Pira-Parana lägen viele Steinbeile umher. Diese merkwürdige Angabe 
klärt sich später dahin auf, daß in der Tat dort Hunderte von Stein- 
beilklingen „umherliegen", aber nicht von Menschenhand, sondern von 
der Natur, dem Wasser, fast schon in der richtigen Form zugeschliffen. 
Es ist ein dichter, schwarzer Diabas, aus dem viele Steinbeilklingen 
bestehen, und der den grobkörnigen Granit der Felsen gangförmig 
durchsetzt. Auch hier holten die Indianer früher ihre Steinbeile. Sie 
brauchten nur den am besten passenden Stein aus der Menge herauszu- 
suchen, etwas zuzuschleifen, und die Axt war bis auf den Stiel fertig. 

Der zweite Tag der Fahrt auf dem Pira-Parana bringt uns schwere 



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Ohne Mehl und Salz 



375 



Arbeit und schwere Verluste. Der Fluß ist von Felsen und Fels- 
inselchen stark eingeengt und tost in zahlreichen Abstürzen und heftigen 
Schnellen dahin. 

In einer langen und sehr schlimmen Schnelle wird einem Tuyuka 
beim Transport der Kanus über die zackigen Felsen eine große Zehe 
zerquetscht. 

In einer anderen Stromschnelle geht ein Kanu unter. Wir ver- 
lieren außer einigen ethnographischen Gegenständen, Kochgeschirr 
und anderen Geräten, einen Vorderlader und mein Waldmesser, das 
ich schon vor sechs Jahren in Zentralbrasilien getragen habe, was 
aber weit schlimmer ist, alles Mehl und Salz! Einen Eisenkoffer 
mit sämtlichen Tauschwaren rettet ein Tuyuka aus den schäumenden 
Wogen. Fälle und rauschende Schnellen begleiten uns bis zur Mündung 
des Dyi-Igarape, die wir am späten Nachmittag erreichen. 

Diese ganze lange Strecke, die wir am 16. März durchfahren haben, 
bildet eigentlich eine fortgesetzte Stromschnelle und muß bei hohem 
Wasserstande infolge der starken Einengungen, der hohen Ufer und 
der zahlreichen im Flußbett zerstreuten Felsen fürchterlich sein. Kein 
Wunder, daß die kleinen Stämme des oberen Pira-Parana gar keine 
Berührung mit den Weißen am Yapura haben ; denn mit einem größeren 
Boot bei vollem Fluß hier aufwärts zu fahren, lohnt, wenn es über- 
haupt möglich ist, nicht Zeit und Mühe und die sicheren Verluste. 

Der ansehnliche Dyi-Igarape* bildet kurz oberhalb seiner Mündung 
einen Fall. Er soll voll Stromschnellen sein. Wir lagern auf der 
„Mondinsel* 4 , die vor seiner Mündung liegt. Hier tritt eine schwere 
Entscheidung an mich heran. Die Buhagana sind nicht erschienen. 
Die Tuyuka, die sich nur bis hierher verpflichtet haben, wollen mich 
nicht weiter begleiten aus Furcht vor den Huaiana an der Mündung 
des Pira-Parana, die seit alters ihre Feinde wären und ihre Väter 
getötet hätten. Sie suchen mich zu überreden, mit ihnen über den 
Dyi-Igarape zum Tiquie zurückzukehren, aber das will ich nicht. Bis 
zur ersten Maloka der Tsöloa am Dyi-Igarape* zu fahren, die zwei 
Tagereisen in leichtem Kanu entfernt ist, würde uns zuviel Zeitverlust 
verursachen, und damit kann ich nicht rechnen, wenn ich nicht die 
ganze Reise aufs Spiel setzen will. Wahrscheinlich würden diese 
Indianer ebensowenig mit uns gehen wie die Tuyuka. Deshalb wollen 
wir in unserem größten Kanu allein weiterfahren, etwas ins Blaue 
hinein ; denn über die weiteren Entfernungen bis zum Yapura habe ich 
nur ganz unbestimmte Angaben erhalten können, die zwischen vier und 
vierzehn Tagen schwanken. 



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37<i 



Abschied von den Tuyuka 



Am anderen Morgen nehmen die Tuyuka Abschied. Sie sind um 
uns besorgt und suchen mir noch einmal alle möglichen Aufmerksam- 
keiten zu erweisen. Zum Schluß fragen sie mich, wann ich wieder 
zum Tiquie käme, und ob ich dann meine Frau mitbrächte. Sie 
erhalten reichen Lohn. Ich schenke ihnen auch unser zweites Kanu, 
das jetzt überflüssig geworden ist. Das große Kanu beladen wir mit 
dem Rest des Gepäcks und fahren gegen Mittag ab, einem ungewissen 
Schicksal entgegen. 

Ich rudere im Bug; Schmidt steuert; vor mir auf der äußersten 
Spitze des Bootes sitzt Bolaka, dem ich von Zeit zu Zeit von meinem 
Ruder Wasser in den durstigen Schnabel träufele. Die mittleren Ruder- 
bänke haben wir herausgenommen, um die Last unterbringen zu können. 

Der „Fischfluß" macht seinem Namen alle Ehre; es wimmelt von 
Fischen jeder Art und Größe. Fahren wir über eine Bank aus weißem 
Sand, die vom Fluß bedeckt ist, so sehen wir in dem klaren, braunen, 
sonnendurchleuchteten Wasser ganze Schwärme großer und kleiner 
Fische. Aber wir können mit Angeln keine Zeit verlieren. Ich sorge 
durch Jagd für unseren Unterhalt und schieße manchen Hokko, der im 
Uferwalde brummt. Auf den Sandbänken finden wir öfters frische 
Spuren von Jaguaren, die in den lichten Wäldern häufig vorkommen. 
Einen großen, schwarzen Klumpen auf einer Sandbank halten wir aus 
der Ferne für einen Tapir. Es ist ein Klotz Braunkohle, der vom 
Hochwasser dort angeschwemmt ist. Wir überwinden mehrere Strom- 
schnellen, wobei wir das schwere Gepäck über Land tragen müssen. 

In solchen unbewachten Augenblicken reißt Bolaka mehrmals in 
den Wald aus und gibt aus Trotz keinen Laut von sich, wenn wir 
ihn auch noch so zärtlich rufen, bis wir ihn zufällig im dichten Geäst 
erblicken und herabschütteln. Wir haben uns zwar die letzten Bananen 
für ihn vom Munde abgespart, aber er merkt doch, daß er auf schmale 
Kost gesetzt ist, und ahnt vielleicht, daß er wirklichen Hungertagen 
entgegengeht. 

Am 19. März kommen wir an einem ansehnlichen rechten Zu- 
flußchen mit klarem Wasser vorüber. Es muß der Tarüra-Igarap«'- 
sein, den uns die Indianer verheißen haben. An ihm, aber weit ein- 
wärts, sollen auch Buhagana wohnen. Sie scheinen mit den Indianern 
des Apaporis Beziehungen zu unterhalten ; denn von jetzt an begegnen 
wir mehrmals älteren Lagerstätten, kleinen Schlaf hütten mit und ohne 
Bratrost. Wieder ein Zufluß, diesmal von links, mit weißem Wasser. 
Wir fahren eine Zeitlang zwischen schroffen Sandsteinwänden dahin 
und lenken am Morgen des 20. März in den Rio Apaporis ein. 



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Schwere Tage 



377 



Er ist hier etwa 250 m breit und hat eine kaum bemerkbare 
Strömung. Sein grünlich-weißes Wasser ist mehrere Grad wärmer als 
das klarbraune, gesunde Wasser des Pira-Parana und hat einen wenig 
augenehmen Geschmack. Wir hüten uns möglichst, davon zu trinken, 
aus Furcht vor Dysenterie, und benutzen es nicht einmal zum Mund- 
spülen, sondern füllen von Zeit zu Zeit unseren Kochkessel in den 
klaren Bächen, die zahlreich von den hohen Ufern herabrinnen, um 
auf der Fahrt stets frisches Trinkwasser zur Hand zu haben. 

Gleich unterhalb der Mündung des Pira-Parana finden wir einen 
wenige Tage alten Lagerplatz, offenbar von einer Person benutzt, und 
bald darauf einen Bach, der durch einen primitiven kleinen Fischzaun 
aus Palmblättern abgesperrt ist, alles noch frisch, anscheinend vom 
vorhergehenden Tag. Wir warten hier eine ganze Weile, dringen eine 
Strecke in den Wald ein, rufen in allen Indianersprachen, die uns 
einfallen — niemand antwortet uns. Von „Parata-uii tt (Platas Haus) ist 
weit und breit nichts zu sehen. An der Mündung eines größeren rechten 
Nebenbaches mit weißem Wasser finden wir ein gutes Nachtlager. Der 
Platz ist vor kurzem einige Zeit von Fischern benutzt worden. Eine 
Stelle des Uferwaldes ist frisch ausgehauen. Darauf steht ein guter 
Schuppen mit Bratrost und weggeworfenen Fischereigerätschaften. 

Am nächsten Tag sehen wir auf einer Sandbank die frischen Spuren 
eines größeren Lagers, zahlreiche menschliche Fußtapfen im Sande, 
mehrere Feuerstellen, daneben die noch blutige Rückenschale einer 
großen Schildkröte, deren Anblick uns mit Neid erfüllt. Wir passieren 
drei Stromschnellen und zwischen den beiden letzten einen ansehn- 
lichen linken Zufluß. Wo aber bleiben die Indianer? 

Wir haben zwar das schönste Reisewetter, das man sich nur denken 
kann, aber die Mühen und Entbehrungen werden von Tag zu Tag 
größer. Bei jedem dieser endlosen, geraden Strecken, die meist nach 
Süden und Südosten verlaufen und sehr ermüden, hoffen wir auf eine 
gute Neuigkeit — immer vergebens ! — Maggis Suppentafeln, die uns 
noch in den ersten Tagen neben Wildbret eine kräftigende Kost gewährten 
und uns das Fehlen des Salzes und Mehls nicht so sehr empfinden 
ließen, sind längst zu Ende. Die Jagd, die seit dem Eintritt in den 
Apaporis sehr spärlich geworden ist, haben wir ganz eingestellt, um 
nicht anwohnende Indianer durch Schüsse zu verscheuchen. Einige 
Olsardinen ohne alle Zukost bilden schließlich unsere kärgliche Nah- 
rung. Die kleinen Zuflüsse mit frischem, strömendem Wasser sind 
äußerst selten geworden. Um uns aufrechtzuerhalten, trinken wir 
während der Fahrt große Mengen starken Tees, von dem wir ein 



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378 



Tomas Prata 



Paket durch alle Fährnisse gerettet haben. Da wir nachts nicht wachen 
können — sind wir doch von den Anstrengungen des Tages zu sehr 
ermüdet — , so binden wir das Tau, an dem das Boot, unsere letzte 
Rettung, befestigt ist, an unsere Hängematten, um bei der geringsten 
Erschütterung wach zu werden. Die geladene Flinte liegt stets hand- 
gerecht neben uns. Auch eine Axt nehmen wir mit ans Land, um 
im Notfall ein Floß bauen zu können. Der Mangel an Salz und Zerealien 
wird immer empfindlicher, und die ungewohnte schwere Arbeit in den 
fortgesetzten Stromschnellen, verbunden mit der unzureichenden Er- 
nährung, läßt unsere Kräfte rasch schwinden. Endlich, am 23. März, 
als unsere Lage anfängt recht kritisch zu werden, treffen wir wieder 
die ersten Menschen. 

Wir haben gerade in einer kleinen Bucht gefrühstückt und schicken 
uns mit trüben Gedanken an weiterzufahren, da bemerke ich weit fluß- 
aufwärts ein Kanu, das in voller Fahrt auf uns zu kommt. Ich winke 
und schreie: „Amigo! Amigo! u („Freund! Freund!"), um die Insassen 
von unseren friedlichen Absichten zu überzeugen, worauf sie sofort 
das Rudern einstellen. Wir fürchten schon, sie würden kehrtmachen 
und das Weite suchen. Aber da setzen sie mit erneuter Kraft die 
Ruder ein, und bald liegen wir Bord an Bord. 

Es ist ein Colombianer namens Tomas Prata mit vier In- 
dianern und einer Indianerin. Sie kommen von Corinto, der Haupt- 
niederlassung der Kautschuksammler am oberen Apaporis, um am 
Unterlauf Waren zu holen, die dort lagern. Dreißig Tage sind sie 
schon bei strammer Fahrt unterwegs. Acht Tage vorher haben sie 
in einem schlimmen Schnellengebiet einen hohen Wasserfall passiert. 
Als Anwohner trafen sie dort in einigen Malokas die Kauyari und 
wohnten Tänzen mit Masken bei, die nach ihrer Beschreibung den 
Masken der Indianer des Dyi-Igarape ähneln (vgl. S. 205). Bis zur 
Niederlassung der Colombianer am unteren Apaporis fahre man 
vier Tage; vier Stromschnellen seien noch zu überwinden. Dort befinde 
sich ein Landsmann von mir, Don Ernesto, ein Vertreter des colom- 
bianischen Hauses Calderon. 

Ich setze mich zu dem Colombianer ins Boot, während zwei 
Indianer in unser Kanu steigen. Rasch fahren wir weiter. Prata hat 
von uns schon am oberen Caiary gehört. Seit seiner frühesten Jugend 
führt er in den entlegenen Gegenden des oberen Caqueta, Putumayo 1 
und Magdalena ein unstetes Abenteurerleben. Als ich Crevaux 

1 So neunen die Colomhiancr uud Peruaner den Yapura und Issa, die beiden 
großen linken Nebenflüsse des Amnzonenstronis. 



Bei den Makuna-Jndianern 



379 



erwähne, stellt es sich heraus, daß er den französischen Reisenden 
im Jahre 1880 vom Rio Magdalena über die Cordillere zum oberen 
Guaviare begleitet hat. Er kennt sein trauriges Ende und erkundigt 
sich nach A p a t u , Crevaux' schwarzem Diener l . 

Die indianische Mannschaft des KauUchuksammlers gehört ver- 
schiedenen Stämmen an, Uitoto, Hianakoto, Tsahatsaha und Yahuna. 
Die junge Indianerin, die Genossin Pratas, ist eine Hianakoto. Der 
Tsahatsaha-Jüngling trägt einen sehr hohen und engen Bastgürtel, 
den er während der ganzen Reise nicht abgelegt hat. 

Nach kurzer Fahrt werden wir aus einer Maniokpflanzung auf dem 
rechten Ufer angerufen und kommen bald darauf zu einer Maloka der 
Maknna, die auf dem steilen linken Lehmufer unter hohen Pupunya- 
palmen liegt. Prata fahrt am nächsten Morgen weiter; wir bleiben 
hier bis zum 28. März und lernen viel Neues kennen. Alles ist etwas 
anders als am Caiary und an dem von ihm beeinflußten Yauacaca- 
Igarape: die Menschen, ihre Waffen, ihre Geräte. 

Die Makuna, die einen dem Buhagana nahe verwandten Dialekt 
sprechen, bewohnen, nur noch fünf Familien stark, zwei Malokas. Das 
eine Haus, das unmittelbar unterhalb der Mündung des Pira-Parana 
auf dem linken Ufer des Apaporis liegt, haben wir nicht gefunden. 
Der kleine Lagerplatz und das Fischzäunchen, die wir dort antrafen, 
rührten offenbar von seinen Bewohnern her. Die Makuna -Männer 
sind prachtvolle, ebenmäßige Gestalten mit angenehmen Gesichtszügen. 
An Schönheit des Körperbaus geben ihnen die Y ab ah an a nichts 
nach, von denen einige Individuen, angeblich die einzigen ihres Stammes, 
mit den Makuna zusammenleben. Sie sprechen nur Yahuna. Die 
Yahuna, deren Sprache zur Tukano-Gruppe gehört, sich aber von den 
Uaupes-Sprachen sehr unterscheidet, zerfallen in eine Anzahl kleiner 
Horden mit verschiedenen Namen. Von diesen wohnen die Opaina 
und D ä t u a n a , wie mir angegeben wurde , in acht Malokas am 
Apaporis, zwei Tagereisen oberhalb der Mündung des Pira-Parana, 
und an einem rechten Nebenfluß. Die Opaina sind die Huaiana 
der Tuyuka. Unterhalb der Makuna sitzen am Apaporis in drei 
Malokas die eigentlichen Yahuna und die Kuschiita. 

Tracht und Schmuck sind bei allen diesen Stämmen ziemlich gleich- 
artig. Ohrläppchen, Nasenscheidewand und Unterlippe sind gewöhnlich 
durchbohrt und zur Aufnahme von Rohrpflöckchen und leichten Holz- 

1 Der ausgezeichnete und unermüdliche Sudamerikaforschcr Dr. J u 1 e s Cre- 
vaux wurde im Jahre 1882 mit allen seinen Begleitern am Rio Pilcomayo in 
Bolivia von den Toba-Indianern ermordet. 



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380 



Tracht und Haarpflege 



stäbchen bestimmt. Die Yabahana- und Makuna-Männer tragen in 
der »Scheidewand der Nase dünne, wohlgeglättete Stäbe aus schwarzem 
Falmholz von viereckigem Querschnitt, die dreißig und mehr Zenti- 
meter in der Länge messen. Die charakteristische Tracht des Mannes 
ist bei den Stämmen des unteren Apaporis ein langer und breiter 
Gurt aus weißem Baumbast, der eng um den Bauch gewickelt und mit 
einem schwarzgefärbten Baststreifen festgebunden wird. Von der Hüft- 
schnur hängt ein langer Schamschurz aus schmalen Baststreifen bis auf 
die Füße herab. Gewöhnlich wird ein kleinerer Teil der Baststreifen, 
bisweilen auch, wenn der Mann sich frei bewegen will, das ganze 
Bündel zwischen den Beinen durchgezogen und hinten unter der Hüft- 
schnur wieder festgeklemmt. Manche tragen das am Caiary gebräuch- 
liche Suspensorium aus rotem Baststoff unter diesem Schamschurz, der 
dann frei herabhängt. Die Oberarme umschnüren Bastbinden, die 
möglichst straff angezogen und nie abgelegt werden. An den Druck- 
stellen entstehen mit der Zeit tiefe Male; die Haut ist viel zarter 
und heller als am übrigen Körper, wird an der Luft runzelig und 
springt ab. — Eine lustige Geschichte erzählten mir später die Colom- 
bianer: Ein Kautschuksammler war eines Tages mit einem Yahuna- 
Ruderer, der die Armbinden abgelegt hatte, zum Amazonenstrom 
gekommen und wurde dort von der brasilianischen Behörde, die diese 
Narben der Eitelkeit für Male von Armschellen hielt, wegen Miß- 
handlung seiner Leute verhaftet. — Neben diesen einfachen Bast- 
binden werden häufig Armbänder aus schwarzen, glänzenden Palmnüssen 
und anderen Früchten getragen. Hals und Brust schmücken dicke 
Ketten aus Tierzäbnen, schwarzen, roten und weißen Samen, Cocons 
oder auch europäischen Glasperlen. Lange Perlenschnüre werden in 
breiten Binden um beide Handgelenke gewunden. Das lange, weiche, 
wohlgepflegte Haupthaar wird in der Mitte gescheitelt und mit einem 
Streifen gelben Baumbastes zopfartig umwickelt; doch scheint diese 
Tracht, die ich nur bei jüngeren Leuten beobachtete, am unteren 
Apaporis allmählich zu verschwinden. 

Auf die Haarpflege wird in der Makuna-Maloka von den drei 
prächtigen Söhnen des Häuptlings die größte Sorgfalt verwendet. 
Nachts schlafen sie mit offenem Haar. Morgens früh nach dem Bade 
treiben sie sich so lange im Hause umher, bis das Haar trocken ist, 
worauf es sorgfaltig gekämmt und mit der Bastbinde umwickelt wird. 
Nachmittags gegen zwei Uhr wiederholt sich die Szene. Nach dem 
Abendbad wird das Haar nochmals gekämmt und auf Einwohnerschaft 
untersucht, was meistens die sehr resolute und reinliche Mutter besorgt. 



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Rande Maloka 



381 



Sie kämmt das Haar über einem Schemel, tippt die darauffallenden 
Läuschen mit angefeuchtetem Zeigefinger auf und verzehrt sie mit 
großem Genuß. 

Die Weiber gehen gewöhnlich ganz nackt. In der Makuna-Maloka 
gibt es nur einen Rock, der der Frau des Häuptlings gehört. Als 
ich die schlanke, wohlgebaute Tochter in ganzer Figur photographieren 
will, zieht Mama ihr erst den Rock an, so daß ich lieber auf das Bild 
verzichte. 

Die Maloka des unteren Apaporis ist von den Malokas des Caiary 
und Yauacaca - Igarape* vollständig verschieden. Über kreisrundem 
Grundriß erhebt sich auf niedriger Wand das allmählich ansteigende 
Dach, das von einem merkwürdigen giebelförmigen, nach vorn und 
hinten weit offenen Rauchausgang gekrönt wird, der zugleich als Licht- 
spender dient und das Innere des Hauses wohl erhellt. Inmitten des 
Hauses stehen vier Hauptpfosten, im Quadrat angeordnet. Sie tragen 
die Balken, die das viereckige Licht- und Rauchloch begrenzen. 
Sechzehn kleinere Seitenpfosten laufen ringsum und stützen das Dach, 
mit dessen Sparren sie durch Horizontalbalken verbunden sind. An 
der Seite befinden sich die einzelnen Familienabteilungen, die selten 
durch niedrige Mattenwände voneinander getrennt sind. Auch hier 
bleibt der Mittelraum als Verkehrsraum frei. Die Seitenwand besteht 
aus Palmlatten, die dicht nebeneinander auf Querleisten mit Lianen 
festgebunden sind. Bisweilen ist diese Lattenwand außen mit Schichten 
von Palmblättern oder mit Matten aus Palmwedeln bekleidet. Das 
Dach ist mit mehreren Schichten von Palmblättern schindelartig gedeckt 
und gewährt einen sicheren Schutz gegen die Unbilden der Witterung. 
Der Ausgang wird nie unmittelbar gegenüber dem Eingang, sondern 
stets schräg links davon angelegt, so daß gewöhnlich auf der längeren 
Seite zehn, auf der kürzeren Seite sechs kleine Strebepfosten sich 
befinden. Dies geschieht wohl, um den scharfen Durchzug der Luft 
zu verhindern. Die Eingangstüren in den von mir besuchten Häusern 
des unteren Apaporis sind offenbar nicht mehr ursprünglich indianisch. 
Sie bestehen aus einem oder zwei Flügeln aus dickem, schwerem Holz, 
die in der hohen Schwelle und dem dicken oberen Querbalken in 
Zapfen laufen. Zum Zuziehen der Tür dient ein Strick, der durch 
ein Loch der Türe geht, und an dessen beiden Enden ein Stück Holz 
quer angebunden ist, damit er nicht durchschlüpfen kann. Wider den 
Ausgang wird gewöhnlich von innen eine Palmstrohmatte gelehnt. 

Das Dach hat vier flache Seiten, deren Längssparren, je fünf, 
parallel zueinander laufen, wie die Dachseiten eines gewöhnlichen 



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Einbänme 



Giebelhauses; nur die Verbindungssparren, je drei bis vier, die die 
Zwischenräume zwischen diesen einzelnen flachen Dachseiten ausfüllen, 
laufen naturgemäß oben zusammen und geben so dem Dache die etwas 
eckige Rundung. Die beiden flachen Dachseiten rechts und links vom 
Eingang überragen die beiden anderen Seiten beträchtlich und bilden 
dadurch, daß sie oben zusammenstoßen, den giebelförmigen Rauch- 
fang. Die beiden anderen kürzeren Dachseiten gehen über einen Teil 
des Rauchloches hinaus, um bei den weiten Giebelöffnungen Schutz 
gegen eindringenden Regen zu gewähren. 

Im Innern dieser Malokas herrscht die peinlichste Sauberkeit, 
aber es fehlt der große, freie Dorfplatz, und der Urwald tritt von 
allen Seiten fast unmittelbar an das Haus heran. Bisweilen liegt die 
Maloka inmitten einer Maniokpflanzung (Abb. S. 368). 

Ahnliche Häuser scheinen die Buhagana und andere Stämme des 
Pira-Parana zu haben. 

Man gebraucht am unteren Apaporis zwei Arten von Einbäumen. 
Die eine Art, die von den Yahuna mit dem Lingoa geral-Namen uba 
bezeichnet wird und nicht einheimisch zu sein braucht, gleicht den 
Kanus des Rio Negro-Gebietes. Sie ist schmal und tief mit abgerundetem 
Kiel und spitz zulaufenden Enden. Die andere Art, die den Yahuna- 
Namen kumoa führt, ist breit und flach, mit scharfem Kiel und ab- 
gestumpften Enden. Es gehört ziemliche Geschicklichkeit dazu, in 
diesen Kanus zu fahren. 

Die Jagd scheint eine größere Bedeutung zu haben als der Fisch- 
fang. Dies bezeugen schon das Fehlen der Netze und großen Fisch- 
fallen und der Überfluß an sorgfältig gearbeiteten Jagdwaffen, nicht 
zuletzt auch die auffallend großen, schönen und wohlgepflegten Jagd- 
hunde, die man in allen Malokas trifft. Die Blasrohre und Köcher 
gleichen vollkommen denen der Buhagana. Sie sind fremder Import 
und werden von den Yukuna eingehandelt, einem Aruakstamme des 
benachbarten Miriti-Parana, der oberhalb des Apaporis auf derselben 
Seite in den Yapura mündet. Die großen Giftpfeile mit Schutz- 
futteral unterscheiden sich nicht wesentlich von denen der Umaua und 
Kobeua. 

Das Pfeilgift, das besonders stark sein soll, ist auch hier ein 
teurer und begehrter Artikel. Es wird in kleinen, halbkugeligen Ton- 
töpfchen aufbewahrt, die mit Blättern bedeckt und bisweilen ganz 
mit Palmfaserstricken umschnürt sind. Zum Auftragen des Giftes 
auf die Pfeilspitze dient ein kleiner hölzerner Spatel. Nur mit Mühe 
gelingt es mir, ein solches indianisches Wertstück für die Sammlung 



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Keule and Schild 



383 



zu erwerben. Als ich mit einem Yahuna um drei Töpfchen mit Pfeil- 
gift handele, läßt er zwei davon hinter meinem Rücken durch seinen 
kleinen Sohn in Sicherheit bringen. 

Von der Schlagfertigkeit der Apaporisindianer zeugen die zahl- 
reichen Kriegswaffen, Giftlanzen und Keulen, die ihre ursprüngliche 
ernste Bedeutung noch nicht verloren haben. In allen Malokas finden 
sich merkwürdige primitive Keulen in ziemlicher Anzahl. Sie dienen 
dazu, „Leute totzuschlagen". Es sind schwere, knorrige Naturknüppel 
von etwa l m Länge, aus einem hellen Holz, ähnlich unserer Akazie, 
die in der Mitte eine Schlinge aus Palmfaserschnüren oder einfachen 
Baststreifen tragen. Der Kämpfer schlingt diesen Strick fest um das 
rechte Handgelenk, faßt den Knüppel mit beiden Händen in der Mitte 
und führt in stark vorgebeugter Haltung heftige Hiebe nach vorn, 
die sich, wie man mir erklärt, auf die Schienbeine und Oberschenkel 
des Gegners richten, um ihn zu Fall zu bringen und ihm dann vollends 
den Garaus zu machen. 

Die oberen Yahuna und die benachbarten Aruakstämme benutzen 
zur Verteidigung große, runde Schilde aus mehreren Lagen Tapirhaut, 
die in der Mitte eine buckelartige Erhöhung haben und mittels eines 
Strickes oder Bandes am linken Unterarm getragen werden. Ein 
Indianer zeigt mir mit vorzüglicher Mimik, wie sie mit diesen Schilden 
den Körper gegen die Giftlanzen der Feinde decken und selbst hinter 
dem Schild hervor ihre Wurfgeschosse schleudern. Sie nennen die 
Schilde ahäa und bezeichnen mit demselben Namen auch einen 
größeren Mondhof (Mondring); ein treffender Vergleich, wenn man 
den Mondring als den Rand des Schildes und den leuchtenden Mond 
als den vorstehenden runden Schildnabel ansieht. Die unteren Yahuna 
gebrauchen diese Schilde heute nicht mehr. 

Der ganze Hausrat dieser Indianer ist sehr einfach, und die mit 
schönen Mustern verzierten Ton- und Flechtwaren ihrer nördlichen 
Nachbarn würde man bei ihnen vergeblich suchen ; immerhin sind die 
glänzend schwarzen Tongefäße von eleganter Form und gut gebrannt. 
Die Tragkörbe der Weiber sind nicht kugelig wie am Caiary und 
Issana, sondern haben bei weiter Öffnung mehr längliche Gestalt und 
verjüngen sich nach unten stark. Die Korbwannen zum Aufbewahren 
der Maniokfladen sind tiefer und haben einen höheren Rand, der mehr 
vertikal zum Boden steht. Die Flechtart ist dieselbe. Tragkörbe und 
andere Gegenstände, die mit einer Schlinge versehen sind, werden 
außer Gebrauch über ein Querholz gehängt, das an einem vom Dach 
herabhängenden Strick befestigt ist. Reibebretter finden sich in keiner 



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384 



Wundkratzcr 



Maloka. Die Maniokwurzeln werden auf einfachen Steinplatten mit 
körniger Oberfläche gerieben, die zu diesem Zweck auf drei niedrige, 
in die Erde gerammte Stöcke gelegt werden. Die Frau sitzt davor 
und reibt nur mit einer Hand. Die kleinen Steinplatten sind im Ver- 
hältnis zu den großen, kunstvollen Reibebrettern der nördlichen Ge- 
biete ein sehr primitiver Behelf, und die Arbeit geht nur sehr lang- 
sam vonstatten. Zum Auspressen der Maniokmas9e dienen Preß- 
schläuche und Siebe auf dreieckigem Gestell wie im Norden. 

Die Weiber stricken mit drei Nadeln über einem Bogen aus 
elastischem Holz viereckige Taschen aus festen Palmfaserschnüren für 
die Männer, die darin Perlenketten, Spiegel, Feuerzeug und andere 
kleine Sachen verwahren. Als ich den Inhalt einer solchen Tasche 
untersuche, kommt unter anderem Kram ein ärztliches Instrument 
zum Vorschein, ein Wundkratzer, der sich in gleicher Form auch 
in Zentralbrasilien findet. In eine dreieckige Kalabassenscherbe sind 
auf einem vorgeritzten Strich feine, spitze Zähnchen des Trahira- 
Fisches in einer Reihe eingelassen und zur größeren Haltbarkeit auf 
der Rückseite mit Pech dick überstrichen. Mit diesem Skarifikations- 
apparat wird bei allen möglichen Krankheiten und auch zur Stärkung 
der Muskeln die Haut geritzt, bis das Blut in Strömen fließt. 

Die Kämme sind bei weitem nicht so kunstreich gearbeitet und 
verziert wie am Caiary. Die Zinken, harte, an beiden Enden zu- 
gespitzte Palmholzsplitter, sind in der Mitte zwischen zwei einfache 
Rohrhälften geklemmt, die an den Enden zusammengebunden sind. 

Die Leute geben gern alle ihre Sachen gegen unsere Tauschwaren 
her. Sie sind offenbar noch nicht so verwöhnt und wählerisch wie 
viele Stämme am Caiary. 

Das Tabakrauchen tritt am unteren Apaporis fast ganz gegen 
das Parica- Schnupfen und Coca-Kauen zurück. Die Schnupfgeräte 
sind dieselben wie am oberen Tiquil. Die Coca spielt auch hier eine 
Hauptrolle. In einer Yahuna-Maloka fand ich allein vier große Zylinder 
zum Klopfen des Cocapulvers. Die Zubereitung bleibt den Männern 
überlassen. Sic holen in einem kleinen zylindrischen Korb, der an 
einem Bastband über der linken Schulter getragen wird, die Coca- 
hlätter aus der Pflanzung, rösten, stampfen und klopfen sie und nehmen 
auch den größten Teil davon für sich in Anspruch. Als Zusatz zur 
Coca dient die Asche von Cecropia- und anderen Blättern. Die 
Geräte zum Aufbewahren und Nehmen der Coca ähneln denen vom 
Caiary. 

Berauschende Getränke, wie das Gift Kaapi und das im Norden 



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To fei XI 





Makuna-Indianer mit Giftlanzen. Yabahana-Indiancr mit Blasrohr und 
Giftpfcilköchcr. Rio Apaporis 



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Keine berauschenden Getrinke 



385 



bo beliebte Kaschiri, scheint man am unteren Apaporis gar nicht zu 
kennen. In keiner Maloka sieht man ein großes Kaschirigefaß oder 
einen der riesigen Holztröge zum Ansetzen des Kaschiri, die am Caiary 
bisweilen eine Lange von 4 m und eine Tiefe von '/* m haben. Der 
Makuna- Häuptling wundert sich sehr, als ich ihm die Größe der 
dortigen Kaschiritöpfe beschreibe. Man kaut hier Coca in großen 
Mengen, schnupft Paricapulver und unterhält sich dabei in langweiligen, 
eintönigen Lauten bis spät in die Nacht hinein. Auch die Weiber 
beteiligen sich von Zeit zu Zeit an der Unterhaltung und genießen 
von dem grüoen Staub. Das ist aber auch alles ; eine harmlose und, 
was ein großer Vorzug ist, sehr nüchterne Sache. — Wie es bei Tanz- 
festen ist, weiß ich nicht. 

Als Erfrischungsgetränk dient zur Zeit säuerliche Pupunyabrühe. 
Jeden Morgen wird von einer der Frauen eine große Topfschale voll 
des goldgelben, appetitlich aussehenden Trankes mit Schöpfkalabasse 
inmitten der Maloka aufgestellt, damit jeder nach Belieben davon 
nehmen kann. Die Pupunyafrüchte werden zu diesem Zweck, in Körbe 
verpackt, eine Zeitlang unter Wasser aufbewahrt und dann gerieben. 
Die Masse preßt man durch ein feines Sieb. Auch auf der Reise 
wird Pupunyamasse in einem Topf mitgenommen und zu jedesmaligem 
Gebrauch die nötige Menge in einer Kalabasse in Wasser aufgelöst. 

Ein anderes Erfrischungsgetränk bereiten sie aus den „schwarzen 
Früchten", Iua pischuna, die wir schon am Tiquie kennen gelernt 
haben (vgl. S. 216). Die braune Brühe, die wie Schokolade aussieht 
und etwas nach Pfeffer schmeckt, ist sehr fett und nahrhaft. Auch 
davon wird ein großer Topf voll zum allgemeinen Besten in die Mitte 
des Hausee gesetzt. 

Als Tunke für Maniokfladen dient eine braune, stark gepfefferte 
Brühe, die aus eingekochtem Manioksaft hergestellt ist und einen 
pikanten Geschmack hat (vgl. S. 336). 

Ein weißer, fettiger Ton, offenbar organischen Ursprungs, der aus 
dem Quellgebiet des Yapura stammen soll, gilt als beliebtes Genuß- 
mittel. Von den harten Tonklumpen, die zuvor längere Zeit ans 
Feuer gelegt werden, schabt man mit dem Messer feinen Staub ab. 

Maniokgrütze wird nur wenig bereitet, meistens zum Verkauf an 
die Kautschuksammler, die gelegentlich die Malokas besuchen. 

Seltene „Haustiere" finden wir in der Makuna-Maloka. An einem 
Hauspfosten ist in einer Höhe von etwa zwei Metern ein Stück eines 
hohlen Baumstammes mit Stricken festgebunden, ein Bienenstock, an 
dem die fleißigen Bewohner munter aus und ein fliegen. 

Koch-«rünberg, Zwei Jahre bei den Indianern 25 



:*86 



Der Sonnenheros Milomaki 



Leider haben diese Indianer keine Tanzmasken mehr, die sie 
aber wohl kennen und wie die Masken der Bewohner des Dyi-Igarape" 
beschreiben. Bei den oberen Yahuna seien sie noch im Gebrauch. 
Diese hätten auch Signaltrommeln von derselben Art wie am Caiary. 
In einer Maloka der Opaina seien vier Stück. 

Tanze habe ich nicht beobachtet. Die Makuna haben köcher- 
ähnliche Behälter aus leichten Stäbchen, die mit weißen und schwarzen 
Baststreifen dicht umwickelt sind. Sie stellen Fischreusen dar und 
werden bei einem Tanz, der sich auf die Fischerei bezieht, mit einer Arara- 
schwanzfeder geschmückt, am Zopf getragen. Die Tänzer schreiten 
nebeneinander, die linke Hand auf der rechten Schulter des Neben- 
mannes, und halten in der Rechten Stäbe, mit denen sie im Takt 
auf den Boden stoßen. Diese Tanzstäbe, hohle Zylinder aus Cecropia- 
holz, gleichen in der äußeren Form denen vom Caiary und Issana, 
sind aber auf der Oberfläche mit bunten Mustern bedeckt, die einen 
ganz anderen Stil zeigen. An einer Bastschlinge wird der Stab beim 
Gebrauch Uber das Handgelenk gehängt. 

Die Yuruparyfeste werden in derselben Weise wie in ganz Nord- 
westbrasilien gefeiert. Uber ihre Entstehung berichtet folgende Sage 
der Yahuna: Yor vielen, vielen Jahren kam aus dem großen Wasser- 
hause, der Heimat der Sonne, ein kleiner Knabe, der so wunderschön 
singen konnte, daß viele Leute von nah und fern herbeieilten, ihn zu 
sehen und zu hören. Er hieß Milomaki. Als aber die Leute, die 
ihn gehört hatten, heimkehrten und Fische aßen, fielen sie alle tot 
nieder. Da ergriffen ihre Angehörigen Milomaki, der inzwischen zum 
Jüngling herangewachsen war, und verbrannten ihn auf einem großen 
Scheiterhaufen, weil er schlecht wäre und ihre Brüder getötet hätte. 
Der Jüngling aber fuhr bis zu seinem Ende fort, wunderschön zu 
singen, und als schon die Flammen an seinem Leib emporleckten, 
sang er: „Jetzt sterbe ich, mein Sohn, jetzt verlasse ich diese Welt!" — 
Als sein Leib von der Hitze anschwoll, sang er noch immer in herr- 
lichen Tönen: „Jetzt zerbricht mein Leib, jetzt bin ich tot!" — Und 
sein Leib zerplatzte. Er starb und ward von den Flammen verzehrt; 
seine Seele aber stieg auf zum Himmel. Aus seiner Asche erwuchs 
noch an demselben Tag ein langes, grünes Blatt. Es wurde zusehends 
größer und größer, breitete sich aus und war am anderen Tag schon 
ein hoher Baum, die erste Paschiubapalme ; denn vorher gab es diese 
Palme nicht. Die Leute aber machten aus ihrem Holz große Flöten, 
und diese gaben die wunderschönen Weisen wieder, die einst Milomaki 
gesungen hatte. Die Männer blasen sie bis auf den heutigen Tag, 



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Indianische Handelsreisen 



387 



jedesmal wenn die Waldfrüchte reif sind, und tanzen dabei zu Ehren 
von Milomaki, der alle Früchte geschaffen hat. Die Weiber aber und 
kleinen Knaben dürfen die Flöten nicht sehen. Erstere würden sonst 
sterben, letztere würden Erde essen, krank werden und auch sterben. 
Die Männer dürfen nach dem Tanz erst wieder etwas genießen, nach- 
dem ihnen der Zauberarzt eine geröstete Pfefferfrucht gegeben hat, 
und auch dann dürfen sie nur Maniokfladen, spanischen Pfeffer, ein- 
gedickten Manioksaft und geröstete Blatt6chneide - Ameisen zu sich 
nehmen 2 l /i Tage lang ; danach sind ihnen wieder alle Speisen gestattet. 
Einmal im Jahr aber, bei dem „großen Yurupary-Fest", zu dem viele 
Leute zusammenkommen, geißeln sich die Teilnehmer bis aufs Blut. 
Die Wunden werden mit Pfeffer eingerieben und „schmerzen drei 
Tage lang fürchterlich". 

Der Stammesheros tritt in dieser Mythe zugleich als der Kultur- 
heros auf, der Erzeuger des Wachstums, und trägt einen ausgeprägten 
solaren Charakter. Er ist die Sonne selbst. Er kommt von Osten 
aus dem großen „ Wasserhaus dem Meere, wandert über die Erde 
und geht im Feuer gen Himmel. Die Verbrennung des Heros durch 
die Menschen wegen seiner magischen Eigenschaften ist ein vielen 
Mythen gemeinsamer Zug, der sich auch sonst in Südamerika findet. 

Der Makuna-Häuptling Jose* ist für seine Verhältnisse ein gebildeter 
und weitgereister Mann. Er trägt Hemd und Hose und spricht außer 
Makuna und Yahuna geläufig Lingoa geral und etwas portugiesisch. 
Er ist schon mehrmals bis zum Amazonenstrom hinabgefahren und 
zählt mir mit indianischer Umständlichkeit die Stationen auf, die auf 
dieser Reise zu passieren seien. Vor mehreren Jahren ist er mit 
einem schwerbeladenen Boot und fünf Kanus, die er am Amazonen- 
strom verkauft hat, bis zum Städtchen Teffe gekommen. Nach seiner 
Aussage hat er zu dieser Reise hin und zurück bei strammer Fahrt 
fünf Monate gebraucht. Von einer dieser Reisen hat er seinen An- 
gehörigen als Merkwürdigkeit einige Stücke Bimsstein mitgebracht, 
der aus den peruanischen Kordilleren kommt und häufig in großen 
Brocken auf dem Amazonenstrom treibt. Jetzt baut er ein wenig 
flußabwärts eine größere Maloka, da sein Haus, besonders für Tanz- 
feste, wenn viele Leute kämen, zu klein sei. Er arbeitet auch für 
Cecilio Plata, der vor kurzem 'flußaufwärts gefahren ist, um mit 
den dortigen Indianern Handel zu treiben. Die Spuren des großen 
Lagers, die wir auf einer Sandbank gefunden haben, stammen von ihm. 

Eines Mittags erscheinen sechs Kautschuksammler, Weiße und 
Mischlinge und ein Tsahatsaha-Indianer. Sie kommen ebenfalls von 



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Bei den Yahuna-Indianern 



Corinto und gehören zur Mannschaft Tomas Pratas. Sie sind erstaunt, 
zwei Weiße hier zu treffen, und anscheinend nicht sehr erbaut davon. 
Jose macht, gestützt auf unsere Gegenwart, wenig Umstände mit ihnen, 
so daß sie abziehen müssen, ohne Ruderer bekommen zu haben. Ekelhaft 
war es anzusehen, wie sie sich um die nackte Tochter des Häuptlings 
drängten, die gerade am Siebgestell Maniokmasse auspreßte. Nur 
unsere Anwesenheit hielt sie wohl zurück, sich so zu benehmen, wie 
sie es gewohnt waren. „Die Colombianer taugen nichts ! u sagt der 
Häuptling, und er hat leider nur zu sehr recht. — 

Am 28. März fahren wir weiter. Erst nach wiederholten Be- 
teuerungen, daß ich die Leute nur bis zur nächsten Maloka und nicht 
bis zu den bösen Colombianern mitnehmen würde, habe ich zwei Yaba- 
hana als Ruderer bekommen können. Zwei ältere Yahuna mit ihren 
Familien, die als Gäste bei den Makuna weilten, schließen sich uns 
an und nehmen einen Teil der Last in ihre Boote. Der eine hat 
einen auffallend mongoloiden Typus mit verhältnismäßig starkem Bart- 
wuchs, so daß man ihn in anderer Umgebung nicht für einen Indianer 
halten würde. 

Wir kommen bald an einer Stelle vorbei, wo ein kurzer Fußpfad 
zum Miriti-Parana führt, und verbringen die Nacht in einer neuen 
Pflanzung auf dem linken Ufer unter einigen Hütten, die zur Zeit 
von drei Yahunafamilien bewohnt werden. Es sind wiederum schöne 
Leute, besonders eine junge Frau mit seelenvollen, dunklen Augen. 
Am nächsten Mittag erreichen wir eine große Maloka der Yahuna 
auf dem rechten Ufer, die Heimat des Mongolen, der uns aber noch 
bis zu den Colombianern begleiten will. Man scheint ein Fest vor- 
zubereiten. Auf einem riesigen, viereckigen Bratrost schmort eine 
Unmenge Fische. Unter den etwa zwanzig Bewohnern befinden sich 
einige Gäste. Auffallend ist die geringe Anzahl der Kinder; ich be- 
merke nur zwei kleine Knaben. — Es ist immer schwer, die wirkliche 
Bevölkerung einer Maloka zu bestimmen, da meistens Bewohner ab- 
wesend sind, oder umgekehrt Besuch da ist, der nicht dazu gehört. — 

Ein junger Mann, dem das Haupthaar bis auf die Hüften herab- 
hängt, hat eine Muskulatur und Körpergröße, wie ich sie noch nie 
bei Indianern gesehen habe. Er ist ein Buhagana vom Tariira- 
Igarape* des Pira-Parana. Ich mieteihn für die Weiterfahrt. Bitsuka, 
so heißt er, wird von den Indianern nur „Bitsu" gerufen; Schmidt 
nennt ihn kurzweg „Bicho 1 ", und er hört auch auf diesen wenig 
schmeichelhaften . Namen. 

1 Sprich „bischu"; wörtlich „Wurm", eiu beliebtes brasilianisches Schimpfwort. 



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Ameisenbär 



389 



Der untere Apaporis empfangt alle seine größeren Zuflüsse von 
links, da auf der rechten Seite der Miriti-Parana sehr nahe herantritt 
Zu den bedeutendsten gehört der Ooca, an dessen Mündung wir 
am 1. April vorüberfahren. An seinen Ufern haben die Yupua, deren 
Sprache dem Desana am nächsten kommt, ihre Wohnsitze. Fährt 
man ihn zwanzig Tage aufwärts, so gelangt man zu einem Fußpfad, 
der zum Ira-Parana, dem rechten Nebenfluß des unteren Tiquie" führt. 
Dort wohnen Maku (vgl. S. 155—156). 

In der großen, ganz neuen Maloka der Kuschiita-Yahuna auf 
dem rechten Ufer, wo wir am folgenden Mittag ankommen, finden 
wir nur wenige Bewohner, aber um so mehr europäischen Einfluß. 
Die Männer sind mit Hemd und Hose, die meisten Weiber mit Rocken 
und Leibchen aus Kattun bekleidet. Unser Aufenthalt bei den 
freien Indianern erreicht hier sein Ende. 

Nahe dem Hafen der Maloka habe ich des Fells wegen, da das 
Fleisch ungenießbar ist, einen großen Ameisenbär erlegt, der, die 
lange, spitze Schnauze senkrecht aus dem Wasser streckend, den Fluß 
durchschwamm. Das Tier hatte ein außerordentlich zähes Leben. 
Vier SchrotschüsBe bekam er in den kleinen Kopf. Trotzdem wäre 
er beinahe in den Wald entkommen. Er brüllte fürchterlich, als er 
nach einem Kugelschuß aufs Blatt am Land zusammenbrach, und 
Bolaka flüchtete sich vor dem Ungeheuer entsetzt bis an das äußerste 
Ende des Bootes 1 . Die mit riesigen Krallen bewehrten Vorderbeine 
des harmlosen Zahnlückers haben fingerdicke Sehnen und bilden seine 
einzige, aber gefährliche Waffe. Wird das Tier angegriffen, so setzt 
es sich auf die Hinterschenkel und sucht den Gegner zu umfassen. 
In seiner Umarmung ist jeder — nach den Erzählungen der Indianer 
selbst der Jaguar — unrettbar verloren. 

Am 4. und 5. April passieren wir drei Stromschnellen, von denen 
die beiden ersten dicht aufeinander folgen. Die eine, ein mehrere 
Meter hoher Fall, ist sogar bei dem jetzigen niedrigen Wasserstande 
infolge der außerordentlichen Einengung des Flusses von reißender 
Wildheit und muß mit Booten und Gepäck über Land umgangen 
werden. 

Dichter Regen strömt den ganzen Tag herab, der Vorbote der 
Regenzeit. Ich habe mir Bitsuka als Vorruderer ins Boot genommen. 

1 Bolaka habe ich glücklich mit nach Europa gebracht. Er führt noch heute 
im Zoologischen Garten zu Frankfurt a. M. ein beschauliches Dasein. Seinen 
Herrn kannte er noch nach zwei Jahren. Sein Indiauisch aber hat er längst 
vergessen. 



3<>0 



Kin feuchtes Nachtlager 



Mit jedem Schlag seines breiten Ruders, das zu seiner riesenhaften 
Gestalt im richtigen Verhältnis steht, bringt er das Kanu einige Meter 
weiter. Schmidt steuert. Ein Gewittersturm nötigt uns, unter strömendem 
Regen auf einer Sandbank, die kaum 1 m hoch aus dem Wasser ragt, 
ein notdürftiges Lager aufzuschlagen. Die beiden anderen Boote 
haben wir weit hinter uns gelassen. Ich gebe ein paar Schüsse ab, 
aber der Schall geht im Heulen des Sturmes und Prasseln des Regens 
verloren. Niemand kommt, und Bitsukas Hängematte ist in einem 
anderen Boot zurückgeblieben. Wir rammen Pfähle ein und binden 
unsere Hängematten daran. Mit meinem Kleidersack und einer Decke 
richten wir Bitsuka unter meiner Hängematte ein hartes Bett her. 
Der Fluß steigt rasch. Ein großer Teil der Sandbank ist schon bei 
Sonnenuntergang vom Wasser bedeckt. So machen wir uns auf alles 
gefaßt. Eine unruhige Nacht! Strömender Regen bis gegen neun Uhr. 
„Das Wasser rauscht', das Wasser schwoll." — Ich erwache gegen 
elf Uhr und betaste unter mir den Sand. Der Fluß hat uns erreicht. 
Mein Riese schläft, vom Wasser umspült. Ein Rippenstoß scheucht 
ihn aus seiner Ruhe auf. Schleunigst rafft er sein nasses Lager zu- 
sammen und entflieht ins Kanu. Ich binde meine Hängematte einen 
halben Meter höher. Umsonst! — „Das Wasser rauscht', das Wasser 
schwoll!" — Schon platschen Pirahibas und andere große Fische 
dicht neben mir, und um drei Uhr erwache ich abermals — nur noch 
zwei Finger breit über den Wellen! — Wir brechen das Lager ab, 
wobei Bitsuka mit dem Kanu unter die Hängematten fährt, und lassen 
uns von der starken Strömung treiben. Das Brausen eines Falles 
in unheimlicher Nähe weckt uns gegen Morgen aus unruhigem Schlummer. 
Wir erreichen noch gerade das Land. Ein einsames Licht schimmert 
vom rechten Ufer durch die Finsternis, und als es Tag wird, sehen 
wir die Colombianer-Ansiedlung vor uns liegen. 

Wir fahren hinüber und klettern über die niedergeschlagenen 
Bäume einer frischen Pflanzung. Alles schläft noch. Ich mache darüber 
zu Schmidt eine Bemerkung auf deutsch. Da ertönt aus dem Innern 
desHauses in unverkennbar schwäbischem Dialekt: „Ei, guten Morgen, 
Herr Doktor! Wir haben Sie schon längst erwartet !<• Es ist Ernst 
J3 e r n e r aus Aalen in Württemberg, der uns herzlich aufnimmt. Seit 
fünfzehn Jahren weilt er in Südamerika. Ursprünglich Kaufmann in Lima, 
ist er nach langen, abenteuerlichen Irrfahrten in dieser Wildnis gelandet 
und fühlt sich in seiner rohen Umgebung sehr unglücklich. Er hat 
seinerzeit Waren und Lebensmittel (Konserven) von Manaos geholt 
und mit einigen anderen Angestellten des Hauses Calderon die Nieder- 



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Bei den Coloml>ianern 



3i)l 



lassang angelegt. Ein Teil der Waren ist für die verschiedenen Plätze 
der Kautschuksammler am oberen Apaporis bestimmt, ein Teil gebt 
über den Apaporis und Macaya zum oberen Caiary. Tomas Prata 
hat hier am meisten zu sagen. Er ist eine Art „stiller Teilhaber" 
des ganzen Unternehmens, obgleich er weder lesen noch schreiben kann. 

Die Ansiedlung, die den stolzen Namen „La Libertad" führt, 
liegt reizend auf dem hohen Ufer an einer tiefen Bucht, die der Fluß 
am Fuß des Falles bildet. Das Hauptgebäude ist ein Pfahlbau mit 
hoher und breiter Veranda, auf die die Kammern, Wohnräume der 
„Herren", münden. Darunter zu ebener Erde befinden sich die Lager- 
räume, hinter dem Haus ein kleiner Pfahlbau, die Küche, und ein 
paar niedrige Hütten für die indianischen Bediensteten. Einige zwanzig 
Kautschuks ammler wohnen zur Zeit in der Niederlassung, Weiße, 
Mischlinge und reinblütige Indianer, zum Teil mit Uitotoweibern. Die 
Bediensteten, um nicht zu sagen Sklaven, gehören den Uitoto, 
Miranya, Hianakoto, Tsahatsaha und anderen Stämmen an. Mehrere 
leiden schwer an Malaria. Als ich die Genossin Pratas, die kaum 
dem Kindesalter entwachsen ist, frage, ob sie meinen einstigen Ruderer, 
den Hianakoto Kauilimu, kenne, ist sie zuerst ganz still, dann ruft 
sie aus: „Das ist ja mein Vater!" und läuft weg. Prata hat sie von 
einem anderen für eine Hose gekauft. — 

Auch hier gibt es für mich genug Arbeit: Sprachaufnahmen, 
Photographieren und anderes. Ich habe den ganzen Tag zu tun, oft 
bis spät in die Nacht hinein. Die bisher ganz unklare sprachliche 
Stellung der Uitoto wird in einer ausführlichen Wörterliste festgelegt. 

Man begreift unter dem Namen Uitoto eine Anzahl sprach- 
verwandter Horden, die in den noch wenig bekannten Gebieten zwischen 
Caqueta (oberem Yapura) und Putumayo (oberem Issa), besonders am 
Cara-Parana und Igara-Parana, linken Nebenflüssen des letzteren, 
wohnen, wo schon viele als Kautschuksammler im Dienste der Peru- 
aner und Colombianer stehen und von diesen zum Teil mit unmensch- 
licher Grausamkeit behandelt werden. Einige Horden sind noch 
Menschenfresser. Ihre Gesamtzahl wird auf 20 000 und mehr Seelen 
geschätzt. 

Den Namen „Uitoto" (Feind), den ihnen ihre nördlichen Nach- 
barn und Todfeinde, die karaibischen Umaua, und nach diesen die 
Weißen beilegen, hören sie aus leicht begreiflichen Gründen nicht gern. 
Überhaupt führen sie keinen Gesamtnamen, sondern unterscheiden sich 
mit einer Unzahl verschiedener Hordennamen. Die Dialekte weichen 
teilweise erheblich voneinander ab. Hier in „La Libertad" sind zwei 



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392 



Uitoto-Indianer 



Männer und drei Weiber, die verschiedenen Horden angehören, sich 
aber mit Hilfe ihrer eigenen Idiome untereinander verständigen können. 
Der Uitoto »Benjamin*, der gut spanisch spricht, ist trotz der roten 
Gesichtsbemalung schon so „zivilisiert 14 , daß er beim Photographieren 
nicht zu bewegen ist, das Hemd auszuziehen. Viele Kautschuksammler 
beherrschen die Uitotosprache, die sich, mit spanischen Ausdrücken ver- 
mengt, in diesen Gegenden zu einer Verkehrssprache ausgebildet hat. 

Mit der Karaibengruppe, der man das Uitoto bisher infolge gänz- 
lichen Mangels an Sprachproben zurechnete, hat es nicht das geringste 
zu tun, ebensowenig mit einer anderen der bisher bekannten Sprach- 
gruppen Südamerikas. Vielmehr bilden alle diese Dialekte, deren 
zahlreiche Vertreter ein weites Gebiet besetzt halten, eine neue sprach- 
liche Einheit, der ich den Namen Uitoto-Gruppe gegeben habe. 

In ihrem Äußern unterscheiden sich die Uitoto wesentlich von 
ihren Nachbarn. Es sind durchschnittlich kleine, wenn auch wohl- 
proportionierte Leute mit rohen Gesichtszügen und dunkler Hautfarbe. 
Hervorragend ist ihre Intelligenz und Schlauheit. Manche tragen, 
ebenso wie die Kauyari am mittleren Apaporis, breite Ohrpflöcke, so 
daß die Ohrläppchen bei einigen bis auf die Schultern herabhängen ; 
doch verschwindet diese Sitte allmählich. Bisweilen nehmen sie den 
Pflock heraus und hängen den Zügel über die Ohrmuschel. 

Sie bewohnen runde Malokas von ähnlicher Bauart wie am Apa- 
poris. Kulturell stehen sie weit hinter den anderen Stämmen dieser 
Gegenden zurück, die auf sie mit Haß und Verachtung herabsehen. 
Die Hianakoto bezeichneten mir die Uitoto geradezu als „Maku*. 
Vielleicht haben wir auch sie als Reste einer ursprünglicheren Be- 
völkerung anzusehen. 

Ein eigenartiger Brauch der Uitoto ist das Tabak schlecken. 
Sie kochen Tabakblätter mit Wasser zu einer sirupdicken Masse, die, 
in Blätter gewickelt, aufbewahrt und in dieser Verpackung auch anderen 
Horden übersandt wird. Abends sitzen die Männer in der Maloka 
zusammen, kauen Coca und besprechen die Geschäfte des folgenden 
Tages. Wird über irgend etwas Wichtiges, einen Kriegs- oder Jagd- 
zug und dergleichen, beraten, so hocken sie um einen Topf mit Tabak- 
sirup und genießen von Zeit zu Zeit davon, indem sie Zeige- und 
Mittelfinger in die Masse tauchen und abschlecken. Hat jemand von 
dem Tabak genossen, so gilt dies gleich einem Schwur; er ist ver- 
pflichtet, alles mitzumachen, was beraten und beschlossen wird. Auch 
die Miranya haben diesen Brauch. 

Die Trommelsprache scheint bei den Uitoto sehr ausgebildet 



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Sigualtrommcln 



393 



zu sein und wird von den Kautschuksammlern zu ihren Zwecken 
benutzt. Die Trommeln sind ebenso gearbeitet wie am Caiary, finden 
sich aber stets paarweise nebeneinander, eine große und eine kleinere 
mit verschiedenen Tonlagen, „Männchen* und „ Weibchen", wie die 
Indianer sagen. Sie werden mit zwei Kautschukschlegeln bearbeitet 
und dienen, außer als Tanzinstrumente, hauptsächlich zum Signalisieren 
in weitere Entfernung. Je nachdem die Indianer die Schläge rasch 
oder langsam aufeinander folgen lassen, je nachdem sie bald hellere, 
bald dumpfere Töne anschlagen, können sie Uber alles mögliche Nach» 
rieht geben, ja ganze Gespräche halten. Wenn z. B. ein Dampfboot 
ankommt, „telephonieren" sie dies sofort mit allen Einzelheiten in die 
nächsten Malokas, die die Meldung weitertrommeln, so daß in kurzer 
Zeit das ganze Gebiet davon unterrichtet ist. Sie beschreiben damit 
einen neuangekommenen Weißen; sie benachrichtigen die Stammes- 
genossen, an einem bestimmten Tag Kautschuk zu bringen; sie laden 
mittels der Trommeln zu ihren Festen ein. 

Fehlen den Uitoto diese großen Signaltrommeln, z. B. auf der 
Reise, so verfertigen sie rasch, um etwa zwei Stunden weit signali- 
sieren zu können, folgenden kleinen Apparat: Sie graben ein sauberes, 
viereckiges Loch, nur wenig länger als breit (ca. 80 cm) und 40 bis 
50 cm tief, in den Erdboden. Dann schneiden sie zwei Hölzer, gleich 
dick, so daß man sie mit beiden Händen umspannen kann, und gleich 
lang (ca. 90 cm), und flachen sie an einer Seite etwas ab. An dieser 
flachen Stelle höhlen sie je eine glatte, gleich lange, aber verschieden 
breite und tiefe Rille aus, die nicht bis zu den Enden der Stöcke reicht. 
Auf die kürzeren Ränder des Erdloches werden nun leicht zusammen- 
gebundene Strohbüschel gelegt und auf diese die beiden Hölzer mit 
der Rille nach unten, so daß sie beinahe das ganze Loch bedecken. 
Sie werden mit zwei einfachen Stöcken aus hartem, schwerem Holz in 
derselben Weise geschlagen wie die großen Signaltrommeln. 

Auch Miranya ist ein Sammelname, mit dem eine Anzahl 
unter sich oft feindlicher Stämme mit sehr verschiedenen Sprachen 
zwischen Caqueta und Putumajo bezeichnet wird. Als ihr Zentrum 
gilt der Rio Cauinary, ein rechter Nebenfluß des mittleren Yapura- 
Caqueta. Dort hausen sie in größerer Anzahl und in zahlreiche 
kleinere Horden zersplittert, gehaßt und gefürchtet von den Nachbar- 
stämmen und den Kautschuksammlern. 

Die hiesigen Miranya gehören einer Horde an, die sich selbst 
Imihitä nennt. Eine Wörterliste ihrer rauhen, gutturalen und häß- 
lich breiten Sprache kommt nur unter den größten Schwierigkeiten 



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394 



Miranya- und Kueretu-Indiancr 



zustande, zumal die Leute erst vor kurzem aus ihren Wäldern geholt 
worden sind und nur ihr eigenes Idiom kennen. Es sind kräftige, 
wohlgebaute Leute von durchschnittlich dunkler Hautfarbe mit breiten, 
rohen Gesichtern, die bisweilen noch durch Pflöcke oder runde Muschel- 
schälchen in den durchbohrten Nasenflügeln entstellt werden. Dieser 
merkwürdige Schmuck, der auch bei einigen Uitoto-Horden im Gebrauch 
ist, scheint bei den Miranja, die schon mit Europäern in Berührung 
stehen, im Schwinden zu sein. Hier sieht man ihn nur noch bei wenigen 
Individuen in kleinem Maßstab, während zur Zeit des deutschen Reisenden 
Martius vor fünfundachtzig Jahren besonders die Weiber es in dieser 
Eitelkeit so weit trieben, „daß manche die Ringe der Nasenflügel über 
die Ohren stülpen mußten, damit sie nicht schlaff herabhingen Auch 
die Nasenscheidewand ist durchbohrt. Das Haupthaar wird von 
Männern und Weibern lang getragen. Einige Männer haben auf den 
Armen dieselben runden Ziernarben eingebrannt, wie ich sie bei den 
Tuyuka und anderen Stämmen des Caiary gesehen habe (vgl. S. 203) 1 . 

Eines Tages kommt der am ganzen mittleren Yapura berüchtigte 
Opaina-Häuptling Manduca oder Matiri zu Besuch, der bei den Colom- 
bianern in großem Respekt steht, und dem sie verschiedene Mordtaten 
zuschreiben. In seiner Begleitung befindet sich der Kueretu Tomas. 
Beide haben lange Zeit in brasilianischen Ansiedlungen gelebt und 
haben ein stolzes Auftreten. Sie wohnen, von ihren Stämmen getrennt, 
an einem kleinen rechten Nebenfluß des Yapura, kurz oberhalb der 
Mündung des Apaporis, wo sie mit Indianern aus verschiedenen Stämmen 
auf eigene Rechnung Kautschuk ausbeuten. Der Kueretu, ein sehr 
intelligenter Mensch, der außer seiner Sprache mehrere andere Idiome 
(Yahuna, Yukuna, Miranya usw.), Lingoa geral und Portugiesisch 
beherrscht, ist mir bei den Sprachaufnahmen eine ausgezeichnete Hilfe. 

Die Kueretu, die unter dem Namen Coretus im achtzehnten 
Jahrhundert neben anderen Stämmen des Yapura vielfach in die 
Ortschaften am unteren Rio Negro verpflanzt wurden, leben nur noch 
in geringer Anzahl am Rio Caritaya, einem rechten Zufluß des Miriti- 
Parana. Ihre Sprache gehört der Tukanogruppe an. Die Weiber der 
Kueretu und ihrer Nachbarn, der Aruakstämme Yukuna und Matapy, 
verfertigen feine, polierte Tonwaren in schwarzer und roter Farbe, 
besonders prächtige Schalen von verschiedener Größe. 

1 Über die Uitoto, Miranya and andere Stimme zwischen Caqueta und Potu- 
mayo hat der englische Reisende Thomas Whiffen inzwischen ein inhalts- 
reiches Buch veröffentlicht: The North- West Amazon». Notes of some inonths 
spent among cannibal tribes. London 1915. 



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Häuptling- Matiri 



3^5 



Für einen einläufigen Vorderlader, Pulver und Schrot als Voraus- 
bezahlung verspricht mir Matiri, vier vollständige Tanzmaskenanzüge 
der Opaina durch einen Mann, der mich auch weiter begleiten soll, 
in das Haus Cecilio Platas zu schicken. 

Am 14. April fährt Tomas Prata mit seiner ganzen Mannschaft 
in mehreren großen, schwerbeladenen Booten Apaporis aufwärts. Vom 
oberen Hafen knattern zum Abschied ihre Schüsse. Berner bleibt mit 
einem fieberkranken Colombianer und einigen Miranya allein zurück. 
Die Yahuna und Buhagana, die mich hierher gebracht haben, und 
die Prata gern als Ruderer mitgenommen hätte, haben sich eines 
Nachts heimlich davongemacht. Ich kann es ihnen nicht verdenken. 




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XXV. Kapitel 

Zum Amazonenstrom und 
heimwärts 

Am 16. April knattern abermals fried- 
liche Schüsse. Es ist unser letzter Abschieds- 
gruß an Ernst Berner 1 . „La Libertad" ist 
hinter einer Flußbiegung unseren Blicken 
entschwunden. 

Wir haben nur einen Yahuna be- 
kommen können, der mein Boot steuert; 
Schmidt fährt allein mit dem größten Teil 
des Gepäcks in unserem langen Kanu. 
Nicht weit unterhalb der Ansiedlung kommt 
der Apaporis dem Hauptstrome sehr nahe. 
Ein kurzer Pfad fuhrt hinüber. Wir früh- 
stücken an der Mündung des Tariira- 
Parana, eines breiten linken Zuflusses mit 
schwarzem Wasser, der nach den Angaben 
der Indianer in seinem Oberlauf durch 
einen Fußpfad von drei Tagen mit dem 
Ira-Parana in Verbindung steht. Man 
treffe dort viele Maku, die von den Yahuna 
Usi genannt werden und bei den anderen 
Stämmen sehr gefürchtet sind. Wir haben 
von ihnen schon am Tiquie" gehört (vgl. 
S. 155). Sämtliche linken Zuflüsse des 
unteren Apaporis und die Seen, die mit 
dem Fluß in Verbindung stehen, haben 
schwarzes Wasser. Daher kommt es, daß der Apaporis nahe seiner 
Mündung, wo er eine Breite von 350—400 m hat, eine dunkle Färbung 
annimmt und auf manchen Karten als Schwarzwassertluß verzeichnet ist. 

Es herrscht schon völlige Dunkelheit, als wir bei leichtem Regen 
in den Yapura einfahren und bald darauf die Ansiedlung Narino, 
das Besitztum des Colombianers Cecilio Plata, erreichen 8 . Schmidt 
kommt erst spät in der Nacht an. Wegen des heftigen Windes hat er 
mehrmals unter das Ufergebüsch flüchten müssen und ist nur mit 
knapper Not vor dem Kentern bewahrt geblieben. 

Narino, eine Pfahlbaubaracke wie „La Libertad", liegt auf dem 

1 Kr ist bald nach unserem Besuch gestorben. 

9 Er wurde 1907 von den Yupua-Indianern aus Rache erschlagen. 



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Masken und Maskentänze 



397 



hohen und steilen linken Ufer mit freiem Ausblick über den gewaltigen 
Strom. Fern im Westen erblickt man eine blaue Kuppe, die Serra 
de Yupatj, die den ersten großen Katarakt des Yapura bildet und 
ihm den Namen gibt. In Abwesenheit des Herrn empfangt uns der 
Hausverwalter, ein Kueretu namens Faustino. Er hat sich feingemacht 
und trägt eine neue schwarze Hose, ein weißes Leinenhemd, eine 
sch warzseidene Mütze und — Zugstiefel. Schon vor sieben Monaten, 
so erzählt er mir, wußte man hier durch das natürliche Telephon von 
Mund zu Mund, daß ein „Dotoro" mit großem Gepäck am Caiary 
reise, Tanzschmuck und andere Sachen für schöne, große Waldmesser, 
Äxte usw. kaufe und später über Land zum Yapura kommen würde. 
Lebensmittel können wir nicht erhalten. Die Pflanzung ist noch jung 
und liefert keine Früchte. Die Leute leiden selbst Hunger. Über 
Nacht verschwindet eine Büchse Konserven aus unserem geringen 
Vorrat. Soweit hat man es schon in der europäischen Kultur ge- 
bracht! — Als Leckerbissen verzehrt man hier dicke, weiße Käferlarven 
bei lebendigem Leib, die man aus einem Palmstamm bohrt. Regen- 
würmer esse man nicht am Yapura, sagt Faustino. Am Caiary werden 
auch diese gegessen. 

Mein Opaina ist schon seit drei Tagen hier und hat sechs Masken, 
buntes Tongeschirr, einen prachtvollen Tanzstab und zwei Signaltuten 
mitgebracht. Vier von den Masken ähneln denen vom Dyi-Igarap6, 
sind aber viel feiner gearbeitet. Die zylindrischen Kopfaufsätze nebst 
den „Ohren" sind aus sehr leichtem Holz verfertigt und bunt bemalt. 
Der Kopfüberzug und die Armeljacke bestehen aus rotem Baststoff, 
der lange Behang aus gelben Baststreifen. An das Ende des Kopf- 
überzuges, das durch ein viereckiges Loch des Zylinders gesteckt wird, 
bindet man einen langen, mit weißen Baststreifen umwundenen Stab 
aus Palmmark, den „Zopf", der unten am Ring des Behanges befestigt 
wird. Schwarzgefarbte Baststreifen, die am Ende dieses Zopfes ein- 
gebunden sind, sollen das Haar vorstellen. Der Tänzer faßt mit beiden 
Händen einen Teil des Behanges, hebt ihn ein wenig hoch und springt 
hin und her, indem er den Oberkörper vor und zurück wirft und sich 
rasch dreht, so daß der übrige Behang fast wagerecht steht. Er 
begleitet den Tanz mit einem wilden Gesang. Je nachdem die Ohren 
eine runde oder viereckige Form haben, gehören die Masken paarweise 
zusammen. Sie stellen böse Waldgeister dar, Mann und Frau 
(Taf. XII). 

Die beiden anderen Masken sind von diesen sehr verschieden. 
Nur Jacke und Behang sind die gleichen. Den Kopf bedeckt eine 



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398 



Auf dein Tapura 



Kappe aus rotem Baststoff, auf die bei der einen Maske ein bunt- 
bemaltes menschliches Fratzengesicht aus Pech geklebt ist. Das obere 
Ende der Kappe ist mit einem Band aus gelbem Bast zu einem Zopf 
umwickelt, der in schwarz gefärbte Baststreifen, die .Haare", aue- 
geht. Auch diese Maske stellt einen männlichen Dämon dar (Abb. 
S. 395). Die andere Maske derselben Art stellt die Wasserjungfer 
dar. Die dicken, runden Augen des Insektes, bunt bemalte Pech- 
klumpen, treten stark hervor. Darüber erhebt sich der schlanke Leib, 
die ebenfalls mit buntbemaltem Pech überzogene, lange Spitze der 
Bastkappe. Bei der Vorführung eines Tanzes geht der Dämon, eine 
Stange schulternd, mit langen Schritten unter Gesang hin und her. 
Die Wasserjungfer tanzt in derselben Weise wie die Masken mit den 
Holzaufsätzen oder hockt stumpfsinnig auf einem Schemel. Außer 
bei den oberen Yahunastämmen finden sich alle diese Masken auch 
bei den Yukuna, Matapy und Kueretu. 

Die Masken und Maskentänze scheinen sehr mannigfaltig zu sein. 
80 gibt es einen Tanz der großen Fledermaus, einen Schmetterlings- 
tanz, einen Kolibritanz mit sehr kleiner Maske und noch viele andere. 
Die Melodien erinnern, auch im Rhythmus und Refrain, an die Masken- 
gesänge der Kobeua; aber die Maskentänze finden hier nicht aus 
Anlaß eines Totenfestes statt, wie am Caiary und Aiary. 

Von den beiden Signaltuten ist die eine in der Form eines sich 
nach oben verjüngenden Hohlzylinders aus sehr leichtem Holz verfertigt 
und mit bunten Mustern bemalt. Die andere, aus Ton gebrannt, wird 
durch ein seitliches Loch geblasen und trägt rote Bemalung auf dem 
natürlichen grauen Grunde (Abb. S. 405). 

Wir treffen in der Ansiedlung außer Yahuna und Yupua einige 
Miranya, drei Männer und eine Frau, von einer Horde, die am Abiu- 
Parana, einem Zufluß des Cauinary, wohnt. Ihre Sprache stimmt 
bis auf geringe dialektische Unterschiede mit dem Imihitä überein. 
Erst nach längerem, komischem Bemühen verstehen sie, was ich will. 
Als ich nach dem Wort für „Zunge" frage und dabei auf meine Zunge 
zeige, halten sie dies anfangs für einen gelungenen Scherz und strecken 
ebenfalls ihre Zungen weit heraus. 

Der Yapura, auf dem wir am 18. April weiterfahren, ist infolge 
des fortgesetzten Regens in den letzten Tagen sehr gestiegen und 
strömt stark. Er hat schon hier eine mächtige Breite und macht auf 
uns, die zwei Monate lang nur schmale Flüsse und Waldbäche ge- 
sehen haben, einen überwältigenden Eindruck. Seine unendlich langen, 
geraden Strecken nach Osten, bei denen man den freien Horizont 



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Altes Urnenfeld 



sieht, erwecken die Sehnsucht nach dem Meer und der fernen Heimat, 
die dahinter liegt, wirken aber auch außerordentlich ermüdend, wenn 
man sie in glühender Mittagshitze durchrudern muß. Eine Uberfahrt 
über den breiten Fluß, der von zahlreichen großen Inseln durchsetzt 
ist, so daß man selten beide Ufer zugleich sieht, ist wegen der plötz- 
lichen Stürme, die sich häufig vorher kaum anzeigen, für kleine Fahr- 
zeuge äußerst gefährlich. Wie der untere Apaporis, so empfangt auch 
der Tapura auf der linken Seite nur Zuflüsse mit schwarzem Wasser. 
Daher rührt die merkwürdige Erscheinung, daß der Fluß auf längeren 
Strecken links dunkles , rechts weißes Wasser führt. Die Ufer sind 
meistens einförmig flach. Selten sehen wir während der ersten Tage 
landeinwärts niedrige Kuppen und Höhenzüge, die am Unterlauf gänz- 
lich fehlen. An einigen Stellen steigt das rechte Ufer in hohen Lehm- 
wänden empor. Auf beiden Seiten erstrecken sich zahlreiche große 
Seen. Weit und breit kein menschliches Wesen. Nur das ununter- 
brochene Heulen der Brüllaffen, die in starken Banden alle Inseln 
bevölkern, begleitet uns auf der einsamen Fahrt Wahrscheinlich sind 
sie während des Hochwassers auf Treibholz dorthin geführt oder auch 
durch neue Arme, die der heftige Strom beständig bildet, vom Fest- 
land abgeschnitten worden. Zahlreich sind die wilden Kakaobäume. 
Die gelben Früchte von der Größe eines kleinen Kürbisses treten 
unmittelbar aus dem Holz hervor und enthalten bohnenähnliche, rot- 
braune Samen in einer weißen, schleimigen, süß-sauren Masse, die, in 
Wasser aufgelöst, einen erfrischenden Trank liefert. 

Mehrmals kommen wir an früheren indianischen Wohnstätten vor- 
über. Eine Maloka im Apaporis-Stil auf dem rechten Ufer ist ver- 
lassen aus Furcht vor den Colombianern , die am Cauinary viele 
Miranya erschossen hätten. Auch auf dem linken Ufer haben Miranya 
gewohnt. Sie sind gestorben oder verzogen. An einer anderen Stelle 
auf dem rechten Ufer hat ein Miranya-Häuptling eine große Maloka 
mit vielen Leuten gehabt. Alle sind gestorben. Gegenüber liegt die 
Wüstung eines Brasilianers. Die Miranya haben ihn mit der Axt 
erschlagen, weil er sie hat auspeitschen lassen. 

Eine Tagereise von der Mündung des Apaporis flußabwärts findet 
sich auf dem linken Ufer ein Urnenfeld aus uralter Zeit. Leider ist 
der Platz jetzt vom Wasser bedeckt. Als der Fluß seinen niedrigsten 
Stand hatte, sei das Ufer durch die Strahlen der Sonne abgebröckelt 
und habe viele Töpfe und übereinandergetürmte Schalen aufgedeckt. 
Dann sei die Uferwand nachgestürzt und habe alles in kleine Scherben 
zerschlagen. Der Opaina-Häuptling Matiri besitzt, wie ich jetzt zu 



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400 



Gurupa, die erste brasilianische Ansiedlung 



spät erfahre, yier wohl erhaltene Urnen. Zwei andere habe sein kleiner 
Sohn zerbrochen. Am oberen Tapura gäbe es einen zweiten Fund- 
ort solcher alten Gefäße. Nach der Beschreibung meiner Ruderer 
sind die meisten davon tiefe, reich mit Mustern verzierte Schalen. 
Viele tragen anscheinend am Rande die hockende Figur eines Affen 
oder Menschen, die den Kopf gebeugt hält und die Hände auf die 
Knie stutzt. 

Am 20. April kommen wir zu der ersten brasilianischen Ansied- 
lung Gurupa auf dem rechten Ufer. Von dem Besitzer Manuel Francisco 
de Macedo werden wir trotz unseres schmutzigen und zerlumpten 
Zustandes freundlich aufgenommen. In seiner Frau, einer Peruanerin, 
lernen wir eine gebildete Dame kennen, die ihrem Gatten die Bücher 
und Korrespondenzen fuhrt, was in diesem Hinterlande eine große 
Seltenheit ist Wir werden glänzend bewirtet. Es ist der erste Licht- 
blick wirklicher Kultur. Der sympathische Mann, der so unterhaltend 
plaudern kann, das junge, hübsche Frauchen, drei nette, sauber geklei- 
dete Kinder, auf einem Nebentisch ein Buch mit rotem, goldgepreßtem 
Einband, in dem die Dame des Hauses gerade gelesen hatte, bei Tisch 
feine Bestecke, ein blendend weißes Tischtuch, ebensolche kleine Ser- 
vietten, die, geschmackvoll zusammengefaltet, neben jedem Gedeck 

liegen alles im Festgewand, in Sonntagsstimmung! Wir erfahren 

erst jetzt, daß man Gründonnerstag feiert. Die christliche Zeitrech- 
nung ist uns ganz abhanden gekommen. 

Beim Bau des Wohnhauses hat Macedo mehrere Urnen und Stein- 
beilklingen gefunden, wie auch in Taboca am unteren Yapura, wo er 
früher wohnte. Leider besitzt er nichts mehr davon. — Er beklagt 
sich bitter über die Regierung, die den Yapura ganz vergessen habe. 
Seit Monaten warte er vergeblich auf ein Dampf boot, um seinen 
Kautschuk loszuwerden. 

Der Yapura ist ein reicher Fluß. Die Ufer sind voll Wild, die 
Gewässer voll Fische und Tartaruga-Schildkröten , die Wälder voll 
von Kautschukbäumen, Amazoniens Reichtum. An Lebensmitteln 
fehlt es nicht, und das Geld liegt, wie man sagt, auf der Straße, 
aber — es fehlen menschliche Hände, die Schätze zu heben. Es macht 
einen traurigen Eindruck, wenn man an manchen Strecken von zwölf 
Fahrstunden, besonders in den langen Flußarmen unterhalb Gurupa, 
zwanzig bis dreißig verlassene Wohnstätten passiert, wenn man hört, 
welcher rege Verkehr noch vor wenigen Jahren hier herrschte, und 
wenn man jetzt tagelang fahren muß, um von einer der spärlichen 
Ansiedlungen zur anderen zu gelangen. Mögen auch manche dieser 



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Guariua-Inrtianer 404 

Wohnplätze wegen der furchtbaren Sumpffieber aufgegeben sein, die 
im Übergang der Jahreszeiten den Tod bringen, so liegt doch haupt- 
sächlich der Grund zu dieser Verödung in dem Mangel angeeigneten 
Verkehrsmitteln, um die in saurer Arbeit erworbenen Schätze auf den 
Markt zu bringen. Die Schiffahrt ist gleich Null. Die früher hier 
so zahlreichen Eautschuksammler haben sich zurückgezogen, um an 
besser bedachten Flüssen, wie Purus, Jurua, Javary u. a, ihr Heil 
zu versuchen, und der Urwald tritt wieder in sein altes Recht. 

Wir machen jetzt starke Tagereisen und benutzen die klaren und 
ruhigen Mondnächte zur Fahrt. Am 21. April kommen wir bei Morgen- 
grauen an der Mündung des Rio Pure vorüber, eines • breiten rechten 
Nebenflusses mit schwarzem Wasser. Er ergießt sich in einen Arm 
des Yapura. Der Pure* habe erst in seinem Quellgebiet, das man in 
einem Monat Kanufahrt erreichen könne, Stromschnellen. Dort wohnten 
Yu r i und Passe. Der Fluß teile sich in zwei Quellarme, von denen 
der eine von Westen, der andere von Norden komme. An dem ersteren, 
der durch einen kurzen Pfad mit einem Zufluß des Issa in Verbindung 
stehe, hausten die Yuru-pischuna (Schwarzmäuler), wie sie wegen 
ihrer schwarzen, den Mund einschließenden Stammestatauierung genannt 
werden, eine Unterabteilung der Yuri. Der andere Quellfluß sei das 
Gebiet der Uainuma, die sehr wild seien und mit den Passe in 
beständiger Fehde lägen, wobei sie sich vergifteter Lanzen bedienten. 
Alle diese Stämme seien zahlreich. Sie hätten große Signaltrommeln 
und, ebenso wie die Tukuna, die südlich von ihnen wohnten, ver- 
schiedenartige Masken und Maskentänze. An der Mündung des Pure 
liegt eine Hütte der Yuri und nicht weit davon entfernt eine Hütte 
der Passe, beide leider verlassen. 

Wir schlafen nie auf dem linken Flußufer, da meine Indianer 
große Angst haben vor den wilden Guariua (Brüllaffen-Indianern), 
die anscheinend in beträchtlicher Anzahl die Nebenflüsse zur Linken 
bewohnen und in friedlicher Absicht nie von einem Weißen besucht 
worden sind. Bisweilen kommen sie aus ihren Schlupfwinkeln hervor, 
um die Ansiedlungen auf dem rechten Ufer zu überfallen. Mehrmals 
am Tage macht mich mein Yahuna während der Fahrt auf solche 
unheimlichen Plätze aufmerksam, wo sie Häuser ausgeraubt und ver- 
brannt, die Bewohner getötet oder Weiber und Kinder in die Gefangen- 
schaft geschleppt hätten. Natürlich spielt auch hier die Gegenseitig- 
keit eine große Rolle. Im Jahre 1904 plünderten sie eine Hütte, die 
Macedo auf dem linken Flußufer besaß, und verbargen das Boot, das 
dabei lag. Als Warnungszeichen ließen sie einen Pfeil im Boden 

Koch-GrUuberg, Zwei Jahre bei den Indianern 26 



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4<>2 



I ndianerüberläll 



stockend zurück, eine Art Kriegserklärung. Macedo machte damals 
mit Cecüio Plata und dem Häuptling Matiri einen Streifzug gegen 
sie. Er brauchte fünf bis sechs Tage durch den Wald, um zu ihren 
Wohnsitzen zu gelangen. Zuerst gingen die Spuren nach Nordosten, 
dann weit nach Norden. Bei dieser Gelegenheit sollen acht Guariua 
gefallen sein ; Matiri habe einen getötet. 

Die Guariua beschrieb man mir als große und kräftige Leute 
Ton sehr lichter Hautfarbe. Sie hätten große, sorgfältig bebaute 
Pflanzungen und bewohnten geräumige Giebelhäuser, deren Dächer 
bis auf die Erde reichten. Ihre Kanus seien aus Baumrinde gearbeitet. 
Als Waffen gebrauchten sie riesige Bogen und Pfeile mit vergifteten 
Palmholsspitsen. Ein Ansiedler, dessen Haus sie vor Jahresfrist an- 
gegriffen haben, schenkt mir drei eigenartige Giftpfeile, die ersten 
Belegstücke für die Existenz dieses interessanten Stammes, dessen 
ethnographische Stellung noch völlig im Dunkel liegt. 

Man spricht hier viel von einem kecken Überfall, den die Guariua 
im Februar am hellen Mittag auf die Ansiedlung Altamira am rechten 
Ufer gemacht haben. Die Bewohner waren gerade beim Essen, da 
erschienen plötzlich die gefürchteten Wilden, ein halbes Dutzend Männer, 
an der Türe des einen Hauses und schössen sofort einige Pfeile hinein. 
Ein Pfeil durchbohrte eine Hängematte, und ein kleines Kind, das 
darin schlief, entging wie durch ein Wunder dem Tod. Die langen 
Spitzen der Pfeile waren frisch mit Gift bestrichen, das schwarz an 
den Schnüren der Hängematte haften blieb. Ein Ansiedler schoß seine 
Büchse auf die Indianer ab, die schleunigst in den Wald entflohen 
und in der Eile zwei kleine Mädchen zurückließen. Ich sah die Ge- 
fangenen später, leider nur vorübergehend. Sie wurden von den An- 
siedlern gut behandelt, waren aber sehr scheu und sprachen kein Wort. 
Ihre auffallend helle Hautfarbe ähnelte der eines Südeuropäers. — 
Die Angreifer waren ganz nackt und hatten das Glied an der Hüft- 
schnur hochgebunden. Eins ihrer Ruder war ans einem gespaltenen 
Paschiubastamm mit dem Messer für den einmaligen Gebrauch roh 
zurechtgehauen. Das Blatt war kaum sichtbar. Zur Uberfahrt über 
den breiten Fluß hatten diese Indianer einfach ein Stück Rinde benutzt, 
auf dem eine ganze Anzahl von ihnen Platz fand. Für ihre Uberfalle 
wählen sie gewöhnlich den Beginn der Regenzeit. 

Ich möchte bezweifeln, daß sich der Überfall auf Altamira so 
abgespielt hat, wie es die Brasilianer erzählten. Wahrscheinlich sind 
die Indianer in friedlicher Absicht gekommen; sonst hätten sie keine 
kleinen Kinder mitgenommen. In diesen Gegenden, wo zwischen 



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Ein Dampfboot 



403 



Weißen und Indianern gewissermaßen ein fortgesetzter Kriegszustand 
herrscht, ist der Weiße nur zu leicht geneigt« auf jeden fremden 
Indianer, der plötzlich aus dem Walde hervortritt, Feuer zu geben, 
was dieser dann mit seinen Giftpfeilen vergilt. 

Ich glaube auch, daß die Guariua bisweilen den anderen unter- 
worfenen Stämmen als eine Art Sündenböcke dienen müssen, auf die 
sie alle schlechten Streiche abladen. Vor einigen Jahren wurde das 
Haus eines Brasilianers in seiner Abwesenheit angeblich von Guariua 
niedergebrannt. Der Eigentümer sei ein grausamer Mann gewesen 
und habe seine Miranyasklaven häufig ausgepeitscht! 

Die Guariua werden am Yapura, obwohl sie ansässig sind, ge- 
wöhnlich Maku genannt. Sie haben jedoch sicherlich nichts zu tun 
mit den nordöstlich von ihnen streifenden Maku des Rio Negro-Gebietes, 
mit denen sie in erbitterter Feindschaft leben, und ebensowenig mit 
den Maku, die bisweilen am linken Ufer des unteren Yapura er- 
scheinen und einige Zeit im Dienste der Ansiedler arbeiten. 

Am 23. April passieren wir die Mündung des Mapary, eines rechten 
Nebenflusses, der ebenfalls schwarzes Wasser führt. Er bildet wenig 
landeinwärts einen großen See, an dem fünf Malokas derKaiueschana 
oder Kauischana, eines Aruakstammes, liegen. Auch am Yapura 
haben diese Indianer einen Hafen, von dem ein Pfad in mehreren 
Stunden zu ihren Niederlassungen führt. Ein paar schlanke Einbäume 
liegen dort. Die Hauptmasse des Stammes wohnt noch in den alten 
Sitzen am Rio Tonantins und im Gebiet des Issa. 

Die Nacht verbringen wir an der Mündung des Acunauy-SeeB, 
der sich auf der rechten Seite weit ins Land hinein erstreckt. Sein 
Gestade hat sechsundachtzig Jahre vorher (24. Dezember 1819) auch 
der Expedition Martius als Lagerplatz gedient. Von Zeit zu 
Zeit hören wir vom See her einen lauten Schall, ähnlich einem Pistolen- 
schuß oder dem Knall einer großen Peitsche. Die Indianer erzählen, 
daß dort eine riesige Schlange ihr Wesen treibe, die die Kanus auf 
den Grund ziehe und die Mannschaft verzehre. — Ich kann mir die 
seltsame Erscheinung nicht erklären. 

Die Ansiedlungen werden nun häufiger, Wohnplätze brasilianischer 
Kautschuksammler, die aus wenigen Häuschen und Hütten bestehen, 
aber wohlklingende Namen führen, Santa Fe, Sao Sebastiilo, Floresta, 
Born futuro usw. Bei einer Ansiedlung treffen wir ein Dampfboot 
aus Teffe, dessen Führer, Angestellter eines dortigen Hauses, sich als 
ein alter Bekannter Schmidts aus Espiritu Santo entpuppt. Es ist 
ein Händler, der an den Flüssen den Kautschuk aufkauft, um ihn 



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404 



i 

Nach Manaos und heimwärts 



mit mehr oder weniger Gewinn an die großen Häuser in Manaos los- 
zuschlagen. 

Unsere beiden Indianer kehren von hier aus mit reichem Lohn 
in die Heimat zurück. Sie erhalten alles, was wir nicht mehr not- 
wendig brauchen, sämtliche Tauschwaren, Töpfe, Kessel, Teller, Löffel, 
die beiden Zelttücher und noch vieles andere, ein ganzes Boot voll 
Kostbarkeiten. Sie sind nun nach indianischen Begriffen reiche Leute 
und stark begehrte Heiratskandidaten; denn der Yahuna, ein junger 
Witwer , will sich , wie er mir gestanden hat , bei den Kauischana 
am Mapary ein Weib holen. Der andere ist noch Junggeselle. Er 
hat mir zwar sein Herz nicht offenbart, scheint aber ähnliche Ab- 
sichten zu hegen. — Mögen sie ihr Glück finden! — — 

Durch das unendliche Gewirr von Inseln und Armen, das gleich 
einem riesigen Netz das Delta des Yapura bildet, bringt uns das 
kleine Dampf boot am 28. April zum Amazonenstrom und nach dem 
halbindianischen Städtchen Teffe\ von wo wir mit dem brasilianischen 
Dampfer „Lauro Sodre" am 4. Mai 1905 unseren Ausgangspunkt 
Manaos glücklich erreichen. Nach herzlichem Abschied von Otto 
Schmidt, der mir in Freud und Leid treu zur Seite gestanden hat, 
fahre ich mit der „Patagonia" der Hamburg-Amerika-Linie in die 
Heimat zurück. 

Jahre sind vergangen. Wer heute in diese Gegenden kommt, 
wird ihre Bewohner nicht mehr so finden, wie ich sie hier geschildert 
habe. Der Pesthauch einer Pseudozivilisation ist über die rechtlosen 
braunen Leute hingegangen. Wie alles vernichtende Heuschrecken- 
schwärme sind die entmenschten Scharen der Kautschuksammler immer 
weiter vorgedrungen. Die harte Arbeit in den fieberschwangeren 
Kautschuk wäldern, rohe Gewalttaten, Mißhandlungen, Totschlag haben 
Tausende von Indianern dahingerafft. Die Dorfplätze veröden, die 
Häuser fallen in Asche, und von den Pflanzungen, die der pflegenden 
Hände entbehren, nimmt der Urwald wieder Besitz. — — 

Glücklich der Indianer, der in der Abgeschlossenheit seiner Wälder, 
im Schutze seiner tosenden Flüsse sein einfaches Leben verbringt, ein 
Leben reich an Freuden, aber auch reich an ernsten Pflichten, denen 
er sich gern und gewissenhaft unterzieht. Er wird noch seiner eigenen 
Hände Arbeit froh, scheut keine Mühe, auch die einfachsten Geräte 
des täglichen Lebens schön zu gestalten. Er ist glücklich in seiner 
Bedürfnislosigkeit, glücklich, weil er noch nicht den Fluch des Geldes 



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Die Weißen als „Kulturbringei" 405 

kennt. Gerät er aber in die Abhängigkeit des Weißen oder auch nur 
unter seinen fortgesetzten Einfluß, dann verkommt er meistens an Leib 
und Seele. Zu seinen angeborenen Fehlern, die neben vielen Vor- 
zügen auch jeder Naturmensch hat, lernt er noch die Laster der 
europäischen Zivilisation, die gewöhnlich nicht ihre besten Vertreter 
in die Wildnis sendet, und seine guten Eigenschaften verkümmern. — 
Was haben ihm die Europäer seit ihrem, ersten Auftreten gebracht? 
Die Herrschaft des Mammons, den Schnaps, die Syphilis, die Blattern 
und andere verheerende Krankheiten. Blut und Vernichtung be- 
gleiten den Weg des weißen Mannes in Amerika. So war es vor 
Jahrhunderten, so ist es noch heute. Eine kraftvolle Rasse, ein Volk 
mit prächtigen Anlagen des Geistes und Gemütes siecht dahin. Ein 
entwicklungsfähiges Menschenmaterial geht an der Minderwertigkeit 
europäischer Gesittung zugrunde. 




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Erklärung fremder Ausdrücke, Tier- und Pflanzen- 
namen, die im Text häufiger vorkommen, mit Angabe 
der Seitenzahl, wo etwas Näheres darüber zu finden ist. 



Barreira (sprich: bare(i)ra) = steile 

Uferwand 31 
Cachoeira (sprich: kaschne(i)ra) = 

Stromschnelle, Wasserfall 25fiff. 
Campina» = sandiger oder steiniger 

Boden mit geringer Krüppelvegetation 

32 68 306 

C a ray uru = dunkelrote, aus den Blät- 
tern der Schlingpflanze B i g n o n i a 
Chica Hamb, gewonnene Farbe zur 
Körperbemalung 341 f. 

Genipapo = blauschwarzer Saft aus 
der Frucht von Genipa aiuericana 
oder G. brasilicnsis zur Körper- 
bemalung Uli 

H o k k o = truthahngroßer Hühnervögel, 
Crax sp. , in Brasilien gewöhnlich 
Mutum genannt 31 Iii 28S 

Igarapö = Bach 

Kanu = Einbaum 882 

Kariua = Fremder, Weißer 

Ka sc hiri = leicht berauschendes Ge- 
tränk der Indianer SA f. 

Lago = See, Lagune [42 ff. 3S1 f. 

Maloka = Gemeindehaus der Indianer 



wichtigste einheimische Nutzpflanze 
332 ff. 

Miriti = Fächerpalme, Hauritia 
flexuosa, deren Blätter und Blatt- 
fasern von den Indianern zu mancherlei 
Arbeiten verwendet werden 

Montaria = Einbaum mit Borderhö- 
hung durch seitliche Plankcnanfsätze 62 

Mutum vgl. Hokko 

l'arana = Flflßchen oder Arm eines 
größeren Flusses 
. Paschiu ba = Palme, Iriartca e xor- 
rhiza, deren Holz von den Indianern 
zu Waffen, Geräten und anderen 
Zwecken verwendet wird 

Piranya = SerrasaImo, gefährlicher 

Raubfisch mit starkem Gebiß 219 
2SQ 

P i u m , plur. P i u n s = TagesstechmOcke, 
Simulium sp. M 22& 

Pupunya = Palme, Guilielma spe- 
ciosa, aus deren goldgelben Früchten 
die Indianerfrauen verschiedene Ge- 
tränke herstellen 4Q 3fi3 3Sä 



Namen- und Sachregister 



Die kurtw gedruckten Wort 
Abschicdsfeier 364 

Abschiedszeremonie fi8 114 f. 128 125 3ü3 
Affenhaarmasken 2M 241 857 f. 
Aiary. Rio 25. 82ff. 2fiff. 

Unterlauf 32 ff. 

— ~ Gebiet der Stromschnellen fififf. 
Oberlauf 82 

Ameisen, geröstete, als Leckerbissen 86 

210 214 281 
Ameisenbär 389 
Ameisenzunder 213 
Analogiezauber 316 f. 
Andoke* 224 
Angelfischerei 248 f. 
Anstandsbegriffe 81 84 161 192 1. 
Anthropophagie 223. 229 SSI 
Apaporis, Rio 37611. 
Arapaso, Korea 238 
Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau 

257 345 

Astronomie, indianische lfiQf. 333 f. 

Augenentzündung 226 

Augenkrankheit , indianisches Mittel 
gegen 71 76 

Ausdauer, indianische, in der Unterhal- 
tung 201 

Auspeitschen beim Yurupary-Fest 121 

13Q 212 f. 263 
Ausweichende Antworten der Indianer 

IM 

Backherd 835 

Badeanstalten, indianische 354 
BahoHoa 278, vgl. Bahuna 
Bahuna 21h 218 804 f. 
Ballspiel 300 
Banixca 2 23 21 



r bezeichnen Indi&nerst.tmme 

Baniwa vom Queran 267 
Bora 118 202 ff . 306 369 
Bari 3 4 228 
Barcellos, Stadt 4 

Barrigudo-Affc (Lagothrix olivaceus), 

zahmer 272 
Bastgurtel der Umaua 7J 223 228 f. 812 

— der Indianer des unteren Apaporis 38<) 
Begräbniszeremonien 103 ff. 314 
Begrütiungszeremonie 77 285 
Bemalung, Gesicht 52 102 163 183 

— Körper S2 72 110 212 

! — Hauswand 33 f. 68 70 91 271 276 
347 342 

— Hauspfosten 85 91 264 342 342 ff. 

— Masken 78 824 

! — Töpfe und Schalen 345 
Berner, Ernst 320. 325 826. 
Bialidoa 289 
Bienenstock 885 
Bifurkation 346 f. 368 
Blasrohr, Herstellung 5« f. 207 300 

— Handhabung 61 ff. 
; — und Köcher 59 

! der Buhagana 2ü2 f. 

■ — — — der Umaua 80O 

— — — Monopol und Handel mit, der 
Kauyari 800 

I Monopol und Handel mit, der 

Yukuna 882 
Blattschneide-Ameisen vgl. Ameisen, ge- 
röstete 

\ — Fang 281 

I Böoiboa, Horde der Kobtua 282 

I Bolaka, zahmer Arara 197 214 360 365 

862 316. 889 
| Bratrost 243 255 f. 



408 



Namen» und Sachregister 



Brüllaffen U7f. 899 

Brutalität der Weißen gegen die Indianer 

lfif. 89 93f. 159 IM f. 170 266 262 

280 2Mf. 282 2M 358 
Buhagana 180 203 861 365 815 37G 388 ff. 

Cabessudo-Schildkröte, Zubereitung Sl 
Caiary-Uaupes, Rio, Unterlauf 230 f. 

— — Gebiet der Stromschnellen 235 ff. 
258 ff. 282ff. 

Oberlauf 233 ff. 

Verbindungswege mit Rio Apa- 
poris 288 

Tierlebeu am oberen, 289 f. 

( ninanaos, Stromschnelle und Ortschaft 
am Rio Xegro 12 136 

Carara, Tauchervogel 31 144 Iii 322 

Carayuru, Bignonia Chica, rote Farbe 
für Körperbemalung 163 847 f. 

Caryomi (Karihona) 285 293 

Carum, Uananadorf, frühere Hission 91 ff. 
262 ff. 355 

Coca 124 f. 204 242 313 384 385 

Crcvaux, Dr. Jules 293 378 f. 

Cuduiary, Rio 213 ff. 

Oberlauf 304 ff. 

— — Bevölkerung 305 
Cuiarv, Rio 25 30 

Curare, Pfeilgift 6fiff. 208j 235 
Curicuriary, Gebirge fi 133 ff. 

— Kluß 1 37 ff. 

Cururu-cuara, ftWmaloka 34j 37 ff. 96 ff. 

Daehsäuna 311 
Dämonen, Siuai 121 f. 

— der Maskentänze 82 ff. 325 ff. 357 397 f. 
der Fruchtbarkeit 35 122 221 331 f. 

— Furcht vor 122 L48 221 
Dätuana, Horde der Yahuna 379 
Ihrnna 108 152 ff . 166 ff. 264 355 
Diebereien 369 

Diikana 202^ vgl. Tuyuka 
f>o/l 378 

Doehkafhuara 202. vgl. Tuyuka 
durchbohren der Palmnüsse, Tierzähne 
usw. zu Halsketten 16 

— des Quarzzylinders 206 1379 392 
Durchbohrung, Ohrläppchen 203 293 320 



Durchbohrung, Unterlippe 203 370 379 

— Nasenscheidewand 203 298 829 f. 394 

— Nasenflügel 394 

Dyi-Igarapo\ Zufluß des Caiary-Uaupes 

282 f. 

i — Zufluß des Pira-Parana 180 368 311 
373 375 

Ehegatten, Liebe unter 3091. 
Ehetrennung 212 

Ehrende Bezeichnung für ältere Leute 225. 
i Ehrlichkeit der Indianer 162 853 
Eigentum, Achtung vor fremdem 36 49 
159 

— der Gemeinde 257 
Einbaum, zwei Arten 382 
Eintracht der Indianer 854. 

— zwischen zwei Frauen desselben 
Mannes 128 

Eitelkeit 162 f. 
j Elternliebe 811 ff. 

Eropfangszeremonie 22 285 

Endokannibalismus 815 f. 
i Erbfolge 41 128 
I Erbschaft 104 106 
; Erdessen 151 322 382 
! Krulia 198 203 364 821 324 

Exogamie 178 309 846 

Fadenspicle 24 165 

Farben zum Bemalen der Masken 28 

— Carayuru und Urucn 342 f. 
Fasten, Abschluß der, bei Todesfall 105 

314 

bei Geburt 192 

beim Yurupary-Fest 222 f. 263 

Feindschaften, alte, zwischen Indianer- 
Stämmen 122 308 325 

Felsritzungen 21 69 f. 92 143 f. 195 239 
261 f. 262 304 liSii 

Feuerameisen 366 

Feuerfächer 835 

Firnis auf den Tonwaren 345 

Fische, Zubereitung 254 f. 

Fischfang, Angel 248 f. 

— Bogen und Pfeil 244 ff. 

— Fallen 252 ff. 

— Hamen 250. 



Namen- und Sachregister 



409 



Fischfang, Käscher 250f. 

— Parizaun 253 

— Bensen 251; 

— Speer 152 212f. 285 

— Vergiften der Gewässer 253 f. 

— Sache der Männer 232 

— Nomadenleben beim 31 122 f. 2l3f. 
331 

Frau, Begrüßungsrede durch eine 135 

— Decenz 313 

— Einfluß beim Handel 38 132 lfifif. 

— frühes Verblühen 313. 

— Gutmütigkeit 331 

— Monopol bei der Kultur und Ver- 
arbeitung der Maniok 333 ff. 

bei der Töpferei 33 IM 3Hff. 

— Stellung in der Familie IM SM 
Frauenraub, zeremonieller 111 f. 309 

— in der Sage 309 
Frauenschurz aus Bast 211 285 

— Perlenschurz beim Tanz 28 136 
Freiheit der Mädchen 302 322 
Friedhof der Uanana 231 

Frösche, indianische Leckerbissen 131 
Fruchtbarkeitsdämonen 83 122 221 331 f. 
Furcht vor Gespenstern 232 332 

— vor Zauberei 203 311 
Fußklappern 32 f. 138 

Gastfreundschaft 3Ü2 
Gastgeschenke 218 202 
Geburt 113 31Q 

— Speisevorschriften vor der 31U 

— Zeremonie nach der 123 f. 310 f. 
Geflechte, verschiedene Arten 340 ff. 
(Jeistcrfurcht 122 282 332 
(ientpaposaft zum Bemalen des Körpers 

110 163 217 
Germano Garrido y Otero Uff. 129 ff. 
360 

Gesichtsbemalung 32 102 133 183 
• üftwaffen, Lanzen 321 f. 383 

— Palmstacheln 332 

— Pfeile, große für Bogen 8 33 f. 235 

mit iö2 

kleine für Blasruhr 9 60 208 

Frenzen der Jagd- und Fischereigebictc 
122 



Grenzkommandant, schlechter 12 ff. 25 ff. 
128 

Großmütter, jugendliche 313 
Guariua 101 ff. 

Haarpflege 380f. 

Haartracht der Männer (Zopf) 202 323 
321 380 

| — der C/mawoweiber (kurz geschoren) 
293 

\ Hähänaua 276. vgl. Kobeua 

I Hängematten, verschiedene Arten 333 ff. 

Häuptlingsstäbe, Würdeabzeichen 183 

Häuptlingswürde 11 315 

Halsketten 75_f 38Ü 

Handel mit den Indianern 33 132 ISO 
216 226 

— der Indianer unter sich 79 121 278 f. 222 
Handzeichnungen der Indianer 25 221 

299 f. 
Harpunenpfeil 216 f. 

Haus, Gemeindehaus, Maloka 12 ff. 308 f* 
331 f. 

— verlassenes, wegen Todesfall 289 
Hausschmuck 312 ff. 

Haustiere, gezähmte Tiere 158 161 197 

231 273f. 312 363 383 
Hautkrankheit 26 19 f. 162 281 
Heiligenfeste 8 ff. U 223 ff. 
Heirat 111 f. 308 f. 
Heiratsalter, frühes, der Frau 162 
Hianakoto, Horde der Umaua (Karaiben) 

283 222 298 ff. 322 391 

— körperliche Beschaffenheit 293 

— Tracht 223 
Hochzeitsfest 107 ff. 
Höhlen 303 306 f. 
Hölötta 223 303 305 302 f. 
Hömänihikö, Stammesheros der Kofmia 

309 319 ff. 

Hokko, Hühnervogel, Crax sp. , ver- 
schiedene Arten 111 289, vgl. Mut um 

Huaiana 323 879J vgl. Opaina 

HUftschnur ohne Schambinde bei kleinen 
Knaben 231 

Hütten, schlechte, der Maku 132 f. 

üuhuUni 32 ff. 32 ff. 113. ff. 124 f. 

Humor der Indianer 133 



41(1 



Namen- and Sachregister 



IhoOdouö 285 f. 802 
Imihitä, Horde der Miranpa 393 398 
Indianer-Inspektor Antonio (Rio Issana) I 
25 28«. 127 f. 

— Antonio (Rio Tiquie) 182 ff. 332f. 

— Diogo (Rio Issana) 22 f. 80. 122 

— Raphaelo (Rio Issana) 28 f. 
Indianerfamilie auf Reisen 290 f. 
Indianermarsch 76, 241. 21Ä 
Indianernamen Ufif. 311, vgl. Namen 
Intelligenz der Indianer Süß 

Ipanore, roWo/iadorf, frühere Mission | 

ms. 

lpeka 29 lÜß 

IsBana, Rio IS 10 12 ff. 126 ft. 

lua pischuna, .schwarze Früchte, Brühe 

aus, Erfrischungsgetränk 216 218 8Üü 
fyäipana, Stromschnelle und A'owamaloka 

am Rio Aiary 2üff., vgl. Yurupary- 

Cachoeira. 

Jagd 58 ff. 382 

Jagdhunde 82 f. 282 382 

Jararaca, Giftschlange 12fi 241 334 f . Sfifi 

Jenseits, der Siusi 105 f. 

— der Kobeua 282 815 826 

— der Maskenseelen 282 322 325 f. 
Jose, Twitmohäuptling (Bio Tiquie) 122 ff. 

215 ff. 383 

Kaapi, Zaubertrank 187, 182 ff. 2ÖQf. 211 
212 222 328 

— Wirkung IM ff. 201 

— Gefäß 120 373 

Käfer, als indianische Leckerbissen 210 
214 241 

— als Fischköder 246 

— Flügeldecken als Tanzschmuck 185 
191 

Klimme 381 

— Schmuck- 188 
Kaiutachona 403, vgl. Kauischana 
Kakao, wilder 329. 
Kalabassen, Verfertigen der 847 
Kalender, landwirtschaftlicher 16J 883f. , 
Kanu, vgl. Einbaum 

Karihona 235 293, vgl. Carijona 
Karutana 23. ff. 131 



Kaschiri, berauschendes Getränk, Zube- 
reitung S2 38 ff. 336 

— -Fest 107 ff., 155 184 ff. 900 ff. 2 m 
262 280 805 352 863 

Abschluß eines 281 

— Zeremonielles Überreichen des, 112 f. 
23Q 

Katapolitani 22ff. 122f. 
Katarakte des Rio Tiquie 195f. 214 
Kaua 32 70ff. 108 ff. 
Kauischana, vgl. Kaiuetchana 
Rauyari 300 328 892 
Keramik der iHsanastämme 23 25 f. 28 
844 ff. 

— der Uaupcsstämme 343 

— Mangel an 321 

— feine, der Kuerttu und l'ukuna 394 
Kerbhölzer 228 

Keulen zum Krieg 286 801 f. 383 

— zum Tanz 801 816 
Kinder, Abhärtung 264 

— Erziehung 122 814 

— gute Behandlung 122 314 

— große Sterblichkeit 313 

— Körpcrbemalung 813 

— Schmuck 25 313 

— Tragbinde 811 

— Hängestühlchen 311 f 

— Spiele 74, 122 

— Spielzeug 24 f. 122 314 324 35i 
Kniebänder 185 221 

Koai, Kuai, Stammvater und Dämon der 
Aruakstämme und der Kobtua 62 121 f. 
122 321 f. 

— Flöten III ff. 128. ff. 852 
hoheua 72 220 ff. 222 ff. 

— Name 223 f. 

— Sprache 22 81 224 

— Horden 275 f. 283 285 282 305 

— Frauen der Uanana 262 

Köcher für Blasrohrpfeile 5ftf. 207 f. 332 

— für große Giftpfeile 34 301 

— für Giftlanzen 322 

Köder beim Fischfang 143 245 f. 
Körpcrbemalung mit Genipaposaft 52 12 

110. 212 
Korbflechtarbeiten 840 ff. 383 
Korea, vgl. Arapaxo 



Namen- und Sachregister 



III 



Koroa 222 f. 
Krabbenfang 261 f. 

Kraftübertragung toiu Tier auf den 

Menschen 3 Löf. 
Kranken, Verlassen einet 212 
Krankenkur 22 ff. 114 182 211 2S2f. 318 
Krankenzauber mit Rassel 99 818 
Krankheitsgift, Marakaimbara 21 101 

106 f. 135 1H5 311 f. 853 862 
Kriegszüge 301 f. 361 

— in der Mythe 802 322 
Krüppel 85 162 

— Zwerg 112 

Künstliches Farben der Federn am leben- 
den Vogel 50 121 365 
Kürbisrassel beim Tanz 52 188 200. 

— bei der Krankenkur 99 318. 
Kueretu SM 897 f. 
Kulturheros 121 f. 321 f. 386 f. 
Kuraua IM 228 vgl. Yohoroa 
Kuschiita, Horde der Yahuna 319 389 

Läuseessen 86 380 f. 
La Libertad , Colombianer- Ansiedlang 
S20ff. 

Lappenbaum 155 233 36Qf. 
Leckerbissen, indianische, Ameisen 86 

210 211 281 
Käfer 210 214 241 

— — Käferlarven 391 
— Regenwürmer 897 

Lineale beim Bemalen der Masken und 

beim Zeichnen 23 221 824 
Lingoa geral 4 5 
Löhne der Ruderer 121 
Lunge, schwache, der Indianer IM 

Maccdo, Manuel Francisco de 40ü 
Mannerbund, geheimer 220 f. 
Maisbau, geringer 333 
Motu 6 8 f. 188 f. 186 ff. 142 f. 155 120 f. 

175 ff. 193 206 264 f. 268 362 355 351 

263 389 392 896 102 

— körperliehe Beschaffenheit 122 123 
355 

— Sprache 8 f. llß 355 

— Sklaven 170 f. 125 f. 193 206 

— Tagelöhner 355 



A/aA-v-Madchen als freie Weiber 116 
Makuna 879 ff. 
Malapöoua 218 
Malaria 285 291 828 
Malgeräte 23 163 

Maloka, Gemeindehaus 83 42ff. 872 381 ff. 

— Bauart am oberen Tiquie* und Yauacaca- 
Igarape 203 f. 20! 371 

am Apaporis 881 f. 

Manaos, Stadt lf. 4M 
Mandu, Oberhäuptling: der Siuti 31 40 ff. 
j Maniok, Anbau 883 ff. 

— Einernten und Verarbeiten 331 ff 
| — Mehl 835 f. 

! — Getränke 886 
| — Tunke 826. 385 
i — süße 836 f. 

— Ersatz 292 365 
Marakaimbara, vgl. Krankheitsgift 
Masken, Verfertigen 28 f. 323 f. 

— der Kaua 42 20 ff. 

— Kobrua 263 265 211 323 ff. 

— Toriana (Affenhaarmasken) 286 211 
252 f. 

-— Buhagana 205 
| — Kauyari 828 
1 — Opaina usw. 395 391 f. 

— Tukuna usw. 401 

— Verbrennen der 324 f. 

— zu Säcken verarbeitet 241 222 825 f. 

— Modelle als Kinderspielzcug 324 

— Dämonischer Charakter der 325 ff. 
-- Seelen, Jenseits der 322 325 f. 

— Tänze 29 f. 82 ff. 265 322 321 ff. 391t. 

— Herkunft und Übertragung 321 323 

— Tanzfeste in der Sage 322 

— Tiefere Bedeutung 84 f. 821 f. 

— Texte 80 822 
Maiapy 291 898 

Matiri. Opai'na-Hauptling 891ff. 399 402 
i Matten 343 381 

j — Wände, niedrige, in der Maloka 43 
381 

! Maximiano, r«*a»0-Häuptling 121 223 
3M 

I Menschenfresserei, vgl. Anthropophagie 
Menstruation, Gebräuche bei der U5 
266 352 



412 



Namen- und Sachregister 



Messiasbewegung unter den Indianern 

19 ff. 
Mialaua 280 

Mianikö töibö, Stammesheros der Kobtua 

809 82iff. 
Milomaki, Stammesheros der Yahuna 

386 f. 

Mimische Darstellungen 83t 21 322 380f. 
Miranya IM 393 f. 398 f. 

— Sprache 328 f. 398 
IftrW 152 169» vgl. Xttnoa 
Mißhandlungen der Indianer durch die 

Weißen 12 89 159 f. 188 ff. 222 261 
269 280 283 28fi 289 294 399 
Missionen, frühere 11 92 IM 152 168 
170 f. 123 221 229 f. 2S±f. 232 f. 219 
22flf. 

— Geschichte der 229 f. 

— Erinnerungen der Indianer an die 1 1 7 ff . 
168 121 

Möläua, Moskitoindianer 312 
Montaria, Boot 62 

Musikinstrumente 31 62 ff. 102 f. 119 ff. 

151 163 165 188 191 f. 198 ff. 212 ß. 

276 279 299 372 
Mutum, Baumhuhn, vgl. Hokko 
Mythe vom Stammesheros Tariana 261 

— Tukano 231 

— Kobtua 319 ff. 

— Yahuna 3M6 

Nähnadeln aus Affenknochen 23 323 
Namen, indianische U6f. 12Q 193 192 
311 888 

— Scheu, den indianischen Namen zu 
nennen 112 311 

Namengeben der Neugeborenen llfi 192 
311 

Namocoliba, /foAenamaloka 223 f. 280 
292 f. 

Narifio, Colombianeransiedlung 396 
Nebelregen Aru 226 
Xeenoa, vgl. Miriti 

Oake, Stammesheros der Tukano 
Oaliperi-dakeni 41» vgl. Sinti, Plejaden- 

indianer 
Ömöa 293 2U5 



i Ohrpflöcke, große 392 
Opaina, Horde der Yahuna 329 386 391 

897 899, vgl. Huaiana 
Orchideen 209 
Ornamentik. 312 

— menschliche Figuren 298 f. 312 849 ff. 

— Tierfignren 298 312 350 

Pädikvö, Horde der Kobtua 305 
Palänoa 198 2M 211 361 369 f. 321 
Papury, Bio 240 
i Pary-Cachoeira, Stromschnelle des Bio 

Tiquie 123 ff. 211 ff. 862 
Paschiubapalme, Mythus vom Entstehen 

der 386 f. 
Patte 401 

Pecil, Miguel 182 228 f. 
Peitschen beim Yuruparyfest 20 119 121 
277 

| Pfefferrösten 284 342f. 
Pfeilgift, vgl. Curare, Handelsartikel QQ 

208 261 382 f. 
Phallustanz der Masken 81 331 
Photographien, Interesse der Indianer für 
161 f. 

PiatokauS, Horde der Kobtua 305 
| Pialaua, Horde der Kobtua 283 
Piassabafasern 2 142 
Pinokoaliro, 7uyM*amaloka 132 198 ff. 

213 365 
Piranya, Baubtisch 249 290 
i Pira-Parana, Fischfluß 321 ff., vgl. Uaiya, 

Beziehungen der Indianer zum Tiquie 

203 211 369 321 873 
Pira-tapuyo, Fischindianer 238 f. vgl. 

Uaikana 

Pium, plur. Piuns, Tagesstechmücke, 
Simuliuin sp. 86 298 

Polygamie, Vorrecht der Häuptlinge 128 

Prophylaktische Bemalung gegen Krank- 
heit 93. 342 f. 

Prügelei bei Festgclagen 112 873 

— eheliche 112 

PubertatsgebrSuche beim Jüngling 220 
- beim Madchen 115 
; Pupunyabrühe, Erfrischuugsgetr&nk 385 

— Kaschiri aus Pnpunyapolmfrüchten 4£ 
184 363 



Namen- und Sachregister 



4±J 



Puranga-Parana 285 285 
Pure, Rio 401 

Quarzzylinder, Halsschmuck der Männer 

159 12S 205 f. 
Querary, Rio 83 262 f. 223 226 
Querflöte 54 
Quirlbohrer 28 

1 

Rauchen, frühes, der Kinder III 155 
Regenzauber 125 241 
Reibebrett für Maniok ±2 224 

— Steinplatte als Ersatz für 383f. 
Ruder, verschiedener Form 320. 

— mit Bemalung 276 

Stfra 205 
Sandflöhe §fi 164 f. 

Santa Izabel, Ortschaft und Handelshafen j 
am Rio Negro 4, vgl, Tapuru-cuara 

Säo Felippe 14 ff. 125 ff. 153 225 ff. 855 ff. j 

Säo Gabriel 12 ff. 

Säo Joaquim 14 224 f. 229 

Säo Marcellino 228 f. 

Schainschurz der Männer 34 235 221 
380 

Schikitaya, gerösteter und gestoßener 

Pfeffer 284 
Schilde, zum Kampf 385 

— zum Tanz 158 f. 212 f. 263 
Schildkröten, Jagd 242 

— Eier 250 
Schlange 112 152 f. 403 
Schlangenbiß 241 364 f. 
Schlangenmythus des Caiary-Uaupes 35fif . 
Schlauch, geflochtener, zum Auspressen 

der Maniokmasse 334 f. 
Schmidt, Otto 21522 32f. 52712588 

97 101 12Q 153 1Ü5 180 182 läl 2Ö6 

210215222225 225255250 225 ff. 

3Ü3 325 404 
Schnadahüpfeln, indianische 113 
Schnupfpulver und Schnupfgeräte 204 

384 f. 

Schreikrämpfe im Rausch 55 
Schuldsklavcnverhältnis der Indianer zu 1 

den Weißen 15 f. 
Schwangerschaft 115 510 



Schwarzes Wasser 4 152 140 155 240 

255 288 f. 524 555 355 401 
Seele, beim Schlaf und Traum 106 315 

— beim Niesen und Gähnen 31& 

— bei einem Donnerschlag 515 

— Jenseits der Siv*i 105 f. 

der Kobeua 282 315 322 

der Maskenseelen 322 525 f. 

Seengebiet des Rio Issana 31 

— des Rio Cnricuriary 144 

— des Rio Caiary-Uaupes 259 

— des Rio Tiquie 155 

— deB Rio Yapura 403 
Seifenrinde 354 

Sieb, großes, als Tisch 225 

Siebe verschiedener Art für die Ver- 
arbeitung der Maniok 324 341 f. 

Signaltrommcln 123 180 ff. 25Q 352 385 
398 401 

Signaltuten 22 155 352 f. 

Silberschmuck 52 156 128 

— Putzen des 524 

Sinn für bildliche Darstellung 45 93 269 
Sittlichkeit, hohe, der Indianer 84 303 
Sitzschemel 85 153 f. 375 
Siusi, Plcjadenindianer 32 98 ff. 82 ff. 

vgl. Oaliperi-daktni 
Soldatengreuel 12 155 158 ff. 
Spottlust der Indianer 183 
Sprachaufnahmen 8 f. 81 85 151 125 214 

365 352 
Stachelrochen 145 IM 252 f. 
Stammesheros, Tariana 261 

— Tukano 231 

— Köfmta 315 ff. 

— Vahuna 385 
Stechmücken 86 228 
Steinaxtschliffe 21 52 304 
Steinbeile, Herstellen der 374 
Steinbeilklingen 52 222 f. 4M 

— Steinklinge für Hacke 222 
Steinhäuser (Höhlen) 303 305 f 
Stillen, langes, der Kinder 116 155 152 

312 f. 

— der gezähmten Tiere 312 
Stoßlanze für Jagd 55 
Stotternder Indianer 285 f. 
Strafexpedition 170 



414 



Namen- und Sachregister 



Streitigkeiten zwischen Indianern 112 

308 863 f. 873 
Strickedrehen 338 340 
Strickrahmen zum Herstellen von Taschen 

384 

Surubiroca, AöAewömaloka 22Äf. 228 SM 
308 

Tabak, Anbau 85 262 

— Bereitung 85 
Tabakschlecken der Uitoto 392 
Tagewerk, indianisches 45 f 
Takaliua, J/iaufewstamm 282 
Taktfestes Rudern der Indianer 286 
Tanz 52 ff. 165, 186 ff. 2ÜQf. 217 ff. 263 

232 352f. 

— Tanzschmuck 185 132 f. 299 

r- Sorgfalt mit dem Tanzschmuck 135 
182 189 f. 202 

— Verwahren des Tanzschmuckes lü9f. 

— Transport des Tanzschmuckes zum 
Pest 216 

— Einhandeln des Tanzschmuckes 159 
Infi ff. 204 f. 21fi 

— Tanzschild 16g f. 211 f. 203 

— Tanzstabe 54 102 112 213 886 397 

— Tanzhut 323 
Tapirjagd 295 

Tapuru-cuara,Stromschnelle und Handels- 
hafen am Rio Negro 5 183 227, Tgl. 
Santa Izabel 

Tariana 23 158 284 ff. 240 ff. 

— Sprache 235 

— Zeremoniellsprache 26Ü 
Tasche aus PalmfaserschnUreu 384 
Tatauierung der Besann 2fi3 f. 
Taufe, christliche 112 ff. 150 159 
Tauschhandel mit den Indianern 26. 167 

216 

— der Indianer unter sich 22 124 228 f. 
292 

Tchkiua 232 

Termitennest als Köder beim Fischen 
US 248 

Tiere, gezähmte, vgl. Haustiere 
Tierfiguren als Hausschmuek, aus Palm- 
blatt 850 

— aus Maiskolben und Maisblättern 350 f. 



, Tierfiguren, hölzerne Fischti^uren als 
Tanzgerät 816 823. 

— hölzerne Vogelfiguren als Tanzgerät 
323 

— Eidechsenfiguren aus Bast als Tanz- 
gerät 828 

— Tierfigureu in der Ornamentik 228 
342 350 

Tierquälerei 81 129 
Tiertänze ohne Masken 822 f. 
Tiquiö, Rio 155 ff. 881 ff. 

— Unterlauf IM 

— Kataraktengebict 125 f. 

— Quellgebiet 208 f. 213 

— nahe Verbindung mit dem Yapura- 
gebiet 156 121 203 f. 212 861 

Töpferei 844 ff. 
Ton für Töpferei 31 124 844 
i — eßbarer 885 
Tonwaren, feine, der Kueretu u»w. 394 
Topfständer 345 f. 
Totenfest 128 181 314 f. 

— endokannibalisches, der Koimta 315 f. 
Totengeist 103 105 815 
Totenklage 28 f. 81 f. 100 ff. 165 242 302 

814 

Tracht und Schmuck am unteren Apaporis 
879 f. 

■ Trauerjahr 106 315 
Trennung der Geschlechter beim Essen 
43 184 

Trindade, Ausiedlung am Rio Negro 6 ff. 
Trommelsprache 181 822 f. 
Tsahatmha, Horde der Umaua 2&£ 292 

296 302 312 382 321 
Titaina 373 

Tsöla 203 209 374, vgl. Tttöna 
Taöloa 218 320 ff. 375, vgl Tsöroa 
Tsöna 203 374, vgl. Tsöla 
Tsöroa 213, vgl. Taöloa 
Tucunare, schmackhafter Fisch 248 f. 
289 

— Fang mit Angel und künstlichem Köder 
248 f. 

Tukano 133 lfiüff. 

— körperliche Beschaffenheit 182 

— Verkehrssprache, am Tiquie 152 
am Caiary-Uaupes 284 f. 26ü 



Namen- und Sachregister 

Tukane, Antagonismus zwischen Tukane 

und D**ana 158 
Tukuna 401 

Tunuhy «Gebirge, Stromschnelle, Indianer- 
dorf 24 ff. 121 f. 

Tupfenbemalung, Heilmittel 28 98 L2fi 

Taschaua, Häuptling, ehrende Bezeich- 
nung 275 

Tuyuka 128 180 182 ff. IM ff. äfft ff. 

— körperliche Beschaffenheit 202 f.. vgl. 
Diücana und Dochkafhuara 

Uaiana 282 ff. 

Vaikana, Fischindianer 232 288 f. 24L j 

vgl. Pira-tapui/o 
Uainuma 401 

Uaiya, Fischfluß, vgl. Pira-Parana 
f 'anana 41 52 f. 62 88 ff. 261 ff. 268 ff. I 
8551. 

— körperliche Beschaffenheit 221 

— Sprache 82 355 
Uarua-Lago, Spiegelsee 222 

Casöna, Fischnetzindianer 284 224 2Mf. 
Uassai-Parana. Arm des Caiary-Uaupes j 
224 

Uaupes, Schimpfwort 181 
Uitoto 25fi 879 891 ff. 

— Sprache 891 f. 

Uiua, Pfeilrohrindianer, Horde der Tukano i 
260 f. 

Umaua iL 152 2Mf. 219 285 ff . 2Ü2ff. 
298 ff. 

— Horden 292 f. 

— Sprache 267 279 292 

Urnenfeld, altes 899 f. , 
l'st, MakustAiam 89fi 
Vtiua 282 

Utiuaiua, Horde der Kobeua 283 

■ 

Verlassen der Wohnplätze hei Todesfall i 

124 f. 289 29fi 
Vogelfalle 148 

Waffen für Jagd und Kampf, Blasrohr 
und Köcher mit Giftpfeilchen 58 ft. 
202 f. SÖQ 852 882 

— Bogen und Pfeil ÖS ff. 244 ff. 285 8üQf 
402 



Iii 

Waffen für Jagd und Kampf, Giftlanzen 
3fl f. 883 

— Keulen 286 3111 f. 388 

— vergiftete Palmstacheln 862 

— Schüd 388 

Speer zum Fischen 152 241 f. 215 

— Stoßlanze 88 
Waldgeister 83 122 321 
Wanderameise 18 189 

Wasser, Farbe 140 120 f. 196 202 209 304 

— weißes 4 138 140 142 120 198 207 
209 212 289 304 377 399 

— schwarzes 4 182 14Q 155 240 269 
288 f. 374 398 399 401 

Wasserscheide, schmale, zwischen Tiquiö 

und Yapura 212 866 
Wasserschlangeu, große 804 403 
Weben der Hängematten 888 ff. 
Wegweiser, indianischer 128 141 
Werwolfglaube 312 

Widerstreben, den indianischen Name» 

zu nennen 112 311 
Witwentum, Dauer lfifi 315 
Wochenstube, gemeinsame, der Eltern 

llfi 196 310 

— Abschluß der 196 f. 310 f. 
Wundkratzer 384 

Yabahana 829 
Yäba 821 

V ah u na 158 223 861 382 321 329 ff. 395 

Yaperikuli, Stammesheros der Aruak- 
stlmme 69 121 261 

Yapooa, J/a&wstamm 302 

Yapura, Rio lfifl 121 212 223 361 386 
391 898 ff. 

Yapurafrüchte 182 320 822 

Yapurutu, große Flötenpfeifen 34 52 f. 
lflflf. 12Q 191 

Yauarete, Stromschnelle des Caiary- 
Uaupes und Tananadorf, frühere Mis- 
sion 239ff. 352 f. 

Yohoroa, vgl. Kuraua 

Yukuna 382 394 398 

Yulämaua 262 352 

Yupaty, Gebirge und Stromschnelle des 

Yapura 392 
Yujma 389 398 



Uli 



Namen- und Sachregister 



Yuri 4Ü1 

Yuru-pixchuna 4Ü1 

Yurupari, Dämonenindiaucr, Horde der 

Tariana 2£1 
Yurupary-Caehoeira, des Aiarv Tüff. vgl. 

Iyftipana 

— des Caiary-Uaupes 281ff. 2fiß 
Yuruparymythus der Yahuna SSfif., vgl. 

Milomaki 

Yuruparyfcst 12Ö f. L3Q 135. f. iSÖ ff. 

211 ff. 2ftt 3Uf. 322 322 
Yuruparyinstrumente 119 ff. las f. 198 ff. 

211 ff. 314 322 341 357 372 
Yutica. ranonodorf, frühere Mission Bäf. 

2M 

Zank der Indianer äßü f. 
Zauberarzt 33 ff. S2 ff. löfif. 311 f. 

— Kur hh 91 ff. 1Ü7 192 211 281 f. 

— Honorar 1HÜ 31S 

— Zauberapparat 40. 91 

— Zauberrassel 91 31* 



Zeichnen, Geschicklichkeit der Indianer 

im TL 274 
Zeichnungen der Indianer mit Bleistift 

in das Skizzenbuch 25 211 299 f 

— astronomische 13Q 

— Sandzeichnungen IM 21Ä (Karte) 

— in Baumrinde geritzt 132 

— in Lehmufer geritzt 113 

— in Felsen geritzt, vgl. Pelsritzungen 
Zeremoniell 22 173 f IM 189 193. 280f. 
Zeremonielles Zwiegespräch 157 
Zierlanze 211 f. 

Ziernarben 203 224 394 
Zigarre, große gemeinsame, bei Festen 
184 200 

Zigarre ii deckblatt aus Bast 362 
Zigarrengabel 1Ö4 2QQ 
Zitteraal 252 

Zurückhaltung der Gefühlsäußerungen 
133 

Zwerg 179, vgl. Krüppel 
Zwillinge bei der Geburt 114 31Ü 



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