Annalen des
Historischen
Vereins für
den
Niederrhein
Historischer Verein
für den
Niederrhein, ...
jfihrani uf
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ANNALEN
DES
HISTORISCHEN VEREINS
EÜR DEN NIEDERRHEIN,
INSBESONDERE DIE ALTE ERZDIÖZESE KÖLN.
IM AUFTRAGE DES VORSTANDES HERAUSGEGEBEN
VON
D R . AL. MEISTE!?
PRIVATDOZENTEN DER GESCHICHTE IN BONN.
DREI UN DSEO HSZ I OSTES H EFT.
i
KÖLN, 1890.
J. & W. BOISSEREE'S BUCHHANDLUNG.
(FRZ. THEOD. HELM KEN.)
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r • C 7
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Inhalt.
Seite
Die humanistischen Anfänge des Nikolaus von CueB. Von Privat-
dozent Dr. AI. Meister . . . . . . . . . . . . . 1 — 91
lieber den Arnoldswald bei Jülich. Von Dr. Armin Tille . . 22— 26
Der Exqrcismus an Herzog Johann Wilhelm von Jülich 1B04 und
IßOT). Von E. Pauls 27— 63
Zur Geschichte der Suitbertus- und Willeicus-Reliquien in Kaisers-
werth, Von E. Pauls »4- G2
Beiträge zur Geschichte Crefelds und des Niederrheins. Von Stadt-
scnulrath Dr. Herrn. Kcussen sen. (f)- Herausgegeben von
Archivassistent Dr. Hermann Keussen jr Ii2— 17G
1. Das Volksschulwesen in der Grafschaft Mors gegen Schluss
des vergangenen Jahrhunderts • • • ^ —
2. Ein Lehrer - Berufsvertrag aus dem vergangenen Jahr-
hundert 82— 84
3. Präceptor Johannes CamphofT . . . . . . . . . . H. r ) — 94
4. Crefeld in seinen Beziehungen 7>ur Duisburger Universität 94 — 111
5. Zwei Hexenprozessc aus der Crefelder Gegend ♦ . . . 111 — 119
fl. Kulturgeschichtliche Streifbilder vom Niederrhein auä~
der Zeit des dreissigjährigen Krieges . . . . . . . 120 — 15f)
7. Ein Bild Rhciubergs aus der Zeit des dreissigjährigen
Krieges 7 . " . 156—176
Tauf-, Trau« und Sterberegister am Niederrhein. Von Dr. Armin
Tille . . . « . . . . . . . . . . . . . . . . 1/7^~1 0G
M i s c. e 1 1 o n.
Zwei Balten Pius II. für die Kölner Klöster. Von Brnno Albers 197-203
Aelterc Rechnungen über die Bearbeitung von Weinbergen in der
Durener Gegend. Von K. Paula 203-208
Litteratnr.
Die histnrianhe Litteratur des Niederrheins für das Jahr 1894. Von
Kaspar Keller 209—237
Rflrinht.e nnd Notizen.
Bericht der Generalversammlung des hiat. Ver. f. d. Niederrhein
sti Brauweiler 238—241
Historische Ge sellscha ften und Vereine , . : . . . . . . . 241—244
Perannalnachrichten . . . . . , , , , , « , . .. • • • 244—245
492095
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Die humanistischen Anfänge des Nikolaus von dies.
Von
Dr. AI. Meister.
Der Bildungsgang des Nikolaus von Cues bis zu dessen ersten
öffentlichen und sogleich Aufsehen erregenden Auftreten auf dem
Konzil zu Basel ist noch wenig aufgehellt. Es sind uns nur ein
paar trockene Daten überliefert, wir wissen, dass er in der Jugend
die Schule der BrUder vom gemeinsamen Leben zu Deventer be-
sucht hat, dann im Jahre 1415/16 *) die Universität Heidelberg
und von etwa 1418— 1423 2 ) die Universität Padua bezogen hatte,
dass er 1424 3 ) einmal in Rom anwesend und 1425 4 ) wieder in Köln
immatrikulirt war ; aber da fast alle näheren Angaben fehlen, um
dieses Zahlengerippe zu beleben, so waren wir bisher nicht in
der Lage, uns ein lebendiges Bild von der geistigen Entwicklung
des Mannes zu machen, der gleich mit seiner ersten Schrift als
ein fertiger Gelehrter uns entgegentritt mit allen Anzeichen eines
„geistigen Riesen w der Uebergangsperiode vom Mittelalter zur Neu-
zeit. Wissen wir doch noch nicht einmal, wo er seine theologische
Vorbildung genossen! Als Jurist geht er zur Universität, als
1) Toepke, Die Matrikel der Universität Heidelberg I, 128.
2) U ebinger, Zur Lebensgeschichte des Nikolaus Cusanus. Hist.
Jahrb. 1893 XIV, 549.
3) U ebinger, Die mathematischen Schriften des Nikolaus Cusanus.
Philosoph. Jahrbuch 1895 VIII, 303, Anm. 4.
4) Keussen, Die Matrikel der Universität Köln I, 213.
Ajanalen des hist. Vereins LXIII. 1
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AI. Meister
Laie J ) uoch beendigt er 1423 seine juristischen Studien mit der
Promotion zum doctor decretorum — und vor dem Tode des Erz-
bischofs Otto von Trier, also Ende 1429 oder Anfang 1430 2 ), ver-
zichtete 3 ) er auf die Dechanei an der Kirche „zu unsrer lieben
Frau" in Oberwesel, ist also spätestens seit diesem Jahre in geist-
lichem Amt und Würde, erhält bald darauf die Dechanei von
St. Florin in Coblenz und hält dort am Dreifaltigkeitstage des
Jahres 1431 seine erste Predigt.
Was er aber von seinem 23. bis 30. Lebensjahre, dieser für
die geistige Richtung und wissenschaftliche Ausbildung eines
Mannes so wichtigen und grundlegenden Zeit eigentlich gethan
hat, wie er seine Kenntnisse verwerthet und weiter gebildet hat,
darüber sind wir bisher noch ganz im Unklaren gewesen. Es ist
nicht viel mehr als Phrase, jedenfalls nur ein Versuch, unsere
Unkenntniss zu verschleiern, wenn Scharpff 4 ) sagt: ,In der
Zwischenzeit aber von zurückgelegten Studien bis zum 30. Lebens-
jahre folgte er, wie es scheint, ohne bestimmtes kirchliches Amt
und Beruf nur dem inneren Berufe als Christ und Gelehrter, an
der rüstigen Bekämpfung alles Schlechten und Unbrauchbaren die
jugendliche Kraft zu messen und zu stählen." Und der andere
Biograph des Cusauus Joh. Martin Düx hilft sich aus der Ver-
legenheit mit der Behauptung 5 ): „Soviel machen die Zeugnisse
wahrscheinlich, dass er die Bahn der Rechtspraxis betrat, die ihn
wie zufällig in den geistlichen Stand hinüberzog.* Ein Form-
fehler, der ihn sogleich seinen ersten Prozess verlieren Hess, soll
1) Paul Joachimsohn, Gregor von Heimburg (Hist. Abhand-
lungen aus dem Münchener Seminar, H. 1) sagt S. 4 mit Bezug auf Nikolaus
von Cues, Johann von Lysura und Peter Knorr, h alle diese Männer waren
Geistliche", um damit zu erklären, dass sie nicht den doctor utriusque iuris
machten. In Bezug auf Cusa trifft dies nicht zu, da er erst um 1429 oder
1430 in den geistlichen Stand eintrat.
2) Otto von Trier starb 1430, Febr. 13. Vergl. Görz, Reg. d. Erzb.
von Trier.
3) Diese bisher unbekannte Notiz verdanke ich der Freundlichkeit des
Herrn Prof. Uebinger. Vrgl. Cob lenz, Staatsarchiv; Kurfürstenthum Trier,
A. Staatsarchiv, a. geheimes Kabinet. I. Personalien der Erzbischöfe. Nr. 5.
4) F. A. Scharpff, Der Cardinal und Bischof Nikolaus von Cusa. Mainz,
1843, Bd. 1, 23.
5) Joh. Martin Düx, Der deutsche Cardinal Nikolaus von Cusa und
die Kirche seiner Zeit. Regensburg 1847, Bd. 1, 105.
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Die humanistischen Anfänge des Nikolaus von Cues.
3
so auf sein Gemüth eingewirkt baben, „dass er nicht länger einem
Berufe dienen wollte, wo häutig weder innerer Rechtssinn, noch
Gelehrsamkeit Stand halten können gegenüber dem verfänglichen
Spiel des Buchstabens und wo das Gewissen täglichen Verwun-
dungen ausgesetzt ist." So plausibel auch diese letzten Motive für Ni-
kolaus von Cues an sich klingen, erwiesen ist diese Behauptung
nicht und ausserdem darf ihre Erwähnung uns darüber nicht
täuschen, dass dadurch die Lücke in dem Lebensgange des Cu-
sanus erst recht fühlbar hervortritt, da er ja somit gleich nach
seinem ersten Prozesse der juristischen Laufbahn den Rücken ge-
wandt haben würde und nun verschollen bleibt, bis er 1430 als
^Geistlicher wieder auftaucht.
Feste Pole in dieser Zeit, in welcher er unserem Auge ent-
schwindet, boten bislang allein seine Anwesenheit in Rom 1424
und seine Immatrikulation in Köln 1425, und erst neuerdings hat
Uebinger noch ein drittes Datum 1428 hinzugefügt 1 ), indem er
darthut, dass Nikolaus in diesem Jahre damit beschäftigt war,
„Schriften anderer für sich abzuschreiben."
Gerade in dieses Dunkel der zwanziger Jahre soll unsere
Untersuchung ein scharfes Schlaglicht werfen.
Dass von meinen zahlreichen Vorgängern in der Erforschung
der Lebensgeschichte des Cusanus kaum eine nennenswerthe Stelle
übersehen worden w r ar, in welcher er als Nikolaus Chryffts, Krebs,
Gancer, Nikolaus de Coesze, de Cues, de Cusa, Cusanus und ä.
erscheint, das war von vornherein anzunehmen ; mit den bekannten
Namen war also nichts Neues zu erreichen. Anders indessen
stellte sich die Sachlage, sobald noch eine ähnliche neue Bezeich-
nung auftauchte, die von den eigentlichen Cusa -Forschern bisher
nicht beachtet worden ist, und eine solche liegt in der That vor
in der Benennung Nikolaus Treverensis.
Schon der bekannte Würzburger klassische Philologe Urlichs
1) Uebinger, Die raathematischen Schriften des Nikolaus Cusanus.
Philos. Jahrb. 1895, VIII, 305. Ob er sich gerade „eingehend" in diesem
Jahre 1428 mit geometrischen Studien, besonders mit der Quadratur des
Kreises beschäftigte (Uebinger 1. c. 306, 310), das dürfte wohl bezweifelt
werden können; mir scheint in diesem Jahre seine Beschäftigung mit geo-
metrischen Studien nicht viel über das Abschreiben geometrischer Werke
hinausgegangen zu sein, zumal wir gleich sehen werden, dass er damals voll-
auf mit noch anderen Arbeiten und in anderer Thätigkeit in Anspruch ge-
nommen war.
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4
AI. Meister
;
kam einmal auf diesen Gedanken und Sabbadini, der belesenste-
Kenner der Humanisten-Literatur, schloss sich dieser Vermuthung
Urlicbs an, indem er die Bemerkung hinzufügte, die Bezeichnung
Treverensis erkläre sich leicht, da Cues in der Erzdiözese Trier
lag. Dagegen lässt sich nichts einwenden und es ist unerfindlich»
wie man dawider anführen kann 2 ), dass deutsche Urkunden ihn
nur nach seiner Heimath Cues benannten; deutscher Brauch kommt
nicht in Frage, zumal da die Bezeichnung Nikolaus Treverensis nur
in Italien oder bei Italienern vorkommt Es ist klar: in Deutschland,
in der Heimath, wäre Treverensis für Nikolaus von Cues ein viel zu
verschwommener Begriff gewesen, da bedurfte man des Heimaths-
ortes Cues zur näheren Bestimmung; im Ausland dagegen, jenseits
der Alpen genügte zur Orientirung die Diözese, sie war dort allein
bekannter Begriff, mit der Bezeichnung Cues hätte man nichts anzu-
fangen gewusst. Dass später der Name Cusanus sich auch jenseits der
Alpen einbürgerte, nachdem sein Träger Berühmtheit erlangt hatte,
das kann hier nicht als Einwurf entgegengehalten werden. Die
Möglichkeit der Benennung Treverensis für Cusanus ist also nicht
zu leugnen, indessen damit ist noch kein Beweis geliefert, dass
wir in ihr wirklich Nikolaus von Cues zu erblicken haben. Um
diesen strikten Beweis zu erbringen, mögen hier zunächst alle
diejenigen Quellenstellen Platz finden 8 ), in welchen, soweit mir
1) Eos, Süddeutsche Zeitschrift für Philologie II (1865): Urlichs,
Beiträge zur Handschriftenkunde. Urlichs war der Briefwechsel zwischen
Poggio und Niccoli nicht zugängig, deshalb schrieb er S. 352, Anm. : Ich
kann leider die Briefe nicht selbst benützen, also auch den Einfall nicht ver-
folgen, dass jener Nikolaus Treverensis . . . kein anderer war, als der be-
rühmte Cusanus.
2) Voigt-Lehnert, Die Wiederbelebung des klassischen Alterthums.
3. Aufl. 1893, Band I, 257, Anm. 1.
3) Ich erachte den Abdruck nicht nur zur besseren Veranschaulichung
meiner Beweisführung für nöthig; er ist vielmehr auch deshalb geboten, weil
die Edition der Poggio-Briefe von Tonelli in Deutschland selten, Bd. II und
III in deutschen Bibliotheken allem Anscheine nach überhaupt nicht aufzu-
treiben sind. Der Direktor der Berliner Bibliothek Prof. H. Willmanns be-
sitzt ein Privat-Exemplar davon; derselbe ist seit Jahren mit einer Neuaus-
gabe der Poggio-Briefe beschäftigt, die sehnsüchtig erwartet wird. Auch
Ho chart, Pauthenticite des annales de Tacite (Paris 1890) behalf sich in-
zwischen für seine Zwecke mit einem theilweisen Wiederabdruck von ein-
schlägigen Poggio-Briefen.
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Die humanistischen Anfänge des Nikolaus von Cues. 5
■
bekannt, die Bezeichnung Nikolaus Treverensis vorkommt oder auf
ihn und seine Briefe Bezug genommen wird.
Nr. 1. Poggio an Niccolo Niccoli 1 ).
Rom [1427] Mai 17.
.... De historia Plinii cum multa interrogarem Nicolaum
hunc Treverensem, addidit ad ea, quae mihi dixerat se habere,
volumen historiarum Plinii satis niagnum ; tum cum dicerem, vi-
deret ne esset Historia Naturalis, respondit, se hunc quoque libruni
vidisse legisseque, sed non esse illum, de quo loqueretur, in hoc
enim bella Gerraaniae contineri. Quantum ei credendum sit, iu-
dicabo, cum in lucem venerint, quae retulit de Republica Ciceronis
et reliquis; adhuc neque despero, neque confido verbis suis, doctus
est enim, et ut videtur, minirae verbosus aut fallax. Ut audio
cito in patriam redibit, reversurus adCuriam; tunc omnia cognos-
cemus apertius. Litterae sunt a quodam socio suo, cui librorum
raittendorum curam delegavit, se misisse libros Francofordiam, ut
«xinde Venetias deferreutur ....
Nr. 2. Poggio an Niccoli 2 ).
Rom [1427] Mai 31.
.... Nicolaus Treverensis ita tractatur, ut et pudeat, et
poeniteat ad Curiam venisse; nil enim obtinnit a Pontifice, ut
iratus et nobis et libris recedat. Ita ferunt tempora ; tarnen roga-
bitur, ut saltem Rempublicam restituat Italiae. Ego solus volui
«liquem mittere in Germaniam, qui curaret libros huc afferri ; sed
uolunt, qui nolle possunt, et deberent velle ....
Nr. 3. Poggio an Niccoli 8 ).
Rom [1427] September 27.
.... Nicolaus Treverensis nondum recessit. De libris nil
postea audivi. Heri cum ipsum hac de re interrogassem, dixit se
nil certi habere ....
1) Poggü eptstulae ed. coli. etc. Th. de Tonne Iiis, Vol. I, Florenz
1832, lib. III, ep. 12.
2) T o n n e 1 i , Poggii ep. I. c. ep. 13.
3) T o n n e 1 1 i 1. c. ep. 14.
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6 AI. Meiste r
Nr. 4. Poggio an Niccoli 1 ).
Rom [1428] September 21.
.... Nicolaus Treverensis scribit se alias scripsisse latius der
libris illis, sed litterae non vcnerunt; itaque incertiores sumus
quam dudum. Hoc an dicat explicandae rei causa, an se extri-
candi, nescio. Hoc corapertum habeo illum adfuturum nobis hac
bieme, et ut opinor cum libris. Scriptum est enim sibi, ut mature
redeat et libros afferat, quod si faciet liberabimur bac cura ....
Nr. 5. Poggio an Niccoli 2 ).
Rom [1428] October 2.
.... Nicolaus Treverensis cito aderit nobis.
Nr. 6. Poggio an Niccoli 3 ).
Rom [1429] 4 ) Februar 26.
.... Nicolaus ille Treverensis scripsit litteras cum inven-
tario librorum, quos babet; in his sunt multa volumina, quae
longum esset referre. Dicit se babere multorum operum Ciceronis,
in quibus sunt Orationes de Lege Agraria, in Pisonem, de Legibus
de Fato, et pluria alia ex fragmentatis, quae si essent integra r
magnum esset lucrum. Item aliud volumen, in guo sunt XX
opera Cypriani Carthaginiensis; item quod magni facio Agellium,.
ut putat, integrum, et quo magis gaudeas Q. Curtium, in quo sit
prirau8 über. De fine nil scribit, sed existimo, postquam prin-
cipium est, non deesse reliqua; sed hoc parum est. Habet vo-
lumen aliud, in quo sunt XX comoediae Plauti; hoc ingens est
lucrum neque parvo aestimandura. Nomina autem comoediarum
sunt haec cum principiis, si tarnen ipse non erravit; ita enim
transcripsi ex sua epistula: Plauti in Ampbitruone; alia cui deest
nomen; in Aulularia; in Euclione; in Captivis; in Baccbidibus; in
Mustellaria; in Menaecbmis; in Milite; inMercatore; in Pseudolo;
in Poenulo; in Persa; in Rudente; in Sticho ; in Truculento; in
Trinummo; incipit: dum bellum gereret amanti argento filio etc.
1) To n n e 1 1 i 1. c. ep. 19.
2) T o n n e 1 1 i 1. c. ep. 21.
3) T o n n e 1 1 i 1. c. ep. 29.
4) Poggio schrieb 1428; Tonneiii erweist richtig p. 268, Anm. 2»
dass 1429 gemeint ist.
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Die humanistischen Anfänge des Nikolaus von Cues. 7
Ponit harum comoediarum principia, quae omitto, quia non satis
diu possum scribere propter lippitudinem oculorum, qui ab scri-
bendo me impediunt.
De Republica dicit se deceptum, et illum librum fuisse Ma-
crobium super Somnio Scipionis; sed tarnen se non desperare,
quin reperiatur. Ait enim quendam doctum virum dixisse sibi
ubinam esset, et se quam primum eo profecturum. Inventarium
caeterorum librorum mittam tibi, cum ocium erit, sunt enim aliqua
non contemnenda. Verum, quod me torquet, hic non est nunc
venturus ad Italiam, et interim multa possent accidere impedi-
menta. Dixi cardinali, ut aliquem mitteret aptum ad portandum
hos libros, cum non esset expectandus adventus illius; et nisi ita
fiat, actum est. Ideo concalefacias tuis litteris cardinalem de Ur-
sinis et ego quoque eum stimulabo. Difficultas sola erit pecu-
niaria, nam hic homines multifariam frigent , propterea loquaris
quibuscum tibi videtur. Si pecuniae adessent, modus esset ad
mittendum aliquem non insulsum, qui sciret convenire bominem
et libros deferre; tu modo ut placet ....
Nr. 7. Poggio an Niccoli 1 ).
Rom [1429 März].
.... Sollicito cardinalem, ut mittat pro libris; is missurum
policitus est post Pascha ....
Nr. 8. Poggio an Niccoli 2 ).
Rom [1429] April 2.
Tu forsitan existimas me negligentem in scribendo tibi notam.
librorum, de quibus scripsit Nicolaus Treverensis; nihil minus;
sed indignor aliquando eos, quibus me in rebus gravioribus fa-
cillimum praesto reddere se mihi in leviusculis difficiliores. Ita
stomachor persaepe et simulo me negligere ea, quorum sum cu-
pidissimus. Cum ostenderentur mihi litlerae Nicolai, statim cum
veni ad nomina Comoediarum Plauti, exclamavi lucrum ingens
factum, statimque sumpto calamo celeri manu cedulam conscripsi,
quam ad te mitto bis litteris insertam. Caeteri nihil aestimabant,
sed a me admoniti, quod non advertebant, coeperunt, ut imperi-
•
1) Tonneiii 1. c. ep. 30.
2) Tonneiii 1. c. ep. 31.
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8
AI. Meister
torura mos est, magni aestimare. Rogavi litteras, ut significarem
tibi omnia diligentia;, negavit se daturum; iterum legi et praeter
ea quae ad te scripsi, nil est quod magni faciam. Saepius petivi
mihi fieri copiam litterarum, quamvis magis tibi quam mihi satis-
faciendi causa petivi; adhuc non potui habere; procrastinando
tenuit, aliam ex alia excusationem ferendo. Nicolaus tarnen
paucos libros nominat, sed dicit se missurum inventariura; id cum
venerit, scies.
Nr. 9. Poggio an Niccoli 1 ).
Rom [1429] Mai 6.
.... Nescio si ita me levem adhuc vidisti in scribendo, ut
coniecturare possis me ludendi tui gratia ad te de Plauto scrip-
S1SSC • • • •
Nr. 10. Poggio an Niccoli 2 ).
Rom [1429] Juli 23.
.... Spero tarnen ut pcrcepi ex litteris Nicolai Treverensis,
ipsum venturum ad Urbem cum libris circa kalendas novembris,
et ea fuit causa, cur cardinali non miserit eo unum ex suis
prout decreverat. Ego autem non solum fui solicitus sed impor-
tunus, ut ipse quemdam destinaret pro libris ....
Nr. 11. Poggio an Niccoli 8 ).
Rom [1429] December 27.
.... Nicolaus Trevereusis huc venit afferens secum sex-
decim Plauti comoedias in uno volumine, in quibus quatuor sunt
ex iis quas babemus : scilicet Ampliitruo, Asinaria, Aulularia, Cap-
tivi. Duodecim autem ex lucro; hae sunt: Baccbides, Mustellaria,
Menaechmi, Miles Gloriosus, Mercator, Pseudolus, Poenolus Persa,
Rudens, Stichus, Trinummus, Truculentus. Has nondum aliquis
transcripsit neque enim earum copiam nobis facit cardinalis; tarnen
adhuc nullus praeter me petiit. Liber est Ulis litteris antiquis
corruptis, quales sunt Quintiliani et multa in multis deaunt. Non
faciam transcribi, nisi prius illas legero atque emendavero; nam
1) T o n n e 1 1 i 1. c. ep. 32.
2) T o n n e 1 1 i 1. c. ep. 39.
3) T o n n e 1 1 i 1. c. vol. I, lib. IV, ep. 4.
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Die humanistischen Anfänge des Nikolaus von Cues. 9
nibi viri eruditi manu seribantur, inanis erit labor. Verum decrevi
expectare paulum, antequam amplius de bis loquar cardinali; cum
enim iustigatur, tumescit; silentio res vilescet apud eum. De
Agellio et Curtio ridicula quaedam attulit, Agellium scilicet truneum
et nianeum, et cui finis sit pro prineipio; et unam cbartam quam
credebat esse prineipium Curtii, rem insulsam, et ineptam; reliqua
in spongiam abierunt.
Nr. 12. Der Oameldulensergeneral Traversari *)
an den päpstlichen Referendar Christoph ep. Cerviens.
Basel [1435] Oktober 24.
.... Nicolaus Treverensis homo studiosissimus et librorum
copia insignis scripsit ad me multumque oravit, ut te interpellarem.
Signatam sibi boc anno a pontifice praeposituram in ecclesia colle-
giata adseverat, literasque expediendas plurimis ex familiaribus
suis maodavi8se, qui se ad id ultro offerebant. Orat ut commen-
dem dignationi tuae caussam ipsam, ut, si quid forte restat absol-
vendum, per tuam operam et solertiam fiat. Et qnoniam, ut audio,
homo est multum eruditus, te oro habeas caussam suam commen-
datam, quia multum studiis nostris conferre potest eins, quam hic
mihi literis comparavi, familiaritas.
Aus diesen Briefen ergiebt sich zwar noch nicht viel für die
Bestimmung der Persönlichkeit des Nikolaus Treverensis aber
immerhin mehr, als man bis jetzt angenommen hat. Man hat
nämlich in ihm einen Handschriftenhändler 1 ), einen Sachwalter 3 )
bei der Kurie oder einen Gewerbtreibenden 4 ) erblicken wollen,
1) Traversari epistulae (ed. M e h u b) III, 48.
2) L. Pastor, Geschichte der Päpste I, 207.
3) G. Voigt, Wiederbelebung des klassischen Alterthums I. 257: „es
ist leider noch dunkel, wer dieser Mann war; man möchte ihn für einen der
zahlreichen Sachwalter oder Geschäftsträger halten, die immer an der Kurie
ab und zu gingen. u
4) P. Hachet, de l'authenticitc des annales et des histoires de Tacite.
Paris, Thorin 1890, p. 291, Anm. 1: „sur ce personnage, qui entre en scene
ici et qui doit fournir de si importants manuscrits, nous n'avons aueun
renseignement ; on ne sait ce qu'il est ni ce qu'il vaut. On peut toutefois
constater que c'est un industriel, quil a un associe qui demeure dans
l'ombre, e qu'il est protege par Poggio.
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10
AI. Meister
aber alle drei Bezeichnungen entwerfen ein falsches Bild von ihm,
die eines Industriellen ist ganz unrichtig, die eines Geschäftsträgers
ist vorläufig nur Vermutung und unerwiesen — er scheint eher
seine eigenen Angelegenheiten dort betrieben zu haben — und die
eines Handschriftenhändlers stimmt nur insofern, als er gelegent-
lich Handschriften mitbrachte, aber nicht in dem Handel mit solchen
seinen Lebensberuf fand. Nur dem Kardinal Orsini hat er — ge-
wiss aus persönlichen Motiven — von seinen Kodizes einige her-
gegeben, wäre er ein Händler, hätten ihm Poggio und die andern
sieber Bücher abgehandelt.
Ich meine, aus der ganzen Art des Verkehrs, in welchem
Poggio, damals der beste Kenner der lateinischen Klassiker, mit
Nikolaus stand, aus den Epitheta, doctus, niinime verbosus aut
fallax, die er ihm ertheilt, sodann aus der Thatsache, dass Nikolaus
die Handschriften wirklich studirt und beurtheilt, über Inhalt und
Verfasser urtheilen kann, geht soviel zur Genüge hervor, dass er
kein blosser Händler, sondern ein gebildeter Literaturkenner ist.
Dazu kommt dann der Brief Traversaris, worin er ein homo
studiosissimus und ut audio multum eruditus genannt wird, der
den Studien der italienischen Humanisten noch von Vortheil sein
könnte; und schliesslich erfahren wir daraus noch, dass er im
Jahre 1435 Propst an einer Kollegiatkirche war.
Diese letzte Thatsache bietet den ersten greifbaren Anhalts-
punkt, der sich weiter verfolgen Hesse; sehen wir einmal sogleich,
wie die Lebensgeschichte des Nikolaus Cusanus dazu passt Bisher
wussten wir zwar nur, dass er im Jahre 1436 zuerst als praepositus
auftritt 1 ), indess das Propsteibuch von Münstermaifeld, jetzt im
Staatsarchiv zu Cobleuz, trägt von Cusas eigner Hand die Bemer-
kung: „Sciendum, quod ego Nicolaus de Koesa decretorum doctor
anno praefato 1435 decanus et canonicus S. Florini Confl. ad prae-
posituram monasteriensem electus ..." und darnach ist jeder
Zweifel daran, dass er wie jener Nikolaus Treverensis in dem-
selben Jahre 1435 Propst wurde, vollständig ausgeschlossen.
Indessen, dieses Zusammentreffen ist zwar bemerkenswert!),
es darf uns aber nicht genügen, es können immerhin zwei ver-
schiedene Nikolaus der Trierer Erzdiözese in ein und demselben
Jahre zur Propstvvürde erhoben worden sein.
1) Birck, Nikolaus von Cusa auf dem Konzil zu Basel. Hist. Jahrb.
1892, XIII, 779, Anm. 4.
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Die humanistischen Anfänge des Nikolaus von Cues.
11
Da führt uns ein Brief des Humanisten Guarino 1 ) an Lamola
einen Schritt weiter, wenn wir ihn mit den obenangeflihrten Brief-
ausztlgen Poggios vergleichen:
.... Audivisse debes, ut Cicero de Republica nuper inventus
sit Coloniae, urbis Germaniae, in bibliotheca pulverulenta, ubi
pervetusti Codices octingenti carceri mancipati videntur. Eum
repperit, repertum transcripsit quidam secretarius cardinalis Ursini,
qui legatus eas obiit regiones. Sic mihi ex Venetiis renunciant
aliqui certissimni viri ....
Hier ist Nikolaus Treverensis nicht genannt, die Erwähnung
des angeblich gefundenen Cicero <le Republica ergiebt indessen
durch Vergleich mit den obigen Briefen Nr. 1, 3 und 6 den Nach-
weis, dass der Nikolaus Treverensis mit dem Sekretär des Kardinal
Giordano Orsini identisch ist. Die Legation Orsini's 2 ) hatte den
Reichstag in Nürnberg zum Ziel und galt der Bekämpfung der
hussitischen Lehre, sie Hess ihn am 10. März 1426 von Rom
abreisen, am 11. Mai in Nürnberg eintreffen 3 ) und dort bis Juli
verweilen. Nikolaus wird also in diesen Monaten bei dem Kardinal
beschäftigt gewesen sein; dass er gerade während dieser Zeit den
Fund in Köln machte, ist nicht unbedingt aus dem Texte zu
schliessen, sondern nur dass der Finder zur Zeit des Briefschreibers
als Sekretär des Kardinals bezeichnet wird und ausserdem bietet
der Brief Nachrichten aus dritter und vierter Hand, die schon so
entstellt und vergrößert waren, dass man von 800 Codizes redete.
Ich betone dies, weil Nikolaus von Cues bisher nicht 1426 in
Köln nachgewiesen werden konnte, wohl aber einige Monate früher
im Jahre 1425 — ein späterer Aufenthalt ist indessen nicht aus-
geschlossen.
Als Nikolaus Treverensis 1427 nach Rom kam, wird er von
den Humanisten, die seine Ankunft schon gespannt erwartet hatten,
eifrig über seinen Fund ausgefragt und bestürmt, Handschriften
oder Abshriften daraus nach Italien zu bringen. Nikolaus ver-
sprach es und brachte 1429 mehrere nach Rom, darunter den
berühmten codex Plautinus. Er musste also 1428 in Deutschland
1) Rem. Sabbadini, Guarino Veronese e gli archetipi di Celso e
Plauto, p. 35.
2) Seine Ernennung am 17. Februar 142«. Pastor, Gesch. d. Päpste I,
208, Anm. 4.
3) Deutsche Reichstagsakten VIII, 284.
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12
AI. Meister
die Vorbereitungen dazu treffen, das Inventar der ihm zugängigen
Bücher anfertigen und nach Italien schicken und die gewünschten
Handschriften, soweit sie nicht in seinem Privatbesitz sich befandet),
erwerben oder abschreiben.
Und hier begegnen wir zum dritten Male den Spuren des
Nikolaus von Cues, auch er ist im Jahre 1428 in seiner Heimath
eifrig damit beschäftigt, Handschriften zu kopiren 1 ).
Doch sind dies alles bisher nur Berührungspunkte, welche
die Gleichheit der Personen wohl wahrscheinlich machen können,
einen wirklichen Beweis können wir erst liefern, wenn wir unseren
Nicolaus Treverensis in einem Schreiben des humanistischen
Erzbischofs von Mailand Franz Pizolpassus als vir theutonicus
wiedererkennen !
Franciscus Pizolpassus an Petrus Candidus Decembrio 2 ).
[Basel Mai-Juni 1437.]
.... De Ariopagita tarnen latius videbis per cedulara bis
inclusam conscriptam ex viro graeco perito apud nos praesenti:
concordat sententiae tuae. Quod autem nos scripseramus ad te
aliquando fuisse locum bellicum seu ad concertationem animalium
et sanguinem quia orio pagos dicitur belli deus etcetera ut in
eedula, retinemus id habuisse dudum ab aurispa viro graece
latineque perdocto. Habetur et in legendis sanctorum, ut Tiburtii
et Valeriani, qui ducti fuerint occidi ad pagum. Habuimus etiam
post responsionem tuam a viro bene perito etiam locum fuisse
interdum nuncupatuni pestilentiae ut ad quem dudum epidemia
infecti deferentur. Graecus vero ita respondet, ceu vides, cetera
nihili faciens. Habet vir iste peritus theutonicus, de quo praemisi-
mus, libros copiosos in graeco etiam cum latino et vocabulorum
et omnis grammaticae seriosissime litteris vetustis descriptos. Is
est a quo Donatum in Terentium tuleramus in patriam. Anhe-
1) Von den 1428 geschriebenen Handschriften ist nicht nach Italien
gewandert der jetzt noch in Cues befindliche Codex D. 26. Ein Versuch,
diesen Codex nach Bonn geschickt zu erhalten, scheiterte. Auf eine Anfrage
meinerseits und ein Schreiben der Bonner Universitätsbibliothek, alle Garan-
tieen bietend für Aufbewahrung und Rücksendung des Codex, fühlte sich der
zeitige Rektor des Cueser Nikolaus - Hospitals und Verwalter der dortigen
Bibliothek nicht einmal veranlasst, zu antworten!
2) Sabbadini, storia e critica di alcuni testi latini im Museo italiano
di antichitä classica vol. III, 412, ep. III.
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Die humanistischen Anfänge des Nikolaus von Cues. 13.
lamus ad aliquorum vel saltem alicuius utilioris transcriptionem;
sed nemo coniperitur hic idoneus.
Der hier erwähnte Donatus-Kommentar war von dem Gräzisten
des Florentiner Humanistenkreises Giovanni Aurispa in Mainz im
Jahre 1433 entdeckt worden 1 ), und der vir iste peritus theutonicus
hat demnach die Beschaffung des Codex nach Italien vermittelt 2 ).
Nun aber verdanken wir dem unermüdlichen Sammeleifer Sabba-
dinis noch einen zweiten Brief desselben Pizolpassus 8 ), der auf
den Inhalt des obigen Briefes und den Donatus-Komentar zu
Terenz Bezug nimmt und aus diesem geht klar hervor, dass dieser
vir theutonicus niemand anders war als Nikolaus von Cues.
Franciscus Pizzolpassus an Petrus Candidus Decembrio 4 ).
[Basel 1437 Juni- Juli.]
.... Abest autem Nicolaus noster de Cusa, ad quem spec-
tabat codex Donati Terentiani, unde tu multa pervigilique lucubra-
1) In queste iorne passate sono andato fino a Cologna et da Cologna
ad una terra, la quäle se chiama Axi .... A Nicolai, lu quäle honorai et
hebbe sempre per mio padre ve prego me accommendate prima, da poi
dirrete che lu mio andare verso Cologna non e stato senza fructo, perö che
io ho trovato in una bibliotheca a Magunza un codice in lu quäle si e un
panegyrico de Plinio a Traiano de lu quäle non lesse mai piü suave cosa,
et in eodem codice sunt : „panigyrici aliorum atftorum ad diversos Caesares."
Ho trorato ancora un commento de Donato supra Terentio, lu quäle nullo
erudito lesse mai sensa grande voluptate. In Cologna trovai io „Consulto
de arte dicendi" rem quamdam singularem. Habemus hic Plinium cuius titulus
est „Phisica Plinii" sed tractatus est in raedicinis .... Vergl. Sabbadini
biographia di Aurispa p. 65.
2) Die Bemerkung Sabbadinis, dass der Codex in Händen des Cusa
blieb, der jetzt Gesandter Kaiser Sigismunds war und als solcher den Codex
padroniren konnte, ist ein nicht bewiesener Erklärungsversuch ; es ist dabei
nicht ersichtlich, welche Zeit er im Auge hat, 1433 war Cusa nicht kaiser-
licher Gesandter. Vergl. Sabbadini in den Studii italiani classici IT, 16.
3) Cusa hat demnach auf dem Baseler Konzile in regem Verkehr mit
den dort anwesenden Humanisten gestanden. Pizzolpassus und der Bischof
Alfonso von Burgos in Spanien konnten kein Griechisch; sie beschäftigten
sich mehr mit philosophischen Untersuchungen und korrespondirten mit
Bruni in Florenz, mit Poggio in Bologna und Ferrara und mit Candido
Decembrio in Mailand. Vergl. Sabbadini, storia e critica di alcuni testi
latini im Museo italiano, die antichitä classica vol. III, 407 f.
4) 1. c. vol. III, 415, ep. IX.
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14 AI. Meister
tione Phormionem extorquisti, vir siquidem aliquando introductus
graecae linguae, ceterum alias eruditissimus, universalis et magnae
eapacitatis, infinitoruai voluminum studiosissimus et indigator con-
tinuus dotatusque inter alia voluminibus graecis fecundissime et
ex quibus, ut asserebat omnis vocabulorum veritas etiam declarata
latine eisdem codicibas facile possit baberi ....
Ich glaube, es kann nicht zweifelhaft sein, dass wir in dem
vir theutonicus unseren Nicoiaus Treverensis wieder finden; er
erscheint hier in derselben Eigenschaft, in denselben Beziehungen
'zu den Humanisten, er wird mit Achtung von ihnen genannt, er
besitzt wie jener eine reiche Bibliothek, und das ist zu der dama-
ligen Zeit doch noch eine grosse Seltenheit. Der vir theutonicus
ist aber Nikolaus von Cues und nun erinnere man sich noch ein-
mal, dass die Daten des Nicolaus Treverensis vortrefflich zu
Nikolaus von Cues passen; alles dies wird wohl genügen, um die
Identität der beiden Personen zu erharten.
Fragen wir uns noch kurz: was haben wir dadurch für
Nikolaus von Cues gewonnen?
Vor allem erscheint uns jetzt Nikolaus von Cues im Lichte
des Humanismus. Es konnte ja auch gar nicht anders sein, als
dass ein so heller Kopf wie Nikolaus sich später erwies, schon in
der mehrjährigen italienischen Studentenzeit in Padua von dem
frischen Hauche der Renaissance nicht unberührt geblieben war.
In Padua hatte ja schon der Humanismus eine eingebürgerte
Heimstätte. Das Mäzenat der Fürsten aus dem Hause Carrara
hatte an der Universität Lehrkanzeln für die Alterthumswissen-
schaften ins Leben gerufen; als die Carrara gestürzt waren, hatte
Venedig mit der Uebernahme der Universität auch die Erbschaft
iin Mäzenatenthume übernommen und durch literarisch gebildete
Podesta die humanistische Strömung gefördert. In diese Zeit, ins
Jahr 1413 fällt ja dort der bekannte Liviuskult, der das Volk, die
Beamten und die Gelehrten ergriff. Man glaubte die Gebeine des
Livius gefunden zu haben, Alles strömte zur Stätte, eine feierliche
Translation erfolgte, bei welcher der Lorbeer nicht fehlen durfte,
kurz „Padua nahm die heidnische Reliquie mit einem patriotischen
Taumelauf" 1 ); — das ist so ganz Atmosphäre der Renaissance,
die in diesem Vorgange zu Tage tritt.
1) Vergl. darüber Voigt, Wiederbelebung des klassischen Alter-
thums I, 437.
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Die humanistischen Anfänge des Nikolaus von Cues.
15
Wir wissen nicht genau, wann Cusa nach Padua kam; 1416
war er in Heidelberg immatrikulirt, 1423 hat er in Padua seine
juristischen Studien mit dem doctor decretorum beschlossen, er mag
von 1418—1423 dort studirt haben. Dann aber hatte er noch
Gelegenheit gehabt den später so berühmten Pädagogen Vittorino
da Feldre dort zu sehen, der noch 1422 in Padua einen Lehrstuhl
für Rhetorik und Philosophie inne hatte; dann musste auch die
Erinnerung noch wach sein an Gasparino Barzizza, an Guarino
und Filelfo, die kurz vorher an dieser Universität gewirkt hatten.
Und nun wissen wir 1 ), dass Cusa in Padua ein enges Freund-
schaftsbündniss schloss mit Paolo del Pozzo Toscanelli, der später
als humanistisch gebildeter Astronom von Florenz sich einen Namen
machte — seine Neigungen dürften daher von denen des Freundes
so verschieden nicht gewesen sein. Und Julian Cesarini lehrte
klassische Literatur und Philosophie, und Cusa nennt ihn seinen
Lehrer und hebt besonders an ihm hervor 2 ) seine Kenntniss in
der römischen und griechischen Literatur — kein Zweifel: Cusas
geistige Ausbildung stand in Padua unter dem Zeichen des
Humanismus.
Ein so reicher Geist wie er konnte sich nicht beschränken
auf sein Fachstudium, die Vorliebe für klassische Literatur, und
Mathematik fand Raum daneben, und so erklärt sich sein erster
Bücherfund in Köln 1425 oder 1426; frühe humanistische Neigung
und Befähigung lenkten seine Schritte.
Er hat es denn auch später auf die Dauer bei der Juristerei
nicht ausgehalten. Ob gerade der Verlust eines (ersten) Prozesses 3 )
1) Vergl. Uebinger, Die mathematischen Schriften des Nikolaus Cu-
8anus im philos. Jahrb. 1895, VIII, 303.
2) Vorrede der „docta ignorantia" des Nicolaus von Cues.
3) Soviel ich sehe, geht diese in die Cusa-Literatur übergegangene
Notiz zurück auf Jean de Muller, bistoire de la contederation suisse, 1840,
tome IV, 3ii. J. v. Müller, stützt sich dabei auf die Invectiva Gregorii Heim-
burg, aber in derselben steht nichts von einem „ersten" Prozess. Vergl.
Freher, Scriptores rer. Germanicarum II, 255: Te vicit quandoquidem in
Sede Moguntina expugnata haereditatis petitione directa ex testamento a
parte tua instituta, tu ad legatum apostolicum concilio praesidentem appellasti
ac inibi vigore scedulae codicillaris ac fideicommissariam convolasti, nescius
quod alterius electione remedii tollitur alterum. A Gregorio repulsus ru-
boreque confusus bellum perpetuum sacris legibus indixisti, cum desperasses
in facultate Iuris a modo praelucerare posse, honestiorem causam desertioni
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AI. Meister
durch einen Formfehler den letzten Ausschlag gab, das mag dahin-
gestellt bleiben; sicher war der Geist seiner juristischen Auffassung
ein anderer, als derjenige der Mainzer Gerichtspfleger. Es würde
eher zu verwundern sein, wenn er in der Jurisprudenz seiner Zeit
volle Befriedigung gefunden hätte, die einen Wust von summae,
glossae und lecturae mit sich schleppte x ) und im höchsten Maasse
verknöchert war:
Begreiflich ist es daher, dass er sich höhere Ziele steckte,
dass er in die Weite strebte.
Er ist 1424 in Rom und er wird wohl dort eine Beschäfti-
gung, vielleicht eine der bei den Humanisten so beliebten Sekretär-
stellen an der Kurie gesucht haben 2 ). Im folgenden Jahre ist er
in Köln und hat dort Kunde von den daselbst vorhandenen Klas-
sikerhandschriften erhalten. Die Verbindungen aber, die er in
Rom angeknüpft hatte, riefen ihu schon 1426, als Kardinal Orsini
nach Deutschland kam, in dessen Nähe. Ein Sekretariat bei
einem Kardinal galt vielfach als Vorbereitung für eine Kurial-
stelle; manch anderer hatte erst durch diese Vorstufe, nachdem
er sich bewährt hatte, seinen Eingang in die päpstlichen Aemter
gefunden ; auch Poggio, der Nestor der römischen Humanisten, war in
früheren Jahren erst Privatsekretär eines Kardinals, des Erzbischofs
Landulfo von Bari gewesen, ehe er päpstlicher Sekretär gewor-
den war.
Kardinal Giordano Orsini war nun aber ein eifriger Förderer
aller humanistischen Bestrebungen: er war reich genug, um den
Jüngern der Kunst und Wissenschaft ein Mäzen sein zu können 3 ).
Kosten scheute er nicht, wenn es galt einen werthvollen Codex
zu erwerben; wer sich bei ihm in Gunst setzen wollte, brauchte
praetendens ad Theologiam confugisti, cuius factus abortivus, tandem mathe-
maticis superstitionibus putas verae religionis saora demonstrare. Wenn die
Appellation an den Konzilslegaten auf Wahrheit beruht, kann der Prozess
nur während des Konzils oder kurz vorher stattgefunden haben, kann also
kaum der erste sein, sofern Cusa 1423 in die Praxis eintrat.
1) v. Schulte, Geschichte der Quellen und Literatur des kanon.
Rechtes II, 473.
2) Dies vermuthet auch Sabbadini, la scuola e gli studii di Guarino
Guarini Veronese p. 103.
3) P. de Nolhac la bibliotheque de Fulvio Orsini, bibl. de l'ecole
des hautes etudes t. 74 nennt ihn einen bibliophil distingue und berichtet
uns: il legua pur l'usage public ses livres estimes 8000 ducats.
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Die humanistischen Anfänge des Nikolaus von Cuee. 17
ihm nur seltene Bücher zu beschaffen; bei seinem Tode hatte er
so 254 zum Theil wichtige Handschriften zusammengebracht 1 ).
Wir können immerhin das Körnchen Wahrheit herausschälen aus
der panegyrischen Apostrophe, die Lapo da Castilioncho, der Schüler
Filelfos, bei Ueberreichung seiner Plutarch-Biographie an Orsini
richtete, wenn er darin sagt 2 ): Die Schätze der Wissenschaft, die
Denkmale der Gelehrsamkeit, die überreiche Fülle der Schriften
die unsre Vorfahren uns hinterlassen hatten, ist vernichtet und
untergegangen ! Dürftigkeit und Lückenhaftigkeit trat an ihre
Stelle. Ich will an die einzelnen nicht denken und erinnern;
wo sind die Tragiker, Satyriker, wo die Lyriker und Elegiker,
die allein deine Stadt hervorgebracht hat! wohin sind sie
entschwunden ! Aber in dieser meiner grossen Betrübniss tröstet
mich das Einzige noch, dass ich hoffen darf, Gott der Unsterbliche
hat unserer Noth und Schwierigkeit endlich etwas abhelfen wollen,
indem er dich uns gab. Kein Zufall ist deine Geburt, sondern
von der Vorsehung für dieses Zeitalter bestimmt. Du hast arme
Studirende mit Eifer und Mühe, mit Sorgfalt und deinem Vermögen
unterstützt. Du bist seit vielen Jahrhunderten der Erste, der die
lateinische Sprache nicht nur wieder aufzurichten sich bestrebt,
sondern auch grossentheils schon wieder aufgerichtet hat. Du
hast in deinem sinkenden Alter die theuersten und gefahrvollsten
Reisen in die entferntesten Gegenden unternommen, um die ver-
borgen liegenden Schätze des Alterthums aufzufinden. Du allein
hast viele grosse Männer der Vorzeit der Vergessenheit entrissen
und hast' nicht bloss unbekannte Werke von bekannten Autoren,
sondern auch solche Schriften an den Tag gebracht, von deren
Verfassern wir nicht einmal die Namen gelesen und gehört hatten.
Du allein hast durch deine Bemühungen eine so grosse Menge
von Schriften zusammengebracht, dass sie hinreichen, die Gelehrten
von mehr als einer Stadt zu beschäftigen.
Dieser humanistische Kardinal also nahm sich des jungen
Cusa an; kein Wunder dass dieser da von selbst noch mehr in die
Moderichtung der Renaissance-Bewegung gerieth. An der Kurie
1) 'Dudik, iterRomanum I, 82, bemerkt, dass Orsini bei seinem Tode
1438 der Basilica Sti Petri 254 Bände schenkte; er wurde so der Gründer
der Bibliothek von St. Feter, die heute kaum 390 Nummern übersteigt.
2) Mehus, Traversari ep. et vita vol. I, 397. Vergl. auch Pastor,
Geschichte der Päpste I, 208.
Annalen des bist. Verein* LX1II 2
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18 AI. Meister
wirkten ja schon zur Zeit seines Aufenthaltes in Rom die Huma-
nisten Poggio, Loschi, Cenci und Bart, da Montepulciano. Da sah
er wie von dem Kardinal und diesen Humanisten so grosser Werth
auf die Gewinnung alter Handschriften gelegt wurde, da sah er
lebhafte Schreiberthätigkeit im Kopiren und Entziffern alter Schrif-
ten, da lernte er schätzen, welch ein Lebensnerv der Renaissance
in der Ansammlung einer Bibliothek beruhte.
Und so wird auch er zum humanistischen Sammler und zum
Kenner der Klassiker, von dem ein hervorragendes Mitglied des
Florentiner Humanistenkreises, Traversari, selbst schreibt, dass er
ihren Studien noch Nutzen bringen könnte 1 ). Er hat sich ganz
die Neigungen dieser Italiener zu eigen gemacht, er sucht jetzt in
Deutschland nach Handschriften, wie er es in Italien gesehen hatte;
möglich, dass er auch im direkten Auftrage Orsinis seine Nach-
forschungen anstellte. Sein Kölner Handschriftenfund hatte die
italienischen Humanisten in fieberhafte Aufregung versetzt, je
weiter die Nachricht drang desto mehr wurde sie aufgebauscht,
man sprach von 800 Codices und darunter ein Cicero de Republica!
An der Seite des Kardinals Orsini auf dessen deutscher Ge-
sandtschaftsreise wird er neue Anregungen erhalten haben. Wenn
auf die Nachricht Werth zu legen ist, dass er den Kölner Fuud
als Sekretär Orsinis machte, dann dürfte der Zusammenhang der
sein: er hatte 1425 bei seiner Anwesenheit in Köln wohl schon
etwas von einer unbekannten und vernachlässigten Bibliothek
daselbst erfahren, nach Rücksprache mit dem Kardinal ging er
noch während des Nürnberger Reichstages oder unmittelbar nachher
— jedenfalls zu einer Zeit wo man ihn noch secretarius cardinalis
nennen konnte — abermals nach Köln, dringt in diese Bibliothek
ein und entdeckt dort die Klassikerhandschriften.
Als er dann wieder in Rom anlangte 2 ), setzte sich Poggio
sogleich mit ihm in Verbindung, Hess sich über seine Nachfor-
schungen berichten und gelangte dabei zu dem Urtheil, dass Niko-
laus ein wohlgelehrter Mann sei und durchaus zuverlässig. Man
darf vielen Werth legen auf dieses Urtheil Poggios, er war damals
der beste Kenner der lateinischen Klassiker; er war wiederholt
von Leuten, die er für sich in Kontribution setzte, getäuscnt und
1) Siehe den obigen Brief auszug Nr. 12.
2) Er ist im Mai 1427 dort. Vergl. oben Nr. 1.
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Die humanistischen Anfänge des Nikolaus von Cues. 19
id die Irre geführt worden ; dadurch roisstrauisch gemacht sah er
sich jetzt seine Leute genau an, ehe er ein Urtheil Uber sie fällte
und sich mit ihnen in gemeinsame Nachforschungen einliess. Mit
Nikolaus aber begann er sofort eingehende Unterhandlungen, er
veranlasste ihn in Deutschland noch einmal nachzuprüfen, ob der
Codex wirklich Ciceros De Republica enthalte und musste infolge-
dessen allerdings später von ihm erfahren, dass diese Vermuthung
auf Irrthum beruhte und dass die Handschrift sich als das Somnium
Scipionis, wie ihn Macrob tiberlieferte, herausgestellt habe. Dafür
aber eröffnete sich für Poggio eine neue Uberraschende Perspektive.
Nikolaus von Cues glaubte damals ein umfassendes Geschichts-
werk des Plinius zu kennen und als ihm Poggio entgegnete, es
werde die Naturgeschichte des Plinius sein, verräth uns Nikolaus,
dass er auch diese gelesen habe, dass er aber nicht sie sondern
•eine andere Schrift meine, welche die germanischen Kriege enthalte.
Poggio war lange in Spannung darüber, ob sich diese Hypothese
bestätigen würde, das Resultat einer erneuten Untersuchung seitens
des Cusanus erfahren wir indessen leider nicht, und heute nimmt
man an 1 ), dass es die ersten Bücher der Annalen des Tacitus
gewesen seien, die ja in Handschriften, ohne einen Namen zu
tragen, gesondert von den kleinen Schriften des Tacitus existirten.
Dafür aber entschädigte Nikolaus die römischen Humanisten
durch eine andere Entdeckung, die bald das weiteste Aufsehen
erregen sollte.
Er war, ohne seinen, leider uns nicht völlig durchsichtigen,
Zweck erreicht zu haben, wieder nach Deutschland zurückgekehrt;
nach Poggios Bericht 2 ) soll er sehr verstimmt Uber seinen Miss-
Erfolg gewesen sein, so dass Poggio glaubte befürchten zu müssen,
dass er in seinem Grolle auch den humanistischen Bestrebungen
jetzt sich unzugängiger zeigen wUrde. Er unterhandelte zwar vor
seiner Abreise noch einmal mit ihm Uber die Handschriften in
Deutschland und auch Orsini wird ihm wohl entsprechende Instruk-
tionen mit auf den Weg gegeben haben, aber Poggio hielt es
unter diesen Umständen doch für gerathener, dass ein besonderer
Bote ihm nachgeschickt würde. Wiederholt drang er in den Kar-
dinal Orsini und bat auch seinen Florentiner Freund Niccoli das-
1) Voigt, Wiederbelebung I, 251/2.
2) S. o. Nr. 2.
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selbe zu thun und wirklieb verspricht auch Orsini endlich eine»
solchen an Nikolaus von Cues nach Ostern 1429 abzusenden und
nur die schliessliche Nachricht, dass Nikolaus wieder nach Rom
komme, machte die Ausführung dieses Versprechens überflüssig.
In der Heimath schrieb Nikolaus in der Zwischenzeit Hand-
schritten ab 1 .), und fertigte ein Verzeichniss der Bücher an, die
ihm entweder selbst gehörten, oder doch leicht zugänglich waren 2 )
und dieses sandte er nach Rom. Sogleich fiel darunter Poggio ein
Codex mit 20 Komödien des Plautus auf; das ist ein grosser
Gewinn, nicht gering anzuschlagen, ruft er aus; und diese Ent-
deckung war so erstaunlich, dass Niccoli in Florenz glaubte Poggio
habe sich durch diese Nachricht mit ihm einen Scherz erlauben
wollen.
Um die Weihnachtszeit 1429 kam dann Nikolaus von Cues
wieder nach Rom und brachte neben anderen Handschriften den
Plautuscodex mit 16 Komödien mit 8 ). Sogleich begann ein Sturm-
laufen nach demselben, die namhaftesten Humanisten setzten ihre
schreiblustigen Federn in Bewegung, um eine Abschrift der unbe-
kannten Komödien zu erhalten. Aber lange waren alle Bemühungen
umsonst, der Kardinal verweigerte die Herausgabe 4 ) ; er wollte selbst
die Ehre beanspruchen, sie transcribirt zu haben 6 ). Selbst Fürsten
bemühten sich vergebens darum. Erst als der gewaltige Lorenzo
Medici nach Rom kam, da gelang es ihm auf kurze Zeit die Hand-
schrift nach Florenz zu entleihen, wo sie Niccoli eiligst kopirte. Noch
1) Manuskript D. 2ß in der Bibliothek des dieser Hospitals.
2) Scripsit litteras cum inventario librorum, quos habet, schreibt
Poggio; ich weiss uicht, ob man daraus schliessen darf, dass er sie selbst
besass. S. o. Nr. 2.
3) Den Plautusfund erzählt nach den Poggio-Briefen Ritsehl „über
die Kritik des Plautus" (Rheinisches Museum für Philologie IV 183ü), an
Nikolaus vou Cues dachte er noch nicht.
4) Vergl. darüber Voigt, Wiederbelebung etc. I, 258.
5) Tonneiii, Pogii ep. lib. IV, 11 und 17, besonders: transcribitur
modo, donoque mittetur duci Mediolanensi (d. i. Philipp Maria Sforza) qui cum
per literas postulavit. Marchio item Ferrariensis (d. i. Lionello Markgraf
v. Este) petiit; dabitur Ulis sed ita corruptus, ut vere barbaris redire post
liminis videatur. Cupit homo noster (d. i. Cardinal Orsini) tamquam triumphi
honorem ex hoc libro, ac si ipse illum tuo studio aut impensa reperisset.
Rogavit Autoniaem Cuscum (Loschi) ut in prineipio adderet aliquid, quo
constaret tantae rei fama.
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Die humanistischen Anfänge des Nikolaus von Cues.
21
foeute ist der von Nikolaus von Cues stammende Plautuscodex
erhalten, es ist der von Ritsehl als D bezeichnete jetzige Cod.
Vaticanus lat. 3870.
Dass Nikolaus auch weiterbin mit den italienischen Huma-
nisten in Verkehr blieb, das geht aus dem oben mitgetheilten l )
Briefe Traversaris vom Jahre 1435 hervor. Und daher stammt seine
Vorliebe für die klassische Literatur 2 ), deren Studium er später
wiederholt empfiehlt.
Das humanistische Italien hatte also in diesen zwanziger
Jahren den Löweuautheii an seiner geistigen Ausbildung gehabt.
1) S. o. Nr. 12.
2) Er betont sein Quellenstudium und Zurückgehen auf das Alterthura,
z. B. in der Vorrede der „Concordantia catholica."
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lieber den Arnoldswald bei Jülich.
Von
Dr. Armin Tille.
Nur weniges ist bisher über Verfassung und Geschichte des
grossen „Bürgenwaldes", der sich von Kerpen und Manheim bis
Angelsdorf und Zier an der Grenze der heutigen Kreise Bergheint
und Jülich hinstreckte, bekannt geworden. Ausser Dornbusch in
seinem Aufsatze „Die Zievericher Burgen" 1 hat meines Wissens nur
ArnoldSteffens in seinem interessanten Buche vom heiligen
Arnoldus 2 darüber gehandelt. Zwanzig Dörfer sind an dem ge-
nannten Walde berechtigt, und die mit der Person des heiligen
Arnold innig verknüpfte Legende macht ihn zu einem Geschenke
Karls des Grossen für die armen Gemeinden 3 . Die älteste Hand-
schrift der Acta s. Arnoldi, welche aus Paderborn stammt, gehört
erst dem 14. Jahrhundert an. Steifens kommt mit Rücksicht auf
die Namensformen der erwähnten Dörfer zu dem Ergebniss, die
Lebensgeschichte sei im Anfang des 12. Jahrhunderts verfasst
(S. 58). Wir kennen jedoch schon eine urkundliche Stelle aus
dem Jahre 922, welche aller Wahrscheinlichkeit nach von der Be-
rechtigung der Gemeinde Niederzier am Btirgenwalde handelt,
denn kein anderer kann den Verbältnissen nach unter der communis
Silvas verstanden sein 4 . Zwei weitere Urkunden vom Anfang des
1) Annalen des bist. Vereins Heft 31 (1877), S. 27.
2) Steffens, Arnold „Der heilige Arnoldus von Arnoldsweiler". Aachen
1887. 137 S. 8°.
3) Vgl. Acta s. Arnoldi confessoris (saec. IX) in pago Arnswiler in agro
Iuliacensi auetore anonyme — Acta sanetorum Bolland. Juli Bd. IV. (18. Juli)
Antverpiae 1725. p. 449—152. Dazu Analecta Bollandiana, tom. IV (1885), S.350.
4) Siehe Annalen d. hist. Vereins Heft 2B/27, S. 338. Die Urk. ist
vom 11. Aug. und betrifft das Stift St. Ursula zu Köln und dessen Besitz
daselbst.
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Ueber den Arnoldsvvald bei Jülich.
23
14. Jahrhunderts erwähnen unseren Wald direkt: die erste vom
10. Januar 1301 1 sagt .... silvam sitam ex una parte juxta silvam
que dicitur Burgele et alia parte juxta Faffenvorst, die zweite vom
1. September 1306 2 , welche deutsch abgefasst ist, nennt die Bur-
gele und auch die hültzgenosen und spricht von der Vertheilung des
gemeinsamen Holzes. Von den jüngeren Urkunden ist bisher nur
die des Herzogs Wilhelm von Jülich vom 18. März 1360 (Steffens,
S. 43 — 45) gedruckt; sie handelt von der alten Verpflichtung der
Gemeinden zur Lieferung von Wachskerzen an die Kirche zu
Arnolds weiler van der Bürgen, die wylne was genant der Schwarte-
ivaldt. Die jüngeren Jülich'schen Privilegien und die Holzordnung,
die in mehreren Copien des 16. und 17. Jahrhunderts vorhanden
ist, sind hingegen noch nicht veröffentlicht worden. Material in
dieser Richtung enthält das Ptarrarehiv zu Arnoldsweiler und das
reiche Archiv der Freiherrlichen Familie von Bongart zu Schloss
Paffendorf 3 bei Bergheim, sowie das Archiv des Freiherrn Franz
von Bourscheidt zu Haus Rath bei Arnoldsweiler. Unter den
ziemlich umfänglichen Akten über Buschangelegenheiten, die 1667
einsetzen, findet sich zu Paffendorf ein Quartheft, welches 1605
angefertigt ist und nach den Originalen der Schöffenkiste zu Paf-
fendorf die Waldprivilegien von 1360, 1512, 1545, 1557, 1562 und
1573 enthält. Ausserdem finden sich in anderen Abschriften Ord-
nungen für den Bürgenwald von 1531 und 1657.
Als Ergänzung unserer jetzigen Kenntniss über den Bürgen-
wald wird unter diesen Umständen eine Aufzeichnung aus den
Jahren 1712 — 1718 interessiren , welche sich in einem Rentver-
zeichniss 4 des Pfarrarchivs zu Niederembt (Kreis Bergheim) vor-
findet. Es ist anscheinend eine Privataufzeichnung des damaligen
Pfarrers zu Niederembt, der zur Wahrung seiner Rechte vom Ver-
lauf einiger Holzgedinge erzählt und uns darin über die Verfas-
sung des Waldes mancherlei interessante Aufschlüsse giebt, welche
in dieser Klarheit mit so viel Einzelheiten ausgestattet nur selten
ein Weisthum zu geben vermag. Es mag deshalb der gesammte
Eintrag, wie er sich auf S. 89 und 90 des genannten Registers
1) Lacomblet, Urkundenb. III, S. 10—11.
2) Ebenda III, S. 34/35.
3) Vgl. Uebersicht über den Inhalt der kleineren Archive der Rhein-
provinz II (1897) Kreis Bergheim.
4) 1 Heft, fol. Pap. in Perghs. als Umschlag, enthaltend Pfarreirenten,
Anniversarien u. a. 17. u. 18. Jhhdts.
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24
Armin Tille
findet, in seinem Wortlaute unten folgen. Zur allgemeinen Orien-
tirung 6ollen hier nur noch die Namen der 20 Dörfer angegeben
werden, wie sie der erwähnte Paderborncr Codex der Acta s.
Arnoldi aufzählt. Es sind Arnoldsweiler — Wilrc, Ellen- -Ellin ,
Oberzier— Gyrin superior, Niederzier— Cyrin, Lieh — Ligch, Ober-
embt — Embe superior, Niederembt — Embe, AngeUdorf—Angilsdorp,
FAsdorf—Egilsdorp, Paffendorf— Baffindorf, Glesch— Glessin, Hep-
pendorf— Eppindorp, S'wdort'—Sigendorp. Manheim— Manhem, Ker-
pen — Kerpin, Blatzheim — Bladeshim, Golzheim — Godilshim, Buir—
Burin, Morschenich— Moirsaean, Merzenich - Mcrccnnych. Steffens
giebt S. 53 auch die Namensliste, aber in der Schreibweise, welche
die Stockheimer Haudschrift der Acta s. Arn. (Abschrift der ver-
schollenen aus Arnoldsweiler, welche 1832 dort noch vorhandeu
war) aufweist.
Verfolg von deren herrn pastoribus ihrer gerechtigkeit auf
der Bürgen.
Anno 1712 seind die brachten der Bürgen besessen worden
zu Elstorff auf dem trepgen im octobri bis in den advent, wobei
sich eingefunden beide holtzgräffen freiherr W.(?) von Bongardt
von Paffendorff, ambtman, und her von Hochstäden, freiherr von
Speess zu Raath, vorstmeister, herr von Schmidtberg von Stammelen,
herr von Brachel von Bremeren, herr von Horst zu Laach, herr
pastor Paulus Sültz in Niederembt, Matthias Müller, scheffen zu
Verckerhoffen, ex parte Serenissimi Electoris, herr von Hompesch
oberjagermeister, herr Schlosser, brttchtemeister, gerichtschrieber
von Eschwieler, mit dem procuratore Goldtstein aus Düren. Den
entfang deren brächten betten sollen haben einer von den erben
und dan der keller von Hamich, wielen aber dieser den empfangen
(ohne nachdenken allein gehabt), so seind von den brächten die
dioeten nicht ausgeliffert: so in allem seind gewesen 400 gold-
gulden, von denen uns versprochen alle tag dioeten von Ihro gnaden
hem ambtman von Bongardt, aber nichts bekommen von 38 tag;
die ursach ist: wielen die hem beerbten den empfang allein den
keller zu Hambach vergönnet, widrigens werde sein erfolgt, wan
einer von den beerbten darzu wurde sein verordnet zum empfang
der brächten.
Anno 1714 den 8. Septemb. (nach absterben des holtzgräffen
freiherrn von Bongarth) bin mit zu der Bürgen gehörigen pastoribus
vom förster eingeladen nach Elstorff zu der iuftherberg, umb den
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lieber den Arnoldswald bei Jülich.
25
13. lauffenden monatz einen neuen holtzgräffen zu erwehlen : so
seind stuhl und ein tisch umb zehn uhren gesetzt mitten auf die
strass gegen der vogelsioden über, zugegen seind gewesen Ihr G.
herr ambtman von Bercheimb, herr von Beveren, herr von Speess
von Raath, vorstmeister, herr von Schmidtberg, herr von Brachel,
herr von Forstz zu Bremer, herr pastor von Niderembt, Angels-
tortf, Overembt, beisitzende pastores. So hat procurator Golstein
von Düren gelesen die BUrgenordnung. Nachdeme hat herr von
Schmidtberg die vota der herrn ritterburdgen durch brieff, wie
aucli DD. Abbatum, Abbatissarum, fort Prioren und hoffen dem
herrn Goldtstein zu protocolliren gezeigt, darbei dan absonderlich
auf herrn von Schmidtberg anfrag ihme Ihro hochwürden unseren
herrn abten sein stim, wie dan auch unseren herrn pastoren fort
halffwinner wegen der hofe gegeben. Nachdeme hat der herr
Statthalter vom herrn von Reuschenberg von Settrich durch unseren
ambtman Serenissimi Electoris votum in scriptis cum recommen-
datione an sambtliche beerbten mit vorbehält und ohne freier wähl
hemmung zu beobachten vorgelesen. Respondit her von Schmidt-
berg: wir nehmen an mit höchster unterthanigkeit und ehrbiet-
zambkeit unsers gnädigsten herrn votum und recoramendation , in
denen aber alles gegründet, als wan her von Settrich zu Reuschen-
berg thate wohnen nechst in der Bürrig. Dahe er hingegen won-
haft ist zu Settrich und ausserhalb der holtzgemarck, also unfähig
des voti, so wollen wir Ihro Durchl. desen Information thuen und
hier mit der wähl fortfahren. Demnegst ist herr von Schmidtberg
unanimiter zum holtzgrafFen erwehlet und von Ihro Churf. Dhl.
zu Dusseldorff, alwo diese sach abgemacht, confirmiret.
Anno 1715, den 27. Jan., seind die herrn pastores vom forster
«ingeladen an die alte raarck, umb den 4. Febr. einen neuen holtz-
gräffen über die Bürg zuerwehlen, alwa der herr von Speess, forst-
meister, die proposition gethan und nach Vorzeigung hochw. ihre
vota, wie auch faccaliers, also von herrn pastoribus und sampt-
lichen beerbten herr von Brachel zum holtzgräffen erwöhlet, welcher
dieselbe herrn geistliche zu Overembt herlich tractirt. Es mögte
«in unwissender geredt haben: „ihr geistlichen seit kein erben."
Respondendum: die erben werden citirt etc. und die erben die
besitzen die brächten, wie ich dan dich habe helffen brüchten zu
Elstorff aufm träpgen bei Tilman Randerath, der objiciens aber
ist gewesen Mattheis Kremer, scbeffen zu Verckeshoven, (anno
1712 davor auf der brücht zu Hambach beim vorschrieber).
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2<;
Armin Tille: Uebcr den Arnoldswald bei Jülich.
Anno 1718 den 6. Octb. seind eitirt die herrn pastores vom
forster nach St. Arnoldtswieler mit erben, ahnerben umb 9 stund,
dalie dan erschienend mit permission herrn von Brachel zn Over-
emb, holtzgräffen, so durch herrn pastoren und dechanten zu Gülich
ein Cburfl. befelch bekommen etc. (und herrn von Spiess zu Raath
nach abgelesener Burgenordnung von anno 1360 etc. 1512, 1545,
1555, 1560, in welchem iahr Wilhelmus hertzog zu Gülich und
Bergh alle die specificirte mit der letzter approbirt, ratificirt und
confirmirt) vor dem herrn Goltstein von Düren approbirten notario
und procuratore dieses einhalts: nachdeme wir viele morgenzahl
haben bei der Burgen gelegen, im Laach genant, und resolvirt
seind, dass diese mögen verwexelt werden mit so viel morgen
aus der Bürgen, zu dem end wollen die erben und ahnerben sich
herzu auch resolviren. Darauf angefangen: item Hochwollgebohrne,
fort erben und ahnerben, ihr werdet woll gehört haben, das hoch-
seeligen andenckens Wilhelm hertzog und gnädiger landfurst und
herr die Ordnungen von 1360 bis seines lebens 1560 alle confirmirt,
wie er dan auch durch veraidete landmesser hat lassen abmessen
den wald (in sich haltend in circuitu zwei meil und in der breite
ein halb meil), so hat sich befunden in der mass 7975 morgen 45
roden, sage siben tausend neun hundert sibenzig fünf morgen fünf
und viertzig roden; wie obengemelter die Burg in vier quartalen
neben dem abgetheilt, davon das erste quartel St. Arnoldtswieler
mit seinen döiffer, das 2. Niderembt etc., das 3. Elstorff mit seinen
etc., das 4. Manheim, Blotzheimb etc. Zu dem wissen wir erben
und ahnerben, das von der zeit und in der zeit unsere voreiteren
in keine verwexelung der Burgen niemalen haben eingewilliget,
sonderen bestendig verblieben bei der uberlifferung des H. Arnoldi
(dabei sein leben summarie beigebracht) und des hochseelichen
andenckens Caroli Magni, welche uberlifferung des walds an die
arme umbligende dörffer so speeificirt mit ausziehung seines rings
vom finger in beiwesen seines hoffs dem heiligen Arnoldo uber-
geben also billig wie der ring bedeut perpetuitatem, wir und alle
mit mir einhellig wie unsere vorfahren sich bestendig verhalten,
dieses bis an das end der weit mit der Burgen ohne verwexelung
werdet bejahen, so alle bejahet, und die 4 quartier haben bekommen
6 reichsthaler vor einen trunk, annebens Golstein hat den bericht
abgelesen.
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Der Exorcismus an Herzog Johann Wilhelm von Jülich
in den Jahren 1604 und 1Ö05 1 ).
Von
E. Pauls.
Die Geschichte der Herzöge von Jülich kann für die Zeit
von 1589 — 1609 als ein grosses Trauerspiel bezeichnet werden.
Herzog Wilhelm III. (V.), bekannt durch seinen um den Besitz
Gelderns gegen den übermächtigen Kaiser Karl V. geführten un-
glücklichen Krieg, hatte bald nach dem Frieden von Venlo (1543)
Maria, eine Nichte seines siegreichen Gegners, die Tochter Fer-
dinands L, geheirathet (1546). In glücklicher Ehe schenkte die
Königstochter ihrem Gemahl sechs Kinder, verfiel dann aber in
Schwermutb, die zeitweise in Geistesstörung ausartete. Ihr sie-
bentes Kind, der nachmalige Herzog Johann Wilhelm von Jülich,
erblickte am 29. Mai 1562 das Licht der Welt 2 ). Johann Wilhelm,
der ursprünglich zum geistlichen Stande bestimmt war und im
Alter von zwölf Jahren zum Bischof von Münster gewählt wurde,
entsagte nach dem unerwarteten Hinscheiden seines älteren Bru-
ders der Aussicht auf hohe geistliche Würden und widmete sich
am väterlichen Hofe den Regierungsgeschäften. Im Juni 1585 ver-
mählte er sich mit der nachmals durch ihr unglückliches Geschick
so berühmt gewordenen Markgräfin Jacobe von Baden, hatte indess
1) Nach bisher unveröffentlichten Akten im Königl. Staatsarchiv zu
Düsseldorf.
2) Zeitschrift des bergischen Geschichtsvereins Bd. 23, S. 2 u. S. 186 ff.
Zahlreiche Porträts von Mitgliedern der (Jülicher) herzoglichen Familie im
historischen Museum der Stadt Düsseldorf; ein Bild Marias, der Tochter Fer-
dinands I., im XI. Bande des Jahrbuchs des Düsseldorfer Geschichtsvereins.
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E. Pauls
schon in den ersten Jahren der Ehe mit grossen Widerwärtigkeiten
zu kämpfen. Zwar schwanden nämlich die bereits im Jahre 1566
-durch einen Schlaganfall gelähmten Kräfte seines Vaters unter
dem Einfluss des Greisenalters zusehends, hartnäckig aber wies
Wilhelm III. (V.) fast jede Mitwirkung des Jungherzogs an der
Regierung zurück. War es Missrauth über die Zurücksetzung bei
<ler Leitung der Staatsgeschäfte, war es Gram über die Kinder-
losigkeit der Ehe, oder lag — was wahrscheinlich ist — eine erb-
liche Belastung vor: der Jungherzog wurde zunächst schwerraüthig.
•dann um Neujahr 1590 tobsüchtig. Eine grauenhafte Verwirrung,
«in wildes Intriguen- Spiel gewannen nunmehr auf Jahre hinaus am
Düsseldorfer Hofe die Oberband. Für den durch Alter und Kum-
mer gebeugten Herzog Wilhelm (er starb 1592 j, für seinen wahn-
sinnigen Sohn und dessen kluge, den Verhältnissen indess nicht
recht gewachsene Gemahlin regierten die Räthe, deren Ränken
Jacobe im September 1597 zum Opfer fiel 1 ). Im Befinden des
Herzogs Johann Wilhelm war in den Jahren 1598/99 anscheinend eine
Besserung eingetreten, während welcher er zur Vermählung mit
Antoinette von Lothringen schritt (1599) 2 ). Als auch diese Ehe
kinderlos blieb, als damit ein unübersehbarer Erbfolgestreit und
namentlich auch das Uebergehen der Regierungsgewalt an ein pro-
testantisches Herrscherhaus in Aussicht stand, da versuchte man
unter dem Druck der Verhältnisse den Exorcismus gleichsam als
letztes Heilmittel; durch ihn erhoffte man die Wiederherstellung der
■Gesundheit des Herzogs und Kindersegen in der herzoglichen Fa-
milie. Dies in grossen Zügen die Vorgeschichte des Exorcismus
an Herzog Johann Wilhelm in den Jahren 1604 und 1605. Voll-
ständig lässt sich das hier vorliegende Problem nicht lösen; zum
grossen Theil dagegen erklärt es sich durch die Art des Wahn-
sinns, die Gutachten der Aerzte und Theologen und die An-
1) Dass Jacobe erdrosselt wurde, nehmen fast alle ihre Biographen an.
{Vgl. Zeitschrift des bergischen Geschichtsvereins Bd. 13, S. 98 ff.).
2) Das folgende Schema erleichtert die Uebersicht.
Wilhelm III., Maria, , Johann Wilhelm,
Herzog Tochter Kaiser i j§ Herzog z. Jülich,
von Jülich, Ferdinands I., f £ geb. 1562
geb. 1516 geb. 1531 / .§ verm. 1585 Jacobe v. Baden f 1597.
verm. 1546 verm. 1546 V U „ 1599 Antoinette v. Lothringen
starb 1592. starb 1581. < gest. 1609. t 1610.
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Der Exorcismu8 an Herzog Johann Wilhelm von Jülich. 29-
schauungen der Zeit Da lohnt sieh wohl ein etwas näheres
Eingehen.
Es rief in den weitesten Kreisen ungeheures Aufsehen her-
vor, als die wahrscheinlich schon seit einigen Jahren 1 ) im Keime
vorhandene Geisteskrankheit des Jungherzogs Johann Wilhelm um
Neujahr 1590 in Tobsucht ausartete, so dass bald nachher der
Krauke in Gewahrsam gebracht werden musste 2 ). Der Kaiser
und die Kurfürsten, geistliche und weltliche Personen jedes Ranges
boten ihren Beistand an, falls sie irgendwie helfen könnten. Alle
Welt ahnte für das bedeutendste Gebiet am Niederrhein das Nahen
einer neuen Zeit: das Erlöschen des herzoglichen Geschlechts im
Mannesstamme und die Theilung der Herzogthümer. Zu spät setzte
man am Düsseldorfer Hofe Himmel und Erde in Bewegung, um
von einem schrecklichen Verhängniss befreit zu werden, zu dessen
Abwehr in den ersten Zeiten der Entwicklung vielleicht zu wenig
geschehen war. Nichts fruchtete. Die Aerzte sprachen von erb-
licher Belastung (ex paterno semine et materno sanguine) 8 ), doch
1) Spuren von geistiger Störung scheint der päpstliche Nuntius Frangi-
pani in Köln schon im Sommer 1587 beim Jungherzog entdeckt zu haben.
Frangipani bemerkt, der für ,,Vernunftgründe unzugängliche" Johann Wil-
helm habe gelegentlich eines bedeutsamen Gesprächs staatsrechtlicher Art
eine Menge haltloser und unverdauter Pläne ineinander gewirrt. (Zeitschrift
des bergischen Geschichtsvereins Bd. 13, S. 13.)
2) Kurz vor Neujahr 1590 glaubte der Jungherzog, sein Vater wolle
ihn hinrichten lassen, weshalb er Tag und Nacht in voller Rüstung, um zur
Vertheidigung bereit zu sein, zubrachte. Auch stand Johann Wilhelm damals
zuweilen auf einem Beine vor dem Scbloss in Düsseldorf „und sähe hinein,
als wenn er frembdt gewesen wäre". Dem im Düsseldorfer Staatsarchiv vor-
handenen umfangreichen Aktenbündel „Krankheit des Jungherzogs Johann
Wilhelm 1589—1590; Jülich-Bergische Familiensachen 106" entnehme ich
noch, dass im Januar 1590 Johann Wilhelm gestiefelt und gespornt sich mit
halbem Leibe lange über die Mauer an der Schlosszinne lehnte. Beim Zurück-
kehren in das Scbloss setzte er sich den Dolch bald auf die rechte, bald auf
die linke Brust; mit „blossen Wehren" und geladener Büchse ging er mit-
unter auf seine Umgebung zu, seine Stiefel reinigte er im Bach. Weder
kämmte er sich, noch ,,rieb er den Kopf ab". Es steht nicht genau fest,
wie lange Johann Wilhelm in Gewahrsam gehalten worden ist und welcher
Art die während der Haft ihm gestattete Freiheit war. Anscheinend konnte
er Jahre hindurch nur unter Aufsicht und unbewaffnet in Hofkreisen ver-
kehren.
3) Die bemerkenswerthe Stelle des am 16. Oktober 1589 ausgestellten
Gutachtens lautet: „Hochgemeiter her ist von naturen und complexion me-
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E. Pauls
all' ihre Mtiheo, ihre alltäglichen Besprechungen und die bis ins
Kleinste hinein geregelte Behandlung vermochten nicht, eine Heilung
der tückischen Krankheit herbeizuführen. Immer drückender wurde
die Lage, immer aussichtsloser der Kampf gegen den Wahnsinn.
Da darf es bei der gänzlichen Ohnmacht der ärztlichen Kunst
der damaligen Zeit nicht Wunder nehmen, dass Jacobe und die
Räthe schon zu Ende Januar 1590 ihre Blicke auf kirchliche Heil-
mittel richteten. Cornelius Ingenhoven, ein Priester in Köln, erbot
sich, durch Exorcismen, gesegnetes Brot u. dergl. auf die Genesung
des hohen Patienten hinzuwirken. Seine Vorschläge wurden meh-
reren Theologen zur Begutachtung vorgelegt, fielen aber auf
steinigtes Erdreich. „Einmüthig" gaben die Kleriker am 9. Februar
1590 ein die Kur ablehnendes Gutachten ab, welches als ein inter-
essantes Denkmal in der Geschichte des Exorcismus und der
Wunderkuren an der Wende des 16. Jahrhunderts 8 ) dem wesent-
lichen Inhalte nach hier wiedergegeben wird. Gefragt wurde, ob
die Kur, welche Herr Cornelius Ingenhoven an dem Jungherzoge
lancholich und swermutigh, welche complexion derselbigen, wie vur gesagt,
angeboren, wie sulches abzunemen, das er ex paterno semine et materno
sanguine hierzu naturirt und geneigt. Dan als er vom hern vatter gezuigt,
ist der her vatter nach langwerenden febribus irst continua darnach quar-
tana und scorbuto difficili noch swach gewesen und dohemeils eine geswherte
miltzen gehat, (ut nihil amplius de materno sanguine hic addamus). Das
aber alsulche dispositiones von den eidern auf die kinder erben, ist klair
und am tagh, wie sulches alle medici genugsam zeugen.« (Kgl. Staatsarchiv
zu Düsseldorf; Jülich-Bergische Familiensachen Nr. 106.) Die Geisteskrank-
heit der Mutter wird also ziemlich offen angedeutet. P. B. Bergrath
widmet der Geisteskrankeit der Herzöge Wilhelm III. (V.) und Johann Wil-
helm eine interessante Abhandlung. Nach Bergrath, der übrigens das
zur Krankheitsgeschichte der Herzöge im Düsseldorfer Staatsarchiv vorhandene
Material nicht gekannt hat, war der Stamm, dem Wilhelm III. (V.) ent-
spross, zu Beginn des 16. Jahrhunderts in einer fortschreitenden Entartung
begriffen. In der Familie der Gemahlin Wilhelms III. (V.) aber war damals
einzig die Groasmutter Marias geisteskrank gewesen. Marias 14 Geschwister
blieben alle geistesgesund. (P. B. Bergrath, Zeitschrift für Psychiatrie
Bd. X, 1853, S. 257, 258 und S. 271.)
2) In A. H i r 8 c h 's Geschichte der medizinischen Wissenschaften in
Deutschland, München und Leipzig 1893, S. 49, heiast es u. a., dass der
Glaube an Hexen und geheime Künste niemals üppiger geblüht habe, als im
16. Jahrhundert. Ein Beweis wird nicht gegeben ; die Behauptung ist etwas
gewagt.
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Der Exorcismus an Herzog Johann Wilhelm von Jülich.
Hl
„ vorhat", der hl. Schrift und kirchlichen Lehre gemäss sei; ferner
ob nicht einige „geistlichen Remedia" zur Heilung oder Linderung
angegeben werden könnten. In der Antwort erklären die Theo-
logen, dass Ingenhovens Kur mit Superstition und Aberglaube
vermischt sei, also mit gutem Gewissen nicht gebraucht werden
könue. Was zunächst die Urinprobe betreffe, so solle es ein Zei-
chen von Bezauberung sein, wenn der Harn des Kranken, dem
Feuer ausgesetzt, nicht überlaufe. Der Grund dieser Erkennung
einer Krankheit ist aber, wie das Gutachten hervorhebt, gefähr-
lich, unaufrichtig und abergläubisch; er rührt von Leuten her, die
mit dem Teufel wenigstens einen geheimen Vertrag abgeschlossen
haben (cum daemone . . . occultum pactum). Ob diese Harnprobe
am Feuer thatsächlich besteht, dies zu untersuchen, so heisst es
ferner, überlassen wir den Aerzten. Ferner sage Ingenhoven, dem
Jungherzog sei vielleicht ein Spiritus Pythonicus 1 ), also eine Art
Zauber (species maleticii) angezaubert; er (Ingenhoven) wolle, falls
man seine Kur billige, untersuchen, ob dem so sei oder nicht.
Bei einer so hohen Person, wie es der Jungherzog ist, halten wir
aber, so fährt das Gutachten fort, eine solche Kur für ein „unfüg-
lich Ding", fürchten auch, ohne der priesterlichen Ehre Ingen-
hovens zu nahe treten zu wollen, der Erzfeind möge hierdurch
mehr verbündet und angezogen, denn vertrieben werden. Drittens
wolle Ingenhoven, der Beschreibung seiner Heilmethode nach zu
schliessen, natürliche und übernatürliche Heilmittel ungebührlich
mit einander verbinden. Dies widerstreitet indess den kirchlichen
Bestimmungen (contra canones). Viertens laufe Ingenhovens Kur
im dritten und vierten Punkt auf Aberglaube hinaus. Er beab-
sichtige, gesegnetes Brot und Wasser anzuwenden, auf das Brot
etliche Worte zu schreiben und dies dem Kranken als Speise zu
geben 2 ). Hierbei liegt Aberglaube und Missbrauch des göttlichen
Wortes vor. Ueber die von Ingenhoven vorgelegten Exorcismus-
1) Dieses Wort kommt in den Quellenwerken zur Geschichte des Hexen-
wahus zuweilen vor. Es findet sich schon zur Karolingerzeit und bedeutet
unerlaubtes, wohl mit Zauberkünsten verbundenes Wahrsagen. Pythonizare
(nach Ducange) =* pythonico spiritu agi.
2) Erinnert lebhaft an die nach Weyer vorgekommene Behandlung von
Personen, die ein toller Hund gebissen hatte, mit Apfelschnitzeln, auf welche
die Worte Hax, pax, max, deus adimax geschrieben worden waren. (C. B i n z,
Doctor Johann Weyer, Berlin 1896, S. 49.)
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;*2
E. Pauls
formein verlieren wir, so etwa schliesseu die theologischen Sach-
verständigen, keine Worte, da zur Zeit hieran nicht zu denken
ist. Wir wollen sicherlich nicht die von der Kirche verordneten
Exorcismen verwerfen oder verachten. Sollten sich untrügliche
Zeichen einer Bezauberung (Spiritus pythonici) herausstellen, so
sollen bewährte Exorcismen, nicht hin und wieder zusammenge-
raffte Formeln, zur Anwendung kommen. Die weitere Kur des
hohen Kranken empfehlen wir den Aerzten 1 ).
Die frische, kernige Sprache des vorliegenden Gutachtens ist
ein Beweis dafür, dass man am herzoglichen Hofe, diesmal im Sinne
der Anschauungen der gelehrten Rathgeber zu Anfang der Regie-
rungszeit des Herzogs, zwar die Lehre der Kirche bezüglich des
Exorcismus hochhielt, aber anderseits durchaus nicht gewillt war,
dem Aberglauben besondere Concessionen zu machen. Hatte man
es doch einst, eben am Hofe Wiihelms III. (V.), als einen gott-
losen Unfug bezeichnet, widrige Geschicke auf den Teufel zurück-
zuführen oder zu glauben, sie seien von bösen Menschen durch
Zaubern veranlasst 2 ). Und als im Jahre 1566 und später
der Herzog in Folge eines Schlaganfalles unter seltsamen, den
Aerzten schwer erklärlichen Krankheitserscheinungen zu leiden
hatte, da sprach man nicht von Bezauberung, sondern betrachtete
die Krankheit als eine Schickung Gottes 3 ).
Nachdem Johann Wilhelm nach dem Ableben des Vaters (1592)
unter den traurigsten Umständen 4 ) zur Regierung gelangt war, mag
1) Das Gutachten (Düsseldorfer Staatsarchiv : Jülich-Bergische Familien»
Sachen Nr. 106) ist unterzeichnet von Tli. ab Holthausen, colleg. b. Mar.
virg. decanus; Casp. Ulenbcrgius Lippiensis canonicus et pastor sct. Cuniberti,
Coloniae; Hub. Fronhovius, sacellanus illustr. prineipis; Winand. Thomasius,
illustr. prineipis sacellanus; Christianus Muserus; Joannes Altroggius.
2) Abusus est impius, quod afflictiones et cruces a diabolo putentur
imponi, aut incantationibus a malis hominibus immitti. (Düsseldorfer Staats-
archiv; Jülich-Berg. Geistliche Sachen Genernlia No. 11c. Reformations-Ver-
handlungen und Kirchenordnungs-Entwürfe. 1545—1568 Fol. 11.)
3) Indem die Aerzte dies hervorhoben, beriefen sie sich auf einen
Spruch Galens: esse aliquos morbos, qui aliquid divini in se habeant. (Königl.
Staatsarchiv zu Düsseldorf. Clevische Landstände. Chronik. Supplement Nr. 13.)
4) Der Fürst geisteskrank, die Fürstin im Kampfe mit den Rathen,
die Räthe unter sich uneins, das Land durch Kriegsschaaren und Lasten aller
Art bedrängt: kann es in der Geschichte eines Staates ein unerfreulichere»
Bild geben ?
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Der Exorzismus an Herzog Johann Wilhelm von Jülich. 33
seine Gemahlin mit richtigem Blick erkannt haben, dass eine
günstige Wendung der Dinge hauptsächlich nur durch die Gene-
sung des Herzogs eintreten könne. Jacobe griff zu Heilmitteln
abergläubischer Art. Nicht consecrirte Hostien wurden mit gewissen
Zeichen beschrieben und unter Austern dem Kranken als Gericht
vorgesetzt ; auch liess die Herzogin einen Zettel, auf dem das Evan-
gelium des hl. Johannes vermerkt stand, ihrem Gemahl ins Wamms
nähen 1 ). Augenscheinlich nahm Jacobe ebenfalls an, dass Johann Wil-
helm bezaubert sei, und ziemlich unzweifelhaft würde sie gegen den .
vermeintlich vorhandenen bösen Zauber zum kirchlichen Heilmittel
des Exorcismus gegriffen haben, hätte dies in ihrer Macht gelegen.
Noch aber hielt man in den maassgebenden Kreisen, wahrschein-
lich noch unter dem Eindrucke des Gutachtens der Theologen vom
5. Februar 1590, am Düsseldorfer Hofe die Mittel der ärztlichen
Kuust nicht für fruchtlos, und thatsächlicb scheint es, als ob durch
die verschiedenen Curen 2 ), denen der Herzog im Laufe weniger
Jahre sich unterzog, ein nur zu bald vorübergehender Erfolg er-
zielt worden sei. Nach dem Tode Jacobes (1597) trat für längere
Zeit eine lichte Zwischenpause im Befinden Johann Wilhelms zu
Tage. Seine zweite Gemahlin, Antoinette von Lothringen, suchte
den Herzog durch Zerstreuung aufzuheitern, vermochte es aber doch
nicht abzuwenden, dass ihr Gemahl dem Blödsinn immer näher
kam. „Er hielt sich still, und man befand bei ihm jetzt mehren-
theils Simpelheit.' 4 So hiess es schon im Sommer 1600, und seit-
dem, bis zum Tode des armen Geisteskranken, scheint man der
„Simpelheit" mit Heilmitteln inedicinischer Art nicht mehr entge-
gengetreten zu sein 8 ); man hielt eben, nach den so vielfach ge-
1) Vergl. Beilage 1, S. 40. Ausdrücklich heisst es, die Hostien seien
nicht consecrirt, wohl aber geweiht (?) gewesen. Einige Autoren nehmen
an, Jacobe habe gewisse Mittel gegen ihren Gemahl, d. b. mit der Ab-
sicht, ihm zu schaden, angewendet. Nach dem reichen von mir durchge-
sehenen archivalischen Material zur Geschichte der unglücklichen Herzogin
spricht hierfür kaum eine Wahrscheinlichkeit. Wenn der Herzog, nachdem
er das Vorhandensein des Zettels in seiner Kleidung gemerkt hatte, sich da-
hin äusserte, der Teufel sitze im Wamms, so erklärt sieh dies leicht durch
die ängstliche Aufmerksamkeit der Irren, namentlich der Melancholischen
und Wahnsinnigen. (Tgl. hierzu die Ausführungen bei Bergrath a. a. 0.
S. 404 f.)
2) Näheres bei Bergrath a. a. 0. S. 408 ff.
3) P. B. B e r g r a t h a. a. 0. S. 413.
Annalen de« hist. Verein« LXIU. 3
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'M
E. Pauls
machten Erfahrungen, die Kunst der Aerzte für gescheitert.
Nunmehr, da im Wesentlichen der Gesundheitszustand Johann
Wilhelms ebenso ungünstig war wie vor zehn Jahren, und die von
den Gottesgelehrten am Schluss ihres Gutachtens vom 5. Fe-
bruar 1590 angerufene ärztliche Kunst alie auf sie gesetzte
Hoffnungen nicht erfüllt hatte, lag es nahe, dass der sicher nie-
mals völlig aufgegebene Gedanke, an dem Kranken den Exorcis-
mus vornehmen zu lassen, aufs neue, und zwar diesmal, ohne auf
. besondern Widerstand zu stossen, in den Vordergrund trat. Weun
kirchliche Organe die Vornahme dieser Handlung an einem Kran-
ken gestatteten, hinsichtlich dessen das Besessensein vom Teufel
von Niemand behauptet wurde, so darf dies unter Berücksichti-
gung der Anschauungen der damaligen Zeit nicht auffallen. Man
glaubte eben nicht, dass der Herzog vom Teufel besessen sei,
sondern nahm nur an, dass ein böser Dämon oder ein vom Teufel
hierzu veranlasster Zauberer durch Bezaubern das herzogliche
Ehepaar in die Unmöglichkeit versetzt habe, die Ehe mit Kindern
gesegnet zu sehen. Der Aufhebung dieses Zaubers, über dessen
Natur man selbstredend vollständig im Unklaren war, und der
meist unter den allgemeinen Begriff „zauberischen Gebundenwer-
dens *) (ligatura)" eingereiht wurde, galt der Exorcismus, dem sich
das erlauchte Paar und namentlich der Herzog unterziehen sollte.
Gelang dem Exorcisten die Beseitigung des den Eheleuten „auf
den Leib gehexten Malefizs" 2 ), so war zum mindesten Kinder-
1) Zauberei dieser Art sollte die Vornahme gewisser Handlungen un-
möglich machen, deren Bestimmung vom Willen des Zauberers und der
Zauberformel abhingen. Es gab also Ligaturen der verschiedensten Art. Der
Glaube an Impotenz in Folge Bezauberung veranlasste zuweilen seltsame
Taktlosigkeiten. So erzählt der bekannte Arzt Joh. Weyer (16. Jahrhundert) :
Mulier . . . viro nupta hunc in initio comperit impotentem. Quare in ara
D. "Antonio sacra Everfeldi in ducatu Montensi . . . ceream membri virilis
effigiem suspendit. Sacrificus . . . priapumque illum cereum inopinato in-
tuitus: Tollatur daemonium illud, acerbe inquit. (J. Wieri opera omnia
Amstelodami 1660 p. 448.) Vergl. auch Corres, christliche Mystik Bd. 4 (1)
1842, S. 57 ff. und Bd. 4 (2) 1842, S. 459 ff.
2) Ein in der Geschichte des Hexenwahns überaus häufiger Ausdruck.
Bezüglich derartiger Malefizien nahm man durchgehends nicht Besessensein,
sondern eine gewisse Beihülfe des Teufels an. Dass diese Auffassung auch
im vorliegenden Falle vorlag, beweist das Gutachten der Theologen vom
16. August 1605. Vgl. Beilage 4: morbus per maleficia . . . eo pervenit, ut
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Der Exorcismus an Herzog Jobann Wilhelm von Jülich. 35
segen, und wahrscheinlich auch die Genesung Johann Wilhelms
7ü erwarten. Der Glaube an das häufige Vorkommen eines dem
-ehelichen Zusammenleben feindlichen Zaubers reicht in die Römer-
zeit zurück und findet später für das christliche Abendland im
kanonischen Recht sowie in vielen Diöcesan-Statuten, bis tief ins
18. Jahrhundert hinein, Ausdruck. Zauberer raubten nach der
Ansicht der Römer die Manneskraft, indem sie das aus Wachs
geformte Bild eines Mannes mit einer Nadel durchstachen; Zau-
berer konnten aber auch umgekehrt durch ihre Formeln die Her-
stellung verlorener Zeugungskraft bewirken *). In den Nachträgen
-{Novellen) zum salischen Gesetz werden diejenigen mit schweren
Strafen bedroht, welche durch Bezauberung eines Weibes bewir-
ken, dass die Ehe kinderlos bleibt *), und ähnliche Bestimmungen
bietet das kanonische Recht unter Hinweis auf eine Stelle bei
Hinkmar von Rheims 8 ) (9. Jahrhundert), indem es die Zulässigkeit
von Heilversuchen durch Exorcismen andeutet. Und in der be-
rühmten Bulle Innocenz VIII. vom Jahre 1484 4 ) Uber die Zunahme
des Zauberwesens, sowie in zahlreichen tbeils früheren, theils späteren
Diöcesan-Bestimraungen ist die Rede von bösen, dem Zwecke der
assistentis etiam mali Spiritus . . . documenta etc. Die Kölner Diöcesan-
Statuten (Max. Henric. 1667) erklären, es Hesse sich nicht klar feststellen,
ob Jemand besessen oder behext sei.
1) Die Belegstellen hierfür bei A. F o r b i g e r , Hellas und Rom, Rom
im Zeitalter der Antoninen Bd. II, S. 214 und S. 215.
2) Si quis mulier alteri mulieri maleficium fecerit, unde infantes non
potuerit habere. (Vgl. Clement-Zoepfl, Forschungen über das Recht
der salischen Franken. Berlin 1879, S. 354.) Hier erscheinen „maleficium
und veneficium", wie aus der Fortsetzung hervorgeht, in gleichem Sinne :
Zauberei, Hexengetränk, Giftmischerei. Vergl. über diese Verbindung H.
Brunner, deutsche Rechtsgeschichte 1887—1892, Bd. 2, S. 679 ff.
3) Corp. iur. canonic. Coloniae Munatianiae 1717. Decr. Gratian. sec.
pars caus. XXXIII, quaest I, cap. IV; p. 1004: Si per sortiarias atque niale-
ficas occulto sed nunquam iniusto dei iudicio permittente et diabolo prae-
parante, coneubitus non sequitur . . . per exorcismos et caetera ecclesiasti-
cae medicinae raunia . . . sanare procurent. Ferner p. 1002: Causa XXXIII:
Quidam vir maleficiis impeditus, uxori debitum reddere non poterat.
4) S u m mi 8 desiderantes affectibus . . . ac eosdem homines
ne gignere, et raulieres ne coneipere, virosque ne uxoribus et muüerea ne
viris actus couiugales reddere valeant, impedire
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E. Paula
Ehe binderlichen Zauberkünsten *). In der Kölner Erzdiöcese
galten schon im letzten Viertel des 13. Jahrhunderts alle diejenigen*
als excommunicirt, welche Maleficien zum Nacbtbeil einer Ehe in An-
wendung brachten 2 ) ; sogar war dort zur Zeit Herzog Johann Wilhelms
hinsichtlich solcher Maleficien der seltsame Aberglaube verbreitet,
dass man derartige Bezauberungen dadurch wirkungslos machen zu
können glaubte, dass die Eheleute im Wege gegenseitiger Verein-
barung ihre kinderlose Ehe als gelöst erklärten, um bald nachher
vor einem Priester unter Erneuerung der bei EheabschlUssen üb-
lichen Versprechungen zum zweiten Male als Eheleute sich kirch-
lich verbinden zu lassen. Ob jemals ein Priester zu einem solchen
Mummenschanz mitgewirkt hat, muss dahin gestellt bleiben; jeden-
falls hielt die erzbischöfliche Behörde es für angezeigt, den Aber-
glauben öffentlich als solchen zu bezeichnen 3 ).
1) Aus Hartzheim-Schanuat Concil. German, seien hier nur ge-
nannt: Mainz (1310), Würzburg (1446), Tornay (1520), Köln (1279—1281) und
1662, Kulm 1745. Die Zahl solcher Bestimmungen lässt sich leicht ver-
mehren; namentlich auch in der Beicbtpraxis galt allenthalben maleficium
omne . . , quo actus coniugalis inter coniuges impeditur ... als ein dem
Bischof vorbehaltener Fall.
2) Item praecipimus excommunicari omnes illos et illas, qui vel quae
contra matrimonium iam contractum vel etiam contrahendum . . . maleficia
faciunt, vel fieri procnrant.
3) Aus der Agenda s. Coloniensis ecclesiae . . . Coloniae 1614 hier
folgende Stellen ; p. 263 seq.: Fit interdum (Deo hominum vindicante sive in-
fidelitatem sive libidinem) ut vir et mulier maleficio impediti, a matrimonii
usu impediantur ... Es folgen (S. 263 — 266) Gebete u. a. um foecunditas
und Befreiung ab omni ligamento, fascinamento et maleficio Satanae. Schliess-
lich (p. 266) beisst es: Cavendus vero crassus ille error et rei sacrae mani-
festus abusus, quo, tali maleficio vexatis succurri posse aliqui putant; si vir
et mulier, priori matrimonio, legitime et in facie ecclesiae contracto, mutuo
consensu renuntient et novura coram sacerdote contrahent. Cum enim nulla
sit ratio, cur secundum matrimonium contra eiusmodi maleficia remedium
efficacius esse possit, quam primum ; verisiraile est hoc procurari a daemone,
oranium maleficiorum auctore, ut res sacras, hominibus ludibrio exponat.
Deinde sacramento matrimonii gravis irrogatur iniuria : quod semel rite con-
tractum, neque ecclesiae auotoritate, neque mutuo partium consensu, solvi
potest. Dass der hier angedeutete Aberglaube allgemein am Niederrhein ver-
breitet war, folgt auch aus dem seiner Zeit viel gebräuchlichen, 1678 zu
Antwerpen erschienenen Manuale Exorcismorum . . . von Maxim, ab Eynatten
p. 291 seq., wo von kirchlichen Heilmitteln gegen Maleficien in der Ehe die
Rede ist.
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Der Exorcismus an Herzog Johann Wilhelm von Jülich. 37
Im Juli 1G00 — ich kehre hiermit zu den Verhältnissen am
Düsseldorfer Hofe zurück — machte man den ersten Versuch,
^lurch kirchliche Heilmittel und Exorcismen die „Entzauberung"
und Genesung des Herzogs Johann Wilhelm herbeizuführen. Hier-
über und über die Wiederholung dieser Versuche im Jahre 1604
schreibt Bergrath J ), meist unter wörtlicher Anführung des Berichtes
eines Zeitgenossen (Lahr) 2 ) Folgendes: „Im Juli 1600 vermeinten
etliche, Ihre F. G. möchten vielleicht, das jedoch gnädiglich ver-
hütet, etwa einen folgenden Geist bei sich haben. Zu dem End
kam ein Pfaff ans dem Land zu Cleve, der nahm sich an, wann
er nur Ihre F. G. sehe, woll leichtlich sagen, ob Fürstlich Gnaden
daran Mangel hätten oder nicht. Dies best zu erfahren, verreisten
das ganze Hoflager vom Julio auf München-Gladbach und daselbst
blieben Ihre F. G. über acht Tage liegen. Was nun der Pfaff an
Ihre F. G. erfahren, ist folgendes bedeckt blieben, ich halts dafür,
dass er nichts deshalb funden. Im Jahr 1603 erschien der Herzog
noch auf einem Landtage zu Essen, jedoch wohl nur als stumme
Figur, im Februar 1604 zu Hambach. Von hier zog er wieder
nach Düsseldorf, und dahin sandte ihm der Herzog von Lothringen
zwei Italiener, in der Meinung, dieselben sollten den Kranken ku-
riren. Diese wurden nach der Mitte der Fastenzeit zur Kur zuge-
lassen, gaben vor, beide fürstliche Personen wären bezaubert und
hätten deshalb keine Erben gewinnen können. Zur selben Zeit
brachte ein kaiserlicher Gesandter italienische Mönche an den
Hof. Diese wollten (wie Lahr erzählt) mit Exorcisiren Ihre F. G.
curiren, haben viel Gelds verdient, aber nichts ausgerichtet."
Während Uber die bei Johann Wilhelm im Sommer 1600 an-
gewandten kirchlichen Heilmittel alle anderen Nachrichten zu
fehlen scheinen, liegt über den im Sommer 1604 sowohl am Her-
zoge als auch an der Herzogin vorgenommenen Exorcismus ein
vollständiges Tagebuch vor. Vom 19. März bis zum 13. August
1604, so schreibt Wolf 3 ), befand sich der regierende Herzog nebst
1) Bergrath a. a. O., S. 413 f.
2) Die Berichte Lahrs finden sich meist in : Original-Denkwürdigkeiten
-eines Zeitgenossen am Hofe Johann Wilhelms. Düsseldorf 1834.
3) Pet. Ph. Wolf, Geschichte Maximilians I. und seiner Zeit. Mün-
«hen 1807. Bd. II, S. 510 ff. Nach F. Stieve ruht dieser Bericht im
Reichsarchiv München, Fürstensachen tom. 39, 66. (Zeitschrift des bergischen
Geschichtsvereins Bd. 16, S. 31; desgl. über den Exorcismus an Johann Wil-
helm dieselbe Zeitschrift Bd. 16, S. 4.)
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38
E. Pauls
seiner Gemahlin Antonie, einer Prinzessin von Lothringen, unter
den Händen eines Exorcisten. Die Auszüge, welche hieran an-
schliessend Wolf aus dem Tagebuch gibt, lassen die ganze Hand-
lung in einem ungünstigen Lichte erscheinen: manches erinnert
an das Zeitalter des Hexenwahns mit all' seinen Seltsamkeiten.
Mit einer stellenweise widerwärtig zu nennenden Ausführlichkeit
erzählt uns das Tagebuch, wie man dem Kranken die Monstranz,
mit dem Venerabile aufs Haupt setzte (cum adhibitis exorcismis
et orationibus sacrosancta etiam Eucharistia capiti principis impo-
neretur), wie ein anderes Mal beim blödsinnigen Herzog, der ein;
starker Esser gewesen zu sein scheint, während der Beschwörungs-
formeln Brechneigung sich einstellte, wie er gähnte, die Augen
verdrehte, sich mit der Hand über das Gesicht und den Kopf fuhr,,
und wie andere Erscheinungen auftraten, die anzuführen sich nicht
recht schickt; dies und anderes Nebensächliche wird weitläufig
genug dargestellt. Der Herzog liess gutwillig alles geschehen; auf
ihm vorgelegte Fragen antwortete er in kindlich einfacher Weise 1 ).
Aber es kam doch schon zu Anfang Mai so weit, dass Johann
Wilhelm des Exorcisirens so überdrüssig wurde, dass er den Exor-
cisten nicht mehr sehen mochte 2 ). Der Erfolg des Exorcismus
bestand darin, dass die leitenden Theologen 3 ) ein Bezaubertseia
des Herzogs als sehr wahrscheinlich hinstellten 4 ), ohne sich darüber
zu äussern, ob eine Entzauberung eingetreten sei. Aehnlich be-
züglich der Herzogin. Diese war der festen Ueberzeugung, es sei
1) So z. B. auf dje Frage, was er während des Exorcisirens spüre, er-
folgte einmal die Antwort „eine Alteration" ; das andere Mal: im Magen
etwas, Dämpfe, Dämpfe.
2) . . . princeps impatiens ita fuit exorcismorum, ut ferre non potuerit
aepectum exorcistae.
Ii) Nach Wolf a. a. 0. S. 519: Die lothringischen Jesuiten Jacob
Comolet und Johann Gueret, der Propst Peter Ghigi zu Piazenza, die zwei
Barnabiter-Mönche Zacharias Vicecomes und Salomon Pusteria zu Mailand.
Beglaubigt ist der Bericht, von Anton Rousselleti, bischöflichem Official
zu Metz.
4) Das Gutachten (Wolf a. a. 0. S. 520) datirt vom 8. November 1604.
Es heisst am Schlüsse: . . . legimus processum verbalem de exorcismis in
persona dicti Serenissimi ducis factis scriptum, et ex contentis . . . iudicium
facimus et unanimiter in eam sententiam imus, multo probabilius (Text pro-
habilius !) nobis videri, ipsum serenissimum ducem realiter et cum effectu
maleficÜ8 infectum esse.
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Der Exoreismus an Herzog Johann Wilhelm von Jülich. .*i9
durch die kirchlichen Heilmittel das Vorhandensein eines in ihrem
Innern schlummernden oder verborgenen Malefiziums entdeckt
worden, und noch im folgenden Jahre hob sie die an sich selbst
erprobte wohlthätige Wirkung des Exoreismus ausdrücklich her-
vor J ). Nach dem von Wolf veröffentlichten Berichte hatte nämlich
der Exorcist gelegentlich der Exorcisirung der Herzogin den bösen
Geistern befohlen, falls ein Malefiz die Geisteskrankheit des Her-
zogs oder die Unfruchtbarkeit der Ehe verschulde, dies durch ein
Zeichen an der linken Hand zu erkennen zu geben. Alsbald ver-
spürte die Herzogin im linken Arme und in der linken Hand eine
ungewöhnliche Hitze, die auf den schliesslich wiederholten Be-
fehl des Exorcisten aus dem Arme weichend, in der linken Hand
sich ansammelte 2 ).
Die Kunde von dem im Jahre 1604 am herzoglichen Paar
in Düsseldorf vorgenommenen Exoreismus drang, jedenfalls auf
Wunsch und Betreiben der Herzogin Antoinette 3 ), in die höchsten
Kreise. Konnte doch die Herzogin bei ihrem festen Glauben an
eine vorliegende Bezauberung keinen sehnlicheren Wunsch hegen,
als die Fortsetzung einer Kur, die im Falle der Ergebnisslosigkeit
nicht schadete, günstigen Falls aber, gleichsam wie mit einem
Zauberschlage, die Sonne des Glücks über den dem Aussterben
nahen Mannesstamm des jülichschen Herrscherhauses erstrahlen
Hess. Antoinettens Einfluss ist es zuzuschreiben, dass im Winter
1605 kein geringerer als Kaiser Rudolph II. von verschiedenen 4 )
1) Schreiben vom 18. Dezember 1G05 (vergl. Beilage 6) : Aiant en tant
d'austre veu l'effect comme en moy mesme ....
2) Wolf a. a. 0. S. 519: Cum exorcismos legeret exorcista super se-
reniasiraa ducissa praeeiperetque spiritibus imraundis, ut si adesset aliquod
maleficiura, quod causaret debilitatem in illustrissimo principe aut generatio-
nem impediret, darent signnm in manu sinistra, venit paulo post calor in
manu sinistra et brachio sinistro. Denique cum gravissime affligeretur eadem
serenissima, praeeepit exorcista ut si esset aliquod malencium, quod causaret
dementationem in principe aut suspenderet generationem, ostenderet signum
in manu sinistra, sensit Serenissima omnes dolores descendere in manum
sinistram.
3) Folgt indirect aus späteren Schreiben und aus dem Drängen des
Herzogs von Lothringen, eines nahen Verwandten Antoinettes, beim Kaiser.
Auch ist später nie davon die Rede, Antoinettes Einwilligung zur Kur an
ihrem Gemahl einzuholen.
4) Vgl. (Beilage 2) das Schreiben vom 7. August 1005.
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E. Pauls
fürstlichen Persönlichkeiten gebeten wurdg, eine Fortsetzung der
Kur von 1604 zu vermitteln und zur Leitung derselben eine geeig-
nete Persönlichkeit zu bestimmen. Es galt eineu letzten und
Hauptversuch : die Theologen am Wiener Hofe erzielten vielleicht
durch ihre Wahl bessere Ergebnisse, als sie den Exorcisten im
verflossenen Jahre beschieden gewesen waren. Zu Ende Februar
1605 schickte der Herzog von Lothringen einen eigenen Gesandten
an den Wiener Hof im Interesse einer Sache, die für die katho-
lische Religion und den jülichschen Stamm von grosser Bedeutung sei.
Kurfürst Maximilian von Bayern befürwortete dringend dieses ,, hoch-
wichtige und heilsame" Werk und bat den Kaiser um seine Zu-
stimmung 1 ). Hierbei handelte es sich um die nochmalige Vor-
nahme des Exorcismus am geisteskranken Herzog von Jülich. Ru-
dolph II. willigte ein und bestimmte seinen Beichtvater, den Brcs-
lauer Propst Dr. Johann Pistorius zum Leiter des Ganzen, soweit
das kirchliche Gebiet in Betracht kam. Ueber die unzweifelhaft
gleichzeitig geführten, wahrscheinlich kurzen Verhandlungen mit
dem Erzbischof von Köln liegen Akten nicht vor; die Einwilligung
der erzbischöflichen Behörde folgt indes schon daraus, dass später
bei der Vornahme des Exorcismus am Herzog der Dechant von
Jülich zugegen war. Pistorius traf am 24. Juni 1605 in Köln ein,
wo er auf dem Kornmarkt im hl. Geist einkehrte. Aus welchen
Gründen der Propst acht Wochen lang unthätig auf den Beginn
der kirchlichen Handlung warten rausste, geht aus den Akten
nicht mit Bestimmtheit hervor. Ein zur Vorsicht mahnendes
Schreiben des Pfalzgrafen Philipp Ludwig von Neuburg, des Vetters
und Schwagers Johann Wilhelms, mag auf die Verzögerung nicht
ganz ohne Einfluss geblieben sein 2 ) ; wahrscheinlich auch suchte der
Kranke selbst, in Erinnerung an die vorigjährigen unangenehmen
Erfahrungen, die ihm jedenfalls angedeutete Fortsetzung der im
Jahre 1604 abgebrochenen Kur thunlichst lange hinauszuschieben.
Endlich siegte indes die Rücksicht auf den Wunsch der Herzogiu
1) F. Stieve in der Zeitschrift des bergischen Geschichtsvereins
Bd. 1<>, S. 3ti. Für die katholische Sache, auf die der Herzog von Lothringen
sich bezog, war Johann Wilhelms Genesung deshalb von Werth, weil bei
kinderlosem Sterben der Uebergang der Fürstenthümer in protestantische
Hände bevorstand. (Vergl. oben S. 23.)
2) Vergl. hierüber, sowie über die Verhandlungen zwischen dem Kaiser,
den Rathen und Pistorius, die Beilage 2.
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Der Exorcismiw an Herzog Johann Wilhelm von Jülich.
41
und des Kaisers: Herzog Johann Wilhelm traf in der ersten
Hälfte des August 1605 mit einem stattlichen Gefolge im Schlosse
Hambach bei Jülich ein J ), in dessen Kapelle er sich der Exorci-
sirung unterziehen sollte. Wenige Tage nach der Ankunft Johann
Wilhelms in Hambach fanden zunächst längere Berathungen
zwischen den herzoglichen Aerzten und den anwesenden Theologen
statt. Die Aerzte gaben schriftlich ihr Gutachten 2 ) dahin ab, dass
der Krankheit etwas Uebernatürliches zu Grunde zu liegen scheine
und somit gegen die Anwendung von Heilmitteln kirchlicher Art
nichts einzuwenden sei. Die Theologen äusserten sich nach drei-
maliger Berathung einstimmig dahin 3 ), dass Anzeichen des Bezau-
bertseins (signa maleficiorum) schon vor 15 Jahren beim Herzoge
vielfach zu Tage getreten seien. Seit einigen Jahren hätten sich
diese Anzeichen gemehrt und im vorigen Jahre wäre nach Aus-
weis der vorhandenen schriftlichen Aufzeichnungen der Einfluss
eines bösen Geistes (assistentia mali spiritus) klar festgestellt
worden. Fleissig angewandte medicinische Heilmittel hätten keinen
Erfolg gehabt, deshalb müsse zu kirchlichen Heilmitteln tiberge-
gangen werden. Die alte Kirche habe zwar weniger bei Bezau-
berten (maleticio affectae personae), als vielmehr bei Besessenen
den Exorcismus angewandt. Es sei indess das von Christus
(Lucas cap. 13) gegebene Beispiel zu beachten; bezüglich des Her-
zogs Johann Wilhelm bliebe keine andere Wahl, als die Vornahme
des Exorcismus, bei dieser aber müsse jedes Erbittern des Kranken
vermieden werden. Die Exorcisten hätten sich der von der Kirche
approbirten Exorcismus-Formeln zu bedienen und dann Schluss zu
machen, wenn sie (die Aussteller des Gutachtens) dies anordnen
würden.
Der Exorcismus an Herzog Johann Wilhelm nahm am 20. August
1605 4 ) in der Hambacher Schlosskapelle seinen Anfang. Hiertiber
besteht anscheinend nur e i n Bericht, der von kleineren Ungenauig-
1) Wahrscheinlich hatte man Hambach gewählt, weil in der dortigen
ländlichen Einsamkeit der Kranke sich behaglicher fühlte und die kirchliche
Handlung mit geringerem Aufsehen vor sich gehen konnte, als in Düsseldorf
oder Jülich.
2) Vergl. Beilage 3.
3) Vergl. Beilage 4.
4) Zeitschrift des bergischen Geschichtsvereins Bd. XVI, S. 37.
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E. Pauls
keiten nicht ganz frei ist 1 ). Dieselben bestehen hauptsächlich darin,
das8 der Verfasser ohne Zeitangabe von einer Wallfahrt nach
Scherpenhövel und dort ebenfalls vorgenommenen Exorcismen
spricht, damit aber Ereignisse gleichsam als gleichzeitig hinstellt,
die mindestens mehrere Monate zeitlich auseinanderliegen. Was der
Verfasser dagegen Ober die Vornahme des Exorcismus in Hambach
berichtet, dürfte im Wesentlichen der geschichtlichen Wahrheit ent-
sprechen, weshalb hier ein kurzer Auszug folgt.
Mehrere Tage nach der Ankunft 8 ) in Hambach baten die
Geistlichen 3 ) den Herzog, sein Gebet mit dem ihrigen zu vereini-
gen, um vom Himmel für die herzogliche Ehe die Gnade des
Kindersegens zu erflehen. Gutmüthig ging der Kranke hierauf
ein und kniete in der Schlosskapelle auf einem dem Betstuhle auf-
gelegten Sammetkissen nieder. Nunmehr begannen längere Ge-
bete, Litaneien, Segnungen und „exorcismi contra impedimenta
actuum matrimonialem"; endlich forderte man den Teufel auf, von
seiner Anwesenheit ein Zeichen an der rechten Hand des Herzogs
zu geben 4 ). Alles erfolglos. Schliesslich wurde der Herzog so
1) Der hier angedeutete Bericht findet sich nicht im Düsseldorfer
Staatsarchiv, sondern in einem von Goebel nicht näher bezeichneten Kirchen-
archiv in Düsseldorf. Er ist gedruckt in der Monatsschrift für die evan-
gelische Kirche der Rheinprovinz und Westfalens, Jahrgang 1853, S. 20 ff.
und in der Zeitschrift des bergischen Geachichtsvereins Bd. II, S. 201 ff.
2) Wie abgeneigt der Herzog der Exorcisirung war, geht aus der An-
gabe des Berichtes hervor, dass Johann Wilhelms Mienen sich verfinstert
hätten, als er beim Einreiten in den Schlosshot' zu Hambach die von der
Gallerie herab zuschauenden Geistlichen erblickte. Er fürchtete, man werde
wiederum „wie dann auch zuvor geschehen, etwas Fremdes mit ihm an-
fangen".
3) Als anwesend bei der Exorcisirung nennt der Bericht ausser dem
Propst Pistorius : Pater Zacharias und Pater Franciscus, Mediolanenses (Mai-
länder) et ordini8 s. Ambrosii, tanquam magis principales; der Guardian von
Düren; Pater Jacobus jesuita Mussipontanus (Pont ä Mousson) in Lotharingia ;
decanus Juliacensis; der Guardian von Dortmund; Casparus Ulenbergius;
Pater Leo jesuita Coloniensis, und Ihro Fürstl. Gn. beyde Caplans uti specta-
tores actuum exorcisticorum. Die Herzogin erschien während der Handlung
zuweilen in der Kapelle, wo auch einige jülichsche Räthe als Zuschauer an-
wesend waren.
4) Die Herzogin wollte bekanntlich an ihrer linken Hand Zeichen von
Bezauberung gespürt haben. Vergl. oben S. 34.
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Der Exorcismus an Herzog Johann Wilhelm vou Jülich.
43
unwillig, dass er dem Laien, der den Ausgang versperrte, mit den
Worten „Ihr seid selbst Teufel oder vom Teufel besessen" *), eine
Ohrfeige versetzte und das Weite suchte. Er rief die Wache
gegen die „Verräther und Bösewichter* zu Hülfe, doch sie hatte
sich zurückgezogen. Dann Hess der Kranke sich beruhigen, und die
Beschwörung wurde am selben Tage, sowie anscheinend noch an
vielen folgenden Tagen, ergebnisslos fortgesetzt. Und als eines
Morgens der Herzog vom Kammerdiener erfuhr, die Mönche seien
fort, um nicht mehr wiederzukehren, brach er in ein fröhliches
Lachen aus.
Wann die Exorcisten ihre Kur als beendigt ansahen und
Pistorius heimkehrte, habe ich nicht ermittelt. Am 12. September
1605 2 ) Hess Herzogin Antoinette in Düsseldorf eifrigst nach dem
Zettel suchen, den man vor zehn Jahren ihrem Gemahl ins Wamms
gesteckt und später wieder herausgenommen hatte 8 )» Der Zettel
war aber nicht zu finden. Am 13. Oktober 1605 schrieb Rudolf II.
den herzoglichen Käthen, dass er aus dem Berichte des Propstes
Pistorius das Nähere Uber die vorgenommene Kur ersehen habe.
Neue Aufträge seitens des Kaisers, denen sich die Räthe fügen
möchten, seien an Pistorius abgegangen 4 ). Dieser war also damals
noch im Jülicher Lande. Von Hambach aus schrieb die Herzogin
am 18. September 1605 den Rathen in Düsseldorf, dass der Exor-
cismus fruchtlos geblieben sei 5 ). Sehnlichst wünsche sie nunmehr,
mit ihrem kranken Gemahl eine Wallfahrt nach Montaigu (Scher-
penhövel) anzutreten. Nur ungern, und erst nachdem der eigens
hierfür in die Niederlande geschickte Marschall Werner Huin von
Amstenradt die Unzweckmässigkeit einer Wallfahrt durch stellen-
weise mit ausländischen Kriegsschaaren besetzte Gegenden treffend
nachgewiesen hatte, verschob die Herzogin die Reise. Anscheinend
sollte im Februar 1606 Aachen an die Stelle des Marien -Wall-
fahrtsorts Scherpenhövel treten; die Bürger verschlossen aber der
♦
1) Angeblich lateinisch: Ipsi estis daemones, aut a daemonibus obsessi f
2) Die folgenden Angaben bis zur Angabe über Johann Wilhelms Tod
stammen sämmtlich aus dem gen. Aktenbiindel Nr. im Düsseldorfer
Staatsarchiv.
3) Vergl. Beilage 5.
4) Näheres fehlt in den Akten und war nicht zu ermitteln.
5) Vergl. Beilage 6.
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E. Pauls
Herzogin die Thore der Stadt 1 }. Am 26. Februar 1606 theilte
Antoinette von Hambach aus den Käthen in Düsseldorf mit, dass
ihre Rückkehr unmittelbar bevorstehe. Man solle den vorausge-
sandten Geistlichen alle Räume des Düsseldorfer Schlosses öffnen,
damit dasselbe ausgesegnet werden könue 2 ). Die Akten schliessen
mit dem an verschiedene Gotteshäuser in Köln zu Ende März
1606 gerichteten Ersuchen, während der Charwoche zu beten, da-
mit das Vorhaben 3 ) des Herzogs und seiner Gemahlin zum Segen
des Landes gereicheu möge. Kinderlos starb Johann Wilhelm am
25. März 1609 ; Herzogin Antoinette verschied kaum ein Jahr später,
am 18. August 1610, in ihrer Vaterstadt Nancy.
In der rheinischen Geschichte scheint die Exorcisirung einer
fürstlichen Persönlichkeit sonst nur noch für einen hervorragenden
Fall verzeichnet zu sein. Im Jahre 873 wurde Karl, der Sohn
Ludwigs des Deutschen, bei einer Versammlung der Grossen des
Reiches in Gegenwart seines kaiserlichen Vaters von Tobsucht-
Anfällen befallen, die man dämonischem Besessensein zuschrieb
und als Strafe für die Auflehnung gegen die väterliche Gewalt
ansah. Man führte den Kranken zur Kirche, wo ihn die Bischöfe
durch Gebete und Beschwörungen beruhigten*).
1) K. F.Meyer, Aachener Geschichten 1781, Buch I, S. 539; F.
Hangen, Geschichte Aachens 1874, Bd. II, S. 205.
2) Vergl. Beilage 7.
3) Gemeint ist jedenfalls die beabsichtigte Wallfahrt nach Scher-
penhövel.
4) Malignus spiritus . . . Karolum invasit, sed in eodem die suffragiis
et coniurationibus diversorum sacerdotum eiectus est. (Annal. Xantenaes iu
MG. SS. II, 235); . . . cumque (Karolus) duceretur ad aecclesiam, ut episcopi
pro eius sanitate domino supplicarent . . . Karolus post sedatam infeatatlonem
diaboli . m . (Annal. Fuldens. in MG. SS. I, 385); . . . comprehensus (Karo-
lus) autem ab episcopis et ab aliis viris . . . ductus est in ecclesiam. Et
Liutbertus archiepiscopus induens se sacerdotalibus vestibus, missam cantare
coepit . . . (Hincraari Remens. Annal. ad annum 873. MG. SS. I.)
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Per Kxorcismus an Herzog Johann Wilhelm von Jülich. 45
Beilagen.
1.
Behandlung des geisteskranken Herzogs Johann Wilhelm von
Jülich- Cleve-Berg mit Heilmitteln abergläubischer Art
Königl. Staatsarchiv zu Düsseldorf. Jülich - Bergische Familiensaehen
114. (Folioband Ms.)
Aus den Anklagepunkten Sibillas gegen ihre Schwägerin Jacobe, die
Gemahlin des Herzogs Johann Wilhelm (1595).
(Fol. 30 und 31.) Wie dan in specie wahr, dass sie ungeverlich
vor 3 jaren dem heren brueder allerhand eingeben, nemlich ihr Jacobe
aigen blnet, krisum und andere dingh, welche aus Bayern durch ein
cloisterjunfFer Elisabeth, die es von doctor Berlein bekommen, derer
merckgrevin Jacobe zugestellt. Imgleichen het sich befunden, das dem
heren brueder ins wammes ein brieflein mit allerhende seltzamen ca-
racteren eingenehet, und wen S. D. solch wammes angehabt, grossen
erbermlichen angst und jammer erlitten, auch S. D. selbst gesagt, der
teufel ist im wammes.
Dieser und folgender Ursachen halber ist vermuetlich, das unser
her brueder in S. D. gerechter Unschuld mit einer schweren blödigkeit
der sinnen leider umbfangen, darab uns und den getreuen dieser landen
underthanen ain unaussaglichs hertzenweh, jamer, elend und mitleiden
zugefallen . . .
Antwort auf diese Beschwerde.
(Fol. 324 des angegebenen Bandes.) Sagt zeugin, von bluet und
crisam wüste sie gar nit; aber herzogin Jacobe hab etliche buchstaben
von geweiheter aber nit consecrierter ostien zu austern gemacht und
irem heren gemal eingeben, welche ire F. D. aus Bayren von articu-
lirten junfferen Elizabeth ist gerothen worden, und soltte sulches irer
F. D. dienen. Sagt darneben, als Jurgh von der Horst allhie zu
Duisseldorf schwach gelegen, hab man beim pastoren zu Lenkh roths
gefragt, und wie herzogin Jacobe solchs erfharen, hab sie durch den
haubtman Blitterstorff gedachten pastoren leissen fragen, ob auch die
melancholey des herzogen naturlich were. Darauf der pastor geant-
wort, ime beduncke das niet, und also ain kleines brieflein mit etlichen
buechstaben und creuzen, ires erachtens sei es evangelium sot. Johannis
gewesen, gehn hof geschickt, welches sie zeugin aus bevelch herzogin
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E. Pauls
Jacobe, Johan Koppe cammerdiener behendet, welch selbigen zettul
ins herzogen wamraes genahet.
Im selbigen Bande, Fol. 360 :
Sagt zeug, es hab der marschalck Schenkeren in beisein Bertrambs
van Nesselraidt ime zeugen bevolhen, wan der herzog zu bette gelegt,
sollte er irer F. G. wammes, welches halb canefass gewesen, heraus-
bringen, wie zeug gethain. Darauf der marschalck bevolhen, er soltte
das wammes besehen, ob er einig austrucken hette, das es an ainigem
ort verendert, darauf zeug das wammes besichtiget und befunden, das es
vor unden den knüpfen ain handbrait aufgewesen und wieder zuge-
machet, und als er aus bevelch solchs ausgethan und hinain griffen,
hab er an der rechten seiten zwischen baiden fuetteren ain papiren
zetteln, ungevehr etwas lenger dan ain finger und aines fingers breit
befunden, welchs er ausgezogen und dem marschalck behendiget und hab
oft gehört, das der herzog gesprochen, der teufel were im wammes;
hets bevolhen zu verbrennen, darnach wer das wammes hinweg ge-
schafft. Doch mochten es ire F. (x. noch wol ain oder 2 maill lang x )
gehabt haben; hab darnach, das der teufel im wammes sein sollte,
vom heren nit mehr gehört.
2.
Auszüge aus den Verhandlungen 2 ) zwischen Kaiser Rudolf II.,
den herzoglich jiäich-clevisch-bergischen Rathen und dem Breslauer
Dompropst Pistorius. Schreiben des Pfalzgrafen Philipp Ludwig.
Eönigl. Staatsarchiv zu Düsseldorf. Jülich - Bergische Familiensachen
Nr. 63 T /2 ' Krankheit und Exorcismus. Herzog Johann Wilhelm : 1605 — 1600.)
1. Rudolf II. theilt den fürstlich jülich-clevisch-bergischen Käthen
mit, dass Johann Pistorius, der hl. Schrift Doctor, Kaiserlicher Eath
und Hauptpropst des St. Johannesstifts in Breslau beauftragt sei, et-
liche Sachen 3 ) bei ihnen anzubringen und zu verrichten, was sie von
ihm vernehmen würden. Der Kaiser erwartet Entgegenkommen.
Schloss Prag, 2. Mai 1605.
(Papier ; Folio. Oblaten-Siegel und eigenhändige Unterschrift des Kaisers.)
1) So der Text; lang wohl im Sinne von an.
2) Unwesentliches lasse ich unberücksichtigt.
3) Ausser der Exorcismus - Frage hatte Pistorius mit den Rathen zu
verhandeln über kirchliche Angelegenheiten zu Dortmund und Hörde, sowie
über Jurisdiktions-Sachen. Ich gehe hierauf nicht näher ein.
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Der Exorcismus an Herzog Johann Wilhelm von Jülich. 47
In den Akten folgen einige Aufträge der Käthe an Amtmann
Lulstorff betr. die bevorstehende Ankunft des Propstes Pistorius und
ein ihm zu bewilligendes Ehrengeleit von Soldaten. 1605 Juni 25.,
wurde nach Düsseldorf von Köln aus gemeldet, dass Pistorius Tags
vorher in Köln angelangt und auf dem Kornmarkt im heil. Geist ein-
gekehrt sei.
2. Pfalzgraf Philipp Ludwig schreibt den herzoglich jülichschen etc.
Kathen, dass er von verschiedenen Seiten erfahren habe, dass mit seinem
Vetter und Schwager, dem Herzog von Jülich, „eine sonderbare neue
Kur durch exorcismos und Beschwörung angestellt werden solle", zu
deren Leitung Dr. Johann Pistorius vom Kaiser bestellt sei. So sehr
auch die Heilung des Herzogs durch gute und erspriessliche Mittel zu
wünschen sei, so müsse man doch mit Kuren der angedeuteten Art
etwas behutsam verfahren, und zweifle er nicht, dass die herzoglichen
Räthe sorgen würden, dass ,,Ihrer Liebden Blödigkeit durch unbequeme
media nicht mehr augirt als derselben remedirt und geholfen werde".
Der Pfalzgraf erwartet nähere Berichte 1 ).
Neuburg an der Donau, 1. Juli 1605.
(Papier; eigenhändige Unterschrift Philipp Ludwigs.)
3 a. Propst Dr. Pistorius beklagt sich bei den herzoglichen Käthen
in Düsseldorf, dass er bereits sieben Wochen lang unthätig im Lande
weile, und so des Kaisers und seine eigenen Geschäfte versäume. Der
Kaiser sei doch von so vielen Kurfürsten und anderen Fürsten ersucht
worden, ihn (Pistorius) eilends zur Leitung der Kur an Herzog Johann
Wilhelm an den herzoglichen Hof zu entsenden. Jetzt wisse man
nicht einmal, wann der Herzog Johann Wilhelm in Hambach ankommen
werde und mit der Kur begonnen werden könne. Er bitte um Be-
schleunigung der Angelegenheit, damit der Kaiser einsehe, nicht ver-
gebens entgegengekommen zu sein.
Hambach, 7. August 1605.
3 b. Die herzoglichen Käthe antworten dem Propst Pistorius auf
das Schreiben vom 7. August 1605, dass der Herzog binnen wenigen
Tagen in Hambach eintreffen werde. »Wissen uns gleichwol dessen von
Ew. Ehrwürden angezogenen schriftlicher eiferigen erpieten, so viel
1) Ein solcher vom 18. August 1605 datirter längerer Bericht findet
sich in den Akten; er ist unwesentlich.
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4K
E. Pauls
diese comraisßion betrifft, nicht zu berichten, und hat der eingefallener
verzug unsers theils nicht können verhuetet werden."
Düsseldorf, 8. August 1605.
(Papier; Folio. Concept.)
4. Propst Pistorius theilt den herzoglich jülichschen Rathen mit,
dass ihnen der Herzog von Lothringen vor länger als Jahresfrist ge-
rathen habe, am Herzoge Johann Wilhelm eine Kur exorcistischer Art
vornehmen zu lassen. Dies hätten sie am 26. Februar 1604 zur Kennt-
niss des Kaisers gebracht, der nach Einholung eines theologischen Gut-
achtens seine Genehmigung ertheilt habe. Die im vorigen Jahre ein-
geleitete Kur sei zwar unterbrochen worden, doch hätten viele Fürsten
beim Kaiser auf eine Fortsetzung gedrängt. Nach längerer Berathung
mit seinen Käthen habe der Kaiser beschlossen, jemand abzusenden,
der das Werk anordne, ihm bis zuletzt beiwohne und achtgebe, dass
nichts wider die „christliche und fürstliche Gebühr besehene". Die
Wahl sei auf ihn (Pistorius) gefallen; er weile seit acht Wochen im
Lande und habe sich allenthalben gebührlich angekündigt. Es sei viel
Zeit ohne* sein Verschulden verloren gegangen, doch wolle er dies nicht
näher anregen. Die Kur solle demnächst beschleunigt werden, und
mehrfach hätten bereits die Theologen und Aerzte über deren Vor-
nahme berathen, wobei Einstimmigkeit erzielt worden sei.
Concept oder Abschrift; undatirt. (Anscheinend : Hambach, 14. August l»»0ö.)
5. Die herzoglich jülichschen Räthe antworten dem Propst Pi-
storius, dass sie dem Kaiser für seine Sorge um den Herzog und das
Land von Jülich zu Dank verpflichtet seien. Wäre auch die Kur im
Jahre 1604 nicht nach Wunsch ausgefallen, so bliebe doch eine Fort-
setzung sehr wünschenswerth. Zwar seien sie (die Räthe) von einem
„sonderbar vornehmen Ort" 1 ) gewarnt worden, das Uebel nicht ärger
zu machen, aber es handle sich doch um ein „christlich billig Werk*,
weshalb sie sich dem Befehle des KaiserR und dem Gutachten der Theo-
logen und Aerzte fügten. Nächst dem Wunsche ihrer Seligkeit hätten
sie keinen höheren Wunsch als den, ihren Herzog gesund und seinen
Stamm lange erhalten zu sehen. Sie hofften, dass Pistorius bei der
1) Gemeint ist das vorstehend unter 2 angedeutete Schreiben des
Pfalzgrafen Philipp Ludwig von Neuburg vom 1. Juli 1605.
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Der Exorci9mu8 an Herzog Johann Wilhelm von Jülich.
49
Vornahme des Exorcismns zugegen sein werde, damit das geschehe,
was sich passe und zur Erleichterung des hohen Kranken beitrage.
Hambach, 17. August 1605.
(Papier ; Concept oder Abschrift.)
3.
Die Hofärzte des Herzogs und der Herzogin von Jülich, Hein-
tick Botter, Galenus Weier und Domin. Berthem bekunden, dass sie
in einer gemeinschaftlichen Berathung den Theologen erklärt hätten,
der Krankheit des Herzogs liege etwas UebernatürlicJies zu Grunde,
sie hätten deshalb gegen die Anwendung von Heilmitteln kirchlicher
Art nichts einzuwenden.
Hambach, 16. Angast 1605.
Nos inferiori loco asscripti illustrissimi Juliacensis principis et
serenissimae ducissae aulici medici testamur praesenti Charta interfuisse
nos institutae de celsitudinis suae curando morbo communi consultationi
et inter dominos theologos nostram (ut medicorum) dixisse sententiam,
nimirum, agnosci a nobis in isto morbo aliquid praeter et supra na-
turam unde morbus foveatur, cuius ratio ad naturam vel huius causas
reduci non possit. Ideoque merito contentos esse, ut pro suo iudicio
de theologica cura cogitent domini theologi, officium interim nobis fac-
turis nostrum. Sic sub fide nostra et manuum subscriptione testamur.
Actum Hambachii, 16. Augusti 1605.
Hen. Botterus D. M. Domin. Berthemius, serenissimi
Gal. Weierus D. Lotharingiae Ducis med. doctor.
Königl. Staats-Archiv Düsseldorf. Jülich-Bergische Familiensachen Nr.
«3V 2 . Herzog Johann Wilhelm : Krankheit und Exorcismus 1605— 1606. Fol. 11.
4.
Theologisches Gutachten über den als Heilmittel gegen die
Krankheit des Herzogs von Jülich an ihm vorzunehmenden Exor-
cismus.
Hambach, 16. August 1605.
Nos infrascripti praesenti charta testamur et notum facimus om-
hibus post accuratam considerationem tertioque repetitam consultationem
con8entienter inter nos fuisse conclusum, Primo: morbum illustrissimi
principis ao domini dorn. Joannis Wilhelmi ducis Juliacensis Clivensis et
Montensis domini clementissimi nostri, tandem per maleficia, cuius signa
Annalen des hl«t. Vereins LXIII. 4
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60
E. Pauls
ab annis quindecim clarissirae animadversa plurima sunt, prorsus con-
firmatum et multis accessionibus auctum, eo pervenisse, ut assistentis
etiam mali Spiritus ab aliquot iam annis non obscura se documenta
prodant, quod Universum ex libro, in quo superioris anni processus
notatus fuit, nullo negotio probatur. Secundo: non solum medicinas
naturales et consuetas, quae hactenus diligenter adhibitae nulluni usum
praestiterunt, sed etiam supernaturalia ab ecclesiae concessa media ad
curandum principein omnino postulari. Tertio: quamquam exorcismos
magis ad obsessas quam ad maleficio affectas personas antiqua Christi
ecclesia usurpavit, tarnen ex non adeo novo ecclesiae instituto et ex
ipsius Christi exemplo Lucae 13 posse, et siquidem valetudinem illu-
strissimi domini principis spectabimus, cum alia nobis non supersit
ratio, omnino debere in principem institui exorcismos et huius quidem
rei certum sine principis exacerbatione tenendum modum, in diesque
quid usus ferat observandum. Quarto: in exoroismorum formnlis,
quas reverendi domini exorcistae in impressis et ab ecclesia probatis
libris praemonstrarunt, nihil a nobis posse desiderari, eoque libenter
assentiri, ut in illis insistant, sed ut nihil nisi nobis consciis et pro-
bantibus, mutent et cum nos tinera facere iubemus, desinant. Sic sub
fide nostra ascripta, cuiusque maDU testamur. Acta sunt haec in arce
Harabachia XVI. Augusti anno 1605.
J. Pistoriu8 d. Vratislaviae cathedralis ecclesiae praepositus, sanc-
tissimi domini nostri praelatus domesticus et caesareae maiestatis con-
siliariu8 et legatua. Casparus Ulenbergius, Lippiensis 8. theologiae
licentiatus subscripsi. Nicolaus Weiler, decanus Juliacensis. Joannes
Pitopius s. theologiae doctor et serenissiraae ducissae confessarius.
Joannes Jacobus Devaulx, eocietatis Jesu. F. Joannes Pelkingius s.
theologiae doctor, guardianus Tremoniensis. F. Joannes Rensink, Dur-
stensis, guardianus Marcoduranus.
Königl. Staatsarchiv Düsseldorf ; Jülich-Bergische Familiensachen Xr.
63 l / 2 - Herzog Johann Wilhelm: Krankheit und Exorcismus 1G05— 1606. Fol. 13.
5.
Antoinette, Gemahlin des Herzogs von Jülich etc., befiehlt den
herzoglichen Rüthen in Düsseldorf, eifrigst nach einem Zettel suchen
su lassen, der ehemals aus dem Wamms ihres Gemahls entfernt wurde
Hambach, 12. September 1605.
Messieurs. Ainay que ie ne souhayte. rien tant, que la sante de
l'Altesse de monsieur mon marit; aussy cherche ie par toutes voyes
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Der Exorcismus an Herzog Johann Wilhelm von Jülich.
51
licites e possibles de la luy faire recouvrer. Et comme par cy devant
il a este trouve dans le pourpoinct de sa dicte Altesse et tire dehors
un billet, afin que la chose se passe plus secreteinent e sans brnit,
j'envoye expres le Sr. de Frantz nostre conseiller poar en conferer
avec vous et veoir de rae le rapporter. En quoy m'asseurant que ne
voudrez mancquer de vostre coste pour le faire avoir et que voz
volontez et desirs touchant la sant6 de Son Altesse ne sont pas diflfe-
rents des miens, je supplye le Createur, messieurs, vous donner sante
parfaicte. De Hambach le 1 2e de septembre 1601. (! 1601 statt 1605.) x )
Anthoniette 2 ) duchesses de Jullier Cleves et Bergue.
C. Mesguin subscripsit.
Seitlich von der Hand Antoinettes:
Encore que ie sache que daustre fois ce dict billet nie este chercher,
«y est ce que ie desire que cest fois il soit encore de rechieffe re-
«hercher plus soigneusement et parmis tous les lieux ou il y a appa-
rances qu'il pouvoit estre et ce faisant vous me feray Services agreable 8 ).
EÖnigl. Staatsarchiv Düsseldorf. Jülich - Bergische Familiensachen Nr.
63 Ys- Herzog Johann Wilhelm : Krankheit und Exorcismus 1605 — 1606. Fol. 37.
6.
Antoinette, Gemahlin des Herzogs von Jülich etc.* theilt den
herzoglichen Bäthen in Düsseldorf mit, dass der Exorcismus bei
ihrem Gemahl die erhoffte Wirkung nicht gehabt habe. Sie beab-
sichtigt, mit dem Herzog eine Wallfahrt nach Montaigu (Scherpen-
hövel) zu unternehmen und rechnet hierbei auf die Zustimmung der
herzoglichen Bäthe 4 ).
Hambach, 18. Dezember 1605.
Messieurs, ie ne vous puis seller bien qu'a mon extreme regret
ie ne voie l'avancement en la santc de son Altesse comme ie me le-
ßtois promises ; aiant en tant d'austre veu l'effect comme en moy mesme,
choses 4 ) qui rae fesoit esperer que Dieu permestroit, que son Altesse
1) Dass 1605 zu lesen ist, folgt aus der vom 14. September 1605 da-
tirten Antwort der Räthe.
2) Hier und in anderen Briefen der Herzogin hinter Anthoniette ein gross
geschriebener, schwer zu deutender Buchstabe. Vielleicht DC (Dei dementia).
3) feray Services agreable entspricht genau dem auch an anderen
Stellen fehlerhaften Texte.
4) Dieser eigenhändige Brief Antoinettes ist augenscheinlich sehr
flüchtig hingeworfen; namentlich fehlt bald „s" am Schluss eines Wortes,
bald steht es überflüssig.
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52
E. Pauls
pouroit recouvrer sa sante premiere par le moiens des exsorsism. Sy
est ce neamoins que ses peres religieux par l'effect des lesorsiraes
ont reconnus le malficea sy asseuresmant qu'ils ne peut douter, roais
pour tout cela ils noses Rens proumestre la gerison veu les grandes
difigulte que des le commancemant ils ont tous-iours faict paraitre y
retrouver pour estre le sors tres grand e des plus dificille, e sod
Altesse, personne de teile calite qu'ils nose y proseder comme ils feroit
a un personne commune, de sorte que sela estant ils craigne comme
prudant (?) que sa dict Altesse ne resoive par eux le fruit e sonlagement
des exorsisme que tous austre dordinere font en semblable mal. Cest
pour quoy voiant cela e desireuse de la sante de sa dict Altesse ie
recours a laide divins e a cest effect ie desirerois le pouvoir mener
a cest devotions de nostre dame du Monesgu *), ou iournellement taut
de baux e grand miracle ce font e comme ce n'est loins dy cy, e quand
trois ou quatre iours nous y pouvont estre ce seroit affere en dix ou
douze jours pour le plus que nous pouvions y avoir faict nostre de-
votions; e de moy ie ne vous selleray point que cest choses que ie
desire infiniement dy mener son Altesse esperant par l'aide de la glo-
rieuse mere de Dieu revoir l'Altesse de monsieur mon marit en son
premier estat, choses que ie crois que souhaitez autant que moy veu
lutilite qnils en reviendroit a lestat le quel ie ne mancqueray a vous
represanter pour estre de sois (?) trop aparans, maie bien vous prierais-ie
quand ce faict pour le quel ie vous escrict vous me fasiez paraistre
par la prontitude que vous aporteray a lavancement de nostre voiage
le desire qu'avez de revoir vostre prince en raeilleur estat, e a mon
particulier me randu ce contentemant quand bref ie voie que nous
puissions commancer se pelerinage; ce que me promestant de vous, ie
prie Dieu qui vous aie en sa garde. De Hambac ce 18 desambre
1605. Anthoniette ducbesses de Jullier Cleves e Bergue. Auf der
Rückseite : A Messieurs les conseillers de nostre estat de Julliers ä Dussel-
dorf. Ferner: Düsseldorf, 19. Decembris 1605. Serenissima domina,
betr. das Ire F. D. zu Montagu zu füren.
Königl. Staatsarchiv Düsseldorf. Jülich - Bergische Familiensachen Nr.
637 2 . Herzog Johann Wilhelm : Krankheit und Exorcismus 1605—1606. Fol. 44.
1) Montaigu in Brabant. Berühmter Wallfahrtsort, der deutsch „Scher-
penhövel" genannt wurde.
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Der Exorcismus an Herzog Johann Wilhelm von Jülich.
53
7.
Antoinette, Gemahlin des Herzogs Johann Wilhelm von Jülich etc.,
•theilt den herzoglichen Rüthen ihre und ihres Gemahls bevorstehende
Ankunft in Düsseldorf mit und befiehlt, den vorausgesandten Geist-
lichen alle Räume des Schlosses zum Zwecke der Aussegnung zur
Verfügung zu stellen.
•Hambach, 26. Februar 1606.
Messieurs. Comme son Altesse e moy sommes sur le poinct d'aller
ä Düsseldorf, et la memoire des choses passees au preiudice de noz
santez est encor fresche; j'ay iuge expedient, afin d'y pourvoir, en tant
que faire se peut, que ces gents d'eglise gaignassent le devant, pour
benir toutes les charabres e demeures du chasteau qu'il sera besoing.
Occasion que ne ferez difficulte de leurs en faire ouvrir les portes et
les recevoir. De quoy m'asseurant je prie Dieu vous avoir en sa pro-
tection. De Hambach le 26 de Feburier 1606.
Anthoinette duchesees de Jullier Cleves et Bergue.
C. Mesguin subscripsit.
Auf der Rückseite: A Messieurs les conseillers de noz estatz
■de Jullieurs et Berg k Düsseldorf.
Königl. Staatsarchiv Düsseldorf. Jülich - Bergische Familiensachen Nr.
-63V 2 - Herzog Johann Wilhelm: Krankheit und Exorcismus 1605— 1606. Fol. 65.
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Zur Geschichte der Suitbertus- und Willeicus-Reliquieir
in Kaiserswerth.
Von
E. Pauls.
Nur wenige Orte am Niederrhein können sich an geschicht-
licher Bedeutung mit der etwa zehn Kilometer nordwestlich von
Düsseldorf gelegenen Stadt Kaiserswerth messen. Welcher Ge-
schichtsfreund wüsste nicht, dass dort ehemals eine Königspfalz
als Stützpunkt der königlichen Macht bestand, während der Rheinzoll
und ein berühmtes Kollegiatstift Kaiserswerth in ganz Deutschland
zu einem der bekanntesten rheinischen Plätze machten ? Hier war
es, wo vor fast 1200 Jahren der hl. Suitbert, einer der Genossen
Willibrords, das Kreuz in die Erde schlug und ein nachmals sehr
bedeutend gewordenes Kloster gründete. Suitbert fand in Kaisers-
werth seine Ruhestätte; der zur Aufnahme seiner Ueberreste und
derjenigen seines Gefährten (?) Willeicus bestimmte Schrein, ein
herrliches Denkmal mittelalterlicher Kunst 1 ), wurde in der zweiten
Hälfte des 13. Jahrhunderts vollendet. Eingeschlossen in eine ein-
fache Kiste von Eichenholz, aber in Seide eingehüllt und durch
mit Inschriften versehene Metalltäfelchen gekennzeichnet, ruhen die
Reliquien der hll. Suitbertus und Willeicus in diesem Schreine.
. Nach den Inschriften der Täfelchen zu schliessen, wurden die
1) P. Clemen, Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz Bd. III, Düssel-
dorf, S. 138: Der Suitbertusschrein in Kaiserswerth bildet den glänzenden
Abschluss der durch die Tumba von Xanten eröffneten Reihe der nieder-
rheinischen Schreine zu Aachen, Deutz, Köln, Siegburg.
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Zur Geschichte der Suitbertus- und Willeicus-Reliquien in Kaiserswerth. 55
ehrwürdigen Ueberreste der Glaubensapostel am 6. Juli 1264 in
dem damals fertig gestellten Schreine nebst dem sie umschliessen-
den Eichenholz-Sarge beigesetzt 1 ].
Wir wissen nicht, ob in der langen Zeit zwischen 1264 und
16*26 jemals eine Eröffnung des wohlverschlossenen Kerns des Suit-
bertusschreins stattgefunden hat. Sicher ist, dass im November
1626 der bekannte Kölner Generalvikar Johann Gelenius nach
eingeholter erzbischöflicher Erlaubniss den Sarg von Eichenholz er-
öffnen und durch den kurfürstlichen Bonner Notar Johann Pesch
(Frishemius) über den Hergang einen ausführlichen Bericht auf-
zetzen Hess 2 ). Des umfangreichen Berichts geschiebt in der ge-
schichtlichen Litterätur mehrfach Erwähnung 3 ); veröffentlicht ist
er allem Anscheine nach bis jetzt nicht 4 ). Der» Hauptinhalt
verdient aber schon deshalb veröffentlicht zu werden, weil es sich
nicht nur um eine der berühmtesten Reliquien am Niederrhein
handelt, sondern auch, weil derartige Berichte zu den grossen Sel-
tenheiten gehören und über manche kirchlichen Gebräuche, sowie
über die Behandlung hoch angesehener Reliquien in älterer Zeit
willkommene Aufschlüsse zu bieten vermögen. Ich lasse dem Ab-
druck einen auf das Wesentlichste beschränkten Auszug aus der
Darstellung vorhergehen.
In der Einleitung erklärt der Generalvikar Joh. Gelenius,
dass er seitens des Erzbischofs Ferdinand am 18. November 1626
einen dem Wortlaut nach mitgebrachten schriftlichen Auftrag er-
halten habe. In diesem wörtlich dem Berichte einverleibten Auf-
1) C 1 e m e n a. a. 0., sowie der in der Beilage folgende Bericht aus dem
November 1626 geben folgende Inschriften der Bleitäfelchen: Istae sunt re-
liquiae beati Swiberti confessoris quaruni facta est haec translatio a. d. 12*14
in octava Apostolorum Petri et Pauli tempore Urbani papae quarti . . . Istae
sunt reliquiae beati Willeici confessoris quae eodem tempore sunt translatae.
Vgl. auch E. ausm Weerth, Kunstdenkmäler Bd. II, S. 43 ff.
2) Vgl. die Beilage S. 59 ff.
3) Clemen und ausm Weerth a. a. 0 ; Lacomblet, Archiv
Bd. III, S. 112 und andere Quellen. Vgl. auch Act. SS. Bolland. ad diem
1. März.
4) Der grösste Theil der von Clemen a. a. 0. angeführten, ziemlich
umfangreichen Litterätur über Kaiserswerth ist mir zugänglich geworden.
Den Abdruck eines Auszuges oder des Wortlautes des gen. Berichts suchte
ich vergebens; auch fehlt in den Verzeichnissen des Düsseldorfer Staatsarchivs
jeder Vermerk, dass der Bericht irgendwo gedruckt sei.
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E. Pauls
trage wendet sich der Erzbischof an den Dechant und das Kapitel
des Kollegiatstifts in Kaiserswerth. Nach einem Lobe auf die
Verehrung der Reliquien im Allgemeinen und auf St. Suitbert, den
Apostel des bergischen Landes und Westfalens im Besonderen,
erklart Kurfürst Ferdinand, er ordne hiermit eine Untersuchung
der in Kaiserswerth ruhenden Ueberreste des Heiligen an, mit
deren Erledigung der Generalvikar Gelen betraut sei. Als Grund
wird ausser der Pflicht des bischöflichen Hirtenamtes eine be-
sondere Verehrung des Heiligen und der Wunsch angegeben, den
Ruhm Suitberts zu mehren. Die Untersuchung sollte in Gegen-
wart zuverlässiger, von Gelen zu bestimmender Zeugen vor sich
gehen, und ausdrücklich wird das Stiftskapitel angewiesen, den
Schrein (hierotbecam) zu öffnen, eine genaue Besichtigung und
Beschreibung der Ueberreste zu gestatten, sowie ferner, etwa vor-
handene Dokumente über Suitberts Leben und seine Reliquien dem
Generalvikar vorzulegen und Abschriftnahme zu gestatten. Der
Auftrag des Kurfürsten datirt: „Kloster Knechtsteden, den 18. No-
vember 162G. U Wie aus der Fortsetzung des Berichts hervorgeht,
begab sich Gelen, wohl von Knechtsteden aus, sofort am 18. No-
vember nach Kaiserswerth 1 ), wo er den Stiftsdechant Anno von
Salm von dem erhaltenen Auftrage in Kenntniss setzte, v. Salm
berief am folgenden Tage (19. November) das Kapitel 2 ) zu einer
Berathung, in welcher einstimmig beschlossen wurde, dem erz-
bischöflichen Befehle gern Folge zu leisten. Man Hess von Neuss
den Goldschmied Markus Heister kommen, der in Gegenwart Gelens.
des Kapitels, des Notars und einiger Zeugen zunächst den mit
silbernen und metallenen (aereis) Platten bekleideten Schrein öff-
nete. Im Innern desselben befand sich eine etwa fünf Fuss lange
Kiste von Eichenholz (cista quercina), welche oben mit fünf, unten
mit drei, und an jeder Seite mit zwei eisernen Bändern verschlossen
war. Die obere Eichenbohle (asser) lief in der Mitte etwas spitz
zu und wies zwei eiserne Ringe auf, mittelst welcher der Schrein
herausgehoben werden konnte; auch hatte der Deckel zwei durch
1) Augenscheinlich lag ein lange vorher reiflich überlegter Plan vor.
Hierauf deutet die überaus schnelle Erledigung des Auftrags und der Um-
stand, dass der Neusser Goldschmied am 19. November sofort zur Stelle war.
2) Als Stiftsherren werden ausser dem Dechant genannt: Heinrich von
Vianden, Wilhelm Hewmar, Georg ab Horst, Winand a Pempelfurt, Georg
Leo, Hermann Eilinck, Peter Lawenbergh.
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Zur Geschichte der Suitbertas- und Willeicus-Reliquien in Kaiserswerth. 57
bleierne Platten, in die eiserne Nägel eingeschlagen waren 1 ), ver-
deckte Oeffnungen. Am oberen Theile der Kiste stand der Name
Suitbertus, an der anderen Seite der Name Wileycus geschrieben.
Im Innern war die Kiste durch eine in der Mitte angebrachte
Eichenbohle in zwei Theile getheilt; zwei mit Inschriften versehene
bleierne Täfelchen bezeichneten, entsprechend der Aufschrift auf
dem Sargdeckel, die Ueberreste Suitberts bezw. des Willeicus.
{Vgl. oben.) Die im Berichte sich anschliessende Beschreibung
der Ueberreste, ihrer Umhüllung u. dgl. ist bemerkenswerth, doch
fällt es auf, dass ein Arzt bei der Eröffnung des Schreins nicht
zugezogen worden zu sein scheint. Vielleicht war damals ein Arzt
in Kaiserswerth nicht ansässig, und verzichtete man, um Verzöge-
rungen zu vermeiden, auf einen ärztlichen Sachverständigen aus
Düsseldorf. Aus dem Schluss 2 ) des Berichtes sei noch hervorge-
hoben, dass der ganze Vorgang in der Stiftskirche zu Kaiserswerth
sich abspielte; Glockengeläute und ein Te Deum schlössen die
Feier, zu deren Ende das Haupt St. Suitberts von der Geistlichkeit
zum Küssen dargeboten wurde.
Ausser diesem Berichte bewahrt das Königl. Staatsarchiv zu
Düsseldorf ein Verzeichniss der im Hochaltar der Stiftskirche zu
Kaiserswerth befindlichen Reliquien 8 ). Das Verzeichniss ist weder
datirt, noch beglaubigt, dabei dem Alter nach schwer bestimmbar.
Anscheinend gehört die Schrift dem 14. oder 15. Jahrhundert an;
vielleicht aber auch liegt eine Fälschung aus etwas späterer Zeit
vor. Unter den Reliquien wird nämlich neben Aechtem, so nament-
lich den »Corpora ss. Switberti patroni et Willeici" manches ge-
nannt, was auf Echtheit keinen Anspruch machen kann, z. B. : De
patriarch is, Abraham, Daniele propheta, Elizeo propheta, virga
Aaron u. dergl.
Ein anderes, ebenfalls im Düsseldorfer Staatsarchive bernhen-
1) Text: duo •foramina plumbeis operculis, ferreis clavis affixis tecta.
Der Zweck dieser beiden Oeffnungen ist nicht recht klar. Vielleicht waren
ursprünglich an Stelle der bleiernen Deckel Glasschieber vorhanden, die man
später durch undurchsichtige Metallplatten ersetzte.
2) Als Zeugen werden genannt: Joh. Konrad a Lyskirchen, Kanonikus
zu St. Andreas in Köln, mehrere Zollbeamte, der Burggraf Kaspar Hanxleder
und der Kölner Bürger Jakob de Solms.
3) Stift Kaiserswerth Nr. 491; mit dem Berichte aus dem November
1620 im selbigen Umschlag.
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58
E. Pauls
des kleines AktenbUndel (543,9): „Stifts- und Pfarrkirche zu Kai-
serswerth* enthält für die Zeit von 1626—1767 verschiedene nicht
ganz unwesentliche Angaben Uber spätere Eröffnungen des Suit-
bertusschreins in den Jahren 1717 und 1767 x ); ferner Uber die
kirchliche Feier dreier jährlicher Gedäcbtnisstage St. Suitberts,
sowie Uber mehrere Verschenkungen kleinerer Partikel von den
Ueberresten des Heiligen an hochgestellte Persönlichkeiten oder
Kirchen. Ein näheres Eingehen auf den Inhalt dieses Aktenbündels
mus8 ortsgeschichtlichen Forschungen Überlassen bleiben 2 ).
Beim nachfolgenden Abdruck des Berichts aus dem November
1626 blieben unwesentliche Stellen (Lob des Reliquiencultus, lange
Titulaturen u. dergl.) theils weg, theils wurden sie in gekürzter
Form gegeben. Stets aber sind Auslassungen und Kürzungen durch
einige Punkte angedeutet, und sorgfältig bestrebte ich mich, We-
sentliches nicht fortfallen zu lassen.
Beilage.
Bericht des Kölner Generalvikars Johann Gelen über die am
19. November 1626 in der Stiftskirche zu Kaiserswerth erfolgte
amtliche Eröffnung des Reliquienschreines der hll. Suitbertus und
Willeicus.
Kaiserswerth, 19. November 1626 8 ).
„Ioannes Gelenius ss. theologiae doctor, metropolitanae et col-
legiatae sanctorum Apostolorum ecclesiarum Coloniensium decanus
1) 1717 fand in Kaiserswerth eine Milleniumsfeier zu Ehren St. Suit-
berts statt; 50 Jahre später (1767) wieder eine Jubelfeier, zu welcher das
Chronogramm „Dulcissimi pignoris clara revisio" gedichtet wurde. In den
gen. Akten finden sich auch Notizen über zwei zinnerne, mit Inschriften ver-
sehene Platten, die man zur Erinnerung an die 1717 erfolgte Eröffnung des
Schreins neben die älteren Bleitäfelchen zu legen beabsichtigte. Gelegentlich
einer nochmaligen Eröffnung des Schreins dürfte sich eine Untersuchung des
Eichenholzes der Kiste empfehlen. (Vgl. Zeitschrift des Aachener Geschichts-
vereins Bd. XVI, S. 109 und Bonner Jahrbücher Heft 77, S. 240 ff., sowie
Heft 78, S. 272 ff.)
2) Dabei würde namentlich auch das in den Bonner Jahrbüchern (Heft
72, S. 129) abgedruckte Verzeichniss im 12. Jahrhundert vorhanden gewesenen
Reliquien eingehend zu berücksichtigen sein.
3) Wahrscheinlich ist der umfangreiche Bericht erst einige Tage nach
dem 19. November 1G26 fertiggestellt und unterzeichnet worden. Ueber einen
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Zur Geschichte der Suitbertus und Willeicus-Reliquien in Kaiserswerth. 59
et respective presbyter canonicus capitularis . . . Ferdinandi archie-
piscopi . . . vicarius in spiritualibus generalis, consiliarius et com-
inissarius ad infrascripta peragenda specialiter deputatus . . . er-
klärt, am Mittwoch den 18. November 1626 vom Erebischofe Ferdinand
folgenden Auftrag erhalten zu .haben. „Ferdinandus . . . archiepis-
copns Coloniensis . . . decano et capitulo eollegiatae ecclesiae
s. Swiberti in Caesaris insula arcbidioeceseos nostrae Colo-
niensis . . . salutera. (Folgt ein längeres Lob auf die Verehrung der
Reliquien) . . . unde fit, ut inter pastoralis nostri officii munia
unum esse ex maioribus sentiamus providere quam solertissime, ut
venerandis iustorum reliquiis condignus habeatur honor . . . Sane
s. Swibertus, magnus ille Saxoniae occidentalis, id est Montensium
et Westphalorum apostolus, quäle quantumque divinae bonitatis in
istis partibus tum in animarum conversione, tum in miraculorum
patratione instrumentum in vita sua, quam sanctissime egit, fuerit
et post beatam mortem in hunc usque diem existat, docent veterum
monumenta et quotidiana experientia testatum facit. Illius vene-
randa lipsana, cum in collegiata vestra . . . ecclesia asserventur,
pro incumbentis nobis episcopalis munii ratione et pro quam sin-
gulari affectu, quo beatum illuin prosequimur illiusque gloriam pro-
pagare magis et magis studemus, visitanda esse duximus . . . Ve-
nerabilem itaque . . . Ioannem Gelenium . . . nostrum . . . vicarium
in spiritualibus generalem ... ad vos ablegavimus, vobis . . . man-
dantes, ut ei in praesentia notarii et testium fide dignorum ab
eodem vicario nostro assumendorum s. Swiberti hierothecam, in qua
sanctissimae illius animae exuviae continentur aperiatis seu aperiri
faciatis, inspectionem et accuratam designationem coucedatis, monu-
menta quoque, quae apud vos seu in archiviis vestris ad vitam
illius, res gestas et miracula custodiri contigerit, patefaciatis, coui-
municetis et transcribi patiamini. Haec est enixa nostra voluntas t
manu et sigillo nostro roborata. Datum ex monasterio Knechtsteden
die decima octava Novembris, anno post millesimum sexcentesimo
vigesimo sexto. Subscriptum: Ferdinandt. Io. Spiess. Loco
sigilli."
Nos igitur commissarius supradictus . . . eodem quo supra
ähnlichen, ziemlich gleichzeitigen Bericht, der die Eröffnung des Grabes und
Schreines eines Abtes in Stalslo betrifft, vergl. Bonner Jahrbücher Heft 4*5,
S. 142 ff.
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i>0
E. Pauls
die ad civitatem Caesaris Insulanum nos contulimus vocatoque ibi-
dem ad nos admoduin rev. dorn. Annone a Salm insignis colle-
giatae ecclesiae ibidem decano, eidem praefatam commissionem
praesentavimus ac auctoritate . . . serenissinii principis . . . qua-
tenus nobis hierothecam s. Swiberti exhiberent et ad examinandum
risitandumque aperirent, mandavimus. Qui postero die s. Eliza-
bethae sacro finitis matutinis precibus, indicto capitulo et capitu-
laribus, scilicet Henrico a Vianden scholastico seniore, Wilbelmo
Hevvmar granorum magistro, Georgio ab Horst canonico presbytero
•et pro tempore thesaurario, domino Winando a Pempelfort, Georgio
Leone cantore, Hermanno Eilinck iur. utr. licentiato canonico
presbytero, Petro Lawenbergh canonico et pastore in loco consueto
congregatis commissionem et mandatum . . . suae Serenitatis
proposuit; reque diligenter ponderata unanimiter consentientibus
praedictis dd. capituiaribus se mandato suae Serenitatis hu-
millime obtemperare paratos esse declararunt. Qua propter pro-
vidum virum Marcum Heister civem et aurifabrum Novesiensem
^cccrsivimus, qui in nostra ac rev. . . . decani, dictorumque cano-
nicorum, notarii et testium infrascriptorum praesentia tumbam ar-
genteis et aereis laminis vestitam aperuit, in qua intrinsecus cista
quercina quinque circiter pedum longitudinem habens reperta est,
superius quinque ferreis vineulis, inferius tribus ad utrumque vero
latus duobus firmata: superior asser quercinus nonnibil in medio
^rat acuminatus cum duobus annulis ferreis, quibus e tumba prae-
dicta cista elevari poterat, quae etiam supra babebat duo foramina
plumbei8 operculis, ferreis clavis affixis tecta. Ab huius cistae su-
periore parte scriptum erat nomen Suitbertus, ab altero latere Wi-
leycus. Ipsa cista in medio quercino assere distinguebatur et ab
•ea parte, qua scriptum erat nomen Suitbertus reperta est lamina
plumbea in qua continebatur sequens literis uncialibus vetustis in-
-cisa scriptura: Iste sunt reliquie beati Suitberti confessoris, qua-
Tum facta est haec translatio anno domini MCCLXIIII in octavo
apostolorum Petri ac Pauli tempore Urban i pape quarti. Deinde
inventum est caput s. Suitberti integrum sine maxillis, involutum
syndoni rubrae, caput a fronte ad oeeiput in cireuitu metiendo unius
ulnae Coloniensis, ab una aure ad alteram trium quartalium ulnae
et pollicis quantitatem continebat. Insuper inventa duo magna
ossa coxendicum, foemoralia nuneupata, quodlibet tria ulnae Colo-
niensis quartalia longum. Duo ossa a genibus usque ad talos,
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Zur Geschichte der Suitbertus- und Willeicus-Reliquien in Kaiserswerth, ßl
singula raediae ulnae Brabanticae longitudinem habentia, quae
videbantur esse focilia maiora. Item quatuor ossa brachiorum,
imumquodque quartale cum dimidio ulnae Coloniensis longum.
Praeterea repertae duae costae, duu item alia ossa, quorum nos
in humano corpore positionem nesciebamus. Duae scapulae unum
quartalae ulnae Brabanticae latae, loogae verum unum quartale et
pollicem. Adhaec spina dorsi cum decem vertebris; duo ossa
cruris cum adhuc duobus ossibus parvis, quae videbantur circa
calcem fuisse; duae rotulae genuum. Item una pars mandibulae
ut apparebat inferioris cum duobus dentibus. Hae reliquiae
omnes involutae erant panno variegato, exterius albi, interius
caerulci coloris. Ab altero vere supradictac quercinae cistae
latere, cui suprascriptum erat nomen Wileycus inventa sunt ossa
coxendicuin duo, quorum unum trium quartalium, alterum fere
semitrium quartalium unius ulnae Coloniensis longum erat. In-
super inventa maxilla inferior cum tredecim dentibus. Duo
ossa cruris a genibus usque ad talos, quorum unum semitrium
quartalium et nonnibil ultra, alterum vero dimidiae ulnae Colo-
niensis longitudinem continebat, sed binc inde parum attrita erant
Item duo ossa eiusdem magnitudinis, servantia plantara pedis, quae
videbantur fuisse metatarsi; una pars brachii ut apparebat semi-
duorum quartalium ulnae Brabanticae longa. Item reperta pars
gutturis nec non duo ossa parva instar sigmatis et duae vertebrae
Spinae dorsi. Hae reliquiae omnes panno variegato involutae erant.
Deinde inventa fuit syndon rubea, cui videbatur caput s. Wileyci
involutum fuisse. Demum reperta est lamina plumbea, cui sequens
scriptura insculpta erat: Istesunt reliquiae beati Wileyci confessoris,
que eodem tempore sunt translate.
His omnibus sie ut praemittitur repertis et peractis maximo
cum gaudio campanis compulsatum fuit. Civibus plurimis ad ec-
clesiam coniiuentibus s. Swiberti caput per nos ad osculandum
exhibitum, ac demum Te Deum laudamus solemniter decantatum
fuit. Acta sunt haec omnia in ecclesia collegiata s. Swiberti in
Insula Caesaris, anno, mense et diebus praementionatis, praesenti-
bus ibidem reverendo, nobilibus . . . dominis loanne Conrado a
Lysskirchen ad s. Andream Coloniae canonico, Friderico a Vir-
mundt locum tenente et telonario, Casparo Hanxleder burggravio,
Gerhardo Rensingk telonii inspectore, Valentino Kurzrock telonii
scriba et Iacobo de Solms cive Coloniense, testibus ad praemissa
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<i2 E. P a u 1 8 : Zur Geschichte der Suitbertus- und Willeicus-Reliquien etc.
specialiter requisitis. In quorum fidem, robur ac testimonium hasce
literas, nostra ac notarii infrascripti in praedictis adhibiti, manu
subscriptas consueto nostro sigillo communiri fecimus.
Ioannes Gelenios mp. De mandato speciali Ioannes Pesch
Frisheraius publicus et in electoraii cancellaria Bonnensi approbatus
notarius subscripsi ra. p.
Königl. Staatsarchiv zu Düsseldorf. Kaiserswerth Urkd. Nr. 491. Per-
gament-Folio. Das Siegel Gelens (rother Siegellack) hängt, eingeschlossen
in eine kleine Holzschachtel, an einem Pergamentstreifen an.
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Beiträge zur Geschichte Crefelds und des
Niederrheins.
Von
Hermann Keassen gen. (t)
Bisher hat in dieser Zeitschrift die Geschiebte der Grafschaft
Mörs und der mit ihr eng verbundenen Herrlichkeit Crefeld nur
selten Erwähnung gefunden, so sehr auch die eigenartige Ver-
gangenheit dieser seit fast 200 Jahren preussischen Gebietstheile
sich von der der niederrheinischen Nachbarländer abhebt. Mein
am 10. Dezember 1894 verstorbener Vater, der Stadtschulrath
Dr. Hermann Keusseu in Crefeld, hat lange Jahre hindurch in
emsigem Fleisse das Material zur Geschichte dieses Landstriches,
man kann sagen, fast vollständig zusammengebracht. Vor allem
hat er die bezüglichen Bestände des Düsseldorfer Staatsarchivs,
das Stadtarchiv von Köln, zahlreiche Gemeinde-, Kirchen- und
Privatarchive der engeren Heimath durchforscht und für seine um-
fassenden Sammlungen verwerthet. Dieselben werden dem im
nächsten Jahre zu eröffnenden Kaiser Wilhelm - Museum seiner
Vaterstadt, dessen Gründung durch ihn angeregt worden ist, über-
geben werden, damit späteren Forschern diese werthvollen Vor-
arbeiten jederzeit zugänglich bleiben. Schon in seinen jüngeren
Jahren hatte mein Vater die Geschichte der Stadt und Herrlich-
keit Crefeld (Crefeld 1859—65) veröffentlicht, ein Werk, in wel-
chem der Natur der Sache gemäss auch die Geschichte der Graf-
schaft eine eingehende Berücksichtigung fand. Leider konnte er
sich später nicht entschliessen, das Ergebniss seiner unermüdlichen
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Hermann Keussen sen.
Forschungsarbeit in einem grösseren darstellenden Werke zu-
sammenzufassen. Wohl beschäftigte ihn weiterhin die Bearbeitung
eines möglichst vollständigen Urkundenbuches der Grafschaft Mörs,
dessen umfängliches Manuskript noch der Herausgabe harrt; er
selbst konnte nicht zum Abschlüsse kommen, weil er immer wieder
auf Vervollständigung des Materials hoffte. Auch zu Aufsätzen
aus seinem Arbeitsgebiete gelangte er selten. Die „Annalen"
weisen nur wenige Beiträge von ihm auf, so sehr er sonst auf
Förderung der Vereinsinteressen bedacht war und an den Ver-
sammlungen sich gerne und manchmal auch mit Vorträgen be-
theiligte. Selbst zu der lokalgeschichtlichen Wochenschrift „Die
Heimath", welche er in den Jahren 1875—78 herausgab, steuerte
er nur wenige Artikel bei. Erst in seinen letzten Lebens-
jahren veröffentlichte er von Zeit zu Zeit in der „Crefelder Zeitung*
Skizzen aus der Geschichte der engeren und weiteren Heimath,
welche aus seinen reichen Sammlungen schöpften. Vielfach sind
die Quellen, welche der Darstellung zu Grunde liegen, deutlich zu
erkennen, z. B. bei dem Aufsatze ^Kulturgeschichtliche Streif-
bilder * die Stadtrechnun^en von Rheinberg, bei den Aufsätzen zur
Schulgeschichte die entsprechenden Akten der Kirchen- und Schul-
archive. Auch alle anderen Aufsätze sind streng quellenmässig
gearbeitet auf Grund des weitschicbtigcn Materials, das ihm in
langjähriger Arbeit vertraut geworden war. Es würde für einen
anderen, der sich nicht völlig in den Stoff versenkt, nicht möglich
sein, im Einzelnen die Angaben auf ihre Quellen zu prüfen. Aber
die Einsicht in die Sammlungen erweist zur Genüge die Sorgfalt
und Gewissenhaftigkeit, welche den Verstorbenen bei seinen Ar-
beiten stets auszeichnete, und die er bei seiner Lieblingsbeschäfti-
gung erst recht nicht vermissen Hess. Mehrfach knüpfen die
Aufsätze an an lokale Begebenheiten und Dinge, welche er seinen
Mitbürgern in ihrem geschichtlichen Zusammenhange vorführte;
einzelne sind Ausarbeitungen von Vorträgen, welche er bei ver-
schiedenen Gelegenheiten gehalten hat. Die Art ihrer Entstehung
bringt es mit sich, dass ein feuilletonistischer Stil mit einer Bei-
mischung von freundlichem Humor und liebevoller Kleinmalerei,
wie sie dem Verfasser eigen waren, sich wohl mildern, aber nicht
verwischen lässt, dass manches Thema in diesen Skizzen mehr-
fach gestreift wird, und was dergleichen Unvollkommenheiten mehr
sind. Hätte der Verstorbene selbst eine rein wissenschaftliche
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Beiträge zur Geschichte Crefelds und des Niederrheins. l>5
Arbeit mit diesen losen Blättern beabsichtigt, so würde er eine
andere Weise der Darstellung gewählt haben. Nur eine erneute
Durcharbeitung seiner hinterlassenen Sammlungen würde einen
anderen hierzu befähigen; dazu ist aber vorderhand keine Aussicht
vorhanden. So mögen denn diese Skizzen, welche in ihrer Ge-
sammtheit eine Reihe von kulturgeschichtlichen Ansichten vom
Niederrhein bilden, ihre Aufgabe erfüllen in dem Sinne, in wel-
chem sie geschrieben sind: eine lebendige Anschauung der Ver-
gangenheit, wie sie sich in engerem Rahmen gestaltet hat, einem
weiteren Leserkreise nahezubringen.
Köln.
Herrn. Keussen jr.
1.
Das Volksschulwesen in der Grafschaft Mörs gegen Schluss
des vergangenen Jahrhunderts.
Nettesheim hat in seiner dankenswerthen Geschichte der Schu-
len in dem alten Herzogthum Geldern auch manches interessante
Streiflicht auf die Schulen der ehemaligen Grafschaft Mörs fallen
lassen. Seine Mittheilungen, grösstentheils meinem gesammelten
Material entnommen, sind indess, dem Zwecke der Arbeit ent-
sprechend, knapp gehalten, sie sollten nur zum besseren Verständ-
niss der Schulzustände im benachbarten Gelderland dienen. Eine
weitere Vervollständigung dieser spärlichen Nachrichten dürfte um
so willkommener sein, als sie bisher weiteren Kreisen nicht zu-
gänglich waren. Die preussische Regierung Hess sich im Gegen-
satz zu der früheren oranischen die Hebung des Volksschulwesens
sehr angelegen sein. Namentlich hat sich König Friedrich Wilhelm I.
unvergängliche Verdienste um dasselbe erworben. Seine Nach-
folger blieben in dem Streben nicht zurück, und so drang Friedrich
der Grosse mit starkem Nachdrucke darauf, dass die Pfarrer stets
die Eltern belehren sollten, welche Vortheile ein guter Unterricht
ihren Kindern bringen würde. Eine weitere Verordnung des
grossen Königs befahl die Einführung der neuen Rochow'schen
Lehrmethode mit dem 1. Januar 1778. Aber fast überall in der
Grafschaft stiess man auf grosse Schwierigkeiten ; das Berliner Schul-
An Halen den hist. Vereins LX1II. 5
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6<;
Hermann Kcussen sen.
reglement wurde schroff zurückgewiesen. Auch der Mörser Stadt-
schulmeister Johann Mathias von Spankeren scheint sich mit dem-
selben nicht befreundet zu haben, denn er klagte, dass, seit er
nach dem Berliner Reglement arbeite, die Schüler ihm wegliefen,
und so legte er kurz nachher sein Schulamt nieder, das er über
20 Jahre verwaltet hatte. Nach seinem Austritte verwaltete Johann
Wilhelm vom Stein dasselbe auf zwei Jahre, um einer frischen,
aufstrebenden Kraft, Johann Peter Zwengenberg, Platz zu machen.
Neun Jahre hatte Zwengenberg, der ein Dreissigjähriger war, be-
reits im Bergischen und in Mörmter im Schuldienste gestanden.
Glaubte er in Mörs bessere Verhältnisse zu finden, als er sie in
seiner bisherigen Stellung gehabt, so sollte er sich bald bitter ge-
täuscht finden. Zunächst gab das Schulgebäude vollberechtigten
Grund zu bitteren Klagen. Es befand sich nebst der nebenan lie-
genden Lehrerwohnung in einem kläglichen Zustande, es lag in
einer der engsten und schlechtesten Gassen der Stadt, so dass der
Schulvisitator, der Prediger Engels, in seinem Berichte an die Re-
gierung den Ausdruck gebrauchen durfte: Die Schule gleicht einem
dumpfen Kerker, und es ist zu verwundern, dass Lehrer und
Schüler nicht längst ihre Gesundheit eingebüsst haben. Dazu kam
ein wenig ausreichendes Gehalt von 90 bis 95 Rthlrn., das aus
der Kirchen-, Kämmerei- und Renteikasse, wie bereits vor 200
Jahren bezahlt wurde. Das Schulgeld betrug für jeden Schüler
pro Monat, je nach der Klasse, der er angehörte, 4, 5 oder 6
Sttiber, der Rechenschüler zahlte 12 Stüber. Ausserdem hatte der
Lehrer spärliche Einnahmen vom Beläuten und Kopulieren. Das
Schulgeld wurde ihm noch mannigfach gekürzt durch die Winkel-
und Abendschulen, welche gerade von den Schülern besucht wur-
den, die am besten zahlen konnten. Zwengenberg wiederholte
von Jahr zu Jahr seine Klagen, oft in bitterer und derber Sprache,
vielleicht hier und da zu rücksichtslos. So heisst es in einem Be-
richte vom Jahre 1789: Die Winkelschuleu der Lehrerinnen nähmen
ihm die Schüler aus den besseren Familien, so die Ehefrauen
Wolters, Perro und Jaussen und die Gertraud Nau, trotzdem sie
meistens selbst elend unterrichtete Personen wären, die nach
schlechten Methoden im Lesen und Schreiben unterrichteten und
den Schülern falsche Begriffe beibrächten. Er erreichte es, dass
die Regierung am 12. August 1790 verfügte, dass der Magistrat
und die Prediger durch Deputirte die Winkelschulen revidiren und
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Beiträge zur Geschichte Crefelds und des Niederrheins.
«7
alle Schüler, die älter als 6 Jahre wären, ausweisen sollten. Für
jedes Kiud sollte 1 Rthlr. Strafe an die Armenkasse gezahlt wer-
den. Katharina Perro, eine Soldatenfrau, bat in einer drolligen
Eingabe die Regierung, die Verfügung zurückzunehmen; sie erhielt
aber eine derbe Antwort: Die Eingabe beweise hinreichend, dass
sie zum Unterrichten Ojähriger Kinder nicht befähigt sei, sie sei
ausserdem taub und stupide. Im Jahre 1790 wiederholte Zwengen-
berg seine Klage: Trotz dem Verbote der Regierung blühten die
Winkel-, Klipp- und Heckschulen weiter fort: der Schuhmacher
Friedrich Hoefter, der Küster Müller, Gerhard Achternbusch und
noch andere hielten zu seinem grössten Nachtheile Abeudschulen
und nähmen darin schulpflichtige Kinder auf. Mit Bezug auf
Hoeffer machte er die bittere Bemerkung: Es sei nicht nöthig, dass
die Jungen, wenn sie zur rechten Zeit von der Regierung zum
Schulbesuch angehalten würden, in ihren männlichen Jahren (vom
15. — 20. Jahre) bei einem alten Schuster Unterricht suchten, der
möge bei seinem Leisten bleiben. Ueber den Küster Müller er-
laubte er sich die Bemerkung: Wenn der Küster sich um das
Glockenseil und um seine Mistkarre kümmere, so würden die 14
neun- bis vierzehnjährigen Schüler da Unterricht suchen, wo sie ihn
auch wirklich erhalten könnten. Die Ehefrau Wolters, bemerkte
Zwengenberg in seiner Klageschrift weiter, habe augeblich nur
eine Strickschule, es fänden sich aber bei ihr Kinder aus den vor-
nehmsten Familien, wie vom Kriegsrath von Goldbeck, vom Re-
gierungsrath KerkhotT, vom Kammersecretär Schölten, vom Bürger-
meister Wesendouk, vom Salzfaktor Schmidt usw. ein, darunter
auch Jungen unter 6 Jahren. Er hätte es mit Rücksicht auf die
Personen zur Zeit für vernünftig gehalten, darüber zu schweigen,
denn es sei eine solche Schule, die sich von ihm nicht ohne Hand-
schuhe aufassen Hesse. Mit Bezug auf die Schule der Perro be-
merkte er bissiger Weise, sie habe bei ihrem schwachen Gedächt-
nisse leider alle Jungen über 6 Jahre anzugeben vergessen. Im
übrigen würden anderwärts zur ordentlichen Schulzeit keine
Strickschulen gestattet, als höchstens nur für solche, welche der
Schule entwachsen wären. Hier (in Mörs) decke sich der eine
Unfug mit dem andern. Vor dem sechsten Jahre können Kinder
die Winkelschulen besuchen, und sobald sie 0 Jahre alt sind, heisst
es, sie besuchen die Strickschulen,, folglich hat eine ordentliche
Schule auf Kinder weiblichen Geschlechts gar keinen Anspruch.
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08 Hermann Keus9en sen.
80 spielen in Mörs alte Weiber den Spott mit den heilsamen könig-
lichen Verordnungen, und das unmittelbar unter den Augen einer
höchst weisen und gerechten Regierung. Wenn man vorschütze,
das Schulhaus sei zu klein und für die Gesundheit der Kinder so
gefährlich, so sei es Pflicht der Behörde, für ein bequemeres
Schulhaus zu sorgen, wozu es an Gelegenheit nicht fehle. Der Pre-
diger Diergardt bemerkte zu dieser Eingabe des Lehrers, er sei der
letzte, der seine Kinder in solch' ein ungesundes Loch stecke. Trotz
alledem trat eine Aenderung nicht ein. Im Jahre 1792 wieder-
holen sich die alten Klagen. Auf die Frage: Wie viel Kinder
überhaupt fleissig zur Schule kämen, antwortete Zwengeuberg :
Fast keine, weil die meisten Eltern, besonders gemeinen Standes,
befürchten, ihre Kinder möchten, wenn sie fleissig in die Schule
gingen, klüger werden, als sie selber sind. Die Winkelschulen
und die Weiberschulen entziehen der Stadtschule den grössten Theil
derjenigen Schüler, welche am besten zahlen können. Sie nehmen
dem Stadtschulmeister das Brot vor dem Munde weg, so dass er
mit Nahrungssorgen zu kämpfen habe, und sein Eifer und sein
Muth geschwächt werden. Das Schulgebäude zerfalle mehr und
mehr, ohne dass sich der hochehrbare Magistrat darum kümmere.
Die SchUlerzahl war bis auf 50 zusammengeschmolzen, von
denen noch überdies ein Theil im Sommer aus dem Unterricht
fernblieb. Die Prediger stimmen in diese Klagen ein und em-
pfehlen der Regierung die königliche Verordnung Uber den Schul-
besuch, wonach die Kinder vom 6.— 13. Lebensjahre zum Besuche
der Schule verpflichtet wären, doch endlich zur Ausführung bringen
zu lassen. Die Klagen verhallten ungehört. Hier und da schien
die Regierung der Sache näher treten zu wollen, wenn sie neu-
gierig in einer Verfügung die Frage aufwarf, die sie eigentlich
sich selbst beantworten konnte, ob nicht eine Erweiterung der
Schulfonds durch Vermächtnisse, Verschreibungen oder auf eine
andere Art zu erwarten sei. Auch hier gab Zwengeuberg wiederum
die treffende Antwort : Wenn bei einigen Mitbürgern die Neigung
zur äusserlichen Verbesserung der Schule so stark ist, als das Ver-
mögen es gestattet, so Hesse sich solches hoffen, nun aber nicht,
weil die erste Eigenschaft in unserem aufgeklärten Zeitalter leider
durchgängig fehlet.
Man würde diese freimüthigen Aeusserungen des Lehrers nicht
haben durchgehen lassen, wenn er in seinen Leistungen nicht be-
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Beiträge zur Geschichte Crefelds und des Niederrheins.
«9
friedigt hätte. Wöchentlich fanden vor den Predigern klassen weise
in der Schule Prüfungen statt und einmal jährlich bei Gelegenheit
der Schulvisitation vor dem Inspector ministerii. Ueber Zwengen-
bergs Unterrichtsweise erfahren wir aus dessen eigenem Bericht
Folgendes: Sobald die Schüler zur festgesetzten Zeit und Stunde
versammelt sind, wird mit dem Gebet der Anfang gemacht. Die
Schüler sind auf 5 Klassen vertheilt: a) ABC-Schüler, b) Buch-
stabirschüler, c) Anfänger im Lesen, d) Geförderte Lese- und
Schreibschüler und e) Rechenschüler. Die ABC-Schüler müssen
zunächst die Buchstaben nach der Ordnung hersagen, dann werden
sie geprüft, ob sie dieselben auch ausser der Ordnung kennen.
Die ßuehstabirschüler kommen jetzt an die Reihe. Sie müssen
zugleich buchstabiren, wobei der eine auf den andern Acht geben
und denselben, wenn er fehlt, verbessern muss. Bald aber wird
einer nach dem andern aufgefordert, dass er allein buchstabiren
soll. So geht es auch mit dem Leseschüler usw. Unterdessen
wird mit dem Gesang eines oder mehrerer Verse aus einem geist-
lichen Liede fortgefahren, da denn bald der eine, bald der andere
vorsingen muss, und demnächst mit dem Gebet geschlossen.
In Kapellen war im Anschluss an das Berliner ABC-Buch
eine eigentümliche Buchstabirmethode im Gange. Der Lehrer
giebt jedem Buchstaben einen gewissen Beinamen, der aus dem
Anschein desselben hergenommen ist, und woraus derselbe den
Kindern sogleich kenntlich und begreiflich wird. Z. B. Frage:
Wie heisst der Buchstabe mit dem dicken Bauch? Antwort: b.
Frage: Wie der mit dem krummen Rücken? Antwort: d. Frage:
Wie der mit dem Stippen ? Antwort : i. Frage : Wie heisst das
halbe Möndchen ? Antwort: c. usw.
Die besten Schulverhältnisse in der Grafschaft Mörs scheinen
damals in Crefeld gewesen zu sein. Abgesehen davon, dass die
Schulräume weit ansprechender und umfangreicher, als anderwärts
waren, standen an der Spitze des Volksschulwesens 3 tüchtige
Lehrer: Hammerstein, Höninghaus und Hohns. Ueber die beiden
ersteren liegen Berichte aus der Zeit von 1787 — 1793 vor, die alle
gleich günstig lauten. Der damalige Inspector Engels bezeugte,
dass sich keine Mängel im Schulunterrichte vorgefunden hätten.
Und dabei hatten die Lehrer in der einklassigen Schule mit 127
bis 136 Schülern keine leichte Arbeit, zumal viele derselben wegen
Erlernung fremder Sprachen oder des Nähens, Strickens usw. nur
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70
Hermann Keuasen sen
halbe Tage zum Unterricht kamen. Dem ersteren wurde der Unter-
richt auch noch durch den Umstand erschwert, dass ein starke»
Drittel der Schüler sich zu einer andern Confession bekannte. Bei
Höninghaus gehörten die Schüler demselben Religionsbekenntnisse
an. Im Jahre 1792 vertheilten sich seine 136 Schüler auf folgende
Weise : 1—32 wurden in der Regel de Tri, in der Wechselrech-
nung usw. unterrichtet, 1 — 50 schrieben Vorschriften im Deutschen
und Holländischen in Zeilen, 1—36 lasen in der Bibel und in der
Naturgeschichte, 50—86 schrieben Buchstaben und Wörter, 87—136
lernen Buchstaben und Buchstabiren, 36—86 haben die kleinen
biblischen Sprüche und Fragen gelernt, 1—36 Beweissprüche. Mit
der ganzen Schule wurde der Heidelberger Katechismus und bib-
lische Geschichte vorgenommen. Der Unterricht fiel in die Zeit von
8—11 und von 1 — 4 Uhr. An Schulgeld wurde in den Crefelder
Schulen bezahlt vom Leseschüler 4 Stüber, vom Schreibschtiler
6 Stüber und von» Rechenschüler 12 Stüber für den Monat. Das
Gesammtgehalt des Lehrers belief sich neben der freien Wohnung
auf 181 Rthlr. 36 Stüber. Eine Aufbesserung dieser Gehälter wurde
im Jahre 1792 von der Regierung aufs wärmste empfohlen. Im
Jahre 1778 beabsichtigte man die Errichtung einer lutherischen
Schule, und bald schritt man zur Ausführung des Planes. Man
kaufte ein Haus für 1500 Rthlr. an und änderte es den Schulzweckea
entsprechend mit einem Kostenaufwand von 100 Rthlrn. Der
Lehrer erhielt ein Gehalt von 150 Rthlrn., das durch Kollekten
aufgebracht wurde, und ausserdem für Orgelschlagen 25 Rthlr.
Der erste lutherische Lehrer war Heinrich Wilhelm Corts aus
Langerfeld. Als lutherischer Privatlehrer hatte bis zu dem ge-
nannten Jahre Christian Passarin fungirt.
Es war bereits im Jahre 1731 die Absicht gewesen, einen,
dritten reformirten Lehrer in der Stadt Crefeld anzustellen, als
der Lehrer Freund alt und gebrechlich sein Amt nicht mehr voll-
auf zu verwalten vermochte. Zu dem Ende wollte man das ohne-
hin knappe Gehalt Freunds kürzen. Als die Regierung dies er-
fuhr, verbot sie unter dem 7. August des genannten Jahres, ohne
ihr Zuthun und ihre Erlaubniss eine Aenderung vorzunehmen. Sei
ein dritter Lehrer nothwendig, so sollte der Magistrat mit Zu-
ziehung des Consistoriums darüber in Berathung treten und be-
richten. Dies geschah denn auch am 14. August. Man war ein-
stimmig der Ansicht, dass, wenn die katholische und mennonitische
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Beiträge zur Geschichte Crefelds und des Niederrheins.
71
Nebenschule zufolge der königlichen Verordnung vom 28. Juli
1730 abgeschafft würde, ein dritter Schulmeister angeordnet werden
müsse. Das Salair könne man theils vom Vorsingen mit jährlich
10 Rthlrn. nehmen (Freund sei dazu zu schwach und auch zu
seinem Küsterdienst eigentlich nicht mehr gehörig im Stande),
theils aus freiwilligen Gaben der Gemeindemitglieder zu beschaffen.
Dazu käme dann noch donum gratuitum (Neujahrsgeld) und das
Läutebrot aus der neuen Stadt-Auslage. Man könne dem dritten
Scbullehrer daneben eine Exspektanz auf den Küsterdienst eröff-
nen. Die Regierung erklärte sich am 21. September mit diesem
Vorschlage einverstanden und ernannte den Johann von Bronkhorst
„wegen dessen guter Hand im schreiben, rechenkunst uud sonstcn
habender geschicklichkeit, auch guten Lobens und Wandels, zumal
er vorhin als Assistenzschulmeister in Crefeld und nachgehends
eine Zeit lang als Schul- und Rechenmeister in Duisburg gestan-
den", zum dritten Schulmeister. Mit diesem Vorgehen war aber
weder Magistrat noch Cousistorium einverstanden. Am 2. Oktober
beschloss der Magistrat dem Consistorium davon Nachricht zu
geben und abzuwarten, was dieses in der Sache thun werde, da-
mit man einhellig vorgehen könne. Letzteres beschloss über ver-
kürztes Wahlrecht sich zu beschweren, und in der That wandte sich
am 8. Oktober das Presbyterium mit einer Eingabe au den König und
klagte, dass wider Herkommen die Regierung, ohne einen Vorschlag
abzuwarten, einen dritten Schulmeister ernannt habe. Der König
möge es bei seinem alten Nominationsrecht schützen. Die Mörser Re-
gierung fasste das Vorgehen des Presbyteriums und des Magistrats
als Widersetzlichkeit und strafbare Rechthaberei auf und befahl
am 2. November bei 100 Rthlr. Strafe, den von Bronkhorst sofort
nach Berufung des Magistrats einzuführen, ein Protokoll darüber
aufzunehmen und die Renitenten und Rädelsführer zur fiskalischen
Ahndung anzuzeigen. Am selben Tage war aber von Berlin bei
der Mörser Regierung eine zurechtweisende Verfügung eingetroffen,
den Crefeldern in ihren kompetirenden Rechten nicht hinderlich
zu sein. Am 20. November wurde gleichwohl Bronkhorst vom re-
gierenden Bürgermeister Dr. Bruckmann und Gemeinsmann Wil-
helm Schmeiters in sein Amt eingeführt, während er in der Kirche
Niemand antraf. Am 23. November beschwerte sich das Pres-
byterium abermals bei dem Könige über dieses Vorgehen. Die
Regierung habe trotz der Verfügung vom 2. November durch Zu-
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Hermann Keussen sen.
thun des Kriegsratbs Müntz den Bürgermeister Bruckmann zu be-
stimmen vermocht, den Bronkhorst einzuführen, trotzdem Magistrat
und Consistorium Einer Ansicht gewesen. Jetzt habe ihnen der
Bürgermeister ihr Recht verkürzt und den Bronkhorst eingeführt,
ohne dass dieser ein Probestück seiner Befähigung vorgezeigt habe.
Müntz habe allerdings, wie er sich entschuldige, reserviren wollen,
dass die Crefelderfür die Zukunft bei ihrem Wahlrecht belassen wer-
den sollten, man möge den Bronkhorst für diesesmal annehmen.
Auf diese Klage ging keine Antwort ein. Am 10. Juni 1732
wiederholte sie das Presbyterium und bat um Antwort. Am 27.
kam sie und lautete dahin, dass die Mörser Regierung keinen Be-
richt eingesandt habe. Unterdessen war der alte Lehrer Freund
mit Tod abgegangen, und die Frage der Besetzung kam im Juni
1732 im Consistorium zur Sprache. Hier waren die Meinungen
getheilt. Gottfried Bruckmann und Heinrich Heymer waren der
Ansicht, weil man über Bronkhorst nichts wie Lob gehört, und er
auch mit einem hübschen Menschen zur Beihülfe versehen, femer
auch Platz genug in der Schule sei, dass die Wahl eines Dritten
nicht hoclmöthig sei, zumal zu einem capabeln Menschen kein hin-
längliches Salarium, noch Ort und Platz zur Schule und Wohnung
für den Schulmeister ohne Schaden der Gemeinde zu haben seien:
man möge daher von der Wahl eines dritten Lehrers absehen.
Am 18. Juli forderte die Regierung die Crefelder zu Vorschlägen
auf. Das Presbyterium wandte sich wieder an den König und
weigerte sich, vor Eintreffen der Antwort eine Wahl vorzunehmen.
Am 15. August traf dieselbe ein, zugleich mit der Aufforderung,
nunmehr zur Präsentation geeigneter Persönlichkeiten zu schreiten.
Die Wahl unterblieb, und die dritte Lehrerstelle wurde nicht besetzt.
Es scheint, dass eine erneute Vorstellung diesen Misserfolg zu Wege
gebracht hat. Erst 30 Jahre später kam es zu der Schaffung einer
bleibenden dritten Lehrerstelle.
Die zweite Lehrerstelle am Inrath, seit 1715 ins Leben ge-
rufen, hatte nach dem Ausscheiden des Johann Elskes im Jahre
17(50 der Lehrer Gerhard Kuipers iune. Er war bisher in Htils-
horst Lehrer gewesen und am 11. August 1760 von Bürgermeister,
Schöffen, Rat, Consistorialen und Landesvorstehern gewählt worden.
Bei seinem Tode am 20. Juni 1777 hatte man Johann Clemens
Keusenhoff aus Repelen zu seinem Nachfolger gewählt. Die Wahl
war aber auch keineswegs glatt verlaufen. 3 Caudidaten hatten
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Beiträge zur Geschichte Crefelds und des Niederrheins.
sieb gemeldet : Everhard Marcus aus Repelen, der spätere Lehrer
von Utfort, der genannte Keusenhoff und Jobann Wilhelm Scheidt
aus Kapellen. Das Consistorium wählte einseitig den Keusenhoff;
die Landesvorsteher protestirten, weil sie zur Wahl nicht zuge-
zogen, und schlugen den Marcus vor, der bereits 4 Monate den
kranken Lehrer vertreten und sich bei den 50 Schülern bewährt
habe. Das Consistorium remonstrirte gegen das Vorgehen des
Landes, die Wahl sei rechtmässig unter Beistand der Berechtigten
verlaufen. Gleichwohl verfügte die Regierung, dass Marcus so-
wohl als Keusenhoff sich zum Examen am 22. September in Mörs
stellen sollten. Hierauf wurde letzterer am 6. Oktober von der Re-
gierung bestätigt. Beim Tode des Keusenhoff am 8. November
1780 wurde Johann Clemens Wolffertz. der bereits als Unterschul-
meister in der Stadt fungirt hatte, als Lehrer am Inrath gewählt.
Er legte am 8. Oktober 1785 seine Stelle nieder, und nun wählte
das Consistorium, ohne das Votum der übrigen Wahlberechtigten
zu hören, zu dessen Nachfolger den Lehrer aus Oberwinter Christian
Hasselbeck. Am 5. Deeember protestirtc der Magistrat gegen die
Wahl, am 13. entschuldigte sich das Consistorium, die Wahl sei
in keiner bösen Absicht geschehen, es würde solches nicht wieder
vorkommen, worauf sich der Magistrat beruhigte und die Wahl
nicht weiter beanstandete. Hasselbeck vertauschte seine Stellung
mit der eines Vorstehers des Armenhauses bereits im Jahre
1787. Zu seinem Nachfolger wurde Johann Peter Wilhelm
Pongs gewählt, der seinen Vorgänger später auch im Armenhause
ablöste.
In Essenberg verwaltete um 1787 ein junger Lehrer, Namens
Conrad Wülfing, das Schulamt. Die Vorbereitung für seinen Beruf
hatte er bei seinem Vater empfangen, der Lehrer in Wanheim war.
Er hatte 45 Schüler, darunter keine Rechenschüler. Sein Gehalt
betrug 12 Rthlr., das Schulgeld brachte 15 Rthlr. auf. Asterlagen
und Winkelhausen hatten eine gemeinschaftliche Schule, deren Ge-
schicke ebenfalls ein junger Lehrer, Hermann Krachten, leitete.
Seine Vorbildung hatte er beim Lehrer W insing in Duisburg er-
halten. Sein Gehalt betrug 6 Rthlr., an Schulgeld nahm er 30 Rthlr.
ein. Die Schule in Schwaef heim und Vinn wurde von dem Lehrer
der Rumeln'schen Schule Johann Beestendonk zugleich mitver-
waltet. Hier waren 70 Schüler, darunter keine Rechenschüler.
Das fixirte Gehalt betrug 6 Rthlr., das Schulgeld 28 Rthlr. Ueber
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74 Hermann Keussen sen.
die Schulen in Asberg, Dong, Wardenberg und Hülsdonk stehen
uns aus dieser Zeit nur noch die Namen der Lehrer zur Ver-
fügung: Dietrich Gochs, Wilhelm Bosch, Johann Wardenberg und
Hermann Bongarts.
In Friemersheim, wo der Lehrer Friedrich vom Eyser zugleich
als Küster und Vorsänger amtirte, zahlte man 5 Stüber Schulgeld.
Das Bargehalt des Lehrers betrug 40 Rthlr. ; dann hatte er eine
Fruchtrente, 4 — 500 Ostereier, und ausserdem erhielt er von Taufen
2 Uthlr., Confirmation 1 Rthlr., von Copulationen 3 Rthlr., von
Leichen 4 Rthlr. Von 75—80 Schülern erschienen im Winter
etwa 50 regelmässig, die übrigen nur selten, im Sommer sank die
Schülerzahl auf 32—40. Von der Geschicklichkeit des Lehrers
war nicht viel Rühmliches zu sagen. Die Unterrichtszeit war die-
selbe wie in Crefeld. In Kapellen waren die Schulzustände am
günstigsten. Der Lehrer Johann Wilhelm Scheidt, von seinem Vater
vorgebildet, war ein fleissiger und geschickter Lehrer, der mit
ganzer Seele sich seinem Amte widmete. Auch er versah nebenbei
den Küster- und Organistendienst und hatte trotzdem ein knappes
Gehalt von 36 — 40 Rthlrn. neben dem Schulgeld von 5 Stüber
von jedem Schüler. Die Schülerzahl betrug hier im Winter 106
bis 120, im Sommer hingegen nur 40—50. Unter den Schülern
gab es im Jahre 1791 sogar 14 Schüler, die im Alter von 15 — 16
Jahreu standen. Schlimm waren die Schulverhältnisse in Vluyn.
Der alte Schulmeister Keusenboff war ein verdrehter Kopf voll
Schrullen und Verkehrtheiten, zuletzt schwachsinnig und zum Schul-
halten ganz unfähig. Sein Sohn Peter, der ihn seit 1787 vertrat
machte es in den ersten Jahren nicht besser. Erst nach und nach
erwarb er sich die Zufriedenheit seiner Behörde. Das Gehalt war
hier dasselbe wie in Kapellen. Von den 135 schulpflichtigen Kin-
dern erschienen im Winter etwa 75—90 höchstens 2 Monate regel-
mässig, im Sommer schrumpfte die Zahl auf 14—26 zusammen.
Das Schulgebäude wird als ein unzweckmässiges und ungesundes
geschildert. Auch Keusenboff versah den Küster- und Organisten-
dienst. In Homberg war Rütger Teelen Lehrer, Küster und Or-
ganist. Er war ein rechtschaffener Mann, der sich redlich bemühte.
Im Winter wurde die Schule von 100—105 Schülern regelmässig
besucht, im Sommer erschien kaum die Hälfte. Die Unterrichts-
zeit war hier von 8—11 und von 12 — 3 Uhr festgesetzt. In Nieder-
budberg waltete Hermann Diergarten des Schul-, Küster- und
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Beiträge zur Geschichte Crefelds und des Niederrheins. 75
Organistenamtes. Ihm wird Geschicklichkeit nachgerühmt. Er
selbst hatte allen Grund, über schlechten Schulbesuch zu klagen.
Im Sommer musste er deu Unterricht vollständig aussetzen, aber
auch im Wiuter gestalteten sich die Verhältnisse nicht viel besser.
Im Jahre 1787 blieben von den 73 Schülern 25 gänzlich aus und
8 erschienen nur ab und zu im Unterrichte, im Jahre darauf
kamen nur 30 regelmässig zum Unterrichte, während 23 unregel-
mässig erschienen und 25 gänzlich fernblieben. Kein Wunder, dass
unter solchen Umständen sich der Ertrag des gesammten Schul-
geldes nur auf IG Rthlr. belief. In der benachbarten Schule zu
Eversaal waren die Schulverhältnisse etwas günstiger. An der
Schule wirkte Johann Friedrich Scheidt, ein Bruder des Kapellener
Lehrers und gleich diesem geschickt und fieissig. Von den 90— 100
schulpflichtigen Kindern der Gemeinde erschienen im Winter 45
bis 52, im Sommer beschränkte sich die Zahl auf 15 — 20. Auch
hijer überstieg das gesammte Schulgeld nicht die Höhe von 25 Rthlrn.
In Repelen waren hinwiederum die traurigsten Schulzustände. Der
Lehrer Dietrich A ratzen, der zugleich den Küster- und Organisten-
dienst versah, hatte trotz der grossen Schülerzahl auf dem Papier
aus dem Schulgeld nur ein Einkommen von 35 Rthlrn. zu ver-
zeichnen. Von den 130 Schulkindern erschienen im Winter 50
regelmässig, 26 unregelmässig, während 54 gänzlich fernblieben.
Im Sommer kamen im Ganzen 15—20 Schüler zur Schule, trotz-
dem die Unterrichtszeit auf die Zeit von 9—11 beschränkt wurde.
In Neukirchen verwaltete die Schule Cornelius Limburg, ein tüch-
tiger und geweckter Lehrer. Auch hier Hess der Besuch der Schule
vieles zu wünschen übrig. Von den 100 Schülern besuchten 3 Fünftel
die Schule im Winter regelmässig, während der Rest unregelmässig
erschien oder ganz fortblieb. Der Unterricht wurde im Winter
von 9—12 und von 1—4 und im Sommer von 9—11 und von 1—3
Uhr gegeben. Das Einkommen aus dem Schulgeld bezifferte sich
hier auf 25-30 Rthlr.
Die Schule in Rumeln zählte im Winter 50 Schüler, im Sommer
15 — 20. Das Gehalt des Lehrers belief sich hier auf 6 Rthlr.
30 Stbr., und an Accidentien erhielt er 25 Rthlr. Als Lehrer stand
an dieser Schule Johann Beestendonk, Scheidts Schüler. Die Schule
zu Hochemmericb zählte 103 schulfähige Kinder, von denen aber
im Jahre 1788 75 regelmässig, 12 unregelmässig erschienen, wäh-
rend 16 sich fernhielten. Im Sommer waren hier die Verhältnisse
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Hermann Keussen sen.
nicht ganz so ungünstig wie anderwärts, indem sich doch ungefähr die
Hälfte einfand. Der Lehrer Johann Bernhard Otterbeck versah
zugleich das Küsteramt. Sein Gesammtgehalt mit Schulgeld betrug
145 Iithlr., neben Wohnung und Garten. Ueber die 3 Schulen in
Baerl, Binsheim und Lohmühle wird summarisch berichtet. An der
ersteren Schule wirkte Gottfried Lysen, der zugleich Küster und
Vorsänger in der Kirche war. Er bezog an Schulgeld 15—18 Rthlr.
Auch im Sommer, wo der Unterricht von 8—10 und von 1—3 ge-
geben wurde, erschienen zu seinem Unterrichte 35—45 Schüler,
während in Binsheim und LohmUhle im Sommer kein Unterricht
zu Stande kam. Der Lehrer Susen in Lohmühle trieb auch Hand-
arbeit, während dies vom Lehrer in Binsheim Johann Theodorissen
nicht gesagt wird. Die 3 Schulen wurden in der Zeit vom Januar
bis April von 135—140 Schülern besucht, dann aber verliefen sich
dieselben allmählich, bis der Rest in Baerl noch aushielt. Diese
Mittheilungen aus dem Schulleben sind wenig erfreulicher Natur,
und der alte Prediger Jonas Heilmann in Crefeld hatte wohl Recht,
wenn er in seinem Berichte an die Regierung sagte: So lange der
Staat die Bildung der Jugend nicht zu seiner ersten und ernsten
Angelegenheit macht, wird das Schulwesen sehr unvollkommen
bleiben.
Am 14. Oktober 1788 verordnete der bekannte Minister Wöllner,
<lass die Mörser Regierung hinfort die Geschäfte eines Schul -
Gollegiums für den Mörser Bezirk führen sollte. Falls im Collegium
kein praktischer Schulmann Sitz und Stimme haben sollte, der bei
den Prüfungen der Lehrer hinzugezogen werden könnte, so sei
dazu eingeschickter und bewährter Mann in Vorschlag zu bringen.
Der Regierung wurde die Bearbeitung der Schulsachen so wie bis-
her, so auch für die Zukunft Ubertragen und ebenso die gewissen-
hafte Besetzung aller freiwerdenden Küster- und Schulhalterstellen,
deren tixirte Einnahmen unter 60 Rthlr. betrügen; bei solchen mit
höherer Einnahme sollte die Approbation des Ober-Schulcollegiums
in Berlin eingeholt werden. Der Regierung wurde eingeschärft,
bei der Besetzung besonders solcher Stellen vorzüglich aufSubjecte
aus den Königlichen Seminarien Rücksicht zu nehmen, insofern
nicht schon geprüfte und als tüchtig befundene Invaliden vorhan-
den wären. Wo die Magistrate im Besitze des Patronates wären,
solle gleichwohl der Regierung die Prüfung der zu diesen Stellen
berufenen Subjecte überlassen bleiben, und deshalb bei der Re-
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gierung die Präsentation erfolgen. Was die Prüfung anbeträfe, so
könnte die Regierung zuvörderst eine Probelektion halten, dann
einige schriftliche Prüfungsarbeiten anfertigen lassen und dieselben
mit deren Gutachten auch über den Erfolg der Probelektion an
das Ober - Schulcollegiuui zur weiteren Entschliessung einsenden.
Mit Bezug auf die Königliche Cabinetsordre vom 27. September
1788 hiess es in der Ministerial-Verfügung, dass nur solche Inva-
liden als Lehrer angenommen werden sollten, die sich zum Unter-
richt der Jugend schicken würden, die Untauglichen sollten zurück-
gewiesen werden. Die Hauptsache wäre hier mehr die Verbesserung
der Schulen, als die Versorgung eines Invaliden, der, wenn er nicht
zum Schulmeister passt, nur Schaden anrichte. Die Mörser Re-
gierung erhob gegen die Ausführung dieser Verfügung unter dem
3. November ihre Bedenken, und so erfolgte denn bereits am 18.
der Bescheid Woellners, dass es bei der Besetzung der Schulstellen
in der Grafschaft Mörs bei der bisherigen Einrichtung verbleiben
sollte. Hiernach wurden von dem Pfarrer und dem Kirchenrath
in Gemeinschaft mit dem Magistrat 3 taugliche Personen der Re-
gierung präsentirt, welche dann gewöhnlich der an erster Stelle
genannten die Bestätigung ertheilte.
Auf eine Aufforderung der Regierung an den Mörser Ma-
gistrat, auf Mittel zu sinnen, wie das Schulwesen in Mörs gehoben
werden könne, erwiderte dieser am 10. December 1787: Es sei
sehr zu wünschen, dass die städtischen Lehranstalten mit zweck-
mässigen Schulbüchern und einer Vorschrift Uber Einführung der
besten Lehrmethode versehen würden. Die Regierung gal> sich
Uberhaupt, wie es scheint, auf Anregung von Berlin aus, jetzt mehr
Mühe, die Schulverhältnisse zu bessern und zu heben. Am 10. April
1789 wurde den Predigern der Grafschaft vom Ministerium aua
empfohlen, darüber nachzusinnen, wie man ein eigenes Seminarium
mit einer der vorhandenen Schulen verbinden könne, und ent-
sprechende Vorschläge zur Hebung des Schulwesens zu macheu.
Die von den Predigern eingereichten Vorschläge über die Ver-
besserung des Unterrichtswesens auf dem platten Lande sind zum
Theil recht charakteristisch und lassen oft genug die Prediger
selbst in einer merkwürdigen Beleuchtung erscheinen. So schreibt
der Prediger Mische in Kapellen : Wenn ein Schullehrer auf dein
Lande, der Organist, Vorsänger, Küster, Schulmann und Gemein-
heitsschreiber ist, die Orgel gut schlägt, melodisch singt, gut schreibet,
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7s Hermann KeuBsen sen.
rechnet und fasslich unterweiset und dabei fleissig seine Schul-
stunden beobachtet, so hat derselbe keine Lesebibliothek von Nöthen.
Viele andere Bücher würden ihn verwirren, und wenn die Wahl
nicht äusserst klug wäre, ihn verderben, und da es nach Voll-
endung 6 mühsamer Schulstunden ihm an Lust (auch an Zeit)
fehlen möchte, Vieles zu lesen, möchte er im Schulkatheder solche
Bücher durchstöbern wollen und seinen sonst fleissigen Unterricht
dabei vernachlässigen. Besser wäre es, wenn der Prediger, der
ein nützliches Schulbuch bekommt, verbunden wäre, solches seinem
wiss begierigen Schullehrer mitzutheilen. Zur Erhöhung der Schul-
einnahme könne das im Lande übliche Brautbier, welches dem Vor-
nehmen 6, dem Geringsten 2 1 /* Rthlr. zu stehen kommt, verboten
und das Brautpaar angehalten werden, an dessen Stelle 1 Rthlr.
zur Schulkasse zu geben. Die Erhöhung des Schulgeldes sei nicht
rathsam, ebenso wenig die Errichtung von Abendschulen. Mit Be-
zug auf das Verbot des Brautbieres macht Mische die Bemerkung :
Das Brautpaar, welches sich weigert, das Brautbier zu geben, hat
die Zerstörung des Gartens oder Brunnens zu erwarten. Das
Brautgeld wird nachgehends in Liederlichkeit verzehrt, ganze
Nächte wird geschwelgt und die Gesundheit vieler jungen Leute,
die des Nachts auf dem Felde oder in Büschen liegen bleibeu,
vernichtet. Ein Verbot sei also wohl angebracht. Damit die Schul-
stelleu mit tüchtigen und geschickten Lehrern besetzt würden, em-
pfehle er folgenden Besetzungsmodus: Alle Bewerber um eine
Stelle müssen sich mit ihren Zeugnissen beim Praeses classis mel-
den, dem es freisteht, bei jedem ein kursorisches präliminarisches
Examen vorzunehmen und darüber ein Zeugniss auszustellen. Die
Gemeinden hätten eine Dreizahl von Candidateu zu formireu ;
keiner dürfte auf die Liste, der nicht ein Zeuguiss vom Präses
hätte. So kämen die drei fähigsten auf die Liste, und über solche
erginge ein examen rigorosutn, und der fähigste ginge ohue Rück-
sicht auf die meisten oder wenigsten Stimmen von den Modera-
toribus empfohlen an die Regierung zur Bestätigung. Ein neuer
Lehrer pflege im Anfange seiner Amtsführung fleissig zu sein,
nachgehends aber in seinem Eifer zu erkalten. Letzteres zu ver-
hüten, sei die Pflicht des pastoris loci, doppelte Aufmerksamkeit
auf den neuen Lehrer zu haben, ihn unablässig zu ermuntern und
zu erwecken, seinen Fleiss zu loben, sich aller Härte gegen ihn
zu enthalten, bis derselbe ein paar Jahre eifrig fuugirt habe. Daun
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Beiträge zur Geschichte Crefelds und des Niederrheins.
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ist es ihm in der Zeit zur Gewohnheit geworden, fleissig zu sein.
Er bekommt allgemeinen Beifall und bleibt immer gut. Da die
Schullehrer nicht studirt haben, so fährt Mische in seinem Gut-
achten fort, und deshalb in der Orthographie und den Regeln der
Sprachkunst nicht sonderlich geübt sind, so muss der Pastor solches
spielend dem Schulmanne begreiflich zu machen suchen und ihm
das, was in dem Berliner Unterweisungsbuch davon geschrieben,
deutlich erklären und mit Exempeln erläutern. Alle vorhandenen
Schullehrer, welche sich mehr mit Oekonomie als mit ihrem Haupt-
werk beschäftigen, über deren Trägheit und Nachlässigkeit im
Unterrichte selbst der gemeine Mann Klage führt, müssten bei der
wöchentlichen Schulvisitation erweckt werden, mehr Fleiss auf die
Jugend zu wenden, oder sie würden im andern Falle mit einem
Drittel ihres Gehaltes zur Kuhe gebracht und als Invalide erklärt.
Die ökonomische Sorgenlast d'en alten beweibten und mit zahl-
reicher Familie versehenen Schullehrern zu erleichtern, müsste not-
wendig auf die Vermehrung ihres Salarii Rücksicht genommen
werden. Denn es sei wahrlich traurig, wenn man sähe, dass ein
Schullehrer aus Maugel hinlänglicher Subsistenz frühmorgens von
2—8 Uhr im Winter auf seiner Tenne dreschen, dann ermüdet 6
Stunden Unterricht gebeu müsse, um nach vollendeter Schularbeit
wiederum in die Scheune zu gehen, um die Frucht von der Spreu
zu reinigen oder in seinem Garten oder auf seinem Felde mit der
Grabschaufel zu arbeiten. Solches alles konnte gehoben werden,
wenn unser grosser und gnädiger König zur Vermehrung des Ge-
haltes der Laudschulmeister aus seinem reichen Schatze ein Ka-
pital allergnädigst aussetzen möchte. Es hätten unsere Mörsisehen
Schullehrer Bauernkinder so weit gebracht, dass solche auf den
grössten Handels - Comptoiren als Bediente aufgenommen wären,
und einige derselben selbst grosse Kaufleute geworden wären.
Das sei doch alles Mögliche, was man von Landschulen erwar-
ten könne.
Der Repelner Pastor Faber äusserte sich zu den aufgeworfenen
Fragen folgendermassen : Eine Vorbereitung im Seminar mag
wünschenswerth sein, indess sei für die hiesige Provinz wegen
Mangels an Mitteln keine Möglichkeit, ein solches zu errichten.
Dagegen könnten einige Landschullehrer von Zeit zu Zeit in ein
anderweitiges Seminar geschickt und zu den Kosten die Collecten
für die Hallischen Freitische verwandt werden. Die Lehrer an
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Hermann Keussen sen.
den Hauptschulen könnten bei Antretung ihrer Aemter zu dem Be-
iuife 25 — 30 Rthlr. in schicklichen Terminen entrichten, und dies
könnten sie umso eher, als sie selbst das Stipendium genossen
hätten. Sie behelfen sich einige Zeit und lernen dadurch Spar-
samkeit ! Es wäre einem angehenden jungen Schulmanne wohl
zu rathen, dass er sich ein paar Jahre bei einem ordentlichen Bauer
in die Kost legte und von demselben die ihm so nöthige Wirth-
scüaft und Kenntnisse erlernte, che und bevor er sich selbst ein-
richtete, und wollte er sich dann mit seines Wirtlies Kindern
täglich eine Stunde abgeben, so käme er sicher wegen seiner Be-
köstigung wohlfeil weg. Es empfehle sich, zu solchen Seminaristen
vorzüglich die Söhne der Lehrer auf dem Lande zu erwählen, indem
sie schon einigermaassen vorgebildet seien, mithin geschwinder und
wohlfeiler als mancher andere fertig sein könnten.
Der Prediger von Budberg Brünings windet sich au bestimmten
Vorschlägen vorbei und schlägt eine ausserordentliche Versamm-
lung der Landprediger mit Hinzuziehung der Aeltesten aus dem
Consistorium und des Vorstehers der Gemeinde zur Berathung
vor. Es würde der durch die Hinzuziehung zur Berathung
sich geehrt fühlende Bauernstand denn auch lieber die offene Hand
reichen!
Der Prediger Kamp in Baerl ergeht sich in bedenklichen Ti-
raden über den Lehrerstand, mit welchem Rechte, können wir nicht
kontrolliren. Nach seinen Ansichten, so führt er aus, gehört vor
der Hand vorzüglich die Frage hierhin: Wie soll man den Schul-
halter ermuntern, um nur das zu thun, was er nach seinen Fähig-
keiten thun kann, und wodurch soll dies geschehen? Durch er-
höhtes Traktement? Nein, das möchte den trägen Mann noch
träger machen, dass er sich noch weniger um die Schule be-
kümmerte, als bisher. Wenn sich eine Art von Zwangsmitteln
erfinden Hesse, wodurch die Eltern angehalten werden könnten,
ihre Kinder ordentlicher und fleissiger zur Schule zu schicken, dies
würde viel dazu beitragen, um manchen Mann zu ermuntern, seinem
Amte nach Möglichkeit würdig vorzustehen, da ihm meist aller
Mut entfällt, wenn er bei 6 oder 10 Kindern sitzen muss und mo-
natlich 30—40 Stüber erhält, während er doch 3, 4 und noch mehr
Rthlr. an Schulgeld haben könnte, wenn nur die Kinder geschickt
würden. Die Schuld, dass so viele in Unwissenheit aufwachsen,
liegt hauptsächlich an den Eltern. Der Prediger müsse den sehul-
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Beiträge zur Geschichte Crefelds und des Niederrheins
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Pflichtigen Kindern, wenn sie die Schule versäumten, bei den
Leichenpredigten das Weissbrot entziehen.
Die beiden Mörser Prediger Diergardt und Esch antworteten
in einem gemeinsamen Bericht. Man suche zur Besoldung der
Lehrer einen Fonds herbeizuschaffen, dass sie von ihrem Amte so
gut leben können wie der Mittelbürger. So lange aber die Sehul-
lehrer bei ihrer mühsamen Amtsverwaltuug so schlecht besoldet
würden, wird sich wohl schwerlich ein junger Mensch von mittel-
mäS8iger Fähigkeit in einem Seminar oder anderwärts zum Schul-
meister bilden lassen, damit er nachgehends bei einem beschwer-
lichen Dienst kümmerlich leben oder wohl gar uach Brot schmachten
möge. Dass übrigens auch ohne Seminarbildung junge Leute auch
in gemeinen Schulen zu geschickten Schullehrern gebildet werden,
davon können unter andern die Schulmeister in Crefeld und vor-
züglich der in unsern Klassikal-Akten so hochgerühmte Hammer-
stein den Beweis führen. Manche der Laudschulmeister sind so
schlecht besoldet, dass sie in ihren Nebenstunden mit Kopieren,
Hausgeschäften und sogar mit Tagelöhner-Arbeiten zubringen müss-
ten, wenn sie für sieb und die Ihrigen die nöthige Nahrung be-
schaffen wollten. Wo sollte ihnen da noch Zeit zur Lektüre uud
Weiterbildung bleiben ? Der Prediger Engels von Hochemmerich
meint in seinem Gutachten, dass die meisten Landschullehrer längst
an einen Schlendrian gewöhnt, ihr Amt nur handwerksraässig ver-
richteten und wenig Lust und Trieb zur Weiterbildung zeigten.
Es bleibe ihnen aber auch keine freie Zeit, da sie dieselbe zu
ihren wirtschaftlichen und häuslichen Geschäften verwenden
müssten. Er halte dafür, dass, weil die Kosten für ein Seminar
zu hoch wären, die Lehrer ja bei solchen Schullehrern, die ihrer
Geschicklichkeit wegen berühmt sind, wie z. B. bei denen in
Crefeld ihren Unterricht empfangen könnten.
Sämmtliche Gutachten stimmen in einem Punkte zusammen,
dass die Schulen bei dem bösen Willen der Eltern nicht vorwärts
kommen könnten. Die Schüler, die zur Confirmation kämen, seien
im höchsten Grade unwissend wie ihre Eltern; sie wüssten nicht
einmal die 5 Hauptstticke. Mit Recht hatte schon 10 Jahre früher
der Prediger Esch bei Einreichung seiner Generaltabelle über den
Zustand der reformirten deutschen Schulen in der Grafschaft Mörs
es ausgesprochen: Was die Kinder im Winter erlernen, vergessen
sie im Sommer wieder. Es würde zur Verbesserung des Schul-
Annalen des bist. Vereins LXIII. (>
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82
Hermann Keussen sen.
wesens gereichen, wenn die deshalb schon enianirten Edikte dahin
erweitert und mit Nachdruck exequirt würden, dass die Eltern
ihre Kinder wenigstens einige Jahre nacheinander regelmässig zur
Schule schicken müssten.
Das sind wenig erbauliche Bilder aus dem Schulleben des
vergangenen Jahrhunderts, und sie beweisen uns, was ohne Schul-
zwang unsere Schulen geblieben wären, wahre Jammerstätten für
Lehrer und Schüler. Die durch das preussische Landrecht ge-
schaffenen Neuerungen kamen leider in Folge der französischen
Besitzergreifung am Niederrhein nicht zur Geltung. Die könig-
liche Verfügung vom 16. September 1794, die eine Anweisung für
die Schullehrer zur zweckmässigen Besorgung des Unterrichts der
ihnen anvertrauten Jugend war, kam wohl noch zur Veröffent-
lichung, aber nicht mehr zur Ausführung.
2.
Ein Lehrer- Bernfsvertrag ans dem vergangenen Jahrhundert.
Nachdem im Jahre 1777 die lutherische Gemeinde in Crefeld
für ihre Kirche sich eine Orgel beschafft hatte, beschloss sie am
14. Januar 1778 zum Besten der lutherischen Jugend, ja zum
Besten der Stadt, einen Schulmeister einzusetzen, zumal die andern
Stadtschulen so sehr tiberhäufet, dass viele Eltern sowohl der
lutherischen als anderer Religionen sich darüber beklaget; dann
aber auch die im Bau begriffene Orgel einen Orgelschläger not-
wendig mache, sich nach einem geschickten Subjekt umzusehen,
das gut schreiben, rechnen und Musik zu machen verstehe und
ebenso den Unterricht der Jugend. Am 1. März war der geeig-
nete Mann in der Person des Lehrers Johann Wilhelm Corts aus
Langerfeld gefunden 1 ). Er war mit guten Zeugnissen versehen und
hatte die Probe im Unterrichten und Singen zur Zufriedenheit be-
standen. Am 1. Mai wurde seine Wahl von der Mörser Regierung
bestätigt, und so konnte denn seine Berufung und Einführung bald
nachher vollzogen werden. Der Berufsvertrag, der mit Corts abge-
schlossen wurde, hatte folgenden Inhalt :
Nachdem ein hiesiges Ev. luth. Consistorium in Erwägung
1) Vergl. oben S. 70.
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Beiträge zur Geschichte Crefelds und des Niederrheins.
83
gezogen, dass zu mehrerer Ordnung bei dem öffentlichen Gottes-
dienst zum Vorsingen und Orgelschlagen, zum besseren Unterricht
<ler Jugend unserer lieben Gemeine, die, weil die zwei reformirten
Stadtschulen von Kindern tiberhäuft sind, viel leidet, ein Mann
anzusetzen nöthig wäre, der Geschicklichkeit und Lust hätte, sich
diesen Obliegenheiten zu unterziehen, so wurde nach eingezogenen
Erkundigungen und vorhergegangner Prüfung einstimmig vom
ganzen Consistorio beschlossen, den gewesenen Schulmeister zu
Langerfeld Henrich Wilhelm Corts zu obigem Beruf anzusetzen und
anzunehmen und zwar unter folgenden Bedingungen und obliegen-
den Pflichten:
I. Dass Er Henrich Wilhelm Corts, dessen einhelliger und
von Ihm acceptirter Beruf, nunmehro von Ihro K. Majest. bestätiget
worden, 1) sich anheischig mache, einen unserer unveränderten
Augspurg. Confession gemässen Unterricht in den allerheiligsten
Wahrheiten unserer Religion der Jugend bei unserer Gemeine zu
«rtheilen, 2) wie es sich geziemet einen christlich sittsamen und
stillen Wandel zu führen, den öffentlichen Gottesdienst zu jederzeit
gehörig abzuwarten und bei demselben seine Pflichten als Vor-
sänger und Organist treulich zu verrichten, 3) dass er überhaupt
die Ihm anvertraute 1. Jugend im Christenthum, Buchstabiren und
Lesen, Schreiben und Rechnen nach der in Königl. Pr. Landen
von Sr. K. Majest. festgesetzten Schulordnung und zwar in den
ordinairen Schultagen Vormittags von 8 — 11 und Nachmittags von
1—4 gewissenhaft und ohne Partheilichkeit unterweisen wolle. Die
übrigen Stunden werden demselben zu Privat- Stunden freigestellet.
Wobei es sich von selbsten verstehet, dass Er die ordentlichen
Schulstunden nicht ohne erhebliche Noth aussetzen werden und
müsse. 4) Will und muss Er die ordinairen Schulkinder, so Er
in seine Schule bekommt, vor das bei den hiesigen reformirten
Stadtschulen übliche Schulgeld ohne Partheilichkeit den allgemeinen
Unterricht ertheilen und zwarn
a) vor blosses Lesen und Buchstabiren lernen, monath-
lich 4 Stbr.,
b) vor Lesen und Schreiben, monathlich 6 Stbr.,
c) vor Rechnen, monathlich 24 Stbr.
Uebrigens aber, wie gesagt, sich in Ansehung des Lichts,
Brandts und aller dergleichen Notwendigkeiten nach den refor-
mirten Stadt-Schulen sich richten. Sölten Armen in unserer Ge-
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«4
Hermann Keussen sen.
meine das gewöhnliche Schulgeld nicht entrichten können, so solf
ihm dieses von der Gemeine entrichtet werden, doch mit dem Be-
ding, dass die Eltern derselben sich arm vor dem Consistorio er-
klären und einen Schein von demselben bringen. 5) Muss er des
Sooimers vor der Nachmittags - Predigt von 1 bis 2 die Jugend
unserer 1. Gemeinde in der Kirche catechisiren. 6) Verstehet
es sich von selbsten, dass Er das Consistorium vor sein Ober-
haupt zu erkennen, sich den Verfügungen desselben zu unter-
werfen, und fals er Klage habe, sie vor dasselbige zu bringen
gehalten seye.
Dagegen und unter Erfüllung obiger Bedingungen
II. verspricht das Evang. Luth. Consistorium Ihm H. W. Corts
l) eine freie Wonung, 2) ein jährliches Salarium von 25 Rthir.
handelmässiger Münz, quartaliter ad 6V 4 Rthlr. auszuzahlen. Und
ob zwarn das Consistorium versichert zu seyn glaubt, dass Er
H. W. Corts seine Obliegenheiten in allen Stücken treu, fleissig
und christlich erfüllen werde, so verspricht Ihm doch dasselbe zu
mehrerer Aufmunterung in seinem Amte 3) einen Garten von 20
bis 25 Rutben zu seiner Benutzung. Und fals die Gemeine und
deren Einkünfte sich, wie wir hoffen und wünschen, verbessern
solten, auch 4) Ihm sein jährliches Salarium zu erhöhen. — Kraft
dieses berufen und ernennen, Wir Endts Unterschriebene Con-
sistorialen Namens der ganzen Ev. Luth. Gemeine Ihn den H. Wilh.
Corts zu unserm Schulmeister, Organisten und Vorsänger mit dem
herzlichen Wunsch, dass Er dieses Amt, welches er den 1. Juni a. c.
unter Gottes Beistand antreten und welchem termin auch das jähr-
liche Salarium angerechnet wird, dergestalt verwalten werde, dass
er nicht nur sich und die Seinigen selig machen, sondern auch in
der Hand Gottes ein gesegnetes Werkzeug seyn möge, so durch
seinen weisen Unterricht und tugendhaftes Beispiel sehr vieles zur
Ausbreitung des Reiches Jesu Christi mit dem innigsten göttlichen
Vergnügen beitragen werde.
Gegeben Crefeld, den 16. May 1778.
Evang. Luther. Consistorium hierselbst
Joh. Henr. Nesselrath p. t. Pastor,
von Stechow Kirchen • Aeltester, Albert Riedel Aeltester,
Wilh. Lonecke Kirchmeister, Friedrich Horn, Andreas Müller,
Görg Buhlmann.
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Beiträge zur Geschichte Crefelds und des Niederrheins.
*5
3.
Präceptor Johannes Camp hoff.
Jeder Mensch ist mehr oder minder ein Kind seiner Zeit, und
in der Regel spiegelt sich die Welt, in der er lebte und wirkte,
mit ihren Ideen und Anschauungen in ihm wieder. Jedes Jahr-
hundert gebiert aber auch seine Sonderlinge, in denen es sich mit
seinen Tugenden und Fehlern bis zum Uebermass abkonterfeit
und karrikirt. Zu allen Zeiten gab und giebt es solcher Original-
typen, für die eine spätere Zeit kaum ein Verständniss, vielleicht
nur ein mitleidiges Lächeln hat. Einen solchen eigenthllmlichen,
köstlichen Originalmenschen barg vor mehr als zwei Jahrhunderten
auch unsere gute Vaterstadt in ihren Mauern. Es war der Prä-
ceptor an der damaligen lateinischen Schule Johannes Camphoff,
ein Mann, strotzend von Gelehrsamkeit und Gelehrtendünkel, der
sich zu allem berufen hielt, dabei aber unpraktisch und eigenwillig,
sodass ihm nur Weniges gelang, ein verschnörkelter Pedant, der
rücksichtslos seinen Weg ging und doch hinwiederum eine klein-
laute Natur, die gleich verzweifelte, trotz alledem aber ein so gut-
müthiger Mensch, dass ihm Niemand grollen oder böse werden
konnte. Er blieb zeitlebens Junggeselle, gleichwohl verschmähte
er die Freuden eines Hochzeitsfestes oder eines Kindtaufschmauses
nicht, und gerne folgte er der Einladung zu einem solchen Gelage,
für welche er seinen Dank in einem wohlgesetzten schwulstigen
Carmen dem Zeitgeist entsprechend abgetragen haben wird. In
der Schule hatte er einen schweren Stand, und die bösen Rangen
wus6ten ihm recht saure Tage zu machen ; ein Glück, dass er am
Abend bei wohlbesetzter Tafel oft genug Gelegenheit gewann, dem
Aerger andere Bahnen zu weisen. Kurz, Johannes Camphoff war
eine interessante Persönlichkeit, die trotz allem Gespötte der Ju-
gend sich der Gunst hoher Herren zu erfreuen hatte, und das
spricht genug für ihn.
Von Geburt war er ein biederer Markaner ; um das Jahr
1630 wird er in irgend einem Städtlein auf der rothen Erde das
Licht der Welt erblickt haben. Seine Studien machte er zunächst
in Bremen, dann eilte er nach Duisburg, wo er am 5. Oktober
1652 als einer der ersten Studenten seinen Namen in das Album
<ier just gegründeten Universität eintragen Hess. Nicht lange
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86
Hermann Keussen sen.
nachher begann er nun seine Lehrerlauf bahn, indem er am Duis-
burger Gymnasium als Präceptor der fünften Klasse eintrat und
den Schülern fünf Jahre lang die Anfänge der lateinischen Sprache
beibrachte. Doch das genügte dem strebsamen Manne nicht, und
dem Zuge der Zeit folgend lenkte er seine Schritte nach Holland,
um in Leiden bei dem berühmten Philologen Gronovius seine
weitere Ausbildung zu suchen. Nach Jahresfrist erhielt er in Folge der
Empfehlung seines früheren Duisburger Rectors, des Prof. Friedrich
Oelliu9, die Konrectorstelle an der lateinischen Schule zu Cleve.
Bald sah er sich hier in seinen Hoffnungen bitter getäuscht, und
froh war er, als ihm im Jahre 1660 die Präceptorstelle in Crefeld
angeboten wurde, eine Stellung, die ihm um so annehmbarer erschien,
da er hier als unbeschränkter Schulmonarch, wie es wenigstens
den Anschein hatte, regieren und die junge Schule nach seinen
Ideen gestalten konnte. Aber bald fand er auch hier kein Be-
hagen, sodass er bereits am 14. April 1661 die einleitenden Schritte
that, um von hier wieder fortzukommen. An der lateinischen
Schule in Mörs war zur Zeit die Konrectorstelle frei geworden,,
und dahin richtete sich sein begehrliches Auge. Ohne langes Be-
sinnen setzte er sich hin und verfasste in elegantem Latein ein
Bewerbungsschreiben, von dem er sich grosse Wirkung bei den.
Kuratoren versprach. Zunächst fand er jedoch das Bedürfnis^,,
sich den Herren gegenüber über den häufigen Stellenwechsel zu
rechtfertigen. Er habe geglaubt, so schrieb er, als er in Cleve
die Stelle aufgegeben, in Crefeld zu finden, was er dorten ver-
misst, er habe sich aber geirrt, er sei leider nur der Charybdis
entronnen, um hier in die Scylla zu gerathen. Er müsse sich bei
einer so grossen Verschiedenheit der Anlagen, der Unterrichtspläne
* und der Leistungen zurechtfinden in einer Schule, wo Knaben und
Mägdlein zusammen unterrichtet würden, und in der er auf drei
Religionen (die erste Mennoniteneinwanderung hatte schon statt-
gefunden) Rücksicht zu nehmen habe. Unter solchen misslichen,
Umständen habe er in Mörs die theologische Prüfung abgelegt, um
vielleicht einmal zu einer Predigerstelle zu gelangen.
Ganz unbegründet scheint die Klage nicht gewesen zu sein,
denn es war ihm in Crefeld die eigenthümliche Aufgabe zugefallen,
neben dem Unterrichte in der lateinischen und deutschen Sprache-
auch die jungen ABC-Schützen in den Anfängen zu unterrichten.
Unter seinen Schülern befanden sich sogar solche, für welche die;
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Heiträge zur Geschichte Crefelds und des Niederrheins.
87
Armenkasse das Schulgeld mit 10 oder 6 Sttibern monatlich be-
zahlte. Mehrere Quittungen von Camphoffs kräftiger Hand liegen
noch vor. Die Bewerbung in Mors blieb ohne Erfolg, und so
musste Camphoff, so gut es ging, sich mit seiner Stellung in Cre-
leld abfinden.
Wenige Jahre später wurde abermals die Konrectorstelle in
Mors frei, und Camphoff wagte sich zum zweiten Male mit einer
Bewerbung hervor. Wenn schon die erste, in lateinischer Sprache
abgefasst, wirkungslos geblieben war, diese zweite in grie-
chischer Sprache konnte unmöglich des Eindrucks entrathen. Sie
war rechtzeitig in Mörs eingegangen, schon bevor der bisherige
Rector Seither sein Amt niedergelegt und dem Konrector seine
Stelle eingeräumt hatte. Dass Camphoff sich der griechischen Sprache
bei seiner Bewerbung bedient hatte, begründet er damit, dass er
habe zeigen wollen, dass er auch in dieser Sprache bewandert sei,
welche an den Gymnasien im Gebrauch sei. Gerichtet hatte er
sie an den ansehnlichen und sehr verständigen Herrn Arnold
von Goor, oranischen Rath und obersten Kurator des Mörser
Gymnasiums.
Gleichzeitig (22. April 1667) richtete er ein zweites Gesuch
in wohlgesetzten Versen an den Landrentmeister Johann von Goor,
d#s dazu bestimmt zu sein schien, denjenigen Herren vom Kura-
torium seine Absichten zu klären, welche in der griechischen Sprache
nicht hinreichend Umschau gehalten. Dasselbe, in langathmigen,
zuweilen räthselhaften Reimen verfasst, lautete:
Mein hochgeehrter Herr, gar leichte wird geboren
Ein' gute Zuversicht, bald wiederum verloren:
Weil dies und das, worauf die Hoffnung stehen muss,
Oft stark geachtet wird und hat doch keinen Fuss.
Was uns nur wohl ansteht, da thun wir bald nach denken,
Da will sich unser Sinn bei Tag und Nacht mit kränken.
Wir hoffen einer Sach, wenn's schon unmöglich war
Die zu erobern: Hie fällt keine Müh zu schwer.
Und wer uns nach dem Mund zu reden ist geflissen,
Der macht den Muth so dick und spricht: Du kannst nicht wissen,
Du bist dazu bequem, niemand Dir Meister ist,
Von denen, die mit Dir die schöne Braut erkiest.
Bald tritt ein And'rer auf, der Jenem ist gewogen,
Der wandt das Blättlein um und sagt, es sei gelogen,
Was eben ward geredt. Er weiss viel besser drum,
Das Ei von solcher Henn sei wind und allzu krumm.
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88
Hermann Keussen seu.
Ein Mann, qualificirt Secundam zu bedienen,
Muss auch, wenn Unfall kommt, des Rectors grosse Bienen
Zugleich mit nehmen wahr. Wer das nit leisten kann,
Der mag Secundam auch wohl ungefreiet lahn.
Meinst Du, dass dieser Mann jemals so hoch gestiegen,
Dass er hierzu bequem? ei lass Dich nit betriegen;
Was Tertiam betrifft, das mag er wohl verstehn,
Sonst, glaub ich, kann er nit ein Note höher gehn.
Das hört der Pöbel an mit ausgestreckten Ohren,
Nit das geringste Wort bei ihnen geht verloren;
Drum, wenn sie unter sich gern hätten gut Rapport,
Thut sich bald einer vor und plappert solche Wort :
Was dünkt euch von dem Knecht, soll er die Sach wohl treffen,
Nein, sagt uns Nabermann, er trägt zu kleine Beffen,
Er ist kein Losefus, Errater' ist er nicht,
Er ist kein Fisikus und was ihm mehr gebricht,
Sagt ihm Obbexion, er weiss nicht zu salffiereu 1 ),
Er weiss kein ergement, er kan nit dispentieren.
Mein Jung kam heut und sagt, dass so die Rede geh',
Und dass er nit so viel, als aich's geziemt, versteh.
Soll der dann (mit Verdruss bald einer sich lässt hören)
Die Affen nehmen aus, uns allesamt bethören,
Er sei der Hahn im ivorb? ei nit so weit ins Feld,
Wir haben bei der Hand, der bass denn Du gefallt.
Wenn so die Mäuler gehn, so gint 2 ) der Muth zu wanken,
Die Hoffnung fleugt dahin und Zweifel in Gedanken
Erhebet sich empor und machet mich so klein,
Dass ich nit mehr bei Hof mag Fürst von Anhalt 3 ) sein.
Jedoch so einer war, der mir zur Seiten ginge,
Und alle Hindernis auf dieser Bahn durchdringe,
So hielt ich noch einst an, doch niemand ist allhie,
Der mir nach dieser Zeit ein nötig Wort verlieh.
So ist nun dies mein Grund, auf dem ich nur kann fussen,
Dass ich mich halt zu Gott und danach thue küssen
J)ie Hand der Obrigkeit, die über uns gestalt,
Was die nit schaffen will, des hat niemand Gewalt.
Ein Glied aus diesem Stand bist Du, Herr Goor, erkoren
Vom Fürsten dieses Lands, drum leih mir Deine Ohren,
1) Offenbar Anspielung auf die vier Mitbewerber Jansonius, von Me-
delen, Otterschlo und Spengler von Mörs.
2; beginnt. Wahrscheinlich Anspielung auf die beiden letzten, die be-
reits in den untern Klassen thätig waren.
3) Wortspiel Anhalt = Bitte.
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Beiträge zur Geschichte Crefelds und de9 Niederrheins H9
Dass ich, was mir anliegt, Dir tragen möge für
Und also Gunst erwerb bei zweiter Klasse Thür.
Will die nit offen gehn, weil das, so jetzt berühret,
Nit all, gelegen sei (wie jener Jung verspüret),
So lass ich doch nicht ab, weil König Salomou
Dem, so wohl nichts verdient, noch giebt den meisten Lohn.
Ob einer wohl zu Fuss und schnell ist wie die" Winde,
Hilft doch sein Laufen nicht: Und ob man bei Dir finde
Der Riesen grosse Kraft, so bist Du doch zum Streit
Nit besser als ein Kind, das in der Wiegen schreit.
Sagst Du, ich bin geschickt an allem Ort zu treiben
Die Kaufmannschaft? Wohlan, wo thut die Nahrung bleiben,
Die Du damit vorhast? Man sieht, Du würgest viel,
Aber Dein Vetter Hans mit schlafen 'winnt das Spiel.
Wo ist Dein Witz, mit dem Du kannst gross Gut erjagen,
Was nützet Dir die Kunst, wenn Du nach Brot musst fragen
Wie David in der Wüst? Doch schau den Nabal an,
Welch Gut hat dieser Narr? Mehr als zehn weise Mann.
In Summ, was hilft es Dir, dass Du die Sach verstehest?
Du bist nit angenehm, schon ob Du weiter gehest,
Als Plato je gethan: Es liegt doch an der Zeit,
Und wer das Glücke hat, die Braut zur Kirchen leit't,
So spricht der Klügeste von allen Potentaten,
Drum ich von Jedermann noch nit will sein gerathen,
Dass ich soll müssig gehn der Sorgen vorgedacht
Und räumen andern ein bisher gehabte Wacht.
Dies ist die Meinung nicht, ihr Herren und Gebrüder 1 )
Nach einer kurzen Weil leg ich die Sorge nieder,
Wenn der gezogen kommt (Ich guck schon durch die Brill)
Der allen Modischen verrücken wird das Ziel.
Doch hiermit fahret wohl, ihr Herren Proponenten,
Ich wünsch euch alles guts: der Meister von den Renten,
Herr Goor steht an der Thür: drum komm ich nit vorbei,
Ich mu88 ihm zeigen au, was mein Anliegen sei.
Mein hochgeehrter Herr wird sich hiebei besinnen,
Da ich hatt' Audienz. Ich hübe nämlich an,
Zu werben um die Gunst, wie Leschen 2 ) auch gethan.
Nichts mehr geschieht allhie, als nur, was vorgesonnen,
Mög unvergessen sein. Darnach hab ich genommen
1) Am Rande steht: Ad rivalea.
2) Wahrscheinlich Theodor Leschenius aus Mörs, der im Jahre 1658
die Duisburger Universität bezogen hatte und nun im Alter von 28
Jahren stand.
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Hermann Keussen sen.
Mit diesen Reimen vor, zu zeigen, ob an mir
Die Tüchtigkeit ersitz, die mich zieh' andern für,
Findt sich dann einer so, der allen gieht zu rathen,
So kann ich desto bass mit meinen Kameraden
Zufrieden sein und still, ja gönne diese Ehr
Demjenigen, der sie verdienet hat, vielmehr.
Hiemit hab ich' gethan, Herr Goor halt mir zum Besten,
Wo was gefehlet sei. Aus Frankreich nach dem Westen
Kömmt dieser Reimer her, da man nur findet feil,
"Wie in dem Atlas steht, Schwarzbrot, Dünnbier, lang Meil,
Zuletzt, Gott führe Dich, Rentmeister auf den Wegen :
Er überschütte Dich mit seiner Gnaden Segen,
Dass Weib, Kind, Knecht und Magd, Land, Stadt und Leut davon
Gebessert sei: Dies ist mein Wunsch an Dich, Patron.
So satzte
Seinem hochgeehrten Herrn
Herrn Johann von Goor
Landrentmeister
der unterdienstliche
Johann Kamphoff
Praeceptor in Crcyfelt
den 22. April A° K567.
Die Wahl muss bei den Patronatsherren doch noch grosse
Schwierigkeiten gefunden haben. Denn auch die Mörser, gegen
welche unser Camphoff in seinen Reimen gewitzelt, setzten alle
Hebel in Bewegung, um den auswärtigen Bewerber sich fern zu
halten. Es wurde ihm vorgehalten, dass er seine Stellung in Cre-
leld bessern könnte, wenn er neben der Leitung der Schule an
Stelle des zweiten Predigers, dessen Besoldung den Crefeldern
schwer falle, allwöchentlich eine Predigt in der Kirche halten wolle.
Unter dem 11. November erliess nun Camphoff wieder ein latei-
nisches Anschreiben an seinen Gönner, den Rath von Goor. Er
wies in demselben die ihm zugemuthete Bewerbung um eine
Hülfspredigerstelle in Crefeld weit von der Hand, weil ihm hierzu
zweierlei fehle: die oratorische Tiefe und die starken Lungen.
Er würde der Last bald erliegen müssen. Seine einzige Be-
rechnung sei auf die Konrectorwahl gerichtet, und nochmals bittet
er in schwulstigen Worten, ihm seine wärmste Unterstützung
zu leihen.
Heutzutage würde wahrscheinlich eine derartig vorgebrachte
Bewerbung das Kopfschütteln sämmtlicber Kuratoren erregen.
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Beiträge zur Geschichte Crefelds und des Niederrheins. 91
Anders urtheilten die Patrone des siebenzehnten Jahrhunderts in
Mors; vielleicht hätten aber auch so unsere Altvorderen dem grossen
Reimer und Gelehrten den Vorzug vor den Mitbewerbern gegeben,
trotzdem diese auch akademische Bildung genossen, bei denen
aber die Gelehrsamkeit mehr unter Verschluss geblieben war. Dass
sie ihn später wieder mit offenen Armen empfingen, dürfte dies
sattsam beweisen. Genug, unser wunderlicher Kauz siegte über
seine fünf Mitbewerber ob. Er wurde am 12. Januar 1668 gewählt;
den übrigen wurde der schwache Trost ins Protokoll getragen,
„dass hinftlro Bürgerskinder, wo sie sich genugsam qualificirt
haben würden, dem Fremden in dergleichen Sachen vorgezogen
werden sollten." Das konnte vor der Hand Camphoff wenig an-
fechten. Mit Ostern 1668 trat er mit frohem Muth sein neues
Amt an.
Kaum sechs Wochen hatte er indess demselben seine Kräfte
gewidmet, da tiberkam ihn das Gefühl der Ohnmacht, dass seine
gegenwärtige Stellung ihm noch weit weniger genehm sei als die
früheren, und bald sehnte er sich nach den Fleischtöpfen und
Schulbänken Crefelds zurück. Sein Posten daselbst hatte glück-
licherweise noch keine Besetzung gefunden, und so mochte man
hier gegen seine Rückkehr keine grossen Einwendungen machen.
Dieselbe scheint kurz nach Pfingsten in aller Heimlichkeit geschehen
zu sein. Denn von Crefeld datirt sein Entlassungsgesuch.
Der Inhalt ist köstlich genug, sodass sich seine Mittheilung wohl
verlohnt.
„Gleichwie dem Petro das Spazieren auf dem Wasser so
wohl anstund, dass er vor grosser Begier dem Herrn Christo
anlag, er möchte solches herrliche Werk auch einmal ver-
suchen : als er aber hierbei in grosse Versuchung geriet und
Not und Tod vor Augen sah, da hat er bald mit seinem
ängstlichen Schreien und blutigen Thränen die vorige Lust
als ein leichtfertiges und unbesonnenes Ding vermaledeit und
gebüsst und dergleichen halsbrechende Leichtfertigkeit scheuen
lernen. Fast ein und dieselbe Gelegenheit hat es mit gegen-
wärtigem Supplicanten, denn da mir vor etlicher Zeit hiesiger
Konrectorat als ein herrliches Ding vorkam, Hess ich nit nach
denselben emsig zu begehren. Nun ich aber durch hohe Be-
förderung diese Ehrenstelle erstiegen, da finde ich jeder Zeit
solche unerträgliche, unüberwindliche Beschwerlichkeit, dass
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Hermann Keussen sen.
ich endlich darunter erliegen raüsste (als der den Kräften
Leibes und der Seele Gewalt anlegen muss) wo nit die ge-
bietende Hand mir schleunige Rettung schaffte, der habenden
Condition erlöste und leichtere Bürden zu tragen bewilligte,
welches denn das einzige ist, so ich für diesmal unterdienst-
lich und von Grund meiner Seele gesinneu thue, der getrosten
Zuversicht lebend, es werden meine hochgedachten Herren
nur die formalia dieser Bitte zu Herzen ziehen und solche
samt der freiwilligen Begebung gehabter Gnade, Gunst,
Ehren und Vorteils, wie auch samt der ungenötigten Re-
solution mit der alten Credition fürlieb nehmen, omni ratione
potiora erachten, auch deswegen die Einwilligung dieses in-
brünstigen (wiewohl thörichten) Versuchs schleunigst, doch
gnädig und grossgünstig ergehen lassen. Bitte demnegst
unterdienstlich dieselben in Gnaden zu erwegen. In welchem
Vertrauen ich schliesslich verbliebe Ew. Wolgeboren als auch
Edlen, Grossachtbaren Herren Beamten unterdienstlicher
Johannes Camphoff,
hochbeschwerter Konrektor zu Meurs."
Diesem Gesuche hatte er folgende Anlage zugefügt:
Die Beschwerung, so mich veranlasst, meine gross und
gebietenden Herren leider höchlich zu offendieren, besteht in
folgenden terminis:
1) Ich bin stets eines gelinden Regiments gewöhnt und
solches zwar nach Erforderung gehabter Discipulen; diese Ge-
wohnheit ist mir nunmehr natürlich und kann derselben nit
zuwider handeln, es sei denn mit grossem Widerwillen, da
man doch wohl schärpfer zu verfahren wichtige Motiven findet,
damit dem unzeitigen Schwätzen, unverschämten Lügen und
gepractisierten turbis gesteuert werde. 2) Extemporaneus bin
ich gar nit, sondern allzu langsam so im Studieren als Insti-
tuieren; aber hier ist die Jugend einer geschwinden und fertigen
Institution gewöhnt, also das man bald hie und da, oben und
unten, mit schlagen und klagen, mit schelten und vergelten in-
formieren muss, und das ist nicht jedermanns Dinge. 3) Ich
muss Abends und Morgens so viel Zeit auf die mir bishero
fremden Autoren wenden, dass ich gar ermatteten und darum
verdrosseneu Gemütes nach der Schulen gehe, welches auf
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Beiträge zur Geschichte Crefelds und des Niederrheins.
93-
die Dauer unerträglich ist. 4) Ueberdies habe ich mit all
meinem Fleiss noch nit so viel erworben, dass ich einigen
Primanis hätte Satisfaktion geleistet in enucleatione Horatii r
wie ich denn dieserhalb zur Rede gestellt ward. 5) Und weil
ich dennoch gern mein Bestes daran strecken wollte, so habe
ich in hospitio der Schulsorge so viel, dass ich nit wohl Zeit
habe meiner zu pflegen, zu schweigen eines andern, dem man
sonst Ehre und andere Dienste zu erweisen schuldig ist.
6) Ob ich schon wohl zufrieden war, dass ich des Propo-
nierens war entschlagen wegen der harten Pronuntiation, so
habe ich darum keine Erleichterung empfangen, denn was ich
wöchentlich einmal gescheut, das begegnet mir hie täglich
mit solcher Erhebung der Stimme, dass ich im widrigen Fall
etlich Male erinnert worden bin, meiner Pflicht besser wahr-
zunehmen. 7) Und was mich am meisten kränkt, so wtisste
keinen Rat, wenn die zwei Klassen (etwa bei dieser oder
jener gottgefälligen Verhinderung) sollten conjungiert werden x >
da dann bei einer so viel vorfällt, dass ich mich schwerlich
auf beide sollte können gefasst machen . . . (eine Zeile ist
im Text abgeschnitten) so hab ich nit besseres vorzunehmen
gewusst, als dass ich meine Hoch- und gebietende Herren
dieses Unvermögens zeitlich erinnerte, gnädige und nötige
Verordnung zu thun, damit also fernerem Unheil möchte vor-
gebaut werden.
Und darum (wollen), meine hoch- und gebietenden Herren
mir diese nachdenkliche Erinnerung nit zum ärgsten deuten,
sondern in Betrachtung angeführter Schwachheit eine gnädige
Relaxation und Wiederkehr nach der alten Stelle, auf welcher
ich mit Gott bin nützlich gewesen, gestatten wollen.
Johannes Camphoff
Praeceptor si liceat
Creveldensis scholae.
Ob die Mörser ihn mit Bedauern scheiden sahen? Wir wissen
es nicht, im Protokoll ist darüber nichts verzeichnet. In Crefeld
nahm er seine Thätigkeit alsbald wieder auf. Die Unterbrechung
derselben wird nur durch die ausnahmsweise doppelt geführte Be-
rechnung der Schulgelder für die armen Schüler uns vor Augen
1) Er meint wohl „des Rectors grosse Bienen. 44
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Hermann Keussen sen.
geführt. Im nachfolgenden Jahre demüthigte er sich so stark, dass
er in einem Prozess, den die Kirchengemeinde für ihre Armen
führte, sich zur Niederschrift der Akten verstand. Die Schuljugend
wurde unterdessen 2 Tage lang — auch ein Zeichen der Zeit —
von Johannes dem Glasmacher unterrichtet. Als Honorar empfing
dieser einen Gulden aus der Armenkasse. Für Aktenpapier erhielt
Camphoff 1 Blaumuser = 6 Albus 6 Heller. Bis zum Jahre 1680
scheint Camphoff in Crefeld Stand gehalten zu haben. Sein mehr-
fach wiederholter Versuch, wiederum in Mörs an der Schule eine
Stelle zu finden, gelang ihm erst im Jahre 1680, nachdem der
Rector Snethlage aus seinem Amte ausgeschieden war. Er hatte
wahrscheinlich es diesem Manne zu danken, dass ihm im Jahre
1668 sein Amt in Mörs so bald verleidet wurde. Bei seiner Rück-
kehr, die im Jahre 1680 oder Anfangs 1681 erfolgt sein wird, be-
gnügte er sich mit der Verwaltung der 3. Klasse und einem ge-
ringeren Gehalte. Wodurch ihm die Crefelder Verhältnisse, die er
volle 20 Jahre gekostet hatte, unbehaglich geworden, ist aus den
Akten nicht ersichtlich. Wir verrauthen, dass er sich schwer ge-
kränkt fühlte, als im Jahre 1678 für seinen Kollegen, den deutschen
Schulmeister und Küster Vitus Quaad, ein neues Schulhaus erbaut
worden war, und man ihn mit seinen Lateinschülern in dem alten, bau-
fälligen Lokale zurtickliess. In Mörs docirte er nun fröhlich weiter,
bis im Jahre 1699 seine Emeritirung herbeigeführt wurde. Ein
kärgliches Ruhegehalt fristete ihm sein Leben bis zum Jahre 1706
wo er am 30. Januar zur ewigen Ruhe einging.
Sein Nachfolger im Crefelder Amte — und das spricht für
die armseligen Verhältnisse in Crefeld ein scharfes Wort — wurde
ein verlodderter Student, Timotheus Keilius, der Sohn des Mörser
Gynmasialprofessors Paul Keilius. Er war am 21. Juli 1681 von
der Duisburger Universität in nicht gerade ehrbarer Weise relegirt
worden. In einem Alter von 23 Jahren übernahm er die Leituug
der Crefelder lateinischen Schule. Seit dem Jahre 1685 hören wir
nichts mehr von ihm.
4.
Crefeld in seinen Beziehungen zur Duisburger Universität
Die Gründung der Duisburger Universität datirt vom 14. Ok-
tober 1653. Die erste Immatrikulation fand sogar schon am
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Beiträge zur Geschichte Crefelds uDd des Niederrheins. 95
8. Januar 1652 statt. Die Aufhebung erfolgte erst am 18. Oktober
1818. Das folgende nicht unansehnliche Verzeichniss nennt die-
jenigen Crefelder, welche bei der oben genannten alma mater ihre
Bildung gesucht und wohl auch gefunden haben. Zum grössten
Tbeile sind es Theologen, die mit Vorliebe auf der reformirten
Hochschule sich für ihren Beruf vorbereiteten; einige wenige Me-
diziner und Juristen schlössen sich an, den grösseren Theil dieser
letzteren zog es mehr gegen Süden. Vor der Stiftung der Duis-
burger Universität waren die Theologeu der Grafschaft Mörs schon
allein ihrer zukünftigen Anstellung halber mehr auf die hollän-
dischen Hochschulen angewiesen gewesen. Bei den Beziehungen
des grossen Kurfürsten zu der oranischen Regierung fand man
jetzt gegen den Besuch von Duisburg nichts zu erinnern, und es
darf diese Verbindung der Grafschaft Mörs mit einer kurbranden-
burgischen Lehranstalt als ein glücklicher Zufall gepriesen werden,
da in der empfänglichen Jugendzeit diese Beziehungen nicht wenig
dazu beigetragen haben, Sympathien für Brandenburg in hiesiger
Gegend in einer Zeit schon zu erwecken, wo an die dereinstige
Verschmelzung im Ernste noch nicht gedacht werden konnte. Ich
habe das Verzeichniss nicht ausschliesslich auf die geborenen Cre-
felder beschränkt, sondern ich glaubte auch diejenigen mit heran-
ziehen zu dürfen, die in ihrem späteren Leben bleibend oder vor-
übergehend eine amtliche Stellung in Crefeld gefunden haben.
Diese Notizen sind der Natur der Sache nach etwas trocken ; ich
habe, so viel es anging, sie zu beleben versucht, indem ich kleine
biographische Bemerkungen oder Verbindungen mit bekannten hie-
sigen Familien darin zu verflechten suchte.
Dass sich vorzugsweise die Theologen nach Duisburg begaben,
lag zum guten Theil wohl darin begründet, dass die theologische
Fakultät gerade von vornherein tüchtige Kräfte aufzuweisen hatte.
So wirkten dort Johann Clauberg, Samuel von Diest, Martin Hund,
Christoph Friedrich Grell, Johann Hermann Hugenpoth, Johann
Jakob Ganteswiler, Heinrich Hüls u. s. w. Einige von diesen stan-
den in engen Familienverbindungen mit unserer Stadt, so nament-
lich der zuerst genannte Jobann Clauberg aus Solingen. Ein
Grossneffe dieses ersten Rectors der Universität zu Duisburg, Isaak
Jakob Clauberg, Hess sich hier häuslich nieder und errichtete im
Anfange des 18. Jahrhunderts die Apotheke „zum Adler" auf der
Hochstrasse Im Jahre 1707 erwarb er sich das Bürgerrecht; es
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Hermann Keussen sen.
wurde ihm auf Anhalten der Junggesellen- Compagnie, weil er ihr
eine Fahne verehrt hatte, taxfrei vom Magistrat verliehen. Er
vermählte sich mit Sophia Catharina Plill, der Tochter des Cre-
felder Bürgermeisters Paul Pull. Der Vater des Apothekers war
Prediger in Frechen bei Köln.
Den Reigen der Crefelder Akademiker müssen wir mit einem
etwas sonderbaren Heiligen eröffnen. Zum Glück ist er kein ge-
borener Crefelder, sondern ein Markaner, der hierorts eiue amtliche
Stellung vorübergehend fand. Johannes Camphoff 1 ) hatte, ehe er
sich im Alter von 2 P/2 Jahren in Duisburg am 5. Oktober 1652
immatrikuliren Hess, die lateinische Schule in Bremen besucht.
In Duisburg studirte er Philosophie und Philologie und, wie es
scheint, mit besonderer Vorliebe die griechische Sprache, so dass
er sogar im amtlichen Verkehr sich derselben in seinen Adressen
nicht einmal entscblagen konnte, ja selbst unsere liebe Vaterstadt
gräcisirte.
Diesen Philohelienen finden wir im Jahre 1663 als Rector an
der lateinischen Schule in Crefeld angestellt. Hier muss er sich
behaglich genug gefunden haben. Häufig wurde er als Taufpathe
herangezogen, fast sollte man daraus schliessen, dass er eine ge-
sellige Natur gehabt haben müsse. Ostern 1667 folgte er gleich-
wohl einem Rufe als Konrector nach Mörs. Hier fand er sich aber
bald in seinen Erwartungen bitter getäuscht, sodass er bereits am
21. Mai 1668 die Bitte an die Scholarchen der Schule richtete,
ihn von dem hochbeschwerlichen Amte eines Konrectors wieder zu
entbinden. Er sei, so begründete er das Gesuch, zu milde in der
Disziplin, zu langsam im Studiren und lnstituiren, denn er müsse
Abends und Morgens so viel Zeit auf die ihm fremden Autoren
verwenden, dass er gar ermatte und darum verdrossenen Gemtithes
nach der Schule gehe u. s. w. Er wolle lieber wieder nach der
alten Stelle zurückkehren, auf welcher er nützlich gewesen sei.
Bald nachher treffen wir in der That ihn wieder in Crefeld an.
Bis 1680 scheint er hier ausgeharrt, dann aber wiederum seine
Schritte nach Mörs gelenkt zu haben, wo er nunmehr als praeceptor
tertiae classis und Vorleser der Gemeinde eintrat. Am 30. Januar
1706 starb er daselbst als Emeritus.
Camphoffs Vorgänger im Crefelder Amte war gleichfalls ein
1) Vergl. über ihn oben Nr. 3.
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Beiträge zur Geschichte Crefelds und des Niederrheins.
97
Schüler der Duisburger Universität. Es war Johannes von der
Lipp aus Duisburg. Er hatte bereits 9 Jahre hindurch die Rector-
stelle in Crefeld bekleidet, als er, dem Drange des Herzens fol-
gend, von Neuem die Universität aufsuchte, um sich dem Studium
der Theologie zu widmen. Am 5. Juli 1655 wurde er in einem
Alter von 28 Jahren in Duisburg inskribirt. In den Crefelder
Akten lässt er sich vom Jahre 1647 ab bis zu dem angegebenen
Zeitpunkte verfolgen. Ob er sein Ziel erreicht hat, habe ich nicht
ermitteln können.
Die ersten Crefelder Kinder, welche die Hochschule zu Duis-
burg aufsuchten, waren Gabriel Saueis und Mathias Schelkens.
Beide hatten ihre Vorbildung auf der Schule in Mörs gefunden
und dieselbe mit dem Reifezeugniss verlassen. Am 20. Oktober
1660 trugen sie ihren Namen in das Duisburger Album ein. Gabriel
Saueis, ein Enkel des Crefelder Schöffen und Bürgermeisters Hie-
ronymus Saueis, studirte Theologie und wurde nach beendigter
Studienzeit am 16. November 1666 hierselbst als Prediger ange-
stellt. Bis zu seinem Tode am 17. Oktober 1694 hat er diese
Stelle verwaltet. Mathias Schelkens, der Sohn des Müllers und
Bürgermeisters Christian Schelkens, widmete sich der Jurisprudenz
und wurde später Schöffe und Bürgermeister. Mit Saueis war er
verschwägert, beide hatten Töchter des Stadtsecretärs und rechts-
kundigen Bürgermeisters Albert von Flodroff geheirathet. Schelkens
starb im kräftigsten Mannesalter am 18. November 1680.
Der nächste Crefelder an der Duisburger Universität war Ar-
nold Loers. Am 12. Mai 1662 wurde er immatrikulirt. Er ent-
stammte gleichfalls einer hiesigen Patrizicrfamilie. Sein Gross-
vater, der mit ihm den gleichen Namen führte, war lange Jahre
hindurch Schöffe und wiederholt regierender Bürgermeister, im
Uebrigen ehrsamer Wirth und Brauer. Der junge Loers wollte
sich dem Predigeramte widmen, und er fand auch in der
That eine Anstellung als Prediger in Jülich, dann 1678—1685 in
Rheydt und zuletzt in Sonsbeck, wo er im Jahre 1718 mit Tod
abging.
Von ihm stammt eine Sammlung geistlicher Lieder, die im
Jahre 1704 zu Wesel unter dem Titel Geistliches Bündlein christ-
licher Gesänge und Sionitischer Lieder" erschien. Im Jahre 1708
kamen von ihm in Duisburg weiter noch „ Neue geistliche Gesäuge"
heraus.
Annalen des hist. Vereins LXII1. 7
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9.s
Hermann Keussen sen.
Ini Jahre 1064 am 3. April bezog Johannes PUll aus der
alten bekannten Crefelder Familie und ein Enkel des Bürger"
meisters Goert Pull die Duisburger Universität. Der Grossvater,
welcher am 30. Juli 1656 das Zeitliche segnete, hatte, wie eine
durch den Notar Johann Görtz auf Veranlassung des Sohnes Jakob
am 27. August aufgenommene Urkunde besagt, eine unruhige
Sterbestunde. Er Hess zwei Freunde, den Bürgermeister Goert
Kluck und den Kirchmeister Philipp in der Lohe, zu sieb ans
Bett bitten, um diesen eine secrete Mittheilung zu machen. Diese
bezeugen nun in der erwähnten Urkunde, dass ihnen Goert Püll
in der Todesstunde anvertraut habe, dass Viecken Ulmuss (Sophie
Olmissen) „ihr pfortenbladt (Thorrahmen) an der pfortzensteil
hängen habe", der sein Eigenthum sei; er habe ihr dieses nur
vergönnt.
Den Studenten Johann Püll finden wir im Jahre 1678 als
Kirchmeister in den Crefelder Akten wieder; weitere Ehrenämter
scheint er nicht bekleidet zu haben. Aus seiner Ehe mit Sibilla
Schmitz (Fabritius) gingen die beiden später zu erwähnenden Pre-
diger Ahasverus und Jakob Püll hervor.
Johannes Fabritius aus Crefeld Hess am 28. Januar 1670
seinen Namen dem Universitätsalbum einverleiben, nachdem er
auf dem Gymnasium zu Mörs sich das Zeugniss der Reife erwor-
ben hatte. Ich vermuthe, dass dieser Fabritius, der Zeitmode
folgend, seinen ehrlichen deutschen Namen Schmitz latinisirte und
ein Schwager des Vorhergehenden war. Ich finde nicht, dass er
in irgend einer Weise von den auf der Universität erworbenen
geistigen Schätzen Gebrauch gemacht habe.
Wilhelm Merkamp aus Duisburg, der 1687 als sacrosaneti
ministerii candidatus nach Crefeld kam und hier die Leitung der
lateinischen Schule übernahm, hatte in seiner Vaterstadt seine
theologischen Studien gemacht. Er war am 8. April 1675 imnia-
trikulirt worden. Kurz nach seiner Anstellung in Crefeld am
22. Februar 1688 vermählte er sich mit Johanna, Roberts von der
Linden Tochter, aus Mörs. Er starb nach gesegneter Wirksamkeit
am 22. Oktober 1715. Sehr häufig wird er in den Akten als
Dr. Merkamp angeführt; ob ihm dieser Titel gebührte, vermochte
ich nicht zu ermitteln.
Kurz vor Merkamp hatte au der lateinischen Schule hierselbst
als Präceptor fungirt Timotheus Keil, eine etwas anrüchige Per-
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Beiträge zur Geschichte Crefelds und des Niederrheins. 99
«öulichkeit. Derselbe war in Mörs als Sohn des dortigen Pro-
fessors Paul Keil und der Catbarina Goldenberg am 5. Februar
1658 geboren Nachdem er das Gymnasium seiner Vaterstadt ab-
solvirt, wurde er am 1. Mai 1077 in Duisburg immatiikulirt, Er
muss ein lockerer Student gewesen sein, denn am 21. Juli 1681
wurde er von der Universität „ob varia delicta et incorrigibilis
vitae enorm itatetn" relegirt. Gleichwohl hat er kurz nachher an
der biesigeu lateinischen Schule als Präceptor eine Anstellung ge-
funden, die er freilich auch bereits im Jahre 1687 quittiren musste.
Auf die Zustände an der hiesigen Schule wirft dies grade nicht
-ein besonders günstiges Licht.
Paul Püll, der Sohn des Bürgermeisters Jakob Püll aus Cre-
feld, bezog am 11. Oktober 1678 die Duisburger Universität. Bei
seiner Taufe im April des Jahres 1659 hatte der Prediger Mathias
Kolhagen als Pathe gestandeu. Wie weit er seine Studien ver-
folgt, ist nicht bekannt, in öffentlicher Stellung scheint er nicht
gestanden zu haben. Vermählt war er seit 1686 mit Anna Schmitz
(Fabritius). aus Mörs, wie es scheint, einer Schwester des Predigers
Heinrich Fabritius in Vluyn.
Der nächste Student an der Duisburger Hochschule aus der
hiesigen Stadt war Gottfried Heiners, ein Sohn des Bürgermeisters
Johann Heiners. Die Universität bezog er am 21. September 1680,
um sich dem Studium der Theologie zu widmen. Er nahm als
Predigtamts-Kandidat eine Professur an der Mörser Schule an und
wurde daselbst Konreetor. Die Stelle behielt er bis zu seinem
Tode am 26. November 1727. Zur Gemahlin hatte er Catharina
Ottersloe aus Mörs.
Heinrich Crato Bruckmann, ein Urenkel des ersten bekannten
reformirten Crefelder Schuldieners Christian Bruckmann und ein
Sohn des Arztes und Bürgermeisters Dr. Johann Bruckmann, der
nebenbei bemerkt, die erste Crefelder Apotheke gegründet hat,
und der Christine von Flodroff, bezog am 12. Oktober 1686 die
Duisburger Universität, um sich gleich dem Vater der Heilkunde
zu widmen. Nach der Rückkehr von der Universität Hess er sich
in seiner Vaterstadt als Arzt nieder und erwarb sieb bald allge-
meines Zutrauen. Wiederholt versah er die Stelle eines ersten
Bürgermeisters und Scholarchen an der höheren Schule. Verhei-
rathet war er seit 1700 mit Sibilla Margaretha Seyen, nach deren
Tode (am 30. Januar 1703) er mit Anna Catharina Hercx aus
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Hermann Keussen aen.
Mörs am 10. Mai 1707 in die zweite Ehe trat. Er starb am 15. No-
vember 1739 im Alter von 70 Jahren, einen reichen Kranz von.
Nachkommen hinterlassend.
Am 8. September 1688 Hess sich Mathias Saueis, ein Sohn
des oben genannten Predigers, als Theologe in Duisburg inskri-
biren. Er war am 10. Juli 1671 geboren, stand also in dem
jugendlichen Alter von 17 Jahren, als er die Mörser Schule mit
dem Zeugniss der Reite verliess. Nach dem Tode des Vaters
wurde er im Jahre 1691 in dessen Stelle berufen. Ein Jahr
später verehelichte er sich mit Odilia Jansen aus Mörs. Nur
wenige Jahre erfreute er sich seines Amtes. Am 26. Januar
1698 stand die junge Wittwe mit einem zarten Sprossen an seinem
Grabe.
Heinrich Rahr aus Crefeld meldete sich am 19. September
1690 als Student der Theologie in Duisburg an. Er war am
27. Januar 1675 als der Sohn des Kaufmanns Dietrich Rahr und
der Elisabeth von Lumm geboren und hatte seine weitere Vor-
bildung auf dem Mörser Gymnasium unter dem Rector Crusius
genossen. Das Studium der Theologie scheint er nicht weiter ver-
folgt oder ausgenutzt zu haben. Er starb wenigstens am 22. Fe-
bruar 1743 als ehrsamer Candidat derselben in Crefeld. Seit dem
3. März 1715 war er mit Margaretha Sieben vermählt gewesen»
Deren beide Brüder Mathias und Cornelius Sieben waren gleich-
falls Studenten an der Duisburger Akademie. Nach Absolvirung
des Mörser Gymnasiums waren sie am 26. September 1713 imma-
trikulirt worden. Ueber ihre weiteren Lebensumstände habe ich
nichts zu erfahren vermocht.
Der hiesige Prediger Peter von der Emster ist ebenso wenig
wie sein Amtsgenosse Johann Holderberg, den ich hier noch nach-
trage, ein geborener Crefelder. Durch ihre Wirksamkeit gehören
sie aber der hiesigen Stadt an. Johann Holderberg stammt aus
Mors, wo er auch seine vorbereitenden Studien machte. Am
7. Oktober 1655 bezog er als Philosoph die Duisburger Hoch-
schule, dann ging er zum selben Zwecke nach Leyden, kehrte
aber am 26. Mai 1660 nach Duisburg zurück, um hier seine Stu-
dien als Theologe zu vollenden. Im Jahre 1668 wurde er in die
hiesige zweite Predigerstelle berufen. Er starb am 7. Juni im
Jahre 1684.
Peter von der Emster, aus Ruhrort gebürtig, hatte auf dem
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Beiträge zur Geschichte Crefelds und des Niederrheins. 101
Gymnasium zu Duisburg seine Vorbildung gewonnen. Die Uni-
versität bezog er am 6. April 1691. Im Jahre 1696 wurde er in
die lange unbesetzt gebliebene Stelle Holderbergs berufen. Er
trat am 22. April 1698 mit Odelia Wolff aus Aldekerk in den
Ehestand und starb am 6. Dezember 1706 in der Kraft seiner
Jahre.
Ahasverus Püll, ein Sohn des bereits genannten Kirchmeisters
Job. Püll, war ein Crefelder Kind, das am 25. April 1677 geboren
wurde. Am 30. September 1693 ward sein Name in die Duis-
burger Matrikel eingetragen, und 5 Jahre später war er wohlbestallter
Prediger in hiesiger Stadt in einem verhältnissmässig jugendliehen
Alter. Ein früher Tod rief ihn am 25. September 1710 aus seinem
Amte. Vermählt war er seit dem 18. August 1701 mit Margaretha
Rahr. Sein Bruder und Nachfolger im Predigtamte war Jakob
Füll, den ich hier gleich anschliessen will. Er war am 14. Januar
1689 geboren und hatte sich seit dem 30. September 1706 den
Universitätsstudien und zwar zunächst der Philosophie ge-
widmet. Im Jahre 1711 Ubernahm er die durch den Tod seines
Bruders verwaiste Predigerstelle. Seine beiden lateinischen
Schriften, disputationes de variis circa intellectum divinum
quaestionibus, praeeipue illa quae est dei deis rerum und de
tonitru, fulgure et fulmine zeugen von seinem wissenschaftlichen
Streben. Leider sind mir diese Schriften trotz eifrigem Bemühen
nicht zn Gesicht gekommen. Jakub Püll starb unvermählt am
19. Juli 1754.
Hermann Vorstmann, in Orsoy im Jahre 1664 geboren, be-
suchte zunächst das Mörser Gymnasium, und nach Absolvirung
desselben bezog er am 19. Oktober 1696 die Universität, um sich
den theologischen Studien zuzuwenden. Das Geschick verschlug
ihn nach Crefeld, wo er am 24. April 1719 zum Präceptor der
lateinischen Schule gewählt wurde. Als Reisegeld hatte ihm die
-evangelische Gemeinde 4 Pistolen zugebilligt. Er verheirathete
sich am 23. Februar 1721 mit Jenneken von Unna aus Mörs und
nach deren frühem Tode am 19. April 1722 zum zweiten Male
mit Anna Coenen von hier. Eine zahlreiche Nachkommenschaft
-betrauerte am 28. Januar 1748 seinen Heimgang. Seine Studien
in der Theologie kamen der Gemeinde zu Gute, indem er häufig
zur Vertretung herangezogen wurde. Im Jahre 1730 hat er längere
.Zeit während der Vakanz die Predigerstelle mit versehen, wofür
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Hermann Keussen sen.
ihm eine Anerkennung von 8 Rthlr. aus dem städtischen Säckel
gewährt wurde.
Johann Adolf Bruckmann, ein Bruder des oben genannten
Mediziners Heinrich Crato, war am 2. Februar 1680 geboren. Er
war also volle 18 Jahre alt, als er am 28. September 1698 die
Duisburger Universität aufsuchte, um Theologie und Philologie zu
studiren. Vier Jahre später wurde er bereits Konrector an der
lateinischen Schule zu Mörs. Am 15. September 1717 verheiratbete
er sich mit Anna Maria Sonnenberg. Ein Jahr nachher wurde
ihm ein ausserehelicher Sohn geboren, der seine Vornamen führen
durfte. Er war ein Lebemann, der im engen Verkehr mit der
damals in hohem Ansehen stehenden von Cloudt'schen Familie an
manchen Jagdabenteuern redlichen Antheil nahm. Unter ihrem
Schutze scheint ihm das lockere Leben nicht stark verübelt wor-
den zu sein. Vielleicht hat auch die angesehene Stellung seines
später noch zu nennenden jüngeren Bruders ihn Uber Wasser ge-
halten. Ja, er durfte es sogar trotz alledem wagen, sich um die
Rectorstelle zu bewerben. Das erste Mal im Jahre 1728 musste
er freilich sich eine Abweisung gefallen lassen, gegen die er bei
der Regierung vergeblich Beschwerde erhob, weil er glaubte, dieses
Missgeschick sei ihm einzig und allein aus dem Grunde wider-
fahren, weil seine Frau auf offener Strasse mit einem der Pre-
diger sich gezankt hätte und dieser in Folge dessen sein Todfeind
geworden wäre. Das zweite Mal im Jahre 1735 glückte sein Ver-
such wahrscheinlich unter dem Einflüsse seines Bruders, der da-
mals Bürgermeister in Mörs war. Im Jahre 1747 legte er die
Rectorstelle nieder. Sein Todesjahr ist mir nicht bekannt. Der
genannte Bruder
Franz Theod. Bruckmann war am 24. Dezember 1681 zu
Crefeld geboren. Er besuchte die Mörser Schule und trug am
17. Oktober 1702 seinen Namen in das Duisburger Juristenalbum ein.
Später Hess er sich in Mörs als Notar nieder, wurde um 1715
rechtskundiger Schöffe und später mehrmals regierender Bürger-
meister. Von der preussischen Regierung erhielt er den Titel
eines Justizraths. Er war zweimal vermählt, zuerst am 20. Januar
1720 mit Gertraud Mübling, der Tochter des Mörser Bürgermeisters
Gotthard Mühling, und zum andern nach deren Tode am 11. April
1721 mit Cornelia von Zelst. Er starb um 1754.
Peter v. Harn. 1688 in Duisburg geboren, empfiug seine Vor-
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Beiträge zur Geschichte Crefelds und des Niedcn heins.
bildung auf dem Gymnasium zu Duisburg ; die dortige Universität
bezog er am 18. September 1702. Später besuchte er noch die Hoch-
schule in Leyden, um dann am 23. März 1711 die zweite Pre-
digerstelle in Crefeld anzutreten. Diese Stelle vertauschte er am
2. April 1723 mit derjenigen in Mörs. Hier starb er im Jahre
1735. Seine Gemahlin Gertraud de With aus Wesel war die
Tochter des Generalstabspredigers Wilhelm de With in Geldern.
Von Sarn war ein sehr rühriger Mann, der sich als Dichter und
Schriftsteller einen geachteten Namen erworben hat. Von seinen
Schriften führe ich an: 1) Der wunderbare Jesus in seinen Werken
und Gestalten aus den göttlichen Schriften auf eine dichterische
Weise vorgestellet und mit Anmerkungen erläutert. Duisburg 1712.
2) Gedichte. 1. Theil. Duisburg 1713. 3) Geistlicher Lobgesang
von und zu dem gesalbten Heiland. Duisburg 1724. 4) Allerhand
Hochzeits-, ßegräbniss-, Glückwunsch-, Namens- und Ehrengedichte
bei verschiedenen Gelegenheiten. Eine Reihe lateinischer Abhand-
lungen von ihm finden sich in den Observationes Bibliothecae
Bremensi insertae Ao. 1720, 1721, 1723, 1724. Ausserdem schrieb
er „de galeis veterum" Duisburg 1724, „de falcibus veterum* 1725,
„de hastis veterum u 1726, „de securibus veterum" 1727, „de loricis
veterum" 1728 und Observation um philologicarum tetras: de labro
Mosis aenea ad Exod. 38.8, de lamentatione Davidis ad Sam.
18.33, de alis venti ad Psalm. 18.11, de ambulatione navium ad
Ps. 104.26. Duisburg 1729. Sein Sohn Peter, welcher am 8. No-
vember 1720 zu Crefeld geboren wurde, besuchte gleichfalls die
Duisburger Uuiversiiät und wurde am 17. September 1738 im-
matrikulirt.
Peter Sade\ ein Sohn des Kaufmanns und Bürgermeisters
Melchior Sade zu Crefeld und der Catharina Cladders, war am
22. März 1699 geboren. Er besuchte vor seinem Uebergange zur
Duisburger Hochschule (am 22. Oktober 1717) das Gymnasium zu
Duisburg. Ueber seine späteren Lebensverhältnisse habe ich nichts
erfahren.
Johann Peter Fabritius aus Crefeld unterwarf sich vor seiner
Immatrikulation am 23. Februar 1718 einer besonderen Maturitäts-
prüfung, wahrscheinlich weil er direkt von der hiesigen Schule
zur Universität Ubergegangen war. Er war ein Sohn des Schöffen
und Bürgermeisters Wilhelm Fabritius und der Elisabeth Cladders.
Am 19. April 1731 wurde er als Prediger nach Crefeld berufen,
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Hermann Keussen sen.
nachdem der Prediger Katerberg im Jahre 1730 einem Rufe nach
Schüttorf gefolgt war. Er war seit dem 27. Februar 1730 vermählt
mit Agnes Ricken aus Ruhrort. Am 12. Juli 1774 starb er im
74. Lebensjahre.
Johann Speck aus Urdenbach war 1711 geboren und besuchte
das Gymnasium zu Düsseldorf. Er widmete sich nach seiner Im-
matrikulation au der Duisburger Universität am 17. Oktober 1729
dem Studium der Theologie, während sein Bruder Peter Wilhelm,
der spätere Arzt und Bürgermeister in Goch (f 1793 5./11.) vier
Jahre später an derselben Hochschule Heilkunde studirte. Joh.
Speck war im Jahre 1739 Prediger in Crudenberg, 1742 in Ham-
minkeln, Mehr und Haffen und endlich seit dem 28. Mai 1755 in
Crefeld. Das Eint'Uhrungsesseu wurde beim Gastwirth und Wein-
händler Johann Philipp de Greiff gehalten. Speck fungirte hier
als zweiter Prediger bis zu seinem Tode am 24. September 1770.
Aus seiner Ehe mit Hermine Henriette Ising entspross ein Sohn
Koniad Wilhelm, der am 25. September 1774 im Alter von
lb* Jahren die Universität zu Duisburg bezog. Im Alter vou 21
Jahren war er bereits Prediger in Geldern, wo er im Jahre
1783 starb.
Johann Theodor Gotthard Bruckmann widmete sich seit dem
29. September 1734 in Duisburg dem Studium der Theologie. Er
war ein Sohn des früher genannten Arztes Dr. Heinrich Crato und
am 24. Juli 1718 geboren. Von seinen Studien hat er keinen
weiteren Gebrauch gemacht, trotzdem er seine Examina regelrecht
abgelegt und candidatus approbatus geworden war. Er zog es
vor, sich dem städtischen Dienste zu widmen, und so finden wir
ihn in der Zeit von 1748—1760 als Stadtschüffen thätig. Sein
Bruder Heinrich, am 30. Juli 1719 geboren, bezog nach Absol-
virnng des Mörser Gymnasiums am 27. September 1735 zum Stu-
dium der Theologie die Duisburger Akademie. Er wurde im
Jahre 1747 zum Prediger in Hochemmerich bestellt; im Jahre
1782 starb er daselbst. Vermählt war er seit dem Jahre 1757
mit Catharina Hauser. Eine Tochter aus dieser Ehe, Petronella
Sibilla, verheiratbete sich mit David Friedrich Montandon aus
Crefeld.
Der Rector der hiesigen lateinischen Schule Theodor Gott-
fried Steinwegh verdankte seine Bildung ebenfalls der Duisburger
Hochschule. Er war im Jahre 1718 zu Gladbach geboren, zur
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lieiträge zur Geschichte Crefelds und des Niederrheins. 105
•
Universität kam er am 26. September 1736. Nach Beendigung
«einer Studien ward er zunächst Rector der Schule in Rheydt, bis
er am 11. Juni 1748 die Stelle in Crefeld übernahm. Im Jahre
1747 am 5. Juni hatte man mit dem Neubau der lateinischen und
deutschen Schule an der evangelischen Kirche begonnen und den-
selben unter nicht geringen finanziellen Schwierigkeiten am
3. Januar 1748 zu Ende geführt. Steinwegh war seit dem Februar
1749 mit Catharina Orts vermählt. Er scheint in guten Verhält-
nissen gelebt zu haben, wenn man dies daraus schliessen darf,
<lass seine fünf Töchter insgesammt ein glückliches Fortkommen
fanden. Er selbst starb eines frühzeitigen Todes am 16. No-
vember 1758.
Der Stadtsecretär Hermann Adrian Finmann, gleichalterig mit
dem Vorhergehenden, stammte aus Flierich in der Mark. Am
1. Oktober 1738 wurde er studiosus iuris an der Duisburger Uni-
versität. Er kam im Jahre 1754 als Nachfolger des verstorbenen
Stadtsecretärs Stempel nach Crefeld. Bei der Umgestaltung des
bisherigen Schöffengerichts in ein Stadt- und Landgericht im Jahre
1755 wurde er zugleich Aktuar an diesem. Bald darauf erhielt er
den Titel eines Hofrathes. Im Jahre 1779 resignirte er auf seine
Stelle; sein Tod erfolgte erst am 2. Oktober 1791. Seine Frau
war Aletta van Erpers.
Hermann Scheuten war der erste Crefelder Mennonit, welcher
sich den Studien widmete. Er war ein Sohn von Johann Scheuten
und Anna van Aacken und im Jahre 1726 geboren. Die Univer-
sität bezog er am 30. September 1744. Er ging später nach Ost-
indien, wo er im Juli 1751 einen frühen Tod fand.
Heinrich Wilhelm Theodor Pagenstecher war am 19. Januar
1731 zu Mors als Sohn des Gymnasialrectors Johann Bernhard
Pagenstecher und der Maria Rappard aus Orsoy geboren worden.
Mit seinem Bruder Johann bezog er am 14. April 1749 die Uni-
versität Duisburg, anfänglich in der Absicht, Theologie zu studiren.
Bald änderte er den Vorsatz und wandte sich der Rechtswissen-
schaft zu. Er wurde Dr. iuris und 1755 erster Stadt- und Land-
richter an dem hiesigen Gericht. Schon am 25. November 1763
raffte ihn in jungen Jahren der Tod weg.
An ihn reiht sich als nächster Schüler der Duisburger Hoch-
schule ein Mann, dessen Name noch in der Erinnerung mancher
älterer Mitbürger lebt. Es ist Johann Gotthard Lorenz von Pempel-
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io<;
Hermann Keussen sen.
furt. Er war ein Sohn des Johann Werner von Pempelfort und
der Theodora Maria von Hoeckelom und zu Duisburg iin Jahre
1734 geboren. Nachdem er seine Gymnasialstudien in Cleve
zurückgelegt, widmete er sich seit dem 2. Oktober 1751 dem Stu-
dium der Heilkunde. Von 1760—1762 war er Arzt in Duisburg,
nachdem er sich vorher mit der Dissertation : De diversa purgan-
tium medicamentorum actione die medizinische Doctorwürde er-
worben hatte. Im Herbste 1762 ging er nach Berlin, um noch
nachträglich an dem anatomischen Kursus Theil zu nehmen, wozu
er in Duisburg keine Gelegenheit gehabt hatte. Im Jahre 1763
wurde er in Duisburg approbirt, und nun Hess er sich bleibend in
Crefeld nieder, wo ihn am 23. Juni 1767 das Band der Ehe mit
Gertrud Scheuten verband. Von den 2 Töchtern, die er erzielte,
verheirathete sich die jüngere Margaretha Maria mit dem Tuch-
fabrikanten C. Sohmann. Pempelfort war ein viel beschäftigter
Arzt, gleichwohl fand er noch Zeit, sich ernstlich in der Wissen-
schaft umzusehen, und namentlich interessirte ihn vor allem die
Pädagogik. Mit den bedeutendsten Schulmännern, so mit Over-
berg, Natorp, dem früheren Prior Hoogeu, stand er in Briefwechsel.
Einen besonders engen Verkehr unterhielt er mit letzterem. Dieser
hauchte bei einem Besuche in Crefeld in seinem Hause das Leben
aus. Pempelfort war ein aufgeklärter Freund des Volkes und hatte
ein warmes Herz für alles Gute und Edle. Er starb am 4. März
1812. Die heiss ersehnte Befreiung seines Vaterlandes vom fran-
zösischen Joch hat er nicht mehr erlebt.
Johann Wilhelm Reche, ein Sohn des Bürgermeisters und
Accisen-Inspectors Johann Georg Reche und der Catharina Preyers
(Wittwe von Cornelius Floh), war um 1738 geboren. Die Univer-
sität Duisburg bezog er am 22. Oktober 1755, um Medizin zu
studiren. Wo er sich später niedergelassen, ist mir nicht bekannt.
Sein Vater starb am 18. Juni 1766.
Johann Carl Timotheus Althotf stammte aus Bielefeld und
war im Jahre 1738 als der Sohn von Christopborus AlthofF und
Magdalena Catharina Crüvell geboren. Er Hess sich am 27. Ok-
tober 1763 als Jurist in Duisburg immatrikuliren und wurde nach
zurückgelegtem Examen Justiz - Commissar und um 1775 erster
Bürgermeister hierselbst, bis ihn im Jahre 1795 die Revolution aus
seiner Stellung verdrängte. Mit seiner Gemahlin Margaretha Bruck-
hau sen hatte er mehrere Söhne, unter andern einen Sohn Johann,
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Beiträge zur Geschichte Crefelds uucl des Niederrheins. 107
der im Jahre 1804 als Huissier beim Civiltribunal starb und mit
Luise Tascani vermählt war, und einen zweiten Jakob Heinrich»
der 1S17 Lieutenant wurde und in unliebsame Affairen verstrickt
gewesen sein soll. Althoff, der als Anwalt sein Leben dürftig
fristete, starb am 14. Januar 1807.
Johann Adam Kaibel, am 24. November 1754 geboren, war
ein Sohn von Johann Carl Kaibel und der Christina von Bronk-
horst. Er besuchte das Gymnasium zu Duisburg und seit dem
27. November 1773 die Universität, um Vorlesungen in der Philo-
sophie zu hören. Ueber seine späteren Lebensumstände ist mir
nichts Näheres bekannt.
Am 1. Oktober 1774 wurde Friedrich Kraft aus Crefeld in
Duisburg immatrikulirt. Die Matrikel enthält den Vermerk, dass
er ein Sohn des Kectors der lateinischen Schule Isaac Christian
sei, der jetzt in Goch wohne. Lange war ich zweifelhaft, ob nicht
unter Greyfeldensis, wie es in der Matrikel heisst, ein anderer
Ort zu verstehen sei. Meine Zweifel wurden nicht gehoben, als
ich in der „Allgemeinen deutschen Biographie" Uber diesen
Rector Isaac Christian las, dass er im Jahre 1747 in Crefeld an
der lateinischen Schule thätig gewesen sei. Erst die hiesigen Civil-
standsregister brachten mir volle Gewissheit, dass ein bisher nicht
bekannter Rector der lateinischen Schule glücklich aus dem Dunkel
der Nacht herausgehoben sei. Isaac Christian Kraft, der es auch
aus anderen Rücksichten verdient, unsere Aufmerksamkeit zu er-
wecken, war am 5. Februar 1727 zu Büdingen geboren, wo sein
Vater Johann Heinrich Konrector war. Er verlor denselben in
jungen Jahren und war so schon frühe auf sich und seine eigene
Kraft angewiesen. Der Rector Vorstmann (s. o.) war seit dem
Jahre 1742 zur Verwaltung seines Amtes nicht mehr wohl im
Stande, und es wurde seitens der Regierung darauf gedrungen,
ihm einen Adjunkten zur Seite zu setzen, und eiu solcher wird
Isaac Christian Kraft gewesen sein. Wir linden ihn von 1747—1759
in Crefeld, wo er mit Gerhard Terstegen in Mülheim und Chevalier
bekannt wurde und in einen näheren Verkehr trat. Dieser Um-
gang scheint ihm bei der reformirten Gemeinde verdacht worden
zu sein. Er wurde nach Vorstmanns Tode nicht zum Rector ge-
wählt, sondern der früher genannte Steinwegh. Bis zum Jahre
1759 lebte er hier wohl als Privatlehrer. Vermählt war er mit
Anna Margaretha Fildius, die er am 7. Mai 1759 durch den Tod
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10»
He rmann Keussen sen.
verlor. Er nahm hierauf eine Stelle als Lehrer im Jahre 1761 zu
Orsoy an ; am 4. Mai des darauf folgenden Jahres wurde er Rector
daselbst, 1763 in Goch, wo er am 16. August 1793 gestorben ist.
Als Kirchenliederdichter hat er sich einen geachteten Namen er-
worben. Seine Lieder erschienen in 3 Sammlungen im Jahre 1751,
1771 und 1784. Die Nachricht in der erwähnten Biographie, dass
«r im Jahre 1760 mit seinem Sohne die Universität Duisburg be-
zogen habe, finde ich nicht allein nicht durch die Matrikel be-
stätigt, sondern sie erregt auch sonst durch das Lebensalter des
Sohnes grosse Bedenken. Der älteste Sohn konnte im Jahre
1760 höchstens 12 Jahre alt sein. So weit ersichtlich ist, ver-
liess Kraft nach dem Tode seines dritten Sohnes Christian am
22. Januar 1760 Crcfeld. Der einzig Uberlebende Friedrich war
noch im jugendlichen Alter, als er im Jahre 1774 die Uni-
versität bezog. Dass er zugleich mit diesem immatrikulirt worden
sei, erwähnt die Matrikel nicht. Von seinen weiteren Lebensschick-
salen habe ich nichts erfahren; möglicher Weise lebte er beim
Vater in Goch.
Hermann Schultheis, der Sohn des aus Gelnhausen nach Cre-
feld verzogenen Kaufmanns Johann Conrad und der Anna Elisabeth
Vetter, war am 13. September 1759 geboren und bezog am 13. Ok-
tober 1776 die Universität Duisburg zum Studium der Theologie.
Im Jahre 1783 wurde er Prediger in Geldern, 1785 zu Goch, 1787
zu Cleve, darauf Schulrath in Hamm und zuletzt Consistorialrath
bei der Regierung zu Cleve.
Ueber den nachfolgenden Crefelder an der Duisburger Hoch-
schule Valentin Häusser oder Kauffer vermag ich nur die Nach-
richt von der Matrikel beizubringen, dass er ein Sohn des Fabri-
kanten Jakob Häusser gewesen ist und am 19. April 1779 imma-
trikulirt wurde.
Adam Riedel war ein Sohn des Chirurgen Albrecht Riedel,
der aus Ulm hier eingewandert war und sich durch die Ver-
mählung mit Catharina Sohmann, der Wittwe des Apothekers
Johann Bruckmann, die älteste hiesige Apotheke (Hochstrasse
und Poststrassen - Ecke) erheirathet hatte. Der genannte Sohn,
geboren 1762, bezog am 18. Oktober 1780 die Duisburger Uni-
versität, proraovirte als Arzt und Hess sich anfänglich zu Wesel,
später in seiner Vaterstadt nieder, wo er die Apotheke seines
Vaters übernahm. Er war mit Maria Catharina Elisabeth Laus-
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Beiträge zur Geschichte Crefelds und des Niederrheins. 10^
*
berg (f 1808 22./6.) vermählt. Dr. Adam Riedel starb am
25. August 1824.
Philipp Hermann de GreirT, ein Sohn des am 26. April 1785
verstorbenen Weinhändlers Johann de Greiff und der Sara Helena
Moog, war am 9. August 1767 geboren und begab sich am
11. April 1783 zur Universität nach Duisburg, um Jurisprudenz zu
studiren. Er trat als Referendar zur Regierung über, wurde Ke-
gierungsrath, starb aber schon im Jahre 1801, ohne sich um einen
Posten bei dem französischen Regime beworben zu haben. Er war
ein fleissiger Sammler historischer Ueberreste. Eine kleine Anzahl
wichtiger Urkunden hat er uns in Abschriften erhalten.
Von Johann Balthasar Dercks, dem Sohn des Sigbert
Dercks aus Crefeld, weiss ich nichts weiter zu berichten, als dass
er in Köln und seit dem 9. Oktober 1784 in Duisburg Medizin
studirte.
Dahingegen ist der nachfolgende Student an der Duisburger
Hochschule eine hierorts wohlbekannte Persönlichkeit. Christian
Johann Jakob Schneider, ein Sohn des Oberforstinspectors Friedrich
Samuel Schneider und der Margaretha Becker, war am 7. No-
vember 1767 zu Dinslaken geboren. Der Gross vater Samuel
Friedrich hatte nach Absolvirung des Mörser Gymnasiums am
30. April 1732 die Universität Duisburg bezogen, um Mathematik
zu studiren. Auch der Enkel begab sich am 1. Mai 1786 nach
Duisburg und liess sich hier als Studiosus der Medizin immatri-
kuliren. Von Duisburg ging er nach Göttingen, wo er im Jahre
1790 als Doctor promovirte. Im Jahre 1791 wurde er Arzt in
Crefeld, 1806 Arrondissementsarzt. Er zeichnete sich in den Jahren
1809 und 1810 bei der Typhusepidemie rühmlich aus. Nach der
Rückkehr der preussischen Herrschaft wurde er im November 1817
KreisphysikuB. Im Jahre darauf verlieh ihm der König den Titel
eines Hofraths. Allgemein betrauert starb er am 22. Januar 1837.
Aus seiner ersten Ehe mit Maria Johanna Sara Scheidt aus Duis-
burg stammte der in der Erinnerung aller noch lebende Dr. Johann
Friedrich Gustav Schneider. Ein älterer Bruder des Hofrathes,
Gisbert Johann Schneider, war gleichfalls ein Schüler der Duis-
burger Universität.
Gustav Franz von der Leyen wurde am 11. Juni 1792 in
Duisburg als Jurist immatrikulirt. Er war am 22. August 1773
geboren und ein Sohn des Geh. Commerzienraths Conrad von der
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Hermann Keussen scn.
Leyen und der Christine Elisabeth von der Nuell. Er starb als
Sonderling und mit der halben Welt verfeindet im Jahre 1859 auf
seinem Gute zu Palmersheim.
Nicolaus Leonhard Heilmaun, an der Duisburger Universität
am 21. April 1796 immatrikulirt, war ein Sohn des hiesigen Pre-
digers Jonas Johann Heilmann aus dessen Ehe mit Petronella
Catharina Margaretha Hoesch aus Mors und ein Enkel des Amts-
schultheissen Nicolaus Heilmann zu Naumburg. Am 9. Dezember
1776 erblickte er das Licht der Welt. Vermählt war er seit dem
8. Juni 1805 mit Sibilla Margaretha Plonis, deren Vater einst mit
seinem Vater bei der Predigerwahl in Crefeld konkurrirt hatte
Heilmaun stand schon vor seiner Wahl zum Prediger seinem Vater
als Adjunkt zur Seite. Ueber 50 Jahre lang war er der Gemeinde
ein treuer Seelsorger und Berather. Gestorben ist er am 26. Mai
1856. Von ihm erschienen im Jahre 1817 Gedichte und im Jahre
1826 Vesperklänge.
Georg Haertges, ein Sohn des Bäckers Arnold Haertges und
der Elisabeth Sieben aus Crefeld, bezog die Duisburger Universität
als Theologe am 7. Mai 1798. Im Jahre 1802 war er Prediger
in Gruiten, 1812 zu Marienburg im Nassauischeu, wo er starb.
Johann Carl Tendering, ein Sohn des Oekonomeu Hermann
Wilhelm Tendering auf Haus Mehrum bei Wesel, bezog im Alter
von 17 Jahren am 13. April 1811 die Akademie zu Duisburg, um
sich dem Studium der Heilkunde zu widmen. Duisburg mag für
ihn, abgesehen von der Nähe seiner Heimath, noch ein besonderes
Interesse gehabt haben, da bereits mehrere Verwandte vor ihm
dort ihre Ausbildung gesucht hatten, so Hermann Theodor Ten-
dering, welcher nach Absolvirung des Weseler Gymnasiums am
19. Oktober 1734 die Duisburger Universität bezog, und Hermann
1 endering, gleichfalls aus Wesel, der 3 Jahre später ebenso
die genannte Universität aufsuchte. Im Jahre 1817 Hess sich
Dr. Carl Tendering in Crefeld nieder, wo er am 25. Oktober 1823
sich mit Margaretha Adelheid Herstatt vermählte. Er starb vor
längeren Jahren zu Linz.
Die Universität Duisburg war in der letzten Zeit ihres Be-
stehens immer mehr herabgesunken und schliesslich nichts weiter
als eine medizinisch-chirurgische Lehranstalt mit bescheidenen Lehr-
kräften. Die beiden letzten Crefelder, die dort ihre Ausbildung
fanden, waren C. Putscher. Sohn des Chirurgen Conrad Putscher,
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Beiträge zur Geschichte Crefelds und des Niederrheins.
1U
und Cornelius Zahner, Sohn des am 9. April 1816 verstorbenen
Wundarztes Johann Conrad Zahner und der Margaretha ter
Stegen. Beide wurden im Jahre 1816 in Duisburg immatrikulirt.
Im Jahre 1823 Hess sich Cornelius Zahner als Wnndarzt und Ge-
burtshelfer hier nieder. Er starb erst vor wenigen Jahren in
hohem Alter.
5.
Zwei Hexeuprozesse ans der Crefelder Gegend.
Der Wahnwitz des Hexenglaubens erreichte gegen den Schluss
des 16. und den Beginn des 17. Jahrhunderts seinen Höhepunkt.
Das deutsche Volk der damaligen Zeit, grossgezogen in Intoleranz
und Aberglauben, roh und unwissend, da ihm durchgängig fast
jede Schulbildung inangelte, aufgeregt und leidenschaftlich durch
die erbitterten religiösen Kämpfe, verwildert und stumpf gemacht
durch die Schrecken jahrelanger Kriege, war unempfänglich für
eine ruhige und nüchterne Auffassung der Dinge, unzugänglich für
eine verständige Beurtheilung dessen, was sich ereignete. Ueberall,
wo ein Ereigniss eintrat, das über die Alltäglichkeit und Gewohn-
heit hinausging, witterte es sofort eine schlimme Einwirkung des
Teufels, der seine willigen Werkzeuge und gefügigen Diener zahl-
reich unter den Menschen hatte. Jede Hagelschauer, die zerstörend
über Garten und Feld dahcrfuhr, jede Krankheit, die Menschen
und Thiere fortraffte, die Feuersbrunst, wie jeder andere Unglücks-
fall, die Unfruchtbarkeit, wie die Fehlgeburt, es waren auch für
die Frommen keine Strafen Gottes mehr, um das Volk zu züch-
tigen und zu bessern, nein der leibhaftige Satanas hatte diese
Dinge aus blinder Bosheit gegen die Menschen ins Werk gesetzt,
seinem engen und intimen Verkehre mit gewissen Menschen wurde
das Alles zugeschrieben. Hexerei war tiberall im Spiele, das liess
sich nun einmal das Volk nicht ausreden, und diese oder jene alte
Frau mit der Adlernase oder den trüben Augen hatte sich dem
Teufel mit Leib und Seele verschrieben, und war dessen willen-
loses Werkzeug geworden. Wer lauge schlief, hatte die Nacht bei
den Hexenorgien zugebracht. Dieser hirnlose Glaube bildete sich
allmählich zu einer Krankheit der Zeit aus, von der selbst der
gebildetere Theil des Volkes mit ergriffen wurde. Die Vernunft
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112
Hermann Keussen sen.
wurde machtlos, das Warnwort gefährlich, und der Widerspruch
gegen das sittenlose Unwesen führte fast unfehlbar zum Scheiter-
haufen. Die zahlreichen Hexenprozesse, — fast keine Gegend
Deutschlands blieb davon gänzlich verschont — die aus dieser un-
glücklichen Zeit sich erhalten haben, sind traurige Dokumente für
die Verkommenheit und Versunkenheit des menschlichen Geistes,
sie dienen der Nachwelt zum warnenden Exempel, in welchen sitt-
lichen Abgruud Unwissenheit und Aberglauben ein von Haus
aus so sittlich und geistig angelegtes Volk wie das deutsche führen
köunen.
Die niederrheinische Gegend hat im Vergleich zu anderen
Thcilen Deutschlands lange Zeit für minderbetheiligt bei der Hexen-
verfolgung gegolten, indess haben die letzten Jahrzehnte so viel
Material auch für sie in dieser Hinsicht herbeigeschafft, dass wir
Grund haben zu vernmthcn, dass unsere Vorfahren um kein Haar
^escheidter und besser gewesen sind, als die Menschen anderwärts.
Es ist das ein trauriges Zugeständniss, das die Wahrheit vom
Historiker verlangt. Bis vor Kurzem noch war mir aus Crefeld
und der nächsten Umgebung kein einziger Fall eines derartigen
Prozesses vor Augen gekommen, und nun führt der Zufall inner-
halb weniger Wochen mir zwei derselben auf einmal zu; ein
dritter wird in den Papieren darüber noch weiter angedeutet. Be-
ziehen sich dieselben auch nicht unmittelbar auf Crefeld, so spielen
sie doch nahe genug, um vermuthen zu dürfen, dass deren Ein-
wirkung auch für unsere Altvorderen nicht verloren gegangen sein
kann. Der Flammenstoss auf der Titsches-Haide bei St. Hubert
wird seinen grellen Widerschein auch auf unsere Fluren zurück-
geworfen haben. Der Hexentanz auf dem Hülser Berge wird nicht
ausschliesslich von kurkölnischen Hexen aufgeführt worden sein.
Eigentümlich ist es, dass gerade an den Richtstätten, au die sich
für das ungebildete Volk noch bis auf die heutige Stunde Geheim-
nissvolles und Gespensterhaftes aller Art anknüpft, die Hexen ihr
Unwesen getrieben haben sollen.
Die uns vorliegenden Hexenprozesse spielen beide im Amte
Kempen. Das gewöhnliche Schöffengericht mit dem kurfürstlichen
Schultheiss an der Spitze spricht das Urtheil und lässt das-
selbe vollstrecken. Seine Sitzungen hielt das Gericht in dem
Herrenhause in der Stadt. Der Sehultheiss, der beide Male dem
Gerichte vorsass, war Mathias von Hüls, ein Schwiegersohn seines
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Beiträge zur Geschichte Crefelds und des Niederrheins. 113
Vorgängers im Amte, Theodor von Warenburg, eines Mannes, der
sich um die Einführung der Reformation in Kempen unter dem
Kurfürsten Gebhard Truchsess eifrig bemüht hatte. Der Vater
des Hüls war der 1558 verstorbene Bürgermeister Adam von Hüls,
der einer Seitenlinie des ritterlichen Geschlechts von Hüls ange-
hörte. Mathias von Hüls war vor seiner Bestallung zum Schultlieiss
als Notar oder Secretär am kurfürstlichen Hofe in Köln thätig ge-
wesen. Das Schnltheissenamt bekleidete er von 1584—1607; aus
dieser Zeitbestimmung wird uns erst die Präcisirung des zweiten
Prozesses ermöglicht, da in demselben nur einfach , Saterstach,
der 20. Oktober" genannt wird. Der 20. Oktober fiel aber wäh-
rend dieser Zeit nur zweimal auf den Samstag, nämlich 1589 und
1601. Wir entscheiden uns für das letztere Jahr, da das erstere
kaum eine ordentliche Prozedur zuliess; die Bewohner des Amtes
hatten sich fast verlaufen. Der erste Hexenprozess geht diesem
um wenige Jahre voraus, da er nämlich 1595 geführt wurde. Da-
zwischen fällt nun noch die Hinrichtung der Zauberin Sibilla Blex,
von der als Verführerin nur gelegentlich im zweiten Prozesse die
Kode ist.
Ueber den ersten Prozess sind wir ebenfalls nicht weitläufig
unterrichtet, wir erfahren nur rein zufällig von demselben in der
Kellnerei-Rechnung vom Jahre 1595, welche der kurfürstliche
Kellner Carl Huissgen über denselben führte, da er der kurfürst-
lichen Kasse nicht unerhebliche Kosten verursachte. Ich fand die
Rechnung im Düsseldorfer Provinzialarchiv und gebe den betreffen-
den Passus daraus in der Sprache der heutigen Zeit wieder, da
ich befürchten muss, dass derselbe sonst für das allgemeine Ver-
ständniss unüberwindliche Schwierigkeiten darbieten könnte.
„Demnach Catharinchen Hagh der Zauberei durch einen ge-
wissen Meister Gerhard, der Schweinschneider genannt 1 ) angeklagt,
gerichtlich darüber procedirt und zuletzt gefänglich eingezogen.
Sie hat eine Zeit lang gesessen, und darüber haben wir den
Scharfrichter Hans (Keisser, nennen ihn andere gleichzeitige Akten)
aus Köln kommen lassen, welcher mit Errechnung von Her- und
Hinreise 23 Tage beschäftigt war. (Rechnen wir 4 Tage für die
1) Dieser Gerhard, der Schweineschneider, war auf dem Laude bei
Kempen ansässig und zwar in der grossen Honschaft und nicht unvermögend,
wie aus Urkunden hervorgeht.
Annalen des hist. Vereins LX11I. H
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114
Hermann Keuegen sen.
Reisen und 1 Tag für die Hinrichtung, so bleiben 18 Tage für
die Folterung!) Er bat jeden Tag für seine Besoldung gefordert
3 kölnische Gulden. Zweimal hat er die Zauberin auf das Wasser
geworfen, für jede Wasserprobe 1 ) rechnete er 2 Thlr., und als sie
mit dem Feuer hingerichtet, für solches Richten 2 l / 2 Thaler und
8 Quart Wein, und für seinen Jungen erhielt er noch laut Quittung
1 Ort Thaler. Daneben — rechnet der Kellner weiter — öfter,
ehe und bevor sie zu inrem Bekenntniss gekommen, in Beisein
des Schultheissen und der Schöffen dieselbe versucht (d. h. ge-
foltert), und da es landbräuchlicb, dass diejenigen, welche bei sol-
cher peinlichen Versuchung über- und anwesend sind (weil die
Schöffen auf dem Lande wohnten) mit Kost und Trank versorgt
werden, so ist ein Grosses draufgegangen, und obwohl die Regie-
rung dem Kellner befohlen hatte, die beweglichen Güter der un-
glücklichen Person zu verkaufen und zu den Gericbtskosteu zu
verwenden und nur im Falle, wenn sie nicht hinreichten, aus den
Gefällen der kurfürstlichen Kellnerei das Fehlende zu nehmen
und zu verrechnen, so habe der Kellner 58 Gulden 12 Albus zu-
legen müssen, da nach gerichtlicher Taxation der Güter — deren
doch, fügt er klagend hinzu, gar wenig gewesen — und nach
deren Verkauf die Unkosten sich beträchtlich höher erstreckt
hätten. Für den geistlichen Beistand, den der damalige Pastor
von St. Tönis P. Franciscus Scheen leistete, berechnete der Kell-
ner dem Kurfürsten ein zweifaches: Für die Abnahme der Beichte
1 Goldgulden (etwas weniger als ein Reichsthaler) und ausserdem
den Nachttrunk, welchen der Geistliche in der Nacht vor der Hiu-
1) Die doppelte Wasserprobe, welche bei der bedauernswerten Person
nebeu der Folter zur Anwendung kam, ist uns ein Beweis dafür, wie scho-
nungslos man gegen dieselbe vorging. Dies, sowie die Tage lange Folterung
bezeugen die hartnäckige Standhaftigkeit, mit der die Unglückliche ihre Un-
schuld betheuert haben mag. Die Wasserprobe diente zum Beweise der Schuld
oder Unschuld; die der Hexerei Beschuldigte wurde an das Ufer eines Teiches
oder Flusses geführt, dort ausgezogen und mit kreuzweis zusammengebun-
denen Händen und Füssen ins Wasser geworfen. Sank sie unter, so war sie
unschuldig, schwamm sie oben, so war es klar, dass das nur mit Beihülfe des
Teufels geschehen konnte, der einst einer Hexe versprochen haben soll, ihr
bei der Wasserprobe eine Eisenstange zu bringen, damit sie untersänke, aber
statt der Stange eine Nadel gebracht habe. Das Meiste hing natürlich von
dem Willen und der Gesclijcklichkeit des Henkers ab, der das Seil hand-
habte, woran die Unglückliche gebunden war.
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Beiträge zur Geschichte Crefelds und des Niederrheins.
115
ricbtung empfing, als er bei der Unglücklichen geistlichen Trost
und Zuspruch spendend verweilte.
Aus diesen nur kurzen Notizen erfahren wir doch so viel,
<lass wir die Zusammensetzung des Gerichts und die Gerichts-
ordnung, die in der hiesigen Gegend beobachtet wurde, kennen
lernen. Demnach wird dieselbe im Wesentlichen in Ueberein-
stimmung gestanden haben mit dem allcrwärts beobachteteu Usus,
wie er ja auch durch den Hexenhammer systematisch festgestellt
-worden war. Zuerst leitete ein einfaches Inquisitionsverfahren,
nachdem eine Denunciation eingelaufen war, den Prozess ein ;
wurde geleugnet, so wurde die Einsperrung verfügt; machte diese
nicht mürbe, so dass sie das Bekenntniss herbeiführte, so musste
<lie Wasserprobe dem Gerichte den Beweis der Schuld oder Un-
schuld erbringen, und nun endlich erzwang die Folterung das
volle Geständniss, welches das Urtheil auf Hinrichtung durch das
Feuer zur Folge hatte. Viele wurden schon durch die Inhaftirung
zur Verzweiflung und damit zum Geständniss gebracht, denn die
Kerker, feucht und dumpf, mit Kröten und Ratten angefüllt,
waren, wenn die Haft auch nicht verschärft wurde, wohl dazu an-
gethan, die ohnehin geängstigten Unglücklichen schwer- und klein-
müthig zu machen. Nun aber erst, wenn die Schrecken der
Folter zur Ausführung kamen, vermochte auch der empfindungs-
loseste Starrgeist nicht auszuharren und an der Betheuerung der
Unschuld festzuhalten. Da kam zuerst der Daumenstock in An-
wendung, dann folgte die Beiuschraube, der sogen, spanische
Stiefel, hierauf die Elevation mit dem gespickten Hasen, bei der
dem Delinquenten die Arme verkehrt und verdreht über dem
Kopfe standen u. s. w. Die Hexe sollte, so lautete die Vorschrift,
so dünn gefoltert werden, dass die Sonne durch den Körper
schiene. Solcher Grade der Tortur gab es mehr als ein Viertel
Hundert. Kein Wunder, dass da Alles gestanden wurde, was man
eben wollte, dass die Unglücklichen sich den Tod in jeder Gestalt
herbeiwünschten.
Catharina Hagh scheint also, wie die Rechnung ergiebt, lange
mit dem Geständniss gezögert zu haben, endlich aber auch ge-
brochen und kleinmüthig geworden zu sein. In dem zweiten
Prozess, der uns weitläufiger in den Gang der Verhandlungen ein-
weiht, ertrug ein Mädchen standhaft alle Schmerzen der Tortur,
sodass die Richter rathlos wurden und sich an die kurfürstlichen
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11«
Hermann Keussen sen.
Käthe in Köln wandten, um sich weitere Instructionen zu erbitten^
ob sie das Verfahren fortsetzen sollten oder nicht. Wir geben den-
Inhalt des Aktenstückes, das sich im Kempener Stadtarchiv vor-
fand, möglichst wortgetreu in Nachfolgendem wieder.
Es ist zu wissen, dass ein Hausmann dieses Amtes Kempen
mit Namen Sander Hon auf vorhergegangene richterliche Citation
gegen eine Frauensperson genannt Beeil This, seine Nachbarin,
vor uns an dem offenen Gericht, darin wir gespannener Bank zu
Recht sassen 1 ), auf Samstag, den 20. Oktober jüngst vergangen
rechtlich erschienen ist und durch seinen gebetenen Fürsprecher
(Rechtsbeistand) die oben genannte Beeil verklagt habe, dass sie
ihm an seinen Kindern, seinem Vieh und Hof geschädigt und dar-
über von ihr ein Geständniss verlangt und eine Entschädigung
von 100 Goldgulden oder, was wir Schöffen für recht weisen wür-
den 2 ). Beschlossen wurde, auch die genannte Beeil gerichtlich zu
vernehmen, und dieselbe liess durch ihren erlaubten Fürsprecher
zur Antwort geben, dass sie gemeldeten Sander in keiner Weise
weder um einen Heller noch Pfennig geschädigt habe und dafür
Bürgschaft, Lauterkeit und Unschuld biete. Sander habe hiergegen ge-
antwortet: Sie habe unlängst von ihm ein Stück Brot sich erbeten,
sei zu den Pferden gegangen und habe sie besehend gesprochen:
Wie stehen die Pferde? Die Pferde wären krank geworden und
auch danach gestorben. Er verhoffe, dass sie dafür nicht bürgen
solle, da er dafür Bürge werden wolle. Hierauf haben die Für-
sprecher es für gut angesehen, dass beide Theile ihre Bestuudung
(Aufschub) bis demnächst haben möchten, wofür sich auch die
Schöffen ausgesprochen. Da ich, der Schultheiss, den Parteien
gerne solchen Verlaub anstatt meines gnäd. Herrn geben möchte,
wollte ich mich dessen aber nicht gerne allein annehmen, sondern
erst wissen, wie solches mit Recht sich verhalten sollte. Hierauf
1) Ein Ausdruck, der sich aus früherer Zeit, wo die Gerichtsatätte im
Freien durch ein Seil oder dergleichen von dem Publikum abgespannt war, •
auf die spätere Zeit vererbt hat und nichts weiter bedeutet, als in ordentlicher
und vorschriftsmässiger Weise zu Gericht sitzen. Das alte Gericht wurde durch
vier Bänke gebildet, auf welchen die Schöffen nnd der Schultheiss Platz
nahmen.
2) Der Hexenprozess war also hier seinem Ursprung nach nur eine Civil-
entschädigungsklage und wurde vielleicht ohne Absicht des Klägers zu dem
schlimmen Ausgang gebracht.
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Beiträge zur Geschichte Crefelds und des Niederrheins. 117
laben die Schöffen hierüber zu Recht befunden, der Beeil ihreu
Bürgen zu stellen zu gebieten. Du ist aber Sander in die Ge-
richtsbank getreten und hat seinen Fuss für den Bürgen zu setzen
sich angeboten; Beeil verhoffte dagegen, dass Sander sie zu ihrer
Bürgschaft kommen lasse oder mit Kunde dagegen thue. Da haben
die Schöffen erkannt, so Sander keine Kunde habe und sein
höchstes Pfand setze, so solle er damit den Bürgen abwehren.
Gegen solches Urtheil habe Beeil appellirt und sich auf ihr Ober-
haupt (den Laudesherrn) berufen, auch Appcllationes und Instru-
mente davon geheischen, aber dem Notar keine Urkunde gegeben.
Sander behauptete darauf, dass in solchen Sachen keine Appellation
gestattet werden dürfe, worauf die Schöffen erklärten, dass es
ihnen, nachdem Sander das höchste Pfand gesetzt, nicht kundig
sei, ob die Appellation zugelassen werden solle oder nicht. Hier-
nach fragte ich, Richter, wie ich mich denn mit beiden Parteien
halten sollte. Die Schöffen erkannten nunmehr: Wer keinen Bür-
gen hätte, dem solle der Herr Bürgen leihen. Also sind sie beide
angetastet und getrennt von einander getanglich in den Thurm
gesetzt worden, und hierauf sind die Nachbarn der ehegenannten
Beeil nach allsolcher Fama jeder für sich examinirt worden, und
von diesen insgemein hat man erfahren, dass sie seit langer Zeit
mit der Fama der Zauberei berüchtigt (behaftet) wäre, ob aber
das wahr oder nicht wahr sei, wäre ihnen unbewusst. Danach
haben die Schöffen den obengenannten Sauder in Gegenwart der
oft gemeldeten Beeil mit vielfältigen Worten gefragt, ob er bei
seinem Vernehmen (Aussage) noch bleiben wolle, und als er dabei
in Allem vollherzig geblieben, haben die Schöffen darauf die Frau
peinlich versuchen lassen 1 ). Darum dann (sie!) sie allenthalben
bekannt und gestanden hat, erstlich wie eine Frauensperson, ge-
nannt Beeil Blex — ihre Nachbarin, welche vor kurzem gleichen
Wesens willen verrechtfertigt, d. h. gerichtet, worden ist — 2 ) zu
ihr gekommen sei und zu ihr gesagt habe, dass Sander Honn
viele Schmähworte der Zauberei über sie an vielen Orten habe
hören lassen, ob sie ihm dafür nicht gut thun könnte, und hätte
ihr etwas langes Gras und darin etliche Mothery, d. h. Materie, ihr un-
bekannt, (wie sie sagte) gegeben, was sie Sanders Pferden zu fressen
1) Von einer Wasserprobe ist also hier keine Rede.
2) Es ist dies der Eingangs erwähnte dritte Hexenprozess.
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118 Hermann Keussen sen.
geben sollte, sie würden alsdann fortan nicht viel mehr nutz
(brauchbar) sein. Sie hätte der Meinung das Gras zu sich ge-
nommen und Sanders Pferden, da sie in der Weiden gingen, vor-
geworfen, und hiernach wären die Pferde, die das gefressen, krank,
geworden und in der Folge gestorben. Zum zweiten hätte auch-
die vorhin genannte Beeil Blex ihr ein Bläschen Papier gegeben^
darin etliche schwarze Körner waren, die wie Bronibeerkörner ge-
staltet waren, und sie in Sanders Haus gestreut in der Meinung,
dass Hass und Neid zwischen ihm und seiner Hausfrau erwachsen
sollte. Zum dritten bekannte sie, dass Beeil Blex ihr ein kleines
Scherbchen und etliche Motherye darin gemacht gegeben, welches
sie genommen und an einem Sonntag des Morgens, während die
Mägde zur Frühmesse gegangen wären, auf Sander Spegels Hof
unter einem Mispelstrauch an dem Holzschoppen zur Thür hin un-
gefähr zwei Finger breit in die Erde gescharrt habe und sie hätte
das Scherbchen mit einem Leystein (Schiefer) zugedeckt. Es
möchte aber vielleicht das Scherbeben durch die Schweine oder
Hühner verkommen sein, und sie hätte solches gethan in der
Meinung, dass Sander auf seinem Hof nicht viel Glück haben
sollte. Zum vierten bekannte sie, dass Beeil Blex sie erst zu
dieser Handlung gebracht hätte, indem sie sagte, sie solle eines
Abends auf ihren Hof gehen, da würde ein Mann zu ihr kommen,,
dem solle sie folgen. Und dies ist geschehen, darnach sie der
Meinung auf den Hof gegangen, dass allda ein schwarzer Mann
gekommen und sie bei den Kleidern aufgegriffen und bis auf die
St. Huberts-Haide geführt habe. Da war ein Wagen mit zwei
schwarzen Pferden davor, und auf dem Wagen sassen Beeil Blex,
Metgen, ihre Tochter, Ursken Bleick, Anna Steinx, Ercken Kruis*
Halfmanns Frau und nach allem ihrem Bedünken auch Anna Bleick,.
und sie fuhren von da nach dem Hülser Berg, wie ihr bedtinkte,
durch die Luft, und es waren viel mehr Frauen da, von denen sie
jedoch keine Kunde hatte. Da spielte man und tanzte. Sie ward
nun gefragt, ob sie auch mit getanzt hätte, worauf sie mit ja er-
widerte. Ich sprang, sagte sie, dann und wann auch mit auf.
Gefragt, wie ihr Buhle geheissen, sprach sie, sie hätte noch
keinen, denn ihr wurde gesagt, wenn sie wiederkäme, alsdann
sollte sie einen Buhlen haben und daran bestatet (verheirathet)
werden. Desgleichen gefragt, wie oft sie auf dem Hülser Berg ge-
wesen wäre, hat sie geantwortet : Nach ihrem Bedünken, zweimal,.
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Beiträge zur Geschichte Crefelds und des Niederrheins.
119
sie wäre noch nicht eine Meisterin, sondern hätte noch ihr Probe-
jahr. Wieder gefragt, mit welcher Kühnheit sie sich hierzu hätte
ergeben dürfen, antwortete sie, sie sagten, ilass die Andern keine
Noth hätten, auch ungestraft blieben, sie vertraute, dass sie auch
keine Noth haben sollte. Diese vorbeschriebenen Punkte hat die
genannte Beeil mit bleibenden (denselben) Worten affirmirt und
ist darauf gestorben, d. h. gerichtet worden. Derweil dann, fahrt
der Schultheiss in seinem Berichte fort, genannte Beeil die vorhin
gemeldeten 5 anderen Frauenspersonen also befamt (d. h. der
Hexerei beschuldigt) und dieselben auch nach einem alten Gerücht
als dieser Sachen pflichtig insgemein genannt worden sind, haben
wir die genannte Anna Bleick, die in Sonderheit mit dieser Fama
beladen ist, angreifen und in Haft setzen lassen, und ihre Nach-
barn, um von ihrem Wesen, ihrer Fama und Gestalt etwas zu er-
fahren, vor uns beschieden, und von diesen verstanden insgemein,
dass dieselbe Anna einen alten schlechten Ruf gehabt hätte, aber
ob sie dessen pflichtig, wäre ihnen nicht bewusst. Doch war eine
Nachbarsfrau, die sich mit gemeldeter Anna bei den Haaren ge-
rauft hatte, welche sagte, dass ihr bedünkt, sie sollte erstickt sein,
und sie hätte darnach eine Zeit lang an einer Geschwulst ihres
Hauptes gelitten, aber ob solches derohalben gekommen, wäre nicht
ihres Wissens. So haben wir aus vorbenannten Ursachen dieselbe
Anna peinlich antasten lassen, aber gar nichts von ihr vernehmen
mögen. Wir sind deshalb nicht wenig bedrängt, und unerfahren,
was wir mit derselben Anna und desgleichen mit den andern weiter
anfangen sollen, und bitten um Auskunft, was wir in diesem Falle thun
oder lassen sollen, wobei sich Niemand zu beklagen haben möge.
Damit schliesst unser Aktenstück, und wir erfahren nicht
weiter, ob die Stand haftigkeit der Anna Bleick schliesslich den
Sieg davon getragen, und sie sich und ihre Mitangeklagten gerettet
habe, oder ob noch anderweitige schärfere Prozeduren gegen die-
selbe befohlen wurden. Merkwürdiger Weise sind diese Prozesse
in den kurfürstlichen Kellnerei- Rechnungen nicht verrechnet, die
Gerichteten scheinen also der besseren Klasse angehört zu haben,
so dass aus ihrem Nachlass die Kosten des Verfahrens bestritten
werden konnten. Die Angeklagten wohnten, so weit sich das
jetzt noch ermitteln lässt, in der Broicher Honschaft (St. Hu-
bert); wir finden dort den Spegelshof, den Bleickshof, Bleicken-
hof u. s. w.
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120
Hermann Keussen sen.
6.
Kulturgeschichtliche Streifbilder vom Niederrhein aus der
Zeit des 30jährigen Krieges.
Im Yerbältniss zu andern Landestheilen Deutschlands war
der Niederrhein im ersten Drittel des furchtbaren Krieges, der
Deutschlands Fluren in eine Einöde verwandelte, noch glimpflich
genug fortgekommen. Freilich waren auch hier die Spuren traurig
genug, welche die Kriegszüge der Spanier unter Spinola und der
Raubgesellen des tollen Christian von Braunschweig zurückgelassen
hatten. Die Kroaten hatten bei ihren Einlagerungen in der Graf-
schaft Mörs und am Niederrhein unmenschlich gehaust, mit Brennen
und Morden hatten sie den Weg bezeichnet, den sie auf ihren
Durchzügen genommen hatten. Die brach liegenden Fluren und
die zerstörten oder abgebrannten Gehöfte in den Dörfern und
Bauernschaften, welche von Menschen fast verlassen waren, gaben
Kunde von den Schreckenstagen, welche die Bewohner dieser Ge-
gend durchlebt hatten. Handel und Wandel waren gelähmt, die
Landstrassen waren unsicher, Wegelagerer und Freibeuter lunger-
ten herum und fielen gewissenlos Uber den ungeschützten Wan-
derer her und raubten ihn aus. Nur in der Nähe der befestigten
Städte wagte man es noch, die Feldmark zu bestellen. • Die Ein-
bringung des Ertrages blieb freilich immerhin fraglich, es sei denn,
dass der Gouverneur mit den Bürgern der Stadt auf gutem Fusse
lebte und durch fleissige Streifzüge für die Erhaltung der Ernte
sorgte. In den befestigten Städten war, sofern sie von befreun-
deten Truppen besetzt waren und kein Feind sie mit Einschliessung
bedrohte, das Leben der Bürger erträglich, wenn auch keineswegs
behaglich, denn das Militär war verroht und rücksichtslos in seinen
Forderungen. Einen recht belehrenden Einblick in die städtischen
Zustände der damaligen Zeit gewähren uns die Stadtrechnungen,
die sich von einzelnen Städten glücklicher Weise erhalten haben.
Vor uns liegen solche aus den Jahren 1631 — 1033 aus einer kleinen,
stark befestigten Stadt des Niederrheins, die bis zum Juni 1633
sich im Besitze der Spanier befand und im genannten Zeitpunkte
von den Niederländern unter dem Prinzen Friedrich Heinrich von
Oranien erobert wurde. Die Stadt 1 ) war von stattlichen Mauern
1) Rheinberg
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Beiträge zur Geschichte Crefelds und des Niederrhtins.
121
und breiten Doppelgräben umgeben, die vom Rheine gespeist wur-
den. Durch drei Thore führte Uber Zugbrücken der Zugang zur
Stadt. Zwischen Stadt und Rhein dehnte sich ein ansehnliches
Barackenlager aus, das im Jahre 1631 nur schwach mit Truppen
belegt war, da man die Einlagerung in der Stadt unter den gegen-
wärtigen Umständen zuträglicher und angenehmer fand. Ein
Gouverneur, namens v. Disstorf, wohnte auf dem kurfürstlichen
Schlosse und hielt im allgemeinen gute Kriegszucht, so lange die
Bürgerschaft ihm zu Willen war und reichliche Spenden ihm zu-
kommen Hess. An der Spitze des Gemeinwesens der Stadt stand
der Bürgermeister, dessen Regierung in diesen schweren Zeiten
wahrlich keine beneidenswerthe war. Tag für Tag gab es schwere
Arbeit, die eigenen Geschäfte musste er fremden Händen anver-
trauen. Begleiten wir ihn in seinem Thun und Schaffen während
meines Amtsjahres. Heute am Tage Pauli Bekehrung (25. Januar)
wurden, nachdem die Rathsglocke dreimal das Zeichen gegeben,
die Stadtthore geschlossen, und alle wahlberechtigten Vollbürger
hatten sich in ihre Viertel begeben, um ihre Vertrauensmänner
(die Vierter) zu wählen, welche in ihrem Namen die Wahl des
Bürgermeisters mit den Herren vom Rath zu thätigen hatten. Doch
bevor zu dieser Wahl geschritten wurde, wurde vom gesammten
Rath unter Hinzutritt der Vierter die Stadtrechnung geprüft, und
von den letzteren die Beschwerden der Bürgerschaft zur Kenntniss
des achtbaren Rathes gebracht. Nach althergebrachtem Brauch
wurde dabei die Kehle mit dem Rathswein angefeuchtet und der
Hunger mit einem kleinen Imbiss gestillt. 37 Maass hat die ver-
wittwete Frau Bürgermeisterin — denn heute musste die Raths-
zeche bei ihr gehalten werden, da das Rathhaus mit Militär belegt
war — heranholen müssen. Endlich war die Rechnung richtig
befunden, nnd nun konnte die Wahl des Bürgermeisters vor sich
gehen. Bald war sie gethätigt, und der Gewählte wurde in feier-
lichem Zuge von den Leuchterträgern zu seiner Wohnung be-
gleitet, wo sich unterdessen der Rath und der Schultheiss zur
Beglückwünschung eingefunden hatten. 12 Kannen besiegelten
die Aufrichtigkeit der Wünsche. Während die Herren vom Ratbe
sich nach der anstrengenden Arbeit labten, durfte, wie billig, die
Bürgerschaft nicht dürsten. Sie harrte schon ungeduldig in den
Stadtviertelkneipen des Augenblicks, wo auch für sie die Labung
fliessen sollte. Je zwei Tonnen Bier erhielt jedes Stadtviertel, und
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Hermann Keussen sen.
überall ertönte des neuen Bürgermeisters Lob und Preis, wiewohl
nicht dieser, sondern die Stadt des köstlichen Trankes Spenderin
war. Am ersten Tage begann des Bürgermeisters ernste Arbeit.
Von den Rathsherren begleitet, begab er sich zur Stadtvisitation
nach den städtischen Mühlen, nach den Stadtthoren und Brücken»
und überall Überzeugte er sich mit prüfendem Blicke, dass alles
in bester Ordnung war. Nach dieser anstrengenden Morgenarbeit
versammelten sich um den Bürgermeister zur stärkenden Mahlzeit
der gesammte Rath, die Geistlichkeit und der Schultheiss nebst
den Rathsdienern, im Ganzen 22 Personen, und begeisterten sich
zu weiterem löblichen Thun. Das Bankett, bei dem 31 Maass
Wein vertrunken wurden, verrechnete der Bürgermeister der Stadt
mit 20 Thalern und 2 Stübern. Am nächsten Tage rückten 250
Soldaten unter Kapitän Dülken ein und verlangten in der Stadt
selbst ihre Quartiere. Der Bürgermeister berief den Rath und
überlegte, wie man die Soldaten unterbringen sollte. Die Arbeit
war bei der Ueberfüllung der Stadt mit Truppen keine angenehme.
Man zog den wohlmeinenden Adjutanten des Gouverneurs ins Ver-
trauen, und so wurde denn in 5 Tagen die Arbeit fertig gestellt,
zu der man sich natürlich mit Speise und Trank in reichlicher
Weise gestärkt hatte. Am 1. Februar erhielt der Bürgermeister
vom Gouverneur den Befehl, „wegen der Pest und abscheulichen
Krankheit 0 in Begleitung des Adjutanten die Baracken zu visi-
eren, eine unliebsame Aufgabe, Uber welche nur ein kleiner An-
biss mit einigen Quart Bier und Wein forthelfen konnte. Wenige
Tage später erfolgte die Verpachtung der städtischen Accisen —
der Wein-, Bier- und Branntweinaccise, der Fettwaaren- und Fleisch-
accise, der Korn-, Malz- und Gewürzaccise. Sie brachte ein
Trinkgelage für den durstigen Rath und ein paar Tonnen Bier
für die Ansteigerer aus der Bürgerschaft. Am 18. Februar folgte
der weitere Befehl, alle Häuser der Stadt zu untersuchen, und
8ämmtliche Einwohner in Kammern nnd Kellern mit Vor- und
Zunamen zu verzeichnen und alle Fremden, die nicht zu Bürgern
auf- und angenommen werden konnten, aus der Stadt auszuweisen.
Auch diese ausserordentliche Maassnahme ging ohne Inanspruch-
nahme des städtischen Weinkellers nicht vor sich. Der Gouver-
neur machte der Stadtregierung viel zu schaffen und seine For-
derungen waren mitunter recht empfindlich für den städtischen
Säckel. Heute erging der Befehl, die 9 Kamine im Pesthanse
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Beiträge zur Geschichte Crefelds uud des Niederrheins. 123
sofort fegen zu lassen, morgen verlangte er, dass der Dreck aus
der ganzen Stadt auf dem Markte zusammengeschafft und dann
vor die Stadtthore hinausgefahren würde. Am 28. Februar erhielt
der Bürgermeister den Befehl, am Rathhause 2 grosse Fenster an-
bringen zu lassen, damit der Rauch und der Staub in der Fleisch-
halle das Fleisch nicht ferner verderben könne. Der Bürgermeister
war naiv und ehrlich genug, in der Stadtrechnung offen zu be-
kennen, dass er bei solchen selbstverständlichen und gemeinnützigen
Massregeln nur dem äusseren Drucke gefolgt sei. Unter den ob-
waltenden Umständen, wo die Pest ihren Einzug in die Stadt ge-
halten, hätte man erwarten dürfen, dass dieser Druck sich auch
auf ein Verbot der Fastnachtsfeier erstreckt hätte. Aber weit ge-
fehlt! Fastnacht wurde flott gefeiert, und den städtischen Mühlen-
knechten und dem Rector der lateinischen Schule nebst seinen
Chorsängern, die eine Comödie aufführten, wurden nach altem
löblichen Brauche 2 Tonnen Bier gespendet. Die Fastenzeit war
herangekommen, und da wurde es wohl auch dem Herrn Bürger-
meister weich ums Herz, und reichlich flössen die Gaben aus der
städtischen Kasse. Eine arme Frau aus Dorsten, welche „das
heilige Werk am Haupte" hatte, empfing 1 / 2 Rthlr., ein armer
Mann, der mit Frau und Kind bei Bergen gestrandet und wunder-
barlicherweise durch Gottes Hand mit dem Leben davon gekommen,
erhielt auf seiner Bettelfahrt 1 Tbaler 3 Stüber, und ein Edelmann,
der eine Zeit lang in türkischer Gefangenschaft gewesen und nun
mit kaiserlichem Fürschreiben im deutschen Reiche brandschatzen
durfte, 2 Thlr. usw. Mitte März stellte der Gouverneur an die
Stadt das Begehren, eine neue Rossmühle zu bauen, da die vor- •
handenen Mühlenwerke die Bedürfnisse nicht mehr zu befriedigen
vermochten. Der Bürgermeister berief die Rathsherren, die sich
nicht wenig überrascht zeigten, aber in Gegenwart des Adjutanten
keinen Einspruch wagten. Man beschloss, mit der Ausführung des
Mühlenbaues sofort zu beginnen und zunächst die nöthigen Bau-
hölzer zu beschaffen. Gleich am nächsten Morgen fuhren 2 Herren
vom Rath mit dem Stadtzimmermann und dem Stadtboten auf
einer Karre nach der Abtei Kamp, in deren Waldung man das
geeignete Bauholz zu finden hoffte. Man hatte sich für die Reise
gut vorgesehen: 7 Kannen Wein mit dem nöthigen Mundvorrath
an Wecken, Käse und Bückingen wurden mitgeführt. Bei den
Verhandlungen im Kloster und dem Kaufabschluss wird ein cr-
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Hermann Keussen sen.
quiekender Labetrunk aus des Klosters Keller nicht gefehlt haben,
so dass die Bemerkung in der Stadtrechnung verständlich wird:
Bei der Rückkehr sind die Soldaten des Kapitäns Börners zu uns
gekommen und haben uns muthwilliger Weise aufgehalten, so dass
wir nicht zeitig genug zur Stadt zurückgekommen sind und ander-
weitig die Nacht haben zubringen müssen. Die Herren waren wohl
von den Soldaten gehänselt worden, weil sie zu tief in die Kanne
geblickt. Wer weiss es? Der guten Stadt kostete dieses Aben-
teuer noch extra 5 Thlr. 2 Stbr. an Fuhrlohn und Trinkgeld. Zum
Glück konnten die zum Bau der Mühle benöthigten Unkelsteine
aus den Trümmern eines kürzlich zusammengebrochenen Festungs-
thurmes gegen massigen Entgelt beschafft werden. Der sog. Wein-
kauf wurde dabei mit 7 l / 2 ^ ass berichtigt. Von Ende März ab
begann der Bau der neuen Mühle. Das Holz wurde aus der
Waldung durch Hand- und Spanndienste der Bürgerschaft herbei-
geholt. Die Fuhrleute erhielten wie billig gleichwohl Atzung und
Trank. Der Bürgermeister stellte dafür 68 Mahlzeiten, 8 Quart
Wein und 49 Fahnen Bier in Rechnung. Der Bau der Mühle
wurde erst gegen Ausgang des Sommers fertiggestellt und hatte
der Stadt ganz erhebliche Kosten verursacht. Der Gouverneur
kam gleichwohl mit neuen Forderungen: Er bedurfte zunächst, wie
der Adjutant dem Bürgermeister gegenüber in zarter Weise durch-
blicken Hess, einiger Baarmittel, das kleine Geld sei bei ihm alle
geworden. Bürgermeister und Rath zeigten sich willig, auszu-
helfen, wenn der Gouverneur sich zu dem Gegendienst verstehen
wollte, die burgundischen Kriegs Völker, die in Bälde zu erwarten
standen, draussen in den Baracken und nicht in der Stadt unter-
zubringen. Soweit dies angängig, wurde dem Wunsche zu will-
fahren versprochen. Die Sache kam freilich später anders. Vor
der Hand hatte aber der Gouverneur die Freude, eine Verehrung
von 60 Rthlr. einzustreichen, von denen der Rath 10 aus seiner
eigenen Tasche gegeben hatte. Die Truppen langten bald an, und
3 Wochen lang war es des Bürgermeisters Sorge, für die Billetirung
der Soldaten die Listen zu führen. Selbst am Palmsonntage wurde
ihm die Arbeit nicht erlassen. Der Stadtsecretär und der Rector
der Schule halfen dabei nach besten Kräften, sie stärkten sich
alltäglich, wenn sie zu erlahmen drohten, mit Trank und Speise.
Der Ostertag brachte endlich die erwünschte Ruhe, und mit Be-
hagen konnte der Bürgermeister mit dem Rath und den ständigen
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Beiträge zur Geschichte Crefelds und des Niederrheine. 12f>
Gästen des Rathhauses : dem Schultheissen, dem Pastor, den Kaplänen
und Vikaren, dem Rector und den Chorsängern und dem Stadt-
und Gerichtsboten, im Ganzen 23 Personen, sich zur Tafel setzen.
Der Schultheiss und der Pastor hatten je 8 Mass Wein ins Ge-
lage geschenkt, .und so kamen nur 38 Mass auf Rechnung der
Stadt. Zu diesem Osterschmaus hatten sich auch 2 Mönche aus
Kempen eingefunden, welche den Rath um eine Beisteuer für die
zu erbauende Klosterkirche angingen. Sie hatten die Gelegenheit
günstig gewählt, der Rath war freigebig und spendete 6 Rthlr.
Im Mai gab es verhältnissmässig wenig Arbeit, und es schien
mit dem Frühling die Zeit gekommen zu sein, wo man mit der
guten Hausfrau an den Hausputz denken durfte. So Hess denn
auch der Bürgermeister das Rathhaus, wo den Winter hindurch sich
die Soldaten eingelagert hatten, einer gründlichen Säuberung unter-
ziehen. Die Stadtrechnung erzählt uns in ungeschminkter Weise
und rückhaltlos, dass 10 Büschel Stroh angekauft worden seien»
um mit denselben — — — die Flöhe und das Ungeziefer zu ver-
brennen. Die Putzfrauen, aus den Hospitalsjungfern genommen,
hätten ein besonderes Douceur bekommen. Infolge starker Regen-
güsse war der Wassergraben am Schlosse über seine Ufer getreten
und hatte den Deich und die Schleuse zerstört. Der Gouverneur
verlangte zur sofortigen Wiederherstellung 200 Rthlr. von der Stadt.
Der Bürgermeister verhandelte mit ihm, und schliesslich liess er
sich mit 150 genügen. Am Ptingstsonntage wurde nach altem Her-
kommen geschmaust, diesmal aber in mässigem Umfange, indem
die Mahlzeit pro Kopf nur Va Gulden kostete, und der Durst mit
einer Kanne Weiu gestillt wurde. Auch diesmal hatten die beiden
terminirenden Mönche aus Kempen Antheil am Schmause. Am
14. Juni war der Herr Amtmann eingetroffen, der beim Schultheissen
sein Absteigequartier genommen, weil seine eigene Wohnung auf
dem Schlosse vom Gouverneur besetzt war. Der Bürgermeister
wurde dorthin beschieden, und fürsorglich brachte er einen Ehren-
trank von 12 Mass mit. Nicht ganz so erquicklich wie der Wein
war das, was er hier zu hören bekam. Auf kurfürstlichen Befehl
sollte durch den Rath eine Volksaufnahme stattfinden und dieselbe
dem Schultheissen eingeliefert werden. Der hochmögende Rath faud
sich darüber höchlich beschwert und erhob Gegenvorstellungen.
Das wäre eine Neuerung, die sich mit den Stadtprivilegien nicht
vertrüge. Man beschloss recht vorsichtig zu sein und in der
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Hermann Keussen sen.
Nachbarschaft, etwa in Kempen, sich zu erkundigen, wie es dort
mit der Anordnung gehalten würde. Der Bürgermeister reiste am
nächsten Tage auf der Hufkarre dahin, er kehrte jedoch wenig
getröstet von dort zurück. Nach seiner Zurückkunft am 16. Juni
mus8te er mit dem Rath auf Befehl des Gouverneurs eine General-
visitation in der ganzen Stadt halten. Morgens gab es dabei
einen Anbiss und am Mittage eine Mahlzeit zn 12 Personen, wofür
insgesammt der Stadt 12 Thlr. in Anrechnung gebracht wurden.
Am 3. und 4. August gab's eine Besichtigung der Kanäle und
Wasserläufe, wobei 15 Mass Wein vertrunken wurden. Am
22. August wurde die Besichtigung fortgesetzt, und die Herren vom
Rath nahmen vorsorglich, da der Weg sich weit ausdehnte, einen
grossen Krug voll Wein mit. Unterwegs bot sich Gelegenheit,
einen Frühschoppen mit dem üblichen Anbiss zunehmen, und nach
des Tages Lasten fand man sich mit den Frauen zur Mahlzeit
zusammen. Nach der geringen Höhe der Rechnung zu schliessen
— dieselbe schloss mit 6 Thlrn. und 20 Sttibern ab — muss die
Betheiliguug nicht tibergross gewesen sein, möglicher Weise hatte
auch die Anwesenheit der Damen bescheidenere Leistungen her-
vorgerufen. Am 6. August präsentirte sich der neue Pastor den
Herren vom Rath. Sie tranken ihm in 16 Mass den Willkommen-
gruss zu. Als 4 Tage später der neue Schulmeister aus Köln an-
langte, beschränkte sich der Durst der Herren auf 2 1 / 2 Mass. Auf
ihrer Rückreise vom Landtage hatten die Bürgermeister denselben
in Köln ausfindig gemacht. Am 11. August wurde er in des Bür-
germeisters Behausung examinirt, und die Herren Examinatoren
feuchteten dabei ihre Kehlen mit 6 Quart Wein an. Am nächsten
Tage wurde der Lehrer in Pflicht genommen und ihm dabei ein
Mieth pfennig von 2 Lütticher Thalern gereicht. Die Einführung
selbst fand, da die Ferien vor der Thüre standen, erst einen Mo-
nat später statt. Es fanden sich zu derselben der Rath, die Geist-
lichkeit und der Rector der lateinischen Schule ein. Am Tage
vorher hatten die Herren die Schule visitirt und die Jungen exa-
minirt. Nach altem Brauche konnte das nicht trocken geschehen,
und man war daher gerne der Einladung des ältesten Kaplans
gefolgt und hatte iu dessen Wohnung 8 Kannen Wein holen lassen.
Der Rathskeller spendete natürlich dieselben. Mit dem neuen
Schulmeister haperte es finanziell gewaltig. Die mitleidige Frau
Bürgermeisterin hatte ihm Rock und Mantel ihres verstorbenen
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Beiträge zur Geschichte Crefelds und des Niederrheins. 127
Mannes tiberlassen, und sie berechnete der Statft dafür 16 Thlr.
22 Stüber 4 Deut. Ein neues Bett mit mehreren wollenen Decken
lieferte ihm die Stadt im Gesammtwerthe von 11 Thlr. 28 Stüber.
Das karge Gehalt des Lehrers belief sich auf 70 Thaler. Von
diesem wurden ihm die genannten Auslagen abgezogen, sodass die
Baarraittel vorab sehr beschränkt blieben. Freilich zahlten die
Schüler ihm 4 Stüber Schulgeld im Monat, wenn sie den Besuch
der Schule nicht aussetzten, und das geschah in einem Theile des
Jahres ziemlich allgemein.
Der neue Pastor war immer noch nicht eingetroffen, es fehlte
ihm die Bestätigung des Kamper Abtes, deren er bedurfte, da
dieser Kollator war. Der kriegerischen Verhältnisse wegen weilte
der Abt in Neuss, und alle Erinnerungen, die Stelle wieder zu be-
setzen, blieben fruchtlos. So reisten denn am 18. Oktober die
Bürgermeister nach Xanten, um in der Angelegenheit mit dem
Archidiakon zu verhandeln und den erwählten Kandidaten abzu-
warten. 3 Tage lagen sie hier im Stockfisch still und verzehrten
mit dem Fuhrmann 17 Thaler 6 Stüber. Sie waren aber so glück-
lich, am 21. mit dem Manne ihrer Wahl heimkehren zu können.
Nach kurzer Stärkung reisten sie, den Kaplan Andreas mitführend,
noch am selben Tage nach Neuss, um sich die Zustimmung des
Abtes zu erbitten. Es gelang, dieselbe zu erhalten, und so Hessen
sich die Auslagen von 29 Thlr. 20 Stüber, welche die Reise ver-
ursacht hatte, schon leichter verschmerzen. Ein Minoritenmönch,
der des Pastors Funktionen bisher verseheu hatte, starb merk-
würdiger Weise fast zu demselben Zeitpunkte, wo der neue Seel-
sorger sein Amt antrat. Bei Gelegenheit seiner Beerdigung am
25. November hatte der Kaplan Andreas die Bürgermeister, den
Pastor und die übrige Geistlichkeit als Gäste zu sich ins Haus
geladen. Das konnten die Bürgermeister aber ungelohnt nicht
hinnehmen, sie schickten aus dem städtischen Keiler dem Kaplan
17V 2 Quart Wein ins Haus, die wohl zur Aufrichtung der Betrübten
hingereicht haben mögen.
Im Laufe des Jahres hatte der Bürgermeister noch an man-
cher Festlichkeit theilzunehuien, wenn er sich nicht des Zornes der
Zünfte und Bruderschaften theilhaftig machen wollte. Am 16. Ja-
nuar feierte die Schneiderzunft bei einer Tonne städtischen Bieres
ihr Patronatsfest, die Bruderschaft St. Sebastianus folgte 4 Tage
später, die St. Georgsgilde feierte am 23. April, und am St. Annen-
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Hermann Keusaen aen.
tage waren es die Weberarutsmeister, welche sich an der Tonne
von der Stadt dargereichten Bieres ergötzten. Am 29. September,
wo die SchUtzengilde ihren Patron, den Erzengel Michael feierte,
spendete die Stadt abermals eine Tonne Bier. Am Crispinustage
(25. Oktober) erhielt die Schuhmacherzunft von der Stadt die gleiche
Verehrung. Zuletzt in der Reihe feierten die Schmiede, aber auch
ihnen wurde am 10. Dezember in gleicher Weise die Tonne Bier
verehrt Die Reihe der Festlichkeiten schloss wie billig der Rath
selbst. Am Christabend erhielten der Bürgermeister, die Herren
vom Rath, der Stadtsekretär und der Stadtbote den sogenannten
Opferpfennig aus der Stadtkasse. Der Ausdruck darf aber nicht
dahin gedeutet werden, als ob die genannten Herren ein Opfer
zu bringen hatten, dies brachte vielmehr die stets freigebige Stadt.
Der regierende Bürgermeister erhielt als Christgeschenk 2 Gold-
gulden und 2 Rthlr., die übrigen Herren vom Rathe und der Stadt-
sekretär je 1 Goldgulden und 1 Rthlr.; der Stadtbote musste sich
mit 1 Rthlr. begnügen. Am Weihnachtstage selbst fanden sich
der Rath, der Sehultheiss, der Pastor und die Geistlichkeit uebst
Rector, dein Unterschulmeister, dem Küster und den Chorsängern
und einigen geladenen Gästen zur fröhlichen Christfeier auf der
Rathsstube zusammen. Die Zeche bezahlte natürlich die Stadt;
Sehultheiss und Pastor gaben jedoch je 4 Mass Wein ins Gelage.
Nun kam der Neujahrstag heran, der an den städtischen Säckel
schwere Anforderungen stellte. Zunächst erhielt der Gouverneur
ein Geschenk von 40 Rthlrn., der Major oder Wachtmeister ein
solches von 15 Rthlrn., die 3 Adjutanten empfingen je 6 Rthlr.
Den Trompetern, Trommelschlägern, den Regimentsspielieuten, den
Constablern, den Kommisbäckern, den Nachtwächtern und dem
Wächter auf dem Thurm, allen wurde je nach der Stellung eine
mehr oder minder ansehnliche Gabe zu Theil. Auch die 3
Pförtner an den Stadtthoren blieben nicht unbeschenkt. Gab es
noch eine Veranlassung zu einer besonderen Dankbarkeit, wie am
1. Januar 1633, so gab der Neujahrstag die Gelegenheit, diese zur
klingenden Anerkennung zu bringen. Der Gouverneur hatte auf
Bitten der Stadt dafür gesorgt, dass das kaiserliche Kriegsvolk,
die Pappenheimer, sich einen anderen Rheinübergang als den an-
fänglich bestimmten gewählt hatten. Mau spendete ihm dafür mit
freigebiger Hand 590 Thlr. und seinen 3 Leibknechten ein Geschenk
von 5 Thlr. 27 Stbr.
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Beiträge zur Geschichte Crefelds und des Niederrheins.
129
Das Amts jähr neigte sich seinem Ende entgegen, da hiess es
die Jahresrechnung fein säuberlich und übersichtlich zusammenzu-
stellen und die Belege in strenger Reihenfolge zu ordnen. Mit
letzteren haperte es oft genug, da die Schreibkunst nicht jeder-
manns Sache, mancher Ausgabeposten aber so kitzlicher Natur
war, dass man nicht wohl eine Quittung vom Empfänger verlangen
konnte. In diesem Jahre muss die Rechnung besondere Schwierig-
keiten gemacht haben. Bereits am 9. Januar begann die Arbeit,
der Abschluss wurde, trotzdem die Herren vom Rath von Tag zu
Tag sich zur Klarstellung derselben zusammenfanden, erst am
31. Januar fertiggestellt, sodass die Bürgerraeisterwahl bis zum
1. Februar hinausgeschoben werden musste. Dass übrigens die
Herren mit vollem Ernste bei der Arbeit gesessen, geht aus dem
Umstände zur Genüge hervor, dass sie an einzelnen Tagen nicht
einmal das Mittagsmahl zu Hause eingenommen hatten. Da sie
des Morgens auch auf der Rathsstube die sogenannte Suppe ge-
trunken und auch des Abends dort den Nachtschmaus gehalten,
so könnte man fast auf die Vermuthung kommen, dass sie in den
:* Wochen kaum das Bett gesehen hätten. An einzelnen Tagen
wurde freilich so Erkleckliches aus dem kühlen Rathskeller in die
elastische Schatzkammer des Magens gelordert, dass die geistige
Spannkraft zur Erfassung der Zahlenbegriffe etwas nachgelassen
haben mochte. Aber wie immer, so auch hier: Die alten Deutschen
— auch wenn sie Rathsherren waren — tranken immer noch eins.
Dass am letzten Tage eine Festmahlzeit der Verlesung der end-
lich festgestellten Stadtrechnung folgte, darf nach den vielen auf-
gewandten Mühen nicht auffallen; erklärlich war es vielleicht auch,
dass an diesem Tage von den betheiligten Herren nur 27 Kannen
Wein getrunken wurden; man musste sich für den nächsten Tag
frisch erhalten, wo die Rathszeche nach uraltem Herkommen mit-
zufeiern war. Dass aber trotz alledem 2 Jahre später der Bürger-
meister mit einer Nachrechnung von einigen 20 Posten kam, die
er „in der Eile" tbeils übersehen, theils weil der Geldkurs wäh-
rend seines Amtsjahres ein anderer geworden, zu niedrig berechnet
hatte, zeugt nicht dafür, dass die Herren mit besonderer Sorgfalt
den städtischen Haushalt geführt hatten.
Trotz dieser bedenklichen Umstände war die Wiederwahl
des Bürgermeisters die Losung der Bürgerschaft. Man befürchtete
vielleicht, dass ein neuer Bürgermeister zu grosse Schwierigkeiten
Annaleu dea bist. Verein« LXJII. 9
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Hermann Keussen sen.
in seinem Verhältniss zum Gouverneur finden könnte. Am 4. Februar
rückte" der Kapitän Cleff mit 5 Fähnlein ein und verlangte ein
Unterkommen in Bürgerquartieren, ein Verlangen, dessen Erfüllung
nicht im Bereiche der Möglichkeit lag, da alle übers Mass hinaus
besetzt waren. Eine Vorstellung beim Gouverneur blieb ohne Er-
folg, er verweigerte sogar zweimal dem Bürgermeister die Audienz.
Die Herren vom Rathe blieben den ganzen Tag zusammen und
tiberlegten hin und her. Es blieb kein anderer Ausweg, als wie-
derum das Rathhaus mit Mannschaften zu belegen. Schon im
Laufe des Nachmittags kam der Befehl vom Gouverneur, innerhalb
einer Stunde die 36 eingerückten Offiziere bei den Bürgern unter-
zubringen. Der Bürgermeister erklärte dem Adjutanten, das Ver-
langen wäre nicht ausführbar, und er müsste bitten, davon Abstand
zu nehmen. Die Antwort, die darauf erfolgte, bestand darin, dass
der Gouverneur die gesammte eingerückte Mannschaft mit Gewalt
in die Häuser des Bürgermeisters und dreier Rathsherren mar-
schiren Hess, wo diese nun den grössten Muthwillen trieb, Wein
und Bier und alles Andere forderte. Der Bürgermeister war ganz
rathlos und sass auf dem Rathhause von 4 Uhr ab bis zum hellen
Morgen ohne Kost und Trank und musste Holz, Stroh uud Kerzen
herbeischaffen und war dabei voller Angst, dass sie sein Haus da-
mit anzünden möchten. Morgens um 7 Uhr wurde er endlich mit
dem Rath und den Gemeinsleuten zum Gouverneur befohlen, der
die sofortige Einlogirung sämnitlicher Soldaten verlangte. Kein
Sträuben, keine Gegenvorstellung half, schlimme Drohungen waren
die einzige Antwort. Die Herren gingen zur Rathsstube zurück
und arbeiteten sonder Speise und Trank an der Billetirung. Gegen
2 Uhr langte dann für die 18 Personen, die hier thätig gewesen,
eiu stärkender Imbiss an, den die besorgte Bürgermeisterin ge-
speudet. Am Abend empfingen von dieser noch 8 das Vesperbrot.
Wir wollen dem Berichte des Bürgermeisters unsern Glauben nicht
versagen, wonach die Arbeit bis zum Nachmittage nüchtern und
trocken besorgt worden war, aber desto eifriger muss die Löschung
des Durstes nachträglich vor sich gegangen sein. In der Rechnung
figuriren dafür 33 Mass Wein, angeblich sollen der Adjutant und
einige Offiziere an der Vertilgung des Stoffes nicht unbetheiligt
geblieben sein. Am andern Tage musste man wegen der Billetirung
nochmals zusammentreten, 96 Soldaten hatten nur ein provisorisches
Unterkommen in der Herberge gefunden, wofür die Stadt pro Kopf
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Beiträge zur Geschichte Crefelds und des Niederrheins.
131
«inen Blaumüser zahlen musste. So dauerte die Einlogirung noch
-eine volle Woche, und der Stadtsecretär hatte mit dem Stadtboten
■die Hände so voll Arbeit, dass sie in dieser Zeit Speise und Trank
auf dem Rath hause einnehmen mussten. Am 11. Februar wurden
die Accise und die Stadtwage öffentlich in üblicher Weise ver-
pachtet, am 13. der Bürgerschaft endlich der Scbluss der Stadt-
rechnung des Vorjahres vorgelegt, natürlich jedesmal unter Dar-
reichung des althergebrachten Trunkes. Das Verhältniss zum
■Gubernator trübte sich von Tag zu Tag. Er griff ohne Schonung
in die Verwaltung ein uud verlangte für sein Militär tiberall uner-
trägliche Ausnahmen sowohl hinsichtlich der Befreiung desselben
von den städtischen Accisen, als auch in Bez<ug auf die Benutzung
der städtischen Mühlen. Diese Ansprüche suchte er in einer Zu-
schrift an den Bürgermeister weiter zu begründen. Der Rector
-der lateinischen Schule erhielt als sprachgewandter Mann, der mit
der Feder umzugehen wusste, den Auftrag, die Begründung der
gouverntmientalen Ansprüche zu widerlegen. Als die Replik ohne
Wirkung blieb, wurde ein rechtskundiger Richter aus der Nachbar-
schaft herübergebeten, guten Rath zu ertheilen. Er übernahm es
gegen billigen Entgelt, eine schriftliche Gegenvorstellung auszu-
arbeiten, aber auch sie prallte an dem steinharten Herzen des
Gouverneurs wirkungslos ab. Die Losung blieb: Dulden und lei-
den. Das weit mildere Herz des Bürgermeisters war hingegen
bei jeder Gelegenheit gerührt, und häufig griff er nach dem
städtischen Beutel, um dieses zu bezeugen. Wegberg und Bocholt
liessen Gaben zur Wiederherstellung ihrer Klöster erbitten. Der
Bürgermeister Hess ihnen 3 Thlr. reichen. Zweier guten Leute
Kinder, die in Köln studirten, waren von den Schweden gefangen
und ausgeplündert worden, wer konnte ihnen, wie den übrigen
Studenten der Kölner Hochschule, die mit ähnlichem Vorgeben im
Laufe des Jahres erschienen, den Zehrpfennig verweigern? Im
August baten 2 verdorbene (!) Schulmeister aus dem Paderborn-
schen um eine milde Gabe, zwei Tage später 2 verbrannte t!)
Frauen aus dem Clevischen gleichfalls, uud für alle diese hatte
der mitleidige Bürgermeister eine offene Hand.
Am 29. April rückten 21 Fähnlein Welsche und Wallonen ein.
Ihre Unterbringung war mit unsäglichen Schwierigkeiten verknüpft.
Bis zum 19. Mai hatte man vollauf Arbeit; bis Mitte Juni kamen
noch immer einzelne Fähnlein und Kompagnieu nachgerückt., so
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132
Hermann Keussen seu.
dass die Kosten für Speise und Trank für die Billetschreiber ge-
waltig anschwollen. Unter der Last der Arbeit war der Stadtbote
erkrankt und bald nachher gestorben. Der neue Stadtbote musste
eine Amtskleidung erhalten, die eiuen Aufwand von 34 Thlr. 18
Stbr. nöthig machte. Derselbe erhielt einen Mantel, zu dem 4V 2
Ellen fein couleurtes Tafellaken ä 2»/ 8 Rthlr., 4 Ellen Bau ä 5
Schilling und Va Elle Kannefas erforderlich waren. Ein schwarzer
Dreimaster, der nicht fehlen durfte, kostete 3Va Thlr-
Dass auch in diesem Jahre trotz der gesteigerten Kriegsgefahr
die Feste gefeiert wurden, wie sie kamen, war selbstverständ-
lich, sie waren ja dem alten Herkommen entsprechend und durften
in der Rechnung nicht vermisst werden. Die Quantitäten fallen
allerdings mit Rücksicht auf die Zeitlage etwas dürftiger aus, aber
immerhin hielt sich die Trinklust des Einzelnen in jedem beson-
deren Falle bis zur Höhe von Mass. Dass die Zeitumstände
misslicher und bedenklicher geworden waren, schlicssen wir auch
aus der Massnahme, dass auf Befehl des Gouverneurs auf den
Kirchthurm ein Wächter gesetzt wurde, der die Umgegend sorg-
fältig beobachten und alles Verdächtige sofort melden sollte. Gegen
frei umherlaufende Hunde ging man unbarmherzig vor, und die
Stadt wurde sogar genöthigt, einen eigenen Hundefänger anzu-
stellen. Da heisst es in der Stadtrechnung: Dem Hundeschläger für
das Todtschlagen von 60 Hunden ä 1 Blaumüser, macht 7 Thlr.
7 Stb. 2 Deut, ein Posten, der noch häufig, wenn auch nicht in
gleicher Höhe wiederkehrt. Die Arbeit wurde später dem Kamin-
feger im Nebenamt übertragen. Im Juli rückte endlich ein Theil
der Garnison aus der überfüllten Stadt fort. Die Bürger hatten
unter dem militärischen Druck unendlich viel gelitten. Hatten
doch die Soldaten ihnen sogar die Decken vom Bette gezogen,
so dass die Stadt für die ärmeren beim Deckenkrämer neue kaufen
musste, um sie vor Kälte zu schützen. Je näher die Kriegsgefahr
kam, desto schärfer wurden die Massregeln, die der Gouverneur
ergreifen Hess. Die Ansprüche, welche an die Stadt gestellt wur-
den, vergrößerten sich von Tag zu Tag und wurden fast uner-
schwinglich. Schon im vergangenen Jahre hatte man zum Mtihlen-
bau verschiedentlich Kapitalien aufnehmen müssen, ja im Drange
der Zeit sogar vergessen, ein Vermächtniss eines verstorbenen
Majors dem bestimmten Zwecke zuzuführen. Nachträglich stellte
sich die Verwendung desselben zu städtischen Zwecken heraus.
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Beiträge zur Geschichte Crefelds und des Niederrheins. 133
Der Verbrauch von Stroh, Holz, Kerzen und Steinkohlen für die
auf dem Rath hause einquartirten Soldaten war über die Massen
gross. Die Beschaffung der Materialien wurde mit jedem Tage miss-
Hcher, je näher die ßelageruugsarmee nach der Stadt hin vor-
rückte. Gegen Ende August Hess der Gouverneur durch seinen
Oberstwachtmeister dem Bürgermeister, melden, es sei hohe Zeit,
die Früchte vom Felde zu schaffen, da zu befürchten stände, dass
das Merodische Volk alles verderben würde. Diese Artigkeit
niusste durch Gegendienst aufgewogen werden, und so Hess der
Rath für die Frau des Gouverneurs, die sich beim Gemahl einge-
funden hatte, eine neue Bettstelle machen, leise war auch wieder
vom Adjutanten mit dem Zaunpfahl gewinkt worden. Empfindlicher
als diese kleine Ausgabe war die Forderung einer neuen Tau-
brücke an der Kasselpforte, die der Gouverneur stellte. 350 Thlr.
musste der Rath in Baar erlegen, wohingegen der Gouverneur sich
selbst zu deren Herstellung verstehen wollte. Eine Zeit lang hatte
es den Anschein, als ob die staatischen Truppen ihre Absichten
auf die Stadt aufgegeben, und das war wohl der Zeitpunkt, wo
der Gouverneur seine Frau nachkommen liess. Bald aber trübten
sich die Aussichten wieder, und er sah es deshalb nicht ungern,
<lass die Stadt einen Versuch machte, sich durch den Kurfürsten
von Köln Neutralität bei den Generalstaaten erwirken zu lassen.
Man verständigte sich dahin, eine Deputation zu dem Kurfürsten
zu entsenden, und bestimmte zu derselben deu Schultheiss, den
Bürgermeister und einen Herrn vom Rath. Am 8. September ging
die Reise los. Der Kutschwagen war mit 2 Pferden bespannt, und.
ein Reiter des Gouverneurs gab bis Kaiserswerth das Geleite. In
Mörs wurde zu Mittag gespeist und am Abeud zu Kaiserswerth
Uber den Rhein gesetzt, denn dort war mit dem Amtmann, dessen
Wohlwollen man durch eine Koppel (Kette) Rebhühner zu erringen
glaubte, nähere Rücksprache zu nehmen. Zu Kaiserswerth wurden
Abends und Morgens an Kost und Wein 15 Thlr. verzehrt. Man
sah sich genöthigt, mit 2 Nachen überzusetzen, da die Ponte von
Pappenheims Volk entführt war. Auf dem Brühl vor Neuss wurde
zu Mittag gegessen und dann nach Neuss aufgebrochen. Hier
mussten die Herren bis zum nächsten Tage verbleiben, da sie ge-
warnt worden waren, dass böses Volk angekommen und die Heer-
^trasse unsicher mache. Sie gewannen gleichwohl den Muth, am
nächsten Tage die Reise weiter fortzusetzen. Unbehelligt kamen
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Hermann Keussen scn.
sie nach Dormagen, wo sie das Mittagsmahl einnahmen. An»
Abend erreichten sie zeitig Köln und kehrten im bunten Ochsen
ein. Am 11. kamen sie an das Ziel ihrer Reise, nach Bonn, wo
sie in der Herberge „zum grünen Wald" ein Unterkommen fanden.
Hier blieben sie bis zum 13., an weichem Tage sie Audienz beim
Kurfürsten erhielten. Sie hinterliessen beim Prokurator ihre Sup-
plikation und verehrten ihm für deren prompte Besorgung 1 Rthlr.
Dem Feldscherer, der dem Bürgermeister das böse Bein verbunden,,
zahlten sie gleichfalls 1 Rthlr. Nachmittags um 2 Uhr brachen
sie wieder auf und gelangten am Abend nach Köln zurück, wo
sie übernachteten und für Verzehr und Nachtlager, Trinkgeld ein-
geschlossen, 11 Thlr. 13 Stbr. auslegten. Am andern Tage ging
es über Gnadenthal und Neuss nach der Fegetäsch bei Uerdingen.
Hier wurden sie am Abend von staatischen Soldaten angehalten,
und sie mussten sich mit 2 Thlr. 28 Stbr. loskaufen. Die Nacht
verbrachten sie in Uerdingen. Ein Trommelschläger gab ihnen
dann weiter das Geleit über Mörs bis in ihre Heimath. Der Stadt
entstanden aus dieser Reise mehr als 100 Thlr. an Unkosten, von
dem Gulden Diäten abgesehen, welche die Herren vom Rath für
sich alltäglich noch berechneten. Am Abend trafen die Reisen-
den die übrigen Rathsmitglieder in tiefer Berathung über neue
Einquartirung. Eiue Freudenmahlzeit wurde veranstaltet, und von
den 9 Tbeilnehmern dabei 137a Kannen Wein getrunken. Die-
nächsten Tage vergingen wieder mit der Einquartirungsfrage. Am
20. September wurde von sämmtlichen Rathsherren und den 4 Ge-
meinsmännern eine Generalvisitation abgehalten, um zu ermitteln^
wie der Bürgerschaft etlichermassen Erleichterung verschafft wer-
den könne. Vom Erfolg steht nichts verzeichnet, wohl aber die
Mittagsmahlzeit, die sich die Herren mit dem obligaten Wein wohl
schmecken Hessen. Im Oktober wurde eine Besichtigung der Ka-
näle vorgenommen, deren Reinigung für dringend nothwendig be-
funden wurde, wenn die Wassermühle nicht nächstens versagen»
sollte. Am 19. Oktober war grosser Aufruhr und Tumult entstan-
den, als einem Soldaten der Rock aus dem Quartier gestohlen
worden war. Der Kriegskommissar, der vermittelnd dazwischen-
trat, erhielt aus Dankbarkeit 4 Quart Wein verehrt, während dem
Soldaten als Ersatz für den Rock 1 Thlr. 29 Stbr. gereicht wur-
den. Am 16. November reisten die Bürgermeister mit dem Schult-
heissen nach Kempen, weil sie vernommen hatten, dass der Prinz.
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Beiträge zur Geschichte Crefelds und des Niederrheins. 135
von Oranien dorten beim Kurfürsten als Gast auf dem Schlosse
verweile. Sie hofften die Neutralitätsfrage weiter in Fluss bringen
zu können. Aber sie waren nicht wenig enttäuscht, als sie hier
das Nest bereits wieder leer fanden. Beide Prinzen von Oranien,
die vom Kurfürstengar köstlich bewirthet worden waren, hatten ihre
Reise nach Vcnlo am Tage vorher fortgesetzt. Die Deputirten
kehrten in trauriger Stimmung nach Hause zurück, und der Un-
muth erreichte den höchsten Grad, als sie bei ihrer Rückkunft um
6 Uhr Abends bereits die Stadtthore verschlossen fanden. Sie
mussten in der bitteren Kälte zurück und auf Haus Eil in der
Heide einen Unterschlupf suchen. Einen etwas drolligeren Verlauf
hatte eine andere Reise, welche im Jahre 1634 die Bürgermeister
•nach Wesel unternommen hatten. Während sie hier ihren Ge-
schäften nachgingen, wurde frischer Kabeljau auf der Strasse zum
Verkaufe angeboten. Hm, denkt der eine Bürgermeister, wäre das
nicht etwas für die Herren Gubernator und Wachtmeister? Wer
weiss, wir gewinnen durch eine solche Verehrung uns deren Gunst !
Und der zweite nickt Beifall, und flugs werden die beiden grössten
Bolche im Gewichte von 37 Pfund angekauft und ins Gefähr ge-
schleppt. Die Ueberfahrt über den Rhein war in Folge des starken
Eisganges äusserst erschwert, und so gelangten die Herren erst in
der Dunkelheit zur Stadt zurück. Aber vergeblich bitten sie am
Stadtthore um Einlass, sie lassen beim Gouverneur die Bitte er-
neuern, alles Flehen ist vergeblich, und nach 3 stündigem Warten
in der bittersten Kälte müssen sie sich anderweit im nächsten
Dorfe nach einer Nachtherberge umschauen. Aber da auf hartem
Lager gebettet, brüten sie Rache. „Derweil aber — heisst es in
der Stadtrechnung — der Gubernator und der Wachtmeister den
Bürgermeister mit seiner Gesellschaft nicht einlassen wollten, da
der grosse Eisgang verhindert, dass sie bei gebührender Zeit wieder
eintreffen konnten, so haben sie des beschehenen Schimpfes halber
von den Bolchen nichts erhalten, sondern es sind dieselben unter
die sämmtlichen Herren vertheilt worden", denen sie jedenfalls
nun doppelt wohl gemundet, nachdem sie so ihrer Ehre genug ge-
than hatten. Die Rechnung verschweigt aber auch den Umstand
nicht, dass die Stadt die Kosten des Racheaktes getragen hat.
Aus dem Jahre 1631 haben wir noch ein Reiseerlebniss nachzu-
tragen, das von weniger angenehmen Erfolgen begleitet war. Der
Bürgermeister kehrte in Begleitung eines Rathsverwandten vom
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136 Hermann Keussensen.
Landtage zurück. Sie hatten sich nach einem guten Frühstück in
Düsseldorf aufs Schiff begeben, um rheinabwärts zur Heimath zurück-
zukehren. Hei hellem Sonnenschein wurde die Fahrt wohlgemuth
zurückgelegt, als sie plötzlich in der Nähe des Duisburger Waldes
von staatischen Soldaten angerufen und angehalten und dann aus-
geplündert wurden. Sie wären weiter mit fortgeschleppt worden,
wenn sich der Schiffsknecht ihrer nicht tapfer angenommen und
mit dem Schiffe rasch vom Ufer gestossen wäre. Sie kamen den
Abend noch glücklich an die Ruhr und gelangten am andern Tage
Uber Orsoy mit heiler Haut nach Hause zurück. Dem Schiffer
hatten sie aus Dankbarkeit 1 Thlr. 15 Stbr. verehrt. Aus einer
über diesen Vorfall eingereichten Schadenrechnung erfahren wir, dass
der Bürgermeister, als das Schiff vom Lande aus bedroht wurde,*
vorerst 2 Rthlr. und Va Königsthaler als Trinkgeld ans Land ge-
schickt hatte. Damit waren aber die Streufer nicht zufrieden ge-
wesen, sie hatten sich des Schiffes bemächtigt und nun dem Bür-
germeister, den Geldbeutel mit dem Baarbestand von 5 Thlr. 27
Stbr. genommen und ausserdem ihm aus seiner Bagage 1 Hemd,
2 Kragen, 2 Schlafmützen mit Kanten werk, 2 Taschentücher, ein
Paar neue leinene Hosen und 1 Paar neue Socken geraubt Der
Gesammtverlust war auf 26 Thlr. 20 Stbr. der Stadt verrechnet
worden. Im April des Jahres 1633 erlitt ein Rathsherr das gleiche
Missgeschick. Er wurde von schwedischen Soldaten in der Nähe
der Stadt gefangen und fortgeschleppt. Wenige Tage später mel-
dete der Schultheiss dem Bürgermeister, dass jene Soldaten wieder
vor der Stadt im Busche lägen, und jetzt vielleicht Gelegenheit sei,
sie zu Uberraschen und aufzuheben. Der Bürgermeister bot in
aller Eile 80 bewaffnete Bürger auf und hiess sie eine Streifpartie
nach jenem Wäldchen unternehmen. Ob sie von Erfolg gewesen,
verschweigt die Stadtrechnung, wohl aber meldet sie, dass bei
dieser Gelegenheit die Herren mit etlichen Bürgern einen Anbiss
gethan und dabei 4 Quart Wein getrunken. Des Abends seien
gleichfalls etliche wiedergekommen, hätten Mahlzeit gehalten und
3 Quart Wein getrunken. Des Rathsherrn Gefangenschaft ist
jedenfalls von keiner langen Dauer gewesen, denu bald erschien
er wieder im Rathe. Das Opfergeld floss am Weihnachtsabend in
alter Weise, nur hatte man durch den Tod eines der Rathsherren
einen Ausfall; man war aber mit Rücksicht auf die eigene Zukunft
so vorsichtig, der Wittwe das Opfergeld zuzuweisen. Am Weih-
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Beiträge zur Geschichte Crefelds und des Niederrheins. 137
nachtsfeste, wo die Rathszeche wie hergebracht abgehalten wurde,
fanden sich auch wieder 2 Mönche aus Kempen als Gäste ein.
Sie waren mit dem Kaplan in der Stadt umhergegangen und
hatten für den Neubau ihrer Kirche eine Kollekte gehalten. Der
Bürgermeister hatte auch diesmal den Beutel geöffnet und ihnen
4 Rthlr. gereicht.
Die üblen Erfahrungen des Vorjahres hatten zur Vorsicht ge-
mahnt, und so fing der Stadtsekretär bereits am 22. Dezember an,
die Stadtrechnung vorzubereiten. Am 18. Januar war sie so weit
vorgerückt, dass die Herren vom Rath zusammentreten konnten,
um sie einzustellen. Zu 12 Personen speiste man dabei zu Mittag
und vertrank 15 Kannen Wein. Aber es stellte sich heraus, dass
noch manche Lücken in der Rechnung waren, und so musste man
am 19. und 21. abermals zu 13 bezw. 14 Personen sein Mittags-
brot auf der Rathsstube einnehmen und dabei mit der Fertiir-
CT'
Stellung der Rechnung fortfahren. Aus demselben Grunde kam
man auch am 27. und 28. zusammen. Am 29. war die Sache dann
endlich so weit gediehen, dass vor der Btirgermeisterwahl die
Rechnung offen gelegt werden konnte. Die Einstellung derselben
hatte also 1 Monat und 1 Woche gedauert, und an Kost und
Trank waren darüber aufgewandt worden 141 Thlr. 15 Stüber
2 Deut.
Am 30. Januar fand die Neuwahl des Bürgermeisters statt.
Dieselbe fiel abermals auf den vorjährigen, der darüber in der
Stadtrechnung lamentirte: Ist die Kur wiederum auf mich gefallen,
wiewohl ich lange Zeit zuvor die Gemeinsleute und Vornehmsten
von der Gemeinde oftmals gebeten, auch auf dem Rathhause, als
die Stadtrechnung gethan wurde und vor der ganzen Gemeinde,
sie sollten wegen meiner Unvermögenheit und Gebrechlichkeit doch
einen andern kiesen, haben gleichwohl mich wiederum erwählet,
welches ich mit schielenden (?) Augen und Bekümmerniss des
Herzens habe annehmen müssen.
Dass der Bürgermeister regierungsmüde war, dürfen wir ihm
schon glauben, denn die Zeiten waren höchst kritisch und schwere
Arbeit in nächster Aussicht. Das hinderte nun zunächst nicht, dass
nach geschehener Kur der Schultheiss mit allen Rathsverwandten
und den Laternenträgern den Bürgermeister nach Hause be-
gleitete, „wo ihnen erstlich der Wein geschenkt und allerhand
Bankett, Wecken und Kreckelinge mit Butter vorgesetzt wurde.
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Hermann Keussen sen.
Darnach wurde der Tisch gedeckt und mit allerhand Speisen be-
kleidet." Der Bürgermeister rechnete der Stadt für Kost und
Trank, die bei dieser Gelegenheit verthan wurden. 22 Thlr. 2 Stbr.
2 Deut.
Nach der Stadtvisitation am folgenden Tage versammelte sich
der gesammte Rath mit seinen Frauen, der Schultheiss mit seiner
Gemahlin nnd die Geistlichkeit zum Rathsessen. Im Ganzen waren
zu demselben 27 Personen erschienen, die 52 Quart Wein ver-
tranken. Einem Rathsherrn, der erkrankt zu Hause zurückge-
blieben, wurde ein gesottenes Huhn und 2 Quart Wein ans Kranken-
bett geschickt, die Wittwe des im Jahre verstorbenen Amtskollegen
erhielt einen Lammbollen und 2 Quart Wein. Die Gesammtaus-
gabe für dieses Essen belief sich auf 39 Thlr. und 27 Stbr. Vom
22. Januar bis zum 1. Februar hatte das Rhein wasser rings alles
überschwemmt und war sogar an mehreren Stellen in die Stadt
gedrungen und hatte den Verkehr mannigfach gehemmt und unter-
brochen. Die Taubrücke an der Lutpforte war abgetrieben wor-
den. Viel Schlamm und Dreck hatte das Rheinwasser in der
Stadt zurückgelassen. Dieser wurde erst gegen Mitte des Monats
auf Befehl des Gouverneurs zusammengefahren und aus der Stadt
weggebracht. Nach der Stadtrechnung hatten die Gasthausweiber
dieses Geschäft besorgt und 49 Karren voll zusammengekehrt. Auf
weiteren Befehl des Gouverneurs wurden alle Wege um die Stadt
herum vom Rath und von den Gemeinsleuten besichtigt, eine mühe-
volle Arbeit, die nicht ohne Mahlzeit und Labetrunk zu Stande
kommen konnte. Das Ergebniss der Untersuchung war kein er-
freuliches, überall mussten die Wege ausgebessert und mit Faschinen
belegt werden. Fast 3 Wochen lang mussten die Rathsherren, in
der Regel von den Gemeinsleuten begleitet, dem Wegebau ihre
besondere Aufmerksamkeit schenken. Am 3. März hatte sie ein
heftiger Regen dabei überrascht, so dass sie ganz durchnässt zum
Rathhause zurückkehrten und an einem grossen Feuer ihre Kleider
trocknen mussten. Die Mittags- und Abendmahlzeit musste unter
solchen Umständen im tiefsten Neglige eingenommen werden.
Kaum war der Gouverneur nach dieser Seite hin zufrieden-
gestellt, so kam er mit neuen Forderungen. Er verlangte von der
Stadt Ersatz der Hausraiethe und Servis und schickte den Auditor
zur Verhandlung. Bei einem Trünke von 12 Quart gelaug es,
dessen Forderungen auf ein bescheidenes Maass herabzumindern.
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Beiträge zur Geschichte Crefelds und des Niederrheins.
139
Dem Kapitän Laport, der zum Wachtmeister aufgerückt war, ver-
ehrte man 10 Rthlr. und einen neuen Hut, „damit er der Stadt
und der Bevölkerung desto besser bedienstig sein möchte." Auf
Befehl des Gouverneurs wurde am 4. April vom Rath und von
den Gemeinsleuten eine allgemeine Besichtigung der Bürgerhäuser
vorgenommen und zwar diesmal in Gegenwart des Gouverneurs
und der Quartiermeister. Dass demselben auf diesem Gange der
Tageszeit entsprechend der Morgentrunk und die Mittags- und
Abendmahlzeit gereicht werden musste, ist selbstverständlich. Der
Stadt wurden dafür 14 Thlr. 13 Stbr. angesetzt.
Die Ansprüche des Gouverneurs waren damit noch lange
nicht befriedigt. Die angewandte Schmiere bei Wacht- und
Quartiermeister verfehlte die erhoffte Wirkung, die dem zum Wacht-
meister aufgerückten Kapitän Saly dargebrachte Verehrung Von
10 Rthlr. gleichfalls. Auch der Osterweck, der dem Gouverneur
1V 2J dem Wachtmeister 1 Malter und dem Adjutanten 3 Fass
Weizen einbrachte, vermochte ebenso wenig, wie die dem Auditeur
Odenhoven auf Befehl des Gouverneurs verehrten 15 Rthlr. eine mildere
Stimmung hervorzurufen. Am 28. April trat der Gouverneur mit
einer langen Reihe von neuen Forderungen an die Stadt heran.
Er verlangte eine gründliche Reparatur der Brücken, Pforten und
Wege, die Zahlung von Servisgeldern an die höheren Offiziere, die
Einlogirung der Soldaten aus den Baracken, die Befreiung der-
selben von den städtischen Accisen und wer weiss, was noch
weiter. In 12 Artikeln waren die Forderungen zusammengestellt.
Das war stark, und man bezeigte wenig Lust, auf dieselben ein-
zugehen. Der rechtskundige Richter aus der Nachbarschaft Büchsen-
schmidt erhielt den Auftrag, die 12 Artikel in Bezug auf ihre Be-
rechtigung zu beleuchten und zu beantworten. Ihn) wurden wegen
gehabter grosser Mühe und wegen des Schreibens der Antwort
2 Thlr. 10 Stbr. verehrt. Da der Stadtsecretär erkrankt darnieder-
lag, musste der Rector der lateinischen Schule denselben vertreten
und die Privilegien der Stadt und die vom Erzherzog Albrecht
(dem verstorbenen Statthalter der spanischen Niederlande) ver-
liehene Gerechtigkeit und alle gegen den Gouverneur sprechenden
Ordinantien säuberlich abschreiben. Drei Tage musste er auf
diese Arbeit bei städtischer Kost verwenden, während die discipuli
sich anderweitig vergnügten. Unterdessen mahnte der Gouverneur
bereits, und 2 Tage später schickte er schon seine Oberoffiziere
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Hermann Keuesen sen.
■zum Bürgermeister und verlangte, dass sofort alle Gräben und
Einfriedigungen, welche sich um die Ländereien und au den Wegen
hinzogen, geschlichtet werden sollten. Diesmal versagte der be-
schwichtigende Trunk, den man ihnen reichte. Sämmtliche Herren
vom Rath mussten mit der ganzen Börgerschaft am 6. Mai aus-
rücken, um die gefährliche Aufgabe auszuführen, denn jeden
Augenblick drohte das Hochwasser weiter vorzudringen und die
Arbeiter zu Uberraschen. Zum Glück hielt diese Gefahr eine
andere, nämlich das Vordringen der Belagerungsarmee, die bereits
in unmittelbarster Nähe der Stadt ihr Lager aufgeschlagen hatte,
noch einige Tage zurück. Der Bürgermeister sandte inzwischen,
weil er wohl ahnte, dass die Stadt mit ihren Vertheidigungsmitteln
dem Feinde nicht gewachsen war, im Geheimen den Schneider
Andreas, wahrscheinlich einen geriebenen Burschen, an den Kur-
fürsten von Köln mit der dringenden Bitte, beim Prinzen Friedrich
Heinrich von Oranien dahin zu wirken, dass die Stadt im Falle
der Eroberung bei ihren Freiheiten und im Besitze der Kirchen
verbleiben möchte. Am 10. Mai nahm die Belagerung ihren ernsten
Anfang, just nachdem das Fallen des Wassers die Annäherung an
die Stadt ermöglicht hatte. Der Bürgermeister und der Rath
kamen nun nicht ausser Athem. An diesem Tage sassen die Herren
bis zum späten Abend in ernster Berathung. Der Gouverneur gab
ihnen Arbeit in Fülle. Er Hess dem Bürgermeister melden, er
verlange bis zum nächsten Morgen Bescheid, ob man täglich für
das Militär 20 Tonnen Bier liefern wolle oder nicht. Am selben
Abend kam sodann der Befehl, da man der Bürgerschaft nicht
recht traute, dieselbe habe am nächsten Morgen ihre sämmtlichen
Waffen aufs Rathhaus zu liefern. Als man mit der Ausführung
dieses Befehls zögerte, erfolgte die Drohung, man würde bei den
Säumigen rücksichtslos sämmtliche Güter konfisziren. Weiter wurde
sodann die sofortige Lieferung von 2000 Pfund Speck verlangt
und trotz aller Gegenvorstellung auch durchgesetzt. Das einzige,
was der Bürgermeister als Gegenleistung erreichte (denn Geld gab
es nicht), war das Versprechen, dass die Stadt als Ersatz eine
entsprechende Menge Korn erhalten sollte. So hatte denn die
Bürgerschaft den Vollgeschmack des Krieges, an welchen die in
die Stadt entsandten Kugeln der Feinde auch noch so nebenbei
erinnerten. Nach 3 Tagen, am 28. Mai, wurde, trotzdem das ge-
gebene Versprechen noch nicht eingelöst war, vom Gouverneur eine
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Beiträge zur Gescbichte Crefelds und des Niederrheina.
14f
zweite Lieferung Speck von 2000 Pfund verlangt, die in aller Eile
der Garnison zu liefern waren. Bevor indess dieser Befehl zur
Ausführung gelangte, war es dem Prinzen von Oranien durch ein
kurzes, aber wirksames Bombardement gelungen, die Uebergabe
der Stadt zu erzwingen. Am 1. Juni erhielten die Spanier freien
Abzug mit allen kriegerischen Ehren. Einige Kapitäns, Lieutenants
und Fähnriche hielten es für angemessen, sich bei einem Wein-
trunke vom Bürgermeister zu verabschieden, während der (iou-
verneur und die Oberoffiziere diese Höflichkeitspflicht unterliessen ;
das böse Gewissen Hess wohl eine Begegnung mit dem Stadtober-
haupte nicht zu.
Zwei Tage später begab sich der Schultheiss mit etlichen
Herren vom Käthe — der Bürgermeister war in Folge der Ueber-
anstrengnng erkrankt — zu dem Prinzen ins Lager, um sich dessen
Gnade und Schonung für die schuldlose Stadt zu erbitten. Dieser
hatte bereits einen strengen Befehl gegen das Abbrechen der Ba-
racken, das, wie es scheint, von dem hungrigen Gesindel der
Stadt besorgt wurde, erlassen. Er machte den Rath für die Er-
haltung derselben bei Leibesstrafe verantwortlich. Da schien eine
besondere Verehrung für den Prinzen wohl am Platze, um dessen
Zorn zu beschwichtigen. Ein Fass Rheingauer von ungefähr
7y 2 Ohm war beim Weinhändler noch auf Lager. Es wurde zu
dem Preise von 240 Thlr. angekauft und ins Lager geschafft. Da
der Prinz aber im Begriffe stand, ehestens von dort aufzubrechen,
mussten die Fuhrleute den Wein an den Rhein bringen und dort
verladen helfen. So entstanden für die Stadt noch weitere Kosten
in der Höhe von 11 Thlr. 14 Stbr. Die Rathsherren, welche das
Geschenk zum Lager begleiteten, hatten ausser einer Weinprobe
auch einigen Mundvorrath mitgebracht. In der Rechnung finden
sich unter andern Sachen auch 6 Schinken von 48 Pfund ä 1
Schilling und 3 Kalkoensche Hühner (Kalkutta-Hühner) ä 4 Thlr.
Die Weinprobe scheint zur Erdbeerbowle verwandt worden zu
sein, denn der Prinz schickte seinen Hofmeister zur Stadt, um dort
Erdbeeren beim Rath zu bestellen. Dieser benutzte die Zeit des
Einsammelns, um dem Hofmeister ein kleines Bankett im Preise
von 4 Thlr. 10 Stbr. zu verehren. Als die Herren aus dem Lager
in froher Stimmung zurückkehrten, wurde den sie begleitenden
Kapitänen und Wachtmeistern auch noch ein Labetrunk mit einem
linbiss gereicht. Zwei Tage später rückten b* Kompagnien, an
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Hermann Keussen sen.
ihrer Spitze der neue Gouverneur Weinberg und der Kriegskoni -
missar und Artilleriegeneral van dem Boess in die Stadt ein. Auch
deren Gunst und Wohlwollen musste man sich erwerben, und man
versuchte es zunächst durch Bankette und kleine Wein Verehrungen.
So erhielt der Gouverneur bei seiner Ankunft 6 Kannen Wein zum
Willkomragruss dargeboten, welche aber nicht hinreichten, als noch
viele durstige Kapitäne und vornehme Herren hinzukamen und
eine Ergänzung verlangten. Dem Gouverneur sandte man ausser-
dem 7 Malter Hafer ins Haus, dem Wachtmeister 4. Als das bei
den Herren wenig verschlug, musste man sich zu weiteren und
ansehnlicheren Geschenken versteigen. Am 13. Juni empfing der
Gouverneur eine Zulast Rheingauer (A l / 2 Ohm zu je 20 Spezies-
thaler) verehrt. Mit dem Fuhr- und Küferlohn kostete diese Ver-
ehrung der Stadt 184 Thlr. 19 Stbr. Das weckte nun den Appetit
bei den Übrigen vornehmen Offizieren. Am 15. kam der genannte
Kriegskommissar mit anderen Offizieren aus dem Lager und
brachte dem Bürgermeister die wenig erfreuliche Nachricht, dass
ihnen die grosse Glocke vom Kirchthurm zugefallen sei, und sie
seien gekommen, dieselbe aus dem Thurme zu winden und mitzu-
nehmen. Da gab es denn ein grosses Lamento bei der Flasche,
und man erreichte zunächst einen Ausstand. Dieser wurde dazu
benutzt, den Kurfürsten und den Prinzen von Oranien zu be-
schicken und dieselben um die Erwirkung der Neutralität zu bitten.
Nach allen Seiten war man rührig, um die grosse Glocke der Stadt
zu erhalten und die Neutralität zu erlangen. Der Schultheiss ging
mit dem Bürgermeister und dem Kaplan wiederholt über den Rhein,
um sich mit einem Herrn Ketzgen auf Haus Mehrum, dessen Bru-
der als Rittmeister in niederländischen Diensten stand, zu berathen,
dem Anscheine nach eine Persönlichkeit von weittragendem Ein-
flösse. Auf dessen Rath wohl fuhren der Bürgermeister und zwei
Rathsherren in das Lager der Generalstaaten, um hier mit dem
Höchstkommandirenden eine Vereinbarung zu treffen. Unterwegs
begegnete ihnen der Gouverneur, der sich bereit erklärte, mit dem
General wegen der Glocke einen billigen Akkord zu schliessen.
Es gelang ihm in der That, diesen zu bestimmen, gegen „eine
aufrechte Zulast Wein von edler Sorte" auf die Glocke zu ver-
zichten. Die nächste Person nach dem Prinzen müsse aber auch
ein Fässlein erhalten. Die Rathsherren kehrten mit dem raths-
freundlichen Gouverneur, der sogar bei der Auswahl der Weine
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Beitrage zur Geschichte Crefelds und des Niederrheins.
143
seine geübte Zunge zur Verfügung stellte, nach der Stadt zurück.
Die 3 Proben, welche ihm zugestellt wurden, entsprachen seinem
feinen Geschmack nicht, und so sah man sich genöthigt, eiuen
der Rathsherren nach Wesel zu senden, um dort den Einkauf des
edlen Nasses besorgen zu lassen. Unterdessen suchte der andere
Bürgermeister den Prinzen im Lager zu treffen. Er war aber be-
reits abgezogen, und da auch der Artilleriegeneral zur höchsten
Eile mahnte, so begab sich der Bürgermeister nach Wesel, um
den Wein in aller Eile an den Rhein zu bestellen. Bei Drüpping
in Wesel wurde der edle Tropfen gefunden, und zwei Fässer, die
zusammen 6 Ohm und 16 Viertel enthielten, wurden eingekauft
und an den Rhein gesandt. Die Stadt zahlte daftir 286 Thlr.
29 Stbr. Der Bürgermeister kaufte, da sich gerade Gelegen-
heit in Wesel dazu fand, für 3 Schillinge neue Heringe, um bei
seiner Rückkehr dem Gouverneur eine Aufmerksamkeit zu er-
zeigen.
Jetzt konnten allmählich die gewöhnlichen Staatsgeschäfte
wieder aufgenommen und die zahlreichen und grossen Schäden re-
parirt werden, welche das Bombardement den öffentlichen Gebäu-
den zugefügt hatte. Die Brücken und städtischen Gebäude waren
stark mitgenommen worden, so dass die Zimmerleute und Maurer
reiche Beschäftigung während des ganzen Monats Juni fanden.
Obwohl eine gründliche Reparatur nicht vorgenommen werden
konnte — denn dazu fehlten die Mittel und die Zeit — , so muss
ten trotzdem 1215 Thlr. 3 Stbr. den genannten Handwerkern be-
zahlt werden. Aber auch der Dachdeckermeister hatte die Hände
voll Arbeit, um das Dach des Rathhauses, das arg zerschossen
war, wieder in Stand zu setzen. An Kirchen und Schulen gabs
gleichfalls vieles auszubessern. Sofort nach Uebergang der Stadt
an die Niederländer wurde der Kaplan Andreas — nebenbei be-
merkt ein Bürgermeisterssohn — mit einem Rathsherrn nach
Bonn an den kurfürstlichen Hof gesandt, um die Neutralität zu
erwirken und die Erhaltung der grossen Kirche für- die Katho-
liken zu erstreben. Der Bürgermeister hatte ihnen vorsorglich
12 Rthlr. Reisegeld mitgegeben; für die neuntägige Abwesenheit
reichten sie nicht hin. Es mussten den Herren, die ein täg-
liches Salarium von je 20 Stbr. für sich berechneten, noch 57 Thlr.
10 Stbr. nachgezahlt werden. Erreicht hatten sie mit ihrer Reise
leider nichts. Nicht glücklicher war auch der städtische Schweine-
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Hermann Keussen sen.
hirt, welcher gegen Ende des Monats Juni mit einem Sendschieibe»
nach Bonn gesandt wurde. Nicht einmal eine Salvegarde für die
Bürgerschaft war erlangt worden. Die Reise, welche von gleicher
Dauer gewesen war, hatte den einen Vorzug, dass sie ungleich
wohlfeiler gewesen, sie hatte nur 10 Thlr. 11 Stbr. beansprucht
Am 7. Juli wurde nochmals ein Bote in der gleichen Angelegen-
heit in der Person des Scherenschleifers mit einem Fürschreibeu
Ketzgens nach Bonp geschickt. Eine andere Deputation ging kurz
nachher wiederum zum Junker Ketzgen über den Rhein, weil
dieser dem Vernehmen nach vom Kurfürsten näheren Bescheid
erhalten haben sollte. Man kam von hier wie von dort ungetröstet
zurück. Und so beschloss man denn, um endlich zu einem Ziele
zu gelangen, eine Gesandtschaft zu benutzen, welche von Kempen
aus nach Brüssel an den Marquis de Vrytona abgehen sollte. In
mehreren Berathungen wurde der Text des Schreibens festgestellt,
welches die beiden Kempeuer Öbservanteniuöncbe mitnehmen soll-
ten. Man hoffte wenigstens das Gleiche zu erreichen, was man
der Grafschaft Mörs zugestanden hatte, dass die Bürger durch einen
Salvegardebrief geschützt frei und frank gehen und stehen könnten.
Am 20. Juli erschienen die Mönche zur Reise gerüstet. Sie em-
pfingen zunächst Mahlzeit und Trunk und 20 Thlr. baar für ihre
Bemühungen uud ausserdem eingehende Instruktionen. Am Tage
nachher, wo sie die Reise antraten, wurde ihnen nochmals ein
Abschiedstrunk kredenzt. Bei ihrer Rückkehr nach 3 Wochen
wurden sie wieder festlich bewirthet, trotzdem der Zweck der
Reise ein verfehlter war. Man verlor eben auf städtische Kosten
den Humor nicht. Der Gouverneur nutzte unterdess die Situation
zu seinen Gunsten aus. Zunächst Hess er sich allerlei Küchen-
geräthe, Bänke, Wandbretter und dergleichen mehr auf Kosten
der Stadt anfertigen. Seine Wohuung verlegte er in den geräumigen
Kamper Hof, kurz, er machte es sich so behaglich wie möglich
nach dem alten Spruch : „Aus fremdem Leder ist gut Riemen
schneiden." Er verlangte weiter alles das, was zu seinem Haus-
halt gehörte, von der Stadt, oder ein entsprechendes Servis. Wie-
wohl man nun des Glaubens war, dass die Stadt hierzu nicht
verpflichtet, suchte man sich mit dem Gouverneur zu verständigen.
Er erhielt monatlich 30 Rthlr. zugesagt. Wenige Tage später, am
21. August, langten mehrere höhere Rathsherren aus dem Haag an
und kehrten beim Gouverneur ein. Flugs war mau bei der Hand,
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Beiträge zur Geschichte Crefelds und des Niederrhein8.
145
denselben einen Willkommstrnnk anzubieten, um so Gelegenheit
zu finden, über manche Stadtaffairen mit ihnen zu reden. Sie
folgten mit dem Drosten von Mörs der freundlichen Einladung des
Bürgermeisters zu einem Trunk in dessen Haus. Bei dieser Ge-
legenheit wurde die .Kanne 26 mal geleert. An der kritischen
Lage der Stadt änderten solche Freundlichkeiten und Besprechungen
ebenso wenig, wie die Verehrung, welche man in der Gestalt einer
Ohm rheinischen Weines dem Kommandeur Baron von Ketteier bei
Gelegenheit eines Krakehls zwischen vornehmen Bürgern und Sol-
daten für die Beschwichtigung desselben zukommen liess. Die
Pfarrkirche und deren Einkünfte wurden den wenigen Reformirten
zugewiesen, während die Katholiken sich mit einer der Kloster-
kirchen begnügen mussten. Für die Unterhaltung des reformirten
Predigers wurde die Abtei Kamp als Patronatsherrin in Anspruch
genommen. Bald nachher wurde auch die Schule den Katholiken
genommen und ein reform irter Schulmeister angestellt, dessen Be-
soldung die Stadt zu übernehmen hatte. Der arme Rector, der
vielfach mit Schreibereien für die Stadt mitunter ganze Tage be-
schäftigt wurde, musste seine Wohnung dem reformirten Schul-
meister tiberlassen und sich mit einem kleinen Häuschen begnügen,
das Eigenthum der Abtei Kamp war. Ja, in diese engen Räume
musste er sogar noch die ihm unterstellten Schulklassen verlegen.
Kein Wunder, dass derselbe unter solchen Umständen nach der
Stelle des Stadtsecretärs schielte. Gegen alle diese Massnahmen
wehrte sich der Rath, so viel er konnte. Er schickte Deputattonen
mit Bitten und Klagen nach allen Seiten hin. Am 30. August
ging eine solche wiederum nach Bonn, um vor dem Kurfürsten
über die traurigen Verhältnisse Klage zu führen. Volle 20 Tage
blieb sie aus. Die Reise verursachte Kosten in der Höhe von
120 Thlr. 3y 2 Stbr. neben den Diäten von 26 Thlr. 20 Stbr., welche
die beiden Deputirten für sich beanspruchten. Das Einzige, was
man hatte erreichen können, war dies, dass der Gouverneur die
freie Einfuhr von holländischen und fremden Bieren seinen Offi-
zieren und Soldaten untersagte. Eine andere Deputation, bestehend
aus dem Bürgermeister und einem Rathsherrn, erhielt den Auftrag,
direkt im Haag bei den hochmögenden Herren einen Versuch zu
machen, eine schonendere Behandlung zu erlangen. Vor der Ab-
reise, die am 2. September erfolgte, gab der Rath den Abgesandten
einen Valettrunk, bei dem an Speise und Trank 7 Thlr. 21 Stbr.
Annalen de« biet. Vereins LXIII. 10
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Hermann Keussen sen.
verthan wurden. Die Reise dauerte bis zum letzten Oktober und
kostete an Fuhrlohn, Verzehr und sonstigen Unkosten 388 Thlr.
9 Stbr. Ausserdem legte der Bürgermeister an Verehrungen aus:
Erstlich an des Grafen von Culenborgs Rathsherrn und Diener,
des Baron von Schwarzenberg, des Herrn von Sommerdyck und
anderer Herren Diener, um desto besser zur Audienz zu kommen,
20 Thlr., 2) an des kurfürstlichen Agenten von der Vercken Diener
10 Thlr., 3) an den Secretär Huygens 10 Thlr. und an dessen
Kopisten 2 Thlr., als er „das advys von den general Herren
Staaten brachte", 2 Thlr., 4) an Muysch, den Secretär von den Ge-
ueralstaaten, als er den Recess überlieferte, 20 Thlr. und dem Ko-
pisten 4 Thlr. und 5) an des Kurfürsten Agenten von der Vercken,
weilen er vor Dato und noch der Stadt gedienet und beigewohnt,
300 Thlr. Ein lebhafter Depeschen- und Botenverkehr wurde mit
dem Haag unterhalten; zweimal wurde der Stadtbote dorthin mit
Briefen entsandt und 22 Thlr. Reisegeld dafür ausgelegt. Eine
wesentliche Linderung der städtischen Drangsale hatte auch diese
kostspielige Reise nicht zu Wege gebracht. Auf einem Bankett,
das im Hause des Kaplans Andreas aus nicht näher bezeichneter
Veranlassung abgehalten wurde, und zu dem der Abt von Kamp,
der Amtmann und andere vornehme Gäste geladen waren, und des
Bürgermeisters Weinkeller zur Verfügung stand, wurde beschlossen,
weil günstige Nachrichten aus dem Haag nicht eingetroffen waren,
den zweiten Bürgermeister mit einem Rathsherrn abermals an den
Kurfürsten uach Bonn zu entsenden, um ihm die misslichen Ver-
hältnisse der Stadt warm ans Herz legen zu lassen. Dem glück-
lichen Erfolg hat man, nach dein starken Weinkonsum zu schliessen,
etwas zu stark zugetrunken, so dass man sich nicht zu wundern
braucht, „dass zwei schöne Krystallgläser, die man vom Bürger-
meister geliehen hatte", dabei in Trümmer gingen. Am 30. Ok-
tober, als der Rath nach beendigter, auf Befehl des Gouverneurs
veranstalteter Generalvisitation wie gebräuchlich zum Abendschmaus
zu8ammensass, erschien der eine Deputirte aus dem Haag zurück,
und es wurde ihm wie billig ein Willkommen zugetrunken. Der
Bürgermeister selbst kehrte erst am 16. November heim und hatte
noch an Fuhrlohn 36 Thlr. 17 Stbr. zu berechnen. Der Gouver-
neur hatte unterdess, da die Winterzeit nahte, von der Stadt für
die beiden Schanzen das nbthige Licht und hinreichendes Brenn-
material, die Ausbesserung der Cortegarden und anderes fordern
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Beiträge zur Geschichte Crefelds und des Niederrheins. 147
lassen. Abermals gingen Klageschriften nach Wesel und dem
Haag. Das waren trübe Tage für die Herren vom Rath, die nur
zuweilen von lichten Augenblicken unterbrochen wurden. Am
20. November feierte der Statthalter des Amtmannes, der Freiherr
von Pallant auf Haus Eyl, seine Hochzeit. Er hatte den ge-
sammten Rath zu derselben geladen. Ob dieser der Einladung
gefolgt, erfahren wir nicht aus der Rechnung, wohl aber sagt sie
uns, dass dem Herrn Baron ein Fässchen Wein von 23 Töten
ix 11 Quart = 2 1 / 4 Ohm weniger 572 Quart, verehrt wurde. Das
Minus von 5V2 Quart hatte der Küfermeister „mit den Beiwesenden"
vertrunken. Der Stadt wurden für dieses Geschenk rund 82 Thlr.
berechnet, 24 Thlr. hatte der Rath aus der eigenen Tasche zu-
geschossen. Am 6. Dezember liess der Rath dem Amtmann zu
Ehren ein Bankett anrichten. Als Gäste waren der Abt zu Kamp,
der Pastor, der Gouverneur, der Wachtmeister, der Schultheiss usw.,
im Ganzen 16 Personen, geladen. Das Diner kostete pro Kopf
ohne Wein 1 Thlr. An einer Nebentafel vergnügte sich mit einem
zu 15 Stbr. verrechneten Schmaus die Dienerschaft (zwei Diener
des Gouverneurs, einer des Wachtmeisters, zwei des Abtes und die
beiden Stadtboten). Die Festlichkeit zog sich bis Abends 11 Uhr
hin, und es wurde wacker dabei getrunken. Die Rechnung spricht
von 49 Kannen. Am Schlüsse des Rechenpostens, der sich auf
44 Thlr. 15 Stbr. belief, steht die charakteristische Bemerkung:
NB. Der Amtmann ist nicht erschienen, wiewohl das Bankett seinet-
halben angestellt worden ist. Dass man darob stark geweint hat,
haben wir bereits vernommen. Die Rührung des Gouverneurs war
übrigens nicht weit her, denn bald wurden gewaltsam die städtischen
Accisen zu Gunsten der Garnison verpachtet und so die Stadt fast
um alle ihre Einkünfte gebracht. Der Bürgermeister erhielt Auf-
trag, im Namen der Stadt zum Kurfürsten nach Bonn zu reisen,
um ein Fürschreiben an den Prinzen von Oranien, den General-
statthalter und an den Staatsrath auszubringen. Der Wachtmeister
war gefallig genug, vor Tagesanbruch der Deputation die Thore
zu offnen. Ein sanfter Händedruck, von einem Rthlr. begleitet, be-
kundete den Dank des Bürgermeisters. „Weil aber, heisst es in
der Rechnung, der Weg dahin wegen der Kaiserlichen, Hessischen,
Königs- und Statischen Partheien dermassen unfrei gewesen, dass
es unmöglichen ungeschändet durchzukommen, deshalben der Bür-
germeister wegen Leib- und Lebensgefahr zu Neuss wiederum
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Hermann Keussen sen
zurückkehren und alle Supplikationen und Briefe durch einen Ex-
pressboten von Neuss auf Bonn senden müssen, macht deswegen
die Verzehrung und, was sonst Weiteres der Parthei bat geben
müssen, 1246 Thlr. Noch wegen der Reise und in zwei Tagen
erlittener Kälte, auch weil es wegen Glattigkeit so bös fahren, dem
Bürgermeister für Pein und Schmerzen berechnet, 2 Thlr. In Neuss
einen Expressboten genannt Hollander nehmen müssen, um den-
selben mit allen Briefen an ihre kurfürstliche Durchlaucht auf Bonn
zu senden, demselben für die Reise 3 Rthlr. und, weil er allda (>
Tage hat still liegen müssen, 1 Rthlr. = 8 Thlr. gegeben." Und die
Früchte dieser Reise? Sie waren wenigstens vor der Hand nicht
zu verspüren. Gleichwohl wurde nochmals der Versuch gemacht,
in Wesel durch den Dr. von der Knippenburg etwas zu erreichen.
Es war jene verunglückte Reise im Januar 1634, welche den Gou-
verneur um den Kabeljau, die Bürgermeister aber um die Nacht-
ruhe gebracht hatte. Das Jahr war zur Neige gegangen und der
versöhnende Christabend erschienen. Die Herren vom Rath und
die Stadtboten erhielten nach altem guten Brauch ihr Opfergeld.
Am Neujahrstage verfuhr man trotz aller traurigen Erlebnisse
äusserst splendid, indem man dem Gouverneur 100 Thlr. zum Neu-
jahr verehrte, dem Wachtmeister 20, in des Gouverneurs Küche
an Koch, Magd und Küchenjungen 4 und an dessen 4 Diener
gross und klein 8 und den 3 Posten „von dem Herr Printz ge-
neral, Herren Staten und Raden von Staten, die dem ehrbaren
Rat Tafelbücher und Almanache zum neuwen jähr verehrt",
8 Thaler.
Die Gaben an durchziehende Bettler, die in der Ausgabe als
propter deum bezeichnet werden, sind in diesem Jahre begreif-
licher Weise sehr gering ausgefallen, sie erreichen kaum die Höhe
von 38 Thlr. Meistens sind es arme Studenten, welche sich durch-
fechten von Ort zu Ort; in diesem Jahre allein haben deren 37
vorgesprochen, dreien hatten die Schweden die Kleider vom Leibe
gezogen. Dann kamen wieder manche, welche in türkischer Ge-
fangenschaft gewesen sein wollten. Der Frau des armen Sünders,
der im Xantener Feld gerichtet worden war, wurden aus Mitleid
10 Stbr. gereicht usw. Unter der Rubrik von den Ausgaben in
diversis et extraordinariis stehen noch einzelne mittheilenswerthe
Posten: „Am 18. Juni den Rectoren zu verschiedenen reisen (Malen)
brauchen müssen, weil er die Brabantsche Handt schreiben konte,.
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Beitrage zur Geschichte Crefelds und des Niederrheins. 149
-umb zu schreiben ahn Ihre Princeliche ExcelL auch an Ihre Churf.
Durchl. und unseren Procuratoren daselbst, 3 Thlr. 18 3 / 4 Stbr."
Nachdem durch das ganze Jahr viele böse Hunde auf den Strassen
nebeu Ferkeln und andern Beesten todt gelegen, ist der Schorn-
steinfeger dazu gebraucht worden, welcher an Austragen verdient
8 Thlr. 10 Stbr. An Servisgeldern fUr den Gouverneur 584 Thlr.
Für die Aufsicht über die Baracken au den Adjutanten und später
an den Sergeanten gezahlt im Monat 10 bezw. 6 Thlr. Vom 4.
bis 6. Juni hatten Colonel Boudewitz, Graf Heinrich von dem Berg,
-Graf Ernst von Alansfeld, der Graf von Broich nebst Kapitänen,
Lieutenants und Dienern sammt Hafer und Rauhfutter für die Pferde
im Anker verthan 65 Thlr. 9 3 /4 Stbr. Als Graf Wilhelm von Nassau
am 22. Juni mit seinem Hofmeister hier war, verthan 20 Thlr.
27 3 / 4 Stbr. Am 8. Juni hat der Gouverneur mit einem Edelmann
und Dienern und ebenso am 11. August mit Offizieren und Dienern
im Anker verthan 53 Thlr. 19V2 Stbr. An Kerzen waren inner-
halb des Jahres für 582 Thlr. 5 1 /* Stbr. auf städtische Kosten
verbrannt worden. Ein eigenthtimlicher Posten war noch der
folgende : Der Bürgermeisterin tür gelieferte Betttticher und Kissen
30 Thaler.
Es ist selbstredend, dass im gewöhnlichen Haushaltsetat für
solche ausserordentliche und weitgehende Ausgaben, wie sie die
kostspieligen Reisen und Geschenke erforderten, keine Mittel vor-
handen sein konnten. Dieselben mussten durch Anleihen oder
Vorschüsse seitens des regierenden Bürgermeisters herbeigeschafft
werden, vorausgesetzt, dass dieser dazu im Stande war. Beim Ab-
schlüsse des Jahres 1633 fand sich ein bedeutendes Defizit zu
«Gunsten des Bürgermeisters vor. Die Gesammteinnahmen beliefeu
sich trotz einer Anleihe von 1600 Thlr. nur auf 7563 Thlr. 16 l / 4
Stbr., während die Ausgaben die Höhe von 12455 Thlr. 4 3 / 4 Stbr.
-erreichten, so dass 4891 Thlr. 18 1 /* Stbr. die Stadt dem Bürger-
meister verschuldete. Bei der Rechnungslegung erhob sich in der
Bürgerschaft grosser Unwille, und man sträubte sich, die Richtig-
keit derselben anzuerkennen. Eine Nachrevision der Rechnung
«ergab denn auch bald eine Reihe von Verstössen, die der Stadt-
secretär bei Aufstellung derselben theils zum Nachtheil der Stadt,
theils zum Nachtheil des Bürgermeisters begangen hatte. Der
Bürgermeister stellte nun dem entgegen ein Verzeichniss dessen,
was er im Namen der Stadt berechnet und nicht verrechnet „und
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Hermann Keussen eeu.
durch allerhand Drangsale, Widerwärtigkeiten, Belagerung und
Reisen halber vergessentlichen und unwissentlichen Verstössen und
viele Sachen nicht in die Stadtrechnung gebracht, wie er sich
solches eigentlichen vorbehalten zu allen Zeiten zu verbessern und
auch was vergessen einzubringen." Nach diesem Verzeichniss
hatte sich der Bürgermeister zunächst zu seinem Nachtheil um
44 Thlr. 22 Stbr. 3 Ort verrechnet, während er 69 Thlr. 2 1 /* Stbr.
in die Rechnung einzustellen vergessen hatte. Dagegen wurde
ihm nachgerechnet, dass einzelne Posten doppelt angesetzt waren r
bei anderen Verrechnungen stattgefunden, dass überhaupt die
Stadt um 121 Thlr. 12 Stbr. 8 Ort zu kurz gekommen wäre. Die
ganze Differenz belief sich indess nur auf die Kleinigkeit von
7 Thlr. 20 Stbr. 5 Ort. Und darüber waren denn Weitläufigkeiten
und Klatschereien entstanden, die den Bürgermeister nach seiner
mühevollen Regierung nicht wenig empören mussten, und dass er
erzürnt war, merkt man aus dem Anhang, welchen er am Fusse
seines Verzeichnisses anklebt. Da heisst es: Nachdem das Rath-
haus in meinen 3 regierenden Jahren benentlich A° 1631, 1632 r
1633 mehrentheils mit Kriegsvolk belegt, deswegen allda die Raths-
bank nicht besitzen können, bat derhalben mein Haus zum Rath-
und Billethaus gebrauchen müssen, dardurch mir ein Merkliches
entfremdet und abgestohlen worden ist, wie ich mich dessen auch
gegen einen ehrbaren Rath oftmalen beklagt, gebühret mir des-
wegen nicht weniger als anderen Bürgermeistern, die vor gewesen,
besehenen ist, dass mir der dreijährige gethane Brand, Licht und
Bier, auch deswegen aller erlittene Schaden, Unruh und grosse
Mühe soll erstattet werden und nach Billigkeit schadlos gehalten
und rekompensirt, wie solches dem Bürgermeister Barll als Statt-
halter, da der Bürgermeister Bottermann während der Amtszeit
abgestorben, beschehen und wegen 3 Monate Verwaltung und Ge-
brauch seines Hauses 10 Thlr. zugelegt worden ist und so fort für
Brand, Licht und Bier 25 Thlr., wie solches einem ganzen Rath
und Secretär genugsam bewusst und mehr als kundig. Ist diesem
allsolches für eine kleine Zeit beschehen, kann mir deswegen all-
sothane Rekompens und Zulag nach Advenant der Zeit mit nichtea
und von Rechtswegen abgeschlagen werden, meine rechtmässige
Gebühr, wie von uralten Zeiten bräuchlichen gewesen, selbiges zu
enthalten, sondern der dreyen Jahren Gebührnis mir gutzumachen
schuldig und verpflichtet. Weiter heisst es dann: Item im Anfang
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Beiträge zur Geschichte Crefelds und des Niederrheins.
151
von Junio ist meine Scheune voller Stadtziegelstein belegt worden,
derweil die Stadt keinen gewissen Ort gehabt dieselbigen hinzu-
legen, wodurch meine Scheunendiele mehrentheils mit den Steinen
entzwei geworfen und verdorben, dass man darauf ungemacht nicht
hat dreschen können. Darnach A° 1634 im August, da man die
Früchte in selbiger Scheune sollte hinlegen, hat selbiges nicht ge-
schehen können, man musste dann zuerst selbige Stein wiederum
aus der Scheune austragen lassen und in 2 Kellern unter selbiger
Scheune liegend einschleppen und packen lassen, welches durch
Meister Johann den Metzeler und seine Knechte beschehen ist,
demselben solches abzufragen ist. Darnach da selbige Scheune
voller Korns gelegen und der Pütt (Brunnen) auf dem Markt ge-
macht werden sollt, hat man wegen der einliegenden Kornfrtichte
zu den Steinen nicht kommen können, deswegen notzwänglichen
hinter der Scheune an dem hintersten Keller ein Loch durch ein
zugemauertes Kellerfenster brechen müssen, dardurch die bemelten
Ziegelstein, so viel deren zum Putz nöthig gewesen, ausgeführt
worden sind. Nach Herauslegung der Stein ist selbiges Loch un-
zugemacht offen bleiben stehen, wodurch mir grosser Schaden ent-
standen, und deswegen ich bestohien bin worden. Nach geschehener
That hat erst der Bürgermeister solches Loch wieder zumauern
lassen. Der Rest solcher Steine ist im Keller bis A° 1(53(3 ver-
blieben, da der Pulverturm durch das Donnerwetter zersprungen
und selbige Scheune Uber den Haufen geworfen und ganz zer-
schlagen wurde. Derweil dann nun erfindlich, dass beraelte Stein
ins vierte Jahr in selbiger Scheune gelegen, gebührt mir erstlich
Erstattung meines erlittenen Schadens, zum andern gebührliche
Heur (Miethe), so lange selbige Stein in selbiger Scheune ge-
legen haben.
Die Stadt und mit ihr der Rath weigerten sich auch jetzt
noch, die Rechnung und das Guthaben des Bürgermeisters anzu-
erkennen. Während im gewöhnlichen solche Vorschüsse vom Bür-
germeister des nächsten Jahres gleich beglichen und in der folgenden
Rechnung als erster Ausgabeposten verzeichnet oder als Anleihe
gebucht wurden, für welche man gebräuchliche Zinsen zahlte,
geschah diesmal weder das eine noch das andere, und der Bür-
germeister musste den langen Weg der Klage beschreiten, da man
sich gütlich nicht einigen konnte. Da wurden so viele Posten be-
kritelt, welche auf Verzehr, Reisen und Verehrungen Bezug hatten,
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Hermann Keussen sen.
dass sich der nächste Bürgermeister daraus die weise Lehre nahm,
sich nicht in die zu weit geöffneten Karten blicken zu lassen. Er
fasste die einzelnen Posten in Bausch und Bogen zusammen und
trug einfach in die Rechnung ein: Durchs ganze Jahr bei viel-
fältigen Beisammenkömmpsten der Herren als auch der Gemeins-
leute über vielfältig gepflogener Kommunikation dieser Stadt Sachen,
Akkord und Gedingen fort vor und nach verthan. Nur der ein-
geweihte Mitsünder war im Stande zu beurtheilen, ob bei dem
rührenden Fleiss der häufigen Zusammenkünfte und den wichtigen
Verhandlungen des Guten zu viel geschehen war oder nicht, für
die übrigen hatte der Posten jetzt einen äusserst nüchternen Ge-
schäftston erhalten. Der poetische Hauch war entflogen. Das-
selbe war in der Folge mit manchem andern Posten der Fall, so
z. B. auch mit dem Wohlthätigkeitsposten. Jetzt lautet es unter
Rubrik: Exposita propter deum (Ausgaben um Gotteswillen) ein-
fach und nüchtern: in Januario 1 Thlr. 22 Stbr. usw. Die armen
Jammervögel, welche die Gaben empfingen, tauchen nicht mehr
vor unseren Blicken auf, sondern nur noch die abgeschabten
und verbogenen Blaumüser und Stüber. Bei den Reisen und Ver-
ehrungen heisst es jetzt immer vorsichtiger Weise: Ex mandato
et ordinatione oder cum consensu senatus oder aus Last eines ehr-
baren Rathes. Unter den aussergewöhnlichen Ausgaben kehren
nun auch nicht einmal die interessanten Posten Uber fortgeschaffte
Bestien, über Rattenpulver u. dergl. wieder, jetzt heisst es unver-
ständlich kühl: Für Diverses, und wir können uns, da die Belege
fehlen, dabei denken, was wir eben wollen. Jammerschade, dass
der Bürgermeister des Jahres 1633 solche Rechenfehler machen
rausste! Im Uebrigen dürfen wir verratheu, dass er lange hat
zappeln müssen, ehe er mit Stadt und Bürgerschaft wieder auf
guten Fuss kam. Es bedurfte da noch der Einwirkung der kur-
fürstlichen Obrigkeit, und auch diese war zaghaft genug, mit voller
Kraft für den armen Bürgermeister einzutreten, weil es so leicht
den Anschein gewinnen konnte, als wollte sie an der Stadt hei-
ligen Privilegien und Freiheiten rütteln. Gleichwohl richtete end-
lich, nachdem wahrscheinlich der Bürgermeister wiederholte Be-
schwerde beim Kurfürsten geführt, der Amtmann Wilhelm Christoph
von Lintzenich ein ernstlich Gesinnen respective Befehl an den
ehrbaren Rath und die Gemeinde der Stadt. Obwohl, hiess es
darin, der Amtmann nicht ungeneigt einen ehrbaren Rath und Ge-
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Beiträge zur Geschichte Crefelds und des Niederrheins. 153
meinde in allem ihrem alten Brauch und Herkommen zu manu-
teniren und sich darwider zu setzen durchaus nicht bedacht sei.
Dieweil dannoch bei Regierung des Bürgermeisters Wilhelmen
Herkenbusch seiner Stadtrechnung halber zwischen dem Rath und
Gemeinde einige Streitigkeiten eingefallen, so leider landkundig
und ungezweifelt nicht ohn merklichem Interesse der Gemeinde zu
befahren, als wolle dem Amtmann im Namen und von wegen
Ihrer Churf. Durchlaucht unsers gnädigsten Herrn mitnichten ge-
bühren alsulches tacite zuzusehen und also vorbeigehen zu lassen.
In Erwägung, der Streit nicht allein in 10, 20, 30 articulen kon-
sistiren, sondern die Stadtrechnung in genere et in omnibus
refutirt, bei der Gemeinde verworfen und im geringsten nicht an-
genommen wird, daraus dann merklich zu schliessen, dass keine
Richtigkeit dabei, sondern ein grosser abusus sei, so billig unaus-
gestellt und an einer oder andern Seiten der Gebühr nach erwiesen
und mit gutem Bescheid abgelehnt werden sollte. Dieweil nun
solches bis anhero noch beim Rath noch bei der Gemeinde be-
sehenen, viel weniger Reden (Gründe) vorgebracht worden seien,
worauf diese Streitigkeit beruhe und nun mehr ein Jahr lang
schier in Bestand kommen, sich auch nicht gebühren wolle, solches
länger zu differiren und auszustellen, so ist im Namen Ihrer kur-
fürstl. Durchlaucht des Amtmanns an ehrbaren Rath und Gemeinde
ernstlich Gesinnen resp. und Befehl, dass selbige ihren schriftlichen
Bericht wegen Streitigkeit der Stadtrechnung aufs förderlichst ihm
zustellen sollen, um sich ferner darnach zu richten. So kam denn
endlich eine Aussöhnung zu Stande. Zum Verständniss des Ganzen
wird die Erinnerung am Platze sein, dass der Posten eines Bürger-
meisters ein unbesoldetes Ehrenamt war. Ausser der Amtskleidung,
die ihm in Form von 6 Ellen Tuch a vier Thaler geliefert wurde,
empfing er noch für gehabte Mühe ein Pauschquantum von 50
Thlr. und ausserdem wie auch die übrigen Rathsmitglieder an
Präsenzgeldern 12 Thlr. Zu Ostern gab es einen Osterweck und
-zu Weihnachten das bereits erwähnte Opfergeld. Unter solchen
Umständen ist die ungenirte Willkür nicht weiter auffällig, mit
welcher Bürgermeister und Rath verfuhren, wenn unter der Last
der städtischen Arbeit der Magen anfing aufzubegehren oder gar
zu knurren. Die Gelüste sind ja auch nicht bei allen die gleichen,
und so mag denn auch an unseren Bürgermeister, zumal ihm
recht schwere Arbeit zugemuthet werden musste, die Versuchung
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Hermann Keussen sen.
öfter herangetreten sein, auf öffentliche Kosten Atzung und Trank
zu nehmen, als es altherkömmlich oder dem uralten Brauch ent-
sprechend war. Da hatte es der Bürgermeister des Vorjahres,
der Statthalter, bei weitem besser. Er empfing die gleiche Ent-
schädigung für Kleidung und gehabte Mühe, hatte aber keine Ver-
antwortlichkeit, wohl aber das Recht der Repräsentation, d. h. er
durfte an den städtischen Gelagen, Nothtrtinken usw. sich bethei-
ligen. Ebenso viel an Gehalt empfing auch der Stadtsecretär, für
seine Kleidung wurde aber nur Tuch zu 2 Thaler die Elle ver-
wandt. Er hatte noch manche Nebeneinnahme; so empfing er für
das Schreiben der Stadtrechuung 6 Thlr., für die Anfertigung der
Schöffenurkunden bei Verkäufen, Verpachtungen usw. flössen die
Gebühren zum grössten Theile in seine Tasche. Der Stadtbote
stand im Gehalt ihm nicht viel nach. Sein Salair betrug 42 Thlr.,
für das Stellen der Uhr auf dem Rathhaus erhielt er 10 Thlr.
Jährlich empfing er für seine Kleidung 6 Ellen Tuch a 1 Thlr.
und ausserdem einen neuen Hut von 2 Thlr. 27 Stbr. Der Rector
der lateinischen Schule hatte ausser dem Schulgeld ein jährliches
Gehalt von 125 Thlr. neben freier Wohnung. Seitens der Kirchen-
kasse wurde ihm noch eine mässige Entschädigung für die Leitung
des Chorgesanges, vorausgesetzt, dass er dazu befähigt war. Die
Müllerknechte auf der städtischen Wassermühle und ebenso der
Unterknecht auf der Windmühle waren ihm im Gehalte Uber, sie
empfingen je 142 Thlr. 12 Stbr., der Oberknecht auf der letzteren
sogar 166 Thlr. Ja, der Karrentreiber, welcher auf der Mühle be-
schäftigt war, hatte neben seinem Gehalte von 142 Thlr. noch 2
Paar Schuhe alljährlich von der Stadt zu fordern. Der reformirte
Schulmeister, der seit dem Einrücken der Holländer in die Sadt
von dieser angestellt und besoldet werden musste, erhielt ein Ge-
halt von 120 Thlr., ausserdem für das Aufziehen und Stellen der
Kirchenuhr 20 Thlr. Sein katholischer Vorgänger, der nur den
Titel eines Unterschulmeisters geführt hatte, hatte sich mit einem
Gehalte von 90 Thlr. begnügen müssen, während die Sportein für
das Besorgen der Kirchenuhr dem Küster zugeflossen waren. Unter
den städtischen Beamten, welche aus dem städtischen Budget ihre
Besoldung empfingen, werden in den Rechnungen 3 Stadtpförtuer
aufgeführt mit 21 bezw. 15 Thlr. Gehalt, der Hornbläser wegen
des Hornblasens mit 7 Thlr., die Weise- oder Wehemutter (Heb-
amme) mit 5 Thlr. Dann erhielt noch der Stadtzimmermann für
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Beiträge zur Geschichte Crefelds und des Niederrheins.
seine Kleidung jährlich 5 Thlr. In Summa betrug die Gesamrat-
ausgabe für die Besoldung der städtischen Beamten 6—700 Thlr.
Zu wundern braucht man sich da nicht, wenn diese anderweitig
auf die Fettweide gingen oder bei jeder dargebotenen Gelegenheit
nach der Kanne mit dem städtischen Wein griffen. Im Jahre 1662,
wo das Salarium des Bürgermeisters auf 130 Thlr. gestiegen war,
erscheinen die Ausgaben für Verzehr viel summarischer in der
Rechnung :
An Weinverzehr 734 Thlr. 27 Stbr. 4 Ort,
An Bier 144 Thlr. 10 Stbr.
Diese einfache Kunst der Verrechnung hatte der alte Bürgermeister
nicht verstanden, und so musste er nun mit seinem grundehrlichen
Durste dafür büssen.
Der Bürgermeister Herkenbusch erlebte bald nach dem
Rücktritte von seinem Amte die Freude, dass die aufgewandten
Reisekosten nach dem Haag nicht ganz ohne Frucht geblieben.
Am 11. Februar 1634 sandte der Gouverneur seinen Diener aufs
Rathhaus mit der fröhlichen Zeitung, dass die Imposten abgeschafft
seien, und dass mithin die Stadt wieder ihre Accisen verganten
und verpachten konnte. Die Einnahmen, welche derselben aus
den Accisen zuflössen, waren sehr beträchtlich, wie dies die fol-
, gende Zusammenstellung ergiebt, welche der Kriegszeit entnommen
ist: Die Wind-, Ross- und Wassermühlen brachten an Pacht auf
2785 Thlr., die Weinaccise 1250 Thlr., die Bieraccise 4900 Thlr.,
die Branntweinaccise 200 Thlr., die Bürger- oder Fettwaarenaccise
535 Thlr., die Fleischaccise 103 Thlr., die städtische Wage 196
Thlr. usw. Man kann sich also denken, wie bitter der Ausfall
eines grossen Theiles dieser Einuahmen empfunden werden musste,
in einer Zeit, wo die Anforderungen an die Stadtkasse ohnehin
alles Mass Uberschritten, und man durfte daher auch wohl mit
Recht von der städtischen Obrigkeit erwarten, dass sie alle Aus-
gaben auf das bescheidenste Maass beschränkte. Der genannte
Bürgermeister hatte diese Hoffnung getäuscht, aber auch er war
getäuscht worden durch Massnahmen des Eroberers, die er nicht
erwartet hatte.
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Hermann Keussen sen.
7.
Ein Bild Rheinbergs aus der Zeit des 30jährigen Krieges.
Kaum die eine oder andere Stadt am Niederrhein dürfte für
<iie innere Stadtgeschichte aus der jammervollen Zeit des 30 jährigen
Krieges ein so reiches Material in ihrem Archive bergen, als Rhein-
berg, und doch ist dieser Ort in keiner Weise von den Drangsalen
und Widerwärtigkeiten dieses Krieges verschont geblieben, er hat
im Gegentheil den Leidenskelch bis zur Hefe leeren müssen. Ein
glücklicher Zufall hat da mitgespielt, dass hier trotz der vielfachen
Belagerung und Eroberung, trotz der Besetzung des Rathhauses
durch Soldaten, die in dessen Räumen sogar ihre Lagerstätte auf
längere Zeit aufgeschlagen hatten, die städtischen Akten, nament-
lich die Rathsprotokolle und Stadtrechnungen, fast unversehrt
erhalten geblieben sind. Sie gewähren uns einen ziemlich klaren
und umfassenden Einblick in die Vorgänge, die sich innerhalb der
Stadt zu jener Zeit abgespielt haben; sie sind die treuen und zu-
verlässigen Zeugen, die uns in so beredter und verständlicher
Sprache verkünden, welche Fülle von Leiden und Mühseligkeiten
eine Stadt von nur massigem Umfange durchzukosten hatte, wenn
Uber sie jener verruchte Krieg unbarmherzig und guadenlos seine
Geissei schwang. Wir wollen an der Hand der Stadtrechnungen
es versuchen, ein wahrheitsgetreues Bild der Zustände Rheinbergs
zu zeichnen, wie sie der Krieg vorfand oder selbst gestaltete. Wir
berichten einfach und schlicht, ohne Schminke und prunkende
Farben, wir befürchten gleichwohl nicht, dass es an grellen Schlag-
lichtern fehlen wird.
Rheinberg galt für den wichtigsten Platz im nördlichen Nie-
derstift, auf dessen Ausrüstung und Erhaltung die Landesbehörde
mit ängstlicher Sorgfalt Bedacht nehmen musste. Und das mit
vollem Rechte! Die Lage der Stadt, die im Osten der Rhein
leicht zugänglich machte, in der Mitte zweier fremden Gebiete,
welche namentlich zu dieser Zeit keine freundlichen Beziehungeft
zu einander hatten, machte eine solche Fürsorge dringend nbthig.
Die Unterhaltung einer starken Besatzung unter einem kriegs-
kundigen Kommandanten war durch die Verhältnisse dringend ge-
boten; Aufgabe der bürgerlichen Gemeinde war es, sich mit dieser
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Beiträge zur Geschichte Crefelds und des Niederrheins.
157
auf gutem Fusse zu halten, wollte sie sieb eine rücksichtsvolle Be-
handlung sichern. Und das war namentlich in der Zeit doppelt
nöthig, von der wir reden, wo die Kriegszucht den wenigsten
Führern gelang, wo die Ansprüche des Soldaten jedes Mass Uber-
stiegen. Aiif die Stadtregierung hatte die militärische Obrigkeit
freilich keine berechtigte Einwirkung, aber wohl konnte letztere
jener das Leben recht sauer und unerträglich machen, wenn sie
die gerade Linie des Rechts und der Gewohnheit rücksichtslos
innehalten wollte. Die Geschicke der Stadt ruhten in den Händen
von schlichten Bürgern, welche sich die Stadtgemeinde selbst setzte.
An reeller Macht gebrach es ihnen durchaus. Das städtische Re-
giment führte der regierende Bürgermeister im Verein mit dem
Rath, den Gemeinsmännern und Schöffen. Letzteren lag unter
Vorsitz des vom Kurfürsten bestellten Schultheissen vornehm-
lich die Rechtspflege ob, wiewohl sie auch in anderen städtischen-
Angelegenheiten, wie z. B. in Betreff der Schule zu Rath gezogen
wurden. Die anderen Gemeindebeamten theilten sich in die Ver-
waltung der übrigen städtischen Angelegenheiten. Alle waren sie
abwechselnd bei der Vereinnahmung der städtischen Accisen thätig.
Die Steuer, deren Höhe und Vertheilung, setzten nach einem Vor-
anschlage die in den Stadtvierteln von den mit Bürgerrecht ver-
sehenen Einwohnern gewählten Gemeinsmänner alljährlich fest.
Sehen wir uns zunächst nach dem Haupte der ganzen Ver-
waltung, dem regierenden Bürgermeister, und dessen Befugnissen
um. Alljährlich am Feste Pauli Bekehrung (am 25. Januar) oder
am Sonntage nachher fand die feierliche Wahl desselben aus der
Zahl der Rathsherren — dieselbe war keine stetige — statt, und
zwar wurde dieselbe von den Bürgern auf folgende Weise gethätigt.
Die stimmberechtigten, in das Bürgerbuch eingetragenen Bürger
versammelten sich, wenn die Rathhausglocke sie zum feierlichen
Akte geladen hatte und die Stadtthore mit dem Schlüsse des
dritten Läutens geschlossen waren, auf dem Rathhause. Der Rath
verfügte sich mit den vier Gemeinsleuten in die Rathsstube, wo
zunächst der abtretende Bürgermeister die schon mehrere Tage
vorher geprüfte Rechnung legte. War dies Geschäft glatt geord-
net, so begaben sich die Vierer in die Bürgerversammlung und
berichteten Uber das Ergebniss derselben, hörten deren Bedenken
und Beschwerden und trugen dieselben nötigenfalls im Rathe vor.
War eine Verständigung erzielt oder die Abstellung etwaiger Aus-
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lf>H
Hermann Keussen sen.
stellangen glücklich erreicht oder zugesagt, so traten die Vierer
zurück und sammelten die Stimmen der Bürger und überbrachten
dem Rathe den Namen des Erkorenen. In der Regel wurde der
regierende Bürgermeister wenigstens zweimal — in den kriegerischen
Zeitläuften auch wohl noch öfter — wiedergewählt, wenn seine
Amtsführung eine tadellose gewesen oder die Billigung der Bür-
gerschaft gefunden hatte. Hierauf wurde der Gewählte in feier-
lichem Zuge, begleitet von Leuchtenträgern, nach seiner Woh-
nung geführt, wo er nun von allen Betheiligten beglückwünscht
wurde. Der Schultheiss nahm ihn in Eid und Pflicht, und es be-
gann hierauf das sogen. Bürgermeisteressen, an dem sich der Rath,
die Schöffen, die Geistlichkeit, der Rector der lateinischen Schule,
der kurfürstliche Schultheiss, der Kellner und der Zöllner, sowie
auch sonstige Freunde betheiligten, und bei dem es oft hoch her-
giug, natürlich auf städtische Kosten. Die Bürgerschaft versammelte
sich gleichfalls in ihren Vierteln und verzehrte dort die 8 Tonnen
Bier, welche der freigebige städtische Säckel spendete. So wurde
im Jahre 1633 Wilhelm Berkenbusch, der in den Jahren 1611 und
1612 als glücklicher Schütze sich die Königswürde errungen und
schon vor 1600 in städtischen Aemtern thätig gewesen war und
von 1613 — 1617 und später noch öfter das Amt eines ersten Bür-
germeisters verwaltet hatte, wiederum zum regierenden Oberhaupte
gewählt. Er sträubte sich, wiewohl vergeblich, die Würde und
Bürde wieder zu übernehmen. Er hatte die Gemeinsmänner
dringend gebeten, von seiner Wiederwahl abzusehen, nochmals
hatte er seiner Unvermögenheit und Gebrechlichkeit halber die
Bürgerschaft angefleht, statt seiner einen anderen zu kiesen. Er
blieb der Erkorene und musste mit thränendem Auge und be-
kümmertem Herzen, gegen seinen Willen, wie er selbst sagt, sich
zur Annahme des Postens in der schweren Zeit, wo sich die Wol-
ken für die Stadt aufs schlimmste verdüsterten, verstehen. Mit
Bezug auf diese Wahl heisst es in der Rechnung vom Jahre 1633:
Nachdem die Kur geschehen, bat der Schultheiss mit allen Raths-
verwandten, wie bräuchlich, mich nach Hause begleitet. Denen
erstlich den Wein geschenkt und allerhand Bankett, Wecken und
Kreckelinge und Butter vorgesetzt, darnach den Tisch gedeckt
und bekleidet mit allerhand Speise. Für Kost und Trank mit den
Leuchtenträgern, wie von Alters her bräuchlich, bei einander ge-
rechnet, beläuft sich auf 22 Thlr. 2 Stüber und 2 Denare. Das
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Beiträge zur Geschichte Crefelds und des Niederrheins.
159
war massig genug, zu anderer, minder bedenklichen Zeit belief
sich die Ausgabe bedeutend höher.
Montags nach der Wahl wurde gleichfalls nach altem Brauche
eine Visitation der Stadtmühlen, Pforten, Brücken u. 8. w. vorge-
nommen, nach deren Beendigung sich der gesamrate Rath mit
seinen Frauen, der Schultheis», die Geistlichkeit mit dem Bürger-
meister zur gemeinsamen Mahlzeit zusammenfanden. In dem gen.
Jahre 1633 waren 27 Personen erschienen. Die Berechnung stellte
sich auf 12 Stüber pro Kopf; getrunken wurde den ganzen Tag,
des Morgens bei der Visitation Branntwein und Bier, des Abends
bei der Mahlzeit, wo auch die Leuchtenträger wieder anwesend
waren — zu welchem Zwecke ist leicht zu errathen — 52 Quart
Wein a 1 Reichsort. Dem erkrankten Rathsherrn Heinrich Classen
wurde ein gesottenes Huhn nebst 2 Quart Wein ins Haus geschickt,
der Wittwe des im Jahre 1632 verstorbenen, um Rheinberg hoch-
verdienten Rathsverwandten Dietrich Lars eine Hammelskeule und
2 Quart Wein. Der Stadt wurden für die Festlichkeit dieses Tages
im Ganzen 39 Thlr. 27 Stbr. verrechnet, eine Summe, die im Ver-
gleich zu anderen Jahren massig genannt werden muss.
So konnte denn nun, nachdem die Inaugurationsfeierlichkeiten
altem Brauche gemäss in löblicher Weise abgethan waren, der
Bürgermeister seines Amtes in voller Würde walten. Noch oft
genug wurde die ernste Arbeit, die im Uebrigen der Hauptsache
nach der Stadtsecretär verrichtete oder wenigstens vorbereitete,
durch heitere Festgelage im Jahre unterbrochen ; sie unterblieben
selbst dann nicht, wenn die städtischen Finanzen stark ins Ge-
dränge kamen. So brachte die nächste Gelegenheit zur fröhlichen
Zusammenkunft Fastnachten. Die vom Adel, der Bürgermeister,
der Rath und die Schöffen erhielten nach altem Herkommen aus
der kurfürstlichen Kellnerei 24 Gulden zu einem Gelage verehrt,
die Stadt schoss noch ein weiteres zu. Da durften denn auch die
Chorsänger, Schulklerken nebst den Knechten der 3 städtischen
Mühlen und den Pförtnern nicht leer ausgehen, und so spendete
der städtische Beutel ihnen freigebig einige Thaler, damit sie bei
ihrer Mummerei sich die Kehle etwas anfeuchten konnten. Zu
Ostern fanden sich der ehrbare Rath, der Schultheiss, der Zöllner
nebst der gesammten Geistlichkeit zu einem Souper zusammen;
die Chorsänger nebst Rector, Organisten, Küster, Stadt- und Ge-
richtsboten fanden, wie billig, nach den Anstrengungen der kirch-
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Hermann Keussen Ben.
liehen Feierlichkeiten sich gleichfalls ein und stärkten sich mit
einem erquickenden Trünke. Schultheiss und Pastor gaben frei-
gebiger Weise je 4 Quart Wein ins Gelage. Damit die Festfreude
allgemein wurde, erhielten der Gouverneur, dessen Major und Ad-
jutant den sogenannten Osterwecken, gewöhnlich nicht ausgebacken»
sondern in Gestalt von iy 2 Malter Weizen, resp. 3 und 2 Fass.
Auch zu Neujahr wurde diesen eine Spende, oft in Baar, mitunter
auch in anderer Form verehrt. So erhielten im Jahre 1608 der
Gouverneur ein Dutzend Krystallgläser und etliche Fische neben
50 Philippsgulden, der Major einen schweren vergoldeten Pokal
und 12 Pbilippsgulden, der Adjutant 1 / 2 Viertel (?) Krystallgläser
und 4 Pbilippsgulden zum Geschenke. Diese Auslage erreichte im
gen. Jahre die Höhe von mehr als 208 Thalern. Nun kam der
erste Mai. Die Müllerknechte, zuweilen auch noch die Soldaten,
fuhren in feierlichem Aufzuge den Maienbaum herum und pflanzten
ihn vor der Thüre des Bürgermeisters auf. Das durfte natürlich
ohne eine anerkennende Spende in Bier oder Wein nicht abgehen;
das städtische Aerar war darauf berechnet, und der Bürgermeister
durfte ohne Bedenken zu dem Zwecke zugreifen. Am Pfingsttage
war nach uraltem Brauche wieder Festversammlung. Die Geist-
lichkeit, der Rath, der Schultheiss, der Rector und die Chorsänger
tafelten gemeinsam mit dem Bürgermeister; die beiden Stadtboten
spielten dabei keine stumme Rolle, sondern halfen redlich mit, die
Feststimmung zu erhöhen. Dasselbe geschah am Weihnachtsfeste
und am Neujahrstage, so dass an den sogenannten 4 Hochzeits-
festen des Herrn wirkliche Hochzeitsfeste für die Herren, welche
das Stadtregiment führten, vorhanden waren. Auer es gab auch
sonst im Laufe des Jahres noch manche Gelegenheit, wo sieb
Bürgermeister und Rath für ihren amtlichen Beruf stärken und zu
neuer Thatkraft erfrischen konnten. Bei jeder amtlichen Zu-
sammenkunft, und galt es auch bloss den Brotpreis festzustellen,
war ein kräftiger Trunk aus der mit dem Stadtwappen gezierten
zinnernen Kanne selbstverständlich, und der Stadtbote versäumte
niemals die Pflicht der Füllung, sobald Bürgermeister und Rath
zur Berathung erschienen (ein Mass pro Kopf). Es ist ganz er-
staunlich, welche Masse von Wein die Stadtobrigkeit in Jahres-
frist zu sich nehmen konnte; zum Glück war der städtische Wein-
keller stets gut gefüllt, so dass er auch schon stärkeren Angriffen
gewachsen war.
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Beiträge zur Geschichte Crefelds und des Niederrheins.
ltfl
Des Bürgermeisters vornehmste Pflicht war neben der Re-
präsentation der Stadt nach aussen hin die Verwaltung der Ein-
nahmen und Verrechnung der Ausgaben. Ein besonderer Stadt-
rentmeister war in der damaligen Zeit noch nicht vorhanden. An
Besoldung empfing der regierende Bürgermeister 50 Thlr. und zur
Beschaffung seiner Amtskleidung, zu der 12 Ellen Tuch im Preise
von 2 Thlrn. noth wendig waren, 24 Thlr. Ausserdem erhielt er
gleich den übrigen Rathsherren sogenannte Präsenzgelder; dieselben
waren in den einzelnen Jahren verschieden, denn es richtete sich
deren Höhe nach der Zahl der in den Sitzungen anwesenden Mit-
glieder. Neben dem Bürgermeister spielte die eigentliche Haupt-
rolle der gewöhnlich rechtskundige Stadtsecretär. An Jahresgehalt
stand er um die Hälfte dem Bürgermeister nach, während er in
Bezug auf die Kleidung demselben gleichgehalten wurde ; später
wurde freilich auch hierfür nur die Hälfte gewährt. Anscheinend
sind diese Remunerationen, eigentliche Gehälter sollten es ja nicht
sein, äusserst knapp und karg, indess ist dabei nicht zu über-
sehen, dass auch daneben nicht unbeträchtliche Nebeneinnahmen
liefen, die nicht zur Verrechnung kamen. Alle Verkäufe, Ver-
pachtungen, Verträge und Gutstibertragungen u. s. w. wurden in
die ScböffenbUcber getragen. Dies und die Ausstellung und Be-
siegelung der Urkunden warfen ihre Sportein ab, die nach der
Zahl der Urkunden aus einzelnen Jahren zu schliessen, nicht un-
erheblich gewesen sein können. Daneben kamen noch kleine Ver-
ehrungen aus den benachbarten Orten, um gute Freundschaft zu
pflegen, u. dgl. mehr.
Ehe wir über die übrigen städtischen Beamten uns ausführ-
licher auslassen, wollen wir den Bürgermeister zu seiner Einnahme-
quelle begleiten. Die reichste Einnahme floss der Stadt aus den
Muhlengefällen; dieselbe stieg in der Zeit von 1600—1633 von
2923 auf 3960 Thlr. Freilich gingen hiervon, auch abgesehen von
den häufigen und mitunter kostspieligen Reparaturen manche
Posten für die Besoldung des Mühlenmeisters und der Müller-
knechte ab; dem kurfürstlichen Kellner musste an Pacht für die
kurfürstliche Mühle jährlich 800 Thlr. gezahlt werden. Reiner
waren die Einnahmen aus der Weinaccise, die während des Krieges,
wo die durstigen Soldatenkehlen für einen reichen Konsum sorg-
ten, beständig stiegen. Während im Jahre 1600 dieselben nur
958 Thlr. 10 Sttiber aufbrachten, lieferte das Jahr 1634 eine Ein-
Annaion des hfst. Verein» LXII1. 11
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162 Hermann Keussen sen.
nähme von 1250 Thlr. Aus den Nachweisen erhellt, dass man
sieh mit dem Rebengewächse des Rheines schon nicht mehr be-
gnügte, auch französische und spanische Weine wurden, wohl in
Folge des Krieges, in nicht unbeträchtlicher Menge hier einge-
führt und versteuert. Weitere Einnahmen ergaben daun noch die
Bürger- oder Fettwaarenaccisen, deren Höhe sehr schwankte; in
dem einen Jahre sanken die Erträge bis auf 150 Thlr., während
sie in einem andern, z. B. 1631, sich bis auf 480 Thlr. hoben.
Eine unsichere Einnahmequelle war die städtische Wage: Im
Jahre 1608 brachte sie nur 35 Thlr., 1613 aber 250 Thlr., während
sie bis zum Jahre 1627 wieder zurücksank auf 58 Thlr., indess
1631 wiederum bis zur Höhe von 235 Thlr. emporstieg. Dahin-
gegen consolidirten sich die Einnahmen, welche die Fleischaccise
brachte: 1611 nur 80 Thlr., 1621 hingegen 193 und 1631 sogar
413 Thlr. Im Jahre 1633, dem Jahre der Belagerung und Er-
oberung der Stadt, vermochte indess der Anpächter Evert Keussen
nicht einmal die geringe Pachtsumme von 120 Thlr. herauszu-
schlagen. Die Branntweinaccise variirte in ihren Einnahmen auch
sehr stark, in dem einen Jahre brachte sie 65 Thlr., während sie
in einem anderen gerade die fünffache Einnahme zu verzeichnen
hatte. Von den städtischen Weiden kamen, je nachdem der Vieh-
stand stärker oder geringer war, 100—380 Thlr. auf. Im Jahre
1633, wo die Benutzung der Weiden in Folge der Belagerung fast
unmöglich war uud viel Vieh theils abgeschlachtet wurde, theils
Krankheiten erlag, sank die ganze Einnahme auf 81 Thlr. 15 Stbr.
An drei Thoren (das Rheinthor war ausgeschlossen) wurde Weg-
geld erhoben, das im Ganzen stark 100 Thlr. jährlich einzubringen
pflegte. Die Metzger zahlten für den Gebrauch der Fleischhalle
anfänglich 4, später 12 Thlr. 15 Stbr., die Schuhmacher für die
Lohbuden auf dem Walle an der Luetpforte nach und nach bis
zu 24 Thlr. Der Eisenzins belief sich verschieden von 14 Tblr.'
15 Stbr. bis zu 37 Thlr. 10 Stbr. im Jahre 1633. Der Krämer-
zins schwankte wieder sehr stark und lässt uus die Einwirkung
des Geschäftsganges sehr deutlich erkennen: 23 Thlr., 128 Thlr.
und 68 Thlr. 16 1 /* Stbr., letzteres im Jahre 1633. Kleinere und
unsichere, weil mehr zufällige Einnahmequellen bildeten die Bür-
gergelder, welche von dem Neubürger bei der Aufnahme in die
Bürgerschaft entrichtet, und ebeuso die Zuuftgelder, welche bei der
Aufnahme neuer Zunftmeister an die Stadt abgeführt werden
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Beiträge zur Geschichte Crefelds und des Niederrheins. 163
mussten. Den höchsten Satz von 2 Goldgulden = 4 Thlr. 20 Stbr.
zahlten die Schuhmachermeister: der bei den .Schneidern und
Schmieden aufgenommene Meister zahlte nur 1V 2 Goldgulden, wah-
rend der Leinewebermeister noch etwas wohlfeiler wegkam. Da-
mit haben wir die 4 Zlinfte oder Aemter genannt, welche im An-
fange des 17. Jahrhunderts in Rheinberg vorhanden waren. Alle
Handwerker, auch die ein ganz anderes Gewerbe ausübten, mnssten
sich darin einordnen. Dass Lohgerber, Sattler und Kürschner
sich mit dem verwandten Schusterhandwerk zusammengaben, ebenso
die Gold-, Silber-, Blech- und Kupferschmiede mit den Eisen-
schmieden, ist schon verständlicb, schwieriger ist es aber, die
Schreiner und Zimmerleute, die Fassbinder und Maurer zunft-
mässig unterzubringen. Wenn man aber bedenkt, dass noch heut-
zutage die Professoren au der Universität Zürich sich in eine der
-dortigen Zünfte eintragen lassen mUssen, so wird auch wohl hier
der Gevatter Schneider liberal genug gewesen sein, dem einen oder
andern Handwerksgenossen, z. B. dem Hutmacher, sein Zunfthaus
zu öffnen. Alljährlich feierten diese Zünfte am Patronstage das
Stiftungsfest, zu dem die Stadt jeder Zunft 1 — 1 l / a Tonne Bier
ins Gelage verehrte. Man mag über die Zünfte und deren Be-
deutung denken, was man will, man mag in mancher Bestimmung
etwas Barockes und Lächerliches finden, sie waren gleichwohl ein
treffliches Bindemittel, das die Bürgerschaft zusammenhielt und
den Bürgersinn weckte und förderte. Ein Gleiches thaten auch
die Gilden und Bruderschaften. Drei davon trugen mehr einen
weltlichen Charakter und dienten dazu, die Waffen- und Schiess-
fertigkeit der Bürger zu fördern, andere dienten rein kirchlichen
Zwecken. Die ersteren waren die St. Sebastianus-, die St. Michaelis-
und drittens die anscheinend vornehmere St. Georgsgilde. Die
beiden erstgenannten hielten gemeinsam ihr Vogelschiessen am
Christi- Himmelfahrtstage ab, während die St. Georgsbruderschaft
in weniger regelmässigen Zwischenräumen dieses gesondert that.
Die Stadt öffnete bei diesen Bürgerfesten, wie billig, ihren Bier-
keller wieder und gab jeder Gilde 1 Tonne Bier ins Gelag; für
die St. Georgs- Bruderschaft fiel indess durchgängig etwas mehr
ab. Im Jahre 1610 schenkte der Bürgermeister Dietricli Lars der
-St. Sebastianus -Bruderschaft eine Silberplatte mit den 3 Gilden-
patronen und dem Rheinberger Stadtwappen.
Die Gesammtheit der städtischen Einnahmen betrug durch-
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Hermann Keussen sen.
schnittlich im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts 5500 Thlr. Nicht
selten war die Einnahme nicht ausreichend, die geforderten Be-
dürfnisse zu befriedigen, namentlich in der Zeit, wo unerwartete
Forderungen an die Stadt gestellt, Contributionen, starke Ein-
quartirungen u. dgl. an dieselbe herantraten. Der Bürgermeister
schloss mitunter mit einem beträchtlichen Defizit seine Rechnung,
und nicht selten musste er eine lange Zeit warten, ehe er seinen
Vorschuss zurückerhielt. Im Jahre 1610 betrug das Defizit 2055,
im Jahre 1611 3159, 1629 3931, 1630 3774, im Jahre 1633 sogar
4891 Thlr. Diese Ausfälle wurden selten bei der nächstjährigen
Steuerverrechnung mit in Anrechnung gebracht, gewöhnlich durch
Kapitalaufnahme gedeckt, die dann nach uud nach in günstigeren
Jahren wieder abgetragen wurde, oft auch Jahrzehnte sich durch
die Rechnungen schleppte, weil die Herleiher mit der pünktlichen
Zinszahlung sich zufrieden gaben. Mitunter wurden, wenn die
Noth drängte oder kein Geld zu beschaffen war. durch besondere
Umlagen, die in den Vierteln durch die Gemeinsmänner vertheilt
und erhoben wurden, die nöthigen Gelder herbeigeschafft.
In den Ausgaben, die stets durch die Hand des Bürger-
meisters gingen oder wenigstens auf dessen Anweisung hin er-
folgten, sind mehrere Rubriken, die besonders unsere Aufmerksam-
keit erregen. Die eine ist mit der Ueberschrift „Verehrungen"
versehen; sie enthält viel Lehrreiches und Interessantes, indem in
diesem Kapitel nur von Ehrengeschenken , Gastmählern und
Spenden, über die der Rath mit dem regierenden Bürgermeister
freie Hand hatte, die Rede ist. Wir hören darin zunächst von
all den hohen Herren und vornehmen Besuchen, die sich zur Zeit
hier einfanden und niemals unbeschenkt von hier fortgingen.
Das erste, was den vornehmen Gästen entgegengebracht wurde,
war der Ehrentrank, der durchgängig, namentlich je nach dem
Ansehen der Persou, sehr reichlich ausfiel. Mitunter fiel neben der
Weinspende auch noch manche kostspielige Verehrung ab. Wir
wollen dazu einige Beispiele geben, wie sie sich gerade darbieten.
So erhielt im Jahre 1609 der Gouverneur, als er den Rath der
Stadt zu des Fähnrichs Hochzeit geladen, 1 Ohm Wein von 38-
Thlr. 13 Stbr. verehrt. Dem hochwürdigen Herrn Koadjutor wurde
im selben Jahre, als er auf Haus Eyll zum Besuche weilte, ein
Fässlein Wein nebst 2 feisten Hämmeln im Werthe von 52 Thlr.
ilbersandt. Im Jahre 1611 wurde dem neuen Gouverneur bei seiner
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1*55
Ankunft zum Willkomm ein Oxbeft französischen Weines und ein
vergoldetes Trinkgeschirr verehrt; es kostete diese Verehrung
der Stadt 118 Thlr. 3 Stbr. Der Koadjutor kam im August dieses
Jahres wieder nach Haus Eyll ; es wurde ihm abermals ein Fäss-
lein Wein zu 41 Thlr. und 7 Malter Hafer zu 24 Thlr. verehrt.
-
Da die Säcke nicht zurückkamen, so wurden dieselben noch mit
7 Thlr. verrechnet. Aus der kurfürstlichen Kellnerei wurden dem
Gaste noch 35 Hühner in die Küche geliefert. Als er bald nach-
her am 24. August auf seiner Reise nach Recklinghausen Jdie Stadt
passirte, wurde ihm und seinen Räthen ein Bankett gegeben, das
sich die Stadt 39 Thlr. kosten liess. Der Weihbischof Theodor
Riphahn, der acht Tage früher einen Altar in der Kirche weihte,
erhielt damals an Wein und Geld 25 Thlr. 27 V 2 Stbr. gutgethan.
In demselben Jahre wanderte eine andere Verehrung in der Ge-
stalt von 51 Schinken nach Brüssel, wahrscheinlich um die dort
anwesenden Rheinberger Rathsherren in ihren diplomatischen Ge-
schäften zu unterstützen. So verging kein Jahr, wo nicht die
städtische Kasse nach dieser Seite hin beträchtliche Auslagen zu
machen hatte. Die vornehmeren Besuche hören namentlich zur
Zeit des dreissigjährigen Krieges gar nicht auf, der eine löste den
andern ab: heute war es der gewaltige spanische Kriegsoberst
Marquis Spinola, morgen der Kurfürst von Brandenburg oder der
Fürst von Neuburg, der sich von der Stadt bewirthen liess. Dann
kam der Oberst de Velasco, der Kardinal Graf Hohenzollern oder
der berühmte und geflirchtete Parteigänger Graf Heinrich von dem
Berg oder der Graf Johann von Nassau oder der Kriegsoberst
de Cordova, der seinen Einzug in Rheinberg hielt Die städtischen
Rechnungen verzeichnen sehr gewissenhaft diese Besuche, von
-denen es sehr zweifelhaft ist, ob sie der Stadt lieb und werth
kamen. Einzelne interessante Notizen aus denselben wollen wir
/hier noch anschliessen. So heisst es in der Rechnung vom Jahre
1621 : Als der Kommandeur Nicolaus de Grandtallier aus dem
"Gouvernement gekommen, hat man für ihn und seine Bagage in
•der Herberge au Wein, Kost und Hafer 25 Thlr. 12 Stbr. zahlen
und für denselben noch auf städtische Rechnung bestellen müssen :
Teller, Schüsseln, Leuchter von Zinn, 59 Pfund schwer a 14 Stbr.,
und ausserdem noch 3 Leuchter für 30 Thlr. 15 Stbr. Ausserdem
Terlangte er ein Tafeltuch und Servietten, wozu die Stadt 357*
Ellen Gebild ä 19 Stbr. anschaffte. Mit Mach- und Waschlohn
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Hermann Keussen sen.
erforderte dies einen Betrag von- 25 Thlr. 24 Stbr. Im Jahre 1G23^
musste für den Kommandanten Caberniel gleichfalls Tisch- und
Bettzeug beschafft werden, was eine Ausgabe von 26 Thlr. 20
Stbr. erheischte. Dem Herrn Gerlingh Ruiss wurde, „damit der-
selbe bei dem Gouverneur möchte bedienstlich und bei den Herren
von der Finanz zu Brüssel beförderlich sein", ein goldener
Pokal von 97 Thlr. und dessen Tochter 3 Thlr. verehrt. Im Mai
1624 wurde dem Kommandeur abermals ein grosses Tafeltuch
nebst 12 Servietten und 4 Handtüchern für 13 Thlr. 3 Stbr. ge-
liefert; im November erhielt er nochmals neben einer neuen
Schüssel 1 Dutzend Servietten zu 8 Thlr. und 2 Tafeltücher zu
4 Thlr. Im Jahre 1627 präsentirt sich wieder eine Lieferung von
15 Ellen Franzpellen für 12 Servietten a 11 Stbr. Im Jahre 1628
liess die Stadt von Köln 6 neue Kannen, „mit welchen der Wein
verehrt wurde", kommen; sie wogen 87 Pfund und kosteten mit
Fracht 54 Thlr. 14 Stbr.
Nicht selten zog man es vor, die Verehrung in baarem Gelde
zu bezeugen. So erhielt im Jahre 1629 der Gouverneur Losano
zum Willkommen 100 alte Rthlr. = 196 Thlr. 20 Stbr., der Audi-
teur und Schreiber 14 alte Rthlr. = 27 Thlr. 16 Stbr., während
der Fourier- Offizier sich mit einem Paar Hosen begnügte. Es
Hessen sich diese Ausgabeposten in endloser Weise vermehren,
aber es genügt wohl, um sich ein kleines zutreffendes Bild von
den unverschämten Forderungen der Kriegsobersten jener Zeit zu
machen. Die Opfer inussten gebracht werden, um wenigstens er-
warten zu dürfen, dass jene nicht beide Augen vor den Ge-
walttätigkeiten und Willkürlichkeiten ihrer Untergebenen ver-
schlossen. Welchen schweren, wenig beneidenswerthen Stand der
Bürgermeister und Rath in diesen kritischen Zeiten einnahmen,
ist leicht zu errathen. Neben ihnen hatte der Stadtsecretär die
Hände voll Arbeit, und es war nicht mehr wie billig, dass man
ihm für seine ausserordentliche Bemühung eine besondere Re-
muneration zuerkannte. Aber auch die übrigen städtischen Be-
amten waren nicht wenig in Anspruch genommen, so der Stadt-
bote, dessen Stellung überhaupt nicht unterschätzt werden darf.
Im Jahre 1609 empfing er als Besoldung nur 9 Thlr., dazu t>
Ellen Tuch a 1 Thlr. für seine Bekleidung und einen Hut zu
1 Thlr. 28 Stbr. Aber nicht lange nachher wurde ihm für seine
vielfältige Mühe eine bleibende Zulage von 33 Thlr. zugebilligt
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Heiträge zur Geschichte Crefelds und des Niederrheins.
167
An den Gastereien hatte er seinen reichen Antheil, und auch sonst
mag noch manches für ihn abgefallen sein. Besoldet oder bekleidet
wurden auch der Stadtzimmermann und die 3 Stadtpförtner; der
am Xantener Thor erhielt, weil er den beschwerlichsten Posten
inne hatte, 6 Thlr. mehr als die übrigen. Auch die Hebamme
oder Wehemutter stand in der städtischeu Rechnung mit 8 kölnischen
Gulden = 8 Thlr. 28 Stbr. angesetzt; leider wurde der Posten in
manchem Jahre gestrichen, weil keine Hebamme vorhanden war.
Aus der Stadtkasse bezahlt wurden, um das gleich hier bei
den Gehaltsausgaben anzureihen, auch der Rector der lateinischen
Schule und der deutsche Schulmeister, was als ein Beweis dafür
gelten mag, dass diese Schulen nicht Kirchen-, sondern Gemeinde-
schulen waren. Im Jahre 1608, wo ein neuer Rector, Herr An-
dreas — vermuthlich der spätere Vikar Ten Bige — angestellt
wurde, erhielt derselbe einen Miethpfennig von 1 Thlr. 27y 2 Stbr.
und an Jahresgehalt 120 Thlr.; der im gleichen Jahre angenommene
Unterschulmeister Petrus empfing den gleichen Miethpfennig, aber
nur die Hälfte jenes Gehaltes. Die Stadt verstand sich auch dazu,
dem Rector Andreas, der aus Essen herüberkam, den Fuhrlohn für
seine Effekten mit 6 Thlr. 28 Stbr. zu bezahlen, wie sich das der-
selbe wohlweislich ausbedangen hatte. Sehr lange haben die
Lehrer hier selten ausgehalten; meistens zogen sie nach kurzer
Zeit wieder ab. Worin das seinen Grund gehabt, lässt sich aus
den Stadtrechnungen nicht mit voller Sicherheit erkennen. Ver-
muthlich hat der Krieg daran seinen unheilvollen Antheil gehabt,
möglicher Weise auch das knappe Gehalt, da dasselbe mehrfach
abgeändert wurde. Namentlich wechselten die Rectoren häufig
ihre Stellung. Im Jahre 1612 wurde ein neuer Rector, Meister
Cornelius, angenommen, dessen Miethpfennig auf 3 Thlr. und das
Gehalt auf 125 Thlr. erhöht wurde. Bei seiner Einführung gab
der Rath einen reichlichen Weintrunk. Der treu ausharrende
Unterschulmeister Peter erfreute sich gleichfalls der Erhöhung
seines Gehaltes um das Doppelte. Im Jahre 1616 erhielt der
Rector Cornelius eine Zulage und zwar für eine neue Kleidung,
die ihm der damalige Bürgermeister Laers im Adler bei der Zeche
in der Weinlaune zugesagt hatte. Die dafür ausgelegte Summe
belief sich genau so hoch, wie diejenige, welche der Stadtbote
alljährlich dafür erhielt. Im darauf folgenden Jahre empfing er
eine weitere wöchentliche Zulage von 10 Stbr. Seit dem August
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Hermann Keussen sen.
des Jahres IG 15 stossen wir auch auf einen französischen Schul-
meister, dem die Stadt freie Wohnung zugesichert hatte. Im Jahre
1621 legte der Schulmeister Peter sein Amt nieder, nicht lange
nachher auch der genannte Rector, so dass beide Stellen vakant
waren. Es gelang aber bereits im Jahre 1622, beide wieder zu
besetzen. Meister Gerhard wurde Rector mit dem alten Jahres-
gehalt von 125 Tblr., während der Unterschulmeister Meister Hein-
rich Bredenbach sich anfänglich mit 70, später mit 90 Thlr. be-
gnügen musste. Dem Rector hatte man nun aber den Organisten -
dienst ohne weitere Entschädigung mit aufgehalst. Lange hat er
nicht ausgehalten, denn bereits im Jahre 1627 fungirte Bartholomäus
Mortiers als Rector ; • sein Gehalt empfing er in vierteljährigen
Raten, später monatlich. Er war verheirathet und wusste sich
wegen seiner vielseitigen Kenntnisse bald unentbehrlich zu machen.
Mit der brabantischen Sprache wohl vertraut, wurde er vielfach
in den . städtischen Angelegenheiten benutzt. Als im Jahre 1633
der Stadtsecretär Johann Wirichs aus Geldern gestorben war,
wusste man in jenem kritischen Zeitpunkte keinen geeigneteren
Nachfolger zu finden, als den gewandten Rector Mortiers. Das
Stadtsecretariat hat er bis zum Jahre 1657 verwaltet. An die
Steile des deutschen Schulmeisters Heinrich Bredenbach, der sich
in jener eines Organisten behaglicher fühlte, wurde ein gewisser
Meister Matthias berufen. Denselben hatten die Bürgermeister Wil-
helm Herckenbusch und Jacob Goff bei ihrer Rückkehr vom Land-
tage in Köln glücklich aufgefunden und engagirt. Am 10. August
1631 kam er in Rheinberg an und wurde mit einem Weintrunk
willkommen geheissen. Am Tage nachher wurde er in des Raths-
herrn Laers Hause examinirt und hierauf der Kontrakt geschlossen.
Er gab sich mit einem Monatsgehalt von 7y 2 Thlr. zufrieden. Mit
seiner Kleidung scheint es nicht sonderlich bestellt gewesen zu
sein, da ihn die Frau Bürgermeisterin gleich bei seinem Amts-
autritte aus der Garderobe ihres Mannes mit einem Mantel und
Rock versah und ihm dafür in seinen Gehaltsbezügen 16 Thlr.
22 Stbr. 2 Deut berechnete. Im Dezember, als es kälter wurde,
kaufte der Bürgermeister neue Decken für ihn, nachdem man bereits
früher eine neue Bettstätte für ihn beschafft hatte. Es wurden
ihm dafür zusammen 11 Thlr. 28 l / 2 Stbr. in Anrechnung gebracht.
Nachdem am 12. September der Rath mit dem Kaplan und den
beiden Vikaren die Schule visitirt uud die Jungen examinirt und
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Beiträge ztir Geschichte Crefelds und des Niederrheins.
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nachher einen kräftigen Schluck bei dem ehemaligen Rector, jetzigen
Vikar Andreas Ten Biege gethan hatte, konnte endlich am Tage
nachher die Einführung des Meisters Matthias vorgenommen wer-
den. Sie geschah durch den Rath im Beisein des Rectors und
der Geistlichkeit. Ein guter Trunk reihte sich natürlich an diese
Festlichkeit. Bei seiner Anstellung kam ein neues Schulreglement
zur Geltung. Meister Matthias wurde aber nicht sesshaft, bereits
im Juli des nächsten Jahres quittirte er seine Stelle, die nun
wieder Bredenbach zugleich mit der Organistenstelle gegen eine
Zulage von 50 Thlr. verwaltete. Bis zum Jahre 1634 verblieb er
in dieser doppelten Stellung mit einem Gehalte, wie es Meister
Matthias bezogen. Das genannte Jahr brachte, da die Stadt sich
in der Gewalt der Niederländer befand, für das städtische Schul-
wesen eine verhängnissvolle Umwälzung. Jene verlangten, wie das
schon im Jahre vorher versucht worden war, die Anstellung eines
reformirten Schulmeisters auf städtische Kosten. Es blieb nichts
anderes übrig, als zu gehorchen und die zweite Lehrerstelle, für
welche ein Gehalt von 100 holländ. Gulden = 120 Thlr. verlangt
wurde, einem Reformirten zu Übertragen. Für die Besorgung des
Uhrwerkes auf der Kirche, die nun gleichfalls in die Hände der
Reformirten überging, mussten weitere 20 Thlr. an den Lehrer
aus dem städtischen Aerar bezahlt werden. Die katholische Schule
fand ein vorläufiges Unterkommen auf dem Kamper Hofe, wofür
der Abtei eine jährliche Miethe von 8 Thlr. zu entrichten war.
Für den katholischen Lehrer findet sich in den nächsten Jahren
keine Gehaltsposition im städtischen Etat verzeichnet. Als ersten
reformirten Schulmeister nennen die Akten den Magister Johann
Langenhoven. Schon früher war in der Zeit von 1601 — 1006, wo
die Generalstaaten Rheinberg besetzt hielten, ein reformirter Lehrer
angestellt worden, zu dessen Besoldung der Rath einen Zuschuss
hatte leisten müssen. Jetzt war die Sache ernstlicher geworden,
indem von Seiten der Generalstaaten gewaltsam das Schulhaus in
Besitz genommen und dem reformirten Lehrer überwiesen wurde.
Dieses lag auf der Marktstrasse und wurde im Jahre 1640, da es
in Folge der Beschiessung der Stadt baufällig geworden war,
einer gründlichen Reparatur unterworfen. In den Akten des Jahres
1633 heisst es: Am 1. September wurde die Stadtschule vom Mi-
litär mit Gewalt aufgeschlagen und in Besitz genommen.
Ueber die kirchlichen Verhältnisse in jener Zeit erfahren
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Hermann Keussen sen.
wir, wie das in der Natur der Sache liegt, aus den Stadtrech-
uungen nur Weniges. Nur da, wo das städtische Regiment seinen
berechtigten Einfluss geltend machte, wird auch ihrer, doch nur
in spärlicher Weise, gedacht. So ergiebt sich aus denselben, dass
auch hier, wie allerwärts am Niederrhein, der Thurm der Kirche
Eigenthum der bürgerlichen Gemeinde war, da dieselbe für dessen
Instandhaltung und für die der Thurmuhr und des Geläutes zu
sorgen hatte. Im Jahre 1008 wurde der Thurm reparirt und die
Anschaffung einer neuen Thurmuhr beschlossen. Einem nicht ge-
nannten Meister von Goch wurde die Anfertigung übertragen.
Leider fehlt die Rechnung vom Jahre 1610, in der die Verrech-
nung derselben enthalten sein muss. Im Jahre 1611 stellte es
sich heraus, dass die Glocken umgehängt werden mussten. Der
beabsichtigte Zweck wurde aber nicht erreicht, und so niusste im
Jahre 1612 auf Kosten der Stadt die mittlere Glocke umgegossen
und im Jahre 1614 zwei neue Glocken, da die alten unbrauchbar
und schadhaft waren, durch den Meister Heinrich Keldermann
aus Köln angefertigt werden. Für die Lieferung einer weiteren
Glocke hatten sich die Bruderschaften anheischig gemacht. Im
Jahre 1627 wurden die Uhren auf dem Kirchthurm und am Rath-
hause einer umfassenden Reparatur unterworfen und mit Schlag-
werk versehen. Die Arbeit wurde einem Mörser Uhrmacher Uber-
tragen, wahrscheinlich weil hier kein qualifizirter vorhanden war.
Die Kosten trug die Stadt. Im Jahre 1612 schlug der Blitz in die
Kirche und verursachte auch am Orgelwerk beträchtlichen Scha-
den. Im Jahre 1622 war ein neuer Pfarrer eingesetzt worden,
der im Jahre 1631 der „abscheulichen Plag", der Pest, erlag.
(Name nicht genannt.) Im selben Jahre am 25. November starb
auch der Rector des St. Barbaraklosters P. Vitus (?) an derselben
Krankheit. Bei ihrem Begräbniss hatten die Herren geistlichen
und weltlichen Standes auf Kosten der Stadt und mit tbränenden
Augen 52 Thlr. 27 Stbr. beim Leicheuschmause verthan. Auch der
Kaplan Jacob Lars wurde am 18. September desselben Jahres von
der tückischen Krankheit weggerafft. Die Wiederbesetzung der
erstereu und der letzten Stelle führte zu allerhand widerwärtigen
Weitläufigkeiten. Am 6. August bereits wurde Herr Praest dem
Rathe als Pastor präsentirt. Als er am 9. Dezember vom Pfarr-
hause Besitz ergreifen wollte, erschien der Stadtsecretär Johann
Wirichs in Begleitung von Johann Weyers, Friedrich Keussen uud
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Beiträge zur Geschichte Crefelda und des Niederrheius.
171
des Stadtboten Bartels und stellte dem Pastor eine schriftliche
Protestation zu, dass er uraltem Gebrauch zuwider sich der Pastorat
bemächtigen wolle. Wahrscheinlich hatte er es unterlassen, die
Einweisung durch den Rath nachzusuchen. Die Differenz scheint
aber bald ausgeglichen worden zu sein, da er Weihnachten bereit»
an dem Gelage der Rathsherren theilnahm. Wegen Anstellung eines
neuen Kaplans wurden lange Verhandlungen gepflogen. Zu der
Stelle hatte sich der Pastor von Sevenar Johann Brackelmann ge-
meldet. An» 18., 19. und 20. Oktober waren die Bürgermeister
nach Xanten gereist, um mit ihm zu verhandeln. Am 21. kam er
in ihrer Begleitung nach Rheinberg und wurde freundlich bewill-
kommnet. Noch am selben Tage, da er allgemein gefallen, reisten
der Rathsherr Barll und der Vikar Ten Biege mit demselben zum
Abte von Kamp nach Neuss, wo dieser damals, da Kamp gänz-
lich zerstört war, residirte, um seine Zustimmung zu der Wahl
zu erlangen. Am 25. Oktober kehrten die Herren zurück und
präsentirten nun dem bestätigten neuen Kaplan den Ehrentrunk.
Mit dem Kloster St. Barbara, das im August 1615 von einem
starken Brande heimgesucht worden war, bei dem die Bürger-
schaft sich durch treue Beihülfe hervorgethan, stand damals die
Stadt nicht mehr auf sonderlich freundlichem Fusse. Der neue
Rector P. Johann Kemnier hatte wider alles Recht und gegen die
alten Privilegien der Stadt die Absicht, eine Rossmtihle inner-
halb der Klosterräumlichkeiten zu erbauen. Der Gouverneur von
Rheiuberg, von Diestorf, schien das Unternehmen zu begünstigen.
Die Stadt protestirte aber auf das energischste und sandte Schrei-
ben und Deputirten an den Kurfürsten und bat um dessen Hülfe.
Aucb an den Gouverneur richtete dieselbe ernstliche Vorstellungen.
Sie erreichte zunächst aber nur das, dass der Gouverneur nur
dann sich gegen des Rectors Vorgehen aussprechen wolle, wenn
die Stadt selbst, natürlich auf ihre Kosten, eine Rossmühle erbauen
würde. Alle Gegenvorschläge prallten ab, und so musste die Stadt
widerstrebenden Herzens unter den ungünstigsten finanziellen Ver-
hältnissen sich zum schweren Opfer verstehen. Der Bau kostete
derselben 2223 Thlr. 17 Stbr. In weit besserem Verhältniss stand
die Stadt zu den Vikaren, die als Bttrgerkinder aufgewachsen,
ihre Studien zu einem guten Theile aus den reichen städtischen
Stiftungen bestritten hatten und vom Rathe selbst in ihre Pfründen
berufen waren. So waren auch die Vikare, die zu dieser Zeit
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Hermann Keussen sen.
iüngirten, Andreas Ten Biege und Friedrich Fehr, Söhne der
Stadt. Sie nahmen den innigsten Antheil an dem Wohl und Wehe
ihrer Mitbürger und waren gerne bereit, denselben ihre Dienste
anzubieten. Namentlich tritt der erstere mannigfach hervor, ein
dem Anscheine nach vielseitig gebildeter und umgänglicher Mann.
Mehrmals Hess er sich im Auftrage der Stadt, und das nicht ohne Erfolg,
zu diplomatischen Geschäften gebrauchen, bald um irgend ein Zuge-
ständniss zu erwirken, bald um Schlimmes von der Stadt abzuwenden.
Solche Reisen waren aber in den damaligen unruhigen Zeit-
läuften, wo die Landstrassen von Wegelagerern und Freibeutern
oder von streifenden Soldaten äusserst gefährdet waren, kein Ver-
gnügen. Die Bürgermeister der Stadt Rheinberg haben das zu
erfahren mehrmals die traurige Gelegenheit gehabt. Als am
20. Mai 1613 der Bürgermeister Herckenbusch mit dem Rathsherrn
Laers nach Brühl reiste, wurde er unterwegs, und wie es scheint,
schon diesseits Mörs, von Räubern Uberfallen und mit den Waffen
bedroht. Sie mussten ihr Geld und „alles nothwendige Gezeug",
das sie bei sich hatten, herausgeben, wodurch die Reise unter Be-
rechnung des Werthes der geraubten Gegenstände die erkleckliche
Summe von 139 Thlr. 157 2 Stbr. kostete. Als der Sohn des Amt-
manns die Nachricht nach der Stadt überbrachte und die Er-
greifung der Räuber, die in der Nähe anzutreffen seien, in Aus-
sicht stellte, setzte ihnen der Bürgermeister mit 8 Soldaten nach,
aber weiteren Erfolg, als dass sich die städtische Rechnung um
5 Thlr. 27 Stbr. für aufgewandte Zehrkosten erhöhte, hatte dies
nicht. Noch ein zweites Mal kam derselbe Bürgermeister Hercken-
busch, der ein grosser Pechvogel gewesen zu sein scheint, in die
unliebsamste Berührung mit Freibeutern. Es war im Jahre 1631,
als er mit dem Raths verwandten Goff vom Landtage heimkehrend
den glücklichen Griff nach einem Schulmeister gethan; sie waren
am 27. Juli nach einem guten Frühstück in Düsseldorf auf ein
Schiff gegangen und fuhren wohlgemuth rheinabwärts. Als sie in
die Nähe des Duisburger Waldes gekommen, wurden sie plötzlich
und unerwartet von niederländischen Soldaten angehalten und aus-
geplündert, und sie wären, wenn sich der Schiffsknecht nicht
tapfer ihrer angenommen hätte, weiter fortgeschleppt worden.
Sie kamen am Abend noch glücklich an die Ruhr und am andern
Tage mit Thorschluss ohne weitere Abenteuer nach Rheinberg
zurück. Dem Schiffer hatten sie aus Dankbarkeit l 1 /* Thlr. an
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Beiträge zur Geschichte Crefelds und de9 Niederrheins.
173
Trinkgeld verehrt. Aus einer über diesen wenig erbauliehen
Zwischenfall eingereichten Schadenrechnung erfahren wir noch,
dass der Bürgermeister, als das Schiff vom Lande aus bedroht
wurde, vorerst 2 Rthlr. und dann noch Va Königsthaler ans Land
geschickt hatte." Damit hatten aber die Streifer sich ( nicht zu-
frieden gegeben, sie hatten sich vielmehr des Schiffes bemächtigt
und hierauf die Reisenden gründlich durchsucht. Sie nahmen dem
Bürgermeister seinen Beutel ab mit 5 Thlr. 27 Stbr. und ausser-
dem 1 Hemd, 2 Kragen, 2 Schlafmützen mit Kanten werk, 2
Taschentücher, 1 Paar neue leinene Hosen und 1 Paar neue leinene
Socken. Seinen Gesammtverlust berechnet er auf 26 Thlr. 20
Sttiber. Ein gleiches Missgeschick hatte im April des Jahres 1633
der Rathsherr Rutger von Laeck. Er wurde von schwedischen
Soldaten gefangen genommen und fortgeschleppt. Als am 18. April
der Schultheiss dem Bürgermeister die Nachricht brachte, dass
jene Soldaten wiederum vor der Stadt im Busch lägen, wurden
80 Bürger ausgesandt, um jene Streiferbande aufzuheben. Ob es
gelungen ist, wird nicht weiter gemeldet. Ein anderesmal musste
der Bürgermeister seine Reise zum Landtage unterbrechen und
eiligst umkehren, da ihm in Neuss die Gefährlichkeit der Weiter-
reise in wenig verlockenden Farben geschildert wurde. Lägen
uns die Gerichtsakten aus jener Zeit vor, so würden uns jeden-
falls weit bedenklichere Dinge Uber die Unsicherheit auf den Heer-
strassen und über die Sittenverwilderung und Verrohung des
Volkes gemeldet. Die Stadtrechnungen streifen diese Zustände
nur gelegentlich. In den Kellnereirechnungen haben sich gleich-
falls einige dürftige Nachrichten über Kriminalfälle aus der hie-
sigen Gegend erhalten. Im Jahre 1608 wurde ein Verbrecher aus
Rheinberg, den man in Orsoy eingefangen und zu Schiffe herüber-
geschafft hatte, hier vor Gericht gestellt. Johann van Dunkeren,
so hiess er, wurde am 29. September vom Scharfrichter aus Duis-
burg peinlich verhört, das heisst gefoltert, und dann am 4. Oktober
mit dem Schwerte hingerichtet. Sein Leichnam wurde aufs Rad
geflochten. Ein zweiter Verbrecher, Kerstgen (Christian) von
Alpen, oder wie er sich selber nannte, Pöttgen voller Teufel, war
insofern glücklicher, als es ihm gelang, trotzdem er mit einer Kette
um den Leib gefesselt und auch an Händen und Füssen hart ge-
schlossen war, Eisen und Schloss zu zerbrechen und aus dem
Kerker zu entkommen. Im Jahre 1610 war einer mit Namen
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Hermann Keussen sen.
Molstroe auf St. Jobannisabend ausgegangen, teuflische Kunst zu
versuchen. Der Teufel hatte ihm aber bei dem unsauberen Ge-
schäft den Hals gebrochen. Sein Leichnam wurde indess dem
Gericht überliefert, das ihn mit einem Pferde aus der Stadt schlei-
fen und vor dem Xantener Thor unter dem Galgen begraben Hess.
Sein Beschwörungs- und Zauberbuch wurde auf Befehl des Kur-
fürsten noch nachträglich am 9. Juli auf öffentlichem Markte ver-
brannt. In demselben Jahre am 10. März wurden 3 Strassen-
räuber von den Soldaten aufgegriffen, in die Stadt gebracht uud
zum Tode verurtheilt. Ein Dieb, Nicolaus Schöffen aus dem
Ltittich'schen, wurde am 4. September 1612 in Haft genommen
und am 22. Dezember vom Scharfrichter mit Ruthen gestrichen.
Im Jahre 1613 wurde einer wegen eines mutbwilligen Todschlages
öffentlich hingerichtet. Aus den nächsten 20 Jahren fehlen uns
für Rheinberg nähere Mittheilungen, man würde aber fehlgehen,
wollte man glauben, dass es in jener Zeit besser geworden, im
Gegentheil werden sich die Verbrechen in Folge des verderblichen
Krieges und der daraus entspringenden Arbeits- und Zucbtlosig-
keit und grossen Armuth eher vermehrt als vermindert haben.
Die meisten Verbrecher barg die Armee in ihren Reihen; sie
fanden durch Eintritt in dieselbe, der meistens unter falschem
Namen erfolgte, Gelegenheit, sich den Händen der Gerechtigkeit
zu entziehen.
Eine eingehendere Darstellung der eigentlichen Kriegsleideu,
der vielen unsagbaren Erpressungen und Quälereien, welche die
verschiedenen Heere mit ihren Führern sich in der Stadt und an
deren Bürgern erlaubten, haben wir bei einer anderen Gelegenheit
(oben n. 6) gegeben. Es sei uns gestattet, noch Einiges hinzu-
zufügen, welches, allerdings in unmittelbarster Verbindung mit
dem unseligen Kriege stehend, doch nicht ausschliesslich auf
dessen Rechnung gesetzt werden darf. Es ist jene furchtbare
Krankheit, welche in mehrmaliger Wiederkehr die schon ohne-
hin zur furchtbarsten Verzweiflung gehetzte Bevölkerung in der
damaligen Zeit erleben musste. Die Pest fand sich zum
Schrecken der geängstigten Bewohner hier ein und raffte viele
derselben, manche mögen sie als eine Befreierin aus dem
grossen Leid willkommen geheissen haben, in frühem Tode weg.
Im Jahre 1615 trat sie zum ersten Male in der Nähe in ver-
heerender Weise auf. Die Stadt traf aber alle möglichen Vor-
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Beiträge zur Geschichte Crefelds und des Niederrheins.
175
sichtsmass-regeln, um die Geissei von sich fernzuhalten. Bei Ge-
legenheit der Kirmes stellte der Rath Männer an die Thore,
welche alle diejenigen von der Stadt vvegweisen sollten, welche
aus Ortschaften kamen, wo die Pest herrschte. Er Hess Brunnen
am Kloster, auf der Goltstrasse, auf der Weber- und Kasseler-
strasse und an der Krone anlegen und alle todten Hunde und
Bestien sofort von der Strasse bringen. Auf den öffentlichen
Plätzen wurden Feuer angezündet, um die Luft zu reinigen. Kurz,
die hohe Obrigkeit zeigte einen löblichen Eifer, den Gesundheits-
zustand der Stadt rein zu erhalten. Gleichwohl hielt die Pest ein Jahr
nachher ihren Einzug in die Stadt, wenn auch nur auf kurze Zeit.
Sehr vorsichtig drückt sich der Bürgermeister darüber in seiner Rech-
nung aus. Es heisst in derselben: Als etzliche hasslich und un-
versehens abgestorben und die Vermuthung von Pest war, durch
Zwang des Gouverneurs die Gestorbenen durch Meister Haussen
und andere Feldscherer besichtigen lassen. Des Abends auf Peter
und Paul wurde durch den Priester bei Ruemunds vor dem Hause
ein Feuer angesteckt und eine Wache dabei gestellt, um die Luft
von den bösen Dünsten zu reinigen. Ob das Erfolg hatte, wird
nicht gesagt. Im Jahre 1623 wüthete die Pest über alle Massen
in dem benachbarten Mörs. Seit dem 10. Juli starben hier bis
zum 27. November 856 Personen. An einem Tage erlagen 12 der
Krankheit. In einzelnen Familien räumte sie furchtbar auf, so
dass 3 und mehr Personen fast zur selben Stunde ihr zum Opfer
fielen. Erst gegen Schluss des Jahres Hess die Seuche wieder
etwas nach. Von Rheinberg haben wir aus diesem Jahre keine
Nachricht. Im Jahre 1631 kehrte die Pest wieder; dieses Mal
richtete sie auch in Rheinberg grosse Verheerungen an. Wir
hörten, dass 3 Geistliche in der Ausübung ihres Berufes von der-
selben ergriffen und weggerafft wurden. Auch der Bürgermeister
Bottermann scheint ein Opfer derselben geworden zu sein. Am
1. Februar, heisst es in der Stadtrechnung, haben die Gemeins-
leute, der Adjutant und der Sergeant Jacques wegen der Pest und
abscheulichen Krankheit die Baracken visitirt, am 18. Februar
sämmtliche Häuser der Stadt. Am 9. und 10. April wurde die
Visitation wiederholt. Die Reinigung der Strassen wurde aufs
eifrigste betrieben und, um dieselbe zu erleichtern und zu sichern,
die Pflasterung eines grossen Theiles angeordnet. Dass solche
Massregeln nöthig waren, wird noch einleuchtender, wenn man
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i7<;
Hermann Keussen sen.
durch eine kleine, allerdings wenig schmackhafte, aber offenherzige
Notiz in der Stadtrechnung vernimmt, dass man es im Punkte
der Reinlichkeit bisher nicht gerade sehr genau genommen hatte.
Am 17. Mai wurden, — sit salva venia verbo — um die Flöhe
und das Ungeziefer auf dem Rathhause zu verbrennen, 10 Bündel
Stroh geliefert, welche mit 15 Stbr. verrechnet sind. Wir dürfen
wohl annehmen, dass diese fremdartige Einquartirung von den im
Rathhause untergebrachten Soldaten — Italiener waren es — zu-
rückgelassen worden war.
Mit einer weiteren Notiz mehr heiteren Inhalts aus der Stadt-
rechnung vom Jahre 1634 will ich dieses Bild vorläufig schliessen.
Am 4. Januar des genannten Jahres, als die Stadt bereits im Be-
sitze der Niederländer war, fuhren der Bürgermeister und der
Rathsverwandte Johann Bayer nach Wesel zu Dr. v. der Knippen-
burg, um durch dessen Vermittelung eine Erleichterung von der
Einquartirungslast zu erlangen. Da präsentirt sich bei einem
Fischhändler frisch angekommener Kabeljau. Gleich hat sich der
Bürgermeister einen Plan zurechtgelegt. Er kauft 2 Stück im
Gewicht von 37 Pfund ä 3 1 /* Stbr. Mit dem Geschenke denkt er
den hartherzigen Gouverneur weicher zu stimmen, und seelenver-
gnügt fahrt er durch die bittere Kälte mit Berten Schmitz und
Friedrich Keussen, die er in Wesel angetroffen, nach Rheinberg
zurück. Aber o weh! Als sie angekommen, sind die Thore schon
geschlossen, und vergeblich begehren sie Einlass. Auch der Gou-
verneur bleibt thörichter Weise harten Sinnes. Nachdem sie in
der grimmigen Kälte lange genug auf eine günstige Antwort ge-
wartet, mussten sie umkehren und sich in Ossenberg eine Nacht-
herberge suchen. Aber da in der Nacht entsteht auch der furcht-
bare Rachegedanke. Am nächsten Tage nach ihrer Rückkehr
theilten sie sich mit den Rathsherren in den schönen Kabeljau,
und der Gouverneur hatte nun nichts weiter wie das Nachsehen.
Unverfroren theilt die Stadtrechnung uns diese Anekdote in der
treuherzigsten Weise mit. Natürlich auch die Stadt hat das Nach-
sehen gehabt, als sie den Posten in der Rechnung vorfand.
Vortrag, gehalten im Verein von Geschichtsfreunden zu Rheinberg.
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Tauf-. Trau- und Sterberegister am Niederrhein.
Von
Dr. Armin Tille.
Der ,Gesamnitverein der deutschen Geschichts- uud Alter-
thtmisvereine" hat sich seit eiuem halben Jahrzehnt der dankens-
werthen Arbeit unterzogen, eine Sammlung des Materials an „Kir-
chenbüchern" in den verschiedensten Gegenden Deutschlands und
seiner Nachbarländer zu veranlassen, namentlich um eine solide
Grundlage für die genealogische Forschung zu gewinnen. Der
43. Jahrgang des vom Gesammtverein herausgegebenen „Korre-
spondenzblattes" (1895) gibt wie seine Vorgänger ausführlichen
Bericht über diesen Quellenston 0 aus den Gebieten des ehemaligen
Erzbisthums Bamberg 1 ), sowie aus den vormaligen Grafschaften
Saarbrücken 2 ) und Saarwenden 8 ), lieber die Grenzen Deutsch-
lands hinaus führt ein Aufsatz über die Kirchenbücher in Däne-
mark 4 ). Daneben wird auch eine von R. K rieg verfasste Zu-
1) S. 14. Aus dem Bereiche des ehemaligen Ebs. Bamberg sind die
jeweils ältesten „Matrikeln" (= Tauf- u. s. w. Register) von 13 katholischen
Pfarreien angegeben. Davon reichen 3 ins IB. Jahrhundert zurück (1573,
1582, 1587). Aus 2 protestantischen Pfarreien liegen ebenfalls Berichte vor,
da beginnen die Register 1595 und 1579.
2) S. 130. In Saarbrücken ist die älteste Ordnung über den Gegen-
stand von 1574 (gedruckt 1570). Gegenwärtig erhalten sind die Register bei
den evangelischen Pfarreien seit 1624, bei den katholischen seit 1680. Zwischen
1575 und 1680 gab es hier überhaupt keine Katholiken.
3) S. 130. Von 7 evangelischen Pfarreien hat eine Register seit 1596,
von 4 katholischen eine seit 1631.
4) S. 88. In Dänemark stammt die älteste Verordnung über die Kir-
chenbücher von 1646. iiier hat die Regierung eine allgemeine Sammlung
Annalen des bist. Vereins LX1II, 12
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178
Armin Tille
sammenstellung derjenigen deutschen Staaten und Provinzen mit-
getheilt, aus welchen bisher Berichte und umfassende Arbeiten
über Kirchenbücher vorliegen. Unter den Landestheileu, aus wel-
chen angeblich noch keine Veröffentlichungen über Alter und Art
der kirchlichen Register vorhanden sind 1 ), wird auch die Rhein-
provinz genannt: dem Bearbeiter ist mithin die Arbeit von
des Stoffes in die Hand genommen und theilweise veröffentlicht. Von 150
Pfarreien haben nur 11 ältere Bücher : je eins beginnt 1<>22, 1G2G, 1G44 und
acht 1045. Mit H.54G beginnen neun, zwischen 1647 und 1G70 vierzehn, der
Rest ist jüngeren Datums. — Hierbei möchte ich auf die österreichischen
Länder deutscher Zunge hinweisen. Die von E. v. Ottenthai und 0. Redlich
bearbeiteten «Archiv-Berichte aus Tirol 44 11. Bd. Wien 1888. 2. Bd. noch
nicht ganz vollständig] geben regelmässig auch das Alter der „Canonischen
Bücher" an. Aus 23 Gerieht sbezirken Tirols liegen nunmehr schon die von
den Herausgebern an Ort und Stelle aufgenommenen Verzeichnisse der Tauf-,
Trau- und Sterberegister vor, deren älteste den letzten zwei Jahrzehnten des
IG. Jahrhunderts angehören ; jedoch ist die Zahl aus dieser Zeit verhäitniss-
mässig gross, sodass die Annahme einer allgemeinen Führung der Register
berechtigt ist. Die Todtenbücher sind oft etwas jünger als die zwei anderen
(z. B. in Mareit 15SG und 1588 II, S. 345). Aus Siebenbürgen ist heran-
zuziehen die Arbeit von Gustav Seivert im „Archiv des Vereins für sieben-
bürgische Landeskunde", X. Folge XI, S. 332, über das älteste Hermann -
städter Kirchenbuch. Für Salzburg kommt in Betracht die „Tauf-,
Trauungs- und Sterberegister im Herzogthum Salzburg" in den „Mittheilungen
der Gesellschaft für Salzburger Landeskunde" XXX (1890) 8.221 ff. — Auch
eine ältere (181(5) statistische Ausbeutung von Kirchenbüchern möchte ich
nicht unerwähnt lassen. Sie findet sich in der „Beschreibung der Herr-
schaft und Stadt Gera" von Johann Christoph Klotz, Schleiz 181G, S. 95.
Aus den Jahren 1700—1815 sind jedesmal in Gruppen von 10 Jahren Auf-
gebotene, Getraute, Getaufte, Gestorbene und Kommunikanten zusammenge-
faßt. — Dem oben genannten „Korrespondenzblatt" entnehme ich noch den
Hinweis auf eine Arbeit von Jeze in der lievuc generale de droit, 1&94, livr. 5,
welche von offiziellen Geburtslisten im römischen Kaiserreiche vom zweiten
bis vierten Jahrhundert erzählt, während von Listen der Verehelichten und
Gestorbenen nichts bekannt ist.
1) Es fehlen Berichte aus den preußischen Provinzen : Posen, Ost- und
Westpreussen, Brandenburg, Westfalen, Schleswig-Holstein, sowie aus Bayern,
Württemberg, Elsass-Lothringen, Mecklenburg-Strelitz. Meiningen, Reuss j. L.,
Haniburg, Lübeck und Bremen. Bekannt war dem Verfasser der Zusammen-
stellung jedenfalls die Arbeit von O. Schell, Die alten Kirchenbücher im
Landgerichtsbezirk Elberfeld. Korrespondenzblatt des Gesammtvereins, 40.
Jahrg. (1892), S. 102-1 OH.
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Tauf-, Trau- und Sterberegister am Niederrhein. 179
M. Schollen im 18. Bande der „Zeitschrift des Aachener Ge-
schichtsvereins (1891), S. 191 — 212, sowie die Veröffentlichung in
den „Mittheilungen aus dem Stadtarchiv von Köln", 9. Band (1894),
8. 37—44, entgangen. Schollen gibt nach einer orientirenden
Einleitung auf Grund der vom ersten Staatsanwalt durch Erlass
vom 10. November 1886 eingeforderten Inventarien eine Ueber-
sicht über den Bestand der Register in den Bürgermeisterämtern
des Regierungsbezirks Aachen, während die „Mittheilungen" den
Bestand des Kölner Stadtarchivs an Kirchenbüchern aus den ver-
schiedenen Pfarreien angeben.
Seit 1896 hat die Sammlung des Materials einen weiteren Zu-
wachs erhalten in der von der „Gesellschaft für Rheinische Ge-
scbichtsknnde" herausgegebenen und von mir bearbeiteten „Ueber-
sicht über den Inhalt der kleineren Archive der Rheinprovinz'' 1 ),
welche alle auffindbaren Register aus der Zeit vor 1798 bezw.
1809 autführt. Und zwar sind dabei in gleicher Weise Pfarr- und
Bürgermeisterämter in Betracht gezogen, während in Sch ollen s
Verzeichniss augenscheinlich nicht alle Pfarrämter berücksichtigt
sind : ich finde nur die zu Bergstein, Kreuzau und Stockheim er-
wähnt, während in den von mir bereisten Gegenden doch etwa
ein Drittel der Pfarrämter noch ältere Register besitzt. Im Kreise
Crefeld sind es von überhaupt elf katholischen Pfarreien, von
denen eine (Traar) als jüngere Gründung ausscheidet, sogar fünf
(Bockum, Fischeln, Lank, Linn, Willich), also die Hälfte, welche
noch im Besitze solcher Register geblieben sind. Die regelmässi-
gen Fundstätten dafür sind natürlich in Folge der am 1. Mai 1798
(= 12. Floreal 6. Jahres) im Roerdepartement eingeführten Civil-
standesämter die Bürgermeisterämter. Die Frage der heutigen
Fundorte ist von Bedeutung, wenn man einen Maassstab für die
Beurtheilung der französischen Handlungsweise bei der Einführung
des Civilstandgesetzes gewinnen will. Die „Archiv- Uebersicuten"
(vgl. im Kreise Köln: Esch und Junkersdorf, im Kreise Neuss:
Gohr, Grefrath) geben genügende Beispiele dafür, dass durchweg
1) Das 1. Heft (1SJ)G) enthält, die Uebersicht über die Kreise Knln-
Land, Neuss, Crefeld und St. Goar. Das zweite im Druck befindliche Heft
bringt die Kreise Gladbach, Grevenbroich, Bergheini und Düsseldorf. Es
wird hierin auch für die Rheinprovinz allmählich ein Verzeichniss der Kir-
chenbücher — allerdings wie in Tirol im Vereine mit den verschiedensten
anderen Arehivalien — entstehen.
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180 Armin Tille
nur diejenigen Bücher beschlagnahmt 1 ) wurden, welche die Auf-
zeichnungen flir die letzten Jahrzehnte enthielten. Das waren auf
jeden Fall im Gebiete von Jülich die seit 1770 und im Gebiete
des Kurfürstenthums Köln die seit 1779 neu angelegten Register.
Da diese aber laut der unten zu besprechenden Erlasse sich in
beglaubigten Abschriften auch bei den Gerichten vorfanden 2 ), so
begnügte man sich bisweilen mit diesen, und die Pfarrei blieb
dann im Besitze ihrer Bücher. Die an die 1770 bezw. 1779 be-
gonnenen sich unmittelbar nach rückwärts anlehnenden Bücher
wurden durchgängig mit konfiszirt, da sie für den täglichen Ge-
brauch noch unbedingt nöthig waren. Aber die älteren Bücher
wurden anscheinend als völlig werthlos betrachtet und verblieben
den Pfarreien. Nur so, nicht durch eine Verheimlichung seitens
der Pfarrer, wie vielfach angenommen wird, ist es zu erklären,
dass sich gegenwärtig gerade ein grosser Tbeil der älteren Re-
gister noch im Besitze der Pfarreien und nicht in dem der Bür-
germeisterämter befindet. So liegt z. B. im katholischen Pfarramt
zu Giesenkirchen (Kr. Gladbach) das Register der Getrauten 1047
bis 1673, während im Bürgemieisteramte daselbst ein Band aufbe-
wahrt wird, welcher die Getrauten von 1688 bis 1771 verzeichnet.
Und in dem benachbarten Gladbach befinden sich im Pfarramt
die Trauregistcr mit kleinen Unterbrechungen von Trinitatis
1583 bis 1667, während die Register des Stadtarchivs mit 1668
einsetzen. Auch in Kirchherten (Kr. Bergheim, S. 98) liegen die
Listen der Getauften von 1624 bis 1715 im Pfarramt, von 1715
an im Bürgermeisteramt.
Im Titel dieses Aufsatzes ist die Bezeichnung „Kirchenbücher",
1) Die dabei verwendete Formel lautet beispielsweise im Tauf- und
Copulatiousbuch im Bürgermeisteramte zu Bockum (Kr. Crefeld) : Vü et arretc
par moi President de radministration municipale du canton d'Urdingen, chef-
lieu Crdingen, U 25. fruciidor an 6. de la Rep. france une et indivisible
(=11. September 179*). J. R. Erlenwein, President. Meist geschab dies im
September und October 1798.
2) Beweis ebenfalls Bockum : Nach jedem Jahr findet sich die Beglau-
bigung: Pro concordantia cum eeclesiae libro testor. J. B. Poll, Pastor (1789).
Der Titel eines Buches zu Anrath (Bürgermeisteramt) lautet : Copulations
Buch der Herrlichkeit Neersen und Anrath in dasige Gerichts -Kiste gehörig.
Vgl. auch Esch (Kr. Bergheim, S. 87) und Oberaussem (S. 102 Nr. 10) im
Vergleich mit Paffendorf, Bürgermeisteramt Xr. 2 (S. 103).
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Tauf-, Trau- und Sterberegister am Niederrhein.
181
die auch Schollen in der erwähnten Zusammenstellung verwen-
det, absichtlich vermieden worden, weil dieser Ausdruck am Nie-
derrhein einen umfassenderen Sinn besitzt und in keinem einzigen,
mir bisher bekannt gewordenen Falle ausschliesslich Tauf-, Trau-
und Sterberegister bezeichnet. Im Gegentheil werden meist grössere
Bücher, in denen Verzeichnisse der Pfarrenten, Anniversarien und
dergl. eingeschrieben sind, mit dem Namen ^Kirchenbuch" belegt.
So ist das im Pfarrarchiv zu Hackenbroich (Kr. Neuss) aufbe-
wahrte Kirchenbuch der Herrlichkeit Hackenbroich begonnen
1660, nichts anderes, als was landläufig mit „Lagerbuch" bezeich-
net wird. Im katholischen Pfarrarchiv zu Calcum (Kr. Düsseldorf)
wird in dem jüngeren Material das uralte Kirchenbuch von 1520
erwähnt. Letzteres, noch im Original vorhanden, ist das Verzeich-
niss der Pfarreinkünfte 2 ). Wenn im Kurfürstlich Köln'schen Er-
lasse von 1779 im unteren Absatz das Wort „Kirchenbuch" ver-
wendet wird, so widerspricht dies dem Vorgetragenen durchaus
nicht, denn hier soll der" Gegensatz zu der im Besitze des Gerichts
befindlichen beglaubigten Abschrift allein hervorgehoben werden.
Ganz in derselben Weise wird in Bockum vom Uber ecclesiae ge-
sprochen (s. S. 180, Anm. 2).
Von Tauf-, Trau- und Sterberegistern im modernen Sinne,
d. h. von Verzeichnissen, in welche alle innerhalb eines gewissen
Bezirks vorfallende Taufen oder Geburten, Trauungen und Sterbe-
fälle eingetragen werden, können wir erst seit dem ersten Viertel
des 16. Jahrhunderts reden. Das überhaupt älteste Register, von
welchem ich weiss, ist das Taufbuch von Nürnberg aus den Jahren
1) Archiv-Uebersichten I, S. 21.
2) Auch in Heerdt (Kr. Neuss), S. 22, ist vom „Kirchenbuch" im Sinne
von Lagerbuch die Kede. Ganz ähnlich besitzt das evangel. Pfarramt zu
Crefeld, S. 31, ein Crcifeldisch Kirchbuch (1820). Im Stadtarchiv zu Düren
findet sich ein Kirchenboich, uffgericht anno dm. 1562. Auch die katholischen
Pfarrämter zu Angelsdorf und Thorr (Kr. Bergheim) besitzen Kirchenbücher,
ersteres von 1518, letzteres von 1683. Das evangelische Pfarramt Hilden
(Kr. Düsseldorf) hat ein „Kirchenbnch", welches ausser Rentverzeichnissen
auch Getaufte, Getraute und Konfirmirte 1649 ff. enthält. Im Kreise Berg-
heim kommt „Kirchenbuch" im Sinne von Lagerbuch auch vor zu Nieder-
embt von 1538 (S. 100), zu Niederaussem (S. 100), zu Kirchherten (S. 97),
im Kreise Düsseldorf zu Derendorf (S. 108) und zu Eller (S. 110).
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182
Armin Tille
1524 bis 1533 1 ). Dann folgen die Getauften der evangelischen:
Gemeinde zu Zürich, deren Eintragung mit dem 3. Juli 1525 be-
ginnt 2 ). Mit 1533 beginnen alle drei Register zu Creglingen in
Brandenburg- Ansbach 3 ) und die der Stadt Frankfurt a. M. 4 ). Vom
selben Jahre ist eine Verordnung des Rathes der Stadt Lindau,
welche die Führung von Registern vorschreibt 5 ). Diese Listen
sind, wie ähnliche Einrichtungen, nicht mit einem Male entstan-
den, es gibt eine Menge Vorläufer auf diesem Gebiete in den
Listen der Getauften in frühchristlicher Zeit, in den Martyrologien
und Nekrologien 6 ), namentlich soweit sie zugleich Listen der Wohl-
th'ater geistlicher Institute darstellen. An das letztere ist ganz
offenbar zu denken, wenn es in einem Testamente vom Ende des
15. Jahrhunderts in der Stadt Kempen heisst: . . . item presbiteris
in ecclesia in die. exequiarum celebrantibus tres albo.% item pastori
iinam mar cum pro intitiäatione in registro mortuorum, item
cetera omnia bona sua legavit marito 1 ).
Bei einer Erörterung Uber die Anfänge regelmässiger Register
ist es erforderlich, die religiösen Bekenntnisse unter sich und von
diesen wiederum die Anordnungen der weltlichen Behörden zu
trennen. Der Zeitfolge nach sind die frühesten Anregungen und
zugleich die ersten thatsächlich geführten Register bei den jungen
evaugelischen Gemeinden zu suchen — man betrachte die Bei-
spiele von Nürnberg und Zürich. Dann folgt auffälliger Weise die
erste Regeluug durch eine politische Macht, die Verordnung des
Rathes der Stadt Lindau, während innerhalb der katholischen
Kirche die Sache erst durch die entsprechenden Beschlüsse in
der 24. Session des Tridentinums in Fluss kam. Becker hat in
seiner „Wissenschaftlichen Darstellung der Lehre von den Kirchen-
1) Korrespondenzblatt des Gesammtvereins der deutschen Gesch.- u. A.-
Vereine, 42. Jahrg. (1894), S. 143.
2) Ebenda, 41. Jahrg. (1893), S. 54.
3) Ebenda, 41. Jahrg. (1803), S. 150.
4) Becker, Carl Christian: „Wissenschaftliche Darstellung der Lehre
von den Kirchenbüchern'' (Frankfurt a. M. 1831) S. 2. Ich benutze von
diesem seltenen Buche das Exemplar der Stadtbibliothek zu Frankfurt a. M.
5) Korrespondenzblatt, 41. Jahrg. (1893), S. 151.
•>) Vgl. Schollen in Zeitschr. d. Aachen. Geschichtsvereins" 13. Bd.
(1891), S. 191 ff. und Uihlein „Ueber den Ursprung und die Beweiskraft
der Pfarrbücher' 4 . Archiv für civilistische Praxis XV, S. 33.
7) Stadtarchiv Kempen, Akten E. 1.
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Tauf-, Trau- und Sterberegister am Niederrhein. 183
büchern* diese Unterschiede kaum beachtet und damit die Ueber-
sicbtlichkeit seines grundlegenden Buches schwer geschädigt. Eine
Behandlung der Stoffes von diesem Gesichtspunkte aus giebt zu-
gleich Ausschluss darüber, wie verschieden organisatorische Fragen
innerhalb der Kirchen verschiedener Bekenntnisse behandelt wur-
den, in welcher Weise die weltliche Obrigkeit kirchliche Institu-
tionen beeinflusste und zu ihren Zwecken auszunutzen verstand.
Die protestantische Bewegung war von Anfang an eng ver-
knüpft mit der Entfaltung politisch-organisatorischer Macht seitens
der Landesherren in den Territorien. Das Landesfürstenthum nahm
den Protestantismus unter seine schützenden Fittiche und griff da-
mit zugleich in eine Menge von Fragen ein, die an sich durchaus
innerer Natur waren. Seit den dreissiger Jahren des IG. Jahr-
hunderts entsteht fast für jedes Ländchen, wo Fürst oder Unter-
thanen sich der neuen Lehre zuwandten, eine eigene „Kirchenord-
nung" 1 ), bei deren Abfassung die Mitwirkung geistlicher Rivthgeber
eine sehr verschiedene war. Schon in den frühesten dieser evan-
gelischen Kirchenordnungen finden sich auch Bestimmungen über
die Führung der Register, aber auffälliger Weise werden nur Ge-
taufte und Getraute, nicht aber auch die Gestorbenen gebucht.
Dies befiehlt schon die Brandenburg- Nürnberger Kirchenorduung
von 1533 2 ), auch die Liegnitzer von 1534 8 ) und die Schweinfurter
von 1543 4 ). Die „Kölnische Reformation" Hermanns von Wied
von 1543 5 ) enthalt unter den rheinischen Quellen zuerst einen Hin-
weis auf die Einführung solcher Register, aber da sie im Erzstift
Uberhaupt nicht zur Durchführung gelangte, blieb auch der hierin
niedergelegte Gedanke ohne praktische Bedeutung.
Abgesehen von der „Kölnischen Reformation" und der 1567
für Jülich entworfenen, aber thatsächlich nicht proklamirten Kir-
chenordnung 0 ) kommen für den Niederrhein landesherrliche Kircheu-
ordnungen im 16. Jahrhundert nicht in Betracht, da sich in den nieder-
1) Neue Ausgabe von A. L. Richter „Die evangelischen Kirchenord-
nungen des 1»». Jahrhunderts". Weimar 184<J. 2 Bde.
2) Richter 1, S. 210.
:'>) Richter I, S. 240.
4) Richter II, S. 22.
5) Richter II, S. 48.
0) Vgl. K rafft, Die Stiftung der Bergischen Provinzialsynode (Elber-
feld 1889), S. 17.
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184 Armin Tille
rheinischen Territorien die evangelische Bewegung selbständig ent-
wickelte. Dennoch gab es eine Kodifizirung der kirchlichen Normen,
die als allgemein anerkannte, wenn auch ohne landesherrliche A utorität
durchgesetzte, Ordnung Geltung besass, nämlich die Weseler Artikel 1 )
von 1568. Im Kapitel De baptismo lautet der 5. Abschnitt: Nomina
infantium, parmtum ac testium publicis tabttlis consignari tum ecele-
siae tum reipublicae maxime conducere in confesso est. Quibus etiam
seorsim eorum nomina adscribi poterunt, qui post editam in ecclesia
conf'essioneni in Christo moriimtur 2 ). Und im Kapitel De matri-
monio unter Nr. 2 wird verordnet: quo facto eorum nomina tabulis
publicis consignabuntttr*). Scheint es hier, als ob die Buchung der
Gestorbenen nur für den Fall vorgesehen ist, dass erst unmittelbar
vor dem Tode die Ablegung des neuen Glaubensbekenntnisses er-
folgt ist, so beschliesst die Synode von Dortrecht von 1574 am
17. Juni neben der Führung von Tauf- und Trauregistern zum
ersteumäle auch die Anlage regelmässiger Todtenlisten : Item wen
sal een boeck in allm Ghemeijnten hebben, daer in mcn teijcJcenen
sal de namen der linder, die gheborm ende ghedoopt worden, met
den namen der ouderm ende ghetuijghm. Item dergheenen, die mm
troivt ende diemen tot lidtmaten der Ghemeijnte op neemt.
Ooch sal em iegheUck Dimaer opteijclcnm de namen der lidt-
maten, die afsterven, ende die Oevericheiß bidden, datse den graef-
maecheren ofte den gheenen, die last daer van hcbben f bevcelen boeck
to houden van allen dm gheenen, die afsterven, op dat men altijds, als
het noot doct, vereijsschen can } wie daer ghestorven is 4 ).
Von den Niederlanden aus verpflanzte sich die evangelische
Propoganda auch nach dem Niederrhein. Hatte schon die Kirehen-
ordnung der Londoner Fremdlingssynode von 1550 im 13. Kapitel
die Eintragung aller Taufen in ein Buch verlangt 5 ), so wird in
dem Reglement für die Holländisch-reformirte Gemeinde zu Kblu
1) Gedruckt in Werken der Marnix-Vcreeniging Serie II, I>ecl III.
Utrecht 188!>.
2) S. 28.
.']) S. 31.
4) Acta van de Nederlandschc synoden der zestiende, eemc, verzameld door
F. L.Rutgers, Utrecht 188f>, S. 139. Werken der Marvix-Vereeniging, Serie II,
Deel III.
5) Richter II, S. lOti. Bei der Ehe fehlt eine ähnliche Bestimmung.
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Taut-, Trau- und Sterberegister am Xiederrhein.
185
von 1587 ! ) der Gegenstand nebst Begründung ausführlich behan-
delt. Es heisst da : . . . ten sij dat een ouderlynck, een yder in
sijn quartier daer hy sij, welche des kyndts nacm, oock der rader
ende moeder mei tsaemen der getuyghen (die grloovighe moetcn sijn)
ende des Dimaers, die het doopt, oock het jaer ende dach, wanneer
sulcks geschiedt is, sal opschrijvm ende met hem in Consisforio bren-
ghenop dat dit alles te boecke gesteldt ende die kercke moghc acht
op sulcke kynderen nemen 2 ). Die Aufzeichnung besorgt also hier
der Aelteste, die Kontrolle Uber den Personenstand der Gemeinde
tritt im Schlusssatze scharf als Zweck der Niederschrift in den
Vordergrund.
Die „Pfälzische Kirchen-Ordnung" von 1563 ist bereits durch
die der Londoner Freindeusynode inhaltlich beeinflusst, sie hat bei
dem Mangel einer territorialen Ordnung am Niederrhein immer-
hin einen gewissen Einfluss gewonnen, wie schon die Thatsache
beweisst, dass das evangelische Pfarrarchiv zu Düsseldorf diese Ord-
nung in der Folioausgabe von 1570 sogar in zwei Exemplaren besitzt.
Sie macht für Getaufte 3 ) und Getraute 4 ) die Eintragung in ein Buch
zur Pflicht des Predigers, während die Behandlung des Begräb-
nisses 5 ) eine entsprechende Anordnung fehlt. Während hier also
unter dem Einflüsse der Holländer auf die Führung der Register
erheblicher Werth gelegt wird, enthält die Zweibrücker Kirchen-
Ordnung von 1557 nichts ähnliches. Ebenso steht es bei der Ord-
1) Einige Ergänzungen sind von 1592.
2) Brieven uit ander scheid ene kerkelijke archieven, rerzameld en aitge-
gevendoor J. J.van Toorenenbergen, Utrecht 1 885, S. 114. Werken der Marnix-
Vereenigung Serie III, Deel V. Das Kölner Stadtarchiv besitzt von der Holl.-
ref. Gemeinde die Register bereits seit 1571, ein Beweis, dass es sich hierbei
nicht um eine Neueinrichtung, sondern um reglementarische Fixirung eines
schon gegebenen Zustandes handelt. Vgl. Mittheilungen aus dem Stadtarchiv
von Köln. 9. Bd. (1894), S. 37 ff.
3) Im Abschnitt Vom heiligen Tauft': Demnach, auff dass der Prediger
den namen des vaters, der mutier, des kinds und gevattern ordenlich ein-
schreibe in ein besonder buch, so bey jeder kirchen darzn gemacht werden und
darbei bleiben soll. Richter, S. 258.
4) Es sollen auch die namen der eheleuth und zeugen in ein besonder
buch eingeschrieben werden, welches bei jeder kirchen bleiben soll. Richter,
S. 270.
5) R i c h t e r , S. 274 75.
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im;
Armin Tille
nung für die lutherische Gemeinde zu Köln 1 ). Dagegen die deutsch-
ref'ormirten Gemeinden zeichneten sich überhaupt durch eine Menge
von Schreibwerk aus; in Köln führte man bei dieser Gemeinde
schon zwischen 1572 und 1590 neben den Tauf-, Trau- und Sterbe-
registern Verzeichnisse sämmtlicher Gemeindeglieder sowohl wie
aller Eheleute, ein Verzeichniss der Kinder und eins über die,
welche ihr Bekenntniss abgelegt haben, ein Verzeichniss der Kom-
munikanten und eins über die Aeltesten und Diakone 2 ).
Wenn wir für das 10. Jahrhundert das Ergebniss zusammen-
fassen wollen, so ergibt sich für die evangelischen Gemeinden re-
formirten Bekenntnisses ganz allgemein die Führung von Tauf-
und Trauregistern, während die Sterberegister uoch eine Ausnahme
bilden. Die Buchung selbst liegt nur z. T. in den Händen der
Prediger, während in vielen Fällen die Aeltesten, also Laien, damit
betraut sind. Wichtig ist vor allem die zwar ausserordentlich
naheliegende, aber auch ausdrücklich in der Ordnung für die
holländisch-reformirte Gemeinde zu Köln ausgesprochene Begrün-
dung, eine Uebersicht über den Personenstand der Gemeinde be-
sitzen zu wollen. So lange die ganze ortsanwesende Bevölkerung
selbstverständlich einem allgemeinen Bekenntniss zugethan war,
kounte zumal bei der Kleinheit der Verhältnisse und der persön-
lichen Bekanntschaft aller Glieder eiuer Pfarrei eine besoudere
Beurkundung der wichtigsten kirchlichen Handlungen uuuöthig
erscheinen. Mit dem Aufkommen der neuen Lehre lag für die
Führer der kleinen Herde nichts näher als durch fortdauernde
Führung von Registern Uber jedes Glied sich auf dem Laufenden
zu erhalten. Es wurden, wie bei der deutsch-reformirten Gemeinde
zu Köln schon im 16. Jahrhundert bezeugt ist, später überall auch
die, so ihr Bekenntniss gethau (Konfinnirte), in ein Buch einge-
tragen. In der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts gibt es dann
auch am Niederrhein territoriale Kirchen- Ordnungen. Die Clevische
und Märkische Kirchen-Ordnung von 16G2 3 ) verordnet im $ 75 :
Ein jedes Consistorium soll seine absonderliche Bücher haben, neben
1) Mittheilung des Herrn Prof. Ür. Simons zu Bonn.
•J) Mittheilung des Herrn Prof. Dr. Simons zu Bonn.
:i) Gegeben zu Kölln an der Spree, den 20. May Anno 1662 durch
Fridruh Wilhelm. 40 SS. Im § 10S wird die Eintragung dem Geistlichen
auferlegt. Vgl. „Kirchen-Ordnungen der Christlich Jleformirten Gemeinden in
den 1 Andern Gutlich, Cleve, Berge und Mareks* Duisburg 1754. 4°.
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Tauf-, Trau- und Sterberegister an» Xiederrhein,
IST
demjenigen, was darinnen verhandelt worden, auch die. Xamen der
Kinder , so getauff't werden, Htm derer, welche die Belcaentniss ihres
Glaubens gethan. Im gleichen, die sich in den Stand der Ehe be-
geben, und die durch den zeitlichen Tod abgegangen sind zuver-
setchnen. Den gleichen Wortlaut hat der § 77 der Kirchen-Ord-
dnung der Christlich- Beformirten Gemeinen in deti Laendern
(ritelich und Berg 1 ), deren § 109 die Eintragung; in die Bücher
durch den Geistlichen fordert 2 ).
Soweit hatte die Entwicklung sich innerhalb der religiösen
Gemeinschaft vollzogen, im 18. Jahrhundert dringt dagegen der
Staat als autoritative Gewalt ohne Rücksicht auf das Bekenntnis«
mit einer Neuordnung durch, welche unten näher besprochen wird,
wenn wir die Entwickelung innerhalb der katholischen Kirche ver-
folgt haben.
Bereits oben 3 ) habe ich angedeutet, dass erst das Tridentiuer
Konzil für die katholische Kirche die Führung von Registern an-
regte, aber auch hier wächst der Gedanke aus der Behandlung
innerer kirchlicher Fragen heraus. Man ist noch viel weiter von
einer Ueberlegung im Sinne weltlicher Zweckmässigkeit entfernt
als wir es in den evangelischeu Ordnungen beobachten konnten,
die wenigstens in einem Falle den für den Staat aus der Führung
der Listen entstehenden Vortheil betonen 4 ). In der 24. Session 5 ),
am 11. November 1563 kam die Angelegenheit zur Verhandlung
und zwar im Zusammenhange mit den ex baptismo aut confirma-
1) Gedruckt als 2. Stück in der in voriger Ann», zitirten Sammlung
der Kirchenordnungen für Jülich, Cleve, Berg, Marek.
2} Thatsache ist, dass dort, wo evangelische Genieinden neben den ka-
tholischen bestanden haben, bei weitem in den meisten Fällen die evange-
lischen Register früher einsetzen und vollständiger sind, als die katholischen.
Vgl. z. B. die Register in Köln: während die holl.-reformirte Gemeinde solche
seit 1571 besitzt, sind nur aus <5 katholischen Pfarreien Register lt>. Jahr-
hunderts vorhanden und zwar von St. Mauritius 151)1, von St. Cunibert 151)5,
von St. Columba und St. Severin 1597 und St. Christoph und St. Martin 1500.
3) S. 182.
4) S. S. 183, Anm. 7.
5) Der Titel lautet: Sessio XXIV, qnae est octaca sub Pio IV. pontif.
max. Cölebrata die 11. Xovemb. 1563. Doctrina de saeramento matrimonii.
A. L. Richter, Canones et decreta Concilii Tridentini (Lipsiae 1853),
S. 210.
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188
Armin Tille
Hone entstehenden E h e h i u d e r n i s s e n. Im ersten Kapitel *),
Decrctum de reformatione matrimonii, beisst es unter ähnlichen Be-
stimmungen ohne jede nähere Begründung: Habeat parochus Uhr um,
in quo conjugum et testium nomina diemque et locum contracti ma-
trimonii describat, quem diligenter apud se custodiat 1 ). Und im
zweiten Kapitel, welches speciell von den Ehehindernissen handelt,
wird dann die Anlage von Taufregistern hinzugefügt, offenbar zu
dem ganz bestimmten Zwecke, vor allen Dingen die Taufpathen
festzustellen, um für etwa später aus der geistlichen Verwandt-
schaft hervorgebende Ehehindernisse eine Unterlage zu gewinnen.
Die Stelle lautet: . . . inter quos ac baptizatum ipsum et Hirns
patrem et matrem nec non inier baptizantem et baptizatum baptiza-
tique patrem ac matrem tantum spiritualis cognatio contrahitur.
Parochus, antequm ad baptismum conferendum accedat, diligenter
ab iis, ad quos spectabit, sei seilet ur, quem vel quos elegerint, ut bap-
tizatum de sacro fönte suseipiant, et cum vel eos tantum ad illum
suserpundum admittat et in libro eorum nomina describat doceatque
eos quam cognationem contraxerunt, ne ignorantia ulla excusari
valeant 8 ). Becke r 3 ) bemerkt im Anschluß hieran ganz treffend :
„Da die Synode gleich darauf auch der aus dem Sakramente der
Firmelung hervorgehenden geistlichen Verwandtschaft gedenkt, so
scheint sie ebenfalls ein Verzeichniss der Gefirmten und ihrer Fir-
mungspathen beabsichtigt zu haben, ohne es jedoch ausdrücklich
vorzuschreiben". Bei der Kürze, mit welcher uns die Verband-
lungen mitgetheilt werden, ist dies durchaus anzunehmen. Aber
auch die in den Ausgaben unberücksichtigte Debatte 4 ) bietet
zu unserer Frage nichts. Wenn Becker im Anschluss an die
eben angeführte Stelle meint: „Auf ähnliche Weise leiten andere
dahin gehörige Verordnungen fast unmittelbar auf die Notwen-
digkeit der Todten-Register", so kann ich ihm nicht zustimmen,
da mir solche Verordnungen nicht bekannt geworden sind, aber
auch aus dem ganzen Gedankengange heraus ganz fern liegen:
1) Folgend auf die 12 canones über die Ehe, deren dritter von den
Ehehindernissen handelt.
2) Richter, Canones et decreta, S. 217.
3) Ebenda, S. 218.
4) Wissenschaftliche Darstellung S. 5/(3.
5) Veröffentlicht in Acta Genuina SS. Oecumenici Concilii Tridentini ab
Augusthto Theiner. Zagrabiae (in Croatia) tomus II (1874), S. 403— 501.
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Taut-, Trau- und Sterberegister am Niederrhein. 18!)
auf welche Weise könnte denn durch einen Todestall ein neues
Verwandtschaftsverhältniss begründet werden ? Und inau kann es
doch kaum als Zufall auffassen, dass ganz übereinstimmend in
den verschiedensten Gegenden unter den Registern des 16. Jahr-
hunderts gerade die Sterberegister später einsetzen als die anderen
beiden 1 ). So wenig wie aus diesen Erörterungen des Konzils,
welche rein theoretischer Natur waren, die Anregung für Führung
von Todtenbtichern gewonnen werden konnte, ebenso sehr führten
die längst in Praxis bestehenden Martyrologien und Nekrologien
nebst Anniversarien darauf hin, wie überhaupt die Praxis des täg-
lichen geistlichen Dienstes eine Buchung auch der zur Erde Be-
statteten an die Hand gab, wenn man einmal dazu überging, ge-
mäss den Vorschriften des Konzils die Getauften, Getrauten und
vielleicht auch die Gefirmteu getreulich zu buchen. Deshalb ist es
nur natürlich, wenu die Augsburger Synode von 1567 und die zu
Namur 1604 -) die ordnungsmässige Konsequenz für ihre Diöcesen
ziehen und auch die Führung von Sterbebüchern den Geistlichen
zur Pflicht machen. Zur allgemeinen Institution wird diese For-
derung erst erhoben durch das Rituale Romanum, publicirt durch Breve
vom 16. Juni 1614, welches ausserdem die Führung eines Uber confir-
matoruM und eines Uber status animarutn vorschreibt. Von dem letz-
teren ist in den meisten Pfarreien auch während des 16. und 17.
Jahrhunderts keine Spur zu entdecken, nur ganz vereinzelt tiudet
sich einmal diese Liste der Gemeindeglieder aus irgend einem Jahre.
Aehnlich steht es mit den Listen der Kontirniirteu. Unter den frühesten
Registern habe ich solche, welche auch die Gefirmten verzeichnet
hätten, nicht gefunden, aber im 17. Jahrhundert schon bilden solche
Bücher keine Seltenheit mehr. Es ist jedoch dabei zu bedenken,
dass die nur zweimal im Jahrzehut vorgenommene Firmung die
sorgfältige Namensuiederschrift erschwerte, da man ein besonderes
1) Vgl. obenS. 178Anm.4 das über Tirol Gesagte. Zu Boppard (Kr. St. Goar)
beginnen die Taufen 1572, in Bingen 1582, zu M. -Gladbach die Trauungen
1583, zu Heinsberg (Kr. Heinsberg) die Trauungen 15*4 und die Taufen 15h5,
zu Niederkrüchten (Kr. Erkelenz) beide 1597. Im Reg.-Bez. Aachen haben nur
Immendorf (Kr. Geilenkirchen) und Kirchberg (Kr. Jülich) Register, die alle
drei gleichzeitig noch im 16. Jahrhundert einsetzen, nämlich 1595 uud 1583.
Nur in Stommeln (Landkreis Köln) beginnen die Gestorbenen 1599, während
Getaufte und Getraute erst U>01 einsetzen.
2) S. Schollen, Zeitschr. des Aachener Geschichtsvereins Bd. 9.
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100
Armin Tille
Buch wohl kaum zur Verfügung hatte, man also das gemein-
same Tauf-, Trau- und Sterbebuch benutzen musste. Interimistisch
geführte Listen wurden wiederum offenbar nicht so sorgfaltig aufbe-
wahrt wie die im täglichen Gebrauch befindlichen Bücher. Noch
später ist es ganz häufig, dass nur die Firmlinge eines Jahres ver-
zeichnet sind, während dasselbe Buch die Getauften u. s. w. von
einem halben Jahrhundert enthält. So finden wir in Rommers-
kirchen (Kr. Neuss) im ältesten 1616 einsetzenden Taufbuch auch
die Gefilmten von 1726 verzeichnet J ). Gewissermaassen als Typus
für das 17. Jahrhundert kann ein Quartband im Bürgermeisteramte
zu Osterrath (Kr. Krefeld) betrachtet werden: er trägt den Titel Index
et registrum nomina baptizatorum, confirmat-orum, matrimonio innctorum
et dcfunctorum in se feliciter complectens. 1647. Der Inhalt entspricht
diesem Titel durchaus nicht: Gefirmte sind überhaupt nicht darin
zu linden, aber auch nur die Taufen beginnen 1647, Trauungen
und Sterbefälle erst 1659. Die Taufen reichen bis 1728, wobei
leyitimi und illegitimi getrennt gebucht sind, die Trauungen bis
1705, die Sterbctalle bis 1706. Offenbar ist das Buch erst 1659
angelegt, und die Taufen 1647— 1659 sind eine Abschrift aus einem
älteren Register, dessen Seitenstücke gar nicht oder so schlecht
geführt vorhanden waren, dass eine Abschrift in das neue Buch
nicht recht angängig erschien. Eine eigentümliche Art der Buchung
der Getauften findet sich in Kirchherten (Kr. Bergbeim). Von 16SO
bis 1715 sind die Taufen nach dem Alphabet der Vornamen
angeordnet, sodass alle Adolf, Anna u. s. w. getauften Kinder unter
einer Rubrik stehen. Wo ein alphabetisches Orientiruugsregister
dem Taufbuch beigefügt ist, bleibt im 17. und 18. Jahrhundert die
Anordnung nach Vornamen selbstverständlich.
Aus der Folgezeit habe ich vergeblich nach Erlassen für die
Kölner Erzdiöcese gesucht, welche diese Materie betreffen. Und
trotzdem möchte ich behaupten, dass etwa 1624 und kurz vor
1650 eine Beeinflussung in diesem Sinne sich vollzogen hat. Es
braucht dies ja nicht in Form eines der unzähligen Erlasse ge-
schehen zu sein, vielmehr gaben die Visitationsreisen eine viel
wirksamere Handhabe ab, um den allgemeinen Anordnungen Nacb-
1) Archivübersicht, S. 2li. Ganz ähnlich sind in Fischeln (Kr. Cref'eld)
im Taufbuch von 164!) bis 1733 die confirmati von Hiö2 zu finden, Archiv-
übersicht, S. 29, und ebenso für das Ende des 18. Jahrhunderts in Linn,
Archivübersicht, S. 32
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Tauf-, Trau- und Sterberegister am Niederrhein.
191
druck zu versebaffen. Meiue Ansicht stützt sieb einfach auf die
Thatsache, dass mit den genannten Jahren verbältnissniässig viele
Bücher einsetzet!, was mir nur unter dieser Voraussetzung erklär-
lich scheint.
Eine entschiedene Wendung im Sinne staatlicher Eingriffe
ohne Rücksicht auf die religiösen Bekenntnisse vollzieht sich in
der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Vom 18. November
1769 ist der Erlass des Herzogs Carl Theodor für Jülich datirt,
welcher in sieben Abschnitten eine detaillirte Ordnung Uber die
mit dem 1. Januar 1770 zu beginnenden neuen Tauf-, Trau- und
Sterbbücher trifft. Wesentlich ist darin neben dem strikten Gebot,
drei besondere Bücher zu führen und n i c h t in einem Bande
alle drei zu verzeichnen, namentlich die im 6. Abschnitt gebotene
Abschrift der Amts-Registratur. Wenn auch den Geistlichen aus-
drücklich vorbehalten bleibt, fernerbin alle Auszüge in Form von
Zeugnissen nur auf Grund ihrer Originale herzustellen, so hat
in den beglaubigten Abschriften doch zum ersten Male der Staat
sich glaubwürdige Listen Uber die wichtigsten Lebensereignisse
seiner Unterthanen zu verscharfen gewusst. Es ist ein Schritt in
der Entwickelung in der Richtung nach den französischen Civil-
standsregistern hin, welche übrigens innerhalb Frankreichs auch
Vorläufer autzuweisen haben, insofern Königliche Ordonnanzen vom
Jahre 1067 und 1736 die Führung kirchlicher Register unter staat-
licher Kontrolle gestellt hatten *). Der Jülich'sche Erlass bestimmt,
dass ein gedrucktes Exemplar jedem der Bücher vorgeheftet sein
soll. Zu diesem Zwecke, dem man im allgemeinen auch entsprochen
hat, sind offenbar besondere Abdrücke hergestellt worden, welchen
im Gegensatz zu den Exemplaren des ersten Erlasses die Unter-
schrift Graf von Goltstein fehlt -).
Eine Parallelerscheinung ist der inhaltlich sich dem Jülich-
scheu völlig anschliessende Kur-Kölnische Erlass vom 27. Hönning
1779. Auch er ist eine rein landesherrliche Anordnung, welche
nur für das Territorium Geltung gewonnen bat, wie am besten die
Thatsache beweist, dass die beiden unter Dyck 'scher Herrschaft
stehenden Pfarreien Hemmerden und Bedburdyck in keiner Weise
1) Becker, S. l J.
2) Auch gedruckt in: Scott i, Sammlung der Gesetze und Verord-
nungen, welche in den ehemaligen Herzogtümern Jülich, Cleve und Berg
ergangen sind. (Düsseldorf 1821). S. "m 1 — 77, Nr. 2040.
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192
Armin Tille
Bezug auf die Verordnung nehmen, während alle umliegenden
Pfarreien entweder infolge des Jülich'schen, soweit sie zu diesem
Territorium gehören, oder infolge des Kur-Kölnischen Erlasses,
soweit sie Kur-Kölnisch sind, neue Register begonnen haben. Die
für Jülich im 3. Abschnitt geordnete Materie (Eintragung der Taufen
unehelich Geborener) wird für Kur-Köln in einem besonderen
Reskript vom 8. März 1779 in inhaltlich nicht abweichender Weise
geregelt, nur ist dieses letztere in lateinischer Sprache abgefasst.
Gleichzeitig geht, ebenfalls vom 27. Hornung 1779 datirt, ein kurzer
Erlass an die weltlichen Behörden welcher diesen die ent-
sprechenden Anweisungen bezüglicb der Gerichtsbücher ertheilt.
Die Hauptverordnung 2 ), vielfach vereinigt mit den beiden Begleit-
erlassen, findet sich in der Mehrzahl der erhaltenen Bücher in
Druck oder Abschrift vor. Etwas anderer Natur ist der Erlass
für das Erzbistum Trier vom 11. Dezember 1786 3 ), er trägt mehr
den Charakter einer geistlichen Verordnung, was vor allem darin
zum Ausdruck kommt, dass die Abschriften der kirchlichen Re-
gister nicht an die Gerichte, sondern an das Generalvikariat einzu-
senden sind.
Mit der bereits oben erwähnten Civilstandsgesetzgebung unter
französischer Herrschaft kommt für das linke Rheinufer die alte
Entwicklung zum Abschluss. Im Grossherzogthum Berg folgt die
entsprechende Maassnahme im Jahre 1809. In zahlreichen anderen
mittel- und oberrheinischen Staaten folgen die entsprechenden Verord-
nungen erst im Anfang des 19. Jahrhunderts und sind bei Becker 4 )
der Reihe nach verzeichnet oder als Beilagen auf 108 Seiten ab-
gedruckt. Inhaltlich fügen sie zu dem Gesagten nichts hinzu, tiber-
all tritt nur die staatliche Kontrolle über die Kirchenbuchführung
hervor, welche sie zugleich ihren Zwecken nutzbar macht. Nament-
lich dieneu die Geburtsregister zur Aufstellung der jährlichen Re-
krutirungslisten.
Damit soll die Erörterung abschliessen, aber als Anhang mögen
noch im Paralleldruck der Jülich'sche und Kur-Kölnische Erlass
1) Unseren Gerichten, mithin Schultheißen, Voigt, Scheffen und Gerichts-
achreibcren.
2) Scotti, Gesetze, welche iu Kur-Köln ergaugen sind, II, S. 990—93.
.'}) Scotti, Gesetze, welche in Kur-Trier ergangen sind, III, S. 1458.
4) S. 15/4« und S. 258 ff.
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Tauf-, Trau- und Sterberegister am Niederrhein.
193
folgen, die für das Rheinland in dieser Frage so grosse Bedeutung
gewonnen haben.
Verordnung
für
Jülich. 1760, Nov. 18.
Nachdeme Uns unterthanigst vor-
getragen worden, dass die zur Erpro-
bung begangener Ehen, ehelicher Ge-
burt und Absterbens dienende, in den
Pfarrkirchen aufbehalten - werdende
Vereheligungs- Tauf- und Sterb - Bü-
chere bis anher teils sehr nachlaessig
gefüret, teils gar verloren worden ;
Wir aber diesem Unweesen ferner zu-
zusehen, gnädigst nicht gemeinet seynd ;
Als verordnen zur steeten Richt-
schnur gnädigst :
1) Dass fürohin in jeder Pfarr,
und Filial- Kirch, ohne Unterschied
der Religion, für nun erwehnte Er-
eignüssen drey besondere Büchere in
Bogen - Form aus Kirchen- oder wo
solche nicht hinreichen, aus gemeinen
Mittelen unverzüglich angeschafet, und
mit der Ueberschrift : Tauf- Copu-
lations- und Sterb - Buch versehen
werden sollen. Deren Pfarrer Oblie-
genheit ist solchem nach
2) die das Jahr hindurch sich er-
gebende Vereheligungen, Tauf- und
Trauer-Fälle in das dahin gewidmete
Buch entweder mit eigener lessbaren
oder anderer auf ihre Kosten zu be-
sorgender Handschrift von Tag zu
Tag entweder Latein, oder Teutsch
umständlich einzutragen, als Z. E.
In das Taufen Buch.
Im Jahr . . den . . Tag des Mo-
nats . . ist getauft worden Paulus
ehelicher Sohn Petri N. und Anna N.,
welche sich vereheliget haben in der
Pfarr . . Biscbtums . . Landes . . die
Tauf Zeugen seynd gewesen N. N.
Aoaaleo des hist. Vereins LXIII.
Kur-Köln. 1779, Hornung 27.
Demnach Uns mehrmalen hoechst
missfällig vorgekommen, dass die Ver-
eheligungs-, Tauf- und Sterbbücher
an vielen orten oder vernachlaessiget
oder durch Feuersbrunst und sonstig e
Zufälle gar verloren worden, und
dann dem gemeinen Wesen dadurch
grosser Nachtheil zugewachsen, als
haben um solchem Unwesen vorzu-
beugen nöthig gefunden, in Gefolg
tragenden Erzbischöflichen Amts hier-
unter gemessene Vorsehung zuthuen
und zu verordnen, Verordnen auch
hiemit gnädichst.
1 tens : In jeder Pfarr- und Filial-
Kirche, wo der Tauf vorfindlich, sollen
gleich nach Erhaltung dieses drey be-
sondere Bücher in Bogenform aus
Kirchen- und wo solche nicht hin-
reichen, aus gemeinen Mitteln ange-
schafft und mit der Ueberschrift :
Tauf- Copulations- und Sterb-
Buch versehen werden.
2tens : Jeder Pastor solle die vor-
fallende Vereheligungen, Tauf- und
Sterbefälle in das dazu bestimmte
Buch zur naemlichen Zeit der vor-
gehender Taufe oder Copulation und
in Gegenwart deren annoch anwesen-
den Theilen, und nicht hernach, wie
nicht weniger auch den Sterbtag zu
Latein nach denen in Agenda Colo-
niensi fol. 425 des Endes eigends vor-
geschriebenen Formulen einschreiben
und zwarn mit denen vom lten Ja-
nuarii dieses laufenden 1779 ten Jahres
vorgefallenen Ereignissen den Anfang
machen und diese Verzeichniss sollen
13
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194
Armin Tille
In das Buch der Vereheligten.
Im Jahr . . den . . Tag des Monats
. . seynd ehelieh zusammen gegeben
worden Paulus N. getauft in der
Pfarr . . Bischthums . . Landes . . nnd
Johanna N. getauft in der Pfarr . .
Bischtums . . Landes . . in Gegenwart
N. N. als Zeugen.
In das Buch der Verstorbenen.
Im Jahr . . den . . ist verstorben
Martin N. (hiebey ist dessen Stand,
oder Profession mit wenigen Worten
zu erwehnen, zum E. ein Becker) und
begraben worden den . . auf den
Kirchhof, oder in der N .-Kirche; Als
viel
3) die Tauf - Einschreibung eines
uneheligen Kindes betrift, ist Unser
gnädigster Befehl, dass von dessen
Vatter keine Meldung geschehe, und
selbiger in gemeltes Register nicht
eingeschrieben werde, als in folgenden
dreyen Fällen.
(A.) Wann einer von dem behö-
renden Richter als Vatter erkläret
vorden; Oder
(B.) wann er sich selbst als Vatter
bekennt, und dem Pfarrer erkläret;
Oder aber
(C.) wann derselbe abwesend durch
eine authentische und bestandmässige
Erklärung sich als Vatter des unehe-
ligen Kindes bekennet hat.
Ausser diesen Fällen soll aber nur
die Mutter des unehelich gebohrnen
angesetzet werden, wann diese durch
Zeugnüss der Hebamme, oder anderer
glaubwürdigen Personen bekannt ist;
Solte sich
4) zutragen, dass Vatter und Mutter
des uneheligen Kindes dasselbe durch
eine unter ihnen erfolgende Ehe ehr-
licheten, so ist nicht nur die Ehe
Verbindnüs8 in das Buch der Copu-
lationen, sondern auch die Anerkänt-
die Pastorn den letzten Dezember je-
den Jahres mit ihrer eigenen Unter-
schrift bestätigen.
3 tens : Bey der Vereheligung sollen
noch hinzugesetzt werden die Namen
deren beeden Eltern, sowohl von Sei-
ten der Braut als des Bräutigams.
4 tens: Zu mehrerer Verhuetung
aller bey itzt besagter Einschreibung
dannach vorgehen könnender Nach-
laessigkeit sollen die Kuestern, als
welche bey allen diesen Vorfällen per-
soenlich zugegen sind, die Getauften,
Vereheligten- und Verstorbenen für
sich besonders aufzeichnen, welche
Aufzeichnung des Kuesters nachhero
alljährlich bey haltender Conferenz
von dem Praeses und uebrigen zur
Conferenz gehoerigen Pastoren colla-
tionirt werden solle, welchemnach
dann der in den Pfarrbüchern sowohl
als in denen des Kuesters Annotatio-
nen vorfindender Abgang zu Unserm
General- Vicariat zur gehoerigen Ahu-
dung gleich einberichtet werden solle,
wo ansonsten Praeses und uebrige da-
für angesehen werden.
5 tens: Bey Absterben eines Pa-
storn sollen dessen Executores vorbe-
ruehrte Buecher sowohl ais sonstige
zur Pfarrey oder Kirche gehoerige
Litteralien auf keinerley Art aus dem
Pfarrhau8c hinwegbringen, sondern
selbige sollen von den Landdechanten
sofort nachgesehen und die vom Ver-
storbenen nicht unterzeichnete Blaetter
von selbigen unterschrieben, solchem-
nach dem Deservitom eiugehaendiget
werden, wovon waehrendem Nachjahre
die Buecher richtig gefuehret, bey
seinem Absänge unterschrieben, und
dem antretenden Pastorn uebergeben
werden muessen.
6 tens: Alle alte Vereheligungs-
Tauf- und Sterb- Buecher sollen, Fallö
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Tauf-, Trau- und Sterberegister am Niederrhein.
tiüss, welche von den Eltern des nun-
mehro ehelich gewordenen Kindes ge-
schehen, einzuschreiben, mithin dessen
<reburts-Tag, der Tag der empfange-
nen H. Tauf, die Kirch, worin es ist
getauft worden, und die Nahmen
derer Tauf-Zeugen folgender Massen
mit zu bemerken:
Welche nunmehrige Eheleut N. N.
ein vor der Ehe von ihnen gezieletes
Kind N. für das ihrige anerkannt,
und erkläret haben. Dieses Kind N.
seye gebohren im Jahr . . den . .
Monats . . und getauft in der Kirch
zu . . Bischtums . . den . . Jahrs . . .
dessen Taufzeugen seyen gewesen N.N.
Diesemnaeh sollen
5) alle alte Vereheligungs- Tauf-
und Sterbe - Bücher mit Ende dieses
Jahr geschlossen, und die neue mit
dem 1 ten Jenner bevorstehenden Jahrs
1770 angefangen, die künftige Ver-
zeignus vom Pastorn den letzten De-
zember jeden Jahrs mit Beysetzuug
dessen eigenhändiger Unterschrift be-
stätiget, so dann dass dieses ge-
schehen im folgenden Jahr mit Vor-
legung der Original-Bücher erwiesen
werden; verstirbt der Pastor, so ist es
des Land-Dechanten Schuldigkeit, die
Bücher sofort nachzusehen, die vom
Verstorbenen nicht unterzeichnete
Blätter für ihn zu unterschreiben,
und solche Anordnungen zu machen,
dass währendem Nach-Jahr die Bücher
richtig geführet, vom Deservitore
beym Abgang unterschrieben, und
dem Nachfolger bey dessen Einfuruug
übergeben werden; Damit nun diese
Nachrichten der Nachkommenschaft
so gewisser bey behalten werden,
so ist
6) Unser fernerer gnädigster Befehl,
•dass jedes Buch zweyfach gefüret, und
-von jedem ein gleichlautendes Exem-
195
es noethig, aufs neu eingebunden und
zu gesicherter Verwahrung zum Kir-
chen-Archiv hingeleget werden, wel-
ches zuverstehen von denjenigen alten
Buechern, so zu Mittheilung der
Attestaten und also zum taeglichen
Gebrauche nicht nothwendig sind.
7ten8: Damit nun diese Nach-
richten der Nachkommenschaft desto
sicherer aufbehalten bleiben und durch
keine zufällige Weise verlustiget gehen
moegen, so werden Wir ferner gnae-
digst befehlen, dass vom Gerichte
eines jeden Ortes aus gemeinen Mit-
teln ebenfalls drey dergleichen Buecher
angeschaffet, und im Jenner jeden
Jahres den Pastorn zugestellt werden
sollen, um in solche inner sechs Wo-
chen Zeit die im nächstverflossenen
Jahre vorgegangene Vereheligungs-
Tauf- und Sterbfällen aus ihrem Ori-
ginal-Buch einzutragen, welche nach
geschehener Einschreibung mit den
Original • Kirchenbüchern gleichlau-
tend zu seyn, die Pastores attestiren
sollen.
8tens: Bey Rücklieferung dieser
zum Gerichte gehoerigen Buechern,
als welche durch vertraute Bothen
geschehen muss, solle jeder Pastor
seiue Originalien zugleich mitschicken,
damit die Gerichtschreibern solche
collationiren, und die zum Gerichte
gehoerigen Bücher auch pro concor-
dantia unterschreiben koennen.
Btens: Die Pastoren allein sollen
die Auszuege, oder Zeugnissen fuer die
Gebuehr ertheilen, die Gerichtschrei-
bere aber, wie Wir verordnen werden,
niemalen, es waere denn das Kirchen-
buch verkommen, welches alsdann
dem Extract mit beyzusetzen ist.
Diese unsere gnaedigste Verord-
nung solle jedem deren anzuschaffen-
den Buecheren beygeschrieben oder
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196 Armin Tille: Tauf-, Trau- und Sterberegister am Niederrhein.
plar in jeder Amts-Registratur aufbe-
halten werde. Solchen Ends sollen
Beamte
(A.) für eine jede in dem anver-
traueten Amt bestehende Pfarr- oder
Filial Kirch drey dergleichen Büchere
anschaffen,
(B.) Diese jedes Jahr im Jenner
denen Pastoren mit dem Auftrag zu-
stellen, um inner vier Wochen Zeit
in solche die Begebenheiten des nächst
verflossenen Jahrs aus ihrem Original-
Buch einzutragen;
(C.) Bei Rucklieferung deren zur
Amts-Registratur gewidmeten Bücher
solle jeder Pastor seine Originalien
mitbringen, und beyede mit dem Ge-
richtsohreibern collationiren. Hier-
nechst
(D.) sollen Pastor und Gericht-
schreiber die zur Amts Registratur
gehörende Büchere, als gleichförmig
mit den Kirchen-Bücheren bezeugen.
(E.) Aus solchen sollen gleichwohl
die Pfarrer allein die Auszüge, oder
Zeugnüssen für die Gebühr erteilen,
die Gericht8chreibere aber niemalen,
es wäre dann das Kirchenbuch ver-
kommen, welches alsdann dem Extract
mit bey zusetzen; All obigem Innhalt
haben im gleichen
7) die Protestantische Prediger,
und Inspectoren gehorsamst nachzu-
leben, und damit keiner deren jetzig-
und künftigen Pastoren, und Predi-
geren sich mit der Unwissenheit ent-
schuldigen möge,
So befehlen gnädigst, dass diese
unsere Verordnung jedem deren mit
bevorstehendem neuen Jahr anzu-
fangenden Bücher beygeschrieben, oder
beygebunden werde.
beygebunden und sämmtlichen Pa-
storen zu beständiger Befolgung mit-
getheilet werden.
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Miscellen.
Zwei Bullen Pius IL für Kölner Klöster.
Vou
Bruno Albers.
1. Für die Abtei St. Pantaleon.
Otto der Grosse hatte im Jahre 953 seinen Bruder Bruno zum
Erzbischof der Kölner Kirche ernannt. Seineu Regierungsantritt
bekundete Bruno mit der Restauration der St. Martinsabtei zu
Köln; gegen Ende seines Lebens beschäftigte ihn die Gründung
eines neuen Klosters in derselben Stadt. Abt Hadumar von Fulda
hatte ihm im Jahre 955 mit dem Pallium Reliquien des Mär-
tyrers Pantaleon als Geschenk des hl. Vaters aus Rom Uberbracht.
Bruno's frommer Sinn dachte alsbald daran den Reliquien eine
ihrer würdige Ruhestätte anzuweisen. Vor den Mauern seiner
Bischofsstadt lag eine alte dem Heiligen geweihte Kirche, welche
jedoch gänzlich verfallen war. Bruno Hess dieselbe aufs neue
herstellen, tibertrug dorthin die Reliquien und verband später mit
ihr eine Mönchsabtei. 964 fand die feierliche Einweihung des
Klosters und der Kirche statt 1 . Woher der Erzbischof die ersten
Mönche genommen, ist uns nicht Uberliefert. Wenn wir seine
Freundschaft mit Abt Hadumar in Betracht ziehen, so wird die
Konjectur Fulda günstig sein; wir dürfen aber nicht vergessen,
<las8 Bruno .ebensowohl zu den Mönchen von St. Maximin in Trier,
wie mit denen zu Lorsch* in den engsten Beziehungen stand. Als
•erster Abt des Klosters wird Christian genannt.
1) Die unechte Stiftungsurkunde Eß. Brunos bei Lacomblet, ÜB»
-des Niederrh. I, 61 No. 106 und Pertz SS. XVII, 740 ad an. 964.
2) EB. Bruno hatte der von ihm restaurirten Abtei St. Martin einen
Mönch aus Lorsch zum Abte gegeben (Pertz, SS. II, 214 Chron. S. Martin
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198
Bruno Albers
Im XI. Jahrhundert erneuerte der hl. Anno die Stiftung sei-
nes Vorgängers, indem er Mönche aus Siegburg, welche die Ge-
wohnheiten von Fructuaria (Cluny) beobachteten, in das St. Pan-
taleonskloster einführte.
Vier Jahrhunderte später war die Observanz und reguläre
Disciplin wieder in Verfall gerathen. Die Abtei hatte sich zwar
1450 1 der Bursfelder Congregation angeschlossen, ohne jedoch in
Folge dieses Anschlusses mit Erfolg dem drohenden Ruine ent-
gegentreten zu können. Da wandte sich der Abt von St. Panta-
leon 2 zu Anfang des Jahres 1458 nach Rom. Niedergebeugt durch
die Last der Jahre und von drohenden Sorgen für die Existenz-
seines Klosters umringt, glaubte er sich der Leitung der Abtei
nicht mehr gewachsen. Den Krummstab wollte er jüngeren Hän-
den tibergeben, diese sollten die Interessen der Abtei wahren und
den gänzlichen Verfall derselben hindern. Unter Darlegung der
traurigen Verhältnisse, in welchen das St. Pantaleonskloster sich
befand, wandte er sich nach Rom und bat, dass Pius II. dem Car-
thäusermönche Johannes von Totichen 3 gestatten möge, das Kleid
des hl. Bruno und die Satzungen des Carthäuserordens mit dem
Kleide und der Regel St. Benedicta zu vertauschen. Dieser solle
dann die Leitung des Klosters übernehmen und unterstützt von*
einem zweiten Carthäuserpater und vier oder fünf Laienbrüdem
desselben Ordens an der völligen Reformirung der Abtei arbeiten.
Wie wohlwollend der Papst die Bitte aufnahm, zeigt uns die nach-
stehende vom 8. März 1458 datirte Bulle Pius II. an den Erz-
bisehof Theoderich von Köln 4 . Zur Wiederbelebung der regulärer*
Colon.). Lorsch hatte er selbst reformirt (Pertz, SS. IV, 257/8. Ruotgeri
Vita BrunoniB). Andere treten für die Abtei Corvey ein, ef. Mabillon annal.
o. S. Bened. III, 494 und Annal. Corbej. apud Leibnitz SS. rer. Brunsvic. II,.
301 ad an. 952. *
1) Annal. f. d. Niederrh. XIX, 90.
2) Johannes Veet von Soest, 1452 — 1459 (vgl. Thomas, Gesch. der
Pfarre S. Mauritius zu Köln S. 87). Abt Johannes legte am 24. Jnni 1459-
sein Amt nieder (Kölner Stadtarchiv, Geistl. Abth. Msc. 204 fol. 54).
3) Johannes Schunde von Doetichem (Thomas 1. c. S. 87); er war
von 1437 — 1458 Prior des Kölner Karthäuserklosters (Jost, Sancta Colonia
S. 264).
4) EB. Theoderich regierte von 1414—1463. Ueber ihn und seine Wirk-
samkeit für die Klöster seines Sprengeis cf. Ennen, Gesch. der Stadt Kola
III, 768 wo auch näheres über den Zustand der Abtei S. Pantaleon (pg. 769/ 70K
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Zwei Bollen Pius II. für Kölner Klöster. 199
Observanz und zum erbaulichen Beispiele der Nachwelt solle der
Carthäuser Jobannes von Totichen, Magister der schönen Künste,
den Kenntniss der hl. Schriften ebenso wie heiliges Leben und
praktische Fürsorge in materiellen Dingen auszeichne, die Erlaub-
niss haben, in den Benedictinerorden überzutreten. Mit ihm solle
ein anderer Mönch als Cellerarius 1 und vier oder fünf Laienbrü-
der gleichfalls sich in die 8t. Pantaleonsabtei begeben. Der Erz-
bischof solle Sorge tragen, dass dieses geschehe, und so dem dro-
henden Ruine des Klosters rechtzeitig gesteuert werde 2 . —
Die zweite Bulle desselben Papstes ist unter dem Datum des
16. Januar 1458 an die Aebte der Klöster St. Martin und St. Pan-
taleon zu Köln, sowie an den Dekan des Collegiatstiftes an der
St. Andreaskirche daselbst gerichtet. Erzbischof Theoderich hatte
in Rom Klage geführt, dass manche Klöster und Convente unter
dem Vorwande der Exemption jeden seiner Versuche durch eine
Visitation das klösterliche Leben neu zu ordnen oder zu refor-
miren ablehnten. Die obengenannten Aebte und der Dekan der
St. Andreaskirche werden vom hl. Vater angewiesen, auf jedes
Verlangen des Erzbischofes hin in jedem Kloster der ganzen Köl-
ner Diöcese die canonischc Visitation vorzunehmen und erhalten
hiefttr vom Papste jegliche nöthige Vollmacht.
L
Permittitur transferendi aliquot monachos ex monasterio Cartu-
sianorum Coloniensi in monasterium S. Pantäleonis Colon, pro refor-
matione dicti monasterii S. Pantäleonis. Reg. Vat. 499. fol. 291.
Pius etc. Venerabiii fratri Archiepiscopo Coloniensi salutem
etc. Ad ea, quae pro ecclesiarum et monasteriorum utilitatibus,
illorumque provido regimine et restauratione necessaria fuerint seu
alias quomodolibet oportuna in divini cultus et religionis augmen-
tum paterne dirigimus considerationis intuitum et illa, quantum
cum Deo possumus apostolicis favoribus confovemus. Sane pridem
1) Wer die Wichtigkeit und den Einfluss des Cellerarius auf die Mönche
erkennen will, lese das schöne Capitel in der Hegel des hl. Benedict über
den Cellerar. (Regula S. Benedict! cap. XXXI De cellerario manasterii, qua-
lis sit.)
2) Johann von Doetichem wurde 1459 Abt von S. Pantaleon und be-
kleidete diese Würde bis an seinen am 15. August 1464 erfolgten Tod (Köl-
ner Stadtarchiv, Geistl. Abth. Msc. 204 fol. 56; T h o m a s 1. c; Jost 1. c.
S. 264 giebt den 24. April 1465 als Todestag an).
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200
Bruno Albers
pro parte dilecti filii abbatis monasterii sancti panthaleonis ordinis
sancti benedicti, Coloniensis, nobis exposito, quod cum ipse esset
adeo senio confractus, quod monasterium ipsum feliciter amplius
regere illiusque jura defendere non posset commode per se ipsum,
et propterea ex certis rationabilibus causis animum suum moven-
tibus regimini et administratiooi monasterii hujusmodi sponte et
libere cedere proponeret, ac tarn dictus abbas, quam etiam con-
ventus praefati monasterii desiderantes, ut in dicto monasterio
regularis vigeret observantia per cessionem hujusmodi, dilecto filio
Johanni de Totichen, ordinis cartusiensis domus Coloniensis ma-
gistro in artibus, ac in sancta pagina erudito, exemplaris vite et
sanctimonie. in temporalibus provido ac in spiritualibus plurimum
circumspecto, provideri mandassemus, volentes, quod ex tunc illum
gestaret habitum, qui in eodem monasterio geritur et habetur, illius-
que institutis regularibus se confirmaret prout in literis nostris
desuper confectis, quarum tenorem praesentibus habemus pro ex-
presso, latius continetnr. Cum autem sicut eadem peticio subjun-
gebat dictum monasterium per incuriam ac inutilem administratio-
nem predecessorum ere alieno gravatum ac in temporalibus et
spiritualibus plurimum collapsum censeatur, et propterea tarn pro
observancia regulari deinceps in dicto monasterio Deo auspice sta-
bilieuda et continuanda exeraplariaque edificatione posterorum,
quam pro gravibus oneribus dietim incumbentibus et ad observan-
dum fidem promisionem obligationumque diversis creditoribus aliis-
que personis factam pro prediis censibus et possessionibus ipsius
monasterii plus solito vigilantiori cura colendis (?) gubernandis, recu-
perandis ut uberiores exinde proventus et introitus temporis pro-
gressu coiligi possint, sine quibus humane fragilitati non est diu
insistendum, spiritualibus ante omnia quaerendis, ac pro duplici
monasterii hujusmodi tarn spirituali, quam temporali reformatione
plurimum monasterio hujusmodi profuturum foret ydoneum habere
cellerarium sacerdotem ac quatuor vel quinque patres laicos dona-
tos aut conversos dicte domus Cartusiensis, pro juvamine ac suf-
fragio vigilantique assistentia, pro Dei gloria illic amplianda ex-
pertos, ob etiam conformitatem morum et experientiam laborum
et officiorum in eodem monasterio exercendorum cum pro prae-
missorum executione potius fundati et instructi et imbuti ac ex
una domo noti recipiendi et preferendi forent, quam ex pluribus
vel aliunde imbuendos ac inexpertos recipere aut colligere ne sci-
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I
Zwei Bullen Pius II. für Kölner Klöster.
201
ücet in prestina incidatur inconvenientia et ex aliorum indotibi-
lium (!) inoboedientia, deteriora subsequerentur, cum etiam in dicta
domo Cartusiensi plures ad hoc sufficientes remanerent, plerique
etiam ad praemissa apti illuc confluunt et confluere consueverunt
pro parte dicti abbatis nobis fuit humiliter supplicatum quatenus
praemissa perficiendi licenciam concedere ac alias ipsum monaste-
rium pro ipsius stabilimento ut prefertur pro favore prosequi de
benign itate apostolica dignaremus. Nos igitur, qui animarura pro-
curamus salutem et religionis propagationem illiusque stabilimen-
tum ferventibus desideriis nostris presertim temporibus prcsequen-
tes de praemissis certam noticiam nostram habenteo, hujusmodi
supplicationibus inclinati fraternitati tue per apostolica scripta
committimus et mandamus, quatenus si ita est, super quo tuam
conscientiam oneramus, dictorumque transferendorum ad id con-
sensus accesserit ex tunc unum ex fratribus sacerdotibus pro cel-
lerario et alios quatuor fratres donatos seu conversos dicte domus
Cartusiensis pro praemissorum executione proficuos et necessarios
ad dictum monasterium sancti panthaleonis auctoritate nostra trans-
feras ac dictis tranferendis quod ex tunc illum gestent habitum,
qui in eodem monasterio per professos sacerdotes et donatos seu
conversos geritur et habetur ac illius institutis regularibus obser-
vantia monastice se conforment plenam et liberam auctoritate apo-
stolica licentiam largiaris, non obstantibus constitutiouibus et ordi-
nationibus apostolicis et consuetudinibus monasterii domus sive
ordinum praedictorum etiam juramento seu quamvis alia firmitate
roboratis, ceterisque contrariis quibuscunque ....
Datum Senis antto etc. millesimo quadringentesimo quinqua-
gesimo octavo Idus Martii Pontificatus nostri anno primo.
IL
Reg. Vat. 499. fol. 322.
Pius etc. Dilectis filiis sanctorum Panthaleonis et Martini
Coloniensis monasteriorum abbatibus ac decano ecclesie sancti
Andree Coloniensis salutem etc.
Licet grave gerimus et molestum cum de ecciesiasticis per-
sonis sinistra nobis proferantur in execibus (!) tarnen religiosarum
personarum, quae mundanis abjectis illecebris sub regulari obser-
vancia pre ceteris castius et honestius ex professionis voto vivere
sunt astricte eo gravius provocamur, quo damnabilius earum culpe
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202
Bruno Albers
et excessus permaneant incorrecti, cum id quod per eas male agi-
tur, ab aliis trahatur facilius in exemplum. Cum itaque sicut ex-
hibita nobis du per pro parte Venerabiiis fratris nostri, Theodorici
archiepiscopi Coloniensis petitio continebat in plerisque mona-
steriis aliisque regularibus locis conventualibus ordinum diversorum
suarum civitatum et dioecesis Coloniensis, presertim quae exempta
dicuntur, et in quibus idem archiepiscopus propterea jurisdictionis
exerticio (!) hactenus non inhesit regularis depressa observancie
norma ritus monasticus, divina quoque ministeria laxentur et ne-
glectui commissa sint ipsorumque monasteriorum et locorum per-
sone pie vite studio et suavi contemplacionis ingenio sepositis,.
prosilientes ad vetita variis, et que nonnumquam impunita per-
transeant, criminibus et excessibus se immergere et ea admittere
detestabiliter non tremescunt in suarum salutein animarum dispen-
dium, divinae majestatis offensam, et non sine scandalorum pre-
cipitii8, in sacre religionis obprobrium, et pernitiosum plurimorum
exemplum, unde monasteria et loca ipsa, ut excussis, que illorum
offuscant decentiam, in continentiis acceptiores parturiant alump-
nos tarn in capitibus, quam in membris in eisdem quoque spiri-
tualibus et temporalibus visitacionis et reformationis presidium
exposcunt salutare. Nos igitur, quorum interest nostras super hiis
afferre vigilancie curas, etiam ipsius Theodorici archiepiscopi in hae
parte supplicationibus inclinati, discretioni vestre, de qua in hiia
et aliis specialem in domino fidutiam obtinuimus per apostolica
scripta committimus et mandamus quatenus vos vel duo aut unua
vestrum ad singula monasteria et conventualia loca hujusmodi quan-
documque et quotienscumque presertim Theodoricum Archiepi-
scopum Coloniensem 1 , quoad vixerit ad hoc fueritis requisiti etiam
simul cum ipso archiepiscopo ac aliis religiosis personis, quas
duxerint eligendas accedentes ac prae occulis habentes solura deum,
in singulis monasteriis et locis ipsis tarn in spiritualibus quam in
temporalibus, necnon capitibus et membris hujusmodi debite refor-
macionis officium auctoritate apostolica impendere ac solicitiu»
exercere curetis ac omnia debite reformationis inibi fulciatis amini-
culo, que illo noveritis quomodolibet indigere; nos enim ut ex
hujusmodi visitacionis et reforraacionis directione salubri fructus
1) Scheint so im Text zu stehen und ein Schreibfehler für a Theoderico«
Archiepiscopo Coloniensi.
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Zwei Bullen Pius II. für Kölner Klöster.
203-
proveniant ampliores, tarn vobis, quam praefato Theodorico archi-
episcopoomnnes et singulos monasteriis et conventualibus locis praesi-
dentes, eisdem ipsorumque monasteriorum et conventualium locorum
personas cujuscumque dignitatis, Status, gradus ordinis vel condi-
ciouis fuerint insuper criminum et excessuum per eos quomodolibet
perpetratorum qualitatem et exigeutiam sauctiouesque canonicas
et regularia dictorum ordiuum constitutiones et instituta necnon
presideDtium et personarum animaruni saluti monasteriorum quo-
que et conventualium locorum eorundem statui et indemnitatibus
congruere perspexeritis, eadem auctoritate corrigendi penisque de-
bitis percellendi ac omnia alia et singula in premissis et circa
ea quomodolibet necessaria et oportuna faciendi, statuendi, dispo-
nendi, ordinandi et exequendi, contradictores quoque et rebellea
per censuras ecclesiasticas et alia oportuna juris remedia appella-
tione postposita compescendi plenam et liberam concedimus tenore
presentium facultatem non obstautibus constitutionibus et ordina-
tionibus apostolicis, necnon statutis et consuetudinibus monasterio-
rum, conventualium locorum et ordinum eorundem jura confir-
matione apostolica vel quamvis alia firmitate vallatorum etc. etc.
Datum Romae apud sanctam mariam majornm anno incama-
tionis dominice millesimo quadriugentesimo quinquagesimo octavo
tertio decimo kal. Februarii pontificatus nostri anno primo.
Aeltere Rechnungen über die Bearbeitung von Wein-
bergen in der Dürener Gegend.
(15. Jahrhundert.)
Von
£. Pavls.
Der Weinbau an den Ufern der Roer in der Nähe Dürens ist
mehrere Jahrhunderte alt, war aber, wie so vielfach anderweitig,,
im Laufe der letzten Jahrzehnte erheblich zurückgegangen 1 ). Er-
freulicher Weise hat jetzt eine auf Veranlassung des Königl. Land-
1) Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins Bd. VII, S. 199 ff. und
Annalen des historischen Vereins für den Niederrhein Heft 62, S. 104 ff.
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E. Pauls
rathamtes zu Düren durch einen Weinbau • Sachverständigen im
Sommer 1896 vorgenommene Untersuchung 1 ) der Weinberge in den
Gemarkungen Winden, Maubach und Niedeggen ergeben, dass die
Lage recht günstig ist, hundert- und mehrjährige Stöcke, sowie
«in fast ganz verunkrauteter und verwachsener Boden an vielen
Stellen indess Neuanlagen in Verbindung mit einer sorgfältigen
Bodenbearbeitung nöthig machen. Eine Rechnung über die Be-
arbeitung der Windener Weinberge im Jahre 1600 wurde bereits
früher veröffentlicht 2 ). Um 166 Jahre ältere derartige Rechnungen
aus Bürvenich, Pissenheim, Pimmenich und Winden bewahrt das
Staatsarchiv zu Düsseldorf in den Kellnerei-Rechnungeu des Amtes
Hambach. Wahrscheinlich sind die nachstehend zum ersten Mal
veröffentlichten Aufstellungen in ihrer Art die ältesten zur Ge-
schichte des Weinbaus an der Roer; ziemlich gleichalterige ähn-
liche Rechnungen für die Moselgegend und Belgien 3 ) finden sich
bei Lamprecht und Halkin, auch enthalten die von L. Korth 4 )
herausgegebenen ältesten Haushaltungs-Rechnungen der Burggrafen
von Drachenfels manche Notiz zur Kultur der Weinberge bei Kö-
nigswinter am Rhein zu Ende des 14. Jahrhunderts.
Ich beschränke mich auf die Wiedergabe der Bürvenicher
Rechnung und gebe Uber die andern Rechnungen, um Wieder-
holungen zu vermeiden, ausser einer kurzen Uebersicht einige in
der Aufstellung für Bürvenich nicht vorkommende Notizen kultur-
geschichtlicher Art.
Weinberg zu Bürvenich im Kreise Düren (vgl. Anlage).
(14345).)
Dass 15 Arbeitstage auf das Zusammenstellen der Körbe (liele)
und das Einsammeln des Zehnten, 73 Arbeitstage auf das Tragen
1) Kölnische Zeitung Nr. 529 vom 9. Juni 189G.
2) Zeitschrift des Aachener Gcschichtsvereins Bd. VII, S. 261 ff. nach
Akten des Stadtarchivs in Köln.
3) K. Lamprecht, Deutsches Wirtschaftsleben II, Statistisches Ma-
terial S. 535 f. für Kärlich zum Jahre 1432; J. Halkin, Etüde historique
sur la culture de la Vigne en Belgique (Extrait du Bulletin de la Societe
•d'art et d'histoire du diocese de Liege tom. IX) für Löwen (Louvain) zu den
Jahren 1403 und 1404.
4) Annalen des historischen Vereins für den Niederrhein. 54. Heft.
5) Die Rechnungen wurden im Jahre 1434 aufgestellt; die angeführten
Auslagen fallen wohl in die Jahre 1432 und 1433.
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Aeltere Rechnungen üb. d. Bearbeitung v. Weinbergen in d. Diirener Gegend. 205-
von Mist in den Weinberg, 200 Arbeitstage auf den Transport von
Pfählen und Schneidearbeiten (wyngerden gesneden) u. s. w. fallen,
deutet auf eine eingehende Bewirtbschaftung und einen reichen.
Herbst. Dem Ertrage steht die hohe Ausgabe von 328 Mark ge-
genüber, von welcher indess hier wie bei den anderen Weinbergen
wahrscheinlich ein Theil für Neuanlagen verausgabt wurde. Er-
wähnt werden 17 Morgen Weinberg, nicht dagegen ein Kelterhaus;
vielleicht kelterte man den Wein ausserhalb Bürvenichs. Nur
Männerarbeit wird zum Tagelohn von 37 2 Schilling (einmal
4 Schilling) verzeichnet.
Weinberg zu Pissenheim im Kreise Düren.
(1434.)
Neun Morgen Weinberg; Gesammtkosten 166 Mark. Nur
Mänrierarbeit: Tagelohn 3 1 / 2 , 4, 5 Schilling. Je ein Posten für
den Weinberghüter (wynschutzen), sowie für Butter und Käse an.
die Korbträger. Kelterhaus- Arbeiten werden erwähnt.
Weinberg zu Ginnick im Kreise Düren.
(1434.)
21 Morgen Weinberg, Gesammtkosten 524 Mark. Männer-
arbeit: Tagelohn 20 haller 1 ), 5 Schilling; Frauenarbeit: Tage-
lohn 2 J / 2 Schilling. Kelterhaus erwähnt. Der Mist wurde im Hofe
geladen und aus den Ställen getragen*).
Weinberge zu Pimmenich 3 ) und Winden im Kreise Düren.
(1434.)
Je neun Morgen Weinberg; Gesammtkosten für diese 18 Mor-
gen 429 Mark. Männerarbeit: Tagelohn 4, 5 Schillinge (bei
4 sh. wiederholt ein Zusatz von Bier); Frauenarbeit: Tagelohn
2 Schillinge. Bemerkenswertbe Posten: Reinigen (schoen machen)
des Kelterhauses, Keltersmeer (wohl Oel u. dergl. zum Anfetteu
der Schrauben), Häringe, Butter, Käse, Salz, Erbsen, Kerzen, Fass-
1) Der hohe Satz von 5 Schillingen gilt für Arbeiten im Kelterhause r
die auch in den anderen Rechnungen hoch angesetzt stehen. Dem Lohn von
20 haller (nicht ganz 2 Schillingen) wurde wohl freie Kost beigefügt. Die
Frauenarbeit bestand in weyden ind gerden raffen (zusammenlesen).
2) In den hoeve geladen ind uyss den stellen gedragen.
3) Pimmenich ist ein Weiler bei Lendersdorf. Weinberge in Pimme-
nich finde ich sonst nicht verzeichnet.
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1
■so«;
E. Pauls
Binder (2 vassen zo byiiden), Wein zum Auffüllen (vulwyn) 1 ), 24
Mark Jahre9lohn für den Weingärtner und 12 Mark für einen Rock
desselben Gärtners.
Anlage.
Rechnung über die Bearbeitung des Weinbergs in Bür-
venich kurz vor 1434.
Dit is bewisonge van alsulchen costen ind wercken, as onss gne-
diger heren wyngarden bynnen deser vurscr. zyt dat de rentmeister dat
rentmeister ampte annam, hait gecost zo machen ind zu bereiden, as
her na volgt. Ind zo wissen, dat plotzen ind heichten 2 ) voir des rent-
meisters zyt voir geschiet was. In den nesten van den wyngerdeu zu
Buruenich.
Item so haint 5 manne in dem berste die liele
ind den zienden by ein gedragen, mallich 3 dage, des
dages 4 sh. valet 5 mr. ; item haint 12 manne myst
in die wyngerden gedragen, onder yn allen 73 dage,
des dages 3V2 sh., valet 21 mr. 3 sh. 6 hr. It ver-
dinckt die wyngerden zo körten, dan af gegeven
14 mr.; it. verdinckt eynen grave länx die wyn-
mr.
sh.
5
j ]
21
3
14
hr.
1) In mehreren Wörterbüchern scheint dieser Ausdruck zu fehlen. Er
findet sich im 9. Bande der Beiträge zur Geschichte des Niederrheins (Düssel-
dorfer Geschichtsverein) S. 31; vergl. ferner Lacomblet Archiv Bd. II, S. 2G:
vinum quod supplementum dicitur.
2) Lamprechta. a. ö. S. 536 Anmerk. nennt folgende Weinbergs-
arbeiten für die Moselgegend zum Jahre 1432: Hauen, Lauben, scindere et
stipare, Gurten, slisen salices, Brachen, Nachpflanzen, Rotten und Umzäunen,
Beugen, Lauben, Ruren, colligere, Kelterarbeit. In der vorliegenden Rech-
nung (Bürvenich) entspricht die Mark 12 Schillingen, der Schilling 12 Hellern.
Mark kürze ich in mr., Schilling in sh., Haller in hr., füge aber der Ueber-
sichtlichkeit halber seitlich den Betrag in Colonnen nochmals an. Nach
Lamprecht a. a. 0. entsprach in der Moselgegend damals ein Albus 1,28
Gramm Silber. Ob dies auch für die Roergegend gilt, lässt sich ebenso wenig
zur Zeit feststellen, als die Grösse eines Morgens im Dürener Bezirk im
15. Jahrhundert. Es mangelt an den nöthigen Vorarbeiten. Plotzen = mit
dem Messer beschneiden, wyngarts blader plottzen of afdoin ; höchten, höhen (?),
d. h. die Rebenzweige nach oben hin anbinden, oder aber: hauen und be-
schneiden im Weinberge. (Annalen des historischen Vereins für den Nieder-
rhein, Heft 54, S. 89.)
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Aeltcre Rechnungen üb. d. Bearbeitung v. Weinbargen in d. Dürener Gegend. 207
mr.
sh.
hr.
garden zo graven, dan af gegeven 5 mr., it. haint
12 manne raeme up die wyden geschoret ind wyden
gesneden, mallicb 2 dage, des (dages) 3Y 2 sh. valet
7 rar. Item haint 12 manne raeme gewadt, under
yn allen 36 dage, des dages 3V2 sh. valet 10 mr.
6 sh.; it. haint 12 manne raeme in die wyngerden
gedragen ind die wyngerden gesneden, onder yn
allen 200 dage ad 3V2 sh. valet 58 mr - 4 sh.
Summa huius lateris: 121 mr. 1 sh. 6 hr.
Item haint 12 manne geprofft, mallich 2 dage,
•des dages 3V2 sh. valet 7 mr.; it. om 120 schouve 1 )
gortwyden, den schouf voir 9 hr. valet 15 mr.; it.
haint 12 manne gestickt, onder yn allen 91 dage, ad
3V2 sn < valet 26 mr. 3 sh.; verdinkt 12 morgen
wyngartz zu gorden, va nden morgen 3V2 mr * valet
42 mr.; it. noch van 5 morgen wyngartz zo gorden,
dan af gegeven 10 mr. 10 sh; it. verdingt 17 mor-
gen wyngartz zo graven, van den morgen 5V 2 mr.
valet 93 mr. 6 sh. Item den gesellen in der gracht
5 tonnen biers, die tonne 2V2 mr « valet 12 mr. 6 sh.
Summa huius
Summa dis vurscr. wyngartz wercken zo Buruenich :
328 mr. 2 sh. 6 hr.
7
10
58
121
1
6
7
15
26
3
42
10
10
93
6
12
6
207
121
1
6
| 328 , 2 | 6
Nach Schluss dieses Aufsatzes meldeten gelegentlich der
Besprechung des Ausfalls der Weinernte im Herbst 1896 verschie-
dene Zeitungen, dass nicht nur mehrfach am Rhein und an der
Mosel, sondern selbst an minder günstig gelegenen anderweitigen
Stellen dem Weinbau seit einigen Jahren mehr Aufmerksamkeit
gewidmet werde. Eine zu Ende 1896 in Löwen erschienene Schrift
von F. Pirard empfiehlt unter Hinweis auf die seit Jahrhun-
1) Schauf-Bündel; ähnlich wie in „schauf auflegen": Strohbündel für
Dächer.
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208 E. Paul 8: Aeltere Rechnungen über die Bearbeitung von Weinbergen etc.
derten unveränderten klimatischen Verhältnisse eine den heutigen
Anforderungen der Wissenschaft entsprechende sorgfältige Pflege
der zur Zeit noch in Belgien vorhandenen Weinberge. Pirard
theilt mit, dass ein vor etwa fünf Jahren bei Löwen in Belgien
angelegter Weinberg von 13 Ares (ein halber preussischer Morgen)
im Herbst 1896 einen Ernteertrag von 600 Liter Weiss wein aus
völlig reif gewordenen Trauben aufzuweisen hatte.
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Die historische Litteratur 1 ) des Niederrheins
für das Jahr 1894.
Von
Kaspar Keller.
A. Römische Zeit.
1. A. Schulten. Die Roman isirung der Rheinlande. — Rhein-
G. Bl. 1, S. 41-44 und 85-87.
2. E. Ritterling. Statthalter von Germania Inferior. WZ. 13,
S. 28-37.
Ergänzungen zu Liebenams Listen der germanischen Statthalter.
3. Museographie:
a) J. Klein. Bonn. Provinzialmuseum. WZ. 13, S. 310—312.
b) A. K i s a. Köln. Museum Wallraf - Richartz. WZ. 13,
S. 312—315.
c) A. K i s a. Museum Wallraf- Richartz in Köln. Die neue
Aufstellung der römischen Alterthümer. KBWZ. 13, Sp.
328—332.
d) F. B e r n d t. Aachen. Städtisches Suermondt - Museum.
WZ. 13, S. 315-316.
e) Krefeld. Sammlung des Museumsvereins. WZ. 13, S.
316-317.
1) Die Herren Autoren und Verleger von Arbeiten auf dem Gebiete der
Geschichte der Bheinprovinz werden gebeten, im Interesse der Vollständigkeit des
Litteraturverzeichnisses die Anzeige-Exemplare möglichst frühzeitig an die Re-
daktion der Anndien (Bonn, Agrippinenstrasse 5) einzusenden.
Annalen des hist. Vereins LXIII. 14
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210
Kaspar Keller
f) 0. Schell. Elberfeld. Sammlung des Bergischen Ge-
schichtsvereins. WZ. 13, S. 316.
4. H. D r e s 8 e 1. Aus dem Bonner Provinaialmuseum. Mit 1
Tafel. JVARh. 95, S. 61-87.
Beschreibt den Bropcebeschlag einer römischen Schwertscheide mit
Bildniss und eine aus Spanien stammende Amphora.
5. H. L. U r 1 i c h s. Römische Broncereliefs aus Köln. Mit 1
Tafel. JVARh. 95, S. 90-101.
6. A. BrUning. Die Kölner Aeneasgruppe. M. 1 Tafel. JVARh.
95, S. 49—60.
Diese 1892 gefundene Gruppe, welche Aeneas darstellt, wie er seinen
Vater auf den Schultern trägt und den Askanius an der Hand führt, gleicht
der früher gefundenen, im Litteraturbericht 1892 n. 16 beschriebenen
Gruppe; der bei dieser fehlende Askanius ist inzwischen auch aufgefunden
worden. Mit Rücksicht auf die Fundorte, vor der Römerstadt an Römer-
strassen, nimmt Br. an, dass die beiden Gruppen den Abschluss von Grab-
denkmälern gebildet haben.
7. S t e u e r n a g e 1. Römische Funde zwischen Köln und Niehl.
KBWZ. 13, S. 34-40.
Bei Kanalisationsarbeiten wurden die Fundamente eiues kleinen römi-
schen Gebäudes, sowie Blei- und Steinsärge blossgelegt. In letzteren fanden
sich u. a. Broncegegenstände und Fläschchen.
8. A. K i s a. Funde bei Hermülheim. KBWZ. 13, Sp. 206.
In einer Braunkohlengrube wurden Glaskannen und -Näpfe, Thon-
schüsseln und zahlreiche Bruchstücke von Urnen, Gefässen und Ziegeln ge-
funden.
9. A a c h e n. Alterthumsfunde. KBWZ. 13, Sp. 74—76.
Zwei Meter unter der heutigen Strasse wurde ein Stück der von der
Maas (Roermond) über Eupen nach Trier führenden Römerstrasse auf-
gedeckt.
10. C. Meurer. Aus der rheinischen Epigraphik des Jahres 1893.
JVARh. 95, S. 185—220.
Zusammenstellung der im Jahre 1893 im Rheinstromgebiet gemachten
und publicirten epigraphischen Funde.
11. C. B o n e. Römisch-mittelalterlicher Inschriftenstein zu Düssel-
dorf (Derendorf). BGNiederrh. 8, S. 244—246.
12. C. Koenen. Zum Verständniss der Blankenheimer Aus-
grabungen. RheinGBU. 1, S. 227-229.
Aus Anlass der Aufdeckung grossartiger römischer Bauanlagen in
Blankenheim weist K. auf die Tradition hin, welche die ältesten Theile des
Schlosses auf römischen Ursprung zurückführt und einen Graf Albinus als
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Die historische Lifteratur des Niederrheins für das Jahr 1894. 211
<}rüuder nennt. Albinus entspreche dem fränkischen Blanko = weis. Es seien
manche Dynastensitze aus den Gütern römischer Grossgrundbesitzer hervor-
gegangen.
B. Mittelalter und Neuzeit.
I. Quellen- und Quellenkunde.
13. L. Weilaud. Fragmente einer niederrheinischen Papst-
und Kaiserchronik aus dem Anfang des 14. Jahrhunderts. —
Nachrichten derK. Gesellschaft der Wissenschaften zu Göttingen,
1894, S. 375—383.
Nachweis, dass die Chronik zwischen 130ß und 1308 am Niederrhein
entstanden ist. Das Fragment, welches die Jahre 1293—1303 umfasst, ist
werthvoll durch seine Nachrichten zur niederrheinischen Territorialge-
achichte.
14. J. Hansen. Nuntiaturberichte aus Deutschland 1572—1585.
nebst ergänzenden Aktenstücken. Zweiter Band. Der Reichs-
tag zu Regensburg 1576, der Pacificationstag zu Köln 1579,
der Reichstag zu Augsburg 1582. Im Auftrag des K. Preussi-
schen historischen Instituts in Rom bearbeitet. [A. u. d. T.
Nuntiaturberichte aus Deutschland. Dritte Abtheilung 1572
bis 1585. Herausgegeben durch das K. Preussische historische
Institut in Rom und die K. Preussische Archivverwaltung.]
Berlin, Bath. XCIII, 679 S.
Die niederrheinischen Gebiete wurden durch den spanisch - niederlän-
dischen Streit stark in Mitleidenschaft gezogen und hatten daher an den
Kölner Friedensverhandlungen das grösste Interesse. Die Verhandlungen
blieben erfolglos, sie hatten die ganzliche Trennung der holländischen Gebiete
vom deutschen Reiche zur Folge. — Die auf Köln und den Niederrhein be-
züglichen Nuntiaturberichte von den Reichstagen zu Regensburg und Augs-
burg sind im ersten Band veröffentlicht. [Vgl. Litt.-Ber. 1892, n. 32.] In
einem grösseren Anhange werden dann noch Nachträge zum 1. Bande, Akten
zum Abfall des Erzbtschofs Gebhard Truchsess von der katholischen Kirche,
mitgetheilt, die fast ausschliesslich dem durch das Königl. Preussische histo-
rische Institut in Rom erworbenen Theile des Archivs der Familie Minucci
entnommen sind.
14a. J. Hansen. Zur Gegenreformation im Erzstift Köln. KBWZ.
13, Sp. 172—173.
' Eine Ergänzung zum 1. Band der Nuntiaturberichte: ein Brief des
Elekten von Köln, Ernst von Bayern, an den Nuntius Bonomi, worin er um
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212
Kaspar Keller
Unterstützung in seinen Bemühungen um die Restauration des Katholizismus
im Erzstift bittet.
15. H. Hoogeweg. Die Schriften des Kölner Domscbolasters,
späteren Bischofs von Paderborn und Kardinalbischofs von S.
Sabina, Oliverus. [A. u. d. T. Bibliothek des Litterarischen
Vereins in Stuttgart Bd. 202.] Tübingen, Litterarischer Ver-
ein in Stuttgart. CLXXX1II, 352 S.
lti. W. Sauer. Bericht Uber die Entnahme des Betrages von
2682 Gulden aus dem im Kammergewölbe zu Marburg hinter-
legten Schatze des Erzbischofs Hermann von Köln und Zah-
lung dieses Betrages an König Maximilian, 1486, Juni 17.
KBWZ. 13, Sp. 130-132.
17. H. K e 1 1 e t e r. Zur Geschichte des Kölner Kurfürsten Joseph
Clemens. KBWZ. 13, Sp. 173—176.
Mehrere Briefe von Joseph Clemens an Freiherrn von Notthaft, Gou-
verneur von Bonn.
18. W. Harle ss. Bericht des Kurkölnischen Raths Jacob Om-
phalius vom Reichstag zu Speyer. ZBergGV. 30, S. 172—179.
19. F. 8 c h r o e d e r. Die Chronik des Johannes Turck. Ann-
HVNiederrh. 58, S. 1-175.
20. Uebereinkunft des Herzogs Adolf von Cleve mit einem Apo-
theker, welcher sich zu Cleve niederlassen soll. 1437, den
6. Mai. ZBergGV. 30, S. 180.
21. H. K e 1 1 e t e r. Die Erschlagung des Jülicher Grafen Wilhelm
IV. zu Aachen am 16. März 1278. KBWZ. 13, Sp. 219—220.
K. theilt eine in der Nähe Aachens und unter dem unmittelbaren
Eindruck des Ereignisses entstandene Aufzeichnung aus einem Kollektar des
Kölner Domstiftes mit.
22. Meister Nicolaus Stock empfiehlt dem Herzog von Jülich-Berg
den Licentiaten Heinrich Clodebok aus Schlesien für seinen
Hofesdicust. Nürnberg, 1437, April 22. ZBergGV. 30, S.
287—288.
23. G. v o n B e 1 o w. Die Streitigkeiten zwischen Aachen und
Jülich im Jahre 1558. ZAachenGV. 16, S. 1—11.
v. B. theilt neue Urkunden über die Anlange des Aachener Kirchen-
Streites im HJ. Jahrh. mit, aus welchen vor Allem hervorgeht, dass der Streit
zwischen Aachen und Jülich nicht so sehr auf kirchliche Gegensätze zurück-
zuführen ist, als vielmehr seinen Ausgang von dem Streit um die Hoheits-
rechte nahm.
24. G. von B e 1 o w. Hat Johann von Selbach bei der Belage-
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Die historische Litteratur des Xiederrheins für das Jahr 1894. 213
rung von Heinsberg im Jahre 1543 Verrath geübt? ZAachenGV.
16, S. 171—174.
v. B. theilt einige diese Angelegenheit betreffenden Aktenstücke mit
u. a. auch ein Gutachten des Hofgerichts zu Wittenberg, in welchem auch
ein Gutachten der Schöffen zu Leipzig erwähnt wird.
25. G. von Below. Ueber die militärische Unterstützung des
Herzogs von Jülich-Cleve durch Franz I. von Frankreich im
Geldrischen Erbfolgestreite. ZBergGV. 30, S. 1—7.
v. B. theilt drei Aktenstücke mit, welche über die durch Franz gewährte
militärische Unterstützung Aufschluss geben.
25a. G. von Below. Zur Geschichte der geistlichen Gerichts-
barkeit am Ausgange des Mittelalters. Zeitschrift für Kirchen -
recht. 3 Folge. Bd. 4. S. 121-128.
15 Aktenstücke, welche ein Bild von der Beschränkung der geistlichen
Gerichtsbarkeit in Jülich-Berg bezüglich des Bannes u. a. geben.
26. G. von Below und J. Geich. Quellen zur Geschichte
der Behördenorganisation in Jülich-Berg im 16. Jahrhundert.
ZBergGV. 30, S. 8—168.
Die mitgetheilten 25 Aktenstücke lassen vor allem die im Laufe des
W. Jahrhunderts eingetretene Aenderung in der Verwaltungsorganisation
erkennen.
27. G. v o n B e 1 o w. Eine Denkschrift aus dem Jahre 1544 über
die wirtschaftlichen Verhältnisse der Jülich-Clevischen Länder.
BGNiederrh. 8, S. 249-250.
Betrifft die Steuerregulirung, welche auf dem Wormser Reichstag 1544
berathen werden sollte.
28. G. v o n B e 1 o w. Zur Geschichte der indirekten Steuern und
der Polizeigesetzgebung im Herzogthum Berg. BGNiederrh. 8.
S. 250-253.
Aufzeichnungen einer im Jahre 1555 eingesetzten Commission über die
Landzölle und die Einführung einer zwölfjährigen Accise.
29. A. Mörath. Ein Bergischer Zolltarif vom Jahre 1639. ZBergGV,
30, S. 169-171.
Aus dem Fürstlich-Schwarzenbergischen Archive mitgetheilt.
30. F. Arens. Die Verfassung des kaiserlich-frei weltlichen Stiftes
Essen, festgestellt in dem Landesgrundvergleich vom 14. Sep-
tember 1794. BGEssen 15, S. 21—52.
31. L. K o r t h. Das gräflich von Mirbach'sche Archiv zu Harff.
Urkunden und Akten zur Geschichte rheinischer und nieder-
ländischer Gebiete. Zweiter Band. 1431 — 1599. [Verzeichniss
der Orts- und Personennamen.] AnnHVNiederrh. 57.
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214
Kaspar Keller
32. Die Brüder des Templerhauses zu Niederbreisig verleihen dem
Frauenconvent zu Merten einen Weinberg zu Oberdollendorf
in Erbpacht. 1290, 20. Oktober. ZBergGV. 30, S. 200.
33. H. Diera ar. Köln und das Reich. II, 1452-1474. MStadt-
AKöln 25, S. 213-357.
34. R. Hoen i g e r. Kölner Schreinsurkunden des 12. Jahrhunderts.
Quellen zur Rechts- und Wirtschaftsgeschichte der Stadt
Köln. 2. Band, 2. Hälfte. Mit einer Erläuterung der Deut-
schen Wörter von Prof. Dr. F r a n c k und einer photolithogra-
phischen Beilage. [A. u. d. T.: Publikationen der Gesellschaft
für Rheinische Geschichtskunde. I. Kölner Schreinsurkunden
des zwölften Jahrhunderts. Zweiter Band.] Bonn. Weber. 4°.
VII, 320 S.
Die Schlussabtheilung bringt Namenlisten des 12. Jahrhunderts, und
zwar zunächst zwei Bürgerlisten und eine Gildeliste. Die beiden ersten sucht
H. im Gegensatz zu Ennen als Listen der Grossbürger nachzuweisen; die
Gildeliste, von welcher eine photolithographische Nachbildung beigegeben
wird, ist als solche durch eine gleichzeitige Aufschrift bestimmt. H. sucht
ferner über Anlage und Führung der Bürgerlisten, über das gegenseitige
Verhältniss zwischen Bürgerlisten und Gildelisten, die seit der Zeit, wo nur
Grossbürger in die Gilde aufgenommen wurden, vielfach in einander über-
griffen, Aufechluss zu geben. Auch die Bürgerlisten der Theilgemeinden von
St. Martin und St. Laurenz werden abgedruckt. Den grössten Theil des
Bandes nehmen die Register ein: Eigennamen, Personenbezeichnungen nach
Stand, Beruf. Herkunft und Beinamen, geistliche Institute und Personen,
topographisches Register der Stadt Köln, Sach- und Wort-Register, und end-
lich eine Erklärung der deutschen Wörter von Prof. Franck.
35. K. Hummel. Die Erhebung der Hausgelder von den Kölner
Kaufleuten in der Frankfurter Messe. RheinGBI. 1, S. 14
bis 16, 177-186, 204—214.
Im Jahre 1409 war zwischen Köln und Frankfurt ein Zwist entstanden
wegen angeblicher gegenseitiger Ueberforderung ihrer Bürger bei Erhebung
der Messgebühren. Das im Verlaufe des Streites vom Kölner Rath für die
Kölner Kaufleute erlassene Verbot des Besuches der Frankfurter Messe nöthigte
Frankfurt zum Nachgeben. H. theilt aus einer Frankfurter Handschrift den
Briefwechsel zwischen Köln und Frankfurt nebst verschiedenen Klageschriften
der Kaufleute und Tarifen mit.
36. H. K e 1 1 e t e r. Gottfried Hagen und sein Buch von der
Stadt Köln. WZ. 13, S. 150-218.
Auch separat, Leipziger Dissertation. Trier, Lintz, 73 S.
Die treffliche Arbeit ist dem Beweis gewidmet, dass das Buch nicht,
wie es bis jetzt geschehen ist, zu den Reimchroniken zu zahlen ist, obschon
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Die historische Litteratur des Niederrheins für das Jahr 1894. 215
es die äusseren Merkmale derselben an sich trägt, sondern zu der Klasse der
im Mittelalter zahlreich vorkommenden Schutz- und Trutzschriften, der Me-
moriale, gehört. Zu dem Zweck wird der Inhalt scharf zergliedert und cha-
rakterisirt. Auch im zweiten Theil der Arbeit, welcher die Vita Hagens ent-
hält, wird auf diesen Beweiszweck immer Bezug genommen. Gottfried
entstammte der Familie Vetscolder; sein Vater Gerhard war Canonicus in
Xanten, wo jener auch wahrscheinlich um das Jahr 1230 geboren ist. Seine
Familie war mit den Overstolzen verwandt; dadurch war auch seine Stellung
in den Parteikämpfen seiner Zeit, zwischen den Overstolzen einerseits und
den Weisen und dem Erzbischof andererseits gegeben. Der Rechtfertigung
seiner Partei und der „Warnung" für die kommenden Geschlechter dient auch
sein Buch, dessen Abfassung, wie K. gegen Cardauns und andere erweist, in
die Zeit von 1270, September 27, und 1271, April 20 fällt. Im Jahre 1270
wurde Gottfried von der Overstolzenpartei zum Plarrer von St. Martin ge-
wählt, wodurch er in einen langwierigen Streit mit der Aebtissin von Maria
im Capitol gerieth, welche einen anderen Candidaten begünstigte. Später
wurde Gottfried auch Propst von St. Georg. Zwischen 1288 und 1290 ist er
nach K.'s Annahme aus dem diplomatischen Dienste der Stadt ausgeschie-
den; am 4. Juli 1299 ist er gestorben. K.'s Charakteristik des Gottfried als
Mensch und Staatsmann ist überaus günstig.
37. H. Keussen. Die Rotuli IV, V und VI der Kölner Univer-
sität. KBWZ. 13, S. 25-26.
38. R. K n i p p i n g. Zu den Farragines des Gelenius. KBWZ.
13, S. 9—10.
K. beschreibt den lange verschollenen, jetzt für das Kölner Stadtarchiv
wieder gewonnenen Band 12 dieser Sammlung.
39. G. von B e 1 o w. Ein Bürgermeisterschmaus in Köln. Ann-
HVNiederrh. 58, S. 207.
40. G. Rauschen. Neue Untersuchungen Uber die Descriptio
und ihre Bedeutung für die grossen Reliquien zu Aachen und
St. Denis. Historisches Jahrbuch der Görresgesellschat't 15, S.
257-278.
R. weist nach, dass die Descriptio in St. Denis entstanden ist. Aus
ihr ergiebt sich, dass schon gegen Ende des 11. Jahrhunderts in Aachen das
Kleid der hl. Jungfrau und die Windeln des Herrn gezeigt wurden, und dass
damals die Aachener Heiligthumsfahrt schon als eine althergebrachte Ein-
richtung existirte.
41. B. Kugler. Die deutscheu Codices Alberts von Aachen.
Mit Tafel. Programm. Tübingen, Fues. 4°. 94 S.
42. J. H a n 8 e n. Breven des Papstes Alexander VII aus Anlass
des Aachener Stadtbrandes von 1656. ZAachenGV. 16, S.
175-177.
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2i<;
Kaspar Keller
43. E. Pauls. Auszüge aus der Chronik des Aachener Notars
Johann Adam Weinandts. Mit einer Beilage. ZAachenGV.
16, S. 163-171.
44. E. Stefffenhagen. Der Einfluss der Buch'schen Glosse
auf die späteren Deukmäler. I. Das Klevische Stadtrecht.
Wien,Tempsky. 1893. 60 S. [Separat aus den Sitzungsberichten
der Wiener Akademie. 129.]
Nachweis, dass der Verfasser des unter Herzog Adolf von Cleve ent-
standenen Clever Stadtrechts in den privatrechtlichen und prozessualen Par-
tien neben dem Kalkarer Stadtrecht die Huch'sche Glosse und den Text des
Sachsenspiegels benutzt hat.
45. M. Scheins. Urkundliche Beiträge zur Geschichte der
Stadt Münstereifel und ihrer nächsten Umgebung. 1. Band.
Münstereifel, Selbstverlag. VI, 242 S.
Sch. beabsichtigt ein umfangreiche» Quellenwerk herauszugeben. Die
Materialien sollen nicht etwa in sachlicher oder chronologischer Ordnung
veröffentlicht werden, sondern nach den Fundorten. Der vorliegende 1. Band
bringt aus dem Stadtarchiv zu Münstereifel Original - Urkunden des 15. bis
17. Jahrhunderts, sowie Auszüge aus dem Hospitalsbuch und Hospitalsrech-
nungen von 1455 — 1793. Die Abdrücke schliessen sich buchstäblich dem
Originale an, aus dem Hospitalsbuch und den Rechnungen werden die unbe-
deutendsten Sachen vollständig abgedruckt. Vgl. die Recension Diemars in
KBWZ, 13, Sp. 104-105.
46. F. Schmitz. Die heisterbacher gründt zinsenn zue Bonn
unnd iun der bürgcrschaftt 1625 — 1639. Rheinische Gesch. Bl.
1, S. 16-10, 55-59, 123—128, 186-190, 217—227.
47. A. Koernick e. Ordnung des Rather Oberhofs. BGNiederrh.
8, S. 73-80.
48. K. Heck. Ordnungen von Rath bei Düsseldorf. Monatsschrift
des BergGV. 1, S. 60-62, 94-95, 108-110, 154-157.
49. J. Hansen. Die Stadtarchive von Andernach, Duisburg und
Linz. AnnHVNiederrh. Heft 59. VII, 268 S.
50. F. Ritter. Katalog der Stadtbibliothek in Köln. Abtheilung
Rh. Geschichte und Landeskunde der Rheinprovinz. Erster
Band. [A. u. d. T.: Veröffentlichungen der Stadtbibliothek
Köln. Herausgegeben von A. Keysser, Stadtbibliothekar.]
Köln, Du Mont-Schauberg, XXVIII, 237 S.
51. K. S c h u 1 1 e i s und W. F a b r i c i u s. Geschichlicher Atlas
der Rheinprovinz. Im Auftrage des Provinzialverbandes be-
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Die historische Litteratur des Niederrheins für das Jahr 1894. 217
arbeitet. Bl. 1—4. [A. u. d. T. Publikationen der Gesellschaft
für Rheinische Geschichtskunde. XII.] Bonn, Behrendt. 4 Bl.
52. A. Minjon und C. K o e n e n. Rheinische Geschichtsblätter.
Zeitschrift für Geschichte, Sprache und Alterthlimer des Mittel -
und Niederrheins. Bonn, Hanstein. [Abgekürzt citirt: Rhein-
GBI1.
53. 0. Schell. Monatsschrift des Bergischen Gesehichtsvereins.
Elberfeld, Baedecker. [Abgekürzt citirt: MschrßergGY.l
Zwei neue Zeitschriften, erstere als Ersatz für das eingegangene .,Üonner
Archiv".
II. Darstellende Arbeiten.
1. Allgemeineren Inhalts.
•
54. C. Radermacher. Germanische Begräbnissstätten im
Herzogthum Berg. MschrBergGV. 1, S. 52—50, 05-67, 81
bis 84.
55. C. Rad er m acher. Die germanischen Begräbnissstätten
zwischen Sieg und Wupper. MschrBergGV. 1, S. 132—134,
148—150, Fortsetzung folgt.
56. 0. Raute rt. Germanische Funde und ein germanisches
Gräberfeld in Düsseldorf. RheinGBll. 1, S. 00-09.
Auch separat: Düsseldorf, Kinet. 15 S.
57. A. Kisa. Germanische Gräber bei Rösrath. KBWZ. 13,
Sp. 207-208.
58. Ziegler. Die Frankengräber von Nettersheim. RheinGBll. 1,
S. 193-198.
In den Gräbern fanden eich vollständige Skelette, zwischen Steinplatten,
ohne Sarg, meist auch Gegenstände: Waffen, Glasbecher und Münzen in den
Männergräbern, Schmuckgegenstände und Urnen in den Frauengräbern. Die
Begrabenen müssen einem grossen Menschenschlage angehört haben, da die
Korperlänge bei den Männern von 1,80— 1,85 Meter, bei den Frauen bis zu
1,80 beträgt,
59. O. Schell. Eine alte Wallburg bei Mlingsten. KBWZ. 13,
Sp. 72-74.
Die Wallburg ist germanischen Ursprungs.
60. C. Koenen. Die erste Spur des Menschen im Rbeinthal.
RheinGBll. 1, S. 90—101, 154-103.
Es handelt sich um den homo Neanderthalensis.
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218 Kaspar Keller
61. P. Vogt. Zur Geschichte der Westgernianen. RheinGßll. 1,
S. 169-177. i
Im Anschluss au Much, Deutsche Stammsitze untersucht V. die Schick-
sale der germanischen Stämme am Niederrhein von ihrem Eintritt in die Ge-
schichte zur Zeit Caesars bis zum Jahr 100 n. Chr., ihre Wanderungen und
Gebietsveränderungen.
62. L. Wils er. Der Frankenstamm. RheinGBll. 1, S. 105—123.
W. behandelt die Frage nach der Entstehung des Frankenstammes. Er
verwirft die Annahme, dass der Stamm ein politischer Verband gewesen sei;
da9 Bindemittel sei vielmehr nur die Blutsverwandtschaft gewesen. Als
Hauptstamm sieht W. die Marsen an, deren Name später ganz aus der Ge-
schichte verschwunden sei, um dem Namen der Franken Platz zu machen.
Aus sprachlichen Gründen rechnet W. alle die alten Völkerschaften, deren
Namen mit Ch beginnt, zu den Franken, so also auch die Cherusker, und
er identifizirt demzufolge auch den späteren sagenhaften Siegfried des Nibe-
lungenliedes mit Arminius.
63. A. Minjon. Thiot Frankono. RheinGBll. 1, S. 73—85.
Kurze Uebersicht der Geschichte der Franken.
64. K. P 1 a t h. Die Königspfalzen der Merowinger und Karolinger.
I. Dispargum. JVARh. 95, S. 121—180.
Auch separat unter gleichem Titel. Berlin, Siebert. 64 S.
Als älteste fränkisch-merowingische Pfalz wird von Gregor von Tours
Dispargum in fine Thoringorum genannt. PI. sucht in breiter Ausführung,
unter Abweisung aller anderen Deutuugen des Namens (darunter auch Heins-
berg) nachzuweisen, dass darunter nur Duisburg bei Düsseldorf verstanden
werden könne. Das Reich der Thüringer habe sich früher bis zum Nieder-
rhein erstreckt; auf dem ihnen entrissenen Gebiete sei in Duisburg die älteste
Pfalz errichtet worden.
64a. D. J. van Schevichaven. Dispargum. De Nederlandsche
Spectator. 1894. n. 44.
65. W. Busch. Chlodwigs Alemannenschlacht. 1. Theil. M.Glad-
bach, Schellmann. 4°. 25 S. [Fortsetzung folgt] Programm
des Gymnasiums zu M.Gladbach.
66. E. P a u I 8. Zur Bestattung Karls des Grossen. ZAachenGV.
26, S. 86—111.
67. J. Kroeger. Niederlothringen im 12. Jahrhundert. Elber-
feld, Druck von Martini u. Grüttefien. 4°. 60 S. Programm
der Oberrealschule in Elberfeld.
Kr. berücksichtigt hauptsächlich die belgischen Gebiete, d. h. die Her-
zogthümer Brabant und Limburg, die Grafschaften Flandern, Hennegau und
Namur, und die Bisthümer Lüttich und Cambrai, während die zwischen
Rhein und Maas gelegenen Gebiete nur gelegentlich gestreift werden.
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Die historische Litteratur des Niederrheins für das Jahr 1894. 2H>
68. C. Stedtfeld. Bonn, Münze des Erzbischofs Pilgrim. JVARh.
95, S. 240.
Durch diesen Fund wird bewiesen, dass Bonn auch noch anter den
sächsischen Kaisern Münzstätte war. [Vgl. Litt.-Ber. 1893, n. 69 a.].
69. C. Stedtfeld. Köln, MUnzenfund. JVARh. 95, S. 240—244.
Aus dem grossen, im J. 1893 auf dem Postgrundstück in Köln ge-
machten Münzfunde kamen einige Stücke in das Wallraf-Richarz-Museum,
welche von St. beschrieben werden. Es -sind dies Goldmünzen der Könige
Eduard III. und Richard II. von England, und Philipps VI. und Karls V. von
Frankreich, des Herzogs Wilhelm III. von Geldern und des Grafen Wil-
helm V. von Holland.
70. F. Lau. Die erzbisehöflicheu Beamten in der Stadt Köln
während des 12. Jahrhunderts. KBWZ. 13, Sp. 236-240.
Gegen die von Lau in seiner gleichlautenden Arbeit |vgl. Litt.-Ber.
1891, B. II, n. 21] vertretene Auffassung über den Stadtvogt und Cntervogt
hatte Varges in einer Besprechung Einwendungen gemacht, die von jenem
als nnbegründet zurückgewiesen werden.
7öa. W. Thümmel. Warum misslang der Reformationsversuch. des
Erzbischofs Hermann von Wied? Vortrag. [Freundschaftliche
Streitschriften n. 56.] Barmen, Wiemanu. 24 S.
71. J. Hansen. Der niederländische Pacificationstag in Köln im
Jahre 1579. WZ. 13, S. 227-272.
H. giebt hauptsächlich die Vorgeschichte dieses Tages. Der Aufsatz ist
zum grössten Theil wörtlich aus der Einleitung zu der Ausgabe der Nuntiatur-
berichte dieses Tages herübergenommen. Vgl. oben n. 14.
12. K. Unkel. Eine Episode aus der Geschichte der Kölner Nun-
tiatur. Historisches Jahrbuch der Görresgesellschaft. 14. S.
103-109.
73. F. KUch. Die Lande Jülich und Berg während der Be-
lagerung von Bonn 1588. ZBergGV. 30, S. 213-252.
Jülich wurde hauptsächlich bei den Truppendurchzügeu von der Maas
nach dem Rhein, Berg während der Belagerung der Beueler Schanze stark
in Mitleidenschaft gezogen. Auf Grund der von den Amtleuten eingelaufenen
Berichte und Beschwerdeschriften giebt Küch eine ausfuhrliche Schilderung
von den Leiden der Bewohner, namentlich in der näheren und weiteren Um-
gegend von Beuel.
74. F. Stieve. Stralendorfs Stellung zur Jülicher Erbscbaftsfrage.
Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft (Quidde), 11,
S. 162-165.
75. H. Hengstenberg. Die Aemter und die Hauptorte des Her-
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Kaspar Keller
zogsthuins Berg im 18. Jahrhundert. MschrBergGV. 1, S. 3—7,
17—19, 30-40, 5t5— 58, 69-71, 84-^90, 97-99.
76. A. Nebe. Die hohe Schule zu Her.bom in ihren Beziehungen
zum Bergischen Lande. MschrBer&GV. 1, S. 33—36, 49—52,
67—69. /
77. Aeg. Müller. Beiträge zur Geschichte der Herrschaften Sayn-
Hachenburg undSayn-Altekirc^jeu, sowie Geschichte des Klosters
Marienthal. Wissen, Langend 55 S.
78. F. Schröder. Zur Geschiohte Meinas von Oberstein. BGEssen,
15, S. 87-110.
Sehr, berichtet über den Streit Meinas mit der von der Minderheit
gewählten Irmgard von Diepholz. In Folge der zweideutigen Stellung,
welche die Stadt Essen einnahm, sah sich Meina schliesslich genöthigt. die
Hülfe des Herzogs von Cleve nachzusuchen, die ihr auch gegen Verzicht auf
die freie Wahl des Schirmvogts und Ernennung des Herzogs zum Erbvogt
des Stiftes gewährt wurde.
79. E. Pauls. Zur Geschichte der Burggrafen und Freiberrn von
Hammerstein. AnnHVNiederrh. 58, S. 183—197.
80. A. V. Scb o eller. Geschichte der Familie Schoeller. Als
Manuseript gedruckt. Berlin, Eisenschmidt X, 412 S.
81. O. Schell. Zur Geschichte von Schloss und Herrschaft
Schoeller. MschrBergGV. 1, S. 10—13, 19-21, 73-76, 92
bis 94.
82. E. von Oidtman. Arnoldus Parvus, der Stammvater des
Geschlechts von Palant. ZAachenGV. 16, S. 38-85.
Arnoldus Parvus kommt urkundlich zuerst 1310 vor, und erscheint
1312 als Ritter und als Vogt und Meier der Stadt Aachen. Seit 1327 nannte
er sich Herr von Breidenbend, nach einer von den vielen durch ihn erwor-
benen Besitzungen. Erst seine Söhne nennen sich nach der Burg Palant an
der Inde Herren von Palant. Eine Verwandtschaft mit irgend einem anderen
niederrheinischen Adelsgeschlechte vermag v. 0. nicht nachzuweisen. Im An-
hang werden 122, Arnold und seine nächsten Nachkommen betreffende, meist
unbekannte Urkunden verzeichnet, sowie eine kurze Geschichte der beiden
Palant'schen Besitzungen Breidenbend und Palant und eine Beschreibung der
ältesten Palant'schen Siegel und Wappen gegeben.
83. Theo Sommerlad. Die Rheinzölle im Mittelalter. Halle,
Kämmerer. VII, 175 S.
Verf. verwirft die Herleitung des mittelalterlichen Zollwesens aus dem
des römischen Reiches und erweist den Gebührencharakter der Rheinzölle
als Gegenleistung für Instandhaltung der Fahrstrasse und Beseitigung der
Verkehrshemmnisse. Seit dem 12. Jahrhundert schwindet dieser Charakter,
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Die historische Litteratur des Niederrheins für das Jahr 1894. 221
und die Zölle werden zu einer ergiebigen Finanzquelle für die Inhaber der
Zollstätten, welche auf verschiedene Weise in deren Besitz gekommen sind.
84. F.Wächter. Errichtung einer regelmässigen direkten Danipf-
schifffahrt zwischen Köln, Düsseldorf und London, resp. Ham-
burg und Havre, 1838, BGNiederrh. 8, S. 149—210.
85. H. Stupp. Das Weinschroten an der Ahr. KheinGBll. 1, S-
201-204.
86. H. Forst. Zur Geschichte des Handels mit Anderuacher Steinen.
BGNiederrh. 8, S. 226—235.
87. W. Schmitz. Die Misch-Mundart in den Kreisen Geldern,
Kempen, Erkelenz, Heinsberg, Geilenkirchen, Aachen, Gladbach,
Krefeld, Neuss und Düsseldorf, sowie noch mancherlei Volks-
thümliches aus der Gegend. Dülken, Kugelmeier. 211 S.
87a. J. Leithaeuser. Gallicismen in niederrheinischen Mund-
arten 11. Programm des Realgymnasiums zu Barmen. Barmen,
Druck von Steinborn. 4°. 25 S.
88. Bethan y. Die Bedeutung des Caesarius von Heisterbach für
Culturgeschichte und Litteratur. MschrBergGV. 1, S. 21—24,
76-79.
89. Bethany. Aus den Wundergesprächen des Cäsarius von Heister-
bach. Aus dem lateinischen Original übersetzt. MschrBergGV.
1, S. 110-111, 145-147.
90. P. Joerres. Die deutschen und besonders rheinischen Orts-
namen, welche die Elemeute „West" oder „Wüst" oder ähn-
liche enthalten. RheinGBll. S. 20-30, 90-94, 133—135.
J. nimmt an, dass das West in diesen Ortsnamen nicht die Himmels-
richtung im Gegensatz zum Osten bezeichne, sondern „wüst" bedeute.
91. A. Minjon. Zur Erklärung rheinischer Ortsnamen. Rhein-
GBll. 1, S. 166—168.
M. hält an der Bedeutung West als Himmelsrichtung fest.
92. E. von Oidtman. Schutz den Grabsteinen. AnnHVNiederrh.
58, S. 176-182.
2. Lokalgeschichtliche Darstellungen.
93. H. J. Schmitz. Gross - Siegelbewahrer Professor Dr. J. G.
Kautfmaus und die Universität Köln während ihrer letzten
fünfzig Jahre. Historisches Jahrbuch der Görresgesellschaft 14,
S. 1-50.
Kauffmans, 1708 auf dem Kauffmanshof bei Hüls geboren, kam auf die
Kölner Universität, wurde 1725 Priester, später Professor der Philosophie
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222
Kaspar Keller
und Theologie, Dekan der theologischen Fakultät und Rektor, Grosssiegelbe-
wahrer und als solcher Büchercensor. Er erwarb sich grosse Verdienste um
die kirchliche Orthodoxie in ihrem Kampfe gegen Rationalismus und Jan-
senismus, und war ein entschiedener Vertheidiger der Unfehlbarkeit des
Papstes. Die Kölner Universität war auch damals wieder, wie im 16. Jahr-
hundert, eine Stütze der katholischen Orthodoxie. Im Uebrigen waren die
Zustände an der Universität, wie sie uns Schmitz schildert, namentlich auch
in materieller Beziehung sehr traurig; sie wurden nach Ausschliessung der
Exjesuiten nach innen und nach Errichtung der kurfürstlichen Akademie
nach aussen noch schlimmer, bis die Franzosen im Jahre 1794 der Anstalt
ein Ende bereiteten.
94. E. R. Daenell. Die Cölner Confoederation vom Jahre 1307
und die schonischen Pfandschaften. Hansisch-Dänische Geschichte
1367—1385. [A. u. d. T. Leipziger Studien auf dem Gebiete
der Geschichte, I, 1] Leipzig, Duncker und Humbloth. XIII,
174 S.
95. F. Lau. Das Kölner Patriziat bis zum Jahre 1325. II.
MStadtAKöln, 25, S. 358—381.
Stammbäume der Familien Von der Aducht, Birclin (vom Hörne),
Cleingedanc, Gir und Grin.
96. R. Knipping. Das Schuldenwesen der Stadt Köln. WZ. 13,
S. 340-397.
Kn.'s treffliche Arbeit behandelt die Zeit von 1351, wo die erste finanz-
geschichtliche Ueberlieferung für Köln einsetzt, bis zum Jahre 1513, wo mit
der Verfassungsre vision durch den Transfixbrief auch eine Reorganisation
der Finanzwirthschaft herbeigeführt wurde. Ihr Schwergewicht beruhte auf
der indirekten Steuer (Verbrauchs- und Verkehrssteuer), welche sehr ausge-
bildet war. Die Ergebnisse derselben reichten zur Deckung der regel-
mässigen Ausgaben aus. Zur Deckung ausserordentlicher Bedürfnisse (bei
Kriegen etc.) wurde nicht zur direkten Besteuerung gegriffen, welche über-
haupt nur einmal für das Jahr 1371 nachgewiesen ist, sondern es wurden
Anleihen aufgenommen. Die Anleihen scheiden sich in kurz- und lang-
fristige; jene bildeten die schwebende Schuld, diese, in Form von Leib- und
Erbrentenverkäufen, die fundirte Schuld. An der Hand der Rechnungs-
bücher und zahlreicher Einzelurkunden untersucht Kn. die Entwicklung des
Schuldenwesens unter der aristokratischen und der demokratischen Verwal-
tung. In der ersten Periode suchte man die aussergewöhnlichen Ausgaben
meist durch kurzfristige Anleihen zu bestreiten, die man bald wieder abstiess,
mit möglichster Schonung der fundirten Schuld. Kapitalkräftige Mitglieder
der Geschlechter sprangen in Zeiten der Noth mit grösseren Darlehen ein.
Die Finanzwirthschaft war überhaupt eiue gesunde. Dies lässt sich auch von
den ersten Jahrzehnten der demokratischen Verwaltung sagen. Doch än-
derten sich die Verhältnisse bald zum Schlimmeren; es fand eine starke Ver-
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Die historische Litteratur des Niederrheins für das Jahr 1894. 223
mehrung der fundirten Schuld statt, die ihren Höhepunkt nach dem Neusser
Krieg erreichte. Für die Schulden- Verwaltung und -Tilgung war schon gegen
Ausgang des 14. Jahrhunderts eine besondere Kammer, die Samstagsrent-
kammer, eingerichtet wordeu. Die Anleihen suchte man nach Möglichkeit
bei den Bürgern der Stadt selbst unterzubringen; war man einmal genöthigt,
auswärts Geld aufzunehmen, so suchte man sich dieser Schuld bald zu ent-
ledigen. Der Zinsfuss war je nach den verschiedenen Zeiten und nach der
Art der Anleihen verschieden » hoch. Begreiflicher Weise wurden zahlreiche
Vorschläge gemacht, ' wie die enorme Schuldenlast, welche die Stadt dem
finanziellen Bankerott nahe brachte, vermindert und beseitigt werden könnte.
Die Verfassungsrevision von 1513 brachte im Transfixbrief eine Reform, wie
der städtischen Verwaltung überhaupt, so auch des städtischen Schuldenwesens.
97. J. Dahmen. Beiträge zur Geschichte des Kölner Seidamtes.
I. Theileß Fortsetzung. Köln, Druck der Kölner Verlagsanstalt
4°. 7 S. Programm der höheren Töchterschule.
D. untersucht Einfuhr, Ausfuhr und Fabrikate, Umfang des Amtes
(Anzahl der Zunftmitglieder), Schutz der zünftigen Arbeit auf der einen und
des Kaufmanns und der Konsumenten auf der anderen Seite.
98. J. Hansen. Das Archiv der Stadt Köln. Festschrift zur
23. Jahresversammlung des Hansischen Geschichtsvereins in
Köln. S. 5—20. Köln, Du Mont-Schauberg. 4°.
99. A. Keysser. Die Bibliothek der Stadt Köln. Festschrift zur
23. Jahresversammlung des Hansischen Geschichtsvereins in
Köln, S. 21—31. Köln, Du Mont-Schauberg. 4».
100. Brandenberg. Beiträge zur Geschichte der Elementarschulen.
A. Israelitische Schulen in Köln -Altstadt. Köln, Tonger. 16 S.
101. Brandenberg. Beiträge zur Geschichte der Elementar-
schulen. B. Die evangelischen Schulen in Köln-Altstadt. Köln,
Tonger. 19 S.
102. W. Schmitz. Die Feier des 25jährigen Bestehens der An-
stalt. Programm des Kaiser- Wilhelm-Gymnasiums in Köln.
Köln, Bachem. 4°. 13 S.
103. Q. Blumschein, üeber die Kölner Mundart. RbeinGBU I,
S. 137—149.
104. W. Claus [pseudon. für W. Schneider]. Unsere Grosse, wie
sie ward und war. Eine geschichtliche Skizze der Grossen
Carnevalsgesellschaft zu Köln zu ihrem goldenen Jubeljahre.
Mit Abbildungen. Köln, Schmitz. 64 S.
105. F. Holtze. DerProzess gegen Fonk und juristische Mythen-
bildung in Preussen. Forschungen zur Brandenburgischen
und Preussischen Geschichte, 8, S. 127—139.
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224
Kaspar Keller
106. J. Lebrke. Historische Kartensammlung von Mülheim am
Rhein. 8 Tafeln. Malheim, Kamphoff. 4°.
107. J. Buschmann. Zur Geschichte des Bonner Gymnasiums.
3. Theil. Programm des Gymnasiums zu Bonn. Bonn, Han-
stein. 4°. 49 S.
Behandelt die Zeit vom Beginn der preussischen Herrschaft bis etwa
Mitte des Jahrhunderts.
108. F. Hauptmann. Der Bonner Bannbegang. Nach histori-
schen Quellen geschildert. [A. u. d. T. Bilder aus der Ge-
schichte von Bonn und seiner Umgebung. 8.] Bonn, Haupt-
mann. 56 S. t
109. A. Wiedemann. Das Hochkreuz bei Godesberg. JVARh.
95, S. 244—945.
HO. J. Kühl. Geschichte der Stadt Jülich, insbesondere des
früheren Gymnasiums zu Jülich. III. Theil. 1742—1815. Jü-
lich, Fischer. VIII, 345 S.
K. führt zunächst die Geschichte der Stadt in Verbindung mit der all-
gemeinen Geschichte vom Jahre 1742 bis zum definitiven Uebergang an
Preussen. Das Gymnasium wurde von den Jesuiten bis zur Aufhebung des
Ordens in der alten Weise fortgeführt ; mit der Aufhebung der Jülicher Re-
sidenz der Jesuiten im J. 1774 ging auch das Gymnasium ein. Den rast-
losen Bemühungen des Rathes gelang jedoch seine Wiederherstellung. Die
Exjesuiten führten als Congregation die Schule fort, jedoch nicht mit dem
alten Erfolg. Im Jahre 1799 ging die Anstalt klang- und sanglos zu Ende.
Auch für diesen Zeitraum führt K. die Titel von Schuldramen auf, und theilt
Prüfungsprogramme mit: es wurden öffentliche Prüfungen eingeführt, zum
Theil direkt in der Absicht, den in etwa ausartenden Aufführungen Abbruch
zu thun.
111. H. J. Gross. Beiträge zur Geschichte des Aachener Reichs.
Aachen, Cremer. IV, 237 S. Sonderabdruck aus Aachens
Vorzeit.
Das sog. Aachener Reich war der Ueberrest der früher zur Aachener
Pfalz gehörigen Königshöfe. Gr. behandelt sehr ausführlich die äusseren
Schicksale des Gebietes von der Römerzeit bis zur französischen Revolution:
das Verhältniss zur Stadt Aachen, unter deren Oberhoheit es nachweislich
seit Ausgang des 13. Jahrhunderts gestanden, die innere Verwaltung und
die Gerichtsverhältnisse. Streitigkeiten mit Jülich waren häufig. In unser
Gebiet will Gross auch das vielbestrittene Aduatuca Eburonum versetzen, den
Namen Aduatuca findet er noch in dem Namen des Dorfes Vetschet wieder.
112. C. Rhoen. Die Befestigungswerke der freien Reichsstadt
Aachen. Mit 1 Plan und 1 Abbildung. Aachen, Creutzer.
V, 217 S.
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Die historische Litteratur des Niederrheins für das Jahr 1494. 225
Rh. nimmt an, dass der durch Kaiser Friedrich I. im Jahre 1172 ver-
anlasste Mauerbau die erste Befestigung Aachens gewesen sei. Er unter-
sucht die ältesten Befestigungsanlagen, die späteren Erweiterungen und die
in Folge der veränderten Kriegsführung (Aufkommen und Fortbildung der
Feuerwaffen) nothwendigen Umbauten und Aenderungen, und schildert im
Anschluss darau die damit verknüpften kriegerischen Ereignisse.
113. E. Fromm. Dhe materiellen Wirkungen des Aachener Stadt-
braudes vom Jahre 1656. ZAacbenGV. 16, S. 177-181.
114. R. Pick. Aachener Sitten und Bräuche aus älterer Zeit.
Aus handschriftlichen Quellen gesammelt. RheinGBll. 1,
S. 8-13.
114a. C. A. Witten haus. Die Entwicklung der höheren Lehr-
anstalt zu Rheydt. Programm. Rheydt, Druck von Kirsch-
baum. 4°. 20 S.
115. G. Terwelp. Die Stadt Kempen im Rheinland. Festschrift
zur 600jährigen Jubelfeier. Erster Theil. Mit einer Karte
des Amtes und 18 Bildern. Kempen, Klöckner und Maus-
berg. IV, 224 S.
Im J. 1894 feierte Kempen die Erinnerung an die vor 600 Jahren er-
folgte Erhebung Kempens zur Stadt. Aus diesem Anlasse erschien die vor-
liegende Festschrift. Diese zerfällt in vier Theile. Im ersten Theile wird
die Geschichte des Kempener Landes in der älteren Zeit gegeben. Der zweite
Theil enthält eine Darstellung der äusseren Schicksale und der Verfassung .
des Ortes Kempen, der am 3. November 1294 durch den Kölner Erzbischof
Siegfried von Westerburg Stadtrechte erhielt, und ein Verzeichniss der Bür-
germeister seit 1-J88. Dann folgt die Geschichte der Pfarre Kempen und der
kirchlichen Verhältnisse der Stadt, mit einem Verzeichniss der Pfarrer. Der
vierte Theil endlich enthält Biographien hervorragender Kempener Schrift-
steller, so des Johannes Brugman (1506 — 1590), der Brüder Aegidius (1595
bis 1656) und Johannes Gelen (1585—1631), und des grössten und bekann*
testen Sohnes der Stadt, des Thomas [Hemerken] von Kempen.
115a. J. Ni essen. Heimathkunde des Kreises Kempen. Mit einer
Karte des Kreises. Crefeld, Hoffmann. 112 S.
115b. J. A. Wolff. Geschichte der Stadt Calcar während ihrer
Blüthe, mit Berücksichtigung der früheren und späteren Zeit.
Nach zahlreichen nnedirten Quellen aus dem dortigen Stadt-
archiv. Mit 1 Tafel. Frankfurt a. M., Fbsser. 4°. VIII,
154 S.
In dem Nachlasse des 1880 als Kaplan zu Calcar verstorbenen Verfassers
fand sich eine auf 2 Bände berechnete Geschichte der Stadt vor, welche einen
grossen urkundlichen Apparat und zahlreiche Abbildungen bringen sollte.
Annalen des bist. Vereins LXIU. 15
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Kaspar Keller
Die Herausgeber haben den Umfang des Werkes stark eingeschränkt. W. be-
handelt zunächst die äussere Geschichte der Stadt während ihrer vom 14. bis
zur Mitte des 16. Jahrhunderts reichenden Blüthezeit, dann die Verfassungs-
und Gerichtsverhältnisse, die Stellung zu den Landesherrn, den Grafen und
Herzögen von Cleve, die häufig auf dem nahen Monreberge residirten, und
die kirchlichen Verhaltnisse. Das Hauptgewicht und -Verdienst der Arbeit
liegt in dem kunstgeschichtlichen Theil: Beschreibung der Pfarrkirche und
ihrer Kunstschätze, namentlich der Schnitzarbeiten. Verf. vermag auf Grund
der städtischen Archivalien für die meisten Stücke die Entstehungszeit und
die ausführenden Meister zu bestimmen, von denen kurze Biographien ge-
geben werden. Die Bildschnitzerei stand im 15. und 16. Jahrhundert hier
in hoher Blüthe, die Calcarer Schule war die bedeutendste in Norddeutsch-
land. Auch die Malerei blühte in Calcar; die bedeutendsten Künstler waren
Johann Jost und Johann Stevens, ein Schüler Tizians, welcher u. a. auch
die Zeichnungen zu dem anatomischen Werke seines Landsmannes, des be-
rühmten Arztes Andreas Vesalius, lieferte.
116. W. Grevel. Das Abteigebäude zu Essen und die Residenz
der Fürstäbtissinnen. Mit Abbildung. BG Essen. 15, S.53— 74.
G. weist nach, dass eine wirkliche Erneuerung der Abteigebäude von
Grund aus seit dem Anfang des 14. Jahrh. nicht mehr stattgefunden hat und
nur von Zeit zu Zeit die nothwendigsteu Reparaturen vorgenommen worden
sind. Das Gebäude hat nur vorübergehend und aushülfsweise als Residenz
gedient. Wenn die Aebtissinnen sich nicht ausserhalb des Stiftes aufhielten,
residirten sie in Borbeck und später in Steele.
117. G. Hu mann. Die ehemaligen Abteigebäude zu Essen. BGEssen.
15, S. 75-85.
Eine Würdigutig der ältesten Theile in kunstgeschichtlicher Beziehung.
118. F. Arens. Das Wappen des Stiftes Essen. BGEssen. 15,
S. 3-10.
Ein eigentliches Stiftswappen kommt erst seit den letzten Dezennien
des Kj. Jahrhunderts vor: ein quadrirter Schild mit den Wappen von Essen
und den drei Nebenherrschaften Breisig, Rellinghausen und Huckerade. Bis
dahin hatten die Aebtissinnen mit ihren Familienwappen gesiegelt.
119. F. Arens. Die Siegel und die Wappen der Stadt Essen.
Mit G Abbildungen und zwei Tafeln. BGEssen. 15, S. 11— 19.
120. W. Grevel. Overdyck. Rheinisch -Westfal. Zeitung 1893.
n. 300.
121. K. vom Berg jr. Beiträge zur Geschichte der ehemals
bergischen Hauptstadt Lennep. RheinGBl. 1, S. 233-240.
Fortsetzung folgt.
122. O. Schell. Das Heidenhaus im Sülzthal. RheinGBll. 1,
S. 88—90.
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Die historische Litteratur des Niederrheins für das Jahr 1894. 227
<> Sch. nimmt an, das» es ein im 12. oder 13. Jahrh. von den Kölner
Erzbischöfen zum Schutz des Bergbaues im Lüderich angelegter Burg-
bau sei.
123. A. Werth. Das alte Bergische Residenzschloss zu Burg an
der Wupper. Mit zwei Lichtdrucktafeln. BGNiederrh. 8,
S. 44 — 54.
124. A. Werth. Das alte Bergische Residenzschloss zu Burg an
der Wupper. Festschrift zur Eröffnung des Bergischen
Landes - Museums bei der Gelegenheit der Festfahrt des
Bergischen Geschiehtsvereins am 1. Juli 1894. Elberfeld,
Baedeker. 24 S.
Nach Ueberlassung der ältesten Bergischen Residenz zu Altenberg an
der Dhünn an die Cisterzienser wurde Burg an der Wupper Residenz. Diese
wurde namentlich durch Erzbischof Fingelbert den Heiligen von Köln ver-
größert und verschönert. Auch seitdem Düsseldorf nach der Worringer
Schlacht zur Bergischen Hauptstadt erhoben war, diente Burg den Bergischen
Fürsten doch noch häufig als Wohnsitz. Nach dem 30jährigen Krieg tritt
der Verfall des Schlosses ein. Der in neuester Zeit wieder hergestellte Bau
dient als Bergisches Landesmuseum.
125. G. A. Fischer. Schloss Burg an der Wupper. Festschrift
für die 34. Hauptversammlung des Vereins deutscher Inge-
nieure, S. 153-158. 1893. 4». \
126. A. Weyersberg. Chronik der Familie Weyersberg in So-
lingen. Mit einem Situationsplan der Kölner Strasse in So-
lingen. Elberfeld. Druck von Friderichs. 1893. 4°. 46 S.
Die Weyersbergs gehörten seit dem 17. Jahrhundert zu den bedeutend-
sten Klingenfabrikanten und -Händlern Solingens.
127. J. Ni essen. Aus der Vorzeit der Gemeinde Mettmann.
MschrBergGV. I, S. 59-60, 71—73, 90-92, 99-101.
128. K. Spannagel. Die Gründung der Lein weberzunft in Elber-
feld und Barmen im Oktober 1738. ZBergGV. 30, S.
181-199.
Gegen das durch das Zunftprivileg verliehene Monopol wurde von zwei
Seiten Einspruch erhoben, durch die einheimischen Kaufleute und durch die
preussische Verwaltung in der benachbarten Mark, beides ohne Erfolg. Zum
mindesten überflüssig sind die Bemerkungen gegen die Jesuiten auf S. 193.
129. K. Krafft. Der Kampf des Magistrats von Elberfeld, der
Bürgerschaft von Elberfeld und Barmen und der kirchlichen
Konsistorien des Wupperthals gegen die Erbauung eines
Theaters in Elberfeld im Jahre 1806. ZBergGV. 30, S.
253—266.
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228
Kaspar Keller
130. F. Wächter. Korrespondenz der Stadt Düsseldorf mit den*
Prinzen Friedrich von Preusseu, betr. dessen Rückkehr nach<
Düsseldorf (1848—1855). Aus den Akten der Stadt Düssel-
dorf. BGNiederrh. 8, S. 211—225.
131. [0. R.] R[edli]ch. Berieht des Hofgärtners M. F. Weyhe
an die kurfürstliche Schulkomniission zu Düsseldorf über
Einführung der Obstbaumzucht bei Schulanstalten (1805).
BGNiederrh. 8, S. 256-258.
132. [F.] K[üch]. Zur Entwicklungsgeschichte Düsseldorfs.
BGNiederrh. 8, S. 246-248.
133. F. Küch. Düsseldorf im Jahre 1715. Nach E. P. Plonnies
herausgegeben vom Düsseldorfer Geschichtsverein zum 14.
August 1894. Mit einer Kunstbeilage. Düsseldorf, Lintz. 8 S.
134. H. Ferber. Die Calcumschen Fehden mit der Stadt Köln.
BGNiederrh. 8, S. 55-72.
Wegeu der Hinrichtung des Goswin von der Kemenaten, anders ge*
nannt von Calcheym, des Schwagers des Hermann von Goch, gerieth die Stadt
Köln mit den Verwandten Goswins, den verschiedenen Herren ?on Calcum.
in Fehde, die mit Unterbrechungen von 1397—1409 dauerte.
135. H. Ferber. Die Grevenhlthner im Amte Angermund.
BGNiederrh. 8, S, 104—108.
136. H. Faber. Die Steinkohlengruben im Amte Angermund (im
J. 1656). BGNiederrh. 8, S. 253—254.
137. H. Ferber. Die drei Höfe des adligen Stifts zu Vilich in
Wittlaar, Himmelgeist und Verlo. BGNiederrh. 8, S. 81—103.
Aus Anlass des Freiwerdens einer Hofpachtung liess die Aebtissin des
Stiftes zu Vilich durch einen Bevoll mächtigteu unter Zuziehung eines Kotars
eine genaue Beschreibung ihrer genannten Höfe mit ihren Besitzungen, Rechten
und Lasten anfertigen.
138. H. Averdunk. Geschichte der Stadt Duisburg bis zur end-
gültigen Vereinigung mit dem Hause Hohenzollern. Mit einem
alteu Stadtplan. 1. Abtheilung. Duisburg, Ewich. 343 S.
Der Darstellung geht eine sehr dankenswerthe Uebersicht über die in
Duisburg noch vorhandenen Archivalien voraus. Die Eintheilung des Buches
ist nicht gerade übersichtlich uud glücklich zu nennen. Zunächst wird eine
Schilderung des Königsforstes zwischen Rhein, Ruhr und Düssel gegeben;
hier befand sich das berühmte Gestüt der wilden Pferde, dessen Geschichte
in breitester Weise bis zur Auflösung zu Anfang unseres Jahrhunderts ver-
folgt wird. Dann wird die Zugehörigkeit Duisburgs zum Ruhrgau, zum Her-
zogthum Niederlothringen und zur lothringischen Pfalzgrafschaft behandelt»
von welch letzterer es 1045 durch Heinrich III. getrennt und wieder als
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Die historische Litteratur des Niederrheins für das Jahr 1894. 229
"Reichsgut zurückgenommen wurde. Weiter werden die Grenzen der Duis-
burger Hundertschaft gegen die Nachbargebiete festgestellt; die Stadt lag
früher dicht am Rhein, welcher sich zwischen 1270 und 1280 nach Westen
ablenkte. Sehr ausführlich wird hierauf die Topographie der Stadt behau*
delt und dabei die Geschichte einzelner Institute bis zur Neuzeit fortgeführt.
Dann geht Verf. endlich zur Darstellung der Geschichte und Entwicklung der
Stadt bis zur Reformation über und schildert ihre Schicksale unter den ver-
schiedenen deutschen Kaiserhäusern und weiter unter den verschiedenen
Pfandherren aus den Häusern Limburg, Berg, Dinslaken, Mark und Cleve,
wobei in ausführlicher Weise auch die niederrheinisch-westfälische Territorial-
geschichte behandelt wird. In Duisburg bestand eine alte fränkische Königs-
pfalz; dass unter dem Dispargum des Gregor von Tours unser Duisburg zu
verstehen sei (vergl. oben n. 64), will Verf. nicht gelten lassen. Wann und
ob überhaupt speziell Stadtrechte an Duisburg verliehen worden sind, lässt
«ich nicht mehr nachweisen; sicher ist jedoch, dass es am Ausgang des 12.
Jahrhunderts im Besitz von Stadtrechten war, eigentümlicher Weise zu-
sammen mit der ganzen Hundertschaft. Die Verwaltung stand ursprünglich
<lem Schultheissen und den 12 Schöffen zu. Im letzten Viertel des 13. Jahr-
hunderts treten der Rath und die Bürgermeister auf, in deren Händen fortan
<lie Verwaltung lag.
139. H. F. Graeber. Tausendjährige Geschichte von Meiderich,
von 874—1874, fortgesetzt bis 1892, besonders in kirchlicher
Beziehung. Zweite vermehrte Auflage. Mit vier Illustrationen.
Rees, Bonert. 1892. 195 S.
140. L. Henrichs. Die Bergische Schutzherrschaft über Emme-
rich. Niederrhein. Zeitung, 1894, n. 29 u. 30.
Die Schutzherrschaft über die Stadt und die umliegenden Besitzungen
-des Kanonikerstiftes stand zu Beginn des 13. Jahrhunderts Heinrich von dem
Berge zu. Die Stadtvogtei wurde ihm 1233 entzogen und an Otto von Gel-
dern übertragen.
141. L. Henrichs. Die Hengemunde bei Emmerich. Niederrh.
Zeitung 1894, n. 24.
Bischof Otto III. von Utrecht schenkt im Jahre 1292 den Novalzehnten
-von der Hengemunde in den Dörfern Netterden, Vrasselt, Wikum und in der
ganzen Tfarrei Emmerich dem Stiftskapitel in Emmerich. Verf. weist nach,
dass unter Hengemunde das Gemeindeeigenthum zu verstehen sei, das ur-
sprünglich aus Wald, später auch aus Wiese, Haide und Torf bestand.
3. Kirchengeschichte.
142. F. Görres. Die Einführung des Christenthums in den Rhein-
landen. RheinGBll. 1, S. 4—8, 44-53. Schluss folgt.
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230
Kaspar Keller
143. F. X. Kraus. Die christlichen Inschriften in den Rhein-
landen. Zweiter Theil. Die christlichen Inschriften von der
Mitte des achten bts zur Mitte des 13. Jahrhunderts. Zweite
Abtheilung. Die Inschriften der Erzbisthümer Trier und Köln.
Mit 9 Lichtdrucktafeln und zahlreichen in den Text gedruck-
ten Abbildungen. Mit 2 Anhängen. Freiburg, Mohr. 4°. XII>
218 S. [Die Paginirung zählt von 161-378.]
Der Löwenantheil der Inschriften fällt naturgemäss auf die Städte
Trier und Köln, woneben für unser Gebiet noch Aachen, Bonn, Xanten, Deutz,
Siegburg und Essen in Betracht kommen. Kr. hat das Verdienst, dass er
zuerst diesen Zweig der mittelalterlichen Epigraphik im Zusammenhang be-
handelt und die vorher entweder ganz unbekannten oder an verschiedenen
Stellen reproducirten Inschriften gesammelt und in mustergültiger Weise
veröffentlicht hat. In zwei Anhängen werden die gefälschten und die aus-
anderen Gegenden in dio Rheinlande eingeführten Inschriften mitgetheilt
und dann Nachträge zu den sämmtlichen Abtheilungen gegeben. Ein sorg-
fältiges, reich gegliedertes Register erleichtert die Benutzung in vorzüg-
licher Weise.
144. C. Koenen. Ueber christlich-römische Fundstücke im Rhein-
lande und ein noch nicht veröffentlichtes Bonner römischem
Bild des guten Hirten. RheinGBll. I, S. 32—39.
145. H. Kelleter. Helenareliquien zu St. Gereon in Köln. KBWZ.
13, S. 217-219.
Aus einem Kollektar des Domarchivs theilt K. eine Notiz mit, aus wel-
cher hervorgeht, dass die Stifter S. Cassius in Bonn und S. Gereon in Köln,
erst nach dem Jahre 1135 in den Besitz von Reliquien der hl. Helena ge-
kommen sind.
146. J. Kleiner mann 8. Der hl. Evergislus, Bischof von Köln.
Nach den Quellen dargestellt. Kölner Pastoralblatt 28, S.
273—278.
148. P. Norrenberg. Die heilige Irmgardis von Süchteln. Mit
zwei Abbildungen. fA. u. d. T. Aus der rheinischeu Ge-
schichte. XIXJ Bonn, Hanstein. VI, 64 S.
149. C. Füssenich. Zur Geschichte der Pfarre Kaster. Erft-
Bote (Bedburger Zeitung). 1893, n. 60-62; 1894, n. 1—23.
150. P. Jacobs. Geschichte der Pfarreien im Gebiete des ehe-
maligen Stiftes Werden a. d. Ruhr. Zweiter Theil. Düssel-
dorf, Schwann. 244 S.
Der zweite Theil enthält die Geschichte der Pfarrei Werden nach der
Säkularisation dea Stiftes, sowie die Geschichte der neu errichteten, von der
alten Pfarrei losgetrennten Pfarreien Kettwig (errichtet 1812), Heisingen (er-
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Die historische Litteratur des Niederrheins für das Jahr 1894. 231
richtet 1813) und Bredeney (errichtet 1893) bis zur Gegenwart, und zwar
zuerst die allgemeine Geschichte jeder Pfarrei, dann die der einzelnen kirch-
lichen Institute. Im Anhang werden bisher ungedruckte Urkunden und
Aktenstücke von 1103—1844 mitgetheilt; zu bedauern ist, dass dies nicht in
chronologischer Reihenfolge geschieht und dass die Daten der mittelalter-
lichen Urkunden nicht aufgelöst sind.
151. G. H. Ch. Maas sen. Geschichte der Pfarreien des Dekanates
Bonn. I. Tbeil. Stadt Bonn. [A. u. d. T. : Dumont, Geschichte
der Pfarreien der Erzdiözese Köln. Nach den einzelnen De-
kanaten geordnet. V. Dekanat Bonn. I. Tbeil. Stadt Bonn.]
Köln, Bachem. XIV, 422 S.
Nach einem kurzen Ueberblick über die äussere Geschichte der Stadt
von "der Römerzeit an werden die einzelnen Pfarreien und kirchlichen In-
stitute behandelt. Die älteste Kirche war die Stiftskirche der hl. Cassius
und Florentius, deren Gründung auf die Kaiserin Helena zurückgeführt wird.
Das Stift nahm in der Erzdiöcese Köln den ersten Rang nach dem Domstift
ein; sein Propst war Archidiakon für die Christianitäten Ahr, Eifel, Zülpich
und Siegburg. Die Immunität des Stiftes erstreckte sich über den grössten
Theil der Stadt; ganz oder theilweise innerhalb derselben lagen die Bezirke
der Pfarrkirchen St. Martin, die unmittelbar neben der Stiftskirche lag,
St. Remigius und St. Gangolph. Die Zweitälteste Kirche war die Pfarrkirche
zum hl. Petrus und Johannes in Dietkirchen, deren Bezirk ganz ausserhalb,
der Stiftsimmunität und grösstentheils auch ausserhalb der Stadt lag. Bei
dieser Kirche bestand ein Benedictinerinnenstift, das später in ein freiadliges
Damenstift umgewandelt wurde. "Weiter wird die Geschichte der anderen
Klöster, der Wohlthätigkeitsanstalten und Schulen mehr oder minder aus-
führlich mitgetheilt. Das Buch ist Reissig, hier und da jedoch unkritisch ge-
arbeitet, das ungedruckte urkundliche Material erscheint nicht hinlänglich
verwerthet.
152. H. Bechern. Geschichte der lauretanischen Kapelle in
Düsseldorf- Bilk. Mit Titelbild. BGNiederrh. 8, S. 1—44.
Auch separat: Düsseldorf, Deiters. III, 50 S.
153. L. H. Grubenbecher. Die lauretanische Gnadenkapelle in
der Pfarrkirche zur hl. Maria in der Kupfergasse (Köln). Fest-
schrift zur sechsbundertjährigen Feier der Uebertragung des
hl. Hauses nach Loreto (10. Dezember 1894). Köln, Bachem.
128 S.
154. J. B. D. Jost. Das Weiherkloster bei Köln. RheinGBll. 1.
S. 93-95, 129— 132,* 149-153, 190—191, 240-255.
Eine lose Aneinanderreihung von Urkundenregesten und einigen Aus-
zügen aus Chroniken.
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232
Kaspar Keller
155. 0. R. Redlich. Zur Geschichte des Klostors Bödingen im
15. Jahrhundert. ZBergGV. 30, S. 289-293.
Das Kloster war 1423 den Regulierherren von Windesheim übertragen
worden. Sein Prior Wilhelm von Keppel wurde 1446 zum Prior von Marien-
walde bei Nordhorn gewählt. Herzog Gerhard von Jülich-Berg suchte den
tüchtigen Mann seinem Lande zu erhalten, wie aus seinem Schreiben an den
Marienwalder Konvent vom 4. Juni 144<i hervorgeht.
156. E. Simons. Eine altkölnische Seelsorgegemeinde als Vor-
bild für die Gegenwart. Antrittsvorlesung, gehalten am 28.
Oktober 1893. Berlin, Reuther und Reichard. 27 S. Separat
aus: Halte, was du hast. Zeitschrift für Pastoraltheologie.
XVII, 4.
157. E. Simons. Die älteste evangelische Gemeindearmenpflege
am Niederrhein und ihre Bedeutung für unsere Zeit. Bonn,
Strauss. 166 S.
S. will die niederrheinischen evangelischen Gemeinden des 16. und 17.
Jahrhunderts als Vorbilder für die Gegenwart hinstellen. In der ersten Schrift
schildert er die Thatigkeit der niederländisch-reformirten Gemeinde in Köln
auf dem Gebiete der Seelsorge, die durch Diakonen ausgeübt wurde. Der
Gegenstand der zweiten Schrift bildet die Armenpflege. Aus den Synodal-
beschlüssen stellt S. zuerst die Grundlagen der Armenpflege fest und weist
' dann nach, dass und wie diese Grundlagen in den einzelnen Gemeinden ihre
Verwirklichung gefunden haben. Auch die Armenpflege wurde durch Dia-
konen im Namen und im Auftrage der Gemeinden ausgeübt. Ein reiches
kirchliches Leben blühte in diesen niederrheinischen Gemeinden, das durch
den 30jährigen Krieg, wie so vieles, zu Grunde ging.
158. A. H. Reben 8 bürg. Festschrift zur Einweihung der evan-
gelischen Christuskirche in Köln a. Rhein am 1. Advents-
sonntag den 2. Dezember 1894. Köln, Druck von Steven-
V, 149 S.
Die Festschrift enthält auch eine Darstellung der Reformationsbewegung
in der Stadt Köln und die Geschichte der evangelischen Gemeinde bis zur
Gegenwart. Voraus geht eine Uebersicht über die Geschichte der Stadt vor
der Reformation, wobei fast nur die Schattenseiten hervorgehoben werden,
damit für die Reformation der nöthige Hintergrund gegeben ist.
159. F. Hunke. Geschichte der evangelischen Gemeinden Clas-
wipper und Wipperfürth. Hückeswagen, Druck von Foerster
und Welcke. 71 S.
160. J. Pohl. Thomas von Kempen fet der Verfasser der Bücher
De imitatione Christi. Programm des Gymnasiums zu Kem-
pen. Kempen, Druck von Wefers. 4°. XXVIII, S.
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Die historische Litteratur des Xiederrheins für das Jahr 1894. 233
9
P. sucht die schon Jahrhunderte lang ventilirte Frage nach d*»r Autor-
schaft der Imitatio zu lösen. Wie schon die bestimmte Fassung des Titels
ergiebt, hält er Thomas für den Verfasser, und er weiss seine Ansicht in
überzeugender Weise zu begründen, hauptsächlich auf Grund einer Steile im
Chronicon Windesheimense des Johannes Busch, deren Glaubwürdigkeit er
beweist.
161. J. Pohl. Ueber ein in Deutschland verschollenes Werk des
Thomas von Kempen. Thomas a Keropis. Katholisches
Sonntagsblatt, Jahrg. 7, n. 51, 1894, Dezember 23.
162. F. X. Kraus. Thomas von Kempen, ADB. 38, S. 74-85.
4. Kunstgeschichte.
163. P. C lernen. Die Kunstdenkmäler der Stadt und des Kreises
Düsseldorf. Im Auftrage des Provinzialverbandes der Rhein-
provinz herausgegeben. Mit 8 Tafeln und 77 Abbildungen
im Text. [A. u. d. T.: Die Kunstdenkmäler der Rheinpro-
vinz, 3. Bd. I]. Düsseldorf, Schwann. VI, 172 S.
164. P. Clemen. Die Kuustdenkmäler der Städte Barmen, Elber-
feld und Remscheid und der Kreise Lennep, Mettmann und
Solingen. Im Auftrage des Proviuzialverbandes der Rhein-
provinz herausgegeben. Mit 5 Tafeln und 65 Abbildungen im
Text. [A. u. d. T. Die Kunstdenkmäler der Rheinprovinz.
3. Bd. IL] Düsseldorf, Schwann. VI, 134 S.
Der Düsseldorfer Bezirk ist reich an hervorragenden kirchlichen Bau-
werken. In erster Linie sind da zu nennen die alten Stiftskirchen zu Kai-
serswerth und Gerresheim, die Kirchen zu Ratingen und Hilden und eine
Reihe kleinerer in romanischem oder Uebergangsstil erbauter Kirchen, meist
von Kaiserswerth aus gegründet oder baugeschichtlich abhängig. In der
Stadt Düsseldorf steht an erster Stelle die St. Lambertuskirche mit dem Grab-
male des Herzogs Wilhelm I. von Berg, dem spätgothischen Sakramentshäus-
chen, alten Wandmalereien des 14. und 15. Jahrhunderts; dann folgen die
Jesuiten- und Franziskanerkirche. Von älteren Profanbauten sind vor allem
zu nennen die Reste der Burg Friedrich Barbarossas zu Kaiserswerth. Auch
aus der pfalzischen Zeit besitzen wir eine Anzahl herrorragender Profan-
bauten, wie den Jägerhof in Pempelfort und Schloss Benrath. Aermer an
Kunstwerken ist das im zweiten Hefte behandelte Gebiet, der grosse Industrie-
bezirk im Bergischen Hinterlande und im Wupperthale, zugleich das Gebiet
des jeder künstlerischen Ausschmückung der Kirchen abholden reformirten
Kirchenthums. Von kirchlichen Bauwerken sind zu nennen die Kirchen zu
Beyenburg und Gräfrath. Dann findet sich auch hier eine Anzahl kleiner
frühromanischer Kirchen, die der vorher im Düsseldorfer Bezirke erwähnten
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231
Kaspar Keller
Gruppe angehören. Unter den älteren hemerkenswerthen Profnnbauten steht
im Vordergrunde des Interesses Schloss Burg an der Wupper, dessen Bauge-
schichte ausführlich dargelegt ist.
166. Claus. Zur Knnst- und Baugeschichte der Klöster. I. Die
Kunstdenkmäler der Rheinprovinz. Studien und Mittheilungen
aus dem Benedictiner- und Cistercienser-Ordcn. Jahrg. 1894,
S. 646—651.
166. Kölnische Ktlnstler in alter und neuer Zeit. Johann Jacobe
Merlos neu bearbeitete und erweiterte Nachrichten von dem
Leben und den Werken kölnischer Künstler. Herausgegeben
von E. Firmenich-Richartz, unter Mitwirkung von H. Keussen.
Mit zahlreichen bildlichen Beilagen. Lieferung 5—17. Düssel-
dorf, Schwann. 4°.
167. F. Th. Helmken. Der Dom zu Köln. Dritte durchgesehene
und erweiterte Auflage. Ein Führer für die Besucher. Mit
Abbildungen. Köln, Boisseree. 160 S.
168. L. Arntz. Die Kaithause in Köln in baugeschichtlicher Hin-
sicht. Mit 15 Abbildungen. ZChrK. 7, Sp. 9 -22.
169. K. Rhoen. Zur Geschichte der älteren Baudenkmäler von
Kornelimünster. Mit einer Tafel. ZAachenGV. 16, S. 112— 13k
Auch separat : Aachen, Cremer. 26 S.
170. K. Rhoen. Der sogenaunte karolingische Gang zu Aachen-
Aachen, Cremer. 26 S.
Rh. sucht nachzuweisen, das* das zwischen der Münsterkirche und denv
Rathhause liegende Gewölbe nicht karolingischen Ursprungs sei. Vergl.
Kelleter im KBWZ. 13, Sp. 160-161.
171. V. Z u c cal m ag 1 i o. Der Dom zu Altenberg. Neu heraus-
gegeben. Köln. Du Mont-Schauberg.
172. St. Beissel. Flämische Altäre in der Rheinprovinz und in»
Westphalen. Stimmen aus Maria Laach, 49, S. 11—24.
173. C. Aldenhoven. Ueber die altkölniscke Malerschule. Nation,.
11, S. 73-75, 89—92.
174. Köln. Klarenaltar. KBWZ. 13, Sp. 119-124.
Der Altar stammt aus dem Garenkloster und wurde durch die Gebrüder
Boisseree der St. Johanniskapelle im Dom geschenkt; er ist ein Meisterwerk
des 14. Jahrhunderts, das alle bekannten berühmten Werke übertrifft.
175. F. C. Heimann. Köln. Funde in S. Caecilien. KBWZ. 13,
Sp. 208-212.
Unter den verschiedenen Schichten von Tünche, auf deren einer sich
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Die historische Litteratur des Niederrheins für das Jahr 1894. 235-
Spuren von Malereien aus dem 16. Jahrhundert fanden, wurde ein ganzer
Cyclus von frühmittelalterlichen Wandmalereien entdeckt.
176. E. Firmenich-Ricbartz. Der Meister der Glorification
Maria. Mit 2 Lichtdrucken. ZChrK. 7, S. 1-S.
177. L. Scheibler. Ein Madonnenbild der Sammlung Nolles zu
Köln. Mit Lichtdruck. ZChrK. 7, S. 33—36.
178. E. Firmenich-Ricbartz. Die Flügelgemälde des Essener
Altars. Mit Lichtdrucktafeln. ZChrK. 7, Sp. 225—230.
Der Altar war ein Meisterwerk Barthel Bruyns, bestellt 1522, abge-
liefert 1525.
179. H. Der ix. Ein Glasgemälde des 16. Jahrhunderts im Dom
zu Xanten. Mit Abbildung. ZChrK. 7, Sp. 39—42.
180. F. Stummel. Alte Wandmalereien in der Heiligengeistkapelle
zu Kempen a. Rh. Mit Abbildung. ZChrK. 7, Sp. 149—154.
181. C. Justi. Die Goldschmiedefamilie der Arphe. Mit 4 Ab-
bildungen. ZChrK. 7, Sp. 289-302, 333—346.
Eine berühmte kastilianische Künstlerfamilie, die aus Deutschland und
zwar sehr wahrscheinlich vom Niederrhein stammte, wo der Name Harve,
Harff sehr verbreitet war und ist. Die drei bekannten Glieder waren be-
rühmt als Verfertiger der sog. Custodien, und zwar repräsentirte Jeder eine
Stilform, die Spätgothik, die sogen. Frührenaissance und das klassische
Cinquecento.
182. A. SchnUtgen. Zwei altkölnische Madonnenbildchen iu durch-
sichtigem Email. Mit 2 Abbildungen. ZChrK. 7, Sp. 23-28.
183. 0. R. Redlich. Die Schätze der herzoglichen Silberkammer
zu Düsseldorf im 17. Jahrhundert. Nach den Akten des
Düsseldorfer Staatsarchivs. BGNiederrh. 8, S. 109—139.
R. theilt ein Inventar der Schätze mit, welches aus Anlass einer An-
stellung eines neuen Silberkämmerlings im Jahre 1666 aufgestellt worden ist;:
es lässt sich darnach vielfach die Provenienz der einzelnen Stücke (im Ganzen»
2144) bestimmen.
184. J. Tb. de Raadt. Bestellung von Brüsseler Kunstwirkereie»
für das Düsseldorfer Schloss. BGNiederrh. 8, S. 139—148.
185. A. SchnUtgen. Gesticktes Antipendium im Kölner Dom.
Mit Lichtdruck. ZChrK. 7, S. 161—162.
186. E. Zais. Frankenthaler Porzellan in Aachen. ZAachenGV.
16, S. 161-162.
Die knrpfälzische Porzellanfabrik zu Frankenthal errichtete im Jahre*
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236
Kaspar Keller
1776 in Aachen eine Niederlage, um dem üöchster, und vor allen Dingen
Meissener Porzellan Concurrenz zu machen. Das finanzielle Ergebniss war
«ehr ungünstig.
5. Biographien und Aehnliches.
187. F. Wächter. Briefe niederrheiuischer Humanisten an Eras-
mus (1529—1536). ZBergGV. 30, S. 201—212.
188. H. Keussen. Heinrich Suderraann, Dr. jur., Syndicus der
Hansestädte. ADB. 37, S. 121—127.
189. F. H. R e u s c h. Laurentius Surius, Garthauser. ADB. 37,
S. 166.
190. Gerhard Tersteegen, Mystiker und Dichter zahlreicher Lieder.
ADB. 37, S. 576-579.
191. W. Harless. Werner Teschenniacher. ADB. 37, S. 582—584:
192. L. Keller. Thomas von Imbroich, Buchdrucker. ADB. 38,
S. 73-74.
Wiedertäufer, auch schriftstellerisch thätig, 1558 in Köln hingerichtet.
193. L. Scheibe. Probe aus der Historica Narratio Caspari Si-
beiii de curriculo totius vitae et peregrinationis suae. Fest-
schrift zur Feier des 300 jährigen Bestehens des Gymnasiums
zu Elberfeld. Elberfeld, Martini.
194. K. K rafft. Einige Lebensumstände von J. C. Henke zu Duis-
burg, von ihm selbst verfasst. ZBergGV. 30, S. 280—287.
195. F. Oppenhoff. Die Beziehungen Friedrich Heinrich Ja-
cobis und seiner Familie zu Aachen. ZAachenGV. 16, S.
132-162.
196. S. G. Schäffer. Adolf Kolping, der Gesellenvater. Ein Le-
bensbild. Mit dem Bild und 1 Facsimile Kolpings. 3. Auf-
lage. Paderborn, Schöning!). VIII, 336 S.
197. D. Behrens. Friedrich Diez. Festrede zur Feier von Diez'
100 stem Geburtstage gehalten. Mit 1 Porträt und bisher
noch nicht veröffentlichtem biographischem Material. Giessen,
v. Münchow. 41 S.
198. H. Breymann. Fr. Diez. Sein Leben und Wirken. Leip-
zig, Deichert. IX, 54 S.
199. M. Foerster Friedrich Diez. Festrede, gehalten zur Feier
des 100. Geburtstages den 3. März 1894 in der grossen Aula
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Die historische Litteratur des Niederrheins für die Jahre 1804 und 1895. 237
der Friedrich Wilhelms -Universität in Bonn. Bonn, Georgi.
18 S.
200. E. Stengel. Diezreliquien, aus Anlass des 100. Geburts-
tages. [A. u. d. T. Ausgaben und Abbandlungen aus dem
Gebiete der romanischen Philologie, Heft 91]. Marburg, El-
wert, 48 S.
201. A. Tob ler Briefwechsel zwischen M. Haupt und Fr, Diez.
Sitzungsberichte der Köuigl. Preuss. Akademie der Wissen-
schaften zu Berlin. Jahrg. 1894, S 139-156.
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Berichte und Notizen
In dieser Rubrik beabsichtigt die Redaktion einen Ucberblick über das
-gesummte geschichtliche Leben und Forschen in der Rheinprovinz zu geben. Es
ergeht daher an Alle die ergebenste Bitte, jede einschlägige Nachricht an die
Adresse der Redaktion (Bonn, Agrippinenstrasse 5) gelangen lassen zu trollen ;
insbesondere werden die Geschichtsvereine um regelmässige Einsendung ihrer
Berichte gebeten. A. Meister.
Die Generalversammlung des Historischen Vereins für den Nieder-
rhein zu Brauweiler am 14. October 189(5. Schon auf dem Wege zum Ver-
sammlungsort besichtigte ein Theil der Mitglieder unter Leitung des Prof.
Dr. Klinkenberg das Römergrab in Weiden, dessen Erklärung an Ort
und Stelle vorgenommen und später auf der Generalversammlung selbst ergänzt,
wurde. Am Versammlungsorte in Brau weiler, woselbst die Häuser Flaggen-
schmuck angelegt hatten, wurde der Verein begrüsst durch den Bürgermeister
Schwengers, der gleichzeitig auf die historische Bedeutung der Abtei hin-
wies. In Vertretung des Präsidenten Geheimraths Hüfter leitete Domkapitular
Schnütgen die Versammlung. Zuerst wurde Düsseldorf als nächster
Versammlungsort vereinbart, sodann erläuterte der Schatzmeister Helmken
in einem Geschäftsbericht den Kaaser.bestand und forderte zu zahlreichem
Beitritt zum Vereine auf. Der Vorsitzende berichtete darauf über den Stand
der Arbeiten für die Annalen, wozu Dr. Tille ergänzend hinzufügte, dass das
nächste Inventarverzeichniss die Kreise Grevenbroich, Bergheim, M. -Gladbach
und Düsseldorf umfassen werde.
Nachdem dann der Senior des Vereins Heinr. Lern per tz Mittheilung
von einer von ihm angefertigten Zusammenstellung von „Goetheana" gemacht
hatte, setzte Prof. Dr. Klinkenberg seine Erklärung des Römergrabes
Weiden fort über die Auffindung desselben im Jahre 1.S43, die Bauart, die
Bedeutung desselben in historischer und kunstgeschichtlicher Beziehung. Er
hielt das Grab für die Begräbniasstätte eines vornehmen Landwirthea, das
gegen 260 n. Chr. in Gebrauch genommen und gegen 340 ausser Benutzung
gesetzt sei.
Privatdozent Dr. C 1 e m e n gab einen Ueberblick über die bauge-
schichtliche Entwickelung der Abteikirche von Brauweiler, der sich weniger
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Berichte und Notizen.
239
*
auf urkundliche Notizen, als auf die Formen des Bauwerks stützen müsse.
Von der ursprunglichen Anlage aus den Jahren 1024 und 1028 sei nichts er-
halten, erst um die Mitte des 11. Jahrhunderts sei der jetzige Bau begonnen,
<ler damals in einer dreischiffigen, flachgedeckten Pfeilerbasilika mit Krypta
bestand und 1061 seine Vollendung erfahren habe; charakteristisch seien für
ihn namentlich die flache Nischen-Architektur mit den schlanken, durch ar-
chaisireude Capitelle bekrönten Säulen. Um die Mitte des 12. Jahrhunderts
erfolgten einschneidende Veränderungen, namentlich die Einwölbung zunächst
des unteren Thurmgeschosses, die bereits 1141 vorgenommen sei und an
welche dio des Mittelschiffes sofort sich angeschlossen habe mit den dadurch
herbeigeführten wesentlichen Umbauten. Mancherlei Verwüstungen, zumal
"wahrend der Kämpfe zwischen Philipp und Otto, hatten gleich nach 1200
mancherlei Neugestaltungen zur Folge, namentlich den Umbau des Chors
mit dem Unterbau der beiden Flankirthürme und des Querscbiffes, und gegen
1220 ist aus der einfachen, flachgedeckten Pfeilerbasilika dem Wesen nach
«las luftige, malerische, innerlich wiu äussernd» reich gegliederte Bauwerk
geworden, als welche? noch jetzt die neuerdiugs restaurirte Kirche sich dar-
stellt, ein bis jetzt litter^risch zu wenig beachtetes Monument, welches an
•einem Sohne des Ortes, dem damals noch dem Kölner Seminar angehörigen
Diakon L i n g n a u hoffentlich bald einen neuen Bearbeiter gewinnen werde.
Nicht minder Beachtung wie die Architektur des Baues verdiene seine Aus-
stattung mit Wandmalereien, die im Kapitelsaale von grosser kunsthistorischer
Bedeutung seien, wohl gleich nach der Mitte des 12. Jahrhunderts, vielleicht
•unter dem dort bestatteten Abte Aemilius entstanden, den längst bekannten
Wandgemälden von Knechtsteden und den neu entdeckten von Steinfeld
aus den Jahren 1130 bis 1135 gegenüber ein entschiedener Fortsehritt im
Sinne grösserer Unbefangenheit und Freiheit, wohl die unmittelbaren Vor-
läufer der merkwürdigen, schon lange restaurirten Malereien in Schwarz-
rheindorf.
Darauf hielt der Kölner Stadtarchivar Prof. Dr. J. Hansen einen
fesselnden Vortrag über das Gutachten der Kölner theologischen Fakultät
vom Jahre 14S7 über den Hexenhammer (malleus maleficarum). Die beiden
Dominicaner Heinrich Institoris und Jacob Sprenger wussteu im December
1484 von Papst Innocenz VIII. eine Bulle zu erlangen, um eine Hexenver-
folgung zu insceniren, und Institoris versuchte dieselbe zunächst 1485 in
Brixen und Innsbruck, fand aber keinen Anklang. Sie verfa9Sten daher, um
für die Hexenprozesse eine packendere Unterlage zu gewinnen, den berüch-
tigten Malleus, und um demselben von vornherein ein grösseres Ansehen zu ver-
schallen, suchten beide ein Gutachten der Kölner theologischen Fakultät zu er-
reichen. Diese notarielle, handschriftlich nicht mehr existirende Erklärung ver-
öffentlichten sie mit der Bulle und dem Malleus, und bis heute hat sie neben
dem Verfahren gegen Reuchlin einen tiefen Schatten auf die Fakultät ge-
worfen. Ganz mit Unrecht, denn sie ist, was zunächst betont wurde, keine
Meinungsäusserung der Fakultät, sondern nur ein privater Ausspruch von
vier Fakultätsmitgliedern, welcher dazu sehr zurückhaltend uud verklausu-
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240
Berichte und Notizen.
lirt ist. Weil dieser deswegen den beiden Dominikanern nicht genügte,,
suchten sie ein zweites Gutachten mit Hülfe desselben Notars zu erlangen^
und dieses, die Inquisition vollständig billigende, ebenfalls handschriftlich,
nicht mehr vorliegende Aktenstück stellt sich bei genauerer Prüfung als eine
den beiden Verfassern de« Malleus zur Last fallende Fälschung heraus. Die
Unterschriften der 8 Fakultäts-Professoren sind nicht beglaubigt, sie stützen
sich allein auf das Zeugniss des altersschwachen Pedellen, der 1492 pensio-
nirt wurde und am 2. Februar 1493 starb. Der erste datirte Druck ist von
1494. In einer Ausgabe, die sich jetzt im Kölner Stadtarchiv befindet, steht
eine Randbemerkung von der Hand Hartz heims, der 1759 Dekan der theo).
Fakultät war, dass das Gutachten falsch sei und sich nicht in. dem ihm noch
vorliegenden Dekanatsbuch befinde; der Pedell habe das ihm untergeschobene
Zeugniss später widerrufen.
Darauf sprach Dr. Kelle ter über die vielbehandelte Clematianische
Inschrift zu St. Ursula in Köln. Er unterschied in der bisherigen Er-
forschung der Inschrift eine theologisch - hagiologische und eine philologisch-
archäologische Gruppe, jene vornehmlich durch Floss, Stein, Kessel und
neuerdings durch Müller vertreten, an dem der Redner besondere Kritik
übte, diese durch Düntzer und Klinkenberg. Wenn maD, so führte der
Redner weiter aus, die wichtigen Worte „ex partibus orientis" auf die un-
mittelbar vorhergehenden: „virginum imminentium" beziehe, so liege die
Deutung nahe auf die an der Ostseite der Kirche bestatteten Jungfrauen,,
zumal die Beisetzung gerade an der nach Osten gelegenen Stelle damals die
allgemein übliche gewesen sei. Aber es empfehle sich vielmehr, die Worte
„ex partibus orientis" auf die unmittelbar folgenden: „exhibitus pro voto
Clematius" zu beziehen, und dann ergebe sich eine ganz neue, sehr befriedi-
gende und manche Aufklärungen bietende Deutung. Wenn man nämlich
unter „oriens" Byzanz verstehe und Clematius V. C. als Vir Consularis, als
in Köln ansässigen und begüterten byzantinischen Beamten ansehe, so liege
es nahe, an einen Auftrag zu denken, den er im Anschlüsse an das 3&»> er-
lassene Dekret des Theodosius, der Reliquien-Verehrung mehr Beachtung zu
schenkeu und ihre im Verfalle befindlichen Aufbewahrungsstätten wieder her-
zustellen, erhalten habe, auf diesem Wege das Christeuthum am Rheine zu
schützen. Diese amtlich an ihn ergangene Aufforderung, die ihm das Recht
gegeben habe, die am Schlüsse der Inschrift angedrohten Strafen zu betonen,
sei vielleicht 394, also um die Zeit erfolgt, in welche die Inschrift gesetzt
werden müsse. — Der Vorsitzende hob dagegen hervor, dass diese auf die
Autorität von Ritsehl und Rossi bislang festgehaltene Datirung in neuester
Zeit Beanstandung erfahren habe und gab dem Bedauern Ausdruck, dass die
fortgeschrittene Zeit keine Diskussion mehr gestatte über die interessante
Frage, die hoffentlich auf die Tagesordnung der nächsten General- Versamm-
lung gesetzt werden könne.
Mit Bezug auf die im Saale ausgestellten, überaus merkwürdigen Be-
sitzstücke der Abteikirche: die seidene, in ihrer ursprünglichen Form erhaltene
Glockencasel, die von dem hl. Bernhard bei seinem Aufenthalt in Brauweiler
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Berichte und Notizen.
241
1143 getragen worden sein kann, und den Skyphos St. Nicolai, der aus Maser-
holz wohl im Anfange des 13. Jahrhunderts sehr kunstvoll geschnitten und
mit vergoldeten Silborappliquen versehen, an die früher ohne Zweifel vor-
handene Trinkschale des Hauptpatrons der Kirche anknüpft, musste der Vor-
sitzende sich auf wenige archäologische Bemerkungen beschränken, damit
wenigstens noch kurze Zeit für die Besichtigung der Kirche übrig blieb, in deren
Vorhalle der übrige Kunstbesitz derselben ausgestellt war, namentlich die
romanische Holzngur des hl. Nicolaus, das frühere Gnadenbild und die beiden
spätgothischen Monstranzen. Dr. C lernen erklärte die architektonische Ge-
staltung, der Vorsitzende die liturgische Ausstattung des Gotteshauses und
nach einer vorübergehenden Besichtigung des uralten, leider dem Verfalle
entgegengehenden Maulbeerbaumes wurde unter der Führung des Rendanten
Wintz, der den durch die Verhandlungen der Gefängnissgesellschaft verhin-
derten Direktor Schellmann vertrat, der Capitelsaal besucht, dessen Wand-
gemälde Diakon Lingnau kurz erklärte.
Erst um 4 Uhr konnte das Festessen beginnen, so lange Zeit hatten
die ornsten uud ausserordentlich reichhaltigen wissenschaftlichen Erörterungen
in Anspruch genommen, und um 6 Uhr begann schon zu Fuss und zu Wa-
gen der Aufbruch zur Eisenbahnstation Lövenich.
Gesellschaft für rheinische Geschichtskunde, 15. Jahresbericht.
(Auszug.) Veröffentlicht wurden 1) W. Stein, Akten zur Geschichte der
Verwaltung der Stadt Köln im 14. und 15. Jahrh. Bd. II. 2) G. v. Bolow,
Landtagsakten von Jülich-Berg 1400-1610, BcL I, 1400— 15G2. 3) K. Schul-
te is, geschichtlicher Atlas der Rheinprovinz, a. die Rheinprovinz unter
preussischer Verwaltung 1818, b. Erlauterungen zum geschichtlichen Atlas
Bd. I., die Karten 1813 und 1818. 4) Scheibler und Aldenhoven, Ge-
schichte der Kölner Malerschule. — Für die Ausgabe der Rheinischen
Weisthümor unter Leitung von Geh. Rath Lörsch finden die letzten Er-
mittelungen zur Vervollständigung des Materials statt ; dann kann der Druck
beginnen. Für die Ausgabe der Aachener Stadtrechnungen hat Stadt-
archivar A. Pick etwa 10 kleinere Bruchstücke aus dem 14. und 15. Jahrh.
und die Rechnung des Etatsjahres 1394/95 abgeschrieben und bearbeitet.
Für die Ausgabe der Rheinischen Urbare unter Leitung von Prof.
Lamprecht hat Dr. Kelle ter ein grösseres Erläuterungsmaterial zu der
Bearbeitung der Aachener Urbare herangezogen, wodurch die Herausgabe ver-
zögert wurde; an Stelle des erkrankten Dr. Barth hat Dr. Tille die Bearbeitung
der kleineren niederrheinischeu Urbarialien übernommen; die Bearbeitung der
Urbarialien von St. Pantaleon in Köln durch Dr. Hil liger wird demnächst
abgeschlossen vorliegen; Dr. Kötzchke arbeitete an dem Abschluss der
Werdauer Urbarialien. Wie Prof. Ritter berichtet, konnten die Arbeiten
zur Herausgabe der Jülich-Bergischen Landtagsakten durch Prof-
v. Below wenig gefordert werden. Dr. Küch hat für die Akten der Jü-
lich-Bergischen Land stände II. Reihe die Bergischen Akten bis 1648
Annalen des bist. Vereins LX.11I. 16
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Berichte und Notizen.
bebandelt. Für den II. Band der Matrikel der Universität Köln hat
Dr. Koussen die Register guten Theils fertiggestellt. Die Dekanatsbücher
hat er zu Erläuterungszwecken bis 1485 ausgebeutet. Die Ausgabe der
älteren rheinischen Urkunden ist bis 800 nahezu druckfertig, bis 900
ist das Material gesammelt. Für die erzbischöflich Kölnischen Regesten
hat Prof. Menzel den Stoff bis 1100 zusammengebracht, es bedarf nur noch
einiger kritischer Nachprüfungen; in der zweiten Abtheilung 1100—1304 hat
Dr. K nipp in g bis 1205 das Material verarbeitet; in der dritten Abtheilung
1303—1414 hat Dr. Müller seine Sammlung auf 5000 Nummern gebracht.
Vom geschichtlichen Atlas der Rheinprovinz unter Leitung von
Prof. Nissen hat Dr. Fabricius die Uebersichtskarte von 1789 und den
Band Erläuterungen beendigt, der Druck hat begonnen. Unter Prof. Ritter
hat Dr. Löwe für die Akten der Jülich-Clevischen Politik Kur-
brandenburgs (1610 — 40) die Berliner Akten durchgearbeitet und die
Düsseldorfer in Angriff genommen. Dr. Vouilleme hat seine Bibliographie
über den Kölner Buchdruck im 15. Jabrh. auf 915 Nummern gebracht.
Von der Geschichte der Kölner Malerschule von L. Schaibler und K. Al-
denhoven steht Lieferung 3 in Aussicht. Die Herausgabe der Urkunden
und Akten zur Geschichte des Handels und der Industrie in
Rheinland und Westfalen, sowie die Ausgabe der Zunfturkunden
der Stadt Köln, für welch letztere in Dr. Lau ein Hülfsarbeiter gewonnen
wurde, konnte Prof. Gothein nicht erheblich fördern. Als neues Unter-
nehmen wurden von Dr. Knipping in 2 Bänden die Kölner Stadtrech-
nungen aus dem Mittelalter herausgegeben. Im Jahresbericht begann die
Inventarisirung der kleineren Archive von Dr. Tille, welche auch
in einem Supplementbande durch Beiheften zu den Annalen den Mitgliedern
unseres Vereins zugestellt werden.
Aachener Geschichtsvercln. Auf der Generalversammlung vom 21. Okt.
1896 hielt der Aachener Hilfsarchivar Dr. Brüning einen Vortrag über
Aachen während der Befreiungskriege. Oberlehrer Oppen hoff sprach über
Dürener Geschichtsschreiber und Geschichtsquellen, besonders über den Fran-
ziskaner Jakobus Polius, den Verfasser des Vindiciae antiquitatem Maroodwie;
und der Bibliotheksvolontär Dr. Richel gab einen historischen Ueberblick
über die bildlichen Darstellungen der Stadt Aachen und ihrer Bauwerke. —
Inhalt des letzten Bandes der Zeitschrift des Vereins (XVIII, 1896): v. Be-
low, Die Leistungen des Amtes Wassenberg zum Jülicher Festungsbau 1576.
Pauls, der Bousberg bei Aachen. Th. Lindner, Zur Fabel von der Be-
stattung Karls d. Gr. Veitmann, Aachener Prozesse am Reidkskamraer-
gericht (II). Schoo p, Entwickelung der Dürener StadtverfaBsung vom Ver-
bundbriefe 1467 — 1692. Roth, Briefsammlung des Propstes Ulrich von
Steinfeld aus dem 12. Jahrh. Redlich, Zur Geschichte der St. Annen-Re-
liquien in Düren. Oppenhoff, Nachtrag zur Aachener Sternzunft. Kleinere
Mittheilungen: Beilesheim, Aachener Lehrer und Studenten an der Hoch-
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Berichte und Notizen.
243
schule zu Paris im 14. und 15. Jahrhundert. Lau, Die Rechte der Abte
Corneliraiinster und des Herzogs Jülich im Dorfe Kastenbolz. Loersch,
Ein Stammbaum der Familie Mitz. Belleshem, Der päpstliche Nuntius
Bouermi in Aachen 1585. Keassen, Aachen-Pilger in Köln.
Bergischer GeschlchtsverelD. (Sitzung vom 9. Jan. 1897.) Dr. Nebe
hielt einen Yortrag über Konrad von Heresbach, der am 2. August 1496 ge-
boren, in Münster unter Johannes Murmellius in das Studium des klassischen
Alterthums eingeführt, dann die Universität Köln besuchte, ganz in die
Bahnen des Humanismus einlenkte. Nach einer längeren Studienreise kehrte
er nach Köln zurück, wo zum ersten Male Erasmus entscheidend in sein
Leben eingriff, indem er seine Uebersiedeluug nach Basel und dann nach Frei-
burg vermittelte. Von dort ging er nach Ferrara, wurde daselbst zum Doktor
ernannt, besuchte Padua und kehrte 1523 nach Freiburg zurück. Neben
seiner Lehrthätigkeit an der Universität trat er auch als Schriftsteller her*
vor. Im selben Jahre 1523 verschaffte ihm Erasmus die Stelle eines Er-
ziehers des Erbprinzen am Hofe zu Cleve, woselbst sein Buch über Prinzen-
erziehung entstand, das er als die Summe seiner Erfahrungen auf Melanch-
thons Veranlassung verfasste und 1570 herausgab. — Herr Bethan y sprach
sodann über „Aberglauben der Gelehrten", insbesondere über die vorgebliche
Verpflichtung der Hörigen und Leibeigenen zur Brautabgabe an den Lehns-
herrn. Der letzte Band der Zeitschrift des Berg. Gesch.-Vereins (Bd. 31,
Halbband, 1896) enthält folgende Aufsätze: Morath, Beiträge zur Korre-
spondenz des Kurprinzen Friedrich Wilhelm von Brandenburg mit dem
Grafen Adam zu Schwarzenberg 1634 — 1640. — Breve Pauls V. in Betreff
der religiösen Geltung des Pfalzgrafen Wolfgang Wilhelm von Neuburg 1612
Oct. 22. Harles s, Bericht über die Heimfahrt des Kurprinzen Georg Wil-
helm von Brandenburg nebst Gemahlin nach Cleve 1616. — Privilegienbe-
b tätigung für die Stadt Werden 1648 April 4. — Fried länder, Rechnungen
des Cistercienserklosters Mariawald aus dem Ende des 15. Jahrhunderts-
J. Wolters, Chronologie des Theaters der Reichsstadt Köln. — SchadloB-
brief Üerzogs Gerhard von Jülich -Berg für seinen Rath Rabad Stael von
Holstein 1457 Juli 14. E. Pauls, Kulturgeschichtliches (Fortsetzung). —
Herzog Wilhelm II. von Jülich-Berg ernennt Mathias von Düren zu seinem
Leibarzt 1509. Redlioh, Frankreichs Rheingelüste im Jahre 1492. W. Har-
les s, Ungedruckte Clevische Urkunden. — Bestellung für Hans Klingenetein
als Herold 1423. Harless, Ein Gedicht auf die Gründung des Kreuz-
Bruderklosters zu Düsseldorf. Nebe, Vereinsnachrichten. Schell, Die Samm-
lungen des Vereins.
Düsseldorfer Geschichtsverein. Im letzten Jahrbuche des Vereins ver-
öffentlicht Hassenkamp ein Lebensbild von Karl Immermann, der
in Düsseldorf 13 Jahre gewirkt hatte und auch daselbst begraben ist. Der
Konservator F. Schaarschmidt giebt Nachricht über fürstliche Por-
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241
Berichte und Notizen.
trat 8 in der Gemäldesammlung der Kgl. Kunstakademie, darunter ein
authoiitisches Porträt der unglücklichen Jakobe von Baden, Gemahlin des
Herzogs Johann Wilhelm von Jülich. F. Kirsch bietet wichtige Beiträge
zur Kunstgeschichte Düsseldorfs; er erweist, dass der Schöpfer des
Grabdenkmals Wilhelms III. in der Lambertuskirche der Bildhauer Gerhard
Scheeben aus Köln ist, der 1599 das Denkmal vollendete; ferner verbreitet
er sich über die Baugeschichte der Andreas- und Jesuitenkirche. P. Ms. de
Loe, ord. praed., giebt einen werthvollen Beitrag über Reformation s-
vcrsuche im Dominikanerkloster zu Wesel. Viermal hatten die Or-
densbrüder trotz der Beihülfe des Herzogs die Reformversuche abgewehrt,
bis endlich 1464 der Ordensmeister Konrad von Asti die Reform durchsetzte.
1806 wurde das Kloster aufgehoben (die Klosterkirche ist heute die katho-
lische Marienpfarrkirche, die anderen Klostergebäude dienen als Kaserne).
0. Redlich giebt eingehende Mittheilungen über die französische
Vermittlungspolitik am Niederrheiu im Anfang des 16. Jahr-
hunderts. E. Pauls bringt als Miszelle Tauf- und Heirathsur-
kunden mehrerer dem Hofe des Kurfürsten Johann Wilhelm nahestehender
Persönlichkeiten.
Historischer Verein für Stadt und Stift Essen. (Bericht vom 1. Ok-
tober 1896. Auszug.) Der Verein beabsichtigt ausser der Fortsetzung der
Geschichte des Essener Gymnasiums die Essener Reformation«- und Kirchen-
geschichte von Heinrich Kauffmann 1561 — 1667 und die Chronik des kath.
Pfarrers Jos. Andermahr 1774—96 herauszugeben, ausserdem wird geplant
für ein historisches Album alle Abbildungen aus dem alten Essen zu sammeln.
Das vom Vereine herausgegebene 17. Heft der Beiträge zur Geschichte von
Stadt und Stift Essen enthält folgende Aufsätze: F. Schröder, Aus dem
mittelalterlichen Essen, S. 5 — 33. W. Grevel, Die Steeler und Schellen-
berger Glashütten, ein Beitrag zur Industriegeschichte des Niederrheins, S.
37-73. F. Arena, Das Hospital zum hl. Geist in Essen, S. 77—128 (mit
Plan und Abbildung). F. Arens, Die Essener Armenordnung von 1581, S.
130-136. F. Arens, Die Statuten des gräflichen Damen-Kapitels des Stiftes
Essen, S. 139-148.
Kölner Stadtarchiv. Dem Stadtarchivar Dr. J. Hansen (Vor-
standsmitglied unseres Vereins) ist der Titel Professor verliehen worden. Von
den bisherigen Volontären ist Dr. Lau von dem Verwaltungsausschuse des
Böhmer'schen Nachlasses mit der Neubearbeitung des Frankfurter Urkunden-
buchs beauftragt worden; er ist nach Frankfurt übergesiedelt. Dr. Knipping
wurde in den staatlichen Archivdienst übernommen und dem K. Staatsarchiv
zu Wiesbaden zugetheilt. Neu traten als Volontäre ein Dr. Bettgen-
häuser und Referendar a. D. von Loesch.
Mevissen Stiftung. Der Preis für die Lösung der zweiten Preis-
aufgabe (Entwicklung der communalen Verfassung und Verwaltung Kölns
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Berichte und Notizen.
245
von ihren Anfängen bis zum Jahre 1396) ist durch Beachluss vom 19. Juli
1896 Herrn Dr. Friedrich Lau zuerkannt worden. Preisrichter waren die
Herren Prof. v. Below, Prof. Gothcin und Geh. Rath Prof. Lörsch.
Der für die Geschichte des Niederrheins, besonders für die Erforschung
der Geschichte " der Jülicher Lande hochverdiente Prof. G. von Below in
Münster hat einen Ruf an die Universität Marburg erhalten und angenommen ;
sein Nachfolger im Ordinariate in Münster wurde der dortige bisherige ausser-
ordentliche Prof. H. Finke, dessen Nachfolger im Extraordinariate Privat-
docent Dr. Spannagel aus Berlin.
Am 10. Mai starb zu Bonn im 62. Lebensjahre der Universitätspro-
fessor für Geschichte und geschiehtl. Hülfswissenschaften Dr. Karl Menzel,
ein langjähriges Mitglied unseres Vereins. Vierundzwanzig Jahre hatte er
der rhcin. Hochschule als ord. Professor angehört, nachdem er vorher von
1866—7:1 in Weimar im Archivdienste thätig gewesen war. Für die rheinische
Geschichte bethätigte er sich durch die Bearbeitung des paläographischen
Theilcs der Trierer Ada-Handschrift, sowio durch die Leitung der Heraus-
gabe der älteren rheinischen Urkunden und der Bearbeitung der erzbischöf-
lich Kölnischen Regesten. Leider sind die beiden letzten Unternehmungen
nicht bis zur Veröffentlichung gelangt.
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UnivereitütB-Bucbdruckeret von Carl Georg! in Bodo.
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